15. Jahrgang.
iTe- i.
1. Januar 1866.
X. . M
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
p~~ ~ .
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
t lungen.
© r 1 i g
£u
von
PREIS:
•v-^
*
B.
U.2. 42 kr. od.Th.l.MSg.
■■ \ für den Jahrgang.
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ, j d«* & *« ta«. : >
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
* 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal, j
INHALT: Fürstlich Tburn und Taxische Hofmusikcapelle. — Correspondenzen : Mainz. Schweiz. Züricb. — Nachrichten.
Fürstlich Thurn und Taxische Hofmusikcapelle.
(Aus Dr. Mettenleiter's „Musikgeschichte Regensburgs," Verlag
von BÖsenecker in Regensburg.
Die erste Nachricht von dem Besteben einer solchen fand ich
in der Chronik von Bad Schwalbach. Dort heisst es zum
Jahr 1684: „Die Fürsten von Thurn und Taxis, von Nassau-Weil-
burg brachten stets ihre aus 60 Mann bestehende Musikcapellen,
sowie ihre Opernbanden mit und vereinigten an ihren gastlichen
Tafeln alltäglich 60 bis 80 Personen, und dies thaten sie fort bis
in's 18. Jahrhundert." Leider haben alle Bemühungen , detaillirte
Notizen über die Zahl und Namen der Hofmusiker oder über ihr
Repertoir zu ermitteln, weder in Schwalbach noch an. Ort und Stelle
ein Resultat gehabt. Es muss sich der Leser sonach schon gefallen
lassen, dass ich ihn in einem Salto mortale gleich über ein ganzes
Jahrhundert hinwegsetze, zum Jahre 1741. In diesem Jahre fand
ich nämlich erst wieder eine Spur. (Siehe Beilage I des Werkes.)
So ausführlich nun auch dieses Actenstück des Fürsten, des Gross-
vaters des gegenwärtigen, der damals in Frankfurt residirte, ist, so
gibt es doch auch keine näheren Aufschlüsse. Es constatirt eben
auch blos den Bestand der MuBikcapelle , ohne sieh über Zahl etc.
der Mitglieder zu verbreiten. Der darin genannte Musikdirector,
Freiherr von Zedwitz ist mir eine persona incognita geblieben
trotz all meiner Nachforschungen. Alles was ich über diese Familie
fand, beschränkt sich auf eine Dame, die übrigens der Neuzeit an-
gehört. Ernestine Gräfin von Zedwitz lebt seit dem Tode ihres
Gemahls (1838), des Grafen zu Asch (Schönbacher Linie), ganz der
Kunst, und namentlich der Musik im strengen Jätyle , jedoch mit
Vorliebe für Chopin , welche sie wie fast alle anderen guten
Tonwerke mit Kraft und Ausdruck auswendig vorträgt; sie steht
seit 1841 mit Frau Clara Wie k- Schumann in engster Beziehung.
(Schilling, Supplbd.) Der Name des ebenfalls genannten Hofmusikers
Schiavonetti begegnete mir weder in früheren noch späteren Acten,
noch auch in den aufbewahrten Musikpiecen oder im Verzeichnisse
der Hofmusiker von 1755. Er scheint demnach um jene Zeit ge-
storben oder entlassen worden zu sein. Ich benutze diese Lücke
zur Erwähnung der als musikalisch bekannten Persönlichkeiten des
Fürstenhauses.
Die nach dieser Seite hin berühmteste Persönlichkeit ist der
Conte, welchen der berühmte Musikschriftsteller B u r n e y in
seinem „Tagebucbe einer musikalischen Reise" wiederholt rühmend
erwähnt. Da wo er von dem berühmten Geiger* und Componisten
der „Teufelssonate," T a r t i n i spricht, bemerkt er : „Sr. Excellenz
dem Grafen von Tburn und Taxis in Venedig, seinem Scholaren
und Gönner, vermachte er seine geschriebenen Musikalien". Wieder
bemerkt er zum 1*2. August 1770: „Ich genoss die Ebre, mit dem
Conte Torre Taxis, der hier eine Person von grossem Ansehen
ist, eine lange Unterredung zu haben. Er ist deutscher und vene-
tianischer GeneralpoBtmeister und war ein grosser Freund von
Tartini, von dessen Compositionen er mir eine Menge zeigte. Er
hat seinen Freund in einer kleinen Schrift gegen einige Anmerkungen
über seinen Trattato di Musica vertheidigt, die Rousseau in dem
Dictionaire de musique gemacht hat. Dieser Herr, so jung er ist,
scheint grosse musikalische Gelehrsamkeit zu besitzen und aus dem
Umgange und dem Briefwechsel mit Tartini viel gelernt zu haben,
sowie er überhaupt für alle Künste Enthusiast ist. Diese Unter-
redung mit ihm, worin ich ihm meinen Plan einer „Geschichte der
Musik" mittheilte, machte mir viel Vergnügen und seine Mittheilungen
waren mir so angenehm als unterrichtend."
Zum 1 7. August bemerkt er dann wieder : „Diesen Morgen hatte
ich die Ehre einer zweiten Unterredung mit dem Grafen von Thurn
und Taxis, wobei ich das Vergnügen genoss, Se. Excellenz auf dem
Ciavier, worauf er sehr geschickt ist, spielen zu hören. Er phan-
tasirte lauge und zeigte viele Einsicht in der Modulation, und ich
fand, dass er eine Stelle unter Tartini's Schülern vom ersten Range
verdient. Er zeigte mir eine grosse Anzahl von Messen, Motetten
und Oratorien von seiner Composition, denn ob er gleich noch jung
ist, so hat er doch schon sehr viel geschrieben. Auch zeigte er
mir ein Instrument, ein auf besondere Art eingerichtetes Ciavier,
welches nach Angabe des Königs von Freussen verfertigt ist. Es
hat das Ansehen eines grossen Clavichords, verschiedene Auszüge,
und ist bald eine Harfe, ein Flügel, eine Laute oder ein Fortepiano;
doch das Merkwürdigste an diesem Instrument besteht darin, dass
man das Ciavier herausziehen und die Tangenten unter andere Saiten
bringen kann , wodurch ein Stück nach Belieben um einen halben
oder ganzen Ton, oder auch um eine kleine Terz niedriger kann
transponirt werden, ohne dass man verschiedene Noten und Schlüssel
entweder wirklich oder in Gedanken nöthig hat."
Wie man aus diesen Mittheilungen ersieht, war der Graf von
Thurn und Taxis Compositeur und Musikschriftsteller. Das bezüg-
liche Werk konnte ich nicht erfragen , von seinen Compositionen
dagegen habe ich in der fürstlichen Musiksammlung eine Sinfonie
aufgefunden, wenigstens sprechen alle äusseren Gründe dafür, dass
sie von ihm stammt. Der Conte starb erst im zweiten Decennium
dieses Jahrhunderts. Ein nicht minder gründlicher Musiker und
Compositeur ist dann der am 13. November 1805 verstorbene Fürst
Carl Alexander gewesen. Er spielte das Ciavier und die Orgel
meisterhaft, kannte den Generalbass und den Contrapunkt genau
und phantasirte sehr schön und gediegen. Vorzüglich zog ihn die
Kirchenmusik an. Concerte besuchte er selbst, das Theater aber
nur sehr selten. Bedeutende Künstler schützte und schätzte er, wie
denn auch die Catalani, Händel-Schütz, Bürger u. A.
zu Vorträgen von ihm eingeladen wurden. Jährlich begleitete er in
der Schottenkirche an den drei letzten Tagen der Charwoche die
Lamentationen auf der Orgel. Als er einmal zu den Worten des
Requiem auf der Orgel phantasirte, sagte er zu seinem tiefergriffenen
Diener: „Ich spiele meinen künftigen Grabgesang". Der Verfasser
dieses hat in jüngster Zeit ein Orgelclavier in Besitz bekommen,
welches dem Fürsten zum Gebrauch gedient und das er später einer
Gesellschaft zum Geschenk gemacht hatte; ebenso ein Kinder-Clavier,
_ 2 —
das zugleich als Nähtisch dienen konnte. Der' verstorbene Prina
Fritz hat darauf das Ciavierspiel gelernt.
Wenn ich blos diese Persönlichkeiten bezeichne und nichts von
der Gegenwart sage , so geschieht dies einzig aus achtungsvoller
Zurückhaltung. Die Musik ist im fürstlichen Hause mit eine unter
den dort gepflegten Musen
Naeh dieser kurzen Digression fahre ich wieder fort in der
Darlegung der Geschichte der Musikcapelle. Das nächste Document,
welches ich auffand, datirt aus 1755 ; es ist der Etat de la Musique
nnd enthält die, Namen aller angestellten Musiker mit Angabe ihres
Gehaltes. Unte* denselben befand sich Denn er, wahrscheinlich ein
Nachkomme, vielleicht ein Sohn des zu Nürnberg 1770 gestorbenen
Erfinders der Clarinette und der Stock- oder Raketen - Fagotte , des
Verbesserers des Chalumeau (Schalmei), einer der ausgezeichnetsten
Waldhornisten und Lehrer der zwei berühmten Waldhornisten
Ignaz und Anton Bock aus Stadtamhof, welche ganz Europa
mit einem fast nicht dagewesenen Erfolge durchreist haben und als
churfürstliche Hofmusiker in München am Ende des vorigen Jahr-
hunderts starben.
Auch ist hervorzuheben Joh. Jakob Paul Küffner, geb. zu
Nürnberg 1713 und gest. zu Regensburg am 12. Juli 1786. Er lebte
Anfangs als Organist in der Walpurgiskirche zu Nürnberg, wurde
aber 1750 als Hofcembalist bei dem fürstl. Taxischen Hause ange-
stellt. Schubart sagt in seinen „Ideen zur Aesthetik" pag. 190 von
ihm: „Kiefer (Küffner), ein ungemein gründlicher Ciavierspieler,
ist im leichten und starken Vortrag, in der Kunst zu lesen und zu
begleiten gewiss Meister. Er ist der Schöpfer des Ciaviergeschmacks,
der gegenwärtig (1784) am Taxischen Hofe herrscht. An ihm wird
nämlich das Ciavier ausnehmend geschätzt und cultivirt. Da es das
Lieblingsinstrument aller Prinzessinnen ist, so kann man leicht er-
achten, dass es nicht an Virtuosen fehlen wird, die das herrliche
Instrument mit Feuer treiben."
CORRBSPONDENZEN,
Aus 91 a i n sb.
28. Do/ember.
Ein seit Jahren schon projectirtss Unternehmen hat endlich
diesen Winter seine Verwirklichung gefunden , indem das hiesige
Theaterorchester unter Leitung seines Capellmeisters Hrn. Dumont
vier grosse Sinfonieconcerte angekündigt hat, deren erstes bereits
gestern Abend im Saale des Frankfurter Hofes stattfand. Das Pro-
gramm bestand aus der Sinfonia eroica von Beethoven und Men-
delssohn^ Musik zu Shakespeare'« „Sommernachtstraum u mit ver-
bindendem Gedicht, gesprochen von Hrn. Theaterdirector Wenzel.
Die Gesangpartien hattenFrau Barnay- Kreuzer und Frau S k a 1 1 a-
Borzaga vom hiesigen Theater übernommen.
Das Unternehmen des Theaterorchesters ist unstreitig ein sehr
verdienstvolles, allein die zu lösende Aufgabe ist eine sehr schwie-
rige. Diese besteht nämlich darin, das hiesige Publikum durch
regelmässige Vorführung grösserer classischer Orchesterwerke dem
Verständnisse dieser Werke näher zu bringen, indem durch die Auf-
führung solcher Werke die Theilnahme der Concertbesucher geweckt
und befestigt und auf diese Weise der musikalische Geschmack im
Allgemeinen geläutert und verfeinert werden soll. Dass unserem
Publikum der Sinn für derartige feinere Genüsse nicht fremd ist
(wenn auch im Allgemeinen eine gewisse Oberflächlichkeit der Ge-
schmacksrichtung sich bisher geltend gemacht hat), das bewies das
sichtbare Interesse, womit die im gestrigen 'Concerte anwesenden
Zuhörer die Aufführung der genannten Werke verfolgten, und die
lebhaften Beifallszeichen, die sehr häufig und wohl angebracht ge-
spendet wurden. An der BildungsfähigkeitJ des Publikums dürfte
also kaum zu zweifeln sein, und ebenso wenig an der wünschens-
werten Steigerung der Theilnahme desselben an dem neuen Unter-
nehmen, denn die bisherige Anzahl der Abonnenten bat noch lange
nicht jene Höhe erreicht, die dem so oft gerühmten Kunstsinne der
Mainzer entspräche und auch den Unternehmern eine einigermassen
entsprechende Entschädigung für ihr« Opfer an Zeit und Mühe ge-
währleisten könnte. Andererseits werden aber auch die Unternehmer
selbst sich nicht verhehlen können , dass erst durch ein längeres
consequentes Verfolgen ihres schönen Zieles, durch ausdauerndes und
opferfreudiges Zusammenwirken ihre Leistungen denjenigen Grad
der Vollkommenheit werden erreichen können, der der Grösse ihrer
Aufgabe entsprechend und geeignet ist, ihre Concerte wirklich als
ein Mittel zur Hebung des Geschmackes und zur Verbreitung eines
tieferen Verständnisses unserer classischen Musikwerke zu qualificiren.
Was in dem gestrigen Concerte geleistet wurde, verdient in Berück-
sichtigung der bisher unserem Orchester so selten gebotenen Gelegen-
heit zur Aufführung grösserer Instrumentalwerke, alle Anerkennung,
wenn auch die Kritik noch manches auszusetzen finden wird. So
würde z.B. der erste Satz der Sinfonie durch ein etwas massigeres
Tempo bedeutend an Klarheit sowie an characteristischem Ausdruck
gewonnen haben, während der Marcia funebre im Ganzen, beson-
ders im Anfange zu langsam und schleppend ging und die Nüanci-
rung im Allgemeinen nicht bestimmt genug erschien. Am
Gelungensten waren das Scherzo und das Finale, besonders letz-
teres, welches nicht nur sehr sauber, sondern auch mit recht schönem
Schwung durchgeführt wurde. Die Aufführung der Mendelssohn'schen
Musik zum „Sommernachtstraum" war im Ganzen genommen eine
sehr gelungeue, doch beeinträchtigte besonders in der Ouvertüre die
unreine Stimmung der Blasinstrumente die Totalwirkung in sehr er-
heblichem Grade. Die beiden genannten Damen und Hr. Director
Wenzel entledigten sich ihrer Aufgaben in anerkennenswerther Weise.
Mögen die Betreffenden unsere wohlmeinenden Winke als ein Be-
weis des Interesse's betrachten, das wir ihrem schönen Unternehmen
widmen , und mögen sie eifrig bestrebt sein , unter der tüchtigen
Leitung ihres Capellmeisters dem Ziele immer grösserer Vollkommen-
heit ihrer Leistungen sich mehr und mehr zu nähern.
Ein vom Theaterorchester in voriger Woche zu einem milden
Zwecke gegebenes Concert, dem wir nicht beiwohnen konnten, war
sehr zahlreich besucht, und soll vielen Beifall gefunden haben. Be-
sonders wird einer von Capellmeister Dumont componirten und zur
Aufführung gebrachten Ouvertüre zu ,, König Lear" in hiesigen
Blättern sehr rühmend Erwähnung gethan. E. F.
Aus der Schweiz.
Monat November.
In'Basel veranstaltete der Orchesterverein zum Besten seines
Unterstützungsfonds ein Concert, worin Beethovens C-moll-Sinfonie
und die Suite für Orchester Op. 100 von J. Raff zur Aufführung
gelangten. Die Liedertafel unterstützte dasselbe, indem sie zwei
Chöre von Kreutzer und Hauptmann sang. Am 19. fand ein von
Hrn. B r a h m s gegebenes Concert statt , worin der daselbst noch
wenig bekannte Künstler als Pianist, wie mehrfach als Componist
auftrat. In erstorer Beziehung fand er ungetheilten , in letzterer
giossen Beifall. Er trug im Verein mit den tüchtigen Baseler Quar-
tettisten sein Quartett aus A-dur, sodann die Variationen von Beet-
hoven Op. 36 und eine Fantasie von R. Schumann Op. 17 vor.
Ferner dirigirte er drei Volkslieder und einen Gesaug für Frauen-
chor mit Harfe, eigene Compositionen. Die angekündigte chroma-
tische Fantasie von Bach dagegen blieb weg, weil sich beim Pub-
likum einige Ermüdung bemerkbar machte.
In der sechsten Soiree gelangten das Quartett aus B - moll
Op. 16 mit Piano von Beethoven, das Quintett aus C-dur von Mozart
und das Trio aus G-moll von R. Schumann zur Aufführung, in wel-
chem letzterem Hr. Stockbausen als Gast mitwirkte.
In Bern fanden die zwei ersten Abounementconcerte statt. Es
wurden darin aufgeführt: die A-dur -Sinfonie von Beethoven, die
Ouvertüre zur „Fingalshöhle" von Mendelssohn und (man liebt nnn
einmal in Bern auch das „Kurzweilige") zur „Stummen von Portici",
endlich eine Fantasie für Orchester in drei Sätzen aus G-dur, eine
Jugendarbeit des Directors der Concerte , des Hrn. Professor Dr.
Franck. Ferner gastirte das eine Mal Hr. N o s s e k, Violinvirtuos,
und gab eine Fantasie von Wieniawsky und ein Mendelssohn'sches
Concert zum Besten , das andere Mal Frl. Liebe von Strassburg,
Tochter des dort bestens bekannten Musikdirector Liebe, welche
eine Fantasie von Vieuxtemps u. A. spielte. Sologesänge erfolgten
durch Frl. S t r a u s s , und ausserdem kamen Chöre aus Mozart's
„Idomeneo" und zwei Lieder für gemischten Chor von Mendelssohn
cur Aufführung.
3 -
Aus Genf haben wir nur von der Oper zu berichten. Zwei
Debüts, das eines ersten Basses , Hrn. T i s s o t , und einer zweiten
Sängerin, Frl. Scart, waren, weil sehr mittelmässige Leistungen,
ohne Erfolg. Dagegen ärndtete reichen Beifall die Sängerin Mme.
Frezzolini, die sich , auf steten Kunst - Rundreisen begriffen,
Primadonna der italienischen Oper in Paris und allen Städten
Europa's (sie f) titulirt. Sie trat im Theätre des Varietes auf,
und gab ausserdem ein Concert ; ihre Hauptvorträge bestanden aus
Arien von Bellini, Donizetti und Verdi. Die Lokalkritik rühmt „den
aussergewöhnlichen Umfang ihrer Stimme , die wundervolle Vollen-
dung ihres anmuthigen Vortrags und das tiefe Erfassen der Inten-
tionen der Meister." — Das Repertoir der Oper des grossen Theaters
enthielt ausser Wiederholungen : „Lucia von Lammermoor," „Trou-
badour," „Favoritin," „die Musketiere der Königin" und Gounod's
„Faust". Letztere Oper wird als besonders gelungen gerühmt und
hat ungleich mehr angesprochen als in der früheren Saison. Gleich-
wohl rügt man die grossen, oft ermüdenden Längen und Breiten
des Werkes.
Aus Zürich,
Monat N«vember.
In der Oper gelangten zur Aufführung : „Don Juan" und „Zau-
berflöte," „die Stumme von Portici," „das Nachtlager von Granada,"
„die Regimentstochter" und „Orpheus in der Unterwelt". In Hrn.
Otto, Baryton, hat die Direction eine bessere Acquisition gemacht
als in der Person seines Vorgängers, doch kommen wir später auf
diesen Sänger zurück. Zu rügen ist, dass die sehr partienreiche
Sängerin Frl. Leon off, als Soubrette engagirt, bald zu Coloratur-
bald zu lyrischen Partien gezwungen wird, die ihre zwei Colleginnen,
Frau Titzenthaler und Frl. Schmidt nicht singen mögen,
beziehungsweise können.
In den Räumen des Theaters gab der neu organisirte gemischte
Chor der Stadt Zürich, etwa 120 Mitglieder stark, eine grössere
Aufführung. Derselbe stand früher unter Hrn. Heim's, sodann
unter Hrn. Munzinger's Leitung , ohne zu besonderer Blüthe
tbu gelangen. Allein jetzt scheint er, Dank den eifrigen Bemühungen
seines neuen Dirigenten, des Hrn. He gar, sowie des vieljährigen
Präsidenten der „Harmonie," Hrn. C. K e 1 1 e r, lebhafter aufblühen
zu wollen. Das längst vorhandene Bedürfniss eines solchen Mittels,
auch grössere und gediegenere Werke im Cantatenstyle dem Publi-
kum vorzuführen, ist nun endlich damit befriedigt.
Dieses erste Concert nun bestand aus Mendelssohn's „Walpur-
gisnacht" und einer Cantate für Männerchor, „der Rütlischwur" von
Hrn. C. Munzinger, dem früheren Dirigenten des Vereins. Die
Aufführung jenes prächtigen Tonbildes , eines der frischesten
Schöpfungen des Meisters, voll genialer Gedankenblitze und ebenso
frei und dramatisch gehalten als Beethoven'« „Christus am Oelberg",
gelang fast vollkommen. Auch das hierzu verstärkte Orchester hielt
sich recht brav, und der Eindruck beim Publikum war ein gewal-
tiger, der Beifall ein ausserordentlicher. Das Gegentheil muss von
der zweiten Composition gesagt werden. Wie in einer anderen
desselben Componisten, „Helgi und Kara " welche früher auch hier
zur Besprechung kam , zeigt sich in ihr wenig Erfindung und eine
für grosse Vorwurfe nicht ausreichende, noch glückliche und lebhafte
Fantasie. Holperige und langweilige Verse — der Dichter ist der
<ies früher besprochenen Werkes — unpoetische , oft undeutsche
Dictiou, monotones, schwerfälliges Metrum bilden den unergiebigen
Text. Der bessere musikalische Theil sind einzelne Chöre, denen
nicht der äussere Schimmer und eine wirksame Wucht, wohl aber
auch Tiefe und Neuheit fehlt.
Die Abonnementconcerte werden dieses Jahr unter der Leitung
des Hrn. He gar gegeben werden, nachdem Hr. Kirchner von
der Direction zurückgetreten. Hr. Hegar ist Ihren Lesern schon
als tüchtiger und virtuoser Violinist bekannt, derselbe ist aber auch
sonst ein vielseitig gebildeter Musiker von feinem Geschmack und
grosser Regsamkeit. Er leitet jetzt also auch noch den gemischten
Chor und die Quartette. — Das erste Concert ward mit Cherubini's
„Medea" - Ouvertüre eröffnet, mit der zu „Euryanthe" geschlossen.
Beide wurden trefflich ausgeführt. Die Haupterscheinung des Abends
aber war das Auftreten des Hrn. Joh. Brahms. Derselbe trug
«rtt bekannter meisterlicher Vollendung das A-moll- Concert von
R. Schumann und die chromatische Fantasie von Bach vor. Sodana
dirigirto er seine Serenade aus D-dur für grosses Orchester, ein
schönes, ziemlich durchsichtiges Werk, das aussergewöhnlichen Bei»
fall fand. Frl. Schmidt von der Oper sang Lieder von Schubert
und Beethoven und wagte sich sogar an eine Arie aus „Titus," die
gänzlich verunglückte.
Hr. Brahms veranstaltete noch ein eigenes Concert, in welchem
der geniale Künstler sein Quartett aus G-moll für Piano und Streich-
instrumente vortrug, ferner eigene Variationen, Toccata und Fuge
von Bach und eine Fantasie von R. Schumann.
Die Quartettsoireen werden zum Theil von neuen Spielern ge-
geben : geblieben sind von letzter Saison her nur Hr. Hegar
(erste Violine) und Hr. Nordmann (zweite Violine). Die Viola
ist mit Hrn. Kahl, das Cello war abwechselnd mit den Herren
Kriebel und T hier rot, beide vom Theaterorchester, besetzt. Der
Letztere bewährte sich auch als treulicher Solist. In den zwei ab-
gehaltenen Sitzungen wurden vorgetragen : die Streichquartette von
Beetboven aus E-moll Op. 59 und aus Es-dur Op. 127, das Quintett
aus B-dur von Mendelssohn, in dem Hr. Bauer mitwirkte. Ferner
spielten die HH. Brahms, Hegar und Gläss ein Trio des Ersteren
aus Es-dur für Piano, Violine und Hörn, Hr. Brahms eigene Varia-
tionen nebst Fuge, und Hr. K. Eschmann von Schaffhausen eine
Pianoforte-Sonate von Gade.
Nachrichten
Leipzig. Das 10. Gewandhaus-Concert brachte von Orchester-
werken: Mozart's Es-dur-Concert und eine neue Composition in vier
Sätzen (Allegro , Sicilienne , Menuett und Epilog) von Theodor
G o u v y (von dem Componisten persönlich dirigirt). Den gesang-
lichen Theil hatte Frl. Julie Rothenberg ausCöln übernommen
und trug vor: die Arie „Inflammatus et accensus" aus Rossini'«
„Stabat mater" Recitativ und Arie „Endlich naht sich die Stunde"
aus Mozart's „Figaro" und die Lieder „Wonne der Wehmuth" von
Beethoven und „Sie sagen, es wäre die Liebe" von Theod. Kirchner,
und fand wohlverdienten Beifall. Mit wahrem Enthusiasmus aber
wurden die Solovorträge des Violinisten Concertmeister A u e r aus
Düsseldorf aufgenommen, welcher Spohr's Concert in D-moll (Nr. 9),
„Abendlied" von Schumann instrumentirt von Joachim und Fantasie
über ungarische Lieder von Ernst spielte und nach stürmischem
Hervorruf noch einen Satz aus der Vionlin - Sonate in E-dur von
Seb. Bach zum Besten gab.
— Am 11. Dezbr. gelangte im Stadttheater die Oper „Loreley"
von MaxBruch zur erstmaligen Aufführung, hatte aber nicht den
entschiedenen Erfolg, der ihr anderwärts, wie in Mannheim, Cöln etc.
zu Theil geworden ist. Die Aufführung war im Ganzen eine ge-
lungene, obwohl die Träger der Hauptrollen noch nicht ganz im
Klaren mit ihrer Aufgabe zu sein schienen, und die Ausstattung in
co8tümlicher wie decorativer Beziehung ist als eine ebenso geschmack-
volle wie glänzende zu bezeichnen.
Hamburg. Am 7. Dezbr. fand in der grossen Miehaeliskirche
unter der Leitung des Hrn. Ludwig Deppe und in Anwesenheit
von mindestens dritthalb Tausend Zuhörern eine wahrhaft glänzende
Aufführung des herrlichen Oratoriums „Judas Maccabäus" von Händel
statt. Auf dem Orchester waren etwa 200 Sänger und Instrumen-
talisten thäthig, Hr. Osterholdt hatte die Orgelpartie übernom-
men und die Solopartien waren in den Händen der Frl. Tietjena
und Schreck und der HH. Otto und Schulze. Hr. Concert-
meister John Bole stand an der Spitze der Geiger. Die ganze
Aufführung war von wahrhaft ergreifender Wirkung, und nur die
Heiligkeit des Ortes verhinderte das Publikum, sein Entzücken in
stürmischem Beifall kund zu geben. Frl. Tietjens, welche die ganze
Partie der Israelitin unverkürzt wiedergab, legte auch noch die
Trompeten- Arie aus „Samson — „Kommt all' ihr Seraphin" — ein,
worin ihr Hr. N ü s s würdig zur Seite stand. Sie löste ihre schwie-
rige und umfangreiche Aufgabe mit wahrer Begeisterung und künst-
lerischer Vollendung. Auch die übrigen kuustbewährten Solisten,
Frl. Schreck aus Bonn , Hr. Otto vom Berliner Domchor und Hr.
Ad. Schulz von hier brachten ihre Partien in vorzüglicher Weis*
zur Geltung. Besonderes Lob verdient die Leistung d*r Sing-Aka>
- 4 -
demie im Chor und des Hrn. Osterboldt, auf der Orgel. Hr. Deppe
hat durch den unermüdlichen Eifer nnd dnreh die grosse Umsicht,
mit welcher er die Vorbereitungen zu dieser schönen Aufführung
getroffen, sowie durch die unerschütterliche Sicherheit, durch den
feurigen Schwung und wieder das schöne Masshalten bei der Lei-
tung der Aufführung selbst Bich ein schönes Denkmal in dem Ge-
dächtnisse des Publikums gesetzt, das ihm für den bereiteten hohen
Genuas zu dauerndem Dank verpflichtet ist.
St. Petersburg. Am 31. Dezember beginnen im Conservatorium
die öffentlichen Prüfungen, die dieses Jahr von besonderem Inte-
resse sein werden, da zum ersten Male eine Anzahl von Schülern
ihren Corsus beendigen und das Diplom des „freien Künstlers"
erhalten. In Bussland ist bekanntlich Alles in Classen eingetheilt,
jedes einzelne Mitglied hat einen gewissen Rang , gehört einem
grossen Stande an und geniesst dessen Freiheiten und Rechte; nur
der Künstler, speciell der Musiker, war bisher davon ausgeschlos-
sen , ,d. b. er gehörte zu gar keinem Stande. Das Conservatorium
ist nun von der Regierung ermächtigt worden, demjenigen, der ein
bestimmtes Examen besteht, das Diplom eines „freien Künst-
lers" zuzutheilen, welches ihn in einen bestimmten Stand erhebt,
dessen Rechte denen eines Ehrenbürgers ziemlich gleich kommen.
*** Concertmeister Lauterbach aus Dresden spielte in
Stralsund im zweiten Abonnementconcert von A. Bratfisch
und gab am folgenden Tage ein eigenes Concert. Der ihm voraus-
gegangene Ruf als einer der poesiereichsten Violinspieler der Ge-
genwart bewährte sich in seinen Vorträgen eigener, Spohr'scher und
Beethoven'scher Compositionen als vollkommen begründet, und der
vortreffliche Künstler hat sich bei dem dortigen Publikum ein dauern-
des und ehrenvolles Andenken gegründet.
***DieWiener „Blätter für Theater, Kunst und Musik" schreiben:
„Bekanntlich war der verstorbene Hofrath Witteczek, ein per-
sönlicher Freund Schubert's, ein eifriger Sammler aller auf diesen
Tonsetzer bezüglichen Nachrichten und Notizen. In seinem Besitze
war auch die vollständigste, d. i. reichhaltigste Sammlung der Com-
positionen' Schubert's, und zwar dürfte ein gutes Drittheil
«der in derselben vorkommenden Werke noch ungedruckt sein.
Durch Vermächtniss kam diese so interessante und werthvolle Samm-
lung in den Besitz des Hofrathes von Spann; auch dieser ist vor
wenigen Wochen mit Tod abgegangen ; wie wir hören, dürften nun
-die bezeichneten Schubertiana in den Besitz der „Gesellschaft der
Musikfreunde" kommen, und dort den Schubertfreuuden zugänglicher
gemacht werden als bisher, was wir nur herzlich wünschen können.
*** Die bisher bei Breitkopf & Härtel in Leipzig er-
schienene „Allgemeine musikalische Zeitung" wird von Januar 1866
an im Verlag, von Rieter-Biedermann in Leipzig erscheinen.
***.Am 13. Dezember feierte in Wien der Capellmeister des
Theaters an der Wien, AdolfMüller, sein vierzigjähriges Künstler-
Jubiläum durch Aufführung seiner neuen Operette: „Heinrich IV."
*** Frau JennyLind-Goldschmidt ist sehr leidend und
bat Ems verlassen, um den Winter in Nizza zuzubringen.
*** Das erste Concert des Mozarteums in Salzburg brachte eine
Sinfonie in D-dur von J. Haydn, den Chor der Gefangenen aus
Beethoven'» „Fidelio," die C-moll-Fantasie von Mozart, instrumen-
tirt.von Seyfried, zwei Chöre von M.Hauptmann und die Kirmess-
Qpene aus Gounod's „Faust."
• *** Als. ein Curio8um erscheint es, dass man in Frankreich in
neuester Zeit sich auf die Coraposition der „Fabeln" von Lafon-
taine verlegt. Die Zeitschrift „La Musique populatre" brachte
unlängst die Fabel vom „Fuchs und Rabe" für 4 Männerstimmen
von Gou.nod, und in ihrer letzten Nummer die ebenso bekannte
Fabel : „der Wolf, und das Lamm" von Paul Goutier, ebenfalls
für Männerquartett,, componirt.
?** Hans von Bülow trat in Schwerin in drei Concerten
auf und brachte auch seine „Ballade für grosses Orchester" nach
IJhland's „des Sängers Fluch" aur Aufführung. In Stettin gab er
ein Concert gemeinschaftlich mit. dem Concertmeister Lauterbach
aus Dresden. Bülow wird in nächster Zeit in München zurück-
erwartet , , wo er im Laufe des Winters wieder drei Ciaviersoireen
geben wi?d.
_*** Die Pianistin Frl. Auguste, Kolar gab in Wien ein
Concert vor einem zahlreichen Publikum» das. ihre Leistungen mit
lebhaftem Beifall aufnahm.
*„* Am Berliner Operntheater isjfc man mit den Vorbereitungen
für die Oper „Wanda" von Doppler beschäftigt.
*** Hans von Bülow hat in Hannover zwei interessante
Soirees für ältere und neuere Ciaviermusik gegeben.
%* Frl. T i e t j e n s hat von dem Vorstände der „philharmoni-
schen Gesellschaft" in Hamburg ein goldeneB Armband zum Ge-
schenk erhalten.
%* In Berlin ist ein vortreffliches Porträt des jüngst verstor-
benen Sängers Schnorr von Carolsfeld, gemalt vom Professor
Gönne, ausgestellt, und erregt grosses Aufsehen.
*** In Cassel starb nach schweren Leiden Hoforganist Carl
Schupper t, Componist des auf dem Dresdener Sängerfest preis-
gekrönten Chores: „Das deutsche Schwert".
*** Frau Rhaden-Lucca, die Darstellerin der Hauptrolle
in der „Afrikanerin" zu Berlin, hat von der Wittwe Meyerbeer's als
Hochzeitsgeschenk ein kostbares Porzellan - Service und von Frl.
Meyerbeer ein Armband mit dem Porträt des verewigten Tondich-
ters erhalten.
*** In der Nacht auf den 6. v. M. ist das Theater in Angers
vollständig abgebrannt, und es konnte nichts als die Costüme ge-
rettet werden ; alles übrige wurde ein Raub der Flammen.
*** Der Redacteur der „Blätter für Theater, Kunst und Musik",
Hr. J. A. Zellner in Wien, wurde zu Hof nach Schönbrunn be-
rufen, um vor dem Kaiser und der Kaiserin Vorträge auf dem Har-
monium zu halten. Der Künstler, der eine Reihe ausgewählter
Compositionen von Schubert, Schumann und Mendelssohn vortrug,
wusste Bein hohes Auditorium in solchem Maasse zu interessiren,
dass er auf ausdrücklichen Wunsch Ihrer Majestät der Kaiserin noch
einige Stücke zugeben musste. Bekanntlich ist die Kaiserin selbst
eine höchst geschmackvolle Harmoniumspielerin.
*** In Petersburg ist eine neue Oper von Seroff, betitelt:
„Rogneda" mit grossem Erfolge aufgeführt worden. Der Kaiser
Alexander wohnte der ersten Aufführung bei, liess den Componisten
in seine Loge kommen, bezeugte ihm sein Wohlgefallen und machte
ihm einen werthvollen Ring zum Geschenke.
*** Die Liedertafel in Salzburg veranstaltete nnter Schlager*»
Leitung eine so gelungene Aufführung von David's „Wüste," dass
das Werk im nächsten Mozarteum- Concert wiederholt werden musste.
*** Die von N o h 1 herausgegebenen Briefe Mozart's sind von
Lady W a 1 1 a c e in's Englische übersetzt bei Longmann in
London erschienen.
*** In Dresden kam am 9. Dezbr. Boieldieu's „Rothkäppchen"
neu einstudirt mit gutem Erfolg zur Aufführung.
*** Hr. F e t i s fand sich durch den ihm gemachten Vorwurf,
nicht dargethan zu haben, welche Eingriffe er sich in die Original-
partitur der „Afrikanerin" erlaubt habe, bewogen, einen sogenannten
zweiten Theil der Oper erscheinen zu lassen, welcher 22 Nummern
im Clavierauszuge enthält, die entweder im ersten Theile wegge-
blieben oder, wie die erste Romanze der Ines und das Schlummer-
lied, zweimal componirt sind. Der ganze Band ist mit der lange
erwarteten Vorrede von Fetis versehen.
*** Die „Wiener Recensionen,'* Mittheilungen über Theater und
Musik, haben nach 12jähriger Existenz mit Ende vergangenen Jahres
zu erscheinen aufgehört , was bei der Gediegenheit dieses Blattes
sehr zu beklagen ist.
%* Frau Schnorr von Carolsfeld wird , dem letzten
Willen ihres verstorbenen Gatten folgend, am 1. Januar als Gesang-
lehrerin am Conservatorium in München eintreten.
*** In Paris ist am 25. Novbr. der Militärmusikdirector des
Regiments der Guiden , Hr. J. N. Mohr, ein als Mensch wie als
Musiker allgemein geachteter Mann, im 63. Lebensjahr gestorben.
*** Der in den weitesten Kreisen Süddeutschlands bekannte,
wegen seines ehrenhaften Characters, seiner Anspruchslosigkeit und
seines guten Humors allgemein beliebte Schauspieldirector Martin
Jakob Winter ist dieser Tage in einem Alter von nahezu 82
Jahren gestorben. Am. 26. Februar 1862 feierte er in Heilbronn
Bein ÖOjäbriges Jubiläum als Schauspieldirector und betrat bei dieser
Gelegenheit zum letzten Male die Bühne.
Verantw. Red. Ed. Föckercr. Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
JV* 9.
8. Januar 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
£
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
V • p I a c
y,
von
lungen.
-^i
B. SCHOTTS SÖHNEN in MAINZ
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
\ 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
INHALT: Fürstlich Thurn und Taxisches Theater. — Correspondenzen : Frankfurt. München. Paris. — Nachrichten.
O
«Pomtemenfe -Jmfaomig.
Mit dem 1. Januar 1866 begann der 15te
Jahrgang der Süddeutschen Musik-Zeitung.
Ihrer bisherigen Haltung getreu, wird sie auch künftig ein
unparteiischer Berichterstatter aller bedeutendenVorkomm-
nisse im musikalischen Leben sein, wichtige Fragen in
eigenen Artikeln erörtern und den Lesern durch biogra-
phische und musikgeschichtliche Aufsätze eine ebenso an-
genehme wie belehrende Unterhaltung bieten.
Wir bitten um rechtmässige Bestellung; alle Post-
anstalten, Buch- und Musikhandlungen nehmen solche an.
Preis: fl. 2. 42 kr. oder Thlr. 1. 18 Sgr. per Jahr.
Wöchentlich eine Nummer.
jfope&ifion ba Juobettffdjen 'gÄttltö-Jetfattfl.
Fürstlieh Thurn und Taxisches Theater«
(Aus Dr. Mettenleiter's „Musikgeschichte Regensburgs," Verlag
von Bösenecker in Regensburg.
Mit der Erhebung des Fürsten Alexander Ferdinand
von Thurn und Taxis zum kaiserlichen Prinzipal-Commissär), 1742,
und mit seiner 1748 erfolgten Niederlassung dahier im ehmaligen
alten Freisingerhof datirt für Regensburg selbst uud für das Theater
daselbst eine neue Periode. Das fürstliche Haus zog eine Menge
Fremder hieher und vermehrte durch den Glanz , den es um sich
verbreitete, das Ansehen der Stadt, ganz abgesehen von den grossen
Vortheilen, welche den Einwohnern selbst aus den Bedürfnissen des
prächtigen Hofes erwuchsen. Unter den Veranstaltungen für das
„Amüsement" der Adeligen u. s. w., welche sich um den fürstlichen
Hof geschaart hatten, war die Beschaffung eines guten Theaters mit
eine der ersten Sorgen des damaligen Chefs des uralten, für Regens-
burg so überaus wohlthätigen Fürstenhauses. Schon gleich im Jahre
seines Einzuges unterstützte der Fürst nicht nur die unter der Di-
rection eines gewissen Nuth aus Prag nach Regensburg gekom-
menen Schauspiel- und die Operngesellschaft eines gewissen De nzi,
sondern erwirkte ihnen auch vom Magistrate die Bewilligung des
Ballhauses bei St. Egidi mit der Bedingung, dass darin nichts eigen-
mächtig geändert oder Nachtheiliges getrieben werde. Einen ungleich
grossmüthigeren Schritt für Herstellung einer guten Bühne that der
Fürst im nachfolgenden Jahre. Er berief auf eigene Kosten „eine
Bande von Comödianten," theils zu der selbsteigenen wie auch der
Reichstagsgesandten Unterhaltung, theils aber, und hauptsächlich, zu
dem Ende, dass „bei vorfallenden Allerhöchsten Geschäften dieselben
mit diesem oder jenem Gesandten des Erfordernisses nach mit we-
nigem Aufsehen die benöthigte Unterredung pflegen könnten." Es
war dies die unter der Direction eines Franz S c h u c h stehende
Gesellschaft.
Dieser Entschluss wurde dem Magistrate durch den fürstlichen
Marschall Baron von Reichlin angezeigt mit dem Bemerken, die
Mitglieder der Gesellschaft ständen unter dem Schutze seines Für-
sten. Dagegen setzte sich aber der Magistrat. Es war nämlich die
unerwartete Nachricht eingegangen, „dass selber ohne die geringste
an den Herrn Fürsten vorhergegangene Anzeige denen daselbstigen
Bürgern die Gehung in die von diesei Bande veranstalteten Comö-
dien nebst Druckung der zu dem Ende erforderlichen Zetteln
nicht nur verbotten, sondern was noch mehr ist, sich auch nicht
einmal gescheut, sogar diese Zetteln herunter zu reissen , und sich
demnächst an den Kaiserl. Commissär zu wenden , obgleich die
dabei ausdrücklich mit angedruckten Worte : Unter gnädigstem
Schutze des Fürsten etc. alleinig mehr denn hinlänglich
ijewesen wären, den Magistrat von seiner darunter ausübenden Un-
gebühr vollkommen zu überzeugen." Ein Memoria stellte nun dem
Rathe vor, welch grosse Beleidigung dies Vorgehen sei, da der Herr
Fürst die Person des Kaisers vorstelle, zugleich mit der Andeutung,
welche traurige Folgen dies für die Stadt haben könne. Darauf
replicirte dann der Magistrat am 27. November: „Am 22. Nov. hat
sich vor dem amtirenden Stadt-Kammerer gemeldet Franz Schuch,
Prinzipal einer teutschen Gomödien-Bande , und sich zur protection
recommandirt mit der Anzeige, dass er nächstkünftigen Montag seine
Schaubühne allhier im goldenen Kreuze eröffnen und hoffen
wolle, dazu Erlaubniss zu haben. Er wurde auf Montag beschieden
zur Antwort; er entgegnete aber, es würde ihm bei solchem Auf-
schub zu spät werden, seine Zetteln auszutheilen. Darauf wurde
ihm bedeutet, die Austheilung der Zettel so lange anstehen zu lassen,
bis er die obrigkeitliche Bewilligung habe. Schuch fand sich Mon-
tags einjagte im Voraus, er kenne die hiesige Jurisdiction nicht
an, noch verstehe er sich zu einer Abgabe, indem er lediglich unter
dem fürst 1. Hofmarschall stehe. Daraufhin wurde ihm versagt, noch
dazu in einem bürgerlichen Hause zu spielen. Er aber gab die
Zettel heraus und schickte in seiner Impertinenz sogar einen Haufen
solcher Zettel in die Rathsstube, die man aber zurückgab. Das
fürstl. Marschallamt hat kein Recht zur Erlaubnissertheilung , denn
schon ein Vertrag 1614, kayserlich bestättigt, sagt uns (Magistrat)
die Jurisdiction zu über die zur Reichsversammlung kommenden
Fechter, Spieler uud Spielleute etc., worunter unstreitig alle und
jede mit öffentlichen Belustigungen und Aufführungen beschäftigten
Leute , mithin progenio nostri saeculi zuvörderst die Comödianten
gehören . . . zudem insonderheit die heilige Adventzeit sei und
auf Seiten der meisten hochansehnlichen Gesandschaften in solchen
Stille und Andacht gewidmeten Wochen ohnehin sonst bemerkten
Enthaltung von publiques divertissements die Aufführung öffent-
licher Schauspiele niemals gestattet werde . . . ,"
Der Fürst antwortete von Wien aus : „Wahr ist, dass, wann der
Schuch für die Gesandschaft lediglich Comödien spielet, er des
Magistrats Wohlwollen oder Protection nicht nöthig habe. Es ist
aber auch wahr, dass der Magistrat seinen Bürgern den Eingang in
_ 6 —
die Com'ödien verbieten, mithin dem Schueh viel Verdruss machen
kann. Der Füret erkenne vollkommen die Jurisdiction des Hagistrate
über Schuck an; der Magistrat solle aber auch den Scbuch nicht
hindern; dieser solle die nöthigen Freibillets hergeben an den Ma-
gistrat, sonst könne dieser den Bürgern die Comödie verbieten, was
jedenfalls grösseren Schaden machen würde, als die Gestattung we-
niger Freibillets, die ihm zudem der Fürst vergüten werde. 41
Die erste Vorstellung fand nun am 22. November statt; aber
neue Differenzen hatten sich auch schon wieder ergeben. Baron
Reichlin schrieb darüber am 27. Novbr. an den Fürsten nach Wien:
„Die erste Comödie hat statt gehabt; gestern aber verbot der Ma-
gistrat seinen Bürgern bei 4 Thlrn. Strafe, die Schuch'sche Comödie
zu besuchen. Auch hat er die Zettel, weil nicht „unter obrigkeit-
licher Erlaubniss" darauf stand, vom Militär abnehmen und zugleich
den Buchdruckern verbieten lassen, andere Zettel zu drucken. Da-
durch ist das Comödienspielen gar. Herr von Bahn hat unterdess
schon 2mal ein gebethenes Spiel gegeben, jedermänniglich dazu
gebethen ; also gestern nicht 10 Personen in der Comödie waren,
derowegen dass sich bis dato niemand als Herr von Menshang op-
ponirt hat . . . ." Darauf erfolgte der fürstliche Bescheid: „Der
Magistrat soll den Schueh nicht weiter hindern, es sei ihm sonst
leicht von Kays. Maj. eine scharfe Ahndung zu erlangen." Da aber
der Magistrat fest blieb, so unterwarf sich Schueh endlich im De-
zember der Jurisdiction des Magistrats und suchte um die Erlaubniss,
spielen zu dürfen, nach. Die Sache war damit erledigt. Die Schuch'-
sche Gesellschaft spielte den Winter hindurch, verliess aber dann
Regensburg, um nach Leipzig und von da nach Cassel zu gehen.
Im September wurde im „goldenen Kreuz" ein Operntheater
errichtet; welche Gesellschaft aber der Fürst dafür berufen, davon
fand ich in den sonst sehr reichhaltigen Theateracten des fürstl.
Archivs nicht die mindeste Andeutung. Eine briefliche Abfertigung
des vorgenannten Schueh: „Er habe mündlich versprochen, bis Oc-
tober, längstens November in Regensburg zu sein, habe es aber nicht
gehalten, desshalb werde ihn auch der Fürst überall als Mann von
schlechter Parole bezeichnen," — lässt vermuthen, dass Schueh
wieder berufen war. Wahrscheinlich sind deutsehe Troupes an
seine Stelle gekommen ; das besagt wenigstens der Entschuldigungs-
brief des Schueh. Erst mit dem Jahre 1760 finde ich wieder festen
Boden. Da wurde trotz heftiger Proteste des Pflegers des deut-
schen Hauses gegen die Umwandlung des BallhauseB auf dem
Gilgenplatze in ein Comödienhaus, contraetlich dies sogenannte Ball-
haus auf 15 Jahre, bis 1775, um die Location von 150 fl. „zum
Nutzen des „französischen" Spectacle" dem Fürsten überlassen und
die Feuergefahr hochfürstlicherseits übernommen. Am 11. Mai wurde
es dann dem Robert Crispel übergeben. Baron Reichlin zeich-
nete den Contract. Die Worte des Acteustückes : „Sie bedungen
sich von dem ehemaligen Entrepreneur Herrn von May er monatlich
60 fl. und haben selbe bis 1769 theils von selbem, theils vom fürstl.
Hofe bezogen", lassen vermuthen, dass dieser Mayer in der Zwischen-
zeit bis 1760 die Comödie geleitet habe. (Nach dem Wortlaute des
Contractes ging der obenerwähnte Contract mit 1750 zu Ende, wurde
aber, um das gleich jetzt zu sagen, dann wieder um vier Jahre ver-
längert. Der Magistrat trat für diese vier Jahre dem Fürsten das
Ballhaus wieder ab gegen jährlichen Zins. Der Fürst hielt also das
„thedtre aussi longtemps que son Altesse continuera d'avoir le
speetacle a ses frais et sur leur comptes")- Damit hatte denn
die vom Fürsten an die Stelle der deutschen berufene franzö-
sische Comödie für lange festen Halt gewonnen, (Forts, folgt.)
COHRESPOKDEKZEN.
Aus Frankfurt a/M.
Im ersten Concert des Museums wurde aufgeführt: die Helden-
Sinfonie von Beethoven, ein Concert von Mozart und die Ouvertüre
zur Oper „Elise" von Cherubini , dazwischen Gesänge der Frau
Rosa Csillag aus Wien und Clavierspiel des Hrn. Saint-Saens
aus Paris. Beethoven's Helden - Sinfonie kam seit Jahresfrist zum
zweiten Mal. Ueber ihren idealen Gehalt habe ich neulich meine
Ansicht ausgesprochen. Hr. Müller hat die Sinfonie auch jetzt
nicht anders aufgefasst als im vorigen Jahr ; dagegen technisch war
sie besser dargestellt. Obgleich Hr. Müller angeblich nach der
Kritik nichts fragt, so hat er sich doch ganz entschieden der Dar-
stellungsweise genähert, wie wir sie voriges Jahr als richtig bezeich-
neten. Die schnellen Hauptstücke wurden in massigerer Bewegung
und wuchtiger dargestellt; das war ganz auffallend im dritten Haupt-
stück , wo die Hörner sonst niemals mitkamen ; diesmal war's an-
nähernd gut. Immer aber müssen wir den Herren, die auf ästheti-
sches Räsonnement nichts geben , zurufen : Beethoven hat keinem
Instrument Unmögliches zugemuthet, zu seiner Zeit haben aber die
Hornisten nicht besser gespielt als heute. Das ist keine Forderung
des Gefühls, sondern ein ganz grober, handgreiflicher, materialisti-
scher Grund !
Das Concert von Mozart spielte Hr. Canaille Saint-Saens
aus Paris. Er hat eine brillante Fertigkeit, aber, wenn man nicht
ungerecht sein will, kann man nur sagen : er ist ein Franzose und
dafür ist er zu loben, dass er sich so in Mozart hineingearbeitet
hat. Man muss den Hector Berlioz hören , wie der auf die
Unwissenheit und Geschmacklosigkeit der Pariser Künstler schimpft,
um solche Bestrebungen zu würdigen. — Er spielte auch noch eine
„Gavotte" von Bach. Dass er diesen nicht versteht, ist ihm fast
nicht übel zu nehmen ; denn den wird schwerlich ein Nicht-Germane
jemals verstehen lernen. Dagegen Gounod war sein Mann ; bei dem
Faustwalzer war er in seinem Esse.
Im zweiten Concert gab's: Haydn's Es - dur - Sinfonie, Mendels-
sohns Violinconcert und die Chorgesänge: Beethoven's „Elegischen
Gesang," seine „Meeresstille und glückliche Fahrt" und Schumann's
„Zigeuner-Leben". Die Sinfonie von Haydn stammt aus dem Anfang
der Neunziger Jahre, wo Haydn in London lebte. Von dem idealen
Gehalte lässt sich, wie überhaupt bei Haydn's Instrumental- Werken,
nicht viel sagen. Trotzdem durch Lessing schon das musikalische
Bewusstsein geweckt war , und Haydn , wie seine Oratorien zeigen,
mit vieler Absichtlichkeit componirte, spricht doch mehr Spiel- und
Sangeslust aus seinen Instrumental-Werken als eine bestimmte Vor-
stellung. Die ist erst mit Beethoven, und zwar mit der Helden-Sin-
fonie in die Musik gekommen. Technisch ist aber jenes Werk in-
teressant. Drei Bruchstücke des Werkes, das 1., 2. und 3., sind
aus demselben Ur-Theil (Motiv) entwickelt und dieser Ur-Theil ist
auch fast der einzige, aus dem jedes Hauptstück aufgebaut ist. Die
Einleitung (Largo, *U Takt) zeichnet den Ur-Theil einfach hin:
m
t=t
*
X
öEt^:
t=t=
Im ersten Hauptstück (Allegro assai, '/J kommt er in schnellerer
Bewegung wieder:
rTT --r
IE ♦ 4-
Die Stufen 1-2/3 sind hier nur eine Terz höher genommen, die
Pause ist ausgefüllt ; die aufsteigende Hälfte des Ur-Theils ist drei-
mal verlängert, erst im 7. und 8. Takt kommt die absteigende. Da-
gegen machen Bratschen und Bässe die umgekehrte Bewegung; sie
verlängeren die absteigende Linie dreimal und bringen im 7. und 8.
Takt erst die aufsteigende.
I3#
ÖE^
^^^f
f
Im dritten Hauptstück (Minuetto, un poco Allegretto, V4 Takt)
kommt das Ur-Theil ganz getreulich wieder mit einer vorgesetzten
Note (s. g. Auftakt).
-R — P-T- "*"
m
X
t
^m
Im vierten Hauptstück (Vivace, */*) tritt er versteckter auf:
_ 7 -
Die zweite Violine zeichnet aber den Vordersatz in den zwei ersten
Takten genau hin: es — es, f — g; der Kachsatz bringt die erste
Violine. Auch in der ersten Violine ist der Vordersatz für ein har-
monisches Ohr zu erkennen; der Auftakt (b) aus dem Menuett ist
in den Haupttakt genommen , die Töne — — es , f — g sind
Variation enartig umschrieben.
Wer staunte nicht über diese Einfachheit in der Erfindung, und
welch grossartiger Aufbau! Erinnert das nicht an die gothischen
Dome, die von ihrer Säulenhalle, Thür 1 und Fenstern bis zu den
Pyramidchen der Thurmspitze dasselbe Motiv, den Spitzbogen mit
einer crystallinischen Regelmässigkeit wiederholen ! Das erste und
vierte Hauptstück haben ausser der Verarbeitung dieses Ur-Theils
fast gar nichts anderes. Im ersten wird die erste Melodie in zwei
Abschnitten, Es und B-dur durchgeführt und im dritten beginnt sie
nochmals, um dann in eine zweite Weise in Des-dur (Parallele von
B) zu gehen :
to^s^
±
3e;
Diese wird dreimal , in Des , Es und F-dur modulirt ; sie hat aber
in ihrem ganzen Wesen (sie umschreibt eigentlich nur den Ton as
in der Modulation b und c) wie der kurzen Behandlung nach (sie
kommt im zweiten Theil ausser in der Wiederholung nur einmal
vorübergehend in dem s. g. Phantasiestück vor) mehr den Character
eines beruhigenden Anhangs als den eines selbstständigen, berech-
tigten Satzes. — Aehnlich ist es im vierten Hauptstück.
Während Haydn so den ersten Hauptgedanken zweimal, in dem
Grundton und der fünften , bringt (wie im Volkstanz) und erst am
Schluss einen Gegen - Satz bildet , der an das Trio im Volkstanz
erinnert, bringt Mozart diesen Gegen-Satz in die Mitte, und am Ende
einen dem ersten entsprechenden Satz : nach der Aufregung die Buhe
und dann wieder die Aufregung, um zu sagen : Quod erat demon-
strandum! Beethoven hält dann noch eine grosse Nachrede, wie
der Volksredner, der, wann er Alles zur Begründung seiner Idee
gesagt, nochmals eine grosse Apostrophe an die Nation richtet, bei
Allem, was sie beschliesst und thut, das Eine nicht zu vergessen —
die Würde, die Hoheit des Vaterlandes! —
Sie müssen mir diese weitläufige technische Auseinandersetzung
zu Gut halten ; aber ich möchte bis zum nacktesten mathematischen
Beweis gehen , um die Einheit , das Planvolle , mit strenger Logik
Durchgeführte in unseren grossen Kunstwerken zu zeigen und das
alberne Vorurtheil von instinctiven , phantastischen Einfällen zu
widerlegen. Auch für die Darstellung wäre das strenge Bewusstsein
dieser inneren Einheit vom grössten Vortheil: der Streit über zu
schnell oder zu langsam hätte ein Ende, Willkühr in den einzelnen
Hauptstücken könnte nicht vorkommen. Bei der hiesigen Auffüh-
rung der Sinfonie wurden die drei ersten Hauptstücke ziemlich ge-
treu in Haydn's Art vorgetragen, das letzte aber so schnell genom-
men, dass von obiger Zeichnung auch keine Spur zu erkennen war.
Aesthetik hin, Aesthetik her — hier ist ein Fehler in der Perspec-
tive, der lässt sich nicht mit Ueberschwänglichkeit rechtfertigen!
Das Concert von Mendelssohn spielte Joachim. Ich hörte
ihn zum ersten Mal. — Für Mendelssohn, das habe ich Ihnen schon
oft gesagt, danke ich auch dem besten Künstler nicht. Ein Lied
am Ciavier, ein Quartett, wenn ein Liederzweig sich am Sonntag
Mittag im Wald lagert, das kann mich noch interessiren. Aber
eine halbe Stunde ihn zu hören, das kann ich so wenig — man
verzeihe mir die Sünde! — wie einen rationalistischen Kanzelredner!
Joachim spielte dann noch ein Stück aus einem Spohr'schen Concert
und ein Abendlied von Schumann. Das Letztere war mir allein
interessant; das spielte er denn auch mit der hehren Weihe die
mir die Erinnerung wieder hervorrief, wie ich als Knabe am Thor
gestanden , der Sonne nachgeschaut und mit der Dämmerung in
Träumerei versank, aus der mich mit fröstelndem Schauer die
Abendglocke weckte. In dem kleinen Stück war der Künstler wirk-
lich bedeutend; ich wollte nur, ich hätte ihn in einem grösseren
gehört. *)
Die Chorgesänge führte der Cäcilien -Verein auf. Beethoven'«
(Gothe's) „Meeresstille und glückliche Fahrt" ist ein wunderbare!
Werk. „Beethoven hat dem grossartigen Gedicht einen mächtigen
Ausdruck gegeben. In tiefer Lage beginnen die Singstimmen (D-dur),
von leise schwirrenden Saiten - Instrumenten getragen, den Gesang.
Wie ein Hauch über die regungslose Fläche, so zieht der Gesang
in lang getragenen Tönen dahin. Und wie ein Seethier nur leicht
an die Oberfläche tippt, so erstirbt gleich jedes Wort unter der
fürchterlichen Todesstille. Ein Schrei des Entsetzens bricht aus
der Brust des geängstigten Schiffers, denn fern vom Gestade ist er,
allein in der Ungeheuern Weite, dem Tod des Verschmachtens preis-
gegeben. Denn immer noch ohne Regung ruht das endlose Meer.
— Doch plötzlich , da zieht ein leiser Lufthauch herauf. Wie tief
aus dem Meere steigen die Bässe herauf und verkünden die wach-
sende Freude. Es regt sich und rührt sich, es schwillt und wächst ;
mit Jubel bricht der Gesang hervor: Frohlocken, Frohlocken, die
Gefahr ist vorüber ; geschwinde, geschwinde, es theilt sich die Welle ;
es naht die Erlösung, dort winkt uns das Land !
Die Musik hat keine Spur von äusserlicher Malerei; Alles ist
nur Ausdruck der Empfindung. Selbst ohne Text wäre diese Musik
völlig verständlich. Die Gegensätze von Regungslosigkeit und
frischem Leben sind so scharf gezeichnet, dass wir unwillkührlich
auf den Gedanken kommen müssten : es ist wie vor und nach
einem Gewitter." — Für den Chor ist die Darteilung schwierig;
es hätte desshalb öfterer Proben bedurft, als hier*gemacht zu sein
schienen. In dem ersten Theile schienen sich die Leute so sehr
vor der „ungeheuren Weite" des weit gespannten A - dur - Accordes
zu fürchten, dass sie in keine rechte Stimmung kamen. Der Accord
misslang dann zweimal ; das zerstörte den ganzen feierlichen Ein-
druck. Im Allegro (glückliche Fahrt) ging's dann besser. Das Werk
machte aber nicht den Eindruck, den wir erwartet hatten. Auch
dem „Elegischen Gesang" fehlte die Weihe, obgleich er formell gut
gesungen war.
Bei Schumann 's (Geibel's) „Zigeuner - Leben" kamen sie mehr
in's Zeug. Die Darstellung war zwar eher dem „Poeten für con-
firmirte Mädchen höherer Töchterschulen," als dem tiefinnersten,
dämonisch wilden Musiker entsprechend. Die Frankfurter kennen
die Zigeuner nur vom Hörensagen. Weh der Bande, welche das
freistädtische Gebiet beträte ! Die Deportation, oder wie man's hier
deutscher sagt, der Schub mit Schimpf und Schande wäre ihr Loos.
Unter Zigeuner-Leben versteht der Frankfurter so eine Art „Feld-
berg-Partie," d. h. mit der Eisenbahn nach Ober-Ursel fahren, und
dann in der „hohen Mark" bivouakiren, vielmehr Picknick halten.
Geibel ist nun hier in der That urwüchsiger gewesen wie bei seinem
Savoyarden-Buben im Norden; indessen hat er nicht, wie Lenau,
mit ihnen „das Leben verraucht, verträumt, vergeigt und es dreimal
verachtet." Schumann aber hat zu diesem Gedicht eine Musik ge-
schrieben , wie sie Lenau's „Steppen -Wanderer" verlangten. Wir
haben sie neulich besprochen.
Das Werk machte beim Publikum einen bedeutenden Eindruck.
Der Chor musste es wiederholen , und jetzt begriffen sie erst die
Macht des Gesanges ; jetzt kamen sie wirklich in's Feuer, das vor-
her nur versteckt geglommen hatte. H. B.
Aus München.
29. Dezember.
Die HH. Josef Walter, Ad. Closner, Ant. Thoms und
Hippolyt Müller, sämmtlich Mitglieder des Münchener Hoforchesters,
veranstalteten während des Advents im Museumssaale drei Quartett-
Soireen und spielten in diesen : von Jos. Haydn Quartett in G-dur
Op. 77 Nr. 81, dann Quartett in G-dur Op. 64 Nr. 66, von Mozart
Quartett in D - moll Op. 10 Nr. 2 , dann Quintett in D - dur für 2
Violinen (2. Violine Hofmusikus Brückner), 2 Violen und Violon-
cello , von Beethoven Quartett in Cis-moll Op. 131, dann Quintett
in F-dur Op. 59 Nr. 7, endlich Trio in G-dur für Violine, Viola und
*) Wir geben die Ansicht unseres geehrten Correspondenten wieder,
wenn wir derselben auch in diesem Falle nicht beistimmen
können. Die Red.
_ 8 —
Yioloncell Op. 9, von Cherubini Quartett in Es-dur, und von Franz
Schubert Quartett in A-moll.
Das Interesse der Zuhörer, deren grösster Theil aus geschulten
Musikern besteht, gipfelte sich in dem finstern, düsterfarbigen Quar-
tett in Cis-moll von Beethoven, wo an das Auffassungsvermögen der
Spielenden wie des Auditoriums grosse Forderungen gestellt werden.
Im Concertsaale herrschte Kirchenstille. Die Ausführung war äusserst
brillant und besonders in dem schwierigen , ungemein delikaten
Scherzo, wo eine Menge Kleinigkeiten die angestrengteste Aufmerk-
samkeit und Sicherheit im Spiele nöthig macht , zeigten sich die
grossartigen Vorzüge der aufführenden Künstler. Der wuchtige,
Beethoven'sche Quartette characterisirende Ton wurde überraschend
getroffen.
H, Walter ist ein trefflicher Geiger, dessen Ton voll Adel,
Wärme und Intensivität, dessen Bogenführung langathmig und ele-
gant und dessen Cantilene von blühender Schönheit ist. Er hat von
einem reichen Musikfreund eine echte Amati von hohem Werthe
lehenweise erhalten, und diese singt unter seinen Fingern, dass es
eine wahre Freude ist. Seine gründliche musikalische Bildung be-
fähigt ihn, bei dem Einstudiren der Quartette das erste Wort zu
sprechen und vorzugsweise unter seinem Einfluss gestalten sich die
Aufführungen. Aber er besitzt nicht die unkünstlerische Eitelkeit,
sich auf Kosten der anderen Stimmen in den Vordergrund zu drängen
und stets finden wir die erste Violine im rechten Verbältniss zu den
übrigen Instrumenten.
Ein seltner Schatz für ein Quartett ist Hr. Closner, der die
zweite Violine spielt; er weiss sich anzuschmiegen und nachzugeben,
und sein ganzer Ehrgeiz geht in dem Bestreben auf, der ersten
Violine eine treue, sichere Begleitung zu schaffen. Die HH. Thoms
und Müller (Viola und Violoncell) sind ebenso vorzügliche Solisten
als tactfeste und geschmackvolle Quartettgeiger. Dass bei dem
Zusammenwirken so bewährter Kräfte etwas Gutes geleistet werden
muss, zumal da es diese Künstler an den nöthigen Proben nicht
fehlen lassen, liegt auf der Hand, und in der That brachten ihre
Concerte eine reizende Fülle der seltensten Genüsse.
Hr. Walter gab für sich noch ein Concert, das mit dem Schu-
mann'schen Quintett in Es-dur eröffnet wurde. Die reichgestaltige
Poesie, welche den Compositionen Schumaun's nie abgesprochen
werden kann, hat hier eine klare Form, eine übersichtliche , schön
gegliederte Gruppirung der Motive gefunden, und desswegen schon
siehe ich dieses allen seinen Werken im Gebiete der Kammermusik
vor. Die Ausführung war entschieden unglücklich : die Tempi waren,
ausser im ersten Satz, überall zu schleppend, das Ciavier zu laut,
und das Bild, welches die Auffuhrung gab, hatte etwas Unfertiges,
Unsicheres , was wir um so mehr bedauern , als sich dieses Werk
selten auf dem Programm öffentlicher Concerte findet. — Eine Frau
von W. sang hierauf eine Concertarie in Es-dur von Mozart, eine
veraltete, durch ihre Form ungeniessbar gewordene Compositum,
dann „Trockne Blumen" von Schubert und endlich „Ich bin geliebt"
von Emil Büchner; Stimme und Vortrag waren ganz ausserordent-
lich — „ich hab's ertragen — doch fragt nicht wie." — Hr. Tombo
dagegen entzückte durch den reizenden Vortrag der Oberthür'schen
Elfenlegende für Harfe. — Der Concertgeber trat mit zwei Nummern,
Concert für Violine in G-dur von G. Spohr und der Othello -Fan-
tasie von Ernst vor das Publikum , und legte den ganzen Schatz
seiner Kunst aus. Die süsse Romantik eines Spohr'schen Adagio
klang unter seinen Fingern so poesievoll und duftig , in so anmu-
thiger Eleganz, dass wir immer wieder seine Meisterschaft in der
Behandlung des Gesanges rühmen müssen. Um dem Ernst'schen
Concertstück Genüge leisten zu wollen , wird eine ausserordentlich
glückliche und ausgebildete Technik verlangt: Hr. Walter zeigte,
dass er es auch bierin den wandernden Virtuosen nachmachen könnte,
wenn er nur wollte.
Das Concert, welches Hr. Walter im dritten Abonnementconcert
spielte, war von Viotti, was ich bitte, in meinem letzten Berichte
nachträglich zu ergänzen. (Schluss folgt.)
Aus Paris.
30. Der, einher.
Das Ballet „Le Rot d'Yvetot" von Philipp Massa und
Theodor Labarre ist Donnerstag in der grossen Oper endlich
zur Darstellung gekommen, hat aber nicht angesprochen. Das Werk
wird schwerlich die ersten Monate des kommenden Jahres erleben.
Verdi's Oper: ,,Z« forza del destino* wird in der grossen Oper
nicht zur Aufführung kommen, hingegen will der Maestro, der, wie
sie wissen, seit einiger Zeit hier weilt, einen von Delocle und
Mery nach Schiller's „Don Carlos" bearbeiteten Text in Musik
setzen. Dieses Werk soll nächsten Spätherbst in Scene gehen. Die
grosse Oper geht auch damit um, Mozart's „Don Juan" zur Dar-
stellung zu bringen.
Das „Thedtre lyrique" hat mit „Martha" einen entschieden
glücklichen Wurf gethan. Flotow's Oper wird vor überfülltem Hause
und unter dem stürmischsten Beifall gegeben. Die Vorstellung lässt
kaum etwas zu wünschen übrig. Martha wird gewiss nicht sobald
von dem Repertoir des Thedtre lyrique verschwinden. Heute
findet dort die erste Aufführung von ,,/a Fiance'e d'Abydos" statt.
In den Fantaisies Parisiennes, dem vor Kurzem eröffneten
Theater auf dem Boulevard des Italiens, ist vorgestern eine Ope-
rette von Jules Jonas, „Les deux Arlequins ," mit wohlver-
dientem Beifall aufgeführt worden.
I a c h r i e h t e n.
Mannheim, 2. Jan. Herr Musikalienverleger Karl Hecket
wurde von S. K. H. dem Herrn Herzoge Maximilian von Bayern
durch die Verleihung der grossen goldenen Ehrenmedaille ausge-
zeichnet für die dem kunstsinnigen Fürsten entgegengebrachte
Widmung des Mannheimer Zither-Journals. Die werthvolle Medaille
ist ausgezeichnet geprägt.
Berlin. Frl. v. Edelsberg, welche am 21. Dezember zum
erstenmale als Fides im „Prophet" auf der k. Opernbühne erschien
und in dieser Rolle ausserordentlichen Beifall erndtete, ist bereits
von der k. Intendanz an die Stelle des verstorbenen Frl. De Ah na
engagirt worden.
Paris. Das Programm des 9. populären Concertes des Hrn.
Pasdeloup war folgendes : „Jubelouvertüre" von Weber ; Sinfonia
eroica vonBeethoen ; Hymne von Haydn, von sämmtlichen Streich-
instrumenten ausgeführt ; das 8. Violinconcert von Rode , vorgetr.
von Hrn. Montardon, erstem Preisträger des Conservatoriums,
und Ouvertüre zu „Ruy Blas" von Mendelssohn.
Das 10. dieser Concerte brachte : Ouvertüre zu „Struensee" von
Meyerbeer ; Sinfonie Nr. 51 von Haydn ; Adagio aus dem Quintett
Op. 108 von Mozart, die Clarinette gespielt von Hrn. Grisez;
Musik zu „Egmont" von Beethoven, die verbindenden Worte ge-
sprochen von Hrn. G u i c h a r d vom Thedtre francais.
— Philipp Karl Herz, der Bruder des berühmten Pianoforte-
Fabrikanten Henry Herz, ist dahier gestorben.
*** Die Münchener „N. N." vom 1. Januar enthalten folgende
Einladung: „Um dem berühmten Componisten Rieh. Wagner
bei seiner Rückkehr nach München einen würdigen Empfang zu
bereiten , lade ich hiermit alle Freunde und Verehrer desselben au
einer Besprechung bei mir ein, und zwar an irgend einem der Tage
vom 2-ibis 5. Januar incl. in den Mittagsstunden von 12 bis 2 Uhr.
Dr. G. C. Wittstein, Wiesenstrasse Nr. 3.
*** In P a s s a u fand jüngst eine Demonstration zu Gunsten
R. Wagner's statt. Als nämlich in einem dort stattgefundenen grossen
Concerte die zweite Abtbeilung beginnen sollte, welehe aus lauter
Wagner'schen Werken bestand, brachte das ganze Publikum dem
Componisten ein stürmisches Lebehoch aus, und jeder Nummer des
Programms folgten enthusiastische Beifallsbezeugungen.
*** Album für 1866 von Anton Wa Herst ein.
(Mainz, bei B. Seh ott's Söhnen.) Auch dieser neue Jahrgang
bringt uns Melodien von reizender Frische, und man sollte in Wahr-
heit glauben, der Componist schöpfe solche aus immer neu sprudeln-
der Quelle. Dieselben erscheinen so anmuthig und einschmeichelnd,
als stammten sie aus der ersten Jugendzeit. Als besonders an-
sprechend möchten wir die „Contessa Redowa," die „Abschieds-
klänge" und die „Marien -Varsoviana" hervorheben. Die Verlags-
handlung hat auch diesen Jahrgang in höchst eleganter Weise
ausgestattet. Dr - Nacbr "
Verantw. Red. Ed. Föckerer, Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
jt*a.
15. Janmr 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
r $
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Bachhand-
B.
hingen.
-4
von : fl, 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg. j
•■ ,— für den Jahrgang. j
S C H T T's SÖHNEN in MAINZ, p«* «u. p« bezogen
< 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal. I
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co. JU
INHALT: Fürstlich Thurn und TaxischeB Theater. — Correspondenzen : München. Magdeburg. Cassel. Paris. — Nachrichten.
Fiirstl ich Thurn und Taxisches Theater.
(Aus Dr. Mette nleiter's „Musikgeschichte Regensburgs," Verlag
von BÖsenecker in Regensburg.
(Fortsetzung.)
Aus der Geschichte der französischen Comödie hebe ich folgendes
aus: Im Jahre 1765 suchte die Truppe um freie ärztliche Behand-
lung an, die ihr gewährt -wurde. 1767 bot einUrist seine Dienste
an und ebenso seine Frau und Tochter, „ welche letztere auch singt."
Sie hätten, schrieben sie dem Fürsten, mit Beifall gespielt in Stutt-
gart, Paris, Baireutb, Brüssel u. s. w. Sie wurden angenommen.
1771 besagt ein Brief, dass Bai lleux die Direction des franzosischen
spcctacle inne hatte. Ein gewisser Bauld sollte sie ebenfalls be-
kommen ; er setzte aber die Bedingung, dass die Unterhaltungskosten
der Truppe, welche 17,000 fl. betragen, augmentirt werden. Das
ging der Fürst zuerst nicht ein — ..mais abandonner un spectacle,
qui faxt la seule ressource de la ville Ratisbonne et le seid agre-
ment du Maitre, c'est ce qui agite a present Vesprit de son
Messe" Der Fürst gab wirklich 2000 fl. Später kommt ein ge-
wisser Darivals als Director vor. Im nämlichen Jahre bewarb
sich auch ein Dupuis um die Direction und scheint auch längere
Zeit gespielt zu haben. Auch eine Mine. B a i 1 1 i und eine Berberich
werden als Directricen aufgeführt. In einem der Berufschreiben ist
der Grund angegeben, warum eine französische Truppe berufen
wurde. ,.Je sais, que la comedie allemande est peu propre ä
contenter le gout de Son Altesse; je sais , que ce spectacle ne
satisfait ni le coeur ni Vesprit . . ." Ein Clavel, pere avec sa
fifle, wurden entlassen, obwohl die Tochter anfangs sehr gehätschelt
worden war. Beide waren 18 Jahre früher in Mannheim.
Im Jahre 1772 weigerten sich einmal mehrere Mitglieder der
Gesellschaft zu spielen. Vom Fürsten zur Verantwortung gezogen,
erklärten sie, r sie hätten dies nur gethan, um dein Director Bailli
zu imponiren wegen Gageuerhöhung." Der Fürst zahlte übrigens
quartaliter an die Comödiauteu 2250 fl. , die Fürstin 450 fl. Eine
Gagen - Rechnung führte einen Gesammtbetrag von 29 800 fl. an.
Das Orchester, dessen Director (maitre de musique) Oye cadet,
1772, mit 900 fl. Gehalt war, kostete 1600 fl. Auch bestand damals
schon eine Bibliothek „et des musiques appartenantes ä la cour" 9
weil Bailli zur Rechenschaft und zur Zurückgabe aufgefordert wurde.
Dafür hatte der Fürst ausser dem Abonnement - auch* noch ein
,. Abonnement suspendu par tnois , auquel il prendra vingt cinq
billeis du I. place , de meme S, A. en prendra} cinquante ä
chaque Bai du Carneval" Alljährlich musate die Truppe mit in's
Bad Schwalb ach, wo die fürstliche Familie schon 1618 Theater
halten Hess.
Am 5. Mai 1772 sebloss der Fürst mit Dupuis undValvilla
als Directoren ab. Er zahlte monatlich 1000 fl. und verlaugte, „dass
die Acteurs müssen taugen für die Comedie aussi bien que pour
. V Opera comique" Der Fürst behielt sieh auch tot, Acteurs, die
ihm nicht gefielen, zurückzuweisen. Der Vertrag wurde 1773 er-
neuert für die aus mehreren Mitgliedern bestehende Direction.
In demselben Jahre starb am 17. Mai der Fürst Alexander
Ferdinand von Thurn und Taxis ; sein Leichenbegängniss fand auf
das Feierlichste statt, denn er war ja der WohlthKter der Stadt ge-
wesen. Voran zog das Militär, daun kamen die JeBuiten-Studenten
mit Floren, dann die ganze Clerisei mit brennenden Lichtern, dann
die fürstl. Pauken und Trompeter, die Posaunisten und Todtensänger
nebst den Patres von St. Emmeran und dem Fürst -Abte u. s. w.
Alexanders Nachfolger, Carl Ans e Im, welcher nun seinen Einzug
als Prinzipal-Commissär hielt, beschränkte zwar die bisherige Frei-
gebigkeit bezüglich des Theaters , war aber gleichwohl wieder der
grösste Beschützer desselben. Indessen hatte doch die Stunde der
französischen Comödie geschlagen. Zwar findet sich 1775 noch ein
C. Bauld, acteur pensionaire de S. M. le Roi de Prusse als
Director, aber schon im nächsten Jahre hatte sie aufgehört zu sein.
Der indessen zum Intendanten des Theaters und der Musik avaneirta
Baron Theodor von Schacht erhielt den Auftrag, den Operisten,
„welche nur auf ein halbes Jahr aecordmässig bedungen sind, auf-
zukündigen, da wir fest entschlossen sind, uns ein anderes Spectacle
zu uuserem Divertissement auszuwählen. Die frühere Ope ristin
Houdiere wird entlassen, weil sie unseni Erwartungen nicht ent-
sprach, ebenso die ohnehin nur auf Probe aufgenommene Laub er in.
Die erste soll iu Ansehen der Verdienste ihres Vaters den Titel
„Kammervirtuosin" führen, dagegen von der Mitwirkung in Concerten
dispensirt sein und nur in unvermeidlichen Roles verwendet werden.
Der zweiten soll man zu erkenuen geben, dass ihre Stimme für das
Theater allzuschwach, und dass es nöthig sei, den dritten Platz mit
einer anderen Donna zu besetzen. Mit den Virtuosen (Hofmueikern)
soll der Vertrag erneuert werden."
Die italienische Oper trat nun an die Stelle des abge-
schafften französischen Spectacle. Die nicht genannte erste italie-
nische Truppe traf im Herbst 1775 ein; sie versprach Opern zu
geben , des meilleurs Professeurs et Maitres en Musique.*" Am 1.
Januar wurde von ihr zur Vermählungs - Feier der Taxiseben Prin-
zessin Sophie mit dem Fürsten von Radziwille grosse Oper
gegeben. Ein mit Marchand abgeschlossener dreijähriger Vertrag
zur Uebernahme des Theaters wird gelöst, weil Carl Theodor
von Gottes Gnaden Pfalzgraf bei Rhein etc. den Fürsten gebeten
hatte, ihm denselbeu abzutreten. Der Fürst tbat es, „ob er gleich
giosses Vergnügen von Marchand gehofft, der mit mehr Verlässigkeit
als andere Schauspieler sich anzulassen scheint." Die Kosten des
Theaters beliefen sich um diese Zeit auf jährlich 13,000 fl. Als
Einnahme ergab sich im Abonuement durchschnittlich für eine Vor-
stellung 60 fl., 40 fl., manchmal auch 100 — 150 fl. Die Preise der
Plätze waren 36 kr., 24 kr. und 8 kr. Interessant ist eine Reihe
Briefe, welche zwischen dem Intendanten von Schacht und der
Sängerin Allegranti gewechselt wurden. Diese war eine sehr
eigensinnige, hochmüthige Person gewesen. Oft weigerte sie sich
aus Caprice und Intrigue zu singen, so z. B. in den „Zwei Gräfinnen."
Schacht ruft ihr bei dieser Gelegenheit in*s Gedächtniss, was er für
10 —
sie gethan : „Lei sapra, che con piu flemma che ogni altro Cavag-
liere Direttore l'avreble sofferto, jo sopportai un giorne il suo
parlar arrogante sul theatro di Ratisbona per VAria de /sola
d'amore. Stimnndo , che una Donna par sua non e capace
d'offender . . ." Der Fürst machte aber wenig Federlesens mit ihr ;
nach einem solchen unartigen Intermezzo entliess er die freche
Sängerin augenblicklich: „Es muss ein Beispiel des Gehorsams ge-
geben werden," hiess es. Doch wurde sie auf ihr demiithiges Bitten
und auf das gefällige Zeugniss eines galanten Arztes , dass sie da-
mals wirklich nicht habe singen können, noch einmal indulgirt.
(Schluss folgt.)
CORRSSPONDENZEH.
Aus München.
29. Dezember.
(Schluss.)
Das vierte Abonneraentconcert zu besuchen war Ihr Referent
leider verhindert, und ich erlaube mir desswegen, nur das Programm
desselben hier beizufügen: Mozart' s D-dur-Sinfouie, Marche religieuse
von Cherubini, Entreact zu „Rosamnnde" von Fr. Schubert, Clari-
nette-Concert von Bärmann, Phantasiestück für Altsolo und Orches-
ter: „An die Nacht" von Volkmann, Tenor -Arie aus „Euryanthe",
Beethoven 1 s „Adelaide," und endlich eine Concert - Onvertüre von
Rubinstein.
Das Concert am 'Weihnachtstage brachte ein ernstes, inhalts-
schweres Programm. Fr. Lachner's 150. Psalm für Mäunerchor und
Solostimmen wurde von einem Sängerchor, den etwa 400 Mann
bildeten, zum ersten Male aufgeführt, und dazu erklang, von Meister
Bheinberger gespielt, ebenfalls zum ersten Male, die auf Kosten
der musikalischen Akademie im grossen Odeonsaale aufgestellte, von
Frosch sen. gebaute Orgel. Das war eine Tonfülle voll Kraft
und Steigerung, voll Freudigkeit und Begeisterung, voll Würde und
Andacht. Wieder wurde das Publikum entzückt durch die Frische
der Gedanken , durch die Schönheit der Modulationen , die Pracht
der Harmonien , den effectvollen Aufbau der Gruppen , und schön-
berechnete Contraste brachten Leben und Farbe in das grossartige
Tongemälde. Wir freuen uns, auch diese Lachner'sche Composition
als ein höchst bedeutendes Werk rühmen zu können.
Die zweite Nummer des Programms war eine Cantate von
J.S.Bach: „Ich gehe und suche mit Verlangen," die hier ebenfalls
eine Novität war. Wer den Text zum ersten Male liest, kann sich
wegen seiner pietistischen Naivetät entweder des Aergers oder des
Lachens nicht enthalten, denn das Verhältniss zwischen Jesus und
der ihn liebenden Seele ist da in einer so realistischen Weise ge-
schildert, die aneckelt oder lächerlich wirkt. — Das Vorspiel der
Orgel bringt in allen möglichen Veränderungen, in den geistreichsten
Combinationen, deren Schönheit nur durch ihre lange Dauer beein-
trächtigt wird , die Hauptmotive der Cantate , und die künstlichen
Harmonien, welche der Laie kaum als solche betrachtet, bauen sich,
nur dem Kenner vernehmbar, einfach und erhaben in wunderbarer
Architectonik auf. Die Singstimme hat eine schwere Aufgabe zu
lösen, und der Sänger, welcher sie übernimmt, muss vor Allem ein
guter Treffer sein, wenn er ihr genügen will; denn die schwierigen
Ititerwallen , die sich hier in ungewohnter Folge aneinanderreihen
und nur selten eine Melodie gestalten helfen, sind sehr leicht ver-
fehlt, zumal da der Sänger in der ihn begleitenden Harmonie schier
keine oder doch nur sehr flüchtige, oft kaum bemerkte Unterstützung
findet. Hr. Bausewein war nicht ganz glücklich in seiner Leistung^
seine Einsätze waren unrein, und sein Gesang fortwährend schwan-
kend. Besseres — aber nicht Untadelhaftes — leistete Frau Diez;
.auch sie kämpfte hörbar mit der Schwierigkeit der gestellten Auf-
gabe. Vollkommenen Genuss gewann das Ohr erst dort, wo der
vierstimmige Choral anhebt, und dort steigt die Andacht auf den
Fittigen der Harmonie nieder, und beiliges Schweigen breitet sich
geheimnissvoll über die ganze Zuhörerschaft.
Kein würdigerer Scblusssteiu konnte für die in der ganzen mu-
sikalischen Welt berühmten Concerte der musikalischen Akademie
zu München gefunden werden als Beethoven's C-moll-Sinfonie. Wie
sie, als die fünfte, in der Mitte der neuu Sinfonien steht und so den
Mittelpunkt dieser grössten aller Instrumentalcompositionen bildet,
ebenso scheint es mir auch, als ob Beethoveu sich hier allein in
seiner ganzen Grösse und Majestät, in der riesigsten Gestaltungskraft
seines Geistes, in der vollen Glorie seiner Verklärung gezeigt habe :
diese Gewalt, diese Würde und Erhabenheit fand selbst Beethoven
nur einmal — in der fünften Sinfonie. Und diese kolossale Ton-
dichtuug wurde von unserem Orchester unter Lachner's unvergleich-
licher Leitung in seltener Begeisterung und vollendetem Zusammen-
spiel aufgeführt; der letzte Satz nur hätte vielleicht gegen den
Schluss zu ein noch lebhafteres Tempo zugelassen.
Und wenn wir einen Rückblick auf die fünf Odeons - Concerte
werfen, so finden wir, dass die musikalische Akademie — gegen
ihre frühere Gewohnheit — diesmal ihren Programmen eine grosse
Menge Novitäten todter und noch lebender Componisten einverleibte;
so befestigte sie in ihren Concerten nicht bloss den Geschmack an
anerkannt guten älteren Tondichtungen, sondern sie erweiterte durch
die meist untadelhafte Vorführung neuer Compositionen auch die
Literatur ihres Auditoriums und bildete dessen Kritik. Und das war
der Zweck, den sie erreichen wollte. Z.
Aus Magdeburg.
Eine am 17. Dezember von dem „Gesangverein für classische
Kirchenmusik" unter der Leitung des Dom-Organisten Ritter in
der hiesigen Domkirche veranstaltete Musik - Aufführung befriedigte
in dem, was sie bot, nicht weniger als in der Ausführung des Dar-
gebotenen selbst. Einige Chöre und Soli aus Händel's „Saul," ein
Choral („Meine Hebe Seel, was betrübst du dich?") von Melchior
Franck, ferner die prachtvolle böhmische Melodie: „Heilig und zart
ist Christi Menschheit" mit entsprechendem Tonsatze von Ritter
bildeten die vocale Parthie des Programms, welche von den Chor-
und Solosängern in hohem Maasse befriedigend ausgeführt, von dem
Hrn. Organisten Brandt der Mehrzahl der Nummern nach (die
beiden Choräle wurden ohne Begleitung gesungen) auf der Orgel
discret begleitet wurde. Die soeben erwähnten beiden Choräle sind
als Nro. 1 und 2 in einer bei He inriehsho fen in Magdeburg
erschienenen Sammlung (,,Siona u ) aufgenommen; wir müssen sie
allen Gesangvereinen, die sich mit ernster Musik beschäftigen, auf
das Wärmste empfehlen.
Von Interesse war eines der neuen von Liszt herausgegebenen
Orgelwerke: .,Evocation ä la chapelle sixline^ bezüglich dessen
sich die meisten von uns gehörten Stimmen freilich ablehnend ver-
hielten. — Eine Improvisation auf der Orgel, von Ritter gespielt,
schloss die Aufführung, indem sie den Zuhörern vielseitige Gelegen-
heit bot, das prachtvolle, von den Herren Reubke in Haus-Nein-
dorf bei Quedlinburg erbaute Orgelwerk und seineu eminenten Reich-
thum an schönen Klangfarben zu bewundern. -\ — j-
* oe oi
Aus Cassel.
Zum Jahreswechsel sende ich Ihnen wieder einen Beitrag für
die „Südd. Mus.-Ztg." über das Musiktreiben in unserer Residenz-
stadt und beginne , wie gewöhnlich , mit den Abonnementconcerten
des kurfürstl. Orchesters, von denen bis jetzt zwei stattgefunden
haben. Das Programm des ersten derselben war folgendes: I. Theil:
Ouvertüre zu „Atbalia" vou Mendelssohn (zum 1. Male); Clavier-
concert in C-moll von Beethoven, vorgetr. von Frl. Anna Mehlig
aus Stuttgart; Arie des Pylades aus Gluck's „Iphigenie in Tauris,"
ges. von Hrn. Bachmann; Violinconcert Nro. 4 in H-moll vou
L. Spohr, vorgetr. von Hrn. Concertmeister Wippliuger; Arie
aus Marschner's „Vampyr," ges. von Hrn. Bachmann; Solostücke
für Pianoforte: a) „Scherzo" in B-moll von Chopin, b) „La Cam-
panella" von Liszt, vorgetr. von Frl. Mehlig. II. Theil: Sinfonie
Nro. 1 (B-dur) von Rob. Schumann.
Das zweite Concert brachte : I. Theil: Ouvertüre zu „Lodoiska"
von Cherubini : Violinconcert in D-moll von Molique, vorgetr. von
Hrn. Concertmeister Edmund Singer aus Stuttgart ; Arie aus
der Oper „Julius Cäsar" von Händel (zum 1. Male) , ges. von Frl.
Aurelie Wlczek ans Mannheim ; „Furientanz und Reigen seliger
Geister'* aus Gluck's „Orpheus und Enridice" für Orchester (zum
- 11 -
1. Male) j „Teufelssonate" für die Violine von Tartim, vorgetr. von
Hrn. Singer; Lieder mit Clavierbegleitung : a) „Der Müller und
<der Bach" von Fr. Schubert, b) „Volksliedchen" von R. Schumann,
<c) „Ständchen" von Oounod , ges. von Frl. Wlczek. II. Theil :
Sinfonie in C-dur von Ernst Herzogenrath (zum 1. Male).
Was zunächst die Leistungen der Solisten in diesen beiden
Concerten betrifft, so müssen wir ihnen das unbedingteste Lob
spenden, — Frl. Mehlig ist eine Pianistin von tadelloser Technik,
«nit welcher sie Kraft und musikalisches Verständniss vereint. Hätten
-wir auch in dem Vortrag des Beethoven'schen Concertes etwas mehr
Schwung und auch grössere Wärme gewünscht, so verdient die
Wiedergabe der betreffenden Solostücke, namentlich aber der Liszt'-
schen „Campanella" unsere vollste Bewunderung, da die noch sehr
junge Künstlerin die grössten technischen Schwierigkeiten spielend
überwindet und ihre Nüancirung niemals in Affeetation ausartet.
Ihr Erfolg war daher auch ein durchschlagender , und wurde Frl.
Mehlig wiederholt und stürmisch gerufen. — Hr. Concertmeister
Wipplinger zeigte uns in dem Spobr'schen Concerte wieder alle die
trefflichen Eigenschaften, welche wir an seinem Spiele längst schätzen
gelernt. Solide Technik, verbunden mit einer gesunden Auffassungs-
weise, werden dem tüchtigen Künstler stets einen ehrenvollen Er-
folg sichern.
Herr Concertmeister Singer hatte in dem etwas trockenen
Molique'schen Concerte keine ganz glückliche Wahl getroffen ; um
so rühmlicher erachten wir daher den grossen Erfolg, den sich
der ausgezeichnete Künstler bei seinem ersten Auftreten in unserer
Stadt zu erringen wusste. Durch seine eminente und unfehlbare
Technik, sowie seinen grossen und edlen Ton errang sich Hr. Singer
sofort die ungetheilteste Sympathie des dichtbesetzten Hauses. Hätten
wir eine Ausstellung an seinem Spiele zu machen, so wäre es die,
-dass wir, namentlich in der Cantilene , die eigentliche Seele des
Vortrags einigermaassen vermissten, weleher Mangel durch alle tech-
nischen Vorzüge des berühmten Virtuosen nicht verdeckt wurde.
Es ist das allerdings unser subjeetives Urtheil und stimmen wir
nichtsdestoweniger in die dem Künstler gewordenen warmen Ova-
tionen, welche sich in wiederholtem Hervorrufe äusserten, mit Freu-
den ein. — Die Gesangsvorträge waren an demselben Concertabende
durch ein junges, ungewöhnliches Talent, Frl. Aurelie Wlczek aus
Mannheim, welche nach einem äusserst erfolgreichen Gastspiele für
•die kurfürstl. Oper als Coloratursängerin gewonnen wurde, vertreten.
Frl. W. machte namentlich durch den sinnigen, wahrhaft poetischen
Vortrag obengenannter Lieder Furore , so dass sie sich , wie Hr.
Singer, nach wiederholtem Hervorruf bewogen fand, das Publikum
durch eine Zugabe zu erfreuen. Die Stimme der noch sehr jugend-
lichen Sängerin, ist zwar keine grosse, in der Mittelbtge sogar etwas
schwache, doch von solch' sympatischem Klange, ihre Vortrags- und
<3esangsweise ferner eine ro durch und durch geschmack- und seelen-
volle, dabei die Technik, besonders was das Staccato betrifft, eine
solch' erstaunliche , dass dem jungen Talente sofort alle Herzen
zuflogen. (Schluss folgt.)
Ali § Pari».
6- Januar.
Das The'ätre lyrique hat mit der Oper des Laureaten Barthe,
„La Fiance'e d'Abydos" eben keinen glücklichen Wurf gethan.
Es fehlt dem nach Byron's gleichnamiger Dichtung bearbeiteten
Text an spannender Handlung, und was die Musik betrifft, so ver-
Täth sie keine besondere Inspiration. Es heisst , das genannte
Theater beabsichtige, gegen Ende der Saison Richard Wagner's
„Lohengrin/ zur Aufführung zu bringen. Mehrere Blätter versichern
sogar, Wagner sei bereits hier angekommen, um über diese Auffüh-
rung mit Hrn. Carvalho persönlich zu unterhandeln.
Offenbach hat sich abermals von der Direction der Bovffes
Parisiens zurückgezogen. Er hat übrigens in diesem Augenblick
alle Hände voll zu thun, da er an zwei dreiactigen Opern arbeitet,
von denen die eine für die Opera comique , die andere für das
Palais - Royal • Theater bestimmt ist.
F 6 1 i c i e n David geht nächste Woche nach Russland, wo
<r eine Reihe von Concerten geben und seine Opern zur Darstellung
bringen will. Vorgestern gab ihm zu Ehren der Cercle des Beaux-
■Arts ein Diner, nach welchem eine Soiree musicale stattfand. Das
Programm derselben war fast ausschliesslich aus David'scheo Com-
positionen zusammengesetzt.
Gestern hat der Cyclus der ausserordentlichen Conservatoriums-
Concerte begonnen. Der neu und sehr geschmackvoll verzierte Saal
war gedrängt voll.
Nächsten Donnerstag tritt Adelina Patti zum erstenmal«
in dieser Saison hier auf. Die Verehrer der Diva haben bereits
starkes Herzklopfen.
NTaclirlchten.
Cöln, 23. Dezember. Unser Orchester hat eines seiner tüchtig-
sten Mitglieder, Hrn. Friedrich Heise durch den Tod verloren.
Seine Freunde und Berufsgenossen haben ihn heute zur letzten
Ruhestätte geleitet. Der Verstorbene, auch durch seinen liebens-
würdigen Privat- Character ausgezeichnet, war ein Virtuose auf der
Oboe und hatte dieses Instrument seit einer Reihe von Jahren in
unseren Concerten und auf allen niederrheinischen Musikfesten in
erster Linie zu vertreten.
In der letzten Sitzung der musikalischen Gesellschaft hörten wir
eine Composition des jungen Leonhard Wolff, Zögling des hie-
sigen Conservatoriums , Sohnes des Hrn. Musik -Directors Wolff in
Crefeld, eine Sonate für Pianoforte und Violine in vier Sätzen, vor-
getragen von Hrn. Capellmeister Hill er und dem Componisten,
welche allgemein ansprach, und das mit vollem Rechte, da sie ein
höchst bedeutendes Talent verräth, welches zu den schönsten Hoff-
nungen berechtigt, die Hr. L. Wolff, da er als Stipendiat der Frank-
furter Mozart-Stiftung aufgenommen worden ist und unter der treff-
lichen Anleitung F. Hiller's noch einige Jahre seine Studien fortsetzen
kann, gewiss vollständig erfüllen wird. (N.-R. M.-Z.)
Leipzig. Das 11. Gewandhausconcert am 1. Januar brachte:
Sinfonie in B-dur von Beethoven ; „Pfingsten," Chor von F. Hiller
(zum 1. Male); Musik zu Byron's „Manfred" von Rob. Schumann
mit verbindendem Text von R. Pohl, gesprochen von dem grossh.
Hofschauspieler Otto Devrient aus Carlsruhe. Die Soli wurden
gesungen von Frl. Scheuerlein, Frau Pögner und dem königl.
Hofopernsänger Hrn. Scharfe aus Dresden.
München. Niemann wird demnächst auf den ausdrücklichen
Wunsch des Königs als „Tannhäuser" und „Lohengrin" dahier
gastiren. Ferner hat der König durch Hrn. Oberapellrath Lutz
Hrn. Dr. Hans von Bülow den Auftrag ertheilt, sich bezüglich
der in München zu begründenden Kunst- und Musikschule nochmals
mit dem Cultusministeriura in's Vernehmen zu setzen, um hoffentlich
zu einer abschliessenden Verständigung über diese Angelegenheit zu
gelangen.
Carlsrnhe. Das 1. und 2. Concert des „Cäcilien-Vereins" haben
am 13. Nov. und 11. Dez. v. J. stattgefunden und boten viel des
Schönen und gut Ausgeführten. Das 1. Concert brachte : „Serenade"
(Octett für Blasinstrumente) von Mozart ; „Opferlied" für Sopran und
Chor von Beethoven ; „des Tages Weihe ," Hymne für Tenorsolo
und Chor mit Begleitung von Violine und Violoncell von Franz
Schubert; den 117. Psalm: „Laudate dominum" für Sopran mit
Chor von Mozart , und das „Lauda Sion" für Soli und Chor von
Mendelssohn. — Im 2. Concerte kam das Oratorium: „die letzten
Dinge" von L. Spohr zur Aufführung.
Auch das 1. Abonnementconcert der grossh. Hofkirchenmusik
war wieder in ebenso reichhaltiger als interessanter Weise ausge-
stattet. Orgelcompositionen und Gesangswerke von Joh. Seb. Bach,
Pergolese, Marcello , Händel, Eccard, Joh. Christoph Bach, Bort-
niansky, Perti, Schubert, Fesca und Mendelssolm zierten das Pro-
gramm, und Hess deren Ausführung wieder ebenso den Eifer der
Mitwirkenden wie das tiefe Verständuiss und die sichere Führung
des Leiters dieser Concerte, des Hrn. Hofkirchenmusik« Directors
G i e h n e bewundern.
Bozen. Am 14. November fand unter der Leitung des Hrn.
Nagiller und unter freundlicher Mitwirkung der Liedertafel und
mehrerer Studirenden ein grosses Concert des städtischen Musik-
vereins statt, in welchem eine Ouvertüre von Nagiller, Concertarie
von Mendelssohn und „Erlkönigs Tochter," Ballade für Solo, Chor
und Orchester von Niels W. Gade zur Aufführung kamen. Di«
Ouvertüre von Nagiller, eil) frisches uad mit anerkenneuswerthem
- 12 -
Geschick io der Orchesterbehandlung geschriebenes Werk, fand leb-
haften Beifall. Ebenso -wurde der Vortrag der Mendelssobn'schen
■Arie durch eine geschätzte Dilettantin sehr beifällig aufgenommen.
'Die Aufführung der Ballade von Gade gehört unstreitig zu den ge-
lungensten Leistungen des Vereins und sowohl die Solisten, auch
Chor und Orchester, im Ganzen etwa 140 Mitwirkende, trugen zu
.dem schönen Gelingen des trefflichen Werkes das ihrige redlich bei,
sowie auch Hrn. Nagiller für seine ebenso geschmackrolle als sichere
Leitung die vollste Anerkennung verdient.
*** Die Schubert - Sammlung des kürzlich verstorbenen Hof-
rathes Spann, die dieser vom Hofrath Witeczek geerbt hatte,
gelangt nun, einem Wunsche des ersten Eigenthümers derselben
gemäss , in den Besitz der Gesellschaft der Musikfreunde. Die
Sammlung soll sehr reichhaltig sein, und viele noch ganz unbekannte
Werke, besonders Lieder des grossen Componisten enthalten. Wir
hoffen, die Gesellschaft wird mit diesen Schätzen nicht so engherzig
verfahren wie die „alten Freunde" Schuberts. Wir haben diese Art
der Freundschaft und Pietät einem grossen Tondichter gegenüber
nie verstanden, die darin besteht, wie ein Geizhals seine Schätze
unter Schloss und Riegel zu bewahren und sie der Mit' und Nach-
welt eigenmächtig vorzuenthalten, eine Art der Pietät, die, nebenbei
bemerkt, nicht verhindert hat, dass bei Hrn. Hüttenbrenner,
auch einem „alten Freund", die Oefen mit Opern - Manuscripten
Schubert's geheizt wurden. Zwei junge Männer, die, als Schubert
starb , kaum geboren waren , Hellmesberger und H e r b e c k,
haben für den Ruhm des Meisters mehr gethan, als alle seine „alten
Freunde". Wir hoffen, dass die Direction der Gesellschaft der Musik-
freunde in richtiger Erfassung ihrer Aufgabe für die Verbreitung
der noch unbekannten Schubert'schen Werke in möglichst liberaler
Weise sorgen werde. (Wiener Recens.)
*** Hr. Geheimer Commerzienrath Abraham Oppenheim
hat dem Oberbürgermeister von Cöln als Schenkung für die Stadt
Cöln zehntausend Thaler iu 4 1 /» procentigen Prioritäts-Obligationen
der Rheinischen Eisenbahn - Geseslschaft nebst Zinscoupons vom 1.
October v. J. zu dem Zwecke übergeben, dass die jährlichen Zinsen
in der Höhe von 450 Thlrn. vom kommenden Jahre ab und für alle
Zukunft als eine besondere Zulage zum budgetmässigen Gehalte des
städtischen Capellmeisters verwendet werden sollen. — Der Betrag
der Zinscoupons vom 31. Oct. bis 31. Dez. v. J. ist mit 112 Thlrn.
15 Sgr. als Beitrag zum städtischen Orchesterfonds bestimmt.
*** Am 4. Januar gab Hr. Prof. Pauer aus London in Mann-
heim zum Besten deB dortigen Hoftheater- Orchesters ein grosses
historisches Concert, in welchem Vocal- und Instrumentalwerke, letz-
tere zum grösseren Theil aus Ciavier -Vorträgen des Hrn. Pauer
bestehend, aus der Periode von 1685 bis auf die neueste Zeit zur
Aufführung kamen.
*#* Die Gebrüder Müller haben in Holland bereits 25 Con-
certe mit dem ausgezeichnetsten Erfolge gegeben.
%* Abbe Liszt wird im Mai nach London kommen, um seine
Messe aufzuführen , die er für die Einweihung der neuen Kirche
von Kensington geschrieben hat.
*** Der spanische Lieder- und Romanzen-Compouist Yradier
ist in Vittoria gestorben. Seine Lieder waren sehr beliebt und
sind von den meisten grossen Sängern und Sängerinnen, Artöt,
Viardot und Roger, mit Vorliebe gesungen worden ; sie waren frisch
und origineller als die gewöhnlichen Erzeugnisse dieser Gattung.
Auch die Persönlichkeit Yradier's gehörte zu den angenehmsten.
*** Die ersten sieben Gastspiele des Frl. Tietjens in Ham-
burg haben eine Einnahme von 30,000 Mark ergeben. — Adelina
Patti nahm in Florenz in den ersten fünf Vorstellungen 61,000
Franken ein.
*** Der Pianist Bernard Böckelmann aus Utrecht hält
sieh seit Kurzem in Mexiko auf, wo er wiederholt Einladungen
Seitens des Hofes erhielt. Er beabsichtigt, die dortigen Kunstzu-
stände zu heben, bat zur Vereinigung der musikalischen Welt da-
selbst einen grösseren Salon eröffnet, und fügt seinen Programmen
stets belehrende Erklärungen der vorzutragenden Stücke bei.
*** Frl. A r t 6 1 gastirt mit glänzendem Erfolg in Bremen.
*** Die von Frl. Auguste Götze, grossh. weimariscbe Kam-
mersängerin , in ihrer zu Dresden gegebenen musikalischen Soiree
' mit so vielem Beifall gesungene Ballade von Heine : „Mir träumte
"von einem Königskind," componirt von L. Hartmann ist alt «ine
poesievolle, durch richtige Declamation und schönen Ausdruck sieb
auszeichnende Composttion Sängern mit tieferer Stimmlage besten»
zu empfehlen.
*** Der rühmlichst bekannte Pianist Mortier de Fontaine»
gab am 29. Dezember in Weimar ein grosses historisches Concert»
in welchem er Olavier - Compositionen von den ältesten bis auf die
neuesten Meister, anfangend mit William Bird, geb. 1634 und
Bchliessend mit Josef Rheinberge r, geb. 1839 (bisher Pro-
fessor des Orgelspiels am Münchener Conservatorium) vortrug. Daa
Programm enthielt 30 Nummern, und erläuternde Notizen über die
älteren Componisten und deren Werke waren demselben in dankens-
werter Weise beigegeben.
*** Das Journal „L'Art Musical^ wird von Havre aus ge-
schrieben: „Der Musikverein, der mit soviel Eifer, Talent und Ge-
wissenhaftigkeit von Hrn. A. Oechsner geleitet wird, hat eine
herrliche Soire'e gegeben, welche sich des ausgezeichnetsten Erfolges
zu erfreuen hatte. Das Programm des Concertes, welches nach zwei
Tagen wiederholt werdeu musste , um dem Zudrange der hörbe-
gierigen Musikfreunde zu genügen, enthielt Weber's poesiereiche
Musik zu „Preciosa" und den 2. Act von Spontini's „Vestalin".
Die beiden Meisterwerke wurden von Chor und Orchester unter der
trefflichen Leitung ihres Dirigenten mit grosser Präcision ausgeführt
und das Lied der Preciosa, sowie die grosse Scene der Vestalin von
einer Dilettantin mit reiner und klangvoller Stimme vorgetragen.
Schade , dass eine so schone Stimme für die Bühne verloren ist !
Einen anderen Genuss gewährte mir die Aufführung der schönen
Streichquartette von Fr. Schubert auf kostbaren Instrumenten und
in vorzüglicher Weise. Ich kannte bisher wenig von Schubert'»
Kammermusik, und wundere mich nun, dass die Pariser Quartettisten
dieselbe noch nicht bei uns bekannt gemacht haben."
*#* Nach einem „Eingesandt" der „Signale" wurde dem Com-
ponisten Julius Otto in Dresden in Folge wiederholter sehr ge-
lungener Dilettanten- Aufführungen seiner Operette „Die Mordgrund-
bruck" in der Harmoniegesellschaft zu Minden ein westphälisches
Frühstück als Weihnachtsgeschenk zugesandt, bestehend aus 12:
Flaschen feiner Weine, 2 Flaschen Liqueure, 1 geräucherten Schin-
ken, 1 Mettwurst (trichinenfrei) und 1 Pumpernickel (westphälisches
Schwarzbrod).
*** Der Grossherzog von Hessen-Darmstadt hat dem bekannten
Liedercomponisten Hofcapellroeister A b t in Braunschweig die gol-
dene Verdienstmedaille für Kunst und Wissenschaft verliehen.
*** In Paris ist der Musikverleger Eduard Meissonnier,
44 Jahre alt, gestorben.
*** Uli mann hat in Wien mit seinen 13 P a 1 1 i - Concertea
40,000 fl eingenommen. Schliesslich trat seine Künstlergesellschaft
noch in einigen Wohltbätigkeits-Concerten auf.
*** In Barmen wurde am 30. Dezember Schumann's „Paradies
und Peri" uuter der Leitung des Musikdirectors Hrn. A. Krause
autgeführt.
* % * Am 6. Januar fand in Dresden das erste der beiden Patti-
Coucerte statt, in welchem ausser Carlotta Patti die Künstler
Roger, Brassin und Vieuxtemps und in einem Beethoven'-
schen Trio auch der dortige Violoncellist Grützmacher mitwirkten.
*** Nachdem Adelina Patti in Florenz reichliche Spenden
an die Armen gegeben, trat sie am 22. Dezember v. J. in Turin
zum erstenmale auf und erregte bei dem dermassen gefüllten Hause,
dass die Einnahme 22,000 Frs. betrug , ungeheuren Enthusiasmus.
Der König hat ihren Schwager und Lehrer Maurice Strakoscb
zum Ritter des heiligen Lazarus ernannnt. Gegenwärtig ist Frl.
Patti wieder bei der italienischen Oper in Paris engagirt.
*** Hr. Gustav Nottebohm, der vor einiger Zeit zum
Archivar der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ernannt wurde,
bat seine Stelle wegen Meinungsverschiedenheiten mit einem Direc-
tiousmitgliede niedergelegt, und soll an dessen Stelle der Pianist
Hr. Carl PrÖnitz getreten sein.
*** In Bologna ist Meyerbeer*s „Afrikanerin" anerst in
Italien gegeben worden und macht so volle Häuser, dass alle
Bühnen Italiens die Hand nach der rettenden Partitur ausstrecken.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck *. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
if* d .
22. Januar 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
< Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
: Man abonnirt bei allen Post-
; ämtern, Musik- & Buchhand-
el lungen. .
ton
• PREIS: *
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
Ö? für den Jahrgang.
HNEN in MAINZ. I d«* <ue ro 8t b eMg en :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei flebr. Schott. London bei Schott & Co. jLw.
INHALT! Fürstlich Thurn und Taxisches Theateqfe — Correspondenzen : Cassel. Stuttgart. Wien. — Nachrichten.
Furstlicli Tliurn und Taxisehes Theater»
(Aus Dr. Mettenleite r's „Musikgeschichte Regensburgs," Verlag
von BÖsenecker in Regensburg.
(S c h 1 u s s.)
Solche und andere Unliebsamkeiten scheinen den Fürsten Carl
Anselm bewogen zu haben, nach so kurzer Zeit der italienischen
Oper wieder den Abschied zu geben. Ein Schreiben besagt: „Wir
haben bei der mit dem 31. Januar 1778 zu Ende gehenden Contracts*
Verbindlichkeit mit dem Italiänischen Theater eine anderweitige
Einrichtung mit demDirector der Teutschen Schaubühne, Andreas
Schopf, getroffen und selbem die Schadloshaltung von seinen Aus-
gaben zugesprochen." Der Vertrag galt zunächst nur auf ein Jahr,
bis 1779 (1. März bis 1. März) ; die Gesellschaft stand unter der Juris-
diction des Magistrats, der Fürst zahlte 13,000 fl. Der Director
hatte alle Rechnungen, Einnahmen ete. vorzulegen. Die Oarderobe
gab theilweise der Fürst. Die Musik erhielt für dreimaliges Spielen
in der Woche ä 5 fl. anf 52 Wochen, in Summa 780 fl. Auch ein
Ballet war Schopf zu halten verpflichtet; dafür wurden 3 Oboisten
bestellt mit je 3 fl. 12 kr.; ebenso wurden Extra- Trompeter und
Pauker bezahlt. Für Abschreiben von Musik erhielt* ein Copist in
unbestimmten Zeiträumen immer 2 fl. 48 kr. An das Umgeldamt
der Stadt hatte Schopf von 30 Vorstellungen (vom März bis Ende
Juni 1778) je 30 kr. = 15 fl. au entrichten. Der Graf Seeau, In-
tendant in M ü n c h e n, wurde um einige Probebekleidungen für die
Oper und Ballet» ersucht. Seine eigenhändige Antwort besagt: „Der
Churfürst sei sehr erfreut, dem Fürsten ein Vergnügen mit seinem
Magazin machen zu können." Die Oberdirection der Sckopf'schen
Comödie hatte der Fürst dem H. von Berberich, „welcher die
Bühne mit verschiedenen französischen Uebersetzungen und Theater-
reden bereichert," übergeben.
Im Jahre 1781 besuchte Kaiser Joseph II. das Regensburger
Theater. Obgleich das grösste Incognito anbefohlen war, so liess
sich der Kaiser doch im Schauspiele sämmtliche Gesandtschaften
vorstellen und spendete sehr reiche Geschenke. Als 1782 viele
fürstliche Personen bei Taxis zu Besuch waren, wurde am 16. Januar
„Schauspiel und Ballet und darnach Illumination mit Chören von
Trompeten und Pauken und blasenden Instrumenten und Feldmusik,"
am anderen Tage grosses Concert, Hatze u. dgl. gebalten. Am 21.
Januar gab der französische Gesandte auf einer eigens dazu von
Holz erbauten Bühne eine theatralische Vorstellung eiuer „Jagdparthie
König Heinrichs IV.", welche von Liebhabern aufgeführt wurde,
ebenso ein Divertissement mit Musik , in welchem der Festgeber
selbst mitspielte. Aehnliche Festlichkeiten hatten 1783 statt, bei der
Vermählung des Fürsten Johann Aloys von Oettingen-
Spielberg mit der Taxischen Prinzessin Henriette, Besonders
zeichnete sich dabei eine türkische Garnisonsmusik aus. Auch wurde
eine Freicomödie gehalten.
Mit 1783 erhielt das Theater ein« neue Gestaltung. Der Fürst
hatte der deutschen Truppe Valet gesagt und wieder eine italiänische
Operngesellschaft engagirt. Schacht hatte die Oberleitung; zu seiner
Erleichterung war ihm ein Maiire de Chapelle beigegeben worden
mit einem Gehalte von 1500 fl. Im früheren welschen Theater be-
zahlte man Entree: „die heurige italienische Oper gehe ganz allein
auf Unsere Kosten," befahl der Fürst. Für die erste Classe wurden
deshalb gar keine Billets mehr ausgetheilt; die 2. Gallerie wurde
für die Kaufleute, Bürger und honnetten Leute bestimmt.
Man gab Opern von verschiedenen Autoren, darunter auch von
dem Capellmeister Peter Winter in München. Ein Brief von
Babo aus München besagt: „Die Musik zu ,, Reinhold und Armida"
kann ich Ihrer Excellenz (v. Schacht) nur auf 8 Tage zum Copiren
geben, denn Capellmeister Winter hält diese seine Arbeit ausseror-
dentlich theuer, so dass ein Ankauf bis jetzt gescheitert ist." Vor
1783 schrieb ein Theodor de Salzmann an den Fürsten, „er
möge die italiänische Oper unterlassen und dafür das deutsche
Schauspiel behalten; das Publikum wolle die italiänische Oper nicht,
die wenigsten verständen italiänisch, oder auch nur die Musik. Wer
Musik wolle, der habe sie ja in den Do nners tag- Co ncerten des
Fürsten." Darauf replicirte ihm der Fürst, „es habe ihn Salzmann's
Auftreten im Namen des Publikums gewundert; übrigens ändere er
seinen Plan nicht. Den Unzufriedenen sei es übrigens unbenommen,
auf eigene Kosten ein deutsches Theater in Regensburg zu errichten ;
es habe aber das Regensburger Publikum wenig Interesse dafür,
einKartenspiel beim Bier sei ihm lieber als das
beste Spectacle !'' In ähnlicher Weise agitirten die früheren
deutseben Theatermitglieder selbst. Sie sagten in einer Collectiv-
eingabe an den Fürsten: „Nicht nur, dass Sie wie Joseph II. die
Schauspielkunst, die in vaterländischer Tracht verwaist einherging,
beschirmten etc. etc." Der Operist Moutrose bat um Gastspiel
in der Oper, ebenso ein Sänger Mayr um Engagement. ^[Der Etat
dieser Oper findet sich in der 2. Beilage des Buches angegeben.)
Die Allegranti wurde wieder engagirt; sie schien sich aber sehr
kostbar machen zu wollen. Auf wiederholte Anfragen antwortete
sie gar nicht, so dass Schacht dem drängenden Fürsten schrieb:
„e//e est ä 1a verili ennemie des Correspondances.' (Die Beilage III
enthält zwei sehr interessante darauf bezügliche Briefe an den
Fürsten.)
Die italiänische Oper konnte sich aber gleichwohl nicht be-
haupten, denn schon am 19. Juni 1786 beschloss der Fürst, sie noch
vor Ende der Accordzeit und zwar sogleich zu verabschieden, aber
zugleich auch fortan keine Schauspielergesellschaft mehr zu halten.
Veranlassung zu dem letzten Schritte mag der allerdings ungeheuere
Kostenaufwand gegeben haben. Das Memoria, welches Schacht über
die Reduciruug des Theaters dem Fürsten eingereicht hatte, wies
grosse Summen *aus. (Siehe Beilage IV ; auch enthält die Beilage V
einen hieher bezüglichen interessanten Briefwechsel des Fürsten.)
Eine Aufschreibnng des magistratisch Angestellten Kar besagt,
dass ein Verzeichlnss der seit Anfang der fürstl. Taxischen Bühne
bis 1784 aufgeführten Werke, Opern, Ballete etc., sowie des Theater-
personals in 1 V» Bogen in 8* gedruckt, erschienen sei, doch konnte
14 -
der Verfasser dasselbe nicht auffinden. Er befindet sich aber im
Besitze vieler Theaterzettel, Operntexte, Bullete etc. aus jener Zeit.
Die Taxis'sche Musikbibliothek schliesst ausser sämmtlichen Com-
positionen aller fürstl. Hofmusiker etc. einen grossen Reich thum von
Singspielen, Opern, Ballets etc. (italiänisch, deutsch und französisch)
aller Zeiten bis herauf zu Mozart in sich, als einzige Reliquien des
einst so prächtigen fürstlichen Theaters. Leider ist von der auch
au Schätzen mittelalterlicher Musik reichen Bibliothek kein Catalog
vorhanden, sowie auch das Local, in dem sie aufbewahrt wird, weder
der Conservirung , noch weniger aber der Benützung an Ort und
Stelle dienlich ist.
CORRESPONDENZEN.
Aus C a s s e I.
(S c h 1 u s s.)
Ueber die Ausführung der Orchesterwerke beider Abende
können wir uns insofern kurz fassen, als wir dieselbe eine wür-
dige , theilweise , besonders in Beziehung auf die Scburaann'sche
Sinfonie und die Ouvertüren von Mendelssohn und Cherubini eine
ausgezeichnete nennen.
Die Sinfonie von Herzogenrath, einem Mitgliede des Hof-
orchesters hatte sich in allen Sätzen des entschiedensten Beifalls zu
erfreuen und wurde dem jungen, talentvollen Componisten die wohl-
verdiente Ehre eines Hervorrufs zu Theil. Mag das interessante
Werk Mendelssohn'schen, Schumann'schen und auch Beethoven'schen
Einflüssen, denen sich wohl kein angehender Componist gänzlich
zu verschliessen vermag , nicht ganz fremd Bein , so zeugt es doch
von gediegenem Wissen, ernstem Streben und soviel wirklicher Er-
findungsgabe seines Schöpfers , dass wir dessen weiteren Versuchen
auf diesem Gebiete mit aufrichtiger Theilnahme entgegensehen.
Ausser diesen beiden Abonnement -Concerten des Hoforchesters
fand noch eines vom „Casseler Gesangverein" unter Leitung des
Hofcapellmeisters Carl Reiss und unter Mitwirkung des trefflichen
Violinisten HugoHeermann und dessen Schwester, der jugend-
lichen Harfenistin Helene Heermauu, sowie eines von unserem
geschätzten Oratoriensänger Herrn D e n n e r unter der Mitwirkung
des Ihnen wohlbekannten trefflichen Bassisten Carl Hill aus
Frankfurt statt. Beide Concerte boten in instrumentaler wie vocaler
Hinsicht so viel des Genussreichen, dass es mich für heute zu weit
führen würde, aller einzelner Leistungen zu gedenken.
Um nun noch der Leistungen unserer Oper zu gedenken, so
muss ich leider, wie dies bei uns fast alljährlich der Fall ist, wie-
derum einen bedeutenden Personalwechsel registriren. Die Herren
Garsö und Po lenz haben nämlich die Hofbühne verlassen, und
sind an deren Stelle Hr. Brunn er von Hamburg als lyrischer Tenor
und Hr. Hoffmeister als TenorbuflFo getreten. Für das längere
Zeit verwaiste Fach des Heldentenors ist Hr. Bach mann von Prag
gewonnen, und darf sich unsere Hofbühne zu dem Eintritte dieses
Heldentenors par excellence gratuliren. — Von den Damen haben
uns Frl. Langlois und Frl. Höfl verlassen. An Stelle der Ersten
wurde trotz erfolglosen Gastspiels eine Fil. Römer aus Ulm enga-
girt, wolche sich im Verlauf der letzten Monate als so total unfähig
erwies, dass man , zur Freude aller Theaterbesucher, ihr zur Seite
nunmehr Frl. W I c z e k für das Fach der ersten Coloratursängerin
engagirt hat Eine neue Soubrette, welche ihre Vorgängerin gleich-
falls übertrifft, ist der Oper in Frl. Winkler gewonnen. Von den
älteren beliebten Mitgliedern nennen wir unsere wackere Primadonna
Frl. Bauer, die talentvolle jugendliche Sängerin Frl. Grün, den
Barytonisten Hrn. Schulze, sowie endlich die wesentlichste Stütze
unserer Oper, den als Sänger wie Darsteller gleich ausgezeichneten
Bassisten Lindemann.
Seit August d. J. kamen etwa 30 verschiedene Opern zur Auf-
führung, worunter der der Vergessenheit entrissene Spohr'sche „Faust"
und M6hul's „Joseph". Von irgendwelcher Novität dieser Saison
vermag ich jedoch leider noch Nichts zu berichten.
Soviel für diesmal ; später werde ich Ihnen über den weiteren
Verlauf der Wintersaison berichten.
Aus Stuttgart.
Ende Da/ember
Das vierte Abonnement-Concert war etwas umfangreicher ; denn
am Weihnachtstage „ras't der See und will ein Opfer haben," d. h.
dem Geschmacke der da gewöhnlich herbeiströmenden grossen Masse
muss einige Rücksicht getragen werden. Doch geschah das diesmal
nicht auf Unkosten der Feinschmecker; im Gegentheil wurden gerade
diese durch die „Anakreon"-Ouvertüre und das von C. M. Singer
mit Bravour vorgetragene Molique'sche Violinconcert in D-moll be-
sonders erfreut. Durch einen eigenthümlichen Zufall traf diese, üb-
rigens vortrefflich gearbeitete Compositum, in deren Finale derRythmus
J « # l J jj 3 J vorwiegt , am gleichen Abend mit der siebenten
Beethoven'schen Sinfonie zusammen, deren erster Satz denselben
Rythmus enthält. Beim letzten Satze derselben machte uns übrigens
die Virtuosität unseres Orchesters bald bange; sie streifte bereits an
jene vornehme Nonchalence , mit der manche renommirte Pianisten
wohl eine frühere Beethoven'sche Sonate abspielen ; auch im Andante
vermissten wir jene liebevolle Pietät, welche namentlich dieser
unsterbliche Satz verdient. — Statt der abermals ausfallenden Men-
delssohn'schen Concert-Arie hörten wir wieder die Bass-Arie aus
„Ezio," womit Hr. Wallenreiter diesmal glücklicher war ; er
wurde sogar, wie Hr. Singer, mit einem Hervorruf beehrt, der ihm
wahrlich nicht zu missgönnen ist. — Das grösste Interesse concent-
rirte sich auf das Vorspiel zu „Tristan und Isolde," welches mit
vollendeter Meisterschaft ausgeführt wurde und den wärmsten Beifall
fand; selbst die entschiedensten Gegner Waguer's mussten wenigstens
die blendende Farbenpracht dieses wundersamen Satzes zugestehen,
und wenn es sich bestätigt, dass nicht nur Bülow, den wir im
Januar mit Freuden erwarten, sondern später auch Wagner selbst
auf einige Zeit hierher kommt, so wird er für seine Richtung bereits
eine günstige Atmosphäre finden ; besonders hat der „Holländer"
tüchtig vorgearbeitet , und gibt es hier zumal unter den jüngeren
Künstlern viele eifrige Wagnerianer. Sogar eine „Wagner-Strasse"
hat Stuttgart, während München eine solche erst mit schwerem Geld
hätte erhalten sollen ; freilich wird die hiesige wohl dem orientali-
schen Geschmacke ihres Pathen noch nicht vollkommen entsprechen.
— Anfangs Januar. Auch die vierte Soiree für Kammermusik
erfreute sich eines sehr reichhaltigen Programme». Zum erstenmale
spielten die HH. Speidel uud Krumbholz die Sonate für Cia-
vier und Cello Op. 102 von Beethoven, ein in seinen beiden ersten
Sätzen trotz knappester Haltung doch gar gedankenvolles, und viel-
leicht gerade desshalb um so tieferes Product des vereinsamten
Meisters. Hrn. Speidel's klares, ausdrucksvolles Spiel fand hier, wie
in den später folgeuden Solonummern (Mozart's C-moll- Fantasie,
Chopin's Andante spianato und Es-dur-Polonaise) und im Schubert'-
schen Es-dur-Trio den lebhaftesten Beifall, ebenso der Vortrag eine»
Molique'schen Adagio's und einer, übrigens unbedeutenden Popper'-
schen Componsition (Ballscene) durch Hrn. Krumbholz. An dem
Trio betheiligten sich diesmal die HH. Goltermann und ßene-
witz; Letzterer spielte noch vorher mit C. M. Singer das Spohr'-
sche D-dur-Duo, welches unter solchen Händen mit einer fabelhaften
Reinhoit zu Gehör kam und begeisterten Applaus hervorrief. Auch
die von Singer mit bewährter Virtuosität gespielte sogenannte „Teu-
felssonate" hatte glänzenden Erfolg, uud so war das wieder ein
Abend, voll der edelsten Genüsse.
Die nächste Soiree wird bringon: Quartett von Haydn, Ciavier-
quartett von L. Stark (neu), Streichtrio in D-dur von Beethoven,
Quartett von Cherubiui. T.
Aus Wie ii.
8. Januar.
Am Sylvesterabende wurden die Operufreunde durch eine Auf-
führung der „Lucia" überrascht, in welcher Frl. von Murska, die
beliebte Coloratursängerin, nach zweimonatlicher Pause, zum ersten-
male wieder auftrat. Die Utberraschung war um so angenehmer»
als man sich überzeugen konnte, dass die verschiedenartigen Gerüchte,
welche sich über den Gesundheitszustand des Frl. von Murska ver-
breitet und selbst dahin geführt hatten, dass ein Berliner Blatt be-
reits deren Tod meldete, vollständig unbegründet seien. Die Leis-
- 15
tung der Sängerin als Lucia stand ganz auf derselben Höhe wie
früher, eine Abnahme ihrer Stimmmittel war nicht zn bemerken, und
das Publikum gab seinem Lieblinge durch enthusiastischen Empfang
und lebhaften Beifall im Verlaufe der Vorstellung seine Freude da-
rüber deutlich zu erkennen.
Ausser diesem Wiedererscheinen des Frl. von Murska ist von
den Leistungen des Hofoperntheaters nichts bemerkenswerthes Neues
zu melden. Die Direction scheint die ganze Kraft des Instituts auf
das Studium der in wenigen Wochen zu erwartenden „Afrikanerin"
zu concentriren. Die Hauptparthien dieser Oper befinden sich jetzt
definitiv in dem Besitze der Damen Bettelheim und Murska
und der HH. Walter, Beck und S c b m i d.
Am ersten Januar fand das Leichenbegängniss des gefeierten
Schauspielers Hei n rieh An schütz statt, zu welchem alle Künste
Wiens ihre Vertreter gesendet hatten. Anschütz war im Jahre 1785
geboren, erreichte also ein Alter von 80 Jahren. Der Männergesang-
verein, dessen Ehrenmitglied der Verewigte war, gab seine Theil-
nahme durch einige ergreifende Chöre zu erkennen. Sämmtlicbe
Mitglieder des Burgtheaters , mit dem Oberstkämmerer , Fürsten
Auersperg und Director Laub e an der Spitze, waren anwesend;
zahlreiche Mitglieder der übrigen Theater, der Gesellschaft der Musik-
freunde und anderer der Kunst gewidmeter Vereine hatten sich ein-
gefunden, so dass die Kirche die Anzahl der leidtragenden Verehrer
des Hingeschiedenen nicht zu fassen vermochte.
Der Verein, welcher, den Namen „Ilaydu" führend, die Ver-
sorgung der Wittwen und Waisen hiesiger Tonkünstler zum Zwecke
hat, brachte zu Weihnachten die „Schöpfung" zur Aufführung. Dieser
Verein, welcher, im Jahre 1771 gegründet, in nicht ferner Zeit sein
lOOjähriges Bestehen wird feiern können , besitzt das Privilegium,
seine Concerte im ßurgtheater veranstalten zu dürfen ; wenn diese
Begünstigung auch in akustischer Beziehung ihre Nachtheile bringt,
ao sind damit doch wohl auch Vortheile verbunden, welche den
Verein veranlassen, das seit vielen Jahren innehabende Concertlocal
zu behaupten. Im Uebrigon ist der Verein seit seiner vor einigen
Jahren erfolgten Reorganisirung bestrebt, auch in musikalischer Be-
ziehung den Fortschritten der Zeit Rechnung zu tragen, und dass
dies Bestreben von günstigem Erfolge gekrönt ist, bewies die letzte
Aufführung auf das Deutlichste. Die Leistung dos Orchesters und
des Chors Hess nichts zu wünschen übrig. Die Sopransoloparthie
hatte Frl. Rabatinsky von Pesth , eine jugendliche , mit sehr
schöner, klangvoller Stimme begabte Sängerin, übernommen, die
nur durch das ihr ungewohnte Genre des Oratoriengesauges und eine
desshalb sehr natürliche Befangenheit in ihrem Wirken gehemmt
wurde. Die Tenor- uud Bassparthien fanden in den IUI. Walter
und Schmid höchst ausgezeichnete Vertreter. Namentlich zeigte
der Letztere, dessen Stimme an Wohlklang und Kraft Nichts zu
wünschen übrig lässt, dass er auch in dieser Gattung des Vortrags,
wo Declamation und Characterisirung höhere Ansprüche an den
Opernsänger stellten, seiner Aufgabe gewachsen war.
Im vierten philharmonischen Concerte kam das neue Werk
eines hiesigen Componisten , eine Ouvertüre zu „Sakuntala" vou
Gold mark, zur ersten Aufführung. Der überaus strebsame Com-
ponist, welcher dem H eil m esb er ger'schen Quartette schon meh-
rere interessante Novitäten geliefert hatte, bekuudetc durch dieses
Orchesterwerk einen bedeutenden Fortschritt. Während man an
seinen bisherigen Arbeiten ein allzugrosscs Streben nach übermässig
complicirten und dadurch manchmal gesucht erscheinenden harmo-
nischen Wendungen auszusetzen fand, zeigte sich in dieser Ouver-
türe eine im Vergleiche mit seinen früheren Werken wohlhthuende
Klarheit der Intentionen, Bestimmtheit der Motive und eine vortreff-
liche Instrumentirung. Sind wir auch der Ansicht, dass sich in
dieser Ouvertüre, so wenig wie in seinen früheren Arbeiten, eine
geniale Erfindungskraft offenbart, so gibt es doch Zeugniss für ein
hochachtbares Streben, geläutertes Wissen uud eine künstlerische
Ueberzeugung, der wir unsere Anerkennung nicht versagen sollen.
Das Publikum schien mit der musikalischen Richtung dos Compo-
nisten, welche sich der Schumann'schen nähert, nicht ganz einver-
standen, denn unter den der Ouvertüre gespendeten Beifall mischten
sich auch einige Zeichen der Opposition.
Zur Vervollständigung des Berichtes haben wir noch die Cou-
certe der HH. Lotto und Smietansky anzuführen. Ersterer
zeigte sich als einen in Beziehung der Technik ganz ausgezeich-
neten Violinvirtuosen , Letzterer als einen vortrefflichen Pianisten,
der bei vollständiger Beherrschung seines Instrumentes sein gesund
musikalisches Wesen freigehalten hat von jener krankhaften Senti-
mentalität, dureh deren Vorherrschen uns so oft der reine Genusa
feuriger und kräftiger Tonwerke verkümmert wird.
I ae !i richte
ii.
Mainz. Die talentvolle kleine Violinspielerin Therese Liebe
aus Strassburg, welche im vorigen Jahre hier so vielen Beifall fand,
cencertirt gegenwärtig mit vielem Glück in der französischrn Schweiz
und wird sich nach ihrer Rückkunft von dort nach Paris begeben,
um bei dem bekannten Meister A 1 a r d ihre Ausbildung zu vollen-
den und sich nebenbei in verschiedenen Cirkeln hören zu lassen.
Von Paris wird die jugendliche Künstlerin, einer Einladung folgend,
nach London gehen. Sie hat in letzterer Zeit unter der Leitung
ihrer Pathin Therese Milanollo ausserordentliche Fortschritte
gemacht.
CÖln. Im 6. Gürzenich- Concerte am 16. Januar kam Spohr's
Concertante für zwei Violinen durch die HH. von Königslöw
und Japha zur Ausführung; ferner Beethoven's Sinfonie Nro. 8 in
F-dur, und Max Bruch'8 „Scenen aus der Frithjof-Sage" (Sopransolo
Frl. R e m p e 1 , Baryton-Solo Hr. S t ä g e m a n n), die Chöre vom
Cölner „Männergesangverein" und dem Cölner „Sängerbunde"
gesungen.
Stattgart. Die Nummer 307 des Stuttgarter „Staatsanzeigers"
bringt ein Musikreferat, worin über das Vorspiel zu „Tristan und
Isolde" ein grösstentheils unrichtig motivirtes Verdaminuugsurtheil
gesprochen wird ; vielleicht hilft dasselbe dem betreffenden Autor
zu einor Art von herostratischer Berühmtheit; jedenfalls wäre ihm
zuzurufen: ,,&* taeuisses, philosophus fuisses /"
Dresden. Im 4. Abonnements -Concert der k. musik. Capelle
kamen unter der Leitung des Hofcapellmeisters Krebs folgende
Werke zur Aufführung: Sinfonie (nachgelassenes Werk) von Norbert
Burgmüller, gestorben 1836; Sinfonie No. 8 in F-dur von Beethoven,
und die Ouvertüren zu Weber's „Beherrscher der Geister" und
Mozart 1 s „Zauberflöto".
Leipzig. Das 12. Gewandhausconcert brachte: Sinfonie vou
Haydn; Concert für Violoncell von Molique, erster Satz, vorgetr.
von Hrn. de Swort aus Düsseldorf; Ouvertüre zu Kleist's „Her-
manusschlacht" von G. Vierling (neu, unter Direction des Com-
ponisten); Lied ohne Worte, Mazurka, für Violoncell comp, und
vorgetr. von nrn. de Swort; Sinfonie Nro. 1 in B-dur von Rob.
Schumann.
Brüssel. Hr. Samuel, dessen populäre Concerte den günstig-
sten Fortgang nehmen, berücksichtigt in anerkennenswerther Weise
auch die Werke der bedeutenderen jetzt lebenden Componisten
Deutschlands. Dass sein Publikum damit einverstanden ist, beweist
neuerdings die günstige Aufnahme, welche im Concert vom 14. d. M.
das Adagietto und Scherzo aus der Orchestersuite von Joachim
Raff gefunden haben; das Scherzo musste sogar auf stürmisches
Verlangen wiederholt werden.
Das am 24. Dez. stattgefundene Concert hatte den Saal bis in
alle Winkel gefüllt und das Programm brachte die Orcbesterwerke :
Mendelssohn^ sogenannte „Schottische Sinfonie 11 (Nro. 3), Andante
commoto und Menuetto aus der 2. Orchestersuite von Fr. Lachner
(mit grossem Beifall aufgenommen), und die Leonoren- Ouvertüre
von Beethoven. Ausserdem wurde das zur Thronbesteigung des
Königs Leopold II. von Fetis componirte „Saloum fac Regem"
aufgeführt und spielte Hr. D u h e m ein Solo für Cornet ä Piston,
eine Production, die ungeachtet der virtuosen Ausführung durch den
genannten Künstler , doch in dem Programm eines „Concertes für
classische Musik" übel angebracht war.
Paris. Der Sänger Ponchard, früher der komischen Oper
angehörig, der erste Darsteller des George Brown, ist gestorben.
Von der Bühne schon seit einer Reihe von Jahren zurückgetreten,
hat er jedoch seine Stelle als Gesanglehrer am Conservatorium , in
der er eine grosse Anzahl vortrefflicher Schüler heranbildete, bis an
sein Ende versehen. Die jetzt an der grossen Oper thätigen Sänger
Dabadie, Obin, Faure u. A. sind aus seiner Schule horror-
— 16 —
gegangen. Foncbard war am 12. August 1787 in Paris geboren und
hat demnach ein Alter von 79 Jahren erreicht.
— Die Einnahmen der Theater, Concerte etc, in Paris betrugen
im Monat Dezember 1,891,040 Frs.
— Das 12. populäre Goncert des Hrn. Pasdeloup brachte :
Ouvertüre zu „Fidelio" (E-dur) von Beethoven ; vierte Sinfonie von
Haydn; Adagio aus dem Quintett in G-moll von Mozart, ausgeführt
von sämmtlicheu Streichinstrumenten ; Clavierconcert in G-dur von
Beethoven, vorgetr. von Frau Wilhelmine Clauss-Szarvady;
Ouvertüre zu „Wilhelm Teil" von Rossini.
— Eine alte Oper: „Leonora" von Mercadante ist in der ita-
lienischen Oper mit schwachem Erfolge wieder aufgeführt worden.
*** In München wurden in den beiden königl. Theatern im
vergangenen Jahre 294 Vorstellungen gegeben, und zwar 244 im
Hof- und Nationaltheater und 50 im Residenztheater: davon gehören
185 dem Schauspiele, 125 der Oper und 24 dem Ballete an. Unter
den Componisten ist Mozart 15 Mal, Lortzing 12 Mal und Meyer-
beer 11 Mal vertreten.
*** Eine eclatvolle Scene ereignete sich Donnerstag den 28.
Dezbr. Abends im Speisesaale des „Hotel zum Tiger" in Pesth. Man
schreibt der „Debatte" darüber: „Die Localität war aussergewöhn-
lieh stark besucht; unter den Anwesenden befanden sich auch einige
Damen vom Theater. Gegen 11 Uhr erhob sich die Gesellschaft,
um nach Hause zu gehen; dieser Gesellschaft gehörte auch eine
sehr begabte, interessante Künstlerin an, welche hier eben ein Gast-
spiel beendete, und demnächst Mitglied des Harmonie -Theaters in
Wien sein wird. Im Fortgehen bleibt die junge Dame neben einem
Tische stehen und fragte den an demselben sitzenden Sohn eines
hiesigen Hotelbesitzers erregt, ob es wahr sei, dass er sich damit
gebrüstet, schon vor Jahren mit ihr in intimen Beziehungen gestan-
den zu haben. Der Dame war nämlich dieses Gerücht mitgetheilt
worden , und da sie , wie verlautet , hier zu heirathen beabsichtigt,
konnten ihr solche Aeusserungen natürlich nicht angenehm sein.
Der Angeredete schwieg; das erzürnte Fräulein wiederholte die Frage
mit der Aufforderung , der junge Mann solle entweder öffentlich
widerrufen , oder seine Aeusserung beweisen. Man kann sich die
peinliche Verlegenheit des also Interpellirten denken. Er schwieg
beharrlich. Nochmals fragte die Künstlerin mit vor Erregung stei-
gender Stimme , und als auch jetzt eine Antwort nicht erfolgte,
schallte es mit einem Male durch den Saal, so dass auch die der
Scene entfernter Sitzenden kaum darüber in Zweifel sein konnten,
wodurch das Geräusch entstanden. Die energische Dsme verliess
hierauf den Saal. Die Scene hatte selbstverständlich grosses Auf«
sehen hervorgerufen.
*** Dem Director des Cölner Stadttheaters, Hrn. Ernst, ist
von der Stadt eine jährliche Subvention von 2000 Thlr. bewilligt
worden.
*** D>© Sängerin Frl. San t er wird ihre bisherige Stellung au
der k. Oper in Berlin aufgeben, da man ihre, wie man sagt, sehr
hoch gespannten Ansprüche nicht befriedigen will.
V* Das erste Concert der Frau Clara Schumann in Wien
wird am 27. Januar stattfinden. Das zweite Concert des Pianisten
Smetansky daselbst ist auf den 3. Februar festgesetzt.
*** Die Direction des Salzburger Theaters ist dem bisherigen
Director, Hrn. Kotzky, neuerdings auf sechs Jahre verliehen worden.
V Frl. von Edelsberg hat ihr Debüt an der Berliner Oper
als Angelika in Auber's „schwarzer Domino" und als Orpheus in
Gluch's gleichnamiger Oper fortgesetzt und besonders in letzter
Rolle ungetheilten Beifall errungen. Das Publikum folgte der vor-
trefflichen Leistung mit stets wachsender Theilnahme und lohnte
dieselbe durch wiederholte Hervorrufe.
%* Der Kaiser von Oesterreich hatderWittwe des ungarischen
Componisten Csassar eine Jahrespension von 300 fl. bewilligt.
*** Der Gesanglehrer und zweite Dirigent des Domchors in Berlin,
Hr. Kotzolt hat das Prädicat „Musäkdirector" verliehen erhalten.
*** Mau hat in den Archiven der belgischen Provinz Brabant,
in einem Register der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Namen
eines Walter Beethoven gefunden. Vor einigen Jahren wurde
die Spur der directen Vorfahren Ludwigs in einem Dorfe in der
Nähe von Löwen entdeckt, wo im Anfange des 17. Jahrhunderts
die Familie gelebt hat.
%* Kammermusikus F ü r a t e n a u in Dresden hat für seine
historischen Arbeiten vom Kaiser von Oesterreich eine goldene Me-
daille mit dem kaiserlichen Bildnisse erhalten.
%* In Hannover ist „Hans Helling" neueinstudirt , mit Hrn.
Stägeraann in der Titelrolle mit bestem Erfolge gegeben worden.
*** Am 14. Januar ist die „Afrikanerin" in Mannheim zum
erstenmale gegeben worden und zwar in einer so tadellosen Weise,
wie sie kaum irgendwo wieder bei der ersten Vorführung zu Stande
kommen dürfte. Die äussere Ausstattung war glänzend und ge-
schmackvoll, der Erfolg ein bedeutender.
*** Das Vermögen des Wiener Vereins für dürftige Tonkünstler
hat sich durch ein Vermächtniss auf das Doppelte erhöht und be-
trägt jetzt über 50,000 fl.
*** Der Tenorist G a r s 6 , früher in Cassel engagirt , macht
gegenwärtig viel Glück in Riga.
*** A b b 6 Liszt geht nächsten März nach Paris, um längere
Zeit dort zu verweilen. Während seines Aufenthaltes daselbst sollen
die Graner Messe und mehrere sinfonische Corapositionen des Meisters
unter seiner eigenen Leitung zur Aufführung kommen.
*** Die in diesen Blättern schon mehrfach rühmlichst erwähnte
jugendliche Pianistin Frl. Mehlig aus Stuttgart hat jüngst auch
in Dresden in einer von ihr veranstalteten Soiree musicale den ihr
vorausgegangenen Ruf vollständig gerechtfertigt.
*** Dr. Hans von Bülow ist nach München abgereist.
*** Bei V. von Zabern in Mainz erscheint: „Das Tonreicb
und seine physikalischen Gesetze, eine Darstellung der Musikappa-
rate und Tonsysteme aller Völker der alten und neuen Welt," von
Heinrich Welcker, grossh. hessischem Hofpianoforte verfertiger,
in 10 Lieferungen ä 1 Thlr., nebst einem Atlas von 514 Abbildungen.
*** In Berlin kam im 6. Sinfonieconcert Vincenz Lach-
ner 's „Demetrius"- Ouvertüre mit entschiedenem Erfolge zur Auf-
führung.
*** Der junge Carl Patti, Bruder der beiden Sängerinnen,
welcher während einiger Zeit in Brüssel bei dem berühmten Pro-
fessor Leonard Violinunterricht genommen hat, ist jetzt in Paris
und will sich dort hören lassen.
*** Es soll die Idee aufgetaucht sein , aus den abgestrichenen
Nummern der „Afrikanerin ," deren Zahl etwa 40 betragen mag,
eine neue Oper zureebt zu stutzen, und hätte sich bereits ein Dich-
ter zur Verfertigung eines passenden Libretto's erboten.
*** Frau Lemraens-Sherington ist für die italienische
Oper in Madrid engagirt worden.
*** 1« Brüssel hat der Opernchor wegen zu geringer Bezahlung
Strike gemacht und ist aus der Vorstellung der „Afrikanerin" weg-
gelaufen, so dass man mit Mühe noch aus benachbarten Gastwirth-
schaften etwa 10— 12 Choristen zusammenholte und zur weiteren
Thätigkeit beredete, um wenigstens die Vorstellung zu Ende führen
au können.
*** Die vor Jahresfrist abgebrannten Theater in London (Surrey-
Theater) und in Edinburg sind bereits wieder aufgebaut und eröffnet.
*** Von Franz Liszt sind zwei neue Corapositionen für
Ciavier allein erschienen , unter der seltsamen Betitlung : „Franz
von Assisi's Vogelpredigt" und „Franz von Paula auf den Wogen
schreitend."
*** G o u n o d's Oper „Mireille" ist am 28. December in Mar-
seille aufgeführt worden unter grossem Andrang des Publikums, doch
ist der Erfolg lange nicht mit dem des „Faust" zu vergleichen.
*** Frl. Baraldi dell' Ära vom Scalatheater in Mailand
hat in Dresden eine musikalische Soiree gegeben , in welcher sie
mehrere Arien aus italienischen Opern vortrug, ohne sich jedoch
eines grossen Erfolges zu erfreuen.
*** Die bekannte Concertsängerin Frl. von Tiefensee hat
am Teatro Ristori in Verona, wie man uns schreibt und mit Zei-
tungsstimmen belegt, ein erfolgreiches Engagement gefunden. Die
Veroneser sind namentlich über ihre Leistung als Vestalin in der
gleichnamigen Oper von Mercadante entzückt. Bis Mitte Dezember
war sie vierzehnmal in dieser Rolle aufgetreten. Im zweiten und
dritten Acte pflegt sie dann und wann die Variationen von Rode
einzulegen.
V Der Pariser Sänger F a u r e hat vom Sultan den Medschidje-
Orden erhalten.
Vertmtw. Red. Ed. Fächer er. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
jw* &.
29. Januar 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
} lungen.
V © tr 8 a g
-i/*
*
von
| PREIS:
1*1.2. 42kr.,0d.Th.UI8Sg.
»■ I für den Jahrgang.
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ. j im u. Post b^g» :
^ 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co. jU~~™~ ^
INHALT: Die Wahl der Tonart. — Correspondenzen : Mainz. Frankfurt. Mannheim. — Nachrichten.
Hie Wahl der Tonart. *)
Obgleich durch die Einführung der gleichschwebenden Tempe-
ratur die tonalen Unterschiede der einzelnen Tonarten unter sich
ausgeglichen sind, ist die Wahl der Tonart für die Ausführung be-
stimmter Tonstücke doch noch nicht gleichgiltig geworden. Zunächst
wird diese Wahl durch die besonderen Organe bedingt, welche das
betreffende Tonstück ausführen sollen. Der Umfang der einzelnen
Singstimmen ist ziemlich genau begrenzt und innerhalb desselben
sind wieder die wirksameren Register von den unwirksameren ziem-
lich bestimmt geschieden, Auch die bestgeschulten Sänger werden
über die Töne der bequemen Register ihrer Stimme mit grösserer
Leichtigkeit verfügen als über die von Natur weniger bequemen.
Hiernach muss sich natürlich auch die Wahl der Tonart richten.
Es müssen diejenigen gewählt werden, welche der Stimme den wei-
testen Gebrauch der ihr bequemsten Töne gewähren. Dem Bass
werden beispielsweise die Tonarten B — ff — C — Cis- und D-dur
und moll bequemer in authentischer Führung, von Tonica zu Tonica
sein ; die anderen dagegen in plagalischer, von Dominant zu Domi-
nant. Dasselbe gilt im Allgemeinen auch vom Alt, und bei dem
Tenor und dem Sopran dürfte das Verhältniss umgekehrt sein. Dass
einzelne Blasinstrumente sich gewisser Tonarten ganz enthalten
müssen, darf ebenfalls als bekannt vorausgesetzt werden. Aus dieser
eigentümlichen Stellung der einzelnen ausführenden Organe schon
geht folgerecht auch eine gewisse Characteristik der ein-
zelnen Tonarten hervor. Diese ist in weiterem Umfange, obwohl
durch die Praxis hinlänglich bewiesen, doch von der Theorie häufig
abgeläugnet worden. Seit Einführung des modernen Tonsystems
und der sogenannten gleichschwebenden Temperatur hält man eben
alle Unterschiede der einzelnen Tonarten bis auf die, welche durch
die ausführenden Organe erzeugt werden , für verwischt. Dass die
letztern nicht so gering sind , ergibt die einfachste Untersuchung.
Die nachstehend verzeichneten , ganz gleichmässig construirten und
bis auf die letzten beiden auch gleichmässig an den Singstimmmen
vertheilten Accorde machen," nicht nur in Beziehung zu einander
gebracht, Bondern für sich betrachtet, eine verschiedene Wirkung:
Tenor. »c\-^_
Bass. I 5/t —
Es bedarf keines weiteren Nachweises, wie durch die eigenthümliche
Lage der beiden Männerstimmen namentlich die ganz gleich con-
struirten Dreiklänge a, b c, d in der Wirkung unterschieden sein
müssen und dass, weil wie unter e und f dargethan ist, in einzelnen
Tonarten die weite Harmonie vorherrschend sein muss, auch diese
*) Der „Neuen Berliner Musikzeitung" wegen des allgemeinen In-
teresses dieses vielbesprochenen Thema's entnommen. D. Red.
Tonarten ein von den anderen wesentlich verschiedenes Klanggepräge
gewinnen müssen. Dieser mehr relative Gharacter der Tonarten
wird auch von den Gegnern nicht ganz abgeläugnet, wohl aber der
absolute , und wir meinen , mit Unrecht. Es ist aber nicht nur
Rücksicht auf die ausübenden Organe, welche die F-dur-Tonart bei
den Contrapunktisten des sechszehnten Jahrhunderts zur vorwiegend
gepflegten Lieblingstonart machte, oder welche Beethoven bestimmte,
die Eroica in Es-dur, die Pastorale in A-dur zu schreiben und die
ihn für seine neunte Sinfonie, oder die Mozart für sein Requiem
und für die erschütterndste Scene im „Don Juan" die D-moll-Tonart
wählen Hessen. Vor allem aber liefert die moderne Clavierliteratur
den schlagendenslen Beweis dafür, dass in den Tondichtern ein Ge-
fühl für die feinste Characteristik der Tonarten lebt. Aus den
Werken der sogenannten Romantiker scheinen die einfachen, näher
auf die Normaltonleiter bezogenen Tonarten (G — F- und D-dur
E- und A-moll), wie die Normaltonart selbst, fast verdrängt; min-
destens finden wir jene entfernteren, auf die Halbtöne cis des, es,
fis und ffes, as und b begründeten Dur- und Moll - Tonarten weit
häufiger angewendet als jene, und dies bei einem „wohltemperirteu"
Instrumente. Wie schwer der wissenschaftliche Nachweis für diese
Erscheinung zu führen ist, wird hinlänglich dadurch bewiesen, dass
selbst die Physiologie uud Akustik, welche die Tonemp findung
zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung machen, jene Frage
noch als eine offeue behandeln. Um so mehr scheint es geboten,
dieselbe immer wieder neu aufzuwerfen, und die Möglichkeit der
Beantwortung zu versuchen oder doch zu fördern. Uns erscheint
es zuuächst ganz unzweifelhaft, dass die verschiedene Tonhöhe
der Tonleitern und der Accorde bei sonst gleicher Construction, auch
für sich betrachtet, eine erkennbare wie künstlerisch durchaus ver-
wendbare Verschiedenheit der Wirkung erzeugt. Für unser Empfin-
den hat der D-dur- Dreiklang und die durch ihn bedingte Tonart
ein weit helleres Gepräge als der tiefere C-dur-Dreiklang; und ein
Tonstück in D-dur ausgeführt, muss im Klange sich von der Aus-
führung in C-dur, bei ganz unveränderten inneren Verhältnissen,
ebenso unterscheiden , wie der einzelne Ton c von dem Tone d.
Die Versetzung eines Toustückes um eine Stufe höher muss not-
wendig auch die entgegengesetzte Wirkung hervorbringen, wie die
Versetzung nach einer tieferen Stufe. Dass aber dieser Steigerungs-
oder Abschwäcbungsprozess nicht in dieser Weise gleichmässig fort-
geht, hat unserer Ansicht nach seinen Grund in der nähern oder
weitern Beziehung der Töne der Normaltonart uuter sich , wie zur
chromatischen Tonleiter. Die Töne der Tonleiter sind unter sich
durchaus nicht indifferent, sondern sie treten in nähere oder weitere
Beziehung zu einander, und diese muss sich bei ganz gleicher Con-
struction auch auf die über ihnen erbauten Tonleitern erstrecken,
so dass, wie die Terz e dem Grundton c näher verwandt ist als die
Secunde d, auch die auf jener erbaute E-dur-Tonart der C-dur-Ton-
art im Klange näher verwandt ist als die D-dur- Tonart, obgleich
jene wiederum höher ist als diese. Dem entsprechend gewinnen wir
in der, in der Tonleiter folgenden F-dur-Tonart sogar eine Vertiefung
der Grundatimmung. Wir müssen immer wiederholen, dass wir die
18 —
ganz gleiche Construction voraussetzen. Denn die E-dur-Tonart in
den tieferen Lagen verwendet, gewinnt natürlich ein viel weicheres
Colorit als die C-dur-Tonart in den höheren Lagen ausgeprägt, und
die F- dur -Tonart wird in ihren höheren Lagen festlicher klingen
als die drei erwähnten Tonarten in ihren unteren Regionen. Die
weitere Characteristik der Tonarten, wie die G-dur- Tonart den
hellen, aber mild plagalischen Character der Dominant gewinnt, der
sich in der A-dur-Tonart so steigert, wie der Character der C-dur-
Tonart in der D-dur-Tonart und wie endlich die H-dur-Tonart ein,
wir möchten sagen, spitzes Colorit des Leittons gewinnt, ist nach
alledem leicht ersichtlich. Wie uns ferner die chromatischen Halb-
töne als Trübungen oder auch als Steigerungen der diatonischen
Töne erscheinen, so empfinden wir die Des-dur-Tonart wie die Es-
und Ges- und As - dur - Tonart in ihrem Klange getrübt, gegen die
erwähnten Normaltonarten. Die Des-dur-Tonart erscheint uns ver-
hüllter als die D-dur-Tonart; die Es-dur-Tonart nicht schreiend und
schwankend wie die E-dur-Tonart, sondern mehr energisch festlich,
und Ges- und As-dur wiederum verhüllter im Klange als die G- und
A-dur-Tonart. Wie die chromatischen Töne zwischen den diatoni-
schen liegen, so die auf auf ihnen erbauten Tonarten ihrer Klang-
farbe nach. Für die Ausprägung des specifischen Characters wird,
-wie erwähnt, die besondere Behandlung der Tonart wesentlich be-
stimmend und so erscheint es allerdings thöricht, diese Characte-
ristik anders als in allgemeinster Weise zu fassen. Sie bestimmt
in Worte zu bringen, wie das eine Reibe Theoretiker bis auf Marx
versucht haben , erscheint durchaus unzulässig. Aber dem Compo-
nisten erwachsen in ihr nicht zu unterschätzende Darstellungsmittel,
namentlich auch dadurch, dass einzelne Tonarten zu ihrer reicheren
Ausstattung gern entferntere, andere dagegen gern näher verwandte
aufnehmen. Die unterscheidende Wirkung der Moll -Tonarten von
den Dur-Tonarten ist hinlänglich bekannt. Im Uebrigen entspricht
die Characteristik der Moll -Tonarten unter sich dem bei den Dur-
Tonarten Erörterten. Nur kommt hierbei auch noch neben der
jedesmaligen Stellung innerhalb der Tonleiter der Character der
parallelen Dur-Tonart in Betracht. A. Reissmann,
CO^RESPONDENZEN.
Aus Main k»
25. Jinnar.
Gestern Abend fand im hiesigen Stadttheater ein Concert der
Ullmann'schen Künstlergesellschaft, bestehend aus Frl. C a r 1 o £t a
Patti und den HH. Roger, L.Brassin (Pianist) und J. Des wert
(Violoncellist) statt. Das Haus war in allen Räumen gefüllt, ob-
gleich an demselben Abend ein Ball im grossen Casino zum Guten-
berg und überdiess eines der hier so beliebten Concerte der öster-
reichischen Militärmusik im Narrhallasaal stattfanden, und Ulimann
mit Frl. Patti nun bereits zum drittenmale hier concertirte. Das
früher angekündigte Programm dieses Concertes enthielt auch den
Namen des treulichen Vieu xtemps, und es ist uns nicht bekannt
geworden, aus welchen Gründen wir auf den Genuss ihn wieder
einmal zu hören verzichten mussten. Sollte er das einförmige, auf
die Dauer wohl gar geistlähmeude Nomadenleben unter Ullmann's
Führuag müde geworden sein ? Zu verwundern wäre dies gewiss
nicht. Trotz alledem muss man dem rührigen Impresario die Ge-
rechtigkeit widerfahren lassen, dass er es versteht, sein Künstler-
contingent stets in interessanter Weise neu zu recrutiren und somit
auch seinem wiederholten Erscheinen in ein und derselben Stadt
mit der in ihrer Art unvergleichlichen Carlotta Patti immer wieder
neuen Reiz und unverminderte Zugkraft zu verleihen.
Eine ganz neue und zwar eine recht erfreuliche Erscheinung
war Hr. Des wert, ein Violoncellist mit ungewöhnlichen Vorzügen
ausgestattet , als da sind : ein schöner, edler, und wenn auch nicht
auffallend starker, doch saftiger und markvoller Ton, eiue vollendete
Technik (er besitzt besonders ein ausgezeichnetes Staccato), tadel-
lose Reinheit der Intonation und ein geschmackvoller Vortrag. Von
letzterem gab gleich zu Anfang des Concertes die Ausführung der
Beethoven'schen A- dur -Sonate für Pianoforte und Violoncell mit
Hrn. Brassin Zeugniss. Die beiden Künstler brachten das interes-
sante Werk in einer Weise zu Gehör, wie wir es noch selten vor»
tragen hörten, und hatten gleichen Anspruch auf den ihrer schönen
Leistung gespendeten reichlichen Beifall. Hr. Deswert spielte ausser-
dem noch ein Andante und Rondo von Molique und hatte dabei
Gelegenheit, im Cantabile wie in Ueberwinduug der grössten tech-
nischen Schwierigkeiten sich als Meister zu bewähren.
Roger sang den „Erlkönig" von Schubert, „Grüss euch, liebe
Vögelein" von Gumbert und die Soldatenarie des George Brown aus
der „weissen Dame". Ja, Roger! Das ist nun wieder so ein
kitzlicher Fall, wo die grimmige Pflicht des Recensenten in argen
Conflict kommt mit seinem an und für sich guten Herzen. Nicht
als ob Roger nicht mehr derselbe liebenswürdige Sänger wäre , als
welcher er so viele Jahre lang die Welt entzückte durch die unver-
gleichliche Grazie seines Vortrags, durch seine vollendete Gesangs-
bildung und durch seine meisterhafte Auffassungsgabe , — dies
Alles besitzt er noch wie früher, aber — ultra posse kann eben
Keiner hinaus, und das posse hat doch sehr stark abgenommen,
wenn auch das Wissen und das Wollen noch immer dasselbe ge-
blieben ist. Trotz der nur zu merklichen Abnahme seiner natür-
lichen Mittel hat aber Roger, und das muss constatirt werden, den-
noch vom Publikum , das ihn schon bei seinem ersten Erscheinen
lebhaft begrüsste, die rauschendsten Beifallsbezeugungen und mehr-
fach wiederholten Hervorruf geerndtet. Dass man den Meistersänger
zur Wiederholung der Soldatenarie zwang , erschien uns geradezu
grausam, und dass Roger wirklich wenigstens die zweite Hälfte der
Arie wiederholte , war ein seltener Beweis eines liebenswürdigen
Entgegenkommens.
Ueber Hrn. Brassin haben wir schon bei Gelegenheit seines
Auftretens dahier (ebenfalls in Gesellschaft der Frl. Patti) unsere
vollkommen günstige Meinung ausgesprochen, die wir nach seinen
diesmaligen Leistungen sowohl im Vortrage der Beethoven'schen
Sonate, wie seiner eigenen Compositionen , hiermit neuerdings be-
stätigen wollen. Auch über Frl. Patti bleibt uns nichts übrig,
als auf uuser schon zweimal in diesen Blättern über sie abgegebenes
Urtheil zu verweisen und hinzuzufügen , dass sie diesmal mit der
ihr einzig eigenen Virtuosität eine Arie aus Verdi's „Traviata," ein
für sie eigens componirtes Lied, „die Nachtigall" von Muzio und
Bravour- Variationen Von Proch vortrug, dass sie lebhaft empfangen,
nach jedem Auftreten mehrmals gerufen wurde und am Schlüsse
noch das von ihr mit so hinreissender Meisterschaft gesungene
„Lachlied" zum Besten gab. E. F.
Aus Frankfurt a/M.
Im dritten Concert des Museums wurden aufgeführt: Bruchstücke
aus Fr. Schubert's Sinfonien; das Es - dur - Concert von Beethoven;
Ouvertüre zu „Cansemire" vonFesca; dazwischen Ciavierstücke von
Frau Schumann und Gesänge von Hrn. Haus er aus Carlsruhe.
Die Zusammenstellung der Schubert'schen Bruchstücke rührt
von einem Wiener Concert -Unternehmer her, der glaubte, seinen
Landsleuten auf diese Art Schubert geniessbarer zu machen. In
wenig ingeniöser Weise hat er das Fremdartigste zusammengestellt:
nicht blos Stücke von verschiedenen Tonarten, sondern auch von
gänzlich verschiedenem Character. Es waren die zwei ersten Haupt-
stücke aus der fünften, der tragischen Sinfonie (C-moll, comp. 1816),
das dritte Hauptstück (Scherzo) aus der sechsten (C-dur, comp. 1818)
und das Schlussstück aus der vierten (D-dur, comp. 1815). Die zwei
ersten und das dritte Stück würden, weil in gleicher Tonart (C-moll
und C-dur, noch zu einander passen ; das vierte beeinträchtigt schon
durch die ganz fremde Tonart (D-dur) die Grundstimmung, als Schluss
eines heiteren Werkes zerstört es aber den ganzen Eindruck, wel-
chen der Beginn einer tragischen Sinfonie hervorrufen musste.
Genau dieses Wiener Programm hat das Frankfurter Museum
bei seiner Aufführung copirt. Die beiden ersten Stücke erinnern an
ihre Vorbilder, die Es-dur- und die C-moll-Sinfonie von Beethoven.
Das Andante stellt ähnliche Empfindungen dar, wie in dem Trauer-
marsch der Helden-Sinfonie. Auch das dritte Hauptstück (Scherzo)
lässt in seinem elastischen Schwung und dem drastischen, kecken
Humor den Nachfolger Beethoven's erkennen, während das vierte
in seiner Beweglichkeit und Flüssigkeit mehr an Mozart's Weise
- 19 -
gemahnt. Sieht man von dem idealen Zusammenhang ab, so muss
man sagen, die Stücke waren in ihrer Art characteristisch und tech-
nisch tadellos ausgeführt. Die Zuhörer nahmen sie mit grösserem
oder geringerem Beifall auf; am meisten schien das zweite und
vierte Stück zu gefallen.
Von dem übrigen Theile des Concertes erwähne ich nur das
Zusammenspiel von Frau Schumann und Hrn. Hauser aus Carlsruhe.
Hr. Hauser sang die „Frühlingsnacht" von R. Schumann , jenes
wunderbare Lied voll blühender Pracht; Frau Schumann spielte die
Clavierstimme. Sie führten es mit übei massiger Schnelligkeit auf;
es war aber ein Erguss der innigsten, edelsten Hingebung.
Im vierten Concert kamen die 7. Sinfonie (A-dur) von Beethoven,
ein Concert von Rubinstein und die Ouvertüre zur „Fingalshöhle"
von Mendelssohn zur Aufführung. Die A-dur-Sinfönie von Beethoven
ist eine seiner populärsten ; sie ist am leichtesten darstellbar und
am verständlichsten. Das zweite und dritte Hauptstück werden hier
immer gegen die Beethoven'scbe Vorschrift gespielt. Das zweite hat
Beethoven „Allegretto" überschrieben, und hier spielt man's wie
einen Trauermarsch, Das dritte ist bezeichnet „Presto ,'* und im
Trio „Presto meno assai iC . Presto heisst nichts anderes als „ ge-
drängt, hastig," meno presto also „weniger hastig". Hier spielt
man das presto immer citissime und das meno presto in sehr be-
haglicher Langsamkeit. Das ist gegen den Buchstaben wie gegen
den Geist. Denn wenn nach der Raserei auch eine völlige Ruhe
gerechtfertigt wäre, — aus der Ruhe dann (bei der Wiederholung)
wieder in die Raserei verfallen , das könnte nur ein Rasender !
Beethoven hat aber nichts weniger als einen solchen darstellen wollen.
Das Stück ist weiter nichts als ein Bauerntanz; das Trio ist eine
Art feierlichen Aufzug, wie ihn die Bauern sehr häufig zwischen dem
Tanz machen. Der Walzer-Tact geht fast in derselben Schnelligkeit
fort; die Accente bezeichnen die Schritte, in denen die Tanzenden
halb wiegend und tanzend einherziehen. Die Prüderie, die sich vor
einem Bauerntanz scheut, sieht vor lauter Bäumen den Wald nicht!
Das Concertstück von Rubinstein ist ein formloses Werk. Da
ist keine Spur von Melodie , d. h. der einen singenden Menschen
•characterisirenden Weise, keine Durchführung einer solchen Melodie-
artigen Form, keine Gruppirung von Sätzen, kurz gar nichts, was
nur äusserlich an ein Kunstwerk erinnerte. Dass man solche Sachen
-aufführt, beweist, wie planlos man bei der Auswahl der Stücke zu
Werke geht. Hr. Cossmann aus Weimar spielte das Concert ;
dass er nicht völlig damit durchfiel , verdankt er dem guten Ruf,
den er hier geniesst.
Im fünften Concert wurde gebracht: die 1. Sinfonie (Op. 38,
B-dur) von Schumann ; das G-dur-Concert von Beethoven , und die
Ouvertüre zu „Waldmeisters Brautfahrt" von Goltermann. Die Sin-
fonie stammt aus Schumann's glücklichster Zeit; er schrieb sie 1841,
ein Jahr nach der Vermählung mit der trefflichen Frau, die wir in
ihrer ewigen Jugendfrische stets bewundern. Alles Liebesglück,
was er in seinen Liedern aus damaliger Zeit („Frauenliebe und Lehen,"
„Myrthen," Liederkreis von Eichendorf u. A.) ausgesprochen, das
jubelt aus dieser Sinfonie. Das braust und sprudelt, strömt und
quillt; das kann nicht mehr sprechen, das kann nicht mehr singen,
hervor muss es auf Einmal. Ueberglücklich , dass ist der Sinn des
ersten Hauptstücks. Im zweiten kommt die innige, schwärmerische
Ruhe; eine ahnungsvolle Freude, wie in der „Fremde," in der „Mond-
nacht" und verwandten Liedern durchzieht das Stück. Aus der
Ruhe drängt's wieder hinaus (drittes Hauptstück); als wäre das Leben
nur zur Freude da, so geht's in wildem Taumel fort und fort. —
Im Schluss erst, tritt der reflectirende Künstler hervor, der nicht
seine Freuden, seine Schmerzen, sondern das Schicksal der Anderen
an sich vorüberziehen lässt.
Technisch betrachtet, ist sie ein ausserordentlicher Fortschritt
gegen seine früheren Instrumental-Werke. Die Melodie ist einfacher
gebildet, die lang gewundenen oder barock abgebrochenen Phrasen
sind vermieden, die Harmonie ist natürlicher, die Satztheile und
Gruppen ebenmässiger geordnet. Was noch fehlt, ist das höhere
Kunstbewusstsein über Melodie-Bildung, Modulation und Gruppirung,
das wir bei Beethoven finden. Die Haupt-Melodie des ersten Haupt-
stückes tritt in zwei Hälften auf, einer auf- und einer absteigenden.
Jene kommt mit dem ganzen Chor, diese nur von den Geigen; jene
geht in breiten Stufen, diese in trippelndem Schritt. Das sind schon
Gegensätze , die ans Komische streifen. Humor läge darin , wenn
die Weisen nur selten aufträten; aber die erste v^rd zum Ermüden
gehetzt, die zweite kommt nur spärlich dazwischen, sie kann dem
Colossalen gegenüber gar nicht mehr wirken. Die Modulationen in
anderen Harmonien sind immer richtig ; aber nach der dritten Ton-
art kommt er wieder auf die erste zurück, anstatt immer weiter zu
entwickeln. Im ersten Theil sind die drei Sätze ebenmässig, im
zweiten aber nicht. In der Einleitung fehlt der Mittelsatz, der die
Ruhe von der fortwährenden Aufregung brächte, gänzlich; der ganze
zweite Theil geht desshalb in ewiger Rastlosigkeit mit ermüdender
Wirkung an uns vorüber. Theilweise neue und schöne Erfindungen
hat Schumann im Rythmus gemacht, besonders in verschiedenen Arten
von Syncopen. Darin wetteifert er selbst mit Beethoven, Das Werk
tritt nach seiner ganzen Erscheinung, nach Idee und Form als ein
äusserst interessantes auf. Kunstfreunden ist es zum Studium ange-
legentlichst zu empfehlen.
Das G - dur - Concert von Beethoven spielte Frau Szarvady.
Im dritten Concert wollte sie schon auftreten, da wurde sie unwohl,
und Frau Schumann trat für sie ein. Die Einen bedauerten, die
Anderen begrüssten den Tausch. Man muss die Künstlerinnen in
ihrer Eigenart erfassen , dann wird man für beide Interesse finden.
Frau Schumann ist in ihrem Spiel grossartig, voll tiefer Leidenschaft,
ein ernster , männlicher Zug geht durch jede Darstellung. Frau
Szarvady ist fein, zierlich; nicht die Macht der Leidenschaft, aber
das Anmuthige, Liebliche ist's, was an ihr Spiel fesselt. Das Es-
dur-Concert passt desshalb mehr für Frau Schumann, das in G-dur
mehr für Frau Szarvady. — Hr. Bachmann aus Cassel sang zwei
Arien, aus „Joseph" von Mehul und aus Gluck's „Iphigenia in Tauris.*
Er hat eine prächtige Stimme, nur Schade, dass er durch eine un-
glückliche Lehrweise oder Ueberanstrengung die hohe Lage schon
beschädigt bat. Goltermann' s Ouvertüre zu „Waldmeisters
Brautfahrt" ist ein anmuthiges Werk, das leicht fliessend an uns
vorüberzieht.
Im sechsten Concert kam eine Suite (F-dur) von H. Esser, das
IX. Violinconcert von Spohr, die Ouvertüre zu „Coriolan" von Beet-
hoven u. A. zur Aufführung. Die Suite von Esser ist dessen 70. Werk.
Sie besteht aus fünf Hauptstücken. Das erste, Introduction (F-dur),
iBt für eine blosse Einleitung zu lang, für das Hauptstück eines
sinfonischen Werkes fehlen ihm aber die charakteristischen Weisen,
wie die Gegensätze. Dagegen das zweite Hauptstück , Andante
pensieroso, ist klar und bestimmt gezeichnet, die Gegensätze in
D-moll und F-dur klar von einander gestellt. Das dritte Hauptstück,
Scherzo (D-moll), bringt dieselbe Weise wie im vorhergehenden
Stück in veränderter Bewegung. Hier ist der Componist durchaus
correct; überall ebenmässige Gegen-Bewegung der Stimmen (Contra-
puukt), wohlthuender Wechsel im Rythmus und richtige Folge der
Tonarten. Kur die enge Form der Weisen unterscheidet dieses von
den Werken unserer grossen Meister. In lieblicher, anmuthiger Weise
geht das vierte Hauptstück, Allegretto grazioso (A-dur). Fein
zierlich , wie im vorhergehenden , Bind auch hier die Formen zuge-
schnitten. Ganz unerwartet pathetisch beginnt dann das Schlussstück
(F-dur), erst Tempo dt Menuetto, dann Allegro vivace. Wegen
seines Aufschwungs im Anfang, im Gegensatz zu den kleinere For-
men im Vorhergehenden, macht es den bedeutendsten Eindruck. —
Die Aufführung im Museum war durchaus gut; Hr. Müller hat
für die feine, zierliche Arbeit mehr Sinn als für das Grosse, Pathe-
tische. Das Werk macht einen sehr guten Eindruck; die Zuhörer
nahmen es mit lebhaftem Beifall auf.
Hr. Grün aus Pesth spielte die Violin-Stücke. Er spielt fein,
zart und eifert sichtlich Joachim nach, Diesem kommt er auch
sehr nahe, bis auf den Punkt, wo es gilt, eine grosse Inspiration
des Augenblickes zu zeigen — da zeigt sich der Unterschied. —
Frl. Eggeling aus Braunschweig sang eine Arie und ein paar
Lieder. Grossen Beifall fand sie in den kleinen humoristischen
Liedern von Rheinthaler und Abt.
Wie ein Donnerwetter schlug in dieses idyllische Getreibe die
„Coriolan"-Ouvertüre. Sie ist aus dem gröbsten Granit gehauen,
den Beethoven je verarbeitete. Sie stammt aus dem Wiuter 1806 — 7,
ward dann als 62. Werk herausgegeben. Beethoven schrieb sie zu
dem Trauerspiel von Kollin. Marx nennt sie eine Schilderung
des Zornes; eine Darstellung des starrsinnigen Aristokraten, der
allein der allgemeinen Empörung Trotz zu bieten wagt und darum,
sich selbst vernichtend, untergeht. So oft das Werk vorgeführt wirct
- 20 -
macht es einen ungeheuren Eindruck; awei Stunden voll musikali-
scher Quälerei kann man bei den ersten Schlägen vergessen.
Heinrich Becker.
n » d »
Ans Mannheim«
Während der nun verflossenen ersten Hälfte der diesjährigen
Wintersaison hat, durch die verschiedenenCorporationen herbeigeführt,
eine Reihe von Concert- Aufführungen stattgefunden, welche vieles
Interessante, theilweise hier noch nicht Gehörtes enthielten. In der
ersten Academie des Hoftheaterorchesters kamen folgende Musik-
stücke vor : Vierte Sinfonie (B-dur) von Niels Gade (zum erstenmal) ;
Gesangsvorträge des damals zum Gastspiel in der Oper hier anwe-
senden Frl. von Edelsberg: Arie (E-dur) aus „Cosi fan tutfe,'
„der Wanderer" und „Erlkönig" von F. Schubert; Ciaviervorträge
von Hrn. E. Mertke: Grosse Fantasie für Ciavier von Fr. Schu-
bert, instrumentirt von Liszt, Präludium von S. Bach, „1a Gondola"
von Henselt und „Etüde" von Rubinsteiu; zum Schluss die Ouver-
türe zur Oper „Cantemire" von Fesca. Die Sinfonie von N. Gade
machte durch ihren freundlichen Character und ihre frischen, mit
Ungezwungenheit durchgeführten Motive, sowie durch geschmackvolle
Instrumentirung einen äusserst freundlichen Eindruck, und erwarb
sich die allgemeinste Anerkennung. — Frl. von Edelsberg, welche
schon durch ihre Gastdarstellungen in der Oper , als Rosine im
„Barbier" und als Margarete in Gounod's „Faust", Bich auf's Vor-
theilhafteste bekannt gemacht hatte , entfaltete in ihren Vorträgen
ihre grandiosen Stimmmittel aufs Glänzendste, wozu die von ihr
gewählten Gesangsstücke die reichste Gelegenheit boten. Nament-
lich erfreute uns bei ihrem Vortrag des „Erlkönig" die von ihr be-
obachtete Mässigung im Dramatisiren , welche von manchen Sänge-
rinnen grössten Renommees eben nicht zu rühmen ist. - Hr. E. Mertke,
welcher hier zum erstenmale auftrat , zeigte sich als Clavierspieler
von eminenter Technik, welche ganz besonders durch seinen Vortrag
der Etüde von Rubinstein, wohl einem der interessantesten Ciavier-
werke des Coniponisten, aufs vollkommenste gewürdigt wurde. Die
Von Liszt der Schubert'schen Fantasie oktroyirten höchst schwierigen
Fassagen litten an Unklarheit, deren Urheber jedoch offenbar der
Verfasser selbst ist ; auch trägt die von demselben unternommene
Instrumentirung nicht wenig zur Erschwerung der Aufführung bei.
Das Programm der zweiten Academie bestand aus folgenden
Nummern: Ouvertüre zu „Melusine" von Mendelssohn ; Violinconcert
in D-moll von David , gespielt von Hrn. Concertmeister K o n i n g ;
Madrigale englischer Composition aus dem 16. und 17. Jahihundert;
Adagio für die Violine von Tartini, gespielt von Hrn. Koning; zwei
Weihnachtslieder für 6stimmigen Chor von Job. Herbeck, und zum
Schluss Beethoven's A-dur- Sinfonie. Die schwungvolle, fein nüan-
cirte Aufführung der letzteren übte , wie gewöhnlich , ihre electrisi-
rende Wirkung auf die gespannt lauschenden Zuhörer aus. Das
Clavierconcert von David wurde von Hrn. Koning mit vollendeter
Meisterschaft und unter freudigster Anerkennung des Publikums vor-
getragen. Eine interessante und für unsere Concerte neue Erschei-
nung waren die von mehreren Mitgliedern der hiesigen Oper vorge-
tragenen Madrigale, deren erstes von John Ward (1608). das zweite
von Th. Morley (1595) und das dritte von Tb. Weelkes (1600) war.
Während das erste derselben wegen seiner etwas zu häufigen Imiti-
rung einzelner Motive ziemlich monoton erschien, fanden die beiden
andern durch frischere Erfindung und freundlichere Haltung um so
grösseren Anklang, und wir erachten es als ein Verdienst von Seiten
des Hrn. Hofcapellmeisters V. Lachner, solche Probeu einer in
früherer Zeit zu so grosser Bedeutung und Beliebtheit gelangten
Compositions- Gattung dein Concert- Publikum vorgeführt zu haben.
Die beiden Weihnachtslieder von Herbeck, welche in ährer einfachen
Structur den freundlichsten Eindruck machten, sind jedem Gesang-
vereine sehr zu empfehlen.
Kurz nach der soeben besprochenen Academie erfreute uns Hr.
Prof E. Pauer aus London, ein Liebling unseres musikalischen
Publikums, durch die Veranstaltung eines grösseren historischen
Concertes zum Vortheile des hiesigen Hoftheater-Orchesters, dessen
wohlgewähltes Programm uns Musikstücke aus dem Zeitraum vou
1685 bis auf unsere neueste Zeit vorführte, und zwar in angemesse-
ner Abwechslung von Gesang- und Instrumentalstückeu. Wir zählen
nach Vorgang des Programmes dieselben in chronologischer Ordnung
auf, und führen später die Namen der Ausführenden bei. Erste
Abtheilung: Ouvertüre von Händel (Messias); Solo -Concert für
Pianoforte („nach italienischem Gusto") von S. Bach; „Qual ane>
lante" (Anfang des Psalm: „Wie der Hirsch schreit nach frischem
Wasser"), Duett für zwei Soprane von Benedetto Marcello ; Fuge in
F-dur von Job. Ludw. Krebs (Lieblings -Schüler von J. S. Bach);
Andante und Presto von Ph. Em. Bach ; Allegro von J. Ph. Kirn-
berger (diese 3 Stücke für Ciavier) ; 1. Satz aus dem Violinconcert
Nro. 22 von Viotti. — Zweite Abtheilung: Ouvertüre aus „Cosi fan
tutte" von Mozart ; Sonate Op. 54 von Beethoven ; Arie aus Haydn*s
„Stabat mater"', Nocturne pastorale von John Field ; Rondo
brillant, Es-dur, von C. M. v. Weber; „Erstarrung," „Ungeduld,"
Lieder von Fr. Schubert ; „Gruss," zweistimmiges Lied von Mendels-
sohn; „Widmung," „Sonntags am Rhein," Lieder von R. Schumann ;
„Hexameron" grosse Concert -Variationen über ein Thema von
Bellini, componirt von Liszt (und zwar von diesem: Einleitung
nebst Thema, 2. Variation und Finale), Thalberg (1. Variation),
Pixis (3. Var.), Herz (4. Var.), Czerny (5. Var.) und Chopin
(Intermezzo).
Es dürfte kaum zu bemerken sein, dass Hr. Pauer sämmtliche
Ciaviervorträge übernommen hatte; derselbe zeigte sich hierbei in
einer staunenswerthen Vielseitigkeit, vermöge welcher er dem Cha-
racter jedes der einzelnen Stücke vollkommen gerecht zu werden
wusste; es ist dies eine Frucht langjährigen Studiums, mit welchem
die genauesten historischen Forschungen Hand in Hand gingen. —
-Was nun die übrigen Vorträge betrifft, so waren ausser dem Or-
chester in den beiden Ouvertüren und dem Violinconcert, sowie
bei Begleitung einiger Gesangs nummern , folgende Persönlichkeiten
betheiligt: Frl. Hentz und Frau Wlczek sangen das Duett von
Marcello und Mendelssohn's zweistimmiges Lied ; die Arie von Haydn,
sowie die Lieder von Schubert und Schumann Hr. Drach aus Carls-
ruhe , ein Dilettant von seltener musikalischen Begabung und im
Besitz einer sonoren und biegsamen Barytonstimme. Das Violin-
concert von Viotti spielte Hr. Koning, nebst der von David. dazu
eingelegten Cadenz ganz im Geiste des Componisten , was um so
verdienstlicher erscheint, da Viotti einer der älteren Violincomponisten
ist, die dem Gesichtskreis (wenn man so sagen darf) der Violinvir-
tuosen jetziger Zeit ziemlich oder gänzlich fernliegen. Hrn. Pauer
aber, dem Veranstalter eines so seltenen Concerts, wurde mit den
lebhaftesten Beifalhbezeugungen zugleich auch der gebührende Dank
von allen Seiten dargebracht, (Schluss folgt.)
]f a e li r i e h t e ii.
Wien. Das am 27. d.M. stattfindende Concert der Frau Clara
Schumann bringt folgendes Programm : Sonata appassionata
(F-moll) von Beethoven ; Präludium aus den „sechs Präludien und
Fugen für Orgel" von S.Bach; Fantasie Op. 17 von R.Schumann;
Caprice (E-dur, Op. 33) und „Lied ohne Worte" (C-dur) von
Mendelssohn.
*** Dr. Ludwig Nohl beabsichtigt noch weitere Briefe von
musikalischen Notabilitäten herauszugeben , und fordert diejenigen,
welche im Besitze derartiger Schriftstücke sind, auf, ihm dieselben
gefälligst mittheilen zu wollen.
*** Der Hofcapell - und Theater - Intendant Frhr. Gustav von
Meyern in Coburg ist zum General -Intendanten des herzogl.
Hoftheaters und der Hofcapelle ernannt worden.
*** Am Neujahrstag fand in Paris die 90. Aufführung der „Afri-
kanerin" statt mit einer Einnahme von 11,000 Frs.
Berichtigung. In Nro. 2, Correspondenz aus Frankfurt sind
unter den Noten-Beispielen einige Versetzungen übersehen worden.
Der Le«er wolle nur die Notenköpfe umkehren, so dass die Striche
nach oben kommen, dann wird es recht. Also im 2. Beispiel, S. 6
heisst die Cello-Stimme t es | d c b_\ as | £ £ es\. Dann^
im 4. Beispiel S. 7 ist im 2. Tact die dritte Note der Violin-Stimme
gleichfalls umzukehren, so dass ein b daraus wird.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
N± «.
5. Februar 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung erscheint j eden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
| hingen.
? § rr I a g
r
von
B.
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg
für den Jahrgang.
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ. I d«* a ie M b.*. ,
•t
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
50 kr. od. 15 Sgr. perQuartal.
INHALT: Literatur. — Correspondenzen : Mannheim. Paris. — Nachrichten.
Literatur,
„König Salomo"; dramatisches Oratorium nach Worten
der heiligen Schrift von Ludwig Meinardus.
Op. 25. Ciavier- Auszug. Bremen, bei Aug. Fr.
C r a n z. %
Die genannte Verlagshandlung kündigt die Herausgabe von
drei grossen Oratorien desselben Componisten an ; von „König Salomo"
liegt uns der Ciavierauszug vor , die beiden anderen Oratorien :
„Gideon," Op. 24, und „Simon Petrus," Op. 23, sollen demnächst,
und zwar vorläufig ebenfalls nur im Clavierauszuge erscheinen, in-
dem die Verlagshandlung die betreffenden Partituren auf Subscription
herausgeben will und zur Theilnahme mittelst Circulars einladet.
Das Urtheil über ein Werk wie das vorliegende kann selbst-
verständlich ohne Einsicht in die Partitur kein vollständiges , den
ganzen Werth der Composition nach ihrer vollen Wirkung würdi-
gendes sein. Doch ist im Ciavierauszug häufig die Instrumentation
angedeutet, und es lässt sich immerhin über den eigentlichen musi-
kalischen Inhalt dieses Oratoriums nach Anlage und Durchführung
sprechen, was wir denn hiermit um so lieber thun wollen, als das-
selbe uns als ein durchaus gediegenes, in jeder Beziehung hervor-
ragendes Werk erscheint, das die allgemeinste Beachtung verdient
und seinem Urheber allenthalben zur Ehre gereichen wird.
Das Oratorium „König Salomo* besteht aus drei Theilen, wel-
che wieder in fünf Handlungen zerfallen, nämlich: die Tempel-
weihe, Sulamith, Moloch, Zeruja, und die Weissagung,
welcher das Finale folgt. Vierzig Musikuummern enthält das ganze
umfangreiche Werk, die aber in mannigfaltigster Abwechslung der
dramatischen Situation und des characteristischen Ausdrucks vorüber-
ziehen, so dass eine Uebermüdung des Zuhörers bei dem stets gleich-
massig gespannten Interesse kaum befürchtet werden darf. Der Styl
des Componisten ist breit und grossartig, die Künste des Contra-
punktes hat er vollständig in seiner Gewalt, seine Erfindungsgabe
ist eine reichliche und den verschiedenartigsten Situationen und Ge-
fühlen sich anpassende, denn er schildert mit aller Glut die Liebe
Salomos und der schönen Sulamith, sowie er auch die düsteren
Gräuel des Molochdienstes und die erhebende Feier des einen,
wahren Gottes mit gleicher, wirkungsvoller Wahrheit musikalisch
auszudrücken versteht. Die harmonische Behandlung ist reich an
Abwechslung und schönen Effecten und liefert den Beweis, dass der
Verfasser dem musikalischen Fortschritt, im guten Sinne des Wortes,
huldigt. Es liegt nicht in unserer Absicht, das interessante Werk
in allen seinen Details zu besprechen, da der Baum dieser Blätter
dies nicht gestattet, sondern wir wollen nur einzelne Kummern an-
heben, welche uns ihrer Erfindung und Durcharbeitung nach als be-
sonders beachtenswerth und einer durchschlagenden Wirkung sicher
erscheinen.
Der erste Chor beginnt mit einem einfach klaren und würde-
vollen Chor des Volkes (F-dur, 4/4) „Kommt herzu, lasst uns froh-
locken dem Hort unseres Heils!" Nach einem Recitativ des Nathan
(Bass) folgt wieder ein Volkschor: «Herr mache dich auf zu deiner
Ruhe" im fugirten Style. Besonders hervorzuheben ist in diesem
Theile das „Weihegebet* des Salomo (Tenor) mit Chor: „Herr Gott
Israels!", die liebliche Arie der Zeruja (B-dur, 6/4), der Chor des
Volks (Nro.9): „Siehe! Finsterniss senkt sich herab" (D-raoll, 4/4),
die „Stimme aus der Wolke" (Nro. 10) für Bassstimme mit Beglei-
tung von drei Posaunen, und der originelle und interessant gearbei-
tete Schlusschor : „Denn Gottes Wort ist lebendig und kräftig" (C-dur,
2/4). Besonders gelungen erscheint uns der II. Theil , enthaltend
die 2. Handlung: „Sulamith" und die 3. Handlung: „Moloch," die
in ihrem schroffen Gegensatze dem Componisten Gelegenheit boten,
seine Vielseitigkeit in Bezug auf Erfindung und Ausdrucksweise in
glänzender Weise zu bewähren. Die zarten, duftigen, liebeathmenden
Weisen der ersten Hälfte dieses Theils, sowohl in den dreistimmigen
Frauenchören, sowie in den Arien der Sulamith und des Salomo
müssen von ausserordentlich schöner Wirkung sein, ohne dass in
denselben oder in dem schwärmerischen Liebesduett zwischen Sula-
mith und Salomo (Nro. 21, A-dur, 4/4) die Würde des Oratorien-
styles ausser Acht gelassen wäre. Im „Moloch 2 dagegen steigt der
Coroponist in die Tiefen der wild aufgeregten Leidenschaften hinab
und malt uns die Verblendung des Königs, der sich, taub gegen die
Bitten seines Volkes und gegen die Beschwörungen des weisen und
gottgläubigen Nathan im rasenden Sinnentaumel zum Opfer für den
Götzen Moloch hinreissen lässt. — Im III. Theil (4. Handlung:
„Zeruja") geht die Handlung in immer spannenderer Steigerung
fort, die Klagen Zeruja's um ihren geopferten Sohn, die Ermahnungen
Nathan's, die einschmeichelnde Verführungskunst der Sulamith lösen
sich in fesselnder Weise ab und sind vom Componisten mit Meister-
schaft behandelt, bis endlich die Beschwörung König Davids durch
Salomo erfolgt. Eine vortreffliche Arbeit ist unter Anderem das
Ensemblestück Nro. 34 zwischen Sulamith, Salomo, Nathan, Korah,
dem Chor der Molochdiener und dem Chor des Volkes , welches in
seiner polyphonen Behandlung und in seiner dramatischen Wahrheit des
Ausdrucks als eine der schönsten Perlen des ganzen Werkes erscheint.
Im weiteren Verlaufe sehen wir die Beue des zum wahren Gotte
zurückgekehrten Salomo. Er hört die Prophezeiung aus Nathans
Mund (in Nro. 37, F-moll, 4/4), der gemäss das Beich den Händen
seines Sohnes entrissen werden soll. Zu den schönsten Nummern
zählen wir hier den Chor: „0 Gott! sehr hoch ist deine Gerechtig-
keit" (Nro. 38, B-dur, 6/4) und die Arie Salomo's mit Violinsolo:
„Der du hörst das Rufen der Elenden" (Nro. 39, G»moll, 4/4, schlies-
send in G-dur, 3/4). Hierauf folgt das Finale, das nach vorher-
gehenden Sologesängen der Sulamith, des Salomo und Nathan und
einem fugirten Chorsatze (in F-dur, 3/2) zu der eigentlichen, pracht-
vollen Schlussfuge (F-dur, 2/2) führt. — Noch manche andere der
einzelnen Chor- oder Solonummern hätte eine besondere Erwähnung
verdient, allein wir lassen es bei dem bereits Angedeuteten bewen-
den und hoffen, dass dieses hinreichen werde, die Aufmerksamkeit
in weiteren Kreisen auf das Werk eines so begabten Componisten
zu lenken und ihm auch von anderer Seite die verdiente Berück-
sichtigung und Anerkennung zuzuwenden. B. F.
— 22 —
COHRBSPONDENZEN.
Aus Mannheim.
(S C h 1 U 8 8.)
Schon zu Anfang des Wintert hatte der Yioliu -Virtuose Hr.
Jean Becker im Verein mit Hrn. Theodor Kirchner und dem
Violoncellisten Hrn. F. Hilpert ein Concert im grossen Saale des
Theaters veranstaltet, welches aber schwach besucht war, was um
so weniger zu erklären ist, als Hr. Becker schon als geborener
Mannheimer, hauptsächlich aber als bedeutender Künstler sich sehr
vieler Freunde und Verehrer hier zu rühmen hatte. Zusammen
spielten die Genannten Beethovens grosses Trio in Es, und zwar«
wie zu erwarten war, mit feinem Verständniss des geistvollen Wer-
kes, sodann B. Sehumann's Trio in D-moll, in welchem jedoch, wie
nicht selten bei derartigen Werken dieses Componisten das Ciavier
zu sehr dominirte. Von Solo -Vorträgen des Hrn. Becker verhiess
uns das Programm „Violinstücke" von dessen Composition und
S. Bach's „Chaconne"; er spielte nur die Letztere, und zwar weni-
ger gut, als wir sie früher von ihm selbst gehört hatten; die
„Violinstücke" blieben aus, warum, wurde uns nicht bekannt; was
wir daran verloren — wir wissen es nicht. Hr. Kirchnei spielte
einige kleine Ciavierstücke seiner Composition, die wir uns im
Privat-Salon gefallen lassen mögen — - für ein Concert hatten sie zu
wenig Bedeutung, sowohl ihrem Inhalte als ihrer Form nach. Hr.
Hilpert spielte eine lange, gar zu oft schon gehörte Fantasie von
Servais; — wir hätten uns mit seiner Betheiligung an den beiden
Trio's begnügt.
Die erste Quartettaufführung der HH. Konin g, Heidt, Mayer
und Xündinger brachte ein ungewöhnliches Programm , indem
nur ein Streichquartett, A-molI von Fr. Schubert, vorkam, nach
welchem Hr. Johannes Brahms die Fantasie Op. 17 von R.
Schumann, und dann ein Quartett seiner Composition für Ciavier,
Violine und Violoncell spielte. Hr. Brahms verbindet mit einer
höchst sicheren Technik eine ganz eminente Kraft, welch' Letztere
anzuwenden allerdings durch die Fantasie von Schumann bedingt
war; da er dieselbe auswendig spielte, zeigte er eine ebenso bedeu-
tende Gedächtnisskraft, denn es dürfte wenigen gelingen, dieses har-
monisch und rythmisch häufig so complicirte, wir möchten fast sagen
verschrobene Werk von sehr grossem Umfange aus dem Gedächlniss
zu spielen. Dem allgemeinen Urtheile nach , dem wir beistimmen!
kann man sich für dieses Werk iuteressiren , liebgewinnen werden
es nur diejenigen können, denen Schumann über Alles geht. Weit
verständlicher, obwohl gross und breit angelegt, ist das Quartett von
Brahms , die Ideen desselben sind ansprechend und meist mit
Klarheit durchgeführt. Die Präponderanz des Claviers , die die
Streichinstrumente zu sehr in den Hintergrund drängte , erzeugte
jedoch auch hier wieder das Gefühl der Unbehaglichkeit. Wir hatten
das Werk schon früher gehört, wobei der Ciavierspieler grössere
Mässigung bewies, und dasselbe einen besseren und klareren Ein-
druck machte.
In einem vom Musikverein veranstalteten Concert wurde zum
erstenmale ein Octett von Franz Schubert für 2 Violinen, Viola, Con-
trabass, Clannette, Fagott und Hörn durch Mitglieder des hiesigen
Orchesters zur Aufführung gebracht ; es besteht aus 4 Sätzen, wovon
uns der 2. und 3. am meisten behagte, im Ganzen aber dürfte man
es zu den schwächeren Werken Schuberts zählen. Die Ausführung
war jedoch eine sehr sorgfältige. Im weiteren enthielt das Programm
ein „Et incarnatus est"" für gemischten 4stimmigen Chor von B.
Marcello; Hymne: „O weint um sie" für Chor und Sopransolo von
F. Hiller, und drei Lieder für gemischten Chor von B. Schumann:
„Das Hochland-Mädchen, " „Mich zieht es nach dem Dörfchen hin"
und „Die gute alte Zeit". Der erstgenannte Chor gehört unstreitig
dem Bedeutendsten an, was B. Marcello geschaffen; durch das Ganze
zieht ein tiefes religiöses Gefühl, und bei der kunstvollen Verarbei-
tung der Motive ist vollkommene Klarheit zu rühmen. Auch Hiller's
tiefgedachte Composition gewährte uns das lebhafteste Interesse. Die
Ausführung sämmtlicher Chorstücke, namentlich auch der trefflichen
Lieder von Schumann, zeigte von sorgfältigem Studium, und nur
selten zeigte sich in einer einzelnen Stimme eine Abweichung von
der Intonation.
Der im Dezember stattgehabten musikalischen Aufführung des
„Sängerbundes" war Bef. verhindert beizuwohnen; das Programm
derselben enthielt Chöre von Lachner: „Waldpsalm der Mönche von
Santh"« Ton Kiels Gade: „die Rose", von F. Schubert : „Nachtgesang
im Walde*' mit 4 Hörnern; von Konin g: „Zwiegesang ," und von
A. Müller: „komische Serenade**; ausser diesen noch einzelne Ge-
sang- und Ciavier - Vorträge und Beethoven's Serenade für Flöte,
Violine und Viola.
Die „Liedertafel" zeigte in ihrer zu Ende des vorigen Jahres
gegebenen Abendunterhaltung einen bedeutenden Zuwachs an jünge-
ren , kräftigen Stimmen , und in ihren Leistungen überhaupt eine
Sicherheit im Allgemeinen , sowie im Einzelnen eine Präcision des
Ausdrucks, dass die Anerkennung der zahlreichen Zuhörer eine un-
getheilte war. Wir beschränken uns auf die Angabe der im Chor
gesungenen Nummern: „Im Walde" von Abt; „Abendlied" von
Zimmermann , bei dem 1. österreichischen Sängerfest in Linz mit
dem Preis gekrönt, eine höchst ansprechende, tiefes Gefühl athroende
Composition; „auf dem Rhein" von Kücken; „Waldnacht," Chor mit
Sopransolo von Möbring; „die deutsche Eisenbahn," humoristisches
Lied von Genee, und Hymne „Herr, wer kann recht erkennen deines
Namens Ruhm" von B. Klein.
Wir wohnten kürzlich einer musikalischen Aufführung der Vor-
bereitungs-Abtheilung des „Dilettanten- Vereins" bei, in welcher sich
Knaben von 8 bis etwa 15 Jahren , meistens Streichinstrumente
spielend, mit einer vom Dirigenten des Vereins, Hrn. F. Langer,
nach der 4händigen D- dur - Sonate von Mozart arrangirten Sinfonie
producirten, womit sie von ihrem fieissigen Studium sowohl, als von
0em ausdauernden erfolgreichen Eifer ihres Dirigenten den erfreu-
lichsten Beweis lieferten ; ebenso waren auch Einzelnvorträge sehr
lobenswerth. In einem andern vom gesammten „Dilettanten- Verein"
gegebenen Concert hörten wir eine Sinfonie, D-dur von Haydn mit
dem Largo Capriccio in der Mitte ebenfalls in befriedigender Aus-
führung, sowie einen Festmarsch von V. Lachner und ein Quartett
für 4 Violinen, mit mehrfacher Besetzung, von F. Langer.
Im Theater kam am 14. Januar Meyerbeer's „Afrikanerin" zum
Erstenmale zur Aufführung, und zwar in Betreff der musikalischen
Ausführung zur grössten Befriedigung der zahlreichen Zuhörer; für
die scenische Ausstattung waren reichliche Mittel verwendet worden,
und so werden auch die nachfolgenden Aufführungen, deren zunächst
je zwei in einer Woche stattfinden sollen, sich der Gnnst des hör-
und schaulustigen Publikums zu erfreuen haben.
Für die nächste Woche steht ein Concert von Carlotta Patti
in Aussicht, wofür bereits die riesigen Anschlagszettel an den Strassen-
Ecken prangen.
Die nächste Akademie des Orchesters wird uns Bruch's „Scenen
aus der Frithjofssage" bringen.
— •»•!
A ii s Paris.
20. Januar.
Das musikalische Ereigniss dieser Woche war das Wiederauftreten
der A d e 1 i n a Patti in der italienischen Oper, und zwar in der
Titelrolle der »Linda di Chamounix". Trotz der bedeutenden Er-
höhung der Eintrittspreise war das Haus überfüllt. Die Diva wurde
mit stürmischem Beifall begrüsst und mit Blumensträussen überhäuft.
Adelina Patti bildet übrigens trotz aller Uebertreibung ihres Talentes,
trotz aller gewaltigen Posaunenstösse ihres Schwagers Strakosch
doch mit Becht den lebhaftesten, wo nicht gar den einzigen Anzie-
hungspunkt der hiesigen italienischen Oper, deren Glanz längst
erblichen.
Die grosse Oper führt immer noch die „Afrikanerin" mit be-
deutendem Erfolg auf und wird vorläufig nichts Neues zur Auffüh-
rung bringen. Was die Opdra comique betrifft, so macht sie mit
der „Reise nach China" vortreffliche Geschäfte. Einen ebenso glück-
lichen Wurf hat das Theatre lyrique mit Flotow's „Martha" ge-
than. Dieselbe erzielt ungeheure Einnahmen. Dessenungeachtet
wird die Direction der genannten Bühne nächstens Gluck'g „Armida"
zur Darstellung bringen. Die Hauptrolle ist der Mme. D e m e u r-
C h a r t o n anvertraut , welche dieselbe unter B e r 1 i o z ' Leitung
bereits einstudirt. Das The'dtre lyrique wird auch Mozart's „Don
Juan" aufführen und hat au diesem Zweck das frühere Mitglied da?
- 23 —
Optra twmque, B ataille engagirt, der die Bolle des "Leporello
übernommen. Da nun die grosse Oper sowie das italienische Thea-
ter ebenfalls Mosart's Heisterwerk demnächst in Scene gehen lassen,
so wird dem Publikum eine seltene Gelegenheit zum Vergleichen
geboten werden.
Offenbach, der, wie ich Ihnen bereits gemeldet, sich von der
Leitung der Bouffes Parisiens zurückgezogen, geht bald nach Wien,
um dort die Proben seiner ,J$ergcrs u zu überwachen. Sein ,.Barbe
bleue" kommt in den ersten Tagen des Februar im FartV/e«-Theater
zur Aufführung.
W » c li r i c li t e n.
Leipiig' Das 13. Gewandhauscoacert war eine Art von histo-
rischem Concerte , wie deren dem Vernehmen nach noch mehrere
folgen sollen. Es brachte von Vocalsachen : Cantate von Seb. Bach
für Doppelchor: „Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich*';
Arie aus „Semele" und einige Chöre aus „Israel" von Händel;
„Savinia a Turno" Cantate für Sopran von Carl Heinrich Graun,
find ein „Weihnachtslied" a capella von Leonhard Schröter (lebte
um 1580 in Magdeburg). Von Instrumentalcompositionen kamen zur
Aufführung: Concert für Ciavier von Händel ; Fuge von Joh. Ludw.
Krebs, Schüler Seb. Bach's, und Sonate von Baldassaro Galuppi,
sämmtliche Ciavierstücke von Hrn. Ernst Pauer aus London mit
bekannter Meisterschaft vorgetragen ; Sonate in G-moll von Tartim,
von Hrn. Concertm. Ferd. David vorzüglich vorgetragen, und
Sinfonie in D - dur von Philipp Emanuel Bach. Die Sologesänge
wurden von Frau Hermine Budersdorff aus London mit der
ihr eigenen vollendeten Gesangskunst vorgetragen.
— Das 14. Concert, abermals ein historisches, brachte von Or-
chesterwerken : Ein Ballo aus der Oper „Paris und Helena" von
Gluck ; die „Abschiedssinfonie" von Haydn, und die Ouvertüren zu
„Figrane" von Righini und zu „Samori" von Abbe Vogler ; von
Solosachen: ein Capriccio für Ciavier von Friedemann Bach, dem
ältesten Sohne Seb. Bach's, und eine Ciaviersonate von des Letz-
teren jüngstem Sohne, Joh. Christian Bach, beide Stücke vorgetr.
von Hrn. Capellmeister Bei necke. Die Gesangsprodactionea be-
standen aus einer Cantate für eine Singstimme und Orchester von
Pergolese , einer Bravour-Arie aus einer Oper von Joh. Christian
Bach und einer Ariette aus einer Cantate von G. A. Hasse, sämmt*
lieh vorgetr. von Frau Budersdorff.
Dresden. Am 27. Januar veranstaltete das hier bestehende
Conservatorium für Musik zur Feier seines 10jährigen Bestehens
ein Concert im „Hotel de Saxe" ; die gebotenen Productionen gaben
«in erfreuliches Zeugniss von dem gedeihlichen Zustande dieser An-
stalt, aus welcher bereits viele vortreffliche Künstler und Künstle-
rinnen hervorgegangen sind. Die artistische Leitung des Conserva-
toriums befindet sich gegenwärtig in den Händen des Hrn. Hof-
capellmeisters Dr. B i e t z.
— Am 30. Januar findet im k. Hoftheater die 100. Vorstellung
der Meyerbeer'schen Oper „Der Prophet" statt, mit welcher eine
Gedächtnissfeier für den verewigten Meister verbunden werden soll.
— Von Seiten des königl. Cabinets in München ist vor einiger
Zeit an Prof. Fr. Gönne die Aufforderung ergangen, das von ihm
gemalte Porträt des Sängers Schnorr von Carolsfeld nach
München zur Ausstellung zu senden. Nachdem Hr. Prof. Gönne
dieser Aufforderung entsprochen, ist, wie wir hören, in diesen Tagen
dem genannten Künstler durch das k. bayerische Cabinetssecretariat
eröffnet worden , dass S. Maj. der König Ludwig II. das Bildnisg
des von ihm hochgeehrten Sängers mit grösster Befriedigung gesehen
und dasselbe gekauft hat.
Prag. Das böhmische Theater brachte eine neue Oper: „Die
Brandenburger in Böhmen" von S m e t a n a zur Aufführung. Der
Erfolg war ein sehr günstiger und der Componist wurde nach jedem
Acte gerufen.
BrttM. Frl. Marek hat auf unserer Bühne als Gilda im
»Rigoletto" den Versuch gemacht, als Sängerin für das Coloratur-
and Spielfach auf der Bühne aufzutreten und hat einen vollständigen
Success erreicht.
Brüssel Das 3. Concert des Couservatoriums wird su den her-
vorragendsten Leistungen dieser Saison gezahlt werden müsse«. Bai
Orchester zeichnete sich aus durch den tadellosen Vertrag da« An-
dante der 87. Sinfonie von Haydn und der Jupiter -Sinfonie voa
Mozart. Weniger glücklich war die Ausführung der Hebriden-Ouver-
türe von Mendelssohn, da man das Tempo zu schleppend genommen
hatte. Als eine äusserst interessante Erscheinung bezeichnen wir
das Auftreten der Frau Clauss-Szarvady, welche in diesem
Concerte zum erstenmale vor dem Brüsseler Publikum erschien, ob-
wohl ihr längst ein ausgezeichneter Euf vorhergegangen war. Frau
Szarvady besitzt alle Eigenschaften einer grossen Künstlerin, und
ihr Spiel zeichnet sich noch insbesondere durch seine Einfachheit
aus. Es ist z. B. unmöglich, das Adagio des Beethoven'schea
G-moll-Concertes in vollkommenerer Weise vorzutragen. Auch spielte
sie einige Sachen von Chopin mit unendlich reizendem Ausdruck.
Viermaliger Hervorruf ward ihr einstimmig zu Theil und mag der
Künstlerin als Beweis dienen , wie sehr ihr Talent anerkannt und
gewürdigt wurde. Mlle. Weusten zeichnete sich durch den sehr
gelungenen Vortrag der Arie der Gräfin in „Figaro's Hochzeit" aus.
Frau Szarvady ist auch im ersten Concerte der Casino-Gesellschaft
in Gent mit grossem Erfolg aufgetreten.
Paris. Im ersten ausserordentlichen Concert des Conservatoriums
kam zur Aufführung: A-dur-Sinfonie von Beethoven; Jldieux aux
jeunes maries, Doppelchor ohne Begleitung von Meyerbeer ; Ilebri-
den-Ouvertüre von Mendelssohn ; Jäger- und Winzerchor aus Haydn's
„Jahreszeiten," und Ouvertüre zum „Freischütz" von Weber. Das
zweite ausserordentliche Concert wird am 18. Februar stattfinden.
— Es hat sich hier ein Damen-Streichquartett gebildet, welches
dieser Tage im Saale Herz zum Erstenmale auftreten wird. Die
erste Violine spielt Frl. Lebonge, die zweite Frl. Jenny
Clauss, die Viola Frl. Fanny Clauss und das Violoneell FrL
de Ca t o w.
— Das Programm des 13. populären Concertes des Hrn. P a s-
d e 1 o u p war folgendes : Ouvertüre zur „Zauber flöte" von Mezart ;
Sinfonie in B-dur von Beethoven; Ouvertüre zum „Prophet" voa
Meyerbeer (wiederholt); Andante und Menuett aus der Sinfonie in
Es - dur von Mozart (auf Verlangen) ; Ouvertüre zum „Freischütz"
von Weber.
— Das Programm des 14. populären Concertes war folgendes:
Jupiter- Sinfonie von Mozart; Andante und Intermezzo aus der 2. Suite
von Fr. Lachner (zum 1. Male); Hebriden-Ouvertiire von Mendels-
sohn, und das Septuor von Beethoven.
— Die erste der populären Kammermusik - Unterhaltungen der
HH. Lamoureux, Colblain, Adam und E. Rignault hat
am 28. Januar im Saale Herz stattgefunden.
— Charles Adolphe G a n d , Geigenmacher der kaiserlichen
Musik und des Conservatoriums , ein in seinem Fache aasgezeich-
neter Mann, ist, 53 Jahre alt, gestorben.
— Das berühmte Quartett der Gebrüder Müller aus Meiningen
ist hier eingetroffen. Sie werden ihr erstes Concert am 6. Februar
unter Mitwirkung der Frau Clauss-Szarvady geben.
Florenz. Im Saale Niccolai hat das erste Concert der HH.
Scholz und B a z z i n i stattgefunden. Sie spielten mit dem Violon-
cellisten Sbolci das B-dur -Trio von Schubert; dann trug Hr.
Scholz die E-dur- Variationen für Ciavier von Händel und eine Fuge
von Bach vor. Hr. Bazzini spielte seine Elegie mit ausserordent-
lichem Beifall und auf das Verlangen der Wiederholung statt deren
noch ein anderes Stück. Das Concert schloss in glänzender Weise
mit der von den HH. Scholz und Bazziui meisterhaft vorgetragenen
Sonate in C-rooll für Piano und Violine von Beethoven, welche den
lebhaftesten Beifall hervorrief.
Petersburg. Die schon mehrmals verschobene erste Aufführung
der „Afrikanerin" fand endlich am 18. Januar statt, mit Tarn bee-
il c k als Vasco, Mme. Bsrbot als Selika und Graziaui als
Nelusko.
K6W-York. Die Gebrüder F o r m e s sind von Havanna hiebst
zurückgekehrt, nachdem sie sich kaum vier Tage in der Stadt, „we
die Cigarren blüh'n" aufgehalten haben. Sie konnten kein Concert-
local finden, und das Tacon - Theater konnten sie nicht benutzen,
weil sie weder Chor noch Orchester hatten. Das Esperimentiren
dürfte den Herren ziemlich viel Geldanlagen verursachen , und m
Ist sn heften, dass sie sneh mit einem gewandten Agenten iu Ver-
Isndttsg setzen werden, «m nooh «in Mal ihr Glück am versuch««.
— Der Ertrag des Concertes für die Familie des versW ifreuSa
24 —
Componisten William Vincent Wallace ist nach Abzug aller
Kosten ungefähr 2000 Dollars. Die Wittwe des Verstorbenen wird
mit ihren Kindern nächstens hier ankommen und bei ihrem Bruder,
dem Musikdirigenten und Componisten Hrn. Robert S 1 8 p e 1 wohnen.
*** Münchener Blätter zeigen das Erscheinen folgender Bro-
schüre) in Commission bei Jenisch & Stage in Augsburg an:
„Richard Wagner als König. Schonungslose Ent-
hüllung der geheimen Verschwörung zur Ausführung
seines unglaublich verwegenen Planes, aufgedeckt
von -j — | — }-, emer. Pfarrer. Diese Broschüre zeichnet in ihrer
grellen Nacktheit die List und Tücke, welche dieser Mann benützt,
um das Entfernteste und Höchste zu erreichen." Es ist kein Zweifel,
dass dieser würdige Pfarrer mehr zu Gunsten Wagner's wirkt als
die Freunde des Letzteren , welche in unzeitigem Eifer über die
Feierlichkeiten bei seinem Wiedereinzuge sich berathen.
*** Wie die „Constitutionelle Zeitung" berichtet, ist die Gattin
Rieh. Wagner's in Dresden in der Nacht zum 25. Januar an
einem Herzschlag verschieden.
%* Der Herzog von Anhalt hat dem Componisten und Violin-
virtuosen Wilhelm Langhaus in Paris für die Widmung seines
bei der Tonkünstlerversammlung in Dessau aufgeführten Streich-
quartetts an S. Hoheit den Erbprinzen, die zum herzog]. Hausorden
gehörige goldene Medaille verliehen.
*** A u b e r hat die ihm angebotene Senatorwürde ausgeschla- |
gen, weil er vom Directorium des Conservatoriums hätte zurücktreten
müssen.
*** Das baierische Ministerium hat ein Rescript erlassen, kraft
welchem alle aus classischen Werken verarbeiteten Märsche ausser
Gebrauch gesetzt werden müssen.
*** Der „akademische Gesangverein" in München hat R. Wagner's
„Liebesmahl der Apostel" zur Aufführung gebracht.
*** Am Wiener Conservatorium bildet sich ein Frl. Hermine
van Beethoven, Tochter des bekannten Neffen, unter der Lei-
tung des Prof. Dachs zur Pianistin aus.
*** Frl. Ar tot beginnt dieser Tage in Berlin ein bis Ende
April dauerndes Gastspiel. Wachtel ist für den kommenden
Winter wieder daselbst engagirt.
*** Die Wittwe Meyerbeer's wird nach Wien kommen, um
den Generalproben und der Aufführung der „Afrikanerin" beizuwohnen.
*** Der italienische Operncapellmeister Orsini vermählt sich
mit der Berliner Solotänzerin Frl. Casati.
*** Frl. Ubrich ist vom König von Hannover zur Kammer-
sängerin ernannt worden , wird die Bühne verlassen und sich aus-
schliesslich dem Concertgesange widmen.
*** Wie die „Neue Berliner Musikzeitung" schreibt, ist dem
durch seine Transcription der „Afrikanerin" für Flöte und Piano
bekannten Virtuosen C. Giardi vom Schach von Persien der Sonnen-
orden verliehen worden.
*** In Schweinfurt ist der Stadtcantor und Musikdirector
Schneider gestorben. Der Zug der Trauernden, die den geliebten
Mann zu seiner letzten Ruhestätte geleiteten , war unübersehbar,
alle Läden in den Strassen zur Kirche und zum Kirchhof waren
geschlossen.
*** Der berühmte Posaunist Nabich, dessen Virtuosität und
schöne Vortragsweise nicht nur in ganz Deutschland, sondern
auch in Paris und London die höchste Anerkennung fand, wird noch
im Laufe dieses Winters in Wien concertiren,
*** Ein junger Musiker in Brüssel, der zugleich ein Anhänger
des Spiritismus ist, behauptet, mit den Geistern aller verstorbenen
grossen Componisten in Rapport zu stehen. Zum Beweise dessen
werde er nächstens eine Soiree veranstalten und seine Geister zwingen,
ihre neuesten Inspirationen erklingen zu lassen. Das würden veri-
table posthume Werke sein. Gott gebe, dass dem jungen Verbes-
serer Davenport's das Experiment gelinge , und seine Geister bei
•guter Laune sind. So ein paar Dutzend neuer Compositionen von
Beethoven, Schumann, Mozart, Mendelssohn, Weber u. s. w. könnten
uns nicht schaden.
*** Der in Deutschland bereits bestens aecreditirte Violinvir-
tuose L.Aue r hat kürzlich im zweiten Concerte des „musikalischen
Xünstlervereins*' in Brüssel das 9. Concert von Spohr, „Abendlied''
Ton Schumann und die Airs hongrois von Ernst vorgetragen und
shircb seine Leitungen sich auch dort die vollste Anerkennung errungen.
*** Die letzten Nummern der „Neuen Berliner Musikzeitung"
bringen von Dr. Faust-Pachler in W ien äusserst interessante
Mittheilungen über das Leben seiner Mutter, Frau Marie Pachler*
Kose hak und über das Verhältniss, in welchem sie zu Beet-
hoven stand.
*** Zu der am 23. Dezember im Altonaer Stadttbeater ange-
kündigten Vorstellung hatten sich sieben Personen eingefunden.
Man gab diesen ihr Eintrittsgeld zurück, und da der Besuch schon
seit einiger Zeit ein sehr schlechter gewesen war, so hat der Di-
rector das Theater geschlossen.
*** Der thätige und geschickte Chormeister Hr. R.Wein wurm
hat es sich zur Aufgabe gemacht, die in der Auflösung begriffen
gewesene „Singakademie" auf neuer Grundlage zu constituiren.
Seine bisherigen Bemühungen sind insofern vom Erfolge gekrönt,
als sich bis zur Stunde an sechzig ausübende Mitglieder (Herren
und Damen) zum Eintritte gemeldet haben. Weitere Anmeldungen
werden gewärtigt und sind erwünscht. Möchte der Aufruf des Un ;
ternehmers zum Beitritte, welchem Aufruf wir hiermit Ausdruck
geben , vom gewünschten Erfolge begleitet sein , damit die Lücke
in der Pflege eines speciellen Musikzweiges, wohin vornehmlich die
ältere Vocalmusik gehört, durch die baldige Wiederfunctionirung
dieses sistirteu Vereins im Wiener Kunstleben ausgefüllt werde.
Bl. f. Th., K. u. M.
*** Das Hellmesberge r'sche Quartett feierte in Pesth gross-
artige Triumphe. Alle Blätter stimmen in dem Bekenntniss überein,
dass eine solche Vollendung in der Auffassung und dem Vortrage
alles Dagewesene, ja die kühnsten Erwartungen übertroffen habe.
*** Der König von Portugal hat aus Anlass seiner jüngsten
Anwesenheit in Paris an Rossini und Verdi das Grossoffiziers-,
an die Schriftsteller Merimee und Longp£rier das Commandeur-
und an Octave Lacroiz das Ritterkreuz vom Orden des Schwert-
kreuzes verliehen.
*** Der Kaiser bat Hrn. Seroff, dem Componisten der russi-
schen Oper „Rogn6da" ausser der Anweisung eines lebenslänglichen
Jahresgehaltes von 1200 Rubel ein Geschenk von 2000 Rubel gemacht.
*** Ueber Ernst Pauer schreibt Hanslick in der „Neuen
freien Presse" aus Wien: ,,Eine erfreuliche Ueberraschung war das
Auftreten unseres Landsmannes Ernst Pauer. Das ist zur Abwechs-
lung einmal ein Virtuose, der keine Concerte gibt. Von London
reiste er nach Frankfurt, Mannheim, Darmstadt, spielte daselbst für
die Mozart-Stiftung und den Pensionsverein der Tonkünstler, wirkte
dann in Wien aus CollegialitSt im philharmonischen Concert und
in Hellmesberger's Quartett-Soiree mit und fuhr, ohne irgendwo an
ein eigenes Concert zu denken, wieder heimwärts. Wir hörten von
Pauer Beethoven's C-moll-Concert (mit der Beethoven'sehen Original-
Cadeuz) und das D-dur-Trio (Op. 70) desselben Meisters. Beide
Vorträge erfreuten sich nach Verdienst der ehrenvollsten Anerken-
nung. Wir haben Pauer's durchsichtig klare, solide, mitunter etwas
protestantisch-verständige Spielweise, seine meisterhaft ausgebildete
und stets dem Kunstwerk sich bescheiden unterordnende Technik
oft genug besprochen, haben somit diesmal nur zu constatiren, dass
er sich vollständig treu geblieben ist : jeder Zoll ein Musiker und
sechs Fuss liebenswürdiger Mensch. Pauer wird aus der warmen
Begrüssung bei seinem Erscheinen und dem wiederholten Hervorruf
entnommen haben, wie sehr unser Publikum ihn hochgeschätzt und
wie ungern es ihn so bald wieder scheiden sieht.
*** Frl. Ti et jens legte, einer besonders ehrenvollen Einladung
folgend, am 13. Jan. in Liverpool den Grundstein zu einem , 1800
Personen fassenden Opern- und Schauspielhause, welches bereits im
October eröffnet werden soll.
***Hr. Kral, Solist bei der Wiener Hofcapelle, hat bei Spina
in Wien eine Anleitung zum Spielen der Viole d'amour veröffent-
licht, welche im Interesse dieses mit Unrecht vernachlässigten schönen
Instrumentes Beachtung verdient.
*** Da» Breslauer Stadtverordneten-Collegium hat dem Theater-
Actienverein ein unverzinsliches Darleben von 100,000 Thlr. bewilligt.
*** Der Tenorist Steger ist, nachdem er in Madrid denVasco
in der „Afrikanerin" mit ausserordentlichem Beifall gesungen, nun
auch im Scalatheater in Mailand als Eleazar in der „Jüdin" mit
glänzendem Erfolg aufgetreten.
Verantw. Red. Ed. Föckerer, Druck t>. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
jf* 9.
12. Februar 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
--vf
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
* lungen. j
9«riig
r
*?
?on
B. SCHOTT'3 SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott London bei Sehott & Co.
PBEIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
för den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. perQuartal.
IRHALT: Capitaine Henriot. — Correspondenz : Mains. — Nachrichten.
Capitain Henriot«
Komische Oper in drei Acten von Victor Sardon und 9. Y&ez,
deutsch von Ernst Pasqne, Musik von A. Gevaert.
Verlag von B. Schott's Söhnen.*)
Vom Standpunkt einer deutschen Aufführung besprochen.
Seit langer Zeit hat das Bepertoir der kaiserlichen komischen
Oper zu Paris kein Werk von gleicher Bedeutung gebracht wie das
vorliegende. Eine höchst interessante , bunte und spannende Hand-
lung — ein reizendes Lustspiel , Intriguenstück , wie sie S a r d o u
so vortrefflich zu erfinden weiss , das schon allein im Stande wäre
den Zuschauer ohne Beigabe der Musik zu unterhalten — verbun-
den mit einer Partitur voll origineller und gediegener Melodien,
prächtiger und charakteristischer Instrumentation, haben der Oper
in Paris und Frankreich (wie jetzt auch in Belgien) die grössten
Erfolge verschafft. Gleiches dürfte auch in Deutschland der Fall
sein, wenn es unsern Bühnen gelingen sollte das Werk in genü-
gender Darstellung wiederzugeben. Hierin liegt die Haupt-
schwierigkeit , doch auch zugleich der vollständigste Erfolg. Willige
und nur einigermassen genügende Kräfte , eine tüchtige Regie , die
ihre Aufgabe mit Lust und Verständniss erfüllt und das auf den
ersten Blick sehr schwierig Scheinende wird sich verwirklichen.
Die Handlung führt uns in spannender Verwicklung vier verschie-
dene Liebesintriguen vor, zwischen denen noch ein fünfter Lieb-
haber gleich einem Schmetterling umherflattert und von allen Blu-
men zu naschen versucht. An der Spitze der handelnden Personen
steht Heinrich IV., der Bearner (Capitain Henriot), Bariton
und die bedeutendste Spielpartie der Oper. In Paris wurde diese
Bolle von Couderc dargestellt und gesungen. Conderc ist kein
junger Sänger mehr; vor etwa zwanzig Jahren begleitete er in der
damals königlichen komischen Oper das Fach eines ersten Tenors;
manche neue Rolle wurde von ihm „creirt" und war er ein eben
so vortrefflicher und gracieuser Sänger als gewandter Darsteller.
Die Stimme nahm ab mit den Jahren, doch die Gabe der Dar-
stellung blieb und so zeigt sich Couderc denn jetzt nur noch in
Partien, welche bedeutendes Spiel und — nicht allzuviel Stimme
verlangen. Demgemäss ist denn auch der gesangliche Theil der
Rolle Heinrich IV. leicht auszuführen. Dem „Bariton" zuge-
wiesen bewegt sich die Partie in der Es-Octave und versteigt sich
nur einigemal , als Variante , bis zum F. Ein prächtiges , frisches
und pikantes Würfel-Terzett (Hei nrich , Mauläon , Belle-
garde), mehrere hübsch pointirte Solostellen, und vor allen
Dingen ein charmantes Lied in einer höchst originellen , wirkung«-
*) Partitur und Ciavierauszug dieser Oper mit deutschem Text,
Orchesterstimmen , Buch , Mise en acene , photographischen
Co8tüm-Portraits etc. , sind dnreh obige Verlagshaudlung,
Eigenthümerin des Werkes für Deutschland, zu beziehen.
vollen Situation *), eine der schönsten der Oper , bilden die Haupt-
stellen der Bolle. Dahingegen muss der Darsteller derselben sich
gewandt bewegen und reden können. Voll Lebens- und Liebeslust
stürzt sich der heissblütige Bearner in die gewagtesten Abenteuer,
die er jedoch stets zu seinem Vortheil zu wenden weiss und die»
damit enden, dass er Paris einnimmt. Die zweite Partie ist Grai
Mauleon, Freund des Königs, der eigentliche Tenor und Sänger
der Oper. Obgleich auch diese Bolle eine gewandte Darstellung
verlangt, so liegt ihr Schwerpunkt doch hauptsächlich in dem ge-
sanglichen Theile. Jeder Act gibt Gelegenheit zu einer effectvollen
Romanze oder Cavatine , während ein grosses Duett mit Sopran
(Blanche) ein wirklicher Glanzpunkt der Oper ist. Uebermässige
Anforderungen stellt auch diese Partie nicht an ihren Sänger , doch
erfordert sie Stimme und Geschmack im Vortrag , um zur vollen
Geltung gebracht zu werden. Neben Mauleon steht als dritter
kn Bunde der junge Herzog von Bellegarde, ebenfalls ein«
Tenorpartie, gesanglich von geringer Bedeutung, doch dafür fast
eben so wichtig in der Darstellung als die des Königs. Belle-
garde ist ein geistreicher Rou6 , der seine witzigen Schlagwörter
mit derselben Keckheit und Ruhe vorbringt, mit der er die tollsten
Streiche ausführt , ein flatterhafter Liebhaber , allen Damen , selbst
der hübscheu Markedenterin Fleurette huldigend , doch dabei
durch und durch Cavalier und tapferer Officier. Diese Partie muss,
mit nur einigem Verständniss wiedergegeben , von köstlichster Wir-
kung sein. Eine schwungvolle patriotische Hymne mit Chor (im
dritten Act) , wohl eine Concession der Rolle gemacht , ist die be-
deutendste Gesangsnummer dieses „zweiten Tenors". Diesen drei
lebenslustigen Cavalieren gegenüber steht Don Francesco,
ein spanischer Abenteurer , Capitain im Solde der Ligue und An-
*) Der Bearner bat sich heimlich in das von ihm belagerte
Paris eingeschlichen und sitzt als Capitain Henriot mit zwei
Damen (Blanche und Valentine) bei einem Souper,
das er durch List errungen. Ein Lied würzt das heitere
Mahl , dessen Refrain lautet :
„ Wer da im Ueberflusse lebt ,
Uebe Liebe stets und Erbarmen.
Von eurem Reichthum gerne gebt,
Und denket milde auch der Armen ! u
Nachdem Heinrich in der ersten Strophe diese Moral
auf die Freuden der Tafel angewendet , benutzt er sie in der
zweiten, um den Damen darzuthuu, dass sie ihm Küsse ge-
statten müssen. Während der dritten Strophe hört man plötz-
lich auf der Gasse das in Hungersnoth schmachtende Volk
der Pariser: „Gebt uns ßrod ! - Brod!" tönt es mit schnei-
dendem Ton in den lustigen Gesang Da erhebt sich Hein-
rich — der König , der da gewollt , dass jedem Bauer Sonn-
tags ein Huhn im Topfe brate! — und beginnt Brod und
Speisen zum Fenster hinaus und unter die Hungernden zu
werfen, zugleich mit aller Kraft den Refrain — »Genies-
send denket auch der Armen 1" — wiederholend.
Alle Anwesenden stimmen enthusiastisch mit ein und unter-
stützen ihn in seinem Thun. — Dass diese Scene von ganz
bedeutender Wirkung sein muss , bedarf wohl keines weitern
Wortes , auch hat sie solche bei den pariser Aufführungen
im höchsten Maasse erzielt.
- 26
beter Blanche's, der Geliebten MauUon's. Diese Bolle wurde
in Paris von Crosti,, dem eigentlichen Gesangsbariton der komi-
schen Oper gesungen. In der nun vorliegenden Partitur wird sie
indessen dem hohen Bass Eugewiessen und findet sich tt. A. ein
höchst originelles Reiterlied um einen Ton tiefer transponirt,
Alles in Hinblick auf die bereits erfolgte Verwendung des Baritons
in der Rolle Heinrichs IV. Hieraus erhellt zur Genüge, dass
der Umfang der Partie ein kein aussergewöhnlicher ist. Don
Francesco ist sowohl als Gesangs- wie als Spielpartie bedeutend,
doch wird er leicht von den Vertretern des Faches dem er ange-
hört wiederzugeben sein. Die fünfte Männerrolle ist Pastorel,
ein Diener Blanche 's, der einen immerwährenden Appetit ver-
spürt , was besonders für den , in dem ausgehungerten Paris leben-
den , sehr unangenehm ist. Noch versucht der Arme seiner Frau,
der Markedenterin Fleurette zu entfliehen, welche ihn indessen
mit einer Beharrlichkeit und einem Aufwand von Liebenswürdigkeit,
werth einer bessern Sache, verfolgt. Die Besetzung dieser Rolle —
Bas8-Buffo — wird keinerlei Schwierigkeiten bieten. Die drei
Damenpartien der Oper dürften auch nicht allzuschwer zu besetzen
sein. Da ist vor allem Blanche von Etianges, die Geliebte
des Mauläon , ein Mezzo-Sopran mit einiger Colloratur. Geschrieben
wurde diese Rolle für das Talent der Frau Galli-Marie*, dersel-
ben Künstlerin, welche den Kaled in Maillarts „Lara" so vor-
trefflich dargestellt. Bühnengewandtheit und leichtes Prosa-Reden
ist indessen auch zu dieser Rolle erforderlich. Neben ihr bewegt
sich Valentine von R i e u 1 1 e s , eine junge hübsche Wittwe,
der Heinrich IV. als Capitata Henriot in leichter galanter Weise
den Hof macht. Gesanglich ist diese Partie von untergeordneter
Bedeutung. Die dritte Frauenrolle ist Fleurette, die Marke-
denterin und verlassene Gattin Pastoreis. Diese Partie , der Ge-
sangs-Soubrette gehörend, ist besonders in gesanglicher Hin-
sicht allerliebst und wird gewiss von jeder nur einigermaassen ge-
wandten Darstellerin in dem hübschen Marketender-Costüme der Zeit
der Ligue , mit Erfolg wiedergegeben werden. Die Chöre sind nicht
unbedeutend, doch keinerlei Schwierigkeiten bietend , dessgleichen
ist die Mise en scene ohne bedeutende Neu - Anschaffungen zu be-
streiten. Drei Decorationen erfordert die Oper : Ein Lager mit der
Aussicht auf Paris, ein Saal im Renaissance-Styl mit Balcon und
Gabinets und der Vorhof des Hotels Etianges, Lagerleben, eine
Rückkehr von der Jagd , die Erstürmung eines mit Spaniern und
Liguisten gefüllten Saales und der beginnende Einzug des Königs
in Paris , sind die zu lösenden grössern scenischen Aufgaben , welche
allerdings mancherlei Ausstattung — sogar die Vorführung einer
Meute — ' zulassen, jedoch auch mit gewöhnlichen, allerwärts
wohl vorhandenen Mitteln wiedergegeben werden können. Die
Hauptaufgabe aber ist und bleibt ein frisches und rasches
Zusammenspiel und das ist zu erreichen durch eine tüchtige
Regie , guten Willen, einiges Verständniss und — keine Scheu
vor einer Reihe Prosa-Proben. Werden deutsche Bühnen-
Vorstände Gevaerts Oper in diesem Sinne zur Aufführung bringen,
so dürfte ihr Bemühen Erfolg und gewiss einen schönen Lohn fin-
den , denn seit der Glanzepoche der französischen komischen Oper,
den besten Werken S er ibe 1 s , Anber's, B o i e ldi eu's (Fra
Diavolo, Maurer, Weisse Dame etc.) , ist keine der-
artige Oper erschienen, welche eine so interessante und spannende
textliche Grundlage aufzuweisen hat als Capitain Henriot, wäh-
rend zugleich die Musik sich den besten jener Partituren zur Seite
stellen darf.
Möchten die deutschen Directionen , die gegebenen Winke be-
herzigend , zu dem neuen Werke greifen und das Repertoire ihrer
Bühnen wird gewiss um einen Erfolg reicher werden ! e.
CORUESPONDENZEN,
Aus 91 a I ii je»
Während in andern Städten jetzt die Concertsaison auf ihrem
Höhepunkte angelangt ist und die Productionen der wandernden
Virtuosen mit den von einheimischen Künstler- und Dilettantenver-
einen in reichem Wechsel sich ablösen , liegt unser goldenes Mainz
vollständig in den freilich rosigen Fesseln des Carnevals und et
wird daher fast ausschliesslich nur getanzt, sowohl in den verschie-
denen Civil- und Militär-Casinos , wie in den Salons der Geld« und
sonstigen Aristokratie — ja selbst die vielen Carnevalsvereine , an
deren Spitze die Narrhatla, begnügen sieh nicht mit den aus*
schliesslich für die männlichen Narren bestimmten eigentlichen
Carnevalssitzungen , sondern sie ziehen auch, zum Theil um die
nöthige Nachsicht der werthen Ehehälften für die fast all zu viele
Nachtschwärmerei auf diesem Wege zu gewinnen, das schöne Ge-
schlecht mit in ihr närrisches Treiben hinein , indem sie sogenannte
Ca ffee visiten, d. h. Zusammenkünfte der Narren und Närrinnen
zum Zwecke humoristischer Unterhaltung mit darauffolgendem Tanz-
vergnügen veranstalten, die sich in der Regel eines sehr zahl-
reichen Zuspruches zu erfreuen haben.
Mit Concerten ist also gegenwärtig hier nichts zu machen, was
wir hiermit der ganzen Virtuosenwelt zur geeigneten Berücksich-
tigung angedeutet haben wollen , und wenn auch Ulimann mit
seinen Patticoncerten trotz der vorerwähnten wenig günstigen Ver-
bältnisse dennoch ein volles Haus erzielte, so ist diess eben Herr
U 1 1 m a n n gewesen und nun gehe ein Anderer hin und probire,
ob er es zu einem gleichen Resultate bringt. Die Liedertafel
und der Damengesangverein studiren eifrig an Schnei-
de r * s „Weltgericht" , mit dem sie gleich nach Beginn der Fasten-
zeit über die gottlosen Mainzer herzufallen gedenken; auch das
Theaterorchester hält mit seinen Sinfonieconcerten zurück , bis die
Menschen etwas ernster und nüchterner und ihre erschöpften Geld-
beutel etwas straffer geworden sind. Nur der Kunstverein
fährt fort , seine Mitglieder mit musikalischen Quodlibets zu aniü-
siren , welche das Besondere an sich haben , dass immer etwas An-
deres aufgeführt wird, wodurch sich natürlich eine reichliche Quelle
von Ueberraschung für das Auditorium ergibt.
Es bleibt also von eigentlichen musikalischen Productionen nichts
übrig, als die Militärmusik-Concerte. Seit Neujahr spielt nämlich
die Musik des österreichischen Infanterieregiments „Baron Wern-
hardt" unter Leitung ihres trefflichen Capellmeisters Hopf fast in
jeder Woche einmal im Saale des Casino's „zum Frankfurter Hof"
und einmal im Local der Narrhai la in der Fruchthalle. Diese Con-.
certe , welche von 7 bis 11 Uhr Abends dauern und materiellere
Genüsse nicht ausschliessen , sind bei der hiesigen Bevölkerung
ausserordentlich beliebt , da deren Programme dem Geschmacke des
grossen Publikums , vielleicht mit zu grosser Zuvorkommenheit, an-
gepasst werden und die Ausführung der verschiedenartigen Musik-
stücke stets eine sehr schwungvolle und präcise ist. Wir wollen
auch gar nichts gegen die flotten Tänze einwenden , von denen die
dortigen Zuhörer electrisirt zu werden pflegen, und möchten nur
jene musikalischen Ungethüme , die sogenannten Potpourri's , die
mit Locomotivengeschnaube, Ocbsengebrüll , Hahnengeschrei und
andern Absurditäten so reichlich gespickt sind , möglichst selten in
die Programme dieser Concerte aufgenommen sehen , wenn auch ein
gewisser Theil des Auditoriums gerade bei jenen widerwärtigen
Auswüchsen eines schlechten Geschmacks von Vergnügen ganz aus-
ser sich geräth*und selbst mit zu brüllen anfängt. Sollte man denn
nicht auch hei derartigen Productionen versuchen , das Publikum
zu sich heraufzuziehen, statt zu dessen tiefsten Geschmacksver-
irrungen sich nachgiebig herabzulassen? Der Beifall, den die bes-
sern Musikwerke stets so reichlich finden , lässt über die Bildungs-
fähigkeit des nämlichen Publikums keinen Zweifel übrig. Doch
gilt dies nicht etwa nur der österreichischen Militärmusik, sondern
auch den preussischen Musik chören , welche jeden Sonntag im Hotel
Barth und in den Räumen der „neuen Anlage" vor einem zahlrei-
chen Publikum sich mit grossem Beifall produciren , denn auch
diese , obwohl sie im Ganzen häufiger gute Musik spielen , meinen
es ginge nicht ohne jene scheusslichen Potpourri's. Wir haben uns
längst vorgenommen , diese kleine Rüge auszusprechen , obwohl
diese Art von Concerten sich einer strengeren Kritik in Bezug
auf Geschmacksrichtung wegen ihres mehr populären Charak-
ters zu entziehen scheinen , und nun ob geschehen ist , hoffen wir,
dass die Lenker jener Concerte , deren Tüchtigkeit wir von ganzem
Herzen anerkennen , unsere wohlmeinende Absicht nicht verkennen
werden. r E. F.
— 27 -
lachrlehten.
Aachen. Hr. Musikdirector Breunung verdient den wärmsten
Dank de« Publikums durch die Aufführung des Oratoriums „Samson"
Ton Händel, welche als eine in jeder Beziehung äusserst gelungene
zu bezeichnen ist, sowohl was die Chore und das Orchester, sowie
auch was die Solisten betrifft. Von Letzteren heben wir vorzugs-
weise die Leistungen der Frl. Rempel aus Cöln und der Frau
Pottho f-Diehl von hier, sowie des trefflichen Karl Hill aus
Frankfurt hervor. Auch Hr. Göbbels (Samson) leistete recht
Verdienstliches.
Leipzig. Das 15. Gewandhausconcert am 1. Februar ist wie-
derum als ein historisches zu bezeichnen. Von Instrumentalwerken
kamen zur Aufführung : die Ouvertüre zu „Anakreon" und ein Entre-
act aus „Medea" von Cherubini ; Serenade in B-dur für Blasinstru-
mente und Contrabass, sowie ein Oboe-Concert (vorgetr. von Hrn.
Kammermusikus Lund aus Stockholm) von Mozart, und die Ouver-
türe zu „Joseph" von Mehul. Der Gesang war durch Hrn. Mar-
chesi vertreten, der eine Arie aus „Figaro" von Mozart, ferner
eine Arie aus „Mattimonio segreto" von Ciniarosa und Lieder von
Joh. Friedr. Reichardt vortrug.
Dresden. Das 5. Abonnementconcert der k. musikalischen Ca-
pelle fand am 1. Februar statt und brachte als Novität die Sinfonie
„Columbus" von J. J. Abert, welche vorzüglich executirt und mit
grossem Beifall aufgenommen wurde. Ausserdem kamen zur Auf-
fuhrung: die Jagd-Ouvertüre von Mehul und die grosse Leonoren-
Ouvertüre von Beethoven, sowie eine der weniger bekannten Sin-
fonien von J. Haydn in B-dur. Alle diese Werke fanden unter der
vorzüglichen Leitung des Hrn. Hofcapellmeisters Dr. Rietz eine
an Feinheit, Schwung und Correctheit nichts zu wünschen lassende
Wiedergabe.
Berlin. In den Gemächern IL MM. fand am 18. Januar ein
Hofconcert unter Direction des Hrn. Hofcapellmeisters T a u b e r t
statt, worin Frl. O r gen i eine Arie aus „Ernani" und eine Romanze
von dem Frhr. von Rothschild vortrug; Frl. y. Pöllnitz sang
„Auf Grusiens Hügeln" von Fr. Viardöt- Garcia und ein Terzett
rt Vien al mar" mit den HH. Woworsky und S a 1 o m o n.
Tausig trug eine Caprice über die „Ruinen von Athen" eigener
Composition vor.
Brüssel. Der Director der hiesigen italienischen Oper hat sich
plötzlich zurückgezogen und seine Mitglieder im Stich gelassen;
um diese nicht sehr achtenswerthe Handlung einigermaassen zu
entschuldigen, hat er eine Erklärung veröffentlicht, die manche wahr-
haft interessante Data enthält: Eine grosse Dame, die eine Oper
componirt hatte und dieselbe auf die Bühne bringen wollte, hatte
sich an ihn gewendet, damit er eine Gesellschaft von Künstlern
engagire , um mit derselben ihr Werk aufzuführen ; sie versprach
ihm eine Summe zu leihen, und der Director ging auf ihre Vor-
schläge ein und berief Sänger und Sängerinnen, Choristen, miethete
das Theater etc. Als nun alles so weit geordnet war, dass nunmehr
der Anfang gemacht werden sollte, ward die Dame plötzlich von
Furcht bewegt (für ihre Oper oder für ihr Geld, das kann Niemand
wissen) , sprach davon , dasB man ihr Werk nicht genug probiren
und daher nicht gut aufführen würde, und zog sich von aller Ver-
bindlichkeit zurück. Der Director, welcher den für einen Geschäfts-
mann unglaublich thörichten Streich begangen hatte, war nun ge-
zwungen, das ganze Unternehmen aufzugeben, wird aber gegen die
Dame einen Prozess anhängig machen ; die Gesellschaft spielt einst-
weilen auf ihre eigene Faust und dürfte, von der Sympathie des
Publikums unterstützt, bald der drückendsten Verlegenheit entrissen
sein. (Die grosse Dame ist eine Madama Tarbe des Sablons,
die schon vor mehreren Jahren eine Oper, „Les Bataves" auf die
Bretter brachte ; dieselbe erlebte eine Vorstellung.)
Paris. Die Einnahmen der Concerte, Theater, Bälle und öffent-
lichen Schaustellungen in Paris betrugen im Jahre 1865 die Summe
▼on 19,168,409 Frs., gegenüber von 16,748,975 Frs. des Jahres 1864.
— Das Programm des 2. Abonnement -Concertes im Conserva-
torium war folgendes : Sinfonie in A - moll von Mendelssohn ; Chor
aus dem Oratorium „Das Weltgericht" von Fr. Schneider ; Fragmente
aus dem Ballet „Prometheus" von Beethoven ; Chor aus der „Wal-
purgisnacht", und Sinfonie Nr. 53 von Haydn.
— Das 15. Concert des Hrn. Pasdeloup brachte: Suite für
Orchester von J.S.Bach; Pastoral-Sinfonie von Beethoven; Ouver-
türe zu „Athalia" von Mendelssohn ; Bruchstücke aus dem Quintett
Op. 34 für Clarinette und Streichquartett; Ouvertüre zum „Garne*
val von Rom" von Hector Berlioz.
— Die Bouffes Parisiens haben Offenbachs „Orpheus in der
Unterwelt" in glänzender Weise wieder auf die Scene gebracht.
Florenz. Der berühmte Geiger Jean Becker hat zur Freude
seiner zahlreichen Verehrer ein Abonnnment auf drei Concerte er-
öffnet, in welchen er mit den HH. Masi, Chiostri und Hilpert
vorzugsweise einige der schwierigeren Quartette von Beethoven zur
Aufführung bringen wird.
— Der König von Portugal hat für das in unserer Stadt zu
errichtende Cherubini-Monument einen Beitrag von 200 Frs. gespendet.
Petersburg. Im 6. Concerte der russischen musikalischen Ge-
sellschaft wurden Schumann's „Manfred"-Musik, der 48. Psalm von
Mendelssohn und die C-moll-Sinfonie von Gade aufgeführt. In dem-
selben Concerte trat auch Ferdinand Laub mit dem Concert
von Beethoven zum ersten Male vor das Petersburger Publikum.
Er wurde von diesem wie vom Orchester lebhaft begrüsst und ein
endloser Beifallsjubel folgte seiner eminenten Leistung.
*** Die ersten 15 Vorstellungen von Flotow's „Martha" in
Paris haben eine Einnahme von 84,000 Frcs. ergeben.
* *
* Ein Theil der Pariser italienischen Operngesellschaft wird
demnächst im k. Theater zu Brüssel einen Cyclus von Vorstellun-
gen eröffnen. Ebenso wird auch de Hartog's Oper : Le Mariaffe
de Don Lope zur Aufführung kommen.
*** Das städtische Museum in Braunschweig erhielt einen be-
merkenswerthen Zuwachs durch die Häusler'sche „Sammlung von
Theaterzetteln von allen Bühnen der Erde", die für die Geschichte
des Theaters ein unschätzbares Quellenmaterial enthält, wie es sich
vielleicht nirgends weiter findet , und deren Werth noch bedeutend
erhöht wird durch die beigefügten Porträts und Costumebilder etc.,
reiches biographisches und literar-historisches Material , sowie auch,
zumal für die Geschichte der Musik, durch die dabei befindlichen
Concert-Programme und eiue ausserordentlich reiche Sammlung von
Operntexten.
*** Der Pianist Gustav Satter soll vom König von Han-
nover den Capellmeistertitel erhalten und unter seiner Leitung im
nächsten Sommer ein dreitägiges Musikfest im dortigen Hoftheater
stattfinden.
* m * In Bordeaux hatte eine tragische Oper „DerGiaur* vom
dortigen Capellmeister Hermann sehr guten Erfolg, obgleich der
erste Tenor heiser wurde , sich nicht entschuldigen Hess und tumul-
tuöse Scenen hervorrief.
*** Der Fürst Galizien hat in Moskau grosse Volkscon-
certe nach dem Muster der Pasdeloup'schen in Paris organisirt,
welche gegen ein sehr geringes Eintrittsgeld in der 8000 Zuhörer
fassenden kais. Reitbahn stattfinden. Der Chor besteht aus 500
Personen.
%.* Der bekannte Walzer - Componist Musard hat, wie aus
Paris geschrieben wird, die am Corner -See gelegene Villa Pizzo,
die bisher dem Erzherzog Rainer angehörte , für die Summe von
400,000 Frcs. angekauft.
*** Hr. Schulz, Lehrer am Stern'schen Conservatorium in
Berlin, ist vom Grossherzog von Mecklenburg - Schwerin zum Hof-
pianisten ernannt worden.
%* Aus Lüttich wird gesehrieben : Der berühmte Geiger Vieux-
temps hat ein nationales Oratorium (oder vielmehr eine Cantate)
geschrieben, die bald veröffentlicht werden soll ; sie behandelt einen
eigentümlichen Stoff: die Entwicklung Belgiens seit 1833, und ist
ganz auf Programmmusik eingerichtet.
*** Am 26. Januar ging die „Afrikanerin a< auch in Carlsruhe
in glänzender Ausstattung zum ersten Male in Scene und fand
enthusiastische Aufnahme. Die Aufführung selbst, unter der Direc-
tion des Hrn. Hofcapellmeister L e vi, war eine vorzüglich gelungene.
*** In Heidelberg kam die neunte Sinfonie von Beethoven in
recht anerkennenswerther Weise zur Aufführung, und wurde der Di-
rigent, Musikdirector B o c h am Schlüsse lebhaft gerufen.
*„* Frl. S a u t e r in Berlin hat am Freitage den Contract
ihres künftigen Engagements am Hoftheater zu Dresden unter-
zeichnet. Sie tritt nach dem Abgange der Frau Bürde-Ney,
die nach einem Cyklus von zehn Abschiedsvorstellungen für immer
— 28 —
die Bühne verläset, an die Stelle derselben mit einer Jahresgage
Ton 5000 Thlr. inel. Spielhonorar. Frl. Sanier ist verlobt mit dem
Gesanglehrer und Componisten Alfred Blnme in Dresden.
*** Capellmeister P e r d. H i 1 1 e r ist kürzlich in der ersten
Abendauterbaltung für Kammermusik zu Leipzig als Componist und
Clavierspieler aufgetreten, indem er mehrere seiner neueren Com-
positionen, nämlich: eine Concert - Sonate für Clavier und Violine
(mit Hrn. David) und dann Gavotte, Sarabande und Corrente
für Clavier allein vortrug. Die letzteren, reizend componirten und
vorgetragenen Stücke wurden besonders beifällig aufgenommen.
*** Beauquier*s unlängst erschienene und höchst beachtens-
werte „Philosophie de la Musique" wird in deutscher Uebersetzung
von E. Bernsdorf erscheinen.
*** Der Pianist A. Deprosse hat Frankfort a. M. verlassen
und ist als Lehrer an dem von Hrn. P r a n z in Coburg eröffneten
Conservatorium eingetreten.
*** An die Stelle des Hofpianisten Hrn. Ratzenberger in
Sondershausen ist Hr. Alfred Volkland aus Braunschweig
getreten.
*** Der König von Preussen hat bei dem diesjährigen Krönungs-
und Ordensfeste nachstehenden Personen Ordeu und Ehrenzeichen
verliehen : den rothen Adlerorden 4. Klasse : dem k. Kammermusiker
C. Böhmer, dem pens. Kammermusiker Hörne; den Kronorden
4. Klasse: dem Hof-Pianofortefabrikanten Carl Bechstein, dem
Director derMilitärmasik Wi e p r e cht ; das allgemeine Ehrenzeichen
dem Stabstrompeter Decker und dem Militärmusikmeister Rode.
*** Man beabsichtigt in New-York ein Conservatorium der
Musik nach dem Muster des Pariser Conservatorinms zu errichten,
und ist bereits ein Theil der hiezu nöthigen Summe von 2,500,000
Frcs. gedeckt.
*** Der Tenorist Ferenczy in Wien soll in einer, namentlich
bei Tenoristen unerhörten Selbsterkenntniss bei der Direction der
Hofoper darauf angetragen haben, seine Gage von 10,000 fl. auf
6000 fl. herabzusetzen.
*** Frau Krebs-Michalesi sang am 20. Januar bei der
100. Aufführung des „Propheten" die Fides zum 96., Tichatschek
den Johann ungefähr zum 90. Male unter dem wärmsten Beifalle,
und besonders Erstere mit noch ebenso ungeschwächter Kraft wie
vor sechszehn Jahren.
*** Am 12. Februar soll Joachim wieder in London in
einem der populären Montagsconcerte auftreten.
*** Dem „Nürnberger Corresp." wird von München aus ge-
schrieben, dass König Ludwig II. darauf beharre, ein Theater im
Sinne des von R. Wagner aufgestellten Programms zu errichten. 1
Das Theater solle 8 — 10,000 Personen fassen , der Zutritt frei sein,
und auf demselben vorzugsweise Wagner'sche Opern zur Aufführung,
kommen. Demselben Blatte wird gleichzeitig versichert , dass an
eine Wiedereröffnung des Musikcouservatoriums in seiner früheren
Organisation nicht zu denken sei.
*** In Frankfurt a. M. ist der 110. Geburtstag Mozart's
(27. Januar) durch die Aufführung der Oper „Zaida", einer Jugend-
Schöpfung des unsterblichen Meisters, gefeiert worden.
*** In Valenzia ist eine Oper: „Gli Amanti di TereuP* von
Avelino de Aguirra mit Enthusiasmus aufgenommen worden.
Der Componist und die Dichterin, Rosa Zapater, wurden un-
zählige Mal hervorgerufen.
*** In Barcelona erscheint seit Neujahr im Verlag der Musik-
handlung von D. Andres Vidal eine Musikzeitung unter dem
Titel: „La Espagna musical".
V Der Flötenvirtuose De Vroye aus Paris erhielt vom Her-
zog zu Sachsen-Altenburg die Verdienstmedaille des herzogl. sächs.
Ernestinischen Hausordens.
*** In der Villa, welche Rieb. Wagner bewohnte, brach
kurz nach seiner Abreise nach dem südlichen Frankreich, wo er
gegenwärtig verweilt, Feuer aus, bei welcher Veranlassung beinahe
seine Partitur zu den „Meistersängern" verbrannt wäre.
*** Im neuen Harmonie - Theater in Wien kam eine Operette
von Bachrich: „Des Heerdes und der Liebe Flammen" zur Auf-
führung. Die Musik machte wenig Glück, da sie, auffallend den
Wagnerischen Styl nachahmend, sich schlecht mit dem leichten Genre
der Operette verträgt.
V Die Sängerin Frl. Grün vom Hoftheater in Cassel ist
auf drei Jahre bei der k. Oper in Berlin engagirt worden. Sie
erhält in den zwei ersten Jahren 3000 Thlr. und im dritten Jahr«
3500 Thlr. Gage nebst 10 Thlr. Spielhonorar.
ANZEIGE.
Neue Musikalien.
Im Verlage von Fr. Kistner in Leipzig erschien
soeben mit Eigenthumsrecht :
Appel, Carl. Op. 28. Salonstücke für die Violine mit Beglei-
tung des Pianoforte. 20 Ngr.
— Op. 29. 2 Lieder („Noch sind die Tage der Rosen",
„Schlaf sanft mein Lieb") für vier Männerstimmen,
(Solo und Chor.) Part, und Stimmen 22 V, Ngr.
Brambaeh , C. «log, Op. 10. „Trost in Tönen ," für ge-
mischten Chor mit Orchesterbegleitung.
Partitur 20 Ngr,
Orchesterstimmen 16 Ngr.
Chorstimmen 10 Ngr.
Ciavierauszug 15 Ngr.
Brunner, ©. T. Op. 446. Kleine Melodien für Anfänger des
Ciavierspiels in leichtester Weise und fortschreitender
Stufenfolge zu vier Händen — als Beigabe zu
jeder Ciavierschule, H. 1-3 a 15 Ngr.
Davidoll*, Clir. Op. 14. 2me Concerto pour le Violoncello
avec aecompagnement d'Orchestre ou de Piano.
Pr. avec Orch. Thlr. 4. 10 Ngr.
Dreyaeliock, Alex. Op. 139. Nocturne (la jeune captive)
pour le Piano. 10 Ngr.
— Op. 140. Chanson sans paroles (la Bergeronette) pour
le Piano. 10 Ngr.
Henrlon, Paul. „A bride Abattue" Fantaisie-Galop pour
Piano. 15 Ngr.
Horn, August. Op. 23. Frühlingslied - Gedicht von Fr.
Bodenstedt — für eine Singstimme mit Begleitung
des Pianoforte. 17Vj Ngr.
Huiltze, C. Op. 113. Drei Quartette — Nr. 1. Liebesfrühling,
von Marie Ihring. Nr. 2. Der Kuss, von Th. Drobisch.
Nr. 3. Wie hab ich dich bo lieb, von C. W. Müller —
für Männerstimmen. Part. u. Stimmen. 22 V, Ngr.
LOw, Josef. Op, 3. „Dans la Solitude," RSverie pour Piano.
10 Ngr.
— Op. 4. Zwei melodiöse Ciavierstücke. — Nr. 1. Zu-
versicht. Nr. 2. Sorglosigkeit. Nr. 1 u. 2 a 10 Ngr.
— Op. 6. Novellette pour Piano. 10 Ngr.
IiUft, JF* II* Op. 20. Nocturne pour l'Hautbois avec aecom-
pagnement de Piano. 25 Ngr.
MetllfeSfSel, Alb. Op. 156. „Wann, o wann" (Dichtung von
Em. Geibel) für vierstimmigen Männergesang (Chor
und Solo). Part, und Stimmen. 17 1 /» Ngr.
Norman, Ij. Op. 12. Drei Ciavierstücke im Scherzcharacter.
25 Ngr.
Paiier, Ernst. Op. 60. Studie (Variationen im ernsten Style)
über ein Thema aus G. F. Händel's „Samsou" für das
Pianoforte. Thlr. 1.
Raff, Joachim. Op. 118. Valse favorire pour Piano. 15 Ngr.
— Op. 119. Phantasie für Pianoforte. 15 Ngr.
— Op. 120. Spanische Rhapsodie für Pianoforte. 15 Ngr.
Vogflp CJhr. Op. 287. Transcriptions Italiennes. Nr. 4. Scene
et Air d'Egberto de l'Opera „Aroldo" de Verdi, pour
Piano. 16 Ngr.
— Nr. 5. Scene et Duo d'Amelia et Gabriele de POpeVa
„Simon Boccanegra" de Verdi, pour Piano. 15 Ngr.
— Nr. 6. Scene et Duo de Lina et Stankar de l'Opera
„Stiffelio" de Verdi, pour Piano. 15 Ngr.
Walkerllris , Rieh. Op. 2. Zwei Stücke für das Piano-
forte. 15 Ngr.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck *. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
&*&•
19. Februar 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen. c
4
4,
V«f (ig
TOB
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ,
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
v
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
IKHALT: Künstlerische Beurtheilung der Musik des K. Pr. 34. Infant.-Reg. — Correspondenzen : München. Paris. — Nachrichten.
Künstlerische Beurtheilung
der Musik des KÖnigl, Preuss. 34. Infanterie-Regimentes.
Von J. Weber.*)
(Aus dem Journale „Le Temps," 15. November.)
Ich übergebe die erste Hälfte dieser Kritik, welche besonders
die Ausführung der Musikstücke, deren Auffassung und Arrangement
betrifft, und beginne mit dem Theile, auf welchen zu antworten ich
mir zur Pflicht machte. Diese Antwort ist in den Journalen ,,la
France chorale'* von Paris (Nro. vom 5. Dezember) und in dem
„Niederrheinischen Kurier" von Strassburg (Nro. vom 8. und 9. De-
zember) erschienen; das Journal „le Temps" hat mir durch das
Organ des Herrn J. Weber deren Veröffentlichung verweigert.
A. E. Schäfer.
„Nachdem ich zwei Concerten beigewohnt, suchte ich mir ver-
gebens Rechenschaft zu geben über die Zusammenstellung dieses,
aus 60 Executanten bestehenden Musikchors , während eine gute
französische Militärmusik von 40 Mitgliedern bessere Resultate er-
zielt. Ich ging also in ein drittes Concert und suchte mich so zu
placiren, dass ich auf's Beste die verschiedenen Instrumente unter-
scheiden konnte. Ich habe die Lösung des Räthsels gefunden.
Dieses Orchester, welches bei der Anhörung von unseren Militär-
musiken ganz verschieden scheint, ist nichts weiter als eine mangel-
hafte Nachahmung der in Frankreich durch ein ministerielles Dekret
vom Jahre 1845 eingeführten Organisation. Die Thatsache ist zu
seltsam, um nicht eine genaue Darstellung zu verdienen *, ich muss
demnach die Zusammenstellung der preussischen Musik umständlich
schildern. Uebrigens könnte ich zum Belege dessen, was ich hier
sagen werde, mich auf die Zeugnisse der Universal -Ausstellungen
berufen und auf andere ebenso wenig bestreitbare Dokumente.
Die Fabrikation der Holzblasinstrumente ist in Deutschland
gänzlich stehen geblieben. Die Verbesserungen , welche wir den
Verbindungen und Ringen des Systems B o e h m, das allgemein in
Frankreich angenommen ist, verdanken , sind bei unsern Nachbarn
nicht zu Gunsten gekommen. Die Hoboen des Hrn. Parlow sind
primitiv und erinnern au diejenigen der italienischen . pifferari" ;
die Flöten und Clarinetten können nur mittelmässig sein. Der un-
wissendste Zuhörer kann leicht die schlechten Töne der Mittellage
*) Wir geben dem Ersuchen, die Beurtheilung der preussischen
Militärmusik von J. Weber und die berichtigende Erwiderung
von A. E. Schäfer auf dieselbe in unser Blatt aufzunehmen,
gerne Folge , da sich in der Weber'schen Kritik nichts weiter
als eine mit acht französischer Selbstüberschätzung geschriebene
Reclame für die Instrumente des Hrn Öax kund gibt, und wir
mit Hrn. Schäfer der Ansicht Bind, dass die gemischten Klang-
farben der preussischen und andeien deutschen Militärmusiken
jedenfalls eiue bessere Wirkung machen müssen als dies bei
einem ausschliesslich aus Sax'schen Instrumenten zusammenge-
setzten Orchester der Fall sein kann. Auch der Zurückweisung
der anmassenden Geringschätzung, mit welcher Weber die deutsche
Instrumenten • Fabrikation behandelt, geben wir gerne weitere
Verbreitung. Die Red.
bei den Clarinetten unterscheiden; die oberen Töne sind hart und
schreiend, und die Clarinettisten sind sehr häufig genöthigt die Noten
abzustossen , auch wenn dies nicht erforderlich wäre. * Die kleine
Flöte ist nur ausnahmsweise angewendet. Die zwei Fagotte und
der Contrafagott machen sich an einem Abende ein- oder zweimal
durch einen besonderen Effect bemerklich ; für den Rest sind sie so
gut als abwesend. In Frankreich sind sie aus der Militärmusik aus-
geschlossen. Dagegen haben wir die Saxophone s, von denen ein
Doppelquartett für die Infanteriemusiken vorgeschrieben ist; die
Schönheit ihres Tones uud die Art, wie sie sich sowohl mit den
Holzinstrumenten wie mit den Blechinstrumenten verbinden, ist eine
ebenso kostbare als neue Hülfsquelle. — Die vier Hörner haben ihr
Dasein in der Ouvertüre aus „Freischütz" beurkundet, im Uebrigen
steht es mit denselben wie mit den Fagotten. Das einfache Hörn
ist ein armes, das gewöhnliche Ventilhorn ein schlechtes Instrument.
Wir haben dieselben durch die Saxotromba's ersetzt, welche
sich zwischen die Flügelhömer und Trompeten einschalten. Wurden
Sie glauben, dass ich vergeblich in dem Orchester des Hrn. Parlow
die in den Harmoniemusiken so nützlichen Cornets ä pislons ge-
sucht habe ? Das preussische Instrument, welches sich durch seine
Form dem Cornet zu nähern scheint, ist ein Sopran* Flügelhorn,
welches für diejenigen Tonlagen bestimmt ist, die das Flügelhorn
in B nicht erreichen kann. Ferner sind vier Trompeten vorhanden
und vier Posaunen, worunter eine Bassposaune. Alle diese Instru-
mente sind mit Ventilen versehen; die Zugposaune ist demnach aus-
geschlossen, und dies mit Recht. Unnöthig, mich mit der Kritik
dieser Instrumente zu befassen : bei Anhörung hatte ich kaum das
Vorhandensein der Hälfte vermuthet
Für den Schiusa habe ich noch etwa zwanzig Instru-
mente aufgespart, welche nichts anderes sind als die Familie der
FlügelhÖrner, in Frankreich Saxhorns genannt, nach dem Namen
des berühmten Instrumenten- Fabrikanten, welcher an demselben be-
deutende Verbesserungen angebracht hat. Es ist zu bemerken, dass
vor dem Jahre 1845, und sogar noch eiuige Jahre später, die Deut-
schen von dieser Instrumenteuklasse nur das Flügelhorn in B und
ein grosses Instrument kannten, welches sie Tuba nannten. Nach
dem Beispiele des Hrn. Sax haben sie die Tuba's durch Bom-
bardons (in C und B) ersetzt, und .die Mittelgattungen dieser
Familie zugefügt.
Die Preusseu haben diesen Fortschritt den Oestreichern entlehnt;
sie bedienen sich der von Letzteren verfertigten Instrumente oder
ahmen dieselben nach. Wenn diese Instrumente noch von guter
Qualität wären, so würden sie in den deutschen Musiken eine solide,
homogene und characterisirte Harmonie- Grundlage bilden, wie dies
bei den französischen Musiken der Fall ist Unglücklicherweise
haben aber die Deutschen die Hauptsache vergessen. Wenn sie die
Erörterungen befolgt hätten, zu welchen die neuen Erfindungen des
Hm. Sax Anlass gegebeu, bo würden sie gesehen haben, dass dieser
Instrumeutenmacher zuerst die Wichtigkeit der Gesetze, des Verhält-
nisses der Röhre bei den Blasinstrumenten erkannt und bewiesen
hat. Die vollkommene Kenutuiss dieser Gesetze ist sein Haltpunkt ;
— 30
mit derselben bat er die ganze Instrumeaten-Fabrikation umgestossen,
indem er nämlich neue Instrumente schuf, die älteren verbesserte
und sämmtlich zu Familien heranbildete.
Die Deutschen sind dagegen noch so tief im Inrthum befangen,
dass sie nicht einmal begreifen , dass eine übermassige Weite der
Röhre, welche bei den Klappen-Flfigelhörnern einen gewissen Grund
hatte, bei den Ventilinstrumenten ein Unsinn ist; der Ton ist matt,
dumpf und spricht weniger gut an als bei einem Instrumente mit
vernünftigen Proportionen. Die tiefen Flügelhörner haben denselben
Fehler; da die Deutschen die richtigen Proportionen eines Instru-
mentes dieser Familie nicht ausfindig machen konnten, so mussten
sie sich notwendigerweise bei allen anderen irren ; daher dann die
weiche, dumpfe Klangfarbe ihrer sämmtlichen Flügelhörner und der
Mangel an Einheit ihrer Instrumente, ohne der Mangelhaftigkeit ihrer
Ventile zu gedenken. Die Bässe und Contrabässe, in Masse vereinigt
und von den Posaunen unterstützt, entwickeln zwar eine ziemlich
respectable Kraft, aber wenn man dagegen nur die Hälfte der An-
zahl guter Saxhorns hörte, so würde man sich wohl von dem Unter-
schied in der Qualität dieser Instrumente überwiesen finden. Ach!
hätten wir nur an demselben Abende einmal nach der preusaischen
Musik diejenige der Guides oder der Garde de Paris gehört, oder
auch nur das zwölfstimmige Orchester mit den neuen Instrumenten
den Hrn. Sax , von welchem ich Ihnen neulich gesprochen habe 1
Hr. Parlow wohnte übrigens einer von Hrn. Sax veranstalteten Pro-
duction bei, und dies mit einer Bereitwilligkeit, einer Offenherzig-
keit und einer Begierde sich zu belehren, welche ihm zur grossen
Ehre gereicht. Er bezeugte seine Bewunderung für die schöne
Klangfarbe der Saxophones, für die neue Hilfsquelle der Saxhorns,
der Trompeten uud Posaunen mit sechs unabhängigen Ventilen,
sowie für das neue C o r - S a x. Er wird erstaunt gewesen sein,
Posaunisten und Bassisten zu hören, welche mit zehnmal mehr Styl
und Ausdruck und mit viermal mehr Fertigkeit blasen als der beste
Clarinettist des preussischen Orchesters. (?)
Der Schluss, den wir aus allem diesem ziehen, ist folgender:
Wenn die Deutschen vor mehr als 20 Jahren die besten Militär-
musiken besassen, so würden sie sich doch gewaltig irren, wenn sie
•ich dies heute noch einbildeten. Sie haben Frankreich Ehre ge-
macht, indem sie die 1645 decretirte und 1854 und 1860 modificirte
neue Organisation nachgeahmt haben; aber durch die Ungeschick-
lichkeit, mit welcher sie einen Theil unserer Instramente nachgeahmt
während sie mit den anderen stehen geblieben, haben sie uns ein-
mal mehr bewiesen, wie weit wir sie überflügelt haben.
J. Weber.
COBRESPOVDEKZCH.
Aluh München.
#. Febnar.
Es gibt nur Weniges, worüber ich Ihnen heute berichten kann:
die ganze Musik scheint jetzt in den schleifenden Dreivierteltact
des Walzers oder in den zappltchen Dreiachteltact einer Polka auf-
gegangen zu seiu, und ein Berichterstatter kann nun zu neuer Ar-
beit gemächlich ausruhen, eine Annehmlichkeit, für welche nur der
die volle Empfindung hat, der sich ex officio an jede Tafel setzen
muss, wo Kunstgenüsse aufgetischt werden.
Ein Spätling in der Saison war das Concert der Frl. Am alle
Schönchen, einem Mitglied« einer in München best-renommirten
musikalischen Familie. Sie ist Sängerin und besitzt eine nicht grosse,
vom Zahn der Zeit schon angenagte, aber sympathische Stimme von
breitem Ton und edler Klangfarbe; in der Auswahl und dem Vor-
trag der Gesangspiecen, welche sie auf das Programm gesetzt hatte,
bewies sie Geschmack und gründliche musikalische Bildung. Da in
dem Concerte die ersten Kräfte unseres Hoforchesters, wie B ärmann,
8 trau s s, Müller, Vitzthum u. 0. w. mitwirkten, läset sich
denken, dass die einzelnen Nummern des Programms zur besten
Wirkung gelangten.
In der Oper trat Hr. Grill als „Jobann von Paris" wieder
auf; lange Zeit hatte ihn ein Halsleiden, das er sich durch Ueber-
anstrengung auf Gastspielen zugezogen, von der Bühne entfernt ge-
halten; der lange Uuterricht aber, den er bei dem Gesangslehrer
Schmidt, der «ich auf derartige Cur en (man denke an Frau B ü r!d e-
N « y) verstehen will , genommen hatte , wies keine Früchte oder
doch nur ganz unansehnliche auf: die Stimme klang wie vorher,
n att und krank und verschleiert, und das Theaterpublikum bedauert»
dass dieser Heldentenor, der bei ihm sonst gut angeschrieben war,
nun nur mehr zu ganz kleinen Episoden zu gebrauchen ist.
Die Oper bietet keinen Reiz; in dem ewig gleichen Kreise
spielt sich das magere Repertoir ab, und von Novitäten oder Neu«
einstndirungen interessanter Opern dürfen wir uns in München vor-
läufig nichts träumen lassen. Für die zweite Hälfte des Jahres —
allerdings eine ungenügende Entschädigung — ist die „Afrikanerin"
in Aussicht genommen; ob's dazu kommt, ist abzuwarten.
Das Actientheater brachte ein Volksstück von Hermann
S c h m i d, welches sich „der Tatzelwurm" betitelt, zur Aufführung.
Capellmeister Krempelsetzer hat dazu ungefähr sechszehn oder
achtzchnNummern componirt, die sich sämmtlich durch frische, anspre-
chende Melodien und saubere, solide Arbeit auszeichnen. Mir gefiel
vorzüglich ein ganz characteristischer Rekrutenmarsch, dessen lustige,
acht volksthümliche Weise das Piccolo bläst, welches vom Fagott,
der Flöte und der kleinen Trommel begleitet wird , nicht minder
ein Gebet im dritten Akt, eine innig empfundene Composition, die
dazu reizend instrumentirt ist.
Die Hofcapelle veröffentlicht nun immer jede Woche ihr Pro-
gramm, das sie an Sonn- und Feiertagen während des Gottesdienstes
in der Allerheiligen-Hofkirche, meist unter Capellmeister W ü 1 1 n e r's
Leitung zur Aufführung bringt; dadurch haben diese Kircheneoncerte
unter dem Publikum erneutes Interesse gefunden, und die Kirche
kann die Zuhörer kaum fassen, welche Sonntags dem Gottesdienste
und den Vorträgen der Hofcapelle beiwohnen wollen. Z.
A ii 8 Pari».
f). Febraar.
Die soeben verflossene Woche hat uns zwei neue Opern ge-
bracht: „Fior d'dfiza" von Victor Masse und „Barbe Bleue'*
von JacquesOffenbach. „ Fior d ' Aliza" die vorigen Montag
in der Opera comique zum erstenmale in Scene ging , hat sich,
wenn auch keiner glänzenden, doch einer sehr freundlichen Aufnahme
zu erfreuen. Das Werk ist reich an musikalischen Schönheiten,
der Text aber ist zu breit ausgesponnen. Der Rahmen ist zu weit
für die dürftige Handlung, was den Erfolg des Compositeurs sehr
beeinträchtigt. Was „Barbe Bleue" betrifft, so bieten die Verfasser
des Textbuches, die HH. Henri Meilhac und Ltidovic Halevy,
in demselben mehr Witz und weniger Anstössigkeiten als in der
„Belle Helene". Die Musik Offenbach's ist frisch und lebhaft, und
so wird sich diese Opera buffa gewiss lange auf dem Repertoir
des Varie'te's- Theaters erhalten.
In der italienischen Oper ist AdelinaPatti vorigen Do uners-
tag als Rosine im „Barbier von Sevilla" aufgetreten. Ungeheurer
Applaus und Blumenregen. Ohne diese Nachtigall könnte das ge-
nannte Theater gar nicht bestehen.
Im The'dtre lyrique wechselt „Martha" mit Gounod's „Faust"
ab. Beide Opern machen volle Häuser; indessen wird dort doch
schon Mozart's ,,Don Juan" fleissig einstudirt.
Die Partitur der Graner Messe von Liszt befindet sich bereits
in den Händen des Barons Taylor und wird bo bald als möglich
zur Aufführung kommen.
Der Cyclus der Concerte, welche Mme. Szarvady unter Mit-
wirkung der Gebrüder Müller aus Moiningen im Saale Pleyel
gibt, hat vorigen Dienstag begonnen und zwar vor einem diclitge-
diängten Publikum, welches den Leistungen der Pianistin und des
berühmten Streichquartetts den lebhaftesten Beifall zollte.
Felicien David ist io Petersburg eingetroffen, wo er
während der Fasten drei musikalische Soireen geben und in den-
selben seine gelungensten sinfonischen Werke zur Aufführung
bringen wird.
^< * i n » —
W tt e Ii r I <* Ii < e ii
Cöln. Das Programm des 7. Gesellschaftsconcertes im Gürzenich
enthielt : Ouvertüre zu „Athalia" von Mendelssohn ; Arie aus
- 31 -
„Figaro's Hochseit", ges. von Hrn. Marchesi; „die Nixe," aus
dem Russischen des Lermontoff übersetzt von L. Sprato, für Altsolo,
Frauenchor und Orchester von A. Bubiostein (Altsolo: Frau Mar-
en e s i) ; Claviereoncert von C. Reinecke, vorgetr. vom Com-
ponisten ; Duett aus der „Olympia" von Sacehini (Hr. und Frau
Marchesi); Credo aus der Krönungsmesse von Cherubini; Pastoral-
Sinfonie von Beethoven.
CoblenZ. Am 16. Januar, dem Vorabende von Mozart'« Ge-
burtstag fand das sechste Abonnement» - Concert unter Leitung von
Max Bruch statt und kamen bei dieser Gelegenheit nur Mozart*-
sche Compositiouen zur Aufführung, und zwar: Sinfonie in C-dur
mit der Schlussfuge; Arie aus „Figaro's Hochzeit" (Hr. Marchesi);
Claviereoncert in C-moll (Hr. Fr. G e r n t> h e i m) ; Mauerische Trauer-
musik ; Arie aus „Don Juan 4 ' (Hr. Marchesi) ; Ave verum ; Andante
und Rondo aus der Sonate in O-dur für zwei Claviere (die HH.
Gernsheim und Bruch) ; Ouvertüre zur „Zauberflöte".
München. Der gegenwärtig hier verweilende Grossherzog von
Hessen -Daimstadt besucht in Begleitung des Prinzen Adalbert von
Baiern regelmässig das Volkstheater und hat dieser Tage den Vor-
stand und Secretär des Verwaltungsrathes, die HH.' Riede rer und
Bayer, sowie den artistischen Director des Volkstheaters, Hrn.
Engelken, mit dem Ritterkreuz des Verdienstordens Philipp des
Grossniüthigen eigenhändig decorirt.
Leipzig. Am 8. Februar fand das herkömmliche Concert zum
Besten der Armen im Gewandhaussaale statt. Zur Aufführung
kamen die Ouvertüren zu „Leonore" von Beethoven und zu „Geno-
vefa" von R. Schumann, eiu Violiucoucert von Lito!ff, vorgetr. von
Concertmeister Dreyschock, und das Beethoveu'scbe Clavier-
eoncert in C-moll, vorgetr. von dem hannoverschen Hofpianisten
Labor. Die k. Kammersängerin Frl. Üb rieh von Hannover sang
die Arie : „Auf starkem Fittig" aus Haydu's „Schöpfung," eiue Arie
aus Russin i's „Semiramis'* uud Lieder von Mendelssohn, Taubert
uud Schumann.
Dresden. Am 10. Februar fand die erste Soiree für Kammer-
musik (2. Cyclus) der HH. Cuncertm. L auter bach, Hü 11 weck,
Görin g und Grützmacher statt. Als Novität wurde das Quar-
tett iu C-moll (Op. 17) von A. Rubin stein vorgeführt, ein in
jeder Beziehung interessantes Werk. Ausserdem hörten wir das
A-dur-Quartett von Mozait UDd das Quintett in C-dur (Op. 29) von
Beethoven, bei welchem das Capellmitglied Hr. M e h 1 h o s e mit-
wirkte. Sämmtliche Werke wurde mit der den genannten Künstlern
eigenen Meisterschaft iu Auflassung und Ausführung wiedergegeben.
BreS'aU. Der bisherige Director des Stadttheaters, Hr. Gundy,
hat seine Concession gegeu eiue bedeutende Entschädigungssumme
an Hrn. Stein abgebeten.
BrttSSel. Grosses Aufsehen in der Brüsseler musikalischen Welt
macht die Neuigkeit, dass die HH. Servais und Leonard be-
schlossen haben, ihre Stellung am hiesigen Conservatorium aufzugeben
und sich in Paris niederzulassen.
Paris. Die von deu Pariser Theatern im Jahre 1864 ausbezahlten
Autorenantheile beliefeu sieh auf die Summe von 1,295,188 Frcs.
— Das dritte Abonneinentconcert im Conservatorium brachte :
C-moll-Sinfonie von Beethoven ; Scene und Chor aus „Idomeneus"
von Mozart; Andante uud Finale aus dem 38. Quartett von Haydn,
vorgetr. vou säuimtlichen Streichinstrumenten; Tenor-Arie aus „Ar-
mida" vou Gluck ; Schlusschor aus „Christus am Oelberg" von Beet-
hoven; Ouvertüre zu „Euryanthe* von Weber.
— Das Programm des 16. populären Concertes des Hrn. Pas-
deloup war folgendes: Sinfonie iu C-moll von Haydn (zum 1.
Male>; Vorspiel zu „Lohengrin* von Rieh. Wagner (zum 1. Male);
Ouvertüre zu den „lustigen Weibern von Windsor" von Nicolai;
„Rigodon" von Rameau; C-moll-Sinfouie von Beethoven.
— Der Pianist A. Jaell wird nächster Tage hier auftreten.
London. Der Director Mapleson hält mit seiner Truppe
einen wahren Triumphzug durch die Provinzen Englands. Neulich
war Edinburg der Schauplatz des enthusiastischen Beifalls, womit
namentlich der Sänger Mario und die Violinspielerin Arditi
überhäuft wurden.
. Florenz. Die Quartett -Gesellschaft des Hrn. Jean Becker
nnd der HH. Enrico Masi, Luigi Chiostri und Federigo
Hilpert hat nun die angekündigten, vorzugsweise Beethoven'schen
Werken gewidmeten drei Mattiueen bereits gegeben uud sich den
Dank und die unbedingte, freudige Anerkennung aller Freunde unü
Kenner classischer Musik sowohl durch die Auswahl der betreffenden
Werke, wie durch die vollendet künstlerische Ausführung derselben
erworben. In der ersten dieser Mattineen hörten wir die Serenade
in D-dur, Op. 8, für Violiue, Viola und Violoncell, und die Quartette
Op. 74 in Es-dur und Op. 134 in Cis-moll von Beethoven. Die
zweite Mattinee brachte die Quartette Op. 69 in C-dur und Op. 127
iu E-dur, sowie die Sonate Op. 47 in A-dur für Piano und Violine
von Beethoven, von den HH. Je r vis und Becker meisterhaft vor-
getragen. Das dritte und letzte dieser interessanten Morgenconcerte
endlieh Hess uns Beethoven'* Quartett in G-dur, Op. 18, und dessen
Riesensonate in As-dur, Op. 110, für Pianofurte, vorgetr. von Hrn.
Scholz, bewundern. Dazwischen spielte Becker ein Concertstück
eigener Composition über Thema's von Bellini mit ausserordentlichem
Beifall , und den Schluss machten Scherzo und Adagio aus dem
Quintett Op. 87 von Mendelssohn. Die Leistungen der genannten
Quartettisten waren durchaus von seltener Vollendung und dem
grossen Rufe, den sich dieselben bei uns erworben haben, vollkom-
men entsprechend. Das Mendelssoho'sche Adagio musste auf allge-
meines Verlangen wiederholt werden. — Wir vernehmen aus sicherer
Quelle, dass das Quartett des Hrn. Becker im nächsten Monate nach
Deutschland kommen und dort Concerte geben wird«
New-Tork. Am 20. Januar ist die grosse Orgelfabrik der HH.
Mason & Hamlin in Cambridgeport, Mass. abgebrannt.
— Frau Parepa, die treffliche Sängerin, hat sich bewegen
lassen, ihre vier oder fünf Mal angedrohte Abreise nach Europa an
verzögern und hat am Samstag ihr allerletztes Concert in der Irving-
Hall gegeben. Wann sie ihr unwiderruflich letztes Concert geben
wird, ist noch nicht festgestellt, jedoch glauben wir, dais eine so
tüchtige Sängerin wie Frau Parepa durchaus nicht der wiederholten
Schreckschüsse bedurft hätte, um ein zahlreiches Publikum herbei-
zuziehen.
* m * Tn Berlin ist die Photographie des Hundes der Sängerin
Frau Lucca in allen dortigen Kunsthandlungen zu haben.
*** Dem Director des deutschen Theaters in Pesth, Hrn. Land-
vogt wurde auch die Leitung des Ofener Theaters übertragen.
%* Die Strike des Brüsseler Chorpersonals hat seine Wirkung
gethan, indem sämmtliche Gagen desselben erhöht wurden.
*** Dor verstorbene Generalmusikdirector Meyerbeer hat in
seinem Testament ein Capital von 10,000 Thlr. ausgesetzt, um dafür
eine „Meyerbeer'sche Stiftung für Tonkünstler" zu begründen. Auf
Grund des Testaments hat das Curatorium der Stiftung, bestehend
aus den HH. Ed. Däge, Baron v. Kor ff und Dr. J. Schulze,
ein Statut entworfen, das auch bereits von dem preussischen Cultus-
ministerium bestätigt worden ist. Danach soll alle zwei Jahre die
Summe von 1000 Thlr. (die Zinsen) zu einem Concurrenzpreise für
Studirende der musikalischen Composition verwandt werden ; die
erste Coneurrenz findet 1867 statt. Jeder Bewerber muss ein Deut-
scher, in Deutschland geboren und erzogen, auch nicht älter als 28
Jahre sein; Religion und Stand ist gUichgiltig. Er muss seine
Studien in einem der öffentlichen Kunstinstitute Berlins oder in dem
Conservatorium für Musik in Cöln gemacht haben. Von jedem Be-
werber ist zu verlangen eine achtstimmige Vocalfuge für 2 Chore,
eine Ouvertüre für ein grosses Orchester und eiue dreistimmige
dramatische Cantate für Gesang und Orchester.
*** Der bekannte Operncomponist Adam hatte einstmals den
Auftrag erhalten, für das kaiserliche Theater in St Petersburg eine
Balletmusik zu schreiben, und ging, nachdem er dieselbe vollendet
hatte, selbst nach Russland, um die Proben zu leiten. Als er auf
seiuer Reise nach Berlin kam, Hess der König von Preussen eine
Oper bei ihm bestellen, welche bei seiner Rückkehr aus Russland
aufgeführt werden sollte. Adam, der auf eine solche Auszeichnung
nicht gefasst war, beeilte sich gleichwohl, den Auftrag anzunehmen,
empfing das Libretto und reiste damit nach Petersburg, wo er sein
Ballet zur Aufführung brachte und mit der fertigen Oper nach Berlin
zurückkehrte, wo er dieselbe sogleich dem Regisseur der Oper über-
gab. „Sehr gut, sagte dieser, ich werde sogleich die Rollen aus-
schreiben lassen und dann eine Leseprobe ansetzen."
Nach vierzehn Tagen ungeduldiger Erwartung erhielt Adam
endlich eine Einladung zur Leseprobe, wo er sämmtliche Mitwirke» da
mit ihren Rollen versammelt fand. Der Compositeur setzt sieh an**
32 -
Ciavier, man liest die Oper durch , worauf der Regisseur ruft : „Es
ist gut für heute, in acht Tagen die zweite Probe."
Adam sprang auf: „Was sagen Sie da ? K fragt er deu Regisseur.
„Ich sage, dass in acht Tagen wieder Probe ist.*
„Aber in Frankreich probirt man jeden Tag."
„In Berlin ist dies nicht Üblich.«
Ganz betroffen ging Adam nach Hause mit der Aussicht auf
eine Verlängerung seines Aufenthaltes von ganz unabsehbarer Dauer.
Er rüstete sich jedoch mit Geduld, und als er nach acht Tagen zur
zweiten Probe kam, fand er zu seiner freudigen Ueberraschung, dass
sämmtliche Mitwirkende ihre Rollen bereits auswendig wussten; so
war es nämlich in Berlin eingeführt. Das Werk ging nun rasch in
Scene, und Adam verliess Berlin mit dem Wunsche, dass der Berliner
Usus auch in Frankreich eingeführt sein möchte, und noch in spä-
terer Zeit, als er eine neue Oper in Paris einstudirte, sagte er zu
einem seiner Freunde, der ihn über den Fortgang derselben befragte:
„Ich komme nicht vorwärts; ich habe noch wenigstens zwei Monate
damit zu thun. Wäre ich in Berlin, so hätte das Publikum schon
sein Urtheil über mein Werk gesprochen. Die Franzosen behaupten,
sie wären Hasen und die Deutschen dagegen Schildkröten in Bezug
auf Schnelligkeit. Mag es so sein , aber Lafontaine hat doch
Recht gehabt mit seiner Fabel; die Schildkröte kommt zuerst ant w
*** In der ersten Hälfte des März wird am deutschen Opern-
theater in Rotterdam zur Aufführung kommen eine romantische Oper
in 3 Acten: „Aleida von Holland," Text von Ernst Pasque in
Darmstadt, Musik von dem holländischen Componisten W. F. T h o o f t.
Der Componist ist ein Schüler der Leipziger Musikdirectoren M.
Hauptmann und E. F. Richter.
%* In Paris machen gegenwärtig zwei musikalische Phänomene
Aufsehen, nämlich ein junger Amerikaner, welcher die Flöte spielt
und sich selbst auf dem Ciavier dazu begleitet, und eine junge Dame
aus Mailand , Frl. M e 1 1 a , die eine wunderschöne Tenorstimme
*besitzt.
V Die Mutter des Abb6 Fr. Liszt ist am 6. Februar in
Paris gestorben.
*** Der Ciavierfabrikant Ludwig Bösendorfer in Wien ist
vom Kaiser von Mexiko zum mexikanischen Hof-Pianofortefabrikanten
ernannt worden.
*** Am 18. d. M. findet im Theater an der Wien die erste
Aufführung von Offenbach's Burlesk -Oper „die Schäfer* unter per-
sönlicher Leitung des Componisten statt.
*** In Brüssel* starb am 2. Februar der rühmlich bekannte
Violoncellist Montigny im Alter von 89 Jahren.
*** Am 29. Januar wurde die „Afrikaner™" in Weimar 'zum
Erste n male aufgeführt. Die Oper war von dem Generalintendanten
von Dingelstedt glänzend in Scene gesetzt, und die Aufführung
selbst war eine vorzügliche. Generalmusikdirector Fr. Lach n er
war von München gekommen, um derselben beizuwohnen.
*** 1» Ulm kam vor einem gedrängt vollen Hause die Oper
„der Schneider von UIm rf von G. P r e s s e 1 mit günstigem Erfolg
zur Aufführung.
*** Ein alter Capellmeister und eifriger Bibliomane hat in einem
kleinen, alten Büchergeschäfte, das an einer Brustwehr des Quai
Voltaire, also auf offener Strasse etablirt ist, einen kostbaren Fund
gemacht, nämlich ein Mauuscript von Pergolese mit der Jahres-
zahl 1731. Dasselbe enthält ein Dutzend bisher ganz unbekannter
Arien und Tänze und einige Varianten der Arie ^Ah Serpina" aus
der „Serva Padrone". Das Manuscript soll nächstens durch den
Druck zu weiterer Kenntniss gebracht werden.
*„* George Sand soll einst eine kleine Schwäche für einen
jungen deutschen Componisten gefühlt haben. Um ihn in Paris zu
poussiren, schrieb sie für ihren Schützling einen Operntext, der denn
auch gleich in Arbeit genommen wurde. Der junge Mann zeigte
jedoch mehr Eifer als Verständniss der französischen Sprache und
glaubte in seiner Pietät, jedes Wort des Libretto in Musik setzen
zu müssen. So componirte er denn auch folgende, am Schlüsse einer
Scene gestandenen Worte als Chor: „// sort par la porte du fond*
George Sand erfasste gelindes Entsetzen und sie nahm Bich vor, nie
wieder mit einem deutschen Componisten zu thun zu haben.
*** In Basel starb am 2. Februar die Gattin des dortigen Mu-
sikdirvctors August Walter, eine geborene Fastlingei 1 aus
München, in Weimar, Leipzig und München als dramatische Sän-
gerin bekannt und wegen ihres vortrefflichen Characters allgemein
beliebt und geachtet.
*** Der rühmlichst bekannte belgische Musikschriftsteller Van*
derstraeten bespricht in der Zeitschrift „L'Echo du Parlement*
die Orchestersuiten von Fr. Lachner, insbesondere auf die Analysi*
rung der dritten derselben eingehend, in äusserst günstiger Weis»
und empfiehlt dieselben zur allgemeinsten Verbreitung.
%* Hr. Concertmeister Lauterbach aus Dresden hat in
Bremen im dortigen Abonnementconcert das Violinconcert von Beet*
hoven und das neu erschienene Mozart'eche Concert unter enthu-
siastischem Beifall vorgetragen.
*** Bei Gelegenheit des in diesem Jahre stattfindenden 50jäh*
rigen Jubiläum des Conservatoriums in Wien wird der Director
desselben, Professor H ellmesberger unter Mitwirkung bedeuten-
der Kunstnotabilitäten eine ausserordentliche Festakademie veran-
stalten, deren Ertrag dem bei dieser Gelegenheit zu creirenden Pen-
sionsfond für das Lehrerpersonal des Institutes zufliessen soll.
*** Frl. P i c h 1 e r , eine Tochter des trefflichen Barytonisten
Pichler in Frankfurt a. M., hat in Augsburg in „Robert," »Huge-
notten" und „Freischütz" mit vielem Glücke debütirt. Die junge
Künstlerin besitzt eine sehr schone Stimme und ist mit einem sehr
vortheilhaften Aeusseren ausgestattet.
*** lo Dresden wird die Oper „Wanda" von Doppler zur
Aufführung vorbereitet.
*** Der Generalmusikdirector Franz Lachner in München
hat vom Kaiser von Mexiko das Commandeurkreuz des Guadaloupe-
Ordens erhalten.
*** In Dresden führte Hr. Armin Früh im Saale des „Hotel
de Saxe" seine vieractige Oper „Clotilde von Lusignan" unter Mit-
wirkung mehrerer kunstgeübten Gesangsdilettanten und des verstärk-
ten Str ausstehen Orchesters auf und erzielte mit seinem Werke,
trotzdem die dramatische Handlung fehlte, dennoch einen sehr ehren-
vollen Erfolg. — Im dortigen Hoftheater führte man am Fastnacht-
Dienstag das alte Singspiel „die Jagd', Text von C. F. Weisse,
Musik von»J. Ad. Hill er, neueinstudirt in sehr gelungener und
ansprechender Weise wieder vor.
*** Wallner, der Eigenthümer und Director des Wallner-
theaters in Berlin , hat im verflossenen Jahre eine Einnahme von
174,000 Thlr. gemacht, und es dürfte ihm, trotz der hohen Gagen,
die er bezahlt, doch ein Reingewinn von etwa 30,000 Thlrn.
übrig bleiben.
*** Am Samstag den 17. d. M. wird Hans vonBülow in
München die erste seiner drei , zum Voitheile der Abgebrannten in
Parteuberg angekündigten Soiieen für ältere und neuere Ciavier-
musik im grossen Museumssaale geben.
**.* Mermet's „Roland in Ronceval" ist in Marseille sehr kalt
aufgenommen worden ; die Gegenwart des Componisten vermochte
dem Fiasco seines Werkes nicht Einhalt zu thun.
*#* Hr. F. F6tis hat in Brüssel eine interessante Vorlesung
gehalten, welche die Jugendjahre Mozart's zum Gegenstand hatte.
*** Die Sängerin Frl. Teil heim vom Wiener Hofoperntheater
hat einen Eugagementsantrag von der Königlichen Oper in Berlin
erhalten.
Berichtigung. In der vorigen Nummer dieses Blattes
bitten wir die geehrten Leser Seite 26, Spalte 2, Zeile 30 v. u.
nach den Worten : „aufgeführt wird" einzuschalten : „als im Pro-
gramme steht."
ANZEIGE.
Man wünscht für die Bäder in Niederbronn
(Elsass)
auf vier Monate, vom 10. Mai bis 10. September, folgende Künstler
zu engagiren: Ein VioUll-SoIO, einen guten Flötisten, ein Comet £
piston Solo, einen Contrabassisten und einen Trombonnisten. Sich
franco zu wenden an Hrn. Rändelet, Director der Bäder, MünBter-
Platz Nro. 2 in Strassburg (Elsass).
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz,
15. Jahrgang.
jv*o.
26. Februar 1866.
SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
q.1 — - — - ■- v-f
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
V $ ff I & g
yon
Vy -~> -«..'V
PBEIS:
~*f
.4
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
j fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
{ 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal. I
INHALT: Die Militärmusiken und der Instrumentenbau in Deutschland und Frankreich. — Correspondenz : Stuttgart. — Nachrichten.
Die Militärmusiken und der Instrumentenbau
in Deutschland und Frankreich.*)
Münster (Elsass), den 15. November 1866.
»Geehrtester Herr!
„Die Kritik über die Musik des 34. preuss. Lin. -Inf. -Regiments,
welche Sie im Journal „Le Temps" vom 15. November veröffent-
lichten, hat mir verschiedene Bemerkungen aufgedrängt, die ich mir
hiermit erlaube, Ihrem wohlwollenden Gutachten zu unterwerfen.
Als Musikdirector und Musiklehrer befasse ich mich ganz besonders
mit den verschiedenen Instrumenten-Gattungen, und da ich überdies
Gelegenheit gefunden, die Organisation sowohl der deutschen als
der französischen Militärmusiken kennen zu lernen, so dürfte meine
Erfahrung vielleicht die Freiheit meines Schrittes entschuldigen.
Die grossentheils persönlichen Ansichten , die ich die Ehre haben
«verde Ihrem U<theile zu unterlegen , sind nicht nur das Ergebniss
reiflichen Nachdenkens, sondern auch das Resultat vielfältiger Ver-
suche, zu welchen mich meine Stellung gezwungen, und über deren
Werth ich gar gerne die Meinung competenter Personen, und ganz
besonders die Ihrige, geehrtester Herr, hören möchte.
„Da ich den Concerten im Cirque de Vimpe'ratrice nicht bei-
gewohnt, kann ich natürlich nicht in eine Erörterung über die Art
und Weise, wie die Musiker des Hrn. Parlow ihre Stücke ausge-
führt, einlassen ; Sie lassen denselben übrigens Gerechtigkeit wider*
fahren hinsichtlich des Ensembles, mit Vorbehalt jedoch auf Instru-
mentation und Zusammensetzung des Orchesters. Was Ihnen be-
sonders missfallen, ist, wenn ich nicht irre, die preussische Musik-
organisation und der dort übliche Instrumentenbau, und meine Bemer-
kungen haben gerade ganz besouders Bezug auf diese beiden Punkte.
„Nach Ihrer Ansicht ist die Zusammenstellung des preussischen
Militär-Orchesters nichts weiter als eine fehlerhafte Nachbildung der
Organisation, welche durch einen Beschluss des Eriegsministers vom
Jahre 1845 in Frankreich eingeführt wurde. Diese Behauptung ist
ein Irrthutn, geehrtester Herr, und wenn Sie es wünschten, könnte
ich es Ihnen durch authentische Urkunden beweisen. Meine Erinne-
rungen allein waren schon hinreichend , um mich zu überzeugen!
dass Sie sich getäuscht haben; um meiner Sache aber ganz sicher
zu sein, habe ich die nöthigen officiellen Quellen nachgesucht und
mich dadurch fest überzeugt, dass Sie, gewiss unwillkürlich, zwei
Dinge miteinander verwechselt, die im Grunde nicht die geringste
Aehnlichkbit haben können.
„Wenn ich die Zusammensetzung des vormaligen französischen
Militär-Orchesters mit dem ehemaligen preussischen vergleiche, finde
ich so auffallende Abweichungen , dass der Gedanke einer etwaigen
Nachbildung gar nicht annehmbar ist. Ich will für den Augenblick
*) Dies die Erwiderung auf die in unserer vorigen Nummer ent-
haltene „Künstlerische Beurtheilung" etc. von J.Weber, welche
der elaässische Musikdirector A. E. Schaefer in „La France
Choral* und im „Niederrheinischen Courier* von Strassburg
Veröffentlichte.
nicht in eine umständliche Vergleichung eingehen, so interessant
auch das Unternehmen ausfallen dürfte, und werde mich darauf be-
schränken,, hier eine Uebersichtstabelle der französischen Organisa-
tion vom Jahre 1845 und die Zusammensetzung der preussischen
Gardemusik (nach dem Vorschlage des Hrn. Wiepr echt vom Jahre 1846,
wenn ich nicht irre) einzuschalten:
Franzosische Musik,
Picolo ....
Es-Clarinette .
B-Clarinetten .
Sazhorns in C (zum Ersätze
der Fagotte .
Saxhorns in As / zum Eratz
Saxhorns in Es ) der Hörner
Saxhorns in B (hoch) .
Pistons ....
Saxotromba's .
Saxhorns basses in B
Saxhorns Contrebasses
(Bombardons in Es)
Posaunen
Schlaginstrumente.
Musik der preussischen Garde.
1 Flöten (grosse und kleine) 2
1 Clarinetten in As u. G . 2
12 „ in Es u. D . 4
„ in JB u. A . 8
2 Hoboen .... 2
2 Fagotten .... 2
2 Bathyphons ... 2
2 Basshorn .... 2
2 Cornett's in B u. A . . 2
2 „ in Es u. D . S
4 Tenorhorn in B u. A . 2
Tenorbass .... 1
2 Trompeten in Es u. D . 4
4 Posaunen in B u. A . 2
„ in F u, E . 2
Basstuba .... 2
Schlaginstrumente.
„Aus dem einfachen Anblicke dieser Tabellen erhellt, dass zu
jener Zeit schon die Preussen sich verschiedener Instrumente be-
dienten, welche wir nicht kennen. Für andere ist das Verhältniss
ganz verschieden; so hatten die Preussen schon 6 kleine Clarinetten
in As und Es etc., während in Frankreich nur eine Es-Clarinette
üblich war, welche überdies meistens in den Händen des Musik-
meisters figurirte und desshalb nur eine sehr beschränkte Rolle in
den Ensemblesätzen spielen konnte. Die grosse Flöte in den ver-
schiedenen Stimmungen, die Hoboen, Fagotte, die Batbyphon's und
das Basshorn, sowie auch die Bassposaune in F fehlten uns gänzlich.
Die ganze Aehnlichkeit findet sich in den Cornett's in B und Es,
welche bei den Preussen die Hörner ersetzten, während sich die
Franzosen zu diesem Zwecke der sogenannten Saxhorn's in As und
Es bedienten. Folglich wäre durchaus kein Plagiat hier zu suchen;
später werden wir sehen, ob die Musik des 34. Infanterieregiments
ihrerseits eine Copie genannt zu werden verdient.
„ „Die Fabrikation der Holzblasinstrumente ist in Deutschland
gänzlich still stehen geblieben, 4 sagten Sie weiter unten; „die Ver-
besserungen des SystenTs B o e h m (aus München, folglich ein Deut-
scher) sind bei unseren Nachbarn nicht zu Gunsten gekommen."
.Dieses ist vollkommen richtig. Ohne die Vorzüge, welche diese
Instrumente haben können, bestreiten zu wollen, glauben die Mili-
tärmusiken jenseits des Rheines dennoch nicht, dieselben einführen
zu dürfen, und dieses aus ganz triftigen Gründen. Die Instrumente
dieses Künstlers stehen erstens in einem zu hohen Einkaufspreis
(200 bis 300 Frcs.), ferner unterwirft sie ihre complicirte Mechanik
zahlreichen und kostspieligen Reparaturen ; sie sind daher für den
— 34
Militärdienst nicht practisch, im Felde hauptsächlich. — Anderseits
hat man Unrecht ein allzu grosses Gewicht auf die Vervollkomm-
nung dieser Instrumente zu legen ; dem Iastrumentisten muss am
Ende doch die Hauptroll« eingeräumt werden , während das Werk-
zeug, dessen er «ich bedient, in den Hintergrund tritt. — Verdankt
unier berühmter darinettist Wuille vielleichtjüiesem oder jenem
Instrumentenmacher seine glänzenden Erfolge, oder hängt die Repu-
tation unseres ausgezeichneten Flötisten Rucquoi etwa an einer
grösseren oder kleineren Anzahl von Hülfsklappen? Und was halten
Sie, geehrtester Herr, von den Flöten eines Tulou, den Hautbois
eines Tri^b er t und den Clarinetten eines Gu&ne und einer Masse
anderer berühmter Instrumentenmacher? Wäre dem System Boehm
nicht ein ausschliessliches Privilegium eingeräumt, so würden gewiss
die Instrumente dieser Fabrikanten noch eine ehrenvolle Stellung
in den Militärmusiken einnehmen, wie dies in den Theaterorchestern
noch bis jetzt der Fall ist. Jedoch kommen wir auf unsere Sache
zurück. — Wenn die Deutschen in der Fabrikation der Holzblas-
instrumente so sehr zurück sind, woher kommt es denn, dass man
jenseits des Rheines seit mehr als 25 Jahren Clarinetten in As, G,
F, E, Es und D besitzt, während man in Frankreich in Betreff der
kleinen Clarinetten nur die in Es kennt? Dieselbe Bemerkung er-
streckt sich auf die Bassethörner (eine tiefere Clarinetten -Gattung),
welche in Mozart's „Titas* einen so herrlichen Effect machen, auf
die fiathyphones und Contrafagotte. Was die Flöten betrifft, woher
kommt es denn, dass vor einigen Jahren noch man sich umsonst an
unsere Instrumentenfabrikanten wendete, um eine Des-Flöte zu be-
kommen, und dass bis auf die heutige Stunde das Es-Picolo (ältere
Benennung F) noch nicht in Frankreich angenommen ist?
„Die Fagotte sind bei uns durch Saxophones (ein, der Clarinette
nachgebildetes Blechinstrument) ersetzt worden; bedingt diese Er-
setzung aber einen wirklichen Fortschritt? Kann man den Fagott,
welcher einen Umfang von mehr als drei Octaven hat, durch ein
Instrument ersetzen, dessen ganze Familie (Sopran, Alto, Tenor und
Baryten) zusammengenommen nur vier Octaven hervorzubringen im
Stande ist? In theoretischer Hinsicht scheinen sehr viele Ideen
£anz richtig zu sein, aber bei der Anwendung stellen sich oft die-
selben hIs ganz unausführbar dar. Versuchen wir z. B. durch Saxo-
phones das erste Andante der Ouvertüre aus „Wilhelm Teil" auszu-
führen; bedürfen wir nicht dazu die Beihülfe von dreien dieser In-
strumente, um die erste Vi oloneellparthie zu ersetzen? Ersetzen wir
■dagegen dieses letztere Instrument durch eine Bassclarinette , und
alle Schwierigkeiten werden augenblicklich gehoben sein. Gleiche
Uebelstände würden sich in einer Masse von Musikstücken, die ich
anführen könnte, vorfinden. Ich bin gewiss ein eifriger Verehrer des
unbestreitbaren und unbestrittenen Talentes des Hrn. Sax, aher hat
ihn seine Sucht nach neuen Entdeckungen nicht vielleicht über die
Schranken hinausgeführt, die vernunftgemässe Verbesserungen zulassen?
Ich möchte es fast glauben. Wenn es ihm gelungen wäre, seine
Idee bis zu Ende zu verfolgen, so hätten wir heute (nach der Me-
thede von Rockens, bei Meissonnier in Paris erschienen) sieben
verschiedene Arten dieser Instrumente mit ebenso viel Unterarten,
welches 14 verschiedene Grössen darstellen würden. Nach Berech-
nung besagter Instrumente finden wir, dass das Saxophone soprano,
welches mit Inbegriff des Kopfes eine L&nge von 29 rheinisch. Zoll
hat, das fünfte Instrument der Grösse nach gewesen wäre ; dann wäre
gtfolgt das Saxophone in hoch Es, welches nach dem gegebenen
Maassstabe 19 Zoll gehabt haben würde; das Saxophone in B, eine
Ootave höher liegend als das soprano, 9 Zoll, und endlich das in C,
7 Zoll! Man bedenke nun einmal, welche Miniatuffinger das Spiel
solcher Instrumente erheischen würde , und welche Qualität Ton
dieselben hervorzubringen im Stande sein dürften! Die Preussen,
welche sich schon seit 18 Jahren der Es - Clarinette bedienen , er-
scheinen mir viel praktischer; diese Instrumente haben zwar nur
«ine Länge vou 10 Zoll, sind aber dessenungeachtet ganz spielbar,
in Folge ihrer» cylindrischen Bauart.
„ „Das einfache Hörn ist ein armes, das Ventilhorn ein schlechtes
Instrument " Ist dieses unbedingt wahr? Das einfache Hörn in der
Haüd eines wahren Künstlers hat, meiner Ansicht nach, von den
Verbesserungen der Zeit nichts zu erwarten; als Soloinstrument ist
4s vollkommen und unnachahmbar in der Hand eines Vi vi er, und
tn dem Orchester wird man es durch kein anderes Instrument vor-
theilhaft ersetzen können. Wenn in den Milttärmasiken das Horu
nicht immer den erwünschten Effect machte, so kommt dies einzig
und allein daher, dass man es nicht immer zweckmässig anzuwenden
wusste. Die Mensur des Hornes ist für den Ton F berechnet; bis
bisher aber transponirte man dasselbe durch eine ganze Octave, von
hoch bis tief B. Hieraus entstand noth wendigerweise ein Missver-
hältniss der Bohre, welche für die höhern Tonlagen zu weit und für
die tieferen zu eng wurde; die höheren brachten daher nur grelle,
schreiende, die tieferen dagegen nur dumpfe und unbestimmte Töne
hervor. Wer erinnert sich nicht der hohen B- und As-Hörner, wel-
che zu gleicher Zeit eine Geduldprobe für den Musikmeister, für
den Bläser und das Publikum waren ! Diesem Uebelstände wäre
sehr leicht abzuhelfen; ich würde z. B. ein Hörn von kleinerer
Mensur für die hohen Tonlagen bauen, für die Töne F, E, Es, D
und sogar Des, die jetzige Form beibehalten und für die tieferen
Lagen C, B etc. würde ich eine grössere Form annehmen. Auf
diese Weise könnte man eine Hornfamilie erzielen, welche mit ver-
schiedenen Grössen die ursprüngliche Klangfarbe beibehalten würde.
Der Bläser spielt auch hier wieder, sowie bei den Clarinetten und
Flöten, die Hauptrolle, und es genügt, um im Elsass zu bleiben,
anzudeuten, was ein Lieh tle und ein Stennebruggen auf dem
einfachen Hörn zu leisten vermögen. Was das Ventilhorn betrifft,
so Würde ich es von dem 3. Ventile befreien; dadurch würde der
Ton mehr Fülle bekommen, ohne im Geringsten die Leichtigkeit des
Spiels zu beeinträchtigen. Wäre es übrigens nicht möglich bei dem
Hörn einen Zug anzubringen, wie dies bei der Posaune der Fall ist?
Ich habe es immer geglaubt, und gewinne ich diese Idee mit jedem
Tage lieber. (Fortsetzung folgt.)
CORRESPONDENZEN.
Aus Stuttgart.
Monat Februar.
Das fünfte Abonnements - Concert der kgl. Hofcapelle hatte ein
gar herzerfreuendes Programm: Bach's Orchestersuite in D, eine
Sinfonie in Es von Haydn, As-dur-Duett ans „Jessonda" (Frau Ben e-
w i t z und Hr. A. Jäger), dann Introduction un<! Brautchor aus
„Lohengrin* ; letztere Nummer wurde auf stürmisches Verlangen
wiederholt. C. M. Goltermann spielte das edel gehaltene, aber
vielleicht gerade desshalb etwas undankbare Celloconcert von Volk-
mann mit vollendeter Technik und ergreifender Wärme. Beethoven's
unvergleichliches G-dur-Concert ward uns durch Hrn. W. Speidel
mit feinem Geschmaek und Verständniss vorgeführt; besonders zeigte
derselbe in den Bülow'sehen Cadenzen grosse Kraft nnd Fertigkeit.
Im sechsten Concert, das durch Schumann's B-dur-Sinfonie er-
öffnet wurde , spielte Hr. K ü c h 1 e r , der seiner Zeit in unserem
Conservatorium ausgebildet worden war, das Fis-moll- Concert von
Vieuxtemps mit schönem Ton und bedeutender Bravour. Wärmsten
Dank verdient die Wiederholung des wundersamen Vorspiels zu
„Tristan". Weniger befriedigend fielMendelssohn*s „Walpurgisnacht*
aus ; besonders in den Chören war Präcision und Wohlklang zu
vermissen; wahrscheinlich mangelte es an Zeit zu gründlicher Ein-
stndierung. Auch die Aufführung von HändeVs „Samson" durch den
„ Verein für classische Kirchenmusik" war nicht so gelungen , wie
man es durch F a i s s t 1 s sorgfältige Leitung an den sonstigen Pro*
duettonen dieses Instituts gewohnt ist; zwar sangen namentlich Frau
Benewitz und Hr. ßchüttky ihre Partien untadelhaft, aber sei
es nun, dass die langen Zwischensprüche alttestamentarischer Figuren
doch nicht für Alle das hinreichende Interesse haben, welche im
Concertsaal es verschmähen , nach Art unserer frommen Nachbarn
jenseits des Canals nur gewissenhaft die hehren Textworte nachzu-
lesen, oder fehlte es auch einem grossen Theile der Mitwirkenden
an der rechten Sympathie, kurz, das ,.habent sua fata iibelli'* fiel
uns an diesem Abend lebhaft ein: auch Concerte haben oft ihr un-
verschuldetes Verhftngniss.
Welch' günstige Luft wehte dagegen einige Wochen vorher, als
Wilhelmj von Wiesbaden auftrat, und noch dazu in dem, sonst für
ziemlich ungünstig geltenden Zwischenräume zweier Theaterstücke t
Da war gleich nach den ersten Solotacten jene flüsternde Sensation
zu bemerken» welche wie schwüle Gewitterstille den Beifallsdonner
verkündet Allerdings verfügt Wilhelmj» begnadet mit seltenem
- 86 -
Talent, bereits über alle Eigenschaften einet berufenen Geigers in
hofaem Grade; zumal entzückte er in dem „Air* von J. 8. Bach
durch ein hinreissendes Cantabile; die männliche Reife wird das
Iferige tbuu, um «eine KÜnstlerschaft zu einer so durchgebildeten au
saftigen, wie wir sie in der letzten Woche bei Hans von Biilow
kennen lernten. Dieser geistreichste aller Pianisten — ein Vorzug,
den ihm Kritiker jeder Richtung zuerkennen — feierte in unserer
Btadt, wo man doch durch die mannigfachen trefflichen Clavierleis-
tungen schon ziemlich verwöhnt werden konnte, einen Triumph, nach
dessen materieller Seite, z. B. dem Vergriffensein aller Billets u. dgl.
allein schon mancher Impresario vergeblich schmachten dürfte, wäh-
rend die ideale Bedeutung desselben sowohl für den Künstler als
für das Publikum gar nicht zu schätzen ist. Seine beiden Programme
umfassten so ziemlich das ganze Gebiet der Ciaviermusik; die So-
nate war vertreten durch Schubert (A-dur, posthume), Weber (D-moIl
in Henselt's Bearbeitung) und Beethoven (Op. 81 und 110), die Fuge
durch Häudel, Bach und Mendelssohn, das moderne Characterstück
(„Salonstück" will uns diesmal gar nicht in die Feder) durch
Chopin, dessen G-dur-Nocturne Biilow zu einem förmlich ecstatischen
Wonnetraum zu verklären wusste, sowie durch Franz Liszt, dessen
bedeutende Schöpfungen durchweg zündeten; neben dessen „spani-
scher Rhapsodie" waren es besonders seine für die Lebert-Stark'sche
Ciavierschule geschriebenen Etüden: „Waldweben" und „Gnomen-
reigen", deren poetischer Zauber das Publikum enthusiasmirte.
Eineu prächtigen Scbluss bildeten Schumann's Variationen für zwei
Claviere, worin sich unser Pruckner neben Bülow als würdiger
Kunstgenosse bewährte ; stürmischer Hervorruf ehrte das edle Freun-
despaar. Auch das Conservatorium erfreute sich von Seiten unseres
Gastes grosser Aufmerksamkeit und Sympathie; es ward ihm zu
Ehren ein kleiner Musikabend veranstaltet, den Bülow selbst mit
einer Meisterspende besohloss; Liszt's B-A-C-H-Fuge und „Ri-
•eordanza" waren in diesen Räumen noch nicht gehört worden. —
Wir haben die Hoffnung, den gefeierten Künstler am 13. März im
Abonnementsconcert wiederzusehen, wo er ein Liszt'sches Clavier-
coneert vorgetragen wird.
Als Opernnovität hatten wir Verdi's „Traviata" unter dem Titel
„Violetta", worin Frl. K lettner, Hr.Sontheim und Hr. Schütt-
le y ganz Vortreffliches leisteten. Das Sujet fand natürlich bei der
affectirten Prüderie einer gewissen Gesellschaftsschichte ebenso wenig
Gnade, wie die Musik bei jenen Ciassicitätsheuchlern, welchen Verdi's
bekannte, auch hier nicht mangelnde Schwächen eine willkommene
und wohlfeile Gelegenheit bieten, auf Kosten der neueren Italiener
ihren musikalischen Purismus glänzen zu lassen. Aber diese Oper
enthält viele hübsche Motive, manchen geistreichen Einfall , ja so-
gar etliche in Zeichnung und Colorit sehr gelungene Sätze, und
versetzt ein unbefangenes Gemüth in eine gewisseSRührung , was
ich auf die Gefahr hin eingestehe, Diesem oder Jenem in dieser
«der jener Beziehung verdächtig zu werden. T.
Sf a c li r 1 c hl e n.
Hains. Am 23. d. M. fand im Saale des „Frankfurter Hofes"
•ein Coucert zum Besten eines in traurigen Verhältnissen lebenden,
halberblindeten Musikers statt, bei welchem sich die k. k. österr.
Militärcapelle unter Leitung ihres Capellmeisters Hrn. Hopf und
andere wohlaccreditirte Kräfte betheiligten. Die weiten Räume des
genannten Saales waren, wie wir hören, vollständig gefüllt, und die
gebotenen Leistungen fanden grossen Beifall, so dass also einerseits
4er wohlthätige Zweck vollständig erfüllt, und den Mitwirkenden
■der wohlverdiente Lohn für ihre menschenfreundliche Bereitwillig-
keit zu Theil wurde.
Am Sonntag den 28. d. M. eröffnet Frau Dustmann-Meyer
vom k. k. Hofoperntheater in Wien auf hiesiger Bühne als Valen-
tine in den „Hugenotten" ein Gastspiel, über das wir Näheres be*
•richten werden.
IftathtB. Am Aschermittwoch gab die „Münchener Säugerge-
«etseusnhaft" unter der Leitung ihres Dirigenten MaxZengerira
k. Odeon ein Concert zum Besten der Abgebrannten in Parteakirchen,
welches in jeder Beziehung vom besten Erfolge begleitet war. Ausser
den vortrefflichen Leistungen des Männerchores und dem vom „Ora-
torienverein" mit ausserordentlichem Beifall vorgetragenen Sefctantmer-
lied aus „Blanche de Provence" von Cherubini evregten besonder*
die Vorträge des Frl. Bertha Ehnn vom Nürnberger Theater
ungewöhnliches Aufsehen, indem nicht nur ihre herrliche Stimme»
sondern auch ihre treffliche Auffassung und ihr feuriger Vortrag sunt
enthusiastischen Beifall hinrissen.
WUll. In dem sechsten philharmonischen Concerte kam ein«
neue vieraätzige Suite von Heinrich Esser zur Aufführung, welche
sich, unter des Componisten Leitung, eines ungewöhnlich lebhaften
Beifalles zu erfreuen hatte. Nach dem dritten Satze (Variationen)
wurde von Seiten des Publikums dermassen gestürmt, dass er wie-
derholt werden mnsste. Hr. Esser, den man bei seinem Auftreten
empfing , wurde nach dem Schluss der Suite wiederholt gerufen»
kurz, er feierte als Autor und Dirigent einen wahren Triumph.
Nach dieser Nummer trug Hr. G u n z den Liederkreis : „An dia
ferne Geliebte" von Beethoven mit schönem Erfolge vor. Zum
Schluss kam Mozart* s Sinfonie in G-moll zur Aufführung.
— Am Hofoperntheater ist neben den drei bereits vorhandenen
Capellmeistern Proch, Esser und Dessoff ein vierter in der
Person des Hrn. Carl Maria Ritter von Savenau angestellt worden.
Derselbe ist ein Sohn des Sectionschefs von Savenau im Finanz-
ministerium.
Leipzig. Am 12. d. M. ging die „Afrikanerin" zum ersten Main
über die Bretter unseres Stadttheaters. Der Erfolg war ein durch-
aus günstiger, und es fehlte nicht an zahlreichen Beifallsbezeuguugeit
und Hervorrufen für Alle, die sich wesentlich an dem Gelingen
des Ganzen betheiligt hatten. Die Aufführung selbst war sehr sorg-
fältig vorbereitet und verdient alles Lob. Die Hauptparthien be-
finden sich in den Händen der Damen Frau Beetz (Selika) und
Frl. Suvanny (Ines) und der HH. Gross (Vasco) und Thelen
(Nelusko). Chor und Orchester leisteten Vortreffliches. Die sceni-
sche Ausstattung, welche grösstenteils dem Hrn. Mühldörfer in
Coburg übertragen war, übertrifft alles bis jetzt dahier Gesehene.
Die Mühldörfer'schen Maschinerien sind meisterhaft, ebenso wie dia
Decorationen, deren eine von Hrn. Wornecke in Dessau gemalt
ist, und die Costüme sind ebenfalls reich und geschmackvoll. Be-
sondere Anerkennung gebührt auch dem Capellm. Hrn. Gustav
Schmidt für das mühevolle Einüben der Oper und für die sichern
und energische Leitung der Aufführung.
— Im 16. Gewandhau8Concert hörten wir wieder die vor zwei
Jahren zum ersten Male vorgeführte , geschmackvoll gearbeitete
Sinfonie in A - dur von Carl Reinecke und die Ouvertüre zu „De-
metrius" von Vincenz Lachner. Ferner spielte der treffliehe Pianist
Adolf Blassmann aus Dresden ein Concertstück von Robert
Volkmann, Allemande, Sarabande und Courante von Seb. Bach, und
„Barcarolle" von A. Rubinstein. Frl. Üb rieh von Hannover hatte
abermals den gesanglichen Theil des Coneertes übernommen und
sang die Romanze „Sombre foret" aus Rossini's „Teil ," die Arie
mit obligater Violine aus dem „Zweikampf" von Herold und Lieder
ven Rubinstein und Mendelssohn.
Dresden. Am Aschermittwoch gab die k. musikalische Capelle
das herkömmliche grosse Concert zum Besten des Unterstützungsfonds
für ihre Wittwen und Waisen , und führte „die Jahreszeiten" von
Haydn auf, unter Mitwirkung der Frau Jauner-Krnll, der HH.
Rudolph und Mitterwtirzer, sowie der Singakademie und
des k. Hoftheaterchors. Das ewig junge Werk ging unter der Lei-
tung des Hrn. Capellmeisters Krebs vortrefflich von Statten, und
die Wirkung war demnach eine durchaus günstige.
Brfissel. Am Sonntag den 15. d. M. fand das 5. populäre Con-
cert unter der Direction des Hrn. Samuel unter demselben Zulauf
und von gleichem Beifall wie die verhergehenden Cencerie begleitet
statt. Man gab die Pastoral- Sinfonie von Beethoven, eine Ouvertüre
von Niels Gade, den „Carneval von Rom" von Berlioz und Hr. Pro-
fessor DupuiB vom Conservatorium in Lüttich spielte dasMendels-
soha'sche Violinconcert mit Anmuth und Verständnis.
PtriS. Während der Fastenzeit sollen in den Tuillerien von
acht zu acht Tagen drei grosse Concerte stattfinden. Die Künstler
der grossen Oper, des italienischen Theaters, der komischen Oper
und des lyrischen Theaters sind berufen, hei diesen Concerten mit-
suwirken nnter der Direction des greisen Meisters Auber, Mitglied
der Academie und Director der kaiserl. Capelle.
— :. Am 18. d. M. fand des 2. ausserordentliche Coneert im Cee>
- 36 -
aervaterium mit folgendem Programm statt: Sinfonie in C-moll von
Beethoven ; Seene lind Chor aus „Idomeneus" von Mozart ; Andante
und „Finale 11 ans dem 38. Quartett von Haydn, von sämmtlichen
Streichinstrumenten ausgeführt; Fragmente aus „Armida" von Gluck;
Ouvertüre zu „Euryanthe" von Weber ; Schlusschor aus „Christus
am Oelberg" von Beethoven.
— Das 17. populäre Concert des Hrn. Pasdeloup brachte:
Sinfonie in F-dur (Nr. 8) von Beethoven; Adagio und Scherzo aus
der Sinfonie „Ozean" von A. Rubinstein; Sinfonie in G-moll von
Mozart; „Canzonetta" aus dem Quartett Op. 12 von Mendelssohn;
Ouvertüre zu „Euryanthe" von Weber.
— Die Einnahmen sämmtlicher Theater, Concerte, Bälle etc.
in Paris betrugen im Monat Januar die Summe von 2,277,644 Frs.
LondOD. Hr. Mapleson, der Director von Her Majestys
TAeatre, beabsichtigt Max Bruch's „Loreley" aufzuführen. Der-
selbe hat den ausgezeichneten Tenoristen Mongini auf die ganze
Saison mit 600 Pf. Sterling monatlich engagirt.
*♦* Die „Augsb. All gem. Ztg." brachte kürzlich nachstehendes
Inserat: Wette Und Prämie I (Allerletzter Versuch.) Eine
beliebige Wette wird demjenigen Hrn. Bassisten, welcher das
II. Contra A schiedsrichterlich vernehmlich anzutönen vermag, und
gleicherweise einem Herrn Tenoristen, welcher das III. gestri-
chene G mit mit kräftiger Falsettstimme auszutönen im Stande ist,
angeboten. Wer aber beides (6 Octaven mit voller Kraft) als sel-
tenes Wunder der Natur in einer Brust vereinigt und somit
dem Einsender nur gleichkommt , erhält eine Prämie von 10
Louisd'or, und sogar scalirend und je nach den Leistungen
bis zu 600 Louisd*or. Näheres , diese reine Wahrheit be-
kräftigend,, mündlich und von heute ab nur drei Tage gültig, bei
Hrn. Ph. Grossmann, Domorganist in Frankfurt a. M. Avance,
ftfi vive/
*** Von Hrn. Isidor Seiss, Professor am Conservatorium
in Cöln , kam auf dem dortigen Stadttheater eine Operette : „Der
vierjährige Posten" von Th. Körner zur Aufführung und fand eine
«ehr beifällige Aufnahme.
*** Gounod hat eine Einladung erhalten, sein in London in
St. JameB-Hall zur Aufführung kommendes Oratorium „Tobias" selbst
zu dirigiren. Er ist jedoch verhindert, dieser ehrenvollen Einladung
zu folgen.
*** Abbe L i s z t , welcher 20,000 Gulden zum Peterspfennig
beigesteuert, hat vom Cardinal Antonelli folgendes Schreiben im
Auftrag des Papstes erhalten : „Ihrem Verlangen gemäss habe ich
die grossherzige Spende, die Sie in Anbetracht der traurigen Um-
stände, welche in diesem Augenblicke den Staat drücken, uns freund-
schaftlich übersendet haben , zu den Füssen des heiligen Vaters
niedergelegt. Der heilige Vater war tief gerührt über die Gefühle
der Verehrung und Liebe, die Sie für ihn, als für die höchste und
erhabenste Stütze unseres Glaubens, empfinden, und hat ihre Spende
als ein Zeichen Ihrer Ergebenheit für den heiligen Stuhl mit ge-
wohnter Herzensgüte anzunehmen geruht. Demzufolge ertheilt er
Ihnen seinen Segen."
*** In Paris erhielten im vorigen Jahre fünf Theater eine
Subvention vom Staate, und zwar: die grosse Oper 820,000 Frcs.,
das The'dtre francnis und die komische Oper je 240,000 Frs., das
Ode'on und das The'dtre lyrique je 100,000 Frs. Das Conservato-
rium erhielt 220,000 Frs. und 15,000 Frs. Zulagen für die Ange-
stellten.
%* Der Comunalrath von Turin hat die Vergebung des kgl.
Theaters für den Winter 1866/67 ausgeschrieben und legt den Be-
werbern unter Anderem die Bedingung auf, dass sie ihren Offerten
auch das Verzeichnis» ihrer engagirten Mitglieder beizulegen haben.
Dass ein Theaterdirector sein Personal engagiren soll, noch ehe er
die gesuchte Concession erhalten hat, ist gewiss eine neue, wenn
auch sonderbare Idee.
• .*
** Ein sehr eifriger, gebildeter und reicher Musikdilettant in
London, Hr. J. S a 1 o m o n s ist am 2. Februar im 69. Lebensjahr
gestorben. Er war ein vortrefflicher Contrabassist und Schüler des
berühmten Venetianers Dragonetti, dem er einst seinen ausge-
zeichneten Contrabass für 1000 Pfd. Sterling abkaufen wollte. Allein
Dragonetti ging auf dies Anerbieten nicht ein , sondern schenkte
sein Instrument einer Kirche in Venedijr , von welcher er dasselbe
beim Antritt seiner ersten Kunstreise erhalten hatte.
*** Eine neue Oper von Maestro Estella, „Katbarina Howard,"
wurde am 8. d. M. in Born aufgeführt und sehr beifällig aufgenommen*
*** Zum Gedächtniss des verstorbenen Felix Mendelssohn-
Bartholdy haben dessen Bruder und Kinder beim Stadtrathe zu
Leipzig ein Capital von 1500 Thlrn. verzinslich angelegt, dessen
aufkommende Zinsen alljährlich an einen von dem Directorium des
Leipziger ConservatoriumB zu wählenden Schüler oder Schülerin
dieser Anstalt am 3. Februar, als dem Geburtstage Felix Mendels-
sohn - Barth oldy's , zur freien Verfügung überwiesen werden sollen»
Dieses Stipendium ist der Stiftungsurkunde entsprechend dem Schüler
des Conservatoriums Hrn. Th. Heinrich M a r t e n s aus Hamburg
unter 165 Competenten ertheilt worden.
*** Der Pianist Deprosse ist nicht, wie wir nach anderen
Blättern gemeldet, bei Pranz in Coburg, sondern im Institut von
Frl. Alix Humbert in Gotha an Stelle von B rassln als Lehrer
eingetreten.
*#* Max Bruch's Oper : „Loreley" erfreut sich in Gotha
fortwährend der Gunst des Publikums. Dieselbe soll auch in Maina
noch in dieser Saison in Scene gesetzt werden.
*#* Am 11. d. M. starb in Salzburg der pensionirte Orchester-
director und Lehrer am Mozarteum Hr. Jos. Stummer, geb. 1815
zu Prossnitz in Mähren.
*** Die Aufführung des Vorspiels zu „Lohengrin" im letzten
populären Concert des Hrn. Pasdeloup in Paris erregte einen
wahren Beifallssturm und das Verlangen nach der Wiederholung
dieses Stückes gab sich so allgemein und stürmisch kund, dass dem-
selben Folge gegeben werden musste.
*** Der König von Baiern hat den Auftrag gegeben, eine Auf-
führung von R. Wagner's „Lohengrin" vorzubereiten mit folgender
Besetzung: Frl. D e i n e t aus München die Elsa, Frau Schnorr
von Carolsfeld die Ortrud, Hr. Nie mann aus Hannover den
Lohengrin und Hr. Beck aus Wien den Telramund. Die Direction
ist Hrn. von B ü l o w anvertraut.
*** Der Generalintendant der k. Schauspiele in Berlin , Hr.
von Hülsen, hat die Stelle eines Präsidenten des Bübnencartell-
vereins niedergelegt, und es wird demnächst eine Generalversamm-
lung zum Zwecke einer Neuwahl stattfinden.
*** Boger hat am 15. d. M. auf dem Stadttheater in Cöln
als George Brown ein Gastspiel begonnen. Das gut besetzte Haus
ehrte den Meister in der Gesangskunst wie im Spiele durch leb-
haften Applaus und mehrmaligen Hervorruf.
*** Frl. Wild aus Würzburg, eine junge Sängerin, die mit
einem sehr vortheilhaften Aensseren eine schöne , klangvolle und
umfangreiche Stimme verbindet, hat diesen Winter in Ulm zum ersten
Male die Bühne betreten und gleich nach ihrem ersten Debüt, als
Agathe im „Freischütz ," den lebhaftesten Beifall von Seiten des
Publikums und die ehrendste Anerkennung von Seiten der Kritik
gefunden. Die weiteren Versuche der jungen Künstlerin, als Gräfin
im „Figaro", Romeo, Pamina etc. etc. dienten nur dazu, die gute
Meinung, die man von ihrer Begabung und ihrem Eifer bereits ge-
fasst hatte , zu bestärken , und es ist kein Zweifel , dass dieselbe
bei fortgesetztem Streben nach Vervollkommnung ihrer schönen Mittel
einer hoffnungsvollen Zukunft entgegengeht.
*** Frl. Frieb, eine Tochter der Frau Frieb-Blumauer
eine junge Sängerin mit schönen Mitteln, gastirte in Stettin in zwei
Rollen , als Zerline in „Fra Diavolo" und als Page in „Figaro's
Hochzeit," und hat sich sofort die volle Gunst des Publikums
erworben.
**• Der König von Baiern hatte vor einiger Zeit mehrere«
Münchener Künstlern den Auftrag gegeben , ihm zu jenen Sagen,
welche die Sujets zu R. Wagner's Opern bilden , Zeichnungen «»
liefern. Diese Arbeiten sind nun vollendet, und es betheiligten sich
die HH. 1 1 1 e, S p i e s s, S e i t z u. A. daran ; die benützten The-
maten gehören den Sagen von „Tristan und Isolde," „Lohengrin,"
„Tannhäuser" und „fliegenden Holländer" an.
*** Im Pariser Gaite-Theater wird ein Spectakelstück, be-
titelt: „Der amerikanische Krieg" vorbereitet, in welchem ein Kampf
zwischen Panzerschiffen vorkommt und 200 Neger auf der Bühne
erscheinen werden.
Verantw. Red, Ed, Föckerer, Druck v* Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
N* tO.
5. März. 4866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden J
MONTAG. *
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
Viril s
Ton
PBEIS:
""?
B.
o
fl.2. 42 kr. od.Th.l.l8Sg.
für den Jahrgang.
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ. d»a & ** bezog«, s i
(50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
Ä-n*-
w-4
INHALT: Die Militärmusiken und der Instrumentenbau in Deutschland und Frankreich. — Das Streichquartett im Orchester. — Correspon-
denzen: Mainz. Prag. Paris. — Nachrichten.
Die Militärmusiken und der Instrumentenbau
in Deutschland und Frankreich.
(Fortsetzung.)
„Das Cornet ä pistons fehlt in der preussischen und österrei-
chischen Musik" (was wiederum beweisen dürfte, dass das Plagiat
nicht anzunehmen ist). Was mag wohl der Grund dieser Aus-
schliessung sein (welche ich übrigens nicht billige, da dieses In-
strument kostbare Dienste in der Militärmusik leistet). Es kann
nur einer vorhanden sein, nämlich dass dieses Instrument in den
deutschen Theaterorchestern, Ton welchen unsere Nachbarn so wenig
als möglich abzuweichen suchen , nicht eingeführt ist , und diese
Tendenz ist gewiss keineswegs tadelnswerth. Ich bin durchaus jeder
Ausschliessungssucht abhold, und mein Grundsatz ist der folgende:
Beibehaltung und Verbesserung der älteren Instrumente mit Beifügung
der neueren Erfindungen ; aber dies in einem vernunftgemässen Ver-
hältnisse, damit die einen nicht die anderen übertönen, sondern sich
gegenseitigen Beistand leisten, zum grossen Vortheile des hervorzu-
bringenden Effects.
„Die Zugposaune ist ausgeschlossen, und dies nicht mit
Unrecht/ Auch hierin kann ich nicht mit Ihnen übereinstimmen und
billige keineswegs deren Ersetzung durch die Ventilposaune. Wo
finden Sie einen kräftigeren und imposanteren Ton, eine reinere und
weichere Klangfarbe? Ist die Ventilposaune je im Stande, den Platz
würdig auszufüllen, welchen sie ihrer ausgeschlossenen Schwester
wegnahm , und wird sie je im Stande sein, dieselbe in Vergessenheit
zu bringen? Dieser Austausch hat übrigens auch in Frankreich
stattgefunden, und dies wundert mich weit mehr. Hatten wir nicht
Hunderte von guten Posaunisten? warum denn diese unnnöthige
Verstümmlung? Ich bin und werde stets ein erklärter Verehrer der
Zugposaune bleiben; um jedoch ihr Spiel zu erleichtern, würde ich
die Form des jetzigen Zuges etwas abändern. Im Jahre 1817 ver-
fertigte man, wenn ich mich recht entsinne, die sogenannten Doppel-
posaunen, eine Erfindung des bekannten Theoretikers Gottfried
Weber. Dieselben kamen zwar bald wieder ausser Gebrauch, ich
möchte dieselben aber wieder an's Tageslicht bringen, überzeugt,
dass in den Händen unserer geschickten Instrumentenmacher die
weiteren Versuche mit sicherem Erfolge würden gekrönt werden.
Ich würde sogar noch einen weiteren Schritt in die Vergangenheit
zurückthun, und den alten Bass- und Alt-Posaunen ein Auferstehungs-
fest bereiten, und so die Familie der Posaunen wiederherstellen.
Kommen nun die Flügel hörn er, in Frankreich Saxhorns
genannt. Sie behaupten, geehrtester Herr, dass die Deutschen vor
dem Jahre 1845, und sogar noch mehrere Jahre später, von dieser
Instrumenten - Classe nur das hoch B-Flügelhorn kannten und ein
grosses Instrument, welches sie Tuba nannten, und dass, nach dem
Beispiele des Herrn Sax, sie dieses letztere durch eibeu fiugle-
Contrebass (Bombardon in tief G oder B) ersetzt haben. Auch
hierin sind Sie wieder im Irrthnm. Schon im Jahre 1888 bedienten
lieh die Oetterreicher in ihren Militärmusiken der Flügelhörner,
Tenorhörner, Ventil - Trompeten , -Hörner und -Posaunen. In den
darauffolgenden Jahren 1840 , 1841 und 1842 entstand in den ver-
schiedenen Staaten der Conföderation eine wahre Ventilomanie
und fragliche Instrumente wurden unter den verschiedenartigsten
Formen und Benennungen verfertigt, sowie auch ganze Familien vott
Trompeten, vorzugsweise für die Cavaleriemusiken bestimmt. Was
die Bombardons inC undB betrifft, welche in Frankreich zuerst
durch die Organisation von 1854 eingeführt wurden, so bediente
man Bich derselben in Deutschland schon in den Jahren 1845 und
1856. Es wäre ebenso unrichtig zu behaupten, dass die Deutschen
die familienweise Classificirung der Instrumente vernachlässigen j
wir haben gesehen, dass sie ganze Reihen von Oarinetten besitzen ;
sie haben eine Familie in den Hoboen und Fagotten , die ganze
Folge der Flügelhörner und der Trompeten sowie der Hörner, ohne
der Reihe von Posaunen zu gedenken. Uebrigens. bildeten ja die
früheren in Frankreich üblichen und durch Hrn. Sax transformirten
Klappenhörner mit den Ophicleiden in den verschiedenen Stimmungen
ebenfalls eine Familie.
Hier folgt nun die Instrumentirung der Musik des 34. preussi-
schen Lin.-lnf.-Reg., welche mir Hr. Parlow mit äusserster Gefällig-
keit zukommen liess, wofür ich demselben hiermit öffentlich meinen
herzlichen Dank abstatte:
Flöten (grosse u. kleine) . 2
Clarinette in As u. G . 1
„ „ F u. Es • 3
„ n C u. B . . 10
Hoboen .... 2
Fagotte .... 2
Tritonikon, Contrafagott . 1
Hörner .... 4
Flügelhörner in B . . 4
Altflügelhörner iu Es . 2
Bassflügelhörner in B
Euphonion's
Bombardons in F
» » C u. B
Piston in hoch Es .
Trompeten in F u. Es
Basstrompeten in B .
Posaunen .
Spiel ....
4
2
4
3
1
4
2
4
5
60
Ich schalte hier auch die Organisation der Musik der Guides t
Gendarmerie de la Garde und Garde de Paris ein :
Flöten (grosse u. kleine) • 2
Es-Clariuetten ... 4
B-Clarinetten ... 8
Hoboen .... 2
Saxophones sop. . • 2
„ altos . • 2
„ Tenors . . 2
„ Barytons 2
Cornets a pistons . • 2
Trompettes & pistons . 4
Trombones
Saxhorns in hoch Es
n 1» i. B •
Saxotrombe in Es
Saxhorns barvtons in B
„ basses in B
Contrebasses in Es
n
Spiel .
4
2
2
3
2
4
2
in tief B 2
. 5
58
Kann eine solche Zusammenstellung einen befriedigenden Effect
machen? Ich erkläre mich ohne Zweifel für die Bejahung, obgleich
Sie finden, geehrtester Herr, dass darin Mangel an Gleichheit und
dumpfe Sonorität herrscht. Ich gebe ganz gerne zu, dass die fran-
zösischen Chöre mit den Instrumenten des Hrn. Sax mehr Kraft
entwickeln , es geht ihnen aber die Verschiedenheit der Tonfarben
ab, aus dem Grunde, dass eben diese Instrumente, von dem Cornet
38
a piston an bis zu dem tiefsten Bass , alle in einer zn nahen Ver-
wandtschaft stehen und deren Klangfarbe eben daher fast identisch
ist. Hieraus entsteht eine Einförmigkeit, welche ich fast Eintönig-
keit nennen möchte, Hauptfehler, welchem die preussische Musik
entgeht durch die Mischung und Verschiedenheit ihrer Klangwerk-
zeuge, welche sich vereinigend und sich verschmelzend ein ebenso
farbenreiches als dem Ohr angenehmes, harmonisches Ganze bilden.
Wenn , wie Sie den Wunsch äusserten , an einem und demselben
Abende nach dem preussischen Chor die Musik der Guides oder
jedes andere Regiment gespielt hätte, so würde die Bemerkung in
Betreff der Honorität jedermann erstaunt haben , und Ihr eigenes
Urtheil, geehrtester Herr, würde gewiss anders ausgefallen sein. Es
ist übrigens zu bemerken, dass in Deutschland die Organisation der
Militärmusiken nicht so unbedingt reglementirt ist wie bei uns ; der
Musikmeister ist darin weniger gebunden und es entsteht hieraus
eine Verschiedenheit von Zusammenstellungen, welche ihr Gutes haben
dürfte, indem sie zu einem gewissen Wetteifer Anlass gibt und so
kräftig auf den Fortschritt einwirkt.
Wenn es sich um die Ausführung der für die französischen
Chöre speciell von ihren tüchtigen Capellmeistern componirten Mu-
sikstücke handelt, lässt die französische Instrumentirung nichts zu
wünschen übrig, sie ist hier in ihrer Sphäre und ihr Effect ist tadel-
los. Aber ist dem ebenso bei Ausführung der Meisterwerke, welche
Sie angeben, geehrtester Herr? Ich glaube es nicht und behaupte,
dass in dieser Hinsicht die preussische Instrumentirung der franzö-
sischen weit überlegen ist. Wie würden Sie z. B. mit unseren ver-
besserten Instrumenten die Ouvertüre zum „Freischütz" darstellen ?
Wo bliebe die Verschiedenheit der Tonfarben? Würden die Saxo-
tromba's in Ersetzung der Hörner den von dem Componisten ge-
wünschten Effect erzielen? Das Violoncell - Solo würde, von dem
Saxophone-Tenor ausgeführt, gewiss von sehr guter Wirkung sein ;
aber der Mangel an Umfang des Instrumentes fiele bei dem ersten
Takte des Allegro's in die Augen, indem sogar das Saxophon-Baryton
den ersten Ton nicht zu erreichen im Stande wäre. Und um im
Vorbeigehen auf eine Frage zurückzukommen, die wir schon berührt
haben, glauben Sie wohl, dass am Schlusssatze der genannten Ouver-
türe (in C-dur) unsere Musiker mit ihren Böhm'schen Clarinetten
und Flöten die mit Kreuzen beladenen Passagen ebenso leicht aus-
geführt hätten, als die Preussen mit ihren der Tonart angemessenen
Instrumenten, deren sie sich abwechslungsweise bedienen? Ich kann
mich nicht enthalten , hier noch eine Bemerkung zu machen , die
sich auf den Instrumentenbau bezieht. Die Ueberlegenheit der
französischen Instrumente ist durch das Urtheil ausgezeichneter
Männer, die als Schiedsrichter in der Universalausstellung angestellt
waren, beurkundet worden, und es ist hinlänglich dargethan, was
die Form und die Proportionen der Röhre betrifft; allein ich suche
mir vergebens von der Ursache Rechenschaft- zu geben, welche Hrn.
Sax bewegen konnte, die Haltung in seinem Instrumentensysteme
zu verändern. Die Haltung auf der linken Seite scheint mir für
den Musiker gar unbequem, denn derselbe muss den rechten Arm
beständig in der Höhe halten und den Kopf vorwärts beugen.
Andrerseits stösst beim Marschiren das Säbelgefäss beständig gegen
das Instrument und beschädigt dasselbe. Die Deutschen haben mit
Recht die ursprüngliche Position beibehalten, die mir viel vernünf-
tiger vorkommt; ist sie doch diejenige des Fagott's und des
Ophicleides und zugleich diejenige des Soldaten in der Stellung:
„Fällt s' Bajonnett!" (Scbluss folgt.)
Dag Streichquartett im Orchester.
Das Journal „La France musicale'* berichtet in seiner letzten
Kummer, dass in der grossen Oper wie im The'ätre lyrique mit
allem Eifer an der Einstudirung des „Don Juan" gearbeitet werde,
dass aber die zuletzt genannte Bühne wohl zuerst mit der Auffüh-
rung des unvergleichlichen Meisterwerkes hervortreten werde, indem
man dort bereits Bühnenproben halte. Der Berichterstatter des ge-
nannten Blattes macht über das Verfahren beim Einstudiren der
genannten Oper am lyrischen Theater folgende Bemerkungen, die
wir ihres allgemeinen Interesses wegen hier mittheilen wollen; er
sagt nämlich: „Die Administration legt bei dem Einstudiren Proben
«iner künstlerischen Einsicht ab, die so bemerkenswert!! sind, dass
ich nicht umhin kann, dieselben zu erwähnen, um so mehr als mir
dies Gelegenheit gibt, einen leider nur zu allgemein verbreiteten
Mangel in den Aufführungen zu rügen. Das Orchester des lyrischen
Theaters wird, wie man mir sagte, Stimme für Stimme, dann das
ganze Quartett, und dann die Harmonie und die Blechinstrumente
vor der allgemeinen Probe eingeübt werden. Der Dirigent Delof f re
will, dass die sämmtlichen Geiger seines Streichquartettes denselben
Bogenstrich anwenden, um eine vollständige Gleichheit des Tones
und eine gänzliche Gleichartigkeit der Klangfarbe zu erzielen. Es
ist dies eine ausserordentlich weise Massregel und von wesentlichem
Nutzen, und zwar in diesem Falle noch mehr als bei irgend einem
andern Werke, indem die Instrumentirung Mozart's vorzugsweise auf
das Streichquartett basirt ist."
„Keinem Musiker, der irgendwie vertraut ist mit der Familie
der Streichinstrumente, wird es unbekannt sein, welche verschiedene
Wirkung irgend eine Stelle macht, je nach der Art und Weise, wie
der Bogen die Saiten erklingen macht. Ich spreche hier nicht vom
Staccato in einem Bogenstrich, welches nur beim Solospiel an-
gewendet wird; aber gewiss ist, dass der Auf- und Abstrich, die
Verbindung zweier oder mehrerer Noten und die tausend verschie-
denen Arten von Bogenstrich, jeder eine besondere Physiognomie
für sich haben, welche die Geiger auch in Acht nehmen sollen, denn
ein und dieselbe Passage wird ganz verändert erscheinen, je nach-
dem man diese oder jene Streichart, oder auch selbst diese oder
jene Position anwendet. Es ist dies einer der unvergleichlichen
Vorzüge der Streichinstrumente, und doch legen leider die meisten
Orchester so wenig Werth darauf."
„H ab a neck hatte es bei seinen berühmten Quartetten im Con-
servatorium , die er von sämmtlichen Streichinstrumenten zugleich
spielen Hess , zuerst dahin gebracht , dass seine Geiger dieselbe
Strichart, dieselbe Position und folglich denselben Fingersatz an-
wendeten. Man erinnert sich noch der ausserordentlichen Wirkung,
welche diese bewundernswerthen Productionen hervorbrachten."
„Es ist unangenehm, in wohlbesetzten Orchestern die willkür-
lichen Bewegungen der Bogen mit anzusehen, die sich förmlich zu
verfolgen und mit einander zu raufen scheinen. Das Auge wird
ordentlich müde, wenn es ihren verworrenen Gang verfolgen will.
Wenn übrigens nur das Auge dadurch beleidigt würde, dann möchte
es noch hingehen ; allein die allgemeine Klangbarkeit wird dadurch
in empfindlicher Weise beeinträchtigt. Da nun demnach das Bei-
spiel des Hm. Deloffre ein ausserordentlich heilsames ist, so hielt
ich es nur für billig, dasselbe unseren Lesern vorzuhalten. Möchte
diese so wahre und richtige Idee bei den Orchesterdirigenten all-
gemein Eingang finden ; die ausgezeichnetsten Aufführungen würden
das Resultat davon sein,"
COERESPONDENZEN.
Aus M a i ii m*
l. M&r/..
Das Interesse des Theaterpublikums ist gegenwärtig in hohem
Grade in Anspruch genommen durch das Gastspiel der k. k. Kam-
mersängerin Frau Dustmann-Meyer aus Wien, welches die hoch-
begabte Künstlerin am Sonntag den 25. Febr. als Valentine in den
„Hugenotten" begann und am Mittwoch den 27. als Fidelio in der
gleichnamigen Oper fortsetzte. Die Erinnerung an die schönen
Leistungen dieser Künstlerin bei dem im Jahre 1860 dahier statt-
gefundenen IV. Mittelrheinischen Musikfeste und der bedeutende
Ruf, den Frau Dustmann als dramatische Sängerin in ganz Deutsch-
land geniesst, machte es gar wohl erklärlich, dass bei beiden Vor-
stellungen trotz der erhöhten Eintrittspreise das Haus ausverkauft
war, und die vielfachen Beifallssalven, Blumenspenden und Hervor-
rufe, welche dem geehrten Gaste zu Theil wurden, gaben hinläng-
lich Zeugniss, dass man auch hier sich dem allgemeinen Urtheile
anschliesst, welches Frau Dustmann für eine der ausgezeichnetsten
dramatischen Sängerinnen unserer Zeit erklärt. Wir vernehmen
mit Freuden , dass Frau Dustmann noch zwei Mal , und zwar als
Margare the in Gounod's „Faust" und als Donna Anna im „Don Juan'
auftreten wird. Letztere Parthie zählt zu ihren vorzüglichsten
Leistungen und wir sind der Direction des Theaters zu Dank ver-
— 39 -
pflichtet, dass sie dem Publikum den seltenen Genuas, Frau Dust
mann in dieser Rolle zu sehen und zu hören, rerschaffen will.
Neben dem gefeierten Gaste haben wir noch der vorzüglichen-
Gesangsleistung der Frau SkaUa-Borzaga als Königin in den
„Hugenotten 14 mit gebührender Anerkennung zu gedenken, und haben
wir mit Vergnügen wieder bemerkt, dass Hr. Bohl ig mit grossem
Eifer und sichtbarem Erfolge an der Vervollkommnung seiner Ge-
sangskunst und an der Entwicklung seiner schönen Stimmmittel
fortarbeitet. Sein Baoul war ein recht erfreulicher Beleg dafür,
denn obwohl er am Anfang mit einer merklichen Indisposition zu
kämpfen hatte, so wurde er doch im Verlauf der Oper nach und
nach vollständig Herr seiner Mittel und ärndtete im dritten und
vierten Acte reichlichen und auch verdienten Beifall. Die Auffüh-
rung des „Fidelio" betreffend , können wir von den Solisten nur
Hrn. Bussel als Rokko lobend erwähnen , der seine Partie in
Spiel und Gesang recht wacker durchführte. Das Ensemble, Chöre
und Orchester waren in beiden Opern sehr gut, und verdient be-
sonders noch die schwuugvolle Executirung der beiden Beethoven'-
schen Ouvertüren (die in Es-dur und die grosse Leonorenouvertüre
in C - dur) unter der Leitung des Capellmeisters Hrn. D u m o n t
die vollste Anerkennung.
Nächsten Montag wird das zweite Sinfonieconcert des Theater-
orchesters unter Direction des Capellmeisters Dumont stattfinden.
E. F.
Aus Prag.
Es freut uns, berichten zu können, dass das Opernrepertoir des
National theaters unter der trefflichen Direction des umsicbtsvollen
Directors Hrn. Fr. Thome an Mannifaltigkeit und Reichhaltigkeit
ungemein gewonnen hat. Nach der Original -Oper „Die Templer"
von Karl Sebor, die mit dem grössten Beifall aufgenommen
wurde, kam wieder eine neue Original -Oper: „Die Brandenburger
in Böhmen" von Friedrich Smetana zur Aufführung. Die Musik,
in neuerer Richtung gehalten, verräth ein durch Studien geläutertes
Talent, dem mehr Melodienreichthum zu wünschen wäre. Der erste
Act dieser Oper ist sehr gelungen, und namentlich ist die Volks-
scene trefflich zu nennen. Doch die zwei letzten Acte (Musik und
Text) sind schwächer. Es herrscht darin mehr musikalischer Ver-
stand als Fantasie, mehr Reflexion als poetischer Schwung, mehr
gemachte als gefühlte Musik. Es ist daher einleuchtend , dass die
letzten Acte keine zündende Wirkung hervorbringen.
Unter anderen Opern sahen wir Auber's „Krondiamanten" und
,ydie Falschmünzer," Lortzing's „Waffenschmied," von denen die
letztere Oper ungemein ansprach. Die nächsten Novitäten sind :
Gluck's „Orpheus" und ,,Armida," Smetana's Original-Operette
„Die verkaufte Braut ," Skraup's Original - Oper „ Vineta" und
Zvonar's Original-Oper „Zaboj". Hr. Director Thom6, der zu-
gleich die Opernregie führt , verdient in jeder Beziehung die voll-
kommene Anerkennung des Publikums für sein Streben, das stets
I dahin zielt, das Kunstinstitut auf die höchste Stufe zu bringen.
Der neue Tenorist, Hr. Ernst Grund, verspricht bei fortgesetzten
Studien eine Stütze des böhmischen Theaters zu werden. Seine
Stimme gewinnt immer mehr an Kraft , reiner Intonation und an
Geschmeidigkeit.
Eine Fluth von Concerten hat sich über Prag ergossen; leider
sind es nur Wohlthätigkeits-Concerte, bei denen es weniger auf die
Kunst als auf andere Zwecke abgesehen ist, und desshalb fühle ich
mich nicht bewogen, darüber zu referiren.
• »» Ol
Aus Paris.
». Febraar.
Ich habe Ihnen bereits gemeldet, dass Verdi, der seit einiger
Zeit hier weilt, emsig an einer neuen fünfactigen Oper, „Don Carlos*
Arbeitet. Der Text ist nach Schiller'* gleichnamigem dramatischen
Gedicht bearbeitet. Zwei Acte der Oper sind bereits vollendet.
Das ganze Werk wird der Direction der grossen Oper am 15. Juli
eingereicht werden und soll gegen Ende dieses Jahres zur Darstel-
lung kommen. Die erste lyrische Bühne Frankreichs bereitet auch
eifrigst die Aufführung des „Don Juan" vor. Es hiess, „Hamlet*
*<m Ambroise Thomas würde ebenfalls in Bälde das Repertoir
der genannte Bühne bereichern. Diese Nachricht hat sich indessen
als ungegründet erwiesen.
Die Ope'ra comique wird dem Publikum nächstens zwei neue
Werke vorführen, ,,Gilda" von Flotow und „La Colombe" von
Gounod. „Gilda* ist bereits unter der Direction Perrin's ein-
gereicht worden und hat seitdem in den bestaubten Carton's ge-
schlummert, und was Gounod's Werk betrifft, so ist dasselbe vor
einigen Jahren in Baden-Baden zur Darstellung gekommen und soll
dort beifällig aufgenommen worden sein.
Das Italienische Theater hat mit dem neuen Ballet »Gli Cle-
ment? 1 ebenso wie mit den bisher versuchten Ballets entschiedenes
Fiasco gemacht. Graziani ist soeben hier eingetroffen. Er wird
bis gegen Ende künftigen Monats hier bleiben und in einigen seiner
besten Rollen auftreten. Graziani ist ein vortrefflicher Künstler, der
die Gunst des Publikums vollkommen verdient.
Im The'ätre lyrique hat vorigen Dienstag die zweihundertste
Vorstellung des „Faust" von Gounod stattgefunden; trotzdem aber
ist der Erfolg dieses Werkes noch lange nicht erschöpft.
Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass in diesem Augen-
blick hier viel concertirt wird. Das Publikum drängt sich aber zu
den wenigsten Concerten herbei. Uebermorgen findet das dritte
Concert der Gebrüder Müller unter Mitwirkung der Madame
Szarvady statt. Das deutsche Streichquartett erfreut sich hier
einer freundlichen Aufnahme, und die hiesigen Blätter sprechen sich
über dessen Leistungen sehr wohlwollend aus.
I a c h r i c Ii t e
ii.
CÖln. Am 20. Februar fand das 8. Gesellschafts - Concert im
Gürzenich mit folgendem Programme statt: I. Theil, Sinfonie von
J. Haydn; Arie aus „Hans Heiling" von Marschner, ges. von Frl.
Friedrike Grün vom Hoftheater in Cassel; Violinconcert in
D-moll von Spohr, vorgetr. von Hrn. Concertmeister Au er aus
Düsseldorf; Kyrie und Gloria aus der grossen Messe in Es-dur von
Fr. Schubert (zum 1. Male). II. Theil. Ouvertüre zu „Sakontala"
von Carl Goldmark (z. 1. Male) ; Arie aus „Carlo Broschi," ges. von
Frl. Grün ; „Trost in Thränen" für 4stimmigen Chor von Jos. Bram-
bach (zum l.Male); Ouvertüre zu „Leonore" Nr. 3 von Beethoven.
Leipzig. Im 17. Gewandbausconcerle kam zur Aufführung :
Kyrie für Chor und Orchester aus der Es-dur~Messe von Fr. Schubert;
Ouvertüre, Introduction und erstes Duett aus „Jessonda" von Spohr ;
Ouvertüre , Ariette der Fatime und Quartett aus „Oberon" von
Weber; Ouvertüre zu „Alfonso und Estrella" von Fr. Schubert;
Ouvertüre zu „Coriolan", Quartett (Canon) aus „Fidelio" und Cla-
vier-Fantasie mit Chor und Orchester von Beethoven, vorgetr. von
Frl. Louise Hauffe. Die Gesangsparthien hatten Frl. Suvanny
und Frau Marchesi-Graumann, sowie die HH. Rebling
und Marchesi übernommen.
Dresden. Am 23. Februar fand die letzte Soiree für Kammer-
musik (2. Cyklus) statt. Man brachte zur Aufführung: Beethoven's
G-moll-Quartett ; Quartett in Es-dur (Nro. 62) von J. Haydn, und
Quartett Nr. 3 in D-moll von Cherubini. Die HH. Concertmeister
Lauterbach, Hüllweck, Göring und G r üt zm a ch e r
haben wieder die volle Meisterschaft ihrer Auffassungs- und Vortrags-
weise bewährt, und bei allen Zuhörern, deren dankbare Anerkennung
ihren genussreichen Abenden folgt, den lebhaften Wunsch, ja die
sichere Erwartung geweckt, dass auch die nächste Saison die treff-
lichen Künstler wieder auf diesem Felde thätig sehen werde.
Am vorhergehenden Tage hatte die jugendliche (nunmehr 14-
jährige) Claviervirtuosin Frl. Mary Krebs ein Concert im Saale
des „Hotel de Saxe" gegeben. Sie spielte darin ein Trio concertant
für Pianoforte, Violine und Violoncell von Spohr (Op. 48) mit den
HH. Lauterbach und Grützmacher; die Sonata appassionata
(Op. 57) von Beethoven ; eine Fantasie für die linke Hand allein
von Willem Coenen; die Polonaise in As-dur (Op. 53) von Chopin,
und eine Paraphrase über Thema's aus „Lucia von Lammermoor"
von Liszt. Die Concertgeberin beurkundete wieder, dass sie, in
jeder Beziehung auf dem Wege des Seht künstlerischen Fortschrittes
begriffen, die in der letzteren Zeit wieder in Deutschland und Eng-
land ihr au Theil gewordenen Lorbeeren vollkommen verdient habe,
und au einer der ersten Grössen ihres Faches heranwachse. Sie
— 40
■wurde in liebenswürdiger Weise unterstützt, ausser den beiden ge-
nannten Herren, von Frau Jauner-Krall, Frl. Langenhann
nnd den HH. Rudolph, Scharfe, Eichberger und Freny.
Am 28. Februar fand das sechste und letzte Abonnementconeert
der k. musikalischen- Capelle unter Leitung des Hrn. Capellmeisters
Rietz statt, und kamen Genovefa- Ouvertüre von R. Schumann,
die Hebriden-Ouvertüre von Mendelssohn, die D-dur-Sinfonie (ohne
Menuett) von Mozart und die C-moll-Sinfonie von Beethoven in vor-
züglicher Weise zur Aufführung.
Paris. Pasdeloup brachte in seinem 18. populären Concerte
zur Aufführung : Ouvertüre zu „Promotheus" von Beethoven ; Sin-
fonie in A-dur von Mendelssohn; Andante und Menuett aus der
„Serenade" von Mozart; Clavierconcert in C-moll von Beethoven,
▼orgetr. von Hrn. Theodor Ritter; „Jagdouvertüre" von Mekul.
— Das jüngste Abonnementconeert im Conservatorium fand mit
folgendem Programme statt: Sinfonie in A-dur von Mendelssohn;
„Alla Trinita" Chor; Adagio aus dem Septuor von Beethoven;
Credo aus einer Messe von Cherubini ; Ouvertüre zu „Oberon"
von Weber.
— Verdi wird , wie es scheint, die Rollen seines neuen, für
die grosse Oper bestimmten Werkes: „Pon Carlos" den betreffenden
Künstlern auf den Leib schreiben , wie man zu sagen pflegt , da
bereits die Persönlichkeiten für die Hauptrollen bestimmt sein sollen.
Es wären dies : für den Don Carlos ein noch nicht genannter Tenor,
für den Posa F a u r e, für Philipp II. O b i n , für den Grossinqui-
sitor B e 1 v a 1 , für die Elisabeth Frl. S a x e und für die Eboli
Frl. Bloch.
London. Schumann's Werke finden immer mehr Eingang
und auch immer mehr Verehrer. So werden jetzt im ersten phil-
harmonischen Concerte sein „Paradies and Peri", und im zweiten
Crystallpalastconcert seine B-dur-Sinfonie zur Aufführung kommen.
— Joachim ist, nachdem er im philharmonischen Concerte
in Edinburg mit immensem Erfolg aufgetreten, wieder nach London
zurückgekehrt, um in den populären Montags-Concerten zu spielen
und dann nach Paris zu gehen.
— Die italienische Oper des Hrn. Map leson in Her Majestys
Theatre wird auch Meyerbeer's „Dinorah" mit Frl. von M u r s k a
zur Aufführung bringen.
*** Der englische Barytonist S a n 1 1 e y gastirte mit [ausser-
ordentlichem Erfolge im Scalatheater zu Mailand. Schon sein
erstes Auftreten als Graf Luna im „Trovatore" gewann ihm die
allgemeine Sympathie.
*** Der Regisseur Lavallade hat wieder einen statistischen
Ueberblick der im k. Opernbause im Jahre 1865 stattgefundenen
Vorstellungen veröffentlicht, dem wir folgendes entnehmen: Es wurden
im Ganzen 171 Opern, 54 Ballete, und 35 gemischte Vorstellungen
gegeben. Es kamen 49 verschiedene Opern und 20 Ballets und
Divertissements zur Aufführung. Novitäten waren die „Afrikanerin"
und das Ballet „Sardanapal," und neu einstudirt wurden : „Catbarina
Cornaro," „So machen es alle," „Rienzi," „Alessandro Stradella,"
„Die weise Dame," „Der Postillon von Lonjumeau" und „Violetta".
Vorstellungen classischer Oper fanden statt: von Mozart 29, von
Beethoven 7, von Weber 16, von Mehul 1, von Spontini 4, von
Cherubini 3.
*** Die Schwestern Franziska und Ottilie Friese haben
im Laufe der gegenwärtigen Saison in den bedeutenderen Städten
des Niederrheins concertirt und durch ihre Leistungen auf dem
Claviere und der Violine allenthalben die unbestrittene Anerkennung
der Hörer gefunden.
*** In Nürnberg hielt Lina Ramann Ende Januars ihren
zehnten musikgeschichtlichen Vortrag für Damen über die Kunst
des Violin- und Ciavierspiels während des 17. und 18. Jahrhunderts
und trug in demselben mit Frl. Volkmann Ciavierstücke von
Frescobaldi, Lully, Scarlatti, Porpora, Galuppi, Martini und Para-
disi vor.
*** Hr. von Bronsart soll gesonnen sein, seine Stellung in
Berlin aufzugeben.
*** In Brüssel starb der ausgezeichnete Violoncellist, Professor
Montigny und in Hamburg der rühmlichst bekannte Geigen*
macher Georg Spars.
*** Die „Afrikanerin" ist in Cincinnati mit glänzendem Erfolge
gegeben worden.
*** Frau Maria-Vollmer hat in Frankfurt a. M. eine Ge-
sangschule etablirt.
*** Am 26. Febr. fand die Generalprobe und am 27. Febr.
die erste Aufführung der ,, Afrikanerin' 1 im k. Hofoperntheater zu
Wien statt.
*** Herr und Frau M a r c h e s i aus Cöln haben in Frank*
fürt a. M. zwei historische Concerte gegeben, in welchen Instru-
mental- und Gesangscompositionen vom 15. Jahrhundert bis auf
unsere Zeit zur Aufführung kamen. — Ebendaselbst wird die treff-
liche Pianistin Frl. Wilhelmine Marstrand unter Mitwirkung
des von einer Kunstreise in den Niederlanden zurückgekehrten Hrn.
Carl Hill ein Concert veranstalten.
*** Dem Vernehmen nach hat der Herzog Ernst von Coburg
die Absicht, gegen Mitte Mai d. J. in Coburg ein grossartiges Musik-
fest zu feiern, zu dessen Aufführung Künstler von Ruf, wie Hans
v. Bülow, Fr. Liszt, Henry Litolff, Joachim Raff
und R. Wagner erwartet werden.
*** In dem am 4. März im Redoutensaale stattfindenden Con-
certe der Gesellschaft der Musikfreunde werden unter Herbeck's
Direction zur Aufführung gelangen: Schuberts C - dur - Marsch , in-
strumentirt von Liszt ; Mendelssohn^ 43. Psalm ; zwei Schumann 1 -
sche Vocalchöre („der Traum* und „Schön Rothraut"); 4. Suite
für Orchester von Franz Lachner, unter persönlicher Leitung
des Componisten.
%* Im Circus R e n z in Wien werden an den Sonntagen der
Fastenzeit Nachmittags 4 Uhr grosse Monstre - Concerte veranstaltet.
In Paris im Cirque Napoleon und in Brüssel im Cirque National
erfreuen sich derartige Concerte, namentlich jene unter Leitung des
Hrn. Pasdeloup, bereits seit einer Reihe von Jahren des nach-
haltigsten Erfolges und es steht zu erwarten, dass auch in Wien die
allgemeinste Theilnahme dem Untei nehmen entgegenkommen wird;
das Orchester besteht aus 150 Musikern unter Direction des Capell-
meisters G. Carlberg, welcher durch die Einführung der Sinfonie-
Concerte in Wien und Berlin noch in gutem Andenken steht; auch
für die Mitwirkung bedeutender Solisten wurde Sorge getragen.
Das erste Concert findet am 4. März statt.
*** Dem Vernehmen nach wird Roger im September am
Friedrich-Wilhelmstädter Theater in Berlin gastiren.
%* In München wurde am 24. Februar das Oratorium : „die
Legende der hl. Elisabeth" von Fr. Liszt unter Direction des
Hrn. Hans v. Bülow zur Aufführung gebracht und namentlich
in den beiden letzten Theilen mit warmem Beifall aufgenommen.
Eine Wiederholung dieser Aufführung findet am 1. März statt. *)
*** Frau Lucca von der k. Oper in Berlin wird im April
acht Mal an der italienischen Oper in Madrid singen und dafür ein
Honorar von 20,000 Frcs. und freie Station für sich und zwei Per-
sonen ihrer Begleitung erhalten.
%* In Bremen kam unter Mitwirkung der Singakademie V i er-
lin g's „Hero und Leander a mit entschiedenem Erfolg zur Aufführung.
*** Hr. Fetis hat die seit langer Zeit inne gehabte Stelle als
Director des Brüsseler Conservatoriums definitiv niedergelegt.
*) Wir dürfen wohl einem Berieht über diese Aufführung von unserem,
dortigen Hrn. Mitarbeiter baldigst entgegensehen? Die Red»
ANZEIGE.
Musikschule zu Frankfurt a/M.
Mit dem 12. April dieses Jahres beginnt ein neuer Unterrichts-
cursus. Die Aufnahme und Prüfung neuer Schüler findet den 8. April
Vormittags 11 Uhr in der Wohnung des Herrn Hauff, neue Roth-
hofstrasse Nro. 8 statt, bis zu welcher Zeit die Anmeldungen an
denselben zu richten sind.
Das Honorar für den Gesammtunterricht beträgt jährlich 150 fl. rh,
in vierteljähriger Zahlung; für Betheiligung an einem einzelnen*
Fache: 60 fl.; an zwei Fächern: 90 fl. ; an drei: 120 fl.
Gedruckte Pläne der Anstalt sind gratis zu haben.
5«r ^orfraub tat l^ttlißfättfc.
Verantw. Red. Ed. Fächeret. Druck v. Carl Wallau, Main*.
15. Jahrgang.
JV* MM.
12. März. 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand- j
^ langen. <
? © ff I » g
von
B.
? PBBIS: 1
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg. !
■• für den Jahrgang.
SCHOTT'S SÖHNEN in MAINZ. j Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
? ^
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
INHALT: Die Militärmusiken und der Instrumentenbau in Deutschland und Frankreich. Correspondenzen : Mainz. München. Nachrichten.
Die Militärmusiken und der Instrumentenbau
in Deutschland und Frankreich.
(S c h 1 u s s.)
Es bietet uns aber die Frage, die uns bis jetzt beschäftigt, noch
eine andere Seite dar, und ich bin überzeugt, dass, was diese be-
trifft, Sie vollkommen mit mir übereinstimmen werden. Ich will
einerseits von dem ästhetischen Einflasse sprechen , welchen die
Militärmusiken auf die Bevölkerung des Landes ausüben sollen, und
anderseits von den Vortheilen , welche jeder Musiker durch gründ-
liche Kenntnisse seines Instrumentes, auch ausser dem Bereiche des
Regimentes, zu finden berechtigt ist. Wenn das Militärorchester
vernunftgemässer zusammengesetzt wäre und sich inniger an das
Civilorchester anschlösse, so würde dasselbe erstlich' viel geeigneter
sein, die Meisterwerke unserer grossen Componisten auszuführen, was
gewiss ein Punkt ist, der gehörig betrachtet zu werden verdient;
allein es würde auch noch ein zweiter Vortheil daraus entspringen:
die Beabschiedung oder Pensionirung der Militärmusiker würde
jährlich eine beträchtliche Anzahl tüchtiger Männer in die verschie-
denen Provinzen des Landes vertheilen, die für die Theaterorchester
und Musikgesellschaften ein gar kostbares Personal abgeben würden;
auch als Musiklehrer würden sie treuliche Dienste leisten, und unter
ihrer Leitung würde ein zahlreicher Nachwuchs guter Zöglinge für
die Orchester und die Militärmusiken gedeihn. Einerseits würden
also diese vom Militärdienste befreiten Musiker kräftig zur Verbrei-
tung der Kunst einwirken und anderseits sich selbst ein ebenso
ehrenhaftes als reichliches Unterkommen sichern. Ein guter Hornist,
ein tüchtiger Fagottist oder Hoboist wird immer gesucht und bat
überall freie Wahl zum Eintritt, während ein Saxophon- oder Sax-
horn-Bläser, wäre er auch ausgezeichnet, sehr selten eine gute An-
stellung ausser dem Militärdienste finden dürfte. Was ist nun aus
der bisherigen Gestaltung der Dinge erfolgt? Seitdem die neueren
Instrumente die älteren verdrängt, findet man keine Musiker mehr,
um die Orchester zu besetzen, und manche Städte haben sich in die
Notwendigkeit versetzt gasehen, mit grossen Kosten Musikschulen
zu errichten, und, was gewiss traurig ist, gestehen zu müssen, um
Professoren zu finden, müsste man sich an das Ausland wenden!
So stehen die Dinge im Elsass wenigstens; wie es sich in den
übrigen Provinzen verhält, weiss ich nicht. Eines aber steht fest
und wird durch alle diejenigen bestätigt, die da hell sehen und sich
nicht durch das leere Geschwätz oberflächlicher oder beeinflusster
Personen verblenden lassen, nämlich dass die künstlerische Ausfüh-
rung guter, classischer Musik eher ab- als zugenommen hat. Will
man heute ein Werk von einiger Bedeutung hören, so muss man
seine Schritte nach Paris oder irgend einer Residenzstadt lenken;
wäre hingegen die Besetzung des Militärorchesters nicht so beschränkt
und ausschliesslich aufgefasst, so würden auch Städte zweiten und
dritten Banges, ja selbst noch kleinere Orte, künstlerische Hülfs-
quellen darbieten , die jedes billige Bedürfniss befriedigen könnten.
Anstatt immer und immer neue Instrumente erfinden zu wollen,
würde man nicht viel besser daran thun, die alten, längst eingeführten
zu vervollkommnen und dieselben zu Familien heranzubilden? Wie
wäre es, wenn man z. B. in den Militärmusiken eine vollständige
Familie von Clarinetten einführte ? Erstens eine Clarinette, die eine
Octave tiefer läge als die Es-Clarinette ; eine zweite, die eine Octave
tiefer klänge als die B-Clarinette, und endlich eine Co ntrabass- Cla-
rinette, die zwei Octaven tiefer spielte als die Es-Clarinette. Diese
Instrumente sind übrigens schon vorhanden : man braucht sich nur
.an die „Hugenotten" zu erinnern , wo die Bassclarinette einen so
imposanten Effect bewirkt.
Die glänzenden Fortschritte der französischen Militärmusiken
seit 1854 beruhen übrigens gar nicht auf der erzielten Vervollkomm-
nung der Instrumente, wie es manche Leute gar irrig glauben; der
Grund dieses Fortschritts ist einzig und allein in der grossen Ver-
besserung der den Musikern eingeräumten Stellung zu suchen. Der
v kaiserlichen Regierung kömmt die Ehre zu, vor allen andern be-
griffen zu haben , dass die durch die Militärmusiken geleisteten
Dienste bisher nicht gehörig gewürdigt worden, und dass man tüch-
tige Künstler nur dann erhalten kann , wenn man denselben ein
gehöriges Auskommen sichert und eine sorgenfreie Zukunft bereitet.
Durch sein Decret vom 16. August 1354 (dessen Jahrestag in jeder
Militärmusik gefeiert werden sollte) bat der Kaiser eine musikalische
Revolution bewerkstelligt, die unberechenbare Folgen nach sich
ziehen wird, und durch einen einzigen Federstrich hat derselbe mehr
gethan als alle Erfindungen und alle Instrumentennmcher von ganz
Europa je bewirken könnten: er hat Musiker geschaffen, und dies
ist gewiss weit wichtiger und weit schwieriger als Instrumente zu
bauen! Dank dem obengenannten Decret ist die französische Mili-
tärmusik ein wahrer Sammelplatz nicht nur tüchtiger Instrumentisten,
sondern auch ausgezeichneter Künstler geworden; man denke an
Mohr, Klose, P aul us , Magnier, Sellenick , Rie d e 1,
Tille u. s. w., die unter der Uniform eine ebenso ehrenvolle als
vorteilhafte Stellung gefunden. Wir wünschen von ganzem Herzen
unseren Nachbaren über'm Rhein einige uneigennützige Männer und
eifrige Freunde der Militärmusik, wie die Herren Generäle Riban
nnd Meilin et, wie die Herren Kastner, Pilliard, Perrin,
Roth u. A., damit auch ihre Musiker endlich aus der untergeord-
neten Stellung, in der sie leider nur schon zu lange verharren, ge-
zogen und dieselben in Ausübung der Kunst Ehre und Vortheil finden
mögen, wie ihre glücklichen Collegen in Frankreich ! Es ist natür-
lich nichts Leichtes eine solche Reform in einem so getheilten Lande
wie Deutschland auszuführen , und die Geldfrage wird allerdings
schwer in der Wagschale liegen; allein wenn es sich um solch ge-
wichtige Interessen handelt, wird man doch hoffentlich nicht an
materiellen Hindernissen Anstoss nehmen und sich durch einige
Opfer abschrecken lassen! Jedenfalls gebührt Frankreich die Ehre,
den Militärmusikern zuerst eine ihrer selbst würdige Stellung ge-
sichert zu haben , und der Kaiser , der diese Reform auf eine so
schöne und grossmüthige Weise durchgeführt, hat sich um die Kunst
ein grosses Verdienst erworben.
Aber es ist Zeit, geehrtester Herr, diesen für Ihre Geduld gewiss
- 42 _
viel zu langen Brief zu schliessen, obgleich derselbe in Betracht der
wichtigen Frage, welche er behandelt, und der zahlreichen Ideen,
welche er flüchtig berührt, viel zu kurz ist. Ich habe mir vorge-
nommen, bei Zeit und Muse einst eine weniger unvollkommene Ar-
beit über den fraglichen Gegenstand auszufertigen, wenn die An-
sichten nämlich, die ich hier flüchtig niedergeschrieben, den geehr-
ten Lesern als interessant genug erscheinen. Ich möchte nur noch
Ihr Urtheil über einen Funkt einholen, der mir sehr oft aufgefallen
ist; ich will von der sonderbaren Notirung gewisser Instrumente
sprechen. Könnte man diesen veralteten Gebrauch nicht endlich
abschaffen uud eine vernunftgemässere , gleichförmigere Schreibart
einführen? Die Musik ist bis jetzt die einzige Universal - Sprache,
welche die arme und in so vieler Hinsicht getheilte Menschheit bis
jetzt auzfustellen vermochte : die Noten werden von allen civilisirten
Völkern gelesen und verstanden; allein es bestehen noch hier und
da sonderbare Abweichungen , die es Zeit wäre den Antiquitäten-
sammlern zu überlassen. Ist es in der That nicht seltsam, dass,
während für die Orchester ohne Ausnahme die nämliche Schreibart
angenommen und ein gleichförmiges System befolgt wird, die Mili-
tärmusiken der verschiedenen Länder auf der Mode beharren , sich
verschiedener Schlüssel zu bedienen und mit einem wahrhaft hart-
näckigen Aberglauben an Kleinigkeiten halten, die im Grunde weder
Sinn noch Werth haben ! Um eine befriedigende Lösung zu finden,
wären Sie nicht der Meinung , einen Congress von Musikmeistern
zu berufen, der aus Abgeordneten aus allen Nationen Europa's be-
stünde? Dieser Congress würde sich z. B. in Paris versammeln,
und sich, ausser dem berührten Funkte, mit allen den Fragen be-
schäftigen, die in seine Competenz einschlagen, als: musikalische
Schreibart, Instrumentenbau, Stellung der Musiker, nationale und
internationale Musik-Concourse etc. etc. ; es würde dadurch den Ver-
handlungen ein ebenso interessantes als nützliches Feld eröffnet.
Erlauben Sie mir nun noch schliesslich hier eine Tabelle eines
nach meiner Idee entworfenen Militär-Orchesters einzuschalten :
Flöten (grosse und kleine) 2 Saxophone Soprano . . 1
Clarinette in As . . 1 „ AHo . . 1
„ in Es ... 3 „ Tenor . . 1
„ in B. . . 6 „ Baryton . . 1
„ Tenor in Es 6 Hörner .... 4
Bass-Clarinetten in B . 4 Flügelhorn in Es .1
Contrabass-Clarinetten in Es 2 „ in B . ,2
Hoboen .... 4 Altflügelhorn in Es . . 2
Fagotte .... 2 Barytonflügelhorn in B . 2
Contrafagott ... 1 Basse und Contrabässe . 6
Pistons .... 2 Posaunen .... 4
Trompeten. ... 2 Spiel .... 5
~6CT
Aus dieser Tabelle entspringt , dass weder die Besetzung der
französischen, noch diejenige der deutschen Militärmusiken voll-
kommen dem Ideal entspricht, das ich mir entworfen und das ich
für kunstgerecht halte, weil es sich auf die Zusammenstellung des
eigentlichen Orchesters gründet. — Die Clarinette ist die Königin
der Holzblasinstrumente; dieselbe muss folglich die Grundlage des
Militärorchesters bilden, wie die Geigen die Basis des Civilorchesters
abgeben. Darum räume ich auch diesen Instrumenten den ersten
Platz ein, denjenigen des Streich-Quartetts in dem Orchestei. Mit
einer solchen Combination wäre es möglich, die Meisterwerke unserer
grossen Componisten fast buchstäblich auszuführen. In dieser Ab"
sieht habe ich auch die alten, ausser Gebrauch gekommenen Instru-
mente beibehalten, ohne jedoch die neuen Erfindungen auszuschliessen,
die in obiger Tabelle noch einen anständigen Platz einnehmen. Es
ist möglich, dass meine Auffassung der Kritik Blossen bietet, allein
ich gebe dasselbe freimüthig und ohne Rückhalt dem Gutachten der
Kenner preis, und bin bereit, dankbar jeden triftigen Einwurf anzu-
hören und mich jeder auf festen Grundsätzen beruhenden und den
Fortschritt befördernden Aenderung zu unterwerfen.
Aus dem Zusammenstoss gewissenhafter und freimüthig ausge-
sprochener Meinungen ersteht das Licht, auf dem Boden der Kunst
wie auf dem Gebiete der Wissenschaft ; darum habe ich mir erlaubt,
meine schwache Stimme in diesen interessanten Debatten zu erbeben.
Ich würde mich glücklich schätzen, wenn meine leider allzu unvoll-
kommene Arbeit die Beachtung sachkundiger Männer verdienen und
etwas zur endlichen Lösung eines Problems beitragen könnte, wel-
ches gewichtige Stimmen heute noch als Streitfrage betrachten, un-
erachtet aller bis jetzt verwirklichten Fortschritte.
Genehmigen Sie, geehrtester Herr, den Aasdruck der ausge-
zeichnetsten Hochachtung Ihres gehorsamen Dieners
A. E. Schaefer,
Musikdirector des Hauses Hartmann & Söhne.
CORRESPONDENZEN.
Aus Mainz.
I. Mir/..
Frau Dust mann- Meyer trat noch in Gounod's „Faust" und
zum Schluss ihres Gastspiels als Donna Anna im „Don Juan" auf.
Man sah ihrer Darstellung der Margarethe mit einigem Zweifel ent-
gegen, ob diese Bolle dem gefeierten Gaste auch ebenso wie die
bisher gegebenen zusagen werde. Allein Frau Dustmann hob durch
die Vortrefflichkeit ihres Spiels und Gesangs das Publikum über
jeden derartigen Zweifel siegreich hinweg, und wenn auch manche
Scene der ersten Acte durch ihre Naivetät der Künstlerin in ihrer
Persönlichkeit einige Schwierigkeiten zu bereiten schienen , so
wusste sie diese doch durch ihr meisterhaftes Spiel und ihre vollen-
dete Gesangskunst zu überwinden. Besonders grossartig war ihre
dramatische Leistung in der Scene mit dem sterbenden Valentin
und inf der Kirchenscene. — Die Donna Anna gehört zu den Partien,
die den Ruf der Frau Dustmann als eine der ersten dramatischen
Sängerinnen der Gegenwart begründet haben, und wahrhaft gross
war sie auch diesmal in der Wiedergabe dieser herrlichen Rolle.
Der Beifall des Publikums, das sich jedesmal zahlreich eingefunden
hatte, wuchs von Vorstellung zu Vorstellung, und mit aufrichtigem
Bedauern sah man Frau Dustmann von unserer Bühne scheiden, um
ein Gastspiel in Cöln zu eröffnen.
Im „Faust" sah sich der gefeierte Gast durch die HH. B o h 1 i g
(Faust) , S c h m i d (Mephisto) und G r ü n w a 1 d (Valentin) recht
wacker unterstützt, und auch Chor und Orchester waren sehr lobens-
wert!). Weniger Erfreuliches leistete die Umgebung der Frau Dust-
mann im „Don Juan," mit Ausnahme der Frau Skalla -Borzaga^
welche die Elvira vortrefflich sang, und des Hrn. Bohlig (Octavio),
der seine erste Arie sehr hübsch vortrug, die zweite aber leider
wegliess. Chor %und Orchester Hessen auch bei dieser Vorstellung
nichts zu wünschen übrig.
Am vergangenen Montag fand endlich das zweite Sinfonieconcert
des Tbeaterorchesters im Saale des Frankfurter Hofes statt. Leider
waren wir durch Unwohlsein verbindert, demselben beizuwohnen,
doch wird uns von competenter Seite mitgetheilt, dass die Auffüh-
rung der Mozart'schen G-moll-Sinfonie, sowie der Oberon-Ouvertüre
eine vortreffliche, von dem diesmal zahlreicher versammelten Pub-
likum mit freudigem Applause belohnte gewesen sei. Weniger ge-
lungen war die Ouvertüre zu „Jessonda". Auch die Gesangs vortrage
der Frau Zademak wurden sehr beifällig aufgenommen. E. F.
Aus Mönchen.
4. Marx.
Zu einem wohlthätigen Zwecke veranstaltete am Aschermittwoch
unter der Direction von Max Z enger und unter Mitwirkung des
Oratorienvereins und des Hoftheaterorchesters die Münchener Sänger-
genossensehaft ein Concert im Odeon, dessen Programm mit der
Ouvertüre zu „Ruy Blas" von Mendelssohn eröffnet wurde. Von
Chören wurde gesungen: Chor aus der „Zauberflöte : „O Isis und
Isiris*, „Morgenlied" von Rietz, „Sturmesmythe" von Franz Lachner,
Schumann's „Zigeunerleben" (welche Composition Zenger recht pi-
kant instrumenta hat) und der Chor „Aber mit seinem Volke" aus
„Israel in Aegypten" von Händel. Wir können nicht sagen, dass
wir mit der Ausführung des Programmes vollkommen zufrieden waren;
noch manche Stelle hätte der Probe bedurft, und manchem Sänger,
der nun da oben auf dem Podium stand und stolz darauf war, vor
dem reichen Damenflor sich als mitwirkender Sänger ausstellen zu
können, wäre der Besuch der Proben amurathen gewesen, was die
Freuden der Saison, die letzten, verhallenden Klänge des Carnevals
— 43 -
über nicht zugelassen hatten. Was Wunder, dass bei der Betheili-
gung solcher Leute ab und zu die Gefahr des Umwerfens nahe stand,
und nur der geschickten, energischen Direction Zenger's war es zu
verdanken, dass das Programm wenigstens anständig vorgeführt wurde.
— Die Damen des Oratorienvereins traten mit einer ungemein zar-
ten Composition von Cherubini für Frauenchor, Schlummerlied aus
4er Gelegenheitsoper „Blanche de Provence", auf und ernteten für
den gelungenen Vortrag stürmischen Beifall.
Frl. E h n n vom Nürnberger Stadttheater sang zwei von Max
Zenger componirte Gesänge aus G'öthe's „Faust" mit Leidenschaft
und dramatischem Leben, und Lieder von Schubert, Mendelssohn
und Abt mit feiner Empfindung und zierlichem Ausdruck. Obgleich
«las Fräulein noch sehr jung ist, nimmt sie doch schon eine Weile
den schwierigen Posten einer Primadonna ein, und erst jüngst ern-
tete sie als Afrikanerin die wohlverdientesten Lorbeeren. In der
Höhe und iu der Tiefe ist die Stimme schön und edel, schade, dass
die Mittellage, aus deren Tönen sich die meisten Melodien aufbauen,
im Verhältniss zu den beiden Endpunkten der Stimme weniger sym-
pathisch und ansprechend klingt. Ebenso beeinträchtigt ein ewiges
Tremoliren die Schönheit des Organs. Im Uebrigen hat das Fräu-
lein Geschmack und Verständnis» und wenn sie noch im Stande
wäre, diese Fehler, die auch auf die Stimmbildung rückwirken, ab-
zulegen, müsste sie bald den ersten dramatischen Sängerinnen Deutsch-
lands zugezählt werden. —
Das Hauptereigniss in unserer musikalischen Welt bildet die
zweimalige, auf Befehl des Königs erfolgte Aufführung des Oratoriums
„Elisabeth" von Franz Liszt, Dichtung von Otto Eoquette
(zum ersten Male aufgeführt am 15. August 1865 bei Gelegenheit
der 25jährigen Jubelfeier des Pesth-Ofener Mnsik-Conservatoriums).
Die Veranlassung, zu welcher das Oratorium geschrieben wurde,
wirkte jedenfalls bestimmend auf die Wahl des Stoffes : die religiös-
romantische Natur Liszt's aber griff mit Vergnügen nach der Ge-
schichte der Landgräfin Elisabeth, der Heiligen von der Wartburg,
weil sich in der Composition dieses Sujet's seine innerste Anschau-
ung aussprechen konnte. In sechs Bildern , die sämmtlich in der
Stimmung verschieden sind und deren Text — oft sogar mit Ver-
nachlässigung der Schönheit der dichterischen Form — nur den einen
Zweck erfüllt, der Composition passende Situationen zu unterbreiten,
zieht die Lebensgeschichte Elisabeths an uns vorbei ; wir sind Zeugen
ihrer frühen Verlobung mit dem Landgrafen Ludwig , des Rosen-
wunders, des Abschieds von ihrem Gemahl, der in den heiligen Krieg
zieht, von ihrer Verstossung durch ihre herrschsüchtige Schwieger-
mutter, von ihrem Tod und Elend und von ihrer feierlichen Be-
stattung.
Es ist der neueren Musikrichtung noch nicht gelungen, in den
Sologesängen die Wirkung hervorzubringen, deren Bich ein Gluck,
Haydn, Mozart, Beethoven, Weber rühmen können; in der neuen
Aera, wo die Musik nur den durch den Sinn des Textes bedungenen
Modificationen des Sprechens sklavisch folgt, ohne sich zur Melodie
zu gestalten, ist der Gesang meist derart, dass er statt zu erfrischen,
•ermüdet, statt zu erfreuen, langweilt. Aehnliche Gefühle stellten
«ich uns auch bei Anhörung dieses Oratoriums ein ; ausser dem Ge-
sänge der Elisabeth im fünften Bilde (jedenfalls dem schönsten
Satze der ganzen Composition) wüssten wir keine Partie zu be-
zeichnen, bei der wir nicht Sehnsucht getragen hätten, sie möglichst
bald beendet zu hören. Das „Jagdlied" des Grafen ist nicht viel
mehr als ein Conglomerat von Phrasen und hat von einem Bilde
keine Spur ; der Gesang der Landgräfin Sophie, dem kein Original-
motiv zu Grunde liegt, ist ein immerwährendes, langweiliges Beci-
tativ, wie nur je eines geschrieben wurde.
Wenn wir uns aber mit den Einzelngesängen im Ganzen nicht
befreunden konnten, um so entschiedeneres Lob haben wir für die
Chöre. Da finden wir einen Beichthum der Melodie, eine Schönheit
in der Stimmführung, eine Feinheit der Construction, eine Klarheit
der Form, die wir — ist uns ein aufrichtiges Wort gegönnt — Hrn.
Liszt gar nicht einmal zugetraut hätten; nun aber hat er uns auf-
richtig bekehrt. Das klingt alles so frisch, so innig, das ist echter,
menschlicher Gesang , voll Freud und Leid , voll Stimmung und
Wirkung. Gleich am Anfang schon nimmt der fröhliche Chor, mit
welchem die einziehende kleine Braut begrüsst wird) unser Wohl-
wollen gefangen, und dann folgt, begleitet von einer äusserst inte-
ressanten Instrumentation, der zierliche, muntere Kinderchor, welcher
der kleinen Braut die umfänglichste Unterhaltung in Flur und Wald
verspricht; das ist Alles so lieblich und anmuthig, so freudig und
voll Leben, — wie die selige Jugendzeit selber.
Die kräftigste und populärste Nummer der ganzen Composition
ist der Kreuzfahrerchor. Er beginnt mit einem breiten, leichtfass-
lichen Motiv und baut sich so einfach und leicht darstellbar auf,
dass wir diesen Marsch wohl öfter in den Concerten guter Musik-
gesellschaften , denen wir ihn eindringlichst empfehlen möchten,
hören werden ; aus ihm klingt hohe Begeisterung, glühender Kampfes-
muth. — Erklären wir diesen für die leicbtestverständliche Nummer,
so nennen wir den Armenchor die schönste ; hier lebt eine so fromme
Empfindung, eine so heilige Stimmung, dass es uns wie Andacht
anwandelt, und wer könnte die Stelle :
„Und wen geküsst des Todesengels Mund,
Den legtest fromm Du in geweihten Grund"
hören, ohne im Tiefsten gerührt zu sein ? Wahrlich, hier hat B ü I o w
Becht, wenn er sagt, diese Composition sei eine Allianz von Reli-
gion und Musik; ja, hier finden wir frommen Glauben und echte
Kunst verschwistert, das Ohr hängt verlangend an diesem innigen
Gesänge, und wie ein mahnend Glaubenswort umweht es uns. Bis
hinauf zu dem sich jetzt anreihenden Engelchor hat sich die Com-
position in Stimmung und Ausdruck gesteigert, und nun stehen wir
vor der letzten Nummer, vor dem Epilog; die wenigsten Oratorien
können sich dieses Vorzugs rühmen. (Schluss folgt.)
■ *oo » i
Naclirichte
Stuttgart. In dem am 24. Februar in den Gemächern Sr.
Majestät des Königs stattgefundenen Hofconcerte wurde durch die
HH. Pruckner, Singer, Debuysere und Krumb holz ein
Quartett für Pianoforte, Violine, Viola und Violoncell von Ludwig
Stark in vortrefflicher Weise zur Ausführung gebracht. Der erste
und dritte Satz desselben zeichnen sich durch den Schwung und die
Frische der Motive sowie die interessante Durchführung aus ; im
Scherzo und Finale zeigt uns der Componist, dass er auf dem Felde
des Contrapunktes wie Wenige zu Hause ist. Das höchst achtbare
Werk errang sich verdienten Beifall.
Unser trefflicher Pianist Dionys Pruckner, welcher vor
noch nicht so langer Zeit zum Hofpianisten ernannt wurde, ist vom
König neuerdings durch Verleihung der grossen goldenen Medaille
für Kunst und Wissenschaft am Bande des Kronordens ausgezeich-
net worden.
München. Am 3. d. M. wohnte der König, nur von seinem
Adjutanten, dem Fürsten Taxis begleitet, einer Production des
Musikcorps des 1. Inf.-Begiments im Besidenz-Theater bei, wo nur
Wagnerische Compositionen zur Aufführung kamen. Verschiedene
Blätter melden, dass Wagner's baldige Bückkehr hieher bevorstehe ;
allein wenn auch der König, der mit seinem Schützling in bestän-
digem brieflichem Verkehr steht, diese Bückkehr wohl wünschen
mag, so dürfte doch Wagner selbst wenig geneigt sein, wieder nach
München zu kommen, so lange die Verhältnisse dahier noch immer
dieselben bleiben, die seine Entfernung herbeigeführt haben.
— Die Oper „Gil Blaze" von Max Zenger, der vor einigen
Jahren seine erste Oper: „Die Foscari" mit Beifall zur Aufführung
brachte, wird in nächster Zeit am Hoftheater in Scene gehen. Frl.
Stehle und Hr. Kindermann werden die Hauptrollen singen.
— Hr. v. B ü 1 o w erhielt nach seinem ersten Concerte vom
König eine schwere goldene Kette zugesandt.
Leipzig. Am 27. Februar veranstaltete die „Euterpe" und die
„Singakademie" gemeinschaftlich ein grosses Concert im Saale der
Centralhalle, welches sowohl seiner Grossartigkeit, als auch der treff-
lichen Durchführung wegen als hervorragend in der diesjährigen
Saison bezeichnet werden darf, denn es ist kein Zweifel, dass diesem
gelungenen Versuche, Concerte in grösserem Maassstabe durch Ver-
einigung verschiedener musikalischen Gesellschaften zu ermöglichen,
in Zukunft mehrere und wohl auch immer gelungenere Unterneh-
mungen ähnlicher Art folgen werden. 400 Sänger und Instrnmen-
talisten wirkten bei dem in Bede stehenden Concerte mit, und die
Gesangsoli waren vertreten durch die Damen Frl. S a n t e r von der
Berliner Oper, Frl. Wild und Frau P ö g n e r von hier und die
Herren Ganz von Hannover und Freny von Dresden. Das
_ 44 ■ —
Programm enthielt: „Frühlingsbotschaft ," Concertstück für Chor
und Orchester von N. Gade ; Arie : „Dies Bildniss ist bezaubernd
schön" aus der „Zauberflöte" ; Schlussscene des 3. Actes aus der
„Armida" von Gluck, und das Stabat maier von Bossini, welches
letztere Werk bei dieser Gelegenheit hier zum erste Male vollständig
aufgeführt wurde.
Dresden. Am 2. d. M. fand in der Kreuzkirche eine geistliche
Musikaufführung statt, welche Hr. C. M. Höppner veranstaltet
hatte und in welcher neben Compositionen von Bach und Schumann
und einer Orgelfuge des Concertgebers , auch Rossini's „Stabat
mater" zur Aufführung kam.
— Am 3. d. M. gab der Violinvirtuose Hr. v. Wasielewski
im „Hotel de Saxe" eine Soire'e musicale, in welcher unter Mit-
wirkung des Hrn. Capellmeisters Reinecke von Leipzig und des
Cellovirtuosen Grützmacher nur gediegene Musik, und zwar in
vorzüglicher Ausführung geboten wurde. Das Programm enthielt
eine Sonate für Violine von dem fast verschollenen Nebenbuhler
Tartini's, V e r a c i n i ; sodann Variationen über ein Händel'sches
Thema von C. Reinecke, Sonate von Mozart für Ciavier und Violine
(B-dur) und das Trio in B-dur (Op. 97) von Beethoven.
Wien. Die durch Fr. Lachner in einer dem Geschmacke
und den musikalischen Mitteln der Neuzeit entsprechenden Weise
wieder eingeführte Orchestersuite scheint bei dem musikliebenden
Publikum immer mehr Anklang zu finden, und es ist dies um so
erklärlicher, als die bis jetzt mit derartigen Werken hervorgetretenen
Componisten (nämlich ausser Fr. Lachner noch Esser, Raff und
Grimm) auch Meisterhaftes geschaffen haben. Noch selten hat in
Wien ein neues Werk einen so durchschlagenden Erfolg erzielt, wie
dies kürzlich bei der ersten Aufführung der zweiten Suite von
H. Esser der Fall war. Nicht nur das Publikum zeichnete den
Componisten durch stürmischen Applaus und wiederholte Hervorrufe
aus, sondern auch die gesammte Presse ist einstimmig des höchsten
Lobes voll über das Werk eines Künstlers, der so lange schon unter
uns lebt und wirkt, und dessen schöpferisches Talent vielleicht nur
durch seine seltene Bescheidenheit übertroffen wird , welche bis
jetzt seine Verdienste lange nicht zur entsprechenden Geltung
kommen Hess. Um so erfreulicher ist es, dass die verdiente Aner-
kennung jetzt endlich zum Durchbruch gelangte, und man nun ein-
zusehen scheint, was wir in Esser eigentlich besitzen.
Im jüngsten Concerte der Gesellschaft der Musikfreunde wurde
ebenfalls eine neue Suite, und zwar die vierte von Fr. Lachner
geschriebene und der Gesellschaft der Musikfreunde gewidmete,
unter des Componisten persönlicher Leitung aufgeführt. Lachner
wurde bei seinem Erscheinen äusserst lebhaft empfangen und nach
der Aufführung stürmisch gerufen. Die schöpferische Kraft dieses
mit allen Künsten des Contrapunktes so innig vertrauten, in der
Behandlung des Orchesters so unvergleichlich gewandten Meisters
scheint sich in der von ihm wieder eingeführten Suitenform förmlich
verjüngt zu haben , denn es ist eine wahrhaft bewundernswerthe
Thatsache, dass Lachner in so schneller Aufeinanderfolge nun bereits
vier grosse Suiten geschrieben hat, von denen immer eine wieder
interessanter und effectvoller als die andere ist. Der Erfolg der
Lachner'schen Suiten ist kein blos localer, etwa nur auf hier und
München, oder auf Deutschland beschränkter, sondern sowie fast in
allen bedeutenderen Städten Deutschlands wenigstens das eine oder
«ndere dieser Werke mit entschiedenem Beifall aufgeführt wurde,
so hat auch das Pariser Publikum und die dortige Kritik sich
wiederholt zu Gunsten dieser originellen und anziehenden Schöpfungen
ausgesprochen, und noch kürzlich wurde die dritte Suite von Fr.
Lacbner in Brüssel mit vollständigem Erfolg aufgeführt und von der
Kritik in eine für den Componisten höchst schmeichelhaften und
ehrenvollen Weise besprochen.
— Roger ist bereits hier angekommen und wird sein Gastspiel
im Harmonie-Theater als George Brown eröffnen. Sein zweites Auf-
treten wird im „Johann von Paris" stattfinden.
— Frl. Krauss und Hr. Mayerhofer sind nun soweit in
der Reconvalescenz vorgeschritten, dass ihrem demnächstigen Wieder-
auftreten im Operntheater entgegengesehen werden kann.
— Der Capellmeister Carlberg beabsichtigte imCircusRenz
grosse populäre Concerte, ähnlich den Pa>deloup'schen in Paris
vu geben. Das erste derselben sollte am Sonntag den 4. d. M.
stattfinden, scheiterte aber, trotzdem ein zahlreiches Publikum bereit»
versammelt war, an unliebsamen Hindernissen. Hr. Carlberg erklärt«
mit von Thränen erstickter Stimme, er sei nicht Schuld an diesem
fatalen Ereignisse.
Hamburg. Julius Stockhausen ist in diesen Tagen nach
Petersburg abgereist, wo er zu zwei Concerten der philharmonischen»
Gesellschaft engagirt ist und auch ein eigenes Concert geben wird;
Die von ihm hier in Hamburg errichtete Gesangsschule ist in voller
Blüthe, und die Leitung der Sing-Akademie hat während der Zeit
seiner Abwesenheit, die jedoch nur bis Mitte März dauern wird>>
Hr. Musikdirector Grädener übernommen.
Posen. Seit lange hat keine Sängerin auf unserer Bühne sieb
die allgemeinste Sympathie in so hohem Grade zu erringen ver-
standen, wie dies der trefflichen Künstlerin Frl. Tipka in kurzer
Zeit gelungen ist. Ihre Leistungen in den Rollen der Elvira in
„Ernani," der Leonore im „Troubadour," der Zerline im „Don Juan'*
und der Lucia in der gleichnamigen Oper waren von seltener
Vollendung , sowohl in Bezug auf Coloratur wie auf künstlerisch»
Auffassung und Wärme des Vortrags, und vielfach wiederholter, stür-
mischer Beifall ward ihr in jeder dieser Partien zu Theil. Nicht
minder allgemeine Anerkennung und wohlverdienter Beifall ward
Frl. Tipka im Concert des Hrn. Franz Bendel zu Theil , in
welchem sie Scene und Arie der Agathe aus dem „Freischütz," ei»
Lied von Reichhardt, ,,Invita alla danza" von Stigelli und ei»
ungarisches Nationallied sang ; die beiden letzteren Nummern gaben
ihr Gelegenheit, ihre staunenswertbe Kehlenfertigkeit im glänzend»
sten Lichte zu zeigen.
Lüttich, 25. Februar. Gestern veranstaltete die Socie'te libre
<V Emulation ihr erstes grosses Concert. Alfred Ja eil spielte
Beethoven's Es-dur- Concert und in der zweiten Abtheilung das Con»
certstück von F. Hiller, das ihm vom Componisten gewidmet worden
ist und bei Cranz in Hamburg erscheint, beide mit enthusiastischem
Beifalle. Nach dem Vortrage seiner Paraphrase de VAfricaine und'
des beliebten Sweet Home und dem Hervorrufe gab er noch seinen
Faust -Walzer hinzu, der ebenfalls sehr durchschlug. Er ist von
hier nach Marseille zu Concerten gereist und wird am 25. März in
Paris inPasdeloup's Concerts populaires spielen. VonOrchestersachen
hörten wir einen Festmarsch von Lassen (Manuscript) und zwei
Sätze aus J. Raff's Suite für Orchester.
Paris. Das 19. populäre Concert des Hrn. Pasdeloup hatte-
folgendes Programm : Sinfonie Nr. 46 von Haydn ; Melusinen-Ouver-
türe von Mendelssohn ; Bourre'e von Seb. Bach ; die drei ersten
Sätze der neunten Sinfonie von Beethoven ; „Türkischer Marsch"
von Mozart, instrumentirt von Prosper Pascal. Das von Hrn. Pas-
deloup in Rouen zum Besten der Armen gegebene grosse populäre
Concert hat 15,000 Frcs. eingetragen.
— Der Nestor der französischen Componisten , Leopold
Aymon, ist im 87. Lebensjahr dahier gestorben, und fanden die
Exequien für ihn in der Kirche St. Sulpice in Gegenwart einer
zahlreichen Versammlung von Freunden und Verehrern statt. Trauer-
zeuge war sein Neffe, der berühmte und in der musikalischen Welt
geschätzte Arzt Dr. R i c o r d.
V Am 3., 4. und 5. Juni d. J. findet in Güstrow das vierto
Mecklenburgische Musikfest statt. Das Programm desselben ist
folgendes: I. Tag: „Paulus" von Mendelssohn. IL Tag: Sinfonie
in B-dur (Nr. 1) von Rob. Schumann; „die Nacht" Hymne von
Moritz Hartmann, für Solo, Chor und Orchester von Ferd. Hiller;
Ouvertüre Nro. 3 in C-dur zu „Leonore" von Beethoven ; der dritte
Theil der „Schöpfung" von J. Haydn. III. Tag: Künstlerconcert*
%* Ueber das diesjährige Niederrheinische Musikfest, welches
in Düsseldorf in der dort neu erbauten städtischen Tonhalle
abgehalten wird, verlautet vorläufig nur, dass Frau Jenny Lind-
Goldschmidt und die HH. Golds chmidt, Stock hausen
und G u n z mitwirken sollen.
*** Joachim wird im April in den populären Concerten des
Hrn. Pasdeloup auftreten.
Berichtigung. In der Anzeige am Schlüsse unserer Nr. $
(Engagement von Musikern für Niederbronn betreffend) muss ea
heissen : „auf drei Monate, vom 10. Juni bis 10. September." '
I I ' i. I >( !
Verantw. Red» Ed. Fächer er. Brück ». Carl Wallau, Mainzk
15. Jahrgang.
JWf M&.
19. März. 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
«h-v
? © IT 1 8) g
Ton
■ PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
Ö? für den Jahrgang.
HNEN in MAINZ, j D»«h die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Sehott & Co. JL.
INHALT: Literatur. — Correspondenzen : Stuttgart. München. Wien. Paris. — Nachrichten.
Literatur.
Lehrbuch der musikalischen Composition,
verfasst von August Reissmann. I. Band: Die
Elementarformen. Verlag von J. Guttentag
in Berlin, gross Octav, 374 Seiten mit einem Vor-
wort, Register, 640 in den Text eingedruckten Noten-
beispielen und 17 Seiten Musikbeilagen.
Der Verfasser genannten Lehrbuches hat durch seine früheren
Werke, wie seine „Allgemeine Musiklehre," „Allgemeine Geschichte
der Musik" etc. etc. sich bereits einen bedeutenden Ruf und eine
hervorragende Stellung unter den musikalischen Schriftstellern unserer
Zeit errungen , und sein Lehrbuch der musikalischen Composition
dürfte vielleicht am meisten geeignet sein, eine recht allgemeine
Verbreitung zu finden und den Namen des Autors Jedem, der sich
für Musik, beziehungsweise für das Technische der Compositions-
kunst interessirt, nicht nur bekannt, sopdern auch lieb und werth
zu machen. Es ißt wahrlich kein Mangel an theoretischen Werken
über Harmonielehre, Contrapunkt etc. etc., aber unter allen derartigen
Büchern , die uns bekannt geworden sind , behandelt keines seine
Aufgabe, den Compositionsschüler stufenweise, in möglichst logischer
Fortschreitung und in durchaus klarer, Jedem verständlicher Weise
in die Geheimnisse des Contrapunktes und der Harmonielehre ein*
zuführen, in so gelungener, leicht fasslicher, auch zum Selbstunter-
richt geeigneter Weise , wie dies Reissmann gethan hat. Er sagt
selbst in seinem Vorworte : „Die Kunstlehre hat keine andere Auf-
gabe, als dem Kunstjünger die Erkenntniss der innersten Natur des
Materials, in dem er formen und bilden will, zu erscbliessen ; sie
hat ihm die Gesetze darzulegen, nach denen es sich zu künstlerischen
Formen zusammenfügt, will nicht als todte Regeln und Formeln,
die, aus dem einzelnen Kunstwerke abstrahirt , nur den Schema-
tismus erfassen, nicht den Organismus, sondern als die, das ganze
künstlerische Schaffen leitenden Prinzipien , wie sie sich zu-
nächst aus dem Darstellungsmaterial selber er-
geben und dann am Kunstwerk ihre specielle Anwendung finden.
Die Kunstlehre kann nicht eigentlich unterweisen im Schaffen,
sondern nur im Formen; dies aber ist die nothwendige, unerläss-
liche Vorbedingung für jenes." Diesen Grundsätzen entspricht der
Plan seines Lehrbuches, und er zeigt mit grosser Klarheit und Ver-
ständlichkeit im I. Buche („Melodisch-rythmische Gestaltung," 1. Ca-
pitel: „Die einstimmige Composition"), wie aus der diatonischen Ton-
leiter sich bereits Melodie undRythmus entwickeln lassen und
in naturgemässer Weise tu den Formen des Liedes, des Marsches
und des Tanzes führen. Das 2. Capitel handelt vom „Zweistimmigen
Satz", und das 3. Capitel vom „Zweistimmigen künstlichen Contra-
punkt", und zwar, wie schon erwähnt, in einer so fasslichen Weise
und von so vielen Notenbeispielen begleitet, dass das, was in dieser
Besiehung zu erlernen ist, jedem nur irgend mit musikalischem
Talente Begabten verhältnissmassig leichter gemacht wird, als dies
in anderen Lehrbüchern der Fall ist.
Das IL Buch behandelt die Harmonik und ist in 6 Capitel
abgetheilt. 1. Capitel: „Die Lehre von den Accorden"; 2. Capitel:
„Der dreistimmige Satz" ; 3. Cap. : „Der dreistimmige künstliche
Contrapunkt"; 4. Cap.: „Der vierstimmige Satz"; 5. Cap.: „Der
vierstimmige künstliche Contrapunkt"; 6. Cap.: „Der fünf- und
mehrstimmige Satz". Man sieht, dass auch hier wieder von Stufe
zu Stufe vorgeschritten wird, und zwar geschieht dies mit derselben,
wir möchten sagen populären Klarheit und Fasslichkeit wie im
I. Buche. — Der noch zu erwartende II. Band wird in seinem
I. Buche die Vocalformen, im IL Buche die Instrumentalformen
und im III. Bache die dramatischen Formen behandeln. Wir em-
pfehlen den vorliegenden ersten Band Lehrern und Schülern aus
bester Ueberzeugung zur verdienten Berücksichtigung bei ihren ein-
schlägigen Studien.
im tmmt
Canons. Zum Schulgebrauch und als Anhang
zu jeder Chorgesangschule. Gesammelt von
H. M. Schletterer, Capellmeister in Augsburg.
Nördlingen,C.H.Bec k'sche Verlagshandlung, 1866.
Der durch sein interessantes Buch über das deutsche Sing-
spiel und durch seine Biographie des Componisten Joh. Fried r.
Reichardt in weiteren Kreisen bekannte Herausgeber der in
Rede stehenden Sammlung hat durch die Veröffentlichung dieser
Canons, 59 an der Zahl, seiner Absicht gemäss einen wirklich schätz-
baren Beitrag zum Unterrichtsmaterial für Chorschulen geliefert,
abgesehen davon, dass diese Canons jedem Musiker durch die Mannig-
faltigkeit und Gediegenheit ihrer Auswahl Vergnügen machen werden.
Schletterer beginnt mit ganz einfachen , leicht zu treffenden zwei-
stimmigen Canons und lässt allmählig mehrstimmige (bis zu sieben
Stimmen) und complicirtere nachfolgen, welche in dea verschieden-
sten Rythmen und Tonarten geschrieben sind. Schletterer selbst hat
mehrere derselben geliefert, ausserdem enthält dieSammlungCanons von
Haydn, Mozart, Beethoven, Seyfried, Karrow, Mühling, Kunzen,
Rink, Bertalotti, Bierey und eine Anzahl von unbekannten Antoren
herrührend. Auch die Texte bieten eine erfreuliche Abwechslung
von Ernstem und Heiterem. Wir wünschen diesem Canoa-Büchlein
ein recht grosse Verbreitung, namentlich in den Gesangschulen, wo
es treffliche Dienste leisten wird.
Dreiundvierzig Kinderlieder von Hoffmann
von Fallersleben. Nach Original- und Volks-
weisen mit Clavierbegleitung, herausgegeben von
Hans Michel Schletterer, Capellmeister in
Augsburg. Cassel, Verlag von Aug. Freyschmidt.
Diese Sammlung enthält zehn zweistimmige, ein dreistimmiges
und 82 einstimmige Kinderlieder mit Clavierbegleitung. Sie haben
alle einfache, ansprechende und der kindlichen Fassungskraft ent-
sprechende Melodien, bieten in den Gedichten eine reiche Abwechs-
lung dar, und lassen dem heiteren wie dem ernsteren, beschaulicheren
— 46 —
Elemente gleichmässig sein Recht widerfahren. Die Klavierbegleitung
ist durchweg leicht spielbar und den Singweisen glücklich angepasst,
so dass dies Liederbuch recht eigentlich ein Familienbuch zu
werden verdient, um den musikalischen Sinn der Kinder zu wecken
und zu kräftigen und zugleich den Eltern wie den Kindern Freude
zu machen. Zu rühmen ist auch der vorzüglich schöne und deut-
liche Typendruek und die Wohlfeilheit des Heftes, welches, 62 Seiten
im Queerformat stark, nicht mehr als 15 Silbergroschen kostet, und
daher auch den minder bemittelten Familien zugänglich ist. E.F.
UdO '
CORRESPONDBNZEN.
Aus Stuttf^art«
Anfangs Mär«
Obwohl es schien, als hätte Bülow's Glanzgestirn auf lange
hinaus jede anderweitige Clavierleistung in Schatten gestellt, so
gelang es doch in voriger Woche einer Pianistin, in ihrem Concerte
ein zahlreiches Auditorium anzuziehen und zu befriedigen. Es war
dies Frl. Wilhelmine Marstrand, vor wenigen Jahren noch
Elevin unseres Conservatoriums , jetzt sesshaft in Hannover, wo sie
sich durch ihre musikalische Thätigkeit eine angesehene Stellung
errungen hat. Den günstigen Ruf, der ihr von dort aus , wie von
Frankfurt, Carlsruhe und anderen Schauplätzen ihres bisherigen
Auftretens vorausging, rechtfertigte sie auch hier aufs Vollkommenste ;
im classischen Styl weiss sie besonders durch klare Stimmführung
und verständige Schattirung zu fesseln, wovon das Bach'sche A-dur-
Concert und die mit unserem treulichen Benewitz hinreisend
ausgeführte C-raoll-Sonate von Beethoven Zeugniss gaben ; wie sehr
ihr für das moderne Genre Geist, Geschmack, sichere Technik und
Beherrschung der Klangeffecte zur Verfügung stehen, bewies sie in
einer „Humoreska" von Heller und der Polka de la Reine von
Raff, ferner in Chopin's As - dur - Ballade und dem Phantasiestück
„Aufschwung" von Schumann, welche beiden Nummern sie mit glän-
zendem Erfolge in dem 19. Concerte des „Singvereins" spielte. —
Letztgenannte Aufführung, die noch gelungener war als viele bis-
herigen, brachte u. A. auch „Erlkönigs Tochter" von Gade, eine
gar poetische und wirksame Tonschöpfung, dann vier schöne Num-
mern aus „Idomeneo," und zwei von L. Attinger's (bei Rieter-
Biedermann erschienenen) neuen Chorliedern , welche sich durch
Empfindung und Sangbarkeit vortheilbaft auszeichnen.
In der Oper hatten wir als Novität Lortzing's „Undine," eine
etwas veraltete, musikalisch auch schwächere Schöpfung des sonst
hochschätzbaren Meisters, welche man indessen für das Geburtsfest
des Königs wohl nur darum gewählt hatte, weil sie Gelegenheit zu
verschiedenen Decorations- und Maschinerie-Effecten bietet; und in
der That ist darin hier Bewundernswerthes geleistet worden ; desto
dürftiger stechen gegen solche Pracht die kleinen, an Vaudeville
gemahnenden Motive und die trockene Instrumentation ab. Am wirk-
samsten zeigten sich die komischen Partien, wo Lortzing wieder in
seinem rechten Elemente schwimmt, und die von Vincenz Lachner
zu der Oper geschriebenen meisterhaften Einlagen. Die Damen
Klettner und Benewitz, dann die HH. A. und F. Jäger,
Schüttky, Gerstel und Robicek thaten ihr Bestes, um das
minder Gelungene zur Geltung zu bringen. Rühmlich erwähnen
müssen wir bei dieser Gelegenheit die treffliche Musik unseres zweiten
Capellmeisters C. D o p p 1 e r, welche derselbe zu Calderon's unlängst
hier aufgeführtem „wundertätigen Magus" geschrieben hat; nament-
lich ist der letzte Zwischenact ganz prächtig.
Die sechste Kammermusik - Soiree brachte Beethoven's D-dur-
Trio, welches die HH. Singer und Krumbholz, und Rnbinstein's
A-moll-Sonate, welche Hr. Benewitz mit Hrn. Pruckner spielte.
Dieses Werk zeichnet sich durch glänzende Factur und Melodien-
reichthum aus ; besonders lieblich sind immer die Seitensätze, sehr
stimmungsvoll auch das Larghetto. Nicht minder freundlich wurden
zwei Cellostücke aufgenommen, Compositionen unseres Capellmit-
gliedes J. Huber, welche Hr. Goltermann meisterhaft vortrug.
Grossen Beifall erwarben sich die HH. Krüger und Singer mit
zwei Sätzen einer Spohr'schen Sonate für Harfe und Violine, sowie
Letzterer allein mit der Bach'schen Chaconne. Die glänzende Ova-
tion des Publikums endlich, welche Pruckner nach seinen Clavier-
vorträgen (H-dur- Nocturne von Chopin und E - dur - Polonaise von
Liszt) überraschte, mochte demselben ein Beweis der Theilnahme
für die verdiente Auszeichnung sein, die ihm unlängst durch Ver-
leihung der kgl. Medaille „für Kunst und Wissenschaft* erwiesen
wurde. t.
Aus München.
4. Man.
(Schluss.)
Auch auf die Orchesterstücke werfen wir einen kurzen Blick ;
dass Liszt im Orchestersatze Meister ist, brauchen wir nicht erst des
Weiteren auszuführen, selbst mit den Quintenfolgen in dem Zwischen-
spiel vom 5. zum 6. Satz befreundet man sich besser bei öfterem
Anhöien. Ob der Sturm, der nach dem 4. Satze losbricht, wirklich
ein so grosses Meisterstück ist, wie er gepriesen wird, bezweifeln
wir; uns ist er zu roh, zuwenig musikalisch, zu viel Natur, zuwenig
Kunst: Liszt ist hier mehr Theatermaschinist als Tondichter.
In der Ouvertüre hören wir gleich zum Anfange die Kirchen-
melodie erklingen , welche so oft eintritt , als die Heiligkeit der
Heldin im Oratorium bezeichnet werden soll; dieses Motiv ist aus-
nehmend weich und anmuthig und erscheint je nach Bedarf der
Situation immer in neuer harmonischen und rythmischen Behandlung.
Dann begegnen wir einem alten ungarischen Kirchenlied, das durch
seinen markirten Rythmus und seine düstere Melodie auffällt. Es
bildet das Motiv zu dem schönen Armenchor und klingt dort wieder,
da der Leichnam der Heiligen in die Gruft versenkt wird. Um die
Nationalität der Elisabeth zu bezeichnen und wohl auch um seinen
eigenen Landsleuten ein kleines schmeichelhaftes Zugeständniss zu
machen , verarbeitete Liszt in seinem Oratorium eine ungarische
Volksmelodie von festlichem Character, so oft des Heimathlandes
Ungarn gedacht wird. In den Kreuzfahrerchor ist ein uraltes deut-
sches Pilgerlied, mit den Worten beginnend: „Schöpfer, Herr Jesu,
Schöpfer aller Dinge," verwoben ; es klingt in überraschender Kraft
und steigert sich bis zur gluthvollsten Begeisterung. Endlich hören
wir schon bei der Erfüllung des Rosenwunders den Gregorianischen
Gesang, „ein tonisches Symbol des Kreuzes". Dort soll es andeuten,
wie sich in der Brust des Landgrafen Ludwig in dem Augenblicke
des Rosenwunders der Vorsatz zur Betheiligung an dem Kreuzzuge
festsetzt; er erklingt dann mächtig in den Worten: „Gott will es!"
und der ganze Chor ruft es und die Instrumente schmettern d'rein:
„Gott will es! u In den meisten Stellen ist die Instrumentation
characteristisch, originell und von blühender Schönheit: als bezeich-
nendes Beispiel erwähnen wir des überraschenden Hervortretens der
beiden Harfen in der Scene des Rosenwunders; das klingt so fein
und duftig und wunderbar wie ein frommes Märchen. Nur einmal
haben wir Grund, gegen die Instrumentation zu eifern, dort nämlich,
wo Liszt Wagner copirt: da tremoliren die Geigen in der höchsten
Scala gerade so, es entsteht dieselbe Klangfarbe wie bei der wunder-
baren Erscheinung des Schwanes im Lohengrin : dieser Instrumental-
effect ist so ausgesprochenes Eigenthum Wagner's, dass wir es nicht
für räthlich halteu ihn zu wiederholen.
Die Aufführung, welche Hr. v. B ü 1 o w mit gleicher Liebe wie
Geschicklichkeit leitete, war eine sehr präcise und verständige. Die
ebenso schwierige als undankbare Partie der Elisabeth war den
kunstgeübten Händen der Frau Diez anvertraut und sie sang die-
selbe auch in einer Weise , welche unsere grosse Achtung vor der
Künstlerin noch erhöhte. Auch Frl. D e i n e t verdient durch die
gelungene Lösung ihrer Aufgabe — sie sang die Sophie — unsere
freundlichste Anerkennung. Und wieder zeigte es Bich, wie Recht
diejenigen haben, welche behaupten, dass es in Deutschland noch
Sängerinnen gibt, die sich eine gediegene musikalische Bildung an-
geeignet haben, dass aber die Sänger, welche Geschmack und Schule
besitzen, schier ausgestorben sind. Die HH. Simons, Fischer
und Hartmann, welche die anderen Solopartien sangen, gaben
von der Wahrheit dieser Behauptung ein sprechendes Zeugniss.
Und fragen Sie uns nun um unser resumirendes Urtheil über
das Oratorium, so müssen wir gestehen, dass wir trotz der vielen
Schönheiten, welche die Composition zu einem der interessantesten
Werke der Neuzeit machen, doch keinen grossartigen Totaleindruck
gewannen; wir wissen nicht, liegt dieses darin begründet, dass Liszt
es vorsieht, seine Instrumente mehr in der Höhe und in der Tiefe
- 47 -
sa fuhren als in den Mittellagen, wo allein inoponirende Massen-
wirkungen erzielt werden , oder wird der Eindruck immer wieder
durch die unbefriedigenden Soli zerrissen, — wir wiederholen es, trotz
allen Lobes, das wir für Einzelnheiten ungeschmälert aussprechen,
kann es die Composition zu einem erhabenen, nachhaltigen, allge-
nügenden Totaleindruck nicht bringen. Aber wir sind darum nicht
undankbar und freuen uns von Herzen über das in jeder Beziehung
höchst beachtenswerthe Werk. z -
Aus Wien.
10. Mir/.
Meyerbeer's „Afrikanerin* gelangte am 27. Februar im kais.
Hofoperntheater zur ersten Aufführung und errang, wie es sich er-
warten Hess, einen brillanten Erfolg. War von Seite der Direction
Alles geschehen, um eine vortreffliche Aufführung in musikalischer
and scenischer Beziehung zu Stande zu bringen, so war auch nichts
versäumt worden, um dem Werke und dessen Ausführung eine gute
Aufnahme zu sichern. — Ueber die prachtvolle Ausstattung, die
Bewegungen des Schiffes im dritten, die glänzenden Costüme und
Aufzüge im vierten Acte, die geschmackvolle Decoration des Man-
zanillabaumes wird man keine Beschreibung von einem musikalischen
Correspondenten erwarten, der der naiven Ansicht huldigt, dass eine
Oper ihre Wirkung nicht durch äussere Mittel, sondern durch inneren
Werth erzielen soll. — Die musikalische Aufführung können wir als
eine vollkommen gelungene bezeichnen. Frl. Bettelheim war im
Besitze der Hauptrolle und zeichnete sich sowohl durch ihren Ge-
sang als ihre Darstellung aus. Nur die eine Wahrnehmung , dass
Frl. Bettelheim durch Ausführung solcher ihrer Stimmlage nicht
entsprechenden Partien , wie die Selica eine ist , ihre schöne Alt-
fitimme überanstrenge , konnte ihre Leistung beeinträchtigen. Die
übrigen Mitwirkenden, Frl. Murska als Inez, die HH. Walter,
Beck, Draxler, Schmid, Rokitansky, sowie Chöre und
Orchester waren vortrefflich und brachten das neue Werk zur vollen
Geltung.
Sollen wir nun über das Werk selbst einige Worte sagen , so
lässt sieh nicht läugnen, dass es, trotz der ausserordentlich beifälligen
Aufnahme, welche es gefunden, in musikalischer Beziehung den ge-
hegten Erwartungen nicht entsprochen hat. Zwar enthält es mehrere
recht wirksame Nummern ; in den Chören des ersten und vierten
Actes, einigen Ensembles, dem Duette im vierten Acte erkennen wir
den erfahrenen und bedeutenden Componisten wieder — allein man
vermisst doch das Ursprüngliche in der Erfindung und findet, dass
namentlich die Characterisirung nicht auf der Höhe der früheren
Werke des Componisten steht. — Ueber die Zeit, in welcher das
zuletzt veröffentlichte Werk Meyerbeer's entstanden ist, sind die
Meinungen verschieden. Wir schliessen uns der Ansicht derjenigen
an, welche glauben, dass es zwischen „Hugenotten" und „Prophet"
begonnen wurde. Sollten diejenigen Recht haben, welche es wirk-
lich für das letzte Werk Meyerbeer's halten, so müsste man anneh-
men , dass der Componist damit den Versuch machen wollte , zu
«einem früheren, einfacheren Style zurückzukehren — ein Tersuch,
welcher unserer Meinung nach nicht glücken konnte, da die Erfin-
dungskraft, welche ihm bei seinen ersten Werken zu Gebote stand,
erschöpft war und dies gerade ihn zu einer complicirtereu und, wenn
man will, gesuchteren Schreibart, wie sie im „Prophet" und „Nord-
stern" zu finden ist, gedrängt hatte. Wir schliessen uns der Ansicht
derjenigen an, welche die „Afrikanerin" für das schwächste Werk
Meyerbeer's halten, und den Haupterfolg dieser Oper der brillanten
Ausstattung und dem Namen des gefeierten Componisten zuschreiben.
In den Monaten April und Mai werden im Hofoperntheater ab-
wechselnd mit den deutschen, auch italienische Opernvorstellungen
stattfinden, letztere unter Mitwirkung des Frl. A r 1 6 t , der Herren
Everardi, Calzolari und Zuchini, also einer Gesellschaft,
welche sich vorzugsweise für die Rossini'sche Opern befähigt er-
wiesen hat. Da den Wienern in Folge dieser Einrichtung die mo-
derne Verdi sehe Oper entzogen bleibt, so ist sie vom musikalischen
Standpunkte nur zu loben.
Wie im vorigen Jahre, so kamen auch in diesem neue Suiten
▼on Franz Lachner und Esser unter der Leitung der Com-
ponisten kurz nacheinander zur Aufführung. Sie haben Ihren Lesern
bereits über diese Aufführungen Bericht erstattet, weshalb 'ich es
unterlasse, Ihnen etwas Weiteres darüber mitzutheilen , als die Be-
stätigung, dass beide erwähnte Werke vom Publikum mit grossem
Beifall aufgenommen worden sind.
Frau Clara Schumann hat hier eine Reihe von sechs
Concerten mit ganz ausserordentlichem Beifalle gegeben und sich
neuerdings als die vollendete Meisterin bewährt, als welche sie von
den Wienern schon lange gekannt und geschätzt ist.
Aus Paris.
11. Marx.
Die „Afrikanerin" hat Freitag die hundertste Vorstellung erlebt.
Hundert Vorstellungen innerhalb zehn Monaten ! Eines solchen Er -
folges hat sich bis jetzt noch kein Tonwerk an der grossen Oper
erfreut. Selbst die „Hugenotten" erlebten erst nach drei Jahren
die gleiche Anzahl von Vorstellungen. Meyerbeer's posthumes Werk
hat bis jetzt eine Einnahme von mehr als einer Million erzielt.
Die Büste des Compositeurs wurde Freitag im Foyer der Oper, der
Büste HalSvy's gegenüber, aufgestellt.
Gegen Ende dieses Monats wird „Don Juan" zur Aufführung
kommen und hoffentlich den Kunstfreunden eine grössere Befriedi-
gung gewähren als die Aufführung dieses Meisterwerkes in der
Italienischen Oper, wo dasselbe auf eine wahrhaft empörende Weise
verballhornt wird. Ich habe in Deutschland den „Don Juan" auf
Bühnen dritten und vierten Ranges gesehen ; aber einer solchen
elenden Darstellung habe ich niemals beigewohnt. Adeline Patti
ist die einzige, die Nichts verdirbt. Sie singt und spielt die Rolle
der Zerline recht gut, wenn sie auch etwas zu stark aufträgt. Das
übrige Personal singt und spielt so, dass dem Publikum Hören und
Sehen vergeht. Man verspricht sich sehr viel von der Aufführung
des genannten Werkes im The'ätre lyrique.
Es heisst, Hr. Perrin, der Director der grossen Oper, werde
nächstens diese Anstalt verlassen und die Leitung des Thtätre
francais übernehmen. Sein Nachfolger wird noch nicht genannt.
Nächsten Donnerstag findet die Aufführung der Graner Messe
von Liszt in der St. Eustache- Kirche statt. Nach Allem, was
man bis jetzt hört, wird der Zudrang ausserordentlich sein.
L i t o 1 f f hat vor einigen Tagen in einer Soiree eine Sinfonie
aufführen lassen , die den sonderbaren Titel : „Robespierre" führt.
Die Composition hat viel Beifall gefunden.
B a 1 f e ist in diesem Augenblick in Paris, um wegen der Auf-
führung seiner „Zigeunerin" mit dem Director des Thdätre lyrique
zu unterhandeln. Er hat soeben eine neue Oper, „der Talisman,"
vollendet. Der Text ist nach dem bekannten Romane Walter
S c o t t's bearbeitet.
Ihr Landsmann Andre Oechsner ist soeben hier einge*
troffen. Er wird künftigen Monat im Solle Pleyel ein Concert
geben und in demselben seine neuesten Compositionen hören lassen.
ST n c h r i c li t e ii.
Colli, 8. März. Gestern hielt Hr. Capellmeister F. Hill er die
erste von den drei Vorlesungen über die Geschichte der Musik,
deren Ankündigung grosse Theilnahme gefunden hat. Der Vortra-
gende hob in seiner geistreichen Weise die bedeutendsten Namen
und Momente, an die sich die Entwicklung der Tonkunst bis in*s
sechszehnte Jahrhundert knüpft, hervor und erhöhte den Reiz des
Vortrags durch Mittheilung von Proben der alten Weisen französi-
scher Minstrels und deutscher Meistersänger. Die nächste Vorlesung,
Mittwoch den 14. d. Mts., wird das Zeitalter der Herrschaft der
Italiener schildern. (N.-Rh. M.-Z.)
— Das neunte Gesellschaftsconcert im Gürzenich brachte unter
Ferd. Hiller's Leitung folgendes Programm: I. Theil. Sinfonie in
G-moll (Nr. 6) von Niels Gade; „des Staubes eitle Sorgen," Motett
von J. Haydn; Concert in D-moll (Nr. 2) für Pianoforte von Men-
delssohn, vorgetr. von Hrn. Isidor Seiss; „der Gesang der Geister
über den Wassern" für Chor und Orchester von Ferd. Hiller; Ouver-
türe zu „Euryanthe" von Weber. IL Theil. Sinfonie in C-moll
von Beethoven.
- 48
Win. Am 7. d.M. eröffnet© Frau Dustmann-Meyer, k. k.
Kammersängerin ans Wien, ihr Gastspiel im Stadttheater mit der
Bolle des Fidelio und stellte eine so vollendete Leistung hin, wie
sie in dieser schwierigen Partie seit vielen Jahren uns niebt mehr
geboten wurde. Leider nimmt die hochverehrte Künstlerin schon
am 9. Marx in Gluck's „Iphigenie auf Tauris" wieder Abschied von
uns, da unabweisliche Hindernisse eine weitere Ausdehnung des so
hochinteressanten Gastspiels im Wege stehen. Möge Frau Dust-
mann uns recht bald wiederkehren und stets derselben enthusiasti-
schen Aufnahme gewiss sein, welche ihr, wie früher, so auch dies-
mal dahier zu Theil geworden ist.
Leipzig. Das 18. Gewandhausconcert fand am 8. März statt
und bildete eine Fortsetzung der vorhergegangenen historischen
Concerte, indem es die neuere Zeit in Werken von Mendelssohn,
Schumann, Meyerbeer, Chopin, Friedrich Schneider, Marschner und
Conradin Kreutzer repräsentirte. Von Instrumentalwerken wurden
vorgeführt: Sinfonie in Es-dur (Nr. 3) von Schumann; Ouvertüre
au „Struensee" von Meyerbeer ; Ouvertüre zum „Vampyr" von
Marschner; zweiter und letzter Satz aus dem E-moll-Concert von
Chopin, vorgetr. von Hrn. Carlysle Petersilea, ehemaligem
Zögling des hiesigen Conservatoriums. Der Gesang war durch den
Paulinen - Chor vertreten, welcher die Chöre: „Strahl des Helios"
und „Vielnamiger" aus „Antigone" von Mendelssohn und die Lieder :
„Woher nur das linde Säuseln" von Kreutzer und „Mag die Liebe
weinen" von Fr. Schneider zu Gehör brachte.
Paris. Der frühere Director des Lyoner Theater , Haphael
Felix, wird in dem Grand Cafe' XIX. siede am Boulevard de
Strassbourg ein neues Theater errichten.
— In der Ope'ra comique wird zur Freude aller Musikfreunde
Gevaert's „Capitaine Henriot" wiederaufgenommen und darf wohl
einer Fortsetzung seines früheren ausserordentlich glücklichen Er-
folges entgegensehen.
— Der Musikalienverleger S. Bichault ist im Alter von
86 Jahren dahier gestorben.
— Es scheint, dass der Minister des kaiserl. Hauses und der
schönen Künste den Anforderungen der Orchestermitglieder an der
grossen Oper bis zu einem gewissen Grade gerecht werden will,
indem er eine Summe im Allgemeinen für die Erhöhung der Gehalte
bewilligt hat, mit deren Yertheilung auf die einzelnen Mitglieder
man noch beschäftigt ist.
— Im The'ätre lyrique werden, nachdem der „Don Juan" in
Scene gegangen sein wird, die „lustigen Weiber von Windsor" von
Nicolai mit französischem Texte von Jules Barbier zur Auf-
führung gebracht werden.
— Das Programm des 20. Concertes des Hrn. Pasdeloup
ist folgendes: Ouvertüre zu „Coriolan" von Beethoven ; zweite Suite
für grosses Orchester (Op. 115) von Fr. Lachner; Adagio aus dem
Quartett Nro. 36 von Haydn ; Sinfonie in A - dur von Beethoven.
Das Conservatoriuni gab in seinem 5. Abonnementconeert ebenfalls
die A-dur- Sinfonie von Beethoven; Einleitung zum t. Act von
„Psyche" von A. Thomas; Clavierconcert in A-dur von Beethoven,
vorgetr. von Frau Szarvady; Doppelchor von S. Bach , und
Ouvertüre zu „Ruy Blas" von Mendelssohn.
— Am 9. März fand die 100. Aufführung der „Afrikanerin"
statt. (1. Aufführung am 28. April 1865.)
Brüssel. Im 6. populären Concerte des Hrn. Samuel kamen
folgende Werke zur Aufführung : „Columbus," Sinfonie von J. J. Abert
(zum ersten Male in Brüssel) ; eine Concertouvertüre von Huberti,
und Mendelssohn's Musik zum „Sommernachtstraum," von welcher
mehrere Nummern dem Brüsseler Publikum bis jetzt noch gänzlich
unbekannt waren. Die Abert'sche Sinfonie wurde mit grosser Prä-
cision aufgeführt und von der grossen Zuhörermenge mit dem ent-
schiedensten Beifalle aufgenommen. Auch die Kritik bespricht das
interessante Werk in der ehrendsten Weise und Abert's Name wird
von nun an bei uns stets einen guten Klang haben.
Im 4. Conservatoriums'Concert wurden u. A. das Adagio und
Intermezzo aus der 1. Sinfonie von Fetis mit einem wahrhaft
colossalen Erfolge aufgeführt und der greise Componist wurde
jubelnd hervorgerufen.
— Servais hat mit seinem Sohne Joseph, der ebenfalls ein
vortrefflicher Cellist ist, eiue Kunstreise nach Russland unternommen
und bereits auf seiner ersten Station, in Warschau, die glänzendsten
Erfolge erzielt. Nach einer aus St. Petersburg eingelaufenen telegra-
phischenDepeschehat am8.März dortimgrossenTheater, dessenRäum»
mit etwa 4000 Zuhörern gefüllt waren, daB erste Concert der beiden
Künstler mit dem ausserordentlichsten Erfolg stattgefunden. Stür-
mische Beifallsbezeugungen, eine reichliche Einnahme (Entree 4
Silberrubel) und eine Menge mitunter sehr kostbarer Geschenke»
mit denen namentlich der junge Servais überhäuft wurde, waren
das Ergebniss dieses ersten Concertes. Ein zweites, aber sicherlich
nicht das letzte, ist bereits angekündigt.
*** Bei dem Gesangfest in Dresden hatte der Sängerverein aus
Waidhof en an der Ybbs in Niederösterreich das Malheur, ein
wer th voll es und in seiner Richtung hin unersetzliches Emblem im
allgemeinen Menschengedräng zu verlieren. Die Finderin war ein.
Frl. Anna Friedrich aus Grünhain und durch Vermittelung der
Behörde empfiug der Gesangverein sein Kleinod zurück. Kürzlich-
gelangte von jenem Verein ein schönes goldenes Armband im Werthe»
von 25 fl. mit der Inschrift: „Der Waidhofener Sänger Dank" an
die Finderin nach Grünhain, womit noch die Bitte verbunden war*
gefälligst das photographische Porträt einzusenden.
*** Rein ecke 's Oratorium „Belsazar" wurde im 4. Abonne-
mentconeert in Barmen unter persönlicher Leitung des Componisten.
in sehr gelungener Weise zur Aufführung gebracht. Die Soli waren
durch die HH. Jos. Schild (Tenor) aus Leipzig und Carl Hill
(Bass) aus Frankfurt a. M. in vorzüglicher Weise vertreten. Hr.
Reinecke trug ausserdem auf dem Claviere seine Händel-Variationen
und drei Stücke aus seinen „Mädchenliedern", Op. 88, vor, sowie
Hr. Hill durch den Vortrag der Ballade „Oluf" von Löwe erfreute,,
und Hr. Schild die Bildnissarie aus der „Zauberflöte" und Lieder
von Schubert und Schumann mit vielem Beifall sang.
*** In Weimar wird zum Geburtstag der Frau Grossherzogin
eine neue Oper, „die Corsen" von dem dortigen Orchestermitglied
Carl Götze zur Aufführung kommen.
*** Der Hofopernsänger Gustav Walter in Wien ist zum
k. k. Kammersänger ernannt worden.
*** Die drei Soirees, die Hans von Bülow in München im
grossen Museumssaale zum Besten der Abgebrannten in Partenkirchen
gab , haben einen Reinertrag von 641 fl. ergeben , der auch dem
Hülfscomite' alsbald zugesandt wurde.
*** Benedict' s Choral Society in London hat ein Orato-
rium „Tobias" von G o u n o d mit massigem Erfolg zur Aufführung
gebracht.
*** Hr. Ferdinand Pohl siedelt von London nach Wien
Über, wo er die von Nottebohm niedergelegte Stelle eines Biblio-
thekars der „Gesellschaft der Musikfreunde" übernehmen wird.
*** Der Musikverein in Darmstadt bereitet eine Aufführung der
Bach'schen „Matthäuspassion" vor.
*** Der König von Baiern hat Niemann in einem eigenhän-
digen, in den schmeichelhaftesten Ausdrücken abgefassten Schreiben
zu den im kommenden Sommer in München stattfindenden Muster-
vorstellungen Wagner'scher Opern eingeladen.
*** In Italien ist ein neuer Tenorist, Pietro Viturini auf-
getaucht, der als ein wahres Stimmwunder geschildert wird, gegen-
wärtig in der Pergolla in Florenz mit ausserordentlichem Beifall
singt und für die nächste Stagione für S. Carlo in Neapel engagirt ist.
*** Der bekannte Bass-Buffo H ö 1 z e 1, gegenwärtig in Nürnberg,
ist am neuen Harmonietheater in Wien engagirt worden.
*** In Mailand ist der Cavaliere Noseda, ein warmer Musik-
freund , der auf eigene Kosten grosse Concerte veranstaltete , in
denen manche Werke deutscher Meister zum ersten Male aufge-
führt wurden, gestorben.
V In Berlin starb der einst berühmte Heldentenor Julius
P fister, eine ehemalige Zierde des Berliner Operntheaters, von
dem er Anfangs der fünfziger Jahre schied. Er war nur 48 Jahre
alt geworden.
*** In Petersburg ist der frühere General -Intendant der kais,
Theater, Graf S a b u r o w gestorben.
%* Am 21. Febr. starb zu Bonn auf Öffentlicher Strasse der
ehemalige Schauspieldirector Claudius Pos tal; wie man erzählt,,
ist er, ein schon bejahrter Mann, dem Hungertode erlegen.
*** InBraunschweig starb der stimmbegabteTenorist S ch m e 1 z e r.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau> Mainz.
15. Jahrgang.
m ia.
26. März 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG-.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand- j
hingen. j
j^ — __, 4
? « p C a g
X*
von
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ,
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
, für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
\ 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
INHALT*. Literatur. — Frankfurter Oratorien-Concerte. — Correspondenzen : Stuttgart. Magdeburg. — Nachrichten.
Literatur,
Cap itain Henriot, komische Oper in drei Acten von
Victor Sardou und G. Vaez, deutsch von Ernst
Pasque, Musik von A. Gevaert. Clavieranszug
mit deutschem und französischem Text und vorge-
drucktem vollsländigem Libretto. Verlag von B.
Schott's Söhnen in Mainz.*)
Es ist diese höchst beachtenswerte Erscheinung im Bereiche
der Opernmusik, welche in Paris sich eines ausserordentlich gün-
stigen Erfolges zu erfreuen hatte, in der Nummer 7 dieser Blätter
vom 12. Februar d. J. vom Standpunkte einerf deutschen Aufführung
ausführlich besprochen und dort auseinandergesetzt worden, dass die
einzige,, Schwierigkeit, eine solche Aufführung mit Erfolg in'« Werk
asu setzen, darin bestehe, dass man in Deutschland sehr häufig bei
dem Einüben und Insceniren solcher Spielopern nicht die entspre-
chende Sorgfalt auf den Dialog und das abgerundete Zusammenspiel
verwende und es an den nöthigen Proben für die Prosa], fehlen lasse.
Was den musikalischen Theil der Gevaert'schen Oper betrifft, so
wird, wie aus dem nun vorliegenden Clavierauszuge sich Jedermann
überzeugen kann, sowohl in Beziehung auf Rollenbesetzung wie auf
gesangliche Leistung jede einigermaassen vollständig organisirte
Operngesellschaft den Anforderungen dieses Werkes sicherlich ge-
recht werden können.
Der Character der MuBik im Allgemeinen ist ein heiterer und
gefälliger, aber von jeder Trivialität einerseits und von krankhafter
Sentimentalität andererseits gleichweit entfernter. Gevaert steht
nicht nur ein reicher Quell frischer, origineller und nobler Melodien
zu Gebot , sondern er besitzt auch natürliches Gefühl , feinen Ge-
schmack und ein recht gründliches Wissen und Können, sowohl in
Bezug auf Orchester- wie auf Stimmbehandlung. Wie aus der Par-
titur zu ersehen ist, ist er auch mit allen Feinheiten der Instru-
mentation vertraut und beschränkt sich nicht allein auf das Nach-
ahmen mustergültiger Meister, sondern weiss auch hier seine Origi-
nalität zu wahren. Die Ensemblestücke und Chöre sind nicht mit
der leider nur zu häufig vorkommenden Nonchalance gewisser
Operncomponisten, sondern mit der ganzen Sorgfalt eines routinirten
Meisters geschrieben und müssen unfehlbar die beste Wirkung
machen. Wir verweisen beispielsweise auf das Männerterzett mit
Jagdchor Nro. 6, auf den ausnehmend reizenden Schluss des ersten
Finale, auf das Sextett Nro. 10 im 2. Act und auf das Finale des
3. Actes, welches äusserst effectvoll mit einer Siegeshymne schliesst,
die schon im Anfang und am Ende der frischen, auf hübsche Mo-
tive gebauten und fein gearbeiteten Ouvertüre vorkommt.
Beizende Gesangstücke sind ausserdem: das Duett zwischen
B 1 a u c h e und Va 1 e n t i n e (Nr. 3) „Mit den Lüften, süsses Düften,"
*) Durch dieselbe Verlagshandlung sind auch Partitur und Orchester-
Stimmen, Buch, Mise en seine, photopraphische Costüm- Por-
träts etc. zu beziehen.
die Couplets: „Für seine Liebe" (Nr. 4) und die Cavatine : „Aus
lichten Höh'n" des M a u 1 6 o n , die Serenade des Bellegarde
mit Chor (Nr. 9): „Die Liebe naht". Von origineller Wirkung ist
auch das Reiterlied des Don Francesco: „Frank und frei durch
die Welt," und das Trinklied des Capitain Henriot im zweiten
Acte (Nr. 10): „So ganz allein schlürfen den Wein". Eine sehr
dankbare Partie ist die der Marketenderin Fleurette, welche am
Anfang des ersten Acts das Königslied : „Wer ist der Erste, der im
Kampfe ," das im Finale des 2. Actes sehr effectvoll wiederkehrt,
und ein sehr hübsches komisches Duettino mit Pastorel; „Ach,
welch 1 ein Glück, wie sie sich schlagen" (Nr. 4) zu singen hat.
Wir sind der Ansicht, dass seit Auber's Oper : „Des Teufels
Antheil" keine französische Spieloper mehr die deutsche Grenze
überschritten hat, welche gerechtere Ansprüche auf vollständigen
Erfolg auch auf der deutschen Bühne mit sich gebracht hätte als
Gevaert's „Capitain Henriot", und wir befürchten keinen Augenblick,
dass diese" unsere Ansicht sich nicht glänzend bewähren würde,
sobald man dem in seiner Art vortrefflichen Werke von Seite der
Bühnendirectionen die erforderliche Sorgfalt bei dessen Einübung
und Inscenirung schenken wird.
Die Frankfurter Oratorien-Concerte*
Unsere beiden Oratorien -Vereine führen jährlich drei Concerte
auf; je zwei derselben sind erledigt , das dritte wird vorbereitet.
Der „Cäcilien-Verein" brachte in seinem ersten: Mendelssohn^
114. Psalm „Da Israel aus Aegypten zog"; J. S. Bach's Motette
„Jesu meine Freude," und Cherubini 's „Requiem" 1 . Im zweiten:
„Die Zerstörung Jerusalems" von F. Hill er. Der „Rühl'sche
Verein" in seinem ersten Concert: eine Todten-Messe von B. Scholz,
und Mendelssohn^ „Athalia". Im zweiten: eine Cantate von
J. S. Bach: „Liebster Gott, wann werd' ich sterben?" und die
erste Messe (C-dur) von Beethoven. Für das dritte Concert wird
von Ersterem Bach's „Passions-Musik" nach dem Evangelium de«
Mathäus, von Letzterem die „Johannis-Passion" vorbereitet.
Der 114. Psalm von Mendelssohn ist in ähnlichem Geist com*
ponirt wie der „Lobgesang," die „Athalia" u. A. Die Umschreibung
biblischer Texte, wie sie Anfangs der Vierziger Jahre von rationalisti-
schen Kanzelrednern üblich war, finden wir getreu in Musik gesetzt. Ge-
rade wie jene Reden gegen die der orthodoxen Geistlichkeit durch eine
grössere Klarheit und Verständlichkeit sich auszeichneten, so trat
Mendelssohn gegen seine auf kirchlichem Gebiet schaffenden Zeit-
genossen hervor. Der Vorzug war aber nur ein relativer; das Be-
mühen um verstandesmässige Aufklärung hat sich in vieles klein-
liche Detail verloren ; eine ganze, volle, neue Ueberzeugung wurde
aber nicht gegeben. Wenn wir uns gegen die ofte Wiederholung
Mendelssohn'scher Werke wehren, so ist es kein Vorwurf gegen die
Werke selber, sondern nur die Ueberzeugung, dass damit nichts
genützt wird; weder die alte, strenge Anschauung Bach's und
Handel's wird gewonnen, noch eine neue; dafür fehlte Mendels-
- 50 _
söhn der reformatorische Ernst, der von Grand aufräumt und dann
aufbaut.
Für viel wichtiger hielten wir die Aufführung von Bach's
Motette „Jesu meine Freude". Denn hier ist volle religiöse Ueber-
zeugung und knappe , aber vollendete , künstlerische Form. Die
sechs Verse des Liedes sind schon in der Dichtung (Johannes
Franck, 1618 — 77) blosse Variationen desselben Gedanken» t „Jesu
meine Freude". Im ersten Vers ist Jesus seine Freude (sein Ideal) ;
im zweiten unter allen Stürmen Jesus sein Schutz ; im dritten Jesus
seine Macht; im vierten Jesus sein Hoffnungsanker; im fünften
seine Bettung aus der sündigen Welt; im sechsten ruft er trium-
phirend: „Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister,
Jesus tritt herein." — • Genau in derselben Weise umschreibt Bach
in jeder Strophe die ursprüngliche Choral - Melodie , indem er sie
bald der einen, bald der anderen Stimme gibt, die übrigen aber
Veränderungen dazu singen lässt. Dazwischen bringt er andere,
über Bibelstellen, die zum Gedichte Bezug haben, componirte Chor*
und Solo-Sätze ; einmal zur Bekräftigung der Worte des Gedichtes,
dann zum Wechsel vom Oratorischen und Lyrischen. Hier ist Geist
und Form so bedeutend, dass der Kunstfreund nach jeder Seite sich
bereichert. Dass der alte Bach aber nicht immer mit Verständniss
vorgeführt -wird, bewies jene Aufführung. Denn einmal führte man
im Textbuch den dritten Vers, der nur eine Umschreibung des
Chorals ist, als blossen (eingeschobenen) Chor auf; der Dirigent
erkannte also die Choral -Eigenschaft gar nicht. Dann Hess man
auch die vier letzten Nummern des Werks weg und zerstörte damit
den Triumph, den Bach gerade am Schluss mit dem Ausruf gab:
„Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister, Jesus tritt
herein!" Die Aufführung war sonst, in Anbetracht der Schwierig-
keit des Vortrags ohne Begleitung, ziemlich gelungen. Für den
Cäcilien - Verein war dies der erste Versuch , auf freien Füssen zu
stehen. Freilich haben wir von anderen Vereinen, die noch keine
40 Jahre des Ruhmes hinter sich haben, auch solche Versuche
schon besser gehört.
Cherubini's „Requiem" ist ein Werk von grossartiger Erhaben-
heit. Das „Dies irae" das Weltgericht, in dem das Werk
seinen Gipfelpunkt hat , ist eine plastische Darstellung der Idee,
welche die Menschen seit Jahrtausenden von einem wirklichen Ge-
richt nach dem Weltuntergang hatten. Wir schauen in eine unge-
heure Wüste, in ein unendliches Chaos, in das die Erde und Alles,
was wir Welt nennen, aufgelöst ist. Wie das Geheul aus der Hölle,
oder das Gebrüll der Riesen aus Ginnungagap (der germanschen
Unterwelt) so braust und tost es in nebelhaften Gestalten herauf.
Es saust durch alle Lüfte und umBchwirrt uns von allen Enden;
so kündigt sich das furchtbare Gericht an. Wie bei ihren Feier-
zügen auf der Erde, so kommen die Schaaren gezogen ; ihre Gesänge
brausen , wie der Sturmwind , immer dieselbe Weise. „Tag des
Gerichts," so schallt's vom ersten Chor; „Welch ein Schrecken,"
ruft der zweite; „Die Fosanne erschallt," der dritte. „Der Tod
erschrickt, es bebt die Welt," denn von allen Enden erheben sich
die Todten, ihrem Richter Antwort zu stehen. Nun erscheint der
Zug des Gerichts ; voran die Träger des heiligen Buches, nach dem
das Recht gesprochen wird ; dann die Schaar der Heiligen und der
Richter der Menschheit. Zu Boden fällt alle Creatur vor dem
König in seiner schrecklichen Majestät : Gnade, Gnade, Barmherzig-
keit, wir sind allzumal Sünder! Gedenke dass du auch Mensch
warst! Erkenne nur das Eine, dass wir in dem Glauben an dich,
in der Hoffnung an deine Verzeihung lebten und starben! -— Der
Richter kann nicht strafen , denn das Versprechen der Gnade , der
Verheissung bindet ihn: Gehet ein zur ewigen Ruhe! So schliesst
das Gericht. Heilig, heilig ist der Herr; alle Welt verkündet
Dein Lob!
Einfach, wie es dieser furchtbaren Erhabenheit entspricht, ist
die Form dieser Gesänge. Das Weltgericht beginnt in einfacher
Weise in der Tonart C-moll. Der ganze erste Vers („Tag des Ge-
richts"), den wir als Gesang eines Zugs bezeichneten, ertönt in dem
einzigen Accord C-moll. Der andere („Welch 1 ein Schrecken") er-
scheint mit derselben Weise in G-dur ; und zum dritten Male kommt
die Weise („die Posaun' erschallt") fast wieder in der alten Form
in höherer Lage von C-moll. Nach dem Zwischenstück „Tod und
Welt erschrecken" bringt der Zug des Gerichts („Das heilige Buch
wird vorgetragen") die erste Weise genau in der Parallel -Tonart
(Es-duO-^dann ebenfalls mit passender Veränderung in dreifacher
Steigerung. Hier liegt einmal ein gewaltiger Ausdruck ; eine Weise
von 12 Tacten im selben Accord, dann wieder 12 im zweiten und
ebenso im dritten. Man oiuss im Dom solchen Gesang hören, M
wird man das Ungeheure begreifen. Dann aber gibt es eine Eben-
massigkeit im künstlerischen Theil, die an sich schon hohe Befrie-
digung gewährt.
Das Einfache darzustellen ist am schwierigsten; denn es erfor-
dert einen sittlichen Ernst, der auf allen Prunk verzichtet. Der
wird selbst bei jedem Einzelnen erst durch jahrelange geistige
Arbeit errungen; bei einer grösseren Gemeine verlangt er noch
grössere Anstrengung. An der Aufführung des „Requiem" mochte
man erkennen, dass hier Mendelssohn und andere, weniger ernste
Componisten viel mehr gepflegt werden als der strenge Cherubini.
Das Weltgericht kündigt sich mit Posaunen an und einem Tamtam-
Schlag, mit dem alle Gräber aufspringen müssen. Erzittern muss
der ganze Saal bei diesen Stössen , wenn das Bild ein Grausen er-
wecken soll. Es zitterte Niemand und grauste Keinem , — denn
schon der Tamtam - Schläger hatte sich gefürchtet. Die eintönige
Melodie im „Dies irae. u die durch die Gruppirung zu einem gross-
artigen Bild der Einöde, der chaotischen Wüste wird, erschien in
den Modulationen immer mit derselben Klangfarbe ; die Einöde wird
einförmig, ohne grossartig zu sein. Die sanfteren Partien des Werks,
bei denen die Empfindsamkeit der einzelnen Sänger sich mehr
geltend machen konnte, waren recht gelungen. Der Gesammt-Ein-
druck bleibt aber ein schwächerer, wenn die Spitze des Werkes
abgebrochen ist. (Schluss folgt.)
■ »MO »
CORRESPONDENZEN.
Aus Stuttgart«
Anfangs Hin.
Das 7. Abonnementconcert der kgl. Hofcapelle ward mitBaff^
neuer, dem König von Würtemberg gewidmeter Ouvertüre in A-dur
eröffnet. Dieselbe ist gross angelegt, sehr wirksam instrumentirt,
und enthält ein Behr schönes Andante -Motiv und einen anregenden
Seirensatz, dessen Anfang indessen auffallende Aehnlichkeit mit dem
ersten Seitensatze in Rubinstein's A-moll-Sonate hat. Die Aufnahme
war kühl , wie denn unser Publikum manchmal gar spröde thufe
Doch erntete Hr. Ferling mit dem Molique'schen Oboe-Concert
reichlichen Beifall, ebenso die beiden übrigen Orchesternummern
(Bach's P-dur- Toccata, von Esser instrumentirt, und Beethoven's
C-moll-Sinfonie) , welche musterhaft ausgeführt wurden. Eine köst-
liche Nummer wäre auch der Schubert'sche „Nachtgesang im Walde*
gewesen, wenn nicht die numerische Schwäche und stimmliche In-
disposition der Herren Choristen ungünstig gewirkt hätten.
Dem Concerte unseres volkstümlichen Componisten Presset,
welcher unter Mitwirkung der Frau Gräser und der HH. Schütt-
ky, Fr. Jäger und Speidel, sowie einiger Chorsänger des Hof-
theaters mehrere Nummern aus seinen Opern: „die Johannisnacht"
und „der Schneider von Ulm," freilich nur mit Clavierbegleitung,
vorführte, waren wir durch das gleichzeitige Concert des „Orchester-
vereins" beizuwohnen verhindert, worin Haydn's Es -dur- Sinfonie
(*/ 4 Tact) sehr sauber ausgeführt wurde , und die HH. v. B e s e 1 e
und Cabisius sich mit Instrumentalvorträgen auszeichneten. Stür-
mischen Beifall und oftmaligen Hervorruf errang eine Schülerin
unseres Conservatoriums , Frl. Marie Wagner mit dem „Ave
Maria" von Cherubini und der B-dur-Arie aus „Titas," wobei die
obligaten Instrumente , dort Bassethorn , hier Clarinette , in Hrn.
Meyer 's bewährter Hand waren. Die Stimme der genannten
Sängerin ist sehr klangvoll und umfangreich, Coloratur und sonstige
Technik in hohem Grade ausgebildet.
Frl. Anna Mehlig, ebenfalls eine frühere Schülerin des
hiesigen Conservatoriums, welche diesen Winter in den bedeutend-
sten Städten Mittel- und Norddeutschlands mit glänzendem Erfolge
concertirt hat, ist zur grossherzogl. weimar'schen Hofpianistin er-
nannt worden.
Die siebente Kammermusik -Soiree war weniger zahlreich be-
sucht als die bisherigen, woran vielleicht das Programm einige
Schuld trug, das der Mehrzahl nicht anziehend genug vorkommen
— 51 -
mochte. Es enthielt nämlich ausser dem D-moll- Quartett von
Schubert , das allerdings jedesmal dureh neue Schönheiten entzückt
und von den HH. Singer, Krumbholz, Barnbeck und Huhn
meisterhaft gespielt wurde , noch ein Quartett von Dittersdorf und
und das neue Ciavierquartett von Rubinstein. Letzteres Werk fand
nun eine auffallend kühle Aufnahme, obschon die Executirung durch
die HH. Hinger, H uh n , Goltermann undSpeidel eine
höchst sorgfältige war. Aber den grossen Erwartungen gegenüber,
welche einige enthusiastische Kritiken dieses Werkes erregt hatten,
war die Aufgabe der Ausführenden eine ziemlich ungünstige, und
das Eesultat war das Gegentheil des gehofften Effectes. Zwar hätte
sich unser persönlicher Geschmack, der seit lange mit allem Rubin-
stein'schen von vornherein sympathisirt , alsbald mit den auch in
diesem Werk immerhin vorhandenen bedeutenden Intentionen gar
bald befreundet; aber der strenge Kunstrichter darf nur das gut-
heissen , was als ein Fertiges , plastisch Abgeschlossenes an die
Oeffentlichkeit tritt, und dieses Quartett erschöpft sich leider in
fruchtlosem Suchen und Ringen. — Viele Freude gewährte dagegen
das Quartettchen von Dittersdorf in Es - dur, wozu man ein G - dur-
Andante aus einem anderen Opus dieses alten Herrn gefügt hatte ;
es tänzelt gar graziös einher, wenn auch im Nacken ein allerliebstes
Zöpfchen bimmelt. Das Ganze, gehalten und gehoben durch den
markigen, beseelten Strich unseres Beuewitz, schloss den Abend
mit gefälligstem Eindrucke ab. T.
Aus Magdeburg«
Die diesjährigen Leistungen unserer Bühne im ' musikalischen
Fache kann ich bis jetzt nur aus zwei Opernvorstellungen , denen
ich beiwohnte, beurtheilen. „Der Prophet," wie die Ankündigungen
besagten: „neu einstudirt" (oder: „in Scene gesetzt," ich erinnere
mich nicht mehr genau) blieb in jeder, äusserer wie innerer Bezie-
hung hinter allen, auch den bescheidensten Erwartungen zurück.
Die Sänger zeigten sich, aller Mühe ungeachtet, die sie sich augen-
scheinlich gaben, der Aufgabe nicht gewachsen, und die äussere
Ausstattung, auf welche bekanntlich bei Meyerbeer's Musik viel
ankommt, war derartig, dass sie zu verschiedenen Malen Heiteikeit
und ironischen Beifall des ziemlich gefüllten Hauses erregte. Wie
man mir gesagt, ich kann es aber nicht verbürgen, wurde bei einer
kurz darauf erfolgten Wiederholung der Oper der Krönungsmarsch
bei geschlossener Scene gespielt , was ich zwar bei so bewandter
Sachlage billigen, aber doch nicht anderen Bühnen zur Nachfolge
empfehlen will.
Viel günstiger darf man sich über die Darstellung der für uns
aenen Oper „Perdita" von Barbieri aussprechen. Die äussere
Ausstattung war hier sehr anständig, die Anordnung geschickt und 1
mit Geschmack getroffen, die Anforderungen, welche an Sänger und
Orchester gemacht werden, zeigten sich als mit deren Leistungs-
fähigkeit in günstigem Verhältnisse stehend ; so gewährte das Ganze,
verbunden mit der ansprechenden, wenn auch nicht tiefgehenden
Musik einen erfreulichen Eindruck. Was im Schluss-Acte sich
Mangelhaftes zeigte, wird in den späteren Wiederholungen, deren
die Oper verschiedene erlebte, mit der zunehmenden Vertrautheit
des darstellenden Personales wohl von selbst verschwunden sein.
In der zweiten Hälfte des März trifft Frau Sophie Förster
zu einigen Gastspielen hier ein. Die gefeierte Sängerin wird zu-
nächst als Margaretha, Valentine und Fidelio auftreten.
Was andere hiesige musikalische Ereignisse betrifft, so habe
ich ausser den stehenden, in gewohnter tüchtiger Weise unter
Mühling's Directum ausgeführten Gesellschafts-Concerten noch zu
erwähnen: ein Orchester- Concert mit Schumann's „Manfred" unter
Rebling's, Händel's „Saul* unter Ritte r's Leitung. Auch veran-
stalteten die HH. Finkenhagen und Palme mit ihren Gesang-
vereinen einige recht gelungene musikalische Auffuhrungen. Näher
auf alle diese mit verdienter Theilnahme gehörten, von der Tüch-
tigkeit der Veranstalter und der von ihnen benutzten Kräfte rühm-
liches Zeugniss ablegende Concerte einzugehen, verbietet der Raum
dieses Blattes. + + +
lachrichte
Mainz. Eine äusserst interessante Novität ist im Verlag von
B. Schott's Söhnen dahier erschienen, nämlich die Partitur
des Vorspiels zur Oper „Die Meistersinger von Nürnberg'* von E.
Wagner. Der Componist entwickelt in diesem Instrumentalwerke
den ganzen Beichthum seiner originellen Erfindungsgabe und der
ihm in so unvergleichlichem Grade zu Gebote stehenden Vielseitig-
keit in Behandlung der Instrumente. Wagner hat dies Vorspiel
bekanntlich in Weimar, Carlsruhe, Wien und München mit grossem
Erfolg zur Aufführung gebracht, und es dürften daher Concertdirec-
toren ihrem Publikum kaum eine anziehendere Neuigkeit im Instru-
mentalfache bieten können.
(riesseil. Die von dem Universitäts - Musikdirector M i c k l e r
schon während des ganzen Winters sorgfältig vorbereitete Aufführung
der Bach'schen Matthäus - Passion hat nun am 14. d. M. in sehr
gelungener Weise stattgefunden. Die Chöre sowie das durch aus-
wärtige Künstler verstärkte Orchester hielten sich vortrefflich, und
die Solopartien waren in den besten Händen , da Frl. Rothen-
berger aus Cöln, Frl. As mann aus Barmen und Hr. Domsänger
Otto aus Berlin dieselben übernommen hatten. Der Zudrang des
Publikums war ein ausserordentlicher, da auch viele auswärtige
Musikfreunde herbeigekommen waren, um das unvergleichliche Werk
zu hören.
Dresden. An dem am 17. d. M. stattgefundenen Productions-
abende des „Tonkünstler - Vereins'* wurden ein noch Unbekanntes
Instrumentalwerk von Pergolese, ein Concerto ä chiesa für
4 Violinen, Viola, Violoncell und Bass, ferner ein ebenfalls noch nicht
gehörtes Quintett für Ciavier und Streichinstrumente (Op. 107) von
J. Raff, und eine Serenade für 2 Flöten, Oboen, Clarinetten, Fa-
gotte, Waldhörner, Violoncell und Bass von Adolph Reiche! iii"
vorzüglich gelungener Weise aufgeführt.
Leipzig. Am 14. März fand das 19. Gewandhausconcert mit
folgendem Programm statt: Ouvertüre zu „Gabrielle d'Estre'es" von
Mehul; Violinconcert von Beethoven, vorgetr. von Hrn. Hofcapell-
meister Carl Bargheer aus Detmold ; Arie aus „Iphigenie in
Tauris" von Gluck, „Erster Verlust" von Mendelssohn und „Ogni
Sabato" von Gordigiani , ges. von Frl. Emma Borchard vom
grossherzogl. Hoftheater in Weimar, und im 2. Theile die C-molI-
Sinfonie von Beethoven.
Paris. Das grosse Ereigniss des Tages bildet die Aufführung
der Graner Messe von Abbe' Liszt in der Kirche von St. Eustache,
welche am 15. d. M. vor einer ungeheuren Masse von Zuhörern,
darunter Alles , was Paris an Celebritäten irgend einer Art aufzu-
weisen hat, stattfand. Der Eindruck war im Ganzen ein gemischter,
und wir werden darauf zurückkommen. Die Einnahme betrug die
enorme Summe von 50,000 Frs., und man spricht schon von einer
zweiten Aufführung, die aber in einem anderen Lokale stattfinden
würde und bei welcher demnach auch Frauenstimmen mitwirken
könnten.
*** Ein interessanter Prozess wurde am 8. Februar vor dem
Court of Queen's Bench in London abgewickelt. Es hatte näm-
lich ein gewisser Desmond Ryan, der, ohne selbst Musiker zu
sein, in verschiedene Journale musikalische Kritiken geschrieben
und sich auf Grund der Abhängigkeit von seinem Urtheile, in wel-
chem er wohl die Künstler befindlich glaubte , das Bene gethan,
Concerte zu veranstalten, bei welchen die ausgezeichnetsten Künstler
und Künstlerinnen , die sonst in ähnlichen Fällen Honorare von
15 bis 30 Guineen in Anspruch nahmen, gratis, oder wie sie sich
ausdrückten „aus Freundschaft" für den Concertgeber mitwirkten.
In dem Journal „Orchestra" war nun diese Art von Brandschatzung
oder Erpressung beim rechten Namen genannt und das Unstatthafte
solcher Concerte, wie sie auch ein anderer Kritiker, Henry Glover,
schon veranstaltet hat, in's wahre Licht gestellt. Ryan trat nun
klagbar gegen George Wood, den Herausgeber der „Orchestra"
auf, und da die sämmtlichen Zeugen, nämlich der Tenorist S i m 8
Ree ves, dieSängerinnenS ainton-Dolby undFlorenceLancia,
der Bassist Weiss, der Componist und Capellmeister J. Benedict
u. A., welche in ihren Aussagen äusserst vorsichtig zu Werke gingen,
im Allgemeinen]darauf bestanden, dass sie aus „persönlicher Freund-
schaft" für Ryan in dessen Concerten mitgewirkt, so wurde der
Beklagte in eine Geldstrafe von 250 Pfd. Sterl. und' tragung der
— 52
»rlich nicht unbedeutenden Kosten verurtheilt. Gleichwohl kann
den Beklagten, George Wood, als den Sieger betrachten, da
die ganze öffentliche Meinung ihm zur Seite steht und es ihm auf-
richtig dankt, dass er einen so faulen Flecken in unserem Kunst-
leben unnachsichtig aufgedeckt und einen grossen Theil des Publi-
kums über den wahren Werth gewisser lobhudelnder Kritiken auf-
geklärt hat. Wood hat eine Seihe von anerkennenden Zuschriften
erhalten, die ihm der richterlichen Verurtheilung gegenüber den
Dank für seine Freimütbigkeit aussprechen, und die nun in der
„Orcheslra" zu lesen sind. Aeusserst komisch wirkte das von
Ryan auf verschiedene Kreuzfragen erfolgte naive Geständniss, dass
er einmal eine Opernaufführung recensirt habe, die gar nicht statt-
gefunden hatte.
*** Wir haben bereits mitgetheilt , dass die Aufführung von
Abert's Sinfonie: „Columbus" in dem letzten populären Concerte
des Hrn. Samuel in Brüssel von einem ganz ausserordentlichen
Erfolg begleitet war. Der in Brüssel erscheinende „Guide musi-
cal' i bringt nun eine in unserem Blatte vom 4. April 1859 mitge-
teilte kurze biographische Skizze, welche wir dahin ergänzen, dass
Abert nach seiner Oper: „Anna von Landskron"J eine zweite,
„Enzio" betitelt, geschrieben hat, welche ausser Stuttgart auch in
Mannheim mit sehr günstigem Erfolge zur Aufführung kam, so dass
also seine neueste Oper: „Astorga" die dritte ist, die wir der Feder
dieses ebenso talentvollen als gründlich gebildeten Componisten zu
verdanken haben und wir hoffen, dass diese neueste Gabe seines
Talentes von den deutschen Bühnen eine allgemeinere Berücksich-
tigung finden wird, als dies bei seinen ersten Opern der Fall war.
*** Fr. Lachner's „Catharina Cornaro" wurde in Würzburg
mit glänzender Ausstattung und grossem Erfolg zur Aufführung
gebracht.
*** Die englische Oper in London ist am 17. Februar plötzlich,
wenn auch nicht unerwartet, geschlossen worden, da die finanziellen
Verhältnisse des Unternehmens ein Weiterbestehen desselben unmög-
lich machten. Vom April anfangend, will nun Benedict wieder
eine englische Oper im Drury-Lane- Theater eröffnen. Möge er
glücklicher sein als sein Vorgänger!
VI» Wien ist unlängst ein Abkömmling des „Freischütz"
gestorben in der Gestalt eines Schusterjungen , Namens Franz
Bar tos eh. Der Urahne seiner Familie war der berühmte Jäger,
welcher zu Ende des 16. Jahrhunderts sich in Diensten eines Hrn.
Mezericki von Lomnitz befand. Er war so berühmt durch seine
ausserordentliche Kunst im Schiessen, dass man ihm nachsagte, er
habe einen Vertrag mit dem Teufel geschlossen und von diesem
eigens für ihn gegossene Kugeln erbalten; doch fügt die Chronik
bei, dass er mit Hülfe der weisen Ratbschläge eines Mönchs seine
Seele vor den Krallen des Teufels gerettet habe. Bartosch zog nach
Oesterreich und wurde dort als Jäger ansässig. Er ist es, der An-
lass zu zahlreichen in Deutschland verbreiteten Sagen gegeben hat,
insbesondere auch zu jener vom „Freischütz," nach welcher Weber
sein Meisterwerk schuf.
\* Graf P 1 a t e n in Hannover ist auf sein Ansuchen von der
seit zwölf Jahren von ihm versehenen Stelle eines Hoftheater-Inten-
danten entlassen worden.
*** Der Sohn des Componisten Herold" wird demnächst den
umfangreichen Briefwechsel seines Vaters herausgeben.
V* Der Musikalienverleger Choudensin Paris hat die Par-
titur der Oper : „Romeo und Julie" von G o u n o d um 50,000 Frs.
angekauft.
*** Der ausgezeichnete Pianist Ehrlich aus Berlin gab in
Königsberg zwei Concerte mit glänzendem Erfolg. Die dortige
Kritik spricht sich begeistert über seine verständnissvolle Vortrags-
weise aus.
* m * Die diesjährige Tonkünstler- Versammlung findet vom 14. bis
incl. 17. Juni in Coburg statt. Es werden vier Concerte veran-
staltet werden, nämlich ein Concert in derjMoriz - Kirche durch den
Salzunger Kirchenchor, zwei Concerte mit Orchester im
berzogl. Hoftheater und ein Kammermusik - Concert.
*** Der König von Baiern hat die Aufführung der „Faust-Sin-
fonie," der „Hungaria," des „Tasso" und des „Mephisto -Walzers"
▼on Liszt befohlen, sowie die der 9. Sinfonie, der JSroica und der
9 Coriolan"-Ouvertüre von Beethoven, Es werden nun diese Werke
im nächsten Monat unter Bülow's Leitung in drei grossen, theils
im Hof- theils im Residenz - Theater stattfindenden Concerten zur
Aufführung kommen, und wird das Programm jedesmal vom Könige
selbst bestimmt werden.
*** Felioien David's Oper: „Herculanum" hat in Petersburg
mehr Glück gemacht als seinerzeit in Paris. Die dortige Aufführung
unter der persönlichen Leitung des Componisten war vom vollstän*
digsten Erfolg begleitet.
*** Die ersten 15 Aufführungen der „Afrikanerin" in Darm-
stadt haben über 24,000 fl. eingetragen.
*** Im Theater de la Monnaie in Brüssel wird nun endlich
auch die Pariser Stimmung eingeführt werden.
V* Die vor Kurzem in der „Neuen Berliner Musikzeitung"
veröffentlichten Mittheilungen über das Verhältniss Beethoven' s
zu Frau Maria Pachler-Koschak von dem Sohne der Letzteren,.
Dr. Faust Pachter, sind nun in einer Brochüre in der Behr'-
schen Buchhandlung in Berlin erschienen, worauf wir unsere Leser
hiermit aufmerksam machen.
*** Der „Berliner Tonkünstlerverein" hat dem dortigen Pia-
nisten Ehrlich für dessen in der Bock 'sehen Musikzeitung er-
schienenen Artikel: „Vom Handwerk der Kunst und der Kunst des
Handwerks" ein Schreiben übersandt, in welchem der Verein dem,
Verfasser „den wärmsten Dank und die innigsten Sympathien für
seine wahren und kräftigen Worte" ausspricht und denselben „den
stärksten Wiederhall in der ganzen Künstlerwelt" wünscht.
*** In Crefeld fand am 22. Februar das erste öffentliche
Concert der Liedertafel unter Leitung des neuen Dirigenten, Hrn.
Alex. Dorn, Sohn des Capellmeisters Dorn in Berlin, statt. Hr*
Dorn spielte das Beethoven'sche Clavierconcert in C-moll mit grosser
Virtuosität und schönem Verständniss und bewährte sich auch als
tüchtiger Componist durch seine Cantate „Gruss an die Nacht"*
Ausserdem wurde noch „Velleda" von Brambach und die Ouver-
türe zu „Egmont" aufgeführt. Chöre und Orchester Hessen nichta
zu wünschen übrig.
*#* Am 24. v. M. kam in Breslau die romantische Oper s
„Claudia von Villa Bella", der Text nach dem Göthe'schen Sing-
spiele von M. Karte bearbeitet , Musik von dem Grafen Hoch-
berg-Fürstenstein zur Aufführung. Die Arbeit des Compo-»
nisten , eines noch sehr jungen Mannes , gibt Zeugniss von den
ernsten und eifrigen Studien desselben und verdient darum die auf-
richtigste Anerkennung, wenn auch nicht verhehlt werden darf, dasS
es dem jungen Künstler namentlich in Bezug auf die Behandlung
der Stimmen noch an der nöthigen Routine fehlt. Immerhin ist es
erfreulich, einen jungen Mann aus der hohen Aristokratie sich in so
ernster und gediegener Weise der Kunst widmen zu sehen.
*** Der Pianist T a u s i g hat vom König von Preussen das
Prädicat eines k. Hofpianisten erhalten.
*** Professor E. Man ti us in Berlin hielt kürzlich im dortigen
Tonkünstlerverein einen sehr interessanten Vortrag über das Tre-
moliren der Sänger, welcher in der Bock'schen Musikzeitung
abgedruckt ist.
*** Das Theater in B r e s t ist vollständig abgebrannt. Die Ur-
sache der Entstehung dieses Brandes ist noch unbekannt.
ANZEIGE.
C0NCERT-VI0LINEN.
Ein bekannter Concertmeister wünscht in Folge vorgerückten
Alters die nachstehend verzeichneten dreiConcert-Violinen zu
Veräussern und hat dem Unterzeichneten deren Verkauf übertragen:
1) eine Straduario (1673),
2) eine Cremona (Quamerio 1712),
3) eine Stainer (1617),
alle drei von vorzüglichstem Tone, womit sich namentlich die erst-
genannte durch ihren grossartigen Bau sowohl, wie durch die Kraft
und Schönheit des Tones auszeichnet.
Gefälligen Angeboten sieht entgegen
Fedor Pohl,
Buchhändler in Amberg.
Verantw. Red. Ed. Fächer er, Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
JW* Id.
2. April 1860.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
; , lungen.
? @ (Tilg
{ PREIS:
▼on | fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
Ö> für den Jahrgang.
HNEN in MAINZ, »«* «ue M bezog» =
[50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott* London bei Schott & Co.
INHALT: Aleida von Holland. — Frankfurter Oratorien-Concerte. — • Correspondenzen : Mainz. Paris. — Kachrichten.
Aleida von Holland*
Romantische Oper in 3 Acten von Ernst FasquÖ,
Musik von W. F. Thooft.
Rotterdam, März 1866.
Am 10., 14. und 20. März fanden am hiesigen deutschen Opern-
theater die drei ersten Aufführungen einer neuen Oper statt, und
zwar mit solch' einem glücklichen Erfolge, dass eine allgemeine und
freudige Sensation darüber herrscht, einen holländischen Componisten
mit einer deutschen Oper sich so entschieden Bahn brechen zu sehen.
Thooft hatte bereits durch mehrere grosse Instrumental -Werke, Sin-
fonien und Ouvertüren, worunter auch eine Preis-Sinfonie mit Chor,
welche in den vornehmsten Concerten Hollands und auch in einigen
Städten Deutschlands aufgeführt wurde , sich einen guten Ruf er-
worben; auch hatten, sobald die „ Aleida* in Angriff genommen war,
Capellmeister, Chordirector, wie auch die anderen Mitglieder unserer
Oper viel günstiges über das Werk verlauten lassen, und man er-
wartete deswegen allgemein eine gute musikalische Arbeit, wenn
auch Niemand einen so durchschlagenden Erfolg zu hoffen wagte.
Abgesehen von einigen Mängeln von untergeordneterem Range, wel-
che selbst in den Erstlings -Werken der berühmtesten Opern -Com-
ponisten zu finden sind, dürfte es für die Kritik sehr schwierig sein,
beim Anhören der „Aleida" an einen ersten dramatischen Versuch
zu denken. Der besagte Mangel (gewisse Längen) beschränkt sich
auch blos auf einen Theil des ersten Actes, wo die Dichtung Ver-
anlassung dazu gibt, und der Componist obendrein durch das wir-
kungsvolle Ensemble den Zuhörer reichlich entschädigt.
Was das Textbuch betrifft, so hat der Componist eine glückliche
Wahl getroffen, was bei dem offenbaren Mangel an guten Opern-
dichtungen schon viel sagen will. Der Verfasser, Herr Ernst
Pasque in Darmstadt, hat sich in den letzten Jahren als Bühnen-
dichter einen guten Ruf erworben. Der Inhalt ist ganz einfach
folgender: Der Ritter Dietrich von Brederode, Verlobter der
Aleida, Tochter des Grafen Wilhelm I. von Holland zieht
mit diesem und den übrigen Holländern und Friedriche Edeln zur
Kreuzfahrt. Vor der Abfahrt bekommt Dietrich von seiner Braut
eine Schärpe zum Andenken und muss dabei versprechen, wo mög-
lich im Falle eines unglücklichen Laufes der Dinge die Schärpe
durch vertraute Hände an seine Braut zurückzusenden. Diese Zu-
röcksendung soll ihr ein Zeichen seines Todes sein, und Aleida
▼erspricht ihrerseits, in diesem Falle den Schleier zu nehmen. Der
Ritter und Minnesänger BodovonFeilingen, Freund Brederode's,
i«t ebenfalls leidenschaftlich verliebt in Aleida, und durch seine
Leidenschaft bethört, macht er Missbrauch von dem Vertrauen seines
Freundes. In einem Gefecht auf den Mauern Jerusalems raubt er
Brederoden die Schärpe, und weil er Gelegenheit hat, früher zum
Vaterlande zurückzukehren, verbreitet er dort die falsche Nachricht,
Brederode sei tödtlich verwundet und gestorben. Aleida bekommt
»na den Händen Bodo's die Schärpe zurück und nimmt sich vor
in'« Kloster zu gehen. Am Tage, no sie den Schleier annehmen
soll , kehrt glücklicherweise Brederode noch zeitig in's Vaterland
zurück, entdeckt den Verrath Bodo's und wird mit seiner geliebten
Aleida wieder vereinigt.
Die Handlung ist einfach, aber vom Dichter mit vielem Ge-
schicke entworfen und dargestellt. Neben den Hauptpersonen:
Aleida , Dietrich und Bodo , kommen noch zwei sehr interessante
Nebenfiguren in der Oper vor , nämlich F r y a , eine friesische
Wahrsagerin , und der Abt vonEgmond. Frya, von Bodo be-
stochen , die einigermassen abergläubige Aleida auf den vermeint-
lichen Tod Dietrich's vorzubereiten, macht sich auf den Weg, und
im gräflichen Schlosse bei Aleida zugelassen, lässt sie durch Zau-
berei Erscheinungen entstehen, wobei man den ganzen angeblichen
Vorfall 'auf den Mauern Jerusalems (die tödtliche Verwundung
Dietrich's) erblickt. Diese ganze Scene , wie auch das Lied der
Wahrsagerin und das Duett von Aleida und Frya ist reizend und
vom Componisten so üefllieh benutzt , dasa dieselbe sowohl vom
dramatischen als vom musikalischen Standpunkt aus einen Glanz-
punkt der ganzen Oper bildet. Der Abt von Egmond (Bass) segnet
im Finale des 1. Actes die Waffen der Kreuzritter (Scene in der
Schlosscapelle) und im 3. Act entdeckt er Dietrich den Verrath Bodo**
und spielt nachher die VermittlungBrolle zwischen Dietrich und Bodo.
Der Componist hat in seiner Oper den Minnesänger Bodo, als
den Intriguant, zum Helden-Tenor, dagegen den Liebhaber Dietrich
zum Baryton gemacht. Diese Eintheilung der Parthien, obgleich
abweichenden der Opern-Tradition, ist sehr passend und in Ueber-
einstimmung mit dem Texte; dieselbe gibt auch dem Ohre einen
gewissen Reiz der Neuheit. Auch ist Thooft darin von der Gewohn-
heit der modernen Operncomponisten abgewichen , dass er seiner
Oper keine kurze Instrumental-Einleitung, sondern eine grosse Ouver-
türe vorausgehen lässt, in welcher aber keine Hauptmotive aus der
Oper vorkommen, sondern sie stellt vielmehr ein freies Characterbild
der drei 1 Hauptpersonen aus der Oper dar. Die Ouvertüre macht
durch die glückliche Instrumentation eine gute Wirkung.
Die Einleitung des 1. Actes zeichnet sich aus durch schöne
Männerchöre. Die dazwischen vorkommende Romanze des Tenor
(Bodo) dürfte bald allgemeine Beliebtheit erlangen. Dann folgen
eine Arie Bodo's, eine Arie Aleida's und ein Duett für Aleida und
Dietrich (Sopran und Baryton). Von hoher Bedeutung ist das Fi-
nale (die Kirchen - Scene , Einsegnung der Waffen der Kreuzfahrer)»
ein vostreffliches Ensemble mit Soli, Chor und Orchester. Was den
Chor betrifft, so hat der Componist sich hier an die Gränzen dessen
gewagt, was ein Opernchor zu leisten vermag. Die tüchtigen Chor-
kräfte unserer Oper haben aber ihre Aufgabe vortrefflich durchge-
führt, und bei solcher Ausführung ist die Wirkung eine mächtige.
Die Bassparthie des Abtes ist schon, liegt aber an einigen Stellen
etwas hoch, und es wäre dem Componisten zu rathen, gewisse
Stellen passend zu ändern.
Der 2. Act bildet vom dramatischen und musikalischen Stand-
punkte den Glanzpunkt der ganzen Oper. Der Dichter hat hier eine
Reihe von schönen Situationen dargestellt, welche vom Componisten
mit einem bedeutendem dramatischen Talent behandelt sind. Die
54 —
Erfindungsgabe des Componisten tritt hier im schönsten Lichte auf.
Das Lied der Wahrsagerin und das Duett der Aleida and Frya sind
bereits erwähnt. Nach einer Arie Aleida's folgt dann eine grosse
ErȊbiung Bodo's, wobei Bodo die falsche Nachrioht von dem Tode
Dietrich's fiberbringt und Aleida das Liebespfand , die Sch&rpe
fiberreicht. Hier Ist die Dichtung wirklich schon zu nennen, and
der Gomponist ist nicht zurückgeblieben; die Compositum ist denn
auch voll Feuer und Gluth. Der erste Theil beschreibt die Gefühle
der Kreuzfahrer beim Annähern Jerusalems (andante quasi alla
Marcia) und ist im lyrisch - romantischen Style componirt. Ein
kürzerer Satz (Piu agitato quasi Allegro) beschreibt den Sturm
der Wälle Jerusalems und das Aufpflanzen der Kreuzfahne durch
Dietrich. Nachher wird die Verwundung Dietrichs in einem Reci-
tativ erzählt, und die Erzählung geschlossen mit einem Andante
sostenuto, */* Tact, in welchem Bodo die vermeinten Abschieds*
worte Dietrichs an Aleida erzählt.
Am Schluss der Erzählung sinkt Aleida mit einem Schrei zu_
sammen; der Graf, der Abt und der Chor eilen herbei, und es folgt
nun das Finale , welches in Bezug auf musikalische Schönheit zu
den erhabensten Theilen der Oper gehört. Sehr bedeutend für den
Erfolg dieser Oper ist der Umstand, dass der 3. Act an Wirkung
nicht beiden vorigen zurücksteht und neue Anziehungskraft besitzet.
Während im 2. Act Aleida , Frya und Bodo die Hauptgruppe der
handelnden Personen bilden, so ist dagegen im 3. Act der in's Vater-
land zurückgekehrte Dietrich von Brederode die Hauptperson, da-
neben stehen der Abt und Bodo, während Aleida erst im Finale er-
scheint. Dadurch hatte der Componist Gelegenheit mit neuer Frische
zu arbeiten. Gleich schon die erste Nummer , 'eine Romanze für
Baryton, wurde vom Publikum mit Enthusiasmus aufgenommen und
auf Verlangen wiederholt. Hernach folgt ein lieblicher Frauenchor
und dann ein sehr wirksames Duett für Bass und Baryton. Eben-
falls vortrefflich gelungen ist die folgende Scene und Terzett (Tenor,
Baryton und Bass) , und endlich das Finale (Abschied der Aleida
von ihren Freundinnen, bevor sie die Klosterweihe empfangen soll,
und die unerwartete Wiedervereinigung mit Dietrich). Dieses Finale
bildet einen würdigen Schluss der Oper. Die Partie der Aleida
und die betreffende Begleitung des Orchesters ist vom Componisten
mit dem feinsten Gefühl und Wahrheit behandelt, und das prachtvoll
componirte und instrumentirte Ensemble mit Chor („O Gottl dich
preisen und loben wirl") ist von wahrlich grossartiger Wirkung.
Hiermit können wir unser Referat über die Oper enden. Es
ist uns eine wahre Freude, dem jungen Componisten zu dem gross-
artigen Resultat seiner Oper von Herzen Glück wünschen zu können.
Thooft hat einen Sieg erfochten, nicht allein durch sein bedeutendes
Compositions - Talent , sondern vornehmlich auch durch die Selbst-
ständigkeit und Unabhängigkeit, womit er dasteht, und welche unter
den Componisten der Gegenwart leider eine sehr seltene Erscheinung
geworden ist. Allerdings bemerkt man hier fleissiges Studium der
Partituren von Deutschlands grossen Meistern, nirgends aber verfällt
der Componist in sklavische Nachahmung. Bei der Instrumentation,
welche sehr wirkungsvoll und schön ist, scheinen Weber und Ros-
sini (Teil) dem Componisten zum Vorbilde gedient zu haben. Uebri-
gens ist die Aufgabe des Orchesters eine sehr dankbare und inte-
ressante.
Die Theilnahme des Publikums war so lebhaft, wie ein Com-
ponist sie nur wünschen kann. Drei Vorstellungen fanden schon
bei gedrängt vollem Hause statt, und wurde der Componist nach
jedem Act gerufen, wobei es an Orchester-Tuschen, Lorbeerkränzen
u. s. w. nicht fehlte. Weitere Vorstellungen werden noch nachfolgen.
(Schluss folgt.)
iOOO<
llie Frankfurter Oratorien - Coneerte.
(Schluss.)
Im zweiten Concert brachte der „Cäcilien - Verein" die „Zer-
störung Jerusalems" von Ferdinand Hiller. Das Werk stammt
aus dem Jahre 1837 oder 38. Wie wir hören, wurde es um jene
Zeit, als Hiller den Cäcilien- Verein vorübergehend leitete, in Frank-
furt zum Erstenmale aufgeführt. Die Dichtung ist von Dr. Stein-
heim, die Geschichte ist in dem II. Buch der Könige, 23 — 25. Haupt-
stück, dem II. Buch der Chronik, 36. Hauptstück, und dem Buch
Jeremias, u. a. dem 37—39. Hauptstück erzählt.
IHe A^ilhruitg im „Cäcilien -Verein" war, in Anbetracht der
vielen ermüdenden Stellen, im Ganzen gut zu nennen. Dass der
Chor häufig erlahmen musste, lag an den einzelnen Stücken selber;
wo aber etwas Frisches ,' Anregendes in der Musik war, da brachte
er es mit aller Kraft zur Darstellung. So besonders die Chöre in
der Königsburg im I. Theil, dann den Chor auf der Mauer, den
Chor der Verwüstung, den Siegesgesang der Babylonier u. A. Die
Rolle des Jeremias (Bass) sang Hr. Carl Hill, gross und würde-
voll, dem biblischen Helden ganz entsprechend. Den König Zedekia
(Tenor) stellte Hr. A. D e n n e r aus Cassel dar , in feiner , edler
Weise. Die Rolle der Chamital (Sopran) ward von einer Dame aus
dem Verein , Frl. Lutz, gesungen. Die Sängerin ist mehr für
lyrische Musik befähigt als für dramatische ; eine Rolle voll unge-
heurer Leidenschaft, wie die der Chamital, hätte auch eine ältere
Dame mit festerem, härterem Ton verlangt. In Anbetracht des zu
viel Zugemutbeten gab die Künstlerin die Rolle möglichst getreu.
Hanna und die Israelitin wurden von Frl. Schreck aus Bonn und
Frau Peters-Schenk (von ihrer Bühnenthätigkeit hier noch in
gutem Andenken stehend) gesungen, beide in edler, würdiger Weise.
Heinrich Becher.
CORRBSPONDENZEN.
Aus Mainz.
Am Freitag den 23. März fand das dritte Vereinsconcert der
„Liedertafel* und des „Damengesangvereins" im grossen Saale des
Casino statt, der nebst den anstossenden Nebenzimmern von Zu-
hörern dicht gefüllt war. Es kam unter Leitung des Vereinsdirec-
tors Hrn. Friedrich Lux „Das Weltgericht," grosses Oratorium
von Friedrich Schneider, Dichtung von August Apel zur
Aufführung. Das Werk selbst, das schon im Jahre 1819 componirt
wurde , dürfen wir wohl als unseren Lesern bekannt voraussetzen,
so dass wir nur über die in Rede stehende Aufführung zu referiren
haben. Wir wissen nicht, ob dieses Oratorium in früheren Zeiten
etwa schon hier gehört worden ist, wohl aber haben wir eine Auf-
führung desselben in der hiesigen Fruchthalle zum Besten der
Hinterlassenen des Componisten (im August 1854) erlebt, von wel-
cher sich aber, obschon sie mit viel grösserer Prätension in Scene
gesetzt war, und selbst auswärtige Gesangvereine mitwirkten, den-
noch nicht viel Gutes sagen Hess , als dass glücklicherweise der
pekuniäre Zweck erreicht wurde, während die Aufführung von vori-
ger Woche als eine äusserst schwungvolle und in jeder Beziehung
gelungene zu bezeichnen ist.
Da der Liedertafelvorstand und der engere Ausschuss des Actien-
theater- Comite's wegen Ueberlassung des Theaterorchesters für diese
Production und die nöthigen Proben in Folge der Repertoirverhält-
nisse im Theater sich in zuverlässiger Weise nicht zu einigen
vermocht hatten, so wurde das Hoftheaterorchester in Wiesbaden
engagirt, welches denn auch seine Aufgabe mit einer einzigen Probe
in vortrefflicher Weise löste und sowohl in Bezug auf reine Stim-
Imung wie auf feurige und sichere Ausführung nichts zu wünschen
übrig liess. Ein einziger Uebelstand machte sich darin bemerkbar,
dass dem stark beschäftigten Bläserchor gegenüber, namentlich in
gewissen Kraftstellen, die Violinen etwas schwach erschienen, wozu
wohl auch der Umstand beitrug, dass die Geiger etwas tief, gerade
hinter dem Damenchor placirt waren, dessen Kleider und Crinolinen
sicherlieh einen guten Theil der Klangstärke absorbirten. Die Chöre
gingen vorzüglich gut und selbst in den mitunter sehr schwierigen
Fugen war niemals eine Schwankung oder Unsicherheit zu bemerken,
f and so waren denn auch dieselben häufig von wahrhaft hinreissender
Wirkung. Wir erwähnen beispielsweise den Chor der Erstandenen
Nro. 14 „Heil uns, Heil!" mit der Fuge »Ewig schallen Jubellieder,*
den Schlusschor des 2. Theiles und den des 3. Theils u. A. Aber
auch die sanfteren Chöre wurden in schönster Weise zur Geltung
gebracht; so 8.B. der Chor der Engel Nro. 12 „Triumph! Triumph!
- m -
«ie erstehen l* den wahrhaft reizenden Chor derüütter und Kind«
j»it dem Solo der Eva »Mit unserm achwaohen Lallen" (Nro. 23,
JL Theil), der Chor der Seligen „Was sind die Leiden (Nro. 35),
der Chor der Engel mit den» Quartett der Erzengel „Maria , du
.milde, du süsse" (Nro. 29, III. Theil).
Besonderen Beifall fanden die Sätze a capella der vier Era-
jengel , welche, mit untadeliger Reinheit , schöner Nüancirung und
vollkommenster Verschmelzung der einzelnen Stimmen vorgetragen,
«inen ergreifenden Eindruck machten. Sämmtliche Sopransoli fanden
in Frau Skalla-Borzaga vom hiesigen Stadttheater eine vorzüg-
liche Vertreterin, sowie denn auch die Partien der Erzengel und des
Satanas durch Hrn. Ruff (Tenor) und durch die Vereinsmitglieder
Frau G., Hrn. W. und Hrn. Dr. R. vortreffliche Interpreten fanden.
Die Leitung des Ganzen durch Hrn. Lux Hess an Energie, Umsicht
und Sicherheit nichts zu wünschen übrig, und die beiden Vereine
haben durch diese Aufführung ein neues Reis in den seit ihrem
langjährigen Bestehen so oft verdienten Lorbeerkranz geflochten.
Ueber das Gastspiel der Frau Jauner-Krall vom k. Hof-
theater in Dresden, welches diese renommirte Künstlerin gestern als
Margaretbe in Gounod's „Faust" mit ausserordentlichem Erfolg be-
gonnen hat, werden wir in unserer nächsten Nummer ausführlich
berichten. E. F.
Aus Paris.
25. März.
Sie werden schon gehört haben, dass vom 15. April ab die
grosse Oper aufhört unter dem Minister des Kaiserlichen Hauses zu
stehen. Diese Anstalt wird dann von Privatunternehmern ausge-
beutet werden. Es fehlt, wie Sie sich leicht denken können, nicht
an Bewerbern , die sich an das gefährliche Unternehmen wagen
wollen; bis jetzt nennt man aber nur Berufene und keinen Auser-
wählten. Es heisst, der bisherige Director, Emil Per r in, wolle
auf eigene Rechnung die Leitung fortsetzen ; allein derselbe erfreut
«ich keiner sonderlichen Popularität, und das Publikum würde ihn
nicht gern an der Spitze der ersten lyrischen Bühne Frankreichs
sehen. — „Don Juan" wird dort am Ostermontag zur Aufführung
kommen. Mit dem choreographischen Theil ist St. L6on betraut
worden, der sich seiner Aufgabe bereits entledigt hat.
Die komische Oper studirt das neue Werk Plotow's mit
grossem Eifer ein. Der Compositeur kommt diese Woche nach
Paris, um die letzten Proben zu überwachen. Seine „Martha" wird
im Theätre lyrique fortwährend mit grossem Beifall gegeben, und
wurde auch im italienischen Theater, wo sie vor einigen Tagen
wieder zur Aufführung gelangte , sehr beifällig aufgenommen.
Fraschini als Lyonel ist ganz vorzüglich und wurde bei der
ersten Darstellung zu wiederholten Malen gerufen.
Vorigen Montag hat das Concert Andre Oechsner's vor
einem ebenso zahlreichen als ausgewählten Publikum im Saal
Pleyel stattgefunden. Seine beiden neuen Quartette in F-dur und
D-dur erfreuten sich eines glänzenden Successes, ebenso die Romanze
und Saltereile für Violoncell und Piano , die von N o r b 1 i n und
Lavignac trefflich vorgetragen wurden. Oechsner's schönes und
ernstes Talent findet immer mehr Anerkennung und die Presse
spricht sich über seine Productionen sehr wohlwollend aus.
Verdi ist vor einigen Tagen nach Italien zurückgekehrt, wo
er seine fünfactige Oper : „Don Carlos" vollenden wird. Gegen An-
fang Juli trifft er wieder in Paris ein, um die Proben seines neuen
Werkes zu leiten.
Durch den unerwarteten Tod Clapisson' s ist ein Sessel im
Iustitut frei. Die meiste Aussicht auf die Nachfolgerschaft in die
Akademie haben wohl Gounod und Felicien David.
Nachrichten.
Dannstadt. Am 20. März fand als Benefiz - Vorstellung des
Hrn. Hofcapellmeisters Neswadba eine Aufführung des „Don
Juan" statt, welche daB allgemeine und lebhafte Interesse, das ihr
von dem musik- und theaterliebenden Theile hiesiger Einwohner-
echaft entgegengetragen wurde, im hohen Grade rechtfertigte und
lohnte. Sämmtliche Träger der Hauptpartien, Frl. Jage r aus Cöln
(Anna), Frau Peschka (Elvira), Frl. Lamara <Zerline), Hr.
Becker (Don Juan), Hr. Greger (Leporello) und Hr. Nachbaut*
(Octavio) wetteiferten mit Chor und Orchester, um das grösste Werk
des grössten Meisters in würdiger Weise zu Gehör zu bringen.
Hr. Leuthner aus Würzburg als Gouverneur und Hr. Leib als
Masetto leisteten Anständiges. Hr. Capellm. Neswadba, dessen Ver-
dienste um unsere Oper allgemein anerkannt werden, fand seinen
Dirigentenpult mit Blumen und Kränzen geschmückt und mag in
dem so zahlreichen Erscheinen des Publikums an seinem Benefiz-
abende einen Beweis jener Anerkennung erblicken.
Das 3. Concert der grossh. Hofmusik bot besonderes Interesse
durch die erstmalige Aufführung der 1. Suite für Orchester (D-moll)
von Fr. Lachner. Dieses schöne Werk , das bereits mit dem
glücklichsten Erfolge in ganz Deutschland wie im Ausland aufge-
führt worden ist, wurden hier in vortrefflich gelungener, sehwung-
und geistvoller Weise zu Gehör gebracht und mit lebhaftem Beifall
aufgenommen. Auch die Hebriden-Ouvertüre von Mendelssohn und
die Ouvertüre zu Gluck's „Iphigenie in Aulis" wurden sehr gelungen
vorgeführt, und Hr. Capellm, Neswadba hat mit diesen Werken
wieder sein Directionstalent glänzend bewährt. Mit vielem Beifall
wurden auch die Leistungen des Violinisten Friemann aus Paria
aufgenommen, welcher das Mendelssohn'sche Concert in sehr lobens-
werther .Weise vortrug. Frl. Marie Emmerling, eine äusserst
begabte Dilettantin, erfreute das Publikum mit dem Vortrag eines
Duetts aus „Belisar" mit Hrn. Becker uud einer Arie aus „Paulus''
von Mendelssohn.
Mannheim. Frl. Stehle vom Hoftheater in München gastirte
während der letztverflossenen zwei Wochen auf unserer Bühne in
den Opern : „Das Glöckchen des Eremiten ," „die Afrikanerin,"
„Tannhäuser" und „Faust" von Gounod , und erntete durch ihre
herrlichen Stimmmittel, sowie ihre Vollendung in Gesang und Spiel
reichen Beifall , der sich in der Oper „Faust" zu wahrem Jubel
gestaltete. Auch in der Rolle der Selika (Afrikanerin), in der sie
anderwärts noch nicht aufgetreten war, bewies sie in jeder Bezie-
hung dieselbe Sicherheit und künstlerische Durchdringung wie in
ihren übrigen Bollen.
Leipzig. Am Palmsonntag fand das übliche Concert zum Besten
des Unterstützungsfonds für die Wittwen und Waisen der k. Capelle
statt, in welchem unter der Leitung des Hrn. Hofcapellmeisters
R i e t z die Eroica von Beethoven und das Oratorium „Samson"
von Händel mit Unterstützung der Dreissig'schen Singacademie zur
Aufführung kamen. Die Soli wurden von Frau Bürde-Ney, Fran
Krebs-Michalesi und den HH. Rudolph und Mitter-
wurzer gesungen, und war die ganze Durchführung in Bezug auf
Chor, Orchester und Soli eine ganz vorzügliche.
Paris. Louis Clapisson, Componist, Professor am Con-
servatorium und Mitglied der Academie der schönen Künste, ist
ganz unerwartet in Folge einer Indigestion gestorben und am Mitt-
woch den 21. d. M. mit aller Feierlichkeit begraben worden.
Gatteaux, Director der Academie der schönen Künste, A u b e r,
Director deB Conservatorinms, Camille Doucet, Mitglied der
Academie nnd General Mellinet, Senator und Commandant der
Pariser Nationalgarde, trugen die Enden des Bahrtuchs. Clapisson
war geboren am 15. September 1808. Seine Familie diente am
Hofe des Königs Murat und kehrte nach den Ereignissen von 1815
nach Frankreich zurück. Im Jahre 1830 wurde der junge Clapisson
im Conservatorium aufgenommen , wo er Unterricht im Violinspiel
von Hab an eck und in der Composition vonReicha erhielt, und
im Jahre 1833 wurde er Mitglied des Orchesters der grossen Oper.
Er machte bald sein Compositionstalent durch eine Menge beliebt
gewordener Lieder , Chansons , Duetten etc. geltend , brachte 1838
seine erste Oper, „fa Figurante" in der komischen Oper zur Auf-
führung, welcher noch eine bedeutende Anzahl ähnlicher Composi-
tionen für die komische Oper und das lyrische Theater folgten.
Für die grosse Oper schrieb er »Jeanne la Folie" welche 1848
zur Aufführung kam, aber nur einen Succes destime erlangte, was
in den Zeit- und anderen Verhältnissen seinen Grund hatte. Seit
mehreren Jahren hatte Clapisson nichts mehr auf die Bühne gebracht,
indem er den passenden Zeitpunkt abwartete, mit einer bereits voll-
endeten Oper mit dem Titel „le Baron de Trenfc' wieder hervor-
zutreten. Im Jahre 1848 wurde er Ritter der Ehrenlegion, und nach
dem Tode Halevy's nahm er dessen Sitz in der Academie ein, und
— 56 —
wnrde zum beständigen Secretär der Section der schönen Künste
erwählt Später -wurde ihm eine Harmonieciasse im Conservatorium
übertragen, welchem er sein interessantes Museum alter, merkwür-
diger Instrumente abtrat und dafür zum Conservator desselben mit
Verköstigung und Wohnung im Conservatorium ernannt wurde.
Ebendaselbst ist er auch in Mitte seiner trostlosen Familie so plöta-
lich dahingerafft worden.
— Programm des 6. Concertes im Conservatorium: Pastoral-
Sinfonie von Beethoven; v O FiltiS* Doppelchor von Leisring; He-
briden-Ouvertüre von Mendelssohn ; Jägerchor aus „Euryanthe" von
Weber; Marsch aus „Tannhäuser" von B. Wagner. (Letzteres ein
merkwürdiger Fortschritt in den stabilitätsfreundlichen Programmen
der Conservatoriums-Concerte.)
— Das 21. populäre Concert des Hrn. Pasdeloup hatte fol-
gendes Programm : Pastoral-Sinfonie von Beethoven ; Clavier-Coneert
in A-molI von Hummel, vorgetr. von Hrn. Th. Kitt er; Vorspiel
su „Lohengrin" von R. Wagner, und einzelne Nummern ans Men-
delssohn^ Musik zum „Sommernachtstraum".
— Pasdeloup brachte in seinem 22. populären Concerte zur
Aufführung: Sinfonie in C-dur (Op. 34) von Mozart; Allegretto un
pocco agitato (Op. 68) von Mendelssohn; Romanze in F-dur für
Violine von Beethoven, vorgetr. Von Hrn. Alard; Ouvertüre zur
„Flucht nach Aegypten" von Berlioz; Fragmente aus dem Septuor
von Beethoven.
— Der Nestor der Musikverleger, Hr. P a c i n i, ist im 88. Le-
bensjahre, umgeben von seinen neun Kindern, dahier gestorben und
hinterlässt den Ruf eines äusserst thätigeu und in jeder Beziehung
achtungswerthen Ehrenmannes.
— Durch ein kaiserliches Decret vom 22. März wird die Füh-
rung des Instituts der grossen Oper vom 15. April d. J. ab einem
Director-Entrepreneur auf seine eigenen Kosten und Gefahr über-
geben werden. Derselbe hat eine Cantion von 500,000 Frcs. zu
stellen und wird ausser der bisherigen Subvention aus Staatsmitteln
jährlich noch weitere 100,000 Frs. aus der Civilliste erhalten, welche
aber in den ersten 5 Jahren als Verstärkung seiner Caution deponift
und erst im 6. Jahre zur freien Verfügung gestellt werden. Noch
ist die Wahl eines Directors nicht getroffen. Diese höchst über-
raschend gekommene Maassregel soll darin begründet sein, dass der
Minister des kais. Hauses und der schonen Künste , welcher den
Orchestermitgliedern eine Vermehrung ihrer Gebalte im Gesammt-
betrage von 16,000 Frs. bewilligt hat, in Folge der von denselben
abgegebenen Erklärung , dass ihre gerechten Ansprüche damit in
keiner Weise befriedigt seien und sie sich weitere Schritte vorbe-
hielten, dem Kaiser den Vorschlag machte, die Führung der grossen
Oper der Speculation freizugeben, worauf Napoleon auch einging
und um den Schein zu vermeiden , als geschähe dies nur aus öko-
nomischen Gründen, obenerwähnten Subventionsbetrag von 100,000
Frs. jährlich bewilligte.
— Die Pianistin Frl. Trautmann wird am 9. April im
Saale Herz ein Concert geben , worin sie eine neue Fantasie von
H. Herz über die „Afrikanerin" und ein Duo für zwei Claviere
mit A. J a e 1 1 vortragen wird.
%* In Wien wurde kürzlich ein Miniaturporträt Beethoven^
aufgefunden, das den Meister im Alter von ungefähr 20 Jahren darstellt.
%* Im Haag wurde eine Compositum von Schiller's „Glocke"
Ton dem dortigen Conservatoriums - Director Nicolai mit vielem
Beifall zur Aufführung gebracht.
*** Capellmeister D u m o n t vom Stadttheater in Mainz wird
nach Leipzig übersiedeln, sich dort mit Frl. Suvanny, welche er
snr Sängerin ausgebildet hat, vermähleu und sich dem Gesangs-
unterricht widmen.
*** Die Oper „Johanna von Neapel" wird in Berlin und
Braunschweig zur Aufführung vorbereitet.
*** F£tis hat einen Supplement-Band zur „Afrikanerin" heraus-
gegeben, welcher im Ciavierauszug mit Text 22 Nummern enthält,
die von Fetis bei der Einrichtung der Oper für die Bühne ganz
gestrichen oder gekürzt wurden oder von Meyerbeer zweimal com-
ponirt worden sind. Der 190 Seiten lange Supplement ist mit einer
Vorrede von Fetis versehen.
*** In London ist eine Subscriptiou im Gange, um den Heraus-
geber des Journals ,. Orchestra" für die Kosten, die ihm durch den
von dem Kritiker Ryan angestrengten Prozess wegen Ehrenkränkung
erwachsen sind, schadlos zu halten. Die ganze öffentliche Meinung;
-ist für den Verurtheilten , Hrn. Wood, dem von allen Seiten die
Anerkennung der furchtlosen Freimüthigkeit ausgesprochen wird,
mit der er einen Krebsschaden im hiesigen Künstlerleben aufdeckt»
und rücksichtslos gegen die Schamlosigkeit der Concerte - gebenden
Kritiker los£og. Hrn. Wood's Verurtheilung war auch nur möglich
gewesen in Folge der zurückhaltenden Aussagen der als Zeugen
berufenen Künstler, die den gefürchteten Recensenten offenbar
schonen wollten.
*** Der König von Hannover hat die dem Dr. G. Satter ver-
liehene Ernennung zum Capellmeister zurückgenommen, und derselbe
wird nach einem verunglückten Concerte, in welchem er seine eige-
nen Compositionen zur Aufführung brachte, Hannover verlassen. Das
beabsichtigte Musikfest in Hannover wird nun vom Hof capellmeister
Fischer dirigirt worden.
*** In München machte Frl. Bär mann, eine Tochter des be-
rühmten Clarinettisten, als Fatime im „Oberon" ihren ersten theatra-
lischen Versuch. Sie besitzt eine schöne Altstimme , und es steht
zu hoffen, dass der freundliche Beifall, der ihr gespendet wurde, sie
zur weiteren Vollendung ihrer künstlerischen Ausbildung anspornen
wird.
*** Nach der ersten Aufführung der „Afrikanerin" in Wien
fragte ein Herr den andern: „Was hat Ihnen denn besser gefallen,
das Schiff oder der Baum?
*** Die Singacademie des Hrn. Ludwig Deppe in Hamburg;
wird am 5. April Händel's „Judas Makkabäus" unter Mitwirkung;
von Frl. Tietjens zur Aufführung bringen.
*** Die Tochter des Componisten Carl Löwe schreibt eine
Biographie ihres Vaters und bittet die Verleger seiner zahlreichen
Compositionen, ein Exemplar davon an Herrn Carl Hauer jun*.
in Berlin gelangen zu lassen, da dieser die Abfassung des kritischen
Theils übernommen hat.
*** Der Musikverein in Lübeck wird im Juni d. J. ein grosses
Musikfest, ähnlich dem vom Jahre 1839, veranstalten. Bereits ist
zu diesem Zwecke ein Comite erwählt, an dessen Spitze Dr. Kul en-
kamp und Dr. K 1 ü g m a n n stehen.
*** Ed. Hanslick und Otto Jahn haben in Frankfurt a. M..
in der Museumsgesellschaft Vorlesungen über musikalische Stoffe
gehalten.
*#* Der Kaiser von Oesterreich hat dem in London lebenden
Professor der k. grossbritannischen Academie der Musik , Ernst
Pauer den Titel eines k. k. Kammervirtuosen verliehen.
*** Dresden, 12. März. Der Tanz, welcher nächstens zwischen
Oestreich undPreussen losgehen soll, wird nicht von Wallen-
stein , wie einige Blätter irrthümlich behaupteten , sondern von
A. Waller stein componirt. Letzterer sammelte bereits dazu in
Wien Noten und befindet sich jetzt zu gleichem Zwecke in Berlin»
(Glasbrenner's Montags-Ztg.)
*** Am 22. März sarb in Wien der in den weitesten Kreisen
bekannte Gesanglehrer Giovanni Gentiluomo, geboren
ebendaselbst am 9. Juni 1809.
> ■■« -i i n K i mm ■ ..i n— l . ■ ii ■ iw ■ .■■ n» i.»— —— m !■■■■..! i ■ i. mtm ommmmm — — — — — « tmmmtmi — W S
ANZEIGE.
CONCERT-VIOLINEN.
Ein bekannter Concertmeister wünscht in Folge vorgerückten
Alters die nachstehend verzeichneten dreiConcert-Violinen zu
verSussern und hat dem Unterzeichneten deren Verkauf übertragene
1) eine Straduario (1673),
2) eine Cremona (Quamerio 1712),
3) eine Stainer (1617),
alle drei von vorzüglichstem Tone, womit sich namentlich die erst-
genannte durch ihren grossartigen Bau sowohl, wie durch die Kraft
und Schönheit des Tones auszeichnet.
Gefälligen Augeboten sieht entgegen
Fedor Pohl,
Buchhändler in Amberg.
Verantw* Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz»
15. Jahrgang.
JV*M&.
9. April 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Bachhand-
lungen.
-4
Vertag
V
yon
B. SCHOTTS SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott* London bei Schott & Co.
PBEIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
«jL/w
INHALT: Aleida von Holland. — Cörrespondenzen : Mainz. Darmstadt. München. — Nachrichten.
JJetda von Holland*
Romantische Oper in 3 Acten von Ernst Pasque,
Musik von W. F. Thooffc.
'* ( S c h 1 u s s. )
Die Aufführung war eine sehr lobenswerthe, und die tüchtigen
Kräfte der Rotterdamer Oper erschienen in der „Aleida von Holland"
im schönsten Licht. Vor Allen verdient hier ehrenvolle Erwähnung
der Capellmeister Louis Saar, der bei der ausserordentlichen
Mühe, welche die Aufführung einer ganz neuen Oper nothwendig
mit sich bringt, dem Componisten mit unermüdetem Fleisse zur Seite
gestanden und sowohl die Proben als die Aufführungen mit grossem
Geschick geleitet hat. Ebenfalls Anerkennung verdient der Musik-
direetor Starke für das treffliche Einstudiren der Chöre. Wie schon
erwähnt, hat der Chor eine höchst bedeutende Aufgabe, und es ge-
hören tüchtige Chorkräfte dazu, um dieselbe zur Geltung zu bringen.
Dieser Theil der Aufführung hat aber Nichts zu wünschen übrig
gelassen.
Die Besetzung der Hauptpartien war im Allgemeinen eine glück-
liche. Die Parthie der Aleida gehört dem dramatischen Fache anj
da aber am Anfang der Saison die engagirte dramatische Sopranistin
ganz durchfiel, daher die Direction die ganze Saison mit Gästen sich
zu behelfen gezwungen, und an ein Einstudiren einer ganz neuen
Oper mit einer gastirenden Sängerin gar nicht zu denken war, so
hatte unsere vortreffliche Coloratursängerin Frl. Josephine Wey-
ringer nach Verständigung mit dem Componisten die Partie über-
nommen. Es war gewissermassen ein Wagestück, aber Frl. Wey-
ringer hat sich vortrefflich aus der Affaire gezogen und alle Erwar-
tungen übertroffen. Nur an einzelnen Stellen vermisste man die
klangvolle Stimme im dramatischen Sopran, sonst brachte sie überall
die Partie zur vollen Geltung. Diese Leistung liefert einen merk-
würdigen Beweis davon, wie sehr eine tüchtige Schule und eine
feine Ausbildung der Stimme den natürlichen Mitteln zu Hülfe
kommen kann. Jedoch auch dem Componisten kommt ein Theil
der Ehre zu, denn diese Partie ist sehr dankbar und melodiös und
dabei in einfachem, edlem Style und mit feinem Verständniss der
Gesangsmittel geschrieben. In Bezug auf die Darstellung leistete
Frl. Weyringer Lobenswerthes, namentlich im 2. Acte.
Die kleine aber sehr interessante Partie der Frya ist vom
Componisten für eine Mezzo-Hopranstimme geschrieben. Vermittelst
einiger kleinen Umänderungen wurde die Partie der eben nicht stark
aber schön klingenden und fein ausgebildeten Alt -Stimme des Frl.
Hermine Otto angepasst. Möchte auch allerdings eine stärkere
Mezzo-Sopraostimme die Partie wirkungsvoller zur Geltung bringen,
kaum würde man dagegen in Bezug auf die Darstellung eine präch-
tigere Wahrsagerin finden als Frl. Otto.
Hr. Hardtmuth (Dietrich von Brederode) gehört zu den Bass-
Barytons, welche einen so bestimmten Bass - Character angenommen
haben, dass die höhere Stimmlage nicht mehr so sehr anspricht, wie
«s von einem ßaryton verlangt wird. Vermittelst Transposition ver-
mochte aber Hr. Hardtmuth die schöne Romanze im 3. Act zur vollen
Geltung zu bringen, was vom Publikum bei jeder Vorstellung durch
glänzenden Beifall und Da Capo-Ruf anerkannt wurde. Auch im
folgenden Duett und Terzett war der Gesang und vornehmlich die
Darstellung des Hrn. Hardtmuth sehr lobenswerth.
Hr. Ellinger (Bodo von Feilingen) war in dem lyrischen
Theil seiner Partie im ersten Act nicht sehr glücklich, nahm aber
eine glänzende Revange im 2. und 3. Act. Die grosse Erzählung
im 2. Act wurde von ihm vortrefflich gesungen.
Hr. Dulle Aste (Abt von Egmond) ward leider kurz vor der
ersten Aufführung von einer Heiserkeit überfallen , welche ihm bei
der ersten Vorstellung sehr hinderlich war, sang aber trotzdem seine
Partie theilweise recht schön. — Die Leistung des Chors haben
wir bereits erwähnt. Das Orchester war bei der ersten Aufführung
in einer nervösen Stimmung, wirkte aber bei der zweiten Vorstel-
lung vortrefflich.
Hr. Director de Vries und Hr. Regisseur Ellmenreich
haben sich wegen brillanter Inscenirung und Ausstattung schon sehr
verdient gemacht. Ohne eine sogenannte kostspielige Decorations*
Oper zu sein , gibt die „Aleida von Holland" dem Regisseur und
Decorateur hinreichende Gelegenheit, Beweise ihres Talentes zu
geben. Der Ort der Handlung in der reizenden Umgebung der Stadt
Harlem (Haupt-Decoration im 1. und 3. Act), der prächtige Aufzug
der Kreuzritter im Finale des 1. Actes , die Scene in der Schloss-
capelle , und vornehmlich die brillante Scene der Erscheinungen
(Tableaux vivants), dabei die glänzenden Ritter-Costüme sind für
den Zuschauer sehr anziehend.
Nach all* dem Gesagten bezweifeln wir nicht, dass die Oper
des Holländischen Componisten bald ihren Weg nach Deutschland
finden , und bei dem offenbaren Mangel an Novitäten für alle Hof-
bühnen und grosse Stadttheater, welche über hinreichende Kräfte
zu verfügen haben, eine willkommene Erscheinung sein wird. Denn
trotz der kleinen Mängel, welche daran auch auszusetzen sein mögen,
besitzen das Pasque'sche Buch und die Thooft'sche Musik eine Ori-
ginalität und angenehme Frische , welche nicht verfehlen werden,
überall eine wohlthuende Wirkung hervorzubringen.
CÖRRESPONDENZEN.
Aus Mainz,
5. April.
Frau Jauner-Krall vom k. Hoftheater in Dresden hat, wie
wir bereits in der letzten Nummer dieses Blattes angedeutet, ihr
Gastspiel am hiesigen Stadttheater als Margarethe in Gounod's
„Faust" begonnen und durch ihre ausserordentlich schöne Leistung
in Gesang und Spiel einen vollständigen und glänzenden Erfolg er-
rungen. In der That lässt sich aber auch nichts Vollendeteres
denken als die so fein gefühlte, echt weibliche und poesievolle Auf-
fassung und in jeder Beziehung virtuose Durchführung der genannten
- 58
Bolle durch Frau Jänner- Krall , deren Intentionen überdies durch
eine sehr einnehmende Persönlichkeit, durch eine metallreiche, sym-
pathische Stimme und einen seltenen Orad technischer Ausbildung
unterstütst werden. Beben ihr erstes Auftreten und Begegnen mit
Faust war tob überraschend schöner Wirkung und rief stürmischen
Beifall hervor, der Ihr auch nach |eder ihrer Sceuen wiederholt und
in gesteigertem Maesse au Theil wurde, nebst vielfachen Hervorrufe»
und retchen Blumenspenden.
Hr. Franosch vom Theater in Prag sang den Mephistopheles
ebenfalls als Gast. Er besitzt eine ziemlich starke Bassstimme, doch
Ist der Timbre derselben keineswegs edel zu nennen , und auch in
Gesangs- und Spielweise vermissten wir den Typus feinerer künst-
lerischer Bildung. Zudem wird das Ohr durch ein gewisses Herab-
sinken, oder vielmehr mühsames Hinaufziehen des Tons in die rich-
tige Stimmung beständig in dem Gefühle erhalten, als sollte der
Sänger jeden Augenblick zu tief singen, was denn häufig auch wirk-
lich der Fall war. Wir haben dieselbe Bemerkung aueh bei der
zweiten Gastrolle des Hrn. Franosch , als Pietro in der „Stummen
von Portici," wenn auch nicht in demselben Grade gemacht, und
fühlen uns um so mehr verpflichtet dieser Bemerkung Ausdruck zu
geben, als Hr. Franosch auf Engagement für den nächsten Whtter
singt, und der erwähnte Fehler zu denen gehört, die auf die Dauer
geradezu unerträglich für die Zuhörer werden. — Hr. B o h 1 i g als
Faust leistete besonders in gesanglicher Beziehung wieder recht
Erfreuliches und befestigt sich immer mehr in der Gunst des Pub*
likums. Wir hören mit Vergnügen, dass dieser strebsame junge
Künstler auch für künftige Saison wieder eqgagirt ist. — Chöre
und Orchester waren sehr gut und darf die ganze Aufführung als
eine gelungene bezeichnet werden.
Die zweite Gastrolle der Frau Janner war die Marie in der
„TJegiraentstochter ," und man kann sich nichts reizenderes denken
als die unübertreffliche Weise, in der sie auch diese Partie in Ge-
sang und Spiel durchführte und eine in Deutschland sehr selten
gewordene Begabung für die eigentliche Spieloper documentirte.
Wir constatiren in Berücksichtigung des beschränkten Baumes für
unseren Bericht, dass auch diese Leistung des verehrten Gastes von
Seiten des zahlreichen Publikums wieder die lebhaftesten Beweise
freudiger Anerkennung hervorrief, obgleich die Gesammtauffübrung
unter der Leitung des Chordirectors an Sicherheit )und Abrundung
gar viel zu wünschen übrig Hess. Hr. Bohlig war leider nicht dis-
ponirt und konnte nicht frei über seine schönen Mittel verfügen.
In der „Stummen von Portici" debütirte Hr. G ö 1 1 e von
Zürich als Masaniello und machte, im Besitze einer wohlklingenden,
frischen Tenorstimme und auerkennenswerthen Routine in Gesang
und Spiel sowie einer stattlichen, einnehmenden Persönlichkeit im
Ganzen einen recht günstigen Eindruck. Da er auf Engagement
singt, wollen wir ein entscheidendes Urtheil aufschieben, bis wir
mehr von ihm gehört haben. Der Leistung des Hrn. Franosch als
Pietro ist bereits Erwähnung geschehen. Die Aufführung im Ganzen
genommen war eine recht gute, nur können wir uns mit der häu-
figen Uebereilung der Tempi nicht einverstanden erklären, wie z. B.
in der Barcarole im Finale des 2. Actes, welche, eine der charac-
teristfschsten Nummern der Oper, in dem bei dieser Aufführung be-
liebten Tempo von dem athemlosen Chor gänzlich reizlos und ver-
wischt abgeleiert wurde. E. F.
Aus Darmstadt.
Die schon mehrmals in Braunschweig mit Beifall gegebene zwei-
aetige Oper: „Donna Maria, Infantin von Spanien von dem Grafen
Beiset (franz. Gesandter in Hannover) und G. Banger (Mitglied
der grossh. Hofmusik) wurde am 12. Mars aueh hier zum Ersten-
mal zur Aufführung gebracht und fand bei dem zahlreich versam-
melten Publikum eine sehr günstige Aufnahme. Schon vor mehreren
Jahren wurde hier von denselben Verfassern eine Operette: „Die
Müllerin von Marly" mit Beifall aufgeführt. War hier mehr das
heitere Element vertreten, und erfreute man sich an den natürlich
und frisch erfundenen Melodien und deren geschickter Behandlung,
so war bei dem mehr romantischen Character der neuen Oper Ge-
legenheit gegeben, sowohl nach Seiten der Erfindung als der Bear-
beitung des Stoffes höhere Gesichtspunkte in's Auge zu fassen, und
kann man nicht anders sagen, als dass die Verfasser ihre Aufgabe
mit Talent und Geschick gelöst haben.
Was bei dieser Oper besonders wohlthuend wirkt, ist die An-
«fH-uchaUeigkeit, mit der eie «mftritft. Nirgends ist das Bestreben
bemerkbar, durch gesuchte Originalität impouiren zu wollen oder
durch Anwendung anspruchsvoller äusserer Mittel das Publikum mit
Gewalt wim Beifall aufzufordern. Wir bemerken im Gegenthefl in
der äusseren Behandlung eine gewisse Zurückhaltung, die der Wir-
kung nicht allein keinen Abbruch thut, sondern dem einfachen dra-
matischen Stoffe gegenüber ganz am Platze ist.
Wie in der „Müllerin von Marly, B so begegnen wir auch in der
„Donna Maria" einer Reihe schöner, ausdrucksvoller Melodien, wel-
che mit unverkennbarem Wohlgefallen von Seiten des Publikums
aufgenommen wurde. Hr. Graf Beiset besitzt jedenfalls ein sehr
beachtungtwerthes musikalisches Talent, das sich in sehr liebens-
würdiger Weise in den beiden bis jetzt von ihm bekannt gewor-
denen -Opern ausspricht. Er kann sieh dabei gratuliren , in Hrn.
Banger einen Mann gefunden zu haben, der es versteht, auf seine
Intentionen einzugeben und seinen Ideen eine äussere Gestaltung zu
geben , welche ebenso sehr für seinen Geschmack wie für seine
musikalische Begabung zeugt.
Ohne auf eine spezielle Besprechung der ganzen Oper einzu-
gehen, wollen wir nur die Nummern bezeichnen, welche vom Pub-
likum besonders durch Beifall ausgezeichnet wurden. Wir nennen
hier zuerst die ausdrucksvolle, von Hrn. Nach ba ur gesungene
Tenor-Arie des 1. Actes , in welcher unser trefflicher Tenor nicht
allein Gelegenheit fand, den ganzen Schmelz seiner schönen Stimme
zu entfalten, sondern es auch verstand, das wohl zu den wirkungs-
vollsten Nummern der Oper gehörende Musikstück zur vollen Gel-
tung zu bringen. Ferner erwähnen wir die sich durch Frische und
Lebendigkeit auszeichnende Arie des Hrn. Greger und die ge-
fällige, figurenreiche Arie der Frau J a i d e (?). Beide Gesangskräfte
lösten ihre Aufgabe mit nicht zu verkennender Vorliebe und erndteten
wohlverdienten Beifall. Unsere beliebte Sängerin Frau Pescbka-
Leutner hatte die Titelrolle übernommen, und wenn ihr auch im
ersten Acte weniger Gelegenheit gegeben war, die Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen, so erwarb sie sich dagegen im zweiten Act in
ihrer Arie und Romanze und in dem Duett mit Hrn. Nachbaur all-
gemeinen Beifall. Auch die hier bezeichneten Musikstücke zeichnen
sich durch melodischen Fluss aus und erwiesen sich als dankbare
Aufgaben für die Säuger. Unter den Duetten und grösseren Ensemble-
stücken erwähnen wir noch das schöne und lebendige Duett mit
Chor (Frl. L a m a r a und Hr. Greger), ferner das wirkungsvolle
Quintett im zweiten Act. In den Chören herrscht meistens ein
heiterer frischbewegter Ton und nur der schöne, den Marsch unter-
brechende Chorsatz ist ernster und breiter angelegt. — Wenn auch
die Oper noch manches Musikstück enthält, was verdient erwähnt
zu werden, so möge doch das hier Gesagte genügen, um die Auf-
merksamkeit auf diese anziehende Novität zu lenken.
Die Aufführung am hiesigen Platze war eine in allen Theilen
sehr gelungene, und Hessen Ausstattung und Inscenesetzung nichts
zu wünschen übrig. Das in die Oper eingefiochtene Ballet dürfte
vielleicht etwas kürzer gehalten sein, und würde dann gewiss, bei
den dem hiesigen Theater zu Gebote stehenden bedeutenden Kräften
noch Wirkungsroller sein.
Den beiden Verfassern wünschen wir aber, dass es ihnen ge-
lingen möge, ihr Werk noch an anderen Bühnen zur Darstellung
zu bringen, da es durchaus keine grossartigen Mittel in Anspruch
nimmt und auch kleineren Bühnen eine willkommene Gabe sein
dürfte.
Aus Muuclien.
Oftmonattf 18M.
Dr. Hans von Bülow veranstaltete zu einem wohlthätigen
Zwecke drei Clavierconcerte. Er ganz allein führte die Aufgabe
durch, sein Auditorium zu beschäftigen, und dieses folgte mit uner-
müdlichem Eifer, mit steigender Bewunderung seiner staunenerre-
genden Kunst. Alle Forderungen , welche die vorgeschrittenste
moderne Technik an einen Pianisten ersten Ranges stellt, erfüllt
BÜlow mit spielender Leichtigkeit, mit einuehmender Eleganz, und
der Zuhörer, der keinerlei Anstrengung merkt, geniesst mit unge-
- 69 -
stortem Vergnügen die musikalischen Fantasiegebilde dar Tondichter,
€xe ihm in virtuoser, meist tadelloser Weise vorgeführt werden»
Ein colossales Gedächtniss, wie man es kaum für menschenmöglich
Mit, gestattet unserem Künstler, alle Nummern seiner Coneerl» aus-
wendig au .spielen, und das thut er mit einer Sauberkeit und Ge-
wissenhaftigkeit, dass in dem Vortrag keine Note fehlt oder zu viel
ist. Dabei versteht er et* , ganz aus sieh selbst heraus zu gehen
und sein virtuoses Spiel nur für die möglichst fertige Interpretation
der Tondichtung in Anwendung zu bringen ; er characterisirt mit
einer Strenge und Bestimmtheit, die ihm als reproducirenden Künst-
ler die höchste Ehre macht. In allen den Nummern, die er spielte,
aeigte er ebenso viel Geschmack als Verständniss , der tief- ernste
Geist Beethoven's, wie Liszt's virtuose Ausdrucksweise, Sohumanu's
ruhelose Poesie, wie Chopio's süsse Mondschein -Schwärmerei kam
in gleich trefflicher Darstellung zu Gehör. Ein zahlreiches Publi-
kum hatte sich stets zu seinen Concerten eingefunden und selten
können sich Concerte im Museumssaale eines so vielköpfigen und
so aaimirten Auditoriums rühmen ; es hat sich da aber auch schwer-
lich ein besserer Ciavierspieler je hören lassen.
Ein anderes Virtuosen-Concert war jenes, das der Cellist B ennat
veranstaltet hatte. Wie es bei jungen Leuten öfter vorkommt,
»einte auch dieser talentirte Kunstjünger, wenn er einige Wochen
in der Fremde war (Bennat war bei Servais in Brüssel), so hätte
ihn das weiter gebracht, als wenn er zu Hause, wo er eine trefflich*
Schule erhalten hatte, andauernde Studien unter bewährter Führung
eines einheimischen Lehrers gemacht hätte. Als er zurückkehrte,
hatte er nichts Eiligeres zu thun als in einem Concerte dem Pub-
likum zu zeigen, was er für ein Seiltänzer auf seinem Instrument
geworden. Mich widerte diese französische Virtuosenmanier, dieses
ewige Quetschen und Kokettiren mit Gefühlen an, Alles war unecht,
unnatürlich. Schon das unkünstlerische Programm, das nur Gaukel-
ttücke vorführte und dem eine einzige bessere Nummer eine gewisse
Schminke geben sollte, bewies, wie es dem Concertgeber nur darum
zu thun war, seine Kunststückchen zu zeigen. Während uns seine
Cantilene nicht im Mindesten befriedigte , entwickelte er in den
Passagen allerdings eine Fertigkeit, die Staunen erregte ; hier Stack
«eine Virtuosität, die er in der Fremde gelernt hat.
Ein Trio von Bheinberger für Ciavier, Violine und Violon-
oell inD-moll, gespielt von Bheinberger, Benno Walter und
dem Concertgeber, stand als erste Nummer auf dem Programm. Die
Ciavierpartie setet eine virtuose Technik voraus , und man sah es
dieser Stimme sehen von Weitem an, dass sich der Compouist, der
nebenbei ein vortrefflicher Ciavierspieler ist, beim Componiren so
ganz hat gehen lassen, und nur auf die Grenzen seines eigenen
virtuosen Spieles Bücksicht nahm. Die vier Sätze der Composition
(Allegro, Adagio, Scherzo und Finale [all ongaresej) zeichnen
sieh durch deu Adel und die Klarheit der Form, die reizende Fülle
des Inhaltes aus, und die vielen Feinheiten im polyphonen Satze
bewiesen uns auf's Neue den geschmackvollen Tondichter, den be-
währten Contrapunktisten. Mir gefiel vorzüglich das Adagio, wel-
ches ebenso tief empfundene als schön gesetzte Melodien in über-
raschenden Wendungen und anmuthigen Verarbeitungen brachte»
Unerwartet wird es durch ein Intermezzo von kräftigerem Colorit
und bewegterem Tempo unterbrochen , in welchem der ungarische
Tanz, der den Inhalt des vierten Satzes bildet, angedeutet; auf diese
Weise wird der zweite Satz ungemein farbig und lebendig. — Im
Scherzo hören wir ein Pastorale von reizender Klangwirkung.
Wir empfehlen dieses Trio allen guten Concertprogrammen auf's
Nachdrücklichste als eine ebenso schöne als effectvolle Nummer
und fugen, wenn auch mit Widerstreben, den Rath bei, das Scherzo
wegzulassen, wenn dem gatteen Trio nicht genug Zeit eingeräumt
werden kann.
Eine hübsche Nummer führte unser trefflicher HomUt^ßt raus a
vor — eine von ihm selbst componirte Boroanae für Hörn. Strauss
bat keine absonderliche Höhe mehr, aber die anderen Töne sind von
seltener Fülle und Weichheit und diese verwerthete er auch auf's
Glücklichste in der mit vielem Geschick vorgetragenen Compositum.
— In dem Concert militeäre für Violine von Baasini zeigte Hr.
Benno Walter, ein Bruder unseres ersten Violinisten, eine energische
Bogenführung, ziemlich grossen Ton und weit vorgerückte Fettigkeit.
— Als Sängerin trat Frau D. Stör auf — eine Stimme, welche noch
deutliche Spuren einer guten Schule an sich trägt. (Schluss folgt.)
WaelificHteii.
W* Musikschule W Frankfurt «. M. Es liegt uns der jüngste
Jahresbericht dieser Anstalt vor, dem wir entnehmen, dass der Senat
«ad die gesetzgebende Versammlung derselben in Anerkennung ihrer
bisherigen erfolgreichen Wirksamkeit eine Subvention auf drei Jahre
bewilligt bat, welche es den Vorstehern derselben ermöglicht, für
ein Schullokal zu sorgen. — Der Bericht widmet dem am 17. Sept.
v. J. verstorbenen Mitgründer der Anstalt, Hermann Hil liger,
einen warmen, ehrenden Nachruf und meldet, dass an dessen Stelle
Hr. Wilhelm Lutz in die Zahl der Lehrer und in den Vorstand 1
eingetreten ist. Ausgetreten aus dem Lehrpersonal ist Frau K o-
newka, welche Frankfurt verlassen hat. Ebenso sind Ostern 1805
und am Ende des Schuljahres 9 Sehüler und Schülerinnen ausge-
treten. Am Schlüsse des 2. Semesters traten 6 Zöglinge aus der
Anstalt, welche in derselben Zeitperiode von 41 Zöglingen besucht
war. Die Prüfuagsooncerte haben am 27. März Vormittags und
Nachmittags stattgefunden und nach den Berichten der Frankfurter
Blätter ein sehr erfreuliches Besultat geliefert.
Carlsruhe. Am 27. Februar fand in der grossh. Schlosskirche
das zweite Abonnementconcert der grossh. Hofkirchenmusik statt)
in welchem ausser einer Passionsmotette von Kücken, dem 23. Psalm
für Frauenchor mit Orgel von Schubert und dem 43. Psalm für
achtstimmigen Chor von Mendelssohn verschiedene Compositionen
älterer Meister aus dem 17. und 18. Jahrhundert für ein- und mehr-
stimmigen Gesang, sowie Präludium und Fuge von Seb. Bach für
die Orgel und Fantasie für die Orgel zu 4 Händen von Mozart,
vorgetr. von den HH. Hoforganist B a r n e r und Director G i e h n e
in gewohnter vorzüglicher Weise zur Aufführung kamen.
Der „Cäcilien -Verein" gab am 7. März sein drittes Concert.
Man brachte zu Gehör: 1) Litanei vom allerheiligsten Altarsacra-
ment für Soli, Chor und Orchester von Mozart, die Sopransoli ge*
sangen von Frl. Fuhr. 2) Sopran- Arie aus „Elias" von Mendels-
sohn, ges. von der Hofopernsängerin Frau Braunbofer. 3) Alt-
Arie aus „Messias" von Händel, gesungen von Frl. M. B ü r k 1 i n.
4) „Comala", dramatisches Gedicht nachOssian, für Soli, Chor und
Orchester componirt von Niels W. Gade. Die Solopartien sangen
Frau Braunhofer und mehrere Vereinsmitglieder.
In einem am 19. März stattgefundenen Concerte des „Lieder-
kranzes" hörten wir: Motette für Chor von Moritz Hauptmann ;
„Das Mühlrad," Lied von Konr. Kreutzer für Baryton mit Hornbe -
gleitung ; 4händiges ConcertstÜck für Ciavier von Weber ; vier
Männerchöre von Schubert, Mendelssohn, Dürrner und Gade; „Zi-
geunerleben" für Chor und Solostimmen von Bob. Schumann (mit
Ciavierbegleitung von Herbeck); Geisterchor aus „Rosamunde" von
Fr. Schubert für Männerchor mit Begleitung von Hörnern und Po-
saunen ; Lied mit Hornbegleitung aus dem „Erbvertrag" von L.
Spohr; Ciavierquintett von Mozart, und „Abschiedstafel" für Chor
von Mendelssohn.
Leipzig. Das 20. und letzte Gewandhausconcert am 22. Marx
brachte : Sinfonie in B-dur von Haydn ; Loreley-Finale von Mendels*
söhn und die 9. Sinfonie von Beethoven.
Mtt&cben. Am Ostersonntag findet auf Befehl des Königs und für
denselben im Besidenztheater ein Concert unter Hans von B ü 1 o w's
Leitung statt, in welchem einige Liszt'sche Compositionen („Faust-
Sinfonie," (.Mephisto-Walzer" und „Tasso") zur Aufführung kommen
werden. Eine Wiederholung dieses Concertes für das Publikum
wird im Hoftheater stattfinden.
FuYis. Die ersten 100 Vorstellungen der „Afrikaneriu" haben
eine Einnahme von 1,060,000 Frs. ergeben. Davon fielen als Tan-
tieme für den Dichter und Compositeur 25,000 Frs. und auf die
Armensteuer die enorme Summe von 96,364 Frs.
— Mlle. Ther£sa, die berüchtigte Cancan-Sängerin, steigert
ihre Ansprüche bis zur Höhe der ersten Knnstgrössen. Es wurde
ihr für ein Gastspiel in Marseille von dem Director des Alcazar
folgender Antraf gemacht: „20,000 Frs. für einen Monat, und falls
sie nur 15 Mal singen sollte , 1000 Frs. per Abend ; glänzende
Appartements im ersten Hotel von Marseille zu ihrer Verfügung,
ebenso während ihres Aufenthaltes daselbst eine zweispännige Equi-
page mit Livree; am Abend ihrer Ankunft Beleuchtung des Hotels,
Fackelserenade von dem dortigen Orchester, offizieller Empfang an
— .60 —
der Eisenbahn und im Hotel durch die Directum des Älcazar\ Ein-
sug in die Stadt in einer vierspännigen Equipage a la Daumont.
Die Ankauft der Mlle. Theresa wird durch besondere Anschläge
bekannt gemacht; am Tage nach ihrer Ankunft grosses Galadiner
im Hotel. Während ihrer Vorstellungen werden die Bäume des
Alcaxar glänzend beleuchtet sein; 200 Fauteuils sind für die Elite
der Gesellschaft reservirt. Kurz, nichts wird versäumt werden, um
den Aufenthalt der Mlle. Theresa in unserer Phoköer- Stadt mit all
dem Glanz und der Rücksicht zu umgeben , die der Ruf einer s o
berühmtenKünstlerin verlangt." So schreibt ihr derDirector
des Alcazar durch einen Agenten, und — Mlle. Theresa nimmt
sieht an. Was will Bie denn noch mehr ? Eine Eanonensalve
su ihrem Empfang, die Nationalgarde in Spalier aufgestellt und die
Schlüssel der Stadt auf einem silbernen Präsentirteller ? Sie darf
es nur sagen !
— Das Oonservatorium hat abermals einen Verlust erlitten durch
den Tod der ausgezeichneten Lehrerin Mme. C o c h e.
*** Frau Wilt vom Theater in Graz bat am Berliner Opern-
theater als Donna Anna im „Don Juan" mit sehr günstigem Erfolge
ihr Gastspiel auf Engagement an die Stelle des Frl. Sant er begonnen.
*** Der „Sängerverein" in Königsberg hat Max Bruch'»
„Scenen aus der Fritbjofsage" unter Direction des Hrn. H a m m e
zweimal mit grossem Beifall aufgeführt. In Bremen kam dieses
interessante Werk dreimal zur Aufführung.
*** Der Violoncellist, Concertraeister Julius Goltermann
in Stuttgart 'hat vom Herzog von Meiningen die goldene Verdienst-
medaille erhalten.
*#* Die Gebrüder Müller haben ihre Concerte in Paris be-
endigt und werden jetzt in Basel concertiren.
%* Frl. Bettelheim vom Hofoperntheater in Wien i&t bei
der italienischen Oper in Her Majestys Theater in London enga-
girt und wird nächstens dahin abreisen.
*** In Wien hat L. A. Z e 1 1 n e r unlängst sein erstes histo-
risches Concert in dieser Saison veranstaltet. Es kamen in dem-
selben ausschliesslich nur Compositionen aus der Bach'schen Familie
zur Aufführung. — Das Programm des zweiten und letzten dieser
Concerte , welches am Ostermontag stattfand , enthielt Vocal - und
Instrumentalsachen vom 15. Jahrhundert bis auf die neueste Zeit.
*** Frau Clara Schumann concertirt in Pesth mit ebenso
glänzendem Erfolg wie vorher in Wien.
*** In Linz kam Waguer's „Lohengrin" unter dem lebhaftesten
Beifall des Publikums zur Aufführung. Besonders wurden Frl.
König und Frl. W i e r e r ausgezeichnet.
*** Die Bach'sche „Matthäuspassion" kam am Palmsonntag im
letzten Abonnementconcerte im Gürzenich zu C ö 1 n, am Gharfreitag
in Frankfurt a. M. und in Leipzig zur Aufführung.
*#* Bei einer jüngst stattgefuudenen Aufführung des „Robert"
in der Pariser grossen Oper ereignete es sich, dass Frl. Mauduit,
welche die Alice sang , in der Scene , wo diese und Bertram um
Robert streiten , die Schrift , welche sie dem Letzteren von seiner
Mutter zu überreichen hatte , nicht bei sich trug , und in dieser
Verlegenheit den Robert immer näher zum Souffleur hinzog, dem
sie dann zuflüsterte: „Die Schrift, ich habe die Schrift nicht!" Der
Ruf ging von Mund zu Mund durch die unterirdischen Räume bis
nach oben , und ebenso die verhängnissvolle Schrift wieder von
Hand zu Hand zurück zum Souffleur, der sie dann der Sängerin
aus seinem Kasten überreichte. Welche Ueberraschung aber für
Frl. Mauduit, als sie dieselbe entfaltete und in demselben das Do-
kument ihres Wiederengagements erblickte, welches der Secretär
der Oper kurz vorher vom Director erhalten hatte uud nun der
Sängerin bei dieser Gelegenheit zukommen Hess.
V H. v. Bülow gab am 18. März im Hotel Disch zu Cöln
eine Soiree, in welcher er die grosse Suite in D-moll in vier Sätzen
(Op. 91) von Joachim Raff, Präludium und Fuge für Orgel von
Seb. Bach, für Glavier übertragen von Liszt, die zwei neuen kirch-
lichen Legenden für Ciavier („Die Vogelpredigt des hl. Franciscus
von Assisi" und „Der hl. Franz von Paola auf den Wogen schreitend")
von Liszt und endlich die 33 Variationen von Beethoven, Op. 120,
über einen Walzer von Diabelli vortrug, und sowohl durch sein
fabelhaftes Gedächtniss (er spielt nur auswendig) wie durch seine
unvergleichliche Technik Alles in Erstauen setzte.
*** In Düsseldorf wurde am 20. März das Vorspiel zur grossen
Oper „Theodor Körner" von dem dortigen Capellmeister Weiss-
heim e r zur Aufführung gebracht und fand beifällige Aufnahme.'
Weissheimer ist bekanntlich einer der entschiedensten Anhänger
der Richtung R. Wagner's.
*** Frl. T i e t j e n s gastirt unter enthusiastischem Beifall in Cöln.
V* Der Componist Ferd. Paer war bekanntlich einige Zeit
Director des Tke'dtre Feydeau in Paris, und Napoleon I. hatte eine
besondere Vorliebe für seine Musik. Als Paer sich einstmals in
Toulon aufhielt, wohin er sich begeben hatte um eine seiner Opern
aufzuführen, brachte man ihm drei junge Leute mit wunderschönen
Stimmen, so dass er ganz entzückt davon war. Es waren dies drei
Galeerensträflinge, denen man für diesen Abend auszugehen erlaubt
hatte. Besonders einer von ihnen brachte den Maestro in wahre
Aufregung. „Wollen Sie mit mir nach Paris gehen , Sie werden
dort Ihr Glück machen 1" sagte er zu ihm. „Ich möchte wohl gern,
aber ich glaube nicht, dass man mir Erlaubniss dazu geben wird/'
erwiderte traurig der junge Mann. — ,,0, durch meinen Einfluss
werde ich die Erlaubniss dazu erhalten." — „Aber mein Herr»
glauben Sie denn, dass die dortigen Künstler mich unter sich dulden
würden, wenn sie wüssten , was ich auf der Schulter trage?" —
„Was denn?" fragte Paer, der in seinem Eifer ganz vergessen hatte,
dass er mit einem Galeerensträfling sprach. — „Sehen Sie hiert"
sagte der Unglückliche , indem er seine Schulter entblösste , auf
welcher die fatalen Buchstaben T. F. (Travaux forces) eingebrannt
waren. — „T. F. !" rief Paer, immer seinen Gedanken verfolgend»
„das ist ja herrlich ; T. F. , das bedeutet Tke'dtre Feydeau ; die
anderen Sänger werden sich dasselbe Zeichen aufprägen lassen,
das ist Alles !"
*** Frl. T e 1 1 h e i m ist am Hofoperntheater in Wien neuerdings
auf fünf Jahre engagirt worden.
*** Frau Jenny Lind-Goldschmidt wird Ende Mai nach
Hamburg kommen, und dort in einem geistlichen und einem welt-
lichen Concerte mitzuwirken.
* # * Bei dem diesjährigen Niederrheinischen Musikfest in
Düsseldorf wird am ersten Tage Beethoven's Ouvertüre Op. 124
und Händel's „Messias" zur Aufführung kommen. Das Programm
der folgenden Tage ist noch nicht festgesetzt. Die Solopartien
werden durch Frau Jenny Lind-Goldschmidt, Frl. Parepa,
Frl. v. Edelsberg und die HH. Dr. Gunz und Stockhausen
vertreten sein. Am dritten Tag wird auch Frau Clara Schumann
sich hören lassen. Die Direction des ganzen Festes ist firn, Otto
Goldschmidt Übertragen.
*** Am Ostermontag hat in der grossen Oper in Paris die
erste Aufführung des „Don Juan" stattgefunden ; der Erfolg entsprach
aber nicht den gehegten Erwartungen. Die Handlung wurde von
den französischen Bearbeitern des Libretto in fünf Acte vertheilt,
und vor dem Schlüsse des 2. Actes (wahrscheinlich vor dem Finale
des 1. Actes der Originalpartitur) hatte man das unvermeidliche
Ballet angebracht und dazu Bruchstücke aus Sinfonien, Quartetten,
den türkischen Marsch (als Polka) u. A. von Mozart benützt!
Ueberhaupt scheinen den Berichten nach die dortigen Sänger die
classische Einfachheit und Wahrheit der Mozart'schen Musik nicht
nach ihrem Geschmack gefunden und den Mangel an Knall effecten
durch outrirte Vortragsweise ausgeglichen zu haben; da mag der
arme Mozart freilich mitunter schlimm weggekommen sein. Kurz,
auch hier, wie in der italienischen Oper, war kein Heil für „Don
Juan". Nun bleibt noch zu erwarten, was das Tke'dtre lyrique aus
dieser Perle der deutschen Opernmusik machen wird.
*** Der Violinvirtuose F e r d. L a u b ist zum Professor am
Oonservatorium in Moskau ernannt worden und hat diese Stelle auch
angenommen.
*** Von den Seitens des Grafen H a r r a c h für czechische
Opern ausgeschriebenen Prämien wurden 600 fl. dem Compositeur
Smetana für dessen Oper: „Die Brandenburger in Böhmen" und
100 fl. dem Libretto- Verfasser der Oper „Drahomie," Hrn. Frans
S i x zugesprochen.
*** Das Breslauer Theater ist Hrn. Rieger übertragen worden»
*** In Elberfeld ist die Directorstelle der dortigen Lieder-
tafel erledigt.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck t>. Carl Wall au, Mainz* '
15. Jahrgang.
jv* to.
16. April 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
; Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
i Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
; hingen. <
f © ff I Ü g
von
!
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PEEIS:
fl. 2. 42 kr. od. Tb. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
£
^./V
INHALT: Beethoven'« Missa solemnis. — Correspondenzen : Mainz. München. Regensburg. Paris, — Nachrichten.
Beethoven's Missa solemnis.
Aufgeführt durch den Ried einsehen Verein in Leipzig
am 2. März 1866.
Ein wichtiges Ereigniss in unserem Kunstleben war die am 2.
/ März in der Thomaskirche stattgehabte Aufführung der Missa
solemnis von Beethoven durch den Ried ergeben Verein, sagen
wir ein Ereigniss von geradezu epochemachender Bedeutung, wenn
anders man einer jeden das Verständniss des grossen Tonschöpfers
fördernden That eine solche beizumessen gewillt ist. Dass Beet-
hoven noch lange nicht ganz in das künstlerische Bewusstsein der
Gegenwart übergegangen und geistiges Gemeingut geworden ist,
-wer möchte das leugnen ? Wird dies nicht durch jede erneute
Vorführung seiner grösseren Werke bestätigt, in denen wir immer
neue uns bisher verborgene Schönheiten und Züge entdecken?
Ganz besonders gilt aber das Gesagte von seinen letzten Werken,
von denen der weitaus grösste Theil der Musiker unserer Zeit immer
noch wie vor einem ungelösten Räthsel steht — vor Werken , in
denen nach unserer Ansicht Beethovens wahrhafte Künstlermission
als solche, in ihrer epochemachenden, in die Zukunft hinüberrei-
chenden Bedeutung erst zur eigentlichen Erfüllung gelangt. Vor-
eilig genug hat man die eigenthümlich fremdartige Haltung der
letzten Werke Beethovens als Folge einer mit der zunehmenden
Gehörlosigkeit und unter dem Eindruck bitterer Erfahrungen sich
einstellender geistigen Störung erklärt. Wir versichern, dass Beet-
hoven auch ohne Einwirkung dieser äusseren Einflüsse die Rich-
tung in seinem Schaffen eingeschlagen haben würde, deren Gepräge
die fraglichen Werke an sich tragen, und gestehen nur das zu, dass
jene Umstände diese neue Richtung beförderten. Die Abschliessung
von der Aussenwelt, die Versenkung in das eigene Innere bewirkte
mehr und mehr eine künstlerische Concentration , eine Zusammen-
fassung seiner Individualität; sie Hess den Genius zum Selbstbe-
wnsstsein kommen. Beethovens Aeusserung, dass die D-dur-Messe
aein bestes Werk sei, beweist Übrigens am besten, dass er darin
Beinen künstlerischen Beruf erfüllt fand.
Das Charakteristische der letzten Beethoven'schen Werke ist
einerseits eine grössere Verinnerlichnng , eine Steigerung des indi-
viduellen Gefühlslebens, andererseits spricht sich das Streben ans,
dasselbe in Einklang zu versetzen mit der objectiven Welt. Der
ewte großartige Versuch einer solchen Versöhnung tritt uns, noch
in Form eines bewussten, entschiedenen Kampfes der beiden Ele-
mente, in der 9, Sinfonie entgegen. In dem ersten Satze derselben
bietet sich uns das Schauspiel des heldenhaften Ringens einer mit
der Welt zerfallenen Individualität, des Ringens nach verlornem
Glück, sowie einer ichliesslichen heroischen Resignation. Weder
das athemlose Jagen nach dem flüchtigen Genuas des Augenblicks
(Scherzo), noch das Absterben für die äussere und die beschauliche
Versenkung in die innere Welt , so verführerisch sie ist und dem
resignirenden Gemüthe ansagt (Adagio), kann nicht zum Ziele füh-
ren, und die ersehnte Befriedigung gewähren. Alleinige Rettung
und Heil ist nur in dem entschiedenen Heraustreten aus der Ver-
einzelung und in der Hingabe an die Gesammtheit zu finden (Hymne
an die Freude) *).
Noch bedeutungsvoller für jene Tendenz ist der Schritt, den
Beethoven mit der Messe that. Hier tritt dem Tonsetzer ein Stoff
entgegen, der einer Geltendmachung der Subjectivität am allerwe-
nigsten günstig erscheint. Der Messtext mit seinen lediglich ein
objectiveB Gesammtbewusstsein aussprechenden , oder sich an das-
selbe wendenden Glaubenssätzen, weist von vornherein jedes Her-
eintragen snbjectiver Bezüge und Gefühle als seinem innersten Wesen
widersprechend zurück. Es fragt sich: Wie stellt sich ihm Beet-
hoven's Tonschöpfung gegenüber ? Augenscheinlich repräsentirt sie
den Standpunkt, auf dem die Versöhnung der Individualität mit
der objectiven Welt vollzogen ist und beide Elemente sich durch-
drungen haben.
Um die ganze Vollkraft dieses Bewusstseins der schwer er-
rungenen Innern 'Harmonie zu künstlerischem Ausdruck zu bringen,
dazu bot sich ihm die Messe, dieses Weltdrama, in welchem die
Leiden und der Jubel des einzelnen Subjects sowohl wie der ge-
sammten Menschheit sich spiegeln, allerdings als der geeignetste
Stoff. Unter dieser Voraussetzung kann nun freilich auch von einem
specifisch katholisch-kirchlichen Character der Beet-
hoven'scben Messe nicht mehr die Rede sein.
Der Begriff der Kirche, der Confession hat sich erweitert
in den der Me nsch h e i t — ohne dass indess damit der re-
ligiöse Charakter in Wegfall zu kommen braucht, — der Inhalt
des Textes konnte nunmehr nicht gefasst werden als Dogma der
Kirche, sondern als weltgeschichtliche Thatsache von allgemein
menschlicher Bedeutung , als Urbild alieb menschheitlichen
Ringens Strebens und Fühlens. Wie sehr dies mit den religiösen
Bestrebungen unserer Zeit im Einklänge steht, deren positiver idea-
ler Gehalt offenbar der ist , das Christenthum mit Ausschluss alles
müssigen verwirrenden Beiwerks, namentlich alles beschränkt und
einseitig Confessionellen , auf seine allgemein menschliche Bedeu-
tung zurückzuführen, dies bedarf wohl keiner weiteren Auseinan-
dersetzung. Aus diesem Standpunkte erklären sich die Anfeindun-
gen, welche Beethoven'» Messe Seitens der katholischen Orthodoxie
erfahren hat und die hauptsächlich gegen deren „Pantheismus und
„Weltlichkeit" gerichtet wurden. Aus dem von uns Gesagten dürfte
hervorgehen, welche Auffassungsweise in letzter Instanz die höhere
Berechtigung hat. Die Anforderungen , welche der Kafholicismus
in der Gegenwart noch an die Kirchenmusik stellt, sind ein spre-
chendes Abbild dogmatischer Starrheit einerseits und unnatürlichen
Raffinements andrerseits. Jede individuelle Regung ist verpönt;
statt dessen wird der Zuhörer in ein Meer verschwimmender Accorde
versenkt, die wohl im geeigneten Augenblick Andacht und Zer-
knirschung herbeizuführen vermögen; sobald indess der Mensch-
*) Vergl. das erklärende Programm von Wagner.
62 —
wieder in das Leben zurückkehrt, ist der auf Schrauben gestellte
,,Effekt" vollständig verloren und der moralische Mensch um Nichts
gebessert. (Forts, folgt.)
CORRESPONDENZEK.
Aus Mainz.
12. April.
Am Samstag den 7. d. M. fand im Stadttheater die erste Auf-
führung der grossen romantischen Oper „Die Loreley", Dichtung
von Emanuel Geibel, Musik von Max Bruch, statt. Der
rühmlichst bekannte Decorationen- und Maschinenfabrikant Mühl-
dörfer in Coburg hatte vier sehr schöne neue Decorationen ge-
liefert und das ganze Maschinenwesen bei dieser ersten Aufführung
persönlich geleitet. Wir dürfen wohl die Geibel'sche Dichtung als
allgemein bekannt voraussetzen, und können daher sogleich auf die
Art und Weise zu sprechen kommen, in der man das Libretto für
die hiesige Bühne zurecht gestutzt hat, und mit der wir uns durch-
aus nicht einverstanden erklären können, da wohl ein Kürzen ge-
wisser Scenen und Musikstücke räthlich erschienen sein mag, dies
aber gewiss nicht in einer Weise geschehen durfte, die den ganzen
innern Zusammenhang der Handlung zerstört und das Gebaren der
handelnden Personen als unmotivirt, ja unverständlich erscheinen
lässt. So tritt z. B. der Erzbischof bei dem Hochzeitsfeste des
Pfalzgrafen im Festsaale der Barg in dem Augenblicke auf, da
Letzterer, von den Verderben bringenden Beizen Leonorens bezau-
bert, seine Braut verstössf und mit den Bittern zu kämpfen begin-
nen will. Der Erzbischof vermuthet sogleich Zauberei und singt:
Das Unkraut werd' im Keime vernichtet!
Nur rasche That bringt hier .Gewinn.
Die Schuld ist klar, sie sei gerichtet.
Ihr Knechte, greift die Zauberin!
Hier begann nun der Rothstift sein Werk in einer eben so
umfangreichen als unverantwortlichen Weise. Von den angeführten
Worten des Erzbischofs an ist der ganze weitere Verlauf und Schluss
der Scene , Ergreifung der Leonore durch den B.ischof, Chor der
Bitter und Priester (letztere waren gar nicht vorhanden, sondern
Hessen den Erzbischof allein im vollen Ornate auftreten und amti-
ren), ferner die Scene und Arie der Gräfin Bertha in der Kapelle
der Schlosskirche, die Scene zwischen Bertha und dem Minnesänger
Reinald , und endlich die ganze Scene des geistlichen Gerichts in
der Kirche bis dahin gestrichen, wo Leonore singt :
Kennt ihr ein Herz, das Falschheit brach?
Es stürat in Sünde, Fluch und Schmach,
Und willig sterb ich drum.
Ich hab meine Liebe verschworen,
Ich habe mich selbst verloren,
Und Einer weiss, warum.
Worauf der Erzbischof:
Wer will verdammen, üben Huld und Zier
Ihr angebornes Recht der Minne !
Ich finde keine Schuld an ihr, —
«o daas er also sozusagen in einem Athem Leonoren als Zauberin
anklagt und wieder freispricht, ohne dass dem Zuschauer, der zu-
fällig die gestrichenen Scenen nicht nachgelesen hat, dies Räthsel
irgendwie erklärt würde. Eben so unbefriedigend wirkt der Schluss
des ersten Actes , da man den Pfalzgrafen , sowie ihn die seine
Braut begrüssende Leonore als ihren Geliebten erkennt und vernich-
tet in die Arme ihres Vaters sinkt, ganz burschikos :
Wir müssen fort. Auf , lasst die Hörner schallen 1
Zum Schlosse, zum Fest, wo der Reigen beginnt,
rufen und als einen unempfindlichen Bösewicht erscheinen lässti
während ihm doch der Dichter in dem gestrichenen Ensemblesatse
Worte der Reue und Beschämung in den Mund legt:
O unglückselig Wiedersehen !
Ich möcht 1 in Schmerz und Scham vergehen.
Erschüttert hör* ich und verzagt,
Wie mich mein eigen Herz verklagt.
Das Angeführte wird wohl genügen, um den in dieser Richtung
ausgesprochenen Tadel zu rechtfertigen. Man sagt uns zwar, man
habe sich genau nach der Leipziger Einrichtung dieser Oper
gerichtet, allein wenn man wirklich in Leipzig diese barbarische
Verstümmelung des Werkes zuerst sich erlaubt hat, so sehen wir
doch darin keinen Grund , dieselbe auf unserer Bühne zu wieder-
holen, Uebrigens ist man der Theaterverwaltung immerhin -Dank
Behuldig für die Vorführung dieses Werkes eines unserer begab-
testen jüngeren deutschen Tondichter, gegenüber der Thatsache,
das* gerade die vaterländischen Componisten im Allgemeinen viel
sti wenig Beachtung und Aufmunterung von Seite der deutschen
Bühnendirectionen finden.
Für die decorative Ausstattung ist, wie schon erwähnt, Ausser-
ordentliches aufgeboten worden. In Bezug auf Comparserie und
Chor hätten wir gewünscht, dass erstens der Erzbischof von seinen
untergeordneten Standesgenossen nicht ganz im Stiche gelassen
worden wäre, und ferner, dass man den Chor der Wassergeister
nicht gar so ärmlich und ohne alle eharacteristische Ausstaffirung
hatte erscheinen lassen. Und nun zur Musik.
„Es fehlt ihr an Melodie", sagen viele Leute, und schreiben
auch die Theaterrecensenten in den Localblättern. Einer meint so-
gar, die Musik wäre nicht blos nicht melodiös, sondern sie habe
auch keine Melodien ! Ja freilich , an Tschintatera und D i-
deldumdei leidet die Bruch'sche Musik recht bedenklichen Man-
gel , allein an recht warmem Gefühlsausdrucke , an Innigkeit und
Wahrheit, an Originalität der Erfindung, an wirklich edlen und
schönen Melodien, sowie an gewandter und sicherer Behandlung der
Singstimmen und des Orchesters fehlt es dieser Oper wahrlich
nicht. Wir führen beispielsweise nur an: das erste Lied der Leo-
nore und ihr darauf folgendes Duett mit Otto , das „Ave Maria,"
Lied und Chor der Winzerinnen , die Arie der Bertha in der Ka-
pelle, das treffliche Lied des alten Hubert : „Des Tags beim Werk
zur Nacht beim Wein," im Finale des dritten Actes Leonoren*s
Gesang „Siehst du ihn glüh'n im Brautpokal ?" sowie deren Lied
auf dem Fels im letzten Acte: „Ich hab mein Herz verloren" eto*
Der 2. Act, welcher aus dem auch von Mendelssohn componirten
Finale des 1. Acts besteht, enthält der Schönheiten viele und zählt
zu dem Besten, was die Oper enthält. Was man dem Componisten
vorwerfen kann , das ist allenfalls eine zu üppige Instrumentation
und das zu häufige Moduliren , welches mitunter eine gewisse Un-
ruhe mit sich bringt , die wenigstens beim ersten Anhören störend
wirkt. Allein wir sind überzeugt, dass das Publikum nach wieder-
holten Aufführungen, die es vielleicht vorderhand hauptsächlich der
Decorationen wegen besuchen wird, nach und nach auch die Schön-
heiten der Musik herausfinden und dem Componisten noch eben so
gerecht werden wird, wie dem Decorationsmaler. Was die Auffüh-
rung betrifft, so war dieselbe freilich im Ganzen noch ziemlich
schwankend , was bei den Schwierigkeiten , welche dies Werk ent-
hält, wohl zu entschuldigen sein dürfte. Frau Zademak-D oria
eignet sich ihrer Persönlichkeit nach wohl wenig für die Rolle der
Syrene Loreley ; allein in gesanglicher Beziehung leistete sie , ab-
gesehen von dem gar zu häufigen Tremoliren und dem Detoniren
in ihrem ersten Liede , recht Verdienstliches. Herr B o h 1 i g als
. Pfalzgraf Otto sang seine Rolle recht gut, muss aber im Spiel noch
bedeutend mehr Lebendigkeit und Ausdruck entwickeln. Auch die
Herren Grünewald (Reinold) und Bussel (Hubert) leisteten in
ihren untergeordneten Rollen recht Anerkennenswerthes. Frau
Skala-Borzaga sang als Gräfin Bertha wie immer vortrefflich.
Dem Chor hätten wir hier und da etwas reinere Intonation ge-
wünscht und das Orchester löste seine schwierige Aufgabe, kleine
Schnitzer abgerechnet , recht gut. Bei der durchweg sehr reichen
Instrumentation dürfte auch hier und da etwas mehr Discretiott
im Accompagnement zu wünschen sein. Uebrigens war das ganze
Werk von Herrn Kapellmeister Dumont sehr sorgfältig einsttf-
dirt und umsichtig geleitet. Der zweiten Aufführung am Sonntag
den 8. d. M. konnten wir leider nicht beiwohnen, haben aber ver-
nommen, dass dieselbe schon viel sicherer und präciser als die
erste von statten gegangen sei.
Am Montag den 9. d. M. fand im Saale des Frankfurter Hofe
das 3. Sinfonieconcert des Theaterorchesters unter der Leitung des
Herrn Dumont statt. Zur Aufführung kamen folgende Werket
Sinfonie militaire von Jos. Haydn, die Hebriden-Ouvertüre von
Mendelssohn und die erste Suite für grosses Orchester (D-moll)
von Fr. Lachner. Die Haydn'sche Sinfonie wurde sehr präci*
und fein nüancirt gegeben, und fand lebhaften Beifall, in den wir
gerne einstimmten , nur war das Tempo des 2. Satzes , Allegrett*
- «3 -
moderato , (Alla Breve) bu langsam gegriffen , was der Wirkung
dieses reizenden originellen Stückes Eintrag that. Die Hebriden-
Ouvertüre dagegen Hess in Bezog anf Auffassung und Durchführung
nichts bu wünschen übrig, als dass hie und da die Blasinstrumente
reiner gestimmt hätten , ein Missstand , der auch in der Lachner*-
«chen Suite sich mitunter bemerklich machte. Doch constatiren wir
mit Vergnügen, dass auch dieses bedeutende, an Schwierigkeiten wie
an Schönheiten reiche Werk im Ganzen eine äusserst würdige, dem
Orchester und seinem Dirigenten zur hohen Ehre gereichenden
Weise wiedergegeben wurde. Das ziemlich zahlreiche Publikum
folgte der ganzen Aufführung mit gespannter Aufmerksamkeit und
spendete nach jedem Satze lebhaften Beifall, der auch Hrn. Con-
certmeister P 8 p p e r 1 für den schönen Vortrag des Violin - und
Bratschen-Solos in den Variationen reichlich nnd wohlverdient zu
Theil wurde. Es war dies ein genussreicher Abend für die Freunde
guter Musik , und wir wünschen dem Orchester und seinem tüch-
tigen Dirigenten zu den bisherigen Resultaten dieser Concerte von
ganzem Herzen Glück. E * F -
Ans München.
Ostersonntag 186t.
(S chluss.)
Im ersten Abonnementconcert der musikalischen Akademie hör-
ten wir eine Novität, eine Ouvertüre von Scholz, die den Titel
trägt: ,,Im Freien" ; der Componist wohnte der Aufführung bei.
Schon vor einigen Jahren führte uns die musikalische Akademie
eine Concertouvertüre von demselben Tondichter vor, welche ihn
als ein entschiedenes Talent kennzeichnete. Ich glaube nun nicht,
dass die jüngste Novität mit jener Concertouvertüre sich an Reich-
thum und Originalität der Gedanken messen kann ; es kam mir vor,
als ob dem Componisten die Energie der Gestaltungskraft, welche
etwas Grosses macht, ganz fehle: Alles ist recht artig, recht klar
auseinander gesetzt, aber nichts ist anregend, gross, packend, ich
vermisse jenen unwiderstehlichen Zug, der hinreisst und Eindruck
macht. Und wenn ich auch zugestehe , dass das Publikum durch
die vorausgegangene achte Sinfonie von Beethoven einigermassen
unempfänglich gegen kleinere orchestrale Compositionen geworden
war und dass die Ouvertüre nicht mit der Liebe und der Virtuosi-
tät gespielt wurde, wie sie von unserm Orchester verlangt werden
kann , so setze ich doch immer die Hauptursache des schwachen
Erfolgs auf die Composition selbst, der es an eigentlichem Inhalt
fehlt.
Ein Quartett von S ch u b e r t für vier Solostimmen , Text von
de la Motte Fouque, „Du Urquell aller Güte" bewährte wiederholt
den berechtigten Vorwurf, Kchucert wisse nie zu enden. Eine poe-
tische duftige Stimmung ist der Composition nirgends abzusprechen,
aber das säuselt so lange , wiederholt sich so oft und duftet dabei
so süss, dass es schliesslich einem gesunden Manne ganz jämmer-
lich zu Muthe wird.
In der „Elegie* für das Vi olon cell, welche Romberg auf den
Tod seines Freundes geschrieben, und die gerade um drei Sätze zu
lang ist , zeigte Herr Hippolyt Müller seine bekannte grosse
Meisterschaft in Behandlung dieses Instrumentes wieder : das Audi-
ditorium applaudirte mit Recht dem geschmack- und gemüthvollen
Spiele des bescheidenen Künstlers.
Das Frauenduett aus dem ersten Act der „Euryantbe" mit sei-
nem auf- und niedertauchenden Schlangenmotiv wurde von den
Damen Diez und De inet mit möglichstem Erfolge gesungen;
übrigens zeigte es sich, dass eine derartige hochdramatische Nummer
'Verliert und verkümmert, wenn sie von Damen im modernen Spitzen-
kleide, die Noten in den Händen, die in Glacehandschuhen stecken,
im Concertsaal gesungen wird.
Das zweite Concert der musikalischen Akademie wurde mit einer
Suite von Joachim Raff, einer Composition von entschiedenem
Werthe , eröffnet ; sie reiset zwar nicht zur Begeisterung hin , aber
«ie lässt sofort den strengen Meister der Form wie das edle, poe-
tisch schaffende Gemüth des Componisten erkennen. Den reichsten
Beifall gewannen der 1. (Introduction und Fuge) nnd der 8. Satz
(Adagietto). Die Suite gehört jedenfalls den hervorragenderen Wer-
ken der Neuzeit an« Daran reihte sich Men d eis son n*s süse>
liehe Orgelsonate Nr. 1, F-moII, ein mehr auf die grosse Menge be-
rechnetes und bei ihr wirkendes Musikstück, das Herr Rheinber-
ge r ungemein sauber und stimmungsvoll spielte. — Grossen Beifall
gewann auch der von Fr. L i s z t mit grosser Umsicht instrumentirte
Trauesmarsch von Sehubert, an den sich als würdiger Schluss
die Festouvertüre „Weihe des Hauses Op. 124, D-dur, von Beet-
hoven in wahrhaft tadelloser Weise schloss. Dieses Concert hatte
keine einzige Gesangnummer in sein Programm aufgenommen.
Da sich der beabsichtigten Aufführung des Oratoriums „Israel
in Aegypten" unüberwindliche Hindernisse (z. B. hatte die Orgel
Pariser Stimmung und die Instrumente nicht, dann war der Chor
durch Kirchendienste allseitigst in Anspruch genommen) entgegen*
gestellt hatten, hörten wir am Palmsonntag Mozart's „Jupiter*
Sinfonie." Wer die Regeln des polyphonen Satzes in ihrem gross»
ten Glänze, wer das Geheimniss eines musikalischen, grossartig wir»
kenden Organismus erlernen, wer dem süssen Räthsel eines wirk>
lieh sphärenhaften Wohlklanges nachsinnen will , der studiere den
letzten Satz dieses was Klangwirkung und künstlerischen Bau be-
trifft unerreichten, ja unerreichbaren Orchesterwerkes. Das Tempo
im ersten Satz war bei dieser Aufführung zu rasch genommen undi
im zweiten Satz machte sich wiederholt Unsicherheit bemerklich ;
nur der vierte Satz ging brillant.
Um dem Character der Zeit Rechnung zu tragen, wurden Bruch*
stücke aus dem Rossini'schen „Stabat Mater" vorgeführt. Wenn
wir Deutsche in diesen Arien und Cadenzen, die uns viel zu seht
an die Bühne und ihre Effecte erinnern , auch keinerlei kirchlich«
Stimmung herausfinden, da wir düstre, finstere Musik brauchen, um
unsre Andacht auszusprechen, so können wir mit dem heiteren Ita-
liener nicht rechten , dass er schon bei solchen Melodien andächtig
sein kann : sein Gotteshaus , seine Erde , sein Himmel, Alles ist bei
ihm heller, fröhlicher, farbiger als bei uns, warum nicht auch sein«
Andacht? Zudem verleugnet Rossini auch in dieser Composition
seine Genialität nirgends, und alle Augenblicke zeigt eine feine
Wendung, eine kunstvolle Ausweichung, ein überraschender Instru-
mentaleffect den bewährten Maestro. Der Hanptreiz dieser Com-
position liegt in der wunderbaren Klangwirkung, und wir bedauer-
ten es desshalb doppelt, dass die bekannte As-dur-Arie nach (J
transponirt wurde , um sie unserm Tenoristen Vogel mundgerecht
zn machen.
Wie ein schlanker gothischer Altar trat uns die Passacaglia in
C-moll von S. B a ch, instrumentirt von Esser, entgegen. Dieselbe
einfache und entschiedene Melodie mit ihren acht Takten bildet den
Inhalt der Composition; bald tritt sie in den Bässen, bald in den
Rohrinstrumenten, bald offen, bald figurirt in anmuthiger Abwechs*
lung, immer ernst-milde , echt deutsch auf. Die virtuos gespielte
Ouvertüre zu „Euryanthe* bildete den Schluss des in der Eile ein-
geübten Concertes. Z.
Aus Regensbiirg.
Eftde Min
Ist hier Ostern angekommen, so ist damit aueh die eigentliche
Cöncert-Zeit beschlossen ; was noch nachkommt, hat keine rechte
Zugkraft mehr: der Frühling lockt in*s Freie, man ist froh, die
dumpfe Stubenluft wieder einmal in recht langen Zügen draussen
in der aufgrünenden Natur ausathmen zu können. Das spürt am
empfindlichsten die Theaterdirection, Ich gönne derselben und der
Gesellschaft das Prosperiren des unendlich kostspieligen Unterneh-
mens in den eigentlichen Wintermonaten um so aufrichtiger und
um so lieber, als ich aus verschiedenen Tbatsachen vermuthen zu
dürfen glaube, dass trotz allen gegentheiligen Behauptungen von
enormen Vortheilen — auch selbst in guter Zeit der pekuniäre
Gewinn kein grosser sein dürfte. Anderswo, wie z. B. in dem doch
viel grösseren und reicheren Augsburg, schliesst man deshalb schon
um Ostern in Anbetracht der Verhältnisse ; und es wäre dies viel-
leicht auch für unsere Stadt mit 26000 Einwohnern, deren bei wei-
tem allergeringster Theil Zeit, Lust und Geld für das Theater hat,
zweckmässig. Aber wohin verirre ich mich ? was unterfange ich
mich? Gegenwärtig, wo ein neues, merkwürdig entstandenes und
noch merkwürdiger zusammengesetztes Theatercomite tagt (ich hätte
64
T»ald gesagt im Dunkeln wirkt) solch ein Wort zu sagen! Nun, ei
wird ja einem ehrlichen Deutschen erlaubt sein, wenigstens noch zu
reden; dass er nichts thun darf, das ist nicht unbekannt. So warte
ich denn demüthig der grossen Dinge, welche da kommen werden!
Meine Spannung ist aber auch gerechtfertigt. Bereits ist eine That
dieses finstern Schaffens laut geworden ; der Fürst von Thurn und
Taxis, der Wohlthäter Regensburg's und Kunstmäzen, ohne den die
Stadt zur vollen Austrägal-Colonie herabsinken würde, hat seinen
jährlichen Zuschuss zum Theater mit mehreren Tausend Gulden zu-
rückgezogen; man brauche das Geld nicht, man sei dann um so
9> freier" brüstete man sich. Sehen die noch nachfolgenden Thaten
dieser ersten gleich, so dürfen die also von Wenigen gemassregelten
Bewohner eine Dankadresse an die treibenden Personen K. P. R.
(so unterschrieben sie sich in einem die allgemeine Indignation er-
regenden Schmähartikel gegen den verdienten und seit 9 Jahren
hier thätigen Theaterdirector Wihrler in der Leipziger Theaterzei-
tung) votiren. Was aber auch geschehe, und sollte, wie gewiss nur
schlecht Unterrichtete sagen, selbst die Oper cassirt werden (mit den
nicht einmal sichern 3000 fl. des Magistrats nnd erhöhten Preisen
allein wird eine so gute Oper, wie wir sie fast seit 9 Jahren hatten*
freilich eine harte Nuss sein, das Schauspiel etc. natürlich dazu ge-
rechnet) , so geschieht es Regensburg Recht ; warum lässt es sich
von einer leidenschaftlichen, noch dazu sehr geringen Minorität be-
herrschen ?
Nach dieser von der Liebe zur Kunst dictirten Excursion über
die leichtfertig herauf beschworne Tbeaterfrage zu dem Concertwesen.
Auch über diesen Gegenstand habe ich nichts Erquickliches zu
melden! Eine klassische Soiree von Beer, der stets bemüht ist»
Gutes vorzuführen, aber leider dabei fast ganz vereinzelt steht, und
was noch niederdrückender für einen strebsamen Künstler ist, ziem-
lich ununterstützt bleibt ; ferner eine recht gelungene Production
des neu entstandenen , ebenso freudig begrüssten , als unfreundlich
angefochtenen „Oratorien- Vereins", — das Weihnachts - Concert des
Orchestervereins, der aber auf seiner früheren Höhe sich nicht mehr
zu halten wusste, — die Musikvereins-Concerte , die sehr viel Geld
kosten und wenig Kunstgenuss gewähren (die Carnevals-Production
nicht zu vergessen) ; ein Concert des Violincello-Spielers B e n n a t
von München, in welchem die gesanglichen Leistungen der Frau
Dr. Stör, das Mendelssohn'sche Trio durch Hrn. Ditrich, Beno
Walter und Ben na t der Glanzpunkt waren ; ein Militärconcert,
ssu welchem das Offiziercorps den Adel, Clerus u. s. w. geladen
hatte; endlich eine Aufführung des von Jos. Hanisch tüchtig ge-
leiteten S chneid er'schen Oratoriums „Absalon", das nach den
Hindernissen und Intriguen , die ihm entgegen gestellt wurden , zu
jschliessen , auch keine vielen Nachfolger haben dürfte , — das ist
Alles, was in dieser Richtung zu erwähnen ist. Es ist wenig, und
dass selbst dies Wenige nicht erfreulich genug ist, muss den Kunst-
freund, vor dessen Auge Regensburg's glänzende musikalische Ver-
gangenheit steht, mit unendlichem Schmerz erfüllen, um so mehr,
als gegenwärtig keine Aussicht ist , die Sache zu bessern , da jetzt,
statt mit ruhigen Erörterungen, in leidensshaftlicher , rein persön-
licher, gehässiger, grober Weise (vergleiche die jüngste Zeitungs-
polemik hier) debattirt wird ; als Beleg für die beliebte Kampfweise
nur dies : Ein mir ganz unbekannter Referent , welcher es getadelt
hatte, dass in der ganzen Saison , ja seit Weihnachten 1864 , keine
.Sinfonie mehr aufgeführt worden sei, wird in einem jüngst erschie-
nenen Artikel angewiesen, sich eine halbe Stunde südwärts von Re-
gensburg einen Sinfonie-Verein zu gründen, dort liegt aber die —
Irren-Anstalt ! Wir sind weit gekommen in der Kunst ! —
Aus Paris.
8. April..
Das wichtigste musikalische Ereigniss der soeben verflossenen
Woche ist die Aufführung des „Don Juan" in der grossen Oper.
Diese Aufführung ist im Ganzen eine gelungene. Faure singt die
Titelrolle ganz vortrefflich. Sein Spiel freilich lässt manches zu
wünschen übrig. Es fehlt diesem an dem Feuer der Leidenschaft,
ohne welches man sich nicht gut einen Don Juan vorstellen kann.
O b i n zeigt als Leporello nicht die leichte Beweglichkeit und die
Verschmitztheit, die das Wesen seines Charakters bilden. Naudin
singt den Don Oetavio so so. M a r i e S a x ist in der Rolle der
Donna Anna vortrefflich und Marie Battu als Zerline ganz leid«
lieh. Wie gesagt, die Vorstellung, ohne gerade vollkommen zu sein*
ist doch sehr anerkennenswerth. Die Inscenesetzung ist äusserst
glänzend. Leider werden am Ende dieses Monats die Vorstellungen
des genannten Meisterwerks unterbrochen werden , da Faure und
Naudin dann nach London gehen und erst im August wieder zu-
rück kehren.
Perrin ist bereits von der Direction der grossen Oper zurück-
getreten. Sein Nachfolger ist Nestor Roqueplan. Der scheidende
Director lässt, wie es heisst, ein bedeutendes Deficit zurück, das
bei den Ungeheuern Einnahmen , welche die hundert Vorstellungen
der Afrikanerin erzielt haben , und bei der jährlichen Subvention
von achttnalhunderttausend Franken gerechte Verwunderung erregt*
Im Theatre lyrique wird „Don Juan" bald in Scene gehen
und nach allem, was man hört, scheut die Direction keine Kosten,
um die Aufführung in jeder Beziehung so glänzend wie möglich zu
machen. Madame Charton-Demeur ist eigens für die Rolle
der Donna Anna engagirt worden.
F 1 o t o w ist vorgestern hier eingetroffen. Er wird die letzten
Proben seiner komischen Oper Z i 1 d a leiten , die gegen Ende d.
M. zur Darstellung gelangen soll.
Nachrichten.
CÖlü. Am Palmsonntag fand das 10. Gesellschaftsconcert im
Gürzenich unter Ferd. Hiller*s Leitung statt und es wurde dem
die weiten Räume des Saale bis in alle Winkel füllenden Publikum
eine Aufführung der „Matthäus-Passion" von Seb. Bach geboten,
die in ihrer allseitigen Vollendung jedem Zuhörer einen unaus-
löschlichen Eindruck zurücklassen musste. Solisten, Chor, Orchester
und Organist wirkten unter Hiller's meisterhafter Führung in einer
Weise zusammen, die das erhabene Werk nach jeder Richtung hin
zur vollsten Geltung brachte. Die Solisten waren : Frl. Emilie
Wagner, Concertsängerin aus Garlsruhe (Sopran) ; Frl. Franciska
S ch r e ck aus Bonn (Alt) ; Hr. Dr. G u n z aus Hannover (Tenor);
Herr Carl Hill aus Frankfurt a. M. und Herr Michael Du Mont
aus Cöln (Bass). Nicht nur die beiden Damen sangen mit richtigem
Verständnis, einfach-edlem Vortrage und tadelloser Sicherheit ihre
schwierigen Partien, sondern auch die Herren Gunz und Hill wett-
eiferten um den Preis der vollendeten Meisterschaft in einer Weise,
die keine andere Wahl übrig lässt , als beide zugleich auf den
Schild zu erheben, während Herr Du Mont, ein talent- und stimm-
begabter Dilettant, die kleineren Basssoli in lobenswerthester Weise
zur Geltung.
*,* Von Bach's „Mathäuspassion" ist ein vierhändiger Ciavier-
auszug von Aug. Hörn mit Beifügung der Textworte bei Barthold
S e n f f in Leipzig erschienen.
*** Frl. Stehle, vom Hoftheater in München, gastirt gegen-
wärtig am k. k. Opern theater in Wien.
*** Am 19., 20. und 21. August wird in Kempten das zweite
Sängerfest des sebwäbisch-baierischen Sängerbundes stattfinden.
*** Die Bach' sehe „Matthäuspassion" kam in der Charwoche
auch in Aachen unter Leitung des städtischen Musikdirectors
F. Breunung und unter Mitwirkung der Damen Frl. Emilie
Wagner aus Carlsruhe und Fr. Potthof f-Diehl, sowie der Hrn.
L. Schneider aus Rotterdam und C. Hill aus Frankfurt mit
glänzendem Erfolg zut Aufführung.
V In Halle kam am 19. v. M. eine neue dreiactige Oper:
„Die Bettlerin" von H.iJ. Vincent zur Aufführung und fand sehr
freundliche Aufnahme. Der Componist, welcher zugleich die Tenor-
parthie in der Oper vertrat, wurde am Schlüsse der Oper gerufen
und vom Orchester durch einen Tusch geehrt
*** Der Organist Enkhausen In Hannover erhielt hei
Gelegenheit seines 50jährigen Dienstjubiläums vom Könige die gol-
dene Verdienstmedaille.
%* Am 16. d. beginnt in Paris die Versteigerung der reich*
haltigen und viele seltene Werke enthaltenden musikalischen Bib-
liothek des verstorbenen Professors und Musikverlegers Farrene.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz»
15. Jahrgang.
jf* M9.
23. April 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
£:
-v-f
*
*
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
Verlag
*
TOS
4
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schutt. London bei Schott & Co.
PBBIS:
I fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. perQuartal.
^-4
INHALT: Beethoveo's Misset solemnis. — Literatur. — Correspondenz: Mainz, Stuttgart. — Nachrichten.
Beethoven's Miss» solemnis.
Aufgeführt durch den Bied ersehen Verein in l»eipzig
am 2. März 1866.
(Schluss.)
Kommen wir nun, nach Bezeichnung des Standpunktes der
Beethoven'schen Messe, den man als den ächten und wahren „Ka~
tholicismus" hinstellen könnte, zum musikalischen Theile, so cha-
racterisirt sich derselbe.im Gegensatz zu den hierhergehörigea Werken
anderer Meister, einmal durch eine flammende, durch Nichts einge-
engte, förmlich rücksichtslose Begeisterung, die alle äusseren Schran-
ken überspringt, da sie sich gewissermassen ihrem hohen Stoffe
ebenbürtig fühlt. Sie wurzelt eben in jenem die ganze Welt und
Menschheit umspannenden, sich als Qlied und Vertreter derselben
fühlenden Bewusstsein , in welchem alle confessionellen Gegensätze
aufgehoben sind. Deshalb ist es auch eine Begeisterung, welche
nicht zerknirscht, kleinmüthig und in ascetischer Selbstverleugnung
der Gottheit gegenüber steht, sondern freudig und in zuversicht-
licher Erhebung, und dabei doch voll andächtiger Schauer und an-
betender Niedergeworfenheit , im Gefühl irdischer Unzulänglichkeit
und voll tiefster Sehnsucht nach Welterlösung. Vermöge jenes
universal und in Folge dessen zugleich typisch aufgefassten Cha-
racters des Empfindungsgehaltes der Messe sondern sich die ein-
zelnen Stimmungsgegensätze auch schärfer von einander ab. Hier-
durch ist nun zugleich die Form der Beethoven'schen Messe bedingt.
Indem die durch den Text gebotenen verschiedenen Stimmungen
einander etwas schroff und scharf contrastirend gegenüber treten,
gewinnt die Messe für den oberflächlichen Beobachter leicht ein
zerrissenes, zerklüftetes Aussehen. Nehmen wir sogleich als Bei-
spiel das Gloria, wo sich diese Bemerkung in bald höherem, ,bald
geringerem Grade aufdrängt. Während andere Tonsetzer die darin
enthaltenen Gegensätze, wie: Gloria in excelsis deo — pax ho-
minibus — glorificamus te — gratias agitnus tibi — miserere nobis
u. s. w. mehr als vorübergehende Momente theils nicht besonders
berücksichtigten, theils nur leicht und obenhin behandelten, gestal-
tet Beethoven aus ihnen — sei es durch Anwendung äusserlicher
Contraste oder eines verschiedenen Bhytmus, Taktes oder verschie-
dener Melodik — mehr oder weniger musikalisch selbstständige
Sätze, wenn dieselben zusammen auch einen unzertrennlichen Or-
ganismus bilden. *)
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, bei dieser Gelegenheit die
ganze Messe nun zu analysiren. Dies würde Aufgabe einer voll-
ständigen Abhandlung sein müssen. Nur auf Einzelnes sei uns ver-
stattet aufmerksam zu machen.
*) Neben der Grundverschiedenheit der Beethoven'schen Auffassung
von der katholischen ist freilich zu bemerken , dass sich manche
Beminiscenzen an den katholischen Kitas vorfinden, namentlich einige
psalmodirende Stellen, doch sind das eben nur Aeusserlichkeiten
ohne Belang und ohne Einfluss auf die Auffassung selbst.
Die Sätze, welche in der Regel sofort auf empfänglichen Bo-
den fallen und eine unmittelbare Wirkung üben, sind das Kyrie
und Benedictes, beide die musikalisch-formell und dem ausserlicben
Eindrucke nach abgerundetsten und einheitlichsten Sätze. Ersteres
zerfällt in zwei Theile, in das eigentliche Kyrie und das Christe,
beide von einander charactnristisch gesondert. Im Kyrie wendet
sich der Mensch an die allmächtige, hoch über allem Irdischen
thronende Gottheit ; daher das Vorwalten der demüthigen, ehrfurcht-
voll in den Staub sinkenden Stimmung. Das Christe richtet sich
an den versöhnenden Mittler; hier wird das Gebet dringlicher, be-
redter, kindlich aufwallender. Das Kyrie wird hierauf wiederholt,
erhebt sich ein paar Mal zu noch stärkerem Ausdruck als im An-
fang, sinkt aber sodann wieder in die ergebungsvolle Stimmung
zurück, die endlich unter der Macht der Andachtschauer in einem
flehenden Lallen «ausklingt.
Wir bemerkten bereits oben Einiges über das Gloria bezüg-
lich seiner Form. Die Hauptsache ist, dass man den Stimmungs-
kern festhält. Wir übergehen die einzelnen Zwischensätze und ver-
folgen desto genauer das Erstere. Wenn schon der Anfang dieses
Satzes ein erschöpfender Ausdruck der Gloria - Stimmung zu sein
scheint, so hat es Beethoven doch verstanden, in der letzten Hälfte
eine den Anfang noch weit überbietende Steigerung herzubringen.
Die Homophonie genügt ihm nicht; nachdem er die Worte in gloria
dei patris auf diese Weise dargestellt hat, greift er zur Fuge. Man
sieht, dass Beethoven sich dieser Form nicht als einer Schablone
bediente ; dieselbe hat hier vielmehr ihre volle innere Berechtigung.
Das nach einem erschöpfenden Ausdruck ringende Gemüth sammelt
sich hier noch einmal, nimmt einen neuen Anlauf, um dann sein
Vollgefühl in ganzer Breite ausströmen zu lassen. Doch noch nicht
genug. Nach Beendigung der Fuge gestaltet sich die thematische
Arbeit immer mannigfaltiger, complicirter und dramatisch lebendi-
ger, immer mehr Stimmen mischen sich in das Halleluja. Endlich
auf dem Höhepunkte ergreifen Stimmen und Instrumente, eines nach
dem andern wieder das Anfangsmotiv , aber in rascherer , freudig
aufgeregterer Bewegung und rufen es in überschwenglichem Jnbel
einander zu , so dass das ganze Weltall von dem Freudenbymnus
wiederzuhallen scheint. Der Satz bricht kurz ab im Momente der
höchsten Begeisterung; — jede Steigerung ist unmöglich. Im Aus-
druck unbegrenzter Freude überbietet dieser Satz selbst die neunte
Sinfonie.
Die Auffassung des Credo unterscheidet sich von der üblichen
durch die zuversichtlich „pochende" Gewissheit des Glaubens. Von
Einzelnheiten heben wir besonders hervor das eigenthümlich malende
Ante omnia saecula, das in glaubensfesten Schritten einherschrei-
tende consubstantialem , das erst leis schwebende , dann plötzlich
in voller göttlicher Glorie anftretende descendit; ferner das alter«
thümlich gehaltene et incarnatus est, daB schmerzvolle crucifixus
und passus , das einschlummernde et sepultus est. Heroldmässig
und in sieghaftem Aufschwung erscheint das resurrexit und af*
cendit t markdurchbebend wirkt das judicare-, die Fuge endlich zu
den Worten et vitam vtnturi saeculi, der Schluss- und Eckstein
66 —
dea Glaubensbekenntnisses, gibt dem Ganzen einen grossartigen
Abschluss. Aus dem 4. Satz machen wir das schon erwähnte Be-
nedictes mit Vorspiel namhaft. Das Letztere schildert den auf der
Menschheit lastenden dumpfen Druck vor der Ankunft des Erlösers.
Mit einem Male scheint sich der Himmel in der Höhe zu öffnen,
ein Violinsolo, von zwei Flöten getragen, versinnlicht die Verkün-
digung der heiligen Botschaft. Der ganze nun folgende Satz ist
neben seinem majestätisch feierlichen Charakter (Posaunen) von un-
gemeiner Lieblichkeit, ein wahres Bild des „Friedensfürsten."
In der ersten Hälfte des letzten Satzes kommt die Sehnsucht
nach innerem Frieden , ein „Weltschmerz" in des Wortes edelster
Bedeutung, zu wirkungsvollem Ausdruck. Von wunderbar ergrei-
fendem Eindruck ist die stete Wiederholung eines melodischen Mo-
tives mit dem kleinen Nonenaccord , welches den ewig sich neuge-
bärenden Sündenschmerz in eindringlichen Zügen schildert. Plötzlich
fällt in das von Wehmuth erfüllte Herz ein freundlicher Lichtstrahl
(Blasinstrumente) und in mild versöhnender Weise beginnt das dona
nobis pacem in einer überaus lieblichen Melodie, die nach und nach
von allen vier Stimmen aufgenommen wird und dann in einen vier-
taktigen, sich im weitern Verlauf immer refrainartig wiederholenden
Gesammtruf ausmündet. Da plötzlich erschallt die Kriegsdrommete ;
einzelne Stimmen stossen angstvolle Wehrufe aus, in welche hinein
der Chor einen lauten Aufschrei ertönen lässt. Die drohende Wolke
der Gefahr lichtet sich jedoch; der Chor lenkt allmählich wieder
in die erste heitere , glückselige Stimmung ein. Doch nur für den
Augenblick war die Gefahr verschwunden ; sie kehrt zum zweiten
Mal wieder. Ein plötzlich einfallender Instrumentalsatz malt die
Unruhe und ängstliche Verwirrung , wie sie den Schrecken des
Krieges vorgeht , bis diese mit einem Male selbst hereinbrechen,
begleitet von einem Angstrufe des Chores. Da zum letzten Male
zertheilen sich die Nebel, und die friedlich heitere, harmonisch be-
friedigte Stimmung gewinnt bis zum Schluss die Oberhand.
Der Schluss der Messe ist bekanntlich am meisten angefochten
worden wegen Einführung einer Kriegsscene in eine Kirchenmusik.
Indess lässt sich dies durch den allgemeinen Standpunkt der Messe
wohl rechtfertigen ; sodann hat die Bitte um äusseren Frieden min-
m
destens dieselbe Berechtigung wie die Bitte „Gib uns unser täglich
Brod" im Vaterunser; ob nun speciell der Krieg blosse Vorstellung
und unausgesprochen bleibt, oder ob ihn der Componist wirklich
zur sinnlichen Darstellung bringt, dies dürfte schliesslich doch auf
eins hinauslaufen.
Gehen wir nun endlich zur Besprechung der Aufführung selbst
über, so können wir derselben wohl kein grösseres Lob ertheilen,
als indem wir sagen : sie entsprach der Bedeutung des Werkes.
Erwägt man die Ungeheuern Schwierigkeiten, die in solchem Grade
fast kein anderes Werk bietet, so muss man erstaunen, dass eine
solche Volleudung in der Wiedergabe überhaupt zu erreichen war.
Der Ried ersehe Verein, an dessen Spitze ein intelligenter, ver-
ständnissvoller, feinfühliger, aber auch für die Kunst aufopferungs-
fähiger Dirigent steht, hat es indess von jeher als seine Aufgabe
betrachtet, die grossen Werke der Meister, die bisher eben wegen
ihrer Schwierigkeiten ein ungehobener oder wenigstens noch nicht
hinlänglich ausgebeuteter Schatz waren, dem musikalischen Publi-
kum zu vermitteln. Von welcher Bedeutung und wie folgenreich
seine Leistungen sind, beweist sein längst über Leipzig hinaus ver-
breiteter Ruf. Mit der diesmaligen Aufführung des Werkes — der
vierten durch den Rie'del'sehen Verein — hat sich derselbe alle
wahrhaft gebildeten Musiker zu grossem Danke verpflichtet. Die
Chöre waren vortrefflich einstudirt und kamen in bewunderungs-
würdiger Sicherheit, Correctheit, und in gleichmässiger Nüancirung
zu Gehör. An einigen Detonationen des Soprans in der Höhe kön-
nen Billigdenkende keinen besonderen Anstoss nehmen. Das Solo-
quartott fand eine ausgezeichnete Vertretung in den Damen Jauner-
Krall und K r e b s-M i ch a 1 e s i aus Dresden, und in den Herren
J. Schild von Leipzig und S ch u I z e aus Hamburg und bot
abgesehen von anderen künstlerischen Erfordernissen , ein vortreff-
liches Ensemble schon in rein klanglicher Beziehung. Die Stimme
der Fr. J a u n e r-K r a 1 1 hat einen glänzenden Timbre, ohne jedoch
wohllautender Fülle zu entbehren , während der Ton der Frau
Krebs- Mi chalesi mehr sonore Stärke und grosses Volumen
zeigt. Das Eigenthümliche bei Hrn. Schild ist sympathische
Weichheit und Schmelz. Herrn Schulze's Organ endlich charak-
terisirt sich durch einen gewissen machtvollen Adel , ganz seinem
künstlerisch-weihevollen Vortrag entsprechend.
Die Orchesterbegleitung wurde vom Gewandhaus-Orchester in
einer seines Rufes würdigen Weise ausgeführt. Concertmeister
David trug das Violinsolo im Benedictes mit Zartheit, Innigkeit
und Adel in Ton und Auffassung vor. — Das zahlreich anwesende
Publikum , unter dem sich auch viele auswärtige Künstler und
Kunstfreunde befanden, folgte — ganz gegen seine Gewohnheit —
bis zum Schlüsse dem Werke mit ungetheilter Aufmerksamkeit.
Die Aufführung wird von der Leipziger Kritik als die gross-
artigste und gelungenste musikalische Production der verflossenen
Saison bezeichnet.
Wir können schliesslich nur noch den Wunsch einer baldigen
Wiederholung des Werkes aussprechen, um sowohl den Musik-
freunden einen seltener gebotenen Genuss zu verschaffen, als auch
den Tonschöpfer dem grösseren Publikum gegenüber in seine Rechte
einzusetzen, welche ihm Engherzigkeit und Beschränktheit in künst-
lerischen und andern massgebenden Kreisen so lange vorenthalten
haben.
Literatur.
Essai historique sur la musique et les musiciens
dans les Pays-bas par E. Gregoir. A la Haye chez
Belinfente. 1861. 8.
Vorliegendes Werk zerfällt in 12 Abschnitte. Der erste ent-
hält biographische Notizen über niederländische Künstler, welche
seit den letzten 30 Jahren in der Kultur der Musik und ihrer Hilfs-
mittel sich einen Namen gemacht haben. Unter den Compositeuren
und Virtuosen dieser Periode glänzen besonders: Batta, Ganz,
Verhülst und Kotta. Der zweite Abschnitt liefert einige Aufschlüsse
über die Wirksamkeit der Gesellschaft, welche im Jahre 1829 von
Vermeulen zu Rotterdam zur Hebung der Musik in all ihren For-
men gegründet wurde. Im dritten Abschuitte wird ein Verzeichnis«
gegeben vou den correspondirenden und Ehrenmitgliedern der ge-
nannten Gesellschaft; und im vierten Abschnitte ein Verzeichniss
der Corapositionen , die von der erwähnten Gesellschaft zur Preis-
bewerbung ausgeschrieben wurden. Der fünfte Abschnitt zählt die
musikalischen Feste und die Preis-Productionen für Gesang und
Orchester auf. Im sechsten Abschnitte finden sich treffliche Bemer-
kungen über den Volksgesang. Es wird hier, was sonst von Aus-
ländern selten geschieht, dem deutschen Volke bezüglich seiner
musikalischen Leistungen ein Lob gesprochen. Im siebenten Ab-
schnitte wird die Geschichte der Oper überhaupt in allgemeinen
und kurzen Zügen vorgeführt. Von niederländischen Meistern ist
in diesem Betreffe wenig zu berichten. Desto mehr leisteten und
leisten dieselben für die Militärmusik, von welcher der achte Ab-
schnitt handelt. Hierin zeichnen sich namentlich aus der Holländer
Adolph Saxe, welcher mehrere Instrumente für Militärmusik theils
erfunden, theils verbessert und der Musikmeister Dunkler zu Haag,
welcher mit seiner Militärkapelle einen europäischen Ruf sich er-
worben hat.
Im neunten Abschnitte sind einige Gedichte in holländischer
Sprache verzeichnet, welche in Musik gesetzt wurden. Im zehnten
Abschnitte redet der Verfasser von den Vorzügen, welche die Orgel
vor anderen Musikinstrumenten hat; zählt dann die vorzüglichsten
Orgeln in den Niederlanden auf und verzeichnet die in verschiede-
nen Städten desselben Landes aufgeführten Orgelconcerte mit An-
gabe des betr. Programmes und des Concertgebers. Der eilfte Ab-
schnitt bringt das Namensverzeichniss der Musikvereine in Holland
mit Beifügung des Namens des jeweiligen Vorstandes und Directors
jedes einzelnen Vereins , und der zwölfte Abschnitt schliesst mit
einigen Ergänzungen zu deu biographischen Notizen des ersten
Abschnittes. Dr. M.
^i «» <
- 67 -
CORRESPONDENZEN.
Aus Mainz*
18. April.
Unser Publikum ist in grosser Aufregung durch das Gastspiel
des Baritonisten Betz von der k. Oper in Berlin, der, ein ge-
borener Mainzer, schon im Voraus das allgemeine Interesse für sich
in Anspruch nahm, und auch die Erwartungen, welche durch den
ihm vorausgegangenen Ruf ziemlich hoch gespannt waren, nicht
nur erfüllte , sondern wohl auch noch übertraf. Sein erstes Auftre-
ten als Graf Luna im „Troubadur" gestaltete sich zu einem wahren
Triumphe für den trefflichen Sänger, der mit einer herrlichen, me-
tallreichen und äusserst sympathischen Stimme auch einen hohen
Grad gesanglicher Ausbildung, richtiges Verständniss , klaren deut-
lichen Vortrag und ein gewandtes, nobles Spiel verbindet. Vorzüg-
lich ist die Deutlichkeit seiner Aussprache zu loben, wogegen ihm
ein sorgfältigeres Portamento, eine glattere Verbindung der Töne
zu wünschen wäre , indem Herr Betz sich durch das Bestreben,
recht deutlich auseinander zu setzen , mitunter zu einem förmlichen
Zerstückeln der Phrase, ja manchmal sogar des einzelnen Wortes
hinreissen lässt. Doch ist der Totaleindrack seiner Leistung ein
durchaus günstiger, und Herr Betz kann mit der Aufnahme, die er
in seiner Vaterstadt gefunden, auch seinerseits wohl zufrieden sein.
Als eine durchweg gebildete Sängerin mit klarer, angenehmer Stimme,
vorzüglicher Aussprache und verständigem Spiel bewährte sich Frl.
Müller aus Zürich als Leonore, welche schon in der letzten Wie-
derholung der Bruch'schen „Loreley" statt Frau Skalla-Borzaga die
Bolle der „Bertha" sang und gleich die allgemeine Sympathie für
«ich gewann. Der ebenfalls gastirende Tenorist Hr. Hallermayer
besitzt eine hübsche Stimme , jedoch wenig Schule. Uebrigens
schien seine Leistung durch einige Befangenheit beeinträchtigt zu
sein und kann ein entscheidendes Urtheil erst nach weiterem Auf-
treten desselben erfolgen. E. F.
Aus Stuttgart.
S. April..
Aus den Programmen der beiden jüngst stattgehabten Kammer*
tnusiksoireen erwähnen wir ein Trio von H a y d n in G und das
-erste von Beethoven in Es-dur (Piano beide Mal Hr. Speidel),
die Wiederholung der Beethoven'schen Trio-Serenade (die Herren
Singer, Bonewitz und Goltermann), woran sich abermals
•ein Stück in D, nämlich Hummels Septuor (Hr. Pruckner Piano)
schloss, endlich Aberts interessant gearbeitetes, bedeutende In-
tentionen aussprechendes Streichquartett in A-dur. Das 8. Abonne-
ments-Concert brachte G o 1 d m a r k's Ouvertüre zu „Sakontala," die
nur einen getheilten Erfolg hatte , Beethoveu's Clavierconcert in
Es-dur , von Frl. Mehlig mit glänzender Wirkung vorgeführt,
Introduction und Brautchor aus „Lohengrin", auf Verlangen wieder-
holt, und die Musik zum ,;Sommernachtstraum." Im 9. Abonne-
ments-Concert wurde die hier oft und gern gehörte , .Schöpfung"
gegeben , diesmal mit Frl. H e n t z von Mannheim als ,, Gabriel,"
die ihre Aufgabe mit günstigstem Success durchführte. Der Verein
für classische Kirchenmusik hatte As t o r g a's Stabat mater und
einen Theil der Bach 'sehen „Johannespassiou" am Charfreitag in
der Stiftskirche zu Gehör gebracht. Einige andere Aufführungen
von untergeordneter oder nur lokaler Bedeutung übergehend, wen-
den wir uns noch zu den beiden Prüf u ngs-Concerten des Co n-
servatoriums, welche am 9. und 10. April in der Liederhalle
stattfanden, und wozu sich das hiesige kunstliebende Publikum fast
▼ollständig eingefunden hatte. In den Programmen waren vertre-
ten Ciavier (Concertsätze von Bach , Mozart , Hummel , Beethoven,
Moscheies und Schumann, Sonatensätze von Mozart und Beethoven,
Impromptu's von Schubert und Chopin), Violine (Concertstücke von
Mayseder und Beriot) und Gesang (Arien von Mozart , Ballade
-„Schön Rothtraut" von Scherzer, Chor aus „Maccabäus" von Händel
und zwei von Schülern gearbeitete mehrstimmige Compositionen,
•welche nebst zwei vorgeführten Triosätzen zugleich von den pro-
duktiven Resultaten dieser Schule Probe ablegten. Unter den Hei-
mathsorten waren auf dem Programm nicht nur Namen aus Wür-
temberg und seinen Nachbarländern Bayern, Baden, Hessen und der
Schweiz zu lesen, sondern auch aus Mähren und Chili, sowie mehr-
fach London, das überhaupt jährlich kein unbedeutendes Contingent
von Schülern liefert. Auch aus andern Ländern ist die Frequenz
zahlreich und noch stets in erfreulichem Zuwachs begriffen. Oh-
schon diese Prüfungsconcerte heuer wegen verschiedener Rücksich-
ten schon am Nachmittage stattfanden und dadurch des festlicheren
Glanzes entbehrten, den alle Abendproductionen für sich voraus
haben, zeigte sich doch das Auditorium sehr animirt und befriedigt,
und bewies seine Sympathie für dieses , nun bald zehn Janre be-
stehende Institut in herzlichster Weise.
Die nächsten Tage werden uns noch Haydn's ,,Jabreszeiten te
bringen, womit der Cyklus unserer Abonnements-Concerte schliessen
wird; auch die zehnte und damit letzte Kammermusik-Soiree steht
nahe bevor , und so dürfte , einige Spätlinge abgerechnet , die heu-
rige Saison so ziemlich ihr Ende erreicht haben.
Nachrichten.
Düsseldorf. Mit dem am 20., 21. und 22. Mai d. J. dahier
stattfindenden 43. Niederrheinischen Musikfeste soll der neu erbaute
Festsaal eingeweiht werden. Man hatte die Absicht, diejenigen
Künstler, welche das letzte hiesige Musikfest (1863) durch ihre
Mitwirkung verherrlichten, auch diesmal wieder zu vereinigen. Es
werden deshalb die Herren Musikdirectoren Otto Goldschmidt
ans London und Julius Tausch von hier sich wieder in die
Direction der Concerte theilen, und wie im Jahre 1863 sind wieder
die Damen Frau Jenny L i n d-G ol d seh m i dt aus London und
Frl. von Edelsberg aus Berlin , sowie die Herren Dr. Gans
aus Hannover und Stockhausen aus Hamburg für die Ausfüh-
rung der Soloparthieen gewonnen. Am ersten Tage kommen zur
Aufführung: Ouvertüre „Zur Weihe des Hauses" Op. 124 von Beet-
hoven und das Oratorium „Messias" von Händel. Am 2. und
3. Tage: Scenen aus „Armida" von Gluck, Sinfonie Eroica von
Beethoven; Cantate für Doppelchor und Orgelbegleitung von
J. S. Bach; Musik zu „Athalia" von Mendelssohn; A-moIt-
Concert für Pianoforte und Orchester von R. Schumann ; „Pfing-
sten," Vocalwerk von Ferd. Hill er; Ouvertüren von J. Rietz
und J. Tausch ; Solovorträge. Somit sind alle Coroponisten vertre-
ten , welche auf die Entwicklung des musikalischen Lebens in
Düsseldorf Einfluss gehabt haben. Es werden sich bei den Fest-
aufführungen ferner betheiligen : Frl. P a r e p a aus London
(Sopran), Frau Clara Schumann (Pianoforte), Hr. Musikdirector
Weber aus Cb'ln und Hr. van E y k e n aus Barmen (Orgel), sowie
die Herren Concertmeister A u e r (Violine) und De S w e r t (Violon-
cell). Die grosse Orgel in dem neuen Saale hat 53 klingende
Stimmen (2064 Pfeifen) und ist aus der Fabrik von Joh, Friedr.
S ch u l z e's Söhnen in Paulinzelle.
Dresden. Am 3. April eröffnete N i e m a n n sein erstes Gast-
spiel auf unserer Hofbühne als „Tannhäuser* mit ausserordentlichem
Erfolg. Die ganze Aufführung war überhaupt eine höchst gelungene
und Frau Bürde-Ney (Elisabeth) sowie Herr Mitterwurzer
(Wolfram) theilten sich mit dem verehrten Gaste in den reichlichst
gespendeten Beifall. — Am 4. April trat Hr. N i e m a n n als Joseph
in M e h u Ts Oper „Jakob und seine Söhne in Egypten" auf und
riss durch seine schöne Auffassung und künstlerische Durchführung;
dieser Partie das Publikum zu enthusiastischem Beifall hin.
Brüssel. Das letzte populäre Concert des Hrn. Samuel hatte
folgendes Programm: 1. Theil: Ouvertüre zur „Genovefa" von R.
Schumann (zum 1. Male hier aufgeführt) ; Scherzo aus der ersten
Sinfonie von Ferd. H i 1 1 e r (1. Aufführung) ; Concerto sympfionique
für Ciavier und Orchester von Pierre Benoit, vorgetragen von
Mlle. Dumon, und Andante mit Variationen aus dem 5. Quartett
von Beethoven, vorgetragen von sämmtlichen Streichinstrumen-
ten. (Auf Verlangen wiederholt). 2. Theil : Beethoven'« Musik
zu „Egmont", mit verbindendem Text von Q u e 1 u s.
Paris. Pasdeloup gab sein 24. und letztes populäres Concert
am 15. d. M. mit folgendem Programm: A-moll-Sinfonie von Men-
delssohn; Adagio und Menuetto aus dem Quintett Op. 34 von
Weber; C-moll-Siofonie von Beethoven; Violinconcert ven
Paganiui, vorgetragen von Hrn. Sivori und Ouvertüre su.
„Tannhäuser" von R. Wagner.
- 68 -
fftrif . Dm dritte ausserordentliche Concert des Conservatoriums
»na 8. April bracht« : A-dur-Sinfonie von Mendelssohn; O filii,
Doppelchor von Leisring; Leonoren-Oavertüre von Beethoven;
Jägerchor ans „Euryaothe" von Weber und Einzugsmarsch aus
„Tannhäuser" von R. Wagner. Dieser letztere wurde mit En-
thusiasmus aufgenommen und musste auf stürmisches Verlangen
wiederholt werden. — Am seihen Tage fand das 23. Concert des
Hrn. Fasdeloup statt, mit folgendem Programm: B-dur-Sinfonie
von Beethoven; Adagio und Scherzo aus der Sinfonie : „Es
muss doch Frühling werden" von Ferd. H i 1 1 e r ; Clavierconcert in
A-moll von R. Schumann, vorgetr. von A. J a e 1 1 ; Bruchstück
aus der Musik zu „Prometheus" von Beethoven und Ouvertüre
su „Roy Blas" von Mendelssohn.
— Das 4. ausserordentliche Concert. des Cooservatoriums
brachte: die 21. Sinfonie von Haydn; Doppelchor von Bach;
Fragmente aus „Prometheus" von Beethoven; „Alleluja" von
Händel; Musik zum Sommernachtstraum" von Mendelssohn.
— Der Kaiser hat Adelina Patti zu ihrem Geburtstage, an
welchem sie in den Tuilerien sang, prachtvolle Ohrgehänge, mit
Perlen, Bubinen und Diamanten geschmückt, zum Geschenk gemacht.
— Das Conservatorium und die Oper haben wieder einen Verlust
erlitten durch den Tod des Herrn Aime* Leborne, Compositions-
lehrer am Conservatorium , Bibliothekar der grossen Oper und der
kaiserlichen Capelle und Bitter der Ehrenlegion.
— Am Conservatorium haben folgende Personalveränderungen
stattgefunden: Victor Mass 6 wurde zum Professor der Composition
an die Stelle des verstorbenen Leborne, August S a v a r d zum
Professor der Harmonie an Cl a p is s on's Stelle und Duprato
zum Hülfslehrer der Harmonie ernannt. Die Stelle der Madame
C o ch e bleibt unbesetzt. Hector B e r 1 i o z , bisher Bibliothekar
des Conservatoriums , ist zum Conservator der Bibliothek und des
von Clapisson gebildeten Instrumental-Museums ernannt worden.
Die Wittwe Clapisson's wird die jährlichen 2000 Frs., welche ihr
▼erstorbener Gatte für Abtretung seiner Instruwenten-Sammlung an
das Conservatorium erhielt, auch ferner fortbeziehen und ihre bis-
herige Wohnung im Conservatorium beibehalten.
— Der vortreffliche Bassist C a z a u z verlässt die grosse Oper
und hat ein Engagement am The'ätre lyrique angenommen.
— Fei, David ist von Moskau wieder in Paris eingetroffen.
— Die grosse Oper hat im Jahre 1865 mit einem Deficit von
250,000 Frs. abgeschlossen, bei einer Einnahme von 1,541,000 Frs.
— Im Jahre 1847 gab es in Paris 197 Ciavierfabriken mit un-
gefähr 3000 Arbeitern, welche jährlich für 12 Millionen Instrumente
lieferten , von denen für 1 Million ins Ausland expOrtirt wurden,
1865 betrug der Werth der ausgeführten Instrumente 8,000,000 Frs.
London. Die beiden italienischen Opernunternehmungen, die
des Herrn Gye im Coventgarden und die des Herrn Mapleson
im Königin-Theater veröffentlichen ihr Künstlerpersonal für die
kommende Saison. Hr. Mapleson zählt unter seinen Gesangskräften
ein gutes Contingent von Deutschen, nämlich die Damen Titjens,
Lichtmay, Harrier s-Wipp ern, Murska und Bettelheim
sowie die Herren Dr. G u n z und Rokitansky, während in
Coventgarden nur zwei deutsche Namen, nämlich Frl. Lucca und
der Wiener Bassist Hr. Dr. S ch m i d figuriren. Mapleson ver-
«pricht die „Iphigenie in Tauris", die „Vestalin", die „Entführung
aus dem Serail", „Donna del Lago" und „Dinorah".
*** Aus dem Schreiben Rossini's, welches er den im Mozart-
Festconcerte am 15. April zur Aufführung kommenden zwei Com-
positionen, bei deren Uebersendung an das Wiener Comite, zur Be-
gleitung mitgab, entnehmen wir folgende höchst interessante Stellen.
„Ich erkläre mich stolz und glücklich, eine kleine Huldigung
sollen zu können dem Gedächtnisse des wahren Titanen der Musik —
Mozart — welchen ich zu bewundern anfing* im Jünglingsalter,
und der noch heute mein Abgott und mein Muster geblieben ist!
Mögen die Wiener (die mir während meines Aufenthaltes im Jahre
1822 so überaus freundlich gewesen sind) genehmigend den Beweis
höchster Bewunderung empfangen, welchen ich ihrem unsterblichen
Mitbürger darbringe und noch einmal Nachsicht üben an meinen
beiden bescheidenen Schöpfungen, die nur das Verdienst haben, von
einem Greise zu kommen, welcher stets ein Anbeter Mozart's ge-
wesen ist. Als feste Bestimmung wolle ^betrachtet werden, dass
nach dem Stattfinden des Concertes meine Compositionen — Parti-
tur und Einzelparte — dem Autor nach Paris mittelst des öster-
reichischen Consulats zurückzusenden sind und dass die Abnahme
irgend einer Copie — unter Strafe eines Proeesses —
verboten bleibt , weil dem Autor das ausschliessliche Eigentums-
recht vorbehalten ist. R o 8 s i n i m. p.
*** Die jugendliche Claviervirtuosin Frl. Mary Krebs ift
Dresden hat vom Könige von Sachsen das Prädicat als k. Kammer*
virtuosin erhalten.
*** Im Berliner Opernhause fand zum Besten der Hinter-
lassenen des verstorbenen Tenoristen Pf ister eine musikalische
Matinee statt, welche eine Einnahme von 2000 Thlr. ergab.
**.*
** Der abgetretene Intendant des k. Theaters in Hannover*
Graf von PI a t e n wird vorläufig durch den Vice-Intendanten,
Oberstlieutenant v. Meyer ersetzt.
*** Fr. Lachner's t. Suite in D-moll kam im dritten Con-
certe der Grossh. Hofmusik in Darmstadt in sehr gelungener
Weise und mit grossem Beifall zur Aufführung.
*** Der Tenorist Braun-Brini vom Stadttheater in Nürn-
berg gastirte als Arnold in Rossini's „Teil" in Dresden, ver~
mochte aber nicht, einen günstigen Erfolg zu erringen.
*** Der herzogl. nassauische Regiments-Kapellmeister und Di-
rigent der Kursaal-Concerte in Wiesbaden, Herr Keler-Bela,
gab in letzter Zeit drei Concerte in der Tonhalle in Berlin, worin
er seine neuesten Compositionen, insbesondere ein Tongemälde, be-
titelt „Eine Nacht in Venedig" u. A. mit grossem Beifall aufführte.
%* Der Kaiser von Oesterreich hat für Benutzung der Hoflogen
in P e s t h während seines jüngsten Aufenthaltes daselbst jedem
Theater fl. 1000 übersandt
*** In Berlin starben der Concertmeister und Violinvirtuos
Rudersdorff und der unter dem Namen „Flötenritter" bekannte
Virtuos Ritter.
*** Die Oper „Enzio" von J. J. Abert ist in Carlsruhe
mit günstigem Erfolge in Scene gegangen.
*** Der erste Vorsänger an der Synagoge in Wien, Salomon
S u 1 z e r, feierte am 22. März sein fünfzigjähriges Jubiläum
als Cantor. Sulzer ist geboren 1804 zu Hohenems, wo er auch
schon in seinem 12. Jahre den Kaiser Franz durch seinen Gesang
entzückte und als Cantor in seiner Vaterstadt angestellt wurde.
Noch heute singt der- Jubilar mit hinreissender Schönheit der Stimme
und des Vortrags und könnte gar manchem Sänger als Muster
dienen.
*** Der Pianist Alfred Jaell hat vom Könige von Italien
für die Dedication seiner neuen Composition »Aux bords de VArno"
eine kostbare Brillantnadel erhalten. Der vortreffliche Künstler
befindet sich gegenwärtig in Paris, wo er mit Sivori Concerte
geben und auch im Cirque Napoleon spielen wird.
*** Der Componist Thomas Löwe in Wien bat sich mit
der Hofopernsängerin Frl. D e s t i n n vermählt.
%* Die Oper „Zc Mariage de Don Lope" von de Hartog
wurde in Brüssel mit schwachem Erfolg aufgeführt.
*#* Herr Bischoffsheim, ein reicher Banquier in Paris,
lässt dort einen grossen Concertsaal erbauen, der seiner Vollendung
nahe ist und in welchem von dem Orchester der grossen Oper unter
H a i n d Ts Direction grosse Concerte bei massigen Eintrittspreisen
gegeben werden sollen.
*** Die Deutschen in Nizza und die dortigen Freunde des
Violinvirtuosen Ernst lassen ihm eine Gruft mit Denkmal errichten.
*** Der bekannte Flötenvirtuose Hr. Johann Sedlaczeck, fürstl.
Esterhazy'scher Kammervirtuose und Mitglied mehrerer philharmo-
nischen Gesellschaften, ist am 11. April in einem Alter von 77
Jahren einem langwierigen Leiden erlegen.
V Frl - Adeline Patti hat am 9. April ihren 23. Geburtstag
gefeiert. Hr. Gye hat aus diesem Anlasse Hrn. Strakosch einen
Bon von 400 Pfd. Sterling übersendet, um dafür ein Geschenk für
die Sängerin zu kaufen.
*** Frl. Anna M a r e k ist nunmehr vollständig aus dem Ver-
bände des Wiener Carltheaters getreten. Die Künstlerin wird die
Bahn als Opernsängerin betreten und hat vom September d. J. an
einer grösseren deutschen Hofbühne ein Engagement angenommen.
Verantw. Med. Ed. Föckercr. Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
J¥* 1 8.
30. April 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
Verlig
r
von
-4
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PEEIS:
fl.2. 42 kr. od.Th.l.I8Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
i
INHALT: Anton Stradivari. — Frankfurter Oratorien-Concerte. — Correspondenz : München. — Nachrichten.
Anton Stradivari«
Biographische Skizze von F. J. Fe'tis.
Anton Stradivari oder Stradiva r i us, der berühmteste
der alten italienischen Geigenmacher, war in Cremona geboren.
Der' rühmlichst bekannte Pariser Oeigenmacher Vuilliaume,
welcher mehrere Reisen nach Italien unternommen hat, um authen-
tische Nachrichten über den geschickten Künstler zu sammeln und
weder Mühe noch Kosten scheute, um seinen Zweck zu erreichen,
konnte das Datum seiner Geburt nicht ausfindig machen, indem
nach dem Eingehen mehrerer Kirchen in Cremuna die Archive der-
selben zerstreut, verborgen oder auch wohl vernichtet worden sind.
Glücklicherweise existirt noch ein Zeugniss, welches jeden Zweifel
über das Geburtsjahr des berühmten Geigenmachers aufhebt. Unter
den Notizen des Bankiers Carlo Carli in Mailand fand sich ein
Inventar der dem Grafen Salabue gehörigen Instrumente, weiche
sich bei jenem Bankier in Verwahrung befanden. Es befand sich
darunter eine Violine von Stradivarius , die in ihrem Innern ei-
nen Zettel enthält, auf welchem von der Hand des Verfertigers
selbst sein Name , sein Alter (92 Jahre) und die Jahreszahl 1736
geschrieben stehen. Stradivarius war also 1644 geboren. Ein Schü-
ler des Nicolaus Amati, verfertigte er vom Jahre 1667 an, also
23 Jahre alt, mehrere Geigen , die jedoch nur eine genaue Nach-
ahmung der Formen seines Meisters waren und in welche er auch
den Namen des Nicolaus einschrieb. Erst im Jahre 1670 fing er
an, seine Instrumente mit seinem eigenen Namen zu bezeichnen.
In den darauffolgenden 20 Jahren bis 1690 schuf er nur wenig.
Man möchte fast glauben , der Künstler habe sich in jener Zeit
mehr mit Versuchen und mit Forschungen über seine Kunst be-
schäftigt, als mit Arbeiten, die auf den Handel abzielten. Das
Jahr 1690 bezeichnet eine Uebergangsepoche in den Arbeiten des
Anton Stradivarius. Von da an begann er seinen Modellen eine
grössere Fülle zu geben, die Wölbung zu vervollkommnen und die
Dicke des Holzes mit grösserer Strenge festzustellen. Sein Lack
hat eine lebhaftere Farbe, mit einem Worte, seine Arbeiten bekom-
men ein ganz anderes Ansehen ; jedoch findet man immer noch die
Traditionen der Schule des Nicolaus Amatt heraus. Die Geigen-
macher bezeichnen ihn als den amatisirten Stradivarius.
Im Jahre 1700 hat der Künstler sein 66. Lebensjahr erreicht.
Zu dieser Zeit steht sein Talent in seiner ganzen Kraft da und von
da an bis 1725 tragen alle Instrumente, die aus seiner Hand kom-
men, den Stempel der Vollkommenheit. Er versucht nicht mehr,
er ist seiner Sache gewiss und weiss den geringsten Details die
höchste Vollkommenheit zu verleihen. Sein Modell besitzt die er-
wünschte Grösse ; er zeichnet die Umrisse desselben mit einem Ge-
schmack, mit einer Sicherheit, die seit anderthalb Jahrhunderten
die Bewunderung der Kenner erregen. Das Hotz, mit dem feinsten
Kennerblick ausgesucht, vereint mit dem Reichtbum der Nuancen
alle Bedingungen der Sonorität. Für den Boden , wie für die Zar-
gen verändert ]er die Dispositionen ; die Wölbungen seiner Instru-
mente, ohne sehr erhaben zu sein, fallen in sanften und regelmäs-
sigen Windungen ab, welche ihnen die volle nöthige Biegsamkeit
belassen. Die Schalllöcher , mit Meisterhand geschnitten , werden
zu Modellen für alle seine Nachfolger. Die Schnecke, die eines
strengeren Character angenommen hat, ist meisterhaft geschnitzt«
Der schöne warme Ton des Lacks der Stradivari-Geigen datirt von
dieser Epoche; der Lack selbst ist fein und von grosser Geschmei*
digkeit. Auch im Innern des Instrumentes zeugt die Arbeit des
Künstlers von nicht minderer Vollkommenheit ; Alles ist da mit der
grössten Sorgfalt ausgeführt. Die Dicke des Holzes ist auf eine
rationelle Weise festgestellt und zeichnet Bich durch eine Bestimmt-
heit aus , die nur durch lange Studien erworben werden konnte.
Der Boden, die Decke und alle Bestandtheile des Instrumentes ste-
hen in der vollkommensten harmonischen Uebereinstimmung. Ge-
wiss haben 'ihn auch nur wiederholte Versuche und anhaltende
Beobachtungen veranlasst, während dieser ganzen productiven Periode
zur Bereifung und den Zargen Weidenhob zu verwenden, weil die-
ses an specifischer Leichtigkeit alle andern Holzarten übertrifft;
kurz an seinen bewundernswerthen Instrumenten war alles voraus-
gesehen, berechnet und mit sicherem Blick beschlossen. Nur der
Steg ist zu schwach, in Folge des seit dem Anfange des 18. Jahr-
hunderts fortwährenden Steigens der Stimmung, wodurch eine be-
trächtliche Steigerung der Spannung und ein ungleich grösserer
Druck auf die Decke unvermeidlich wurde. Es ist deshalb nöthig
geworden, alle alten Geigen und Cello's mit neuen Stegen zu versehen.
Während derselben Zeitepoche, da Stradivari auf den erwähnten
Gipfel der Vollkommenheit gekommen war und mit der Sicherheit
der Ueberzeugung arbeitete, entfernte er sich gleichwohl mitunter
von seinem entschiedenen Typus, um der Laune irgend eines Künst-
lers oder Dillettanten zu entsprechen. So hat er z. B. Geigen mit
einem etwas längeren Patron gemacht; sie sehen zwar nicht so
hübsch aus , allein sie sind mit derselben Sorgfalt ausgearbeitet,
Alles ist der veränderten Form aogepasst, um das Gleichgewicht
in den Tonschwingungen zu bewahren. Bei diesen Instrumenten»
wie bei den andern, welche in dieser Periode aus der Hand de«
Künstlers hervorgegangen sind, finden wir denselben noblen, glän-
zenden Ton, welcher den Ruf der Instrumente des Stradivarius
überall begründet hat. Auch die Instrumente, die er von 1725 bis
1730 gebaut hat, sind noch recht gut, wenn sie auch nicht mehr
dieselbe Vollkommenheit besitzen. Die Wölbung ist etwas stärker,
was der Klarheit des Tons Eintrag thut ; die Feinheit und Delica-
tesse der Arbeit ist nicht mehr dieselbe ; der Lack ist brauner.
Auch die Fabrication scheint abzunehmen, denn aus dieser Periode
findet man verhältnissmässig viel weniger Instrumente als aus der
vorhergehenden. Von 1730 und selbst noch etwas früher verschwin-
det das Gepräge des Meitsters beinahe vollständig. Ein geübtes
Auge erkennt, dass die Instrumente von weniger geschickter Hand
gemacht sind. Er selbst bezeichnet mehrere derselben als nur un-
ter seiner Aufsicht gemacht: iy sub disciplina StradivariiP Bei
anderen erkennt man die Hand des Carl Bergonzi und der
Söhne des Stradivari, Omobono und Francesco. Nach dem
- 70 -
Tode des berühmten Meisten fanden eich in seinem Atelier viele
unfertige Instrumente vor ; sie wurden von seinen Söhnen vollendet.
Die meisten davon enthalten in der gedruckten Etikette seinen Na-
men; daher kommt die Unsicherheit nnd die Verwirrung in Beeng
auf die Producta ans seiner letzten Zeit (Schluss f.)
Die Frankfurter Oratorien -Concerte.
ii.
Der Rühl'sche Verein führte in seinem 1. Concert auf: eine
Todten-Messe („Requiem*') von Bernhard Scholz und die „Atha-
lia* von Mendelssohn. Das Werk von Scholz kam hier zum
ersten Mal zur Aufführung. Dass sich bei der Einführung neuer
Werke immer eine Schaar von Altgläubigen und Kunstheuchlern
widersetzt, sind allbekannte Dinge. Ein Verein hat deshalb seine
Noth, ein solches Werk zur Geltung zu bringen. Dem Rühl'schen
Verein aber ist es gelungen, vermöge der grossen , bedeutungsvoll
auftretenden Idee des Werks und der characteristischen Darstel-
lung. Das ., Requiem" ist das 16. Werk von Scholz. Es zeugt
von hoher Begabung des Künstlers, von einer sittlichen Strenge,
von Ernst und Würde , wie wir sie nur bei unsern edelsten Ton-
dichtern finden. Durch das ganze Stück zieht eine wahre, tief-
ernste Trauer; es ist, als ob der Künstler den Schmerz über den
Verlust eines geliebten Freundes zu einer Klage über das mensch-
liche Schicksal gestaltet.
In musikalischer Hinsicht zeigt das Werk, dass der Künstler
die besten Vorbilder vor Augen hatte, nach denen er frei gestaltet.
Der hohen Idee entsprechend, ist er überall gross nnd bedeutungs-
voll. Breit, gewichtig ist das ,. Requiem" kraftvoll, wuchtig das
„Diesirae" erschütternd und rührend „Lacrimosa dies,'* erhebend
das „Sanctus" und voll milden Friedens das „Benedictes" und
„Agnus Dei*. Die Gesangsmelodie ist einfach, ungeziert; die In-
etrumentirung characteristisch , der jedesmaligen Situation entspre-
chend. Die Harmonisirung ist meist ungezwungen; hier und da
wären vielleicht einfachere Gänge wirkungsvoller gewesen. Das
Werk trat als ein völlig in sich abgeschlossenes , fertiges vor uns
hin; die durchgehende Stimmung beherrschte den Hörer vollkom-
men von Anfang bis zum Ende.
Der Rührsche Verein hatte das Werk in seiner ganzen Bedeu-
tung erfasat ; der durchaus ernste, meist düstere Character des Werks,
die sittliche Streuge des Componisten , leuchteten aus jedem Ton.
Am meisten Eindruck machte das „Requiem," das „Benedictus"
und das „Agnus Dei, u das sind die sanfteren Stücke. Die heftige-
ren Ausbrüche im „Dies irae." „Rex tremendae majestatis" und
n Sanctus tl gefielen weniger. Der Grund ist, weil sie an einer ge-
wissen Starrheit leiden. Der Künstler verstand es nicht, die Mas-
sen in ihrer Erregung so zu gliedern und zu gruppiren, wie in der
Buhe. Die grosse Stimmung , welche durch jene hinzieht, die Be-
herrschung bei ruhigerer Bewegung weisen aber auf ein achtes
Künstlerthum, in dem die Keime einer grossen Zukunft liegen.
Die Solo-Gesänge wurden von Fräulein Oppenheimer (vom
Theater), Fräulein Schreck aus Bonn, den Herren Baumann
und Karl Hill von hier vorgetragen. Sie waren dem Geist des
ganzen Werks entsprechend, ernst und würdevoll.
Den 2. Theil des Concertes bildete Mendelssohn 's „Athalia".
Die Geschichte von der „Athalia" ist eine Schilderung der Greuel-
thaten , wie sie bei den Juden nach dem Untergang der Volks-
herrschaft in dem Streit zwischen Königs- und Priestergewalt viel-
fach vorkamen. Sie wird erzählt im 2. Buch der Könige, 1 1. Haupt-
stück, und im 2. Buch der Chronik, 22. u. 23. Hauptstück. Nach
den ersten Königen hatten sich die Stämme getheilt in das Reich
Israel und Juda. Nach einer Reihe von Kämpfen mit den Nach-
barn und gegenseitigen Befehdungen erschlug Jehu die beiden Kö-
nige von Israel und Juda und warf sich zum König über beide
Reiche auf. Doch nur in Israel konnte er sich behaupten ; in Juda
errang die schlaue Athalia, die Mutter des erschlagenen Königs
A Uns i a , die Herrschaft.
Diese, um ihre Herrschaft zu sichern, tödtete alle Verwandten
des königlichen Hauses, selbst die Kinder ihres Sohnes Ahasia.
Nur eines von ihnen ward durch Ahasias Schwester, Joseba, geret-
tet ; es war das jüngste, der Säugling Jos«, Im Einverständnis«
mit den Priestern versteckte eie ihn im Tempel sechs Jahre lang.
Im siebenten gelang es dem Oberpriester Jojada eine Verschwö-
rung gegen die tyrannische Athalia anzuregen ; Athalia ward über-
fallen und getödtet, der siebenjährige Joas zum König ausgerufen.
Mit dem unmündigen Königskind ward die Priesterherrschaft
wieder befestigt Denn es heisst: „Der Priester Jojada machte
einen Bund zwischen ihm und allem Volk und dem König, dass
sie des Herrn Volk sein sollten.'* Dann „bestellte er die Aemter
im Hause des Herrn unter den Priestern und Leviten"; nachdem
nahm er die Obersten über Hundert und die Mächtigen nnd
Herren im Volk und alles Landvolk und führte den König hinab
in sein Haus und Hess den König sich auf den königlichen Stuhl
setzen." Joas regierte 40 Jahre; er that, „was dem Herrn wohl
gefiel, so lange der Priester Jojada lebte." Auch gab ihm der
Priester seine Frauen. Auf des Priesters Geheiss musste das Volk
die Altäre Baals [abbrechen und Joas Hess das Haus des Herrn
erneuern und erweitern.
Das Ergebnis« des Kampfs war ein Sieg der Priesterherrschaft;
aber doch wars ein Fortschritt in der Cultur. Denn die Priester
Jehovas vertrieben die Baalspfaffen und goldnen Kälber und mahn-
ten an den nationalen Gott, d. i. in unserem Sinne gesprochen, an
die nationale Selbstständigkeit. Nach der alten morgen-
ländischen Anschauung war diese nicht anders denkbar , als durch
die energische Führung von König- oder Priesterthum. Ob R a-
eine, der aus dieser Geschichte eine Tragödie fertigte, sie in
diesem Sinne genommen, möchten wir bezweifeln. Er dachte mehr
an das tragische Geschick der Königin , als an die der Geschichte
zu Grund liegende Tendenz. Von Mendelssohn dagegen ist
anzunehmen, dass er sie mit einer gewissen Absicht gewählt hat.
Ob zur blossen Vervollständigung seiner jüdischen Geschichte, die
er in „Elias 1 * und „Paulus" begonnen, oder mit einer weiteren po-
litischen oder religiösen Tendenz, wollen wir unentschieden lassen.
Bedeutungsvoll ist wenigstens, dass diese Kämpfe des Priesterthums
mit den gleichzeitigen Kämpfen des Deutsch-Katholicismus , des
Protestantismus und den Emancipations-Versuchen der Juden zusam-
mentreffen.
Die Bearbeitung der Racine'schen Tragödie zu dieser oratori-
schen Cantate geschah durch Eduard Devrient. Obgleich die-
ser geistvolle Schriftsteller die Bedingungen eines Kunstwerkes ken-
nen mochte, — in diesem Werk hat er sie nicht erfüllt, weil er
die Geschichte, statt einfach erzählend oder dramatisch , nach Art
der damaligen Literar-Historiker behandelte. Ueber die Vorgänge
in der Geschichte wird stets wie von allbekannten Dingen geredet;
Ausrufe der Verwunderung, der Freude, des Schreckens sprechen
die Anschauung des Dichters aus; dem nicht Eingeweihten sind
das aber vollständig rätbselhafte Dinge. Statt der wirklichen Hand-
lung sehen wir stets nur Anklänge an eine solche vorüberziehen.
Wenn dann der Rhapsode ein Stück Geschichte vorüberrauschen
Hess, kommt der Chor mit neuen Gefühlsausbrüchen, die eigentlich
nur das Gesprochene im Gesang wiederholen. Diese Chöre sind
schon in der Dichtung sehr breit angelegt; durch die musikalische
Ausbreitung werden sie noch verlängert , ohne eine Spur von Ver-
tiefung zu zeigen. Mendelssohn lässt zwar einen grossen Theil der
Gesänge bloss recitativisch vorüber ziehen ; dadurch werden sie aber
nur der gesprochenen Rede ähnlicher und vermehren die Eintönig-
keit. Nur einzelne Momente bekunden einen höhern Gefühls-Aus-
druck, das sind die in der Katastrophe, wo sich die Geschichte
dramatisch gestaltet. Der Kriegsmarsch und der folgende Chor,
die Aufmunterung znr Schlacht und Anderes enthalten Züge gros-
ser Begeisterung und lebendiger Wahrheit.
Mendelssohn's Sprechweise ist hier so in Fleisch und Blut ein-
gedrungen, dass seine Werke meist gut dargestellt werden. Die
Freude der Mitsingenden und ihrer [Angehörigen ist's auch meist,
die selbst diese schwächern Werke Mendelssohns bewundern lässt.
Die Darstellung durch den Rühl'schen Verein war deshalb wohl
gelungen und trotz der vielen Einöden ward das Werk mit Beifall
aufgenommen. (Fortsetzung folgt.
71 —
CORBESPONDENZEN.
Aus München.
92. April.
Die HH. Joseph Walter, Ad. Closner, Thoms u. Hippolyt
Müller, diese wackern Quartettspieler, veranstalteten auch in der
eben abgelaufenen Saison drei Soireen, in welchen sie, meist unter
grösstem Beifall, folgende Compositionen zur Aufführung brachten:
Quartett in Es-dur von Joseph H a y d n , Op. 64, Nr. 64 ; Quartett
inF-dur, Nr. 8, und Quartett inA-dur von Mozart, Op. 10, Nr. 5;
Quartett in C-moll, Op. 18, Nr. 4, Quartett in Es-dur, Nr. 74, und
Serenade in D-dur für Violine, Viola und Violoncell, Op. 8, von
Beethoven; Quartett in H-moll, Op. 75, von Franz Lachner;
Octett in Es-dur, Op. 20, von Mendelssohn (bei dessen Auffüh-
rung sie von den Hofmusikern Brückner, Benno Walter, Paul Moralt
und Franz Bennat unterstützt wurden) und endlich Quartett in C-moll,
Op. 17, Nr. 2, von Bub inst ein. Mit Vergnügen wurden wir ge-
wahr, dass es sich die Arrangeurs dieser Sohlen angelegen sein
lassen, ihr Publikum auch mit den Werken neuerer Tondichter be-
kannt zu machen.
Seit Franz W ü 1 1 n e r die Directum der Münchner Hofcapelle
führt, macht sich dort nicht nur in dem festeren Einstudiren und
präciseren Vortrag, sondern auch in einem interessanteren, abwechs-
lungsreichen Programm, das bisher durch seine hartnäckige Stag-
nation aufgefallen war, ein entschiedener Fortschritt aufs Ange-
nehmste bemerkbar. Diese Bemerkung fanden wir vorzüglich in der
Passionswoche bestätigt. Die an drei Nachmittagen in diesem Jahre
zum ersten Male zur Aufführung gekommenen Responsorien vonPa-
lestrina stammen aus des Componisten bester Zeit und gehören zum
Schönsten und Stimmungsvollsten, was er je geschrieben hat. — Das
Programm beim Hochamt am Gründonnerstag war in allen Stücken
genau dasjenige der Sixtina in Rom. — Das „Miserere" von Leo,
das am Gharfreitag zur Aufführung kam, nimmt neben. dem Alle-
g r i'schen und einigen L a s s o'schen den bedeutendsten Platz unter
allen Miserere's ein; Leo übertrifft aber den Allegri an Hcichthum
der Erfindung und den Lasso an Popularität der Wirkung; sein
Miserere ist seit vielen Jahren eine der berühmtesten Schöpfungen
italienischer Kirchenmusik, wurde aber hier schon seit langer Zeit
nicht mehr aufgeführt. — Als Componisten des „Stabat matär"
nannte uns das Programm A s t o r g a (siehe darüber R i e h l's mu-
sikalische Characterköpfe I.) : es ist ein sehr berühmtes Werk und
um so interessanter, weil wir von Astorga sehr wenig besitzen. —
Die am Ostermontag zur Aufführung gekommene Messe von Palestrina
gehört zu seinen allerbesten Compositionen und ist die erste doppel-
chörige, welche hier (Allerheiligenkirche) zu Gehör gebracht wurde.
Sie sehen, wie reichhaltig und interessant das Programm war
und die Aufführung entsprach den Forderungen, die man an eine
Hofcapelle stellen konnte.
Von Concerten der musikalischen Academie habe ich
noch das vierte zu besprechen, das an der Spitze seines Programms
die zwölfte Sinfonie (B-dur) von H a y d n trug. Dieser Meister hat
wohl wenige Compositionen geschrieben, die so ganz modern klingen,
wie diese; bei einem sprudelnden Gedankenreichthum erregt vor-
züglich die feine duftige Instrumentation unsere vollste Bewunderung.
Als zweite Nummer des Programms hörten wir drei ausländische
Volkslieder (Schottisch in F. Dänisch in C, wobei vorzüglich der
Refrain von wunderbarer Schönheit war und Böhmisch in As), die
der Musikkonservator an der hiesigen Hofbibliothek, Dr. Julius
Mayer, mit feinem Schönheitsgerahle harmonisirt hatte. - Nachher
trat ein junger blinder Ciavierspieler auf, ein Baron Carl von der
Tann aus Schweinfurt, der den Unterricht Bülow's geniesst. Er
spielte den ersten Satz aus dem Schumann'scben A-moll - Concert
und errang sich schon sein Unglück allgemeine Theilnahme, so er-
regte seine Kunst, die Sauberkeit und Correctheit seines Spieles die
Verwunderung des ganzen Auditoriums: der junge unglückliche Künst-
ler wurde aufs Lebhafteste applaudirt.
Die zweite Abtheilung des Concertes bildete Abert's „Colum-
bus," ein seelenvolles, phantasie- und poesiereiches Tongemälde voll
überraschender Einzelheiten , von schöner Arbeit und klarem Or-
ganismus,
Am 16. April veranstaltete die musikalische Academie ein ausser-
ordentliches Concert und begann dasselbe mit der Ouvertüre zu
Schillert „Demetrius" von Vincenz Lachner. Wenn wir auch
die knappe Form und den Fluss der Melodie anerkennen, so konnte
die Composition doch nicht erwärmen, sie entbehrt eines kräftigen»
den Demetrius characterisirenden Gedankens.
In der Beethoven'schen Concertarie „Ah! perfido" entwickelte
Frau D i e z in Vortrag und Stimme so grosse Vorzüge , dass hun-
dertfacher Beifall geweckt wurde. — Vor und nach ihr trat der
Lippe-Detmold'sche Capellmeister und Violinvirtuose Bargheer als
Concertant mit zwei Piecen (Concert für die Violine A-moll von
Viotti und n Le trille du diabh? Sonate für die Violine von T ar-
tin i) vor das Münchner Publikum. Den Teufelstriller haben wir
nur einmal in der Art gehört, dass uns der Vortrag vollständig be-
friedigte, von Joachim; dort klang es gerade so, als ob zwei freie
Geigen neben einander gespielt würden, so vernehmlich, so selbst-
ständig trat neben dem Triller die Melodie' heraus. Herr Bargheer
ist übrigens ein feinfühlender, geschmackvoller Geiger mit einer
grossen Technik. Schade, dass wir für seinen Ton nicht ein gleiches
Lob haben. In dem Concerte fiel es auf, dass das Quartett gegen
die Bläser viel zu tief war, wodurch das Ohr manchmal empfindlich
beleidigt wurde. — Hr. Frank, einer der jüngsten unserer Kunst*
priester dahier, machte sein erstes Debüt vor dem Concertpublikum
mit dem Vortrage eines Chorals, Präludium und Fuge (A-moll) für
die Orgel von J. S. Bach, einer Composition, zu deren vollkommen
exaetem, an Schwierigkeiten reichem Spiel allerdings geübtere Kräfte
Wünschenswerther gewesen wären. Doch der Debütant fand Gnade
in den Augen des Publikums und er wurde gerufen.
An diese Nummern schloss sich Felicien David's „Wüste"
(Declamation Hr. Dahn, Tenorsolo Hr. Heinrich). Es mögen
etwa zwanzig Jahre her sein , als der damals junge Componist in
dem nämlichen Saale gerade auf dieser Stelle, wo heute Lachner
die Battuta schwang, stand und die erste Aufführung seiner „Wüste"
dirigirte. Diese Composition war es, die ihm einen Ruf verschaffte
und keines seiner späteren Werke, selbst „Lalla Rookh" nicht, über-
bietet dieses an Originalität und Poesie. Und wenn auch gewisse
Instrumentaleffecte , wie der häufige Orgelpunkt auf der Dominante,
unangenehm oft wiederkehren und Liedertafel - Compositionen (z. B.
die Stelle „nur Muth und Alles geht gut") nicht fehlen , so finden
wir dagegen in der feinen Organisation des Tonwerkes, in der eigen-
thümlichen den Orient veranschaulichenden Klangwirkung, in den
fremdartigen Melodien einen solchen Reiz, dass diese Sinfonie immer
wieder gerne gehört wird, besonders wenn sie so tadellos zur Auf-
führung kömmt, wie es jüngst unter Lachner's Direction geschah.
Das letzte Concert der Saison war jenes , das unser berühmter
Clarinettist Carl B ä r m a n n veranstaltete. Es wurde mit B e e t-
hoven'8 grossem Septett in Es-dur eröffnet; die Composition fand
eine wahrhaft virtuose Darstellung. Die Tochter des Concertgebers,
Frl. Marie Bärmann, sang hierauf die etwas zopfige Arie des
Sextus aus Mozart's Titus: „Ach nur einmal noch im Leben," in
deren Vortrag sie eine hübsche , metallreiche Stimme zeigte , die
jedoch der Schulung noch sehr bedarf. Die darauffolgenden höchst
anmuthigen Variationen für Clarinette, zwei Violinen, Viola und
Cello vonSpohr wurden von denHH. Bärmann, Walter, Clos-
ner, Thoms und Müller mit gewohnter Meisterschaft vorgetra-
gen, namentlich zeichnete sich der Concertgeber dabei aus. Ein
junger Harfenvirtuose, Hr. Heinrich Vizthum, ein Schüler unseres
Tombo , trug hierauf eine ziemlich inhaltslose grosse Fantasie über
Motive aus Rossini's „Moses" von Parish Alvars mit staunens-
werther Technik vor, die ihm lebhaften Beifall gewann. Auch Frl.
Laufer fand mit der Schlummerarie aus der „Afrikanerin," die sie
mit bedeutender Stimme, jedoch ohne Geschmack und Verständnisa
sang, ziemlichen Applaus. Nach einem vom Concertgeber compo-
nirten und vorgetragenen Fantasiestück für Clarinette, welches im
vollsten Masse Gelegenheit bot, die schon oft bewährte Meisterschaft
Bärmann's in ihrem vollsten Glänze bewundern zu können, sangen
Frl. Bärmann und Frl. Laufer zwei von den bekannten Duetten für
Frauenstimmen von Mendelssohn, jedoch nur in unzureichender Weise.
Versöhnend wirkte der Schluss des Concertes , ein Duo von Men-
delssohn für Clarinette und Bassethorn, das einst der Componist
eigens für seinen Freund Bärmann geschrieben. DieBes reizende
Tonstück wurde von den HH. Venzl und Bär mann tadellos vor-
getragen und vom Publikum mit dem reichsten Beifall aufgenommen
- 72 —
Die Oper bietet keine erquickliche Veranlassung , sich über
dieselbe zu verbreiten. Frl. Stehle gastirt in Wien, Hr. Kinder-
mann in Bremen und über ein Frl. Storck, einen Herrn Norbert
und Simons u. dgl. lässt sich nichts Erfreuliches mittheilen.
Im Actien-Yolkstheater gefiel ein Singspiel: „Ein schüchterner
Versuch" von dem dortigen Capellmeister Konradin, das wir wegen
seines hübschen Stoffes und seiner leichten, gefälligen Musik überall
hin empfehlen möchten. Z.
Maclirlcltten.
Mainz, 26. April. Hr. Betz sang noch den! Wolfram* im'„Tann-
häuser" und den König in „Ernani". Wir können uns in Betreff
seiner Leistung wiederholt auf unser nach seinem ersten Auftreten
abgegebenes Urtbeil bezieben und stimmen im Ganzen gerne mit in
den Beifall ein, der ihm von dem Publikum so häufig als lebhaft
dargebracht wurde. Möge Hr. Betz seine Vaterstadt in nächster
Saison, und zwar in einer für den Theaterbesuch günstigeren Jahres-
zeit wieder mit seinem Besuche erfreuen, und er wird mit derselben
Wärme wie diesmal empfangen werden. Hr. Götte, der sich im
«Waffenschmied" von Lortzing als ein auch in der Spieloper mit
Glück und Geschick sich bewegender Künstler erwies , führte die
Partie des Tanohäuser in recht anerkennenswerther Weise durch,
uud wir können uns nur freuen, wenn sein Gastspiel bereits wirklich
su seinem Engagement für die nächste Saison geführt hat, wie wir
aus guter Quelle vernahmen.
Max Bruck's „Loreley" ist bereit3 viermal gegeben worden,
übt aber unbegreiflicher Weise nicht die erwartete Zugkraft auf das
Publikum aus, die dieses Werk an mehreren Orten schon bewährt
hat. — Nächster Tage soll der erste Bassist der Wiener Hofoper,
Herr Dr. S c h m i d dahier als Bertram und als Cardinal in der
„Jüdiu" auftreten ; gegenwärtig gastirt derselbe mit enormem Erfolge
in Frankfurt a. M.
Am Mittwoch den 24. d. M. fand das vierte und letzte Sinfonie-
concert des Theaterorchesters unter Capellm. Dumont's Leitung
statt. Man gab die Sinfonie „Columbus" von Abert, eine Ouvertüre
su „König Lear" von Dumont und Beethoven's C-moll -Sinfonie.
Abert's schönes, poesievolles Werk wurde hier zum ersten Male
gehört, und obwohl die Aufführung an Glätte manches zu wünschen
übrig Hess, doch mit vielem Beifall aufgenommen. Auch die C-moll-
Sinfonie verfehlte nicht, in ihrer unwiderstehlichen Weise zu fesseln.
Die Ouvertüre Dumont's ist sehr effectvoll und fand vielen Beifall.
Möge das Orchester das unter Dumont's Leitung so rühmlich be-
gonnene Unternehmen mit Ausdauer und Consequenz fortführen, und
die guten Folgen für die Unternehmer wie für das hiesige Kunst-
leben werden nicht ausbleiben. E. F.
Wien. Das unter Herbeck's Leitung im Redoutensaale statt-
gefundene Concert für Errichtung eines Mozart-Monumentes auf dem
Mozartplatze (Wieden) hat, im grossartigen Style angelegt und aus-
geführt, auch einen grossartigen Erfolg erzielt. Das Orchester be-
stand aus 120 Streichinstrumenten und doppelt besetzter Harmonie,
und die Egraont- Ouvertüre sowie Mozart' s Jupiter-Sinfonie machten,
von diesen Massen geist- und schwungvoll ausgeführt, einen unbe-
schreiblichen Eindruck. Die gemischten und Männerchöre wurden
vom Singverein und Männergesangverein mit herkömmlicher Meister-
schaft vorgetragen, und die Gesangssoli waren vertreten durch die
Damen Stehle, Artdt und Le eder und die HH. Calzolari
Everardi, Rokitansky, Hrabanek, Panzer und Lirn-
berger. Von besonderem Interesse waren die von Rossini nur
für die Aufführung in diesem Concerte (siehe unsere vorige Nummer)
eingesendeten beiden Compositionen, „Weihnachtsgesang" für Bass-
solo und gemischten Chor mit Clavierbegleituug, und „Gesang der
Titanen" von vier Bassstimmen im Unisono mit Orchesterbegleitung
vorgetragen. Beide Stücke machten eine sehr günstige Wirkung
«od wurden mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Sogleich nach
Beendigung des Coneertes wurde an Rossini nachstehendes Telegramm
abgesendet:
Alf illustrissimo Maestro Rossini! (rue de la chausse'e Nr. 2
a Paris). Le concert monstre, arrange ä Vhonneur de no/re
immortel Mozart, avait un succe's enorme. Vers 6000 personnes,
la creme de la Noblesse et des artistes assistaient avec une
Sympathie touchante ä ccttefete extraordinaire. Les deux bijoux,
que votre genie a voue' au souvenir de feu votre frere en Apolle,
brillaient comme des veritables diamants dans la couronne de
chef d'oeuvres dont on a fourni cette fite solenne.
Les details suivront si tot que possiblel
Antoine Burg,
chef de la communautä Wieden.
— J. Fürst hat die Direction des Josephstädter Theasers
niedergelegt und zieht wieder in den Prater, den er auch nie hätte
verlasseil sollen.
Brüssel. Am 8. April fand das 8. und letzte der populären
Concerte des Hrn. Samuel statt. Man gab Fragmente aus Beet-
hoven's Musik zu „Proniotheus - , Andante und Scherzo aus einer
Sinfonie von Samuel, Ouvertüren von Joachim Raff und Alex. Stadt-
feld, und Hr. Colyns spielte ein Violinconcert von Spohr.
Paris. Am 22. April fand das 5. und letzte der ausserordent-
lichen Conservatorien - Concerte statt und zwar mit folgendem Pro-
gramme : Pastoral-Sinfonie von Beethoven ; Finale aus „Euryantbe"
von Weber; Hymne von Haydn, von sämmtlichen Streichinstrumenten
ausgeführt; Recitativ und Arie aus „Idomeneus" von Mozart, ges.
von Mme. Van denheu vel-Duprez; Ouvertüre zu „Oberon*
und zum Schluss der 98. Psalm für Doppelchor von Mendelssohn.
— Einem im „Moniteur" erschienenen Deeret zufolge ist dem
bisherigen Director der grossen Oper, Hrn. Emil Perrin, dieses
Institut vom 15. April an auf eigene Rechnung und Gefahr als
Privatunternehmer überlassen worden. Schon einmal , und zwar
nach der Revolution von 1830 war die grosse Oper als Privatunter-
nehmen und zwar anVeron überlassen worden mit einer Subvention
von 810,000 Frcs. Veron zog sich 1835 mit einem Gewinn von
900,000 Frcs. zurück. Nachdem Duponchel, Leon Pillet und
Roqueplan die Anstalt mijfc mehr oder minder Glück geleitet
hatten, kam 1854 dieselbe wieder unter das Ministerium des kaiserl.
Hauses zu stehen , und die seither angestellten Directoren waren
C r o 8 n i e r, Alphonse Royer und Perrin. Das Budget der
grossen Oper, welches sich vor der Revolution von 1789 auf einige
100,000 Frs. belief, beansprucht heutzutage drei bis vier Millionen.
* m * Der Violoncellvirtuose Feri Kietze r, der bereits als Ver-
schollener beklagt wurde, ist jetzt von seiner Concertweltreise glück-
lich zurückgekehrt und befindet sich eben in Dresden. Musikfreunden
wird erinnerlich sein, dass er vor drei Jahren seine musikalische
Weltfahrt von Frankreich aus mit dem Plansten Wehle begann,
und Letzterer kehrte schon vor zwei Jahren zurück nach einem
gemeinschaftlichen Aufenthalte in Indien. Kletzer war erkrankt und
musste in Java über ein halbes Jahr verweilen. Er besuchte dann
noch China , Japan , wandte sich dann nach der Insel Mauritius,
endlich nach der Capstadt — auf welcher Fahrt ihm noch die Er-
fahrung eines Schiffbruchs bestimmt war — und kehrte dann über
England nach Deutschland zurück. Möge der kühne musikalische
Wanderer hier allseitig wieder einen wohlwollenden, warmen Em-
pfang finden.
*** Da Rieh. Wagner die Villa, welche er gegenwärtig in
der Nähe von Genf bewohnt, auf weitere sechs Monate gemiethet
hat, so dürfte seine Rückkehr nach München wohl kaum vor dem
nächsten Winter erfolgen.
*** Bei dem Mitte Juni in Hannover stattfindenden Musikfeste
werden die „Jahreszeiten" von Haydu, „Cäeilienode" und „Halle-
lujah" von Händel, die 9. Sinfonie von Beethoven und noch andere
Vocal- und Instrumentalstücke zur Aufführung kommen.
*** In Pasdeloup's vorletztem populären Concerte in Paris
wurde das Adagio und Scherzo aus Hiller's Sinfonie: „Es muss
doch Frühling werden mit grossem Beifall aufgenommen, und eben-
so das dort zum erstenmale vor einem grösseren Publikum aufge-
führte , von J a e 1 1 gespielte Clavierconcert von Schumann. Jaell
wurde enthusiastisch applaudirt und hervorgerufen.
V 6 Abbe Liszt wird bei seiner Tochter, der Gattin Hans
von Bülow's in München zum Besuch erwartet.
%* Vieuxtemps concertirte mit seinerTochter, welche Sängerin
ist, in einigen Städten Belgiens und befindet sich nun in Paris.
*** Molique beabsichtigt, England für immer zu verlassen
und sich in der Nähe von München der Ruhe hinzugeben.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck t>. Carl Wallatb Mainz.
15. Jahrgang.
JW* MO.
7. Mai 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
■ Diese Zeitung erscheint j eden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
? @ P I S) g
von
/^4
• PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ. \vJ£ ££%£*■.
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co. jU™ _ _ _ ™™™_o4
INHALT: Anton Stradivari. — Correspondenzen : Paris. New- York. — Nachrichten.
Anton Stradivari.
Biographische Skizze von F. J. Fetis.
( S ch luss.)
Stradivari hat nur eine kleine Anzahl von Bratschen gemacht ;
sie sind alle von grossem Format. Die Qualität des Tones ist durch-
dringend, edel, sympathisch, kurz von grösster Schönheit. Violon-
cellos sind in grösserer Anzahl aus seinen Händen hervorgegangen;
man bemerkt an ihnen denselben zunehmenden Fortschritt in der
Vollkommenheit der Arbeit und der köstlichen Vollendung, wie bei
den Violinen. Diese Instrumente sind von zwei verschiedenen For-
maten ; das eine gross , welches man früher B a s s nannte , das
andere kleiner, das eigentliche Violoncell. Zur ersten Cathegorie
gehört das Instrument des berühmten Violoncellvirtuosen Servais
in Brüssel. Die Sonorität dieses schönen Instrumentes ist von ausser-
ordentlicher Macht, vereinigt mit weichem Silberklang. Das Violon-
cell des ausgezeichneten Virtuosen Franchomme in Paris ist von
der kleineren Patrone und gehörte früher Duport; es ist ein In-
strument von hohem Wertb. Heutzutage zieht man dieses Format
vor, da die Dimensionen desselben bequemer sind für die Ausführung
von Schwierigkeiten. Es bedarf der Hand eines Servais für einen
so grossen Bass wie der seinige. Die Violoncellos von Stradivari
übertreffen weitaus alle andere Instrumente dieser Gattung ; ihre
mächtige Stimme besitzt eine Grossartigkeit, eine Vorzüglichkeit der
Klangfarbe und eine Brillanz ohne Gleichen. Diese kostbaren Eigen-
schaften rühren einestheils von der Wahl des Holzes, andererseits
von dem Grade der verschiedenen Dicke, und endlich von der ge-
nauen Uebereinstimmung aller Theile des Instrumentes her, welche
in der Art ins Gleichgewicht gestellt sind, dass die Schwingungen
frei, energisch und anhaltend werden. Was diesen Instrumenten über-
haupt ihre Ueberlegenheit verschafft, das ist, wie bei den Violinen,
die beständige Beobachtung der Gesetze der Akustik.
Zu Stradivari's Zeiten waren noch alle Arten von Violen im
Orchester gebräuchlich; er selbst verfertigte deren viele von ver-
schiedener Form und Grösse, mit sechs und sieben Saiten, sowie
auch Guitarren, Lauten und Mandoren. Eines dieser letzteren In-
strumente, von Stradivari gebaut, ist das Eigenthum des berühmten
Geigenmachers Vuillaume in Paris. Die Feinheit der Arbeit und
die Schönheit des Lackes sind bewundernswürdig; der Schnitt des
Kopfes ist von seltener Zartheit , und in seinem Ganzen wie im
Einzelnen vereinigt dieses hübsche Instrument jede Art von Voll-
kommenheit.
Zwei Dinge sind besonders bemerkenswerth bei den Arbeiten
des Anton Stradivari, nämlich die Vortrefflichkeit seiner Instrumente
und die fast unendliche Menge derselben. Freilich erklärt sich diese
Fruchtbarkeit durch das hohe Alter, welches der Meister erreichte,
und durch die anhaltende Thätigkeit, der er sich bis in seine letzten
Tage hingab. Stradivari gehörte zu jener geringen Anzahl auser-
wählter Menschen, welche sich die Vollkommenheit zum Ziele ge-
steckt haben, soweit diese überhaupt menschlich erreichbar ist, und
sich dann niemals von der Bahn, die dahin führt, entfernen, welche
nichts zerstreut, nichts von ihrer Aufgabe abwendig macht, welche
durch Täuschungen nicht entmuthigt werden und, erfüllt von dem
Glauben an den Werth ihrer Aufgabe sowie von ihrer Befähigung für
die Lösung derselben, das was sie gut gemacht haben immer wieder
von Neuem beginnen, um zur möglichsten Vollkommenheit zu ge-
langen. Für Stradivari war die Geigenmacherkunst die ganze Welt
und in ihr concentrirte sich seine ganze Personalität. So erklimmt
man den Gipfel des Strebens , wenn die Fähigkeit dem Wunsche
entspricht. Sein ganzes langes Leben brachte er in seinem Atelier
zu , vor seinem Arbeitstische , den Zirkel oder sein Werkzeug in
der Hand.
Es wurde früher schon angedeutet , dass Anton Stradivari im
Alter von 92 Jahren, im Jahre 1736, eine Geige vollendete. Er
war schon seit Jahren auf den Tod vorbereitet, denn er hatte schon
1729 seine Ruhestätte bereiten lassen. Die auf dem von ihm selbst
bestellten Grabsteine angebrachte Jahreszahl 1729 führte zu dem
Irrthume, als sei Stradivari in diesem Jahre gestorben; allein die
Auffindung der Violine von 1736, in welche er selbst sein Alter von
92 Jahren eingeschrieben hatte, vernichtete diese Tradition. Neue
sorgfältige Nachforschungen sahen sich endlich mit Erfolg gekrönt
und führten zu dem richtigen Datum des Todes des berühmten
Künstlers. In einem authentischen Auszuge aus den Registern der
Cathedrale von Cremona, welcher Hrn. Vuillaume, unterzeichnet voa
Hrn. Fusetti, Vicar dieser Kirche, ausgefertigt wurde, findet maa
den Beweis, dass Anton Stradivari am 19. December 1737 beerdigt
wurde, und dass er folglich am 17. oder 18. desselben Monats im
Alter von 92. Jahren gestorben ist. Allein sonderbarerweise wurden
weder seine eigenen, noch die Ueberreste seiner Kinder in der Gruft
beigesetzt , die er selbst hatte errichten lassen , denn der obener-
wähnte Auszug aus dem Todtenregister enthält folgendes: „In dem
Buche, betitelt: Libro de morti in der Kirche von St. Dominik,
welches in dem Archive dieser Pfarrei aufbewahrt wird, findet mau
folgenden Passus: „Vom 17. December 1737. Begraben der ver-
lebte Herr Anton Stradivari und beigesetzt in die Gruft des Herrn
Franz Vitani, in der Rosenkranz-Capelle, Pfarrei St. Mathias". Von
der Cathedrale von Cremona, am 19. September 1855. Beglaubigt
und unterzeichnet von Fusetti (Julius), Vicar."
Anton Stradivari war verheirathet und hatte drei Söhne und
eine Tochter. Die Söhne hiessen Francesco, Omobono undL
Paolo. Diebeiden ersteren arbeiteten in dem Atelier ihres Vaters»
Paolo widmete sich dem Kaufmannsstande. Das Leben des Anton
Stradivari war ruhig und friedlich wie sein Gewerbe. Nur das Jahr
1702 störte seine Ruhe beträchtlich, indem während des Erbfolge-
krieges die Stadt Cremona vom Marschall vonVilleroy den Kaiser-
lichen entrissen, vom Prinz Eugen wiedererobert und endlich zum
drittenmale von den Franzosen eingenommen wurde ; allein nach
dieser Epoche erfreute sich Italien einer langen Ruhe, in welcher
das Alter unseres Künstlers dahinfloss. Man weiss wenig über seine
von allen Ereignissen freie Existenz. Folledro, ehemals erster
Violinist und königlicher Capellmeister in Turin, welcher 1822 hoch-
74
bejahrt gestorben ist, erzählte, dass sein Lehrer den Meister Stra*
divari in seinen letzten Jahren gekannt habe und gerne von ihm
sprach. Dieser war , erzählte er , von hohem Wuchs und mager.
Gewöhnlich trug er im Winter eine Mütze von weisser Leinwand
und im Sommer von Baumwolle und zog einen Schurz von weissem
Leder Über seine Kleider, wenn er arbeitete; da er aber immer ar-
beitete, 80 veränderte sich sein Costüm nicht oft. Durch seinen
Fleiss und seine Sparsamkeit war er mehr als wohlhabend geworden,
denn die Bewohner Cremona's pflegten zu sagen: „Reich wie Stra-
divari," obwohl er den Preis seiner Violinen nur auf vier Louisd'or
festgesetzt hatte. Zur Zeit, da er lebte, konnte man auch unter
diesen Bedingungen Reichtbum erwerben. B e r g o n z i, ein Enkel
des Carl Bergonzi (des besten Schülers Stradivari's nach Guarne-
r i u s), der im Alter von 80 Jahren starb, bezeichnete das Haus Nr. 1239
auf dem St. Dominik- Platze als dasjenige, in welchem sich da«
Atelier des Stradivari befand.
CORRESPONDENZEN.
Aus Paris.
2f . April.
Ferdinand Hiller, der sich seit mehreren Wochen hier
aufhält, hat Torigen Montag im Saale Erard vor einem ebenso ge-
wählten als zahlreichen Publikum eine musikalische Soiree gegeben,
in welcher er eine Reihe seiner Compositionen boren Hess. Der
Erfolg dieser Soiree war ein äusserst glänzender, und mehrere Stücke
tnussten auf stürmisches Verlangen wiederholt werden, wie z. B. der
Ghasel in der Serenade für Piano, Violine und Violoncell, und eine
Gavotte. Den Schluss des reichen Programms bildete eine aus zwölf
Stücken bestehende Operette ohne Worte, welche von dem Concert-
geber und der Frau Szarvady mit grosser Meisterschaft gespielt
wurde. Das Publikum bewunderte in Hiller nicht nur den phantasie-
reichen, durchgebildeten Compositeur, sondern auch den vortrefflichen
Pianisten , der sich von dem paukenden und polternden Virtuosen-
thum fern hält, und dessen ruhiges, geschmackvolles Spiel wahrhaft
wohlthuend wirkt. Ich darf nicht vergessen zu erwähnen, dass ausser
Madame Szarvady auch noch Alard und Franchomme mitwirk-
ten. Hiller's musikalische Soiree war eine der interessantesten, die
hier seit Jahren stattgefunden.
Die grosse Oper macht mit „Don Juan" vortreffliche Geschäfte.
Trotz der bereits eingetretenen hohen Temperatur drängt sich das
Publikum herbei, um Mozart's Meisterwerk zu hören. Dasselbe wird
nächsten Donnerstag im Thdätre lyrique zum erstenmale aufgeführt
werden, und ich brauche Ihnen wohl nicht erst zu sagen, dass man
auf diese Darstellung allgemein gespannt ist. In dem ebengenannten
Theater wurde vorigen Dienstag „Martha", wie es heisst zum letz-
tenmal in dieser Saison, bei überfülltem Hause gegeben. Was die
neue Oper von Flotow, „Zilda" betrifft, so werden im Laufe dieser
Woche die Orchesterproben beginnen. Mme. C a b e 1 ist mit der
Hauptrolle betraut.
In der italienischen Oper hat Mittwoch Adelina Patti ihre
Benefizvorstellung gegeben. Die Diva sang die Bollen der Norma,
der Lucia und Violetta, und wie es sich leicht denken lässt, unter
enthusiastischem Beifall ihrer Verehrer. Die Einnahme betrug fast
zwanzigtausend Franken.
Felicien David liegt in St. Germain, wo er auf Besuch bei
einem Freunde ist, krank darnieder. Der Aufenthalt in Russland
hat sehr nachtheilig auf seinen Gesundheitszustand gewirkt.
*>8 0»
Aus Wew-lTork.
Monat H8rz
Den zahlreichen Lesern Ihres Battes wird es nicht uninteressant
sein, etwas über amerikanische musikalische Zustände zu erfahren
und nähere Aufklärung über unsere künstlerische nBestrebungen zu
erhalten. Sie werden sich über die Programme unserer Concerte
freuen und staunen, welchen Standpunkt wir hier erreicht. Um aber
eine klare Uebersicht zu erlangen, und das Streben und den Fort-
schritt unserer mnsikalischen Kreise zu würdigen und anzuerkennen,
muss man nicht blos das schon Erreichte in Betracht ziehen oder
diese Errungenschaften absolut mit denen der alten Welt vergleichen.
Man darf nicht vergessen, dass dieses Land noch immer mit den
gröbsten materiellen Interessen zu kämpfen hat. Und bei ganzen
Völkern, sowie bei Individuen, müssen erst die noth wendigsten Be-
dürfnisse befriedigt, ein gewisser Wohlstand und Muse geschaffen
werden, ehe man sich den veredelnden Einflüssen der schönen Künste
widmen kann. Ausser in einigen grossen Städten des Ostens wurde
Musik vor einigen 20 Jahren nur wenig gepflegt, kaum gekannt.
Eine Geige, ein altes Ciavier im Besitze weniger europäischer Ein-
wanderer war ein Ereigniss, das Staunen und Entzücken in kleineren
westlichen Städten erregte.
Um diese Zeit wurde die philharmonische Gesellsch aft
in New-York gegründet, die als erster Pfeiler im Tempel der
Musen dasteht. Sie zählte die fähigsten Musiker zu ihren Mitglie-
dern , und diese sind ausschliesslich Deutsche. Jetzt fingen auch
mitunter ziemlich gute, zum grössten Theile aber erbärmliche Opern-
truppen an ihr Glück in Amerika zu versuchen. Strakosch und
Maretzek waren unter den ersten, die eine permanente Oper zu
gründen suchten. Manche hatten die Kühnheit und den Unterneh-
mungsgeist, mit Sängern, die man im Osten veilacht, ohne Orches-
ter Streifzüge nach dem Westen zu machen. So wurde „Don Juan"
einst mit Ciavierbegleitung und ohne Chor aufgeführt. Die Ver-
breitung und die Fortschritte der Musik waren bis jetzt noch nicht
bedeutend, aber doch das Interesse für die Kunst rege geworden.
Da kam das Jahr 1848 mit seiner geistesfrischen, thätigen deutschen
Einwanderung. Sie durchdrang alle Theile der Union und war
überall der unermüdliche Pionier deutscher Civilisation und deutschen
Fortschrittes. Das amerikanische Volk, für jede neue Idee leicht
empfänglich, fühlte bald den Einfluss dieser neuen Bevölkerung in
jedem Pulsschlage. Die schönen Künste, besonders Musik, nahmen
einen schönen Aufschwung. In jedem Städtchen wurde Musik ge-
trieben, sie drang in alle Kreise, überall entstanden neue Ciavier-
fabriken, bis das Ciavier ein so unentbehrliches Möbel eines
amerikanisches Parlors war , wie das Sofa. Mit der vielen Musik
und dem deutschen Einflüsse kam auch ein verfeinerter und ver-
edelter Geschmack. Die Compositionen unserer grössten Meister
werden in amerikanischen Kreisen schon gewürdigt und vortrefflich
vorgetragen.
Wenn wir bedenken , wieviel hier in so kurzer Zeit geleistet
worden, wie schnell und mächtig sich das amerikanische Volk in
jeder Beziehung entwickelt, können wir wohl stolz sein auf unsere
Errungenschaften und voll Hoffnung in die Zukunft blicken! Und
um auf die Gegenwart zurückzukommen, kann sich nicht New-York
mit den meisten europäischen Städten messen? Eine kurze Auf-
führung der vorzüglichsten musikalischen Leistungen dieser Saison
wird Ihnen dies klar machen.
Die „Philharmonische Gesellschaft" brachte in ihren bisherigen
fünf Concerten folgende Werke, nebst kleineren Sachen und Solo's,
zur Aufführung: I. Concert. Sinfonie N° 4 in D-moll von B. Scha-
mann; sinfonische Dichtung „Mazeppa" von Liszt (zum 1. Male);
Ouvertüre zu Leonore N° 3 von Beethoven. II. Concert. Sinfonie
N* 8 in F - dur von Beethoven ; Ouvertüre zu „Prometheus" von
Bargiel (zum I.Male); die ganze Musik zum „Sommernachtstraum tt
von Mendelssohn. III. Concert. Sinfonie N° 1 in D von Mozart
(zum 1. Male); Ouvertüre zu „Melusine" von Mendelssohn; fantas-
tische Sinfonie: „Ein Künstlerleben" von Berlioz (zum 1. Male).
IV. Concert. Sinfonie N° 3 in Es-dur von R^ Schumann; Introdue-
tion zu „Tristan und Isolde" von R. Wagner (zum 1. Male); Ouver-
türe zu „Euryanthe" von C. M. v. Weber. V. Concert. Sinfonie N* 7
in A-dur von Beethoven; eine „Faust a -Ouvertüre von R. Wagner;
Ouvertüre zu den „Vehmrichtern" von Berlioz. Herr Carl Berg-
mann, der diese Concerte dirigirt, kann in Präcision und Genialität
der Auffassung sich mit den grössten Capellmeistern messen. Er
neigt sich entschieden der Zukunftsmusik zu , und wir verdanken
seiner Energie die Aufführung vieler neuer Compositionen.
Die HH. Mason (Pianist) und Theodor Thomas, Mosen-
thal, Matzka und Bergner (Streichquartett) liefern uns jeden
Winter sechs Concerte classischer Kammermusik: I. Soiree. Streich-
Quartett inG-dur, N° 1 von Mozart; Clavier-Trio in D-dur, Op. 70,
N° 2 von Beethoven; Streich- Sextett in B-dur, Op. 18 von Brahms.
II. Soir6e. Streich - Sextett in C-dur, Op. 140 von Spohr; Ciavier-
— 75 —
Trio in G-moll, Op. 110 von Schumann ; Streich-Quartett in Es-dur,
Op. 74 von Beethoven. III. Soiree. Str.-Quartett in G-dur, Op. 84
von Haydn; Cl.-Trio in A-dur, Op. 26 vonBrahms; Str.-Quartett in
C-dur Op- 59, N° 3 von Beethoven. IV, Soiree. Str.-Quartett in
A-dur, Op. 18, N* 6 von Beethoven; Cl.-Trio in F-dur, Op. 6 von
Bargiel; Str.-Quartett in C, Op. 163 von Schubert. V. Soiree,
^tr. - Quartett in C-dur, N° 6 von Mozart; Cl.- Quartett in Es-dur,
Op. 47 von Schumann ; Str.-Quartett in F-dur, Op. 136 von Beethoven.
VI. Soiree. Str.-Quartett in F, Op. 41, N° 2 von Schumann; Cl.-
Trio in B-dur, Op. 99 von Schubert ; Str.Quartett in Es-dur, Op. 127
von Beethoven. — Diese Künstler verdienen und geniessen auch
-allgemeine Achtung für die uneigennützigen Bestrebungen und die
Ausdauer, mit welcher sie seit 1855 diese Concerte aufführen, um
das amerikanische Publikum durch classische Compositionen zu bilden.
Herr Thomas bat seit 2 Jahren , unterstätzt von den ange-
sehensten Bürgern, die Leitung von Orchesterconcerten übernommen,
die denen der philharmonischen Gesellschaft sehr ähnlich sind, und
die einem stark gefühlten Bedürfnisse abhelfen ; da diese Gesellschaft
nur 5 Coucerte gibt, und deren Programm nicht so reichhaltig sein
kann, so hat Hr. Thomas einen Cyclus von 5 Concerten begonnen,
in denen er versucht, theils die Werke der neuesten Componisten,
theils die unserer ältesten classischen Meister dem Publikum vorzu-
führen, und dabei die glänzendsten Erfolge erzielt. Seine Programme
sind: 1. Sinfonie-Soiree. I. Theil. Sinfonie in B-dur, N° 4 Op. 60,
von Beethoven; Gesang; Allegro de Concert Op. 46 von Chopin
{William Mason). II. Theil. „Mazeppa", sinfonische Dichtung von
Liszt; Gesang; „Einladung zum Tanze" von Weber, instrumentirt
von Berlioz. 2. Soiree. I. Theil. Sinfonie in B-dur, Op. 38, N° 1
von Schumann; Gesang. IL Theil. Concert für Piano in Es-dur
von Liszt (S. B, Mills); Gesang; Scherzo (B-moll, Op. 20 von
Chopin; Leonoren- Ouvertüre N° 3 von Beethoven. 3. Soiree. I. Theil.
Sinfonie in C-dur von Bargiel. II. Theil. Ouvertüre zu „Melusine"
Op. 32 von Mendelssohn ; Fantasie in F-moll, Op. 49 von Chopin ;
Oesang; Fantasie für Piano, Chor und Orchester von Beethoven
{Carl Wolfsohn, Chor und Orchester). 4. Soiree. I. Theil. Ouver-
türe zu „Manfred" Op. 115 von Schumann; Gesang; Concert für
swei Pianos in E-dur von Mozart (Mrs. Mills, Mason und Or-
chester); Gesang; Introduction zu „Tristan und Isolde" von Wagner.
IL Theil. Sinfonie in C-moll, Op. 55, N° 5 von Beethoven. 5. Soiree.
I. Theil. Ouvertüre: „Weihe des Hauses" von Beethoven; Gesang;
Ouvertüre , Scherzo und Finale Op. 52 von Schumann ; Gesang.
IL Theil. Sinfonie „Harold in Italien" Op. 16 von Berlioz.
Diese zwei Arten Concerte bieten nun ein gerundetes Ganze,
wodurch wir die besten Werke aller Zeiten geniessen können. Hr.
Thomas ist ein sehr strebsamer junger Mann und verspricht ein
bedeutender Dirigent zu werden.
Es ist heute nicht möglich, in alle Einzelnheiten dieser und
vieler anderer Concerte einzugehen und sie weiter zu zergliedern.
Ich bebalte mir vor, in meinem nächsten Briefe dies zu thun. Mein
Zweck war vor der Hand Ihren werthen Lesern eine allgemeine
Uehersicht unserer musikalischen Zustände zu geben.
Dr. S. Oettinger.
Nachrichten
Darmstädt, 24. April. Das gestrige letzte philharmonische
Concert in dieser Saison bot uns wieder ein recht interessantes
Programm, und sämmtliche Piecen wurden präcis und exact ausge-
führt, wie wir solches in diesen Concerten stets gewohnt waren. In
der ersten Abtheilung ward die Sinfonie in F-dur Nr. 8 von Beet-
hoven von unseren wackeren Hofcapelle in allen vier Sätzen meister-
haft executirt, und die zweite Abtheilung eröffnete Hr. Pabst von
Königsberg (wie wir hören ein Schüler von Eubinstein und
Hans v. Bülow) mit dem Mendelssohn'schen Capricio , H-moll,
worin sich der Künstler bemühte, durch soliden Vortrag den Inten-
tionen des Componisten gerecht zu werden, wenn derselbe auch weit
mehr in seinen beiden folgenden Piecen reüssirte, — in der ersten
{Norwegisches Nationallied „Flieg 1 Vogel, flieg" von Rudolph Will-
mers) durch zarten Vortrag und feinen Anschlag, sowie auch haupt-
sächlich durch die Ausdauer des Trillers ; in der zweiten (Fantasie
über Motive aus „Lucrezia Borgia" von Liszt) durch Kraft und
Virtuosität in den Octavengriffen der linken Hand. Frl. Lamara,
welche für die plötzlich unpässlich gewordene Frau Jaide rasch.
einsprang und den vokalen Theil des Concerts übernahm, sang eine
Arie von Nikolai mit Orchesterbegleitung und zwei Lieder unter
dem verdienten allgemeinen Beifall des auch diesmal wieder sehr
auserwählten Publikums. Neu war die Ouvertüre zu „Fierrabras"
von Franz Schubert und das Vorspiel zu den „Meistersingern von
Nürnberg" von Richard Wagner. Auch diese beiden Musikstücke
wurden ausgezeichnet durchgeführt, und können wir uns bei diesem
Schlussberichte der Saison nicht versagen, dem Leiter der betreffen-
den Concerte, Hrn. Hofcapellmeister Nesvadba, die Anerkennung
der Kritik und den Dank aller Freunde classischer Musik hier öffent-
lich auszusprechen. Möge er und sein wackeres Orchester das
nächste Jahre in gleicher Leistungsfähigkeit auf der künstlerischen
Arena erscheinen.
München, den 3. Mai. Am Samstag den 28. April fand im Re-
sidenztheater wieder eine Aufführung W a g n e r'scher Compositionen
durch ein Militärmusikcorps unter Leitung des Musikmeisters S i e-
b e n k ä s statt ; dieser Production, welche bis Mitternacht dauerte,
wohnte nur der König in Begleitung von zwei Adjutanten bei. Die
stark in Anspruch genommenen Musiker wurden reichlich mit gutem
Hofbräuhausbier tractirt.
— Frl. Stehle, welche von ihren an Lorbeeren reichen Gast-
spielen in Mannheim , Frankfurt , Darmstadt und Wien wieder zu-
rückgekehrt ist, wird am Sonntag den 6. d. M. in.„Lalla Roukh"
zum ersten Male wieder hier auftreten.
— Die „Bürgersängerzunft " veranstaltete am vergangenen Montag
unter der bewährten Leitung von Max Zenger in der Westend-
halle eine Production, deren Programm ebenso reichhaltig war, als
es trefflich durchgeführt wurde. Ein Chor von Zenger, „Es ist ein
Schnee gefallen", und ein solcher von Schumann , ferner Mendels-
sohns „türkisches Schenklied" wurden auf allgemeinen Wunsch
wiederholt.
— Der durch seine Compositionen auch in weiteren Kreisen
rühmlich bekannte Capellmeister XaverPentenrinder ist wahn-
sinnig geworden und befindet sich nun in der hiesigen Irrenanstalt»
Berlin. Die vortreffliche Solotänzerin Frl. Marie Taglioni
hat in einer brillanten Beneüzvorstelluug vom Publikum Abschied
genommen und erhielt die unzweifelhaftesten Beweise, wie ungern
man sie von der Bühne scheiden sieht. Bei einer einzigen Blumen-
frau waren für diesen Abend für 400 Thlr. Bouquets bestellt worden,
und ein wahrer Blumen- und Goldregen fiel zu den Füssen der Ge-
feierten nieder, während sich in den Zuschauerraum eine Fülle von
Gedichten ergoss. Nach Beendigung der Vorstellung hielt der
Generalintendant von Hülsen auf der Bühne in Gegenwart des
gesammten Balletpersonals eine warme Abschiedsrede au die Schei-
dende und schloss mit einem Lebehoch auf dieselbe. Die Solisten
des Ballets überreichten ihr hierauf eine kostbare Pendule, das
Balletcorps zwei Porzellan - Vasen. Von den Majestäten erhielt sie
ein kostbares Halsband mit sieben Medaillons, vom Kronprinz und
dem Prinzen Carl werthvolle Armbänder. Der 88jährige Grossvater
der Taglioni war aus Italien angekommen, um der Abschieds - Vor-
stellung seiner Enkelin beizuwohnen.
Paris. A. J a e 1 1 und S i v o r i haben im Saale Erard ein ge-
meinscbaftiches Concert gegeben, welches das allgemeinste Interesse
in Anspruch nahm und von ausserordentlichem Erfolg begleitet war.
— Die Einnahmen der Theater, Concerte etc. in Paris betrugen
im Monat März die Summe von 1,931,726 Frs.
London. Für die italienische Oper des Hrn. G y e in Covent-
garden sind engagirt die Damen: Adel i na und Carl otta Patti,
Pauline Lucca, Desire'e Artdt, Aglaja Orgeni, Marie
Wilt, Philippine v. Edelsberg, Marietta Biancolini,
Lemmens-Sherrington, Antonia Fricci, Fanny
Deconai, Vestri u. s. w., sowie die Tenöre Mario, Brignoli
Naudin, Fancelli, Nicolini und die Barytonisten und Bassisten
Faure, Graziani, Ronconi, Artri, Ciampi, Schtnid
(von Wien) u. s. w. Dirigent des Orchesters ist wieder Costa.
In 40 Vorstellungen sollen 35 Opern von Meyerbeer, Mozart, Ros-
sini, Donizetti, Bellini, Verdi, Flotow, Herold, Auber, Mercadante,
Beethoven, Gluck, Gounod zur Aufführung kommen. Carlotta Patti
wird dort zum ersten Male auf der Bühne erscheinen, und zwar als
Königin in den „Hugenotten" und als Isabella in „Robert der Teufel".
- 76 -
In der italienischen Oper des Hrn. M * p 1 e s o n in Her Ma-
Jesty's Theatre werden auftreten: die Damen Therese Titjens,
Grisi, Louise Lichtmay, Harriers-Wipper n, Ilma v.
Murska, Bettelheim, Trebelli, Demeric-Lablache;
die Tenöre Mongini, Dr. Gunz, Arvin, Gardoni, Tasca
u. s. w. , sowie die Bary tonisten und Bassisten S a n 1 1 e y, Roki-
tansky, Scalesi, Verger, Junca, Anodio u. s. w. Or-
chesterdirigent iat A r d i t i. Man gibt dort ausser den herkömm-
lichen italienischen Opern eine bedeutende Anzahl gediegener Werke
von Gluck, Mozart, Cherubini, Spontini, Weber und Meyerbeer.
In Coventgarden haben bereits Frl. Orgeni als Violetta in
„Traviata" und Frl. von Edelsberg als Fides im „Prophet" mit
bestem Erfolg bebütirt, während im Königin-Theater Frl. Titjens
als Agathe im „Freischütz" eine ausserordentlich günstige Auf-
nahme fand.
%* Dem Hofopernsänger Dr. Carl Schmid in Wien ist der
Titel eines k. k. Kammersängers verliehen worden.
*** Wir lesen in auswärtigen Blättern, dass die in Deutschland
allgemein so beliebten Tanzcompositionen von A. Wallerstein
auch in Frankreich, Belgien und Holland die günstigste Aufnahme
finden ; als einige der beliebtesten dieser Tänze aus dem vergangenen
Garneval wurden genannt: Le jour de Van, La Passione'e, La
Belle de Bruges, Vn jour de fete t La lune de miel, Souvenir de
Cannstadt, — welche sämmtlich in sehr eleganter Ausstattung bei
B. Schott's Söhnen in Mainz erschienen sind.
*** Das neue Pariser Opernhaus, an dessen Vollendung
mit Macht gearbeitet wird, übertrifft an Flächenraum bedeutend alle
bestehenden Theater. Es nimmt einen Flächenraum von 15,000
flMeter ein. Das näcbstgrösste ist das königl. Orient- Theater in
Madrid mit 7950 [^Meter. Das Carlo-Felice-Theater in Neapel hat
4750 und das Scala-Theater in Mailand 3720 QMeter. Doch steht
die Grösse des Zuschauerraumes und der Bühme nicht in demselben
Verhältniss zu dem Gesammt-Umfange der Gebäude.
*#* In Frankfurt a. M. ist der ehemalige Tenorist Eppich
im 43. Lebensjahre gestorben. Mit einer schönen Stimme begabt,
hatte es ihm aber an Gelegenheit zu einer vollendeten künstlerischen
Ausbildung gefehlt; gleichwohl Hess ihn seine natürliche Begabung
Bollen wie Joseph, Tamino, Titus mit grosser Wahrheit und schöner
Wirkung durchführen, wogegen die eigentlichen Heldentenor-Partieen
ihm weniger gelangen. Er war in Brunn, Lemberg, Hamburg und
zuletzt, von 1856 an, in Frankfurt engagirt, musste aber schon 1859
in Folge eines hartnäckigen, sich immer verschlimmernden Halsübels
der Bühne entsagen und, um sich und seine Familie zu ernähren,
eine Kramerei betreiben. Bald starb seine Frau und eines seiner
Kinder ; er verbrachte eine traurige Zeit , bis ihn ein Herzschlag
von allen Sorgen und Leiden erlöste.
*** In Cincinnati ist das Pike'sche Opernhaus, das älteste im
amerikanischen Westen und eines der grossartigsten Gebäude dieser
Art, in der Nacht vom 23. zum 24. März, nachdem die Zuschauer
etwa eine halbe Stunde das Haus verlassen hatte , ein Raub der
Flammen geworden.
*** Der König von Baiern hat dem Abbe* Franz Liszt das
Grosskreuz des Verdienstordens vom hl. Michael verliehen,
*** Der König von Italien hat Eich. Wagner das Offiziers-
kreuz des Ordens des hl. Mauritius und Lazarus übersenden lassen.
*#* Die Einnahmen der beiden kgl. Theater in Berlin be-
trugen im Monat März fast 50,000 Thlr.
V Das Theater der Porte St. Martin in Paris lässt 16
ägyptische Tänzerinnen (Almeen) kommen, welche in einem
neuen Spectakeistücke auftreten sollen.
*** Der Tenorist Wachtel erhielt vom König von Preussen
eine goldene Dose mit Brillanten.
*** Zum Director des P r a g e r Conservatoriums ist in der
jüngsten Generalversammlung der mit der provisorischen Leitung
des Instituts betraute Professor Hr. Joseph Krejci gewählt
worden.
* m * Liszt's „Legende von der hl. Elisabeth" ist nun auch in
Prag von dem czechischen Künstlerverein aufgeführt und vom Pub-
likum beifällig aufgenommen worden.
*** Heinrich Urban in B erlin hat eine grosse dreiactige
Oper, „Conradin" vollendet.
*** Jenny Lind hat in Cannes (Süd-Frankreich), wo sie
den Winter zur Herstellung ihrer Gesundheit zubrachte, ein Concert
zum Besten des dortigen Hospitals mit ausserordentlichem Beifall
gegeben.
*** Wallenreiter hat in Stuttgart den Cyclus der Schu-
bert'schen „Müllerlieder" vollständig und in sehr gelungener Weis»
vorgetragen.
ANZEIGE.
Nova-Sendung I¥o. 9.
Im Verlage von Fr. Kistner in Leipzig erschien»
soeben mit Eigentumsrecht :
Appel, Carl. Op. 25. 6 einfache Lieder für Sopran, Alt, Tenor
und Bass. Part. u. Stimmen Thlr. 1.
— Op. 30. „Mein Lieb ich muss nun scheiden", Lied für
vier Männerstimmen (Solo u. Chor), Part. u. St. 20 Ngr..
Baumfelder, Fr. Op. 157. Fünf Kinderstücke für das Piano-
forte. 15 Ngr.
Ilramfmcli, C. Jos. Op. 11. Ballade, Scherzo und Impromptu
für Pianoforte. Thlr. 1.
Clierubilil, Ii. La Primavera (der Frühling). Vierstimmige
Cantate, für das Pianoforte zu 4 Händen eingerichtet
von E. Geissler. Thlr. 1.
CllOpin, Fred. Op. 11. Grand Concerto (Mi Mineur) pour
Pianoforte avec accompagnement d'Orchestre.
Partition Thlr. 7. 15 Ngr.
— Deux Mazourkas, arrangees pour la voix par Madame-
Pauline Viardöt. 15 Ngr.
Cltwatal, F. TL, Op. 196. Fünf Fantasie-Stücke über beliebt»
Motive , für das Pianoforte. Nro. 1. „Es geht sa
Mancher dir vorbei" von Kücken. 10 Ngr.
— Op. 204. La Blondine, Mazourka gracieuse pour Piano.
10 Ngr.
Cramer, Heinr. Op. 164. L'Africaine, de Meyerbeer. Fan-
taisie dramatique pour Piano. 20 Ngr.
Galle, Niels IV. Op. 44. Sextett für 2 Violinen, 2 Bratschen
und 2 Violoncelles. Arrangement für das Pianoforte)
zu 4 Händen von Aug. Hörn. Thlr. 2. 15 Ngr.
Herzogenberg, Hell. Op. 5. 6 kleine Ciavierstücke. 15 Ngr«
— Op. 6. Romanze für das Pianoforte. 15 Ngr.
Jensen^ Ad. Op. 31. Trois Valses-Caprices pour le Piano.
Nro. 1. L'Attraetion. 20 Ngr.
„ 2. L'Inquietude. 15 „
„ 3. L'Ingenuite. 15 „
— Op. 33. Lieder und Tänze. 20 kleine Ciavierstücke..
Heft I und II a 25 Ngr.
fiftcken, Fr. Op. 79. Waldleben, Concert- Ouvertüre für grosses
Orchester. Arrangement für das Pianoforte zu vier
Händen. Thlr. 1. 10 Ngr.
IiUboniirsIti, Casimir. La fille du banni, Romance pour
Piano. 10 Ngr.
— Uno dei due, Sonetto del Conte Gustavo Oilizar pour
Piano. 10 Ngr.
nlayfleder, JOS. Op. 65. Grand Quintetto Nro. 4 pour 2 Violons,.
2 Altos et Violoncelle. Arrangement pour Piano ä,
4 mains par Aug. Hörn. Thlr. 2.
Paucr, Ernst. Op. 63. Nr. 1. Andantino piacevole pour
Piano. 15 Ngr.
— Nr. 2. Valse melodieuse pour Piano. 12 Vi Ngr.
— „ 3. Tarantelle pour Piano. 17 V» Ngr.
— „ 4. Chanson du Savoyard pour Piano. 12 V» Ngr.
Stiehl, Hell. Op. 48. Zwei Giessbach-Lieder (Gedichte von E.
Mautner) für eine Singstimme mit Begleitung dea
Pianoforte. 15 Ngr.
Wllm, Nicolas. Op. 1. Sechs Präludien für das Pianoforte.
Heft I und H a 16 Ngr.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
N* SO.
14. Mai 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
Diese Zeitung erscheint jeden
' MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
hingen.
k 4
V © p I a g
von
B.
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
* PRIDES:
fl.2. 42 kr. od.Th.L18Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. perQuartal.
— 1r«
INHALT: Haydn's, Mozart's u. Beethoven's Kirchenmusik. — Frankfurter Oratorien- Concerte. — Correspondenzen : Stuttgart. — Nachrichten
Haydn's, Mozart's und Beethoven's Kirchenmusik
und
ihre katholischen und protestantischen Gegner.
Unter diesem Titel erschien im Verlage von P. E. C. Leuckart
(C. Sander) in Breslau eine Broschüre von Dr. Franz Lorenz,
welche sich die Aufgabe gestellt hat, die figurirte Kirchenmusik,
namentlich die kirchlichen (Kompositionen der oben genannten drei
grossen Meister, welche der fanatische Clerus wegen ihrer angeb-
lichen Unheiligkeit aus den Kirchen zu verdrängen sucht, an
vielen Orten bereits verdrängt hat, ihre Berechtigung im Allgemeinen
zu vindiciren und insbesondere das Unstichhaltige der Einwürfe
gegen die österreichische Kirchenmusik, worunter der Verfasser
vorzugsweise die von Haydn, Mozart und Beethoven geschaffenen
Werke dieser Gattung versteht, darzulegen.
In seinem Vorworte sagt der Verfasser: »Wie im Verlaufe der
Zeiten wiederholt Bilders tu rmerei stattgefunden, wie eine von
Overbeck ausgegangene, unter dem Namen „Nazarener" bekannte
nicht sowohl frommer als frömmelnder Maler und Kritiker glaubte,
um in der Kunst vorwärts zu kommen , bis auf Giotto und selbst
Cimabue zurückgehen und in trauriger Consequenz alles als un-
christlich verwerfen zu müssen, was Raphael, Michelangelo, Da Vinci,
Dürer, Holbein, Murillo geschaffen, so gehe gegenwärtig auch ganz
Aehnliches auf dem Gebiete der Kirchenmusik vor, indem sich eine
förmliche, immer mehr anschwellende Coalition gegen die öster-
reichische Kirchenmusik gewendet habe ; die Feinde der Kirchen-
musik seien zwar über ihre Endziele selbst noch uneins, indem die
Einen in Bach und Palestrina die Vorbilder ächten Kirchenstyles
erblicken, während die Consequenteren dagegen auch diese Beiden
über Bord werfen, und die Kirchenmusik, und wohl nicht diese
allein, bis in die Mönchszeiten Gregor des Grossen zurückdrängen
möchten, in dem Verdammungsurtheil über die Kirchenwerke unserer
drei grossen Tonheroen alle einig seien."
Der Verfasser ist sich ferner bewusst , stets nach möglichster
Objectivität gestrebt und den Gegenstand immer von beiden Seiten
betrachtet zu haben, was ihm auch billigerweise zugestanden werden
muss. „Wenn übrigens trotz der besten Vorsätze hie und da sich
einige Gereiztheit bemerklich mache, so möge man bedenken, wel-
chen Prüfungen der Geduld derjenige sich ausgesetzt gesehen habe,
der sich der peinlichen Leetüre aller gegen die österreichische
Kirchenmusik und ihre Hauptrepräsentanten geschleuderten Diatrihen
behufs der Wiederlegung derselben unterziehen musste; es halte
schwer den Gleichmuth zu wahren, wenn Einer das freche Wort
niederzuschreiben gewagt: „Seit Jos. Haydn ist die österreichische
Kirchenmusik gottlos in der Wortes scharfer Bedeutung" etc.
Die Gegner der heutigen Kirchenmusik, gegen die Dr. Lorenz sich
vorzugsweise wendet, sind der Pfarrer zur heil. Ursula in Cöln,
Albert Gerhard Stein, resp. dessen im Jahre 1864 erschienene
Broschüre: „Die katholische Kirchenmusik nach ihrer Bestimmung
und in ihrer dermaligen Beschaffenheit dargestellt" *) (Cöln ist auch
*} Siehe Nro. 20 des IS, Jahrgangs dieser Blätter.
einer von jenen Bischofssitzen, wo die Kirchenmusik radikal aus den
Kirchen verbannt ist, gerade wie bei uns in Mainz) und Thibaut
in seinem Buche: „Die Reinheit der Tonkunst".
Nach Vorausschickung einiger Betrachtungen über die Kunst
überhaupt und deren Entwickelung , namentlich der christlichen
Kunst, kommt der Verfasser auf die österreichische Kirchenmusik
speciell zu sprechen , indem er die derselben entgegengestellten
Vorwürfe zu entkräftigen und zu widerlegen sucht, was ihm auch
der Hauptsache nach immer gelingt, indem er an den hervorragend-
sten Musterwerken der betreffenden Gattung selbst die Berechtigung
der von den Meistern adoptirten Anschauungsweise und die einsei-
tige, beschränkte Auffassung der Gegner klar darlegt.
Der Verfasser gewährt ferner einen Einblick in den von We-
nigen gekannten Reichthum der Literatur dieser Gattung, soweit
dieselbe von österreichischen Componisten herrührt. „Wir kennen,
sagt der Verfasser, selbst in Oesterreich, viele dieser -Meister kaum
dem Namen, sowie den Umfang ihrer oft enormen Leistungen sicher-
lich nicht der Zahl nach ; bei dem regen Antheil, den in der Blüthe-
zeit jeder einigermassen gebildete Chorregent, worunter oft die be-
deutendsten aber über ihren Wohnsitz hinaus kaum dem Namen
nach bekannten Talente, an der Sache durch eigene Compositionen
zu nehmen pflegte , sowie bei dem Umstände , dass diese Werke,
selbst jene der Grossmeister, nur in Abschriften circulirten, sind ge-
wiss dereinst noch wichtige Entdeckungen auf diesem Gebiete zu
gewärtigen, während schon das bereits Vorhandene und Bekannte
über die Regsamkeit, die in diesem Fache geherrscht, und die Menge
vortrefflicher Schöpfungen, die sie ans Licht gebracht, gerechtes Er-
staunen hervorzurufen geeignet sind.
„Eine ungefähre Berechnung führt gleich in die Hunderte und
Tausende. Michael Haydn's und Albrechtsberger's Kirchenwerke
allein schon ergeben ein halb Tausend Nummern. Jedes grosse
Kirchenmusik- Archiv besitzt, wie sich der Verfasser durch theilweise
Vergleichung selbst überzeugt hat, ein anderes Inventar. So bewahrt
beispielsweise von Michael Haydn's Messen das Stift St. Peter zu
Salzburg 26 Nummern, die Hofcapelle in Wien 11, St. Stephan 12,
Stift Göttweig 31, Kremsmünster 26, Lilienfeld 28, das fürstliche
Musikarchiv zu Eisenstadt 29 ; hinwieder von den Gradualien und
Offertorien, deren früher erwähnte Cataloge 188 namentlich anführen,
das Stift St. Peter 249, Hofcapelle 82, St. Stephan 141, Göttweig 163,
Lilienfeld, 94, Kremsmünster 153, Eisenstadt 119, welch 1 letzteres
Archiv von M. Haydn's Kirchencompositionen 40 in autographischer
Handschrift des Meisters besitzt." (Fortsetzung folgt.)
* > o o *
Die Frankfurter Oratorien «Concerte.
ii.
(Fortsetzung.)
In seinem 2. Concert führte der „Rühl'sche Verein" Bach's
Cantate „Liebster Gott, wann werd' ich sterben ?" und die 1. Messe
von Beethoven (C-dur, Op. 86) auf. Das Bach'sche Werk enthält
78 -
•inen jener grossen Züge des Meisters: die Worte sprechen Ton
ernster Traner, und die Musik geht in heller Fröhlichkeit. Der
Chor klagt über das armselige Menschenloos, dass wir „eine kleine
Weil' auf Erden arm und elend sind und dann selber Erde werden,"
und mitten in den Gesang tonen die heiteren Klänge der Oboe und
Clarinette. Der Leib wird Erde, und was irdisch ist, klagt darüber ;
»ber die Seele wird frei von der Last des Körpers, drum schwinge
dich empor mein Geist zu Jubelweisen! Das ist der Sinn dieser
merkwürdigen GegensStze. Dieselben wurden gut ausgeführt Der
Chor begann in den ernsten Weisen, und lebendig bewegt erklangen
Oboe und Clarinette. Dann sang Hr. Borchers aus Wiesbaden
die Tenorpartie, Hr. Hill das Bass-Solo; Oboe und Flöte coneer-
tirten mit Tenor und Bass. Mit erhöhter Kraft machte dann der
Chor den Schluss.
Beethoven's erste Messe stammt aus dem Jahr 1808. Der Fürst
Esterhazy hatte den Anlass zu diesem Werk gegeben; in Eisen-
sadt, dem Sommer -Aufenthalt des Fürsten, ward sie auch zuerst
aufgeführt. Das Werk scheint nicht besonders gefallen zu haben;
man staunte es aus Respect vor Beethoven an, ohne die Begeisterung
des Meisters mitzufühlen. Beethoven schrieb dia Messe nicht, um
sich auch in dieser Kunstgattung zu versuchen, sondern aus wirk-
lichem innerem Drang. Es war sein Glaubensbekenntniss , das er
glaubte niederschreiben zu müssen. Er that es nur noch einmal,
vierzehn Jahre später (1822) in seiner zweiten Messe. Sehr fälsch-
lich glaubt man, Beethoven habe der Kirche so fern gestanden, dass
er nur durch ästhetische Reflexion sich in ihr Leben vertiefen konnte.
Die äussere Form, den Cultus, pflegte er zwar nicht; aber die
grosse Wahrheit, die Vorstellung von einer Weltordnung, aus
der die Kirche hervorgegangen, erkannte er.
Die Messe war für Beethoven selbst keine blosse Festtagsarbeit ;
er schrieb deren nur zwei; aus jeder spricht sein Glaubensbekennt-
niss , seine Weltanschauung. In der ersten tritt er uns entgegen
mit gefasster Kraft, als der mitten im Leben stehende, kämpfende,
ringende Mann (er war damals 38 Jahre alt). In der zweiten hat
er ein weiteres halbes Menschenalter voll reicher Erfahrungen hinter
eich (er schrieb dieselbe im Alter von 52 Jahren); der Kampf ist
beendet, hier ist alles geklärt, vergeistigt, keine Spur mehr von
Leidenschaft, hier ist alles nur edles Wollen. Seine C-moll- Sinfonie
und die Pastorale, zwischen denen die erste Messe entstanden, sind
die ergänzenden Seitenstücke zu diesem Werk ; das Seitenstück zur
zweiten Messe ist die kurz nach derselben beendete neunte Sinfonie
(1824). Dort die Gegensätze von politischem Kampf, von nationalen
Bestrebungen und dem friedfertigen Stillleben des kaum sich der
Nationalität bewussten Naturkindes ; und zwischen beiden die Messe,
welche die Gegensätze der von Menschen gesetzten Idee und der
unwillkürlich schaffenden Natur vereinigt. In der neunten Sinfonie
das Aufhören des politischen Kampfes , das Aufgehen der Nationa-
lität in das all' umfassende Weltbürgerthum , und daneben in der
zweiten Messe das von der allliebenden Natur umfasste, der natio-
nalen Unterscheidung gar nicht mehr bewusste Menschenthum. Es
bedarf keiner gesuchten Abstraction , keiner Ausscheidung der na-
tionalen, ländlichen, kirchlichen Umhüllung; wer überall nur das
Wesen, den Geist sucht, der muss denselben Hauch in allen Werken
finden. Das friedliebende Naturvolk, das Volk der Hirten, wenn es
seiner Rechte beraubt wird, greift zum Schwert und erringt sich
«eine Freiheit; wenn es das Recht wieder errungen, dann hat es
Zeugniss gegeben von der allmächtigen, unüberwindlichen sittlichen
Idee« Wo solche Einheit der Ueberzeugung, da kann keine Lücke
«ein. Bei Beethoven wäre diese Lücke ; man müsste das Dankgebet
der Hirten nach dem Gewitter für erkünstelt halten, wir müssten
nicht von dem Triumphgesang der C-moll-Sinfonie hingerissen wer-
den, wenn er nicht zugleich in der Messe seine hohe sittliche An-
schauung hätte bethätigen können!
Wir sehen also in der Messe überhaupt die concrete Darstellung
der abstracten Begriffe von der Weltanschauung und erkennen
hieraus die Notwendigkeit für Beethoven, ein solches Werk zu
schreiben , weil er berufen war, die Begriffe seiner Zeit von dieser
Weltordnung auszusprechen. Betrachten wir das Werk in seinen
einzelnen Theilen, dann finden wir überall diese Ansicht bestätigt.
Ueberall glauben wir, einen grossartigen Lobgesang zu hören,
von Engeln gesungen, d. b. von abstracten Menschen, zur 4 Verherr-
lichung des Gottes, d. h. für den Inbegriff der ganzen Menschheits-
Idee. Es zieht an uns vorüber in drei Hauptstücken, dem Kyrie,
dem Credo und Sanctus, d. h. dem Anruf, dem Bekenntnis«
und dem Dank.
Betrachten wir das Werk in seiner musikalischen Form, se>,
finden wir auch hierin für Beethoven die notwendige Ergänzung
zu seinem übrigen Kunstschaffen. In der Breitkopf 'sehen Ausgabe
ist das Werk betitelt: »Drei Hymnen*; das bezeichnet ganz sein
Wesen. Die Hymne steht dem Choral gegenüber, wie der durch-
componirte Sologesang dem Strophenlied. Das Strophenlied gibt nur
eine allgemeine Stimmung der Freude, des Schmerzes, der Trauer ;
£n jeder Strophe spricht sich mit anderen Worten dasselbe Gefühl
aus. Hierin liegt seine Vieldeutigkeit und die Möglichkeit, von
Vielen zugleich gesungen zu werden. Der Choral, der ein gemein-
samer Ausdruck von der religiösen Stimmung der ganzen Gemeine
sein soll, kann nur als Strophenlied erscheinen. Der durchcompo-
nirte Gesang tritt schon in seiner zweiten Strophe aus seiner All-
gemeinheit heraus ; er schreitet zur dramatischen Entwicklung einer
bestimmten Situation: das passt nur für den Einzelnen. Der Hym-
nus ist der zur dramatischen Entwicklung schreitende religiöse Ge-
fühlsausdruck Vieler, — nicht der ganzen Gemeine, sondern nur
derer, die auf gleicher Stufe der Lebensanschauung und dadurch
bedingten gleichen Stimmung sind. Wie das durcheemponirte Lied,
So verlangt deshalb der Hymnus ein Hineinleben in des Künstlers
Stimmung und ein genaues Fügen in seine Anordnung. Das kann
nicht die ganze Gemeine, sondern vermögen nur Einzelne. Wie das
durcheomponirte Lied, so kann der Hymnus nur von einem Kunst-
ebur vorgetragen werden. Damit schreitet er eigentlich aus der
Gemeine aus. Indem aber die einzelnen Sänger typische Repräsen-
tanten aus der Gemeine sind, findet sich doch die Gemeine in ihnen
wieder, nur bestimmter, deutlicher, bewusster wie in dem Choral,
den sie selbst mitsingt. Ein Beispiel möge dies verdeutlichen. In
Bach's „Passionsmusik" stehen die Elemente noch getrennt: die
durch den Gesang dargestellte (erzählte) Handlung (das wirklich
Dramatische); der reflectirende Kunstchor (der die specielle Hand-
lung mit der allgemeinen Anschauung der Gemeine vermittelt), und
die wirkliche Gemeine. Die Handlung finden wir dargestellt in dem
Recitativ; die zuschauende Gemeine in dem die allgemeine
Stimmung ausdrückenden Choral; dazwischen den vermittelnden,
halb dramatisirten , halb liedermässigen Chor der reflectirenden,
vermittelnden Künstler. In Beethoven's Messe ist das Recitativ,
die concrete Handlung, verdrängt und damit muss der Choral fallen,
sollte er nicht in nebelhafter Unbestimmtheit fort vegetiren. Die
hier ausgesprochene Stimmung setzt die Existenz einer Handlung
voraus, die wir nicht sehen, eines Gottes, der eine Welt erschuf,
eines Gott- Menschen, der für die Menschheit wirkte — wir hören
blos die Ausbrüche des Künstlerchors, die begeisterten Schilderungen
und Lobgesänge, die für uns unverständlich wären, fühlten wir nicht
überall die grossen menschlichen Züge heraus : die unbedingte Wahr-
heit und Naturtreue.
Wie das Strophenlied zur bestimmten Schilderung in dem durch-
componirten Gesang schritt und dadurch immer schärfere Characte-
ristik gab, so musste der Choral zum Hymnus sich entwickeln,
sollte der in seiner einsamen Majestät thronende, von der Mensch-
heit fast vergessene Gott — die sittliche Idee — nicht im Dogma
verkümmern. Für das Dogma passt nur der Choral. Der drama-
tischen Entwicklung unseres Lebens entsprechend, musste aber der
Gott gleichsam dramatisirt, d. h. Menschen-ähnlich in verschiedenen
Situationen dargestellt Werden. Von dem Gott selber sind nur we-
nige Handlungen darzustellen, desshalb fällt der Schwerpunkt auf
die Schilderung der Thaten und Leiden Christi. Damit nähert sich
der Hymnus aber der s. g. weltlichen Musik Beethoven's. Er ist
die Feier der abstracten Idee, die er concret im „Fidelio," „Egmont"
und den oben genannten Sinfonien dargestellt hat.
Der Dramatisirung des Chorals entsprechend , musste auch die
Melodie wesentlich umgestaltet werden. Die Bach'sche, Händel'sche
Melodie zeigt noch die Spuren ihres Ursprungs, das nüchterne, ver-
standesmässige Recitativ und den starr eonventionell gewordenen
Choral. Eine freie Tonspracbe war es noch nicht , die wurde erst
durch Mozart's Opern geschaffen und durch Beethoven sowohl wissen-
schaftlich begründet, wie künstlerisch fertig ausgebildet. Hier ist
die verstandesmässige Betonung, und die musikalische Ebenmässig-
keit erst vereinigt. Ausser seinem „FideUo* bieten die Lieder aus
_ 79 —
-Egmont", die Lieder der Mignon, „An die entfernte Geliebte",
Geliert's geistliche Lieder u. a. für alle Zeiten gültige Master. Diese
Tonsprache finden wir in der Messe zu einer idealen Vollendung
gebracht. Hier finden wir Weisen, die, was künstlerische Vollkom-
menheit anlangt, ausser in der 2. Messe nicht wieder ihres Gleichen
baben.
Für den stndirenden Künstler bietet dies Werk eine Schatz-
Jratnmer von Beispielen, gültig für alle nur denkbaren Fälle. Wir
wollen aber, am nicht über Gebühr ausführlich zu werden, nur noch
äer Instrumentation gedenken. Der Melodie entsprechend , musste
auch diese anders gestaltet werden. Für den stereotypen Choral
War eigentlich die Orgel geschaffen; bei Bach und Händel sehen
wir schon das Orchester ebenbürtig der Orgel zur Seite gesetzt.
Aber nicht allein ist es nur dürftig gegenüber dem für jeden Seelen-
ausdruck fähigen Beethoven'sohen Orchester ; es spielt auch grossen-
theils noch in der starren, unbiegsamen Weise der Orgel. Mozart
und nach ihm Beethoven haben das Orchester von diesem Bann
entfesselt; in den Beethoven'achen Sinfonien zeigt es eine Allfähig-
keit, dass wir nicht blos Menschenstimmen reden, sondern selbst die
leisesten Regungen des menschlichen Herzens, blosse Ahnungen in
deutlichem Ausdruck zu vernehmen glauben. Diese sinfonische
'Fähigkeit hat Beethoven auch auf die Messe übertragen und gerade
für diese, die doch nur geahnte, unbestimmt empfundene, in ge-
weihten Stunden erst zur Offenbarung kommende Gefühle ausspricht,
war diese Verbindung von der allerhöchsten Wichtigkeit. Nicht
blos sprach der Mensch in einer all unseren Verstandes- und gefühls-
mässigen Forderungen entsprechender Weise, sondern diese Werke
wurden noch durch einen so reichen Hintergrund gehoben und
schattirt, dass wir glauben, die ganze menschliche Seele vor uns
offen liegen zu sehen.
So tritt das Werk als ein in der Idee grossartiges, erhabenes
uns gegenüber , in der Form als vollendet und mustergültig für
alle Zeiten; kein Wunder, dass es auf Darsteller und Hörer einen
Überwältigenden Eindruck macht! Der „Rühl'sche Verein" hatte
es schon früher, unter Ruh 1 's Leitung aufgeführt; jetzt, unter
Friedriche Leitung, wurde es wiederholt durcbstudirt. Nur eine
öftere Wiederholung kann es in einer der idealen Vollkommenheit
annähernden Weise zur Darstellung bringen und das Verständniss
bei den Hörern fördern. Die jetzige Darstellung war in Anbetracht
der Schwierigkeiten als eine gelungene zu bezeichnen. Die Chöre
sangen mit Hingebung und Sorgfalt; die Soli wurden in gleich
edler Weise vorgetragen von Frl. Jenny Hentz, Opernsängerin
aus Mannheim, Frl. Julie Marschalk, Opernsängerin aus Stutt-
gart und dieHH. Bodo Borchers aus Wiesbaden und Carl Hill
von hier. Die Zuhörer nahmen es mit freudigem Ernst auf; eine
sittliche Erhebung muss die Folge sein. Heinrich Becher.
HO ! »
C0RRESP05DENZEK.
Aus Stuttgart.
Anfang! Mal.
Nachdem das 10. Abonnementsconcert, worin die „Jahreszeiten"
aufgeführt werden sollten, wegen Mangel an einer gerade für die
Partie der Hanne geeigenschafteten Sängerin mehrmals verschoben
wurde, konnte man endlich am 24. April das ersehnte Oratorium
geben, indem es gelungen war, für genannte Partie Frau Peschka-
Leuthner vom grossh. Hoftheater in Darmstadt zu gewinnen.
Ihre prachtvolle Stimme, welche besonders in den Recitativen von
imposanter Wirkung war, erregte alsbald die lebhafteste Sympathie,
und wenn wir auch im Ganzen die Aussprache etwas deutlicher,
sowie manches im Character etwas einfacher, kindlicher, sozusagen
idyllischer gewünscht hätten, so stimmten wir doch in den begeis-
terten Beifall von Herzen ein. Auch die HH. Schüttky und
Alb. Jäger fanden für ihre tüchtigen Leistungen die verdiente
Anerkennung, sowie Orchester und Chor, der durch den „Verein
ftr classische Kirchenmusik" ansehnlich verstärkt war. Da der
Nachwuchs des letzteren sich eigentlich fast durchweg aus den
wohlgeschulten Gesangszöglingen unseres Conservatoriums rekrutirt,
denen auch schnellere Passagen geläufig sind, so trat die Stimm-
führung in den Fugen u. dgL deutlicher hervor, als die theilweise
etwas übertriebenen Tempi erwarten Hessen; die Wirkung einiger
sehr wichtigen Tempowechsel ging durch letztere leider verloren»
Doch fallen solche Einzelnheiten nicht so sehr ins Gewicht, gegen-
über dem wohlthuenden, herzstärkenden Eindruck, den diese frische,
kerngesunde Musik auch diesmal wieder hervorbrachte.
Einer unserer jüngerer Tonkünstler, Hr. Egmont Fröhlich,
Dirigent des Orchestervereins, führte anter Mitwirkung desselben
eine Mozart'sche Sinfonie, dann ein recht hübsches Quartett
eigener Composition vor, und spielte Weber's As-dur-Sonate, sowie
zwei ebenfalls selbst componirte Salonstücke mit verdientem Beifall.
Frl. Wagner, deren Erfolge als Sängerin wir erst kürzlich er-
wähnten, sang die Kirchenarie von Stradella und die Cavatine aas
„Semiramis",
Auch einer anderen Elevin unseres Conservatoriums, Fräulein
HeleneWichmann, welche in dem bald darauffolgenden 4. Con-
certe des „ Orchesterverein* auftrat, müssen wir rühmlich gedenken,;
sie erntete mit einer Mozart'schen Arie und zwei Liedern von Men-
delssohn und Mozart lebhaften Beifall, der sowohl ihrer klangvollen,
umfangreichen, trefflich ausgeglichenen Stimme, als ihrem warmen,
fiiessenden, unwillkürlich mitreissenden Vortrage galt. Die junge
Dame hat ihre Studien dahier beendigt und gebt einer schönen
Laufbahn entgegen ; sie nimmt von hier die besten Glückwünsche
mit. Unter den übrigen Nummern des Programmes nennen wir noch*
die Mozart'sche Sinfonie in Es, welche sich einer sehr sorgfältigen
Aufführung erfreute.
Das Programm der 10. und letzten Soiree für Kammermusik
enthält ein Streichquartett von Mendelssohn, ein Ciaviertrio von
Hummel und das Septuor von Beethoven , — jenes des nächsten
Singvereins - Concertes einen neuen Frühlings - Chor von G. Linder,
den Liedercyklus : „der fahrende Schüler" von Marschner, ein neues,
von Moritz Hartmann gedichtetes, von L. Stark componirtes Inter-
mezzo: „Zerbino's Ständchen* für kleinen Chor und Soli, und
schliesslich „des Sängers Fluch," Ballade nach Unland von Rieb.
Pohl, componirt von Rob. Schumann.
Der „Verein für classische Kirchenmusik" bereitet die „letzten
Dinge" von Spohr zu demnächstiger Aufführung vor. T.
f mm
Nachrichten.
ffaillZ. Am Mittwoch den 9. d. M. begann Hr. Dr, Schmid,
k. k. Kammersänger von Wien sein Gastspiel, dem man mit grosser
Spannung entgegengesehen hat, da der ausgezeichnete Ruf, der
diesem Sänger voranging, und die enormen Erfolge desselben, über
die zuletzt aus der Nachbarstadt Frankfurt berichtet worden, einen
seltenen Genuas erwarten Hessen. Hr. Schmid trat als Marcell in
den „Hugenotten 11 auf, und die freundliche Begrüsaung mit der der
berühmte Gast bei seinem Erscheinen empfangen wurde, verwandelte
sich schon nach den ersten Tonen seiner unvergleichlich schönen,
umfang- und metallreichen Stimme in einen wahren Beifallssturm,
der, immer wachsend, die eminente Leistung des treulichen Künst-
lers bis sum Ende der Vorstellung begleitete. Auch war der En-
thusiasmus, den die freudig erregten Zuhörer bekundeten, ein voll-
kommen gerechtfertigter, denn Hr. Schmid besitzt nicht nur eine
Stimme von seltener Kraft und Schönheit, sondern er ist auch ein
tüchtiger Sänger, der seine Mittel vollständig zu verwerthen und
jede Nuance, die dem Componisten vorgeschwebt, aufzufinden und
zur Geltung zu bringen weiss. Seit Staudigl ist wohl Schmid
der erste aller Bassisten, der mit Erfolg gegen die Erinnerung an
jenen unvergleichlichen Meister anzukämpfen vermag. Wir müssen
für heute uns auf das wenige soeben Gesagte beschränken , indem
wir im weiteren Verlaufe von Schmid 1 * Gastspiel ausführlicher auf
seine Leistungen zurückzukommen gedenken. Neben ihm gastirten
Frl. Hülgerth von Dessau als Valentine und Frl. Hysel von
Stettin als Page mit sehr günstigem Erfolge , doch sind hier, be-
sonders da beide Damen auf Engagement gastiren , noch ferner«
Leistungen abzuwarten, bevor wir ein entscheidendes Urtheil ab-
geben können.
Die romantische Zauberoper „Undine" vonLortzing ist, neu
einstudirt und mit prachtvollen Decorationen von Mühldorfer
versehen, in sehr gelungener Weise bereits zweimal mit grossem Beifall
gegeben worden. Näheres in nächster Nummer. E. F.
- 80 -
HeapeT, 15. April. Am 7. April ist in San Carlo M er cadante's
<Oper „ Virginia* mit beispiellosem Erfolge nnd Kundgebungen des
Beifalls, wie sie nur in Italien möglich sind, zum ersten Male ge-
geben worden. Zum Beweise diene die Thatsacbe, dass die Dar-
steller einzeln und zusammen dreiundfünfzig Mal gerufen wur-
den. Der Componist, der ebenfalls stürmisch gerufen wurde, war
nicht anwesend, da er durch sein Alter und Unwohlsein ans Zimmer
gefesselt war; man zog nach seiner Wohnung und brachte ihm dort
Glückwünsche und Serenaden. Der Dichter des Libretto, Camma-
rano, ist schon vor neun Jahren gestorben ; er hat Alfieri's Tragödie
gleichen Namens zum Muster genommen. Die Oper hat drei Acte,
die Hauptrollen sind ein Sopran, zwei Tenöre und ein Bariton.
Sowohl die Arien als die Ensemblestücke , Duette , Terzette und
Sextette, erregten rsuschenden Aplaus, ebenso ein Doppelchor im
«raten Acte, eine Orgie der Decemviren und ihrer Anhänger, und
dazu im Gegensatze ein Chor des Volkes, das den Tod des Den-
latus beklagt.
Mercadante ist 1797 in der Provinz Bari geboren und kam schon
in seinem zwölften Jahre nach Neapel ; er ist also in seinem sieben-
zigaten Lebensjahre. Von der grossen Anzahl seiner Opern haben
„Elisa e Claudio," „// Giuramento" und „Le Duc illustri Rival?'
den giössten Erfolg gehabt. Schon in seinen vierziger Jahren litt
er an einem gefährlichen Augenübel, wodurch er das eine Auge ver-
lor, so dass er seine Musik am Ciavier in die Feder dictirte. Im
Jahre 1840 wurde er zum Director des Conservatoriums in Neapel
ernannt, welche Stelle er noch bekleidet; seit 1862 ist er aber lei-
der gänzlich erblindet.
%* Der Wittwen- und Waisen - TJnterstützungsverein der Ton-
künstler Wiens „H a y d n" veröffentlicht soeben den Rechnungsab-
schluss für das 95. Vereinsjahr 1865. Nach demselben ergaben die
beiden Academien zu Ostern und Weihnachten ein Erträgniss von
2479 fl. 24 kr. und nach Abzug aller Auslagen ein reines Einkommen
von 2357 fl. 77 kr. in Baarem , 608,405 fl. an Obligationen. An
Pensionen wurden 16,630 fl. 25 kr., an Unterstützungen 235 fl. 75 kr.
verabfolgt. Die Anzahl der Mitglieder beläuft sich auf 88. Pen-
sionen wurden an 35 Wittwen und Waisen gezahlt. Nach einem
Beschlüsse der Generalversammlung -werden die Pensionen von
460 fl. auf 480 fl. erhöht. Die Wirthschaft ist daher eine gedeih-
liche. Protector des Vereines ist Graf Kuefstein, Vorstand Hr.
Esser, Stellvertreter Hellmesberger, Secretär Joseph
Lebitschn i g g,
%* An die Stelle des in Buhestand versetzten und aus diesem
Anlasse mit dem Bitterkreuze des Franz Josephordens ausgezeich-
neten Hofcapellmeisters Hrn. Bernhard Bandhartinger wurde
der bisher überzählige Vicehofcapellmeister Hr. Johann Herbeck
zum ersten wirklichen Hofcapellmeister ernannt. Beide Fälle, näm-
lich sowohl die Pensionirung, wie die Präterirung des seit Langem
dienenden Vicehofcapellmeisters Preyer, machen, als in der Ge-
schichte der k. k. Hofcapelle ohne Präcedens dastehehende Vorfälle,
in den musikalischen Kreisen nicht geringes Aufsehen. Hr. Herbeck,
dessen glänzende Carriere übrigens durch seine künstlerischen Ver-
dienste vollkommen gerechtfertigt erscheint, bezieht in seiner neuen
Stellung an Gehalt und Nebengebühren ungefähr 2000 fl. per Jahr.
(Hr. Herbeck soll übrigens einen Wink erhalten haben , dass sich
die Direction des Männergesanges mit seiner neuen Würde nicht
gut vertrage.)
*** Hr. Bandhartinger hat bereits von der k. k. Hofcapelle
herzlichen Abschied genommen, sowie Hr. Herb eck von dem ihm
so lieb gewordenen Männergesangverein, der ihn in voller Versamm-
lung zu seinem Ehrenmitgliede ernannte. Unter den zahlreichen
Candidaten für die Chormeisterstelle des genannten Vereins stehen
die HH. Wein wurm, Chormeister des academischen Gesangvereins
und Mai r, Chormeister das Vereins „Schubert-Bund" in erster Beihe.
*** Der Tenorist U c k o ist in Folge seines Gastspiels in
Dresden am dortigen Hoftheater auf drei Jahre engagirt worden
und erhält im ersten Jahre 4000 , im zweiten 5000 und im dritten
6000 Thlr. Gage.
*** Frau ClaraSchumann hat nach ihren ausserordentlichen
Triumphen in Wien und Pesth in letzterer Zeit auch in Graz und
Leibach concertirt und die Bewohner dieser Städte durch ihre emi-
nenten Kunstleistungen im höchsten Grade erfreut und entzückt.
V Hr. Beer* Tenorist am Coburg- Gothaer Hoftheater, feiert«
am 21. April sein 25jähriges Dienstjubiläum , bei welcher Veran-
lassung ihm die unzweifelhaftesten Beweise freundlicher Theilnahme>
von allen Seiten entgegengebracht wurden.
*** Im Münchener Kunstverein ist der silberne Lorbeerkran»
ausgestellt, welchen die dortigen Freunde und Verehrer Richard
Wagner's für denselben durch den Goldarbeiter Quell bor st
fertigen Hessen; das Geschenk geht dieser Tage an seine Adresse.
*** J o a c h i m gab mit dem Pianisten T a u s i g ein Concert
in Hannover. Er fand beim Auftreten seinen Notenpult und difr
Estraden mit Blumen und vergoldeten Kränzen geschmückt. Auch
auf Tausig's Flügel prangte ein Bouquet.
*** Das Oratorium „Die letzten Dinge" von Spohr wurde in
B o t z e n unter N a g i 1 1 e r ' s Leitung in recht gelungener Weise
aufgeführt.
*** Der vortreflliche Violoncellist Cossmann in Weimar geht
auf ein Jahr als Lehrer an das Conservatorium in Moskau , ohne>
jedoch seine Stellung in Weimar aufzugeben.
*** Die mit so grossem Eclat von der Berliner Hofbühne ge-
schiedene Solotänzerin M a r i e Taglioni wird sich demnächst
mit einem Sohne des Feldmarschalls Fürst von Windischgrätz ver-
heirathen und mit ihm in Berlin ihren bleibenden Aufenthalt nehmen.
Man sagt, Frl. Taglioni werde vor ihrer Vermählung noch in den*
Adelstand erhoben werden.
*** Am 26. April starb in Pardubitz in Böhmen die früher in;
Darmstadt engagirte und dort äusserst beliebt gewesene Sängeria
Frl. Emilie Schmidt. Sie war eine mit schonen natürliche»
Mitteln und feiner, künstlerischer Durchbildung ausgestattete Künst-
lerin und wusste sich auch im Privatleben die allgemeinste Achtung*
und Verehrung zu gewinnen. Die Verblichene war die erste Re-
präsentantin der Gounod'schen „Margarethe" in Deutschland und
wird ihre Leistung gerade in dieser Partie stets unvergessen»
bleiben.
*** Capellmeister J. J. B o 1 1 in Hannover hat das Decret
seiner lebenslänglichen Anstellung erhalten, und wurde bei dieser
Veranlassung von seinem Orchester in der Probe mit einem Tuscb
empfangen.
*** Offenbach's „schöne Helene" wurde dieser Tage zum
ersten Male in Antwerpen gegeben und ausgepfiffen; es hatte sich
ein zahlreiches Auditorium eingefunden , welches im ersten Acte
lachte, im zweiten zischelte und im dritten endlich in lautes tische»
und Pochen ausbrach.
*»* Zwei in London noch neue Sängerinnen, Frl. Marie Wilt
(Signora Wilda) und Frl. Louise Lichtraay haben dort mit
günstigem Erfolg debütirt, und zwar Erstere in Coventgarden ala
Norma , Letztere in Her Majesty's Theatre als Leonore im
„Trovatore".
*** Herr J. A. Z e 1 1 n e r , Eedacteur und Eigenthümer der
Wiener „Blätter für Theater, Musik und bildende Kunst" hat vom
Kaiser von Oesterreich in Anerkennung seiner Leistungen auf dem
Gebiete der Kunst die grosse goldene Verdienstmedaille für Kunst
und Wissenschaft erhalten.
*** Dem Director des grossh. Hoftheaters in Carlsruhe, Hrn.
Eduard Devrient ist die Leitung des königl. Theaters in Han-
nover angeboten worden. Hr. Devrient hat den Antrag abgelehnt
und wird in Carlsruhe bleiben.
*** In Havre macht ein junger Mann Aufsehen, der mit dem
Munde mit ausserordentlicher Geschicklichkeit pfeift und durch eine
eigentümliche Anwendung der hohlen Hand dem Tone einen der
Flöte täuschend ähnlichen Character zu geben weiss.
*** In Pesth erregte eine Baronin Ambrozy durch ihren
Gesang enormen Enthusiasmus.
*** Der Violinvirtuose J. Lotto, der auf einer Kunstreis»
nach Schweden begriffen, auch in Copenhagen mit vielem Beifall
concertirte, hat vom Könige von Dänemark den Danebrog - Orden
erhalten.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
m*i.
21. Mai 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
* lungen. j
© tr II si g
v-
von
i
PREIS:
'*t
B.
•■
| fl. 2. 42 kr. od. Tb. 1. 18 Sg.
\ für den Jahrgang.
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ, j d«a ai. ***»«■ .
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Sehott & Co.
.—s~./V'
r
<
i
INHALT: Haydn's, Mozart's u. Beethoven 1 » Kirchenmusik. — Correspondenzen : Mannheim. Cassel. Magdeburg. Paris. — Nachrichten.
Haydn's, Mozarfs und Beethoven's Kirchenmusik
und
ihre katholischen und protestantischen Gegner.
(Fortsetzung.)
Dr. Lorenz analysirt den lateinischen Text der katholischen
Messe und legt die Schwierigkeiten dar, welche derselbe dem Com-
ponisten entgegenstellt, sowie die Art und Weise, in welcher Mozart,
Haydn und Beethoven bei ihrer Auffassung des Textes, diese Schwie-
rigkeiten erkennend, beim Componiren verfahren sind. Auch über
andere, minder bekannte 'österreichische Kirchencomponisten und
ihre Werke gibt der Verfasser interessante Mittheilungen, und sagt
dann am Schlüsse des Capitels „über die österreichische Kirchen-
musik" (Seite 46 u. ff.): „Fürwahr, es. war eine herrliche, grosse,
für Oesterreich wohl nie mehr wiederkehrende Zeit, die Periode von
jenem kaiserlichen Capellmeister F u x bis zu den eben genannten
Heroen herauf! Eines jener goldnen Zeitalter der Kunst, wie es
dem MeosdWtageschlechte so äusserst selten, nur in ungeheuren
Zeitdistanzen, vom Geschicke gegönnt wird. Die Tonkunst war kein
Naschwerk für blasirte übersättigte Mägen, sie war bei Hohen und
Niederen zu einem Bedürfniss des Herzens, fast zu einer Art reli-
giösen Cultus geworden. Kaiser musicirten und componirten, Prinzen
und Prinzessinnen wirkten bei Musikprodnctionen in der Hofburg —
Fürsten und Grafen, wie Rasumovsky, Lamberg, Fuchs bei jenem
des Fürsten Esterhazy in Eisenstadt persönlich mit, in Klöstern und
Städten fand die Kirchenmusik ihre eifrigsten Pfleger, ja häufig
selbst in unscheinbaren Marktflecken und Dörfern würdige Vertreter
— wir erinnern beispielshalber nur an den bekannten , trefflichen
Kirchencomponisten R i e d e r , simplen Schulmeister im Markte
Berchtoldsdorf bei Wien — in der Residenz aber selbst bildeten sich
mitten unter einer im Ganzen ziemlich cruden Bevölkerung zahlreiche
Oasen ächter, ungeschminkter Humanität und Cultur, jener edlen,
von Jahn mit sichtlicher Liebe geschilderten Kreise, die die Fami-
lien Thun, Jacquin, Greiner, Martinez, Kress, Spielmann etc. um sich
versammelte und wo alles, was gut und schön, vor allem aber die
Tonkunst die reinste, begeistertste Verehrung gefunden. Hervorge-
gangen aus dieser Zeitströmung und getragen und gehoben von ihr,
wirkten und schufen unsere grossen Meister. Wo ist ein Fach ihrer
Kunst : Oratorium, Oper, Sinfonie, Concert, Quartett etc. bis zur So-
nate und dem Liede herab, in dem nicht von ihnen Musterwerke
für alle Zeiten geschaffen worden? Wo ist aber auch auf kirchlichem
Gebiete ein Fach, das nicht von diesen Koryphäen und anderen
Meistern, von denen wir oben nur die kleinste Anzahl namhaft ge-
macht, mit Werken von fast unübersehbarer Menge, und den bewun-
derungswürdigsten darunter, geschmückt worden wäre?
Ja, diese Werke, wie die Aussprüche selbst, die diese grossen
Meister und zugleich Kenner, wie keine anderen, Über ihre Leistungen
gegenseitig gethan, bezeugen es int jeden, der nicht um Parteizwecke
willen Augen und Ohren verschliesst, dass auch auf kirchlichem
Gebiete hier die Tonkunst im schönen Style, wie einst unter Palä-
strina im erhabenen, ihre Vollendung gefeiert; eine Vollendung, wie
sie in dieser Art erst jetzt, durch das merkwürdige auch in andern
Zweigen beobachtete Zusammentreffen der gr Össten Genies mit der
ihrer Culmination sich nähernden, all ihrer reichen Mittel endlich
bewusst gewordenen Kunst, möglich gewesen ; es bezeugen es unter
Andern auch zwei Autoritäten, deren Verdict dem deutschen Pub-
likum wohl mehr als jenes des Verfassers, eines unbekannten, auf
publicistiscbem Felde weder berühmten noch berüchtigten Mannes
iroponiren dürfte.
Vischer sagt in seiner Aesthetik vom schönen Styl:
„Der schöne Styl ist der freie, Anmuth, Reiz und Effect nie ein*
aeitig erstrebende, auf Ausdruck bedachte, aber ihn von einseitigem,
gefühligem Sichvordrängen zurückhaltende, gemüthreiche aber nicht
sentimentalisirende, das Characteristische, Individuelle, Naturalistische ,
mit dem reinen'.Duft gehobener Idealität umgebende, auch die stren-
gen Formen mit Abstreifung ihrer abstracten Regelmässigkeit frei
in sich verarbeitende Styl, der nichts, was die Musik an Formen
und Mitteln bietet, verschmäht, ebenso aber auch alles zu in sich
abgerundeter, klarer Einheit zusammenfasse Er befriedigt zwar für
sich allein nicht alle Anforderungen, da man das Hohe und Ideale
nicht blos als Element, sondern in eigener, selbständiger Ausprägung
vernehmen will, aber er ist der Gipfel des musikalischen Styls
durch seine Universalität, durch seine allseitige Vollendung".
Helmholtz hxirt in seinem neuen Werke: „Ueber Tonempfin-
dungen" den Werth der neuern Musik auf folgende Weise: „In der
That, die Art, wie das Tonmaterial der Musik jetzt für den künst-
lerischen Gebrauch zurecht gemacht, ist an sich schon ein be-
wunderungswürdiges Kunstwerk , an welchen die Erfahrung , der
Scharfsinn und der künstlerische Geschmack der europäischen Na-
tionen seit Terpander und Pythagoras nun dritthalb Jahrtausende
gearbeitet haben. Mit diesem Tonsysteme, welches grossen Reich-
thum von Formen bei festgeschlossener künstlerischer Consequenz
zuliesb, ist es nun möglich geworden, Kunstwerke zu schaffen, viel
grösser an Umfang, viel reicher in Formen und Stimmen, viel ener-
gischer im Ausdruck, als es irgend eine vorausgegangene Zeit pro»
duciren konnte, und wir sind daher gar nicht geneigt, mit den mo-
dernen Musikern zu rechten, wenn sie es für das vorzüglichste
von Allen erklären ; nur dürfen sie nicht vergessen, dass neben diesem
Systeme und vor ihm andere aus anderen Principien entwickelt
worden sind, in deren jedem gewisse beschränkte Aufgaben der Kunst
so gelöst worden sind, dass auch der höchste Grad künstlerischer
Schönheit entwickelt wurde."
Sollte es also wirklich dahin kommen, wozu man leider in eini-
gen Erzdiöcesen am Rhein, in Schlesien und Böhmen bereits den
Anfang gemacht, dass die katholische Hierarchie diesen ganzen ed-
len Zweig mit dem Iftterdict belegt, auf das Geschrei vieler katho-
lischen und protestantischen Idioten und Schreihälse lieber horchend
als auf üas Urtheil weniger, aber grosser Künstler und gründlicher
.Forscher, von welch* letzteren wir soeben zwei namhaft gemacht,
dann fürwahr wäre die Braut Christi, mit pflichtschuldigster Auf-
— 82 —
richtigkeit sei's gesagt, unter den sieben thörichten Jungfrauen die
thörichste an nennen, indem sie einen herrlichen Schmuck voll der
kostbarsten Juwelen , den ihr die trefflichsten Heister aufs Haupt
gesetat, von sieb und in den Koth warf, weil ein oder der andere
Stein nicht ganz die gehörige Fassung, vielleicht auch hie und' da
einen kleinen Flecken hatte! (Schluss folgt.)
CORBBSPOVDEKZEN.
Ans Mannheim.
Im weiteren Yerlauf der nun zu Ende gekommenen musikali-
schen Saison, deren früherer Theil vor einiger Zeit in diesen Blättern
besprochen wurde, sind es hauptsächlich einige grössere Concerte,
die das Interesse unserer Musikfreunde in Anspruch nahmen, näm-
lich die beiden letzten Acaderoien des Hoftheater -Orchesters. Es
kamen in der 3. Academie folgende Werke zur Auffuhrung: I. Ab-
theilung: Sinfonie in Es (mit dem Paukensolo am Anfang) von J.
Haydn. II. Abtheilung: Ciavier- Vorträge des Hrn. Dionys F ruck-
ner aus Stuttgart: A-moll-Concert von Schumann, Impromptu von
Chopin, Polonaise von Liszt; ferner von Gesängen: zwei Duettinen
für Sopran und Bass, „Abschied" und „Mailied" von F. Hiller» ge-
sungen von Frl. H e n t z und einem Dilettanten , sowie von Letz-
terem der Vortrag zweier Lieder, „Normann's Sang" von F. Schu-
bert und „der letzte Grass" von Herrn. Levi: endlich Concertino
für die Flöte von Langer, vorgetr. von Hrn. Neuhof er. III. Ab-
theilung: „Requiem" von Cberubini. Hr. Pruckner, der hier zum
erstenmale spielte, fand die vollständigste Anerkennung und Bewun-
derung seiner allerdings eminenten Leistungen, vermöge welcher
es ihm auch gelang, das früher von einem andern Ciavierspieler hier
vorgetragene Concert von Schumann , an dem man damals wenig
Geschmack finden wollte, zu besserem Verständnies und gerechterer
Würdigung zu bringen. Die Duettinen von Hiller boten namentlich
dem oben angeführten Dilettanten (einer der geachtetsten hiesigen
Familien angehörig) weniger Gelegenheit, die Vorzüge seiner schönen
Stimme sowohl, als seines durchaus ungezwungenen und sinnigen
Vortrags geltend zu machen, als nachher in den beiden Liedern von
Schubert und Levi geschehen konnte. — In dem Flötenconcert, das
von Hrn. Neuhofer ungeachtet seiner eigentümlichen Schwierigkeiten
trefflich vorgetragen wurde, bekundete der Componist ein nicht un-
bedeutendes Talent sowohl in Behandlung der Haupstimme als der
mit Sorgfalt ausgearbeiteten Orchesterpartie; allerdings nahm das-
selbe, bei der freundlichsten Anerkennung der Leistungenjdes Com-
ponisten sowie des Virtuosen von Seiten der Zuhörer, die Geduld
der Letzteren bei dem sehr reichhaltigen Programm etwas zu lange
in Anspruch. — Die Aufführung des „Requiem" von Cherubini, bei
dem sich die Mitglieder des Musikvereins und der Theater-Singchor
betheiligt hatten, war eine ganz treffliche, schwunghafte und erfreute
sich der lebhaftesten Anerkennung der Musikfreunde von gediegenerer
Richtung.
Die vierte und letzte Academie hatte folgendes Programm:
Ouvertüre zu „Coriolan" von Beethoven. Hr. Concertmeister Singer
aus Stuttgart: Violinconcert von Mendelssohn, Cavatine von Raff,
Barcarole und Scherzo von Spohr. Hr. C. Hill aus Frankfurt :
„Flutheiireicher Ebro" von Schumann, und „Olinde* von Schubert.
2um Schluss: „Sceuen aus der Frithjofssage" für ß^>li, Männerchor
und Orchester von Max Bruch (Ingeborg Frl. Hentz, Fritbjof Hr #
C. H i 1 1). Hr. Concertmeister Singer, als einer der ausgezeichnet,
sten Violinisten allgemein bekannt, bewährte auch hier durch seine
trefflichen Vorträge seinen woblbegründeten Ruf, und erntete den
reichlichsten Beifall. Nicht minder gewann sich Hr. 0. Hill, den
zu hören man hier schon lange gewünscht hatte, schon durch seine
Liedervorträge, ganz besonders aber in den Frithjofs - Scenen die
freudigste und allgemeinste Anerkennung; Hr. Hill ist in den wei-
testen musikalischen Kreisen durch die Vorzüge seiner Stimme und Ge-
sangsweise, hauptsächlich im Oratorium und diätem verwandter Gattung
gekannt und geschätzt, als dass wir veranlasstem könnten, uns darüber
noch ausführlicher auszusprechen. An der Aufführung der Samen aus
der Frithjofssage hatten sich die Männergesangvereine „Liedertafel,"
„Sängerbund" und „Liederkranz" nebst dem männlichen Theil des
Theater-Singchors betheiligt. Von allen uns bisher bekannt gewor-
denen Compositionen von M. Bruch , auch dessen Oper „Loreley"
nicht ausgenommen, möchten wir der in Rede stehenden hei Weitem
den Vorzug geben, da sie in allen Theilen, im melodischen, decla-
matorischeu, harmonischen, rhythmischen, sowie in vorteilhafter
Behandlung der Stimme und des Orchesters selbst strengen Anfor-
derungen Genüge leistet. Vor allem aber ist es der elgenthflmHcho
Geist der Dichtung, den der Componist in seine Musik überzutragen
verstand, mit Verschmähung einer bei derartigen Werken unserer
Zeit so häufig vorkommenden, erkältend wirkenden Reflexion, eine
aus tiefstem Gefühl , jedoch mit der , wahrer Kunst angemessenen
Mässigung, herausarbeitend. Die Gesammtleistung war eine völlig
abgerundete und höchst befriedigende; die Chöre wurden, je nach
Erforderniss der Composition, mit Innigkeit und feurigem Schwünge
ausgeführt.
Die bedeutendste Leistung des Musikvereins in der letzten Zeit
war die Aufführung von Mendelssohns „Paulus" unter Leitung des
Hrn. Concertmeisters Koning und unter Mitwirkung des Theater-
orchesters. In die Soli tbeilten sich einige Mitglieder des Vereins
und des Theaters. Nicht unerwähnt möge bleiben, dass der Verein
noch eine zweite Aufführung dieses Oratoriums kurz nach der ersten
zum Besten der Witt wen- und Waisenkasse des Hoftheaterorchesters
veranstaltete.
In der zweiten und dritten Quartett- Aufführung hörten wir zwei
Quartette von Haydn: Nr. 70, D-dur und Nr. 33, G-moll, Quartett
von Mendelssohn, F-moll, aus dessen Nachlass, von Schumann Nr. 2,
F-dur, von Beethoven Nr. 6, B-dur, Nr. 13, B-dur. Das Mendels-
sohn'sche Quartett zeigte eine in Gedanken und Ausführung etwas
fremde Färbung, so dass es uus nicht eigentlich Mendelssohnisch
erschien, vielmehr uns bedünken wollte, der Meister hätte versucht,
einen von seinem sonst gewohnten verschiedenen Weg einzuschlagen.
Wegen längerer Krankheit des Hrn. Koning konnte die letzte Quar-
tettunterhaltung noch nicht stattfinden.
Der „Dilettanten -Verein," der nach stetem Fortstritt strebt,
brachte in seiner letzten Aufführung neben kleineren Stücken ver-
schiedener Art die erste Sinfonie von Beethoven in sehr anerkennens-
werther W^ise zu Gehör.
In der Oper trat naclPdenr in diesen Blättern bereits gemelde-
ten Gastspiel des Frl. Stehle aus München Frau Jauner-Krall
aus Dresden als Gast auf, und zwar in den Opern: „Barbier von
Sevilla" als Rosine, „Regimentstochter" als Marie unjd.,Figaro , s
Hochzeit" als Susanne. Von diesen drei Rollen fand die zweite die
allgemeinste*Anerkennung , während in Betreff der übrigen die An-
sichtenjdes Publikums sich theil ten.
Von Novitäten in der Oper ist bis jetzt nichts mitzutheilen ;
Meyerbeer's „Afrikanerin" wird öfters wiederholt ohne eben Begeis-
terung zu erwecken. Meudelssohu's Finale aus „Loreley" wurdo
kürzlich neu einstudirt nach längerer Zeit wieder gegeben, i
Aus C f» s s e 1.
Der Wonnemonat ist schon hereingebrochen, und noch immer
bin ich im Rückstande mit meinem Berichte über die musikalischen
Ereignisse in Cassel seit dem 1. Januar d. J. Ich will nunmehr
das Versäunhe möglichst nachzuholen suchen und theüe Ihnen zu-
nächst nachstehend die Programme unserer vier letzten Abonnements-
Concerte mit: Am 9. Januar 3. Abonnement -Concert des Kurfürstl.
Hoforchesters. I. Theil. „Michel Angelo", Concert-Ouvertüre von Niels
W. Gade (zum 1. Male); Arie aus der Oper „Pietro von Albano"
von Spohr, ges. von Hrn. Lindemann; ConcertstUck für Pianoforte
mit Orchesterbegl. von Weber, vorgetr. von Frl. Mary Krebs aus
Dresden; Lieder mit Pianofortebegl. vorgetr. von Frl. Grün; Fuge
von Händel und Fantasie von C. Krebs für Pianoforte, vorgetr. von
Frl. Krebs; Männerchöre mit Orchesterbegl.: a) „Lied der Städte"
von Max Bruch; b) „Das deutsche Schwert" von Carl Schuppert,
gesungen von sämmtlicben Solisten und Choristen der Oper und den
Mitgliedern der Liedertafel. II. Theil. Sinfonie Nr. 2 (D-dur) von
Beethoven.
Am 6. Februar 4. Abonnement-Concert. I. Theil. Ouvertüre zu
„ßlympia" von Spontini ; Violoncellconccrt von Bob. Volkmann, vor-
- 88: -
*etr. von dem FUntl. Hohenzollern'solien Kammervirtuosen Hm. D.
Popper aus Löwenberg («am 1. Male); Septett aus der Oper „Les
voilures versdes" von Boieldieu (zum l. Male), ges. von den Damen
Wiczek, Wiokler und Podesta und den HH. Bachmann,
Baume r, Hoffmeister und Schule e; Solostücke für die
Barfe: a) „Elfenmährchen" von Oberihür; b) Romance varie'e von
Gersteaberger, vorgetr. von Hrn. Gerstenberger; „Frühlings-
Heder" für 2 Sopranstimmen mit Pianofortebegl., ges. von den Damen
Wiczek und Winkler; Andante aus dem Violoncelleoncert von Mo-
lique, vorgetr. von Hrn. Popper. II. Theil. Sinfonie Nr. 3 (C-moll)
von L. Spohr.
Den 6. März 6. Abon.-Conc. I. Theil. Vorspiel zu „Tristan
und Isolde" von E. Wagner (cum 1. Male); Finale des 1. Actes der
unvollendeten Oper „Loreley** von Mendelssohn, ges. von Frl. Bauer
und dem Hoftheaterchor ; Violinconcert von Beethoven, vorgetr. von
Hrn. Concertm. Lauterbach aus Dresden; FrauerchÖre mit Piano-
fortebegl. von B. Herapel, vorgetr. von den Damen Wiczek, Winkler
und Podesta und mehreren Damen des Hoftheaterchors ; Gesangs-
scene für die Violine von Spohr , vorgetr. von Hrn. Lauterbach ;
Lieder : a) „Das Veilchen" von Mozart, b) „Widmung" von Schumann,
ges. von Frl. Bauer. II. Theil. Suite Nro. 1 (F-dur) für grosses
Orchester von H. Esser (zum 1. Male).
Am t. Mai 6. Abon.-Conc. I. Theil. Festouvertüre Op. 124 von
Beethoven; Scene und Arie aus der Oper „Iphigenie auf Tauris"
von Gluck, ges. von Frl. v. Pöllnitz vom Hoftheater in Berlin;
Violinconcert Nr. 9 (D-moll) von Spohr, vorgetr. von Hrn. Concert-
director Jos. Joachim aus Hannover ; Lieder von Schubert und
Brahms, ges. von Frl. Wiczek; Romanze in F-dur von Beethoven,
und „Abendlied" von Schumann für die Vieline, vorgetr. von Hrn.
Joachim. II. Theil. Sinfonie Nr. 4 (A-dur) von Mendelssohn.
Was zunächst die Theilnahme des Publikums für die Abonne-
ment-Concerte des Hoforohesters betrifft, so hat sich dieselbe von
Jahr zu Jahr fortwährend gesteigert, und vermochte in dieser Saison
dos Haus die Menge der auf ein bescheidenes Plätzchen reflectiren-
den Musikfreunde zu wiederholten Malen nicht zu fassen, so das«
«in Theil des Bühnenraumes dem Publikum zur Verfügung gestellt
wurde. Unter der dermaligen Musikdirection hat sich die Jahres-
einnahme der Concerte um das dreifache gegen frühere Jahre ge-
steigert, welches Resultat um so erfreulicher ist, indem die Einnahme
dem Wittwen - Unterstützungsfond des kurfürstl. Hoforchesters zu-
fliessen, derselbe aber sich einer anderweitigen Subvention leider
nicht erfreut.
Wenn wir nunmehr die künstlerische Seite und Bedeutung dieser
Concerte ins Auge fassen, so dürfen wir mit Befriedigung registriren,
dass die Orchester werke stets mit äusserster Sorgfalt und Feinheit
einstudirt waren und auch entsprechend wiedergegeben wurden.
Begrüsste das Publikum die oben bezeichneten Werke von Beethoven,
Spohr, Mendelssohn als alte liebe Bekannte, so errang Esser's erste
Suite einen höchst ehrenvollen Erfolg , den wir mit um so aufrieb"
tigerer Freude hiermit coostatireu, als das fragliche Werk hinsicht-
lich der nobeln Erfindung sowie der treffliehen Factur zu den besten
Erzeugnissen der Neuzeit zählt, sich vor Allem aber den durch ihre
Form verwandten Werken Franz Lachner's würdig anreiht Die
Wiedergabe der Esser'schen Suite von Seite unserer trefflichen Ca-
pelle war eine glänzende und die Aufnahme von Seite des Publikums,
namentlich in den letzten Sätzen, eine sehr warme. Nicht eines gleich
günstigen Erfolges erfreute sich das Vorspiel zu „Tristan und Isolde,"
dessen dissonirende Accordfolgen das Publikum seltsam anzumuthen
schienen. Gude's Michel Angelo-Ouvertüre vermochte ebenfalls keinen
nachhaltigen Eindruck zu erzielen. (Schluss folgt.)
' ■! ! »<
Aus Magdeburg«
Das von uns in vorigem Berichte erwähnte Gastspiel der Frau
Sophie Förster hat einen glänzenden Verlauf genommen. Die
Stimme der hiesigen, jetzt in sachkundiger Hand liegenden Kritik
vereinigt sich mit der des Publikums und der Leute von Fach in
«em Lobe der ausgezeichneten Künstlerin. In der That bat sich
Frau Förster als solche in den verschiedensten von ihr dargestellten
Bollen in so hohem Masse bewährt, dass wir sie unbedenklich in
*ie erste Selbe unserer dramatischen Sängerinnen stellen. Gesang
und Darstellung erregten unsere Bewunderung in gleiche» Weiss.
In dem kurzen Zeiträume von wenig mehr als viersehn Tags« sang
Frau Förster die Margarethe, die Valentine, die Gräfin im „Figaro*
je einmal, Norme, Agathe und Fidelio je zweimal. Ergibt sieh aas
dieser verhältnissmässig grossen Rollenzahl eine Ausdauer, zu wel-
cher nur eine gute Natur in Verbindung mit einer bis auf das
Kleinste gebenden künstlerischen Ausbildung befähigt (wir fanden
die Stimme nur zu Anfange zweier Vorstellungen 1 und zwar nur
kurze Zeit etwas umschleiert) , so zeigte auf der anderen Seite das
mit einer einzigen Ausnahme stets ausverkaufte Haus die unge-
schwächte Theilnahme des Publikums, um so mehr, als sämmtliche
Vorstellungen theils vor, theils in die Charwoche fielen. Frau Förster
geht von hier nach Leipzig und Königsberg. -f*
HM»
Aus Paris.
IS. Mal.
Vorigen Dienstag ist „Don Juan" zum ersten Mole im TMAtr*
lyrique znr Aufführung gelangt. Dieselbe hat zwar den etwas über-
triebenen Erwartungen nicht völlig entsprochen, war aber im Ganzen.
doch eine gelungene. Frl. Nielson in der Bolle der Donna Elvira
ist vortrefflich; Mme. Charton-Dem eur als Donna Anna verdient
ebenfalls den Beifall des Publikums, und was Mme. Miolan-Car-
valho als Zerline betrifft, so singt sie zwar als ächte Künstlerin»
es fehlt ihr jedoch an der Heiterkeit, welche das Wesen dieser Su-
muthigen Rolle bildet. Don Juan wird von dem Debütanten BarrA
leidlich gesungen doch sehr mittelmässig gespielt , während T r o j
als Leporello leidlich spielt und mittelmässig singt. M t c h o t als
Don Ottavio ist genügend, aber auch nicht mehr. Es ist anzunehmen,
dass die Vorstellungen sich nach und nach abrunden werden, und
man darf wohl voraussagen, dass Mozarts Meisterwerk sich lang«
auf dem Repertoire des The'ätre lyrique erhalten werde.
Die grosse Oper hat das Ballet „Gisella" von Adolph Adam
wieder auf die Scene gebracht, und zwar für das Debüt der deut-
schen Tänzerin Granzow, der ein wahrhaft stürmischer Beifallfzu
Theil wurde. Dasselbe Theater bereitet die Reprise des w Prö-*
"pheten" vor.
Nächste Woche findet in der Opera comique die erste Auffüh-
rung von Flotow's „Zilda" statt. Unmittelbar darauf soll Gounod's
bereits in Baden-Baden aufgeführtes Werk „La Colombe" zur Dar-
stellung kommen.
Gestern hat im Satte Erard das Concert des Hornisten
Vjivier vor einem dicht gedrängten Publikum aus der aristokra-
tischen Schichten der Gesellschaft stattgefunden. Vivier wurde zu
wiederholten Malen stürmisch gerufen.
Neben G o u n o d und Felicien David tritt jetzt auch
A. E 1 w a r t , Professor der Harmonielehre am Conservatorium als
Candidat für den durch Clapisson's Tod erledigten Sessel im In-
stitut auf. Elwart hat als Compositeur und als musikalischer Schrift-
steller mannigfache Verdienste; dieselben werden ihm aber diesmal
schwerlich zum Siege verhelfen. Wie es heisst, habe Gounod die
meisten Aussichten auf den Sitz unter der Kuppel des Instituts.
1 tt c li r 1 c Ii t e ii.
Mainz. Herr Dr. S c h m i d von Wien hat sein Gastspiel als
Cardinal in der „Jüdin" fortgesetzt und die Vorzüge seiner herrlichen
Stimme sowie seiner Gesangskunst fast in noch höherem Grade
geltend gemacht als bei seinem ersten Auftreten. Das Publikum
ward zu wiederholten Malen zu enthusiastischen Beifallsbezeugungen
hingerissen, und wir haben nur zu beklagen, dass seine musterhafte
Leistung von den übrigen Mitwirkenden , mit Ausnahme der FrL
Müller als Prinzessin so wenig unterstützt wurde. Frl.Hülgerth
(Recha) gab diese Rolle in einer Weise wieder, dass wir uns zn
dem Urtheile berechtigt glauben, es dürfte ihr wohl schwerlich ge-
lingen, die dauernde Sympathie unseres Publikums zu gewinnen;
dazu fehlt ihr die innere Wärme des Vortrags, während ausserdem
ihre höhere Stimmlage an einer unerquicklichen Schärfe des Tones
leidet. Doch wollen wir gerne constatiren, dass ihre Darstellung
einzelne recht gelungene Momente hatte. Von dem Eleazar des Hrn.
S t i e g e 1 e ist es am besten zu schweigen , indem diese Leistung
- 84 -
unseres Heldentenors nur zu sehr geeignet war, uns über seinen
Abschied von unserer Bühne zu trösten. — Wir vergossen zu un-
serem Bedauern in unserem letzten Theaterberichte der aasgezeich-
neten Weise zu erwähnen) in welcher Frl. Müller die Partie der
Königin in den „Hugenotten" durchführte. — Am Dienstag sollte
Hr. Dr. Sehmid den Bertram im „Robert" singen, doch musste lei-
der die Vorstellung wegen Heiserkeit des gefeierten Gastes abge-
sagt werden. E. F.
Wien. Am Sonntag wmde in der k. k. Hofcapelle eine neue
Hesse vom Hofcapellmeister Hrn. Herbeck zur ersten Aufführung
gebracht. Das in grossen Dimensionen angelegte Werk hat nicht
verfehlt, einen tiefen Eindruck auszuüben. Dasselbe nimmt seinen
Ausgangspunkt von der Beethoven'schen Misset solennis und be-
kundet somit in jeder Beziehung einen entschiedenen Bruch mit dem
sogenannten Wiener Kirchenstyle. — In der am 11. d. M. stattge-
habten ausserordentlichen Generalversammlung des „Wiener Männer-
gesangvereins" wurde an die Stelle des nunmehrigen Hofcapell-
meisters Herbeck zum Chormeister des Vereins Hr. We i n w u r m,
bisher Chormeister des academischen Gesangvereins gewählt. Von
den 127 Anwesenden gaben 114 dem Hrn. Weinwurm ihre Stimme.
Paris. Der Graf von Bacciochi, Generalintendant der kais.
Theater ist zum Senator ernannt worden.
— Das Journal „VArt musicale' 1 bringt einen interessanten
Artikel über die Opernsänger und deren heutige Anforderungen, in
welchem es einen ausführlichen Gagenetat der königlichen Oper im
Jahre 1713 anführt, welcher Alles in Allem, Solisten, Chor, Orchester
und Capellmeister eingerechnet, die Summe von 67,050 Frcs., also
gerade 22,900 Frs. weniger beträgt als der Barytonist Faure von
der grossen Oper allein bezieht.
Barcelona. Am 3. Mai gab die italienische Oper zum ersten
Male die „Afrikanerin" mit prachtvoller Ausstattung und enormem
Erfolg. Mme. Kapp-Young gab die Ines , Mme. Buggero
die Selika, M o r i n i den Vasco de Gama und Boccolini den Ne-
lusko. Die Aufführung war durchweg eine vortreffliche. Der En-
thusiasmus steigerte sich noch bei der am Ö. Mai stattgehabten
Wiederholung der Oper.
*„* (Beethoven's Ciavier.) Das Ciavier des berühmten
Componisten Beethoven befindet sich in Clausenburg (Siebenbürgen).
Dasselbe ist circa 70 Jahre alt, im Stimmstock befindet sich das
meisterhaft gearbeitete Wappen und deutlich erkennbare Forträt aus
der Jugendzeit des Componisten. Der um das Porträt geschlungene
Name „Louis v. Beethoven" lässt vermuthen, dass dies Ciavier ent-
weder als Geschenk für ihn oder aber auf eigene Bestellung des-
selben durch den damaligen Ciaviermacher S. A. Vogel in Festh
angefertigt wurde. Das Ciavier wurde laut Aussage noch lebender
Zeugen durch Beethoven in Wien einem seiner Schüler zum An-
denken hinterlassen, welcher später in der Eigenschaft als Musiklehrer
nach Ungarn zu Frl. Elise Eallai — nachmalige Gattin des Dich-
ters Jozsika Mi kl os — kam, welcher auch der Musiklehrer das
Ciavier aus Dankbarbeit als theure Reliquie zum Präsente machte.
Von hier gelangte das Ciavier nach langem Gebrauche in den Be-
sitz der Familie Pataki Daniel in Dees, von da nach Klausen-
burg zu Pataki Mihaly, später zum Kaufmann Akoncz und
«ndlich zum Einsender dieser Zeilen, welcher nun den dunklen Nebel,
der dies interessante Andenken des Meisters umgab, endlich lichtete.
Ueberzeugt, dem gebildeten Publikum mit dieser Nachricht gedient
zu haben, hat der Besitzer des Claviers es für entsprechend gehalten,
Vorstehendes zur allgemeinen Kenntniss zu bringen ; gleichzeitig er-
klärt derselbe, das Ciavier irgend einer Sammlung bereitwilligst zu
überlassen, wo dasselbe zum ewigen Andenken an Beethoven einen
bleibenden Platz angewiesen erhielte, damit diese werth volle Reli-
quie nicht Gefahr laufe, in dem Besitze einer Privatperson vielleicht
in das Meer der Vergessenheit zu gerathen. Hierauf Reflectirende
«rfahren Näheres zu Klausenburg bei Samuel Gyulai, Belsö-
JFarkas-ütsxa Nr. 81, allwo auch das Ciavier in Augenschein ge-
nommen werden kann. (Zellner's Bl. f. Th. etc.)
*** Der Violinvirtuose Ferd. Laub ist am Conservatorium
zu Moskau mit einem Gehalte von 5000 Silberrubel und fünfmonat-
lichem Urlaub angestellt worden. Ebenso hat Wieniawsky in
Petersburg als Solist Sr. Majestät des Kaisers 1000 Silberrubel Zu-
lage und Verlängerung seines Urlaubs auf fünf Monate erhalten.
V Die Theaterfrage in Regensburg ist noch immer nicht
entschieden. Mit sehr geringer Ausnahme von etlichen Kaufleuten etc.
verlangt die allgemeine Meinung energisch, dass das Theater wieder
dem bisherigen , seit neun Jahren dort thätigen , verdienstvollen,
durchaus reellen und ehrenvollen Director W i h r 1 e r übergeben werde»
*** Der Bankier Hr. Jacques hat der k. Bibliothek in Berlin
Mozart's Originalpartitur der „Zauberfiote" die er für zwei bis drei-
tausend Thaler gekauft haben soll, zum Geschenke gemacht und
dafür vom König den rothen Adlerorden 4. Classe erhalten.
*** Dieser Tage wird in Stuttgart die neue Oper „Astorga*
von J. J. Abert zur Aufführung gelangen.
V Der Tenorist Wachtel gastirt mit ausserordentlichem
Beifall in Dresden.
*** L i s z t hat sich von Paris nach Amsterdam begeben , wo
seine „Graner Messe" unter seiner persönlichen Leitung aufgeführt
wurde. Von dort kehrte er nach Paris zurück. Er brachte aus
Holland eine silberne Lorbeerkrone mit. *
*** Gevaert, der Componist des „Capitain Henriot" ist mit
der Vollendung einer neuen Oper, betitelt: „Roger de Flor" be-
schäftigt.
*** Vieuxtemps wird Frankfurt a. M. verlassen und seinen
bleibenden Aufunthalt in Paris nehmen.
*** Der Pianist Eugen Ketterer, dessen zahlreiche Compo-
sitionen auch in Deutschland sehr beliebt sind , hat vom Bey von
Tunis die Decoration des Nischan-Ordens erhalten.
*** Capellmeister Fr. Wüllner in München ist eingeladen
worden , bei dem Gesangsfest zu dirigiren , welches der Aachener
M.-G.-V. „Orfea" zur Feier seines 25jährigen Bestehens unter Mit-
wirkung von 3-— 400 Sängern veranstaltet. Dort wird auch Wüll-
ner's grosse Cantate „Heinrich der Finkler" aufgeführt, ein Werk,.
welches bekanntlich vor l 1 /* Jahren in Folge Preisausschreibens der
Aachener Liedertafel unter vielen Concurrenten den ersten Preis er»
hielt. Ferner erhielt Wüllner den ehrenvollen Ruf, bei dem grossen
baltischen Sängerfeste, das in Reval in der russischen Ostseeprovins
von mehr als 900 Sängern gefeiert wird, zu dirigiren« Dort kommt
Wüllner's 98. Psalm für Männerchor, Soli und Orchester zur Aufführung.
*„* Mme. Grisi, welche nun schon seit 14 Jahren vom Pub»
likum Abschied nimmt, ist gleichwohl auch in dieser Saison wieder
in Her Majesty's Theater als „Lucrezia Borgia" aufgetreten ; sie
wurde bei ihrem Erscheinen leibhaft empfangen, sah aber das Pub-
likum von Scene zu Scene kälter werden , und gab am folgenden
Tage ihr Engagement auf. Es ist um so weniger zu begreifen,
warum diese einst mit Recht so hoch gefeierte Künstlerin die trau-
rigen Reste ihrer Stimme noch immer zu verwerthen bemüht ist, da
dieselbe Bich in glänzenden finanziellen Verhältnissen befindet und
nicht nöthig hat, wie manche andere verblasste Kunstgrösse noch
immer um das liebe Brod zu singen.
*#* Die von mehreren Blättern gebrachte Nachricht, dass der
Violinvirtuose 1 e Bull in Quebeck gestorben sei, hat sich nicht
bestätigt.
*#* Das Oratorium „Paulus" von Mendelssohn kam in Boston
unter Leitung des Hrn. Lang in gelungener Weise zur Aufführung.
*** Hr. Eugen Degele vom Dresdener Hoftheater hat mit
ausserordentlichem Erfolge in Königsberg gastirt. Seine Benefiz-
vorstellung „Hans Helling" war sehr stark besucht und brachte dem
Säuger nicht nur den lebhaftesten Beifall sondern auch zwei Lor-
beerkränze, die man, nach der allgemeinen Zustimmung zu urtheilen,
als von dem gesammten Publikum gespendet betrachten darf.
*#* In Strassburg ist schon wieder ein neuer Tenorist entdeckt
worden. Derselbe heisst Bayer und soll zu grossen Erwartungen
berechtigen. Wenn das „Nomen, omen il sich hier bestätigen, und
der angehende Sänger seinem in München verstorbenen Namensvetter,
der viele Jahre die Zierde der dortigen Oper war, dereinst gleich-
kommen sollte, dann wäre allerdings sein Erscheinen in der Opern-
welt von Bedeutung.
*** Richard GeneVs Operette „Der Musikfeind" wird dem-
nächst im Harmonietheater in Wien zur Aufführung kommen.
*** Die Pianistin Frl. Mehlig aus Stuttgart ist in London im
philharmonischen Concert mit grossem Beifall aufgetreten,
*** In Zürich ist der Director des dortigen Stadttheaters, Hr.
G. Meisinger gestorben.
Verantw. Red. Ed. FSckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz»
15. Jahrgang.
iv± *s.
28. Mai 1866.
SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik' & Buchhand-
lungen. .
j PREIS:
▼<» | fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
•■ | für den Jahrgang.
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ. U«* *. *« b««. :
1 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co. JU. _~™™_,v.4
INHALT: Haydn's, Mozart's u. Beethoven's Kirchenmusik. — Correspondenzen : Cassel. — Nachrichten.
Haydn's, Mozart's und Beethoven's Kirchenmusik
und
ihre katholischen und protestantischen Gegner.
(S c h 1 u s s.)
Der Verfasser macht zunächst den Gegnern der österreichischen
Kirchenmusik den Vorwurf, dass Bio nicht die hinreichende Kennt-
niss der Meisterwerke in diesem Fache besessen, ja sogar die Talente
zweiten und dritten Banges, deren Leistungen doch für die Beur-
theilung dieser ganzen grossen Schule auch von Wichtigkeit seien,
kaum dem Namen nach gekannt hätten. So bemerkt er über Thi-
b aut: „Um sich zu überzeugen, auf welche musikalische Documente
und Urkunden gestützt, der Rechtslehrer von Heidelberg ein ebenso
entschiedenes wie ungünstiges Urtheil über unsere österreichische
Kirchenmusik fällen zu müssen -geglaubt, hatte sich der Verfasser
den gedruckten Catalog der grossen, an 700 Nummern enthaltenden
Musikaliensammlung Thibaut's, die nun in München aufbewahrt wird,
zu verschaffen gesucht und traute seinen Augen kaum, als er, den-
selben durchmusternd, den dürftigen Bettel gewahrte, der an der
Seite einer wirklich herrlichen Collection von den grossen italieni-
schen und niederländischen Componisten sowie von Bach's und
Händers kirchlichen Werken unsre österreichische Schule repräsen-
tiren sollte. Von den älteren Meistern , wie Hoffmann , Gassmann,
Albrechtsberger, Abbe* Stadtler etc. keine Spur, daher natürlich auch
von den neueren nicht ; selbst von Fux nur ein einzelnes Kyrie aus
dessen Gradus ad Parnassum ; von J. Haydn keine einzige Messe,
so wenig wie von seinem Bruder, der nur durch sein Requiem und
einige Offertorien vertreten war ; von Mozart gleichfalls nur das Re-
quiem, Misericordias, Ave verum und ein paar zu Cantaten verball-
hornte Fragmente seiner Messen, — in Allem also in der aus 700
Kirchencompositionen bestehenden Sammlung kaum ein Dntzend
österreichische Werke vorhanden.*
Das Auftreten protestantischer Stimmen gegen die neuere katho-
lische Kirchenmusik wird erwähnt, sowie die Begierde, mit welcher
die Ultramontanen dieselben für ihre eigenen Zwecke aufgriffen,
und Thibaut unter den protestantischen, sowie Pfarrer Stein zu
Cöln unter den katholischen Stimmführern besonders hervorgehoben.
Ersterer stelle sich den Zweck der Kirchenmusik gleichsam als eine
Art Einleitung und Vorbereitung auf die Predigt vor, während Letz-
terer mit dürren Worten ausspreche: „Auf diesem Gebiete habe die
Kirche und der Clerns allein zu befehlen, der Künstler nur zu ge-
horchen." Die Kampfweise dieser Gegner der katholischen Kirchen-
musik wird vom Verfasser in das gehörige Licht gestellt, und deren
Vorwürfen und Einwänden geziemend begegnet. Vortrefflich ist, was
über Mozart und Raphael gesagt wird. Auch was jene beiden Geg-
ner der österreichischen Kirchenmusik gegen deren heiteren Charac-
ter einzuwenden haben, findet die entsprechende Entgegnung. Dem
Vorwurfe, dass jene Kirchenmusik nicht einfach genug, dass sie so
rauschend und lärmend sei, hält der Verfasser den fast sinnver-
wirrenden Pomp entgegen, mit dem sich der katholische Cultus bei
Gelegenheit umgibt und sagt am Ende seiner Betrachtungen darüber:
„Am Schlüsse des Gegenwärtigen angekommen, glaubt der Verfasser
die Hoffnung aussprechen zu dürfen, der Leser werde, noch einmal
auf das Ganze zurückblickend, jedenfalls die Ueberzeugung gewonnen
haben, dass die österreichische Kirchenmusik in Bezug auf ihre an-
geblichen Gebrechen und Verbrechen wenigstens Mitschuldige, und
die ausgezeichnetsten darunter, an allen Ecken und Enden der Kunst-
gebiete, ja am Ende als Hauptmitschuldigen die Hierarchie selbst,
die den Cultus mit so vielem ceremoniösen Pomp und sinnlichen
Reizen umgeben, „unter welchen ohnehin," wie Einer im Unmuth
sich ausgedrückt, „die Kirchenmusik noch als das einzige Vernünf-
tige, menschlicherweise Geniessbare erscheint". *
Hierher passt auch, was im Schlusscapitel ; „Ueber dieVmogliche
und unmögliche Reform der Kirchenmusik" gesagt wird : „£f an denke
sich, um die Sache durch ein recht auffälliges Beispiel zu erläutern,
dass bei der 300jährigen Feier des Ooncils zu Trient im Juni 1866
während des Pontificalamtes keine jener „gottlosen Trompeten- und
Paukenmessen" J. Haydn's, sondern, was wohl glaublich, nur Gre-
gorianischer Gesang, wie ihn die Lithurgie für die stehenden und
wechselnden Gesänge des Hochamtes vorschreibt, celebrirt worden,
und vergleiche dann damit den übrigen luxuriösen Pomp des Festes,
wie ihn Brunner's Kirchenzeitung beschreibt:
„Kanonendonner verkündete am 29. Juni 1863 den Anbruch des
Festes; die Musikbande in glänzender Uniformirung durchzog musi«
cirend die Stadt. Um 9 Uhr begannen die gottesdienstlichen Func-
tionen im reichgeschmückten, mit blauen, weissen und rothen Dra-
perien, mit Gold- und Silberfransen decorirten Dome. Wie zu allen
feierlichen Functionen zogen die Bischöfe nebst dem Pontificanten
in solenner Prozession, in vollen Pontifical-Kleidern , mit der gold-
strahlenden und mit edlen Steinen geschmückten Mitra auf dem
Haupte von der Sacristei aus zum Hochaltar. Das berühmte Cruzifix,
ein Meisterwerk der Sculptur, war auf dem Hochaltare aufgestellt,
welchen sechs hohe silberne Leuchter und vier silberne Blumenvasen
schmückten. Zur Evangelienseite des Altares stand unter einem reich
mit rothem Sammt und Seide drapirten Thronhimmel das Faldisto-
rium für den Pontificanten j der Cardinal Schwarzenberg nahm unter
eiuem ähnlichen Thronhimmel Platz, der auf der Epistelseite de«
Altares errichtet war. Die Stühle der Bischöfe umgaben im Halb*
kreise den Altar."
Dass auf das Festamt ein Festessen gefolgt, ist, obgleich der
Berichterstatter darüber schweigt, nicht minder glaublich, als dass
bei demselben nicht lediglich, wie bei jenen armen Mönchen der
Gregorianischen Tage, Gemüse mit ein Bischen Fisch und Käeej
servirt worden sei; nicht minder glaublich ist es aber auch, das«
sich die Spötter ins Ohr geflüstert : Fürwahr, wenn nicht den bessern
doch sicher den bequemern Theil haben sich unsere Oberhirten aus
jener an Geiseln, Fasten und Nachtwachen im Gebet gesegneten
Zeit in die Gegenwart herüber geholt, in der Kirchenmusik wenig*
atens sind sie wieder strenge Asceten geworden!"
Im weiteren Verlaufe dieses Schlusscapitels macht der Verfasser
darauf aufmerksam, dass nach Verdrängung der bisherigen Kirchen*
- 86 -
musik nicht Gregor'«, nicht Palestrina's Geist, sondern der Geist der
Neuzeit in Gestalt der Männergesangvereine seinen Einzug
in die Tempel halten werde, wozu bereits ein recht hübscher Anfang
gemacht sei. Am Schlüsse seiner Broschüre sagt der Verfasser ;
„An warnenden Summen, selbst aus clericalem Lager hat es min-
destens nicht gefehlt. Als der milde Greis, der vor kaum einem
Deoennium noch den erzbischöflichen Stuhl zu Wien gezieret, cum
Sterben sich anschickte, bestellte er sein Haus, legirte armen Seel-
sorgern und Scbullehrern seine Habe,' der Hierarchie aber testamen-
tarisch den Rath:
„Die Kirche möge sich vor ih r e n allzugroBsen
Freunden in Acht nehmen, ihre Feinde habe sie
nicht zu fürchten.
Der Eath ist nicht neu, fürwahr, aber der sterbende Weise
mochte wohl , Zeit und Zeitgenossen erwägend , sehr triftige
Gründe gehabt haben, ihn seinen hohen Amtsbrüdern
wieder ins Gedächtniss zu rufen."
Wir selbst schliessen unsere Besprechung der in Bede stehenden
Schrift, indem wir dieselbe allen Freunden der Eirehencompositionen
unserer Altmeister zur Kenntnissnahme bestens empfehlen. F. F.
Das 48. Älederrltelnisclic Musikfest
ist in diesen Pfingattagen in Düsseldorf gefeiert worden. Die
ausserordentlich -grosse Betheiligung des Publikums selbst unter den
gegenwärtigen ungünstigen Zeitverhältnissen zeugt von dem lebhaften
Interesse, welches am Niederrhein für die musikalische Kunst lebt.
Für Düsseldorf hatte das Fest noch eine besondere Bedeutung: es
sollte die neue städtische Tonhalle, ein herrlicher, geräumiger Con-
certsaal mit einer stattlichen Orgel, die rechte Weihe erhalten.
Das Programm des Musikfestes bestand im Wesentlichen aus
HändeTs „Messias," Scenen aus „Armida" von Gluck, der Fest-
ouvertüre und der „Eroica" von Beethoven, einer Cantate von
Bach und aus einer Reihe von Gompositionen derjenigen Künstler,
welche Düsseldorf so glücklich war, eine Zeit lang die seinigen
pennen zu können: „Athalia" von Mendelssohn, Ouvertüre von
B i e t z , „Pfingsten," Chor von H i 1 1 e r , ein Theil aus „Paradies
und Peri," sowie das Clavierconcert von Schumann, und Fest-
ouvertüre von Tausch. Die Direction des Festes war den Herren
Otto Gold Schmidt und Tausch, die Vocalsoli den Damen
Jenny Lind und Edelsberg, den HH. Dr. Gunz und Julius
Stockhausen übertragen. Für die Parepa, welche ebenfalls
eugagirt aber ausgeblieben war, traten Frl. Bothenberg aus Cöln
und Frau Flinsch-d'Orville aus Leipzig mit liebenswürdiger
Bereitwilligkeit ein. Die Instrumentalsoli waren in den Händen der
Frau Clara Schumann und der Düsseldorfer Concertmeister
A u e r und D e S w e r t.
Die Aufführung des „Messias" war leider nicht so befriedigend,
als man erwarten durfte. Dem Männerchor war allerdings durch
Einberufung der Landwehr eine beträchtliche Anzahl von Stimmen,
und gerade die jüngeren, frischeren, entzogen worden, aber auch
abgesehen von der geringeren Schönheit des Klanges Hess die Leist-
ung des Chores als solche, verglichen mit anderen Festen, Manches
zu wünschen übrig. War die Vorbereitung mangelhaft gewesen, oder
verstand es der Dirigent nicht, die Massen fest zusammenzuhalten,
da anzufeuern, dort zu massigen und Licht und Schatten gehörig zu
vertbeilen? — Soviel ist sicher, von der Gesangsfreudigkeit, von dem
feurigen Schwung, der sonst unsern rheinischen Chor auszeichnet,
war diesmal nichts zu verspüren.
Wenden wir uns zu den Soli, so tritt uns da zuerst eine Per-
sönlichkeit entgegen, welche einst durch den Zauber ihres Liedes
ganz Europa gefangen nahm. Wer jemals Jenny Lind gehört
hatte, dessen Züge verklären sich bei- der Erinnerung an den Klang
ihrer Töne ; ihr Andenken lebte wie das an ein süsses Glück im
Herzen all Derer, die ihr einst gelauscht hatten, — warum kommt
sie nun uns zu zeigen, dass auch dieser Zauber vergänglich ist? —
Was Frl. von Edelaberg betrifft, so ist sie trotz ihrer herrlichen
Mittel nicht die beste Dolmetscherin für Händel, und auch Gunz,
der treuliche Tenor, sang gleichgültiger und kälter als sonst. Nur
Stockhausen war ganz auf der Höhe der ihm gestellten Aufgabe ;
der Vortrag seiner Ariel „Das Volk, das im Dunkeln wandelt" war
eine künstlerische Leistung in höchster Vollendung und entschädigt«
reichlich für Alles, was sonst zu wünschen übrig war. — ■ Sehr stö-
rend wirkte der Gebrauch des Dirigenten, nach jeder Nummer eine
längere Pause zu machen, wodurch das Oratorium in lauter klein«
Stücke zerfiel und durchaus nicht in Zug und Fluss kommen wollte»
Sollte das vielleicht usus in England sein, so wollen wir es doch
in Deutschland beim Alten bewenden lassen und jeden Theil eine»
Oratoriums als ein zusammengehöriges Ganze behandeln.
In „Athalia" und der „Peri a sang der Chor befriedigender, sehr
mangelhaft hingegen in Bach's Cantate, bei weitem am besten in
Hiller's Chor, der unter dessen eigner Leitung schwungvoll ge-
sungen wurde.
Das Orchester war vortrefflich und spielte namentlich die Ouver-
türen von Rietz und Tausch unter des Letzteren Direction sehr brav ;
dagegen wurde leider die Sinfonie von Beethoven recht unerfreulich
wiedergegeben ; es fehlte im Ganzen wie im Einzelnen an Würde
und Grösse, an Kraft wie an Zartheit,
Unter den Instrumentalsoli gebührt die Palme Frau Clara
Schumann, welche das Concert ihres Gatten auf's Herrlichste
vortrug und dafür vom Publikum wahrhaft bejubelt wurde. — Hr.
Au er spielte das Spohr'sche D-moll-Concert vortiefflich; er macht
seinem Meister, Joachim, die grösste Ehre. Möge er nur, seinem
Vorbilde getreu, kleine Koketterien und Süsslichkeiten, die er «ich
hier und da gestattet, noch ganz abstreifen , dann werden wir ohne
Rückhalt in den wohlverdienten reichen Beifall des Publikums ein-
stimmen. — Hr. DeSwert zeigte in einem Concertfragment von
Molique einen sehr markigen, gesangvollen Ton und brillante Tech-
nik ; er darf indessen noch recht fleissig streben, den tüchtigen Vir-
tuosen zu einem tüchtigen Musiker zu erheben.
Die Einzelnvorträge der Sänger bestanden in einer Arie aus
dem »Allegro e Pensieroso" von Händel mit obligater Flöte, in
welcher Frau Jenny Lind noch einmal alle die glänzenden Eigen-
schaften ihrer Gesangskunst zeigte: ein Legato, ein Portament, ein
Piano, einen Triller und dabei eine Präzision im Rythmus, wie wir
sie leider bei keiner der jungen Primadonnen finden. Frl. v. Edels-
berg gab ein abscheuliches Stück von Benedict zum Besten, wenn
man so sagen darf. Gunz sang die zweite Arie des Belmonte recht
brav. Eine äusserst liebenswürdige Bekanntschaft machten wir an
Frau Flinsch-d'Orville, welche in „Paradies und Peri" das Solo der
Jungfrau aus Gefälligkeit übernommen hatte und diese sowie „das
Veilchen" von Mozart und „Widmung" von Schumann auf's Bei-
zendste vortrug. Stockhausen erschütterte durch den Vortrag der
„Löwenbraut" von Schumann das ganze Auditorium auf's Tiefste,
wie er es auch wieder im Verein mit Gunz in den „Marinari" von
Bossini zu heller Freude und Da-Capo-Ruf hinzureissen wusste.
Im Ganzen bot auch das diesjährige Musikfest des Guten und
Schönen sehr viel, und das Comite* verdient den Dank aller Musik-
freunde, dass es selbst in schlimmen Tagen den Muth an dem Ge-
lingen des Festes aufrecht erhielt und dass es dieses wirklich erfolg-
reich zu Stande gebracht hat; möge man nur bei den künftigen
Festen darauf bedacht sein, dass die Leistungen des Chors mehr
als das Wesentliche betrachtet werden und als solche sich beson-
ders auszeichnen! N. N.
CORRESPONDGNZEN,
Aus' € a s s e 1.
(Schluss.)
In Bezug auf die Instrumental-Solo vor träge in sämmtlichen Con-
eerten freuen wir uns aufrichtig, den durchgängigen Erfolg derselben
constatiren zu können. Frl. Mary Krebs rechtfertigte den ihr.
vorausgegangenen bedeutenden Buf auf das glänzendste. Kraft und
Bravour sind bei der jugendlichen Pianistin in einem so hohen Grada
vereinigt, wie wir sie bei einer Dame, zumal in solch zartem Alter,
kaum erwarten durften. Wir erinnern uns nicht, Weber's Concert-
Stück jemals hinreissender als von dieber genialen Kunstnovizin ge-
hört zu habeu, welche, wenn erst einmal mit den Jahren auch die*
künstlerische Reife gewonnen, unter den Pianistinnen der Gegenwart
sicher keine Rivalin zu scheuen haben dürfte. — Hr. D. P o p p e r
- 8T -
führte sich ebenfalls auf das Ehrenvollste hier ein*, Ton und Tech-
nik dieses nech sehr jungen Künstlers erwarben demselben sofort
die allgemeinsten Sympathien. Wir sind Hrn. Popper ausserdem für
die erstmalige Vorführung des Volkmann'schen Violoncell-Concertes,
eines zwar sehr düsteren, aber interessanten und stimmungSTollen
Werkes, zu besonderem Dank verpflichtet, zumal die heutige Vio-
loncell-Literatur nur sehr wenige Werke von nachhaltigem Werthe
aufzuweisen hat.
Das 5. Abonnementconcert brachte uns in Hrn. Goncertmeister
Lauterbach einen lieben alten Bekannten, dessen Wiedersehen
vom Publikum mit aufrichtigster Freude begrüsst wurde, und dessen
Vorträge wieder von durchschlagendstem Erfolge begleitet waren ;
wir entsinnen uns nicht, Spohr's Gesangsscene jemals vollendeter und
inniger, ohne dabei in falsche Sentimentalität zu gerathen, vortragen
gehört zu haben, als gerade von Hrn. Lauterbach.
Das 6. Abon. - Concert figurirt in diesem Jahr als Nachzügler,
tta es bereits in den Wonnemonat fällt. Veranlassung dieser Ver-
zögerung war die liebenswürdige Zusage Joa chi m's, dasselbe durch
«eine Mitwirkung verherrlichen zu wollen. Die Kunde, dass der
„König der Violinisten" Cassel zum ersten Male durch seinen
Besuch beehren werde, erregte die freudigste Aufregung unter den
hiesigen Musikfreunden, und so konnte es denn auch nicht fehlen,
dass der Empfang sowie die Beifallsbezeugungen, welche diesem
Meister zu Theil wurden, ebenso einstimmig als enthusiastisch waren.
Ueber Joachim's Spiel noch etwas sagen zu wollen, hiesse wirklich
Eulen nach Athen tragen, und somit registriren wir für heute nur,
dass er Aller Erwartungen bei Weitem übertroffen, dass der Jubel
ein endloser war und sieb in der Spendung eines Lorbeerkranzes
von Seiten der Capelle gipfelte.
Von den Gesangsvorträgen in den verschiedenen Abonnement-
Concerten fanden am meisten Anerkennung: die trefflich ausgeführten
Männerchöre von Bruch und Schnppert, das Loreley- Finale von
Mendelssohn und die Frauenchöre von Hempel. Auch Fräulein von
PÖllnitz, welche in der Oper mit nur zweifelhaftem Erfolge
gastirte, erwarb sich im letzten Concerte durch den gediegenen
Yortrag der Gluck'schen Arie recht warme Anerkennung. — Dem
Leiter der Abonnementconcerte, Hrn. Hofcepellmeister Reis s, wurde
aach Beendigung des letzten Goncertes die Auszeichnug eines stür-
mischen Hervorrufs zu Theil, und es war dies eine wohlverdiente
Auszeichnung.
Wie alljährlich fand auch dieses Jahr am Gharfreitag ein geist-
liches Goncert der Hofcapelle unter Mitwirkung der hiesigen Gesang-
vereine und unter der Leitung des Hrn. Hofcapellmeisters R e i s s,
und zwar in der lutherischen Kirche statt. Das Oratorium „Elias 11
von Mendelssohn war nach achtjähriger Ruhe zur Aufführung ge-
wählt. Die Chöre gingen ebenso frisch, fein nüancirt als präcis,
und von den Solisten müssen wir in erster Linie Hrn. D e n n e r
(Tenor), Frl. Win kl er (Sopran), in zweiter Linie Hrn. Schulze
(Elias) , und Frl. Bushenne (AU) unsere Anerkennung spenden.
Um die Ensemblestücke, welche mit grosser Reinheit und Delica-
tesse gesungen wurden , machten sich die Damen W 1 c z e k und
Podesta, sowie die vorhergenannten Solisten besonders verdient.
Die Kirche war buchstäblich überfüllt, und die Befriedigung eine
allgemeine.
Von kleineren Concerten oder Abendunterhaltungen erwähnen
wir vor Allem einer von Hrn. D e n n e r veranstalteten Soiree, welche
uns die lange ersehnte Gelegenheit bot, den trefflichen Concertsänger
Hrn. Carl Hill aus Frankfurt in einigen Vorträgen zu bewundern.
Unsere Oper in ihrem dermaligen Bestände würde wenig zu
wünschen übrig lassen, wenn derselben durch den Abgang ihrer
tüchtigsten Mitglieder nicht abermals ein sehr empfindlicher Verlust
drohte. Die Damen Bauer und Grün werden uns nämlich zum
Herbst verlassen, erstere um ihrem zukünftigen Gatten an das Hof-
theater in Braunschweig zu folgen, letztere um einem Rufe an die
Berliner Hofbühne, wo sie bereits mit durchgreifendem Erfolge gas-
tirt hat, zu folgen. Die Hauptstütze besitzt unsere Oper namentlich
in dem wackeren Bassisten Lindemann und dem Heldentenor
Bachmann. Einer grossen Beliebtheit erfreut sich ferner die noch
jugendliche Coloratur-Sängerin Frl. Wlczek und die Soubrette Frl.
W i a k 1 e r, sowie auch der Bary touist Hr. S c h u 1 z e eine wesentliche
Stütze des Repertoire ist. (Der dermalige, recht verdienstvolle ly-
rische Tenor Hr. Brunn er wird uns, wie wir boren, gleichfalls
wieder verlassen.) Bereits haben zur Wiederbesetzung der erledigten
Fächer verschiedene Gastspiele stattgefunden ; alle waren jedoch bis .
jetzt erfolglos, woraus unsere Intendanz die Lehre schöpfen sollte,
im Interesse eines guten Ensembles die alten tüchtigen Kräfte fest-
zuhalten. — Die Proben zur „Afrikanerin," welche zum Geburtstag
des Ghurfürsten, am 20. August, in Scene gehen soll, haben bereits,
begonnen, und soll die Ausstattung eine brillante werden.
Aus Leipzig.
Am 10. d. M. veranstaltete der Ried ersehe Verein in der
Thomaskirche eine geistliche Aufführung, in welcher in der Haupt-
sache Chorgesangsnummern a capella zum Vortrage kamen. Wie
immer war auch diesmal die Zusammenstellung des Programms eine
musterhafte. Dasselbe enthielt Werke von Componisten aus der
niederländischen, italienischen und deutschen Schule. Die Reihen-
folge derselben und ihre Vermittelung zeugte von feinem Tact, und
vermochte das Interesse bis zum Schlüsse zu steigern. In engem
Rahmen erhielten wir ein übersichtliches Bild über die Entwicklung
der Kirchenmusik, welches seinen Zweck weniger durch Zusammen-
häufung möglichst vieler Namen , als durch eine die characteris-
tischsten Hauptmomente der Kirchenmusikgeschichte heraushebende
discrete Auswahl zu erreichen suchte. Wir hörten demnach von-
Gesangswerken: Ave Maria von Arcadelt (1540), „Improperien" ,
(„Sage, mein.Volk") von Palestrina (1560), Kirchenarie („Angstvolle .
Seufzer") von A. Stradella (?), Et incarnatus est und Crucifixus
von Marcello, „Ach Gott, wem soll ich klagen?" von Gesius (1605),
„Eine feste Burg ist unser Gott," vierstimmig von Seth. Calvisius*
(1597), „In den Armen dein" von Melchior Frank (1628), „Pfingsi-.
lied" von Johann Wolfgang Frank, und Bach's achtstimmige Motette
„Singet dem Herrn ein neues Lied". Die Soli waren in den Händen
von Frl. Emilie Wiegand, Frl. Clara Martini und der Herren
S c h iJl d und Richter von hier.
Das Ave Maria von Arcadelt ist von äusserst lieblichem Cha-
racter und besitzt einschmeichelnde Melodik, sogar mit einem An-
fluge von Grazie. Von eigentümlich contrastirender Wirkung und
Bichtlich ergreifendem Eindruck waren die Improperien Palestrina's,
obschon wir nicht anstehen zu behaupten, dass ein grosser Theil
ersterer wohl weniger auf Rechnung des absoluten Kunstwerthes zu
setzen, als dem sinnlichen Klangeffect zuzuschreiben ist. Die Ver-
bannung jeder rein menschlichen Regung, wie Bie in dem Rythmus,
und in der Melodie , den Factoren der musikalischen Darstellung,
ihren individuellen Ausdruck erhält , verleiht dem Ganzen etwas
überwältigend Ahnungsvolles und Uebersinnliches. Die Kunst als
solche hingegen soll der Ausdruck des rein Menschlichen sein. Das
Werk fand unter Mitwirkung obiger Solisten, welche dem Chol
gegenüber in einiger Entfernung aufgestellt waren (sämmtlich aus
der ausgezeichneten Schule des Prof. Götze hier), eine ganz vOr<*
treffliche Ausführung. — Reine Menschlichkeit lebt trotz religiöser.
Zerknirschung in der Kirchenarie von Stradella. Ganz besonder»
characteristisch in derselben ist die Orgelbegleitung, welche in den.
malerischen Bässen den wühlenden Seelenschmerz auf ergreifende
Weise versinnlicht. Hr. Organist Thomas wusste durch geschickte
Registriruug den Intentionen des Werkes gerecht zu werden j Frl.
Wiegand trug dasselbe mit technischer Sicherheil und geistigem
Verstäudniss vor. — Das Incarnatus von Marcello schloss die italie-
nische Schule ab und bildete zugleich einen passenden Uebergang
zur deutschen, der sie sich hinsichtlich der Gefühlstiefe und cbarac*.
teristischen Darstellung des Details nähert, ohne jedoch die italie-
nische Formenplastik und das Gepräge der speeifiseheu Schönheit
zu verleugnen. (Sohlus* folgt.)
Mac U richten.
Leipzig. Am 12. Mai wurde von der Gesellschaft „Klapperkasten*
in den Räumen des Schützenhauses das Geburtsfest des Professors»
Moscheies festlich begangen *, es waren an 1000 Herren ubd;
Damen anwesend, und die Feier bot in buntem Wechsel des Ernsten,,
Rührenden und Humoristischen so Vieles und Schönes, dass dieselbe
gewiss jedem Theilnehmer unvergesslich bleiben wird.
— 88 —
Brüssel. Unser unvergleichlicher Violoncellist Servais ist von
seiner dreimonatlichen Kunstreise in Bassland mit seinem Sohne,
welcher der Schüler und Nebenbuhler seines Vaters ist, mit Lorbeern
und Rubeln reich beladen wieder hier eingetroffen.
Paris. Die Einnahmen der Theater, Concerte etc. betragen im
Monat April die Summe von 2,029,937 Frcs.
— Vor ihrer Abreise nach London hat sich Adelina Fatti
mit Hrn. B a g i e r über ein Engagement für die ganze Dauer der
nächsten Saison verständigt.
— In der Ope'ra comique wird Anfangs nächsten Winters efne
neue Oper von Ambroise Thomas, „Mignon" betitelt, zur Auf-
führung kommen. Das Sujet , von Michel C a r r 4> und Jules
Barbier bearbeitet, ist aus „Wilhelm Meister's Lehrjahre" von
GÖthe entnommen, und die Bollen des dreiactigen Stückes sollen
folgenden Künstlern bestimmt sein : Wilhelm Meister, L6onAchard;
Iraertes, Couderc; Lothario, Battaille; Mignon, Mme. Galli-
Marie, und Fhilene, Mme, Marie Cabel.
— Die Wahl eines Nachfolgers des verstorbenen Clapisson
auf seinen Stuhl in der Academie der schönen Künste ist auf C b.
G o u n o d gefallen. Es wurden ihm von 36 Stimmen 19 zu Theil ;
F4L David erhielt 16 Stimmen, und eine wurde Victor Masse"
gegeben.
London. Der ausgezeichnete Harfenvirtuos Charles Ober-
thür hat am 1. Mai eine musikalische Matinäe in seinem Salon
gegeben, welcher ein auserwähltes Publikum beiwohnte und mit leb-
hafter Theilnahme die gebotenen Kunstgenüsse entgegennahm. Die
Froductionen wurden durch das herrliche Trio in C-dur für Harfe,
Violine und Violoncell von Oberthür eröffnet, von welchem ausser-
dem noch sein brillantes Duo über Motive aus dem „Freischütz"
für Harfe und Concertino (letzteres gespielt von dem trefflichen
Begondi), ein Duo aus „Trovatore" für Harfe und Ciavier (Miss
Hynn) und einige Solostücke für die Harfe, darunter eine neue
Fantasie über die „Afrikanerin" mit grösstem Beifall zur Aufführung
kamen. Mme. Elvira Behrens sang die Arie ,,^A, perßdot"
von Beethoven und ein sehr hübsches Lied von Oberthür mit reiner,
klarer Stimme und schönem Vortrag. — Wie beliebt übrigens Ober-
thür bei uns ist, beweist am Besten die grosse Anzahl von Concerten,
su welchen seine Mitwirkung gesucht wird. So spielte er am 8. Mai
In einem Concerte des Violinspielers P a 1 1 i ; sein „Bonnie Scott-
fand" musste er in einem Concerte des Sängers Champion wieder-
holen. Ebenso ist derselbe für vier verschiedene Concerte im Laufe
des Monats Juni zur Mitwirkung engagirt.
%* Der König der Geiger ist wieder der Geiger des
Königs geworden, oder mit andern Worten, Hr. Joachim ist in
seine frühere Stellung nach Hannover zurückgekehrt.
%* Am 17. Mai starb in Berlin nach langen Leiden der
Professor an der dortigen Universität Dr. Adolf Bernhard Marx.
Durch seine musikalischen Werke, durch seine Lebensbeschreibungen
Gluck's und Beethoven's , neuerdings auch durch die Darstellung
seiner eigenen Erlebnisse in den weitesten Kreisen gekannt, geschätzt
und geachtet, ist er seinen zahlreichen Freunden und Bekannten
durch die Liebenswürdigkeit seines Wesens, die Lauterkeit seines
Lebens und die Tapferkeit seiner Gesinnung lieb und werth gewesen.
*** Die projectirte diesjährige Tonkünstlerversamm-
lung in Coburg ist laut Bekanntmachung des Geschäftführers
des „Allgemeinen deutschen Musikvereins" in Anbetracht der wenig
günstigen Zeitverhältnisse vertagt worden.
*** Der Violoncellvirtuos Feri Kletzer hat trotz der vorge-
schrittenen Saison noch in Weimar, Sondershausen und Detmold
in Hofconcerten und Soireen mit grossem Erfolge gespielt.
*** Die italienische Oper in Paris hat ihre Saison mit der
Oper „// Casino di Campagna" von Mela, dem Vater des weib-
lichen Tenoristen, geschlossen, Das Besultat war ein ziemlicher
Fiasco.
*** Tichatschek gastirt mit grossem Erfolge in Stockholm.
*** Dr. Faist in Stuttgart hat den Preis des schlesischen
Sängerbundes für Composition von Schillers „Macht des Gesanges"
erhalten und haben die Preisrichter die besondere Erklärung abge-
geben, dass dieses Stück eine wahre Bereicherung der Männerge-
sangliteratur sei.
*** Die schon erwähnten Aufführungen des „Tannhäuser" nnd
»Lohengrin" in München unter Bülow's Direction werden näch-
stens und zwar die erste des „Lohengrin* am 10. Juni, die erste des
„Tannhäuser" am 24. Juni stattfinden. Jede dieser Opern wird nur
zweimal und zwar in unverkürzter Gestalt gegeben werden. Die*
Besetzung ist folgende: Nie mann von Hannover (die beiden Titel- '
rollen), Dr. Schmid aus Wien (Landgraf und König Heinrich),
B e tz aus Berlin!(Wolfram und Telramund), Frl. Stehle (Elisabeth),
Frau Schnorr v. Carolsfeld (Ortrud), Frl. Harry aus Ham-
burg (Elsa), Frau Mick-Bennewitz aus Stuttgart (Venus).
*** Iu Königsberg führte die Singacademie als 100. Con-
cert unter Laudien's Leitung den „Judas Msccabäus* auf.
*** Capellmeister Zwicker von Ausburg wurde in Dussel*
dorf engagirt.
*** Frl. Lehmann vom Bremer Stadttheater gastirt in
Leipzig auf Engagement und ist bereits als Norma und Donna
Anna mit ziemlichen Glück aufgetreten«
*** Ueber den Flötisten ohne Flöte schreibt man aus Havre:
Don Augusto Ferreyra gebraucht statt des Instrumentes nur
seine Hände und seinen Schlund. Die linke Hand legt er auf den
Mund, den Daumen und Zeigefinger ausstreckend, um seinen Tönen
freie Passage zu gestatten. Die rechte Hand legt er auf die linke
und bewegt die Finger, um die nötbigen Schwingungen behufs ver-
schiedener Töne und Stärke hervorzubringen. Herr Ferreyra be-
gnügt sich aber nicht mit einzelnen Melodieen, er bläst grosse Mu-
sikstücke; die Nachtwandlerin, den Carneval von Venedig, die Tra-
viata sind Kleinigkeiten für ihn. Dabei treibt er die Nachahmung
der Flöte zu einer solchen Vollendung, dass das geübteste Ohr sich
darüber täuschen könnte, besonders wunderbar sollen die ernsteren,
getragenen Noten sein. Kürzlich gab Herr Ferreyra in London ein
Concert; kaum hatte er sein Präludium begonnen, als der ganze
Saal, ausser sich vor Erstaunen über seine Geschicklichkeit, ausrief*
Das ist unmöglich! das ist Betrug ! Sofort stieg der Künstler von der
Estrade herab und nahm der Beihe nach die Hände der Anwesen-
den, führte sie an den Mund und entlockte der Faust des Lord
B. ein C, den zierlichen Händchen der Miss N. ein D, und so die
Tonleiter durch. Stürmischer Beifall folgte natürlich diesem
Kunststück.
*** Der Hofopernsänger und Regisseur Hr. S i g 1 am Hoftheater
in München feierte am 9. Mai sein dreissigjähriges Jubiläum als
Mitglied der dortigen Hofbühne.
%* Der König von Baiern ist im strengsten Incognito, von
einem einzigen Diener begleitet, in Lindau angekommen und hat
sich von dort zu einer schon länger verabredeten Zusammenkunft
mit Bich. Wagner nach der Schweiz begeben. (Das sieht recht
neutral aus.)
*** Offenbach arbeitet gegenwärtig an folgenden Opern:
„Robinson Crusoe," komische Oper in drei Acten von Cormon und
Crämieux ; „Le Jockey ," Oper in zwei Acten von Nuitter und
Trefeu ; „La vie Parisienne;" Oper in vier Acten von Mailhac und
Halevy. Die Letztere ist für die Saison in Ems bestimmt.
%* Am zweiten griechischen Ostertage ist in Belgrad während
der Vorstellung die Schaubühne eingestürzt, wobei mehrere Schau-
spieler schwere Verletzungen erlitten.
*** Der gegenwärtige Inhaber der Schlesinger'schen Verlags-
handlung in Berlin, Hr. B. Linau, hat für die Dedication der von
ihm herausgegebenen Partitur der „Euryanthe" vom Kaiser von
O Österreich die grosse goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft
erhalten.
%* Der Organist T o d t in Stettin veranstaltete unter Mit-
wirkung' des Gymnasial chors und der Sängerinnen Wittenhagen
(Sopran) und Hamann (Alt) zu wohlthätigem Zweck ein Kirchen-
concert, in welchem er besonders sich selbst als tüchtiger Orgel-
virtuose bewährte.
*** Der Violinist Wieniawski hat sich nach London begeben;
ebenso der Violoncellist D. Popper aus Löwenberg.
\* Im Brüsseler Conservatoriumsconcert wurde ein Quintett
für fünf Posaunen von F e t i s aufgeführt.
Briefkasten. Werden wir wohl bald wieder einen Bericht
unseres Hrn. Correspondenten in München erhalten ? D. Bed«
N i ' ' i i ■
Verantw. Red. Ed. Föckerer, Druck v. Carl Wallau, Main**
15. Jahrgang.
]¥* &a.
4. Juni 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
1 Diese Zeitung erscheint j eden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
< lungen.
von
B.
i
* PREIS:
fl.2. 42 kr. od.Th.l.l8Sg.
^ nm \ für den Jahrgang.
SCHOTTE SÖHNEN in MAINZ. | Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott London bei Sehott & Co.
IHHALT: Astorga. — Die Zauberflöte. — Correspondenzen : Leipzig. Paris. — Nachrichten.
Jk s t o r g a.
Romantische Oper in drei Acten von Ernst Pasque.
Musik von J. J. Abert.
Es ist eine oft ausgesprochene Klage, dass die deutsche Oper
seit einer Reihe von Jahren kein Product mehr aufzuweisen hat,
welches zu einer allgemeineren Verbreitung, zu einer in weiteren
Kreisen anerkannten Geltung gelangt wäre, und doch ist die Zahl
der Opern, die alljährlich in unserem Gesammtvaterlande das Licht
der Welt erblicken, eine nicht unbedeutende ; leider bringen es aber
die meisten derselben über einen Succes d'&time in ihrem Geburts-
orte nicht hinaus und werden, nachdem sie mit Hülfe guter Freunde
mit mehr oder minder Geräusch vor dem Lichte der Lampen er-
schienen, in aller Stille wider in die Gruft der betreffenden Theater-
archive zur ewigen Ruhe beigesetzt. Wir hegen die Ueberzeugung,
dass nicht immer absoluter Unwerth der Hauptgrund dieses traurigen
Schicksals so vieler Erstgeburten mancher talentbegabten Opern-
componisten ist. Häufig ist die Wahl des Librettos eine unglück-
liche, und die vielleicht von wirklichem Beruf zeugende Schöpfung
des Componisten wird von der Ungeniessbarkeit des Sujets zu Grunde
gerichtet. Ein anderer Fehler, der sich an vielen neuen Opern-
werken bemerklich macht und den Effect einer an und für sich
recht gelungenen Arbeit bedeutend abschwächt, ist der Mangel an
Bühnenkenntniss, an der richtigen Vertheilung von Licht und Schatten,
indem der Neuling in diesem Fache entweder mit ängstlicher Schüch-
ternheit an den Anforderungen eines falschverstandenen Classicismus
sich festklammert und dadurch die lebhaftere Wirkung auf das
grössere, nicht musikalisch gebildete Publikum verfehlt, oder ent-
gegengesetzt die reichen Mittel , welche die grössere Freiheit der
modernen Schule und die unendlich vervollkommnete Instrumenta-
tionskunst ihm darbieten, in einem Maasse anwendet oder vielmehr
missbraucht, dass wieder jeder Musiker, sowie jeder mit einigem
Geschmack begabte Laie sich von solcher Ueberschwenglichkeit
unbefriedigt abwendet. Auch manche wirkliche Perle, die zum Ge-
meingut der deutschen Kunstwelt zu werden verdiente, mag unter
der bedeutenden Anzahl neuer deutscher Opern sich befinden, die
aber durch die Bescheidenheit und den Mangel an Practik des
Componisten oder durch andere ungünstige Verhältnisse der allge-
meineren Verbreitung entzogen und der ewigen Vergessenheit ge-
weiht wurde.
Wir freuen uns desshalb umsomehr, von einer neuen Erscheinung
im Opernfache berichten zu können, welche unter so günstigen
Anspielen in die Welt getreten ist und in so hohem Grade den ge-
rechten Ansprüchen des Publikums wie der Kritik entspricht (was
in gewissem Grade auch ohne das Prädicat unbedingter Vollkommen-
heit möglich ist), dass wir derselben das günstigste Prognostikon
in Betreff ihrer weiteren Verbreitung auf den deutschen Bühnen
«teilen zu dürfen glauben, vorausgesetzt dass letztere ihre Aufgabe,
•inheimische Talente nach Kräften zu unterstützen, auch erkennen
«od zn erfüllen bereit sind.
Wir sprechen nämlich von der Oper „Astorga" von Ernst
Pasqu6, componirt von J. J. Abert, welche am Sonntag, den 20*
Mai in Stuttgart zum ersten Male zur Aufführung kam. Abert, ein
Schüler des Prager Conservatoriums und Mitglied der k, Hofcapeila
in Stuttgart, ist kein Neuling mehr im Opernfache. Er hat schon
früher zwei Opern geschrieben, nämlich „Anna von Landskron" und
„König Enzio ," welche beide ausser Stuttgart auch in Mannheim
und Carlsruhe gegeben wurden. Die zuletzt genannte Oper hat sich
an diesen Bühnen auch auf dem Repertoir erhalten und hat nament-
lich in Carlsruhe schon mehr als zwanzig Vorstellungen erlebt. In
seinem neuesten Werke hat Abert ohne Zweifel einen bedeutenden
Fortschritt beurkundet und er bewegt sich bereits mit einer Sicher-
heit und Umsicht auf diesem Felde, die von seiner ferneren Thätig-
keit auf demselben nur das Allerbeste erwarten lassen.
Was zuvörderst das Sujet betrifft, so hat Hr. Pasque den für
den C omp o ulstcn äusserst dankbaren Stoff fei recht gewandter Welse
bearbeitet, und lassen wir zur Einführung des Lesers in denselben
die dem Textbuch vorgedruckten Notizen hier folgen. Es heisst
dort: „Eraanuel Astorga, der berühmte Componist des Stabat
mmter, wurde im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts in Sizilien
geboren. Sein Vater, einer der vornehmsten Adeligen, lehnte sich
gegen die spanischen Unterdrücker der Insel auf. Er erlag und
wurde zum Tode verurtheilt. Seine Gattin und sein Sohn mussten
der Hinrichtung beiwohnen, also wollte es das Urtheil. Die Mutter
tödtete der furchtbare Anblick ; sie starb am Fusse des Hochgerichts,
während der Sohn einem Zustande dumpfer Verzweiflung anheimfiel,
der an Wahnsinn gränzte. Die Prinzessin Ursini, die allmächtige
Oberhofmeisterin der Königin von Spanien, gerührt von dem Schick-
sal des jungen Mannes, liess ihn nach einem Kloster in der Stadt
Astorga im spanischen Königreich Leon bringen. Dort erlangte
Emanuel seine Gesundheit wieder und bildete sich zum Sänger und
Tonsetzer aus. Als er dann auf's Neue in die Welt trat, nannnte
er sich und für immer nach diesem Kloster „Astorga". Nun finden
wir ihn am Hofe des Herzogs von Parma und alldort in einem
Verhältnisse , ähnlich dem Tasso's zu Leonore von Este. Dieses
veranlasste jedoch seine Entfernung von Parma, und nun zog Astorga
nach Wien, an den Hof des kunstliebenden Kaisers Leopold I. Von
dort besuchte er alle Höfe Europas als Sänger und Componist, glän-
zend und Bewunderung erntend, bis er endlich in Böhmen, in Prag,
den Augen der Welt entschwand. — Also erzählt Fr. Rochlitz
(„Für Freunde der Tonkunst," 1825. Bd. H) des Meisters Leben,
ohne die Quellen anzugeben aus denen er geschöpft. Gerber und
H a w k i n s („Neues Lexikon der Tonkünstler ," 1812 , Bd. I , und
History of Musik, 1776, Bd. V) wissen nichts von diesen roman-
tischen Schicksalen Astorga's, während dieselben nach Rochlitz all-
gemein so dargestellt wurden und noch in neuerer Zeit durch R ie h l's
vortreffliche Characteristik des Meisters und seines Hauptwerks, detr
„Stabat mater" („Musikalische Characterköpfe ," 1858), eine be-
deutende Ergänzung und Bereicherung erhalten haben. — Die Ge-
schichte selbst schweigt Über die früheren Verhältnisse Astorga's;
nur folgende Data fand ich: Die grosse „Histoire de Steile** tov
90 -
Burigny erzählt, dass in den ersten Jahren des vorigen Jahrhun-
derts unter dem Vicekönig Marquis (Hersog) Carlos Philipp
Spinola Ton Los Barbases ein Aufstand in Sicilien stattge*
fanden, nach dessen Bewältigung Balbazes einen der Haupträdels-
führer, den Prinzen „de Paligonie" habe hinrichten lassen. — Diese
historische Thatsacbe, verbunden mit den von Rochlitz erzählten
Lebensumständen des Meisters, liegen in freier, selbständiger Be*
nutzung der nachfolgenden Opernhandlang zu Grunde.
Soweit der Dichter des Libretto's, und wir müssen ihm zuge-
stehen, dass er im Oanzen genommen seinen Stoff mit vieler Ge-
wandtheit und Bühnenkenntnisa behandelt und dem Componisten
entsprechende Situationen und Gelegenheit zum Ausdruck der ver-
schiedensten Affecte geboten habe, wenn auch vielleicht eine
grossere Gedrungenheit an einzelnen Stellen wie im Ganzen wün-
schenswerth gewesen wäre.
Der Dichter hat auch dem Componisten insofern seine Aufgabe
erleichtert, als er die erforderliche Steigerung in den Verlauf der
Handlung zu bringen wusste, so dass von einer Abnahme des In-,
teresses für den Zuhörer , woran so viele Opern leiden , ja selbst
untergehen, hier keine Spur zu finden ist, sondern im Gegentheil
die allgemeine Theilnahme bis ans Ende des Stückes ungeschwächt
fortdauert. Abert hat es aber auch verstanden, die Vortheile, wel-
che sein Libretto ihm bot, in vollstem Maasse zu benützen, und so
entstand denn ein Ganzes, welches den Anforderungen der Kunst
und eines geläuterten Geschmackes nach jeder Richtung hin fast
überall entspricht.
Abert's Musik zeichnet sich durch poesiereiche , originelle Er-
findung, durch feine, geschmackvolle Auffassung des Textes, Gefühls-
tiefe und Noblesse aus. In letzterer Beziehung lassen nur ein paar
Nummern etwas mehr Tiefe und Gefühlswärme wünschen, so nament-
lich das Lied des Astorga in der ersten Scene: „Wenn, Herrliche,
du in stiller Nacht" (nach Tasso), welches uns, wenn auch sehr
lieblich und melodiös, doch dem Texte und «der Situation gemäss
etwas zu leicht, zu gewöhnlich erscheint und durch eine Ueberar-
beitung in ernsterem Style bedeutend gewinnen und den Eindruck
der ganzen Scene sicherlich noch erhöhen würde. Im übrigen ist
diese ganze erste Scene vortrefflich gearbeitet und nimmt schon von
vornherein den Hörer zu Gunsten des Componisten ein. Die ein-
zelnen Nummern dieser und der zweiten Scene, insbesondere die
beiden Ensemblesätze am Schlüsse der letzteren , riefen lebhaften
Applaus hervor. Ein wahrhaft reizendes Stück ist die darauffolgende
Arie der Angioletta, welche sich in dem rythmisch und melodisch
ausnehmend lieblichen Schlussatze: „Ja, freudig will ich ihm dienen
(G-dur, '/* Tact) gipfelt und mit stürmischem Beifall aufgenommen
wurde. Das Ballet in der 5. Scene gab dem Componisten Gelegen-
heit, eine Fülle lieblicher Melodien und reizender Instrumentation
zu entwickeln und sein entschiedenes Talent auch für diesen Genre
zu beurkunden. Von vortrefflicher Wirkung ist das darauffolgende
Hochzeitslied der Angioletta : „Wie bist du gross, o Liebe", welches
mit einfach melodischer Weise die tiefsten Gefühlssaiten sympathisch
berührt und äusserst geschickt mit der Ansprache des Herzogs und
den freudigen Kundgebungen des Chors verwebt ist, um dann auf
einmal mit dem wilden Aufschrei Astorga's, der in dem vorgeführten
Bräutigam der von ihm geliebten Prinzessin den Mörder seines
Vaters erkannt hat , plötzlich abzubrechen , worauf nach kurzer
Zwischenrede Astorga's dessen tief ergreifende Erzählung seiner
Schicksale folgt. Letztere ist eine der schönsten und wirksamsten
Nummern der ganzen Oper, welche mit ihrem hochdramatischen
Schwünge dem Darsteller des Astorga Gelegenheit gibt, sein Licht
als Sänger wie als Schauspieler leuchten zu lassen. Das Quintett
mit Chor, welches das Finale des 1. Actes bildet, kann in Bezug
auf geschickte Factur, effectvolle Behandlung und schöne Steigerung
dem Schönsten an die Seite gestellt werden, was die neuere Opern-
literatur in diesem Genre aufzuweisen hat.
Die hervorragenden Nummern des 2. Actes sind : die Scene des
Astorga am Anfang desselben, wo er sein Stabat mater componirt,
das Lied der Angioletta: „Wenn hart das Leben mich bedroht,"
die Arie der Prinzessin Eleonore, und insbesondere aber die Impro-
visation der Angioletta: „Vom Himmel Verstössen, sog der Schmerz
zur Erde," welche besonders in ihrem ersten Theile von überraschen-
der Originalität in Gesang und Begleitung und dabei von einer so
schönen Wahrheit des Ausdrucks durchdrungen ist, dass der Schluss
derselben, der In einem ziemlich gewöhnlichen Coloraturenspiel
verläuft, den ersten Eindruck mehr beeinträchtigt als erhöht.
Ausserordentlich wirksam sind die beiden Ensemblesätze im Finale
dieses Actes : „0 Vater, mein Vater" und „Ich schätze ihn in seinem
Leide, sowie die schöne Cantilene der Angioletta; „Leb wohl da
Aermster nun, ich scheidet" Die Wirkung steigert sich noch in dent
Schluss der Scene, im Abschiede der Angioletta von Astorga. Auch
die Ensembles für Männerstimmen sind recht melodiös und dankbar,
dürften aber doch, wenn möglich, etwas gekürzt werden.
Im 3. Acte fällt uns zuerst ein, wenn auch nicht bedeutendes,
doch recht ansprechendes Duett zwischen Angioletta und Eleonore
auf, sodann die viel inhaltsvollere, von einer wunderschönen Be-
gleitung der Violoncello und Bässe getragene Scene Astorga's: „Da
nahst du mir wieder, du bleiches Angesicht!" Ferner das Duett
zwischen Astorga und Eleonore und endlich das höchst effectvolle
Finale mit dem Schlusschor: „Er ist gerettet, Dank dem Herr!"
Nachdem wir nun in Kürze die einzelnen Vorzüge des Werkes
hervorgehoben haben, bleibt uns nur noch übrig, über die Auffüh-
rung desselben zu referiren. Vor Allem gebührt die Krone des Abends
Hrn. Sontheim, der die Titelrolle, eine der bedeutendsten und
anstrengendsten Tenorpartien, die wir kennen, mit einer bewunderns-
werten Kraft und Ausdauer, mit tiefem Verständniss und mit hin-
reissendem Feuer sang und spielte und an dem Erfolg der ganzen
Aufführung unstreitig einen bedeutenden Antheil in Anspruch nehmen
darf. Nächst ihm zeichneten sich Frau Leisinger als Eleonore
und Frl. Klettner als Angioletta aus, welch' letztere namentlich
ihre an und für sich dankbare Bolle mit einer so liebenswürdigen
Natürlichkeit auffasste und wiedergab, dass man sich in Bezug auf
Gesang, Darstellung und persönliche Erscheinung kaum eine bessere
Repräsentantin der Angioletta wünschen könnte. Auch Hr. Schüt-
k y leistete Vortreffliches als Barbazes , sowie auch die Herren
Wallenreiterals Herzog und R o b i c e c k als Graf Lauristan ihren
Platz würdig ausfüllten. Die ganze Aufführung ging unter des Com-
ponisten persönlicher Leitung vortrefflich von statten , und wenn
auch die Intendanz mit der Ausstattung der Oper sich sicherlich
nicht ruinirt hat, so wusste doch der Regisseur Hr. Dr. Hall wachs
die disponiblen Mittel mit feinem Geschmack zu einem recht schönen
Ganzen zu gestalten. Die Aufnahme der Oper von Seite des Pub-
likums war eine wahrhaft enthusiastische. Beständige Beifallssalven,
vielfache Hervorrufe der Darsteller und des Componisten und Blumen
und Kränze in Hülle und Fülle mochten sämmtliche Betheiligte
überzeugen , dass ihre Leistungen die verdiente Anerkennung im
vollsten Maasse gefunden hatten.
Mögen nun die übrigen deutschen Bühnen nicht zögern, Abert's
schönes Werk auch|ihrerseits dem Publikum vorzuführen und damit
einem entschiedenen^Talente in diesem Fache für die Zukunft die
Wege zu ebnen. — Noch sei erwähnt, dass der König von Würtem-
berg, welcher der Vorstellung der Oper vom Anfang bis zum Ende
mit sichtbarem Interesse beigewohnt hatte , den Componisten , der
bekanntlich Mitglied der Stuttgarter Hofcapelle ist, am Morgen nach
der Aufführung zu sich rufen liess, und ihm persönlich seine Er*
nennung zum königl. Musikdirector mittheilte. E. F.
»••4M
Die ZauberJUHe.
Texterlauterungen fttr alle Verehrer Mozarts.
Unter diesem Titel ist in Leipzig (Verlag von Theodor
Lissner) eine anonyme Broschüre erschienen, welche eine nahe
und ausdrückliche Beziehung der „Zauberflöte" zur Freimaurerei
darzuthun bemüht ist, gegenüber der Anschauung, welche in jenem
Texte nichts als eine Kundgebung der barmlosen Naivetät der
Scbikaneder'scben Muse finden will. Der vollständige Text der Oper,
aber ohne Dialog, ist dem Büchlein beigegeben j von der Musik ist
wenig die Rede. Das Ganze ist nicht uninteressant, und die aufge-
stellte Ansicht mit Geschick durchgeführt, wie aus folgendem Frag-
ment ersehen werden mag:
„Die Königin mit ihren Damen dringt in den Tempel ein, vom
Mohr Monostatos geführt, um die Priester zu überfallen und sie von
der Erde zu vertilgen. Wer dächte nun bei der Königin der Nacht
nicht an die Kaiserin Maria Theresia? Bereits am 7. März 174$
- 91 -
hatte die Kaiserin eine Versammlung der ersten Wiener Loge „Zu
den drei Kanonen* (gestiftet den 17. Sept. 1742), welcher auch ihr
Gemahl Frans I. angehörte, durch mehrere Hundert Mann Grenadiere
and Curassiere überfallen und aufheben lassen. Gegen 18 Freimaurer
wurden festgenommen und in Haft gebracht. Dem Verhör wohnten
der Cardinal und Erzbischof von Wien und der päpstliche Nuncius
bei. Franz 1. soll, wie die Sage berichtet, in der Loge gegenwärtig
gewesen und nur mit Mühe den Verfolgungen der Soldaten auf einer
Hintertreppe entgangen sein. Unter den ältesten Bewohnern Wiens
hat sich aus jenen Tagen noch die traditionelle Sage bis heute er-
balten : Maria Theresia soll eines Tages, um Gewissheit über diesen
Funkt zu erhalten, in Gesellschaft einer vertrauten Dame in männ-
licher Kleidung ihrem Gatten in die Versammlung der Loge gefolgt
«ein, habe aber dieselbe alsbald verlassen, als sie Niemanden vom
weiblichen Geschlechte daselbst gesehen hätte. Endlich erschien 1764
im Namen der Kaiserin eine Verordnung, durch welche die Frei-
maurerei in allen österreichischen Staaten aufgehoben wurde.
„Werden wir durch die Königin der Nacht an die Kaiserin
Maria Theresia erinnert, so liegt die Deutung des Mohren Monos-
tatos (d. h. des Alleinstehenden) nicht fern: es ist die päpstliche
Clerisei und deren Anhang, das Mönchsthum. Dem Mohren, der
«eine „ Wachsamkeit* rühmt, von Paminen aber Liebe verlangt hatte,
verordnet Sarastro 77 Sohlenstreiche. Solche Streiche hatte Born
{Sarastro) allerdings ausgetheilt in seinem „Specimem monachologiae
methodo Linaeno" (Wien, 1793), deutsch unter dem Titel „Ignaz
Loyola Kuttenpeitscher" (München, 1784).
„Unter dem Prinzen Taraino darf wohl an Joseph IL gedacht
werden. War derselbe auch nicht wie sein Vater ein Mitglied des
Bundes, so war er doch von demselben erzogen und huldigte den-
selben Grundsätzen, welche Born innerhalb und ausserhalb der Loge
vertrat. Er war ein Freimaurer ohne Schurz; daher gewährte er
der Freimaurerei öffentlichen Schutz in seinen Landen, wovon auch
das von ihm eigenhändig geschriebene Cabinetschreiben vom 12. De-
zember 1785 zeugt, in welchem er verfügt, dass alle Landesregie-
rungen den Freimaurern vollkommene Freiheit und Schutz zu ge-
währen hätten.
„Haben wir in der Königin der Nacht die Kaiserin zu erkennen,
*o ist auch die Deutung für Pamina, die Tochter der Landesmutter,
gefunden: es ist das österreichische Volk in seinem innersten und
edelsten Kern, während Papageno und Papagena dessen harmlos
heitere und genusssüchtige Seite darstellen. Pamina ist durch Sa-
rastro und dessen Priester der Leitung der Mutter entrissen worden.
Der Aufklärung einer neuen Zeit war das Österreichische Volk zu-
geführt worden, ein sittlich - edler und sittlich-freier Geist war ein-
gedrungen.
„Das österreichische Volk (Pamina) vermählt sich mit Joseph II.
(Tamino) und ist trotz des Verbotes der Freimaurerei bis auf den
heutigen Tag noch voll Sehnsucht nach den Zeiten, in welchen die
Freimaurerei in Oesterreich unter Joseph IL erlaubt und beschützt war.
CORRESPONDENZEN.
Aus Leipzig.
(Schluss.)
Als ein ganz vortreffliches Werk, so klein es auch dem Umfange
»ach ist, erscheint der Chor von Gesius, höchst eindringlich im Aus-
druck und dabei sich eng an die Textworte anschmiegend. — Die
Bearbeitung des Luther'schen Chorals von Calvisius interessirt durch
lebendige und energische Rythmik und machtvolle Harmonik. —
Von schöner Wirkung ist der Chor von M. Frank mit seiner Wort-
malerei und mystischen Gefühlsseligkeit und Schwelgerei. — Demuth
und innige Andacht characterisiren das Frank'sche Pfingstlied. Frl.
"Wieg and trug dasselbe ebenfalls ganz vortrefflich vor.
An der Baeh'schen Motette mag wohl mancher Zuhörer Anstoss
gefunden haben. Für das erstmalige Hören ist der Eindruck der-
selben mit ihrer reichen Polyphonie allerdings geradezu erdrückend
und kann die Annahme begünstigen, dass der Meister hier wohl all
«eine gelehrte Kunst aufgeboten habe, aber das Gemüth des Hörers
dabei leer aasginge. Demzufolge ist auf Bach'e eigentümliche
Stellung in der Kunstgeschichte aufmerksam m machen. Bach ist
nichts weniger als trockener Gelehrter; ihm ist nur die Polyphon!»
gewissermassen so zur zweiten Natur geworden, dass sie ihm form*
lieh zum alleinigen Darstellungsmittel geworden ist. Alles was er
musikalisch darstellen will, setzt sich in seiner Fantasie sofort in"
diese Form um. Bei der Meisterschaft in der Beherrschung derselben
erscheint sein Schaffen nunmehr nicht als kalte Verstandesoperation, '
als „Rechenexempel ," sondern als unmittelbare Art und Weise des
Erfindens, als ureigner Styl. Es leuchtet ein, dass der wahr«'
und vollständige Genuss seiner Werke somit einen idealen Stand-'
punkt des Zuhörers voraussetzt, dass ihm diese Ausdrucksform ge-
läufig und in Fleisch und Blut übergegangen sein soll , worauf die
Auffassung des eigentlichen Empfindungsgehaltes erst ermöglicht wird*
Ist demnach scheinbar Veranlassung gegeben zu der Annahme, als ob
Bach nie populär sein könne, so ist zu bemerken, dass durch die
Meisterschaft, mit welcher er die Polyphonie handhabt, jeder An-
strich abstruser contrapunktischer Grübelei ferngehalten wird, und
die Ursprünglichkeit und Frische der Erfindung und Empfindung,
die Anschaulichkeit der Darstellung nicht im Mindesten benach-
theiligt erscheint. Daher sind seine Werke trotz ihrer Complicirtheit
immer klar in Anlage , Aufbau und Durchführung und bieten für
das Verständniss hinreichende Höhepunkte, von welchen aus alles
Uebrige sich leicht übersehen lässt. Freilich ist doch immer ein-
dringendes Studium erforderlich, um derartige Werke in ihrer Tota-
lität vollständig auf sich wirken lassen zu können.
Die Vorführung sämmtlicher Nummern war ganz ausgezeichnet
und, von einer kleinen Schwankung am Anfang der Motette abge»
sehen, correct und sicher, geistig belebt, die Nüancirungen in allen
Stimmen gleichmässig durchgeführt und die Intonation durchgängige-
rem. Das Concert eröffnete Hr. Thomas mit einer Passacaglia
von Frescobaldi , den zweiten Theil desselben mit einer Toccata
(D-moll) von Bach, und bewährte sich als vortrefflicher Orgelvirtuos«
Aus Paris.
27. Mal.
Freitag kamen Nicolai 's „lustige Weiber von Windsor" im
The'ätre lyrique zur Aufführung. Dieselben fanden zwar keinen,
stürmischen Beifall, doch eine freundliche Aufnahme. Die Oper,
ward übrigens nur mittelmässig gegeben, da die vorzüglichsten
Kräfte dieser Bühne vom „Don Juan" in Anspruch genommen sind.*.
I s m a e 1 giebt die Rolle des Falstaff leidlich ; die Uebrigen ziehen
sich kaum glimpflich aus der Affaire.
Morgen findet in der Ope'ra comique die erste Darstellung der
„Zilda" von Flotow statt. Nach der Generalprobe zu urtheilen, wir dl
sich Flotow's Werk gewiss eines lebhaften Beifalls erfreuen. Das
ebengenannte Theater studirt gegenwärtig ein neues Werk von Jules
Cohen ein. Gegen Anfang der nächsten Saison wird dort auch
die dreiactige Oper „Mignon" von Ambroise Thomas in SceneV
gehen. Der Text ist von C a r r 6 und Barbier nach GötheV
„Wilhelm Meister" bearbeitet.
G e v a e r t arbeitet an einer komischen Oper, „ Venise" ; das
Libretto hat den unermüdlichen Victorien Sardou zum Verfasser.
Verdi befindet sich in seiner Villa in Italien, wo er die letzte
Hand an seinen „Don Carlos" legt. Wie ich Ihnen schon berichtet»
ist dieses Werk für die grosse Oper bestimmt und es helsst, die Direction
treffe bereits Vorbereitungen zu einer sehr glänzenden Aufführung?
desselben.
G o u n o d ist mit einer Majorität von blos einer Stimme zum
Mitglied des Instituts (Academie des Bemtx-Arts) ernannt worden.*
Er hatte nur neunzehn Stimmen. Eine sehr bedeutende Minorität,
sechszehn Mitglieder stimmten für Felicien David, der also sicher-
darauf rechnen darf, bei der nächsten Gelegenheit in den Hchooss
der Academie aufgenommen zu werden. David ist älter als Gounod;
und ist Offizier der Ehrenlegion, während dieser nur ein simpler
Bitter ist; David's Freunde sind daher sehr aufgebracht, dass ihm
die Academie Gounod vorgezogen.
■ I M«
— 92 —
Mac 1t richten.
HaiDZ. Unsere Opernsaison ist am 20. Mai geschlossen worden,
und »war mit der Oper t Fra Diavolo," in welcher Hr. Götte, der
nun wirklich für die nächste Saison dahier engagirt ist, durch Ge-
sang und Spiel wieder allgemeinen, wohlverdienten Beifall gewann.
Der Versuch, die Theatersaison auch noch auf den Monat Mai zu
erstrecken, hat kein günstiges Resultat geliefert, indem das Haus
trotz aller angewendeten Zugmittel stets leer blieb. Nun haben wir
■ur möglichsten Befriedigung unseres Theaterbedürfhisses zwei
Sommertheater, das eine in Castel unter Leitung des Hrn. Max t.
Hessling, das andere hier im Dofflein'schen Garten vor dem
Mnnsterthore, dessen Director der bisherige Schauspielregisseur des
Stadttheaters, Hr. Pittmann ist. Beide künden täglich amüsante
und rührende Stücke mit vorhergehendem Concerte und gutem Bier
an, doch dürfte der Besuch bei dem bisherigen unfreundlichen Wetter
-wohl kaum den Erwartungen der Directoren entsprochen haben; ja
die Leute sind boshaft genug, den Sommertheatern geradezu vorzu-
werfen , dass sie das Wetter, besonders an Sonn- und Feiertagen
durch ihre Theaterannoncen regelmässig verderben. So ungerecht
sind wir nun nicht, sondern wünschen den beiden Unternehmungen
am rechten und linken Bheinufer, dass der Himmel seine Sonne
möge scheinen lassen über ihre luftigen Musentempel und dass es
ihnen gelinge, die tiefen Falten, welche der drohende Krieg und die
leidigen Papiere auf jegliche Stirne gegraben haben, wenigstens für
ein paar Stunden zu glätten. £. F.
Garlsrahe. Im 4. Concert des Cäcilien- Vereins kam Beethovens
herrliches Septett in Es -dar durch Mitglieder der Hofcapelle und
ausserdem ein- und mehrstimmige Gesangsstücke von Händel, Men-
delssohn, Hiller, Spohr, Schubert, Gretrv, Esser, Dessauer und
Schumann zur Aufführung. Die Alt-Soli wurden von Frl. Bürklin,
die übrigen von Vereinsmitgliedern vorgetragen. — Das 5. Vereins-
concert brachte den 137. Psalm für Tenorsolo, Chor und Orchester
Ton Georg Vierling, das Tenorsolo gesungen von Hrn. Hofopern-
Bänger Brandes (unter des Componisten persönlicher Leitung), und
Mendelssohn^ Musik zur „Athalia" von Racine, mit verbindendem
Text von Ed. Devrient. Die Soli wurden von Frau Braun-
hofer, Frl. Bürklin und einem Vereinsmitgliede, der verbindende
Text von Hrn. Hofschauspieler Lange vorgetragen.
Das 3. Abonnementconcert der Grossh. Kirchenmusik unter der
Leitung desDirectors derselben, Hrn. Giehne gab in einem reich-
haltigen und mannigfaltigen Programm des Interessanten und Schönen
wieder gar vieles. Wir hörten Compositionen für die Orgel von Seb.
Bach und Hob. Schumann und Vocalwerke verschiedener Art von
Palestrina, Corsi, Graun, Mendelssohn, Hauptmann, Hay.dn, Leonhard
Leo, Cherubini und Rob. Schumann.
Paris. Es hat Jemand die Geduld gehabt, die sämmtlichen
Concerte, welche vergangenen Winter in Paris gegeben wurden, zu
registrieren. Es ergibt sich die schöne Ansahl von 269 Concerten,
davon 37 im Conservatorium und im Cirque Napoleon, 72 im Saale
Herz, 85 im Saale Pleyel, 51 im Saale Erard und die übrigen
in Localitäten zweiten Ranges.
— Folgende Zöglinge des Conservatoriums sind von der dazu
bestellten Jury zur Concurrenz für den Römer -Preis zugelassen
worden: H.Ketten, Schüler des verstorbenen Halevy undReber's;
D uco t, Schüler Carafa's ; G odar d, Schüler Reber's ; Hess, Schüler
des Ambroise Thomas, und Pessard, Schüler Carafa's. Diese fünf
Concurrenten werden die Clausur zur Ausarbeitung ihrer Preisaufgabe
am 29. Mai betreten und am 23. Juni verlassen.
*** Hofsecretär Dr. Hirsch in Wien hat einen Clavier-Noten-
pult construiren lassen, welches allen bisherigen Uebelständen ab-
Mlft. Die besseren Instrumentenmacher in Wien haben dasselbe
sogleich adoptirt.
%* In Madrid ist das Theater Nueva Infanted am 6. Mai ein
Raub der Flammen geworden. Es war ein schönes Haus, in wel-
chem namentlich Nationaltänze in ihrer Echtheit producirt wurden.
*** Carlotta Patti ist in Italien ernstlich erkrankt und kann
ihr Engagement in London nicht antreten.
V Hr. Salvatore Marchesi erhielt von der Grossherzogin
Ton Weimar für sechs ihr gewidmete sicilianische Melodien eine
prachtvolle Brillantnadel.
*** Bei der ersten Aufführung der »lustigen Weiber von Wind-
sor" im The'dtre lyrique ereignete sich der komische Unfall, das»
dem Darsteller des Falstaff im 2. Acte während des Duettes mit
Mlle. Demay die Hosenträger brachen und er in äusserste Gefahr
kam, seine Inexpressibles zu verlieren. Man Hess den Vorhang fallen,
und nach einigen Minuten, während welcher Fallstaff seine Toilette
wieder in Ordnung gebracht hatte, wurde die Vorstellung unter all-
gemeiner Heiterkeit, welche Ismael durch einige drollige An-
spielungen auf seinen Unfall noch zu erhöhen wusste , wieder fort-
gesetzt.
%* Die philharmonische Gesellschaft in Wien veranstaltet am
1. Juni im Hofoperntheater ein ausserordentliches Concert, dessen
ganzer Reinertrag patriotischen Zwecken gewidmet ist. Das Pro-
gramm enthält: Ouvertüre und Scherzo aus Mendelssohn^ Musik
zum „Sommernachtstraum", die grosse „Leonoren" - Ouvertüre und
die „Eroica" von Beethoven, sowie zwei Sopran -Arien von Gluck
und Spohr.
*** Münchener Blätter melden , dass die im Monat Juni beab-
sichtigten Aufführungen der Opern „Tannhäuser" und „Lohengrin*
mit vorzüglicher Besetzung und glänzender Ausstattung vorderhand
nicht stattfinden werden, indem auf königlichen Befehl Angesichts
der drohenden Verhältnisse, durch welche die Mittel für ernste Zwecke
in Anspruch genommen sind , alle Vorbereitungen zu jenen Vor-
stellungen vollständig eingestellt wurden.
*** I>ie Baronin Vivier (Sophie Cruvelli) rivalisirte mit
der Tenoristin Mela, indem sie in einem Pariser Wohlthätigkeits-
concerte die Tenor- und Sopranpartie des Verdi'schen Miserere
(Troubadour) sang.
*** Der von J. Grimm geleitete Musikverein zu Münster gab
diesen Winter 14 Vereins- und 3 besondere Concerte zu Wohlthätig-
keitsz wecken. In denselben wurden von grösseren Werken aufge-
führt : die Oratorien „Israel in Egypten" und „Athalia" von Händel,
Beethoven's 9. Sinfonie, Scenen aus „Faust," „Paradies und Peri,"
„der Rose Pilgerfahrt" von Schumann, Frühlingsbotschaft von Gade,
„O weint um sie" von Hiller, Romberg's „Glocke", Sinfonien von
Beethoven, Mozart, Haydn, Mendelssohn, Gade, Suiten von Lachner
und Grimm; Violinconcerte von Beethoven, Viotti, Spohr und Men-
delssohn, Clavierconcerte von Beethoven und Schumann ; Beethoven'»
Septett; Quintette, Quartette, Sonaten von Mozart und Beethoven,
eine grosse Anzahl von Ouvertüren etc. In den erstgenannten Chor-
werken wurden nach alter Sitte die sämmtlichen Solopartien von
Dilettanten übernommen, nur zum Cäcilienfeste (9. Sinfonie, Faust)
waren dieHH. Stockhausen von Hamburg und Pirk von Han-
nover engagirt. Ehre diesem aus sich wirkenden, kunsteifrigen und
gemeinsinnigen Streben 1
*** Generalintendant von Hülsen ist von seiner Reise nach
Italien nach Berlin zurückgekehrt, und soll dort eine ausgezeichnete
Tänzerin für die k. Oper gewonnen haben.
*** In London soll auf Staatskosten ein Conservatorium für
Musik errichtet werden. Im Falle des Zustandekommens sind die
Herren Sternda'Ie-Bennet und Otto Goldschmidt (Gemahl
Jenny Lind's) als Directoren in Aussicht genommen.
*** Von Brendel's „Grundeüge der Musik," welches Werk
schon früher ins Holländische und Schwedische übersetzt wurde, ist
soeben eine polnische Uebersetzung der 5. Auflage erschienen.
*** Otto Prechtler hat zwei Operntexte, und zwar einen
romantischen in drei und einen biblisch historischen in vier Acten
vollendet und ist geneigt, dieselben Componisten unter billigen Be-
dingungen zu überlassen. Nähere Auskunft ertheilt Hr. v. Turn«
retscher, Beamter im k. k. Handelsministerium in Wien.
*** Die „Afrikanerin" ist am 2. Mai in Turin zur erstmaligen
Aufführung gelangt.
*** Die Kaiserin von Oesterreich hat für das Mozartmonument
bei Gelegenheit des betreffenden Concertes 200 fl. beigesteuert.
%• Der Männergesangverein „Orfea" in Aachen feiert dieser
Tage sein 25jähriges Jubiläum.
\* Das in Lübeck vertagte Musikfest soll nun in Hamburg
a bgehalten werden.
*** Rieh. Wagner's „Rienzi" wird am Hofoperntheater in
Wien einstudirt.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck t>. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
NT* 94.
11. Job! 1866.
SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
Vorlag
von
Y"
B.
■■
4
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
SCHOTTS SÖHNEN in MAINZ. \JZZSZZ...
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal. ,
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co. ju. ^4
INHALT: Gluck und Piccini. — Correspondenzen : München. — Nachrichten.
Gluck und Piccini.
i.
Das in Paris erscheinende Journal ,,£e Me'nestrel" brachte in
ihren letzten Nummern fortlaufende Artikel über die ersten Zeiten
der französischen Oper aus der Feder des Hrn. Leon M£nau,
-welchen wir in freier Bearbeitung folgendes über die beiden Rivalen
Gluck und Piccini entnehmen, hoffend, dass wir unsern Lesern,
wenn auch wohl nicht viel Neues, so doch in der Auffassungsweise
des französischen Musikhistorikers manches Interessante bieten können.
Wie bei dem Auftreten Rameau's in Paris sich das Publikum in
Lullisten undRamisten theilte, so bildeten sich auch alsbald bei
dem Erscheinen G 1 u c k's in der französischen Hauptstadt, wo da-
mals Piccini die Opernbühne beherrschte, abermals zwei Parteien,
die Gluckisten und die Piccinisten, welche nicht minder hart-
näckig einander entgegen traten als jene Gegner der vorhergehenden
Periode. Wir lassen nun folgen, was Menau über Gluck vor seinem
Auftreten in Paris mittheilt, und zwar hauptsächlich nach der Bio-
graphie des grossen Meisters von Anton Schmid.
Die Zeit und der Ort der Geburt des Componisten Christoph
Willibald Gluck war lange Zeit zweifelhaft, bis es den eifrigen
Forschungen seines Biographen Anton Schmid gelang festzu-
stellen , dass der grosse Meister am 2. Juli 1714 in dem Städtchen
Weidenwang bei Neumarkt in der bairischen Oberpfalz geboren
wurde. Sein Vater, Alexander Gluck, war Forstwart des Fürsten
von Lobkowitz, dessen Familie sich von jeher durch eifrige Pro-
tection der Künste und namentlich der Musik ausgezeichnet hatte.
Christoph und sein Bruder Anton liefen barfuss durch die Wälder
ufid trugen ihrem Vater das Gewehr nach. Christoph zeigte schon
in frühester Jugend bedeutende Anlage für die Musik. Er spielte
recht wacker Violine und Contrabass. Zu gleicher Zeit lernte er
so rasch lesen, dass sein Vater sich bemühte, ihm einige Erziehung
angedeihen zu lassen. Es gelang ihm, ihn in einem Jesuitencolle-
gium unterzubringen ," wo er sechs Jahre lang, von 1726 bis 1732,
verblieb. Dort empfing er den ersten Unterricht im Ciavier- und
Orgelspiel. Während der Ferien zog er von Dorf zu Dorf, spielte
in den Kirchen und gab Unterricht in den Schlössern. Häufig be-
kam er statt des Honorars Eier, die er dann wieder verkaufte, wenn
er eine gewisse Anzahl gesammelt hatte.
Der Fürst Lobkowitz, welcher sich freute, bei dem Sohne eines
seiner Forstwarte ein so ausgezeichnetes Musiktalent wahrzunehmen,
beschloss ihn ernstlich unterrichten zu lassen und schickte ihn nach
Wien, wo er ihn an seine hohen Freunde empfahl, die ihn dann
den Meistern Antonio Caldara und Joseph Fux zuführten,
welche damals als ausgezeichnete Musiker den Hof Carls VI. zierten.
Unter diesen Meistern studirte er den Contrapunkt. Der Fürst
Melzi, welcher sich damals am Wiener Hofe aufhielt, nahm ihn
als seinen Capellmeister zu sich und brachte ihn 1736 nach Mailand,
wo er noch von Samm artini Anleitung erhielt. Im Jahre 1741
schrieb er für das Hoftheater seine Oper „Artaserse" nach dem
Gedichte Metastasio's.
Obgleich er damals mit seinen Relormationsideen noch nieht
im Klaren war, so bette er doch in seiner Partitur die hergebracht«
italienische Schreibweise bedeutend modificirt, mit Ausnahme einer
einzigen Arie , in welcher er sein persönliches Gefühl denr italieni»
| sehen Geschmacke unterordnete. In der Generalprobe fand man
'. seine Musik barok, mit Ausnahme der erwähnten Arie, welche man
aber allgemein für eine Arbeit Sammartini's hielt. Gluck Hess die
Gegner seines Systems reden und schwieg auch zu dem Vorwurfe
der Einschmuggelung fremder Arbeit. Am Tage der Aufführung aber
wurde sein „Artaserse" enthusiastisch aufgenommen, mit Ausnahme
jener Arie, welche man Sammartini zugeschrieben hatte. Von da
an schritt Gluck kühn auf der Bahn .voran, die ihm sein Genie
vorgezeichnet hatte.
Im darauffolgenden Jahre Hess er in Venedig „Ipermne&tre"
und „Demetrio" und in Mailand „Demofoonte" aufführen; 174$
„Artmnene" in Crenjoaa, „Sifacce" in Mailand und „Parro" in
Turin; im Jahre 1744 wurde in Turin „Alessandro nelV Indie ie
und in Mailand ^Fedra^ aufgeführt.
Nun erhielt Gluck einen Ruf nach London , wo er die Oper
„Caduta dei Giganti" („der Sturz der Riesen") schrieb. Der Titel
scheint dem Werke Unglück gebracht zu haben, denn es fiel am
7. Januar 1746 total durch. Freilich hatte Händel das Werk für
schlecht erklärt und die Engländer hatten schon damals, wie noch
heutzutage die Gewohnheit, in ihrem Kunsturtheil sich vom Ausland
bestimmen zu lassen. Gluck machte sodann ein zusammengestop-
peltes Werk aus den besten Nummern seiner italienischen Opern,
unter dem Titel: „Pvrame e Tisbe* welches ebenfalls durchfiel
und zwar, wie der Componist zugestand, mit Recht, denn er sah
ein, dass die Stücke, welche mit ihrem ursprünglichen Texte ganz
gute Wirkung machten, durchaus effectlos wurden, sowie sie einem
andern Stoff angepasst waren. Dies bestärkte ihn in seinem Ent-
schlüsse, niemals von dem Grundsatze abzuweichen, den Ausdruck
der Gefühle in dem Gedichte selbst zu suchen und demselben die
Musik anzupassen.
Dies ist der grosse Unterschied zwischen der von Gluck ge-
schaffenen dramatischen Schule, welcher sich mehr oder weniger
Mozart, Weber, Meyerbeer etc. angeschlossen haben und welche man
die deutsche nennt, und der italienischen Schule, welcher Piccini,
angehörte, dessen Vorgänger Leo, Scarlatti, Porpora, Durante etc.
und dessen Nachfolger Cimarosa, Paesiello und Rossini waren.
Gluck war der Ansicht, die Musik müsse der Dichtung das verleihen,
was einer correcten und gut componirten Zeichnung durch die Le-
bendigkeit der Farben und die glückliche Uebereinstimmung von
Licht und Schatten verliehen wird, welche dazu dienen, die Figuren
zu beleben, ohne die Conturen zu verändern. So spricht er sich
selbst in seinem Vorworte zur „Alceste" aus. Die Aufgabe des
Componisten ist also nach seiner Ansicht, den Gedanken des Dich-
ters ganz genau zu übertragen, indem er ihn dramatisirt und ihn
dadurch um so geeigneter macht, Eindruck auf den Hörer zu üben.
Zur Zeit, als „Artaserse" erschien, hatten es die italienischen
Componisten so weit gebracht, dass sie fast nur den Umriss ihrer
- 94 -
Opera niederschrieben, denn wenn sie Alles, was sie singen hören
wollten, wirklich hingeschrieben hätten, so würden die Castraten,
welche die volle Gunst des Publikums besassen, sie genöthigt haben,
Alles wieder abzuändern und ihrer Stimme anzupassen. Diese Sänger
kümmerten sich nicht im Geringsten um die dramatische Handlung
und sangen eine Oper wie heutzutage ein Instrumentist eine Varia-
tion spielt. In den traurigsten wie in den heitersten Situationen
gurgelten die ersten Sänger und Sängerinnen ihre Triller und Rou-
laden im Uebermaass hervor.
Die französische Bühne hatte diesem sonderbaren Missbrauche
widerstanden; daher waren auch die Sänger derselben der Spott
aller Nationen und das Urlo francese (französisches Geheul) war
sprüchwörtlich geworden. J. J. Rousseau, der sich für einen sehr
guten Musiker hielt und das Geschick hatte, dies ein halbes Jahr-
hundert lang glauben zu machen, sagt durch den Mund von Juliens
Geliebten, der Gesang der französischen Künstler gleiche dem Ge-
schrei eines Eolikkranken, und noch heute glauben viele Leute, man
singe in der italienischen Oper besser als in der grossen Oper, ob-
wohl man sich täglich überzeugen kann, dass grossentheils dieselben
Personen abwechselnd bald hier und bald dort auftreten.
Als Gluck auf der Rückkehr von London nach seinem Vater-
lande durch Paris kam, fand er das Urlo francese sehr nach seinem
Geschmacke und beschloss sogleich, dereinst wieder einmal dahin
zurückzukehren. Unterdessen Hess er sich in Wien nieder (1746);
dort studirte er französisch und die Literatur seines Vaterlandes,
von der er nur wenig kannte, da seine Erziehung sich nur auf die
Anfangsgründe beschränkt hatte. Damals versuchte er es auch,
Sinfonien zu schreiben, doch gelang ihm diese Gattung nicht, welche
die schwierigste von allen ist; er bedurfte, um seine Muse zu be-
geistern, durchaus grosser Leidenschaften , die er dramatisiren , tra-
gischer Situationen, die er mit seinem Pinsel coloriren sollte. Daher
kommt es auch, dass ihm der leichtere Genre nur sehr mittelmässig
gelang; er hat einige komische Opern geschrieben, welche aber
keinen Erfolg hatten.
In Wien componirte er die »Semiramide riconusciata" von
Metastasio. In dieser Oper liess er zuerst die Blasinstrumente ganz
unabhängig vom Streichquartett auftreten, was bis dahin noch nicht
geschehen war. Die Blasinstrumente, oder was man in des Instru-
mentation die Harmonie nennt, hatten keine andere Aufgabe, als
von Zeit zu Zeit die Streichinstrumente zu verstärken ; Gluck hatte nun
begonnen , ihnen eine viel wichtigere Rolle anzuweisen , und sein
Beispiel war von nun an massgebend.
Während dieses Aufenthaltes in Wien machte Gluck die Be-
kanntschaft der Tochter eines sehr reichen Kaufmannes, Marie Anna
P e r g i n. Die beiden jungen Leute liebten sich , aber der Vater
wollte , wie man sich wohl denken kann , seine Tochter keinem
^Künstler" geben. Gluck, von dieser Zurückweisung lebhaft ergriffen,
floh als Capuziner verkleidet nach Rom, da ihn noch Verpflichtungen
an den österreichischen Hof banden. Er schrieb in der ewigen Stadt
einige italienische Opern, welche den gewohnten Erfolg hatten; da
aber inzwischen der gute Bürger Pergin gestorben war, so eilte
Gluck nach Wien zurück , wo er sich am 15. September 1750 mit
seiner Geliebten vermählte. Von jener Zeit an befand er sich häu-
fig auf dem Wege zwischen Wien und Rom. In letzterer Stadt
schrieb er denn auch nach seiner Verheirathung „La Clemenza di
Ttto a , in welcher sich die berühmt gewordene Arie befindet: „Se
mori senti spirarte sul volto* Gewisse Kritiker hatten behauptet,
diese Arie sei nicht regelrecht geschrieben; der alte Durante, den
man darüber befragte , antwortete : „Ich weiss nicht, ob das Stück
regelrecht ist oder nicht, aber jeder Musiker, und ich vor Allen,
würde stolz darauf sein dasselbe erfunden und geschrieben zu haben."
Gluck kehrte 1751 nach Wien zurück und führte dort eine komische
Oper auf. Wieder nach Rom berufen, ertheilte ihm der Pabst nach
neuen Triumphen den Titel und die Decoration eines Ritters vom
goldenen Sporn - Orden. Er ging dann abermals nach Wien, wo er
für das kaiserliche Theater in Laxenburg „L'Innocenza giuslificata*
und „// Re pastore" schrieb ; allein alle diese Stücke trugen schon
durch die Art ihres Zuschnittes immer etwas vom italienischen Ge-
schmack an sich, und Gluck, der das Joch der Tradition vollständig
abschütteln wollte , sagte sich nun von Metastasios Gedichten los,
und da er mehr einen Dramaturgen als einen Poeten nöthig hatte,
so wandte er sich an Rani er o di Calzabigi, der sich voll«
kommen darauf verstand, ein Opernsujet zu bearbeiten. Dieser
schrieb für ihn das Libretto zu „Orfeo ed Eurydice". Der Erfolg
dieser neuen Oper war ein so grossartiger, dass seine Feinde, welche
das Werk selbst nicht anzugreifen wagten, die Behauptung aufetellten»
es sei nicht alles von ihm, und so z. B. die Arie »Che färb senza
Eurydice /" von dem Sopranisten G u a d a g n i gemacht.
Sei es nun , um sich von der Tyrannei dieses Guadagni und
anderer Sänger seines Gleichen vollkommen zu befreien, sei es aus
Liebe zur künstlerischen Wahrheit, kurz, Gluck beschloss, von nun
an seine Männerrollen nur mehr wirklichen Männern anzuvertrauen.
In seiner Oper „Alceste? welche am 16. December 1767 zum ersten
Male in Wien aufgeführt wurde , brachte er diese Umwälzung zu
Stande. Calzabigi hatte den Euripides fast wörtlich übersetzt. Die
Aufführung machte grosses Aufsehen. Ein Zeitgenosse , Sonnen-
feld, schrieb darüber: „Ich befinde mich in dem Lande der
Wunder; eine seriöse Oper ohne Castraten, eine Musik ohne Gur-
geleien, ein italienisches Gedicht ohne Buffonaden, das ist das drei-
fache Wunder, mit welchem das Hoftheater eröffnet wurde.'*
Gluck war damals nahe an 60 Jahre alt und betrachtete sich
demnach als am Ende seiner Laufbahn ; er musste noch in Paris
sich geltend machen und beschloss daher alsbald den Versuch
zu wagen. (Fortsetzung folgt.)
»er Verein der Tonkiinstler (arti&tes
muteten*) in Paris.
Vor kurzer Zeit ist von mehreren hochgestellten Männern der
Kunst, der Gesellschaft und der Finanzen ein Aufruf ergangen zur
Bildung eines „Vereines Berliner Musiker zur Unterstützueg seiner
hülfsbedürftigen Mitglieder und deren Hinterbliebenen". Wir werden
noch öfters auf diesen Aufruf zurückkommen, und erwarten nur eine
ruhigere Zeit, um für das Unternehmen mit allem Nachdruck zu
wirken. Heute wollen wir nur eine kleine Skizze von der letzten
Stizung des Vereines der Pariser Tonkünstler geben, die am 24. Mai
stattgefunden hat; die Berliner Tonkünstler werden daraus besser
als aus allen möglichen Betrachtungen entnehmen können, was ein
solcher Verein bedeutet, wenn er eben einig ist.
Ein wahrer Freund der Kunst und der Menschheit, Baron
Taylor, der noch jetzt im hohen Alter an der Spitze aller künst-
lerischen gemeinnützigen Unternehmen steht, hat den Verein ge-
gründet; dieser wird durch Beiträge, durch Aufführungen etc. er-
halten, und seine Einkünfte betrugen im Jahre 1864 88,228 Frcs.
im verflossenen Jahre 89,195, also fast 24,000 Thaler an Beiträgen,
worunter 32,500 Frs. feste Renten. Dafür haben auch Gounod,
A. Thomas, Savard u. A. ihre Messen zum Besten des Vereins auf-
führen lassen; ein Gesellschaft für classischen Gesang, von Herrn
Be aul i e u gegründet, widmet den Ertrag ihrer Concerte dem Verein,
und alljährlich finden grosse Musikaufführungen zum Besten desselben
statt — überall findet er Unterstützung bei den Musikern selbst;
der Verein zählt jetzt 4614 Mitglieder.
Wir wiederholen : diese Skizze, diese Ziffern sprechen deutlicher
als alle Reflexionen. (N. ßerl. M.-Z.)
CORRESPONDENZEN.
Ans München.
I. Juni.
Sie wünschen wieder einige Notizen aus dem musikalischen
Leben Münchens, aber die Musik ist bei uns so in den Hintergrund
getreten, dass es mich wegen Mangel an Stoff Mühe kostet, Ihrem
Wunsche zu willfahren ; denn Aller Augen sind auf den bevorstehen-
den Krieg gerichtet, und wir hören den ganzen Tag nur Militär-
musik. Ja selbst die Lieblingsidee des Königs litt an der schweren
Zeit Schiffbruch: die Mustervorstellungen Wagnerischer Opern
(Lohengrin und Tannhäuser), für welche colossale Decorationen ge-
malt wurden und die Damen Stehle aus München, Harry aus
Hamburg, Schnorr aus Dresden und die HH. Betz aus Berlin,
Dr. Schmid aus Wien und Nie mann aus Hannover engagirt
waren, wurden desshalb abgesagt und vertagt, weil das dafür nöthige
Geld jetzt zu anderen Zwecken verwendet werden könne.
— 95
Ein einziges Concert hat seit meinem letzten Berichte stattge-
funden; der Oratorienverein führte im grossen Museumssaale Men-
delssohns „Elias* auf. Professor Rheinberge r, der Dirigent des
Vereins, hatte sich viele Mühe gegeben, die Composition dem Ver-
eine einzustudiren, doch der Chor war au schwach, und die Trom-
peten und HÖrner brauchten sich nicht sonderlich anzustrengen, den
Gesang vollständig auzudecken; auch vermissten wir im Vortrag
(vorzüglich in dem schönen Schlusschor der ersten Abtheilung) jene
Begeisterung, die aus dem Herzen der Sänger strömend den Zuhörer
ergreift und selbst mittelmässige Stellen verschönert; die Damen
schienen anzunehmen, dass sie blos ihre Stimmraaschine dem Con-
certe zur Verfügung zu stellen brauchten, Geist und Kopf Hessen
sie unbenutzt; die Composition übte daher nur den Eindruck einer
Hauptprobe.
Uebrigens hat dieser „Elias," einst als ein vollendetes Werk
verschrien, so viele langweilige, an Erfindung arme, an dramatischer
Kraft unzureichende, an falschem Pathos überfliessende Stellen, dass
wir die Hälfte der Schuld, die wir aus dem lauen Vortrage ableiteten,
der Composition zuschieben. Mendelssohn, der Interrex im Orato-
rium , wie ihn B ü 1 o w mit liebenswürdiger Bescheidenheit nennt
(d. h. Interrex zwischen Beethoven und Hansens Schwiegervater
Liszt), stand, da er den „Elias" schrieb, nur selten auf der Höhe
seiner musikalischen Gestaltungskraft. Doch sind wir dem Vereine
und seinem wackeren Dirigenten schon desshalb zu Dank verpflichtet,
weil uns durch sie ein Capitel aus der Geschichte der Musik, das
lange Zeit als ein gelungenes, ja nahezu mustergiltiges gegolten
hat, vorgeführt wurde ; da haben wir doch wieder so recht klar
eingesehen , dass die Compositionen der Mode (und dazu rechnen
wir auch den vielfach überschätzten Elias) an ihrem allgemeinen
Werth sehr bald einbüssen und dass die rücksichtsloseste Kriti-
kerin, die Zeit, ihnen nach wenigen Jahren schon den gleissenden
Firniss wegreisst und ihre übertünchten Blossen mit unerbittlicher
Strenge der über die Wandlung des eigenen Geschmackes staunen-
den Menge zeigt. — (? ?)
Die Soli waren durch die Damen Hofcapellsängerihnen Hag
und von Mangstl (geb. Hetzenecker) und die Herren Heinrich
und Fischer von der Hofoper vertreten. Das Werk und seine
Darstellung fand in dem erweiterten Familienkreise, in dem es auf-
geführt wurde, vielen Beifall.
Im Hoftheater hat sich ein Frl. T h o m a , ehemalige Schü-
lerin des hiesigen Conservatoriums, mit überraschender Schnelligkeit
in die Gunst des Publikums festgesetzt. Sie besitzt neben einer
gründlichen musikalischen Bildung, einer ja nicht zu unterschätzenden
Eigenschaft, auf deren möglichste und allseitigste Ausbildung in
dem hiesigen Conservatorium von je mit Recht grosse Sorgfalt ver-
wendet wurde, eine ausserordentliche starke, markige, über zwei
Octaven umfassende Stimme, deren Metall nur in den obersten Re-
gister etwas verliert. Ihr Ton ist nicht so sympatisch , so seelen-
voll wie jener des Frl. Stehle , aber er ist gesunder, klangreicher,
ausgiebiger und mit souveräner Kraft beherrscht er das Ensemble.
Dazu erfreut sich die Sängerin neben einem riesigen Fleisse eines
seltenen musikalischen Gedächnisses, das sie ziemlich umfangreiche
Partien in kürzester Zeit einstudiren lässt. Dass bei solchen Vor-
aussetzungen aus der jugendlichen Sängerin noch eine bedeutende
Künstlerin werden wird, ist nicht schwer zu glauben.
Ein Heldentenor Herr Hacker aus Dessau mit einer umfang-
reichen aber keineswegs volltönenden Stimme , ein musikalischer
Routinier, hat als George Brown, Masaniello und Eleazar dahier
gastirt und trotz seiner vielen Unarten gefallen. Sonst hätte man
in München einen solchen Provinzsänger nicht vertragen, jetzt aber
heisst es , um sein Engagement , das , wie wir hören, auf drei Mo-
nate festgestellt wurde, au rechtfertigen, er singt doch correct und
hat ein Repertoir ; so tief sind wir gesunken , dass wir um solche
Tenoristen froh sein müssen, bloss deswegen weil sie den Dirigen-
ten nicht jeden Augenblick in Verlegenheit bringen , wie er das
durch sie gefährdete Ensemble noch retten kann und weil sie ein
Repertoir von wenigstens zebn Partien aufzuweisen im Stande sind.
Unser bisheriger Heldentenor findet sich nur im Besitze von höch-
stens vier Partien, von denen aber drei so unsicher sind, dass sie
nur in der höchten Noth anf das Repertoir gesetzt werden dürfen,
Das sind traurige Verhältnisse ! Z.
Nachrichten.
Pftris. Im Jahre 1847 existirten hier 197 Ciavierfabrikanten
mit 2889 Arbeitern , von denen jeder durchschnittlich fast 1 Thlr.
10 Sgr. täglich erwarb. Die Produktion stellte eine Summe von
fast 12 Millionen Franken dar, davon kamen nur 950,000 Fr. auf
die Ausfuhr ; im Jahre 1860, dem letzten , aus dem noch sichere
statistische Angaben datiren, existirten nur 179 Fabrikanten hier
mit 2000 Arbeitern, dagegen erhielten diese durchschnittlich 6 Fran-
ken (1 Thlr. 20 Sgr.) täglich, was freilich zu der immensen Ver-
teuerung der Lebensmittel noch in gar keinem Verhältnisse steht
— auch die Produktion hatte abgenommen um etwa 20,000 Thlr.
Werth — dagegen war der Export von 950,000 Franken im Jahre
1847 auf 4 7a Millionen Franken gestiegen, im Jahre 1865 hat die
Ausfuhr der Instrumente aller Art eine Summe von 8 Millionen
eingetragen.
— Die Theater der Stadt Paris haben vom 1. April 1865 bis
zum 30. April 1866, also in 13 Monaten die Summe von 14,457,825 Frs.
die Theater ausserhalb der Bannmeile dagegen 720,267 „
im Ganzen also 15,178,094 Frs.
eingenommen. Es gibt diese Summe ein Mehr von 503,684 Frs*
gegen die vorhergegangenen 13 Monate.
An Autorenrechten, Tantiemen etc. wurden bezahlt:
in Paris 1,499,428 Frs.
in den Departements . . 507,209 „
ausserhalb der Bannmeile . 61,734 „
vom Auslände .... 19,641 „
im Ganzen . . . . 2,088,609 Frs.
was wiederum ein Mehr gegen das Vorjahr ergibt von 16,907 Frs.
— Zu Ehren der Anwesenheit der Grossfürstin Marie von
Russland veranstaltet das Conservatorium ein ausserordentliches Con-
cert mit folgenden Programm: Pastoral -Sinfonie von Beethoven;
Adieu aux jeunes mart'es, Doppelchor ohne Begleitung von Meyer-
beer; Bruchstücke aus dem Septett von Beethoven; O Filii, Chor
von Leisring; Ouvertüre zu „Oberon" von Weber, und Chor aus
„Judas Maccabäus" von Händel.
— Der Virtuose auf dem Holz- und Strohinstrument, S a n k s o n
Jakubowski, der in London ausserordentliches Furore machte,
wird nun auch hieherkommen, um Concerte zu geben.
*„* Die Concertsaison in London gestaltet sich in trostloser
Weise, da alle Geschäfte stocken und das Publikum keinen Sinn
für Concertbesuch hat.
%* Der Bau zur Vergrösserung des Theaters in Salzburg
wurde bereits mit aller Energie in Angriff genommen. Das Theater
wird zwei Logenreihen und eine Gallerie erhalten. Das ganze
Theater wird neu decorirt und ausgestattet.
*** Die jugendliche Sängerin Frl. Ehnn ist für das Stutt-
garter Hoftheater mit 4500 fl. engagirt worden.
*** In Florenz sind das Pergolo- und Pagliano-Theater wegen
Mangel an Besuch geschlossen worden.
*,* Flotow's neue Oper „Zilda" ist in der Pariser komi-
schen Oper mit bestem Erfolg in Scene gegangen. Das Sujet bietet
viele erheiternde Situationen und die Musik ist voll lebendiger und
reizender Melodien. So verkünden wenigstens die Pariser Musik-
zeitungen. Die bereits mit gleichem Beifall aufgenommeneu Wie-
derholungen der Oper scheinen auch das günstige Urtheil über die-
selbe genügend zu bestätigen.
*** Der gegenwärtige Inhaber der Schlesinger'schen Verlags-
handlung in Berlin Hr. Lienau hat für die Dedication der von
ihm herausgegebenen Partitur der „Euryanthe" vom Kaiser von
Oesterreich die grosse goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft
erhalten.
*** Der Violinist Wieniawsky hat sich nach London be-
geben; ebenso der Violoncellist D. Popper aus Löwenberg.
*** Am 29. Mai trat Frl. Santer zum letzten Male im Ber-
liner Opernhause als „Fidelio" auf. Sie wird sich dann, wie wir
schon früher mittheilten, mit dem Componisten Blume verheirathen,
welcher als Landwehrlieutenant zur preussischen Armee abgeht,
während seine junge Frau ihr Engagement am Dresdener Hoftheater
antritt.
*** Das Hamburger Musikfest hat nun unter der Leitung;
- 96 -
der Herren Otto Goldschmidt und Julias Stockhausen
in sehr gelungener Weise stattgefunden. Zur Aufführung kam:
Bänders »Messias" und »Cäcilienode, Beethovens 9. Sinfonie, der
«weite Theil von Schumanns „Paradies und Peri" u. s. w. unter
Mitwirkung der Damen Jenny Lind, Therese Schneider, Frl.
Bettelheim und derHerrenDr. Gunz, Stockhausen, Stä-
gemann, Joachim, v. König slow, und Musikdirictor We-
ber aus Coln (Orgel).
*** Die Ferien der Hofoper in Wien erstrecken sich vom
30. Mai bis 30. Juni. Zur Wiedereröffnung soll Wagner's „Bienzi"
zum ersten Male zur Aufführung kommen, mit Hrn. Ferenczy in
der Titelrolle. Auch Boieldieu's reizende Operette „das Bothkäpp-
chen" wird nach langjähriger Buhe wieder neu in Scene gesetzt
werden.
*** Hofcapellmeister Esser in Wien ist vom Tonkünstler-
verein „Haydn" auf weitere drei Jahre zum Vorstand gewählt
worden.
*** In Darmstadt feierte der Hofopernregissenr Herr Ora-
molini am 17. Mai das Fest seines vor 25 Jahren erfolgten Ein-
tritts in den Künstlerverband des Hoftheaters. Herr Cramolini, der
eine rühmliche, fast 42jährige Theaterwirksamkeit hinter sich hat,
gehörte nach einer kurzen Anfängerschaft in Gratz und Pressburg
eine Reihe von Jahren der Wiener Hofoper an , wo er mit Wild,
Binder, Breiting, Staudigl, Forti und mit den Damen Wilhelmine
Schröder, Schechner, Fischer-Achten, Sophie Löwe, Sabine und
Clara Heinefetter zusammenwirkte, dort überaus beliebt war und
auf Gastspielreisen in ganz Deutschland sich Buf und Anerkennung
erwarb. Von Wien begab sich Herr Cramolini nach Braunschweig,
wo er mehrere Jahre lang wirkte und von wo er nach einer zweiten
grösseren Gastspielrundreise nach Darmstadt kam. Cramolini war
einer der elegantesten Tenore seiner Zeit, mit einer gewissen Nob-
lesse des Tones , dazu der gewandteste Darsteller , und wie seine
gefällige Bewegung auf der Bühne erwarb ihm gleichzeitig sein
liebenswürdiges Benehmen im Leben viele Freunde. Der Jubilar
wurde von seinen Collegen am Vorabend durch ein Gesangsständ-
chen, am Festtage seist durch XJeberreichung eines schönen silber-
nen Ehrenbechers gefeiert.
*#* Im 10. Baude des Wagner'schen „Staats- und Gesellschafts-
Lexikon" findet sich unter dem Artikel „Judenthum" folgendes Ur.
theil über Felix Mendelssohn-Bartholdy: „Wie soll ein
Wesen, welches, ohne Selbstgefühl, also auch ohne Hingebung und
Sympathie für seine Umgebung, sich nur zwischen seinen besonderen
und profanen Zwecken und Aufklärungsphrasen hin- und herbewegt,
unsere deutsche, unsere christliche Welt in Kunstwerken, zu denen
doch vor Allem Originalität gehört , wiederspiegeln und verklären
können ! Man beobachte z. B. die Angst , mit der Mendelsohn in
seiner A-moll-Symphonie das Muster, welches er vor Augen hat,
Beethoven's A-dur-Symphonie, zu verbergen und die Absichtlichkeit,
mit der er in seiner Travestie, obwohl vergeblich, etwas Neues hervor-
zubringen sucht, und man wird über die Armuth eines solchen Pro-
ducenten erschrecken. Dass derselbe Comp, mit seinen Psalmodien
den Beifall der christlichen Gesellschaft gewonnen hat, können wir
nur aus der Gutinüthigkeit derselben und ihrer Theilnahme für den
Stoff erklären. Aber das Entzücken derselben Gesellschaft über das
leere und fade Elfengeschwirr im „Sommernachtstraum" desselben
Comp, bewies am peinlichsten, wie schnell sie ein so naheliegendes
Original, wie das Weber'sche, welches doch wenigstens noch Ton
und Haltung hatte, vergessen konnte." — Im 13. Bande aber heisst
es unter dem Artikel „Felix Mendelssohn-Bartholdy" ; „Mendelssohn
ist gewiss eine merkwürdige Erscheinung unter den neuen Ton-
künstlern und jedenfalls ein bedeutender Musiker 1827 er-
schien seine erste Compositum und schon war man überzeugt, in
ihm einen zweiten Mozart zu besitzen .... In dieser Zeit (1834)
componirte er auch das Oratorium „Paulus", welches am 23. Mai
1836 das erste Mal in Düsseldorf mit allgemeinem Beifall aufge-
führt wurde. Dieses Werk belebte gleichsam die bisher vernach-
lässigte Gattung des Oratoriums aufs Neue .... In dem kunst-
sinnigen Leipzig genoss Mendelsohn allgemeine Verehrung und sein
Ruhm stieg so hoch, dass der für alles Hohe immer begeisterte Ko-
nig Friedrich Wilhelm IV. von Preussen bedauerte, den Künstler
nicht in seiner Residenz zu besitzen .... Von den Compositionen
dieses Meisters wollen wir hier nur kurz die wichtigsten angeben
. . . von seinen übrigen 18 geistlichen Musiken, die er besonders:
während seines Aufenthaltes in Born componirte, besitzen wir noch
mehrere Psalmen, Motetten und Hymnen, Zeugnisse seines kirch-
lichen Sinnes. Schliesslich ist zu bemerken, dass das lebhafte In-
teresse, welches Mendelssohn bei allen Gelegenheiten an kirchlicher
Musik an den Tag legte, davon zeugt, dass er nicht blos äusserlicb
(er war schon als Kind, wie alle seine Geschwister, durch die Taufe
zum Christen geweiht), sondern durchdrungen vom christlichem
Sinne war.
%* Aus London kömmt uns das Echo der Erfolge der Mlle*
Therese Liebe, der jungen und bemerkenswerthen Violinistin zu«
Kaum in der grossen Hauptstadt angekommen, ist Mlle. Liebe schon
der Gegenstand der schmeichelhaftesten Kundgebungen. Letzten
Freitag spielte sie in einem Concert im Palast des Prinzen von»
Wales. Der Dailly Telegraph, der diese Nachricht enthält, gibt
ein Verzeichniss der Prinzen, Prinzessinnen, Herzoge und Herzo-
ginnen, welche dieser Versammlung der vornehmen Welt beiwohn-
ten. Auf dem mit Wappen geschmückten Programm figurirte unter
den Künstlern ersten Ranges Mlle. Therese Liebe, welche die Fan-
tasie über „die Stumme" von Alard so gut vorgetragen hat , das»
die hohe Versammlung ihr einstimmigen Beifall zollte und ein zwei-
tes Stück von ihr verlangte. Sie spielte hierauf das God save the
queen, welches Hr. Liebe für sie zu einem Concertstück arrangirt
hatte und dessen zweite Strophe in Flageolet-Tönen, besonders, wie
es scheint, allgemein gefallen hat.
Dieser bedeutende Erfolg verspricht der Mlle. Therese Liebe
noch andere, denn nächstens soll sie im Krystallpalast und hierauf
im Theater von Covent- Garden spielen. (N.-Bhein. Courier.)
*** Der Harfenist der Stuttgarter Hofcapelle, Hr. Krüger,
hat vom König den Titel eines Kammervirtuosen erhalten.
*** Der Componist A. Gevaert hat aus Anlass des betrüben-
den Verlustes , den er vor wenigen Tagen durch den Tod seines
Vaters erlitt, vom Könige und von der Königin von Belgien ein
Condolenzschreiben empfangen.
*** Abbe Liszt hat vom Kaiser von Mexiko das Commandeur-
kreuz des Guadeloupe- Ordens erhalten.
*** Rossini, der bekanntlich zu dem Concerte für das Mozart-
denkmal in Wien zwei seiner neuesten Compositionen zur einmaligen
Aufführung geliehen hatte, wurde nun auch von der dortigen Ge-
sellschaft „Haydn" angegangen, zu Gunsten eines Denkmals für den
verehrten Tonmeister, dessen Name die Gesellschaft trägt, gleichfall»
etwas von seiner Hand zu liefern. Allein Bossini Hess sich durch
seine Frau entschuldigen, dass er unwohl, und desshalb auch nicht
selbst zu antworten, noch etwas des schönen Zweckes Würdiges zu
schreiben im Augenblick im Stande sei. Privatim soll aber der alte
Herr sich über die Wiener lustig machen, welche mit seinen Wer-
ken ein Denkmal für Haydn errichten wollen.
*** Bossini soll sich mit einer ausführlichen Vorstellung an
den Papst gewandt haben, um Se. Heiligkeit zur Aufbebung des
Decrets zu bestimmen, welches der Mitwirkung weiblicher Gesangs-
kräfte auf den Chören der meisten römischen Kirchen entgegensteht.
*** Der Pianist B r a s s i n ist zum Professor am k. Conserva-
torium in Berlin ernannt worden.
*** Liszt ist wieder nach Rom zurückgekehrt.
Via Amsterdam ist das deutsche Theater der Cholera
wegen geschlossen worden.
*** Wir machen unsere geneigten Leser auf einen im Aprilhefte
der „Westermann'schen Monathefte" enthaltenen interessanten Artikel
von Bernhard Scholz, betitelt: „Was ist Musik?" und auf die
sehr empfehlenswerthe Brochüre „Ueber die Stellung des Musik-
unterrichts auf dem Gymnasium" von Carl Bogler, welche in
Wiesbaden erschienen ist, besonders aufmerksam.
*** In Dresden wurde Gluck's „Iphigenie in Tauris" bei massig
gesuchtem Hause aber in recht gelungener Weise neueinstudirt unter
der Leitung des Hrn. Capellmeisters Krebs gegeben. Besondeis
verdient machten sich um diese Aufführung Frau Bürde-Ney und
die HH. D e g e 1 e und Mitterwurzer.
*** Das von H. von Bülow beim König von Baiern einge-
reichte Entlassnngsgesuch wurde angenommen, und ist derselbe mit
seiner Frau bereits nach Berlin abgereist.
Verantw. Red* Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang«
im* *&.
18. Juni 1866.
i <* '
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
«>."W
-3
': DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
| ä intern , Musik- <fc Buchhand
lungen.
? ©H a g
r
von
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
»%. «% #% ■■ « -. — < «% X ss »■ ■- »■ ■ *■ . s as -• f für den Jahrgang.
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ, jnn.hdi.pwi»>.«:
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co. jt/w
^
INHALT: Gluck und Piccini. — Correspondenzen : Rotterdam. Paris. — Nachrichten.
Gluck und Piccinl.*)
ii.
Gluck hatte in Wien den Baron du Rollet kennen
gelernt, welcher damals bei der französischen Gesandtschaft in Wien
attachirt war. Dieser war ein Mann von Geist, der sich viel mit
dem Theater beschäftigt hatte. Gluck erzählte ihm im Vertrauen,
dass er seit langer Zeit den sehnlichen Wunsch hege, etwas von
seiner Compositum auf der französischen Bahne aufzuführen; die
französischen Operndichter schienen seinem für die Wahrheit einge-
nommenen Geiste mehr zuzusagen als die italienischen. Du Rollet
machte ihm aus der „Iphigenie" von Racine ein Opernbuch zurecht,
welches er ohne Weiteres in Musik setzte. Eine Probeaufführung,
-welche in Wien 1772 stattfand, Hess bedeutenden Erfolg hoffen, und
du Rollet schrieb an Dauvergne, den damaligen Director der
grossen Oper, um ihm die Annahme dieses Werkes zu empfehlen.
In diesem Briefe war Gluck's System mit grosser Klarheit ausein-
andergesetzt; er erschien später, im October 1774, im „Mercure de
France" und bildete den Ausgangspunkt des Streites der Gluckisten
und Piccinisten.
Dauvergne antwortete, dass man die „Iphigenie" aufführen wolle,
wenn sich Gluck verbindlich machen würde, sechs Opern hinter-
einander für die grosse Oper zu schreiben ; ausserdem müsste man
darauf Verzicht leisten, denn ein solches Werk würde das ganze
damals herkömmliche Repertoir unmöglich machen. Was der Di-
rector der Oper in diesem Briefe aufstellte, war nur zu begründet.
Die Partitur der „Iphigenie" war so ausserordentlich verschieden
von den Werken Rameau's und seiner Zeitgenossen, dass zu be-
fürchten war, das Publikum möchte, nachdem es die neueren Ge-
richte gekostet haben würde , keinen Geschmack mehr an seiner
bisherigen faden Nahrung finden. Ueberdies hatte seit der Auffüh-
rung von „Gastor und PoIIux" nur eine einzige Oper Erfolg ge-
habt, und diese Oper war ,,/e Devin du Village", zum ersten Male
dargestellt im Jahre 1752. Dieses Werk verdankte die besondere
Gunst, die ihm von der ersten Aufführung an zu Theil wurde, und
welche 60 Jahre lang anhielt, wahrscheinlich der Berühmtheit sei-
nes Autors, J. J. Rousseau. Heutzutage kann man nur schwer
begreifen , wie dieses schale Schäferspiel die Wonne des Hofes
Ludwig XV. ausmachen konnte. Berlioz will es gar nicht als eine
Partitur gelten lassen. Fetis erkennt zwar an, dass einige hübsche
Melodien darin enthalten sind, muss aber doch zugestehen, dass der
Satz nichts taugt, dass die Harmonie viel zu wünschen übrig lässt
und dass an verschiedenen Stellen falsche Bässe angewendet sind.
Freilich betrachtete Rousseau die Harmonie als eine Erfindung der
Barbaren. Wenn man Adolph Adam glauben darf, so erschien diese
Oper erst nach zahlreichen Umarbeitungen durch den Orchesterdi-
rector und den Balletmeister vor dem Publikum. Der Componist
hatte für gut befunden, statt einer Begleitung unausgesetzt den Ge-
*) Berichtigung. In der vorigen Nummer (24) lese man in der
er8tenSpaHe,Zeilell ) statt B Piccini a — „der italienischeGesehmaek."
sang durch die Violinen und Violen im Einklang zu verstärken,
und es musste Alles überarbeitet werden, um es aufführbar zu
machen.
Diese Oper erhielt sich bis zum Jahre 1812, um welche Zeit
eine von unbarmherziger Hand auf die Bühne geschleuderte Perrücke
dieselbe von der Bühne verschwinden machte. Man hat in neuester
Zeit den Versuch gemacht, dieselbe auf dem Vaudeville - Theater
wieder aufzuführen, jedoch, wie natürlich ohne Erfolg. Lassen wir
also ihre Asche ruhen und kehren wir zur Geschichte der ersten Auf-
führung der „Iphigenie" zurück, jenes Werkes, welches von so hoher
Bedeutung in der Kunstgeschichte ist.
Um alle Schwierigkeizen zu beseitigen, wendete man sich an
die Dauphine MarieAntoinette, welcher Gluck früher Unterricht
gegeben hatte; sie unterstützte mit allem Eifer die Bestrebungen
ihres Lehrers, und Dank diesem mächtigen Beistande konnten end-
lich die Proben beginnen. Da thürmten sich neue Hindernisse auf
von fast unübersteiglicher Grösse: die Musiker jener Zeit waren '
nicht fähig, eine so schwierige Musik auszuführen. Endlich jedoch,
nach langem Studiren, fand am 19. April 1774 die erste Aufführung
statt. Sophie Arnould gab die Rolle der Iphigenie, der Tenorist
Legros den Achilles und Larriv6e den Agamemnon. Am ersten
Tage wurde^das Werk mit Kälte aufgenommen. Der Meister, der
seine schönsten Hoffnungen getäuscht sah, wollte seine Partitur zu-
rückziehen ; man machte ihm aber bemerklich, dass es gar nicht zu
verwundern sei, wenn das Publikum, welches niemals ähnliche Mu-
sik gehört hatte, anfangs mehr überrascht als hingerissen sei, und
dass man hoffen dürfe, weil dasselbe kein Zeichen des Missfallens
gegeben habe, so würde das Werk nach und nach Beifall finden.
Man hatte ja das Beispiel Rameau's vor sich , dessen Werke auch
nicht mit einem Male gefielen und sich dann doch auf der Bühne
einbürgerten.
Jene günstigen Voraussetzungen verwirklichten sich und am
20. Tage war der Erfolg ein so grosser , dass man Gluck während
einer ganzen halben Stunde hervorrief; doch wollte dieser nicht
auf der Bühne erscheinen.
Von ,nun an arbeitete er nur für die französische Bühne. Der
Baron" 1 du Rollet übersetzte seinen „Orpheus und Eurydice" und
seine „Alceste." Letztere machte eine grössere Wirkung als die
erstere, an der man sehr Vieles verändern musste, wobei das Werk
nicht eben gewann. Die Rolle des Orpheus z. B. war für Contra-
alt geschrieben, und da diese Gattung von Stimme noch niemals
auf einer französichen Bühne dagewesen war, so musste der Com-
ponist den Orpheus für den hohen Bariton Legros transponiren.
Bei dieser Oper gestattete man zum ersten Male dem Publikum,
den Generalproben beizuwohnen. Der Zulauf war ein ungeheurer
und man drängte sich herbei, nicht nur um die Musik Glucks au
hören , sondern um ihn selbst zu sehen. (Er hatte die Gewohnheit,
vor jeder Probe seine Perrücke und seinen Reck abzulegen und
eine baumwollene Mütze aufzusetzen.) Man amüsirte sich viel über
seine Zornausbrüche, seine sonderbaren Einfälle und schlechten
Complimente, die er an alle Welt austheilte : an Sänger, Musiker
und Tänzer. Er wollte sich um keinen Preis der Tyrannei irgend
eines Künstlers fügen und nahm gar oft einem Sänger eine Bolle
wieder ab, wenn dieser nicht vollkommen auf seine Ansichten ein-
ging. Er hielt die Arnould durch die Levasseur im Zaume;
er zwang sogar den berühmten Ves tri s zu tanzen wie er es haben
wollte, und zwar gegen alle Regeln der damaligen Choreographie.
Nachdem Gluck auf der Höhe des Ruhmes angelangt war, be-
gann die Kritik ihn heftig anzugreifen; die ausschliesslichen Ver-
ehrer der alten französischen Musik, die ergebenen Anhänger des
Herkömmlichen, deren es zu allen Zeiten gibt und die mit grosser
Sicherheit von dem sprechen, was sie nicht verstehen, warfen der
Partitur der „Alceste* vor, dass sie zu italienisch sei. Dieser ab-
geschmackte Vorwurf kam von der Majorität; diejenigen dagegen,
welche die italienische Schule besser kannten , tadelten an Gluck,
dass er gänzlich mit der Tradition gebrochen habe und dass seine
Werke in keiner Beziehung mehr stünden zu denen eines Scarlatti,
Jomelli, Porpora, Durante. Er behielt nur noch Bewunderer unter
der geringen Anzahl einsichtsvoller Männer, welche sich dem tiefen
Eindrucke dieser erhabenen Musik rücksichtslos hingaben. Gleich-
wohl machten Gluck's Opern, wie dies Dauvergne voi ausgesehen
hatte, die Aufführung der früheren Repertoir-Opern fast unmöglich.
Die Verehrer der italienischen Schule kamen nun auf die Idee, einen
der berühmtesten Nachfolger Leo's und Jomelli's, nämlich den Nea-
politaner P i c c i n i nach Paris kommen zu lassen.
Nicolo Piccini war 1728 zu Bari im Königreich Neapel
geboren. Sein Vater bestimmte ihn für den geistlichen Stand, un-
geachtet er schon frühzeitig ungewöhnliche Anlagen zur Musik zeigte.
Bei dem Bischof von Bari eingeführt, sah der Knabe ein Ciavier,
und indem er einen Augenblick benützte, wo man ihn allein Hess,
setzte er sich an dasselbe um zu spielen. Zuerst Hess er einige
schüchterne Accorde erklingen, dann überHess er sich aber allmäh Hg
seiner Inspiration und vergass seine ganze Umgebung. Als er im
eifrigsten Spielen begriffen war, hielt er plötzlich inne, denn sein
Blick war auf den Bischof gefallen, der schon einige Zeit unbemerkt
neben ihm stand und ihm aufmerksam zuhörte. Dieser war entzückt
von dem was er hörte, und da er sogleich ahnte, was aus Nicolo
werden könne, so rieth er seinem Vater, ihn anstatt ins Seminarium
in das Conservatorium von San Onoffrio zu bringen, welches unter
der Leitung des berühmten Leo stand.
Ficcini war damals 14 Jahre alt ; er bekam einen alten Pedan-
ten als Lehrer, dessen trockener und strenger Unterricht ihm das
Studium verleidete ; er fing für sich an , Psalmen , Arien , Motetten
und endlich eine Messe zu schreiben, welche Leo zu Gesicht bekam
und unter Leitung des jungen Componisten aufführen Hess. Nach-
dem er das Werk angehört hatte, wusch er Nicola gehörig den Kopf
wegen der Fehler, von denen seine Partitur wimmelte und stellte
ihm vor, dass mau, wenn man solche Anlagen besitze, wie er in
seiner Messe bewiesen habe, strafwürdig sei, wenn man die Gabe
der Natur nicht durch eifriges Studium ausbilde. Der Knabe be-
klagte sich dagegen über seinen Lehrer und über die Trockenheit
seines Unterrichtes, und Leo erklärte, dass er von nun au selbst
sein Lehrer werden wolle.
Einige Zeit darauf starb Leo, und Durante, der schon früher
einmal Director des Conservatoriums von San Onoffrio gewesen war,
übernahm wieder die Leitung desselben. Er war der Lehrer von
Pergolese und Jomelli gewesen, und erkannte das grosse Talent
Piccini's, für den er eine solche Zuneigung fasste, dass er, wenn
er von seinen Schülern sprach, sagte: „Die Andern sind meine
Schüler, aber Nicolo ist mein Sohn."
Im Jahre 1754 verliess Piccini das Conservatorium und schrieb
drei Monate nach seinem Austritte eine Oper: „Le Donne dis-
pettose*. Es war nicht so schwer ein Buch zu finden, als eine
Oper auf die Bühne zu bringen. Das Theater bei den Florentinern
in Neapel war damals von dem Componisten Logroscino be-
herrscht, welcher sich der allgemeinen Gunst des Publikums so sehr
bemächtigt hatte, dass man gar keine andere Musik mehr hören
wollte, als die seine. Dessenungeachtet gelang es der Vermittlung
des Fürsten Ventimille, welcher Piccini protegirte und bei dem Im*
presario 8000 Frs. hinterlegte als Entschädigung für den Fall, dass
die Oper Piccini's keinen Erfolg haben sollte, dass die erste Auf-
führung zu Stande kam ; allein es geschah dies unter den ungünstig-
sten Verhältnissen. Das Publikum ging hin mit der Absicht, den
Verwegenen auszupfeifen, der es wagte sich neben Logroscino zu
stellen, und dennoch wurde die Gehässigkeit der Zuhörer gleich mit
dem Beginne der Oper besiegt durch die Melodien des Neapolitaners,
und dieser erlangte einen ungehofften Erfolg.
Zur selben Zeit verheirathete sich Piccini mit einer seiner Ge-
sangschülerinnen, Namens VincenzaSibilla. Nach Rom berufen,
liess er dort 1756 zuerst seinen ^Allesaandro nette IneUe" auffüh-
ren, der einen succes de'stime hatte, und 1760 Ja Cecchina," eine
Buffo-Oper, welche Furore machte. In ganz Italien sprach man da-
mals von nichts Anderem als von dieser Oper; die Aushängschilder
der Läden, die Moden, Alles war a la Cecchina, und die Strassen-
jungen sangen nichts Anderes mehr.
Eine der Hauptnrsachen des grossen Erfolges dieser Oper war
die Einfuhrung der Finali mit Chor, deren ein heutiger Operncom-
ponist wohl nicht mehr entbehren könnte, und welche zum ersten
Male in unvollkommener Weise von Logroscino angebracht worden
waren. Diesem gebührt daher die Ehre der Erfindung der Finali.
Jomelli, eine der grössten musikalischen Celebritäten jener Zeit, dem
der Erfolg der ,Cechina"' nicht behagte, sagte zu denen, welche
ihn beredeten dieselbe zu hören: „Es wird wohl eine Jugendsünde
irgend eines Wunderkindes sein." Doch gab er dem Drängen seiner
Freunde nach, die ihn fast mit Gewalt in's Theater schleppten, und
verliess dasselbe ganz entzückt, indem er, um seine Meinung Ober
den Componisten befragt, zur Antwort gab: „Das ist ein Erfinder!* 1
Von dieser Zeit gewann der Ruf Piccini's eine unbegränzte
Ausdehnung und man spielte seine Opern auf allen Bühnen Italiens.
(Fortsetzung folgt.)
Die Pariser grosse Oper und ihre Honorare.
Der erste Director war der Abbe P e r r i n und der Componist
Cambert, in Verbindung mit dem Marquis Sourdeac, der aus
Liebhaberei — Maschinist war. Nach einem Jahre, in welchem die
Directoren 120,000 Free. Gewinn erzielten, wurde ihnen das Privi-
legium genommen und dem Director Ludwigs XIV., Lulli, über-
tragen; der Italiener machte ebenso gute Geschäfte wie sein Vor-
gänger: er erwarb ein Vermögen von 800,000 Frcs. in fünfzehn
Jahren. Ihm folgte sein Schwiegersohn Francine; dieser über-
Hess das Unternehmen mehreren Capitalisten , denen er es später
wieder abnahm; im Jahre 1698 wurde ihm auf Befehl des Königs
der Hofstallmeister des Kronprinzen (Dauphin) beigesellt; dieser
ruinirte seinen Compaguon, das Unternehmen ging wieder in die
Baude von Capitalisten über, wurde dann neuerdings von Francine
übernommen, kam dann an einen Steuereinnehmer, der dabei zu
Grunde ging, und wiederholt an Francine, der es wieder nicht be-
halten konnte. Der König, der bisher selbst der Oberleiter seiner
Muaikacadeinie war, war von diesen immer wiederkehrenden Ver-
änderungen so wenig erbaut, dass er dem Minister des Hauses die
Autsicht übertrug; damit beganuen die Verwirrungen erst recht.
Der Herzog von Antin (Bruder der Marquise de Montespan)
wurde zum Regisseur ernannt , gab aber sein Amt auch bald ab.
1728 kam ein Componist, Destouches, an die Direction und ver-
kaufte die Stelle für 300,000 Frcs. an einen Monsieur Gruer;
dieser erhielt ein Privilegium auf 30 Jahre , wurde desselben aber
wieder durch einen Machtspruch des Staatsrathes beraubt, und seine
bisherigen Gesellschafter, Graf Sai nt-Gilles und Präsident L e b e u f
wurden seine Nachfolger; nach 10 Mouaten wurden sie in die Ver-
bannung geschickt. 1731 war Prinz Cavignon königlicher Ober-
iuspector; 1733 erhielt der Capitäu von Thuret das Ptivilegium
Gruer's; nach 11 Jahren war sein Vermögen und seine Gesundheit
ruinirt, 1744 kam Berg er daran uud mit demselben Loose. Dann
ein Mr. Trefontaine, der nach 16 Monaten seine Directorswohnung
mit der Bastille vertauschte. Auf Befehl übernahm die Stadt die
Administration des Theaters — neue Plagen. Im Jahre 1778 er-
hielt die grosse Oper zum ersten Male eine Subvention von 80,000
Frcs., eine für jene Zeit enorme Summe; dennoch wollte der Direc-
tor de V i 8 m e s nach einem Jahre der Probe sein Privilegium nicht
weiter bebalten. 1780 erneute König Ludwig XVI. der Stadt das
Privilegium der Theaterverpachtung — der Componist B e r t o n
wurde Director. 1790 übernimmt die Stadt wieder die Last, und
- 99 . —
1792 erhält Francoeur ein Privilegium auf 30 Jahre, wird aber
schon 1793 abgesetzt, und an seine Stelle tritt ein Comit6, aas den
exaltirtesten Sansculotten zusammengesetzt. In den Coulissen, wo
«inst die eleganten Cavaliere hero mach wärmten, bewegten sich jetzt
tanton, Hebert, Henrion etc. Eines Abends, als der Säuger
L a i n e z eine patriotische Ode gesangen hatte, trat ein Mann auf
ihn zu, der schon in der Gesellschaft jener Häupter der Revolution
auf der Bühne gewesen war, und sagte wohlmeinend : „Citoyen, deine
Ode taugt nichts; ich weiss, du hast sie nicht gemacht, aber ich
rathe dir für die Zukunft, bevor du der Nation solche Dummheiten
bietest, lasse sie mich sehen, ich will sie censiren." »Ja," meinte
einer der anwesenden Choristen, „und unser wohlmeinender Censor
versteht die Schnitte zu machen." — Laenez erfuhr erst später, dass
eein Recensent der Henker von Paris war, der seine Mussestunden
in der Oper verbrachte. Nach der Schreckensherrschaft wurde wieder
ein Director angestellt. Unter dem Consulat kam die grosse Oper
unter die Oberaufsicht des Präfecten — des Palastes. 1807 war der
Oberstkämmerer Chef der Theater — und P i c a r d Director, der
auch unter dem König Ludwig XVIII. auf seiner Stelle blieb. 1821
war Habeneck Director unter dem Oberintendanten und Minister
des königlichen Hauses, Grafen v. Blacas. Nach der Julirevolu-
tion 1830 wurde die Oper ein Privatunternehmen, und Mr. V e r o n
wurde Director, 1835 cedirte er seinen Platz an Hrn. Duponchel
und zog sich als Millionär zurück. (Unter ihm kamen „Robert der
Teufel" und die „Hugenotten" auf die Bühne.) Nach Duponchel
kam Leon Pillet 1840, der nach 7 Jahren 513,000 Frs. Schulden
hatte. — Duponchel übernahm die Oper wieder mit Hrn. Nestor
Roqueplan — dieser blieb allein nach den Ereignissen von 1848.
Bei der Errichtung des Kaiserreichs kam das Institut wieder unter das
Ministerium des Hauses. Die letzten drei „kaiserlichen" Directoren
waren: 1854 Mr. Grosnier, 1856 Mr. Alphonse Royer, 1862
Mr. P e r r i n, der nunmehr der erste Privatdirector ist.
Vor 1789 betrug der Gehalt der ersten Sänger 9000 Frs. (etwas
über 2000 Thlr.), das der Tänzer 7000; während der Revolution
stieg es auf 20- und 15,000 und einige Subventionen. Eine Figu-
rautin bekam vor 1789 700 Frcs. , unter dem Consulat 1300 Frcs.;
das Orchester kostete unter Ludwig XVI. 46,000 Frs., unter Napo-
leon I. 132,000 Frs. Heutzutage kosten die ersten Sänger je 60-,
80-, 120- bis 150,000 Frs. jährlich, die anderen Kosten, die vor
1789 einige hunderttausende Francs, während die des ersten Kaiser-
reiches anderthalb Millionen betrugen, sind jetzt auf vier Millionen
gestiegen. (B. R.)
CORRESPONDENZEN.
Aus Rotterdam.
Die diesjährige Saison unserer deutschen Oper, deren Anfang
sich durch eine Catastrophe characterisirte (das Durchfallen der
ersten dramatischen Sängerin), welche ihren nachtheiligen Einfluss
während des grössten Theils der Saison fortfühlen Hess, ist dennoch
in brillanter Weise geendet. Häupter eigniss der letzten Wochen
war die Aufführung der Oper „Ateida von Holland" von unserem
holländischen Componisten W. F. Thooft. Der grossartige Erfolg
dieser Oper, welchen wir bereits meldeten, ist durch eine Reihe von
sieben Aufführungen in allen Hinsichten bestätigt, und der junge
Componist hat sowohl durch den Enthusiasmus des Publikums, als
durch die lebhafte Anerkennung von Seiten der Musiker und Musik-
kenner und die sich steigernde Begeisterung der Sänger für sein
Werk einen seltenen Triumph gefeiert. Nach dem, was wir in
unserem vorigen Bericht über das Werk sagten, braueben wir wenig
mehr beizufügen. Was wir damals besonders hervorhoben, hat sich
in jeder Weise bestätigt, und es freut uns noch hinzufügen zu können,
dass auch unter den Theilen der Oper, welche wir mehr oberflächlich
erwähnten, mancher ist, der sich durch Schönheit auszeichnet. Ob-
gleich über einzelne Details dieser Oper sehr verschiedene Meinung
herrschen, hat die holländische Kritik sich im Ganzen sehr schmeichel-
haft über das Werk ausgesprochen und einstimmig den Wunsch geäus-
sert, Thooft möge bald eine zweite Oper schreiben, indem die Bühne
von dem dramatischen Compositionstalent unseres Componisten das
Beste zu erwarten habe.
Die letzte ebenfalls ganz neu einstudirte Qper der Saison war
die „Medea" von Cherubini. Die Musik dieser Oper ist wahrhaft
classisch und von grossartigem Character. Schade, dass die Wirkung
vornehmlich in den Ensembles öfters getrübt wurde durch die An-
forderungen, welche Cherubini der hohen Stimmlage gemaeht hat
und welche bei der gegenwärtigen Orchesterstimmung nicht mehr
zu befriedigen sind. (Ueberhaupt wird vornehmlich bei den Auf-
führungen älterer Werke immer mehr das Bedürfuiss fühlbar, auch
hier die tiefere Normalstimmung einzuführen.) Uebrigens war die
Aufführung eine recht gelungene, und weil die erste Aufführung der
„Medea" zum Benefiz des Capell meiste rs Hrn. Louis Saar statt-
fand, so wurde diese Gelegenheit von einigen Kunstfreunden benutzt,
diesem fleissigen Künstler , dessen Wirksamkeit wir zwölf Auffüh-
rungen von neuen Opern innerhalb zwei Saisons zu verdanken haben,
ein Ehrengeschenk zu machen.
Dem Vernehmen nach haben mehrere Mitglieder unserer Opern-
gesellschaft uns verlassen, um nicht wieder zurückzukehren. Hoffen
wir, dass es der Direction durch glückliche Engagements gelingen
möge, den seit Kurzem erworbenen Ruf der Rotterdamer Oper in
der nächsten Saison wieder mit Glanz aufrecht halten zu können.
Ans Paris.
10. Juni.
Die heisse Witterung hat sich endlich eingestellt, und das Pa-
riser Publikum drängt sich weniger den Theatern zu ; diese werden
aber sehr zahlreich von den hier anwesenden Fremden besucht. Die
grosse Oper hat wieder den „Prophet* zur Aufführung gebracht;
dieselbe ist jedoch keineswegs befriedigend. Die Rolle der Fides
wird venMme. Gueymard gegeben, die aber weder die Viardot,
welche diese Rolle schuf, noch die A I b o n i und die T e d e s c o
vergessen lässt. Mme. Gueymard hat eine Sopranstimme, sie muss
daher als Fides, welche für Altstimme geschrieben, ihre Stimmmittel
forciren. Bei der ersten Vorstellung der Reprise äusserte sich der
Unwille des Publikums gegen die Claque auf die unzweideutigste
Weise. Als nämlich nach dem dritten Acte Gueymard, der als
,Jean sehr mittelmässig ist, von der Claque applaudirt und gerufen
wurde, protestirte das Publikum durch Zischen und Pfeifen. Es ist
unerklärlich, dass in einer von dem Staate so reichlich sutfventio-
nirten Kunstanstalt, wie die grosse Oper, die Claque, trotz der öffent-
lichen Meinung, die sich gegen dieselbe schon so lange entschieden
ausspricht, noch immer geduldet wird.
Vorigen Donnerstag ist in der komischen Oper Gounod's
„Colambe" zum Erstenmale in Scene gegangen. Dieses zweiactige
Werk wurde bekanntlich vor sechs Jahren in Baden-Baden gegeben.
Gounod hat dasselbe für die Darbteilung in der Opdra comique nur
wenig verändert oder vermehrt. Die „Colombe" hat angesprochen,
wird aber schwerlich eine Lieblingsoper des Publikums werden.
Sie wird jetzt zugleich mit Flotow's „Zilda" aufgeführt, die eben
auch nicht den gehegten Erwartungen entspricht.
Die Tänzerin Adele Granzow erndtet hier viel Beifall. Die
grosse Oper bereitet für sie ein Ballet: ,.La Source" vor. Dasselbe
spielt im Orient und wird der Künstlerin Gelegenheit geben, ihr
Talent aufs reichste zu entfalten.
Das Thddtre lyrique schliesst am 30. Juni und wird erst am
ersten September seine Vorstellungen wieder beginnen.
Die Pianistin Teresita Carreno, die, wenn i- h nicht irre,
vor einigen Wochen in Vi vi er 's Concert sich zum erstenmale in
Paris producirte, fängt hier an einiges Aufsehen zu erregen. Teresita
Carreno ist noch sehr jung — einige behaupten sogar, sie habe kaum
das vierzehnte Jahr zurückgelegt — sie ist sehr schön, und da sie
in der That ein bedeutendes Talent besitzt, so wird sich ihr Name
hier bald einer grossen Popularität erfreuen.
Nachrichten.
Dresden. Am 6. Juni fand hier die erste Aufführung der drei-
actigen romantischen Oper „Wanda" von O. Prechtler, Musik
von Franz Doppler, unter, der Leitung des Herrn Hofcapell-
meisters J. R i e t z statt. C. B a n ek schreibt darüber im „Dres*
100 —
dener Journal": „Die Aufnahme des Werkes hat schon so sehr
durch die Ungunst der Zeit zu leiden, dasB es nicht rathsam scheint
durch Ersählang des Sujets noch die Theilnahme an der Handlung
eu schmälern. Diese ist sehr einfach, und hinsichtlich des drama-
tischen Interesses etwas zu plan und karg behandelt , so daBS das
lyrische ausschmückende Beiwerk überwiegt. Die Musik zeigt einen
musikalisch tüchtig gebildeten, gewandten und in der Instrumen-
tation geschickten Componisten, der weniger beansprucht, durch be-
deutende und poesiereiche Erfindung, geistvolle Factor, dramatische
Charakteristik und Tiefe zu wirken, als durch populäre, frische
Melodik , belebte Rhytmik , einfache und wohlklingend gestaltete
Behandlung. Am entschiedensten tritt sein Talent dafür in den
Chören hervor, überhaupt in den lyrischen Stellen. Die Solisätze
bilden grösstentheile eine Schwäche der Oper, sie sind ohne indi-
viduelle und dramatische Charakteristik, ergeben in ihrer zerfliessen-
den Ariosohaltung keine geschlossene , sicher geführte Form , und
sind ungenügend in Wahrheit und höchster Steigerung der Empfin-
dung und des Affe cts. In überraschender Weise aber, auch in Be-
zug hierauf und in seiner Gesammtfassung hebt sich der zweite
Act. Das Eingangsgebet des Derwisches mit dem Chor der Tür-
ken ist originell und von schöner Tonwirkung. Auch die folgen-
den Chorsätze sind kräftig und lebendig. Timur's Arie ist aller-
dings nicht getungen , aber umsomehr das grosse Duett zwischen
Wanda und Timur ; es hat eigentümliche , reizende , melodische
Motive , auch Wanda's eingeschalteter Sologesang , und Wärme der
Empfindung, Steigerung des Ausdrucks, der Situation und musika-
lisch interessante Ausführung fesseln uns. Dieser Act ist auch frei
Ton bekannten , in den andern beiden Acten im Allgemeinen und
im Besondern hervortretenden Anklängen. Die nationalen Tonwei-
sen, die der Componist bisweilen anschlägt , machen sich nicht ori-
ginell und pikant genug geltend, um solche Eindrücke erinnerungs-
Toller Phrasen und Formen zu verwischen.
Der dritte Act ist nur geeignet, uns noch ausschliesslicher in
nnsrer aufrichtigen Anerkennung für den zweiten Act zu erwärmen;
die Wiederkehr des bestürmenden Liebesduetts zwischen Timur und
Wanda in gleicher Situation kann nicht mehr wirken, und die sonst
noch dramatisch nutzbaren Momente sind, wie im Text, so auch in
der Musik, flüchtig übergangen. Hinsichtlich der speciellen Auf-
fassung in der Declamation des Textes ist zu bedenken, dass hier
die TJebersetzung aus dem ungarischen Original vorliegt und zu
keinen kritischen Bemerkungen berechtigt.
Die Oper wurde recht günstig aufgenommen, und das kurz und
einfach gehaltene, populäre, melodiös ansprechende und dem allge-
meinen Verständniss leicht zugängliche Werk sei der Theilnahme
des Publikums um so mehr empfohlen, da es vortrefflich einstudirt
und inscenirt ist und die Gesammtproduction eine äusserst treffliche
war. Namentlich zeichnete sich in der Titelrolle Frau Jauner-
Krall aus ; weniger gelang es Herrn Richard, den Timur schwung-
haft und mit lebhaftem Ausdruck in Gesang und Spiel zu gestal-
ten. Sehr gut sang Herr D e g e 1 e die weniger dankbare Partie
des Hyppolit ; die Herren Scaria und Freny leisteten Befriedi-
gendes, namentlich aber sang Herr Rudolph den Derwisch höchst
lobenswerth. Vorzüglich war die Ausführung der Kapelle und der
Chöre.
— Am 10. Juni gastirte im k. Hoftheater Herr Gustave
Roger als Edgar in Donizetti's „Lucia von Lammermoor.'' Lei-
der haben seine Stimmmittel in dem Grade abgenommen , dass es
dem trefflichen Gesangskünstler häufig nicht mehr möglich ist, seine
geist- und poesievollen Intentionen zur vollen Geltung zu bringen
und das sichtliche Forciren der Stimme wirkt manchmal geradezu
Unbehagen erregend ; gleichwohl ist es zu bewundern , wie Roger
mit Hülfe seiner vollendeten Gesangskunst die Schwierigkeiten,
-welche die erwähnten Mängel ihm bereiten, bis zu einem gewissen
Grade zu überwinden und durch seine feinsinnige Auffassung sowie
durch die Noblesse seines Vortrags , unterstützt von einem ausge-
zeichneten Spiele, noch immer hinzureissen vermag.
*** In Wien ist vor Kurzem der Componist des allbekann-
ten „Mailüfterl", Jos. K r e i p e 1 , früher längere Zeit beliebter Te-
norist am Linzer Theater, im 61. Jahre gestorben.
*** Nach dem Jahresberichte des ersten deutschen Gesang-
vereins in New-York, des „Liederkranzes," zählt derselbe nahe an
900 Mitglieder und besitzt ein Vermögen von 20,000 Dollars.
V Der Componist Jules Benediet in London hat von»
Könige von Hannover den Ernst-August-Orden erhalten.
*** Der unermüdliche Impresario Uli mann wird mit Car-
lo 1 1 a Patti, welche von ihrem Unwohlsein wieder vollkommen;
hergestellt ist und sich gegenwärtig in Paris befindet, eine Reihe
von Concerten in den Provinzialstädten Frankreichs veranstalten
und dabei von einigen der ausgezeichnetsten Virtuosen unterstützt
werden. Die Reise soll mit Anfang October beginnen und etwa
dreissig Städte umfassen.
*** Die grossen Concerte der Kurhausverwaltung in Wies*
baden werden diesen Sommer nicht stattfinden , da die Saison
keineswegs eine glänzende zu werden verspricht.
*** Die jugendliche Claviervirtuosin Frl. Mary Krebs aus
Dresden ist in London in mehreren Concerten mit grossem Bei*
fall aufgetreten.
*** Die Primadonna des Wiener Operntheaters, Frau Kainz-
Prause, hat von der Direction der grossen Oper in Paris einen
äusserst vorteilhaften Engagementantrag auf drei Jahre erhalten.
Man offerirt der Künstlerin mit Inbegriff eines dreimonatlichen Ur-
laubs für das erste Jahr 45,000 Frcs. , für das zweite 50,000 Frcs»
und für das dritte Jahr 60,000 Frcs.
* m * Der Kapellmeister und Componist Adolph L'Arronge
hat sich kürzlich mit der Schauspielerin Frl. Selma Rottmeyer
vermählt.
*** Seit 1842 sind in Italien 889 neue Opern und Balletmu-
siken componirt worden , wovon Donizetti allein mehr als 70)
geschrieben hat.
*** Der Componist Emil Hasse in Berlin erhielt vom
Kaiser von Russland für Widmung einer Ouvertüre eine werthvolle
Nadel nebst Anerkennungsschreiben.
\* Der Violinvirtuos August Wilhelm ij in Wiesbaden
hat sich mit Frl. Sophie v. Liphardt aus Dorpat vermählt.
*** Mme. F e" t i s , die Gattin des als Musikschriftsteller und
Componist bekannten Directors des Brüsseler Conservatoriums , ist
in Boisfort bei Brüssel gestorben, ein schwerer Schlag für den noch
immer rüstigen und thätigen , obwohl hochbejahrten Greis.
*** In New-York ist das grosse Opernhaus vollständig abge-
brannt.
*„* Die jüngste Tochter des verewigten Meyerbeer, Frl.
Cornelie, hat bich mit dem ausgezeichneten Maler Professor G..
Richter verlobt.
*** Frl. Bettelheim vom Hofoperntheater in Wien hat in
Frankfurt a. M. ein Gastspiel als Orsini in „Lucrezia Borgia" mit.
enthusiastischem Beifall eröffuet.
*„* Der Er für t er Musikverein beschloss seine diesjährige
Concertsaison am 12. Mai mit der Aufführung des v Josua" von Händel
in glänzender Weise. Die Chöre, unter Leitung des Musik directors
Ketschau höchBt sorgfältig einstudirt, wirkten auch diesmal in ge-
wohnter Weise. Das Chorpersonal mag aus 100—120 Mitgliedern
bestanden haben. An Stelle der erkrankten Frau v. Milde hatte
jn wenigen Tagen Frau Telchow, geb. Anschütz, die Partie
der Aehsa einstudirt und leistete , was man von einer routinirten,
gebildeten Sängerin erwarten durfte. Othniel (Alt) war von Frl.
Winkler, einer jungen Sängerin mit wohlklingender Stimme, gut
vertreten. Hr. Musikdirector John aus Halle und Hr. v. Milde
aus Weimar sangen die Partien des Josua und Kaleb mit bewährter
Meisterschaft.
V Hofcapellmeister Fischer in Hannover soll vom Könige
beauftragt werden sein, sich mit Joachim hinsichtlich des Solo-
spiels beim Musikfeste zu Verständigen. Joachim soll aber nach den
„H. A. u abgelehnt haben. (Denkt man denn überhaupt jetzt in
Hannover noch an ein Musikfest ?)
V* Fürst Paul Est er ha zy ist in Regensburg in ziemlich
dürftigen Umständen gestorben. Er besass einst ein jährliches Ein-
kommen von 5 — 6 Millionen und war der letzte Esterhazy, der, unter
H u m m e 1 ' s Direction , eine Hauscapelle hielt , während H a y d n
bei seinem Vater Capellme ister gewesen war.
V In Leipzig ist am 30. Mai Frl. Elisabeth Kistner, die
Besitzerin der Musikalienhandlung „Friedrich Kistner unerwartet
und tief betrauert gestorben.
■ i n i ' ■ i.i ■ ■ ■
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
nr* 90.
25. Juni 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
K;
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post
ä intern, Musik- & Buchhand
hingen.
V
von
4
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
INHALT: Gluek und Piccini. — Brand der Acadetnie of Musik in New-York. — Correspondenz : Strassburg. — Nachrichten. — Abfertigung.
Gluck und Piccini.
in.
Es stand aber geschrieben, dass Piccini, welcher von Natur aus
den sanftesten und schüchternsten Cbaracter besass und die Freuden
des häuslichen Heerdes weit höher schätzte als die berauschendsten
Erfolge, sein ganzes Leben lang gegen furchtbare Rivalen zu kämpfen
haben sollte. Die Römer, eifersüchtig auf den Ruhm des Neapoli-
taners, setzten ihm einen andern Componisten, ihren Landsmann
Anfossi, entgegen. Durch verschiedene Cabalen brachten sie es
dahin, dass eine neue Oper des Autors der ,*G§cckina i durchfiel,
während eine andere von Anfossi in den Himmel gehoben wurde.
Piccini wurde vor Verdruss krank und schwor, nichts mehr für Rom
zu schreiben. Er zog sich auch wirklich nach Neapel zurück und
coxnponirte dort mehrere Werke , die von grossem Erfolg begleitet
waren.
In Neapel war es nun, wo der Marquis von Caraccioli, nea-
politanischer Gesandter in Paris , ihm nach dem Wunsche Marie
Antoinettens Anträge machte. Man bot ihm im Namen des Königs
einen Gehalt von 6000 Livres, die Umzugskosten und freie Wohnung
bei dem neapolitanischen Gesandten. Piccini , von diesen Aner-
bietungen verlockt, verliess den schönen Himmel seines Vaterlandes
mitten in dem strengen Winter des Jahres 1776. Der grelle Tem-
peraturwechsel war die erste Unannehmlichkeit für ihn in dem
fremden Lande ; sodann sah er sich in Bezug auf seine Wohnung
bitter enttäuscht; statt des ihm versprochenen Appartements im Ge>
sandtschaftshotel wählte man für ihn eine enge und unbequeme
Wohnung in einem Privathause, gegenüber dem Hause M a r m o n t el's,
welcher sein eifrigster Anhänger werden sollte. Er begann damit,
dass er Piccini mit den Regeln der französischen Prosodie bekannt
machte, und machte für ihn die Tragödien zurecht, welche Quinault
für die Musik Lulü's geschrieben hatte.
Die erste, welche er für ihn einrichtete, war „Roland," welchen
er aus fünf Acten in drei zusammenzog. Unglücklicherweise schrieb
Gluck zur nämlichen Zeit ebenfalls eine Oper mit diesem Titel.
Als dieser erfuhr, dass ein Italiener ihm auf diese Weise in sein
Gehäge komme, eilte er wüthend nach Paris. Seine Anhäager, der
Abbe A r n a u d an deren Spitze trösteten ihn, indem sie ihm den
Sieg über seinen Nebenbuhler in sichere Aussicht stellten.
Die Generalprobe war so stürmisch, dass Piccini seine Oper
gänzlich für verloren hielt. Als er sich des andern Tags in die
Vorstellung begab, war er mehr todt als lebendig; seine Familie
begleitete ihn, in Thränen aufgelöst, als ob er auf das Schaffot ge-
führt würde ; er selbst tröstete seine Frau und seine Kinder mit der
ruhigen Resignation eines Verurtheilten, der sich unschuldig weiss.
Koch am selben Morgen war Vestris zu ihm gekommen um ein
neues Balletstück zu verlangen. Gluck hätte den Tänzer mit Grob-
heiten fortgejagt, Piccini schrieb sogleich in seiner Gegenwart auf
der Ecke seines Kamins eine Gavotte, welche viel Glück gemacht hat.
Die Aufführung des „Roland 4 hatte einen so vollständigen Er-
lolg, wie sich ihn der Componist nicht erwartet hatte, und da» Stück
wurde sehr lebhaft applaudirt; es war dies vielleicht die Wirkung
einer antigluckistischen Cabale, denn „Roland" zählt bei Weitem
nicht zu den besseren Werken Piccini's. Dem neapolitanischen
Maestro standen verschiedene gewandte Federn zu Gebote, unter
Anderen Marmontel, La Harpe und d'Alembert; Gluck zählte zu
seiner Partei den Abb£ Arnaud und den Academiker Suard, welcher
unter dem Pseudonym „der Anonymus von Vaugirard" mehrere geist-
reiche und boshafte Artikel gegen Piccini veröffentlichte.
Es gab zu jener Zeit keinen Salon, in dem man sich nicht mit
den beiden Componisten beschäftigt hätte. Man beschuldigte Gluck,
dass es ihm an Melodie fehle. Dieser banale Vorwurf wird auch
heute den Nachkommen Gluck 1 * noch häufig gemacht. Die Gluck' -
sche Schule hat fast immer Sujets von ernstem und melancholischem
Character behandelt, und ihre Absicht ist, die Composition dem ge-
gebenen Sujet anzupassen, grossartige und im erhabenen Style ge-
schaffene Motive zu bringen, welche freilich der bequemen Auf-
fassungskraft nicht passen, welche in der dramatischen Musik nur
ein Geräusch verlangen, welches das Ohr angenehm berührt, ohne
die Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen.
Die witzigen Köpfe aus der letzten Zeit des vorigen Jahrhun-
derts ergingen sich in der verschiedensten Weise über die beiden
musikalischen Vorkämpfer, und man erlaubte sich allerlei Sehers
über dieselben. So sagte man z. B. Gluck wohne in der Rue e&t
Grand- ff urleur, Piccini in der Rue des Petits-Champs und Mar-
montel, sein Secundant, in der Rue des Mauvaises-Paroles.
Inmitten alles dieses Geräusches um sich her lebte Piccini als
guter Bürger, und während der deutsche Componist beständig auf-
geregt war und ihm zu schaden suchte, bekümmerte sich der Italiener
dagegen gar nicht um seinen Nebenbuhler. Der Componist Berton
suchte, nachdem er Director der grossen Oper geworden war, die
beiden Gegner zu versöhnen; die Versöhnung fand auch wirklich
statt mit dem Glase in der Hand, allein sie dauerte nicht lange, da
die beiden Parteien sich alle Mühe gaben, den Frieden zu brechen.
Die Auhänger der französischen Musik hatten die Gewohnheit,
ihren Platz im Theater auf der Seite der Königsloge zu nehmen,
während die Vertheidiger der italienischen Musik sich an der Seit«
der Loge der Königin placirten. Sie hatten also ihre Plätze zur
Rechten und zur Linken, wie heutzutage die Mitglieder eines Ab-
geordnetenhauses. Diese Stellung im Theater hatten die beiden
Parteien schon zwanzig Jahre vor der Ankunft Piccini's in Paria
eingenommen und man benannte sie je nach der Seite, die sie ge-
wählt hatten, le coin du roi und le coin de la reine. Bei Gelegen-
heit der Aufführung des „Roland" erhob sich natürlich ein lebhaftes
Streit. Gluck, so sehr er ein Deutscher war, konnte doch streng
genommen als der Nachfolger Lulli's und Rameau's gelten, denn
sein Styl bot viel Analoges mit dem dieser beiden Componisten.
Um sich übrigens der Sympathie der Lullisten mehr als je zu ver-
sichern, kam er auf den Einfall, die „Armida" von Quinault und
Lulli wieder zu componiren, und als dieselbe 1777 aufgeführt wurde,
fand man mit Erstaunen, dass Gluck seine Schreibart gewissermassen
modificirt habe. Man hatte eine Musik erwartet, wie bisher, breit
— 102 —
und streng bis zur Härte, und man horte nun eine Compositum, in
welcher dem Anmuthigen eine bedeutende Stelle eingeräumt war
und in welcher sich hie und da Arietten nach Lulli's Weise befanden.
Der erste Empfang, der dem Werke zu Theil wurde, war ein ziem-
lich kalter, aber nach und nach wuchsen der Erfolg und die Be-
liebtheit desselben immer mehr. Es war dies von Wichtigkeit für
den „Winkel des Königs," denn gerade diese Oper hatte gegen den
„Roland* des Piccini zu kämpfen.
Dieser „Roland" konnte sich bei Weitem nicht mit dem „Ales-
sandro nelle Indie" und mit der „Olympia 1 '' des italienischen Meisters
messen ; dennoch wurde er mit grossem Beifall aufgenommen und
Piccini ward im Triumph nach Hause geleitet. Dieser Erfolg fand
statt, ungeachtet Mlle. Levasseur, welche die Rolle der Angelica
gab, beständig zu tief sang, und man lieber Mlle. Laguerre an
deren Platz gesehen hätte. Auch für die Basspartie hätte man den
Sänger Chasse, welcher gewöhnlich in den Gluck'schen Opern
sang, seinem Collegen Larrivee vorgezogen. Da im „Roland"
keine Chöre vorkommen, circulirte folgendes Calembourg: Roland
est un guerrier sans coeur, il sera bon quand nous aurons
Laguerre, il serait excellent si Larrive'e etait Chasse'. —
Die Anhänger beider Parteien rechneten sogar die Einnahmen nach,
um die Ueberlegenheit ihrer betreffenden Günstlinge zu beweisen,
und fanden richtig heraus, dass die ersten zwölf Vorstellungen des
„Roland" um 87 Livres mehr eingetragen hatten als die ersten zwölf
Aufführungen der „Iphigenie in Aulis ," wogegen die Gluckisteu
darlegten, dass nach vierzehn Vorstellungen die „Iphigenie" wieder
im Vortheil war. (Scbluss folgt.)
Der Brand der „Academie of Musik" (Opernhaus)
In New-York.
(Aus dem „New - York Weekly Review" vom 26. Mai)
Nie hatte die r Akademie der Musik" eine grössere Anziehungs-
kraft ausgeübt als während der letzten Woche, vielleicht weil ihr
Character eines Vergnügungsortes sich in den einer Stätte des
Jammers verwandelt hatte. Das Gebäude, in welchem während der
letzten zwölf Jahre eine Anzahl von wenigstens zwanzig Impresarios
ungeheure Geldsummen zum Opfer gebracht hatten, brannte am
letzten Montag bis auf den Grund nieder. Es sei in Kürze gesagt,
dass das Haus von Brandstiftern an verschiedenen Enden angesteckt
und vollständig vom Feuer verzehrt wurde. Der Schändliche , der
das Feuer anlegte , kannte offenbar jeden Winkel desselben , da
es ihm gelang, in den Raum unter das Parquet zu dringen, wo ver-
schiedene Maschinerien aufbewahrt lagen, welche seit dem letzten
Opernball, also seit 7 Wochen nicht mehr gebraucht worden waren.
Der Weg zu diesem Räume ist ein ziemlich beschwerlicher und kann
nur von Jemand gefunden werden , der mit den labyrinthischen
Gängen eines Opernhauses vertraut ist. Es ist ausser allen Zweifel
gestellt, dass das Feuer schon während der letzten Vorstellung, wel-
ches die „Jüdin" war, gebrannt hat. Doch drang dasselbe nicht
aufwärts , bevor die Aufführung zu Ende war. Mme. Gazaniga
und Sgr. Milleri waren die einzigen Sänger, welche das Haus
noch nicht verlasseu hatten, und mit Ausnahme der in ihren Zimmern
brennenden Lichtern war das ganze Gebäude in Dunkel gehüllt.
Der Unteraufseher des Hauses glaubte , als er die Runde im Zu-
schauerraum machte, Staub zu sehen, als er aber seine Laterne er-
hob, wurde er gewahr, dass dies Rauch sei, und indem er nun das
Feuer zu unterdrücken suchte, sah er bald, dass dasselbe bereits
eine zu grosse Ausdehnung genommen hatte , um das Haus noch
retten zu können. In der That hatte das Publikum, welches zusah,
wie die arme Recha verbrannt wurde , während des letzten Actes
über einem Vulcan gesessen. Die Familie des Mr. Emil Rull ma nn,
des ehrlichsten und gewissenhaftesten Hausaufsehers , hatte kaum
Zeit, aus ihren Betten zu entkommen. Mme. Gazaniga wurde noch
in der letzten Minute durch Jemand gewarnt, der an ihre Thüre
klopfte und sie zur Eile aufforderte, indem das Haus in Flammen
stehe. Sgr. Milleri entkam auf dieselbe Weise, und vollendete seine
Toilette auf offener Strasse. Das Feuer verbreitete sich mit grosser
Schnelligkeit, und ein prächtigeres Schauspiel ward seit dem Brande
des Berliner Opernhauses nicht mehr gesehen. Der Himmel war so
hell beleuchtet, dass die Helle selbst die Bewohner des benachbarten
New -Jersey beschien, und auf ziemliche Entfernung konnte man
* Gedrucktes so bequem lesen wie zur Tageszeit. Die Strassen waren
von einer Volksmenge gefüllt, welche sich an dem Schauspiel in
ungewöhnlichem Grade zu ergötzen schien, und welcher dasselbe
Ereigniss Unterhaltung gewährte , welches den Unternehmern , die
im Hause Vorstellungen gegeben hatten, den Ruin brachte. Es
waren dies die HH. Maretzek und Grau, welche somit Unglücks-
gefährteü wurden , obgleich sie wenige Tage vorher noch sich
als Gegner im Geschäftsbetriebe gegenüber gestanden waren. Hr.
Grau hatte etwa 48 Kisten mit Garderobe und die Musik zu 8 oder
9 Opern im Hause liegen , was alles mit verbrannte. Der Verlust
Maretzek's ist noch grösser, da er 3000 Anzüge und die Musik zu
78 Opern verlor und nur gering assecurirt war.
Die Directoren der Actiengesellschaft versammelten sich am
Donnerstag und beschlossen zur Stelle, das Gebäude wieder aufzu-
führen. So können wir also mit Sicherheit auf die Entstehung einer
neuen Akademie rechnen, bei welcher man ohne Zweifel die bis-
herigen Mängel vermeiden wird. Das Haus wird, so erwartet man,
bis zum letzten October wieder vollendet dastehen.
Die Verluste bei diesem Brande sind, was Musikalien betrifft*
sehr bedeutend. Maretzek verlor , was bereits angegeben wurde ;
auch Grau litt grossen Schaden, doch der härteste Streich traf den
Oberaufseher Rullmann, welcher sein ganzes Eigenthum und eine
beträchtliche Summe Geldes verlor, welches er in der Verwirrung
nach dem Ausbruche des Feuers nicht mehr zu retten vermochte.
Leider war er gar nicht versichert. Auch dieHH. Palmer&Gosche"
verloren eine grosse Anzahl von Textbücher, welche dort aufbewahrt
wurden, und mehrere Musiker ihre Instrumente, welche zum Theil
von erheblichem Werthe waren.
COERESPOKDENZEK,
JLn» Strassburs:.
Das von unserem berühmten Landsmanne Jean Becker im
Laufe des vergangenen Winters in Florenz gegründete Streichquar-
tett, welches den Musikfreunden der italienischen Hauptstadt eine
Reihe von auserlesenen Kunstgenüssen durch die Vorführung der
Meisterwerke deutscher Componisten (deren viele dort noch gänzlich
unbekannt waren) bereitete, hat nun auch in uuserer Stadt, im Saale
des Hotel d 'Angleterre, welcher leider zu klein war, um die grosse
Anzahl der Verehrer classischer Kammermusik zu fassen, zwei Abend-
unterhaltungen gegeben, welche sowohl was die Auswahl und die
Executiruug der vorgetragenen Stücke betrifft, so a.uch hinwieder
für die ausführenden Künstler in Bezug auf lebhafte Theilnahme
und reichlich gespendeteu Beifall von Seite der Zuhörerschaft nichts
zu wünschen übrig Hessen. Ein schöneres, vollendeteres Ensemble
und eine feinere, geschmackvollere Auffassung als die der Herren
Jean Becker, Eniico Masi, Luidgi Chiostro und Fr.
Hilpert lässt sich kaum noch denken.
Die vorgetragenen Werke waren im ersten Concerte : das Quar-
tett Nro. 10 in Es-dur, Op. 74 (Harfen -Quartett) von Beethoven;
Quartett in E-nioll von Mendelssohn, und „Serenade" für Streich*
quartett von Haydn. Dazwischen spielte J. Becker seine „Souve»
nirs de Bellini'' und L. Chiostri die „Elegie" von Vieuxtemps für
Viola mit dem vollen Aufwände von Geschmack und technischer
Vollendung , welcher den beiden Künstlern zu Gebote steht. Das
zweite Concert brachte : das F-dur-Quartett Op. 59 von Beethoven
und auf allgemeines Verlangen die Wiederholung der „Serenade"
von Haydn, welche im ersten Concerte ganz ausserordentlichen Bei-
fall gefunden hatte. Von besonderem Interesse waren auch diesmal
die Solovorträge zwischen den beiden Quartetten. Hilpert spielte
eine Fantasie von Servais: „Le De'sir*' mit vollendeter Meister-
schaft. J. Becker erfreute das Publikum durch den Vortrag einer
Romanze von Saserno und eines Duo für zwei Violinen von seiner
Composition mit seinem höchst talentvollen jungen Secuodarius,
E. Masi.
Man sagt, dass die gefeierten Künstler durch die glänzende
Aufnahme, welche ihre schönen Leistungen gefunden haben, sich
veranlasst finden werden, ein drittes Concert zu veranstalten, in.
- 108 -
-welchem anter Anderem das grossartige Quartett Op. 132 von Beet-
hoven aar Aufführung kommen soll.
I » c h r i e li t e n.
München. S. M. der König hat unterm 11. Juni Hrn. v. Bülo w's
Entlassungsgesuch mit nachfolgendem eigenhändigen Schreiben er-
wiedert: „Mein lieber Herr von Bülow! Nachdem ich vor nunmehr
anderthalb Jahren durch den Wunsch, Sie in München an der Seite
des Meisters Richard Wagner zur Verwirklichung von dessen
■edlen, den deutschen Geist hoch ehrenden Knnstzwecken mitthätig
zu wissen, vermocht habe, Ihre Stellung in Berlin gegen nur geringe
Vortheile, die ich für das Nächste Ihnen bieten konnte, aufzugeben,
kann mir nichts schmerzlicher sein als zu erfahren, dass ich durch
meine auch auf Sie gegründeten Hoffnungen Ihnen bereits früher,
am Wiederwärtigsten aber in letztvergangener Zeit, Seitens einiger
öffentlicher Blätter Münchens Anfeidungen, endlich Schmähungen und
Beschimpfungen Ihrer Ehre zugezogen habe, von denen ich wohl
begreifen muss, dass Sie dadurch auf das Aeusserste gebracht sind.
Da mir Ihr uneigennützigstes, ehrenwerthestes Verhalten, ebenso
-wie dem musikalischen Publikum Münchens Ihre unvergleichlichen
künstlerischen Leistungen bekannt geworden ; da ich ferner die ge-
naueste Kenntniss des edlen und hochherzigen Characters Ihrer ge-
ehrten Gemahlin , welche dem Freunde ihres Vaters , dem Vorbilde
ihres Gatten mit theilnahmsvollster Sorge tröstend zur Seite stand,
mir verschaffen konnte , so bleibt mir das Unerklärliche jener ver-
brecherischen öffentlichen Verunglimpfungen au erforschen übrig, um,
zur klaren Einsicht des schmachvollen Treibens gelangt, mit scho-
nungsloser Strenge gegen die Uebelthäter Gerechtigkeit üben zu lassen.
Sollte diese Versicherung nicht genügend sein , das Erlittene
Sie, wenn nicht vergessen, doch aus Rücksicht auf höhere Zwecke
mit einiger Milde ertragen zu lassen, und sollte ich dennoch nicht,
wie es mein herzlicher Wunsch ist, Sie zum Ausharren, zur vorläu-
figen Beibehaltung Ihrer Stelle bewegen können, so bliebe mir leider
nur übrig, ausser der vorbehaltenen Gerechtigkeit auch diejenige
Anerkennung gegen Sie besonders auszuüben, von der ich für heute
durch dieses Schreiben und den innigsten Ausdruck meiner wahrhaften
Hochachtung für Sie und ihre geehrte Gemahlin ein Zeugniss ge-
geben zu haben wünsche. Ihr sehr geneigter Ludwig."
Dresden. Roger hat sein Gastspiel als George Brown in der
■„weissen Dame" beschlossen und in dieser Rolle , in der er früher
in unübertrefflicher Weise sang und spielte, noch immer soviel des fein
Gedachten und auch in der Ausführung vortrefflich Gelungenen ge-
boten, dass man jene Momente, in welchen ihm die erforderliche
Kraft und das Metall der Stimme fehlte, gerne übersah, um sich an
dem zu erfreuen, was noch immer Musterhaftes in seiner Auffassung
■und Durchführung liegt.
Paris. Man spricht hier viel von einer neuen Oper, welche
Perrin, der Director der grossen Oper, in aller Stille zur Auffüh-
rung vorbereite, und mit welcher er der ganzen musikalischen Welt
eine freudige Ueberraschüng zu bereiten hoffe, da dieses Werk eines
bisher unbekannten Componisten das unzweifelhafteste Genie seines
Autors beurkunde. Die Oper soll vier Acte haben, „Petrarque*
betitelt sein, und der Componist derselben, der auch das Libretto selbst
gedichtet, Hippolyte Duprat heissen und ein junger Chirurg
bei der französischen Marine sein.
London besitzt gegenwärtig 23 Theater. Die beiden grössten
derselben, das Drury-Lane- und Covent- Garden- Theater fassen
jedes 2500 Zuschauer. Das Kleinste derselben, New-Royality \ fasst
300 Personen; sämmtliche Theater haben Raum für 35,800 Zuschauer.
Die musikalischen Cafes, 41 an der Zahl, repräsentiren in Bezug auf
die Kosten ihrer Herstellung und Decorirung ein Capital von
1,667,000 Pfund Sterling und können 179,300 Gäste aufnehmen.
Dabei sind die Etablissements zweiten und dritten Ranges nicht mit
inbegriffen. Es gibt dort Music Halls, wie z. B. die Alhambra
Company, wo man Ballets, Dramen und Pantomimen aufführt, in
welchen mitunter 600 Personen auf der Bühne erscheinen. — Die
Directoren der Theater haben sich schon an die Gerichte und an
■das Unterhaus gewendet und bieten alles auf, um die Music Halls
in die bescheidenen Gränzen der musikalischen Cafes zurückzudrängen,
allein sie werden kaum durchdringen, und London wird bald die
letzten Spuren des Privilegiums verschwinden sehen.
*•* (Aeusserungen Dr. M. Luther 's über M u s i k.)
Ich halte, wenn David jetzund auferstünde von den Todten, so würde
er sich verwundern,. wie doch die Leute so hoch wären gekommen,
mit der Musika ; sie ist nie höher gekommen als jetzt. Wenn David
wird auf der Harfe geschlagen haben, so wirds gangen sein, als das
Magniflcat anima mea Dominum im achten Ton: denn David hat
schlecht ein Dekachardum gehabt.
Wer die Musikam verachtet, wie denn alle Schwärmer thun,
mit dem bin ich nicht zufrieden. Denn die Musik ist eine Gabe)
und Geschenk Gottes, nicht ein Menschengeschenk ; so vertreibet sie
auch den Teufel und macht die Leute fröhlich ; man vergisst dabei
alles Zorns , Unkeuschheit , Hoffart und andere Laster. Ich gebe
nach der Theologia der Musika den nächsten locum und die höch-
ste Ehre.
Diese zwei Uebungen und Kurzweil gefallen mir am allerbesten,
nämlich die Musika und Ritterspiel, mit Fechten, Bingen u. s. w.
Unter welchen das erste die Sorgen des Herzens und melancholische
Gedanken vertreibet, das andere macht feine, geschickte Gliedmassen
am Leibe und erhält ihn bei Gesundheit. Die endliche Ursache ist
auch, dass man nicht auf Zechen, Unzucht, Spielen und Doppeln
gerathe , wie man jetzt leider siehet an Höfen und Städten ; da ist
nichts mehr, denn es gilt dir Saufaus, danach spielet man um etliche
100 oder mehr Gulden. Also gehts, wenn man solche ehrbare Uebung
und Ritterspiel verachtet und nachlasset.
Musikam habe ich allezeit lieb gehabt ; wer diese Kunst kann,
der ist guter Art, zu Allem geschickt. Man muss Musikam von Nota
wegen in den Schulen behalten. Ein Schulmeister muss singen
können, sonst sehe ich ihn nicht an.
Die Musika ist eine schöne, herrliche Gabe Gottes und nahe
der Theologia; ich wollt mich meiner geringen Musika nicht um
was Grosses verzeihen. (Leipz. Allg. M.-Z.)
*** Von Hrn. A. W. T h a y e r in Triest erhielt die Leipziger
allg. musikalische Zeitung folgende Zuschrift: „Ich höre eben, dass
kürzlich ein neues lithographirtes Porträt Beethoven's von Krieh über
nach einem im Besitze der Familie Beethovens befindlichen Oelbilde
«bei Artaria in Wien erschienen ist. Das Original ist jenes Kniestück,
von dem Schindler schreibt (1. Band, Seite 287, 1. Ausgabe), ohne
jedoch etwas über den Ursprung zu wissen. Da ich so glücklich
war, mit dem Maler einige Wochen vor seinem Tode bekannt zn
werden, und da ich mit ihm über den Gegenstand gesprochen habe,
so bin ich im Stande, einige Details mitzutheilen. Der verstorbene
Secretär Mähler, aus Coblenz gebürtig, kam im Herbste 1803 nach
Wien und wurde bei Beethoven als Rheinländer durch Stephan von
Breuning eingeführt. Der junge Mähler war in seinen Mussestunden
Poet, Musiker, Componist und Maler, von ihm rühren die Originale
vieler Porträts von Wiener Componisten her, die im Besitze der
Gesellschaft der Musikfreunde daselbst Bind. Das erwähnte Porträt
wurde nicht früher als 1805 und nicht später als 1807 gemalt. Das
bestimmte Datum konnte Mähler nach so langer Zeit nicht mehr
angeben. Ich besitze mehrere Copien von Briefen Beethoven's an
diesen Mähler; in einem derselben wird dieses Porträts erwähnt«
Von demselben Herrn wurde Beethoven noch einmal 1817 gemalt;
dieses Bild wurde nach Mähler's Tode von Prof. Karajan in Wien
angekauft und befindet sich noch in dessen Besitz.
*** Im Theater an der Wien ist nun endlich das Spectakelstück
„Prinzessin Hirschkuh" (La Biche au bois) in ausserordentlich
reicher Ausstattung und mit den überraschendsten Effecten in Bezug
auf Decorationen, Maschinerien, Beleuchtung und Costüme in Scene
gegangen und hat eine den Opfern des unternehmenden Directors
Strampfer entsprechende Aufnahme gefunden. Das, freilich nur
auf die Schaulust berechnete, jedoch in dieser Beziehung auch un-
übertreffliche Stück, wird wohl seine Anziehungskraft noch lange
bewähren, doch werden bedeutende Kürzungen stattfinden müssen,
indem eine fünfstündige Dauer für ein derartiges Stüek nach deut-
schem Geschmacke doch eine gar zu lange ist.
*** Der Brand, welcher das erste Opernhaus in New-York
zerstörte, legte auch die medicinische Academie mit ihren äusserst
werthvollen Sammlungen, eine Pianofabrik, eine Kirche und andere
Gebäude in Asche, so dass der Schaden wenigstens 1,000,000 Dollar»
I beträgt
- 104
*** Am Sonntag den 24. Juni findet in Stuttgart die leiste
Aufführung von A b e r t*e „Astorga* für diese Saison statt, welcher
die Directoren $ a 1 v i von Wien nnd T e s c h e r von Darmstadt
beiwohnen werden. In Carlsrahe wird diese Oper bald nach Wie-
dereröffnung der dortigen Bühne, welche auf den 16« August festge-
setzt ist, zur Aufführung gelangen.
*** Der Tenorist Ellin ger ist nach einem erfolgreichen Gast-
spiele am ungarischen Theater in Festh auf drei Jahre mit 6000 fl.
Gage und zweimonatlichem Urlaub engagirt worden.
*** Der ausgezeichnete Bassist Dr. S c h m i d vom Hofopern-
tbeater in Wien gastirt mit ungewöhnlichem Erfolg in München.
*** Hr. Emil He gar, als vortrefflicher Violoncellist bekannt,
wurde in Leipzig für das Gewandhausorchester und als Lehrer am
Conservatorium angestellt.
*** In Spaa ist der Vater des Violoncellisten Servals, früher
ein tüchtiger Violinspieler, 80 Jahre alt, gestorben.
*** Der Componist Otto Bach hat das Bitterkreuz erster
Classe mit der Krone des sicilianischen Francesco-Orden erhalten.
*** Die rühmlichst bekannte Sängerin Mme. L a g r u a hat in
Neapel einen unglücklichen Fall gethan und ein Bein gebrochen.
*** Frl. Ger icke, früher Mitglied der k. Oper in Berlin, hat
sieh am 28. Mai mit dem dortigen Möbelhändler Trunk vermählt.
*** Die General - Intendanz der Berliner Hofbühne hat für
die im ersten Quartal dieses Jahres aufgeführten Stücke und Opern
4382 Thlr. Tantiemen bezahlt.
%* In Pest starb der beliebte ungarische Componist Gustav
F a y im besten Mannesalter.
*** Unter den w er th vollen Instrumenten, welche Clapisson
in Paris ausser der von ihm dem Conservatorium überlassenen Samm-
lung noch als Privateigentum besass, befindet sich ein Spinett,
welches vonAnnibale de Bossi (1577) herrührt und ausgezeich-
net gearbeitet, sowie verschwenderisch mit Edelsteinen und Schnitz-
werk ausgestattet ist.
*** Eine bei Eduard Hoenes in Trier erschienene neue
„Zither schule" von A. Darr ist den Freunden dieses Instrumentes
bestens zu empfehlen, da dieselbe sich durch solide Gründlichkeit
sowie durch eine reiche Auswahl von hübschen und instructiven
Uebungs- und Unterhaltungsstücken für die neu construirte Zither
mit fünf Stahlseiten auf das Vorth eilhafteste vor vielen ähn-
lichen Werken auszeichnet.
*** Hr. und Frau Bertram haben Wiesbaden verlassen und
gastiren in Stuttgart, wo ersterer, ein sehr achtungswerther Barito-
nist bereits ein Engagement erhalten haben soll. Sie werden in
Wiesbaden ersetzt durch Frl. Lichtmay und Hrn. Philipp i,
letzterer vom Stadttheater in Nürnberg.
*** Die Ferien der k. Oper in Berlin dauern vom 18. Juni
bis zum 1. August, die des Schauspiels dagegen bis 15. August.
*** Der berühmte französische Hornvirtuose V i v i e r hat kürz-
lich im Theater de la Monnaie zu Brüssel concertirt, wird aber
von den Berichterstattern ziemlich unsanft mitgenommen und mehr
oder minder verblümt als Charlatan bezeichnet.
*** Das im Freihaus auf der Wieden in Wien noch
stehende Gartenhäuschen des Tonheros Mozart wird aufAnordnug
des Besitzers des Freihauses, des Fürsten Staremberg, renovirt.
Das Häuschen steht am Ende eines einst dem Theaterdirector
Sehikaneder gehörigen Hausgartens und ist einfach aus Holz
gebaut. Im Innern mit Tapeten ausgelegt, beherbergt es einen
Schreibtisch, einen Bücherschrank und mehrere Stühle, sämmtliche
Gegenstände von Mozart herrührend. Hier war es, wo der Tondichter,
das letzte und vollendetste seiner Meisterwerke : „Die Zauberflöte"
componirte und die letzten Tage seines Glückes sah.
V* (Eine Ueberraschung.) Im Sommer 1791 gebrauchte
der junge Lieutenant von Malfetti in Baden bei Wien die Cur,
um sich von den Wunden des letzten Türkenkrieges völlig auszu-
heilen, und da er lahmte, war er genöthigt, den grössten Theil des
Tages in seinem Parterrezimmer zuzubringen. Da sass er denn am
Fenster und las und schielte dabei oft genug über das Buch weg
au der schlanken, schwarzlockigen junges Frau, die gegenüber par-
terre ebenfalls ein Fremdenlogis bewohnte. Eines Tages, es war
gegen Abend, sieht er einen kleinen, leidlich jungen Mann an jenes
Haas hinanschleichen, sich behutsam nach allen Seiten umschauen«
und dann Miene machen, in das Fenster der Dame einzusteigen«
Schnell humpelte der Herr Lieutenant zum Schutze seines hübschen
vis-a-vis herbei und fasste den kleinen Mann an der Schulter : „Was
will der Herr da? Da ist nicht die Thür." — „Nun, ich werde doch
zu meiner Frau hineinsteigen dürfen," lautete die Antwort. Es war
— Mozart, der wohl unerwartet von Wien herübergekommen
war, um sein „Stanzerl" zu besuchen und sie nun nach seiner Weise
doppelt überraschen wollte, wenn er Abends, wo sie vom Curspazier-
gang nach Hause kam, schon in ihrem Zimmer sass, ohne dass Je-
mand von ihm wusste. (Sign.)
*** In Grata wurde am 30. Mai für den dort verstorbenen
Componisten N e t z e r ein Grabdenkmal aufgestellt, und der Gratzer
Mänergesangverein erhöhte die Feier durch den Vortrag einiger
Chöre.
V In Turin ging die „Afrikanerin" im Teatro Vtttorio Erna-
nuele mit aussergewöhnlichem Beifalle in Scene. Die ehemalige
Violinspielerin Carolina Ferni sang die Selica.
*** Dr. F a i s s t in Stuttgart hat den Preis des schlesischen
Sängerbundes für Composition von Schiller's „Macht des Gesanges"
erhalten, und haben die Preisrichter die besondere Erklärung abge-
geben , dass dieses Stück eine wahre Bereicherung der Männerge-
sang-Literatur sei.
Abfertigung.
Unter dem Postzeichen „Speyer" ist uns eine anonyme Epistel
eines „Lesers der Südd. Mus. -Ztg.* zugekommen, der sich durch
den in den letzten Nummern unseres Blattes enthaltenen Bericht
über eine Aufführung der Beethoven'schen D-dur-Messe in Leipzig und
über die Besprechung der Brochüre von Dr. Lorenz über „Haydn's,
Mozart's und Beethoven'« Kirchenmusik und ihre katholischen unct
protestantischen Gegner" in seinen strengkatholischen Gefühlen höchst
unangenehm berührt und darum veranlasst fühlt, uns wegen der
Aufnahme der benannten Aufsätze, resp. unseres Gutheissens der-
selben den Text zu lesen. Wir bedauern, dass der Raum unseres
Blattes nicht gestattet, durch die Mittheilung der ganzen Philippika
unsere Leser in dieser sorgenschweren Zeit zu erheitern, wollen aber
doch, da wir bei dem gegenwärtigen Stillstand in der musikalischen
Welt gerade Muse dazu haben, dem Briefschreiber ungeachtet seiner
Anonymität in Kürze Folgendes erwidern:
Fürs Erste ist unser Blatt kein exclusiv katholisches oder gar
ultramontanes, welches nur dem frommen Eifer jener Zeloten dient,
die uns auch sogar in Bezug auf die Kirchenmusik wo möglich noch
hinter das Mittelalter zurückversetzen möchten ; dann sind wir auch
gewohnt, unseren Mitarbeitern die freie Kundgebung ihrer indivi-
duellen Ansicht zu gestatten, selbst wenn wir persönlich nicht voll-
kommen mit derselben einverstanden sein sollten. Ferner sind wir
aber in den fraglichen Fällen mit den betreffenden Autoren wirklich
einverstanden. Dass der Herr Anonymus sich den Schein gibt, als
hielte er uns für nicht katholisch , halten wir unsererseits für eine
Finte, deren er sich nur bedient, um sein Incognito zu bewahren,
denn derselbe weiss, wenn wir uns nicht sehr irren, recht gut, dass
wir der katholischen Kirche angehören, wenn auch nicht gerade mit
demselben blinden Eifer wie er selbst. Was aber unser von dem
Hrn. Anonymus in so drastischer Weise angezogenes Verhältniss zur
„Braut Christi" betrifft, so bekennen wir biemit vor aller Welt, dass
wir seine, nämlich des Hrn. Anonymus und auch seiner Gesinnungs-
genossen, nähere Ansprüche an genannte Braut vollkommen respec-
tiren und uns bescheiden in den Hintergrund begeben, und dass wir
nicht nur weit entfernt sind, derselben, wie wir in dem betreffenden
Schreiben beschuldigt werden, ihr sämmtliche Juwelen abreissen
oder sie selbst ganz verschwinden machen zu wollen, sondern viel-
mehr von Herzen wünschen, dass sie nicht gerade durch ihre gar
au eifrigen Anhänger zum Falle komme.
Dies unsere letzte Erwiderung auf derartige anonyme Aus-
lassungen, wobei wir noch dem in Bede stehenden Briefschreiber
empfehlen, die Ortographie der Abschriften seiuer keineswegs parla-
mentarischen Stylübungen in Zukunft besser zu überwachen. Die Red.
Verantw. Red. Ed. Fächer er, Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15.* Jahrgang.
J¥* 99.
2. Juli 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
* DieseZeitung erscheint jeden
MÖKTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
^ hingen. .
? • r I a §'
r-
B.
PREIS: j*
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ. ^«.Mb-,«:
von
Brüssel bei Gebr. Sehott. London bei Schott & Co.
I 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal. .
^.o. — — — --.~~~-^ — -- ^v-^,
INHALT: Gluck und Piccini. — Correspondenz : Paris. — Nachrichten.
Gluck und Plcclnl.
(Schluss.)
In Wirklichkeit waren die Opern Piccini's im ersten Augenblicke
anwehender für die Menge als di« Gluck'schen, allein man konnte
sie nicht so oft anhören, weil sie dem Studium und dem richtigen
GeSchmacke weniger Nahrung boten. Die Literaten, welche für die
eine oder die andere Partei schrieben, wie Grimm, Diderot, Mar-
montel, Suard, Labarpe, Arnoud etc. verstanden nicht viel von Musik,
oder vielmehr sie verstanden so viel wie gar nichts davon ; ihre
Angriffe gegen ihre Gegner gingen fast immer fehl, und ein heutiger
Musiker muss unwiderstehlich lachen über die Böcke, welche jene
Herren fortwährend schiessen. Dass übrigens Laharpe Gluckist,
and Marmontel Piccinist war , beruhte nicht auf musikalischen
sondern auf andern Gründen ; sie hatten nämlich Partei ergriffen für
awei Sängerinnen, von denen die eine Gluck's, die andere Piccini's
Musik sang; das ist Alles, sowie sich denn überhaupt viele persön-
liche Angelegenheiten in die Sache mischten. Weon übrigens die
Piccinisten Gluck selbst angriffen, weil dieser hinlänglich französisch
verstand, um sich auch selbst gegen seine Feinde zu vertbeidigen, so
richteten dagegen die Gluckisten ihre Angriffe nur gegen Piccini's
Vertheidiger; es würde ihnen schwer gefallen sein, gewisse Parti-
turen Piccini's anzugreifen, die sehr reiu geschrieben waren. Gluck
war kein bo gelehrter Musiker wie Piccini, theoretisch war er sogar
ein schwacher Harmouist, allein er ersetzte die Mängel seines ersten
Unterrichts durch eine seltene natürliche Gabe, die so höchst effect-
reichen Accordfolgen zu erfinden, die in der Begleitung seiner Reci-
tative so hinreissend wirken.
In der,, Annida* debütirte eine Sängerin, Mme. Saiut-H über ti,
welehe alle ihre Vorgängerinnen auf den Brettern der grossen Oper
verdunkeln sollte. Obgleich diese nun vortrefflich sang, so vermochte
sie doch vor den Augen Mozart's die Mängel der französischen
Musik nicht zu bemänteln. Mozart, der alle Vorzüge des italienischen
und deutschen Musik in sich vereinigte, war dennoch in seinen
meisten Opern mehr Italiener als Deutscher ; die Musik Piccini's
vermochte ihn nicht mehr hinzureissen als die Gluck'sche, weil er
fand , dass sie schlecht gesungen wurde. Es war übrigens das
Schicksal Gluck's , wie vieler anderer grosser Männer, von seinen
Landsleuten verkannt zu werden. Nur in Frankreich wusste man
ihn vollkommen zu würdigen. (?) *
Gluck erhielt 12,000 Livres für jede seiner Opern, Piccini be-
kam für jede Aufführung 400 Livre*s, was nach den damaligen Ver-
hältnissen viel mehr ausmacht als die 250 Frcs., welche heutzutage
ein französischer Compouist unter denselben Bedingungen bekommt.
Wenn aber auch unsere heutigen Componisten geringer bezahlt
werden ah Piccini, so werden dagegen unsere Sänger unendlich viel
höher honorirt als die damaligen ; zu jener Zeit würde es einer be-
iiahten Sängerin übel angestanden haben, wenn sie ihre bescheidene
Gag« selbst bezogen hätte. Sophie Arnould öberlieas ihren Gehalt
an der k. Akademie der Musik, etwa 10,000 Livree, ihrer ersten
Majnmerfraa.
Diese Sophie Arnould, die gefeiertste» Sängerin des 18. Jahr-
hunderts in Frankreich, verdankte ihre Erfolge weniger ihrem Ta-
lente oder ihrer Schönheit, als ihrem geistreichen Wesen, welches
alle Berühmtheiten jener Zeit in ihre Nabe zog. Als sie Mme*
Saint-Huberti auftauchen sah, welche eine viel bessere Sängerin und
Musikerin war als sie selbst, Hess sie es nach ihrer Gewohnheit
nicht an scharfen Ausfällen gegen dieselbe fehlen. Da die Neuan-
gekommene nur sehr gering honorirt wurde, so war sie genöthigt,
sich sehr einfach zu kleiden, wusste dies aber sehr zu ihrem Vor-
theile zu thnn; Sophie nannte sie darum Madame la Ressource.
Dieser Name machte schnell Glück, und als Gluck denselben gehört
hatte, sagte er: „Sie geben ihr mit Recht diesen Namen, denn sie
wird in kufzer Zeit die Stütze (la ressource) der Oper sein." Sophie
Arnould war zu dieser Zeit schon sehr ausgesungen, und. der Abbe"
Galiani sagte zu ihrem Gesänge: „Das ist das schönste Asthmo,
das man möglicherweise hören kann." — Mlle. Laguerre befand
"'sjich damals im Besitze ihrer vollen Schönheit. Eines Tages, da sie,
wie dies sehr häufig vorkam, mehr Champagner getrunken hatte als
gerade nöthig war, zeigte sie sich als Ipbigeuie sehr unsicher auf den»
Beinen, so dass man sie schliesslich wegführen musste. Mlie. Arnould
Hess sich die günstige Gelegenheit nicht entgehen, zu sagen : „Da»
ist eigentlich keine Vorstellung der „Iphigenie in Tauris," sondern
der „Iphigenie in der Champagne." Mlle. Laguerre musste die Un-
ziemlichkeit ihres Benehmens mit einem kurzen Arrest im Fort
TEvSque büssen.
Gluck hatte das Buch zum „Roland" zurückgegeben , aber De
Visme bestand noch immer hartnäckig auf seinem früheren Projecte,
die beiden Kämpfer auf demselben Boden ihre Lanzen brechen zu
lassen und hatte für ihn „Iphigenie in Tauris'* gewählt. Gluck's
Buch war sehr günstig für seine Musik; nicht so verhielt es sich
mit dem 4 Piccini'schen, welches höchst unbedeutend war. Die Iphi-
genie von Gluck wurde am 18. Mai 1779 zum ersten Male aufge-
führt, hatte ungeheuren Erfolg und blieb auf dem Repertoir. —•
Me*hul, der zu jener Zeit noch sehr jung war, hatte der Generalprobe
betgewohnt und versteckte sich nach deren Beendigung unter einer
Bank, fest entschlossen, den Rest der Nacht und den folgenden Tag
in seinem Verstecke zuzubringen , um auch der Aufführung beizn- "
wohnen. Glücklicherweise wurde er entdeckt und zu Gluck geführt,
der Bich beeilte, ihm ein Billet für den folgenden Abend zu geben.
Gluck wurde der Freund und Rathgeber, ja sozusagen der geistige
Vater Mlhul's. Durch Ihn verband sich die deutsche KunBt mit der
französischen, denn vor ihm trug die französische Musik immer den
Stempel ihrer italienischen Abkunft.
Bald darauf gab Gluck seine Oper , Echo et Närcisse," welche
nur . geringen Erfolg hatte. Piccini lies« seine „Iphigenie" viec
Jahre nach der Gluck'scben aufführen. De* ausserordentliche Erfolg
des Letzteren hätte ihn davon abhalten müssen , allein übereifrig«
Freunde gaben sich alle Mühe, ihn zur Aufführung derselben zu
bestimmen. Die Oper gefiel nur sehr tnittelmässig. Da jedoch des
Erfolg des „Atys* die Geister sehr zu Gunsten Piccini's einge-
nommen hatte, so machten die Gluckisten nicht viel Aufhebens vou>
- 106 -
dem jüngsten Misserfolge. Ueberbaupt war der Krieg zwischen den
beiden „Winkeln" so ziemlich erloschen, nnd nur hie und da schleu-
derten sich die Parteien ein kleines Epigramm an den Kopf. „Atys"
war am 22. Februar 1780 und „Iphigenie" am 23. Januar 1781
erschienen.
Pas Libretto, welches Gluck bearbeitete, war von Guillard,
welcher, wie schou oben angedeutet wurde, es meisterhaft verstanden
hatte, die Vorzüge seines Mitarbeiters hervortreten zu lassen. Gluck
machte sich dies bewundernswürdig zu Nutzen. Mit welcher Sorg-
falt Gluck die Dichtungen studirte, die er componirte, geht aus der
bekannten Antwort hervor, die er bei Gelegenheit einer Probe der
„Iphigenie in Tauris" einem Musiker gab. Bei der Stelle nämlich,
wo Orestes singt: „Die Ruhe kehret mir zurück" drückt das Or-
chester fortwährend eine grosse Aufregung aus. Ein Orchestermit-
glied meinte, hier wäre ein Fehler, und ob man denn stark fort-
spielen solle. — „Freilich", erwiederte Gluck. — „Aber Orest sagt
ja doch, dass die Buhe in sein Herz zurückkehrt," sagte wieder der
Musiker. — »Nur immer zu, Sie sehen ja, dass er lügt; er kann
nicht ruhig sein, er hat seine Mutter ermordet 1" antwortete der
Meister. — Beim Herausgehen nach der Vorstellung äusserte ein
Musikfreund, er finde, dass die Oper sehr hübsche Stücke enthalte.
„Es ist nur eines darin ," erwiederte der Abbe Arnaud. —
„Welches?" — „Die ganze Oper".
Piccini hatte sein Buch von Dubreuil erhalten, welches in
schlechten Versen geschrieben war. Gleichwohl enthielt die Oper
einzelne Schönheiten.
Gluck kehrte nach Wien zurück und starb dort am 25. No-
vember 1779 am Schlagfluss.
Nachdem Gluck gestorben war, machte Piccini grosses Glück
mit seiner Oper „Dido". Ludwig XVI. wollte sie dreimal hinter-
einander hören. Sie wurde 1783 aufgeführt, und um dieselbe Zeit
sah Piccini seinen ,,Atys" mit vollständigem Erfolge wieder neu
aufgenommen, und auch in der komischen Oper fanden einige Stücke
von ihm sehr gute Aufnahme.
Die Gluckisten, welche nun keinen Deutschen oder Franzosen
mehr hatten , den sie ihm entgegenstellen konnten (Mehul schrieb
damals noch nicht), setzten den Italiener Zacchini an die Spitze
ihrer Partei , dessen Ruhm noch die letzten Augenblicke des Com-
pouisten des „Atys" trübte. Man verbündete sich nun gegen diesen,
um die Aufführung der „Klytemnestra ," welche in der Hauptprobe
sehr gefallen hatte, zu hintertreiben. Dies und andere Widerwärtig-
keiten , die er zu erdulden hatte, bewogen Piccini, Frankreich zu
ve* lassen, wo er 15 Opern geschrieben hatte. Nach einem sieben-
jährigen Aufenthalte in Italien, kehrte er 1798 nach Paris zurück.
Die Regierung gab ihm 5000 Frcs. zur Bestreitung seiner Bedürf-
nisse und einen Gehalt von 2400 Frcs. Wie seiu Landsmann Ros-
sini unterhielt er sich damit, kleine Sachen für Ciavier und Ge-
sang zu compouireu , anstatt für das Theater zu schreiben. Auch
gab er gerne , wie heutzutage Rossini , Concerte in seinem Hause.
Der General Bonaparte ernannte ihn 1800 zum Inspector des Con-
servatoriums. Er wohnte in Passy, wo er am 7. Mai 1800 verschied*
^O OB^
Literatur.
Uebersichtliehe Darstellung der Geschichte
der kirchlichen Dichtung und geistlichen
Musik, vou H. M. Schletterer, Capellmeister in
Augsburg. Nördlingen, Druck und Verlag der
C. H. Beck'schen Buchhandlung. 1866, gross Octav ?
300 Seiten, nebst einem Vorwort und Register.
Der Verfasser des uns vorliegenden Buches hat als Musikschrift-
steller sich bereits durch seine „Geschichte des deutschen Singspiels,"
Biographie des Componisteu J. Fr. Reichardt und Anderes einen
Namen in der musikalischen Welt gemacht, so dass wir diesem
neuen Werke desselben um so bereitwilliger uusere Aufmerksamkeit
widmeten und die Freunde kirchlicher Dichtung und Musik auf das-
selbe lenken möchten, als der Verfasser nach unserem Dafürhalten
sich um diesen Zweig der Musik* und Literatur - Geschichte durch
seine auf sorgfältige, umfassende und gewissenhafte Forschung ge-
stützte Arbeit ein wahres Verdien** erworben und eine fühlbare
Lücke ergänzt hat. Gleichwohl ut dies Buch nur als der Vorläufer
eines in Kürze erscheinenden ausführlicheren Werkes über denselben
Gegenstand zu betrachten, da der Verfasser in seinem Vorwort sagt:
„Meine Absicht bei Bearbeitung des vorliegenden Werkchens
ging dahin, von literar- historischem Standpunkte aus — also nicht
von theologischem aus — eine übersichtliche Darstellung der Ent-
wicklung kirchlicher Liederdichtung und geistlicher Tonkunst zn
geben. Das Buch soll Geistlichen und Lehrern ein Handbüchlein,
Laien, die diesem hochwichtigen Gegenstand ihre Aufmerksamkeit
zu schenken geneigt sind, eine anregende und belehrende Leetüre
sein. Auf sehr massigen Raum beschränkt, konnte ich nicht mit
der Ausführlichkeit verfahren, die ich gern in Anwendung gebracht
hätte. Eine erschöpfende Darstellung dieses Gegenstandes ist nur
dann möglich, wenn man den Umfang mehrerer Bände dafür zur
Verfügung hat. Eine solche nach allen Seiten hin gründliche und
ausführliche Bearbeitung der Geschichte geistlicher Dichtung und
Musik versuchte ich in einem in nächster Zeit erscheinenden grösseren
Werke zu liefern, das dem für die Sache sich eingehender Interes-
sirenden wohl genügende Befriedigung bieten dürfte."
Der Verfasser behandelt die Geschichte des Kirchenliedes und
Kirchengesanges von dessen Entstehung in den ersten Jahrhunderten
des Ghristeuthums an in seiner Fortentwicklung und in seiner Be-
deutung bei dem katholischen wie bei dem protestantischen Gottes-
dienste bis in das 19. Jahrhundert. Ueberrascheud, ja staunenerregend
uiuss für den minder Eingeweihleu die enorme Anzahl von Dichtern
und Componisten geistlicher Gesäuge sein, deren Namen im angehäng-
ten Register über 20 enggedruckte zweispaltige Seiten füllen.
Sehr zu beherzigen seheiut uns u. A., was der Verfasser (S. 281
u. ff.) über den Verfall des Choralgesangs und Orgelspiels in der
protestantischen Kirche, namentlich nach S. Bach, und über dessen
Ursacnen anführt. Er sagt dort:
„Wir haben schon davon gesprochen, dass im Verlaufe des 18.
Jahrhunderts die zu Eude des vorhergegangenen angebahnte Reform
des Chorals, d. h. seine gründliche Demoralisirung glücklich durch-
geführt worden war. Während Alles, was an geistlichen Composi-
tionen producirt ward , mehr und mehr von dem übermächtig ge-
wordenen weltlichen Styl beeiuflusst erscheint, so dass endlich von
einem eigentlich kirchlichen Styl, mit Ausnahme der für die geist-
liche Musik festgehaltenen Fugenform , gar keine Rede mehr sein
kann, verliert auch der Choral jede lythmische Eigentümlichkeit.
Selbst die dreitheilige Tactart wird ausgemerzt und die ausschliess-
liche Herrschaft des geraden viertheiligen Tactes durchgesetzt. Es
entstehen eine Menge neuer, unvolksthümlicher , langweiliger Melo-
dien. Alles, was noch in den vorhandenen Weisen an jene erhabene
Kraft und den unerschütterlichen Ernst der alten Kirche erinnert,
wird sorgfältig renovirt und ausgetilgt, so dass zuletzt sogar jeder
grössere Intervallenschritt durch kleine Noten ausgefüllt und über-
brückt wird.
Mit dem Verfall des Choralgesangs beginnt auch der des Orgel-
spiels. Dasselbe erklimmt bis zur Mitte des Jahrhunderts in J. S.
Bach und seiner Schule die höchste Höhe, um alsdann um so rascher
zu trostlosester Verkommenheit herabzusinken. Fällt nun schon die
Ausartung der kirchlichen Dichtung der Geistlichkeit, aus deren
Kreis ja die meisten Liedersänger hervorgingen, grossentheils zur
Last, so ist ihr noch mehr der Verfall kirchlicher Tonkunst zuzu-
schreiben. Mit ihrer Einwilligung und Hülfe hat sich die Schule
ihrer Verpflichtung, auf den Kirchenchören mitzuwirken, an sehr
vielen Orten entzogen; mit ihrer Einwilligung und Hülfe sind die
meisten Stellen der Cantoren und Organisten aufgehoben oder doch
die durch alte Stiftungen zur Dotirung dieser Stellen vorhandenen
Mittel anderweitig so in Beschlag genommen und reducirt worden,
dass selbstständige Cantorate, noch mehr aber selbstständige Orga-
nistendienste nur höchst selten noch hie und da in deutscheu Landen
anzutreffen sind. Dergleichen Bedienstungen werden heute meist
nur noch als Nebendienste Männern zugetheilt, die bereits mit an-
dern Anstellungen betraut, nicht selten mit Amtsgeschäfteu überhäuft
siud. Viele, ja man darf sagen weitaus die meisten Organisten-
dienste, sind so schlecht honorirt, dass die Organisten nicht einmal
hinreichende Mittel gewinnen, um sich nur die allernöthigsten Mu-
sikalien kaufen zu können. Auf dem Gebiete der Liederdichtun^
ist es in unserer Zeit besser geworden , es musste besser werden,
sobald ein neuer Geist den Protestautismus durchdrang, uud es könnt«
107 -
^besser werden, weil die Dichtung geheime Herzenssache jedes Ein-
eeinen, nicht ein Geschäft ist, von dem man leben muss, oder eine
Erwerbsquelle, auf die man ausschliesslich angewiesen ist. Anders
aber mit der Musik. Organisten, die auf ihrem Instrumeute Meister
sind, müssen, um dies werden und bleiben zu können, das Stadium
eines Lebens darauf verwenden ; ihnen ist das Orgelspiel ein Beruf,
und jeder Beruf soll seinen Mann ernähren. Zu Cantoren, die ihrer .
Stellung ein Genüge thun Bollen , muss man Musiker von Fach
«nehmen. Nicht jeder Schullehrer aber , der vielleicht ein ganz
"brauchbares Liedertafelmitglied ist, oder jeder Musiker, der irgend
ein Orchesterinstrumeut ganz wacker spielt, hat die Befähigung, ein
Cantorat zu übernehmen , und dann will eben jeder tüchtige Mann
so gestellt sein, dass er durch sein Amt vor den drückendsten Nah-
rungssorgen gesichert ist. Woher nun dazu die Mittel nehmen '? Es
ist nicht zu leugnen, es waren deren eines Tages mehr vorhanden
als heute, und es hätten sich wohl im Laufe der Zeiten neue dazu
gewinnen lassen können. Aber allmähltg sind unzählige Fonds
ihrem ursprünglichen Zwecke entfremdet worden, und diejenigen, in
deren Säckel sie ihren Abfluss gefunden haben, werden sich wohl
hüten, darauf Verzicht zu leisten. Hat man ja doch schon häufig
Stimmen protestantischer Geistlicher gehört , die von einem Orgel-
uhrwerk oder einer wohleingerichteten Drehorgel sprachen , damit
•endlich die lästigen, Gehalt beanspruchenden Organisten entbehrlich
gemacht werden könnten.
Die Entfremdung der Schule vom musikalischen Kirchendienste
iia.t aber noch eine audere schlimme Folge im Lauf der Zeit nach
sich gezogen. In der Schule und der Kirche ist der Ort , wo das
Volk in seiner Gesammtheit musikalische Bildung erhalten soll. In
Ländern, in denen weuig oder keine Musik in der Kirche gemacht
wird, herrscht auch im Volk kein Musiksinn. Wie nun das Volk
in seiner Allgemeinheit endlich alle Kunstliebe einbüssen und ver-
lieren kann , so auch einzelne Stände. Wir wollen nicht davon
■sprechen, dass es nur noch zu den Ausnahmsfällen gehört, dass ein
•Jurist, ein Mediziner, ein Philologe u. s. w. Musik treibt oder über-
haupt Neigung für Kunst und Poesie hegt. Diese Berufsarten können
dergleichen ohne besondere Nachtheile zuletzt entbehren. Aber ein
Stand kann den Mangel musikalischer Bildung nicht so leicht ver-
schmerzen, das ist der der Theologen. Wo soll ihnen aber Kenntniss
des Gesangs, Liebe zur Musik und Einsicht in den musikalischen
Theil des Cultus herkommen , da sie in ihrer Jugend zu keiner
Kuustübung mehr angehalten werden und ihnen später die Gelegen-
heit, oder wo selbst diese geboten wird, die Lust fehlt sich musi-
kalisch zu beschäftigen. In der That ist die unbegreifliche Theil-
nahmlosigkeit, ja die Abneigung, mit der die protestantische Geist-
lichkeit der kirchlichen Tonkunst gegenüber sich verhält, nur eine
Folge verkehrter Vorbildung. Da nun aber der Gesang und die
Musik als Kunst ein wesentlicher Theil des Gottesdienstes ist, der
in unverantwortlicher Weise vernachlässigt erscheint , da biedurch
ein wichtiger Theil der öffentlichen Gottesverebrung Noth leidet,
so trage man doch Sorge, indem man in den gelehrten Schulen dem
Gesänge wieder grössere Aufmerksamkeit und Pflege zuwendet, dass
die lebende Generation unmusikalischer Theologen allmählig durch
■eine andere ersetzt , und durch das Interesse , welches auf diese
Weise mit der Zeit für kirchlichen Gemeinde- und Kunstgesang
wieder rege gemacht wird, eine Hebung und Besserung beider mög-
lich gemacht werden kann."
So empfehlen wir denn hiermit das Werk des fleissigen und
-gewissenhaften Verfassers katholischen und protestantischen Freunden
.kirchlicher Poesie und Musik mit der Ueberzeugung, dass sie das-
selbe in mancher Beziehung belehrt, in jeder Weise aber befriedigt
aus der Hand legen werden. E. F.
CORRESPONDENSEN,
neuen Anlagen und an anderen' öffentlichen Orten den Mainzern sie
einem wahren Bedürfnisse geworden waren. Mit grosser Spannung
sah man daher dem Einzug der neuen Besatzung, die aus vielerlei
Herren Ländern zusammengetrommelt wurde, entgegen, und hoffte*
dass dieselbe wenigstens einigen Ersatz für die schwer vermissten
Musikcorps bringen würden, die hier so viele Jahre lang in schön'
ster Eintracht und in friedlicher Rivalität uns durch ihre schönen.
Leistungen erfreut hatten. Glücklicherweise ward diese Hoffnung*
nicht getäuscht, indem die hier eingezogenen Contingente aus Weimar
und Meiningen ihre resp. Regimentsmusiken mitbrachten, welche»
wenn auch nicht so stark besetzt wie die preussischen oder öster-
reichischen, doch bei ihren bisherigen öffentlichen Productionen eine
recht ergiebige Tonfülle bei angenehmer Mischung der Klangfarben,
ein sehr präcises Ensemble , vollkommene Reinheit der Intonation
und geschmackvolle Abwechslung in der Zusammenstellung ihrer
Programme bekundeten und auch des allseitigsten Beifalls sich zu
erfreuen hatten.
Fast sämmtliche Opernmitglieder der geschlossenen Saison haben
Mainz verlassen ; auch der bisherige Capellmeister Hr. D u m o n t
hat seinen Contract, der ihn noch für das nächste Jahr hier fesseln
sollte, gelöst und ist nach Leipzig übergesiedelt, wo er sich mit der
dortigen Opernsängerin Frl. Suvanny vermählt hat. Hr. Capell-
meister E b e r 1 e vom Regensburger Stadttheater , welcher gegen
Ende der Saison die „Hugenotten" und den „Fra Diavolo" diri-
girte, hat sich als ein durchaus gediegener Dirigent bewiesen,
der in Bezug auf routinirte Sicherheit, feine und geschmackvolle
Nüancirung, Energie und raschen Ueberblick nichts zu wünschen
übrig lässt, so dass wir das Engagement desselben für die nächste
Saison als einen sehr glücklichen Griff bezeichnen würden. Leider
lassen die wenig günstigen finanziellen Resultate, mit welchen die
letzte Saison abschloss , und die drückenden Zeitverbältnisse im
Augenblick wohl keinen sicheren Schluss in Betreff unseres künfti-
gen Tbeaterbestandes zu, und müssen wir eben auch in dieser An-
gelegenheit , wie in vielen andern Dingen , von der Zukunft das
Beste hoffen. E. F.
ins Jtl a i n se.
Seit unser Stadttheater geschlossen ist, hat die musikliebende
Bevölkerung unserer Stadt ein schwerer Verlust getroffen durch den
Abzug der Österreichischen und preussischen Militärmusikcorps, deren
<dea Guten recht Vieles bietende regelmässige Productionen in den
Aus Paris.
24. Juni.
Seit der vorigen Woche herrscht hier eine wahre tropische
Hitze, und es gehört in der That kein geringer Muth dazu, die
Theater aufzusuchen. Zum Glück für die Theaterdirectoren gibt
es aber viele Leute, die diesen Muth besitzen. Dessen ungeachtet
werden noch mehrere Schauspielhäuser schliessen.
Das Thedtre lyrique, das am 1. Juli seine Ferien beginnt»
hat noch vor Thorschluss zwei kleine Opern gebracht, Ä Le Sortier*
von Madame Anais Marcelli, und n Les drage'es de Suzette*
von Hector Salomon. Letzteres Werk hat sehr angesprochen.
Es verdient auch vollkommen den Beifall, mit dem es aufgenommen
worden. Hector Salomon zeigt in diesem Erstling seiner dramati-
schen Muse nicht nur ein entschiedenes und höchst gefälliges Ta-
lent, sondern auch eine gründliche musikalische Bildung, und da
er noch sehr jung ist, so darf man von ihm wohl noch manche)
treffliche Hervorbringung erwarten. — Es heisst, das genannte Thea-
ter wolle die nächste Saison mit der „Arnrida a von Glnck er-
öffnen und dann Richard Wagner's „Lohengrin" zur Aufführung?
bringen. Man spricht auch von einer dreiactigen Oper: ,. Härder
napal'\ Musik von Victorien Joncieres, welche das Thedtre
lyrique künftigen Winter seinem Publikum vorzuführen gedenkt.
Das neue Ballet: ,.La Source ,** welches sein Entstehen vier/
Mitarbeitern verdankt, wird gegen Mitte August in der grossen Oper
zur Darstellung gelangen.
Das nächste neue Werk , welches in der Ope'ra comique in
Scene gehen soll, ist von Jules Cohen.
Ambroise Thomas legt in diesem Augenblick die letzte
Hand an seine „Mignon:\ Die Proben werden künftigen' Montag
beginnen, und man hofft, dass die erste Aufführung dieses Werke»,,
auf welches das Publikum einigermassen gespannt ist, gegen Ende
Octobers in der komischen Oper stattfinden werde. '
108
lachrickten.
fOft, W. Juni. Am $. Juöi coiicertirte» hier Hr.E. Weigand
<Pianist) , FfT. Rosa Schmidt (Soprao) und Hr. Oudshorn
(Vtetoneetl). Die hervorragendste Leistung des Abends war der
Tortrag de* Weber'seben Coneertstückes durch Hrn. Weigand, einen
tfetfiSler MärmonteTs in Paris. — Am 19. Juni wurde unsere
CürsaaTblthne eröffnet, und zwar mit der Aufführung zweier franzö-
ehtcher Operetten, nämlich des ,,Cafö du Roi' von L. Deffes,' '
(Text von H. Meilhac) und der „Poupe'e de Nuremberg" von
A. Adam (Text von de Leuven und de Beauplan). — Unsere
seitherige Curcapelfe, das Musikcorps des 1. nass. Begimentes, ist
*tt letzterem in*s Feld beordert worden, und wird durch das Hart-
am n*sche Orchester aus Goblenz ersetzt.
l)resdeO. Am 19. Juni gab die neuengagirte Frau Blume
{ehemals FtI. Santer) die Donna Anna als Antrittsrolle und hat die
Sympathien , welche sie bei ihrem vorjährigen Gastspiele sich zu
erringen wusste, aufs Neue befestigt, so dass mau von ihren ferneren
Leistungen sich in jeder Beziehung Gediegenes und Erfreuliches
'versprechen darf.
Paris. Die Einnahmen der Theater, Concerte etc. in Paris be-
tragen im Monat Mai 1,590,078 Trcs.
— Am 17. Juni ist hier der beliebte Dichter und Schriftsteller
Mery gestorben. Er hatte ein Alter von 68 Jahren erreicht.
— Bei Brandus&Dufour ist von Flotow's neuester Oper
„Zilda" ein Clavierauszng mit Text erschienen.
— Der berühmte Contrabassist Bottesini ist aus Bussland
«urüchkehrend, wo er die glänzendsten Erfolge erzielt hat, hier an-
gekommen. Er wird wahrscheinlich ein ihm unter sehr vorteil-
haften Bedingungen angebotenes Engagement nach Amerika annehmen.
— Vieuxtemps wird sich nun wirklich bleibend hier nieder-
lassen und hat zu diesem Zwecke ein Haus in der Rue Chaptal
•cyiiiirt, während seine Besitzung in Frankfurt verkäuflich ist.
*** Am 3., 4. und 5. v. M. fand in Güstrow das IV. mecklen-
burgische Musikfest unter der Leitung des Hrn. Hofcapellmeisters
Aloys Schmitt von Schwerin und des Hrn. Captellmeisters Ferd.
IIi]!er aus Cöln in der schönen, neugebauten Festhalle Btatt. Zur
Aufführung kam am 1. Tage: das Oratorium „Paulus" von Mendels-
sohn » am 2. Tage: »Dia Nacht," Hymne für Soli, Chor und Or-
ebester von Ferd. Hiller, Ouvertüre Nro. 3 zu „Leouore" von Beet-
hoven, der III. Theil der „Schöpfung" von Haydn, während der 3.
Tag ein gemischtes Programm von Solovorträgeu , Ouvertüren und
einzelnen Chören brachte* Die Gesangspartien waren in den Hän-
den der Damen Frau Linda Böske-Lundb, k. Hofopernsängerin
«na Stockholm, und Frl. Helene Hausen, Concertsängeriu aus
Berlin, sowie der HH. Dr. G u n z aus Hannover und Carl Hill
nos Frankfurt a. M. Das gesammte Gesang- und Orchesterpersonal
bestand aus 364 Mitgliedern , und die Hofcapelle von Schwerin
bildete den Kern des Orchesters. Die Leistungen des Chores sowie
de» Orchesters waren in jeder Beziehung vortrefflich, und wenn die
beiden genannten Damen ihrer Aufgabe im vollsten Maasse gerecht
wurden nnd allgemeinen Beifall fanden, so erregten hingegen wieder
der meisterhafte Vortrag und die hohe gesangliche Durchbildung
der hier noch niemals gehörten Künstler Dr. Gunz und C. Hill die
höchste Bewunderung und rissen zu wahrhaft enthusiastischem Ap-
pfouae hin. — Das dritte Concert brachte eine mit vielem Beifall
aa%eBemm«ne Ouvertüre von Hofcapellmeister A. Schmitt, die
Wiederholung der drei ersten Chornummern aus Hiller's „Nacht",
die Tannhäuser- und Freischütz - Ouvertüre und das Clavierconcert
in D-moll von Mozart, in unübertrefflicher Weise vorgetragen von
Hrn. Ferd. Hiller, der auch einige Solostücke eigener Coroposition
mit ausser ordentlichem Beifall spielte. Die Damen Böske-Luodh und
Hausen sangen Arien aus „Freischütz" und „Titas," Hr. Vr. Gunz •
die Arie „Komm, o holde Dame" aus der „weissen Frau" und Lieder
jsU binreisseuder Meisterschaft. Hr. Carl Hill seng eine dem Pub-
ükiuir noch gänzlich unbekannte Compositum, die Ballade „Mond*
waaderung" von Wilhelm Hill, und Mendelssohn 's Volkslied: „Es
ist bestimmt in Gottes Bath" unter endlosen Beifallsbezeigungen.
Auch der gesellige Theil des Festes verlief in achöuster Weise, so
daas dasselbe alleu Treunehmern in angenehmer Erinnerung blei-
ben durfte.
*** Teresita Carreno. Dies ist der Name einer jungt»
Spaniscb-Amerikanerin aus Venezuela, über deren glänzende Erfolge»
als Claviervirtuosin in Paris unser Pariser Correspqndent bereits be-
richtet hat. Sie ist nun mit den gewichtigsten Empfehlungen, na-
mentlich von Bossini, in London angekommen und wird wohl auch»
dort nicht verfehlen, bedeutende Sensation zu erregen. Die Schick*
sale dieser auch durch ihr 1 höchst anziehendes Aeussere Sympathie
ei weckenden jungen Künstlerin sind, so interessanter Art, dass wir
das darüber bekannt Gewordene unseren Lesern nicht vorenthalten
wollen. Teresita Carreno ist die Tochter eines ehemaligen Finanz-
ministers der Bepublik Venezuela nnd wurde am 22. Dezember 185&
in der Hauptstadt Caracas geboren. Sie begann das Studium de*.
Claviers in ihrem sechsten Jahre unter der Leitung ihres Vaters*,
welcher in seiner Jugend Pianist gewesen war, und zeigte bald eine
so ausserordentliche Geschicklichkeit, dass sie mit acht Jahren schon
durch ihre Vertrautheit mit Beethoven's, Mendelssohn^, Tbalberg's*
nnd Prndeut's Werken allgemeines Erstaunen erregte. In diesem»
Alter verliees sie mit ihrem Vater aus politischen Gründen Venezuela«,
und kam naeb New -York. Hier. Hess sie sich vor Gottsc'halk
boren, welcher von der kleinen Teresita so entzückt war, dass er
sofort ihre Ausbildung übernahm. Sie gab in New -York sieben.
Concerte vor einem enthusiasmirten Publikum in der kürzlich ab-
gebrannten Akademie der Musik. Sodann conoertirte sie in Boston,,
unterstützt von der philharmonischen Gesellschaft, deren Präsident,
ihr als Anerkennung ihre« Talentes eine goldene Medaille überreichte.-
Dies geschah im Jahre 1863. Im selben Jahre ging Teresita nach»
Havanna, mit dringenden Empfehlungen von Gottschalk, und wurde
auch dort mit Enthusiasmus aufgenommen. Nun beschlossen ihre
Eltern, sie in Europa auftreten zu lassen, und schifften sich an Bord;
der „ City of Washington"' nach Liverpool ein. Der Dampfer hatte
jedoch kaum den Hafen verlassen, als er auf eine Sandbank lief».
doch kam er wieder los und setzte die Beise mit 250 Passagieren
fort. Am zweiten Tage der Beise jedoch wurde der Dampfkessel
untauglich; man hisste also die Segel auf, uud das Schiff lief vor
dem Winde ohne Dampf. Am siebenten Tage erhob sich ein Sturm*.
des Schiff verlor sein Steuerruder und trieb zwölf Tage lang gänz-
lich hülflos auf dem Ocean umher. Endlich .wurde der unglückliche
Dampfer von dem Schiffe „Propontis" angerufo», dessen Capitäiv
auch die 250 Passagiere an Bord nahm , jedoch ohae Gepäck , so
dass dieselben die , City of Washington^ verlassen mussteh., wie
sie eben gingen und standen. Aber auch an Bord, der Proponti*
waren die Unannehmlichkeiten, welche die junge Teresita zu bestehen
hatte, noch nicht am Ende, denn auch dieser Dampfer hatte Schaden
an seiner Maschinerie gelitten und inusste sich auf seine Segel ver-
lassen; dazu kam noch, dass der Zuwachs von 250 Passagieren den
Capitäu nöthigte, die Bationen zu verkürzen. Endlich kam das Schiff
in Liverpool an, von wo sich jedoch Teresita mit ihren Ehern ohne
Aufenthalt nach Paris begab und dort, wie bekannt, den grössten
Beifall erndtete.
V Die „Niederr. M.-Z." bringt in ihrer Nummer vom 9. Juni
eine Aufzählung der am Stadttheater in Cöln vom 1. Januar bis.
16. Mai d. J. stattgefundenen Opernaufftthrungeo und fügt am
Schlüsse bei: „Im Ganzen genommen hat sich Cöln seit Jahren nicht
eines so guten Theaters, sowohl was das Bepertoir als die Ausfüh-
rung und Ausstattung betrifft, zn erfreuen gehabt als in der jetzt
vergangenen Saison. Herr Director Ernet hat dasselbe zu einer
Höhe ersten Banges unter den nicht von Hofcassen unterstützten *
Theatern erhoben, und hat in Voiführung neuer Opern und neuer
Einstudirung älterer (z. B. Gluck's „Iphigenie") sowie in glänzender
Ausstattung derselben mehr gethan als manches Hoftbeater.
V Die berühmten Quartettisten Gebrüder Müller aus Mei-
ningen sind nach Wiesbaden übergesiedelt und haben dort bereit»
zwei Soireen angekündigt, an welchen auch der frühere Hannover-
sche Capeltmeister Bernhard Scholz als Componist und Pianist
sich betheiligen wird. (Die erste dieser Soireen hat unter Bethei-
ligung der Pianisten Gebrüder T h e r n stattgefunden und äusserst
beifällige Aufnahme gefunden.)
V" Der Componist Flotow hat vom Kaiser von Mexiko dae
Commaudeurkreuz des Guadeloup-rOrdeuB erhalten.
Veranho. Rtd, Ed. Fötkerer. Druck *. Cari Wällau, Main**
15. Jahrgang.
JW* 98.
9. Juli 1866.
SUDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
r
■vf
:
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
; Man abonnirt bei allen Post-
ämtern» Musik- & Buchhand-
lungen.
V@Hig
t^
von
B. SCHOTTE SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PBEIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
IIHALT: Was ist Musik? — Fanchon, das Leyermädchen. — Correspondenz : Stuttgart. — Nachrichten.
Was ist Jlusik?*)
Von
Bernhard Scholz.
Hat sie einen Gegenstand , einen Vorwurf zu behandeln , der
durch sie zum Ausdruck kommen soll, oder ist sie ein freies Spiel
der Phantasie in Tönen, reine Freude am Wohlklang?
Poesie, die allgemeine Kunst, spiegelt uns das ganze volle
Leben der Welt, so weit wir sie kennen. Die Malerei zeigt uns
die Schönheit alles Sichtbaren in Farbe und Linie; die Plastik
vorzugsweise den Adel der menschlichen Gestalt und des Geistes,
soweit er in dieser zur äusseren Erscheinung kommt. Was ist
MuBik ?
M u 8 i k offenbart uns im Wohlklang die Schön-
heit der menschlichen Seele; sie gibt dasreine
Empfindungsleben des Menschen, losgelöst vom
Ursächlichen, Gegenständlichen, durch das Me-
dium geordneter Töne, in analoger Bewegung mit
der Seele selbst.
Gleichwie aber der Bildhauer die Schönheit des Menschen an
einer einzigen Gestalt oder Gruppe zeigt, so wird auch der Ton-
künstler sich beschränken müssen. Einem jeden Kunstwerk ist ein
Mass gesetzt, und so kann auch er in einem solchen nicht das
ganze Empfindungslebeu, wie es sich in ununterbrochener Bewegung
forttreibt, offenbaren. Es kann ein Musikstück nur der Ausdruck
einer isolirten Empfindung oder Empfind ungsreihe sein, welche in
sich harmonisch beschlossen und abgegrenzt ist, — Stimmung.
Jede Empfindung, jede Erregung des Gefühlslebens ist Bewe-
gung, die von einem Punkte ausgeht, nach einer Richtung hin-
schwingt und, sofern sie zu einem befriedigenden Abscbluss gelangt,
durch eine dem ersten Ziel entgegengesetzte Schwingung nach dem
Ausgangspunkte zurückkehrt. Denn es gilt auch für die Seele das
physikalische Gesetz des Pendels. Ihm entspricht in der Musik
das Verhältniss der Tonica zu Unter- und Oberquint. Wir verlas-
sen die Tonica (C), iudem wir sie als Dominant betrachten und zu
deren Unterquint (F) hiuabschreiteu. Wollen wir das Gefühl der
durch diese Bewegung gestörten Buhe wieder völlig herstellen, so
ist es nöthig , die Dominant des Grundtones (G) zu berühren , ehe
vir auf diesem abschliessend Durch diesen einfachsten musikali-
schen Vorgang ist aus dem Tone oder dem Dreiklange C die Ton-
art G geworden. Die Tonart ist denn auch die einheitliche Grund-
lage und die Cadeuz das gedrängteste harmonische Schema jeder
musikalischen Schöpfung.
Den beiden Grundformen des Empfindungslebens, Lust und Un-
lust, entsprechen unsere heutigen beiden Tonarten Dur und Moll*
*) Westermann's illustrirte deutsche Monathefte, April 1866.
Diese allgemein als vortrefflich anerkannte Zeitschrift enthält in
demselben Aprilhefte einen Aufsatz: „Die Welle und das Ohr"
"Md Wilhelm Jordan, welcher insbesondere für Musiker von
hohem Interesse ist. Die Bed.
Die harmonische Grundlage, die modulatorische Gestalt eines Ton-
Stückes entspricht dem Wogen der Gefüblsintensität im Verlauf
eines seelischen Vorgangs. Wir können aber einen jeden solchen
unter zwei Gesichtspunkten betrachten : 1) in Beziehung auf die
Stärke der Erregung ; 2) in Beziehung auf die Raschheit oder Lang-
samkeit des Fortschreitens. Entspricht dem ersten der harmonische
Bau einer Composition, so ist dem andern das zweite Grundelement
der Musik, der Rhythmus, analog. So lange nicht diese beiden
Elemente der Tonkunst gleichmässig entwickelt waren, war sie auf
den Ausdruck eines kleinen Kreises von Empfindungsvorgängen be-
schränkt. Erst als dieselben in der höheren Einheit der Melodie
zusammeogefasst werden konnten, war die Musik befähigt, den gan-
zen Inhalt des menschlichen Empfindungslebens zu umfassen, den
Tanz der Seele zu begleiten.
Je tiefer und intensiver der Grad der Erregung ist, desto kräf-
>' tiger und kühner werden die Modulationen eines Tonstücks sein.
Je lebhafter die Bewegung, der Rhythmus der Seele ist, desto leb-
hafter der Rhythmus der Musik und umgekehrt.
Eine starke Empfindung, gesammelt und gefestigt in ruhiger
Bewegung, ist majestätisch, feierlich. Ihr entspricht die Fügung
starker Accorde und ein langsames Tempo, choralartig.
Hingegen findet Heiterkeit ihren Ausdruck im leichten Spiel
gefällig rhythmischer Figuren, ohne starke Bewegung der harmoni-
schen Grundluge.
Eine gewaltige Erregung, verbunden mit heftiger Aeusserung
derselben, verlangt gleich energische Führung in harmonischer wie
in rhythmischer Beziehung.
Lebhafte Freude und heftiger, leidenschaftlicher Schmerz äussern
sich beide in raschem Rhythmus, erstere jedoch auf dem Grunde
der Dur-, letztere der Molltonart»
Sanfte Trauer, stille Wehmuth will weiche Accorde, wechselnd
in Dur und Moll, ruhiges Zeitmass.
Es soll damit nicht gesagt sein, dass der Componist sich vor-
nehme, diese oder jene Empfindung, diesen oder jenen Seelenvor-
gang in Tönen zu schildern. Ganz im Gegentheil ! Er hüte sich
vor jeder bewussten Absicht dieser Artl Er lausche fromm und
hingebend dem Gesänge seiner Seele, singe, wie sie ihn singen
heisst, und habe kein anderes Bestreben, als seine musikalischen
Eingebungen möglichst abgerundet in ihrer Eigenart aus sich heraus
loszulösen und zu gestalten. Ist ihm dies gelungen, dann kann er
sicher sein, ein Stück wahrer Empfindung in Tönen niedergeschrie-
ben zu haben, und was von Herzen kam, wird zu Herzen gehen!
Wir haben oben die Melodie als die höhere Einheit, in wel-
cher Harmonie und Rhythmus sich begegnen, bezeichnet. Eine
schöne Melodie wird also beiden Anforderungen, sowohl die Inten-
sität als die Bewegung einer Empfindung künstlerisch gestaltet zu
haben, genügen müssen. Man wird vielleicht bestreiten » dass die
Harmonie in der Melodie enthalten sei; allein es dürfte doch un-
möglich sein, einen Gesang, ohne ihm Gewalt anzuthun und ihn zu
verunstalten, auf zwei in der Hauptsache verschiedene Weisen zu
— 110 —
begleiten; eine jede Melodie trägt nur eine einfachste, ihrem We-
sen völlig entsprechende Harmonie in sich.
Ist die Melodie der Ausdruck einer einfachen Empfindung, so
erfordert der Kampf mehrerer Empfindungen und deren Versöhnung
die Entwicklung breiterer musikalischer Formen , in welchen ver-
schiedene Melodien , welche sich erst gegensätzlich verhalten , in
„Beziehung zu einander treten, an einander sich in allen ihren Eigen-
thüralichkeiten entfalten, und schliesslich, indem ihr ganzer Inhalt
nach allen Seiten erschöpft wird , eine neue Einheit durch Ver-
schmelzung der Gegensätze darstellen.
Welch feines und zartes Eingehen in jede Regung menschlicher
Empfindung uns heut zu Tage die Ausbildung der musikalischen
Kunst erlaubt, davon gibt der grösste aller Herzensbezwinger, Beet-
hoven, auf jeder Seite seiner Werke Belege. Er führt uns auf die
Höhen und in die Tiefen des ganzen menschlichen Gefühlslebens;
an seinen Werken kann der Psycholog selbst das Wesen des Hu-
mors , einer der coinplicirtesten Formen menschlicher Empfindung,
studiren. Wie oft entwickelt nicht der Meister aus schmerzlichen
und wehinüthigen Tönen scherzende, ja heitere Gebilde und führt
uns so von der Klage zur Beruhigung, aus dem Gefängniss der
Leidenschaft in das Reich der Freiheit! Und diesen ganzen seeli-
schen Vorgang können wir uns an seinen Schöpfungen, thematisch
analysirend, klar machen; wir können an der Hand der Kunst eines
der Räthsel menschlichen Fühlens lösen.
Man kann es dreist behaupten : Die Gesetze der musi-
kalischen Composition sind diejenigen der mensch-
lichen Empfindungsformen. Es ist Thorheit, den Grund
dieser Gesetze anderswo zu suchen, als in der Menschenseele selbst.
Das Klangmaterial liefert uns die Aussenwelt; das empfangen wir
als ein Gegebenes, durch physikalische Gesetze Bedingtes; allein
es ist unsere eigenste Empfindungsweise, welche schafft, dass wir
es gerade in dieser und nicht in anderer Weise verwerthen; haben
doch verschiedene Völker verschiedene Tonsysteme ! Die Akustik
sagt uns, dass die Intervalle der Octave und Quinte in einfachsten
Scbwingungsverhältnissen zu einander stehen ; *) aber dass wir sie
deshalb als Consonanzen empfinden, ist damit nicht erklärt, — wir
empfinden sie eben einfach als solche. Vielleicht ist im Laufe der
Zeiten die Physiologie einmal im Stande, eine wirkliche Erklärung
zu geben — vielleicht!
Wir haben die Musik als die Kunst, welche uns die Schönheit
der menschlichen Seele durch Töne offenbart, als die Herzenskün-
derin bezeichnet, und diesem herrlichen Beruf gegenüber, dem sie
so vollständig genügt, wagt man es, sie herabzuwürdigen zur Nach-
äfferei der Aussenwelt ; man muthet ihr zu, Ereignisse , ja Biogra-
phien zu erzählen, man missbraucht sie, um Vorwürfe darzustellen,
denen sie niemals genügen kann, die ein Pinselstrich, ein Wort
besser ausdrücken, als stundenlange Symphonieen; man wagt es zu
behaupten , wie leerer Tonklingelei gegenüber der Musik nun erst
ein würdiges Ziel gesteckt werde, dadurch, dass man sie in den
Dienst des Gedankens nehme. Ist es nöthig, solche Thorheiten zu
widerlegen? Gewiss nicht! „Aber Beethoven hat Programm-
Musik gemacht," wird man einwenden : »Die Pastoralsymphonie,
das Dankgebet des Genesenen, die Schlacht bei Vittoria ! a — —
Gemach , gemach ! Wir haben oben gesagt , die Musik offenbare
das Gefühlsleben , losgelöst vom Gegenständlichen , Ursächlichen.
Damit ist nicht geleugnet, dass bestimmte äussere Einwirkungen
Empfindungen so bestimmter Färbung erzeugen, dass deren Wieder-
gabe unwillkührlich den Gedanken an ihre Veranlassung nahe legt,
ja hervorruft. Dahin gehört z. B. die Stimmung, welche sich im
ersten Satze der Pastoralsymphonie ausspricht. Beethoven hat aber
auch damit nicht mehr als eben eine Stimmung geben wollen und
sagt es ausdrücklich in der Ueberschrift. Auch die „Scene am
Bach" gibt nicht mehr; doch wirken in diesem Stücke von Aussen
herangebrachte und von dem Musiker verwerthete Motive mit : Na-
turrhythmen und Naturtöne. Haben wir es aber mit einer blossen
Nachahmung derselben zu thun ? — O nein ! Am Ufer des Baches
im Schatten gelagert, hörte der Dichter den leisen Gesang der Wel-
len ; der bezauberte seine Seele und zog sie fort, bis sie in glei-
chem Rhythmus mitsang ; allmälig sang und klang ihm Alles : das
*) D. h. die absolut reinen Intervalle; die Schwingungen der
temperirten Quint stehen zu denen der Octav in sehr complicirtem
Verhältnisse, ein Beweis mehr für die nachfolgende Behauptung.
leise Leben und Weben des kleinen Volks im Gras, das Rauschen
der Blätter; der Chor wurde immer voller und voller, bis zuletzt
auch die befiederten Sänger in den Zweigen einstimmten in das Lied
von der Schönheit und der Liebe unser Aller Mutter Erde. Sang
es der Bach ? Sangen es Insecten und Vögel ? — Gewiss ! — Sie
singen es noch fort und fort an jedem schönen Sommertag, aber
nur in Beethoven's Seele gestaltete es sich zum zweiten Satze der
Pastoralsymphonie ; er gibt uns seine Empfindung, nichts weiter.
Wir wären andernfalls genöthigt , in dem Kuckuck einen Compo-
nisten und Mitarbeiter Beethoven's anzuerkennen.
Diese Einwirkung von Aussen herangebrachter musikalischer
Motive tritt noch mehr hervor in den folgenden Sätzen : In dem
Bauerntanz, im Gewitter und in dem Gesang der Hirten. Wir dür-
fen auch nicht leugnen , dass diese drei Theile nicht aus musika-
lisch-psychologischer Notwendigkeit mit einander verbunden sind.
Wo man aber, wie in der Pastoralsyrophonie , so reichlich entschä-
digt wird durch die Schönheit der einzelnen Theile , da kann mau
sich die etwas lose Verknüpfung derselben nach poetischen, statt
musikalischer Beweggründe schon gefallen lassen. Wie gewaltig
ist nicht das Gewitter ! — »Nun, ist dies nicht Programmmusik im
eigeutlicken Sinne des Worts?" — Nicht so ganz! Die entfesselte
Natur in Donner und Sturm singt allerdings grossartige Weisen,
aber nur in der Seele des Dichters werden sie zu menschlicher Mu-
sik. Gleichwie Homer Helena's Schönheit durch den Eindruck, den
sie auf die'Versammlung der Greise macht, versinnlicht, so schildert
uns Beethoven die Gewalt des Gewitters in dem Eindruck desselben
auf das Gemüth, in der unheimlichen Angst, die dem Losbruch vor-
hergeht, in dem Entsetzen, den dieser hervorruft, und in dem Ge-
fühl der Befreiung von dem Druck, den wir empfunden, wenn es
vorüber ist. Die wilden Töne der Natur haben dem Künstler wohl
Motive zur Benutzung geliefert , aber er hat sie zu festen, musika-
lischen Gestaltungen, zu Themen umgebildet. Die Musik des Stur-
mes hat, um mit Beethoven zu sprechen, Funken aus des Mannes
Seele geschlagen, Gedankenblitze, — und die sind's, die so herrlich
leuchten und auch dies Werk unsterblich machen. Es streift aller-
dings an die Grenzen der Tonkunst, bewegt sich aber noch völlig
innerhalb derselben. Was nun „Das Dankgebet des Genesenen"
betrifft, so thut die Ueberschrift dem Verständniss dieses Stückes
nichts ab noch zu. Mendelssohn hat ganz Recht zu behaupten,
dass die Musik das, was sie sagen kann, viel genauer sagt, als alle
Worte vermögen. So erschliesst auch diese Ueberschrift keinen
verborgenen Sinn und löst keine Räthsel. Wer das Stück nicht
ohne dieselbe versteht , versteht es auch nicht mit derselben ; für
das Werk selbst ist sie überflüssig. Uns aber, die wir nicht blos
das Werk, sondern auch den Meister lieben, ist sie werthvoll aus
persönlichem Interesse, weil wir durch sie erfahren, wann und unter
welchen Verhältnissen Beethoven diese wunderbare Stimmung durch-
lebt hat.
Was nun die „Schlacht bei Vittoria" betrifft, welche eiu wirk-
liches und eigentliches Programmstück ist, so liefert grade das
Schicksal dieser Composition den schlagendsten Beweis dafür, dass
selbst ein Riesengeist einem Werke dieser Gattung keine Lebens-
kraft zu verleihen wusste.
Wir bedürfen nicht der Worte, um gute Musik zu erklären;
hingegen bestimmt Musik im Gesang den Sinn der Worte genauer.
Diese sind vieldeutig — Töne nicht. Derselbe Text kann öfters
und verschieden componirt werden, denn Worte lassen verschiedene
Auffassungen zu ; aber nur eine Composition wird ganz im Sinne
des Dichters sein , genau seiner Empfindung entsprechen. Wenn
dennoch dasselbe Musikstück bei verschiedenen Hörern verschiedene
Eindrücke hervorrufen kann, so ist dies einfach so zu erklären,
dass eben der Eindruck nicht die Composition selbst ist, sondern
das Product derselben mit der Person des Hörers. Die Empfindungs-
formen, die sich im Kunstwerk rein darstellen, mischen Bich im
empfangenden Individuum mit gleichzeitigen Vorgängen des Gefühls
und des Verstandes in diesem und erzeugen so bei ungleichen Be-
dingungen ungleiche Resultate.
Musik ist dadurch, dass sie direct auf das Gefühl wirkt, die
mächtigste aller Küuste. Erfüllt der Musiker seinen Beruf in Würde
und Weihe , offenbart er wirklich die Schönheit der Seele , so
wirkt er segenbringend und veredelnd. Wie oft aber wird die
Sprache der Musik zur Sprache zügelloser Leidenschaftlichkeit oder
- 111 -
«üsslicher Sentimentalität entwürdigt! Wird denn der Staat immer-
fort gestatten, dass die heranwachsende Generation, die Hoffnung
-seiner Zukunft, theils in Sinnlichkeit zerrüttet, theiis in falscher
Empfindsamkeit abgeschwächt wird? Niemand fällt es bei, die be-
lebende Wirkung kriegerischer Musik am Tage der Schlacht zu
bestreiten, aber man lächelt über die Behauptung, dass in vielen,
auch in den weitesten Kreisen das Gefühl der Jugend durch schlechte
■Musik systematisch vergiftet wird. Und doch ist es so !
Die Kunstübung lässt sich allerdings nicht unter Censur
«teilen ; aber die Aufsicht über den Unterricht sollte sich der
Staat auch in Beziehung auf die Musik , dies wichtige Bildungs-
mittel, nicht nehmen lassen. Er sollte als Lehrstoff nur Gesundes
und Gediegenes gestatten, nur tüchtigen Menschen und Künstlern
'das Lehren erlauben und strenge Aufsicht führen. Eine Jugend,
*lie ausschliesslich mit kräftiger musikalischer Kost auferzogen würde,
gäbe ein ganz anderes Volk, als wir es leider bis heute sind.
Fanchon« das I^eyerinttdchen.
Paris hat von jeher seine Strassensänger gehabt, die sich am
Ende des letzten Jahrhunderts ausserordentlich vermehrten, und unter
denen sich manche origiuelle Erscheinung befand, deren Andenken
eich lange Zeit im Publikum erhielt. Zu diesen zählt Fanchon,
das Leyermädchen , die schöne Savoyardin, welche lange Zeit der
Liebling der Pariser war.
Wenn irgend eine Heirath zwischen hochgestellten Personen
stattfand und die Neuvermählten ibre Livreen und die Wappen ihrer
Familien auf den Boulevards zur Schau stellten, da wurden sie der
Anziehungspunkt für die dort Promenirenden, und es bildete sich
«lsbald ein Areopag von jungen Elegants, welche die Persönlichkeit,
den Schmuck, die Toilette der Neuvermählten einer strengen Kritik
«unterwarfen. Mitten in einem solchen Kreise pflegte dann das
.Leyermädchen Fanchon zu erscheinen, wohl ausgerüstet mit Couplets,
die dem Range des neuen Ehepaares angemessen waren, und dieses
belohnte dann die muntere Sängerin mit einer Börse voll Gold,
die sie in ihrer Mousselinschürze auffing , oder die man ihr auch
wohl in 'ihre Wohnung schickte. Dort trafen sich auch häufig die
vornehmen Herren, tranken Cider oder Champagner und überliessen
«ich der ungezwungensten Heiterkeit. Die Elite des Adels , die
■Schöngeister und Chansondichter versammelten sich bei der schönen
Savoyardin, welche sie mit unnachahmlichem Talente auf ihrer Leyer
feegleitete und ihr Gedächtniss mit den auserlesensten dichterischen
Hervorbringungen bereicherte, die sie dann auf den Boulevards wieder
zu ihrem Vortheile zu verwerthen wusste.
Sie war so sehr in der Mode, und ihr Vermögen wuchs dabei
so bedeutend, dass sie Besitzerin des Hotels wurde, in welchem sie
wohnte, und noch eine bedeutende Summe bei einem Notar hinter-
legt hatte. Fanchon besass ein vortreffliches Herz, und was sie mit
der einen Hand einnahm , verschenkte sie oftmals wieder mit der
anderen. Man erzählte sich eine Menge solcher Beispiele , welche
ihre Beliebtheit immernoch vergrösserten. Hier nur eines derselben:
Wie gesagt, pflegte Fanchon jeden Abend auf dem Boulevard
der kleinen Theater die Lieder der gewandtesten Dichter zu singen
und die gedruckten Texte derselben zu vertheilen , welche sie in
«iner reich gestickten Tasche , die sie neben ihrer Leyer anhängen
hatte, mit sich trug. Sie blieb häufig vor einem Spezereiladen stehen,
dessen Eigenthümer durch seine offene und heitere Miene einnahm,
und dem Fanchon gerne einige neckische Bemerkungen zurief. Die
Unterhaltung schloss stets mit einem ihrer hübschesten Stückchen
-auf der Leyer, wofür Fanchon ein kleines Geldstück bekam, mit dem
man sie grossmüthig zu bezahlen meinte.
Eines Tages blieb die schöne Savoyardin wieder vor dem Spe-
zereiladen stehen. Der Eigenthümer erschien nicht bei dem Klang
ihrer Stimme, die er soust so gerne hörte, und sie glaubte selbst
an den Ladenburschen eine gewisse Traurigkeit wahrzunehmen. Sie
sog Erkundigungen ein und erfuhr, dass der wackere Mann, dessen
Vertrauen man missbraucht hatte, sich nun ausser Stand sehe, seinen
Verpflichtungen gegen seine Gläubiger nachzukommen. — Am näch-
sten Morgen erschien Fanchon's Notar bei dem Kaufmann und theilte
ihm folgendes mit: „Eine Person , welche unbekannt zu bleiben
wünsche, habe Keontniss von seiner Lage erhalten, and da ihre Ver-
hältnisse ihr erlauben, hie und da ehrlichen Leuten zu Hülfe na
kommen, so wolle sie ihn aus setner Verlegenheit ziehen. Er sei
beauftragt, ihm die Summe von 30,000 FrB. zur Bezahlung seiner
Schulden zur Verfügung zu stellen, und er möge selbst die Zeit
bestimmen, wann er dieselben zurückbezahlen wolle."
Der Kaufmann, ganz verblüfft von diesem Glücksfall, stellte
drei Wechsel von verschiedener Verfallzeit aus, und drückte sein
inniges Bedauern aus, dass er seinem unbekannten Wohlthäter, der
ihn vom Ruin gerettet, nicht seinen Dank ausdrücken könne. Er
löste seine Verbindlichkeiten mit der grössten Gewissenhaftigkeit.
Uebrigens hatte der ganze Vorfall seine Neugierde auf das Höchste
gespannt, und ein ganzes Jahr lang bemühte er sich vergeblich, die
Lösung dieses Räthsels zu finden, bis endlich eine Unvorsichtigkeit
des Notars oder irgend ein anderer Umstand ihm die Wahrheit ent-
hüllte. Eines Tages, als Fanchon auf dem Boulevard du Temple
sang, drängte sich der Kaufmann durch die sie umgebende Menge
und drückte ihr mit bewegter Stimme öffentlich seinen Dank aus.
Die schöne Sängerin wurde natürlich der Gegenstand einer lebhaften
Ovation.
— ooo<
CORRESPONDENZEN.
Aus Stuttgart.
Anfangs Juli.
Den Schluss unserer Frühlingssaison bildete, wie es unter die-
sen Umständen fast geboten schien, eine Aufführung zu patrioti-
schem Zwecke , welche der Singverein im Museumssaale veran-
staltete, und deren Programm auch der Zeitstimmung nicht nur
nicht widersprach, sondern theilweise sogar mit besonderer Rück-
sicht darauf gewählt war. Neben Schuberts vollständiger Mu-
sik zu „Rosamunde" und drei prachtvollen Scenen aus Bruck's
„Fritjofsage fanden nämlich den begeistertsten Anklang die impo-
santen Kraftstellen in S c h u m a n n's Ballade »Sängers Fluch,*
welche im letzten Concerte wegen plötzlicher Erkrankung eines
Solosäugers ausgefallen war, diesmal aber zu desto zündenderer
Wirkung gelangte, und zwei Lieder von L. Stark „Soldatenlied"
und „Wer ist frei?" deren Erfolg schon durch ihren treffenden Text,
sowie durch die Begeisterung des Sängers gesichert war; das zweite
musste auf stürmisches Verlangen wiederholt werden. Auch die
übrigen Solisten, obschon sämmtlich Dilettanten, und der zahlreiche
Chor leisteten durchweg Vortreffliches ; nur die gewitterschwüle
Temperatur jenes Abends erschwerte sowohl den Ausführenden ihre
Aufgabe, wie sie auch auf die Frequenz etwas nachtheilig gewirkt
hatte. t.
Nachrichten.
MaiDZ. Im hiesigen Stadttheater fanden von Anfang September
1865 bis Ende Mai 1866 im Abonnement 150 , ausser Abonnement
25 Vorstellungen statt; davon treffen 91 auf das Schauspiel und 84
auf die Oper. Man gab 39 verschiedene Opern, darunter eine neue
(Bruch'« „Loreley"), ein Opernfragment, 86 Schau- und Trauerspiele
(darunter 6 neue), 54 Lustspiele (13 neue), 20 Vaudevilles und Possen
(4 neue), im Ganzen demnach 150 verschiedene Stücke und Opern.
Von cl assischen Werken wurden gegeben : 6 Stücke von Shakespeare,
1 von Moreto, 1 von Moliere, 2 von Lessing, 5 von Göthe, 6 von
Schiller; 4 Opern von Mozart, 1 von Weber und 1 von Beethoven.
— Liedertafel und Damengesangverein veranstalten am nächsten
Sonntag ein Morgenconcert zum Besten des Hülfsvereins für ver-
wundete Krieger.
Wien. Im Laufe des Monats Juli , vom 2. bis zum 31. d. M.,
finden am Conservatorium die öffentlichen Prüfungen in sämmtlichen
Lehrfächern und Classen statt.
— Die zu einem patriotischen Zwecke im Volksgarten stattge-
habte Production des Männergesangvereins unter Mitwirkung des
S t r a u s «'sehen Orchesters ergab eine Reineinnahme von mehr ala
1000 fl.
- 112 —
— Der einbeinige Tänzer D o nato gastirt wieder im Carltheater.
— In einer Zusammenkauft der Vertreter von 26 Gesangvereinen
Wiens und der benachbarten Ortschaften, deren Vorsitz Hofcapeli-
meister Herb eck führte, hatte man beschlossen, am 15. Juli mit
gemeinschaftlichen Kräften ein grosses Musikfest im Prater zu veran-
stalten, dessen Reinertrag den „Wittwen und Waisen der im Kampfe
gefallenen österreichischen Krieger" gewidmet werden sollte; allein
man fand sich veranlasst, dieses Fest vorderhand auf unbestimmte
Zeit zu vertagen.
Paris. Di» Facaden des neuen Opernhauses sollen die Büsten
von berühmten Componisten zieren, und man hat hierzu folgende
Wahl getroffen: Adam, Berton, Boieldieu, Cherubini, Donizetti,
Herold, Lesueur, Mehul, Nicolo, Eossini, Verdi. Nach welchem
Prinzipe ist wohl diese Auswahl geschehen ? Wollte man blos fran-
zösische Componisten verherrlichen, wie kommen dann Donizetti,
Verdi, Rossini dahin, und wo bleiben dagegen Lully, Rameau,
Gretry, Halevy und Meyerbeer? Sollten aber die grossen Meister
des Opernfaches überhaupt vertreten sein, haben dann Mozart und
Gluck weniger Ansprüche auf Einreihung in die Zahl der Auser-
wählten als z.B. Adam und Donizetti? Es läge die Berücksichtigung
der genannten beiden Tonheroen um t>o näher, als man in neuerer
Zeit deren Opern wieder mit grossem Pomp vorzuführen für gut
befunden bat. Wir weisen z. B. hin auf die neuliche Aufführung des
„Don Juan" und auf die beabsichtigte Inscenirung der „Alceste"
an der gtossen Oper, abgesehen von den emioenten Erfolgen, welche
in den letzten Jahren das The'ätre lyrique mit den Opern Gluck's
und Mozart's erzielte.
London. Benedict hat wie alljährlich wieder ein Riesencon-
cert in St. James 1 Hall veranstaltet , welches von einem äusserst
zahlreichen und glänzenden Auditorium besucht war. Das Programm
enthielt die Kleinigkeit von etwa 50 (sage fünfzig) Nummern, wo-
bei die Bescheidenheit des Concertgebers zu bewundern ist, da nur
vier Nummern von seiner eigenen Composition waren. Die Damen
Vilda, Lucca, Tietjens undParepa, sowie die HH. San tley,
Gunz, Faure, Hohler, Gardon i, Bettini u. Sim s-R e e-
ves waren aufgeboten, neben welchen Mme. Goddard, die unver-
meidliche Pianistin, der Holz- und Stroh- Virtuose Bonnay, und ein
reizender Chor von jungen Damen , sowie der Knabe C o k e r als
Sopranist ihre besten Kunststücke losliessen. Wie viele Musikfreunde
in Deutschland besässen wohl den Muth und die Ausdauer, ein
solches Bandwurm -Concert von Anfang bis zu Ende anzuhören?
Solches vermag wohl nur ein englisches Publikum zu leisten.
— Sterndale Benett, der Dirigent der philharmonischen
Concerte, ist gesonnen, nach beendigter Saison von dieser Stellung
zurückzutreten, was im Interesse der Gesellschaft sehr zu beklagen
wäre.
*** Das neue Opernhaus in Paris. Unter all' den neuen
Bauwerken , welche die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch
nehmen, steht obenan die neue grosse Oper, die sich auf dem Boule-
vard des Capuzines erhebt. Dieser wirklich prächtige Bau, der an
Glanz und Luxus Alles überstrahlen soll, was in diesem Sinne bereits
geschaffen worden ist, wird vermuthlich erst im Jahre 1869 vollen-
det sein und seiner Bestimmung übergeben werden können. Es wird
zu dem Baue durchaus kein Holz verwendet; Eisen, Quadersteine
und Marmor bilden das ausschliessliche Material des grossartigen
Werkes, an welchem täglich tausend Arbeiter beschäftigt sind. Der
Staat hat dem Baumeister, Hrn. Garnier, fünfundzwanzig Millionen
zur Vollendung dieses Baues zur Verfügung gestellt; sechszehn Mil-
lionen sind davon bereits verausgabt; das Honorar des Baumeisters
ist auf 2 Prozent der Ausgaben festgestellt, so dass derselbe für die
Leitung des ganzen Baues fünfmalhunderttausend Francs empfängt.
Die auf fünfundzwanzig Millionen veranschlagten Kosten sind also
zu vertheilen : zwei Millionen für das Eisenwerk, acht Millionen für
Marmor und fünfzehn Millionen für Bildhauerarbeiten, sonstige künst-
lerische Ausschmückungen und das Steinwerk. Der künstlerische
Theil des Werkes erscheint somit als der kostspieligste, was nicht
in Erstannen setzen darf, besonders wenn man weiss, dass Künstler
wieGerdme, Pils, Boulanger, Boudry etc. mit den Malereien
für das Innere des Gebäudes beauftragt sind. Der verwendete Mar-
mor ist aus den Pyrenäen, aus dem Jura, aus Schweden und von
Carrara bezogen worden ; rechnet man hierzu noch : Onyx aus Algier,
Jaspis vom Mont-Blanc und schottischen Granit, so gewinnt man
eine ungefähre Uebersicht der verwendeten Materialien. Der her-*
vorragendste Punkt des Gebäudes wird die Höhe der Thürme von
Notre-Dame erreichen; die Versenkungen werden 17 Meter Tiefe
haben , die Bühne soll 17 Meter hoch werden , und oberhalb des
Vorhangs wird noch ein leerer Raum ebenfalls in der Höhe von 17
Metern frei bleiben. Diese bedeutenden freien Räume werden na-
türlich sehr wesentlich zur Schonung und bequemen Aufbewahrung
der Decorationen beitragen. Die Scene selbst wird 35 Meter tief
und 52 Meter breit werden. Die Logen werden sämmtlich von
Salons umgeben sein , die dreimal geräumiger sind als die Logen
selbst. Die Räume hinter der Scene, die für die Künstler bestimmt
sind : Balletsäle, Probezimmer, Garderobe u. s. w. haben sämmtlich
colossale Dimensionen und höchst zweckentsprechende Einrichtungen»
So ist z. B. für den Balletsaal ein Spiegel bestellt, der 10 Meter
hoch und 5 Meter breit, eine ganze Wand bedecken wird. Am linken
Flügel des Gebäudes, ausserhalb, ist eine überdeckte Auffahrt ange-
bracht, die speziell für den Kaiser vorbehalten bleibt. Der kaiser-
liche Wagen wird demnach auf einer massig steilen Erhöhung bis
an die erste Etage des Gebäudes anfahren können, wird sodann auf
einem ganz symetrischen Wege wieder abfahren und unmittelbar
unter der kaiserlichen Loge bis zum Schlüsse der Vorstellung Remise
nehmen. Unmittelbar um die kaiserliche Loge herum sind geräu-
mige Gemächer angelegt, die aus einem Vorzimmer, drei Warte-
Zimmer und einem grossen Empfangs - Salon bestehen, so dass der
Kaiser, wenn er Lust hat, während der Zwischenacte grosse Gesell-
schaften empfangen kann. Der grosse Salon wird mit vierundzwanzig
Marmorsäulen verziert werden, deren jede fünftausend Franken kostet»
Der kaiserlichen Loge gegenüber befindet sich die Loge für die
Herren Staatsminister, die ebenfalls einen besonderen Eingang haben
und mit grosser Pracht ausgeschmückt werden soll. (Leipz. Sign.)
*** Professor Lindhult in Hannover erhielt, nachdem in
einem Hofconcerte verschiedene Chöre von seinen Schülern und
unter seiner Leitung ausgeführt worden waren , vom Könige von
Hannover das Ritterkreuz des neugestifteten Ernst August - Ordens.
Frl. Üb rieh, welche in demselben Concerte mitwirkte, wurde mit
einem mit Brillanten und Perlen reich besetzten Kreuze beschenkt.
*#* Hans Blau, bisher Mitglied des kais. Hofopernorchesters
in Wien, ist als Concertmeister am Mozarteum in Salzburg
engagirt worden.
*** Das Victoriatheater in Berlin wird am 9. Juli der
Zwangsversteigerung unterworfen werden ; dasselbe ist gerichtlich
auf 440,663 Thlr. geschätzt.
%* Für die am 28. Juni beginnende Saison in Baden-Baden
sind folgende Künstlergrössen gewonnen: Clara Schumann,
Viardot-Garcia, Carvalho, Dulken, Vieuxt'emps,
Servais, Gebr. Ho lim es und W. Krüger.
*** Man schreibt aus Wien: An der künstlerischen Austattung
des neuen Operntheaters wird rüstig fortgearbeitet, v. Schwind
gedenkt das eine der Hauptbilder in der Loggia und das Gemälde
des Deckengewölbes im Laufe dieses Sommers zu vollenden, wobei
er von Mosdorf, der schon auf der Wartburg mit ihm gearbeitet
hat, unterstützt wird. Das nächste Jahr soll die Ausführung de»
zweiten Hauptbildes, der fünf Lunetten und der gesammten Orna-
mentik, somit der Vollendung des ganzen Werkes gewidmet sein.
Auch die Decorationsmaler sind eifrig mit der Herstellung der
neuen Prospecte etc. beschäftigt. Brioschi, dieser Meister in
seinem Fache, hat die vorzüglich gelungenen Prospecte zu „Fi-
garo's Hochzeit* vollendet. Neben ihm sind Joseph Hoffmann
und Grünfeld (bisher am Theater an der Wien engagirt) mit
Ausführung verschiedener Decoratiouen betraut.
*** Der König und die Königin von Belgien machen eine
Rundreise im ganzen Lande, bei welcher Gelegenheit in verschie-
denen Städten Musikfeste veranstaltet werden.
V Die Quartett gesellschaft in Mailand hat Concurrenz aus-
geschrieben für zwei Preisaufgaben, nämlich: 6 Lieder ohne Worte
für Pianoforte , und ein Concert in drei Sätzen für Pianoforte mit
Begleitung von Streichinstrumenten. Preise von 300 Frs. und 160
Frs. für jede der beiden Aufgaben; Einlieferung bis zum 15. No-
vember d. J. bei der Quartettgesellschaft „San Giovanni" in Conca,.
7, Mailand, unter den üblichen Formalitäten.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang«
W- 99.
16. Juli 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
f Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand
lungen.
? © c* II a g
^,„
tob
B.
4
PBEIS: ^
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
,, für den Jahrgang.
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ. U«* die Post b«*« ■.
\ 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co. jLv~~~~™^^ ^l
■■
INHALT: Stradella und die Contarini. — Literatur. — Correspondenz : Mainz. — Nachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
P. Richard.
I.
Unter diesem Titel hat die in Paris erscheinende musikalische
Zeitschrift „Le Mdnestrel' i vor einiger Zeit höchst interessante
Aufschlüsse über das Leben, Schaffen und tragische Ende des Com-
ponisten Alessandro Stradella mitgetheilt, welche, mit diplo-
matischen Actenstücken und Correspondenzen belegt , ein ziemlich
helles Licht auf die bisher unbekannten oder in entstellter Weise
geschilderten Schicksale dieses Oomponisten, sowie auf seine künst-
lerische Thätigkeit werfen, so dass ein Auszug aus den angeführten
Mitteilungen unseren Lesern gewiss nicht unwillkommen sein dürfte.
Stradella ist durch seine bekannte „Kirchenarie" in neuerer
Zeit sozusagen populär geworden. Auch die Bühne hat sich seiner
bemächtigt, und so wie vor mehreren Jahren Niedermeyer in
Paris, so hat in Deutschland Fl otow den italienischen Meister zum
Opernhelden gemacht. Was man bisher von demselben wusste, be-
schränkt sich auf das, was Bourdelot von ihm in seiner ,.Histoire
de la Musique et de ses effets" 1 ' gegeben und Fetis in seiner
„Biographie des Musiciens'* nachgeschrieben hat. In ihrer Mischung
von Wahrem und Falschem hat diese Erzählung eines Zeitgenossen
nach und nach immer mehr einen gewissen romanhaften Character
angenommen. Wir geben dieselbe wieder, wie folgt:
„Ein gewisser Stradella , ein ausgezeichneter Musiker , der in
Yenedig engagirt war, um die während des dortigen Carnevals so
häufigen Opern zu componiren, bezauberte nicht weniger durch seine
Stimme wie durch seine Compositionen. Ein venetianischer Nobile
Namens Pig . . . . hatte eine Geliebte, welche ziemlich gut sang; er
wollte, dass jener Musiker sie im Gesänge ausbilden und zu diesem
Zwecke in ihr Haus kommen sollte, was eigentlich dem Herkommen
bei den äusserst eifersüchtigen Venetianern gänzlich widersprach.
Nachdem dieser Unterricht einige Monate gedauert hatte, fanden
Lehrer und Schülerin sich gegenseitig so sehr für einander einge-
nommen, dass sie beschlossen, mit einander nach Born zu fliehen,
sobald sich eine Gelegenheit dazu darbieten sollte , was zu ihrem
Unglücke nur zu bald der Fall war, und so schifften sie sich denn
in einer schönen Nacht nach Born ein. Diese Flucht brachte den
«dien Venetianer zur Verzweiflung und er beschloss, sieb um jeden
Preis durch den Tod Beider zn rächen. Er lies» sogleich zwei der
berüchtigtsten Banditen kommen, die damals in Venedig zn finden
waren und kam mit ihnen überein, dass sie für den Preis von 800
Pistolen Stradella nachreisen und mit seiner Gefährtin ermorden
tollten ; er versprach ihnen überdies Ersatz der Beisekosten, bezahlte
die Hälfte des Lohnes voraus und gab ihnen noch genaue Instructionen
für die Ausführung des Mordes mit. Sie gingen* zunächst nach Neapel,
wo sie erfuhren, dass Stradella mit seiner Schülerin sich nach Born
hegeben habe, wo diese für seine Frau gelte. Sie zeigten dies dem
venetianischen Nobile an mit der Versicherung, das« sie ihre Opfer
I
nicht verfehlen würden, wenn sie dieselben noch in Born anträfen,
und baten ihn, er möchte ihnen ein Empfehlungsschreiben an den
venetianischen Gesandten in Born schicken, damit sie dort eines
Asyls Bicher wären. In Born angekommen, zogen sie Erkundigungen
ein und erfuhren , dass Stradella des Abends 5 Uhr in der Kirche
zu St. Jobann von Lateran ein Oratorium aufführen werde. Die
Banditen begaben sich dahin in der Hoffnung, dass sie ihren An-
schlag gegen Stradella auf seinem Wege nach Hause würden aus-
führen können. Allein der Beifall, den das ganze Publikum dem
grossen Meister und seinem Werke spendete, und der Eindruck, den
die Schönheit der Musik auf die Herzen der Banditen selbst machte,
verwandelte wie durch ein Wunder ihre Mordlust in Mitleid , und
sie stimmten darin überein, dass es schade wäre, einem Manne das
Leben zu rauben, dessen Musik ganz Italien zur Bewunderung hin-
reisse, so dass sie gleichzeitig den EntschluBss fassten, ihm das Leben
zu retten, anstatt ihn zu ermorden. Sie erwarteten ihn am Ausgange
der Kirche, beglückwünschten ihn zuerst wegen seines Oratoriums
und gestanden ihm dann , dass sie die Absicht gehabt hätten , ihn
zu erdolchen , um den venetianischen Nobile Pig .... zu rächen,
dass sie aber, bezaubert von seiner Musik, ihren Entschluss geändert
hätten und ihm nun riethen, gleich am nächsten Tage Born zu ver-
lassen und einen sicheren Versteck aufzusuchen, während sie Pig....
mittheilen wollten , Stradella sei am Tage vor ihrer Ankunft von
Born abgereist, damit jener sie nicht der Nachlässigkeit beschuldi-
gen könne. Stradella liess sich dies gesagt sein und reiste mit
seiner Geliebten nach Turin, wo die Herzogin von Savoyen damals
als Begentin herrschte. Die Banditen kehrten nach Venedig zurück
und versicherten dem Venetianer, dass Stradella Born verlassen habe,
um sich nach Turin zu begeben , wie sie ihm bereits mitgetheilt,
wo es viel schwieriger sei, einen Mord von Bedeutung auszuführen
als in anderen Städten Italiens, theils wegen der dortigen Garnison,
theils wegen der Strenge der Justiz , welche die Asyle , die den
Banditen als Zuflucht dienen, nicht sonderlich achte, ausser die bei
den fremden Gesandten.
Allein Stradella war damit noch nicht sicher, denn der edle
Venetianer sann auf Mittel, um seine Bache in Turin auszuführen,
und um ganz sicher zu gehen , engagirte er den Vater seiner ehe-
maligen Geliebten, welcher mit zwei anderen Banditen nach Turin
ging , um seine Tochter und Stradella zu ermorden. Er war im
Besitz eines Empfehlungsschreibens des Abbe 1 d' Estrade, damals
französischer Gesandter in Venedig, an den Marquis de Villars,
zur gleichen Zeit Gesandter Frankreichs in Turin. Der Abb6 er-
suchte den Marquis um seinen Schutz für drei Geschäftsleute, welche
sich einige Zeit in Turin aufhalten wollten ; es waren dies die Ban-
diten, welche dem Gesandten ihre schuldige Aufwartung machten,
und dann die Gelegenheit abwarteten, um ihr Vorhaben mit Sicher-
heit ausführen zu können. Allein die Herzogin-Regentin, welche von
StradelkVs Geschichte gehört hatte, liess die Frau in ein Kloster
bringen, indem sie wohl wusste, dass ein Venetianer eine derartige
Beleidigung niemals verzeiht, und nahm den Musiker in ihre Dienste.
Dieser wurde, als er eines Abends auf den Wällen von Turin spa-
- 114 -
zieren ging, von den drei Banditen angefallen, von denen jeder ihm
ein Dolcbstoss in die Brust versetzte, worauf sie sich bu dem fran-
zösischon Gesandten flüchteten , wo Bie ein sicheres Asyl fanden.
Diese That, welche von vielen Leuten, die ebenfalls auf dem Walle
spazieren gingen, mit angesehen wurde, machte anfangs so grosses
Aufsehen, dass alsbald die Thore der Stadt geschlossen wurden.
Als die Herzogin Nachricht davon erhielt, ordnete sie die Verfolgung
der Mörder an ; man wusste , dass sie sich bei dem französieren
Gesandten befanden, und verlangte deren Auslieferung. Allein dieser
entschuldigte sich, dass er dieselben ohne Befehl von seinem Hofe
nicht ausliefern dürfe, in Anbetracht der Privilegien, welche die
Gesandtschaftshotels als Asyle besässen. Diese Angelegenheit machte
in ganz Italien von sich sprechen. Der Marquis de Villars wollte
die Ursache des Mordanfalls von den Banditen erfahren , und diese
erklärten ihm auch den ganzen Hergang. Er schrieb desshalb an
den Abbe d'Estrade , welcher ihm mittheilte , er sei von Pig . . . .,
einem der vornehmsten Venetianer getäuscht worden; da nun Stra-
della nicht an seinen Wunden starb , liess de Villars die Mörder
entschlüpfen, deren Anführer der Vater der Geliebten des Nobile war,
und diese ebenfalls erdolcht haben würde, wenn sich ihm Gelegen-
heit dazu dargeboten hätte.
„Die Venetianer sind jedoch in einem solchen Falle unversöhn-
lich, uud Stradella konnte daher der Bache seines Feindes nicht
entgehen, welcher beständig Spionen in Turin unterhielt, um jeden
seiner Schritte zu verfolgen. Als daher der Musiker ein Jahr nach
seiner Wiederherstellung aus Neugierde mit seiner Geliebten, welche
sich Ortentia nannte, und die er dem Willen der Regentin ge-
mäss nach seiner Genesung geheirathet hatte, Genua besuchte, wurden
beide am Tage ihrer Ankunft daselbst in ihrem Zimmer ermordet,
und die Mörder flohen in einer Barke, welche sie im Hafen von
Genua erwartete , so dass man weiter nicht mehr davon sprechen
hörte. Auf diese Weise endete der ausgezeichnetste Musiker von
ganz Italien um das Jahr 1670."
So erzählt B o n n e t in seiner „Histoire de la musique et des
effets:' Paris, 1715. in 12°; p. 56— 65. Der Mediciner Baudelot,
ein Zeitgenosse Stradella's, der einige- der Personen, welche in die-
ser tragischen Geschichte mitspielten, selbst kannte, war gestorben,
ehe er seine Papiere, welche viel ungeordnetes Material enthielten,
ordnen konnte und auch sein jüngerer Bruder und Erbe starb vor
Beendigung dieser Arbeit , so dass diese auf seinen Erben Bonnet
überging , der endlich 1715 das oben angeführte Buch zu Tage
förderte, welches F6tis nicht mit Unrecht als ein unförmliches be-
zeichnet. Dies ist die , aus Wahrheit und Dichtung bestehende
Quelle, aus welcher alle nachfolgenden Schriftsteller, die sich mit
diesem Gegenstande beschäftigten, geschöpft haben, so in früherer
Zeit Hawking u. Dr. Burney , in neuerer Zeit Fetis,
Schilling u. A. Die persönliche Bekanntschaft Bourdelot's mit
mehreren betheiligten Personen und die Stellung dieser Letzteren,
sowie die widerlichen Umstände von denen die seltsamen Ereignisse
begleitet waren, machen es natürlich, dass Bourdelot nicht Alles
sagte, oder vielmehr sagen konnte: Heutzutage existiren keine
solchen Rücksichten mehr, die einfachen Thatsachen zu erzählen,
uud man muss höchlich erstaunt sein über die unangenehmen Ver-
wickelungen, welche, wie man sehen wird, die Ermordung eines
unglücklichen Musikers, zwischen den venetianischen Patriziern,
einer Herzogin von Savoyen und einem Könige von Frankreich
herbeiführte. Wir werden daher die Documente anführen, welche
ein unerwartetes Licht auf eine halberfundene Legende werfeu, und
Stradella wird darum um nichts weniger eine der hervorragendsten
musikalischen Grössen des 17. Jahrhunderts bleiben, weil wir seine
Geschichte auf die prosaische Wirklichkeit zurückführen ; auch
wird seiner Bedeutung als Musiker und seinen Compositionen ge-
bührend Rechnung getiagen werden.
Literatur.
vor, der eine grosse Anzahl von auf Musik etc. bezüglichen Apho-
rismen , Briefen , kleinen prosaischen Aufsätzen und Gedichten aus
alter und neuer Zeit, ohne irgend ein System bunt aneinandergereiht,
enthält uud dem Leser manches Interessante, wohl auch ihm noch
Unbekanntes in Poesie und Prosa darbietet. Sehr zu tadeln ist der
vollständige Mangel eines Registers, so dass ein Ueberblick über
den Gesammtinhalt oder eine freie Auswahl für den Leser geradezu
unmöglich gemacht ist.
Album der Malerei und Musik. Aus Altem und
Neuem gesammelt von Alice Salzbrunn. Leipzig,
1866. Verlag von Moritz Schäfer.
Unter diesem Titel liegt uns ein 361 Seiten starker Octavband
Kreuz- und Trostlieder von Friedrich Oser. 2.
sehr vermehrte Auflage mit Angabe der Compositionen,
1866, Verlagshandlung von Julius Niedner.
Für den Werth dieser Gedichte ernsten Inhalts, den ihnen ein
feiner poetischer Sinn, Gefühlstiefe bei ungezierter Aus drucks weise
und Bchöne, edle Form gewähren, gibt das beste Zeugniss die That-
sache, dass die meisten derselben von unseren besten Liedercom-
ponisten, viele sogar mehrfach in Musik gesetzt wurden, und soweit
dieselben gedruckt sind, auch in den weitesten Kreisen Verbreitung
gefunden haben. Nicht weniger als 56 Tondichter sind namentlich
angeführt, welche einzelne oder mehrere dieser Lieder für eine oder
mehrere Stimmen componirt haben, und wir möchten daher die ge-
haltvolle Sammlung sowohl den Freunden lyrischer Poesie überhaupt
als insbesondere den Liedercomponisten zur besonderen Beachtung
empfehlen.
Aus deutschen Sängerherzen. Gedichte von Hein-
rich Stein. Leipzig, bei Moritz Schäfer,
1866.
Diese kleine Sammlung recht hübscher Gedichte ernsten und
heiteren, zum Theil auch patriotischen Inhalts, welche sich sämmt-
lich sehr wohl zur Composition eignen, dürfte darum für Lieder-
componisten eine willkommene Erscheinung sein.
Liedersammlung für Töchterschulen. In drei
Heften herausgegeben von C. Heb ig. Bremen,
Verlag von A. D. Geisler.
Die drei Hefte enthalten 179 ein-, zwei- und dreistimmige Ge-
sänge mit einfachen Weisen und von den verschiedensten Meistern.
Es sind meistens wohlbekannte und allgemein beliebte Lieder,
welche für den Gebrauch in Töchterschulen passend eingerichtet
und für diese sowie für den Familienkreis bestens empfohlen wer-
den können.
Auswahl dreistimmiger Gesänge für Schule
und Haus, von H. Kurth. (Obiger Verlag.)
Diese kleine Sammlung enthält nur zwölf Lieder für drei
Knaben- oder Mädchenstimmen und sind als ihrem Zwecke voll-
kommen entsprechend anzuerkennen. Die drei Stimmen sind hier
nicht, wie in der vorhergenanuten Sammlung, in Partitur, sondern
jede Stimme einzeln gedruckt.
Einderschatz-Lieder. Erster Theil, enthaltend
120 Lieder aus H. Schulze undW. Steinmann's
Lesebüchlein und Kinderschatz, I. Theil ; mit Angabe
der dazu gehörigen Choralmelodien und mit zwei-
stimmigen Volksweisen versehen von Hermann KeyL
Dresden, Verlag von Louis Ehlermann.
Die 120 Lieder dieser Sammlung sind theils protestantischen
Choralmelodien, theils einfachen, recht hübschen Volksweisen, deren
manche für verschiedene Lieder gelten, angepasst und sind gleich
der Kurt'schen Sammlung für Schule und Haus recht gut anwendbar,
nur mit dem Unterschiede, dass sie die Kenntniss der bezüglichen
Choralmelodien und des angeführten Lesebüchleins und Kinder-
schatzes voraussetzen.
- 115 —
COBRSSPONDENZEK.
lus Mainz.
12. Jall.
Das von der hiesigen Liedertafel and dem Damengesangverein
am vergangenen Sonntag veranstaltete Morgenconcert zum Besten
des „Hülfavereins für verwundete Krieger", war ziemlich Btark be-
sucht und ergab, da nach der ersten Abtheilung des Concertes von
Jungen Dameu des Vereins unter der Zuhörerschaft für den ange-
gebenen Zweck noch besonders collectirt wurde , eine Reinein-
nahme von nahezu 700 fl.
Wenn nun auf diese Weise einerseits das Publikum seinen
Wohlthätigkeitssinn glänzend bewährte, so haben andererseits auch
-die concertgebenden Vereine unter der sorgfältigen Leitung ihres
Dirigenten, Hrn. Friedrich Lux des Anziehenden und Wohlge-
lungenen in reicher Abwechslung gar Vieles geboten.
Was zuvörderst die Leistungen des Chores betrifft, so wurden
•die zu Anfang der ersten Abtheilung gesungenen zwei Chöre aus
dem 15. und 16. Jahrhundert, nämlich „Ave Maria" von Arcadelt
und „Santa Trinita beata" nicht nur mit vollkommener Sicherheit
und Reinheit der Intonation, sondern auch geschmackvoll und mit
stylgemässer Einfachheit vorgetragen und riefen allgemeinen Beifall
liervor; ebenso am Schluss dieser Abtheiluog der Psalm für 4stim-
migen Frauenchor und Soli mit Ciavierbegleitung von Franz Lachner,
welcher in Folge feinerer und fertigerer Ausführung als bei dem
vorjährigen Musikfeste und in dem günstigeren Räume erst recht
zur Geltung kam. In der zweiten Abtheilung wurden zwei Lieder
für gemischten Chor von M, Hauptmann, nämlich „Abendlied tt von
Kückert und „ Sängerfahrt u von Eichendorff mit grosser Präcision
und hübscher Nüancirung vorgetragen, und der prachtvolle Schluss
des ersten Theils von Mendelssohn's „Elias," mit welchem das Con-
•cert schloss, ward mit wünschenswerthester Sicherheit und feurigem
Schwünge ausgeführt und mit stürmischem Beifall aufgenommen.
Ueber die Sololeistungen müssen wir uns, da dieselben grösstentheils
von Vereinsmitgliedern ausgingen, einer eigentlichen Kritik enthalten ;
dieselben bewiesen, dass neben den schon seit längerer Zeit aner-
kannten vortrefflichen Solisten der beiden Vereine sich auch jüngere
*ind bisher unbekannte Kräfte in recht anerkennenswerther Weise
hervorthuen, was auf das fernere Gedeihen und das aneifernde Selbst-
bewusstsein der Vereine im höchsten Grade günstig wirken muss.
Besonderes Interesse erregte das Auftreten der Frl. T i p k a,
welche als Coloratursängerin in den weitesten Kreisen vorzüglich
accreditirt ist und auch bei dieser Gelegenheit wieder durch den
Vortrag einer äusserst brillanten Arie aus , La Gazza ladra" von
Rossini ihre Meisterschaft im Coloraturgesang glänzend bewährte,
aber auch die von ihr freundlichst übernommene Sopransoli in dem
Lachner'schen Frauenchor mit achtem Gefühl und einfach edlem
Ausdruck wiederzugeben verstand. Rauschender Beifall und Hervor-
ruf wurden der geschätzten Künstlerin nach dem Vortrag ihrer Arie
zu Theil. Auch unser hoffnungsvoller Landsmann Hr. August
Ruff hat durch den verständnissvollen, Kraft und Weichheit glück-
lich verbindenden Vortrag der Tenorarie: „Wie eitel ist" aus Hän-
del^ „Judas Maccabäus" wieder bewiesen , dass er in Bezug auf
Stimmbildung wie auf Gesangsfertigkeit im beständigen Fortschritt
Gegriffen ist. Der lebhafte Beifall, der ihm gespendet wurde, mag
ihm beweisen, mit wie freudigem Antheil man im hiesigen Publikum
seine künstlerische Laufbahn verfolgt. — Die von Dilettanten vor-
getragenen Piecen waren : Duett für Mezzosopran und Bass aus M6-
hul's „Joseph und seine Brüder," Duett für zwei Sopranstimmen aus
„Jessonda" von Spohr und Duett für zwei Bässe aus „Israel" von
Händel. E. F.
me » >
Nachrichten.
Löwen. In Folge des im vorigen Jahre ausgeschriebenen
grossen , internationalen Concurses sind 76 Messen hier eingesandt
worden. Die Preisrichter, die sich in den Tagen des 18., 19. und
20. Juli hier zur Entscheidung versammeln, werden zu thun haben.
Zwei Preise werden gegeben : der erste von 1000 Frcs. und einer
goldenen, der zweite von 500 bis 700 Free, und einer vergoldeten
Medaille. Unter den Preisrichtern befinden sich ßerlioz, F6tis,
Gevaert, Gounod , F. Hiller u. A. Bei der nächsten Generalver-
sammlung des internationalen Congresses werden die gekrönten
Compositionen aufgeführt.
Paris. Kürzlich, fand hier ein von den bedeutendsten Sängern,
darunter Adelina Patti, veranstaltetes Concert für den Tenoristen
Matthieu statt, welcher, früher ein beliebtei Sänger, nun sein»
Stimme verloren und durch sein kürzliches Fiasco in der grossen
Oper höchst stürmische Auftritte veranlasst hat.
— • Mme. Ugalde ist nach ihren Wanderungen über verschie-
dene Pariser Bühnen wieder zur Opära comique zurückgekehrt und
dort als „Galathe'e" aufgetreten.
— Es hat sich ein Comit6 hiesiger Schriftsteller gebildet, um
dem verstorbenen Dichter M6ry ein Monument aus Privatmitteln
zu errichten. Der Kaiser hat bereits 1000 Frcs. beigesteuert, Graf
Bacciochi 500 Frcs.
— Am 27. Juni hat das Corps legislatif den neuen Gesetz-
entwurf über die Rechte der Erben von Autoren, Componisten oder
Künstlern angenommen. Hienach steht den Erben der Genuss des
Autoren -Antheils auf fünfzig Jahre nach dem Tode des Autors
zu. Alle bisherigen Bestimmungen sind aufgehoben.
— Das Corps legislatif hat dem italienischen Theater eine
Subvention von 50,000 Frs. für das Jahr 1866—67 und von 100,000
Frs. für 1867—68 bewilligt.
— Das The'ätre lyrique ist am 30. Juni mit „Don Juan" ge-
schlossen worden.
— Am 5. Juli waren in Folge der Nachricht von der Abtretung-
Venetiens an Frankreich alle Theater in Paris festlich beleuchtet.
— Die Gattin des berühmten Barytonisten Tamburini, geb.
Maria Gi via, ist am 10. d. M. in Moutretout- Saint -Cloud im
Alter von 65 Jahren gestorben.
London. Der hier mit Recht sehr beliebte Harfen virtuose Cb.
Oherthür gab im vorigen Monat eine Matinee in Willis 's Rooms f
welche ein auserlesenes Publikum und von diesem grossen Beifall
fand. Die von dem Concertgeber zu Gehör gebrachten eigenen
Compositionen waren: sein grosses Trio für Harfe, Violine und
Violoncell, ein Duo für zwei Harfen über Motive aus den „Huge-
notten" von dem Concertgeber und Mr. Trust, eine neue Solo-
Fantasie über Motive aus der „Afrikaneriu" und zwei Duo's über
Motive aus „Norma" und „Faust* von Oberthür und Aguilar,
welche Vorträge sämmtlich mit ausserordentlichem Beifall aufgd-
nommen wurden. Dazwischen erfreuten die Damen Miss Charlie r,
Miss Allen und Miss N o o r d e n durch den Vortrag einiger
Lieder und spielte Mr. Pollitzer Ernst's „Elegie" mit schönem
Erfolge, sowie auch Sigr. Farrauti eine „Tarantella" mit grossem
Applaus vortrug. Den Schluss der genussreichen Matinee machte
das effectvolle Fantasiestück für die Harfe über das Gebet aus
„Moses."
— In Her Majestys Tkeatre wurde Mozart's „Entführung"
gegeben mit den Damen Titjens und Sinico und den HH. Dr.
Ganz, Rokitansky, Stagno und Foli; die Aufführung war
eine vortreffliche und wurde nach einigen Tagen wiederholt. Auch
„Robert der Teufel" wurde ausgezeichnet gut gegeben. Faure hat
dieser Tage ein grosses Wagstück glücklich ausgeführt, indem er in
wenigen Stunden die Basspartie des Grosspriors in der „Afrikaner in*
lernte und spielte, an der Stelle des erkrankten Tagliafico, und
die Rolle des Nelusko an Graziani abtrat.
— Ja eil macht fortwährend Furore ; er trat zum vierten Mala
auf in dem 8. und letzten Concerte der Musical Union des Herrn
John Ella. Man ist ihm besonders für den Vortrag des Schumann*-
sehen Clavierconcertes Dank schuldig. Auch der vortreffliche Pianist
E r n 8 t Lübeck fand grossen Beifall.
— Frl. Marie Trautmann, eine ausgezeichnete Schülerin
von H. Herz, gewinnt jeden Tag mehr die Gunst des Publikums.
Im letzten Monstreconcert im Crystallpalast , welchem 12,000 Per-
sonen beiwohnten , spielte sie mit ausserordentlichem Erfolg daa
„Home, sweet home" und den Faust- Walzer von Jaell.
— Im Coventgarden-Theater hat Frl. Ar tot einen immensen
Erfolg erzielt in der Rolle der Rosine im „Barbier". Sie war schneit
herbeigerufen worden, um die unwohl gewordene Frl. Patti zu er-
setzen, und das Publikum verlor nichts bei dem Tausche. Die vor-
treffliche Sängerin überraschte and entzückte das Publikum durch
— 116 —
die Reinheit ihres Stjles und die Schönheit ihrer Stimme. In der
Gesangsunter riebts-Seene sang sie Variationen von Kode wundervoll,
musste das Andante wiederholen und wurde nach der dritten Varia-
tion hervorgerufen. Es war dieser Abend ein wahrer Triumph für
Frl. Artet.
*** Ungeachtet der ungünstigen Zeitverhältnisse ist der Bau
des neuen Theaters in Leipzig nicht unterbrochen worden Die
Hauptfronte ist nach dem Augustusplatz gerichtet, und bildet der
ganze Bau eigentlich eine Gruppe von drei Gebäuden, welche zu-
sammen eine Fläche von 51,980 Quadratfuss bedecken, wobei aber
der von dem Terassenbau , den Veranden u. s. w. eingenommene
Kaum noch nicht mitgerechnet ist. Das höhere Mittelgebäude ist
das eigentliche Theater. Es hat 160 Fuss Breite und 300 Fuss
Länge. Vier geräumige Treppenhäuser vermitteln den Eingang in
die Zuschauerräume. Das Auditorium selbst fasst in Parquet, Par-
terre, Parterrelogen und vier Rängen , wovon der zweite nur durch
Logen gebildet wird, deren sich auch im ersten befinden, in Summa
2000 Personen. Die Form des Zuschauerraums ist die in der Neu-
aeit am meisten bewährte eines Halbkreises, mit angesetztem, sich
wenig verjüngendem , aber tiefem Proscenium. Die Bühne ist so
.geräumig, dass auch grosse Volksscenen und Kämpfe mit zahlreichem
Personale darauf in Scene gesetzt werden können ; sie misst 7566
Quadratfuss. Die Bühnenöffnung ist 51 Fuss breit und 48 Fuss
hoch. Der Bühnenraum selbst aber ist behufs ungebrochener Auf-
ziehung der Hinter- und Z wisch engardinen über 100 Fuss hoch, und
unter ihm befinden sich 30 Fuss hohe Bäume für Versenkungen,
Maschinenräume u. dgl.
*** Von E. F. Richter's „Lehrbuch der Harmonie" ist bei
Breitkopf & Härtel in Leipzig soeben die sechte Auflage
erschienen, ein sprechender Beweis für den Werth des Buches.
%* Besonderes Aufsehen erregten in Paris ein junger brasiliani-
scher Pianist Alfred Bevilacque und der junge holländische
Orgelspieler M. de Lange, letzterer besonders durch seine
Pedalfertigkeit.
*** Zwei in Mailand kürzlich zur Aufführung gelangte Kriegs-
hymnen von Rovere u. Rossi sind so erbärmlich, dat»s man
nach dortiger Meinung durch deren blosses Absingen Oesterreich
sofort in die Flucht zu schlagen hofft.
*** Der Gesammtausschuss des deutschen Sängerbundes hat an
die deutschen Sangesgenossen einen Aufruf ergehen lassen, der in
verschiedenen politischen Zeitungen abgedruckt ist, und in welchem
an den Wahlspruch der Sangesgenossen erinnert wird: »Das ganze
Deutschland soll es sein." Unterzeichnet sind Beckh in Lindau,
Eiben in Stuttgart, Gerster in Regensburg, Hach in Trave»
münde, Hartwig ia Dresden, Held in Dresden, Holz in Strau-
bing, Kretzschmar in Dresden, Langer in Leipzig, Noak
in Dresden, Ochs in Magdeburg, Seile in Rendsburg, Stucken-
Schmidt in Brandenburg, Wiedemann in Stuttgart.
*** Mendelssohns Operette : »Die Heimkehr" wurde in Frank-
furt a. M. mit vielem Beifall aufgeführt.
\* Der Director S a 1 v i hat die Abert'sche Oper „Astorga"
zur Aufführung am Wiener Hofoperntheater angenommen.
*** In Hannover wird den Mitgliedern des Hoftheaters in Folge
des Druckes der kriegerischen Ereignisse vorläufig nur die halbe
Gage ausbezahlt.
*** Der Würzburger (nicht, wie mehrere Blätter melden, der
Augsburger) Sängerverein hat dem Herzog von Coburg alle seine
Compositionen und Briefe mit der auf der Adresse enthaltenen
näheren Bezeichnung: „werthlose Papiere", zurückgeschickt.
*„• Der frühere Director des Breslauer Theaters, Hr. G u n d y,
hat die Leitung des Josephstädter - Theaters in Wien übernommen.
*** In Hamburg wurde eine Operette mit dem sonderbaren Titel;
„Musikalische Nähmaschinen" aufgeführt und fand Beifall.
*** Frau Peschka-Leutner vom Hoftheater in DarniBtadt
wird nächstens ein Gastspiel am Hofoperntheater in Wien eröffnen*
Gegenwärtig gastirt dort Hr. Kachbau r, ebenfalls von Darmstadt.
Er trat zuerst als Arnold in „Wilhelm Teil" auf und wurde durch
lebhaften Beifall und wiederholte Hervorrufe ausgezeichnet. Seine
schöne, sympatisehe Stimme hatte das Publikum schnell für ihn
eingenommen, und da er gut musikalisch und ein leidlich guter
Sänger ist, so wird er sich wohl die bleibende Gunst desselben tu
erringen wissen.
*** Man schreibt aus Prag: Smetena's komische Oper „iVo-
dana nevesta" kam Mittwoch im böhmischen Theater zur ersten
Aufführung und drang entschieden durch. Das Publicum , schon
durch die Ouvertüre in die beste Stimmung versetzt, verfolgte den
Verlauf des Werkes mit lebhaftem Interesse , und die allgemeine
Befriedigung machte sich durch rauschenden Beifall und Hervor»
rufe, sowohl des Componisten, wie der mitwirkenden Kräfte Luft.
Gleich der erste Chor gefiel so sehr, dass er wiederholt werden
musste. Der Stoff der Oper ist für komische Situationen glücklich
erdacht und die musikalische Einkleidung stellt dem Talente Sme-
tena's abermals ein glänzendes Zeugniss aus.
*** Der erste Capellmeister am Actien-Volkstheater in München,
Hr. Conradin, wird im September d. J. diese Stelle verlassen, um
einem anderweitigen Rufe zu folgen.
%* Die Stadt Dijon veranstaltete am 1. und 2. Juli zur Ge-
dächtnissfeier des Componisten R a m e a u , der dort geboren ward,
ein grosses Musikfest.
*** Die Liedertafel in München hat die feierliche Einweihung
einer ehernen Gedenktafel, welche an dem Hause „zum Sonneneck "
in der Burggasse, in welchem Mozart während seines Aufenthaltes
in München gewohnt hat, angebracht werden soll, auf nächstes Jahr
verschoben.
*,* Das grosse Musikfest, welches am 15., 16. und 17. Juli in
Braunschweig stattfinden sollte, ist in Berücksichtigung der Zeit-
verhältnisse suspendirt worden.
*** Ein Hr. H o s t e i n hat das Privilegium erlangt , während
der grossen Weltausstellung im Jahre 1867 im Park des Marsfeldes
ein internationales Theater zu errichten , auf welchem die Meister-
werke aller Länder zur Aufführung kommen sollen. Als Admini-
strator hat Hr. Hostein sich Hrn. Raphael Felix beigesellt. So
erzählen französische Blätter.
*#* Der am Hoftheater in Carlsruhe engagirte Tenorist Stolzen-
b e r g ist durch Einberufung zur preussischen Landwehr seinem.
Berufe entzogen worden.
*** Hr. Commissionsrath Woltersdorff in Berlin hat die
Contracte mit den Mitgliedern seines Theaters einstweilen gelost
und diese spielen nun auf Theilung fort, wobei sie von Hrn. Wolters-
dorff in freundlichster Weise unterstützt werden. Auch die Mitglie-
der des Victoriatheaters sind entlassen worden.
*** Im 2. Bande von Hübner's vergleichender Statistik Euro-
pa's , der kürzlich erschienen ist, wird angeführt: Europa besitzt
1480 Theater, aber nur 298 verschiedene Truppen. Davon kommen
auf Frankreich 337 , Italien mit Venetien 348 , Spanien 168 , die
Grossbritania 159, Oesterreich 152, die deutschen Mittel- und Klein-
staaten 115, Preussen 76, Russland 44, Polen 10, Belgien 34, Nieder«
lande 23, die Schweiz 20, Schweden 10, Norwegen 8, Portugal 16^
Dänemark 10, Schleswig-Holstein 5, Griechenland 4, Türkei 4, Ru-
mänien 3 und Serbien 1. — Frankreich besitzt 61 regelmässige
Truppen , die kleinen deutschen Staaten 46 , Grossbritanien 89,.
Oesterreich 34, Preussen 32, Italien 24 und Russland 15. Die Städte,
welche die meisten Theater besitzen, sind: Paris mit 40, London
mit 26, Neapel und Mailand mit je 13, Rom, Brüssel und Turin
mit je 10 , Berlin , Wien und Florenz mit je 9 (in Wien sind die
Concertsäle mit inbegriffen) , Madrid, Venedig und Genua mit je 8^
Sevilla mit 4, Lisabon, Amsterdam, Hamburg, Petersburg, Bologna
und Verona mit je 5 Schaubühnen.
*** Die Wiener Künstler und Künstlerinnen sind unermüdlich
in Veranstaltung von Concerten und Abendunterhaltungen zum Besten
der verwundeten Krieger und ihrer Hinterlassenen. So veranstaltet
am 14. d. M. Frl. T e 1 1 h e i m in Vöslau eine musikalisch- declama-
torische Abendunterhaltung, deren Ertrag für das dortige Spital für
verwundete österr. Krieger bestimmt ist. Ausser der Veranstalterin
wirkeu bei dieser Production mit: Frl. Anna Müller, die HH*
B i g n i o, Director Hellmesberger und sein talentvolles Söhn-
chen, Richard Lewy, Baron R a o u 1 , J. Rubinstein und
L. A. Zöllner.
V Frau Kainz-Prause hat ihr« Stellung am Hofoperntheater
in Wien verlassen.
*** Das Hoftheater in Dresden machte am 18. Juni eine Ein«
nähme von 8 Thalern!
Verantw. Red. Ed. Fächer er, Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
w*o.
23. Juli 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DteseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen. .
4
Verlag
von
r
B.
■•
PREIS:
i fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
SCHOTT 'S SÖHNEN in MAINZ. Durch die Post bezogen :
i 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co. jU.
INHALT: Stradella und die Contarini. — Alte Gmündoer Volkssage. — Praw Musica. — Correspondenz : München. — Kachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
F. Richard.
II.
Nach Bourdelot's Erzählung hätten drei Anschläge auf das Leben
Stradella's stattgefunden ; der erste in der Lateraukirche in Rom,
wo die Musik Wunder wirkte, der zweite in Turin, wo Stradella
von den Banditen getroffen, aber glücklich wieder hergestellt wurde,
und der dritte in Genua, und hier hätte der Ueberfall dem Leben
Stradella's und der Bache des Venetianers ein Ende gemacht. Der
Mordanfall in Turin wird uns zeigen, was von dem Anschlag in Rom
zu halten ist. Wenn man die Docametite in ihrer chronologischen
I*olge nimmt, so wird sich die Reihe der Thatsachen umgekehrt
•eigen; es ist dies nicht zu ändern, denn es bandelt su-h darum,
materielle Beweise an die Stelle unsicherer Angaben zu setzen.
Die Reihe der bezüglichen Documente beginnt mit einer De-
pesche des Marquis de Villars, ausserordentlicher Botschafter des
Königs Ludwig XIV. am Hofe der Regentin Maria Johanna Baptieta
von Nemours, Wittwe des Herzogs Carl Emanuel II. von Savoyen.
In diesem Briefe vom 30. October 1677 schreibt der Marquis an den
französischen Minister des Auswärtigen, Arnault de Pomponne,*)
dass es ihm gelungen sei , sich bei der Regentin bestens in Gunst
zu setzen , dass aber dieses erwünschte Verhältuiss durch einen
eigentümlichen Vorfall leider einigermassen gestört worden sei. Es
sei nämlich vor ein paar Monaten einer der ersten Nobili von Ve-
nedig, Contarini genannt, mit vierzig seiner Leute uach Turin
gekommen, um einen Musiker zu verfolgen, der ihm seine Geliebte
entführt habe. Da er nun erfahren habe, dass dieser Musiker sich
in Turin in ein Kloster und seine Gefährtin in ein anderes geflüchtet,
so verlange er, dass das Mädchen den Schleier nehme, oder sich
mit ihrem neuen Geliebten vermähle, und dass diesem von der Re-
gentin verboten werde, vor Erfüllung der genannten Bedingung seine
Kunst auszuüben oder sieh öffentlich zu zeigen. Da nun auf das
Versprechen des Musikers hin, das Mädchen zu heirathen, demselben
grössere Freiheit gestattet wurde und er sogar mehrmals vor der
Regentin sich producirte, öffentlich spazieren ging und auch täglich
seine Geliebte in ihrem Kloster besuchte, so habe sich nicht nur
die Familie Contarini, sondern auch der Senat von Venedig dadurch
▼erletzt gefühlt und die Contarini schickten zwei Männer nach Turin,
welche den besagte u Musiker auf öffentlichem Platze mit Dolchstichen
anfielen und sich dann in das Haus des Marquis flüchteten. Die
Marquise, welche in ihnen die Mörder vermuthete, habe dies ihrem
im herzoglichen Palaste befindlichen Manne zu wissen gethan, wo-
rauf er, der Marquis, nach Hause geeilt sei, wo ihm die beiden
Leute zu seinem Erstaunen einen Brief von dem Abbe d'Estrades,
dem französischen Gesandten in Venedig, übergeben hätten. Des
) Wir geben der Kürze wegen nur den Hauptinhalt dieses und
anderer Documente. Die Bed.
folgenden Tages habe der Minister der Regentin ihm zugeredet, die
beiden Elenden den Händen der Gerechtigkeit zu übergeben; auf
die Versicherung des Marquis, dass ihm dies unmöglich sei, habe
man das Wort darauf gegeben, die Regentin wollte sich gerne den
Contarinfs gefällig erweisen, und wenn man die Verbrecher in eine
Kirche brächte, sollten sie nicht sterben. Die Banditen hätten aber
den Marquis versichert, dass sie nirgends sicher wären als bei ihm,
und da er dies auch von anderer Seite bestätigt gefunden und er-
fahren habe , dass der Minister die beiden Elenden nach wenigen
Stunden würde hinrichten lassen, so habe er vonLetzterem imNamen der
Regentin schriftliche Sicherheit für seine Schützlinge verlangt, die
ihm aber verweigert wurde. Er, der Marquis, habe der Regentin
nochmals persönlich Vorstellungen gemacht, welche auch mit ein-
verstaudeu schien, dass man die Banditen entwischen lasse. Allein
sie habe ihren Sinn wieder geändert, die Auslieferung der Schul-
digen verlangt, um sie hängen zu lassen; sie habe gebeten und ge-
droht, allein er habe auf dem Vorrechte der Gesandten bestanden
und sich auf den Empfehlungsbrief des Abbe d'Estrades berufen, der
ihm ein Beweis sei, dass sein König ein Gewicht darauf lege, den
Contarini's gefällig zu sein und daher unzufrieden sein würde, wenn
er, sein Gesandter, anders handelte.
Dieses ist der Hauptiuhalt der merkwürdigen Depesche. Zu
sehen, wie ein Glied einer der vornehmsten Familien Venedigs die
Entführuug seiner Geliebten zum Gegenstand der allgemeinen Auf-
merksamkeit macht und sie mit 40 Leuten seines Gefolges durch
ganz Italien verfolgt, Minister und Gesaudte wie in einer Staatsan-
gelegenheit inBewegung setzt, Mörder absendet und ihnenEmpfeblungs-
briefe mitgibt, ist für unsere heutige Zeit allerdings ein seltsames
Schauspiel, und wirft nebst manchen anderen Vorkommnissen in der
Geschichte Stradella's ein gar eigenthümliches Licht auf die gute
alte Zeit. Bei den Heirathen der venetianischen Patrizier waren
in der Regel Familienrücksichten massgebend , und die Mädchen
wurden vou Kindheit an in den Klöstern erzogen, von wo man sie
an den Traualtar führte, um dort sehr häufig den künftigen Gatten
zum ersten Male zu erblickeu. Die Frauen von Stand lebten sehr
zurückgezogen, und zeigten fast nie ihr Angesicht unverhüllt, selbst
nicht in der Kirche, der einzige Ort, wo sie sich überhaupt öffent-
lich sehen Hessen. Dagegen waren die ungesetzlichen Verbindungen
etwas so Gewöhnliches, dass die Frauen meistens in gutem Einver-
nehmen mit ihren Nebenbuhlerinnen lebten, und die Männer auf
diese Weise die Mängel, welche sie an ihren Gattinnen fanden, er-
setzen konnten. Es war dies eine so allgemein eingeführte Gewohn-
heit, dass Niemand etwas Schlimmes dabei dachte. Was den Stolz
und die Rachsucht der Venetianer des 17. Jahrhunderts betrifft, so
sind dieselben Jedem bekannt, der irgend sich um jene Verhältnisse
bekümmert hat, und fast jeder veuetianische Patricier hatte Leute
in seinem Solde, die vor keiner Missethat zurückschreckten, wenn
sie nur genügend bezahlt wurden. Dazu kam, dass das Asylrecht
in hohem Grade ausgebreitet war. Kirchen, Klöster, die Paläste
der Cardinäle und Gesandten, ja ganze Stadtviertel dienten als Stätten
der Zuflucht oder vielmehr der Straflosigkeit für Verbrecher jeder Art
118
Dieses Torausgeschickt, wird es unsern Lesern von Interesse
sein, den Empfehlungsbrief, den der französische Gesandte in Venedig
den gegen Stradella ausgesandten Mördern an seinen Colleges, den
französischen Gesandten in Turin, mitgab, nach seinem Wortlaute
kennen zu lernen. Er lautete folgendermassen :
An den Herrn Marquis de Villarg, ausserordentlicher Gesandter
des Königs in Turin.
»Mein Herr ! Da ich mir erlauben darf, mich Ihrer Freundschaft
zu rühmen, und ich schon viele Beweise Ihrer Gefälligkeit empfangen
habe, so hoffe ich, dass Sie meine Freiheit nicht übel nehmen wer-
den , wenn ich Sie um Ihren Schutz für den Ueherbringer dieses
Briefes bitte. Ein gewisser Stradella, Musikmeister, hat sich in Rom
und hier durch seine schlechte Aufführung so mächtige Feinde zu-
gezogen, dass Leute mit dem Auftrage ihn zu züchtigen (malträtier)
nach Turin abgegangen sind, wo er sich gegenwärtig aufhält. Der
Mann von dem ich Ihnen gesagt, ist mit dieser Commission beauf-
tragt, und da er nach Vollziehung derselben eines Asyls bedürfen
könnte, so bin ich von Personen, denen ich mich mit grossem Ver-
gnügen gefällig erweisen möchte , ersucht worden , Sie zu bitten,
demselben für einen oder zwei Tage eine Zuflucht bei Ihnen zu
gewähren, damit er nicht in die Händen der Obrigkeit falle , wenn
er verfolgt wird , und mit Sicherheit aus Turin entkommen möge.
Wenn Sie dieser Gefälligkeit noch die hinzufügen wollten, zu ver-
anlassen, dass Stradella ausgewiesen würde, so würden Sie mir da-
mit ein grosses Vergnügen machen, und ich glaube, dass Ihnen dies
nicht schwer fallen dürfte, da die Regentin, von seinem schlechten
Lebenswandel unterrichtet, ihm verboten hat, seine Profession irgend-
wo auszuüben, noch sich da blicken zu lassen, wo der Herzog von
Savoyen oder sie selbst sich befänden. Sie werden mich ausnehmend
verbinden, mein Herr, wenn Sie Ihr Ansehen dahin verwenden und
dem Manne , zu dessen Gunsten ich mir die Ehre gebe an Sie zu
schreiben, beweisen wollen, dass meine Empfehlung an Sie nicht
fruchtlos war. Ich werde dafür vollkommen erkenntlich sein und
Ihnen bei jeder Gelegenheit, die sich mir darbieten wird, beweisen,
dass man nicht mit mehr Ergebenheit und Aufrichtigkeit als ich
sein kann, mein Herr, der Ihrige
Abbä d' Estrades*
Venedig, den 3. September 1677.
Diesem Briefe, den der Marquis dem Minister des Auswärtigen
in Paris mittheilte, fügte derselbe eigenhändig bei: „Hätte ich
diesen Brief vor Ausführung des Attentats erhalten, so würde ich
beantragt haben , den besagten Stradella auszuweisen , allein ieh
habe den fraglichen Brief erst einen Monat nachdem er geschrieben
war, empfangen.
Die Lage des französischen Gesandten in Turin war offenbar
eine sehr schwierige; er konnte doch wohl nicht als Vertheidiger
einer mit allem Vorbedacht beschlossenen und ausgeführten ver-
brecherischen That auftreten, und doch war er genöthigt, die Weik-
zeuge derselben zu beschützen , da er den von einem französischen
Gesandten ausgestellten Schutabi ief respectiren musste. Sodann
kannte er die tiefe Missbillignng der That von Seite der Regentin,
und hatte auf der anderen Seite Rücksicht zu nehmen auf die Fa-
milie der Coutariui , eine der mächtigsten Familien in Venedig,
welche die höchsten Würden der Republik, ja sogar den Dogenütz
einnahm. Das Opfer selbst, ein einfacher Musiker, der als leicht-
sinnig verschrieen war und überdies früher einen Cardinal beleidigt
babeu sollte, kam gar nicht in Betracht. Villars zögerte daher keinen
Augenblick, sich hinter die Privilegien des Asylrechts zu verschanzen
in der Ueberzeugung, dass der Name seines Königs schliesslich alles
Entgegenstehende überwinden würde. Es ist bemerkenswert!!, dass man,
wie schon erwähnt, auf die Person oder das Leben des unglücklichen
Stradella, der doch eine Berühmtheit in seinem Fache war, so wenig
Werth legte , während heutzutage die aligemeine Sympathie dem
ausgezeichneten aber unglücklichen Künstler gegenüber seinen mäch-
tigen Gegnern zu Theil werden würde. Bemerkenswert!! ist ferner
das Postscript des Marquis de Villars und die rührende Ueberein-
stimmung der beiden Gesandten in ihrer Sorge für die wackeren
Leute , welche den empfangenen Auftrag , den Musikmeister zu
züchtigen, so getreulich ausführten.
Der Brief des Königs Ludwig XIV., den er in Antwort auf das
Schreiben des Marquis an den Minister Pomponne durch diesen
schreiben lässt, gibt unter Ausdrücken des Bedauerns, des Tadelf
und tugendhafter Entrüstung deutlich zu verstehen, was aui dieser
schwierigen Angelegenheit werden soll. Die Hauptsache ist nämlich,
die Uu verletzlichkeit des Asyl rechtes und den Namen des Königs
aufrecht zu erhalten. Man muss die Mörder und wo möglich —
den Schein retten. Es beisst dort u. A. : „S. Maj., mein Herr, hat
einen solchen Abscheu vor schlechten Handlungen, dass sie mir auf-
trägt, Ihnen zu sagen, sie könne den Schutz, welchen Sie der in
Rede stehenden Sache gewährt haben, nicht billigen. Sie weiss,
dass Sie es nur aus Rücksicht für den Abbä d'Estrades gethan
haben , und fühlt sich darum eher geneigt , Sie zu entschuldigen.
Was aber den Letzteren selbst anbetrifft, so hat S. Maj. mir be-
fohlen, demselben zu wiesen zu thun , dass dieselbe es vollständig
missbilligt, dass er seine Empfehlung den Banditen zu Theil werden
Hess, von denen er wusste, dass sie nach Turin gingen, um das aus-
zuführen, was sie wirklich gethau haben, sowie dass er Sie um Ihr
Asyl für dieselben angegangen. Es scheint nicht, dass die Rache
eines Privatmannes wegen Entführung eiuer Courtisane irgend Auf-
sehen in der Republik gemacht hätte, und die Familie der Contarini
würde ohne Zweifel eine so schwarze That nicht eingestehen wollen.
S. Maj. hätte also gleichmässig gewünscht, dass der Abbe d'Estradeg
Ihnen nicht geschrieben , und dass Sie seinen Brief nicht beachtet
hätten. Das Beste, was Sie thun konnten, wäre gewesen, die Ban-
diten entwischen zu lassen, anstatt ihnen öffentlich Schutz zu ge-
währen, dessen sie unwürdig waren. Indessen, obschon S. Maj. nicht
gewünscht hätte, dass dei artige Leute den Händen der Justiz ent-
zogen würdeu, so ist es in dieser Angelegenheit dennoch durch den
Streit, den Sie mit der Regentin darüber hatten, so weit gekommen,
dass S. Maj. wünscht, Sie sollen die betreffenden Personen nicht
der ihnen gebührenden Strafe überliefern. So unwürdig dieselben
auch dessen sind, sobald einmal der Name und die Autorität S. Maj.
durch Ihre Person sich für dieselben erklärt haben, müssen sie auch
die Früchte davon gemessen. S. Maj. ist daher der Meinung, dass
Sie noch immer das Auskunftsmittel gebrauchen können, dieselben
entwischen und in Sicherheit bis au die Grenzen von Piguerol bringen
zu lassen. Es scheint, dass Sie hierzu keiner audern Vorsicht be-
dürfen, als die Benützung eines Ihrer Wageu, welcher im gesamm-
teu ötaate der Regentin als heilig gelten muss. Uebrigens können
Sie sich dies überlegen und selbst am Besten über die Mittel ur-
theilen, um dieselben insgeheim auf das Gebiet S. Maj. zu schaffen . . ."
Schliesslich bedauert der Minister, dass durch diese Vorgänge das'
bisherige gute Einvernehmen des Marquis mit der Regentiu einiger-
massen gestört wurde, und hofft, dass es demselben bald gelingen
werde, das früheie Vertrauen wieder zu gewinnen.
IC ine alte Gmünd «er Volkssage.
In der löblichen schwäbischen Reichsstadt stand vormals eis
reich geschmücktes Kirchlein, gewidmet der Orgelspielerin und Pa-
tronin aller Musikanten, der heil. Cäcilia, deren Staudbild nicht
nur prächtig gekleidet, sondern von reichen Dilettanteu auch mit
goldenen Schuhen begabt war. Einst kam nun ein armer kranker
Spielmaun aus der Feme in die Stadt gezogeu , dessen bitterliche
Moth noch mächtiger war als seine Kunst , denn das Saitenspiel
ruhte still in der Tasche , der freundliche Liedermund war stumm
und geschlossen. Da zog deu Jüngling sein mühselig 1 und beladen*
Gemüth hinein in die Capelle seiner fcchutzberrin. Und wie er im
brünstigen Gebet der Heiligen sein Herz ausgeschüttet, da belebeu
sich des Bildwerks Züge, und siehe, die hehre Gestalt beugt sich
nieder, zieht deu rechten Goldschuh aus und wirft denselben mit
freuudseligem Lächeln dem armen Spielmaun zu , welcher herzlich
dankend und hocherfreut die Capelle verlässt , um das Geschenk
beim nächsten Meister Goldschmied zu verwerthen. Das war freilich
von unserem Geiger ein sehr unbesonnener Schritt, aber so sind sie
alle, die echten Spielleute. Der Goldschmied erkennt natürlich auf
der Stelle den Cacilieuschuh und schleppt den wie aus dem Himmel
gefallenen Unschuldigen sum Richter, welcher ebenso natürlich, wie
Richter meistens thun , auf Visionen und Wuuder gar nichts gibt.
Er erklärte ohne viel Besinnen den Schuh für gestohlen, — wie
sollte ein bettelarmer Laudfahrer anders in seinen Besitz kommen?
— uud verurtheilte diesen als einen abgefeimten Schelm und Dieb
- 119
«am Galgen, wohin man denn auch sofort mit ihm sieh aufmacht.
Unter dumpfem Glockenschall und ernBten Bussgesängen sieht unser
Spielmann fast mechanisch seine Geige hervor und findet sich durch
ihre tröstenden Klänge aus seiner Betäubung heraus. Und er geigt
•o wunderbar schön , dass die Möochspsalmen verstummen , dass
Jeder zuhorcht und mit innigem Mitleid auf das arme junge Blut
blickt. Desto williger gestattet man ihm seine letzte Bitte : vor dem
Altar der h. Cäcilia sein Sterbegebet sprechen zu dürfen.
Vor dem Bilde der Heiligen, in Aller Gegenwart, geigt er nun
noch einmal sein Lied, und legt die ganze Fülle Beiner schuldlosen,
todesbangen, hülfeflehenden Seele hinein, die eben den letzten Kampf
ausringt und ergebungsvoll verzichtet. Und siehe! Alle gewahren es
jetzt, was sein entzücktes Auge schauet : das Gewand der Heiligen
toewegt sich, ein mildes Leuchten verklärt ihr Angesicht, und
„Lächelnd neigt das Bild sich nieder
Aus der lebenslosen Ruh*,
Wirft dem armen Sohn der Lieder
Hin den zweiten gold'nen Schuht
Mit Erstaunen sieht's die Menge,
Und es sieht nun jeder Christ,
Dass der Mann der Volksgesänge
Selbst den Heil'gen theuer ist."
So besingt Justinus Keruer diesen wundersamen Moment, wel-
chem sodann, nach so glänzender Unschuldserklärung, ein wahrer
Triumph für den geretteten Spielmann folgte. Man gab ihm zu
ferneren Genugthuung ein festliches Bankett auf dem Rathhause mit
Bundgesang und Becherklasg; aber aus dem lautesten Jubel wich
der fremde Spielmann hinaus iu die helle Mondnacht, und mit seinen
Güldschuhen wanderte er weiter von Land zu Land , spielend und
singend, bis er verdämmerte irgendwo iu der weiten Welt.
Seitdem aber, und diesem Spielmann zum Gedächtniss, wird in
Schwäbisch-Gmüud jeder Musikant wohl empfangen, und das Singen
und Spielen ist an der Tagesordnung geblieben, wie Jederman weiss,
der nur einmal durch die Stadt gekommen ist. Und wer nicht
anders tönen kann, der hält sich an's Becherklingen, und deshalb ist
Gmünd eine so lustige Stadt, dass sie aller Welt Freude ist, wes-
halb man auch ihren Namen herleitet von Gaudium mundi (der
Welt Freude) — Alles in Erinnerung an den Namen des Volks-
jresanges, der den Heiligen theuer ist.
(Zellner's Bl. f. Th., M. u. bild. K.)
$%aw S&ufica.*)
gür allen $reuben au ff erben
kann tüemanb feine feiner werben,
5)enn ich geh mit meim fingen
Unb mit manchem füjjen fltngen.
£te fann nid?t fein ein böfer mut,
2Bo ba fingen gefeflen gut;
£ie bleibt fein ßorn, ^ an ^ £ a jj no( ^ ne {^
SBetcben mufj alle§ £erfeeletb ;
(Seife, focö unb toa§ fonft hart anleit
%ext bin mit aller £rauriajeit.
2fotb ift ein jeber be3 rool freto,
SDaS foldje $reub fein 6ünbe fety,
Sonbern auch ©ott triel ba§ gefeilt
Senn alle $reub fc> cr ganaen SBelt.
$em Seuffel fte fein roerf gerftörtl
Unb terbtnbevt »iel böfe mörb;
$a§ geugt Samb be3 flcmigS tbat,
3)er bem €aul offt geroebret bat
2JUt gutem füjjem fcarfenfpiel,
S)a§ er nicht ja grofeen morb toerftel.
3um ©bttlichen SEBort unb roabrbeit
*) 3>iefe3 ©ebicbt Wl. Sutber« ift auä ben £alberftdbt'fcben gemein*
nüfeigen ©lottern, *. ^ahrg. 2. 93b., S. 68— 1?89 entnommen;
her in £alberftabt »erftorbene S^ectoc ^ifcher theüte eS mit au£
einem jefet böcbft feltenen ©ucbe: A'ob unb preis her löbücben
fünft SMufica". £. $ob- SBaiter, Wittenberg, 1638. (SluS bem in
IRr. 20 b. S31. besprochenen „2llbum für SHaterei unb Äunff »on
Slltce ©alabrunn. 2lnm. b. IHeb.)
SRa*t fte bo« $erfc ftM unb bereit,
Solches bat (SUfeud befannt,
35a er ben ©etft burd?8 barffen fanb.
2>te befte Seit im 3(abt ift mein,
$a ftngen aße Sfögeletn,
Fimmel unb erben ift her Dott
SSiel gut ©efang ber lautet toor,
SSoran bte liebe SRachtigall
SJtocbt attcS fröhlich, überall
9Jlit ihrem lieblichen ©efang,
$)e$ mufj fte baben immer SDanf;
SBielmebr ber liebe £>erre ©ott,
S)er fte alfo gefcbaffen bat
3u fein bie rechte Sängerin,
$er 2Ruftca ein 2fleiftertn
S)em ftngt unb fpringt fte tag unb nacht,
€ eines üob§ fte nichts mübe macht,
S) e n ebrt unb lobt auch mein gefang
Unb fagt ihm einen erogen 35anf.
aJlatttn Sut&er.
COHRESPONDENZEN.
Aus jfliinclieii«
li. Juli.
Wenn die Kriegstrompeten Schlachtenlieder dröhnen und die
Kanonen ihre schaurigen Weisen spielen, dann verstummen allmählig
des Friedens liebliche Flöten , und die Tempel der Kunst stehen
verwaist und verödet. Die fieberhafte Hitze, mit der man Nach-
richteu vom Kriegsschauplatze erwartet und vernimmt, der bangend»
Wechsel zwischen Glück und Unglück, Schmerz und Hoffen, Sieg
und Niederlage lassen uns die Bestrebungen der Kunst als klein und
unbedeutend erscheinen und uns nie zum ruhigen Genüsse kommen ;
die Theater sind leer, die Concerte haben ganz aufgehört, und selbst
Jene , die für die verwundeten Krieger veranstaltet werden , finden
wobl Abonnenten aber nur wenige Besucher: der Siun für das
Schöne, für das Ideale scheint in dieser rauhen Zeit ganz eistorben
und das ist doch recht traurig.
Wir wollen, um unserer Referentenpflicht zu genügen, eine
kurze Nachlese über die Aufführungen unserer Hofoper austeilen.
Das Gastspiel des Hrn. Dr. S c h in i d aus Wien erregte die
Aufmerksamkeit unserer Opernliebhaber ; er trat als Marcel , Ber-
tram , Sarastro und Mephisto auf. In allen vier Partien zeigte er
sich als ein gebildeter länger, der viel gelernt, viel gedacht, viel
gesehen und probirt hat und der mit bewusster Kraft über seine
schönen Stimmmittel frei verfügt. Die störende Aussprache der
Zischlaute beeinträchtigt seinen Vortrag, wie überhaupt die Yokali-
sation an Deutlichkeit sehr zu wünschen übrig lässt ; auch die in
Wien beliebte Willkür in der Behandlung der Composition nu'ssfiel
iu Müuchen , und zwar mit vollem ttc-cht ; in den Ensembles ist
Hr. Schmidt durch sein willkürliches Verfahren in der Behandlung;
des Rythmus ein gefährliches Mitglied. Dagegen verwendet er auf
Spiel und Costüm und Erscheinung viel Sorgfalt, und sein Gastspiel
dürfen wir jedenfalls zu deu interessantesten dieses Jahres rechnen.
Ein weiterer Gast, den uns die zu Wasser gewordenen Muster-
aufführungen Wagner'scher Operu zuschleuderte, war das mit vieler
Reclame eingeführte Frl. Harry aus Hamburg. Sie ist eine nette,
graziöse Erscheinung mit einer düunen , unvollständig gebildeten,
aber jugendlich -frischen, angenehm klingenden Stimme, nicht ohne
Talent, aber noch keineswegs auf der Höhe steheud, auf welcher
sie angekündigt war. Sie trat als Königin der Nacht auf und miss-
fiel vollständig , obgleich sie im Köder sehen Theatermoniteur von
grossen, ausserordentlichen Triumphen meldete, die sie hier errungen
haben will. Etwas besser erging es ihr mit der Partie der Alice
im „Robert"; da verlangte das Auditoiium keine grosse Leistung,
und herabgestimmt in seinen Erwartungen, begnügte es sich schon
mit der Mittelinässigkeit. Obgleich ihre Stimme und ihr Talent
höchstens für das Soubretten fach ausreicht, versuchte sie es doch in
arger Selbstüberschätzung, die leider so vielen Bübneumitgliedera
anklebt and schadet, sich auch im Fache einer dramatischen Sängeria'
- 120 -
so zeigen und das wollte sie in keiner geringeren Partie tfcnn als
in der anstrengenden, leidenschaftlichen, eine grosse Auffassung und
Durchführung verlangenden Partie der Valentine. Da war natürlich
Alles so klein, so unbedeutend, Stimme, Vortrag, Spiel, Leidenschaft,
dass ein erfahrener Theaterbesucher sich an dem Applaus der Gal-
lerten, die ein schnell befriedigtes Sonntagspublikum füllte, nieht
zu betheiligen vermochte. An dem Gaßte ermassen wir erst wieder
den vollen künstlerischen Werth einer Kraft, wie sie unsere Oper
an Frl. D e i n e t besitzt.
Als Azucena gastirte Frl. Bär mann, die Tochter des berühm-
ten Clarinettisten, und bewies, wenn auch ihre Erscheinung sich für
die Partie weniger eignet, dass sie seit ihrem ersten Auftreten in
vergangenem Frühjahr viel gelernt habe, und das ist jedenfalls schon
ein grosses Lob.
Der Capellmeister Konradin verlässt seine Stelle am Actien-
theater, und dieses erhält in der Person des Hrn. Herberth in
Heidelberg einen ersten Capellmeister. Z.
JüTacli richten.
Mainz. Der grelle Ton der Trompeten und Trommeln, der
Donner der Kanonen und Musketen, der Gedanke an die vielen
Tausende von kräftigen Männern, die dem blutigen Kriegsgotte be-
reits als Opfer gefallen sind , die tiefe Trauer um die gefallenen
Brüder , Gatten , Väter und Freunde , vor Allem das schmerzliche,
tiefbetrübende Schauspiel eines so mörderischen Krieges zwischen
deutseben Bruderstämmen lassen die Lust an Kunstgenüssen , und
zwar die Lust zu gewähren, wie die zu empfangen, vollständig
in den Hintergrund treten, und so ist denn auch Frau Musica in
Unserem Vaterlande sozusagen verstummt und wo sie auch allenfalls
noch gewisserm aasen offizielle Versuche macht, wie sonst zu den
Herzen ihrer Verehrer zu sprechen, da findet sie dieselben für sich
verschlossen und erfüllt von Schmerz und Trauer, von banger Un-
gewissheit über das, was die Zukunft uns bringen wird. Es ist daher
begreiflich, dass über musikalische Ereignisse in Deutschland nicht
viel oder gar nichts zu melden ist, und unsere Mittheilungen werden
sich in dieser Beziehung meistens auf das beschränken müssen, was
im Ausland vorgeht. Doch werden wir nichts desto weniger bemüht
sein, unseren geneigten Lesern zu bieten, was unter den gegenwär-
tigen Umständen möglich ist , und hoffen , dass recht bald ein ge-
sunder Friede die politischen Zustände unseres theuern Vaterlandes
in einer den gerechten Erwartungen des Volkes entsprechenden Weise
regeln, und alle Welt, von dem drückenden Kriegsalp befreit und
hochaufathmend, wieder zu den Beschäftigungen und zu den Künsten
des Friedens mit frischer Lust und Liebe zurückkehren möge. Leicht
möglich ist es, dass durch Sperruug hiesiger Bundesfestung wir für
kurze Zeit von der übrigen Welt abgeschlossen werden, so dass wir
weder Zeitungen noch Briefe von auswärts empfangen könnten, und
ebenso die regelmässige Herausgabe und Versendung uuseres Blattes
unterbrochen würde. In diesem Falle werden wir darauf bedacht
sein , unsere geehrten Abonnenten seiner Zeit möglichst zu ent-
schädigen. (Die Red.)
Paris. Am 11. d. M. fand die Zuertheilung des Römerpreises
des Conservaloriums für die Composition einer Cantate für drei
Personen, betitelt: „Sarnson und Delila" von Eduard Vierne,
statt. Die fünf Concurrenteu waren die HH. Ketten, Ducot,
Godard, Hess und Pessard. Der Preis wurde von den Preis-
richtern, welche aus 9 Componisten unter dem Vorsitze Auber's
bestand, einstimmig dem zuletzt genannten Candidaten, Hrn. Pessard,
zuerkannt. Derselbe ist eiu Schüler Carafa's und hat seine Studien
ausschliesslich am Conservatorium gemacht.
— Die Eiunahme der Theater, Concerte etc. in Paris betrugen
im Monat Juni 1,092,990 Frcs.
— Einer der fruchtbarsten Vaudeville-Dichter, E duard Martin,
ist nach langwierigem Krankenlager im städtischen Krankenhaus
gestorben. Er hat für verschiedene Pariser Bühnen mehr als vier-
zig Stücke geschrieben und viele schöne Erfolge erlebt.
London. Für das diesjährige Musikfest in Wo rc e s ter ist
folgendes Programm aufgestellt: 1. Tag: Das Dettinger Te Deum
von Händel; die „Schöpfung" von Haydn; „Lobgesang" von Men-
delssohn, und Fragmente aus dem Oratorium „Naamau" von Costa.
2. Tag: „Elias* von Mendelssohn. S.Tag: Ouvertüre zum Oratorium,
„das letzte Gericht" von Fr. Schneider; die C-dur-Messe von Beet*
hoven, Fragment aus „Josua" von Händel, und endlich am 4. Tagt
das Oratorium „Messias" von Händel.
*** Der böhmische Landesausschuss hat dem Director des
deutschen Laudestheaters in Prag der ungünstigen Zeitverhältnisset
wegen eine Unterstützung von 3000 fl. bewilligt.
*** Hr. Nach b au r hat sein unter den günstigsten Auspicien
am Hofoperntheater in Wien begonnenes Gastspiel aus unbekannten
Gründen abgebrochen und ist nach Darmstadt zurückgekehrt
*„* Frau Jauner-Kral und ihr Gatte, Hr. Jauner vom*
Dresdener Hoftheater sind in Wien angekommen.
*** Die Directoren der Theater in Carlsbad und Lemberg
haben die Vorstellungen geschlossen und ihre Mitglieder Knall und» .
Fall entlassen.
*** Auch in Frankfurt a. M. ist das Theater geschlossen
und sind die Mitglieder auf halbe Gage gesetzt worden.
*** Das Theater Rossini in Madrid ist geschlossen worden,
da der Director Rovira mit Hinterlassung vieler Gagenrückstände
und anderer Schulden verschwunden ist.
*** Die Musikgesellschaft r Athenäum" in Barcelona hat
einen Preis von 500 Realen (ca. 1300 Frs.) für die beste Ouvertüre
für grosses Orchester ausgeschrieben.
*** Eine Tänzerin des Theater Fenice in Venedig hat jüngst
der österreichischen Polizei folgenden Streich gespielt. Man hatte
ihr aus der Mitte des Publikums einen Kranz zugeworfen, der mit
einem Bande in den drei italienischen Landesfarben geschmückt war.
Die Tänzerin hob den Kranz auf und drückte einen Kuss auf da»
dreifarbige Band. Das Publikum applaudirte enthusiastisch. Die
Tänzerin wird von der Polizei arretirt, und vor den österreichischen»
Commissär geführt, versichert die Künstlerin, sie habe die Farben
des Bandes gar nicht beachtet, sondern nur ein Zeichen ihrer Er-
kenntlichkeit für die Artigkeit des Publikums geben wollen.
— Wenn man Ihnen wieder solche Bänder zuwirft, antwortete!'
der Commissär, so werden Sie sie mit Füssen treten.
— Abgemacht.
Am nächsten Tage tritt die Tänzerin wieder auf. Man wirft
ihr einen Kranz zu ; sie tritt auf denselben und zerstampft ihn mit
ihren Füssen, den Ausdruck des Zorns und der Verachtung in ihren
Mienen. Aber diesmal war es kein Baud in den italienischen Far-
ben ; man hatte an dessen Stelle die österreichischen Farben, schwarz,
und gelb, angebracht.
*** Der in Brüssel erscheinende ., Guide musical* enthält eine
ausführliche Besprechung der beiden Quartette Op. 10 in G -dur,
Op. 11 in C-dur und des Quintetts Op. 16 in D-molt für Streich-
instrumente von Graf Ludwig von Stainlein aus der Feder
des Hrn. Adolph Samuel, welcher diese drei Werke, ohne ein-
zelne Schwächen derselben zu übersehen, nicht als Dilettantenarbeit,
sondern als Producte eines auf der Höhe des acht künstlerischen
Schaffens stehenden und mit schönem Talent und gediegenem Wissen
ausgestatteten Künstlers qualifieirt und den besseren Leistungen im
Fache der Kammermusik beigezählt wissen will.
\* Das Theater in St. Louis (Missouri) ist am 1. Juni ein
Raub der Flammen geworden.
*** Balfe's gefällige Oper: „Die Rose von Castilien" ist an*
13. Juni im englischen Theater in New -York mit enormem Erfolg
aufgeführt worden.
*** Im Kroll'schen Theater in Berlin ist unlängst eine kleine
Operette: »Der Teufel ist los," vou einem Hrn. v. Duniecki mit
grossem Beifall in Scene gegangen.
*** B a z z i n i hält sich gegenwärtig in seiner Vaterstadt
Brescia auf und legt die letzte Hand an eine grosse Oper, welche
das Scalatheater in Mailand für den nächsten Herbst bei ihm be-
stellt hat.
*** Der greise Auber kann das Componiren nicht . lassen ; er
ist eben wieder mit einer neuen Opernpartitur beschäftigt.
*** Die von Hrn. Landvogt, dem Director des deutsehen
Theaters in Pesth veranstaltete Wohlthätigkeitsvorstellung hat eine-
Einnahme von 1302 fl. ergeben , welche ohne Kostenabzug an den
Bürgermeister abgeliefert wurden.
' — —
Verantw. Red* Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
Nf* 9M.
30. Juli 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
; DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
V @(f li g
r-
/v--f
von
l;
lungen.
4
B. SCHOTTS SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
i 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal. ,
<J.o. _ __ _ .. _ _ ^
INHALT I Stradella und die Contarini. — Die neue Orgel zu St. Peter ia Genf. — Lohengrin im The'ätre lyrique. — Correspondenz : Paris.
— Nachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
F. Richard.
III.
Die Contarini) weit entfernt eine so schwarze That zu
desavouiren, hatten wohl vorausgesehen, welche Schwierigkeiten
ihr Bacheact herbeiführen würde. Sie hatten sich beeilt, ihre Macht
zur Verfügung ihrer Leidenschaften zu stellen und ihre einflussreichen
Freunde an ihrer Aufgebrachtheit zu betbeiligen. Die Ankunft des
Cardinais d'Estrees in Turin, den der König scheinbar mit einer
Mission nach Rom betraut hatte, der aber in Wirklichkeit beauftragt
war, bei der Herzogin von Savoyen die Erlaubniss zum Durchmarsch
einer bedeutenden Armee auszuwirken , welche im nächsten Jahre
den Krieg in das mailändische Gebiet tragen sollte , gab nun der
Angelegenheit unseres Musikers eine neue Wendung und beschleu-
nigte die Entwicklung derselben. V i 1 1 a r s sah es immer als eine
grosse Schande an, wenn man die Mörder ausliefere. Er kannte gar
wohl den stolzen Sinn Ludwigs XIV. in Bezug auf die Privilegien
seiner Repräsentanten ; er wusste voraus , dass man seinen Wider-
stand unterstützen würde, wenn man ihn auch scheinbar tadelte;
allein am 27. October hatte die Regentin ihren Eutschluss gefasst
in Bezug auf den vorgeblichen Durchzug französischer Truppen.
Die sichere Zurückgezogenheit der Mörder lag ihr immer noch auf
dem Herzen. Man suchte von beiden Seiten ein Auskunftsmittel.
Zwei Briefe des Cardinais d'Estrees vom 23. und 29. October
1677, der erstere an den Minister Pomponne, der letztere an den
König selbst gerichtet, bestätigen, dass in Folge des Schutzes, den
Villars den Banditen gewährte, eine merkliche Entfremdung zwischen
dem Gesandten und der Regentin stattgefunden habe; doch glaubt
der Cardinal, dass es seinem Zureden noch gelingen werde, die
Herzogin zu bestimmen , die Augen zuzudrücken , wenn man die
Verbrecher ohne Aufsehen entfliehen lasse.
Am 24. Oct. schreibt der Marquis de Villars an Hrn. de Pomponne:
„Mein Herr! Der Verdruss, den die Regentin wegen der Insulte
gehabt hat, welche auf Befehl der Contarini dem Musiker Stradella
(der wieder hergestellt ist) angethan wurde, hat die Güte ihrer Ho-
heit gegen mich nicht vermindert; sie weiss, dass eine Verbindlich-
lichkeit und eine Verpflichtung meiner Stellung vorliegt, in der sich
Hr. v. Servien mehrmals befunden hat, und dass ich ohne furcht-
bare Schmach diese beiden Elenden nicht dem Tode überliefern kann."
Diesen wenigen Worten gemäss hatte also die französische Ge-
sandtschaft in Turin schon öfter Leuten in einer ähnlichen ehrbaren
Lage ihren Schutz gewährt. Es war dies ein Präcedens, dessen
Tradition man nicht erlöschen lassen durfte, und darum unterstützte
der incognito in Turin weilende Cardinal eine seiner Theilnahme
so würdige Sache mit seinem ganzen Einflüsse. Aus den am 29.
und 80. October und 4. November 1677 von dem Cardinal d'Estrees
und von Marquis de Villars an den Minister Pomponne gerichteten
Briefen ersehen wir die Art und Weise, in welcher endlich die Flucht
der beiden Banditen in Scene gesetzt wurde. Das Haus des Ge-
sandten war Tag und Nacht von Wachen umgeben, die gewöhnlichen
Wachtposten verstärkt, und ein Theil der Stadttbore verschlossen,
um das Entkommen der Verbrecher zu verhüten. Der Cardinal hatte
der Regentin und dem Marquis den Vorschlag gemacht , er wolle
die Banditen ohne Aufsehen und Geräusch in einem Schiffe fort-
bringen, indem er unter dem Vorwande, auf dem Po einen Theil
seiner Familie wegzuschicken, die Reise bis nach Montferrat aus-
dehnen Hesse, wo dann die Flüchtlinge auf das französische Gebiet
übergehen sollten. Die Regentin hatte zwar ihre Einwilligung zu
diesem Plane noch nicht gegeben, doch hoffte der Cardinal, dieselbe
mit Hülfe des Abbe Verrue noch zu erlangen. Da durchhieb Villars
den Knoten in höchst unerwarteter und grosses Aufsehen erregender
Weise. Er fuhr nämlich eines Morgens mit seiner Gemahlin und
seinem Sohne in seiner sechsspännigen Carosse, in deren Hintergrund
die beiden Mörder unter Mänteln versteckt waren, aus seinem Hotel
und aus der Stadt, wie um eine Spazierfahrt zu machen, in der
Absicht, die Flüchtlinge in einiger Entfernung von der Stadt zwölf
wohlbewaffneten Männern zu übergeben, welche sich verbindlich
gemacht hatten, dieselben mit Gefahr ihres Lebens durch die Wälder
nach Montferrat zu führen. Allein kaum hatte man die Stadt im
Rücken , als die Carosse von den Garden der Regentin umringt
wurde, und dem Marquis, der einen Zusammenstoss seiner Leute mit
denen der Regentin vermeiden wollte, blieb nichts übrig, als seine
Schützlinge selbst nach Pignerol zu bringen , da die savoyischeu
Garden ihn bis an die Grenzen von Piemont begleiteten. Begreif-
licherweise war die Herzogin wüthend über diesen öffentlichen Trotz
gegen ihren ausgesprochenen Wunsch und Willen, während auf der
anderen Seite die Contarini einen eigenen Gesandten nach Turin
schickten, um dem Marquis ihren Dank für die Rettung der in ihrem
Solde stehenden Banditen auszusprechen. Villars empfing jedoch
diesen Boten nicht in seinem Hause, um nicht die Regentin noch
mehr aufzubringen. Uebrigens suchte er in seinen Briefen an Pom-
ponne »ein Verfahren, den Anklagen der Regentin gegenüber, mög-
lichst zu beschönigen und mit dem Drucke der Vethältnisse zu
rechtfertigen, während der Cardinal bemüht ist, das gute Einver-
nehmen zwischen der Regentin und dem Gesandten Frankreichs
wieder herzustellen.
Auch der französische Gesandte in Venedig wurde natürlich von
seinem Ministerium aufgefordert sich seines Schutzbriefes wegen zu
Verantworten, und der König, der einen Abscheu vor schlech-
ten Handlungen hat, wie es in der betreffenden Depesche
heisst, lässt die unterthänigen Entschuldigungen seines Repräsen-
tanten gelten. Man darf sich darüber nicht wundern, denn Lud-
wig XIV. wollte überall und immer und über Alle König sein und
darum liess er sich durch die abscheulichsten Missbräuche des Asyl-
rechts nicht abhalten, auf demselben unter allenUmständen zu bestehen.
Man sah dies deutlich , als Papst Innocens XI. die Freiheiten,
welche die Gesandten in Rom nicht nur für ihre Hotels, sondern auch
für die Quartiere, in welchen sich diese befanden, hatten, aufzuheben
versuchte. Die meisten Fürsten Europa'» hatten ihre Einwilligung
— 122 —
gegeben, nur Ludwig allein bestand auf seinen Vorrechten. Nach-
dem der alte Herzog d'Estre'es gestorben war, wurde er auf seinem
Gesandtschaftsposten in Kom durch den Marquis von L a v a r d i n
ersetzt, der in Rom wie ein Kriegsbefehlshaber einzog; er kam im
grossen Zuge, begleitet von 400 Marinegardisten, 400 Freiwilligen-
Offizieren und 200 Livreeleuten, alle vollständig bewaffnet. Lavardin
wurde freilich excommunicirt , aber der König nahm Avignon in
Besitz , und nach verschiedenen Zwischenfällen wurden die alten
Freiheiten wieder anfrecht erhalten.
In dem Briefe des Ministers Pomponne an den Abbe d'Estrades
vom 27. October 1677 spricht sich wieder dieselbe heuchlerische
Entrüstung des Königs über die Ausstellung des Empfehlungsbriefes
für die beiden Mörder aus, wie in dem früher angeführten Schrei-
ben au den Marquis de Villars, und der Schluss des Briefes ist voll-
kommen darauf berechnet, den Abbe über die Tragweite*der könig-
lichen Ungnade zu beruhigen, denn der Minister schreibt dort:
„.... Sie sehen, mein Herr, dass ich mich des Auftrags entledige,
den S. Maj. mir gegeben hat (nämlich dem Abbe die Missbilligung
des Königs auszudrücken); ich thue es mit Unbehagen wegen dessen,
was Sie dabei empfinden müssen , allein der Unwille des Königs
beschränkt sich darauf, dass er Ihnen durch mich zu verstehen gibt,
er habe den von Ihnen geschriebenen Brief miasbilligt."
Der Abbe legte seinen Depeschen die Abschrift eines Billets
von dem Cardinal Delfino bei, welcher für die Leute des Louis
Contarini seinen fortdauernden Schutz verlangt, selbst nach voll-
brachter Missethat, und lieferte damit dem König einen handgreiflichen
Beweis des mächtigen Druckes, vor dem er sich habe beugen müssen.
Dem Marquis de Villars war seine Rechtfertigung noch viel
leichter geworden. Er hatte sich geschickt hinter den Schatten des
grossen Königs versteckt, und weit entfernt ihn zu tadeln, ergriff
Pomponne nur die Gelegenheit, ihn wissen zu lassen, dass dies das
richtige Benehmen sei, welches man bei ähnlichen Vorkommnissen
zu beobachten habe. Kaum dass man mit ein paar Worten der
unpassenden Art und Weise erwähnt, in welcher man die beiden
Banditen entfliehen Hess. Der König habe es für überflüssig ge-
halten, schreibt der Minister Pomponne, dass der Marquis und seine
Gemahlin diese Unglücklichen persönlich bis Pignerol begleiteten.
Sein Wagen müsse ebenso heilig sein wie sein Haus und würde
ohne Zweifel von den Leuten, welche die Regentin zur Beobachtung
ausgesandt hatte, nicht minder respectirt worden sein. Von dem bei
der ganzen Angelegenheit am nächsten Betheiligten, nämlich von
dem Musiker Stradella, geschieht in allen diesen Briefen nur hie
und da mit ein paar Worten Erwähnung. Gleichwohl sind diese
zufällig und wie mit Widerwillen hingeworfenen wenigen Worte
Alles, was man von dem grossen Künstler weiss und haben daher
dennoch ihren Werth. Doch gereichen die von den verschiedenen
correspondirenden Diplomaten über Stradella abgegebenen Notizen
nicht eben zu seinem Vortheile, und scheint derselbe jedenfalls ein
ziemlich leichtfertiges Leben geführt zu haben. Dies hebt auch der
Abbe d'Estrades in seinen Enttchuldigungsschreiben hervor und meint,
dass, wenn der gauze mächtige Adel von Venedig sich für die Sache
der Contarini interessire, man auf einen Musiker nicht viel Rück-
sicht zu nehmen brauche , der noch dazu die Kühnheit hätte zu
sagen: „er habe dem Cardinal Cibo in Rom ein Schnippchen ge-
schlagen und werde sich auch nun um die venetianischen Pantalons
nicht viel kümmern."
Uebrigens hatte mau dem Abbe gesagt, es handle sich um nichts
weiter , als Stradella zu zwingen , dass er das von ihm entführte
Mädchen heirathe oder ihm, wenn er dies verweigere, eine tüchtige
Tracht Schläge zu applicireu. — Die Verzeihung des Königs machte
dieser seltsamen Correspondenz ein Ende, welche mit einem Freibrief
für feige Mörder begonnen hatte. Was das Opfer derselben betrifft,
so wurde der Name desselben, wenn er je erwähnt wurde, mit ir-
gend einer beleidigenden Bemerkung begleitet, wie oben beispiels-
weise angeführt worden ist, und das ganze Interesse concentrirte
sich auf die Mörder.
Mit Erstaunen überblickt man die beträchtliche Reihe vornehmer
uud hochgestellter Personen, welche mit vereinter Anstrengung ihren
ganzen Einfluss aufboten zu dem einen Zwecke, Straflosigkeit für
eine verbrecherische Tbat zu erwirken. Es Hesse sich eine eigen-
thümliche Moral aus dem Endresultate dieses tragischen Abenteuers
ziehen. Nachdem die Ehre des Königs aufrecht erhalten, die Würde
des Gesandten gewahrt ist, erinnert sich der Minister Pomponne der
ganzen Affaire später so wenig, dass er in seinen Memoiren, die
Übrigens voll von pikanten Erzählungen über die leichten Sitten
des Hauses Savoven sind, sieh beschränkt zu sagen : „Während der
Gesandschaft des Marquis de Villars hat sich nichts Beachtenswertheg
au diesem Hofe zugetragen. Dieselbe endigte 1678, kurz nach dem
Frieden von Nymwegen. Der König schickte den Abbe d'Estrades
an Villars* Stelle. Letzterer hatte nur einigen Privat - Aerger der
Herzogin von Savoyen in Betreff der Marquise, seiner Gattin, zu
ertragen." Dieses Aergerniss stammte davon her , dass die Ge-
sandtin von Frankreich am Hofe ursprünglich nur ein Tabouret
hatte; Servien, der vorhergehende Gesandte, hatte einen Stuhl mit
einer Lehne verlangt, und nun wollte Mme. de Villars gar einen
Fauteuil haben! Dies sind die wichtigen Dinge, welche eine Spur
im Gedächtniss des Ministers zurückgelassen haben, aber von der
Ermordung des grössten italienischen Musikers, Stradella's, kein
einziges Wort.
Die neue Orsel zu St. Peter in Genf.
Die neue Orgel zu St. Peter in Genf, gebaut von Mer kl in-
Schütze in Brüssel, hat auf drei Ciavieren (jedes von 56 Tasten)
und dem freien Pedal (von 27 Tasten) 45 Stimmen, welche wie
folgt vertheilt sind:
Erstes Ciavier. Positiv. 14. Ophicleide u. Hörn 16 Fuss.
1. Bourdon .... 16 Fuss. 15. Trompete .... 8 n
2. Rohrflöte .... 8 B 16. Clairon .... 4 „
3. Principal .... 8 „ Drittes Ciavier. Retit expressiv.
4. Viola di Gamba . 8 „ 1. Harmonische Flöte . 8 Fuss.
5. Salicional .... 8 , 2. Bourdon .... 8 „
6. Harmonische Flöte . 4 „ 3. Gamba 8 „
Combinationsstimmen. 4. Voix Celeste . . 8 „
7. Mixtur drei- bis vierfach. 5. Echoflöten . . . 4 „
8. Flautino .... 2 Fuss. 6. Vox humana . . 8 „
9. Trompete .... 8 B Combinationsstimmen.
10. Clarinette. . . . 8 „ 7. Fugara 4 Fusa.
Zweites Ciavier. Hauptwerk. 8. Comet 8 „
1. Principal .... 16 Fuss. 9. Fagott u. Oboe. . 8 „
10. Trompete .... 8 B
Viertes Ciavier. Pedal.
1. Subbass .... 32 Fuss.
2. Subbass .... 16 „
3. Contrabass
. . 16
»
4. Octavbass. .
. . 8
»
5. Violoncell. .
. . 4
»
6. Octavflöte. .
. . 4
n
2. Bourdon . . . .16
3. Principal . . . . 8 „
4. Bourdon .... 8 B
5. Harmonische Flöte , 8 „
6. Gamba 8 „
7. Dulciana .... 8 n
8. Octavflöte. . . . 4 „
9. QuiutflÖte .... 3 „
10. Prästaut .... 4 B Combinationsstimmen.
Combinationsstimmen. 7. Bombarde (Posaune) 16 Fuss.
11. Doublette . . , . 2 Fuss. 8. Trompete .... 8 B
12. FortschreitendeMixtur4 „ 9. Clairon .... 4 „
13. Comet 8 „
Unter „Combinationsstimmen" (Jeux de Combinaison) werden
diejenigen verstanden , welche vermittelst eines Pedaltrittes mit
einigen oder allen Stimmen verbunden und abgestossen werden können.
Für diesen Zweck hat die Orgel fünf Pedaltritte, die über der Cla-
viatur des eigentlichen Pedals (welches die Franzosen jetzt Ciavier
Pedalier zum Unterschiede von jenen Pe'dales nennen) angebracht
sind und auf ähnliche Art wie die Pedale an den Fortepianos in
Wirksamkeit gesetzt werden. Ausserdem liegen in derselben Reihe
noch sieben Pedaltritte, vermöge deren sieben verschiedene Koppe-
lungen bewirkt werden können. Der Mechanismus aller dieser Pe-
dale wirkt im Nu und ohne alles Geräusch. Bezüglich der Mechanik
sind bemerkenswerth: der pueumatische Hebel und die Combinations-
pedale. Die pneumatische Maschine ist bei allen 3 Ciavieren und
selbst bei dem Pedal angebracht und mit solcher Kunst gearbeitet,
dass ihre Wirkung auf die Leichtigkeit des Spiels selbst bei der
Koppelung aller Claviere und des Pedals ganz dieselbe bleibt und
ebenso schnell und präcis agirt, als sie es auf jedem einzelnen Cia-
vier thut. Wenn der pneumatische Hebel dem Organisten die Leich-
tigkeit der Handhabung der Claviaturen verschafft, deren Schwere
ihn so lange gedrückt hat, so kommen die Combinationspedale dem
128; -
Talente des Künstlers im Vortrag und der Nüancirung durch die
Anwendung der verschiedenen Klangfarben der Stimmen vortrefflich
cu Statten.*)
Mittelst dieser Pedale kann der Spieler durch einen leichten
und augenblicklichen Fusstritt verschiedene Stimmen der verschie-
denen Claviere vereinigen, von der einfachen Koppelung eines Ma-
nuals mit dem anderen bis zur Herbeiziehung von fünf bis sechs
Combinationsstimmen oder bis zur Stärke des gesammten vollen
Werkes. Er kann also, ohne die Hand vom Ciavier zu nehmen,
Über alle Hülfsquellen des Ausdrucks, die ihm das Instrument bietet,
nach seinem Willen verfügen, und man sieht den grossen Vortheil,
den ihm dies gewährt, leicht ein, wenn man bedenkt, dass der Or-
ganist nicht das glückliche Loos des Pianisten tbeilt, der im Stande
ist, den Ton durch den Anschlag zu ändern und seine Finger den
Empfindungen seiner Seele gehorsam zu machen.
Die Commission zur Untersuchung und Prüfung der neuen Orgel,
bestehend aus den HH. L. Bischoff, Vorsitzender und Bericht-
erstatter, aus Cöln, Ed. Batiste, Prof. am Conservatoire und
Organist von St. Eustache in Paris , J. Vogt, Organist von St.
Nicolaus in Freiburg, Ren. de Vilbac, Organist von St. Eugenie
in Paris, Ant. Häring, Organist von St. Peter ia Genf, R u d.
Low, Organist von St. Elisabeth in Basel, El. Wartmann, Prof.
in Genf, Em. Feigerl in Genf, Blanck, Pastor in Colmar,
achliesst ihren Bericht mit folgenden Worten: ,,Die Commission hat
die Ehre und die Befriedigung, dem Consistorium und der Gemeinde
au dem Besitze eines solchen Instrumentes Glück zu wünschen. Die
Orgel in St. Peter wird zu den Merkwürdigkeiten Genfs zählen und
allen denen zur Ehre gereichen, die dazu beigetragen haben, für die
Kachwelt dieses ruhmvolle Denkmal der frommen und kunstliebenden
Gesinnungen des gegenwärtigen Geschlechts zu errichten.' 1
N.-R. M.-Z.
MiOltengrin im Theätre lyrique. **)
Der Director des The'ätre lyrique sucht und wagt viel. Die
musikalische Kuust und das französische Publikum sind Hrn. Car-
valho bereits Dank schuldig. Er hat uns die Meisterwerke Mozart's
kennen gelehrt, oder wenigstens dieselben populär gemacht. „Fi-
garo's Hochzeit," „Die Zauberflöte," „Don Juan" sind durch ihn
dem laufenden Repertoir seiner Bühne einverleibt. Während er auf
diese Weise einerseits unter den classischen Partituren wählte, er-
muthigte er andererseits die modernen Componisten. Er bereitet
soeben eine Revanche für Rieh. Wagner vor.
Im kommenden Winter wird das The'ätre lyrique den „Lohen-
grin" zur Aufführung bringen. Wird dies wohl zu einer Revanche
für den Fall des „Tannhäuser" führen? Die Zukunft und das Pub-
likum werden darüber entscheiden.
Wir stehen dieser Frage ganz ferne. Ohne das Talent Wagner's
läugnen zu wollen, ohne seiner Kühnheit und seiner Beharrlichkeit
die gebührende Anerkennung zu versagen, zählen wir doch nicht zu
seinen überzeugten Bewunderern. Allein es handelt sich um eine
Frage der Gerechtigkeit, die wir entschieden sehen möchten. Eine
alte Ordonnanz von Chilperich bestimmt, dass ein Angeklagter
nicht verurtheilt werden soll, bevor er gehört worden ist. Sollten
wir weniger gewissenhaft sein als die merowingische Justiz? Das
Pariser Publikum hat den „Tannhäuser" hingerichtet, aber es hat
) Unsere deutschen Orgelbauer sträuben sich noch immer gegen
die Anwendung des pneumatischen Hebels, und man hört wohl
die Bemerkung, dass derselbe allerdings die Spielart erleichtere,
aber der Conservirung des Werkes nachtheilig sei. Es ist aber
gerade das Gegentheil der Fall, denn der pneumatische Hebel
egalisirt, wie man sich leicht überzeugen karm, die Oeffnung der
Ventile in den Windladeu und verhindert dadurch auf nachhaltige
Weise den Verschleiss der Ventile, welcher durch den ungleichen
Anschlag, den geringeren oder stärkeren (und in beiden Bezie-
hungen wechselnden) Niederdruck der Tasten befördert wird.
Freilich dürfen wir auch nicht vergessen, dass den deutschen
Orgelbauern eine so vermehrte und vervollkommnete Arbeit von
den Gemeinden nicht bezahlt wird, welche schon einen Weheruf
erheben, wenn von 5-6000 fl. die Rede ist, währeud die Ge-
meinde und die Stadt in Genf über 18,000 Thlr. angelegt haben,
um ein vollkommen gutes Instrument zu erhalten.
**) Von A. L o m o n , in der „France musicale".
ihn nicht verurtheilt. Verurtheilen heisat richten, und um zu richten
muss man boren. Würde ein ruhiges Hören, ein unparteiisches
Richten die summarische Verurtheilung bestätigen, welche über den
deutschen Componisten verhängt wurde? Würde wohl Wagner die
zweite Partie verlieren, wie er die erste verloren hat, und stände
ihm nicht die Rechtswohlthat frei, an ein nüchternes Publikum zu
appelliren ? Es ist nicht Hrn. Carvalho's Schuld, wenn uns darüber
nicht Klarheit wird.
Ist die Wahl des „Lohengrin" eine glückliche ? Wir glauben
es nicht. Vielleicht wäre es besser gewesen, den „Tannhäuser"
wieder aufzunehmen, von welchem dem Pariser Publikum schon
einige Stücke bekannt sind. Es hat der Ouvertüre und dem Pilger-
chor seinen Beifall gespendet, und das ist schon ein Grund, um sich
das Uebrige anzuhören. Der „Lohengrin" hat dieselben Mängel wie
der „Tannhäuser". Ein verworrenes Gedicht, Mangel an dramatischem
Interesse , wenigstens für ein französisches Publikum , welches vor
Allem Handlung und wieder Handlung verlangt. „Lohengrin" ent-
hält ohne Zweifel viele Schönheiten : die Kampfscene im ersten Acte,
der Sieg Lohengrin's , der Beifall des Volkes, der Abschied Lohen-
grin's von Elsa. Allein unserer Ansicht nach würde die Revanche
Wagner's viel wahrscheinlicher sein, wenn Carvaiho den „fliegenden
Holländer" gewählt hätte.
Die alten musikalischen Formeln sind abgenützt und das Pub-
likum ist der ewigen Cavatine müde. Es bewahrt seine Bewun-
derung für die Meisterwerke der alten Schulen; indem es dieselben
anhört, versetzt es sich in die Zeit, in welcher der Componist ge-
schrieben hat. Allein die Formel für die classischen Werke ist nicht
mehr dieselbe, welche für die Meister der Zukunft massgebend sein
soll. Wir applaudiren Corneille, Racine und Moliere und werden sie
immer applaudiren; es ist gut, diese Meister zu studiren und nach-
zuahmen, allein die Nachahmung darf keine sclavische sein. Man
muss wie sie die Natur befragen , das menschliche Herz studiren,
die Leidenschaften und Gefühle darstellen ; allein man muss suchen,
dieselben in einer Form auszudrücken, welche dem Character und
den Eindrücken unserer Zeit angemessen ist. Die sclavische Nach-
ahmung führt zum Verfall der Kunst. Wenn man stets copirt und
die Nachahmer wieder nachahmt, so gelangt man von Copie zu
Copie dahin, dass man gar keinen Zug des Originals mehr hervor-
bringt. So macht man aus dem Apollo von Belvedere nach und nach
eine Carricatur.
Es wird eine Zukunftsmusik geben, wie es eine Maler-, Bild-
hauer-, Bau- und Dichtkunst der Zukunft geben wird. Wenn Wagner
auch das Problem nicht gelöst hat, so gebührt ihm doch wenigstens
die Ehre, dasselbe aufgestellt zu haben. Man möge sich darüber
nicht täuschen. Es gibt symptomartige Krankheiten, Verkehrtheiten
des Geschmackes ; diese Krankheiten der Kunst und des Geschmackes
werden ebenfalls wieder zu Symptomen. Man beklagt sich mit Recht
über gewisse scandaleuse Erfolge. Man sagt, die Kunst verfalle;
das Publikum vernachlässige die guten Werke , es steige aus den
Rogionen des Idealen herab , um die Musik der Caffeehäuser zu
applaudiren ; es vergesse Mozart über die Gassenhauer einer Theresa.
Wenn dies ein wirklicher Verfall wäre, so müsste man ihn tief be-
klagen und au jeder Abhülfe verzweifeln, allein es ist dies kein
Zeichen des Verfalls, es ist ein Symptom des Uebergangs, ohne
Zweifel ein betrübendes Symptom, welches jedoch das Uebel andeutet
und uns zu suchen gebietet, wo das Leben ist. Nun ist aber das
Leben nicht mehr in den alten Formeln.
Theresa ist eine Protestation, eine beklagenswerthe Protestation,
was die Form betrifft, aber im Grunde eine gerechte Protestation
gegen den halb überspannten , halb sentimentalen Muth willen , eine
Protestation gegen den falschen Geschmack, die übertriebeneu Ver-
zierungen , die überall angebrachten Vocaliseu , deren gefährlichste
Kundgeberin Adeliua Patti ist. Vom künstlerischen Standpunkt
aus betrachtet — und die Geschichte wird dies seiner Zeit bestä-
tigen — Scandal gegen Scandal, die übertriebenen Triumphe der
Patti sind beklagenswerther als die vorübergehenden Erfolge der
Theresa; wenigstens braucht man die letzteren nicht so ernsthaft
zu nehmen.
Dasselbe Symtom beurkundet sich in unseren Sitten und in
unseren Gewohnheiten. Seitdem die Frauen aus dem Salon ein
Schlachtfeld gemacht haben , wo der Luxus nicht immei mit den
Waffen der Courtoisie kämpft, seit die geistreiche Causerie dem
- 124 -
ewigen Geschwätz über Toilette Platz gemacht bat, haben die Männer
den Clubb und die Cigarren eingeführt. Clubb und Cigarren sind
Proteßtationen nnd Symptome.
Da sind wir nun weit von B. Wagner abgekommen. Allein
Alles hat seinen Platz; Aesthetik, Philosophie, schöne Künste, Critik»
Alles ist der Ausdruck des menschlichen Gedankens, die Uebersetzung
der Gefühle, welche die Geister beherrschen und die Herzen schlagen
machen. Das menschliche wird immer dasselbe bleiben, die Werke
Gottes sind unwandelbar. Allein die Civilisation wächst, die Ideen
-wechseln und der Ausdruck wechselt mit ihnen, und die Kunst unter
allen ihren Formen ist der Ausdruck der Menschlichkeit.
So möge denn B. Wagner nach Paris kommen, um eine glän-
zende Bevanche oder eine ehrenvolle Niederlage zu finden. Wenn
er die neue Formel nicht gefunden haben sollte, so hat er sie doch
mit Hingebung und mit Eifer gesucht. Er hat Anspruch auf jene
Sympathie, welche das Evangelium allen Menschen verspricht, die
eines guten WillenB sind. Als Sieger werden wir ihm unsern Beifal 1
schenken, als Besiegten werden wir ihn beklagen und für ihn jene
Theilnahme in Anspruch nehmen, welche immer jenem Soldaten nach
dem Siege zu Theil wird, der in der vordersten Beihe gefallen ist*
> o> —
COBRESPONDENZEN.
Aus Paris.
22. Juli.
Die seit einem Monat hier herrschende tropische Hitze ist nicht
geeignet , das Publikum in's Theater zu locken. Dieselben sind
daher sehr leer, so dass die Directoren bedenkliche Gesichter machen.
Das Iuteresse des Publikums ist überhaupt in diesem Augenblick
mehr den Kriegsereigniasen in Deutschland als der Kunst zugewendet.
Das einzige musikalische Ereigniss seit mehreren Wochen ist die
neue dreiaetige Oper von Jules Cohen, ,,Jose Maria 1 ''. Dieselbe
wurde vorigen Montag in der Opera comique zum erstenmale auf-
geführt und hat soso angesprochen. Jules Cohen, ein junger und
sehr reicher Mann, ist ein Schüler Halevy'e und hat sich durch
eine Operette, „Maitre Claude", sowie durch die Musik zu den
Chören von Raciue's „Athalie" und „Esther" einen gewissen Namen
gemacht. Er besitzt eiu entschiedenes Aneignungstalent, allein es
fehlt ihm durchaus an Ursprünglichkeit. Iq dem eben erwähnten
neuen Werke ahmt er bald seinen verewigten Meister Halevy, bald
Auber nach; ja hie und dort fiudet man ihn wohl auch in den Fuss-
stapfen Verdi's; überall aber tritt die Absicht deutlich hervor, coüte
gue coüte, Effecte hervorzubringen. Das jüngste Kind der Cohen'-
schen Muse wird sich schwerlich lange auf dem Bepertoir erhalten.
Auber arbeitet an einem neuen Werke , zu welchem ihm
d'Ennery den Text geliefert. Dasselbe soll künftigen Winter in
der Ope'ra comique in Scene gehen,
Hr. Carvalho, der Director des Theätre lyrique ist nach
Italien abgereist , um dort einen Tenoristen zu suchen , der den
Romeo in Gounod's gleichnamiger Oper singen soll. Dieselbe soll
im nächsten Winter zur Aufführung kommen. Auch „Lobengrin"
soll im Laufe künftiger Saison dort aufgeführt werden.
O f f e n b a c h , der unermüdliche , rastlose Offenbach, arbeitet
gegenwärtig an einem halben Dutzend Opern, unter welchen sich
eine dreiaetige befindet, die für das Theätre du Chätelet bestimmt
ist. Wie ich höre, ist das Libretto von Ludovic Halevy und
Henri Meilhac nach einem Mährchen bearbeitet. Das Werk
heisst es, wird mit einer seltenen Pracht ausgestattet werden.
T¥ a c li richte
ii.
Brüssel. Die Statue Gretry's, welche bisher auf dem Univer-
sitätsplalze stand, ist nun auf ihrem neuen Piedestal, Place du
Spectacle, aufgestellt und die umgebende Bretterwand entfernt
worden, so dass man den freien Anblick des Monumentes geniesst.
Dasselbe macht auf seinem gegenwärtigen Platze einen weit vorteil-
hafteren Eindruck als auf dem früheren, was nicht nur den günsti-
gen Proportionen des Platsee und seiner Umgebung, sondern auch
dem neuen, bedeutend höheren und sehr geschmackvoll gearbeiteten
Sockel zu verdanken ist.
London. Die Concertsaison kann man als geschlossen betrachten ;
sie endigte mit einer Matinee, welche Adel ina Patti am 18 d.M.
gab und in welcher sie unter Anderem saug: „On partitiff" wozu
sie die Musik auf ein Gedicht Byron's selbst componirt bat, und
ein noch unveröffentlichtes Terzett von Costa : „ Vanne o colei cht
adora" mit Mario und B r i g n o li. Sie wurde natürlich mit
Beifall und Blumen überschüttet. Neben ihr glänzten die Damen
L u c c a und A r 1 6 t in verschiedenen Piecen aus „Figaro's Hoch-
zeit" und „Norma". Am 25. Juli findet als Benefiz für Adelina ein*
Aufführung von „Figaro's Hochzeit" statt, worin sie selbst die Su-
sanne singen wird. Die Vorstellungen im Theater der Königin wur-
den mit der „Zauberflöte" geschlossen , doch werden noch mehrere
Aufführungen zu herabgesetzten Preisen stattfinden.
— Im October findet in Norwich ein grosses Musikfest statt,
und sind die Oratorien „Naaman" von Costa und „Israel in Egypten 4t
von Händel zur Aufführung.
— Unter anderen afrikanischen Merkwürdigkeiten, welche in
neuester Zeit hier ausgestellt wurden, befindet sich auch ein blinder
Neger, welcher ziemlich gut Ciavier spielt und besonders die Gabe
besitzt, Alles, was er hört, sogleich nachzuspielen. Sein „Besitzer"
hofft mit ihm gute Geschäfte zu machen.
*** Der älteste der französischen Clarinettisten , Franco Da-
costa, seinerzeit ein ausgezeichneter Virtuose auf seinem Instru-
mente, ist am 12. Juli in Bordeaux, wo er am 17. Januar 1778 ge-
boren wurde, gestoihen. Er hatte seine musikalische Ausbildung
im Conservatorium erhalten, wurde auf Verwendung Rode's 1802
zum Soloclarinettisten der Musik des ersten Consuls ernannt und
behielt die Stelle eines ersten Clarinettisten unter den verschiedenen
nachfolgenden Regimen bis 1842. Er war zweiter Director der
Musik der Garde Karls X. und gehörte mit anderen Künstlern, an
deren Spitze Habeneck, zu den Gründern der Concertgesellschaft
des Conservatorinms. Er hatte von Spontini's „Olympia" bis zur
„Favoritin" von Donizetti alle Opern mitgespielt, welche das Pub-
likum der grossen Oper entzückten. Er war in den letzten drei
Jahren vollständig blind. Der Oberrabiner von Bordeaux hielt eine-
ergreifende Ansprache an die zahlreich am Grabe des ausgezeich-
neten Künstlers anwesenden Freunde und Verehrer desselben.
*** Im Pariser Cirque de V Imperatrice hat dieser Tage eine
Gasexplosion stattgefunden , durch welche vier Personen so schwer
verletzt wurden, dass sie in's Spital gebracht werden mussten. Zwei
Pferde sind verbrannt, zwei andere vollkommen betäubt worden,
doch ist der materielle Schaden im Ganzen nicht bedeutend und der
eigentliche Ciicus nicht beschädigt.
*** Der Tenorist Wachtel eröffnete am 21. Juli ein Gastspiel
am Friedrich -Wilbelmstädter Theater in Berlin. Er wird dreimal
auftreten und zwar im „Postillon," „weisse Dame" und „Fra Diavolo".
%* Die Saison am Scalatheater in Mailand wird am 5. Sept.
mit der „Afrikanerin" eröffnet werden.
*** Warum hoffen wir, sagt die Musical World, dass Preussen
Hannover nehmen und behalten werde? — Weil wir dann Joseph
Joachim nehmen und behalten werden.
*** Bei den Pariser Theatern ist jetzt die Einrichtung getroffen*
dass keine Contremarken mehr ausgegeben werden. Statt derselben
sind die Eintrittsbillete mit Coupons versehen, welche letztere vom
Billeteur abgerissen werden, während das Billet selbst in den Hän-
den des Besitzers bleibt und ihm als Legitimation zum Aus- und
Eingehen dient.
*** Man geht in Paris mit dem Plane um, während der Welt-
ausstellung im nächsten Jahre auch eine Art Weltausstellung des
Chorgesanges zu veranstalten. Es sollen sich darnach ausser den
Orpheons (Männergesangvereinen) aller Städte Frankreichs die Ge-
sangvereine 8ämmtlicher europäischer Staaten an der Seine ve« 5 -
sammeln. Delaporte und Baron Taylor befassen sich mit der
Ausführung dieser Idee, die man grossartig nennen könnte, wenn sie
nicht etwas abenteuerlich wäre.
*** Im Pariser The'ätre lyrique wurden in der abgelaufenen
Saison die „Zauberflöte" 58-, „Don Juan" 24-, „Martha" 56- und
„Bigoletto" 46mal gegeben.
i y i l i m i i i i i n .i . 1 ii I«
Vtrantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
JV* 99.
6. August 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
1 Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand- j
lungen. j
.~ r\,
B.
Verlig Y?
Toa | fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
SCHOTT 's SÖHNEN in MAINZ, i Durch die p os t bezogen •. \
1
:
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
i 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal. \
INHALT: Stradella und die Contarini. — Die Aeolsbarfe. — Nachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde ans dem 17. Jahrhundert von
P. Richard.
IV.
Musikalische Compositionen.
Angeio Catelani, ein gelehrter Musiker und ausgezeich-
neter Schriftsteller, von dem Fetis in seiner Biographie des musi-
riens (neue Ausgabe) sagt , „dass seine Mittheilungen von hohem
Interesse , voll tiefer Forschung und von einer vor jeder Kritik be-
stehenden Genauigkeit sind, weil der Autor sich nur auf die authen-
tischsten Beweismittel stützt," einer der Conservatoren der königlichen
Bibliothek in Modena, constatirt das Vorhandensein einer beträcht-
lichen Anzahl musikalischer Compositionen von Alex. Stradella in
der musikalischen Sammlung , die unter seiner Aufsicht steht. *)
AagesioHa dl^wr naasegsfceutatexi Schätae, welche fast alle gänslich
unbekannt waren, hat sich Catelani die Aufgabe gestellt, oder viel-
mehr es für seine Pflicht gehalten, eine genaue und ausführliche
Beschreibung derselben zu veröffentlichen, und zwar soll diese wich-
tige Arbeit unter der Aufsicht des Meisters Rossini zu Tag ge-
fördert werden. Bisher war von den musikalischen Werken eines
der grossen italienischen Meister kaum mehr bekannt als von den
Einzelnheiten seines bewegten Lebens. Im Jahre 1861 hat Catelani
in einem Modeneser Journal eine Uebersicht dieser zahlreichen
Compositionen mitgetheilt. Das Werk, mit dessen Ausarbeitung er
«bau beschäftigt ist, naht sich seiner Vollendung und wird sich den
Frennden der Musik als ein verdienstvolles Unternehmen erweisen,
durch welches eine fühlbare Lücke in der Geschichte der italieni-
schen Meister des 17. Jahrhunderts ausgefüllt wird, indem wir einen
fange vergessenen Meister kennen und schätzen lernen, der ein wür-
diger Nachfolger eines Peri, Caccini, Monteverde, Caris-
simi und ein ausgezeichneter Vorgänger Alexander Scarlatti'a
und des grossen Händel war.
In Erwartung dieses entscheidenden Werkes und mit Hülfe der
von Catelani bereits gegebenen Andeutungen scheint es uns von
Nutzen zu sein, wenn wir in einem möglichst vollständigen Ver-
seichniss die bis heute constatirten authentischen Werke dieses frucht-
baren Meisters zusammenstellen. Jederman weiss, dass während des
ganzen 17. und 18. Jahrhunderts nur der kleinste Theil der musi-
kalischen Werke durch Druck oder Stich veröffentlicht wurde. Die
wenigen Exemplare, welche verbreitet wurden, waren handschriftliche
Copien, deren Anzahl natürlich eine sehr beschränkte war. Schon
*) Ohne Zweifel verdankt man die Sammlung und Erhaltung aller
dieser Werke dem Hersog Franz IL von Modena. Der kränk-
liche Sohn der Laura Martinozzi, einer der Nichten Ma-
sarin's, war Franz IL, nach Muratori, ein jedwedem Meister
gleichstehender Musiker. In seinem Dienste befanden sich, reich-
lich bezahlt, die ausgezeichnetsten Künstler seiner Zeit. Ausser-
dem war er der Gründer der Bibtioteca Esteusa, welche reich
an gedruckten Büchern und Manuscripten ist. Er war ein Zeit-
genosse Stradella'« und war erat 34 Jahre alt, als er 1694 starb.
dadurch allein erklärt sich ihre Seltenheit. Zum Glück für die
grössere Verbreitung und für den Fortschritt der Kunst haben sich
eine bedeutende Anzahl fürstlicher Sammlungen, Dank den politi-
schen und anderen Umwälzungen während der letzten Generationen,
in öffentliche Sammlungen verwandelt. So sind denn eine Menge
von kostbaren Documenten für die Geschichte und Praxis der musi-
kalischen Kunst bekannt geworden und werden deren immer noch
mehr bekannt werden. Wir werden daher bemüht sein, um diesem
ersteu Nachforschungen eine möglichst allgemeine Nützlichkeit zu
verleihen, mit aller Genauigkeit die öffentlichen oder Privatsamm-
lungen anzugeben, in welchen man die angeführten Werke finden kann.
Kirchenmusik. Einer Anmerkung Catelani's zufolge figurirt
Stradella zu gleichen Zeit als lateinischer Dichter in mehreren seiner
kirchlichen Compositionen. Andererseits besitzt das Britanische
Museum unter den Manuscripten von Harley eine „Sammlung der
berühmtesten Kirchenlieder und Vorgesänge, welche in der evange-
lischen Kirche von der Reformation bis zur Bestanration Carte II*
gebräuchlich waren," gesammelt von 1716 bis 1720 von dem Doctor
der Musik Thomas Tudway, Professor an der Universität in
Cambridge, in 6 Octavbänden. Im 2. Baude befinden sich Motteten,
welche ursprünglich von Stradella auf lateinische Texte componirt
und von Dr. Henry Aid rieh einer englischen Uebersetzung au-
gepasst wurden.
Was sind dies nun für Motteten? Sind es Copien derjenigen,
die sich iu Modena befinden, oder sind es andere Compositionen?
Wir können nur diese Frage aufstellen, da uns eine Prüfung nicht
möglich ist. — Die kostbare Sammlung alter Musik, welche ß. G.
Kiesewetter der kaiserlichen Bibliothek in Wien vermacht hat,
enthält einige Werke von Stradella. Ein ausführlicher Catalog,
welcher 1847, also ein Jahr nach dem Tode des Legatars veröffent-
licht wurde, weist zwei Kirchcncompositionen auf, nämlich ein Motttt
für 6 Stimmen, u lux äterna fulgebit\ und einen gleichfalls seehc-
stimmigen Psalm, „laudate Dominum".
Man kann den geistlichen Compositionen Stradella's die ver-
schiedenen Arrangements seiner „Kirchenarie" (Aria di chiesä)
nicht beizählen , welcher man verschiedene lateinische Texte zu
unterlegen beliebt hat. Ebenso kann man ihm ein dreistimmiges
„0 salutaris" nicht zuschreiben, welches in Paris mit Orgelbeglei-
tung von Mine herausgegeben wurde. Grobe Prosodiefehler, eine
hässliche Triolenpassage lassen auf den ersten Blick einen unge-
schickten Nachahmer erkeuneu. Was das „Agnus Z>ei" für Tenor
und Baas bettifft, welches Nicou-Chorou einer authentischen Mu-
sik von Stradella unterlegt bat, so ist dasselbe nichts Anderes als
ein Bruchstück der Cantate für Sopran und Bass , welche mit den
Worten anlangt: „Chi dira che nel veleno " und deren ursprüng-
licher, ziemlich profaner Text etwas ganz anderes ausdrückt als ein
Agnus Dei.
Oratorien. Das geistliche lyrische Drama, in gewöhnlicher
Sprache geschrieben und für die Kirche bestimmt, entstand fast
gleichzeitig mit dem lyrischen Drama der Schaubühne, aber seine
Form und Bestimmung bringen dasselbe natürlich der Kirchenmusik
126 -
näher. Diese Compositionsgattung verdankt ihren Ursprung der
Gründung der Oratoriums - Congregation durch Philipp Neri.
Nachdem das Oratorium zur Entstehung einer langen Reihe von
Meisterwerken der berühmtesten Meister aller Schulen, wie Jomelli,
Cimarosa, Händel, Bach, Haydn, bis auf Mozart und Beethoven Ver-
anlassung gegeben hat, hat sich dasselbe seit langer Zeit von der
geweihten Stätte zurückgezogen ; heutzutage glänzt dasselbe , mit
Ausnahme Englands, wo es noch das einzige musikalische Schauspiel
der strengen Protestanten bildet, nur noch bei Concerten und Musik-
festen. AI. Stradella war einer der ersten Componisten, welche
dem Oratorium eine dramatische Form gegeben haben. Ursprünglich
war dasselbe ein schwerfälliges Gemisch von Erzählung und Drama;
der Tenor, unter dem Namen Istoria oder Texto, erzählte das
Sujet, und die verschiedenen Absätze seiner Erzählung endigten mit
einem „cosi disse" oder ,.proruppe in tali accenii" der gewöhn-
lichen Einleitung zu einer Arie, einem Duett etc. Die Einförmigkeit
dieser Form und einigermassen auch die Aehnlichkeit mit der
„Passion" der Charwoche veranlassten die Einweglassung jener
Worte, und obschon dies ein wirklicher Fortschritt war, so fehlte es
doch nicht an Leuten, welche unter dem Scheine der Frömmigkeit
behaupteten, es gäbe nun keinen Unterschied mehr zwischen einer
geistlichen und einer weltlichen Oper. Das Oratorium , so wie es
Stradella uud alle grossen Meister nach ihm aufgefasst haben, blieb
siegreich gegen jene ungeschickten Einwendungen und hat unver-
gängliche Werke hervorgerufen.
Bisher kannte man nur ein einziges Oratorium von Stradella,
an welches sich die Erzählung Bourdelot's knüpft, nämlich jenes,
dessen Schönheit „wie durch ein Wunder die Wuth der Mörder in
Mitleiden verwandelte," das Oratorium , de San Giovanni Battista
a cinque con stromenti'\ für fünf Stimmeu mit Orchester. In seiner
grossen Geschichte der Musik hat B u r n e y eine sehr sorgfältige
Analyse dieses Oratoriums, Stück für Stück gegeben. Wenn er,
nach Bourdelot und Hawkins, Rom und die Kirche von St. Johann
von Lateran als den Ort angibt, wo der Auftritt mit den musik-
freundlicben Banditen stattgefunden haben soll, und beifügt, dass
Stradella Componist, Dirigent und erster Virtuose als Instrumentalist
und Sänger zugleich war, so vergisst er, dass Bourdelot in seiner
Erzählung weder von Stimme noch von Gesang gesprochen hat.
Burney besass ein Exemplar dieses Oratoriums. Ein zweites
hat sich in der Sammlung der Academie für alte Musik in London
vorgefunden und ein drittes, wie die andern Manuscript, befindet
sich in der Bibliothek in Modena. Kiesewetter besass mehrere
Bruchstücke davon in seiner reichen Sammlung, Pater Martini
hat als Fugenbeispiel das Duett: „Nel seren del tuoi conlenti" aus
demselben Oratorium in seiner „practiseken Abhandlung über den
Contrapunkt" gegeben , indem er von der Berühmtheit des Autors
spricht: „Uomo di gran grido nel secolo passato" und eine ana-
lytische Besprechung beifügt. Burney, tit. IV., p. 118 hat das näm-
liche Stück wiedergegeben.
Catelaui führt noch fünf andere Oratorien an, welche in Modena
aufbewahrt werden und folgende Titel haben :
„Santa Pelagt'a," vierstimmig mit Chören.
„San Giovanni Crisostomo* fünfstimmig.
„ Ester, liberatrice del popolo ebreo* fünfstimmig mit Chören.
„Santa Edita, vergine e monarca regina d Inghilterra*
fdufstimmig, das Gedicht von dem Fürsten Lelio Orsini.
„Susanna," fünfatiinraig mit Chören.
Die hervorragende Stellung, welche Stradella unter den Meistern
des 17. Jahrhunderts eingenommen hat, besonders als Oratorien-
componist, berechtigt uns wohl, hier in Kürze das ernstlich durch-
dachte Urtheil wiederzugeben, welches der gelehrte Dr. Burney über
ihn gefällt hat: „Seine (Stradella's) Compositionen, sämmtlich für
Gesang, deren mehrere sich in meinem Besitz befinden und von denen
ich eine grosse Anzahl in anderen Sammlungen gesehen uud geprüft
habe, übertreffen alle anderen des vorigen (16.) Jahrhunderts, mit
Ausnahme jener von Carissimi und vielleicht, wenn er ein höheres
Alter erreicht hätte, würde er auch hinter diesem grossen Musiker
nicht zurückgeblieben sein."
Nach Burney wären die Sinfonie oder Ouvertüre und die erste
Arie des heil. Johannes in dem zu Rom in der Laterankirche auf-
geführten Oratorium von wenig Wirkung, doch findet er die Be-
gleitung eines darauffolgenden achtstimmigen Gesanges sehr genial.
Bewundernswerth findet er einen fünfstimmigen Chor der Schüler
des heil. Johannes. Es ist dies eine vorzüglich gearbeitete Doppel-
fuge. „Ausser von Händel, sagt Burney, kenne ich keinen besseren
Vocalcbor." In anderen Stücken findet er ebenfalls sehr schöne,
neue und elegante Stellen; sie sind alle fugirt oder imitatorisch
geschrieben, eine Manier, die zwar an sieb nicht dramatisch ist, &b«r
unter den Händen eines Carissimi, Stradella, Purcell, Händel für
den Kenner grosses Interesse bietet. Ausserdem führt er noch eine
prächtige Bassarie des Herodes mit Doppelchor an. Wenn auch
manches veraltet ist, so war es doch damals neu genug, dass Corelli
und andere Componisten es nachahmten. Die Melodie war damals
noch wenig ausgebildet, und jeder Meister beeilte sich nach irgend
einer seltenen Bewegung ausserhalb des Fugenstyls wieder zu dem-
selben zurückzukehren, da er seinen Ruf an die Kundgebung
seiner Geschicklichkeit in diesem Genre geknüpft glaubte. Doch
hat Stradella, wenn er auch den Ansprüchen seiner Zeit gerecht
wurde, in seinem Oratorium eine grössere Abwechslung in den Be-
wegungen und Combinationen angewendet, als man in irgend einem
geistlichen oder weltlichen Drama jener Zeit findet. „Dieses Ora-
torium wächst an Verdienst von Schritt zu Schritt. Das Recitativ
ist im Allgemeinen vortrefflich, und unter den Arien ist Weniges zu
finden, was nicht Genie, Geschicklichkeit und Gelehrtheit verriethe."
Zum Schlüsse sagt Burney: „Weun dieses geistliche Drama in St.
Johann von Lateran aufgeführt wurde , was durch nichts bewiesen
ist, so muss es gegen das Jahr 1676 gewesen sein." Dieses Datum
ist wahrscheinlich, obschon jenes erste mörderische Attentat in Rom
reine Erfindung ist.
Die Aeolsharfe«
Dieses romantische Instrument ist hier zu Lande wenig bekannt,
dessen harmlose Naturmelodien und bald frohe, bald sehnsüchtige
Hauchaccorde in tiefer Nachtstille zwischen dem melancholischen
Säuseln des Laubes von eigeuthümlichster Wirkung sind. Dem spät
unter den Sternen Wandeludcn bereiten diese Töne manches Ver-
gnügen, und der eigentliche Musiker wird nicht umhin können, die
ewigen Gesetze der Harmonie in ihnen zu bewundern. Es dürfte
den Leser daher iuteressiren, etwas Näheres über die Natur und die
Verwendung dieses Instrumentes zu erfahren.
Dieses Saiteninstrument verlangt von seinem Besitzer keinerlei
Kunstfertigkeit noch Vorübung, denn es spielt ganz von selbst.
Die merkwürdige Eigenschaft, im Luftzuge sanfte Harmonien, wie
Musik aus weiter Ferne, hervorzubringen, macht es für Gärten und
ruhig liegende Zimmer höchst augenehm. Die Aufstellung ist leicht
erlernt. Mau öffue nämlich ein Fenster, auf das eben ein frischer
Wind trifft, drei Zoll weit, befestige es mittelst eines Bandes und
Btelle nun die Harfe mit ihrem trichterförmigen Luftfange dicht
anschliessend an diese Fensterspalte, so dass der eindringende
Wind mitten durch den Saitenchor ziehen muss. Anfangs hauchen
die Töne tief und im erwacheuden Dreiklange. Kaum aber setzt
der Wind lebendiger ein, so steigen die sanften, feierlichen Accorde
höher und höher, und es entwickelt sich eine reizeude Mannigfaltig-
keit von hellen Flöten- und Clarinettönen. Vei hauchen sie wieder,
so hallt die Melodie noch in den Basssaiten fort, wie ersterbende
Klänge von fernen, gedämpften Waldhörnern. Alle übrigen Feuster
und Thüren nach aussen müssen geschlossen seiu; wohl aber
muss mau die Stubenthüre oder besser noch die eiues Camins öffnen,
um so den uöthigen Gegenzug zu bewirken. Wer diesen Wink bei-
achtet, wird die Aeolsharfe, mit Recht launenhaft- genannt, fast
jederzeit zum Spieleu bringen. Die SeptimeuaccortW und vor Allem
das Crescendo in schwellenden und wieder sinkenden Musikstrophen
sind unnachahmlich schön uud dürften selbst dem geübtesten Geigen-
spieler noch ein kleines Studium werden. — Im Garten wählt man
einen Ort, wo ganz freie Luftströmung herrscht. Hier kann man
in Form einer Nische eine Art Luftfang anbringen, uud würde die
Harfe darin zugleich vor Regen geschützt seiu. Fast alle küustlichen
Decorationsstücke eines Parkes, als: Säulen, Ruinen, Grotten, Denk-
mäler, Statuen, Fontainen, vor Allem aber Grotten, die starken Zug
haben , lassen sich zur verborgenen Anbringung von Aeoisbarfen
trefflich benutzen. ~ -
- 127 -
Die gwöbnliche Sorte, für fast Jedes Stubenfenster passend, bat
«ine Hohe von S 1 /» Fuss, ihre Breite ist 8 Zoll und die Weite des
Luftfanges 4 Zoll. Das Gewicht einer solchen Harfe ist 6 Vi» mit
Kiate 14 Pfand. Sie sind verfertigt von aasgewähltem Holze der
Lerchentanne, welches durch langes Trocknen einen klingenden Ton
angenommen und mahagoniähnlich polirt ist. Der Preis nebst Stimm-
schlüssel und Verpackung ist ungefähr 10 — 12 fl. ; von massivem
Mahagoni mit hübscher Auslegarbeit natürlich etwas theurer. Die
grossen Harfen für Parks sind 5 l /iF«8S hoch, mit Violoncell-^-Saiten
bezogen , ihr Tonumfang 7 Octaven , und sind ihre Basstöne so
ausgezeichnet schön, dass sie an das Herüberhallen einer Kirchen-
orgel erinnern.
Es folgt hier noch im leichten Ueberblick eine Zusammenstellung
alles dessen, was den Besitzern dieser Instrumente wissenswürdig
erscheinen möchte.
Stimmung. Nach dem Piano in F der grossen Bassoctave
Und alle Saiten überein. Die grösseren Harfen eine Octave
tiefer und ist bei diesen die Stimmung jedesmal nach dem Grundton
der Resonanzdecke in Chladni's Methode genau bezeichnet. Je
präciser man die Saiten in ihren vollkommensten Gleichklang stimmt,
um so reiner und entzückender schweben daraus die Accorde hervor.
Aufstellung. Die vorzüglichste wird immer die in einem
gewöhnlichen Zimmer s^n, wie zu Anfang erläutert. Die meisten
Fenster in den HauBern der Stadt, selbst in engen Strassen, liefern
treulichen Zug für das Spiel einer Aeolsharfe. Hier spielt sie schon
wegen der Resonanz des Zimmgrs lauter und voller als ganz im
Freien, und sind die Tone auch ausserhalb des Bauses bei völliger
Stille noch in ziemlicher Distanz zu vernehmen,-. Ma*n muss nur
vorher ermitteln, welche Seite des Hauses den lebhafteren Luftzug
bietet, und dieserhalb öftere Versuche anstellen.^
Zeit der Aufstellung. Bios in der ^bendkühle, wenn sich
ein leichter Wiud erhebt. Während der Tageswärme entwickeln die
Accorde fast keine Abwechslung und übersteigen selten die Septime
der tiefsten Octave. Am Abend dagegen und in der Nacht bilden
sich durch die sinkende Temperatur jene merkwürdigen Harmonien,
welche mit ihren geisterhaften Anklängen nicht in Noten wiederzu-
geben sind und die doch überall Freude und Bewunderung erregt haben.
Aufstellung im Garten. Hoch über den Baumwipfeln.
Die Harfe niedrig zwischen dem Laube anzubringen, würde zu keinem
Resultate führen. Der Wiud, welcher sich hier bemerkbar macht,
ist nämlich vielfach gebrochen und fällt schräg von oben herein.
Die Luftströmung muss unbedingt horizontal auf den Saitenchor
treffen, wenn ausgehaltene Accorde erscheinen sollen, und gleich dem
Bogenstrich auf der Geige parallel mit den Stegen ziehen.
Molltöne. Man stimme die beiden Melodiesaiten (die ersten
vom Luftfange) einen halben Ton tiefer. Weitere Umstimmungen
ausserhalb des Gleichklanges liefern Dissonanzen.
Saiten und Aufziehung neuer. Je dünner die Saiten,
um so leichter das Ansprechen des Tones. Die Violin -JE- Saiten
werden schon bei einem Luftzug vibriren, der kaum mit den Blättern
spielt. Ihre Töne aber steigen schon bei massigem Winde zu einer
Höhe, die in's Gebiet der Vogelstimmen hinaufreicht. Man wählt
daher am passendsten ^-Saiten, und sind auch die kleinem Harfen
oaeh der gewöhnlichen (zweizügigen) Länge dieser Saiten eigens
gebaut. An Aufstellungsorten, wo die Luft stärker hinströmt, z. B.
freiliegende Häuser, Thürme, Grotten etc., geben jedoch D- Saiten
ihres bedeutsamen, feierlichen Basses wegen, eine schönere Wirkung.
Es bedarf wohl kaum der Erwähnung , dass diese dickere Saiten
etwas tiefer gestimmt werden müssen (etwa zwei ganze Töne), wenn
Sie schon bei leichtem Hauchwinde ansprechen sollen.
Beim Neuaufziehen muss mau jede Saite von vornherein
an's Stimmungshalten gewöhnen. Dies geschieht, indem man sie
um mehrere Töne höher spannt und so ruhig stehen lässt. Bei dem
späteren Herablassen auf ibreu Normalton wird sie diesen um so
richtiger einhalten, und bei Verstimmung durch Temperaturwechsel
wieder auf ihn zurückkommen. Bei der schwachen Anspannung
reissen die Saiten übrigens höchst selten , es sei denn , die Harfe
werde von feuchtem Nebel überrascht. Dann aber tönt vorher von
den sich auflösenden Saiten eine so eigenthümlich dumpfe Klage,
dass man unwilikührlich aufmerksam werden und sie in Schutz
nehmen wird.
Conservirung und Veredlung. Wer vielleicht an diesem
einfachen Natarinstrumente höheres Interesse findet und es auf alle
Weise in gutem Stande erhält, wird auch die Freude haben, recht
bald eine Verschönerung des Tones daran wahrzunehmen. Nicht nur
wird es lauter und voller spielen, sondern es kommt mit der Zeit
eine unbeschreibliche Romantik des sanft hervorquellenden Klanges
hinzu. Um nun solche Veredlung anzubahnen, ist vor allen Dingen
erforderlich, die Harfe vor Feuchtigkeit zu schützen, sie im Winter
an einem trockenen, und wenn irgend möglich warmen Ort aufzu-
bewahren und mittlerweile die Saiten stets i m Gl eichklange
zu erhalten, bis sie diesen nicht mehr verlieren. (Euterpe.)
I a c h r i c h t c ii.
Mainz. An Ciaviermusik ist sicherlich nirgends Mangel, denn
die Zahl derer, welche sich zur Bereicherung der einschlägigen Li-
teratur berufen fühlen, ist Legion. Doch nicht alle Berufenen sind
Auserwählte, und im Ganzen ist nur ein sehr geringer Theil der in
so grosser Anzahl erscheinenden Novitäten im Fache der Ciaviermusik
als eine wirkliche Bereicherung derselben zu betrachten, so dass es
zu beklagen ist, wenn ein nach dem Rechten mit Erfolg strebender
Componist nicht so allgemein bekannt wird, als er es verdiente, was
nicht selten der Fall ist. So haben wir vor Kurzem verschiedene
Ciaviersachen von einem uns bisher gänzlich unbekannten Compo-
nisten, dem Professor am Wiener Conservatorium, Hans Schmitt,
zu Gesicht bekommen , die sich vor vielen andern modernen Pro»
dueten durch Ideenreichthum, characteristischen Ausdruck, schöne
Melodik und Noblesse in der Erfindung und in der Form sehr vor-
teilhaft auszeichnen. Auch im Etüdenfach hat dieser begabte Künstler
sehr schätzenawerthes geleistet, und es würde uns zum besonderen
Vergnügen gereichen, wenn wir den Werken Schmitts, welche bei
F. Wessely in Wien erschienen sind, die Aufmerksamkeit
gediegener Pianisten im verdienten Grade zuzulenken vermöchten.
E. F.
Dresden. Sonntag, den 29. v. M. fand in der Frauenkirche eine
grosse geistliche Musikaufführung zum Besten der hülfsbedürftigen
Familien der gefallenen Sachsen statt. Veranstaltet war dieselbe von
der Generaldirection der kgl. musikalischen Capelle und des Hof-
theaters. Aasgeführt wurden die Nummern des Programms durch
die Mitglieder dieser beiden Kunstinstitute unter Mitwirkung der
Dreyssig'schen und der Dresdener Singacademie (Chorgesangverein).
Das geistliche Concert bot : Orgelpräludiuni (Hr. Hoforganist Merkel),
den BacVschen Choral „Gieb dich zufrieden" etc. ; Mozart's „Re-
quiem" (die Soli gesungen von Frau Kammersängerin Bürde-Ney,
Frau Krebs-Mi chalesi und den HH. Weixlstorfer und
Scaria); A-moll-Fuge von Bach (Hr. Merkel), und den 42. Psalm
von Mendelssohn-Bartholdy (die Soli ges. von Frl. Alvsleben und
Frl. Ilänisch, sowie den HH. Eichberger, Hollmann,
Mitter würz er und Weixlstorfer). Die musikalische Direction
des Mozart'schen „Requiem" hatte Hr. Hofcapellmeister Dr. Rietz,
diejenige des Mendelssohn'schen Psalms Hr. Hofcapellmeister Krebs
übernommen. Dass die Wiedergabe der einzelnen Programmnummern
bei der Vereinigung so hervorragender künstlerischer Kräfte eine
ebenso der vorgeführten Compoaitionen als des feierlich-ernsten An-
lasses würdige war, bedarf nicht erst der Erwähnung. Die Solisten,
die Chöre und die kgl. Capelle schienen beim Studium der ihnen
anvertrauten Partien gewetteifert zu haben, der Heiligkeit des Mo-
mentes gerecht zu werden. Auch das Publikum, welches alle Räume
der Kirche füllte, bewies durch sein zahlreiches Erscheinen, dass es
die dringende Mahnung verstanden. Und als die ersten Töne von
Mozart's musikalischem Testamente tieferschütternd erklangen und
„Hequiem aeternam dona eis, Domine" flehten, da ward wohl
manches Auge feucht; in Aller Herzen aber hallte sicher als Echo
dieser frommen Fürsprache das innige Gebet zum Herrn der Heer-
schaaren wieder : et nobis pacem. (Dr. J.)
Paris. Ponsard, Schüler des Conservatoriums, welcher eine
sehr schöne Bassstimme besitzt und soeben den ersten Preis bei
den Gesangsprüfungen erhalten hat, ist an der grossen Oper enga-
girt worden.
— Die Proben für die Aufführung der „Alceste" von Gluck in
der grossen Oper sind im besten Gange und dieselbe soll zwischen,
dem 10. und 15. August stattfinden.
— 128
Paris. Man spricht von einer Vermählung AI f r e d Jae 1 l's mit der
ausgezeichneten Pianistin Frl. Marie Trautmann, welche in
dieser Saison in London sehr grossen Erfolg errangen hat.
*** Das zum Besten des Denkmals fdrRameau inDijon
veranstaltete Festconcert fand zahlreichen Besuch und heifällige
Aufnahme, doch möchte der alte, strenge Meister steh etwas ver-
wundert hahen , wenn er gehört hätte , welche musikalische Opfer
seinen Manen gebracht wurden. Das Programm enthielt nämlich
u. A. die Ouvertüre zu „Semiramis" von Rossini, einen Fackeltans
von Meyerbeer, Ave Maria ven Gounod, eine Arie aus, „Pierre de
Medicis" nnd eine Romanze von Alard. Ausserdem Hess S i v o r i
seine besten Kunststücke auf der Geige los, die vielleicht auch dem
alten Rameau weniger Vergnügen gemacht hätten als dem betreffen-
den Publikum, welches über dieselben ganz ausser sich kam.
*** Werke der Bildhauerkunst zur Ausschmückung
des neuen Opernhauses in Paris. Die für das Opernhaus
oestimmten Medaillen, Büsten und Statuen von grossen Componisten
«Her Schulen werden in folgender Weise angebracht werden : Haupt-
facade, vier Medaillons: Cimarosa, Pergolese , Bach, Haydn. Im
Vestibül, vier sitzende Statuen, die Häupter der Schulen, nämlich:
Lulli, italienische Musik ; Rameau, französische Musik ; Gluck, deutsche
Musik, und Händel, englische Musik. — Haupt facade, sieben
Büsten in Goldbronce (Mozart oecupirt die Mitte, die Uebrigen reihen
sich nach dem Alter an): Rossini, geb. 1792, Auber, 1782, Beet-
hoven, 1770, Mozart, 1756, Spontini, 1774, Meyerbeer, 1794, Halevy,
1799. Gegenfacade: Scribe, geb. 1791, Quinault, 1635. Rechte
Seitenfacade, 14 Büsten in chronologischer Reihe: Monteverde,
1568, Durante, 1684, Jomelli, 1714, Monsigny, 1729, Gretry, 1741,
ßacchini, 1754, Lesueur, 1763, Berton, 1767, Boieldieu, 1775, He-
rold, 1791, Donizetti, 1798, Verdi, 1814. Linke Seitenfacade:
Cambert, geb. 1628, Campra, 1660, J. J. Rousseau, 1712, Philidor,
1716, Piccini, 1728, Pawiello, 1741 , Cherubini, 1760, Mebul, 1763,
Nicolo, 1775, Weber, 1786, Bellini, 1802, Adam, 1803. — Ausserdem
kommen in das kleine Foyer die Büsten der Architecten und Theater-
mechaniker, die durch hervorragende Arbeiten geschichtliche Be-
rühmtheit gemessen, als: Marquis von Sourdeac, Servadoni, Moreau,
Louis.
* m * Die geschiedene Gattin des Tenoristen Form es und ehe-
malige Berliner Hol'schauspielerin Frau Auguste Formes, geb. Arens,
wurde am 15. d. M. in Ems mit dem russischen Obersten und kai-
serlichen Flügeladjutanten Wilhelm v. Weymann vermählt.
*** Eine von Abbe L i s z t geschriebene Hymne des Marins
für gemischten Chor ist, ausgestattet mit einer autographirten päpst-
lichen Approbation, erschienen.
*** Frl. P i c h 1 e r , die Tochter des trefflichen Frankfurter
Barytonisten, ist am Hol'tueater in München in „Stradella" mit vielem
Beifall aufgetreten.
*** Der regierende Köuig Jeramy in Dahomey hat den
Henry Distiu in London um einen jungen, talentvollen Musik-
lehrer bttteu lassen, der sofort abreisen und ein Corps von 80 jungen
Dämon seiner Leibgarde in dem Blasen von Blechinstrumenten vom
höchsten Sopran bis zum tiefsten Bass unterrichten könne. Derselbe
Hr. H. Distiu hat einen ähnlichen Auftrag aus Utah, der Mormonen-
stadt , erhalteu , wo man ebenfalls einen Musiklehrer zu erhalten
wünscht, der ein weibliches Musikcorps im Gebrauche der Blasin-
strumente unten H'bten soll. (Zellner's Bl. f. Th. etc.)
*** In Frankfurt a. M. ist der durch seine instruetiven
Claviercompositionen rühmlichst bekannte Dr. Aloys Schmitt
78 Jahre alt, gestorben.
*** Das Scalatbeater in Mailand kündigt für die bevorstehende
Saison nicht weniger als neun neue Opern an , und zwar von
Verdi, Pacini, Mictli, Bazzini, Piacenza, Quarterez, Pinchule, Borioli
und Paola la Villa.
*** In M e c h e 1 n hat ein internationaler Concurs für geistliche
Compositionen stattgefunden , und es waren bis zum 1. Juli , dem
festgesetzten Termine, 76 Concurrenzarbeiten eingelaufen, aus Belgien,
Frankreich, Englaud, Oesterreich, Preussen, Baiern, Würtemberg,
den deutschen Herzogthümern, Holland, Rom, Italien und Spanien.
Preisrichter waren: für Belgien: Fetis, königlicher Capellmeister,
Soubre, Director des Conservatoriums in Lütticb, Gevaert, Com-
ponist in Paris, Canonicus De Vroye aus Lüttich, als Präsident;
iür Frankreich : H e c t o r B e rl i o *, J. d'Ortigue, Saint-
Saens, Organist bei St. Madeleine in Paris, E. Batiste, Professor
am Pariser Conservatorium ; für Deutschland : Ferd. H i 1 1 e ty.
Capellmeister von CÖln, D a m k e von Hannover, Kufferath von
Brüssel ; Tür Holland : Ve rh u 1 s t, Director von Felix Meritis in
Amsterdam; für England: Mäher aus London. Becretär war Van
Elewyk von Lüttich. Die Jury hat bei Zuerkennung der Preise-
in nachstehenderWeise constatirt, dass die Bedingungen der Programms:
sehr schwierige waren, und dass die Preisgekrönten denselben nicht
im vollen Maasse entsprochen haben.
1. Preis : eine goldene Medaille und die Summe von 1000 Frs.>
Ed. Silas, niederländischer Componist, Organist einer katholischen
Kirche in London und ehemaliger Zögling des Pariser Conservatoriums.
2. Preis : Eine Medaille von Silber und vergoldet nebst 500 Frs.,
Gottfried Preyer, Capellmeister an der Stephanskirche in Wien..
3. Preis: 250 Frs., Johannes Haber t, Organist zu Gmunden
in Oesterreich.
*** Das königliche Theater in Dresden sollte den 22. eröffnet,
werden, und zwar mit der Aufführung der „Antigone," nnd am fol-
genden Tage mit „Fidelio". Neuerdings ist jedoch seitens der In«
tendanz aus bis jetzt unbekannten Gründen , und obwohl viele von
den beurlaubten Mitgliedern wieder eingetroffen sind, die Wiederer--
Öffnung auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
%* Ueber den Wettstreit von Männergesangvereinen in L üt t i cb
bei Gelegenheit der dortigen National - Festlichkeiten geht uns von
competenter Seite das Urtheil zu , dass die dort aus Belgien und
dem nördlichen Frankreich versammelten Vereine durch präcise und
fein ausgearbeitete Vorträge einen ausserordentlichen Fortschritt in
der Gesangskunst offenbart haben, der von angestrengtem Fleisse und
ernsten Studien zeugt. Der Verein von Ar ras im nördlichen Frank-
reich könne sich mit dem besten deutschen Vereine messen ; er er-
warb einen doppelten Preis. Bei dem prix d'excellence konnte er
den Bedingungen des Programmes gemäss nicht mit coneurriren :.
dieser Preis wurde dem Vereine des Artisans re'vnis von Brüssel
zuerkannt, welcher ebenfalls recht gut sang, aber keinen Mitbewerber
in den Schranken des Kampfplatzes hatte. (N.-R. M.-Z.)
*** Vom Hoftheater in C a s s e 1 wird die amtliche Mittheilung»
gemacht, dass bis jetzt alle Mitglieder der Hofbühne ihre volle Gage
erhalten haben und es durchaus nicht in der Absicht der General-
Intendanz liege, für die Folge die einmal contraetlich stipulirten
Gagen in irgend einer Weise zu verringern. Die Wiedereröffnung
des Hoftheaters ist für den 1. August festgesetzt.
*** Der rühmlichst bekannte Componist Gevaert gibt unter
dem Titel : Les Gloires d'Italie, eine Sammlung von italienischen
CompoBitionen aus dem siebenzehnten und achtzehnten Jahrhundert
heraus, wovon die erste Lieferung in Paris erschienen ist. Sie ent-
hält: Arie von Giula Caccini (1600), Cantate von Carissimi (1650),
Duett von Stradella (1675), Solo-Cantate von Scarlatti (1700), Arioso,
von Jomelli (1750), Aria buffa von Cimarosa (1778). Je vier Lie-
ferungen bilden einen Band. Die Clavierbegleitung ist von Gevaert*
Jede Lieferung kostet 5 Francs.
*** Das Decorationswesen und die Bühnenmechanik bei der
neuen Pariser Oper soll nach einem Systeme eingerichtet werden,,
bei welchem Coulissen und Sofitten ganz in Wegfall kommen. Statt
der Prospecte auf ganzen Leinwanden werden panoramaähnliche
Zusammenstellungen aus einzelnen Practicablen eingeführt, die theils
aus Versenkungen gehoben, theils vom Schnürboden herabgelassen
werden, oder in der Achse des Zuschauers sich vor- und rückwärts-
bewegen lassen. Ebenso wird hinsichtlich der Beleuchtung die Mög-
lichkeit geboten , das Licht in jeden beliebigen Winkel einfallen
lassen zu können , um dadurch die Effecte der Sonnenbeleuchtung
zu erzielen.
*#* Verdi ist in Paris angekommen nnd hat drei Acte seines,
für die grosse Oper bestimmten „Don Carlos" fertig mitgebracht.
Auch der vierte Act soll seiner Vollendung nahe sein.
%* Die Opernvorstellungeu in Baden-Baden beginnen am 9..
August. Die Virtuosen Servais, Vivier und Vieuztemps
sind bereits dort eingetroffen, um bei den Concerten mitzuwirken.
%* Trotz der grossen Einnahme , welche die „Afrikanerin'*
brachte, hatte doch die grosse Oper in Paris beim letzten Rechnungs-
abschlüsse ein Deficit von 317,000 Frs.
Verantw, Red, Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz.
]&. Jahrgang.
w* &&.
13. August 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
k ?
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
| lungen. j
?• rU|
PEEIS:
von
B.
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg. j
Öfür den Jahrgang.
H N E N in MAINZ, j d™* & po St *■*« :
c 50 kr. od. 15 Sgr. perQuartal, j
Brüssel bei Gebr. Schott, London bei Schott & Co. jU, - . ^4
IRHALT: Stradella und die Contarini. — Literatur. — Correspondenz: Paria. — Nachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
F. Richard.
v.
Musikalische Comp ositionen.
Dramatische Werke. Die sehr umfangreiche Liste der in
Venedig aufgeführten Opern, die .beiden Ausgaben der Dramaturgia
von Alacci, bezeichnen kein einziges Werk, dessen Musik Ton Stra-
della herrührte ; es ist dies schon bemerkt worden. Man darf jedoch
nicht daraus schliessen, dass dieser Componist nicht, wie Bourdelot
sagt, von der Bepublik besoldet war, um die Musik für die Opern
ssu componiren. Es ist im Gegentheil wahrscheinlich, dass wenigstens
eines der fünf von Gatelani aufgezählten Werke für eines der zahl-
reichen Theater geschrieben war. Venedig besass damals sieben
Theater. Wenn nun die Aufführung nicht stattfand, dürfte nicht
die Flucht des Meisters mit seiner Geliebten eine ganz natürliche
Erklärung dafür liefern?
Folgendes sind die Titel der von dem Modeneser Bibliothekar
angeführten Opere melodrammatiche : „Corispero", in 2 Acten;
„Oratio,' 11 in 3 Acten; „Floridoro" in 3 Acten; „Trespolo tutore"
in 3 Acten, und ,.Biante^ in 3 Acten, mit vermischter Poesie und
Prosa, mit Prolog, Zwischenspiel und Scblussballet. Mit Ausnahme
des „Floridoro" sind diese musikalischen Dramen schon zu Eude
des vorigen Jahrhunderts von Giambattista Dall'Olio in seinem
Gedichte über die Musik angeführt;*) doch wurde dies nicht be-
achtet , und erst F a r e n c hat als Mitarbeiter an der Biographie
des mvsiciens von Fetis diese Mittheilung wieder in's Gedächtniss
gerufen.
Nach den Titeln zu urtheilen, scheint Trespolo tutore eine
Buffo-Oper und Biante eine Art komische Oper gewesen zu sein.
Ungeachtet der Zweifel Catelani's lässt sich doch das Vorhandensein
einer sechsten Oper, ,La Forza del l'amor paterno,** nicht abläugnen.
Es ist nicht wohl möglich, einen Irrthum, selbst was den Titel be-
trifft, in den so bestimmt gegebenen Andeutungen des Engländers
Burney vorauszusetzen; er behauptet nämlich, das Libretto, datirt
Genua 1678, zu besitzen und fügt hinzu: „Es scheint, dass die
Widmung dieser Oper an die Signora Teresa Raggi Saoli von
Stradella selbst geschrieben ist, und am Eude des Vorwortes bringt
der Herausgeber folgende Lobeserhebung für den Componisten an:
»Bastando il dirii che il concerto di si perfetta melodia sia vet-
tere d'un Alessandro , cioe del signor Stradella, riconosciuto
senza contrasto per il primo Apollo della musica" (Es genüge
su sagen, dass dieses Tonspiel das wackere Werk eines Alexander,
nämlich des Signor Stradella ist , der ohne Widerspruch als der
erste Apollo der Musik anerkannt wird.) Dass sich Stradella wirk-
lich in Genua aufgehalten hat, wird auch von Gatelani bestätigt;
•r belehrt uns, dass derselbe drei Jahre später für die Vermählung
des Carlo Spinola und der Paola Brignole , genuesische Adelige,
*) La Musica, poemetto, in Modena> 1794 in 8*.
eine Art von Hochzeits - Epithalamium schrieb, unter dem etwas
sonderbaren Titelt r Il Barcheggio, azione marinaresca epitala-
mica* in zwei Theilen, und eine bemerkenswerthe Eigentümlich-
keit ist die, dass die Partitur an zwei Stellen die Worte enthält:
^ultima composizione di A. Stradella 0, (letzte Composition des
A. Stradella) mit dem Datum des 16. Juui 1681. Da die fragliche
Vermählung erst am 6. Juli 1681 in der Kirche zu St. Maria-Mag-
dalena in Genua stattfand, so könnte man daraus folgern, dass der
Tod des Künstlers zwischen diese beiden Daten falle.
Als dramatische Werke kann man auch die Akademien
oder Serenaden betrachten, mit welchen Namen man damals eine
Art musikalischer Tag- oder Nachtfeste bezeichnete, deren Text und
Musik ausdrücklich für eine bestimmte Veranlassung geschrieben
waren. Besonders in Rom hatten die Kirchenfürsten , insoweit die
Musik zu ihren Liebhabereien gehörte, Musikbanden in ihrem Solde
und veranstalteten Academien in ihren Palästen. Jene des Cardinais
Ottobon i, eines geborenen Venetianers und Neffen Alexanders VIII.,
waren langezeit berühmt.
Akademien und Serenaden. Lo Schiavo liberato, zwei-
stimmig, Gedicht von Sebastiano Baldini.
Ü Acudemia d'amore, Gedicht von Gianpietro Monesio, eben-
falls zweistimmig.
Damone, einstimmig.
CYrce, einstimmig, gedichtet von Gianfilippo Appollonio. Ea
existiren zwei Compositionen von demselben Autor über denselben
Gegenstand, aber in Bezug auf Text und Musik gänzlich von ein-
ander verschieden.
Verschiedene Prologe und Zwischenspiele für eine und für
mehrere Stimmen können ebenfalls der Reihe von Werken grösseren
Umfanges beigezählt werden.
Alles, was hier aufgezählt ist, gehört der Palast-Bibliothek in
Modena an. Nach Angabe des Bibliothekars erhebt sich die Zahl
der Werke Stradella's auf nahezu 150.
Die Bibliothek des Conservatoriums in Paris besitzt eine vier-
stimmige Serenata für zwei Soprane, Mezzosopran und Bass, mit
Sinfonie und Ballet, jedoch ohne einen bestimmten Titel. Die ersten
Worte derselben sind: „Vota, vola in altri petti". Diese Serenade
wurde für den Eccellentissimo Don Gaspare Altieri, wahrschein-
lich in Rom , geschrieben. Ein besonders beachtenswerthes Duett
für Sopran und Bass, n La raggion m'assicura," ist aus der ge-
nannten Serenade entnommen und existirt in mehreren Abschriften,
von denen das britannische Museum zwei besitzt. Stradella's Reci-
tative sind im allgemeinen sehr bemerkenswert]! und manche der-
selben können heute noch als Muster für den Ausdruck dienen.
Das folgende Bruchstück, der in Rede stehenden Serenade entnom-
men, ist zu kurz um als Beispiel zu dienen, doch ersieht man da-
raus, wie der Componist mitten in der Recitirung Läufer-Passagen
anbringt. Um die angeführte vorzutragen , war ein ächter basso
cantante nöthig, der heutzutage ein sehr seltener Vogel geworden
ist. Die vier sprechenden Personen dieser Cantate sind: Filii und
Amore, Soprane; Silvio, Mezzosopran, und SdegrtOj Bass.
130 —
SDEGNO
I ^"T ,. ft "Im . in . , U J fi
*
5
JE
fctjfe^t
-fa
^
jEK
1
Xo ehe lo sdegno so-no Io che lo sdegno so - no Io
— ■ f H ' : " • — a
*.#■£.
Io ti con-dan-no nonedegnod'ossequioun Retiran
-I =
=tt=fc
- ■(")■■*■■■*-
i-P-
=t
i
-@(
3
t
3
I
*=
-vTV-i
Die Serenaden und Akademien gehörten im 17. und zu Anfang
des 18. Jahrhunderts zu den grossen Luxusfesten des römischen
Hofes. Gesandte, Prinzen und Cardinäle verschafften sich dieses
kostspielige Vergnügen. Zur Aufführung dieser fast wie wirkliche
Opern ausgespounenen Compositionen war ein ganzes organisirtes
Musikcorps nöthig. Man verwendete ausser den herkömmlichen vier
Singstimmen das damals übliche Orchester, und zwar das grosse oder
das kleine , Orchestrino oder Concerto grosso , welche zu den
grossen Effectstücken sich vereinigten. Es waren dies nicht gerade-
zu theatralische Dramen und man konnte daher die in den Kirchen
augeatelltenKünstler, ja selbst die päpstlicheCapelle dabei beschäftigen.
Die Spärlichkeit der nur oberflächlichen Notizen, welche bisher
über eineu nun so berühmt gewordenen Künstler vorlagen, mögen
die Ausführlichkeit unserer Aufzählung entschuldigen, obwohl die-
selbe weitaus keine vollständige ist. Burney besass in seiner Samm-
lung ein fünfstimtniges Madrigal: Piangete, occhi dolenti; ein drei-
etimmigts Stück: Ecco ritorno aipianti, gegenwärtig im brittischen
Museum befindlich, und noch ein anderes fünfstimmiges Madrigal:
Clori son fido Amante. Nach Hawkins befände sich letzteres auch
in der Sammlung der Academy of ancient music.
Unter den weniger umfangreichen Compositionen erwähnen wir
»machst eines Duetts für Sopran und Bass: Quel tuo petto di
diamante, von lebhaftem Gang und, mit Rücksicht auf die Zeit,
«ehr leicht und fast komisch. Es befindet sich in der kaiserlichen
Bibliothek in Paris und ist in verschiedenen Concerten mit Erfolg
gesungen worden. Ein anderes Duett für Sopran und Contrealt:
Baldanzosa urm 6ellezza, im Couservatorium ; ein drittes: Troppo
grave, in doppelter Abschrift im britanischen Museum, endlich zwei
weitere Duetten: Fulmini quanto sa uud Ardo sospiro e piango,
von Burney angeführt und in der Sammlung von Chris t-Church
in Oxford befindlich.
Pitoni, Capellmeister im Vatican, einer der gelehrtesten Com-
ponisten der römischen Schule, sagt in seinen ungedruckten Notizen
über die Contrapunktisten : Son famosi i suoi duetti, indem er von
ßtradella's Duetten spricht.
Die ein- und mehrstimmigen Cantaten sind Stücke von ver-
schiedener Bewegung, welche unter sich durch Recitative zusammen-
hängen und fast ausschliesslich mit einem basso continuo begleitet
Bind. Die Musik des 17. Jahrhunderts ist meistens in handschrift-
lichen Sammlangen aufbewahrt worden. Sehr häufig hat man ans
diesen Sammlungen nur Bruchstucke von Cantaten oder anderen
Compositionen ausgezogen und es ist daher sicher, dass viele Arien,
Duette« etc., welche mit ihren Anfangsworten cttirt werden, gerade
solche Bruchstücke sind, bei denen das Anfangswort oder Öer Titel
des Hauptwerkes unbekannt blieb.
Literatur.
Klassische Ciavier- Compositionen aus älterer
Zeit. Gesammelt von H. M. Schletterer. Leip-
zig und Winterthur. J. Rieter - Biedermann. Wien,
C. A. Spina.
Wenn auch unsere Zeit auf dem Felde der Tondichtung keine
wesentlich neuen Gebiete erobert, keine epochemachenden, selbst-
ständige Bahnen erschliessende Erscheinungen zu Tage gefordert,
keine zündenden Ideen und keine, den Entwicklungsgang der Kunst
frisch belebende Impulse geboren hat, vielmehr überwiegend den
Typus des Epygonenthums und des Eklekticismus trägt: in einer
Hinsicht steht sie gross und denkwürdig da, nämlich in ihrem rast-
losen Eifer und ihren glänzenden Resultaten im Bereiche special-
musikhistorischer Forschungen.
Wir besitzen gründliche, in acht historischem Geiste geschrie-
bene biographische Werke von Otto Jahn (Mozart), Fr. Chrysander
(Händel), Bitter (Bach), treuliche Monographien über „die Geschichte
des deutschen Liedes" von Reissmann und K. Fr. Schneider, über
die Geschichte der Hausmusik von C. F. Becker, die Geschichte
des Singspieles von H. M. Schletterer u. s. f. Andrerseits haben
die philharmonischen Concerte und die Oratorienvereine , sowie die
von den bedeutendsten Meistern des Ciavierspiels veranstalten so-
genannten historischen Concerte dadurch , dass sie einem
grösseren Zuhörerkreise die Werke älterer, leider grossentheils ver-
gessener Meister in ant h o 1 o gis ch er Weise vorführten, wesent-
lich zur Belebung und Förderung des musikhistorischen
Sinnes beigetragen und einer des historischen Wissens so vielfach
entbehrenden Zeit die Wahrheit zum Bewusstsein zu bringen ge-
sucht, dass wir mit der Vergangenheit nicht durch das äussere Band
der Tradition, sondern durch den innern Kanal einer organisch und
successiv sich entwickelnden Bildung zusammenhängen. Allein diese,
den kunsthistorischen Zusammenhang mit einer an edlen Schätzen
reichen Vergangenheit vermittelnder Quellen waren eben bisher auf
die grossen Mittelpunkte musikalischen Lebens beschränkt ; der
weiteren Sphäre der Kunstfreunde ist die ältere Musik eine wahre
terra incognita , und diese Verhältnisse können sich blos dann
ändern, wenn die verborgenen Schätze gehoben und durch correcte,
kritisch gesichtete und den modernen Anforderungen entsprechend
ausgestattete Editionen zum Gemeingute gemacht werden. Einen
wesentlichen Beitrag nun zur eingehenderen Kenutniss der älteren
Ciavierliteratur, welche, wie das Studium der Musikgeschichte über-
haupt, ein wesentlicher Moment der musikalischen Bildung ausmacht,
liefert die uns vorliegende Sammlung classischer Claviercompositionen
aus älterer Zeit von H. M. Schletterer; sie dürfte vielleicht als
Commentar zu Weitzmann's „Geschichte des Ciavierspiels in
practischen Beispielen" bezeichnet werden. Der Herausgeber beab-
sichtigt, die Werke der frühesten Meister bis zu C. Ph. Em. Bach
und dessen Schüler in geeigneter Auswahl vorzuführen , die mit
Josef Haydn aber beginnende moderne Zeit, da sie ja in anderen
Sammlungen jedermann zugänglich ist, völlig auszuschliessen. Sehr
zu billigen ist das Princip des Herausgebers, einen retrograden Weg
einzuschlagen, d. h. dass er mit der Herausgabe späterer Componisten
begonnen hat, um von da zu denen der älteren Zeiten zurückzu-
gehen, und so durch das Näherliegende die Bekanntschaft mit dem
Entfernteren zu vermitteln.
Die Geschichte des Ciavierspiels hat vornehmlich 3 Schulen zu
*) Wir benützen diese Gelegenheit, unser Befremden darüber aus-
zusprechen, dass Hr. Weitzmann in seiner umfassenden Geschichte
des Ciavierspiels den Namen Konradin Kreutzer nicht auf-
führt. Kreutzer hat, man mag von seinen Claviercompositionen
urtheilen , wie man will , ein solch vornehmes Ignoriren gewiss
nicht verdient.
— 381
'«ötesachelden: die italienisehe, französische, deutsch*. Die erste hat
ihren Höhepunkt erreicht ia Dominien Scarlatti, die zweite
«uiminirt in Francoie Couperin, die dritte in C. Ph. Em. Bach.
Jedoch nicht nur Werke dieser Heister, sondern die aller ihrer
bedeutenden Vorgänger, Schüler und Zeitgenossen soll, wie der
Herausgeber im Vorworte sagt, diese Sammlung nach und nach vor-
führen. Die bereits erschienenen Hefte der Sammlung (Gottlieb
Huffat, Ph. E. Bach, J. F. Reichardt u. s. f.) zeichnen sich durch
brillante Ausstattung und Eleganz aus.
Wir empfehlen das schöne Unternehmen allen Freunden der
Ciaviermusik , namentlich aber Seminarien, Musikschulen und Con-
servatorien. Möge recht lebhafte Theilnahme des musikalischen
Publikums der Sammlung die möglichst erschöpfende und umfassend-
ete Ausdehnung gewähren , und so den Herausgeber wie den Ver-
leger für ihre Mühe und ihre Opfer belohnen.
Dr. Eugen Frey.
C0RRESP05DENZEN.
Aus Paris.
6. Angost.
Das The'ätre lyrique hat diesmal nur kurze Ferien gefeiert.
-Statt dieselben wie gewöhnlich bis zum 1. September auszudehnen,
bat es seine Vorstellungen am 1. August wieder begonnen und zwar
mit Flotow's „Martha," welcher man, nach dem bisherigen Erfolg
su urtheilen, eine lange Dauer auf dem Repertoir des genannten
Theaters versprechen darf.
Dasselbe Theater wird im Laufe der Wintersaison unter anderen
beliebten Werken auch „Faust," „Rigoletto," „Zauberflöte," „Don
Juan," „Hochzeit des Figaro" und „Freischütz" zur Aufführung
bringen, letzteres Werk, wie es heisst, mit ganz besonderem Glänze.
In der grossen Oper ist sogleich nach der Rückkehr F aureus
von London Mozart's „Don Juan 8 wieder zur Darstellung gelangt
und findet dort entschiedenen Beifall. Die Proben des neuen Werkes
von Verdi, „Don Carlos," beginnen dort nächste Woche und zwar
unter der Leitung des Componisten, der seit vierzehn Tagen hier
weilt.
Gluck' s „Alceste" wird in der grossen Oper bald wieder zur
Aufführung kommen. Berlioz übernahm die Proben und erhält für
seine Mühewaltung eine Tantieme. Der Mademoiselle Bat tu ist
die Titelrolle anvertraut.
Mermet, der Compositeur des „Roland in Ronceval," hat das
von ihm verfasste Libretto „Jeanne d Are" dem Director der grossen
Oper vorgelesen und vielen Beifall geerndtet.
In der komischen Oper wird dieser Tage „Mignon" von A m-
broise Thomas einstudirt worden. Man hofft, das Werk im Oc-
tober geben zu können.
Offenbach's neues Stück „La Vie Parisienne" soll in den
ersten Tagen des Herbstes im Palais- Roy al-The&ter in Scene gehen.
Fräul. L u c c a hat auf ihrer Durchreise in einer Soiree bei
N a u d i n mehrere Arien aus der „Hochzeit des Figaro," aus der
„Afrikanerin" und „Fra Diavolo" gesungen. Der greise A u b e r
begleitete sie am Ciavier. Derselbe äusserte, dass er keine Sängerin
seit der M ali b ran gehört habe, die ihn so lebhaft an diese unver-
gleichliche Künstlerin erinnere wie die Lucca.
HT ii e li r i c h t c 11.
HainZ. Unser geschätzter Landsmann Hr. Andre Oechsner,
«l« Componist wie durch seine Verdienste um die Förderung clas-
«ischer Musik in Havre, seinem Wohnort, in den weitesten Kreisen
rühmlichst bekannt, ist zu einem längeren Aufenthalte im Kreise
seiner Familie hier angekommen. — Die hier garnisonirenden wür-
tembergischen Truppen sind in ihre Heimath zurückgekehrt, nach-
dem das Musikcorps derselben noch in einem Gartenconcerte rühm-
liche Proben seiner anerkannten Tüchtigkeit abgelegt hatte. Es
bleibt uns nun nur noch ein kurhessisches Militär-Musikcorps, dessen
Leistungen sich ebenfalls der allgemeinsten, wohlverdienten Aner-
kennung erfreuen.
Wien. Carl Treumam o, der Director des Cailtheaters, hat
die Ungunst der Zeit benutzen wellen , um *veu den Eigenthüraefn
jenes Theaters einen Pachtnadhlass zu erwirken und fügte Seinem
dahinseienden Schreiben bei, data er bei Nichtgewährung seines
Verlangens von seinem contraetlichen Rechte zu kündigen am 1.
August Gebrauch machen wurde, was übrigens wahrscheinlich nicht
ernstliche Absicht Treumann's war, der seinem' Gesuche nur stärkeren
Nachdruck verleihen wollte. Allein die Eigenthümer nahmen die
Kündigung als ernstlich gemeint an und unterhandelten sogleich mit
Strampfer, dem Director des Theaters an der Wien, der auch
alsbald die erwünschte Gelegenheit ergriff und das Carltheater vom
1. August an pachtete. So ist denn bei dem Festhalten des neuen
Pächters an seinem erworbenen Rechte die Existenz des ganzen bis-
herigen Personals des Carltheaters, etwa 300 Personen zählend, in
Frage gestellt, und die Gerichte werden in dieser Angelegenheit zu
entscheiden haben , wenn sich nicht bestätigen sollte , dass , wie
glaubwürdig versichert wird, eine plausible Lösung der Streitfrage
in der Art bevorsteht, dass Treumann zurücktritt, und die beiden
Mitglieder seiner Bühne , Ascher und G r o i s die Direction
übernehmen.
*** Dr. Aloys Schmitt, dessen Ableben in Frankfurt a. M.
wir in letzter Nummer bereits mitgetheilt haben, war im Jahre 1789
zu Erlenbach am Main als der Sohn eines dortigen Musikers geboren
und verdankte seinen ersten musikalischen Unterricht seinem Vater,
seine weitere Ausbildung aber dem Componisten Andre in Offen-
bach, welcher auch seine Compositionsstudien leitete. Schmitt Hess
sich in Frankfurt als Musiklehrer nieder und erwarb sich bald einen
ausgezeichneten und weit verbreiteten Ruf als Ciavierspieler wie als
Componist. Auch in Berlin wirkte Schmitt längere Zeit und kam
von dort als Hoforganist nach Hannover, kehrte aber 1829 wieder
nach Frankfurt zurück, wo er in glücklicher Unabhängigkeit sich
mit unermüdetem Eifer der Kunst hingab. Schmitt hat viel com-
ponirt und zwar in jedem Genre. Es erschienen von ihm Ouvertüren
uud Sinfonien für Orchester, Violinquartette und Trios ; für das Cia-
vier: Concerte , zwei- und vierstimmige Sonaten, auch mit Violine,
Variationen, Rondo's und kleinere Stücke, vorzügliche Etüden und
methodische Werke , ein - und mehrstimmige Lieder. Ausserdem
schrieb er zwei Oratorien: „Moses" und „Ruth" und vier Opern:
„Das Osterfest zu Paderborn," „Die Tochter der Wüste," „Valeria"
und „Der Doppelprozess". Seine Ciavier -Etüden werden ihn noch
lange Zeit überleben, da sie zu den gediegensten und practischsten
zählen , welche die Ciavierliteratur aufzuweisen hat. Schmitt war
nicht nur als Künstler, sondern auch als Mensch von seinen Mitbürgern
und zahlreichen Schülern geachtet und geliebt und wird stets in
ehrenvollem Andenken bleiben.
*** Professor J. Moscheies hat in London ein Concert für
die Verwundeten im deutschen Kriege angekündigt, in welchem Frau
Goldschmidt-Lind mitwirken wird.
*** Der Tenorist Mario hat sein in der Rue des Bassins in
Paris gelegenes , mit vielem Geschmack und Luxus ausgestattetes
Haus, welches in letzterer Zeit von Adelina Patti bewohnt war,
verkauft.
*** Am 1. August ist das k. Hoftheater in Dresden mit „Anti-
gene" von Sophokles eröffnet worden und am 2. Aug. sang Frau
Blume als Antrittsrolle den „Fidelio".
*** Hr. B a g i e r, Director der italienischen Oper in Paris, hat
am 29. Juli auch das königliche Theater in Madrid übernommen,
und man hofft, dass er die Vorstellungen daselbst sobald als mög-
lich eröffnen werde.
*** Der Pariser Bankier Rothschild hat ein Lustspiel, betitelt :
„Baron et Financier* geschrieben , welches demnächst auf seinem
Schlosse in Ferneres zur Aufführung kommen wird.
*** Abbe" Goschler, der Uebersetzer der Briefe Mozart's, ist
in Paris, 60 Jahre alt, gestorben.
V* Das italienische Streichquartett, an dessen Spitze Jean
Becker steht, hat in Baden-Baden bereits zwei Concerte gegeben
unter Mitwirkung des Pianisten Jaques Rosenhain.
*** Das Engagement des Tenoristen Naudin au der grossen
Oper in Paris geht mit diesem Monate zu Ende und wird schwer-
lich erneuert werden.
132 -
V D»e Klage des Componisten Li tt o lf gegen Hrn. C a r y al h o,
den Pirector des Theatre lyrique in Paris auf einen Schadenersatz
von 6000 Frcs., weil Letzterer die Oper „Nahel" nicht in der ver-
tragsmässigen Frist zur Aufführung brachte, ist abgewiesen worden,
weil Littolf die verabredete Umarbeitung seiner Oper nicht ge-
liefert hat.
*** In» Conservatorium für Gesang in Coburg, welches unter
der Leitng des Hrn. Praoz steht, fand Mitte v. M. eine Prüfung
statt, und hatten sich die Leistungen des ungetheilten Beifalls der
anwesenden Sachverständigen zu erfreuen.
* # * In einem Wohltbätigkeitsconcerte in Paris fanden Hr. und
Frau Langhans mit ihren Vorträgen, bestehend in Bruchstücken
aus einer Sonate für Pianoforte und Violine und einem Salonstück
von Frau Langhans, die günstigste Aufnahme.
*** C. Reinecke soll mit einer der Vollendung bereits nahen
grossen Oper beschäftigt sein.
*** Hr. E. W. F r i t s c h in Leipzig hat die Musikalienleih-
anstalt des Hrn. C. Bomnitz angekauft und eine Musikalienhand-
lung errichtet.
*** Uli mann wird auf seinem bevorstehenden Concertumzuge
in Frankreich ausser CarlottaPatti auch die Virtuosen Ket-
terer, Vieuxtemps und B a 1 1 a mit sich führen.
*** Alfred Jaell hat wieder mit gewohntem Erfolge in Spa
concertirt.
V Frl. Stehle vom Münchener Hoftheater hat sich durch ihre
aufopfernde Betheiligung bei dem dortigen patriotischen Hülfsvereine
eine ernstliche Krankheit zugezogen.
*** An die Stelle des verstorbenen Hoforganisten Schuppert
in Cassel ist Hr. Carl B an d na gel, Mitglied der Hofcapelle,
ernannt worden.
%* Fräul. von O r g e n i hat ihr Engagement am Berliner
Operntheater aufgegeben und wird demnächst ein Gastspiel in Wien
eröffnen.
*** Professor L. N o h 1 aus München hat, auf einer Reise be-
findlich, in Oberweiler Vorlesungen über Haydn, Mozart und Beet-
hoven gehalten, welche vielen Beifall fanden.
*** Bei dem Sängerfeste in R e v a 1 kamen von Instrumental-
werken u. A. Beethoven's Es-dur-Concert und C-moll- Sinfonie,
Schümann'« „Genoveva" -Ouvertüre und Rubinstein's „Faust" zur
Aufführung.
%• Rossini hat eine Cantate auf die Befreiung Venetiens
von österreichischer Herrschaft componirt.
*** In Berlin hat der rühmlichst bekannt Organist Hr. Haupt
zum Besten der unterstützungsbedürftigen Familien Einberufener am
19. Juli ein geistliches Concert in der Parochialkirche veranstaltet,
dessen Programm folgendes enthielt: Präludium und Fuge in A-moll
von S. Bach; fünfstimmiger Choral: „Der Herr ist mein getreuer
Hirt" von J. Eccard ; Arie: „Vater in Himmelshöhe" von Gluck
(Frl. Eichhorn); Motette: „Ergo sum panis" von Palestrina;
Choralvorspiel: „Aus tiefer Noth" von S.Bach; Motette: „Ach Herr
von grosser Güte a von Grell; Fantasie und Fuge in C-moll von
S. Bach ; Ave Marin von Cherubini (Frl. Eichhorn) ; Choralvorspiel :
„Christ lag in Todesbauden" von S. Bach ; Doxologie von H. Beller-
mann ; Toccata in D-moll von S. Bach.
*** Am Leipziger Stadttheater gastiren der Tenorist Hacker
aus Dessau und der Bassist Rafalsky aus Nürnberg.
*** Der Pianist Wilhelm Krüger und der Violinist Sighi-
celli sind in einem Concerte in Baden-Baden mit vielem Beifall
aufgetreten.
*** Das Actien-Volkstheater in München, welches der trüben
Zeitverhältnisse wegen kurze Zeit geschlossen war, ist bereits wieder
eröffnet worden.
*** Der Pianist Bonewitz in Wiesbaden wird sich im Herbst
nach Paris begeben, wo er einen längeren Aufenthalt zu nehmen
und die bedeutendsten Werke der Beethoven'schen Clavierliteratur,
namentlich aus seiner letzten Periode, vorzuführen beabsichtigt.
*** Der Verlag der Musikalienhandlung Aulagnier in Paris
ist in das Eigenthum des Herrn S y 1 v a i n Saint-Etienne
übergegangen.
*** Die Berliner Oper, welche am 16. August wieder eröffnet
wird, gedenkt die heimkehrenden Truppen mit einer neu inscenirtea
Aufführung von Meyerbeer's „Feldlager in Schlesien" zu regaliren.
*** Die aus Venezuela gekommene junge Pianistin Teresita
Carreno, welche in Paris so grosses Aufsehen erregte, hat nun
auch in London bereits wiederholt sich hören lassen, und das all-
gemeine Urtheil spricht sich mit Bewunderung über die Leistungen»
der zwölfjährigen Virtuosin aus, welche sie den renommirtesten Pia-
nisten der Gegenwart gleichstellen.
*** Adelina Patti wird in Homburg eine Reihe von Gast*
rollen geben und dann nach Paris gehen, wo sie in der italienischen
Oper gleich mit dem Beginn der Saison, Anfangs October, wieder
auftreten soll.
*** Der rühmlichst bekannte Pianist Mortier de Fontaine
hat in Baden-Baden in den dortigen prachtvollen neuen Sälen unter
Mitwirkung der Damen Numa Blanc und Coraly Mugnier
ein sogenanntes historisches Concert gegeben und Compositionen aus
dem 16., 17., 18- und 19. Jahrhundert in seiner meisterhaften Weise
zu Gehör gebracht.
*** Die italienischen Opernvorstellungen in Homburg sind mit
Rossini's „Othello" mit Carlotta Marchisio und Villani
in den Hauptrollen eröffnet worden. In der nachfolgenden Auffüh-
rung der „Norma" hatte Barbara Marchisio Gelegenheit, die
Lorbeeren ihrer Schwester zu theilen. Der Tenorist Villani zeich-
nete sich vorzugsweise in Verdi's „Un Ballo in masekera' 1 aus.
*** Das Hoftheater in Darmstadt wird auf Anordnung de»
Grossherzogs am 15. September wieder eröffnet werden.
*** Die Familie Mozart in Frankfurt a. M. 1763.
Am 30. Aug. veranstaltete Leopold Mozart mit seinen beiden Kindern
ein viertes Concert. Hier die nicht uninteressante Ankündigung:
„Die allgemeine Bewunderung, welche die noch niemals in solchem
Grade weder gesehene noch gehörte Geschicklichkeit der Kinder des-
Hochfürstl. Salzburgischen Capellmeisters Hrn. Leopold Mozart
in den Gemüthern aller Zuhörer erwecket, hat die bereits diey mahlige
Wiederholung des nur für einmahl angesetzten Concertes nach sieb
gezogen. Ja, diese allgemeine Bewunderung und das Anverlangeo
verschiedener grosser Kenner und Liebhaber ist die Ursache, dass
heute, Dienstag den 30. August, in dem Scharfischen Saale auf dem
Liebfrauenberg , Abends um 6 Uhr , aber gantz gewiss das letzte
Concert seyn wird; wobei das Mägdlein, welches im zwölften, und
der KnaV, der im siebenden Jahre ist, nicht nur Concerlen auf dem
Clavessin oder Flügel, und zwar ersteres die schwersten Stücke der
grössten Meister spielen wird, sondern der Knab wird auch ein Con-
cert auf der Violin spielen, bey Synfonien mit dein Ciavier aecom-
pagniren, das Manual oder die Tastur des Claviers mit dem Tuche
gänzlich bedecken, und auf dem Tuche so gut spielen, als ob er die
Claviatur vor Augen hätte, er wird ferner in der Entfernung alle
Töne, die man einzeln, oder Accorde auf dem Ciavier, oder auf allen
nur erdenklichen Instrumenten, Glocken, Gläsern und Uhren anzu-
geben im Stande ist, genauest benennen. Letzlich wird er nicht nur
auf dem Flügel, sondern auch auf einer Orgel (so lange man
zuhören will, und aus allen, den schwersten Tönen, die man
ihm benennen kann), vom Kopfe phantasiren, um zu zeigen, dass er
auch die Orgel zu spielen verstehet, die von der Art den Flügel zu
spielen , ganz unterschieden ist. Die Person zahlt einen kleinen
Thaler. Man kaun Billets im goldnen Löwen haben." — Glückliche
Frankfurter! für einen „kleinen Thaler" konnten sie dem Spiele des
grossen Mozart lauschen, so lange sie nur wollten, (Leipz. Sign.)
*** Als die beabsichtigten und grösstentheils vorbereiteten
Muster Vorstellungen Wagnerischer Opern in München, wie bekannt
ist, aufgegeben wurden, verzichtete d^r Baritonist Beck von Wien
vollständig auf sein stipulirtes Honorar. Der BaBsist Hr. Dr. S ch mi d
zog es vor, dasselbe in einem Cyclus von anderen Gastrollen sich
zu verdienen und der immer noble Tenorist Hr. N i e m a n n au»
Hannover nahm die Hälfte des Honorars, ohne zu singen, als Reu-
geld in Anspruch.
%* Der Baritonist B e t z vom Operntheater in Berlin setzt sein
Gastspiel in Leipzig mit anhaltend günstigstem Erfolg fort.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, MainzJ
15. Jahrgang.
N* «<#.
20. August 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
■ DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Bachhand-
, lungen.
Vertag
von
* PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
.^ j für den Jahrgang.
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ, d«* ai. ***«■» 8
< 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Sehott. London bei Schott & Co. jU
■■
IIHALT: Stradella und die Contarini. — Literatur. — Correspondenz: Prag. — Nachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
P. Richard.
vi.
Musikalische Compositionen.
Crescimheni*) sagt in Bezug auf Cantaten: „Diese Art von
Dichtung ist eine Erfindung des 17. Jahrhunderts. Ihr Gebrauch ist
ein so ausgedehnter geworden, dass man deren in's Unendliche findet
und gleichwohl werden immer noch mehr producirt. Eine Cantate
ist auch wirklich ein reisendes Ding, sie ist die angenehmste und
schönste Unterhaltung, welche sich eine noble und anständige Ge-
sellschaft bereiten kann, besonders wenn die Gedichte von ausge-
zeichneten Meistern in Musik gesetzt sind, wie die des berühmten
AI. Stradella. Ganz kürzlich wurde eine der Cantaten dieses Meisters
unter grossem Beifall in einer Akademie des Cardinais Pierre
Ottoboni von Andrea Adami, mit dem Beinamen Bolsena,
Hofmusiker und Capellmeister des Pabstes, gesungen.
Cantaten und Stücke für Gesang allein. Drei Can-
taten für Contraalt: „Congiurati a fiera gucrra," „Non piü piaghe
al mio cor,*' „Traditomio core" im Pariser Conservatorium •, zwei
andere, ohne Bezeichnung der Stimme: „Sifamaßlli" „Stelle non
mi tradite" im britanischen Museum ; zwei andere für zwei Stimmen :
„Vorret dire un non so che" für Sopran und Tenor; „Che dira
che nel veleno" für Sopran und Bass ; diese letztere Cantate ist
sehr beachtenswerth und verdient eine ausführliche und gründliche
Besprechung. Beide Cantaten befinden sich in der kaiserlichen
Bibliothek in Paris und auch im British' Museum, in welchem die
alte Musik sehr reichlich vertreten ist Die Bibliothek in München
besitzt zwei Cantaten von Stradella; die erste, für Sopran, beginnt
so: „Ombre voi che celate"\ es ist dies Nr. 1 in der Sammlung
von Venedig. Die zweite, für Bass: „Sopre un eccelso torre, u ha*
als Gegenstand den Kaiser Nero, wie er den Brand von Rom be-
trachtet, während er auf der Leyer spielt. Bernh. Molique hat
dieselbe mit einer Ciavierbegleitung versehen und bei Lonsdale in
London herausgegeben.
Es dürfte gegenwärtig , kaum möglich sein, ein genaues und voll-
ständiges Verzeicbniss der Cantaten unseres Componisten zu geben?
da diese sehr zahlreich und in vielen öffentlichen nnd Privatsamm-
lungen zerstreut sind; in einer der letzteren, in London, befindet
sich eine dar beachtenswerthesten Compositionen, deren Sujet M e d e a
ist. Sie beginnt mit einem sehr verzierten Recitativ, vom schönsten
Ausdruck, welches allein schon genügen würde zu beweisen, welch
«in grosser Sänger Stradella war.
Vor einigen Jahren erhob eich eine ziemlich lebhafte Polemik
»wischen einigen Pariser Musikzeitungen bei Gelegenheit des Vor-
trags eines Canzone von Stradella in einem der Conservatorinms-
eoncerte. Zu Anfang des Jahres 1867 las man in einem dieser
*) Crescimbeni, p la bellezza della volgar poesia. Roma, t704* 4.
Journale unter der Rubrik Copenhagen: „Mme. Winter hat in
einer Bibliothek in Venedig zahlreiche Manuscripte von AI. Stradella
entdeckt. Sie enthalten Lieder und Eirchengesänge. Die bedeu-
tendsten dieser Compositionen sind von dem Cäcilienverein einstudirt
worden, und der Capellmeister der k. Oper, Hr. Rung, hat eine
Canzonetta als Muster veröffentlicht." Zu Ende des vorigen Jahres
erschien in Paris eine Sammlung unter dem Titel: „Conti a VOCt
sola delV insigne A. Stradella, legati alla biblioUca di San-Marco
di Venezia dalla nobil familia Contarini» Accompagnamento di
piano di F. ffalevy* Diese Sammlung besteht aus sechs Stücken»
deren jedes einen besonderen Titel führt. Das sechste , mit dem
Titel „Resistenza," ist im Conservatorium gesungen worden. Diese
Conti sind gleichfalls in der Bibliothek von St. Markus aufgefunden
worden. Ohne nun die erwähnte Polemik wiederzugeben, ohne uns
über den eigentlichen Werth jener Canzone auszusprechen , welche
man auf der einen Seite ein wenig monoton fand, während man sie
auf der anderen Seite ein „bewundernswürdiges Meisterstück" nannte,
so waren doch die bestrittenen Thatsachen einer genauem Unter-
suchung werth, umsomehr als der Herausgeber, indem er den Erfolg
der geschickten Vortragsweise, das Verdienst der Orchestrirnng etc.
anerkannte, noch beifügte: „Wir legen einen grossen Werth auf die
Gesänge von Stradella, welche wir in der Bibliothek von St. Markus
in Venedig entdeckt haben, und wir können nicht genug die Auf-
merksamkeit wirklicher Kunstfreunde auf diese erstaunenswerthell
Compositionen hinweisen."
Alles dies war geeignet, lebhafte Neugier zu erwecken und Hess
uns (erzählt Hr. Richard) neue, unbekannte Aufschlüsse hoffen, welche
würdig wären dem , was uns bis jetzt zu sammeln gefallen hatte,
und unseren eigenen Entdeckungen angereiht zu werden. Das Ein-
fachste und Sicherste ist immer, selbst an die Quelle zu gehen. Der
verbindliche Bibliothekar der Marciana war auf das freundlichste
bemüht, jede an ihn gestellte Frage zu beantworten. Diese Lieder,
diese Kirchengesänge, diese Canzona oder Canzonetta verwandelten
sich in zwei Sammlungen von Cantaten für Gesang allein. Die eine,
angeführt im Catalog unter Nro. 456, enthält unter vielen anderen
eine einzige Cantate von Stradella: „Cosi amor mi fai languire*
und dies ist ohne Zweifel die Mustercantate des Hrn. Rung. Sie
ist gestochen und herausgegeben in Berlin, Paris und London. Die
zweite Sammlung, von weit grösserem Werthe, trägt die Catalog*«
nummer 463 ; sie enthält nicht weniger als 21 Cantaten , welche
alle bisher ungedruckt sind. Auf dem Titelblatt liest man: „Can-
tate a voce sola dell insigne Allessandro Stradella, che in questa
genere e stato singulare, senza pregiudizio di tanti altri suggetti
riguärdivoli del presente secotof was ungefähr heisst: „Cantaten
für Gesang allein von dem berühmten AI. Stradella, der in diesem
Fache einzig dasteht, ohne übrigens so vielen andern ansehnlichen
Subjecten des gegenwärtigen Jahrhunderts zu nahe zu treten."
Wir führen hier die 21 Stücke in ihrer Reihenfolge mit den
Anfangsworten des Textes an:
1. Ombre voi che celate.
%. Piangete, piangete, occKi pianget*.
134
3. Correa lä su nelli stellati campt.
4. In quel sol che in grembo al Togo,
6. Genuflesso m tue piante ecco io ritorno.
6. Costanza, costanza, mio core resisti.
7. Soffro tnisero e t actio.
8. Non sei contento ancora o dispietato.
9. Non disserrate ancora,
10. ftgli del mio cordoglio.
11. Quando mai vi stancherete,
12. Da Filinda aver cht pub.
13. S'amor mannoda il piede.
14. Chi avesse visto un core.
15. Tante perle non versa Vaurora.
16. Dai legami amorosi.
17. Quando sembra che vuoti quesV alma
18. Adorata liberta,
19. So ben che mi saettano.
20. // destin vuol ch'io pianga,
21. II piu tnisero amante.
Es ist zu beklagen, dass man bei den Auszügen, welche man
aus dieser kostbaren Sammlung gemacht hat, sich nicht an eine sehr
einfache Beobachtung hielt. Zur Zeit als Stradella blühte, wurde
die Musik fast ausschliesslich im Madrigalenstyl geschrieben und
entfernte sich nicht von der fugirten Schreibart, von dem Gebrauche
der Imitationen. Für uns Kinder so vieler musikalischer und anderer
Bevolutionen gebot diese Musik , welche ganz ausserhalb unserer
gewohnten Studien liegt, die uns ein sehr lebhaftes, retrospectives
Interesse einflösst und die mehr Bibliotheks- als Gebrauchs - Musik,
die sozusagen archäologische Musik ist], eine grosse Zurückhaltung
vermischt mit jener Art von Achtung, deren man sich nicht ent-
schlagen kann gegenüber von Kunstwerken, welche eine grosse An-
zahl von Jahren hinter sich haben. Man sollte daher immer offen
und aufrichtig ankündigen, ob man Altes, aber nach der Tagesmode
neu Aufgeputztes gebe, oder ob man die Originale rein und ohne
moderne Zuthat hinstelle. Dies ist aber weder dem Inhalt noch der
Form nach beachtet worden. Unserer bescheidenen Meinung nach
konnte man am Besten, ohne Veränderungen zu machen, dasselbe
Verfahren anwenden wie der Herausgeber der Psalmen des Mar-
cello, indem man dem Original einfach eine Clavierbegleitung bei-
fügte. Auf alle Fälle, warum auch mit mehr oder weniger Geschick-
lichkeit erfundene Etiquetten anwenden? Warum z. B. eine Cantate
des 17. Jahrhunderts „Resistenza" betiteln? Das heisst man, sich
von dem , was zu jener Zeit gebräuchlich war , entsetzlich weit
entfernen.
Gegen 1789 besass ein Organist in ehester vier Stücke, die
nur mit den Anfangsworten bezeichnet waren: Jo che lascierö für;
Non e" al certo novit ä; Ridorete sotto vedovo cielo; Ti lascierö.
Burney ist's, der dieselben erwähnt, ohne jedoch Näheres darüber
anzuführen. Das Pariser Conservatorium besitzt zwei Cantaten für
Contraalt: Tu partisti crudel und Or che siam soll amore, und
endlich aas British -Museum eine Arietta, deren Aechtheit von den
Musikhistorikern in Zweifel gezogen wurde wegen der Worte : Fatta
in Genoa (geschrieben in Genua). Allein nach dem, was wir früher
schon gesagt haben, ist dies für uns gerade eine neue Bestätigung
der Aechtheit dieser Compositum.
Es bleibt uns schliesslich noch übrig, von der in Bezug auf
Ausdruck wie auf Melodie so schönen Arie zu sprechen, mit welcher
die berühmtesten Virtuosen unserer Zeit die ganze Kunst ihrer Vor-
tragsweise darzulegen liebten. Ist diese sogenannte Kirchenarie von
Stradella? Kann man sie vernünftigerweise diesem Meister zuschreiben?
Diese schon so oft aufgeworfene Frage ist wohl einer neuen Unter-
suchung werth, und das Problem scheint uns nicht unlösbar. Diese
Arie hat ihre eigene Geschichte und hat verschiedene Umwandlungen
erlitten; in Folgendem geben wir die einfache Erzählung davon.
Jedermann weiss, dass man dem berühmten Choron,*) dem
Gründer des Instituts für kirchliche Musik die Inslebenrufung einer
Reihe von classischen Concerten verdankt, welche, eine wahre
Wiedererweckung der alten Meister, als eine der erspriesslichsten
lind anerkennenswertesten Arbeiten einer Laufbahn voll Gelehrtheit
und eifriger Hingebung zu betrachten sind. Naeh ihm hatte Fe"ti«
den genialen Gedanken, jene ersten Versuche zu verfolgen, indem
er denselben eine geregeltere und logischere Ordnung verlieh. Es
brachte die historischen Concerte wieder in Gang, welche unter
seinen Händen zu wahren Annalen der Musik in lebendiger Aus-
führung wurden. Die' so dramatische Legende Stradella's durfte
natürlich in seinem Programme nicht fehlen. Es fand sich eine
Arie, ein Musikstück von wirklicher Schönheit, welches wohl ge-
eignet erschien, an die Wirklichkeit einer wunderwirkenden Aus-
führung glauben zu lassen. Das war ein ganz anderes Ding, da
lag ein ganz anderer Werth darinnen, als in demLiede von Rolli,
welches, wie man erzählt, den vertrockneten Augen der Prinzessin
Belmonte Tbränen entlockte und ihr durch diesen heilsamen Schmer-
zensausbruch die Gesundheit wiedergab. War es ein Zufall, so war
es ein wunderbarer; die Arie und die Anecdote passen ganz und
gar zu einander. Bourdelot hat den Mordversuch nicht mehr er-
funden, als F6tis die Kirchenarie erfunden hat; der eine hat erzählt,
was er durch das allgemeine Gerücht erfahren hatte, und der andere
hatte das besondere Glück, eine bemerkenswerthe Composition zu
finden. Wenn etwas dabei zu beklagen ist, so ist es die allzu schnelle
Unterbrechung so interessanter Ausgrabungen. Immerhin kann man
sich zu der pikanten Abwechslung Glück wünschen, welche seit
jener Zeit den Programmen der immer zahlreicher werdenden Con-
certe durch die umsichtige Einführung verschiedener Compositionen
von unbekannten oder vergessenen Meistern früherer Jahrhunderte
zu Theil wurde.
n>a »
Literatur.
*) Choron, ein ausgezeichneter französischer Musikgelehrtdr, geb.
den 21. Oct. 1772, gest. den 29. Juni 1834.
Beethoven und seine Werke. Eine biographisch-
bibliographische Skizze von Otto Mühlbrecht.
Leipzig, Verlag von C. Merseburger, 1866.
„Die Einsamkeit ist das Element grosser Geister" — unter diesem
Motto Hess der Verfasser das in Rede stehende Buch erscheinen und
sagt in seiner Vorrede: „Für den Musikfreund ist es eine der inte-
ressantesten Studien, sich mit Beethoven in eingebender Weise zu
beschäftigen; eine Aufgabe, die in dem Grade an fesselndem Reize
gewinnt, als man sich mehr und mehr in das eigenthümliche Wesen
dieses grossen Geistes vertieft und sich mit seinen Schöpfungen
vertraut macht, die ein so treues, klares Bild seines geistigen Lebens
liefern, wie nie eine Biographie von fremder Hand es zu geben im
Stande ist.
Eine solche Biographie, wenn auch verbunden mit einer Charac-
teristik seiner Werke, vermag dem Leser nimmermehr das seltsame
Schaffen, den genialen Entwicklungsgang Beethoven's getreu zu ver-
anschaulichen , weil es dem Biographen an glaubwürdigen Quellen-
schriften fehlt, aus deren Vergleichung unter einander man in anderen
Fällen leicht [sich ein annährend treffendes Urtheil bilden kann*
Beethoven zog sich bekanntlich fast von allem intimen Verkehr zu*
rück, so dass nur wenige Auserwählte einen tiefern Blick in sein
Inneres zu thun vermochten, und auch diesen Freunden gegenüber
war er meistens zurückhaltend. Daher sind von seinen Zeitgenossen
uns nur wenige glaubwürdige Mittheilungen überliefert, die wohl
zum Theil noch von unrichtiger, individueller Auffassung nicht frei
sein mögen.
Dagegen hat uns Beethoven selbst das reichste Material in seinen
Werken hinterlassen. Seine Compositionen sind seine Autobiographie,
der beste Schlüssel zu dem ihm eigenen Leben, denn er kannte ein
solches ja nur in der Musik ; für äussere , sociale Verhältnisse war
er nicht geschaffen, unfähig sich mit Geschick darin zu bewegen.
In seinen Werken aber hat er sich selbst mit Meisterhand gezeichnet ;
da erzählt er uns offen und freimüthig seine Schicksale, sein Freud
und Leid ; in ihnen erkennen wir Thatsachen und Gedanken, ziehen
mit Beethoven hinaus in die Welt, jubeln mit ihm über die Schön 1 *
beiten der Natur, mischen uns in das Kriegstümmel , durchfurchen
die Wogen' des Meeres, und beobachten das Leben der Menschen
um uns her. Wir sehen ihn im Frühling des Lebens Übersprudelnd
von köstlichem Humor, dann zu der ernsten Thätigkeit des Mannet,
der seinen Beruf fühlt, übergehen, bis wir ihn in schwerer Stunde*
von Sorge gedrückt wiederfinden und Zeuge davon sind, wie «
- 135 —
kämpft und nach Freiheit des Körpers and Geistes ringt, bis ihm
der Friede wird and er zu Gott eingeht, dessen Verherrlichung er
«eine besten Kräfte gewidmet.
Das alles spiegelt sich scharf and treu in seinen Compositionen,
den Menschen gegenüber hat er geschwiegen. Wer sich deshalb eng
mit Beethovens Leben befreunden will, der lese nicht nur die Schriften
über ihn, sondern höre von seiner Musik so viel er kann, dadurch
wird erst ein richtiges Verständniss desselben möglich.*
Die biographische Skizze, auf die bisher erschienenen ausführ-
licheren Biographien Beethoven's von Lenz, Marx, Schindler, We-
geier etc. gestützt, enthält natürlich nichts Neues'und gibt nur einen
kurzen Umriss des Lebens und Schaffens des unsterblishen Meisters.
Sie dient nach des Verfassers eigenen Worten nur als Commentar
zu dem zweiten, bibliographischen Theile des Buches.- Der dort
gegebene ausführliche Catalog der Beethoven'schen Werke besteht
aus vier Abtheilungen ; die erste derselben enthält die Compositionen,
welche von Beethoven selbst mit »Opus 1 — 138 K bezeichnet sind J
die zweite enthält die von Beethoven mit „Nr. 1-58" bezeichneten
Werke ; in der dritten sind die Instrumental-Compositionen , und in
der vierten die Gesangs-Compositionen aufgeführt, welche von Beet-
hoven in keiner Weise bezeichnet sind , und die fünfte Abtheilung
endlich enthält ein sorgfältig aufgestelltes Register sämmtlicher
Beethoven scher Compositionen. Da der Verfasser in seinem Cataloge,
soweit ihm bekannt, das Jahr der Composition und des ersten Er-
scheinens der Werke im Druck angegeben hat, so erscheint es uns
als ein nicht unbedeutender Mangel des Catalogs, dass nicht jederzeit
auch der betreffende Verlag angegeben wurde, wie dies u. A. Thay e r
in seinem Beethoven -Catalog gethan hat. Es würde diese Zutbat
zwar die ausgesprochene Absicht des Verfassers, Beethoven und
seinen geistigen Entwicklungsgang in der Art und Aufeinanderfolge
seiner Werke kennen zu lehren, nicht gefördert haben, aber doch
jedem Leser des Buches gewiss recht erwünscht gewesen sein. Im
{Jebrigen wünschen wir dem auch weniger bemittelten Künstlern
und Kunstfreunden zugänglichen Buche eine recht allgemeine Ver-
breitung, die dasselbe auch vollkommen verdient. E. F«
••*•
COBRESPONDENZEK.
Aus Prag.
12. Angost.
Wie ich seiner Zeit berichtete, wurde die' böhmische Oper durch
zwei gediegene Originalopern bereichert. Es sind das die Opern:
„Templari na Morave" (die Templer in Mähren)fvd*i Carl Sebor
und die „Branibort" (die Brandenburger) von Fried. Smetana.
Beide Opern erfreuten sich eines ungeteilten Beifalls des Publikums,
ja einige Nummern der Sebor'schen Oper, namentlich der Templer-
marsch, sind hier populär geworden. Die hiesige Musikhandlung
Wetzler gab unlängst ein Potpourri der Sebor'schen Oper heraus,
und ich glaube , dass die Herren Transcriptoren reichlichen Stoff
für ihre Fantasien, Transcriptionen etc, darin finden dürften.
Unlängst hörten wir die neue zweiactige komische National-
operette „Prodana nevesta" (die verkaufte Braut) von F. Smetana,
•die wirkliche trefflich genannt werden kann. Der Eingangschor
dieser Oper ist von so zündender Wirkung, dass er stets wiederholt
werden muss. Er ist im nationalen Geist gehalten und dürfte bafd
populär sein. Das grösste Ereigniss der böhmischen Oper ist die
baldige Aufführung der russischen Nationaloper: „Zivot za cara"
<das Leben für den Czar) von Glinka. Sie wird fleissig einstudirt
und zu Ende dieses Monats aufgeführt werden. Eine grosse An-
ziehungskraft üben auf das Publikum Gluck's Opern : „Orpheus" und
4, Armida," die hier stets auf dem Bepertoir sind.
Während der Occupation Prag's durch die Preussen erlitt die
•Musik einen herben Schlag, und wenn hier nicht täglich Garten-
«oncerte gegeben würden, so wüssten wir nicht, dass Prag eine
musikalische Stadt ist. Ja selbst in den Kirchen wurde die Musica
&ac?a vernachlässigt Eine ehrenvolle Ausnahme machte namentlich
der strebsame Vincenz Vinar, Chordirector der hl. Geistkirche,
-welcher Mozart'sche und Brjxi'sche Messen in einer sehr gelungenen
Aufführung zu Gehör brachte. Wie wir vernehmen , schreibt Herr
Vinar eine „Lehre vom Contrapunkt und der Fuge," ein Faeh, worin
er ungewöhnliche Kenntnisse besitzt
Für die Directorsstelle in' der Prager Orgelschule ist der Con-
curs eröffnet. Wie ich höre, haben sich darum folgende Competenten
beworben: Franz Blazek, Professor der Harmonie in der Orgel-
schule, der über 26 Jahre dem Institute seine Kräfte bei einem
äusserst bescheidenen Honorar widmet; dann Sigmund Kole-
schovsky, Chordirector; Jos. Förster, Chordirector; Prucha»
Chordirector ; Zdenko Skuhersky, Capellmeister in Irmbrnck.
Den grössten Anspruch auf diese Stelle dürfte unstreitig Hr. Blazek
haben, der sich um die Orgelschule zahlreiche Verdienste erworben hat.
Das Conservatorium hat seinen Director in der Person des
Hrn. Jos. Krejci gefunden. Hr. Krejci ist zwar ein guter Theore-
tiker und Organist, dürfte aber für so eine wichtige Stelle, wo man
eine allseitige literarische Bildung, Sprachkenntnisse und feinen Ge-
schmack verlangt, nicht ausreichen. Die Professorstelle des verstor-
benen Prof. M i 1 d n e r für die Violine wird ohne Zweifel dem jungen
und talentvollen Virtuosen Chr. Rebicek zufallen.
Nachrichten
Mainz. Die aus anderen Journalen in unser Blatt übergegangene
Nachricht, dass das Theater in Frankfurt a. M. geschlossen und
die Mitglieder desselben auf halbe Gage gesetzt worden seien, be-
richtigen wir hiermit dahin, dass das Frankfurter Theater gar nicht
geschlossen wurde , und die Verwaltung desselben den Mitgliedern
gegenüber stets ihren Verbindlichkeiten in vollem, ungeschmälertem
Maasse gerecht wurde, was unter den obwaltenden Umständen gewiss
alle Anerkennung verdient.
Leipzig. Der Ried ersehe Verein gab ein geistliches Concert
zum Besten verwundeter und invalider Krieger und durch den Krieg
verarmter Familien in der Nicolaikirche. Den Anfang des Concertes
bildete der Altsolopsalm von B. Marcello, welcher von Frau Krebs-
Michalesi in vortrefflicher , wahrhaft ergreifender Weise vorge-
tragen wurde. Hr. H e g a r spielte die obligate Violoncellpartie
ausserordentlich schön. Dann folgten zwei Chöre: »Siehe, wie der
Gerechte muss sterben" von Palästrina und „Stabat mater 1 ' von
Nanini, ebenfalls vortrefflich einstudirt und mit tadelloser Reinheit
ausgeführt Das Solotrio im letzteren Werke wurde von Frl. H e i n e-
meyer, Frl. Schmidt und Frl. Martini, und das Soloquartett
von Frau Flinsch, Frl. Martini und den HH. Schild und
Rafalsky in sehr gelungener Weise vorgetragen. Hr. Schild sang
ferner die Arie: „Zerreisset eure Herzen und nicht eure Kleider"
aus Mendelssohn'« „Elias" mit sichtlicher Begeisterung, und auch
Frau Flinsch trag die Arie von Händel: „Er weidet seine Heerde"
mit schönem Verständniss vor. Ausserdem wurden der Choral : „Ein
feste Burg" von Calvisius und ein altfranzösischer Chor von Clau-
din-le-jeune mit vielem Interesse aufgenommen, sowie auch das alt*
deutsche Weihnachtslied von Prätorius. Zwischen den Gesangsvor-
trägen spielte Hr. Concertmeister A u e r von Düsseldorf Adagio*«
für die Violine von Spohr uud Beethoven mit künstlerischer Wärme»
und bewährte Hr. Thomas wieder seine bekannte Meisterschaft
auf der Orgel durch den Vortrag der Fugen in E-moll und Gnioll
von Bach. Der äusserst zahlreiche Besuch dieses Concertes lässt
voraussetzen, dass auch der wohlthätige Zweck desselben in hohem
Grade erreicht wurde.
Paris. Am 7. August fand die Preisvertheilung im Conserva-
torium statt unter dem Vorsitze des Ministers des kaiserl. Hansels
und der schönen Künste, Marschall Vaillant, welcher nach einer
mit vielem Beifall aufgenommenen Anrede den als Flötenvirtuose
berühmten Professor Dorus im Auftrag des Kaisers mit dem
Kreuze der Ehrenlegion decorirte und dann die Preise eigenhändig
vertheilte.
— Das Thddtre lyrique wird eine höhere Subvention erhalten,
das italienische Theater bekommt die im verflossenen Jahre ihm ent-
zogenen 100,000 Franken wieder. Bei all 1 diesen Experimenten
seheint die Theaterfrage jetzt zu ernstlichen Besorgnissen Anlass zu
geben. Die Regierung gewinnt immer mehr und mehr die Ueber-
zeugung, dass es unmöglich ist, die Wirthschaft in der grossen Oper
und in der Optra comique so fortwalten za lassen. Die beiden
Institute erhalten enorme Summen, thun aber nichts für die Kunst*
136 —
Wenn nicht de» letzte Werk Meyerbeer's dem Erstgenannten andert-
halb Millionen Franken eingetragen hätte, so wäre es in ein De-
ficit geratheu, ans dem es niebt mehr herauskam! — das Zweite
steckt ruhig die Subvention von 240,000 Frs. ein und gibt ein paar
neue Opern von bekannten Componisten, und läset die jüngeren,
deren Werke sie angenommen um ihrer Verpflichtung gegen die Re-
gierung su genügen, müssig liegen, oder bringt sie gaus zu Anfang
der Vorstellung, wo das Publikum noch gar nicht versammelt ist.
In neuester Zeit hat die Direction selbst diese Concession nicht
mehr gemacht, und wählt als sogenanntes lever du rideau (erste
Piece des Programms) irgend eine alte Operette , für die sie sehr
wenig oder gar keine Tantieme zu zahlen hat. Die vereinigte Ge-
sellschaft der dramatischen Dichter nnd Componisten hat sich mit
sehr energischen Beclamationen an das Ministerium gewendet, und
dieses hat versprochen, die Angelegenheit in ernste Erwägung zu
aieheu. , (N. Berl. M.-Z.)
%* In Liverpool hat man den Bau eines neuen Theaters
begonnen, welches „Alexandra* heissen und 1600 Plätze enthalten
soll , während bei besonderen Gelegenheiten noch ausserdem 250
Stehplätze geschaffen werden können.
*** Es heisst, R. Wagner arbeite an einer neuen Oper, be-
titelt: »Friedrich von Hohenstaufen".
\* Wie die »Bayr. Zeitg." meldet), soll das neue Opernhaus
n. A. auch noch mit dem Münchener Stadtwappen geschmückt
werden und zwar zu Ehren des herzoglich bayrischen Hofcapell-
meisters Orlanda di Lasso (1530—1699).
*** Heinrich Stiehl, ein talentvoller Componißt aus Peters-
burg, der sich durch seine Kammermusik- Werke, zumal seine Trio's,
in den musikalischen Kreisen einen guten Kamen erworben hat, be-
findet sich in Wien und steht mit dortigen Bühnen in Unterhandlung
wegen Aufführung seiner in Petersburg mit grossem Beifall gegebenen
einactigen Operette: »Jery und Bätely" (Text von Göthe).
*** Frl. Flies und Hr. Franosch haben das deutsche
Theater in Prag verlassen , wogegen Frl. H u 1 1 a r y ihr dortiges
Engagement angetreten hat.
*** Am 19. Nov., dem Geburtsfeste der Kaiserin v. Oesterreich,
soll in Wien Wagner's »Rienzi* zum ersten Male und in glänzen-
der Ausstattung zur Aufführung kommen.
*** Der Redacteur des »Bayrischen Couriers," der in einem
Artikel gegen B ü 1 o w wie auch dessen Gemahlin die gemeinsten
Ausfälle gerichtet hatte, ist zu dreitägiger Gefängniss- und einer
Geldstrafe vemrtheilt worden.
*** Frl. Blaczek von Würzburg ist am Leipziger Stadttheater
als Primadonna engagirt worden.
*** Der Tenorist Fraschini welcher kürzlich bei einer ausser-
ordentlichen Vorstellung zu einem wohlthätigen Zwecke in Neapel
mitwirkte, wird, wie man sagt, nächstens ganz die Bühne verlassen.
*«* Halevy's reizende Oper: »Der Blitz" kam am 1. Aug. in
Leipzig mit ausserordentlichem Beifall zur Aufführung. Insbesondere
leistete Frau Deetz als junge Wittwe Vorzügliches.
*** Der greise Componist und Professor am Pariser Conserva-
torium, Carafa (dereinst Ordonans- Offizier des Königs Joachim
M u r a t und Prinz von Calabrano) hat , da er kinderlos ist , den
Neffen seiner Gattin, Michel Daubenton an Kindesstatt ange-
nommen und zum Erben seines Namens und Titels erwählt.
*»* Hr. Bar nett, ein tüchtiger Pianist, der sich in den Con-
eerten der neuen philharmonischen Gesellschaft in London Öfters mit
vielem Erfolg hat hören lassen, arbeitet an einem Oratorium: „Die
Auferstehung des Lazaius," das auf dem Birminghamer Musikfeste
zur Aufführung kommen soll.
*** Der Tenorist Nachbauer vom Hoftheater in Darmstadt,
welcher sein Gastspiel am Wiener Operntheater wegen Familien-
verhältnissen plötzlich abgebrochen hatte, ist für ein zweimonatliches
Gastspiel an derselben Bühne für den nächsten Winter gewonnen
worden.
•»* Wiederum will eine „Loreley" am Opernhorisont auftauchen,
indem der Organist C. A. Fischer in Dresden soeben eine Oper
unter diesem Titel vollendet hat.
*«* Das Concert, welches Moseheles in London für die ver-
wundeten deutschen Krieger veranstaltete, hat 3000 Thlr. eingetragen.
*** Aas Berlin wird gemeldet, dass Hr. Wachtel die auf
seinen Antheil fallende Summe von 800 Thlr. dem Hülfscomite für
die Verwundeten übergeben habe.
*** Alfred Ja eil wurde am 9. Aug. in der Kirche St. Made-
leine in Paris mit der Pianistin Fräul. Marie Trautmann
vermählt.
*** Von Otto Jahn, dem Verfasser der Biographie Mozart'a
erschienen soeben bei Breitkopf & Härtel „Gesammelte Schriften
über Musik."
*** Einen kleinen Begriff von Londonern Honoraren gibt eine
Romanze von einem gewissen Randegger, welcher mit Glück in
englischen Romanzen macht. Derselbe erhielt für eines dieser
Dutzendfabrikate 66 Thlr. von dem Verleger Metzler. Dieser
wieder, als er das Verlagsrecht derselben öffentlich an den Meist-
bietenden versteigerte (acht englisch) von Ashdown&Parry 900Thlr»
*** In der neuen Oper „La Colombe" von Gounod ereignete
sich bei der ersten Aufführung in Paris folgende komische Episode t
Es kommt darin ein alter Haushofmeister vor, der einem ganz jungen
Pagen gute Lehren in der edlen Kochkunst ertheilt und ihm unter
Anderem auch sagt, wiejfman ein Gericht Bohnen zu kochen habe;
„man nimmt dazu," sprach der erfahrene Kenner der culinarischen
Kunst, „Pfeffer, Salz, schwenkt das Ganze in zerlassener Butter und
so entsteht ein vortreffliches Gericht l" Dieses Recept kam aber
dem Publikum doch gar zu primitiv vor, man appellirte dagegen und
witzelte und spöttelte ganz laut; endlich rief eine durchdringende
Frauenstimme von der Gallerie herab : „Nehmt doch wenigstens noch
etwas Beifuss in Eure Bohnen , sonst schmeckt ja das Zeug gar zu
fade !" Dieser Vorschlag fand Beifall, das Publikum klatschte unter
jubelndem Gelächter, der Haushofmeister nahm sofort den Beifusa
in sein Recept auf, und die Vorstellung ging weiter.
*** Bei der mannigfachen Einquartirung , welche Dresden in
der letzten Zeit erhielt , ereignete es sieb , dass ein preussischer
Landwehrmann durch Zufall in dasselbe Haus zu liegen kam, wo-
er vor einem Jahre als Sängergast gewohnt hatte. So ändern sich»
in Kürze die Zeiten.
%* Die HH. Stein way in New -York bauen eine prachtvolle
Tonhalle. Dieselben haben auch wieder ein Patent für einen neuen
Pianoforte-Mechanismus erhalten, der eine totale Revolution in der
Ciavierfabrikation veranlassen soll.
V* Der Unterricht in der Gesangschule des Hrn. Julius
Stockhausen in Hamburg beginnt wieder am 15. September und
dauert bis znm 15. Juni 1867.
*** In Wiesbaden starb am 3. d. M. der als Künstler wie als
Mensch gleichgeachtete Bühnenveteran Eduard Genast, geb.
15. Juli 1797 in Weimar, wo er auch am längsten wirkte, indem
er von 1829 bis zu seiner 1860 erfolgten Pensionirung ununterbrochen
am dasigen Hoftheater engagirt war. Den Grund zu seinem Rufe
als Schauspieler und Sänger legte der Verstorbene auf dem Leipziger
Theater, für welches er 1818 von Küstner gewonnen wurde. Genast'»
im Jahre 1860 verstorbene Gattin war die gefeierte Caroline
Christine BÖhler. Lebhafte Theilnahme in literarischen und
künstlerischen Kreisen fand sein autobiographisches Werk: „Aus
dem Tagebuche eines alten Schauspielers" (4 Bände, Leipzig 1863
bis 1865)*, ausserdem versuchte er sich auch nicht ohne Glück all
Componist.
%* In Berlin starb am 9. August der in ganz Deutschland
rühmlich bekannte ehemalige Tenorist Man t ins.
*** Im Irrenhaus zu Prag starb der talentvolle Pianist Leo
L i o n aus Berlin.
*** Der rührige Theaterdirector Seh unke, Vater der bekann-
ten Schauspielerin gleichen Namens , ist in Berlin gestorben. Er
hinterlässt einen geachteten Namen.
Briefkasten. Die letzten fünf Nummern der »Neuen Ber-
liner M.-Z." sind uns, wie alle norddeutsche Journale, erst in den
letzten Tagen zugekommen und wir hoffen, dass auch die fehlenden
Nummern unseres Blattes nun endlich an ihren Bestimmungsorte«
angelangt sein werden.
Druckfehler. In der vorigen Nummer, S. 130, Sp, 1 ist In
dem Notenbeispiel, 2. Gesangsseile, 3. T. statt m>, fit an lesen.
Vtrantw. Rtd. Ed. Facktrer. Druck v. Carl Wallau, Mains.
15. Jahrgang«
M* MS ,
27. Aiignst 1866.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post
Ämtern, Musik- & Buchhand
!; lungen.
T09A
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Ctebr. Schott. London bei Schott & Co.
I* PREIS:
fl.2. 42 kr. od.Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang. '
Durch die Post bezogen
} 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
INHALT: Stradella und die Contarini. — Die deutschen Sänger. — Correspondenzen : Wiesbaden. Paris. — Nachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein Tenetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
P. Richard.
vn.
Musikalische Compositionen.
Es war im Anfange des Jahres 1832, als die erwähnten histo-
rischen Coneerte in Paris ihren Anfang nahmen, and im Monate Mars
1838 wnrde in einem, der Musik des 17. Jahrhunderts für Kirche,
Theater und Concert gewidmeten Production die Arte : „Pietä Signore"
zum ersten Male gesungen. Das Programm kundigte an: „Kirchen-
arie (Aria di chiesa) für Tenorstimme mit Begleitung von zwei
Violen und zwei Bassviolen, componirt von Stradella (1667)." Die
JEttVue musical eßth\e\t darüber u. A. Folgendest „Diese Arie hat
dem Publikum das lebhafteste Vergnügen gewährt. AI. Dupont,
dessen Stimme einen unbeschreiblichen Beiz besitzt, hat dieses Stück
in vollkommener Weise und mit der Auffassung eines Künstlers ge-
sungen, der durchdrungen ist von der Schönheit der Musik, welche
er vorträgt." Auch andere Stimmen Hessen sich in der günstigsten
Weise über diese Composition vernehmen, allein obschon die Arie
wirklich eine ausserordentliche Wirkung gemacht und den einstim-
migsten Beifall erhalten hatte, so blieb sie doch ungeachtet dieses
grossen Erfolges lange Zeit unveröffentlicht, und es vergingen fünf
Jahre, bis (1838) die erBte Ausgabe der Arie erschien, „welche die
Mörder entwaffnet hatte," unter den schwulstigsten Anpreisungen.
Fetis hatte sicherlich mit dieser Ausgabe nichts zu schaffen. Die-
selbe erschien in Partitur, mit Begleitung von zwei Violinen, Violon-
cell und Contrabass, und ausserdem war noch eine Ciavierbegleitung
beigegeben. Diese Ausgabe schien aus verschiedenen Gründen nicht
su entsprechen und sie wurde durch eine neue ersetzt, welche blos
mit Ciavierbegleitung versehen, um einen Ton tiefer gelegt, um
mehrere Jahre verjüngt (es war das Jahr 1675 statt 1667 angegeben)
und mit anderem Texte erschien ; so wurde das wunderthätige Pietä
Signore, Dank den Worten inferna, damnato, fuoco eterno, wirk-
lich ein Kirchenstück, welchem sich keine geweihte Pforte ver-
schliefen konnte. Die Ausgaben der ersten Version sind nicht
«ahlreich, aber die der zweiten sind unzählig. Uebersetzt in fast
alle Sprachen Europa's, mit Unterlegung verschiedener lateinischer
Kirchentezte , als Ave Maria, Ave verum, ja selbst als Requiem
ist diese Arie an hundert verschiedenen Orten, in tausend profanen
and anderen Concerten gesungen worden, und immer mit grossem
Erfolge.
Nachdem F6tis im Jahre 1855 in Brüssel seine [historischen
Coneerte wieder aufgenommen hatte, Hess er auch die Arie von Stra-
della wieder erscheinen und erinnerte wiederholt an das Abenteuer
von den bewaffneten Mördern. Der belgische Journalist, welcher
das Ereignisa erzählt, fügt bei : Wenn man diese rührende Melodie
and diese aus dem Herzen kommenden Accente hört, begreift man
das von der Tradition erzählte Wunder. Man erstaunte sich nur
darüber, dass dies Kirchenmusik sein soll; die Liebe kann sich in
irgend einer Oper nicht anders ausdrücken." Dies ist auch voll-
kommen unsere eigene Ansicht, kann aber für sich allein nicht die
Authentität dieser schönen Composition schwächen. Zu allen Zeiten
hat die Musik verschiedener Epochen allgemeine Bedingungen ge*
habt, welche ihren mannigfachen Kundgebungen eigen waren. Wird
man wohl im Jahre 1676 in Italien oder wo immer eine Composi^
tion von dieser Form und von diesem Bau finden? Das ist der
Knotenpunkt der Frage.
F&is sagt wohl in seiner Biographie : „Ich besitze eine wunder-
volle Kirchenarie für Tenorstimme, mit 2 Viole da braccio, Viola
bastarda, Viola di Gamba und Violone, welche ich in meinen
historischen Concerten vortragen liess," allein er bezeichnet nicht
die Quelle, aus der diese Composition entsprungen ist. Irgend eint
Aufklärung in dieser Beziehung wäre umsoweniger nnnöthig gewesen ,
als Fetis die Erzählung des Bourdelot aufnimmt und des ganzen Zu-
trauens werth findet. Er beurtheilt und erwägt jene Erzählung und
fügt dann bei: „Bourdelot hat sich nur in dem Datum des Tode»
Stradella's geirrt, indem er denselben in das Jahr 1670 legt; aber
gerade der Beweis seines Irrthums fn dieser Beziehung bürgt für die
Genauigkeit des Uebrigen." Abgesehen von der Sonderbarkeit eine*
solchen Argumentes kann man Folgendes dagegen einwenden. Bour"
delot sagt mit aller Bestimmtheit, dass Stradella seine Rettung seinem
„Oratorium vom hl. Johann Baptist und dem Eindrucke verdankte^
welchen die Schönheit der Musik auf die Herzen der Mörder machte";
er sagt nichts von Gesang, von Stimme ; die Aria di chiesa befindet
sich auch nicht in jenem Oratorium. Burney, welcher dasselbe
Nummer für Nummer analisirt, erwähnt derselben nicht, und man
findet auch keine Spur davon in dem gedruckten Textbuche, *)
Es muss also irgend eine unerwartete Entdeckung die Ansicht des*
gelehrten Musikers modificirt haben, indem sie ihn ein Tenorsolo,
ein einzelnes Musikstück an die Stelle eines Oratoriums setzen liess.
Nun bleibt noch eine letzte Vermuthung übrig. Wäre es nicht viel-
leicht möglich , dass der Scharfsinn des ausgezeichneten Professors
sich hier eine Blosse gäbe, und dass die zufällige Entdeckung eines,
freilich vortrefflichen Werkes in Wirklichkeit nur eine Täuschimg
eines allzu gewandten Erfinders, oder um es gerade heraus zu sagen,
nichts Anderes als eine gewandte Inscenesetzung wäre?
Man hat auch noch einen anderen Einwand gemacht, der sich
auf die Wiederholung des Hauptmotivs gründet. Nach Angabe Sach-
verständiger schriebe sich der Gebrauch des da capo in den Ge-
sangsarien erst von AI. Scarlatti her, der dieselben zuerst in
seiner Oper „Teodora" in Rom 1693 angewendet hätte. Dieser
Einwand hat jedoch keinen Werth. Es ist nämlich dieser Irrthum,
•) Dieses Textbuch wurde in Florenz gegen Ende des 17. Jahr-
hunderts gedruckt unter dem Titel: % .La Decoltazione del Ba-
tisia, oratorio a cinque voci. da cantarsi nella Ven. Compania
dell Arcangelo Raffaetto, delta la Scata, per Vinc. Vangelisti;
in 4*." Dies ist unzweifelhaft der von Stradella componirte Text.
Eine handschriftliche Note auf dem Titel des uns vorliegenden)
Exemplars lehrt ans, dass unter dem einfachen Titel: i,Saint
Giovanni Batista" das Werk unseres Künstlers im Jahre 1693
in Florenz aufgeführt wurde.
- 188 -
den «ach Feiis in seiner Biographie des AI. Scarlatti tbeilt, ichon
mehr als hinlänglich durch die Untersuchung der von dem Histo-
riker Burney angeführten Thateachen widerlegt worden. Lange ror
Bcarlatti, vielleicht achon vor Stradella, im Jahre 1661 oder gar
■ebon 1642 hatte derComponist Tenaglia das da capo in seinem
„Clearco" angebracht; ea findet eich anch in den Motetten dea
Monferrato, gedruckt 1673. Man kann also wohl behaupten, das«
dasselbe vor 1675 bekannt und gebräuchlich war.
Einen wichtigeren Einwurf konnte mau vielleicht in der Be-
handlung dea Accompagnements finden, welche eich vielmehr dem
heutzutage Gebräuchlichen ala der Form der Imitationen oder der
Anwendung des bezifferten Bassea nähert. Hier müaaen wir una nun
auf die Autorität dea Hrn. Fetis stützen, welcher, indem er die von
AI. Scarlatti eingeführten Neuerungen aufzählt, sagt: „In Betreff dea
Accompagnements der Arien gab er demselben, anstatt ea dem Ge-
sänge in streng angepasster Harmonie folgen zu lassen, einen be-
sonderen Zuschnitt, wenn er es für passend fand, und vermied durch
seine Lebhaftigkeit eine ermüdende Monotonie." Haben wir nun
hier nicht gerade einen besonderen Zuschnitt statt einer streng att-
gepaaaten Harmonie, welche der von Stradella geschriebenen Arte
so glücklich zur Begleitung dient?
Die verschiedenen Zeitangaben für die Entstehung dieser Arie
sind von keiner Wichtigkeit. Möge man 1646, 1660, 1667 schreiben,
wie Fetis in seinen Programmen von 1833, oder 1675 mit den neuen
Textworten: »Pietä Signore," möge man mit anderen* Autoritäten
das Jahr 1676 nennen, alle diese Zahlen verschwinden mit der Er-
zählung von den gerührten Mördern, mit dem Mordversuche, der
niemals stattgefunden hat. Die Arie bleibt unberührt in ihrer ganzen
Schönheit, aber man muss eine andere Taufe für Bie finden. Ein
neuerlicher Fund kann auf den Weg zur ächten Wahrheit fuhren.
Der belgische Journalist, welcher über das „Pieta Signore** sagte:
„Die Liebe würde sich in einer Oper nicht anders ausdrücken,* kam
der Wahrheit näher, als er selbst dachte. Es ist die Liebe, und
zwar eine sehr überspannte Liebe, welche der Dichter ausdrücken
wollte, und der Musiker in Töne übertragen musste. Die Verse".:
5» i miei sospiri,
Dio placasserö!
L'empio sembiante
Che m'allettö etc. etc.
sind die zweite Strophe einer Liebesklage, welche sich an das Felsen-
herz einer unempfindlichen Schönen richtet. Die nachstehende erste
Strophe wird alle Zweifel heben. Der Tenor, Arsen es, SohnUrban's
und Geliebter der Theodosia, beginnt folgen dermassen zu singen:
Se il mio dolore
Votesse frangere
II cor di pietro
D'una beltä:
Dal fato o amore
Cento occhi impetra
Ch'il cor di piangere
Non cesserä.
Man sieht wohl, das ist Liebe und nichts anderes. Man darf
daraus nicht schliessen, dass die Bezeichnung „Kirchenarie* unpassend
Bei, man muss nur sagen: „Liebesarie, in der Kirche gesungen.* 1
Das geistliche Drama schloss den Ausdruck irdischer Leidenschaften
nicht aus, besonders wenn man, wie dies hier der Fall war, den
Sohn eines Verfolgers der Unschuld auftreten lässt. Nach dem Sinne
des Librettisten ist gerade die heftige Leidenschaft des Arsenes für
Bie eine der Ursachen des Märtyrthums der heil. Theodosia. Die
Oratorien wurden in der Kirche gesungen, meistens von den Ordens-
brüdern selbst. Das so aufgefasste geistliche Drama'würde vielleicht
dem Puritanismus unserer Zeit verletzend erscheinen, aber es passte
ganz und gar zu den italienischen Sitten.
Nun führte der Zufall beim Durchlesen einer interessanten
Sammlung von Textbüchern, die in Florenz gedruckt wurden, zur
Entdeckung eines Oratoriums, dem Vorstehendes entnommen ist.
Folgendes ist der genaue Titel desselben: „Ä Teodosia, vergine
et martire, oratorio a quatlro voci da cantarsi nette chiesa de'
padri nella congregazione delV oratorio di S. Filippo Neri di
Itrenze, musica del Signor Alessandro Scarlatti, in Firenze,
1693, per Vincenzia Vangelisti;" sechs Blätter in 4?
Bei Fetis ist die „heil. Theodosia" von Scarlatti von Rom, 1705
datirt; sie war aber zwölf Jahre älter. Ein noch ältere hl. Theodosia
war schon früher ebenfalls in Born aufgeführt und in Mantua 1686
gedruckt worden. Alle diese Daten find später, als man von Stra-
della weiss. Die Musik Scarlatti's ist ganz anderer Art und scheint
sogar von noch älterer Schreibart zu sein als das „Pietä Signore. 11
Es ist also gewiss keine zu grosse Kühnheit, wenn nicht die Aecht-
heit des fraglichen Musikstückes entschieden zu läugnen, so doch
hintdr genugsam motivirten Zweifeln zu verwahren. Ein glück-
licherer Entdecker wird dieses Räthsel lösen, und wie die Arie einen
Pathen gefunden hat, so wird sie vielleicht auch noch einen
Vater finden.
Es muss übrigens anerkannt werden, wieviel Dank die Freunde
der Musik dem gelehrten Fetis für seine während einer langen Reihe
von Jahren ununterbrochenen enormen Leistungen als Lehrer, als
Componist, als didactischer und kritischer Schriftsteller und als Di-
rector einer grossartigen Lehranstalt schulden. Wenn man auch nicht
Alles ohne Prüfung annehmen konnte, so zwang die gebieterische An-
forderung der Wahrheit dazu, und der einem Gelehrten gebührenden
Achtung ist nicht zu nahe getreten worden. Fetis hat soviel gethan
and geschaffen, dass er wohl hie und da irren konnte.
Hie deutschen Sänger«
Hanslick schrieb unlängst in einem Bericht über die italie-
nische Oper in Wien in der „Neuen freien Presse" folgende beher-
zigenswerthe Betrachtungen über die deutschen Sänger: „Nichts
Besseres vermöchten wir unseren deutschen Sängern für so manchen
uus bereiteten Genuss zu wünschen, als dass keine der italienischen
Vorstellungen an ihnen ungehört und ungenützt vorübergehen möge.
Wer es bislang nicht gewusst oder nicht geglaubt, was den deutschen
Sängern fehlt, dem wird es durch die sich ununterbrochen aufdrän-
gende Vergleichung mit den Italienern jetzt zur Klarheit gediehen
sein: die Herrschaft über die Gesangstechnik. Nicht an einzelne
Künstler des Hofoperntheaters denken wir dabei, ja nicht einmal an
dieses, andere Bühnen noch weit überragende Institut selbst, sondern
an die deutschen Sänger überhaupt. Was für prachtvolle Stimmen
finden wir unter ihnen, welche Schätze an musikalischen und dra-
matischen Anlagen — und dennoch, welch' mangelhafte, dilettantische
Ausbildung dieser Kunstmittel. An allgemeiner wissenschaftlicher
Bildung dürften unsere Landsleute den französischen und italieni-
schen Sängern grösstentheils überlegen sein, in der für den Künst-
ler unentbehrlichsten, der technischen, stehen sie weit hinter ihnen
zurück. Die italienischen Künstler treiben das Singen als eine
Kunst, eine schwierige, ernste Kunst, die sorgsam gelernt sein will;
die deutscheu begnügen sich meist mit der Stimme , dem Talent,
der Routine und einer vornehmen Abneigung gegen Gesangsstudien.
Die technische Ausbildung des Materials — nicht das Letzte, aber
das Erste und Unentbehrlichste in aller Kunst — liegt in dem ernsten
Willen eines Jeden ; desshalb soll die Kritik an einem so auffallenden
Beispiel wie unsere italienische Oper nicht stillschweigend vorüber
gehen. Wir zum mindesten glauben mit solchem Fingerzeig eine
Pflicht zu erfüllen, wohl wissend, dass er uns keine Rosen tragen
wird. Das Lob der Gewissenhaftigkeit und ernsten Berufstreue, das
den Deutschen allgemein gespendet wird, erleidet in Bezug auf die
deutschen Bühnenkünstler einige Beschränkung. „Ich kenne keine
fremde Bühne, welche an sorgfältiger Vorbereitung des Kunstmaterials
unsere deutsche Bühne nicht überträfe," sagt Laube in seinem treff-
lichen Essay über Anscbütz. Der Ausspruch dieses erfahrenen Kenners
(dessen dramaturgische Perlen leider nur dann auftauchen, wenn das
Burgtheater einen grossen Künstler verliert) ist durch seine Collegen
Devrient, Gutzkow etc. an mehr als einem Orte bekräftigt. Welcher
deutsche Schauspieler erschrickt nicht, wenn er liest, dass von einem
Conversationsstück , wie „Mademoiselfe de Belle-Isle" im The'ätre
lyrique seinerzeit 52 Proben gemacht wurden, und selbst die kleinen
Vaudevilles auf den Boulevards nie unter 16 bis 20 Proben aufge-
führt werden? Wie vielen deutschen Schauspielern dürfte man zu-
muthen, 20- uud SOmal zu probiren, wie man einen Brief zu erbrechen,
sich auf's Sopha zu legen, grüssend in einen Salon zu treten hat?
Und doch musste, trotz der natürlichen Geschicklichkeit, welche
hierin die Franzosen voraus haben, jeder ihrer bedeutenden Künstler
an der Aneignung solcher Details, also am Handwerk, gewissenhaft
139
arbeite«. Bin wtlt grösserer Abstand noch, als »wischen deutschen
«si französischen Schauspielern, besteht in diesem Punkte zwischen
den Sängern der deutschen und der italienischen Bühne. Wir möchten
hier lieber das Publikum cur eigenen Beobachtung einladen, als
telbst sprechen. Man höre heute eine italienische Vorstellung und
morgen eine deutsche im Hofoperntheater. Unsere italienischen
Operngäste glänzen durch vollendete Bildung des Materials bei keines-
wegs imposanten Stimmen ; die deutschen durch Stimmen voll Kraft
und Fülle, die jedoch ob ihrer mangelhaften Technik nicht die
Hälfte der Wirkung erreichen, welche sie bei gleicher Pflege und
Ausdauer erreichen könnten. Bei den Italienern gr'össte Sicherheit
und Gleichmäßigkeit die ganze Rolle hindurch; bei den Deutschen
ein ungleicher Wechsel glänzender und mittelmässiger Momente,
Beides mit einem leichten Anfluge von Zufälligkeit. Dort bejahrte
Tenoristen , deren Stimme durch sorgsame Pflege den schönsten
Wohllaut bewahrt hat , hier junge Sänger mit vorzeitig brüchigem,
unsicherem Organ. Bei den Franzosen und Italienern Alles gefeilt,
in sich fertig und wirksam ; bei den Deutschen das Meißte in kühnem
Sichhineinstürzen bald erreicht, bald verfehlt.
Mit diesen allgemeinen Bemerkungen wollen wir natürlich weder
rühmliche Ausnahmen läugnen, noch den Sängern allein die Schuld
an diesem weithin herrschenden Zustande aufbürden. Das deutsche
Publikum macht leider an die GesangskunBt seiner Opernsänger,
auch der kostspieligsten, geringe Ansprüche und erlässt diesen die
jahrelangen mühevollen Studien , die es von jedem erträglichen In-
strumental-Virtuosen fordert. So haben wir einerseits das Publikum
als Mitschuldigen. Andererseits ist die Vernachlässigung technischer
Meisterschaft ein Characterzug , der sich analog auch in anderen
Gebieten deutscher Kunst äussert, und manchmal unsere genialsten
Erfinder und Denker weit hinter dem Einflüsse zurückbleiben lässt,
welcher ihren Ideen gebührt, und den ihre französischen, italienischen,
englischen Collegen gerade durch technische Meisterschaft so oft
erringen. Unter den gefeierten deutschen Malern soll es welche
geben, die nicht eine Hand correct zeichnen können. „Es gibt Maler
und Malenkönner", erwiederte einmal gereizt einer der geistreichsten
von ihnen, „ich bin Maler. Wir glauben, man solle Beides sein.
In der Oper gibt es Sänger und Singenkönner, — Letztere sind
aelten Deutsche."
CORRESPONDENZEN.
Aus Wiesbaden.
Wie überall, so hat auch hier auf die Entfaltung der musika-
lischen Verhältnisse der Krieg nachtheiligen Einfluss geübt, indess
weniger auf die Oper, als das Concertwesen. Wie Ihnen wohl be-
kannt ist, haben die Concerte der Kurhaus-Administration während
der Sommersaison stets einen Concours der bedeutendsten europäi-
schen Kunstgrössen geliefert ; der Cursaal war ein Kunsttempel von
seltener , ja unrivalisirter Brillanz. Dem ist diesmal nicht so :
ein einziges Concert hat am 29. Juni Statt gehabt, und mit diesem
wird wohl die Reihe jener langjährigen grossartigen Kundgebungen
auf dem Gebiete der Kunst abgeschlossen sein, da die Fortexistenz
der dermaligen Verhältnisse des Kursaals in Frage steht. In dem
genannten Concerte wirkten mit: H. Vieuxtemps, der Tenorist
Walter aus Wien , Frl. T i p k a , die frühere Coloratursängerin
unserer Bühne , und Frau Kastner-Escudier. Vieuxtemps
spielte sein Violin-Concert in D-moll , seine Airs negres de VAr~
hansas, und mit Fr. Kastner ein Duo für Piano und Violine über
Motive aus „Oberon." Die letztgenannte Piece war die gefälligste,
und in dem D-moll-Concert sprach der 2. Satz: Andante religioso
am meisten an. Walter sang die Arie aus der weissen Dame :
„Komm, o holde Dame und einige Lieder von Schumann und
Pfeffer. Frl. Tipka sang eine Arie aus tt La gazza ladra* und
ebenfalls zwei Lieder. Sie hat, seitdem wir sie zuletzt gehört hat-
ten, sich eine reichere und brillantere Coloratur angeeignet. Frau
Kastner spielte als Solopiecen eine Etüde von Cohen und „Marche
hongroise* von Liszt, Die Etüde war weniger ansprechend und
su dem Marsche fehlte die männliche Kraft. In der Klavierparthie
des Duo indess entfaltete sie ihre Vorzüge, Eleganz des Spieles
und bewundernswerthe Technik in hohem Grade. Das Theater-
orchester ezecutirte unter J ab n*< energischer Leitung eine Ouver-
türe von Cherubini und übernahm das Accompagnement der grösse-
ren Nummern. Ausserdem wurden im Kurhause einige Privat-Con-
certe gegeben , darunter drei Quartett-Soireen der Gebr. Müller
(die sich dahier häuslich niedergelassen haben) und ein grösseres
Privat-Concert. Die Soireen waren nicht besonders besucht. Die
Leistungen der Quartettisten sind bekannt. Interessant war die
Mitwirkung des jugendlichen Brüderpaares Willi und Louis
Thern aus Pestb, welche Duo's für zwei Piano's vortrugen. Schon
im letzten der Sinfonie - Concerte der verflossenen Saison hatte das
Künstlerpaar, welches sich bei dieser Gelegenheit hier zum ersten
Male einführte, grosses Aufsehen erregt. Ihre Bedeutendheit besteht
nicht allein darin , dass jeder Einzelne ein Virtuos auf dem Piano
ist, sondern hauptsächlich in dem bezaubernden Zusammenspiel bei-
der. Das ist eine Seele und ein Schlag 1 Die rapidesten Passa-
gen, die schwersten Figuren, die feinsten Cadenzen kommen im
unisono, in Parallel- oder Gegenbewegung, als ob ein einziger mit
20 Fingern bewaffneter Spieler sie ausführe ; die Accuratesse dieses
Zusammenspiels ist wunderbar. Und bei allem dem trägt sich nicht
bioser Mechanismus zur Schau — das Spiel ist auch geistdurch-
webt, voll Gefühl und Poesie. Die beiden jungen Künstler stehen
unter der Leitung ihres Vaters , des Professors Thern vom Con-
servatorium in Pesth. Die Meisterschaft dieses Lehrers bewährt
sich nicht nur in der Leitung und Ausbildung seiner Söhne, sondern
auch in seinen eigenen Compositionen , wie ebenfalls in den treff-
lichen Arrangements. Die ersteren Bind schwungvoll und musikalisch
reich ; die letzteren interpretiren die grossen Meister, wie Beethoven
in seinen Sonaten, namentlich den späteren, Bach in seinen Fugen,
in wahrhaft genialer Weise. Ohne die geringste Zuthat treten uns
diese Compositionen , die für den Bereich eines Instruments eine
zu gewaltige, fast orchestrale Basis haben, in ihrer wirklich inten-
tionirten, titanenhaften Grösse entgegen; jedes Motiv, jeder Säte
und jede Periode hebt sich markirt ab, und einzelne Schönheiten
kommen zum Vorschein, die e i n Instrument nur ahnen lassen kann.
So offenbart sich der Lehrer durch die Hände seiner Schüler auch
als gründlichen Kenner der Classiker und tiefen Theoretiker , wäh-
rend er persönlich durch seine Bescheidenheit und Anspruchslosig-
keit sich auch als liebenswürdigen Menschen kund gibt. Vorläufig
hat sich diese interessante Familie, gleich den Gebrüdern Müller,
welche letzteren indess, nebenbei gesagt, sich in der hiesigen Künst-
lerwelt durch ihr wenig collegialisches Verhalten , nicht beson-
ders eingeführt haben, ebenfalls dahier niedergelassen; schade nur,
dass gerade diese Saison der Kunst so abhold ist; hätten die Ad-
ministrations - Concerte nach dem neuen Plane (Monstre - Concerte)
Statt gefunden, der Ruf der jungen und seltenen Künstler wäre bei
einem so reichen Badepublikum, wie wir es immer zu sehen ge-
wohnt waren , nach allen Landen hin von hier aus verbreitet wor-
den *).
Das Theater zeichnet sich eben durch eine ganz vortreffliche
Oper aus. Auf dem Repertoir fehlt fast keines der Meisterwerke
der Opernliteratur, und auch die leichteren Werke der deutschen,
französischen und italienischen Opern-Componisten werden im Gange
erhalten. Neben „Lohengrin" und „Tannhäuser* steht „Fra Dia-
volo," „Regimentstochter," neben „Don Juan" und „Zauberflöte"
der „Troubadour" und „Ernani," neben dem Coloss „Fidelio" das
„Glöckchen des Eremiten" etc. etc. Das Orchester hat sich unter
Jahn's Leitung noch bedeutend emporgeschwungen. Eine treffliche
Schule hat es in den Sinfonie-Concerten des vorigen Winters durch-
gemacht; in den grossen Sinfonien von Haydn, Mozart, Beethoven,
Mendelssohn, Schubert etc. lernte das Orchester in seiner eigenen
Kraft sich erst recht kennen, und das Publikum war enthusiasmirt
von der Exactitude und Feinheit, mit der dasselbe eine Jupiter-,
eine C-moll- und A-dur-Sinfonie executirte. Die Solisten der Oper,
Hr. Caffieri (Heldentenor), Hr. Borchers (lyrischer Tenor), Hr.
Bertram (Bariton), Hr. C a r n o r und Hr. Klein (Bass), Frl.
Langlois (Coloratursängerin), Fr. Bertram (diamatische Sän-
gerin), Frl. Norden (jugendlich - dramatische Darstellerin), Frl.
Boschetti (Soubrette), Frl. Waldmann (Altistin) haben alle die
Liebe unseres Publikums.
Zwei Veränderungen stehen indess bevor : Herr und Frau Ber-
*) Dies ist wohl ohnedies schon der Fall. (Anm. d. Red.)
- 140 -
tram verde» uns sait September verlassen und dafür sind bereits
eingetreten Frl. Liebt m ay und Hr. Ph il ip p i von Nürnberg.
Die erstere bat als „Norma" debütirt, in der darauffolgenden Vor-
stellung des „Don Juan" indeaa alt Donna Anna ungleich besseres
geleistet In der erstgenannten Oper wusste sie sich der Cadenzen
nicht leicht und sieher genug zu bemeistern , wohingegen sie eine
vorzügliche Donna Anna war. Hr. Philippi's Bariton ist von äusserst
wohlthuendem Klange, seine Leistungen zeugen von Verständniss
und sein Vortrag ist von innerer Wärme durchdrungen. Eine sel-
tene Erscheinung ist die des Frl. W a 1 d m a n n , welche immer
einen Stimmfond (Alt) von ungewöhnlicher Tiefe, Kraft und Run-
dung besitzt. — Ob das Theater in seiner bisherigen Gestaltung
fortdauern wird, ist eine Frage, welche eben alle Gemüther dahier
beunruhigt. Mit der Aufhebung des Spieles, wenn dieselbe statt
fände, würde dem Theater auch ein jährlicher Zuschuss von 57000 fl.
entgehen, nebst nicht unbedeutendem indirectem Support. Ausser-
dem wird auch seine Stellung als Hoftheater, welche es der poli-
tischen Sachlage nach verlieren wird, nicht mehr den hebenden
Einfluss üben können ; und doch müssen wir, wenn nicht Wiesbaden
als Luxus-Curort ganz bedeutende Einbusse erleiden soll, ein gutes
Theater behalten. Die Zeit wird Weiteres lehren.
Aus Paris.
20. Angost.
Der fünfzehnte August ist vorüber. Die Cantaten sind gesungen
und die Hymnen sind verhallt. Noch niemals hat man an diesem
Festtage, an welchem bekanntlich Gratis - Vorstellungen gegeben
werden, vor den Theatern solche lange Queues gesehen. Die grosse
Oper gab die „Afrikanerin" und man kann sich leicht denken, wie
sehr das nichtzahleu de Publikum sich herbeidrängte, der Aufführung
des Meyerbeer'schen Meisterwerkes beizuwohnen. Die grosse Oper
bereitet die Aufführung der „Alceste" von Gluck mit grossem Eifer
vor. Wie ich Ihnen bereits gemeldet, hat Berlioz die Leitung der
Proben übernommen. — Von V e r d i ' s neuer Oper „Don Carlos"
haben die Ciavierproben bereits begonnen, denen der Maestro bei-
wohnt.
Gounod, der am 15. August zum Offizier der Ehrenlegion be-
fördert wurde, hat sein neues Werk: „Romeo und Julie" der Di-
rection des The'ätre lyrique eingereicht. Es fehlt zwar noch immer
der Tenor für die Rolle des Romeo; man versichert indessen, dass
zwei blutjunge Tenore, von denen der Eine kaum das Conservato-
rium verlassen, bei der Rückkehr Gounod's vor diesem um die Wette
singen werden; der Compositeur werde die Beiden prüfen und den
Besten behalten. — Das ebengenannte Theater geht auch damit um,
„Lucrezia Borgia" von Donizetti zur Darstellung zu bringen.
Die italienische Oper wird am 2. October ihre Wintervorstel-
lungen beginnen. Wie es heisst, sucht die Direction noch immer
eine Prima-Donna seria Bei der Lucca hat man vergebens an-
geklopft; in diesem Augenblick wird mit Emmy Lagrua unter-
handelt.
— ■ na » '
IV » c li r 1 c li t c ii.
Bartill. S. M. der König haben allergnädigst geruht, den von
dem kgl. Musikdirector und Director der gesammten Musik des 3.
Armeecorps Gottfried P i e f k e componirten Marsch „Der König-
grätzer" zum Armeemarscb zu ernennen.
Paris. Die Ciavierproben für die Oper „Don Carlos" von
Verdi haben bereits unter der Aufsicht des Componisten begonnen.
Die Besetzung der Rollen ist folgende: Elisabeth von Valois, Mme.
SaBS; Prinzessin Eboli, Mme. Gueymard-Lauters; Don Car-
los, M o r e r e ; Posa, F a u r e ; Philipp II., O b i n ; Grossinquisitor,
B e 1 v a 1 ; ein Mönch, David.
— Der Zudrang zu den Gratisvorstellungen der verschiedenen
Bühnen am 15. August war diesmal ein so colossaler, wie man
kaum je gesehen hat. Besonders zur Vorstellung der „Afrikanerin"
in der grossen Oper hatte sich eine solche Menschenmasse einge-
funden, dass das Haus, welches eigentlich nur für 2000 Personen
Plätze enthält, bei dieser Gelegenheit wohl nahe an 3000 Schau-
lustige aufnehmen musste, welche sich in dem gebotenen Raum ge-
duldig zusammenpressten und der fünfstündigen Vorstellung mit
bewundernswertber Ausdauer und grossem Enthusiasmus beiwohnten»
Eine grosse Anzahl hatte schon um Mitternacht sich vor dem Opern»
hause eingefunden und brachte die Nacht und den halben Tag (dfr
Vorstellung begann um die Mittagszeit) auf dem Pflaster zu, um
zuerst in das Haus eindringen und Plätze wählen zu können*
— Die Einnahmen der Theater, Concerte etc. in Paris betru-
gen im Monat Juli die Summe von 902,431 Frcs.
— Hr. Mapleson, der Director von Her Majesty's theatre
in London, befindet sich gegenwärtig hier. Auch Frl. Titjens ist
in Paris eingetroffen.
London. Mellon's so beliebte Montags-Concerte haben wieder
begonnen und sind Mary Krebs, Winiawsky und die Sängerin
Liebhardt darin aufgetreten.
Gopenh&gen. Noch im Laufe dieses Jahres wird hier ein neue»
Conservatorium für Musik eröffnet werden, welches von dem ver-
storbenen Juwelier und Goldarbeiter P. W. Moldenhauer ge-
gründet wurde, indem dieser kunstfreundliche Patriot einen Theil
seines Vermögens zu diesem Zwecke vermachte. Directoren der
Anstalt sind die HH. Niels W. Gade, J. P. E. Hartmann und
Hofcapellmeister Pauli. Es wird Unterricht ertheilt werden : im
Ciavierspiel, Violine, Gesang, Orchesterspiel und Dirigiren, Har-
monielehre, Contrapunkt , Gesang- und Instrumental - Composition»
Das jährliche Honorar für einen Schüler oder eine Schülerin beträgt
100 Reichsthaler, wofür man sich an sämmtlichen Unterrichtszweigen
betheiligen kann.
*** A u b e r hat der Sängerin Frau Lucca bei Gelegenheit
eines Besuches, den ihm diese in Paris machte, die Feder zum
Geschenk gemacht, mit der er die meisten seiner Partituren ge-
schrieben hat.
%* Bei der Farrenc'schen Musikversteigerung in Paris fand
man unter einem Haufen ausgemusterten Papiers das Manuscript
eines Jugendwerks von Mozart, enthaltend eine Fantasie für Cia-
vier, Streichquartett, zwei Oboen, zwei Hörner und Fagott, geschrie-
ben im Alter von 10 Jahren zur Installirung des Statthalters Wil-
helm V. von Oranien. Das Werk enthält nicht weniger als 10 Stück»
und überrascht durch die Frische der Ideen und durch eine erstaun-
liche Gewandtheit in der Kunst der fugirten Behandlung der Motive.
*** In Belgien gedenkt man nun ebenfalls grosse Musikfeste
nach dem Muster Deutschlands und Englands zu veranstalten. Die
königliche Gesellschaft Reunion lyrique hat im Verein mit mehreren
Künstlern bereits die nöthigen Schritte dafür bei der Regierung ge-
than , welche auch ihre Unterstützung bereitwilligst zusagte. Das
erste dieser Feste soll bereits zu Ostern 1867 stattfinden.
*** In Leipzig wird nächstens ein grosses Concert unter der
Direction des Hrn. Capell meisten Gustav Schmidt von dem ver-
stärkten Stadtorchester und mehreren Gesangvereinen zum Besten
verwundeter Krieger und bedrängter Familien der zur Armee Ein-
berufenen stattfinden, in welchem Werke von Beethoven, Mendels-
sohn, Mozart, Weber u. A. zur Aufführung kommen sollen.
*„* Das Carltheater in Wien wird nun doch vom 1. Sept. an
in die Hände des Hrn. Strampfer übergehen, welcher den Carl'-
schen Erben dafür einen jährlichen Pacht von 30,000 fl. zu zahlen
hat. Der bisherige Director Treumann will in Compagnie mit
dem Schauspieler Ascher das Josephstädter Theater pachten.
*** Der Tenorist Bohl ig, welcher in letzter Saison eines der
beliebtesten Mitglieder des Stadttheaters in Mainz war, hat in Mün-
chen als Arnold im „Teil" und Max im „Freischütz" mit grossem
Beifall gastirt und ist nun mit monatlich 300 Thlr. für das Hamburger
Theater engagirt.
*** Der Musikschriftsteller und Violinvirtuose J. von W a s i e-
lewsky ist von seiner Reise in Italien nach Dresden zurückgekehrt
*** Die „Lohconcerte" in Sondershausen, welche durch den
Ausmarsch der im Orchester mitwirkenden Militärmusiker unter-
brochen worden waren , wurden nach erfolgter Rückkehr derselben
am 12. d. M. wieder aufgenommen.
*** Die Nachricht von dem Tode des Tenoristen Mantius in
Berlin ist erfreulicher Weise wiederrufen worden.
V In Hannover starb am 29. Juli der Hoftheaterdirector
Ro ttmayr.
Verantw. Red. Ed. Fächer er. Druck v. Carl Wallau, Main*»
15. Jahrgang.
N* *G.
3. September 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DieseZeitung erseheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
i lungen * *A
B.
toi
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
■ PREIS: c
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
IIHiLT: Stradella und die Contarini. — Johann Stefan!. — Nachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
P. Richard.
VIII.
Stradella ohne Fabel.
Die richtige Geschichte Stradella** zu suchen, das hiesse sich
mitten in der dichtesten Finsterniss zurechtfinden eu wollen. Da
ist Alles unsicher, dunkel und unbekannt in dem Leben dieses son-
derbaren Mannes. Nur zwei Dinge bleiben unbestreitbar und positiv
erwiesen, nämlich erstlich die bedeutende Anzahl seiner musikalischen
Werke, und dann die Wirklichkeit der Hinterlist, deren Opfer er
in Turin wurde. Fast alle Musikhistoriker haben von diesem Meister
fssaproehen, einige ausführlich, ander« nur mit vorübergehender
Erwähnung; allein man wird schwerlich zwei derselben in ihren
Angaben übereinstimmend finden, wenn sie nicht einander abge-
schrieben haben. In Ermangelung beglaubigter Thatsachen hat man
sich in Vermuthungen und Auslegungen verirrt, und es fehlte dabei
auch nicht an Erfindungen. Es ist daher unmöglich eine bestimmte
Behauptung zu wagen, was ans dem Wenigen, was wir nun angeben
werden, klar hervorgeht.
Das älteste gedruckte Buch, in welchem wir eine Erwähnung
unseres Musikers gefunden haben, ist das Werk von Crescimbeni
( Content ari intorno all isloria della volgar poesia. Roma, 1702»
Vol. I, p. 241). Wo er von den musikalischen Cantaten, einer Er-
findung des 17. Jahrhunderts, spricht, beschränkt er sich darauf,
unter den alten Cantaten auch die des berühmten AI. Stradella, , t tra
le antiche, quelle del famoso AI. Stradella ," zu erwähnen , ohne
etwas Weiteres beizufügen. Als ungefähr aus der nämlichen Zeit
herrührend kann man die unbestreitbar authentische, leider nur zu
kurze Notiz betrachten , die uns glücklicherweise durch die Sorg-
falt des erleuchteten Abbe B a i n i erhalten wurde , welchem die
musikalische Gelehrsamkeit eine abgekürzte Copie des grossen un-
edirten Werkes von J, O. Pitoni, einem seiner Vorgänger als Ca-
pellmeister des Vaticans verdankt. Diese kurze Stelle ist in folgenden
Worten abgefasst: „AI. Stradella war sehr berühmt durch seine
theatralischen Compositionen. Er musste Rom wegen der Eifersucht
der Frauen verlassen. Nachdem er sich nach Genua begebeu hatte,
wurde er dort wegen einer ähnlichen Veranlassung ermordet. Er
hielt sein Oratorium vom hl. Johann Baptist für sein bestes Werk.
Seine Duetten sind berühmt." (Siehe p. 91 von ,./a Notizia de*
Centrappuntisti et Compositori di musica degli anni delV era
eristiana 1000 fino al 1700. Copirt von B a i n i, mit einem Namen-
register von A d. de la Fage. a Dieses kostbare Document befindet
sieh unter "den Manuscripten , welche la Fage der kaiserlichen Bib-
liothek in Paris vermacht hat.)
Baini beschränkte sich darauf, aus dem Manuscript des Pitoni
aar die rein musikalischen Aufschlüsse auszuziehen; vielleicht wäre
dort noch mehr zu finden gewesen, and die Knappheit des Ezcer-
pirenden ist umsomehr au beklagen, da man nicht weiss, was aus
dem Originalwerke geworden ist.
Die zwei anderen Italiener, welche wir erwähnt haben, schweigen
beide über das Vaterland des Stradella. Beide gerechte Würdiger
seiner Verdienste, beide seine Zeitgenossen, haben sie ohne Zweifel
auf das Bekanntsein näherer Umstände in ganz Italien gerechnet.
Warum haben sie keine vollständigeren Erinnerungen hinterlassen?
Was Bourdelot betrifft, so ist derselbe gar nicht zu entschuldigen.
Als Arzt der Königin Christine vou Schweden , welcher er sc*,
eigentümliche Dienste geleistet, mit der er sich in Born aufgehalten
und Italien durchreist hat, sammelte er Materialien für eine Musik-
geschichte, und es können ihn daher keine Scrupel zurückgehalten)
haben. Aber er wollte die Wahrheit nicht sagen; seine
Erzählung ist mehr als eine Fabel, sie ist eine Lüge. Da alle be-
stimmten Angaben, fehlten, warf man sich auf Vermuthuugen ; was
•einen Geburtsort betrifft, ae machen ihn Burnay und Mm*. Baws
in ihren Geschichten, Gerber und Schilling in ihren Diotiofa-
nairen, der Fürst Beloselski in. seinem kleinen Buche über die
Musik in Italien, Cocatriz in seinem Journal zum Neapolitaner.
Auch F e t i s gibt an , dass er in Neapel geboren sei und nimmt
keinen Anstand, das Jahr 1645 als sein Geburtsjahr zu bezeichnen.
Boisgelou, der den musikalischen Catalog der kaiserlichen Biblio-
thek verfasste, lässt ihn in Genua geboren sein, während Wanley,
der Bibliothekar des Grafen vou Oxford, welchem wir die Anmer-
kungen zu den Mauuscripten des britischen Museums verdauken, und
der Dichter Luigi Carrer ihn für einen Veuetianer halten.
Uebrigens sind der Ort, wo er seine Studien machte, der Name?
seiner Lehrer und die Reihenfolge seiner Werke in ebenso dichtes
Dunkel gehüllt wie seine Wiege. Selbst sein Name erscheint
räthselhaft. Entlehnte er ihn seinem Geburtsorte, wie zu jener Zeit
viele andere Künstler thaten, oder ist es ein wirklicher Familien-
name? Wer weiss dies? Vor wenigen Jahren, als die reiche Samm-
lung des Hrn. Solar im Versteigerungswege in alle Welt zerstreut
wurde, wurde auch eine reichhaltige und merkwürdige Sammlung
von füufstimmigen Madrigalen, componirt von einem Deutsehen,
Kapsperger, gedruckt in Rom 1608*) zum Versteige gebracht..'
Diese Stücke waren gesammelt vou einem Marcus Antonius
Stradella, Ritter des St. Stephans - Ordens. Sollte dieser Mark
Anton vielleicht ein Verwandter oder nur ein Namensvetter unseres'
Stradella u sein ?
Eine Tbatsaehe bleibt jedoch erwiesen. Stradella, der gross«'
Componist, worüber alle übereinstimmen, war auch Sänger uti'd r spi»lte>
verschiedene Instrumente. Die Beweise, welche wir dafür vorge-
bracht haben, sind geuögend. Aber welches waren seine Verdienst«!
als Sängei? War er Virtuose und Adonis zugleich, wie Schilling!
uns versichert? ein Wunder im Vortrag und Ausdruck, nach denp
*) Madrigale a cinque voci. con basso confinuo, e sugi numeri,:
del Sig. Gio. Girolamo Kapaperger, nobile atemanno, raccol&
dal Sig. cavalier Marcantonio Stradella. delV orc^ine di SL
Stefano in Roma, appresto P. Mane/fi 1608—1800. 6 Theile
in 4*.
- 142 -
Legendenmachern ? Nach der Anlage seiner Recitatire, besonders
nach dem Anfange seiner „Medea" zu schliessen, kannte Stradelia
▼on Grund aus alle Geheimnisse, alle Hülfsmittel des Gesanges, au
einer Zeit, da Italien von ausgezeichneten Sängern wimmelte. Er
war auch Instrumentalist, darüber ist kein Zweifel. Welche Instru-
mente spielte er? Welches war sein Lieblingsinstrument? Hier fängt
die Unsicherheit wieder an. Es bleibt nur gewiss, dass er am Hofe
Ton Tarin „sang und verschiedene Instramente spielte" ; darauf be-
schränkt sich das, was wir wissen. Eine Anzahl von Musikschrift-
ttellern erklären ihn für einen Geiger; manche gehen sogar so weit,
das Wunder von den erweichten Mördern seiner Geschicklichkeit auf
der Violine zuzuschreiben. Der Fürst Beloselski fügt noch etwas
zn diesem Wunder hinzu*, er gibt eine ganz verschiedene Version
über dasselbe und behauptet, sie von Martini selbst zu haben.
Es soll nämlich die schöne Venetianerin, als sie im Begriff war, den
Sohn eines Senators zu heirathen, Stradelia auf der Violine spielen
gehört und sich in ihn verliebt haben. Was aber noch merkwürdiger
ist, der Bräutigam der Ungetieaen wäre bei seiner Verfolgung der
beiden Fluchtigen zufällig in eine Kirche eingetreten, wo sich ein
ausgezeichneter Violinspieler hören Hess, der alle Welt entzückte.
Selbst ganz ausser sich, habe er, als er in dem Virtuosen den Räuber
seiner Braut erkannte, ausgerufen: „O! mein Freund, ich verzeihe
Euch, denn ich sehe wohl ein, dass Ihr im Stande seid, alle Herzen
zn erobern ! K Die Anecdote ist, auf diese Weise erzählt, noch viel
unwahrscheinlicher und gar nicht dem gewohnten Benehmen ver-
liebter Patrizier entsprechend. Der Prinz wird wohl den guten
Pater Martini miss verstanden und sich zu sehr an das erinnert haben,
was Marti nelli in seinen Briefen und Garcin von Neufch&tel in
seinem Tratte' du Melodrame erzählt haben. Beide hatten mehrere
Jahre früher Stradelia als einen wunderbaren Geiger dargestellt.
Auch für die späteren Schriftsteller Labor de und Carpan.i ist
er noch Violinspieler. Nach Hawkins, Gerber und Choron war
er Harfenist, nach Wanley Organist.
Zu diesen verschiedenen Talenten kommt nun noch die Gabe
der Poesie. Unser rätselhafter Meister war auch Dichter, und zwar
lateinischer Dichter. Diese neue Eigenschaft zeigt uns," dass er
zugleich literarische und musikalische Studien gemacht hat. Wir
haben dafür die Autorität Catelani's. Der gelehrte Bibliothekar
hat uns mitgetheilt, und wir haben ihm nacherzählt, dass der Meister
bei verschiedenen seiner geistlichen Compositionen 'seine eigenen
lateinischen Verse in Musik gesetzt hat. F o r k e I constatirt einen
ähnlichen Fall in seiner merkwürdigen Biographie des Abbe Augustin
Steffani. Dieser vom Glück begünstigte Musiker, welcher vom
Musiker Diplomat und dann Bischof wurde, hatte mit grosser Ge-
schicklichkeit für seinen Herrn , den Herzog von Braunschweig die
Creirung einer neuen Chnrwürde des heil, römischen Reichs erlangt.
Zur Zeit, als er sich noch mit Cotnposition befasste, hatte der Abbe
manchmal Verse seines minder glücklichen Kuustgenossen Stradelia
benutzt, um sie in Musik zu setzen.
Johann Stefan!«
Biographie von Emanuel Meli 3.
Es ist auffallend, dass ein Mann, der als Begründer der pol-
tuschen Nationaloper betrachtet werden kann, bis jetzt keinen Platz
weder in den Musiklexikons noch in den Musik Zeitschriften gefunden
hat. Und doch ist Stefani ein Tonkünstler, der sich in der Musik-
welt eine ehrenhafte Stelle erwarb und über so manche Tonkünstler
durch seine Compositionen hervorragt. Wir entnehmen seine Bio-
graphie der böhmischen Musikzeitschrift „Dalibor ," die leider im
Jahre 1844 eingegangen ist.
Johann Stefani wurde im Jahre 1746 in Prag geboren.
Schon in seinem zartesten Alter beurkundete er nicht geringe An-
lagen zur Musik und wurde in die Schale zu den Benedictinern
geschickt, wo er ausser dem Elementarunterricht auch die Musik
studirte. Seine Eltern wünschten aus ihrem Sohne einen Geistlichen
zu machen, und der junge Johann fing wirklich an, sich für diesen
Staud vorzubereiten. Im ersten Jahre der Regierung Kaiser Jo-
sephs II. wurden viele Klöster aufgehoben und später sollte noch
einige dasselbe Looa treffen. Infolge dessen änderten ßtefaoi'a
Eltern ihren Entschluss , und Johann wurde zur Künstlerbahn be-
stimmt. Stefani reiste daher nach Italien, wo er gründlichen Unter-
richt in der Musik erhielt. Nach seiner Rückkehr aus Italien gewann
ihn der grosse Musikliebhaber Graf Kinsky lieb und trug ihm die
Capellmeisterstelle bei seinem Orchester an. Bald darnach bekam
er eine Stelle bei der kaiserlichen Capelle in Wien. Als aber der
polnische König Stanislav August imj. 1764 in Warschau ein
permanentes polnisches Theater gründete, wurde Stefani nach War-
schau als Capellmeister dieses Theaters berufen, und auf Fürsprache
der Gräfin Kinsky wurde ihm und 8 Mitgliedern der Hof capelle die
Erlaubniss ertheilt, die Stelle annehmen und nach Warschau reisen
zu dürfen.
In Krakau angekommen, erforschte er die Sitten und Gebräuche
der Landbewohner um Krakau und studirte fleissig den Character
der Nationallieder, was ihm umsomehr gelang, als er als geborener
Böhme ihre Sprache ohne Mühe verstand. Er besuchte Wirtbshäuser
und Bauernhütten, wo Musik ertönte, und war nicht selten bei einer
Hochzeitsfeierlichkeit oder einer anderen dem Volke liebgewordenen
Festlichkeit zugegen. Am Meisten interessirte ihn der kernige
Rythmus des Nationaltanzes ,.Krakowiak li und die rührenden pol-
nischen Nationalmelodien. Stefani notirte sich viele originelle und
characteristische Weisen, welche er in der Umgebung Krakaus hörte,
und schöpfte aus der reinsten Quelle der Volksmelodien. So be-
schäftigt, kam er am 2. Februar 1771 in Warschau an. Hier be-
gann er mit aller Energie seine Thätigkeit als Director der könig-
lichen Capelle zu entwickeln , arrangirte Concerte, fungirte bei der
Kirchenmusik und dirigirte bei Feierlichkeiten die Oper im National-
theater. Als Capellmeister wurde er öfters veranlasst, Gelegenheits-
sachen namentlich Cantaten zu componiren , deren er viele schuf.
Er schrieb in dieser Zeit 2 Vocalm essen mit Orgelbegleitung, eine
Orchestral messe und viele Compositionen für Blasinstrumente. Sein«
Polonaisen, die sich einer grossen Beliebtheit erfreuten und deren
er über 100 componirte, zeichneten sich durch eine schöne Instru-
mentation und durch den ächten Character der polnischen National-
musik aus. Diese Polonaisen waren nicht nur in Polen, sondern
auch im Ausland bekannt und beliebt. Der polnische Krösus,
Banquier T e p p e r , bestellte sich einst bei Stefani 12 Polonaisen,
wofür er dem Componisten einen Haufen Ducaten schenkte. In
Warschau verlebte Stefani glücklicke Tage ; er vereinigte sich innig
mit der Nation, welche sein Talent anerkannte.
Ein Jahr nach seiner Verheirathung, 1782 feierte Stefani einen
der grossartigsten Triumphe seines Lebens. Adalbert Bogus-
lawski, die Zierde und Stütze des polnischen Theaters, dichtet«
ein Opernlibretto : „Krakowiaki a Gorali' k (die Krakauer und Ge-
birgsbewohner), das er Stefani zum Componiren anvertraute. Stefani
entledigte sich seiner schwierigen Aufgabe meisterhaft, nnd die erste
Aufführung dieser Oper (1. März 1794) gestaltete sich zu einer
Epoche in der Musikgeschichte Polens. Die besten Nummern dieser
Oper sind: der Krakowiak „Wyjdzcie do nas panie" der Damen-
chor „Zosia ach juz de traciemi'' , die Cavatine »Swiat srogf*
u. 8. w. Die Melodien dieser Oper zeichnen sich durch glückliche
Erfindung , .durch nationalen Geist und tiefe Empfindung aus und
fanden überall, in Städten und Dörfern, in Hütten und Palästen
Eingang. Stefani' s Musik entstand aus dem Volke, und das Volk
hat sie wieder acceptirt. Keine polnische Oper errang einen so
glänzenden Erfolg als Stefani's „Krakowiaki a Gorali", welche
Kazynski mit seiner Theatergesellschaft im J. 1806 in Petersburg
und dann in Moskau zur Aufführung brachte. Es scheint , dass
Stefani alle seine Kunst, all* seinen Enthusiasmus in dieses Werk
gelegt hatte, denn seine darauffolgenden Opern, sechs an der Zahl,
welche sich zwar lange Zeit auf dem Repertoir erhielten , sanken
endlich in Vergessenheit, während „Krakotciaki a GoraW* noch
bis jetzt an der polnischen Nationalbühne aufgeführt wird.
Stefani hatte 11 Kinder, 6 Söhne und 5 Töchter, von denen
einige frühzeitig starben, die Andern aber der Kunst sich widmeten.
Karoline und Eleonore waren Sängerinnen, Kazimir und Jobann
Stefani Violinisten, und Josef Stefani Componist, dessen zweiactige
Oper „Lekcya botaniky* am 15. März 1829 einen äusserst günstigen
Erfolg in Warschau errang.
Stefani verschied am 23. Februar 1829, also wenige Tage vor
der Aufführung der gelungenen Oper seines jüngsten Sohnes, und
— 143 -
Itbt alt Begründer der echten polnischen Nationaloper
in stetem Angedenken der polnischen Nation.
Der polnische Schriftsteller W. Karasowski hat ihm durch
eine ausführliche Biographie ein Denkmal gesetzt.
Nachrichten.
flUinZ. In der am 27. Aug. stattgehabten ordentlichen General-
versammlung der hiesigen Theateractiengesellschaft wurde der Vor-
schlag des Ausschusses, die Leitung unserer Bühne für die kommende
Saison dem bisherigen Oberregisseur Hrn. Behr in Cöln auf seine
eigene Rechnung und Gefahr zu übertragen, genehmigt und wird
darnach Hr. Behr die Aufgabe haben, unter den obwaltenden schwie-
rigen Verhältnissen den festgefahrenen Thespiskarren wieder in leid-
lichen Gang zu bringen. Derselbe besitzt jedoch den Ruf eines
routinirten und energischen Practikers im Directorsfache und es steht
daher zu hoffen, dass es ihm gelingen wird, billigen Erwartungen
des Theaterpublikums zu entsprechen. Der Stadt gegenüber bleibt
jedoch der Ausschuss der Actionäre verantwortlich. Die General-
versammlung hat die bisherigen Mitglieder des Ausschusses fast
sSmmtlich wieder gewählt.
Colli. In der letzten Sitzung der musikalischen Gesellschaft
trug Hr. Capellmeister Bernhard Scholz ein Concert in G-dur
für Pianforte und Orchester mit Beifall vor. In dem ersten Allegro
glaubten wir eine frühere Arbeit des talentvollen Componisten zu
erkennen ; nichtsdestoweniger sprach uns dieser erste Satz vorzugs-
weise an. Allgemeine Vorzüge der Composition sind Klarheit und
gewandte Behandlung der Form und des Solo«Instruments nach Art
der Mozart'schen und Beethoven'schen Concerte. (N.-R. M.-Z.)
Brüssel. Der Gemeinderath hat eine bedeutende Summe für
die Herstellung neuer Decorationen zu den „Hugenotten" und zu
„Robert" bewilligt. Die Tbeatersaison wird am 1. September und
«war wahrscheinlich mit den „Hugenotten" eröffnet werden, welche
ganz neu in Scene gesetzt werden, mit Ausnahme der Schlussscene
des 4. Actes , welche wegbleiben wird , indem wir keinen Tenor
Itaben , der nach dem Duett mit Valentine noch die grosse Scene
auf dem Balle, resp. die Erzählung der Ermordung der Hugenotten
zu leisten vermöchte. Wahrscheinlich werden kommendes Jahr keine
Ferien stattfinden une wird den ganzen Sommer hindurch im Theater
•de la Monnaie gespielt werden. Der König wünscht dies und hat
zu dem Zwecke eine bedeutende Erhöhung des Hofzuschusses in
Aussicht gestellt, welcher in den letzteren Jahren der Regierung des
Königs Leopold I. sehr verkürzt worden war. (Guide musicale )
*** (Leihinstitute für Musik.) Dass diese eine sehr wohl-
thätige, jetzt gar nicht zu entbehrende Einrichtung sind, bedarf kaum
einer Bemerkung. Eine Orientirung über die Gesamratliteratur würde
-ohne sie kaum möglich sein , wenn nicht enorme Geldmittel aufge-
wendet werden sollen. Andererseits haben die Leihinstitute auch
den grossen Nacbtheil, dass sie vom Kaufen abhalten, dieses mehr
und mehr als überflüssig erscheinen lassen, und die Leute gewöhnen,
jedwede Erscheinung nur als Gegenstand einer leihweisen Ent-
lehnung zu betrachten. Abgesehen davon, dass auf solche Weise
Verlagsunternehmungen nicht unterstützt werden, und bei dem ge-
ringen Absatz in Deutschland die Unlust der Verleger, sich auf neue
Unternehmungen einzulassen, nur vergrössert wird, ist das ausschliess-
liche Leihen auch für das betheiligte Publikum ein grosser Uebel-
stand , weil dadurch eine blos flüchtige Kenntnissnahme , eine nur
cursorische Beschäftigung mit Allem und Jedem befördert wird. Im
Gegensatze hierzu ist zu sagen, dass Jeder, je nachdem es Mittel
und Stellang zur Kunst möglich machen und erbeischen, wenigstens
die Hauptwerke der musikalischen Literatur in grösserer oder ge-
fingerer Ausdehnung als Eigenthnm besitzen sollte, um stets auf die-
selben je nach Bedürfniss zurückkehren zu können. Dasselbe gilt
auch beim Unterricht von den Hauptwerken der instrnctiven Lite-
ratur, die gewisBermassen das tägliche Brod bilden müssen. Auch
hier reicht das blose Leihen nicht aus, weil die wiederholte Be-
schäftigung damit auf solche Weise ersehwert wird. Soll aber in
der Tbat eine solche stattfinden, so verkehrt sich das anfängliche
Billigkeitsverhältniss in sein Gegentheil. Das häufige Leihen eines
■und debselben Werkes macht die Sache theurer, als wenn gleich
anfänglich ein Kauf stattgefunden hätte. Es ist Sache der Lehrer,
aus pädagogischen und pecuniären Gründen zugleich, auf Anschaffung
solcher Werke zu dringen, wenu es nur irgend die Verhältnisse ge-
statten. Uebrigens wird durch die zunehmende Billigkeit der Mu-
sikalien, namentlich was ältere Werke betrifft, jetzt auch die An-
schaffung derselben wesentlich erleichtert. (N. Z. f. M.)
V „Zellner's Blätter für Theater, Musik und bildende Kunst"
(Wien) enthalten folgende Zeilen, die wir der wohlwollenden Be-
rücksichtigung unserer Leser empfehlen: „Inmitten des Elends, das
unser schwer heimgesuchtes Vaterland und seine Völker getroffen,
möge auch der Schmerzenschrei der obdachlosen und dem Hunger
preisgegebenen Grossnichte Mozart's an das Ohr fühlender
Menschen- und Kunstfreunde dringen. Hier in kurzen Strichen die
Geschichte der armen Verlassenen. Josepha Lange, Grossnichte
Mozart's, wurde im Jahre 1820 als Tochter eines k. k. Feldkriegs-
kanzellisten geboren, aber leider schon sehr früh verwaist. Nach-
dem sie auch ihre übrigen Verwandten verloren und schon seit
Jahren kränklich und leidend, sich kaum dasNöthigste zum Lebens-
unterhalte erwerben konnte , lernte sie Hr. Dr. Aug. Schmidt,
k. k. Beamter der Staatsschuldenkasse, kennen und lenkte auch die
Aufmerksamkeit des Hrn. Directors H eil m es berger auf sie, wel-
cher, gerührt von ihrer kummervollen Lage, zu ihren Gunsten im
Jahre 1863 ein Concert veranstaltete und sie einem eifrigen Verehrer
des grossen Mozart, Sr. Excellenz dem Herrn Grafen Moriz von
Dietrichstein, empfahl, welcher die einzige noch lebende Verwandte
des unsterblichen Tonmeisters auf das Grossmüthigste unterstützte»
Nachdem der Tod auch diese ihre Stütze der Aermsten geraubt,
wurde ihr von der Tochter des hochsei. Hrn. Grafen, I. E. der Frau
Fürstin Oettingen-Wallerstein, eine Unterstützung zu Theil, so dass
sie ihre Wohnungsmiethe stets davon bezahlen konnte, bis im heu-
rigen Frühlinge die Frau Fürstin abreiste, ohne ihrer zu gedenken
oder die flehentlichsten Briefe zu beantworten. Dadurch gerieth nun
Mozart's Grossnichte in die traurigste Lage, sie konnte den Mieth-
zins nicht entrichten und es steht ihr nun bevor, dass ihr das We-
nige, was sie der Güte des edlen Grafen verdankt, gepfändet und
sie dem grössten Elende, obdachlos, überlassen wird, wenn nicht
edle Menschenfreunde sich ihrer erbarmen und ihre Verehrung des
grqssen Mozart dadurch bekunden, dass sie seine Grossnichte dem
grössten , unverschuldeten Elende entrt- issen. Josepha Lange
Margarethen, Schwarzhorngasse N* 12, 2. Stück, N* 13. * Beiträge
können auch an die Redaction des Zellner'sehen Blattes, Strauch-
gasse N° 1, Wien, adressirt werden, welche Spenden und Spender
veröffentlichen wird.
*** Ein Pariser Compositeur, Namens Bentayous, ist auf
eine bizarre Idee verfallen, um seine Compositionen, deren Heraus-
gabe sich die Musikalienhändler nicht Behr angelegen sein lassen
an den Mann zu bringen. Er will nämlich eine öffentliche Verstei-
gerung seiner Werke veranstalten ; jedes Stück wird, bevor es unter
den Hammer kömmt, von dem Compositeur selbst auf dem Piano
den Kauflustigen vorgespielt, damit diese sich ein Urtheil bilden
können.
%* DerBass-Buffo Gustav Holze 1, welcher seit seiner Ent-
lassung vom Hofoperntheater in Wien (bekanntlich wegen des ora
pro nobis in „Templer und Jüdin" eifolgt) in jener Stadt nLbt
mehr aufgetreten ist, hat nun ein Engagement am Theater an der
Wieden erhalten und wird seinem Wunsche gemäss uls Van Beet
in „Czaar und Zimmermann" cum ersten Male wieder vor dem
Wiener Publikum erscheinen.
*** Die Carltheaterfrage ist nun zu einem endlichen, befriedi-
genden Abschlüsse gekommen. Da Hr. S tramp fer die Bewilligung
einer zweiten Thaaterconcession nicht erhalten bat, so hat er seinen
Pachtvertrag an HriK Ascher gegen eine Entschädigungssumme
von 12,000 fl. abgetreten. Die Carl'schen Erben , als Verpächter,
erhalten für ihre Zustimmung 4000 fl. von obiger Summe. Hr. Ascher
beabsichtigt, schon am 1. September die Vorstellungen zu beginnen.
*** Hr. Nachbaur ist vom nächsten Frühjahr an als Helden-
tenor am Hofoperntheater in Wien engagirt. Zur gleichen Zeit wird
Hr. Ferenczy von jener Bühne scheiden.
*** Das grosse Musikfest in Worchester, dessen Programm wir
bereits früher mitgetheilt haben, wird vom lt. bis 14. September
dauern. Für die Gesangspartien sind engagirt die Damen: Titjen»,
Lemmens-Sherrington, Sainto n-Dolby, Patey-Whytock
und die HH. Sims Reeves, Cummings, Santley uud Lewia
— 144
Tnomas; als Instrnmentalsolisten: Mips Done und die HH.
&einton,Blagrove,H.Holmes,Carrodns, Prstten,Lazarus
und Harper. Chor und Orchester bestehen ans S50 £xecntanten,
welche noch durch die Gesangsvereine von Worchester, Hereford
und Gloucester verstärkt werden.
V* Die Königin der Niederlande hat dem Capelltneister und
Componist A. B e r 1 y n in Amsterdam für die Widmung mehrerer
stjner Compositionen .ein silbernes Schreibzeug zum Oeschenk ge-
macht. Aneh vom König erhielt Berlyn für eine demselben gewid-
mete Fantasie für Militärmusik eine kostbare Nadel.
%* Der Tenorist Tichatschek, welcher in Stockholm mit
ausserordentlichem Erfolg gastirte, hat vom König von Schweden
die Decoration Litteria et Artibus erhalten.
*** Das Cölner Stadttheater wird am 6. September unter der
Leitung des bisherigen Direotors Moritz Ernst wieder eröffnet
werden. Das Opern- und Schauspielpersonal ist complet, und an der
Spitze des Orchesters steht wie bisher der Capellmeister Seidel,
während noch uubestimmt ist, wer die Stelle des bisherigen Ober-
regisseurs Behr einnehmen wird.
%* Anton Wallerstein, der beliebte Componist, hat sich
seiner Gesundheit wegen von Dresden nach dem Seebade Dobberau
begeben.
*** Das in unserer vorletzten Nummer erwähnte Concert des
Riedel'schen Vereins in Leipzig zum Besten der Verwundeten etc.
hat eine Einnahme von 1034 Tblr. ergeben.
*** Hr. Dr. Otto Bach aus Wien ist als Capellmeister am
Sgadttheater in Augsburg engagirt worden.
*** An der Musikschule »Zur Beförderung der Tonkunst" in
Botterdam sind die Stellen eines Clavierlehrers und eines Violoncell-
lehrers vacant und ist sich in diesem Betreff an den dortigen Vorstand,
Hrn. J. R. S m a 1 1 zu wenden. Desgleichen ist im Züricher Or-
chester eine Concertmeisterstelle zu vergeben, und ertheilt Hr. Musik-
director H e g a r daselbst nähere Auskunft.
*** Director Gye hat Frau Luc ca für die nächste Saison des
Coventgardentheaters in London gewonnen, nachdem es ihm gelungen
ist, den Contract derselben mit der k, Oper in Madrid zu lösen.
*** Richard Wagner hat zu der für den Namenstag der
Kaiserin (19. Nov.) festgesetzten ersten Aufführung seines „Riensl"
am Hofopemtheater in Wien eine specielle, sehr schmeichelhafte
Einladung erhalten.
*** In Sondershausen kamen im zweiten Lohconcerte Schumann's
Genoveva-Ouvertüre, Orchester-Suite von Raff, Prometheus-Ouvertüre
v#n Bargiel, „Orpheus" von Liszt, uud die grosse Leonoren -Ouver-
türe von Beethoven zur Aufführung. Das dritte dieser Concerte
brachte: Ouvertüre zu „Medea" von Cherubini; Bassarie aus den
„Jahreszeiten" (Frühling) vonHaydn; Concert für Violoncell von
Goltermaun, vorgetr. von Hrn. Graf aus München ; B-dur-Sinfonie
v,on Beethoven; „Im Freien," Concertstück in Form einer Ouvertüre
von B. Scholz ; Concert für Clarinette von Spohr, vorgetr. von Hrn.
Hofmusikus Schomburg, endlich „Die Najaden," Ouvertüre von
Benett.
*** 1 e Bull hat sich wieder seinem scandinavischen Vater-
lande zugewandt. Er hat in Helsingfors zwei Concerte mit grossem
Erfolge gegeben.
%* Dir. Wirsing in Prag, welcher trotz der ungünstigsten
Verhältnisse forte pi el te , um sein zahlreiches Personal nicht brodlos
au machen, und selbst grosse Opfer brachte, hat vom Landesausschuss
eine Subvention von 3000 fl. erhalten.
V In Coburg hat sich unter dem Namen „Stiftshütte" ein
fröhlich aufblühender Künstlerverein gebildet, an dessen Spitze die
Directoren Haase und Prana und der Opernsänger Eile rs stehen.
*** Frl. Garthe vom Hannoverschen Theater ist im Berliner
Operntheater als Fidelio und als Margarethe aufgetreten und hat sehr
freundliche Aufnahme gefunden.
%* Frau Johanna Jachmann-Wagner hat in dem Seebade
Crans mehrere Concerte gegeben.
*** Der Pianist Leo L i o n , welcher im Prager Irrenhause
gestorben sein sollte, befindet sich noch am Leben und in der
Pflege seiner Mutter. Es ist Hoffnung vorhanden, ihn von seiner
Schwermuth au heilen.
V In BrÜnn starb der Maler Kraus, welcher früher dort als
Tenorist sehr beliebt gewesen war.
*** Der Vater des berühmten Violinisten Vieuxtemps ist
am 22. August im Alter von 76 Jahren zu Scbaerbeck in Belgien
gestorben.
V Der in der Schlacht bei Lissa an Bord des Linienschiffes)
„Kaiser" gefallene Linienschiffsfähnrich Rob. Pr och ist ein geborener
Wiener und der Sohn des verdienten k. k. Hofcapellmeisters Procb.
ANZEIGE.
Nova-Sendung», Wo. 3.
Im Verlage von Fr. Kistner in Leipzig erschien
soeben mit Eigentumsrecht:
Atmntaeheiirftky, nr. Op. 9, Concert-Ouvertüre für grosse»
Orchester. Partitur Thlr. 1. 25 Ngr.
— Dieselbe. Orchesterstimmen Thlr. 3. 20 Ngr.
Baeh, Jobs« Sei». „Trauer- Ode," bearbeitet von Bob. Frans*
Partitur Thlr. 3. 20 Ngr.
Orchesterstimmen Thlr. 4.
Chorstimmeu Thlr. 1.
Brambaeli, C Jos. Op. 12. „Nacht am Meere," Chor für
Männerstimmen mit Begleitung des Orchesters.
Ciavierauszug 15 Ngr.
Chorstimmen 10 Ngr.
Partitur 20 Ngr.
Orchesterstimmen Thlr. 1.
Franz , Rot». Op. 37. Sechs Gesänge für eine Singstimm»
mit Begleitung des Pianoforte.
Complet 20 Ngr.
Einzeln, N« 1-6 4 5 Ngr.
Heel&el, Adalnert. Op. 3. „Der freie Zecher,* Gedicht von»
Herrn. Peist. Trinklied für eine Bass- Stimme mit
Begleitung des Pianoforte. 5 Ngr.
— Op. 6. „Sehnsucht," Lied für eine Sopran- oder Tenor-
stimme mit Begleitung des Pianoforte. 10 Ngr.
Kuelieiij Fr. Op. 81. Zwei Märsche. Arrangement für dae
Pianoforte zu vier Händen vom Componisten.
N* 1. Geschwindmarsch. 10 Ngr.
N* 2. Spanischer Marsch. 10 Ngr.
— Op. 83, N° 1. Serenade für Männerstimmen (Solo-
Quartett oder Chor). Part. u. ^Stimmen 10 Ngr.
— Drei beliebte Lieder, für das Pianoforte zu 4 Händen
eingerichtet von A. S t r u t h.
N° 1. Du schöne Maid. 10 Ngr.
N # 2. Das Sternlein. 12 V, Ngr.
N* 3. Der kleine Rekrut. 10 Ngr.
Bfendelsswhn-Bartnoldjr, Felix. „Bacchus -Chor" au»
„Autigone" des Sophocles mit Begl. des Orchesters»
Separat-Ausgabe. Clavier-Auszug 20 Ngr.
Pfeiffer, «eor*e. Op. 29. „Marguerite a la fontaine," Idylle
pour Piano. 10 Ngr.
— Op. 30. „Ecossaise,* Air de Ballet pour Piano. 15 Ngr.
Sehaffer, Aug. „Der sanfte Heinrich/* als Polka-Mazurka für
das Pianoforte eingerichtet von A. S t r u t h. 5 Ngr*.
Seliletterer, HL M« Op. 19. 5 Lieder für eine Mezzosopran-
Stimme mit Begl. des Pianoforte. 20 Ngr.
Sehuliert, Franz Op. 70. Rondeau brillant für Pianoforte
und Violine. Für das Pianoforte zu 4 Händen einger.
von Carl Geissler. Thlr. 1. 25 Ngr.
— Marsch (aus dem Nachlass) für das Pianoforte zu vier
Händen einger. von Carl Geissler. 10 Ngr.
ichumann, Rob» Op. 11. Graude Sonate pour le Pianoforte,
arrangee pour Piano a 4 mains par Louis Röhr.
Thlr. 2. 25 Ngr.
— Op. 88. Phantesiestücke für Pianoforte , Violine und
Violoncell. Für das Pianoforte zu 4 Händen einger«
von August Hörn. Thlr. 1. 20 Ngr.
Leipzig, August 1866.
JFt\ Miteiner.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mofa**
15. Jahrgang.
N*-M.
10. September 1868.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post- » ■»
ämtern, Musik- & Buchhand- > ö«
x langen. ..
r-
von
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PEEIS:
jfl.2. 42 kr. od.Th. 1. 18 Sg.
> für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
i
I
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
•o.^
IHHALT: Stradella und die Contarini. — Napoleon I. und die Musik. — Correspondenz : Mauuheim. — Nachrichten.
Stradelta und die Contarini.
Eid venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
P. Richard.
ix.
Stradella ohne Fabel.
Mit Ausnahme also des Vorhandenseins vieler vollständig con-
statirter Werke , sowie der nur 2 u wahren Catastrophe in Turin
wäre es wirklich schwierig, dem, was wir mitgetheilt haben, noch
irgend etwas Bestimmtes beizufügen. Doch ist es nicht unnöthig,
das noch einmal au resumiren, was aus den ans Licht gebrachten
Documenten hervorgeht. Was wir wissen, bleibt immer unvollständig
genug und lässt uns unser Vertrauen auf die Veröffentlichungen
Catelani's setzen.
Wie Pitoni uns mitgetheilt hat, war Stradella durch weibliche
Eifersucht gezwungen, Rom zu verlassen; er lässt sich auf keine
genaueren Angaben ein. Die Gesandten Villars und Estrades dagegen
zeigen schon weniger Bückhalt. Nachdem er dem Cardinal Cibo
die schmähliche Beleidigung angethan, dass er dessen Neffen veran-
lasste, eine Gourtisane zu heirathen, und nachdem er zu den Ga-
leeren verurtheilt worden war, hatte der verzweifelte Musiker das
unschätzbare Glück, zu entwischen. Daraus, sowie aus den ange-
führten Depeschen geht deutlich hervor, dass sein Aufenthalt in Rom
dem in Venedig vorhergegangen war. Nachdem er sich so mächtige
Feinde in der ewigen Stadt gemacht hatte, beeilte sich der Un-
besonnene in der Stadt der Lust noch gefährlichere aufzusuchen.
Es ist sehr möglich , dass die Reise nach Venedig die Folge eines
Engagements von Seite der Republik war, für dortige Theater Opern
zu schreiben, und da man in Modena vier unedirte Opernpartituren
gefunden hat, so kann man vermuthen, dass wenigstens eine dieser
Opern auf die Bühne gekommen wäre, wenn nicht eine heftige Liebe
dazwischen gekommen wäre. Durch die Entführung der Geliebten
eines Contarini brachte der unglückliche Künstler eine der mäch-
tigsten Patrizierfamilien gegen sich auf. Wir haben nach den besten
Quellen erwähnt, welcher Art die Sitten dieser stolzen und unver-
söhnlichen Edelleute waren; es musste eine eclatante Genugthuung
erfolgen. Ludwig Contarini (wir müssen gestehen , dass es nicht
möglich war zu constatiren, welchem Zweige dieser zahlreichen Linie
der betrogene Geliebte angehörte) zog mit grossem Aufsehen, mit
einem Gefolge von vierzig Bravi und Edelleuten aus, um die Ge-
raubte wieder zu erobern. Wie gross musste seine Scham und seine
Wuth sein, als er in Turin angelangt, wohin sich das verliebte Paar
- geflüchtet hatte, seine Ansprüche zurückgewiesen, seine vorgeblichen
Rechte verkannt sah! In der That hatte die Herzogin von Savoyen
die Flüchtigen ausser den Bereich der Gefahr gebracht; das Mäd-
chen befand sich im Kloster, und der Musiker, bei Hof eingeladen
uud empfangen, „hatte dort auf verschiedenen Instrumenten gespielt,"
und unter seinem Schutze hatte ihn der erste Minister, Marquis von
Saint -Thomas „bei den Damen und im Palast singen lassen." Da
nun bereitete der Contarini, indem er seiner Bache sicher zu sein
glaubte, einen acht venetianischen Streich vor. Zuerst sandte er in
ostensibler Weise den Vater seiner Geliebten nach Turin, „den gross-
ten Schuldgeno8sen a nach Villars, um seine Tochter zurück zu ver-
langen, dann aber heimlich und unter gutem Vorwande zwei ent-
schlossene Banditen, sorgfältig mit dem angeführten Geleitbriefe ver-
sehen. Der Auftrag, den diese wackeren Leute erhalten hatten,
ging darauf hin, dass sie den unglücklichen Musiker züchtigen
(malträtier) sollten. Als kluge Leute bewahren die beiden Gurgel-
abschneider ihren Schutzbrief, bereiten mit Müsse ihren Streich vor,
um dann nach Verlauf eines Monats den günstigen Augenblick zu
benützen und mitten in Turin, auf Öffentlichem Platze ihren Mann
mit mehreren Messerstichen zu verwunden. Der Streich gelang nach,
Wunsch, uud sie begaben sich, mit ihrem Brief in der Hand, ganz
ruhig zu dem Gesandten von Frankreich.
Wir haben nicht nöthig zu wiederholen, was darauf erfolgte«
. Man hat die Einzelnheiten dieser widerlichen Geschichte bereits ge-
lesen. Der Verwundete starb nicht; der Anstifter des Attentat»,
Ludwig Contarini, „gab sein Wort, dass er nie mehr etwas gegen
ßeinen Feind unternehmen wolle." Wenn etwas Wahres an der
Aeusserung ist, die man Stradella in den Mund legt, so hat dieser
die Unvorsichtigkeit auf den Gipfel getriebeo. Der Gesandte be-
schuldigt ihn in seiner Depesche vom 6. November, „er habe laut
geäussert in Turin, dass, nachdem er sich nichts aus dem Cardinal
Cibo gemacht habe , man überzeugt sein dürfe , er kümmere sich
auch nichts um den Zorn der Pantalons von Venedig/ Es war dies
mehr couragirt als klug. Da es aber nicht das erste Mal wäre, dass
die Diplomatie die Wahrheit verdrehte, so dürfte man wohl berech-
tigt sein zu glauben, dass Stradella, welcher Venedig und das Ver-
fahren des dortigen Adels gar wohl kannte , auch die unerbittliche
Grausamkeit^ dieser stolzen Aristokratie kennen musste , und die
furchtbare Unversöhulichkeit dieser Leute im Falle einer verrathe-
neu Liebe.
Nachdem die Mörder in Sicherheit gebracht sind, beruhigte sich
bald Alles in Turin, und die Nachrichten werden sparsamer. Zwei
Personen waren in's Gefängniss geworfen worden, darunter der Vater
des Mädchens, der Hauptschuldige. Ohne Zweifel wurden sie wieder
freigelassen. Zum Schlüsse dieser abenteuerlichen Begebenheit
konnte der Marquis de Villars, von der ihm auferlegten Rolle doch
ein wenig beschämt, wenigstens in seiner Depesche sagen*, „es er-
gibt sich, dass ich in dieser unglücklichen Angelegenheit vier Per*
sonen das Leben gerettet habe, den beiden Flüchtlingen (so nennt
er die Mörder) und den beiden Musikern Stradella und Marchetto,
denn von der Bestrafung der Erster en hing entschieden das Leben
der beiden Anderen ab."
Wer war nun dieser Marchetto? Sollte dies der Vater ge-
wesen sein, „der Hauptschuldige," welcher mit einem Gefährten auf
Befehl der Herzogin von Savoyen verhaftet worden war? Der Name
Marchetto oder Marchetti (bekanntlich sind in Italien die Endungen
der Eigennamen nicht unveränderlich) kommt um dieselbe Zeit un-
gefähr als der von zwei Musikern geführte vor; dereine, ein Römer,
Tomasso Marchetti, ist Instrumentalist und Herausgeber einer
- 146 -
in Rom 1650 veröffentlichten Tablatur der spanischen Guitarre ; der
andere, ein Bologneser, Domenico Marchetti, wird von Buce-
Jinus als ein nm 1656 der Capelle des Kaisers Ferdinand III. als
Altist angehöriges Mitglied bezeichnet. Sollte vielleicht die von
ßtradella entführte Geliebte die Tochter oder Verwandte des zuletzt
Genannten gewesen sein? Quadrio*) führt unter den Sängerinnen
dramatischer Gedichte eine Venetianerin Namens Angelica Mar»
chetti an und Choron sagt, nach Gerber, dass eine Künstlerin
dieses Namens um das Jahr 1680 einen grossen Ruf als Sängerin
besass. Diese Conjecturen bedürfen jedoch der Beweise.
Man hat mitunter behauptet, Stradella sei im darauffolgenden
Jahre nach dem Turiner Ueberfall ermordet worden, was offenbar
ein Irrthum ist. Burney, welcher das Textbuch des Drama's „£a
forza delV amore paterno" mit dem Datum von 1678 besass, hat
schon bewiesen, wie falsch es sei, den Tod Stradella's in frühere
Jahre zu verlegen. Catelani rückt diese Epoche noch später hinaus,
indem er in Modena eine Partitur mit dem Datum vom 10. Juni 1681
und mit der an zwei Stellen angebrachten Notiz : „ultima composi-
Hone dt Alessandro Stradella" auffand. Starb der Meister in
Genua? Welches war die genaue Zeit seines Todes? Unterlag er
den Streichen anderer Mörder? Alles dies ist ungewiss. Doch ist
der unglückliche Virtuose höchst wahrscheinlich eines gewaltsamen
Todes gestorben.
Napoleon I. und die Musik.
Gleich nach ihrer Vermählung mit dem General Bonaparte ver-
anstaltete Frau vou Beauharnais musikalische Cirkel in ihren
Salons, welche durch die Liebenswürdigkeit der Dame vom Hause
und durch ihre Leidenschaft für Musik bald der Sammelplatz der
gebildetsten Dilettanten von Paris wurden, wozu übrigens auch das
musikalische Fieber, welches damals in Paris, von den patriotischen
Liedern auf der Strasse an bis zu den Gesangssoireen in den höch-
sten Kreisen herrachte, nicht wenig beitrug. Nur Bonaparte blieb
davon unberührt uud nahm, wenu er aus deu Feldzügen zurückkam,
nicht den geringsten Theil an Josephinens Hauscoucerten. Er ver-
stand nichts von Musik und hat nie Geschmack daran gefunden.
Trotzdem haben sich viele von seinen Biographen abgemüht, das
Gegentheil nachzuweisen oder haben seine Abneigung gegen die Ton-
kunst auf allerlei wunderliche Weise zu erklären versucht.
Hätte Bonaparte Sinn für Musik gehabt, so würde er bei seinem
Verstände wahrscheinlich auch grosse Fortschritte darin gemacht
haben; allein es ist keine Spur vou seiner Empfänglichkeit dafür
in seiner Jugend , oder von seiner Theilnabme am musikalischen
Unterricht auf der Militärschule zu Brienne vorhanden. Indess ging
er als Artillerie -Lieutenant viel uud gern mit Schauspielern und
Sängern um. Ein Biograph, der Graf Fabre, will daraus sogar
seine Abneigung gegen Oper und Musik herleiten. „Alle diese Leute"
— schreibt er — „wollten, nachdem der General die erste Person
im Staate geworden , auf dem früheren Fusse mit ihm verkehren,
nnd bemerkten zu ihrem Aerger, dass er sich von ihnen zurückzog
und sie nicht mehr so freundlich wie sonst empfing. Den dicken
Michot namentlich , der sich rühmte , ihm wesentliche Dienste ge-
leistet zu habeu, verdross es gar sehr, dass er dafür nicht wenigstens
duich die Vertraulichkeiten des ersten Consuls belohnt wurde. Dieser
Künstler betrachtete alle Stufen der Macht, die Napoleon erstirg,
nur als Sceuen der Entwicklung eines Theaterstückes, uud beharrte
dabei, in ihm nur einen Collegen zu sehen.
Bourienne indess sagt aufrichtig in seinen Memoiren: „Bona-
parte sang falsch, und zwar consequent falsch, mochte er aus dem
Rathe kommen oder in seinem Cabinette mit mir allein seiu und
nach seiner Gewohnheit die Arme seines Lehnstubls mit dem Messer
bescbnitzeln." — Und an einer anderen Stelle sagt er: „Bonaparte
sang Gott weiss wie falsch!" —
Freilich mag es wahr sein, dass auch in den ganz unmusikali-
schen Naturen eine geheime Sympathie für den Klang vorhanden
ist, dass irgend ein Ton, der an ihr Ohr schlägt, auch in ihrem
Innern eine gewisse Empfindung anregt. Allein es kommt sehr da-
rauf an, von welcher Art jener Ton sei, und ob die innere Aufregung
*) Storia e ragione (Togni poesia, T. V. p. 34.
durch ihn etwas von musikalischem Wesen an sich hat. Bonaparte
blieb zum Beispiel zuweilen auf seinen Spaziergängen durch des
Park von Malmaison stehen, wenn er das Geläute der Glocken ans
dem Dorfe Ruei! hörte. Er meinte, er höre es gern, „weil e* ihn
an seine Jugendjahre in Brienne erinnere." In einer Abendgesell-
schaft bei Francois de Nenfchatean, wo viel Musik gemacht wurde,
wovon die Anderen entzückt waren, erzählte er auf einmal mit Leb-
haftigkeit, dass er bei Lodi mitten im Kanonendonner nnd Gefechts-
lärm einem kleinen Tambour aufmerksam zugehört habe, der mit
der grösstea Sicherheit im Tact sein Kalbfell geschlagen. Kann
man aber vernünftiger Weise darauf eine Aensserung wie die von
Sainte Hilaire: „Napoleon vergötterte (adorait) die Musik!" — be-
gründen? Vorliebe für- Glockengeläute und Trommelschlag, mithin
für einen einförmigen Klang und für Rythmus (und bei beiden kann
doch von Melodie noch nicht die Rede sein), findet man vorzugsweise
bei Organisationen, die man „mathematische" nennen könnte ; in der
Musik ist ihnen Melodie und Harmonie nichts, und in der Malerei
zieht sie mehr die Zeichnung als das Colorit an.
An Bord des Schiffes „L'Orient," auf welchem Bonaparte nach
Aegypten ging, gab die Musik der Schiffsmannschaft zuweilen Con-
certe; das durfte aber nur im Zwischendeck stattfinden. Bourienne
sagt darüber mit einer characteristischen Schwenkung: „Bonaparte
liebte die Musik noch nicht genug, um sie in seinem Saale zu
hören; man kann behaupten, dass sein Geschmack an dieser Kunst
im Verhältniss zu seiner Machtvergrössernng stieg , gleichsam als
hätte er dadurch beweisen wollen, dass er nicht blos das Genie zum
Herrschen besässe, sondern auch den Instinct für jene aristokratischen
Kunstgenüsse, die man im Volke für das Erbtheil der Könige halte."
Das ist zum Lachen *). Wer die Musik liebt, der hat sie immer
geliebt und wird sie immer lieben, und das Einzige, wodurch „ver-
hältnissmässig" diese Liebe wachsen kann, ist nicht die „steigende
Macht," sondern das Studium und die Anhörung der Meisterwerke.
Auch hatte Napoleon wohl noch einen anderen Grund, Liebe
und Begünstigung der Musik zu affectiren, und Bourienne lässt den
Kaiser auch diesen Grund selbst aussprechen. Er sagt: „Bonaparte's
Grundsatz war, dass man das Volk zerstreuen müsse, um es zu be-
herrschen Lasst sie tanzen , spielen , singen , aber nicht die Nase
in die Führung der Regierung stecken." Das heisst offen gesprochen,
und so glauben wir denn auch, dass weder der Consul noch der
Kaiser bei Wiedereröffnung der grossen Oper, der Maskenbälle und
ähnlicher Institute weit weniger daran gedacht hat , dem Volke
seinen Instinct für aristokratische Vergnügungen zu beweisen, als
dasselbe zu verhindern, die Nase in Regierungssachen zu stecken. **)
(N.-R. M.-Z.)
COBRESPQ5DENZEK.
Aus Mannheim«
Gestern, 1. September, wurde hier das durch die Munifizenz des
Königs Ludwig I. von Baiern der Stadt Mannheim zum Geschenk
gemachte Standbild des Freiherrn von Dalberg, ersten Inten-
danten des hiesigen Theaters, auf dem Schillerplatz, dem es nebst
den beiden Standbildern von Schiller und Iffland nun als drittes
zur Zierde gereicht, in Gegenwart 'des Generallieutenants und Hof-
marschalls Hrn. von La Roche, als Bevollmächtigter des Königs
Ludwig, sowie der sämmtlichen hiesigen Behörden, der Mitglieder
des Theaters und zahlreicher sonstiger Bewohner Mannheims unter
musikalischer Mitwirkung der Männergesangvereine feierlichst ent-
hüllt. Dasselbe ist von der Compositum von Widtmann, der Erz-
guss von Miller in München, und darf als eine wohlgelungene Dar-
stellung der Persönlichkeit Dalberg's betrachtet werden. So besitzt
nun Mannheim ein Monument dreier Männer, die für die Geschichte
seines Theaters von grosser Bedeutung sind ; Schiller zunächst durch
*) Nicht so ganz: zum Lachen ist nur, dass Bourienne im Ernste
glauben machen will, Napoleon habe wirklich nach und nach
mehr Geschmack an der Musik bekommen. Den Grund, wess-
halb der Kaiser den Scheiu davon angenommen , hat er ganz
richtig durchschaut.
**)Em. Matth. de Monter: ,.La Musique et la Socie'tt fran-
ccrise saus la DircctoireS' <
147 —
tlie «rate Auffuhrung seiner „Räuber" daselbst, Dalberg sowohl durch
«ein Verdienst , diese ermöglicht y als durch seine rastlosen , vom
glänzendsten Erfolge gekrönten Bemühungen , das hiesige Theater
*uf eine gans Deutschland Achtung gebietende Stellung gebracht
■au haben , und Iffland durch seine vortrefflichen Leistungen als
Schauspieler, Regisseur und Bühnenschriftsteller. — Selbstverständ-
lich betheiligte sich besonders auch das Theater an dieser Feier
■durch eine Festvorstellung zur Gedächtnissfeier Dalberg's und zu-
gleich zum Vortheil der kriegsbeschädigten Bewohner des Tauber-
grundes. Das Programm derselben enthielt: Festouvertüre von V.
Lachner; Festrede von Oberregisseur Wolff; Priestermarsch aus
<Huck's „Alceste"; einzelne Acte und Scenen aus „Hamlet," „Minna
von Barnhelm," „die Räuber" und „die Geschwister von Göthe;
«rstes Finale aus „Don Juan"; Epilog und Hymne von Beil, Musik
cur Letzteren von V. Lachner.
Es dürfte vielleicht Ihren Lesern nicht uninteressant sein , bei
dieser Gelegenheit nähere Data aus der Zeit zu erfahren , in wel-
cher Dalberg dem hiesigen Theater vorstand. Wir entnehmen die-
selben einem in Form von vier Tabellen kürzlich hier erschienenen
„Rückblick auf die Verwaltung des Grossh. Hof- und National-
theaters in Mannheim". Die erste jener Tabellen umfasst den Zeit-
raum vom 1. October 1779 bis 1. October 1803, während dessen der
„Reichsfreiherr Wolfgang Heribert von Dalberg", geb. 1739, gest.
1806 , die Intendanz des hiesigen Theaters , als dessen eigentlicher
Gründer im Auftrag des Churfürsten Carl Theodor Freiherr von
Hompesch genannt wird, begleitete. Nächst der genauen Angabe
der Regie und eines häufig damit in Verbindung stehenden Aus-
schusses von hervorragenden BühnenmitgHedern , das Budget des
jährlichen pecuniären Erfolges , findet man auf dieser Tabelle die
bedeutendsten Persönlichkeiten der Oper und des Schauspiels, wie
■der musikalischen und theatralischen Direction, z. B. Capellmeister
Holzbauer, Componist der sehr beachtenswerthen deutschen Oper
„Günther von Schwarzburg"; alsMusikdirectoren: Vogler (bis 1786),
Danzi, lgn. F ranzt; Concertmeister P. Ritter, später Capell-
meister und Componist verschiedener seinerzeit beliebter Opern, wo-
runter „Salomo's Urtheil". Vom Schauspiel und der Oper nennen
■wir einige auch jetzt noch in lebhaftem Andenken stehende Namen:
Theaterdirector S e y 1 e r (1 779—1781), I f f 1 and (1779 - 1796), B e ck,
Beil, Böckh, Gern (Bassist), Epp (Tenorist). Von besonderem
Interesse ist die Rubrik, welche die erstmalige Darstellung klassi-
scher Werke in Oper und Schauspiel angibt; so finden wir in Be-
ziehung auf Erstere die meisten Opern Mozart's , und zwar : „die
Entführung aus dem Serail" 18. April 1784; „Don Juan" 27. Sept.
1789; „die Hochzeit des Figaro" 24. Oct. 1790; ,.CW fan tutte"
12. Mai 1793; „die Zauberflöte" 29. März 1794 (mit erhöhten Preisen);
„Titus" 8. Aug. 1802. (Die erstmalige Aufführung des „Idoineneo"
hier fand erst in neuester Zeit, 1861, also 80 Jahre nach ihrem
ersten Erscheinen in München, statt.) — Weiter finden sich: „Rosa-
munde," Oper von Wieland, Musik von Schweitzer; „Zemire und
Azor," „Richard Löwenherz" von Gretry ; „die Jagd" von J. A. Hiller;
„Doctor und Apotheker," ,,das rothe Käppchen" von Dittersdorf;
„die Pilgrime von Mekka ," „Iphigenie in Tauris" von Gluck ;
„Ritter Roland" von J. Haydn ; „die heimliche Ehe" von Cimarosa ;
„Lodoisca," „Graf Armand" von Cherubim; auch von Paisiello
"findet sich in Dalberg's Periode eine namhafte Zahl von Opern,
worunter „König Theodor," „der Barbier von Sevilla," „die schöne
Müllerin" ; von Winter u. A. „das unterbrochene Opferfest," „Maria
Mantalban"; von Paer „Camilla" ; von Schenk „der Dorfbarbier."
Von Schauspielen erwähnen wir: „die Räuber," 13. Jan. 1782, „die
Verschwörung des Fiesko ," 11. Jan. 1784, „Cabale und Liebe,"
16. April 1784, „Don Carlos," 6. April 1788; die erstmalige Auf-
führung der übrigen Stücke vou Schiller finden wir in der 2. Tabelle,
welche den Zeitraum vom Oct. 1803 bis Oct. 1821 umfasst, aufge-
zeichnet. Von Göthe kamen in Dalberg's Periode nur drei Stücke:
„Clavigo," „Götz von Berlichingen" und „die Geschwister" zur erst-
maligen Aufführung; von Lessing „Minna von Barnhelm," 3. Nov.
1779, „Emilia Galotti," 25. Juni 1780. Von ausländischen Bühnen-
dichtern ist Shakespeare am meisten vertreten, und unter den deut-
schen Bearbeitern seiner Stücke findet sich auch Dalberg mit „Co-
riolan". Ausser Shakespeare lesen wir daselbst noch die Autoren
Calderon, Voltaire, Corneille, Moliere in deutschen Bearbeitungen
von Verschiedenen.
Schliesslich enthält die Rubrik „Bemerkungen" unter Anderem
folgende Notiz: „1791, 2. und 4. October: „Richard Löwenherz".
Die Emigranten waren bei der Befreiung Richard's ganz ausser sich.
Man hörte nichts als Vivat, und weisse Tücher hatten sie an Stock«
gebunden. Das Personal wurde gerufen. Iffland sagte auf franzö-
sisch: „Möge der König (Ludwig XVI.) einen Blondel finden, der
sein Leben rettet!" Das Publikum stimmte jubelnd in den Wuusch
ein.'
J¥ a e li r I c 1t t c n
Baden-Baden. Frau Viardot-Garcia hat zum Besten der
bedrängten Bewohner des Odenwaldes ein Concert veranstaltet unter
freundlicher Mitwirkung der Frau Clara Schumann, der Frl.
Nathalie Serger und der HH. Zucchini von der italienischen
Oper, Wallenreiter, Hoftheatersänger und Krüger, Harfenvir-
tuose aus Stuttgart. Der Saal war gedrängt voll, der Beifall ein
ausserordentlicher und die Einnahme eine sehr ergiebige.
Paris. Der Tenorist Villaret von der grossen Oper hat sein
Engagement auf weitere drei Jahre verlängert erhalten und zwar
unter sehr vorth eilhaften Bedingungen. Er erhält nämlich im ersten
Jahre 45,000 Frs., im zweiten 55,000 Frs. und im dritten 64,000 Frs.
— Mlle. Bloch hat vom Director der grossen Oper einen
zweimonatlichen Urlaub vom 1. Sept. an erhalten und wird denselben
zu einem Gastspiel in Marseille benützen.
— Verdi ist auf Anrathen der Aerzte nach Cauterets abgereist,
um bei den dortigen Quellen Heilung für ein Halsübel zu finden,
an dem er schon seit einigen Jahren leidet.
— Die Aufführung des „Lohengrin" im Theatre lyrique unter-
liegt wohl keinem Zweifel mehr, jedoch wird sie nicht mehr im
Laufe dieses Jahres stattfinden.
London. Unsere Leser werden sich erinnern, dass wir ihnen
von einem blinden musikalischen Wunder-Neger-Kind, Tom (nicht
Nachkomme des Uncle Tom) gesprochen, das Alles, was es hört,
sofort nachspielen sollte, und dass wir dieser Erscheinung gar keine
, künstlerische Bedeutung beigemessen haben. Ein Artikel der Time«
bestätigt unsere Voraussicht vollkommen , erzählt dagegen Einzeln-
heiten über das specielle Gedächtniss für Töne, welches dieser Knabe
besitzt, und das allerdings ein ganz phänomenales ist. Der blinde
Tom ist i d i r t (blödsinnig) , ganz unempfänlich für jeden andern
Eindruck als den der Tonschwingung; aber diesen Eindruck bekun-
det er auf eine unerklärliche Weise, die zugleich beweisst
dass er unmusikalisch ist. Er spielt mit der rechten Hand
eine Melodie, mitderLinken dieBegleitung einer andern
Melodie und zur selben Zeit siagt er eine dritte
Melodie und zwar in einer dritten Tonart; es ist
ohrzerreissend , aber es ist unglaublich , auf's höchste wunderbar.
Auch hat man ihm das Alphabet beigebracht, indem man die ein-
zelnen Töne damit verband, — zuerst die zusammentreffenden Be-
nennungen a, b, c, d, e, f, g, h u. s. w., dann die anderen durch
Wiederholung der Töne, z. B. drei ggg = k. Ebenso Erstaunliches
leistet der arme Blinde, wenn er eine Melodie vorspielt, die er zum
ersten Male spielt. Seine ganze Physiognomie verändert sich, doch
zeigt sie nichts Vergeistigtes, sondern nur besondere nervöse Er-
regung bei den stärker klingenden Tönen. Der arme elende Wurm
wird von einem Kerl ausgebeutet, der wie ein Bärenführer ihn
herumschleppt und den Tausenden zeigt, die sich an diesem trau-
rigen Lustspiel ergötzen. Der grosse Saal iu St. James, wo auch
die Monday populär concerts gegeben werden , ist immer ganz
voll. (N. B. M.-Ztg.)
*,* Maestro Agnelli, ein renommirter Gesanglehrer, hat eine
artige Erfindung gemacht , die zwar durchaus keinen Kunstwerth
bietet, aber originell und amüsant genannt werden kann. Es ist
ein „Caleidoscop musical". Ungefähr 60 Blätter in Octavform sind
auf beiden Seiten mit Noten bedruckt; 20 derselben in rother, 20
in grüner und 20 in blauer Farbe. Von diesen nimmt man drei
Cartons derselben Farbe und legt sie vor sich — und gleichviel in
welcher Reihenfolge sie liegen, sie bilden einen fortlaufenden Walzer,
durch eine gewisse Aenderung in der Wahl der Cartons kann jedoch
au gleicher Zeit eine Mazurka, eine Polka „kaleidoscopisch* erzeugt
werden. Offenbar handelt es sich hier um eine Spielerei, aber die
- 148 -
Sächeleben sind nicht ohne Geschmack componirt, and der Beiz der
Neuheit wird das Seinige beitragen, sie zu verbreiten. Es gab eine
Zeit, wo die elegantesten Damen sich die Finger mit dickem
Kleister beschmutzten , um „Chinoiseries« (Vasen, Tassen mit in
Papier ausgeschnittenen und aufgeklebten Zeichnungen) zu erzeuge».
— warum sollen sie sich nicht versuchen, solche Kaleidoscope selbst
au componiren? (N* B. Z.)
*** Die englische Sängerin Anna Bishop, welche vor vielen
Jahren mit dem Harfenvirtuosen 8 o ch sa in Deutschland concertirte.
hatte sich vor einiger Zeit einer Künstlergesellschaft angeschlossen,
welche nach San Francisco in Californien ging. Von dort aus reiste
die Gesellschaft nach Hong-Kong ab, und der letzte Courier brachte
folgende Nachricht über den unglücklichen Verlauf dieser Reise:
„Das Schiff „Libelle 14 ist auf seiner Ueberfahrt von San Francisko
au Grunde gegangen ; es hatte eine reiche Ladung und 76,000 Dollar!
in Baarem an Bord, sowie mehrere Passagiere, unter welchen Mme.
Bishop, Miss Phalo n , die HH. Schütz und Las cell es
von der englischen Coneertgesellschaft, welche auf einer Coneert-
reise begriffen waren. Das Schiff wurde auf eine gefährliche Klippe,
genannt Insel Wake, im chininesischen Meere geworfen. Der tiefen
Dunkelheit wegen blieben die Passagiere trotz ihrer schrecklichen
Lage die ganze Nacht über an Bord, in beständiger Gefahr, sammt
dem Schiffe, welches auf der Seite lag, und an welchem sich be*
•tändig die Wellen brachen, zu Grunde zu gehen. Erst als der Tag
anbrach, konnte man das Bettungswerk beginnen, und? Alle wurden
mittelst der Boote glücklich an's Land gebracht. Allein sie befan-
den sich auf einer wüsten Insel, auf der sie nicht einmal Trinkwasser
fanden, und nach drei Wochen der grössten Entbehrungen entschloss
man sich, die Boote zu besteigen und eine wirklichere Küste auf-
ausuchen. Man fand endlich eine Stelle, wo die Boote durch die
beständig gegen die Corallenriffe tosende Brandung auslaufen konnten,
und nachdem man von den ans dem Schiffe geretteten Vorräthen
soviel als möglich in den beiden Schaluppen, deren eine die Passa-
giere aufnahm, untergebracht hatte, steuerte man in der Richtung
nach Ladrone oder nacb den Marianeninseln. Der Capitän führte
das kleinere Boot mit den Vorräthen und einem Theil der Equipage?
der erste Lieutenant das grössere mit den Passagieren. Es war ein
kühnes, wenig Hoffnung gewährendes Unternehmen, einen Weg von
400 bis 600 Meilen unter den Aequinoctialstürmen, den Windstillen
in tropischer Sonnenglut, mit wenig Lebensmitteln und durch ein
klippenvolles Meer zurückzulegen, und doch erreichte die grössere
Schaluppe nach 13 Tagen und Nächten voll schrecklicher Leiden
und Gefahren die Stadt Gnam. Man war um sechs Längengrade
abgefallen und darum nach Guam gekommen, freilich in einem kläg-
lichen Zustande, besonders die Damen, allein das Leben war ge-
rettet. Der Gouverneur der Marianneninsel, FranciscoMoscosey
Lara, nahm die Schiffbrüchigen freundlich auf und liess ihnen alle
mögliche Hülfe angedeihen. Von dem anderen Boote, welches man
schon seit der ersten Nacht aus dem Gesichte verloren hatte, war
noch keine Spur vorhanden.
*** Die „Neue Berliner Musik -Ztg." erzählt folgende hübsche
Anecdote: In einer grossen englischen Provinzialstadt wurde vor
vielen Jahren ein Händel'sches Oratorium unter einem deutschen
Dirigenten aufgeführt. Dieser Hess sich beifallen, der Ankündigung
beizufügen, dass Händeis unsterbliches Werk mit der Mozart'schen
Instrumentation vorgeführt werden solle. Am Abend des Concertes
•assen ihm gegenüber in der ersten Reihe eine hohe Dame, grosse
Beschützerin und Verehrerin der aacred music, und ein sehr be-
kannter Dilettant, welcher zu den reichsten Mitgliedern der Gentiy
geborte. Die Dame sah sehr entzückt aus, der Herr warf grimmige
Blicke um sich. Kaum waren die letzten Töne verklungen, da traten
die Beiden an den Dirigenten heran. „Ach ! — meinte die Erste
der himmlische Mozart hat doch Ifändel's Werk ganz erfasst und
seine Instrumentation ist wundervoll; Niemand wird je verkennen,
dass sie von einer fremden Hand herrührt." Der Deutsche verneigte
eich tief, und die Dame rauschte vorüber. — „Mein Herr! — sprach
der Squire — Sie hätten besser getbao , die Musik des göttlichen
Händel so zu lassen, wie er sie componirt hat, und nicht mit frem-
der zu vermischen. Allen Respect vor Mozart, aber im Oratorium
reicht er an nnaeren Händel nicht, und man hört doch gleich, was
nicht von diesem ist." Und der Dirigent verbeugte sieh wieder —
und lachte innerlieb, denn die Instrumentation von Mosart war gar
nicht gespielt worden, dem Dirigenten war bei der Probe so viel
Opposition von Seiten des Orchesters entgegengetreten, dass er ea
vorzog, die Originalbegleitung zu lassen, und nur die Annonce blieb.
Der Schalk mochte wohl einen Versuch angestellt haben, der ihm
auch, wie die oben erzählten Aeusserungen beweisen, vollkommen)
gelungen war.
*** Bei der Preis - Concurrenz für die beste Messe, welche ztt
Löwen in Belgien stattfand, wurden, wie wir bereits gemeldet, die
beiden Einsendungen mit denMotto's: „Soli deo gloria" und „Ich
dien" von der Jury mit Bedauern (welches bei der ersten einstimmig,
bei der zweiten mit 8 von 13 Stimmen ausgesprochen wurde) zu-
rückgestellt, weil dieselben den gestellten Bedingungen nicht voll-
ständig entsprachen. Es ist nun bekannt geworden, dass die erste
dieser Compositionen von Hrn. van Eyken, Organist inElberfeld,
die zweite vou Hrn. Hatto n in Aldeburg (England) eingesendet war.
*** Roger hat sein Gastspiel im Kroll'schen Theater in Berlin
als „Zampa" beschlossen, den er bisher in Deutschland noch nicht
gesungen hatte.
*** Der bisherige Director des Carltheaters in Wien, Hr. Treu-
mann, hat von seinem Publikum in einem aus seinen beliebtesten.
Rollen zusammengesetzten Quodlibet Abschied genommen.
*** Frl. Blaczek vom Würzburger Theater ist nach einem er-
folgreichen Gastspiele in Leipzig engagirt worden.
*** Capellmeister Suppe in Wien hat sich mit Frl. Sophie-
Strasser aus Regensburg vermählt.
*** Am Napoleonstage (15. August) suchte eine italienische:
Sängerin, ärmlich gekleidet, aber von anständigem und angenehmem,)
Aeusseren, vor dem Cafe Riche in Paris die Grossmuth der dortigen»
Gäste zu erregen, inden sie, sich auf der Guitarre begleitend, mit
einer herrlichen Altstimme und guter Schule italienische Arien vor-
trug. Unter den Anwesenden, welche mit ebensoviel Erstaunen ala
Vergnügen zuhörten, befanden sich auch N au d in, Verger, Amo-
dio und mehrere andere Künstler. Nachdem diese bei der erfolgten
Collecte einen reichlichen Beitrag geliefert hatten, ersuchten sie die-
Sängerin um ihre Adresse und eröffneten zur Stelle eine Subscription*
deren Ergebniss die Kosten der musikalischen Ausbildung der Fremden
decken soll, welche man ohne Zweifel seinerzeit auf einer der Pa-
riser Bühnen wird auftreten sehen.
V* Das Pergola-Theater in Florenz wird mit der „Afrikanerin a
erÖffnet werden. Engagirt sind dort die Damen Carolina Ferni
und Mongini-Stecchi, sowie die HH. Carrion, Corsi (Te~
nore) , Giraldoni und C a p p o n i (Barytons) und der Bassist
Beccheri.
*** Der Tenorist P r o 1 1 vom Hoftheater in Cassel hat am
Operntheater in Wien als Stradella und Lionel mit günstigstem
Erfolge gastirt.
V* „Crispino e la Comare" Buffo-Oper von Ricci hat in.
Baden-Baden ausserordentliches Furore gemacht.
*** Das Victoria-Theater in Berlin wird zur Siegesfeier wieder
eröffnet werden, und zwar durch eine italienische Operngesellschaft
unter dem Director G a 1 1 i. Die hervorragenden Persönlichkeiten
der Gesellschaft sind: die Damen Sarolta (Sopran), Lombia (Alt)
und die HH. Andreeff (Tenor) und Padilla (Baryton).
*** Der junge belgische Zukunftsmusiker Pierre Benoit hat
ein Oratorium, „Lucifer," geschrieben, welches nächstens in Gent
aufgeführt werden soll.
*#* Am königl. Operntheater in Berlin wird die 300. Vorstellung
der „Zauberflöte" mit ganz neuer Ausstattung vorbereitet. Bei dieser
Gelegenheit wird Frau Harri ers -Wippern die Königin der Nacht
und Hr. B e t z den Papegeno zum ersten Male geben.
*** N i e m a n n hat mit dem k. Theater in Berlin einen Gast-
spielvertrag abgeschlossen.
*** Der Pianist Theodor Ratzenberger hat sich mit FrL
Lina Then-Bergh aus Wesel verheiratbet.
t In Jujurieux (Air -Departement) ist der Componist Jules
Ward gestorben. Er hat eine komisehe Oper, mehrere Ballet-
mnsiken und eine noch nicht bekannt gewordene grosse Oper, be-
titelt: „Vell6da," componirt.
f Vor Kurzem starb in Breslau der dort wohlbekannte Pianist
Ernemann, ein Schüler Berger's, 67 Jahre alt.
Verantw. Red, Ed. Föckercr. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
1Ä. Jahrgang»
m- &s.
17. September 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Bachhand- j
langen. j
-4
Verlag
r-
*f
Ton
i:
B. SCHOTTs SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PEEIS:
jfl.2. 42 kr. od.Th.l.lOSg.
| für den Jahrgang.
| Durch die Post bezogen :
! 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal. ]
jj^v _____ — /JL
IHHAXT: Stradella und die Contarini. — Die künftige Stellung der ehem. Hofbühnen von Hannover, CaBsel und Wiesbaden etc. — Dal
Athenäum des Hrn. Bischofoheim in Paris. — - Correspondenzen: Stuttgart. Paris* — Nachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
P. Richard.
X.
Ein Contarini als Musikfreund.
Um nur einfach die Namen, die Werke und Thaten der her-
vorragenden Männer aus der mächtigen und erlauchten Familie der
Contarini aufzuzählen, müssten wir viele Seiten, fast Bände füllen.
Der Ursprung dieses grossen Geschlechts verliert sich in die neblige
Ferne der ersten Zeiten der Republik. Während einer langen Reihe
von Jahrhunderten hat dasselbe die ersten Stellen bekleidet und
aasgezeichnete Männer jeder Art hervorgebracht. Als eine der zwölf
Wahlfamilien ging ihr Streben dahin, sich zu den Tribunen aufzu-
schwingen, welche 697 den ersten Dogen wählten, ja sie trachteten
noch höher, und zwar ohne einen anderen Anspruch als gerade ihren
Namen Contarini, Conti di Reno, Rheingrafen. Die Abkömmlinge
dieser Linie vermehrten sich so sehr, dass sie mehr als fünfzig ver-
schiedene Zweige zählte. Keine andere Familie besass eine so grosse
Anzahl von Stimmen im grossen Rath. Aus ihrem Schoosse sah man
8 Dogen und 44 Procuratoren von Sanct Marcus, die zweite Würde
der Republik, hervorgehen; daraus lässt sich leicht absehen, wie
gross ihre Macht und ihr Einfluss war. Was ihre ausgezeichneten
Männer betrifft, so wären Dichter, Historiker, bedeutende Schriftsteller
anzuführen, und wenn man der Bezeichnung dilettanti den ausge-
dehnten Sinn, welchen dieses Wort in der italienischen Sprache be-
sitzt, beilegt, so wäre leicht eine ganze Reihe von Dilettanten in
unserem Sinne zu finden, welche ihr Vergnügen in der Vorliebe für
Kunst und Wissenschaften und deren Pflege suchten und fanden.
Doch für uns handelt es sich hier nur um die Musik, und wir be-
schränken uns darauf, das Gedächtniss eines einzigen Kindes dieses
so zahlreichen Stammes aufzufrischen, nämlich das des Procorators
Marco Contarini, eines leidenschaftlichen Verehrers musikali-
scher Aufführungen.
Wir haben schon erwähnt , dass die Würde eines Procurators
die zweite im Staate und darum die von dem Adel gesuchteste war.
Es ist nicht nöthig, hier alle die zahlreichen Prärogative dieser
hohen Stellen anzuführen, doch müssen wir einige derselben erwähnen,
weil sie auf unseren Gegenstand Bezug haben. Das erste dieser
Vorrechte war die oberste Verwaltung der Sankt Marcuskirche. Die
grossen Einkünfte dieser Hauptkirche waren der Verwaltung der
Procuratoren anvertraut und somit verfügten sie über bedeutende
Gebalte und Pensionen für Musiker aller Art, Professoren Sänger
und Capellmeister. Die Casse der ersten Procuratie hatte die Ver-
pflichtung, den Castraten, welche mit dem Zeugniss des bene merito
versehen waren, die ihren ausgezeichneten Diensten sowohl auf den
Bühnen Italiens als in anderen Städten Europa's zustehenden Be-
lohnungen zu bezahlen. Zu den Vorrechten dieser hohen Beamten
gehörte auch die Oberaufsicht über die Bibliothek von Sanct Marcus
and über die Archive. Es gab Procuraturen als blosse Ehrenämter*
andere wieder waren bezahlt. Diese Stellen waren auf eine klein«
Anzahl reicher Familien beschränkt; in einigen derselben waren sie
sozusagen erblich und lebenslänglich.
Marco Contarini, einer der reichsten Patrizier seiner Zeit, besass
im Paduanischen eine Villa, einen wahren Palast, in einer Gegend,
welche man Piazola nannte; es war dies ein ehemaliges Schloss,
das im Kriege zerstört worden war und welches die Frau eines
seiner Vorfahren nebst anderen Ortschaften als Mitgift erhalten hatte.
Marco hatte dasselbe zu einem entzückenden Aufenthalte umge-
wandelt, und hier nun fanden die Feste und Vorstellungen statt,
von denen wir sprechen wollen.
Diese Herrlichkeiten, begonnen im Jahre 1670, wurden noch
1686 fortgesetzt. Es sind noch die Titel der musikalischen Dramen,
Textbücher und Analysen von einigen derselben vorhanden. Ver-
schiedene italienische Autoren, bis zum letzten venetiauischen Histo-
„riker, dem ersten Romanin, haben di« Erinnerung an dieselben
wieder angefacht, aber sonderbarerweise ist es ein französisches
Journal, „Le Mercure galant, ." welches die ausführlichsten Mit-
theilungen enthält. Manches davon verdient wiedererzählt, zu wer-
den, wenigstens auszugsweise, und dies wollen wir hiermit auch tbun.
Es ist uns gelungen, die Spur von 15 theatralischen Compositionea
aufzufinden, welche nach und nach in Piazzola aufgeführt wurden.
Wollen wir zuerst mit Hülfe des Mercure galant uns diese Resi-
denz näher besehen.
„Piazzola ist nichts als ein Flecken, zehn Meilen von Padua,
wo dieser edle Ventiaoer, welcher sehr reich ist, einen prächtigen
Palast erbauen Hess. Man hat fünf Jahre daran gearbeitet, allein
obgleich das Hauptgebäude von der Erfindung des berühmten Bau-
meisters P a 1 1 a d i o ist, so ist doch dieses Wunder der Baukunst
fast übertroffen durch den Schmuck, mit welchem M. Contarini das-
selbe verschönerte, und durch die Gebäude, welche er noch hinzu-
fügte. Dieser Palast ist sehr hoch gelegen. Zu demselben führt
eine Allee von fast einer Meile Länge. Seine Breite beträgt unge-
fähr 100 Fuss, was einen sehr angenehmen Eindruck gleich beim
ersten Anblick macht. Die Hofmauern sind sehr hübsch, und das
ganze Gebäude ist mit Canälen von messendem Wasser umgeben,
die als Reservoirs dienen, und ihr Wasser in ein grosses rundes
Bassin ergiessen, welches von grossen, mit Statuen geschmückten
Arkaden umgeben ist. Dieses Bassin ist so breit und tief, dass man
mit kleineu Gondeln auf demselben fahren kann. Auf diesen Gon-
deln veranstaltete Contarini seine Serenaden und Concerte während
des Sommers. Der Hof, welcher vom grossen Thore bis zur Frei-
treppe 250 Fuss lang ist, hat eine Breite von 500 Fuss. Er ist
umgeben von 30 Muscbelgrotten mit Nichen, in welchen Statuen
stehen, welche ebensoviele Fontainen bilden. Der Palast selbst hat
vier Stockwerke , ohne das Parterre. Jedes Fenster ist mit drei
Statuen und mit Festons von Blumen und Früchten verziert. Im
ersten Stockwerke siebt man drei Logen oder bedeckte Balkons,
rechts befindet sich ein Flügelgebäude von 170 Fuss Länge. Der
untere Theil ist mit verschiedenfarbigen Grotesken geziert. Darüber
befinden sich grosse Fenster und zwischen denselben riesige Marmor-
- 150
figuren von ungefähr 18 Fuss Höhe. Auf der linken Seite ist ein
anderer Flügel, welcher dem enteren ähnlich ist. . . . Ich würde
bu ausfuhrlich werden, wollte ich alle die einzelnen Schönheiten des
Palastes beschreiben (wir werden manches tiberspringen). Im dritten
Stockwerke findet man eine Gallerie, wo man alle erdenklichen Arten
von Instrumenten findet, und alle Opern, welche bisher in Venedig
oder wo immer aufgeführt wurden. Man darf sich nicht über diese
Sammlung verwundern, indem Contarini keine Kosten gespart hat,
um selbst die seltensten Instrumente zu besitzen. Die beiden Logen,
von denen ich früher gesprochen habe, befinden sich zu beiden Seiten
der Gallerie, umgeben von einer Art von Tribünen, wo die Musiker
und die Instrumente aufgestellt werden, um während des Mahles die
Gäste zu unterhalten . . .
„M. Contarini, der in allen Dingen grossartig ist, fügt seinen
grossen Eigenschaften auch eine aufrichtige Fiömmigkeit hinzu . . ,
Er hat überdies ein Gebäude in Form eines Klosters aufführen lassen,
mit einem Hof, der von Portiken, die auf Marmorsäulen ruhen, um-
geben ist , mit den nöthigen Gemächern zu ebener Erde zum Ge-
brauche und für den Bedarf des Hauses und mit anderen Zimmern
darüber. Er Hess auch eine Kirche bauen, schöner und grösser als
die Kirche des Fleckens. In diesen Bäumen werden 33 arme Mäd-
chen von armen Familien erzogen, für welche er eigene Frauen unter-
hält , um sie zu pflegen , sie in den gewöhnlichen Arbeiten ihres
Geschlechts zu unterrichten, und Lehrer, um sie in der Musik aus-
nubilden , welche er leidenschaftlich liebt. Da sich unter diesen
Mädchen sehr schöne Stimmen vorfanden, entschloss er sich, auch
ein prächtiges Theater zu bauen für die Opern, welche er eigens
componiren liess. Dieses Theater ist 180 Fuss lang und 60 Fuss
breit. In demselben befinden sich vier Logenreihen im Halbkreis,
vielmehr eiförmig angebracht. Man gelangt zu denselben über mar-
morne Treppen, welche mit Statuen geschmückt sind. Die Wände
und Logen sind mit Frescogemälden verziert. Das Parterre fasst
500 Personen und ist stellenweise durchbrochen, um die frische Luft
einzulassen. Unter demselben fliesst Wasser durch. Zum obigen
Zwecke ist hier wieder ein unterirdischer Raum angebracht, welcher
dazu dient , im Sommer den säramtlichen Räumen des prächtigen
Theaters Luft zuzuführen. Die Logen können ebenfalls etwa 500
Personen aufnehmen. Sie sind sämmtlich mit vergoldeten Relief-
statuen verziert. Die Decke ist ganz mit Blumen und Laubwerk
geschmückt und mit einer Menge von Spiegeln versehen , welche
das Lieht zurückwerfen und auf diese Art eine überraschende Wir-
kung hervorbringen.* *)
Die erste Oper, »Amazzoni nelV isole fortonate" wurde in
den letzten Monaten des Jahres 1679 aufgeführt. Eine Eigenthüm-
lichkeit bei der Inscenirung dieser Oper war die, dass mit Ausnahme
der Mauer- und Bauarbeiten alles Uebrige das Werk von 600 Mäd-
chen war, welche der Procurator in einem Hospital arbeiten liess.
„Alle Costüme der Mitwirkenden — sagt unser Erzähler — sind
ihr Werk, ebenso die verschiedenen Decoratiouen. Man sieht ver-
schiedene Baumdecorationen von Tapisserie-Arbeit. Die Paläste be-
stehen aus Säulen , Pilasteen und anderen Verzierungen von der
nämlichen Arbeit und bis zu den auf dem Webstuhl verfertigten
Goldstoffe u ist Alles von diesen Mädchen gemacht. Was am meisten
Erstaunen erregt, ist, dass dies Alles so geheim geschah, dass noch
wenige Tage vor der Aufführung dieser Oper Niemand ahnte, dass
«ine solche stattfinden sollte . . . Endlich war der für dieses über-
raschende Schauspiel bestimmte Tag gekommen, und die eingeladenen
Personen, sonst aber Niemand, begaben sich nach dem zu dem Feste
bestimmten Orte. Jedem Einzelnen war eine bestimmte Stunde an-
gegeben worden, um jede Unordnung zu verhüten, und sowie nun
die zuerst Bestellten sich einfanden, gab man ihnen ein Billet für
die ihuen bestimmte Loge und den Schlüssel zu derselben. Als Alle
Platz genommen hatten, wurde auf einmal der Saal durch eine grosse
Anzahl von Wachsfackeln beleuchtet, und nun sah man im Vorder-
grund des Theaters statt eines gemalten Vorhanges einen solchen
von lauter Streifen von carmoisinrothem Sammt, welche zusammen-
genäht und auf den Näthen mit Goldborten besetzt waren, und oben
wie unten war diese Art von Vorhang ebenfalls mit Goldcrepine
garnirt. Nachdem alle Eingeladenen ihre Plätze eingenommen hatten,
brachte man Lichter in jede Loge nebst einem splendiden lmbiss.
*
) „Mercure galant,' 1 Februar, 1681.
Nachdem dieser eingenommen war, verschwanden plötzlich die
Lichter, welche den Saal so glänzend erleuchtet hatten. Auch der
oben beschriebene Vorhang verschwand auf eine fast unmerkbare
Art , und nun sah man das erstaunenswertheste und prachtvollste
Schauspiel, von dem man je gehört."
Die künftige Stellung der ehemaligen Hofbühnen
In Hannover, Cassel und Wiesbaden, und deren
Beziehungen zu unserer Oper, nebst einigen Worten
über Joachim.*)
Die hocherfreuliche Vereinigung von Hannover, Kurhessen und
Nassau unter die Preussische Krone wandelt die dortigen bisher ziem-
lich reichlich unterstützten „Hofbühnen" momentan in „Stadttheater«
um, und fast vermag man sich auf den ersten Blick hin der Besorg-
niss nicht zu erwehren, dass diese Institute, an welchen berühmte
und auch bedeutende Künstler angestellt waren , von dem ersten
Range, auf dem sie standen, auf den zweiten sinken, ja vielleicht
aus der Reihe der bedeutenden Bühnen ganz schwinden könnten.
Bei näherer Prüfung wird man jedoah leicht zu dem Resultate ge-
langen, dass jede Befürchtung nicht nur eine ungegründete ist, son-
dern dass bei weiser Benutznng und Verwendung der Mittel jene
Bühnen und unsere Hofbühne aus der Umgestaltung der territorialen
Verhältnisse materielle und geistige Vortheile , also für die Kunst
und sich ziehen können und werden. — Unsere Zeitung kann als
Musik- Zeitung allerdings nur den musikalischen Angelegenheiten
ihr Hauptaugenmerk widmen — da aber die Oper die kostspieligste
Rubrik aller Bühnen ist, da die Honorare der Primadonnen und
Tenoristen und das Ballet die bei weitem grösseren Ausgaben be-
dingen, so dürfte die Lösung der Frage: welche Stellung ist den
Opernmitgliedern der annectirten Hofbühnen anzuweisen? auch die
Lösung der viel leichteren Frage über das Schauspiel in sich fassen.
Es sind zuvörderst die Subventionen in Betracht zu ziehen.
Diese sind allerdings sehr bedeutend! sie betrugen in Hannover
105,000 Thlr., in Wiesbaden 70,000 fl. (40,000 Thlr.), — die Summe,
welche dem Casseler Theater zugewendet wurde, ist uns nicht be-
kannt. In Hannover floss die Subvention rein aus der Privatchatulle
des Königs, in Cassel aus der Domänenkasse, in Wiesbaden zahlte
die Spielbank zwei Drittheile, der Rest kam vom Herzog und der
Stadt. Nun darf mau in Bezug auf Hannover nicht vergessen, dass,
was man die Chatulle des Königs nannte, bis zum Umstürze der
Verfassung durch Ernst August, den Vater des letzten Königs, zum
grossen Theile Landeseinkommen war, das meistens dem königl.
Institute unter Co n trolle zugewendet wurde. Im J. 1855 wurden
im Gehorsam für den „Bundestagsbeschluss" noch weitere Schritte
unternommen, um Gelder, die früher öffentliche waren, in Privat-
chatullengelder zu verwenden , und wir glauben die Ueberzeugung
aussprechen zu dürfen, die preussische Regierung wird Mittel finden,
die Einkünfte , welche ihren ursprünglichen Zwecken entfremdet
worden waren , diesen wieder zu widmen ; wir werden auf diesen
Punkt zurückkommen.
Die Casseler Bühne war unseres Wissens aus der kurfürstlichen
Chatulle dotirt, und der Einfiuss, der von oben her auf sie ausgeübt
wurde, war ein solcher, dass diese Bühne von der neuen Gestaltung
nur Gutes zu erwarten hat, und sich erst recht entwickeln wird. —
Am Schlimmsten dürfte es wohl mit der Wiesbadener Bühne werden;
wenn auch die Spielbank nicht sofort aufgehoben wird, dürfte sie
sich dennoch nicht mehr so grossartig entfalten als vorher, und so-
mit auch nicht so opferbereit sein; die herzogliche Unterstützung,
die doch eigentlich ebenfalls aus den Spielpachtgeldern gezahlt
wurde, versiegt auch, und die Stadt selbst kann sehr wenig thun f
denn ihre Einkünfte fliessen grösstenteils aus der unsauberen Quelle,
die sich vom grünen Tische der Roulette und der Trente et qua-
rante weiter ergiesst; es ist nicht zu leugnen, dass die Aufhebung
der Spielbanken einen momentanen starken Ausfall in den Einnah-
men bewirken wird, sowie auch andrerseits mit Sicherheit vorauszu-
sagen ist, dass in wenigen Jahren die Gesellschaft in den wirklichen
*) Aus der „Neuen Berliner Musikzeitung".
-151 -
Bädern eine viel bessere werden wird, als sie besonders in der letzten
Zeit war« und dass der wahre Wohlstand sich heben wird.
Kehren wir nun zum eigentlichen Hauptpunkt zurück, znr Han-
noverschen Bühne. Sie war durch den ehemaligen König Georg*)
in grossartiger Weise gehoben worden, und vereinigte Gesangs-
künstler, die wirklich jeder Bühne zur Ehre gereichen können —
wir nennen beispielsweise Qutiz, Nie mann und den ausgezeich-
neten Baritonisten Stägemann, den wir nur einmal in Joachim's
Concert hier zu hören und aufrichtig zu bewundern Gelegenheit
hatten. Als die prenssischen Truppen in Hannover einzogen, wurde
das Hoftheater geschlossen, und es scheint, es solle gar nicht wieder
eröffnet werden — man wollte sich wohl an den Preussen dadurch
rächen , dass man die angestellten höher stehenden Mitglieder in
ihren Gagen verkürzt und die weniger honorirten dem Elend preis-
gibt. **) Es ist hoch an der Zeit, dass die preussische Verwaltung
einschreitet, und dass unser kunstsinniger und energischer Herr von
Hülsen im Interesse der Humanität und der Kunst seinen
ganzen Einfluss anwende, um jenen Zustand einem raschen Ende
zuzuführen. Allerdings sind die Schwierigkeiten , die sich Einem
entgegenstellen, nicht unbedeutend. Das Theatergebäude ist grössten-
teils mit königlichem Gelde erbaut worden, also Privateigenthum
des Königs Georg; er kann also die Erlaubniss, dass darin gespielt
werde , geradezu verweigern. Es lässt sich aber erstens nicht er-
warten, dass er dieses Recht ganz stricte festhalte, — er konnte
allenfalls, wo es sich um seine Souveränität handelte, keine andere
Bücksicht gelten lassen, er wird aber um eines Privatrechtes willen
nicht viele Familien der grössten Noth preisgeben — zweitens aber
kann auch die preussische Regierung, die im factischeu Besitze ist,
noch Mittel finden , um eine Vereinbarung über diesen Punkt sehr
schnell herbeizuführen , und wir glauben die Behauptung wagen zu
dürfen, das« sie auf die Gefahr eines Regressprozesses hin
die baldige Eröffnung des Hannoverschen Theaters anordnen könne.
Die daselbst angestellten Künstler werden gewiss sich nicht lange
bedenken, ihre Engagements weiter fortzuführen, und auch zu unserer
königlichen Hofbühne in andere Beziehungen als die der bisherigen
Gastspiele zu treten — sie werden für längere Zeit nirgends die
Vortheile finden können, die ihnen hier geboten weiden, selbst wenn
die Normen andere werden, selbst wenn eine Wechselwirkung ein-
träte, wo bisher blos sehr theuer bezahlte Zugeständnisse stattfanden.
Wir glauben , dass diese Andeutungen vorderhand genügen , und
wollen, sobald sich irgend eine Aenderung in dem von uns ange-
deuteten Sinne hoffen lässt, unsere Ansichten und Vorschläge noch
deutlicher formuliren. Vorderhand wollen wir noch einmal darauf
hinweisen , dass eine rasche Wiedereröffnung der Hannoverschen
Bühne und zwar auf Grund der bisherigen Verhältnisse im Interesse
der Humanität wie der Kunst dringend geboten erscheint, und wir
glauben sogar, es würde das Beste sein, dass der Graf Platen be-
rufen werde, die nöthigen Arrangements — vielleicht unter der Ober-
aufsicht der hiesigen königl. Intendanz — zu treffen; er kennt das
Terrain doch noch am Besten. (Schluss folgt.)
Dm Athenäum des Herrn Biselioflfeheiui
In Paris«
*) Der König war ein aufrichtiger Freund und Beschützer der Künst-
ler, und wenn er auch die sonderbarsten Urtheile fällte, und wenn
er auch den oberflächlichsten und intrigantesten Musikmachern
dieselbe Theilnahme zeigte, wie den bedeutendsten und ehren-
haftesten, so waren doch seine Absichten immer gut — ohne ihn
wären die Verhältnisse am Theater noch zehnmal schlechter ge-
wesen. Die Wirthschaft unter dem Herrn von M a l o s t i e war
wohl die ärgste gewesen, obwohl der Graf Platen, sein Nach-
folger, noch viel gröbere Angriffe erfahren hat. Allerdings ist
die Geschichte seiner Iutendantnr eine in ihrer Art einzige. Er
war vor etwa 12 Jahren vom König nicht geliebt, kam dann in
hohe Gnade und fiel wieder — um einer Bagatelle willen. Er
war ein sehr eitler Mann, der vielleicht manchmal den Vezir
spielen mochte, aber er war sonst gutmüthig und den Künstlern
so weit freundlich gesinnt, als dies einem Hannoverschen pur sang
möglich ist. Jedenfalls aber war er der bei weitem Befähigteste
unter den bisherigen Intendanten, denn für die HH. v. Busche
und v. Maloetie wird doch wohl Niemand schwärmen.
*") Die ,,Signale* haben hierüber in ihrer letzten Nummer einen
sehr bemerkenswertben Artikel veröffentlicht.
Der neue Saal „Athenäum,* erbaut von dem Bankier Bis ch of f s-
heim in Paris zur Seite des neuen Opernhauses, an der Ecke der
tut Scribe und der rue Neuve- des 'Mathurins ist dazu bestimmt,
zu Musikaufführungen, Vorlesungen u. dgl. zu dienen, deren Rein-
ertrag ausschliesslich für milde und Bildungs- Zwecke verwendet
werden soll. Laut einer Veröffentlichung des für das „Athenäum*
eingesetzten Comite^s hat der Eigenthümer des Saales, Hr. Bischoffs-
heim, die unentgeltliche Benutzung desselben zu den obenerwähnten
Zwecken für den Zeitraum von 35 Jahren demselben anheimgegeben.
Unter den Anstalten , auf deren Unterstützung es hiebei abgesehen
ist, steht in erster Reihe die Gesellschaft, welche bereits zwei ge-
werbliche Schulen für junge Mädchen gegründet und sich die Er-
richtung solcher Schulen in allen Arrondissements von Paris zur
Aufgabe gestellt hat. Dieser Gesellschaft soll nach dem Willen des
Hrn. Bischoffsheim während der ersten fünf Jahre die Hälfte des
Gewinns zufiiessen.
Der Saal hat dieselbe Form , wie der des Gonservatoriums für
Musik, ist aber ungefähr um ein Drittheil grösser und enthält 1000
bis 1100 Plätze, welche in Logen, Gallerie- Logen, Orchestersitze,
Parterre- und Stehplätze vertheilt sind. Wöchentlich dreimal werden
hier Vorlesungen von den ausgezeichnetsten in Paris wohnenden
Gelehrten und Schriftstellern, literarische und dramatische Fragmente,
wissenschaftliche Erfahrungen, Chöre etc. vorgetragen. Drei andere
Abende der Woche werden der Aufführung grosser musikalischer
Werke unter der Leitung des Hrn. Pasdeloup und durch das von
ihm geschaffene Orchester gewidmet sein. Man wird vou Zeit zu
Zeit Oratorien, Bruchstücke aus älteren Opern, Compositionen grosser
Meister für die Orgel , aber vorzugsweise jene Gattung von Musik-
werken vorführen, welche man gewöhnlich im Conservatorium und
in den populären Concerten hört, während zu gleicher Zeit der mo-
dernen Musik und den lebenden Componisten gebührend Rechnung
getragen werden soll. Man hofft, ausser den hervorragenden Pariser
Künstlern auch die Berühmtheiten des Auslandes herbeizuziehen.
Auch bedeutende Dilettanten können sich in diesen Concerten hören
lassen, und es soll ein Theil der Einnahmen, zu welchen sie dadurch
beitragen, den von ihnen bevorzugten Anstalten und milden Zwecken
zugewendet werden.
Die auf diese Art eingerichteten Reunions werden der Pariser
Welt zur angenehmen und belehrenden Ausfüllung der ersten Abend-
stunden und den Familien als eine Ergänzung der Erziehung dienen,
welche gleichzeitig Vergnügen und Erholung gewährt.
Das Comite kündigt ferner an , dass die Eröffnung des Saals
gegen Ende October stattfinden soll , macht die Abonnements - und
Eintrittspreise bekannt und ersucht um baldige Anmeldung, da nur
eine bestimmte Anzahl von Plätzen in Abonnement gegebeu werden.
Abonnenten können passende Werke zur Aufführung empfehlen, und
es werden dergleichen Vorschläge die geeignete Berücksichtigung
finden.
Das Comite' besteht aus einer literarischen und einer musikali-
schen Abtheilung und dem Verwaltungs-Ausschuss der „gewerblichen
Schulen für juuge Mädchen."
■ H I B
CORRESPONDEKZEN.
Aus Stuttgart«
Monat September.
Unser öffentliches Musikleben hat bereits wieder begonnen, und
zwar, wie billig, mit einem Wohlthätigkeits- Concerte, das die Mit-
glieder der kgl. Hofcapelle, vereint mit jenen der kgl. Oper, zum
Besten unserer Verwundeten im Saale des Königsbaues veranstalteten.
Der Besuch war leider nicht sehr zahlreich, worau die noch sehr
sommerliche Temperatur, sowie die politische Abkühlung -theilweise
schuld sein mochte. Das Programm brachte ausser der Beethoven*-
schen , t Eroica ** deren Wahl natürlich gar nahe gelegen war, nichts
auf den Zweck Bezügliches; doch freuten wir uns, wieder die Ein«
leitung zu „Tristan" zu hören , während wir auf das Gebet aua
152 —
»Moses," den Schattenwalzer aus „Dinorah" und so manches Andere
gerne verzichtet hätten. — Mit grossem Interesse lauschte man den
Cellovorträgen des fürst1.Hohensoller*schen Kammervirtuosen Popper,
welcher in einem Molique'schen Adagio und einer Maskenballscene
eigener Compositum, „Papillom 1 ' betitelt, seinen vorzüglichen Ton,
sowie seine vollendete Technik in glänzendstem Lichte zeigte. Mit
seinem einstigen Lehrmeister J. Goltermann spielte er hierauf
noch eine ebenfalls selbst gefertigte Suite, worin die schwere Auf-
gabe, mit zwei Celli's ohne Begleitung einen voll- und wohlklingen-
den Satz herzustellen, fast durchweg auf's glücklichste gelöst ist.
Höchstens das Finale wirkt durch seine enormen Schwierigkeiten
weniger günstig ; aber die übrigen vier Sätze enthalten so viel me-
lodische, harmonische und rythmiscbe Beize, dass ihnen ungeteilter
Beifall gespendet wurde.
Unsere Bühne hat mancherlei Verluste erlitten ; wir nennen da-
runter Frau Benewitz-M ick, welche eine äusserst wohlklingende
und umfangreiche Stimme besass, und Frau Leisinger, welche
durch ideale Auffassung, poetische Gluth und hinreissende drama-
tische Gewalt sich allen Kunstfreunden unvergesslich gemacht hat.
»••• —
Aus Paris.
10> September.
V e r d i's neuestes, für die grosse Oper bestimmtes Werk, „Don
Carlos," bat bereits viel heisses Blut erregt. Der Bassist Belval
nämlich, dem die Rolle des Grossinquisitors zugetheilt wurde, lehnte
dieselbe ab, indem er behauptete, sie sei zu unbedeutend für einen
ersten Bassisten, als welcher er engagirt worden. Die Direction be-
hauptete das Gegentheil, und man legte die Affaue endlich auf die
Wage der Justiz. Die Justiz wendete sich an Arobroise Thomas,
um von diesem zu erfahren, ob die genannte Bolle eine Bolle für
einen ersten Bassisten sei oder nicht. Ambroise Thomas wollte aber
die Ehre des Schiedsrichteramts nicht übernehmen. Während nun
die Sache so stand , kam die Ordre des Maestro Verdi von den
Pyrenäen, wo derselbe in diesem Augenblick mit seiner Gattin weilt,
die Inquisitor-Rolle dem Bassisten Belval zu entziehen.
Die komische Oper gibt seit einigen Wochen Mekul's „Joseph"
mit vielem Erfolg. „Mignon" von Ambroise Thomas , wird dort
nächstens in Scene gehen.
Das The'dtre lyrique bereitet die Aufführung einer langen Reihe
neuer Stücke für die Wintersaison vor. Einstweilen zieht dasselbe
mit „Don Juan" und Gounod's „Faust" das Publikum lebhaft an.
Am 2. October eröffnet die italienische Oper ihre Vorstellungen
und zwar mit der „Sonnambula". Die Titelrolle gibt Adelina
P a 1 1 i , die für die ganze Saison, d. b. auf sechs Monate, engagirt
ist. Die Direction, die gewöhnlich vor Anfang der Saison die Liste
der aufzuführenden Stücke dem Publikum mittheilt, hat es diesmal
unterlassen. Vielleicht will sie diesem eine angenehme Ueberraschung
bereiten. Dies wäre so übel nicht, denn schon seit Jahren ist das
Programm des italienische Theaters von einer überaus ermüdenden
Einförmigkeit.
I « r li r i c h t e ii.
Paris. Der berühmte Choreograph Saint-Leon ist in aller
Eile nach St. Petersburg abgereist, wohin ihn die Verpflichtung rief,
ein neues Ballet zu insceniren, welches mit Frl. Granzow Anfangs
October zur Aufführung kommen soll. Er wird jedoch rechtzeitig
zurückkehren, um das im dritten Act des Verdi'schen „Don Carlos"
vorkommende Ballet einzurichten.
— In Folge der für den Plan eines neuen Theaters in Reims
ausgeschriebenen Concurrenz waren fünfzig Arbeiten eingelaufen, und
nachdem dieselben zehn Tage lang öffentlich ausgestellt worden
waren, entschied die zu diesem Zwecke erwählte Jury in folgender
Weise: Den 1. Preis von 12,000 Frcs. erhielt Alfons Gösset,
Architect von Reims; den 2. Preis von 3000 Frcs. Paul Gien von
Paris; eine Entschädigung von 1000 Frs. empfing A dolfThieche
von Paris. Ausserdem wurde noch drei anderen Plänen eine ehren-
volle Erwähnung zuerkannt.
— Mlle. Titjens wohnte in voriger Woche einer Aufführung
der „Afrikanerin" in der grossen Oper bei.
— Die treffliche und reisende Violinvirtuosin Mlle. Ca t er i na
Lebonys wird täglich in Madrid erwartet. Die junge Künstlerin
kehrt von London zurück, wo ihr schönes Talent ebenso lebhafte
Anerkennung gefunden hat wie in Paris.
— Wegen plötzlicher Abreise der Mlle. Granzow nach Peters-
burg, da ihr kein weiterer Urlaub von dort ertheilt wurde, muss die
erste Aufführung des Ballets: „JLo Source" um einige Tage ver-
schoben werden , und wird Mlle. S i 1 v i o n i nun die Hauptrolle
übernehmen.
*** Die in Posen neu etablirte Buch- und Musikalienhandlung
von Schlesinger & Spiro ist in den Besitz eines seltenen
Schatzes gelangt: einer bisher noch ungedruckten Coroposition Mo-
zart's. Das Werk, Andantino für Violine, Cemballo und Violon-
cello (G-dur, */* Tact), umfasst sechs enggeschriebene Querfolio-Seiten,
ä 12 Linien, und fand sich unvollendet in Mozart's Nachlass vor;
der Schluss, vom Ende der vierten Seite ab, ist von fremder Hand,
wie sich aus der Handschrift mit vieler Wahrscheinlichkeit ergibt,
von dem Abbe Stadler ergänzt worden. Die Besitzer beabsichtigen,
diese Composition des unsterblichen Meisters durch den Druck zu
veröffentlichen. (Z. Bl. f. Th. etc.)
*** Ein eigenthümlicher Fall lag unlängst den Pariser Gerichten
zur Entscheidung vor : Grosset, Professor am Conservatorium, hatte
Mlle , Marie Rose, eine talentvolle Choristin an der komischem
Oper, mit Zustimmung ihrer Eltern privatim Unterricht gegen ein
bestimmtes Honorar ertheilt, welches jedoch erst nach dem glück-
lichen Debüt der Schülerin auf der Bühne bezahlt werden sollte.
Grosset's Bemühungen waren vom besten Erfolg begleitet, denn nach
zweijährigem ernstlichem Studium erhielt Mlle. Rose den ersten
Preis im Conservatorium und wurde sogleich für die komische Oper
engagirt. Nun wurde aber von ihrer Seite Alles angewendet, um
der Bezahlung des schuldigen Honorars auszuweichen. Es wurde
nun Beschlag auf ihre Gage gelegt, ihre Freunde erhoben Protest
dagegen und man fand, dass bei der Beschlagnahme ein Formfehler
begangen wurde , in Folge dessen der Professor die empfangene
Summe wieder herausgeben und die Kosten bezahlen musste, wo-
bei man ihm von Seite des Tribunals bemerklich machte, dass er
in der That Recht habe und daher den Prozess von Neuem be-
ginnen solle.
*** In der Opera comique ist eine Conservatoristin , Mlle,
Seveste, aufgetreten und hat vermöge ihrer hübschen Stimme
und geschmackvollen Gesangsleistung, insbesondere aber durch ihr
ausdrucksvolles Spiel Aufsehen erregt.
*** Die Sängerin Frl. U b r i c h gab in Hannover unter Mit-
wirkung des Pianisten Labor ein Concert zu mildthätigem Zwecke,
welches 400 Thlr. eintrug.
*** Franz Schuberts Es-dur-Messe ist in der Wiener Hofcapelle
unter Leitung des Hofcapellmeisters H e r b e c k zum ersten Male
aufgeführt worden.
%* Am Geburtstage des Kurfürsten von Bessen-Cassel war
diesmal das Casseler Hoftheater geschlossen.
*** Capellmeister K 1 e r r vom Carltheater in Wien ist zum
Theater an der Wien übergegangen.
*** Von dem einst so berühmten und wahrhaft unvergleichlichen
Sänger - Kleeblatt Rubini, Lablache und Tamburini ist der
Letztere, welchem uulängst seine Gattin starb, der einzige Ueber-
lebende und sieht sich geehrt und geachtet von einem zahlreichen
FreuudeBkreise , geliebt von seiner ihm mit Innigkeit anhängenden
Familie. Der gefeierte Baritooist ist von der Bühne nun ganz
abgetreten und hat eine prächtige Villa bei Sevres angekauft mit aus*
gedehnten Parkanlagen, welche einst das Eigenthum der Frau von
Pompadour gewesen sein soll.
%* Mr. Gye, der Director des Coventgarden-Theaters in Lon-
don, wird während drei Monaten nach beendigter Opernsaison statt
der von Engländern geschriebenen englischen Opern und Stücke,
welche im vorigen Jahre wenig Anklang gefunden hatten, eine Reihe
grosser Concerte veranstalten, für welche er mehrere ausgezeichnete
Künstler, wie Carlotta Grisi und die HH. Sivori, Wie-
n i a w s k i etc. etc. gewonnen hat. Der sinfonische Theil dieser
Concerte wird von dem gewöhnlichen Orchester dieses Theaters aus-
geführt werden.
j_ ii — ii. , t i__.,ui im" ■ — J -mri — ■
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Watlau, Mainz.
15. Jahrgang.
JW* 39.
24. September 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DieseZeitung erscheint jeden j
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Bachhand-
langen.
? e H s |
1»
von
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
PBEIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 8g.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
L
4
5 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal. \
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co. jU, „ ^
INHALT: Stradella und die Contarini. — Die künftige Stellung der ehem. Hofbühnen von Hannover, Cassel und Wiesbaden etc. — Dm
Conservatorium der Musik in Cöln. — Nachrichten.
Stradella und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
P. Richard.
XI.
Ein Contarini als Musikfreund.
„Es erschien die Königin der Amazonen, begleitet von sechzig
Frauen, alle auf wirklichen Pferden reitend; dreihundert andere sah
man zu gleicher Zeit unter Zelten von Goldstoff. Man stelle sich
den Glanz dieser prächtigen Zelten auf dem Lagerplatz der Ama-
zonen vor, welcher von so grosser Ausdehnung war, dass man kaum
das Ende derselben erschauen konnte. Eine Menge überraschender
Maschinerien kamen in derselben Scene aus dem Boden hervor, und
ein mit sechs Pferden bespannter Wagen schwebte in der Luft.
Auch eia Phase- m it "l e bend igem Wasser kam in dieser Oper vor.
Zwei Heerhaufen rückten gegen eine Brücke vor, welche über den-
selben führte , und eine grosse Menge der Asiaten stürzte in das
Wasser. Natürlich wurden dieselben als ertrunken betrachtet, und
die Amazonen blieben von da an im Vortheil. . . . Dieses wunder-
bare Schauspiel scheint weniger eine Oper , als ein wirkliches
Zauberwerk zu sein.
„Da die meisten der eingeladenen Gäste von Venedig kamen,
so hatte der, welcher ihnen das grossartige Schauspiel gegeben,
sie auch gegen die Dunkelheit der Nacht sicher gestellt, und damit
diese Niemanden auf seinem Heimwege in Ungelegenheit bringe,
hatte man den ganzen Weg von Pizziola bis zu jener grossen Stadt
mit zahllosen Holzfackeln beleuchtet. Eine so ausserordentliche
Pracht bei einem Privatmann dürfte wohl in Erstaunen setzen ; allein
so war die Sitte des Landes.***)
Zwei Jahre nach dieser Vorstellung, am 10. November 1681,
wurde die Amazonen - Oper zum zweiten Male aufgeführt , und der
Merkur vervollständigt seinen Bericht folgenderweise : „Die Zuschauer
waren der Mehrzahl nach von sehr hohem Range, denn man sah
dort den Herzog von Mantua, den Fürst von Bozzolo, den Land-
graf von Hessen und viele Andere, sowie die Gesandten des Kaisers,
von Frankreich und von Spanien mit ihrem ganzen Gefolge und
mehrere Procuratoren und Senatoren von Venedig. Zweihundert ve-
netianische Damen und ebenso viele Adelige waren gleichfalls er-
schienen. Die Anzahl der Fremden war noch ' grosser , so dass die
Logen und sämmtliche andere Plätze überfüllt waren. Contarini
liess an Alle ohne Unterschied Opernbücher vertheilen und Lichter,
um dieselben zu lesen. Die Vorstellung dauerte vierthalb Stunden
mit vielen Abwechslungen und unter allgemeinem Beifall.
pNebst anderen ausserordentlichen Dingen sah man dort 300
Aeteurs, nämlich 100 Amazonen, 100 als Mohren verkleidete Männer,
50 sehr schön berittene Männer, Pagen, Stallmeister, Lakaien und
Kutscher, welche am Ende des Stückes eine ganz mit Goldstickerei
bedeckte Carosse über die Bühne führten. Die am meisten bewun-
*) „Mercure galant," December 1679.
derten Decorationen waren die, ein grosses Gemach, dessen einzeln«
Stücke alle aus Stickereien bestanden, vorstellende, und eine andere
von gestickten Zelten oder Pavillons, deren Anzahl wenigstens vier*
zig war."*)
Die interessante Erzählung, welche wir soeben mitgetheilt haben,
und welche an den Mercure galant, eine damals sehr beliebte und
verbreitete Zeitschrift, gerichtet war, ist das Werk eines seiner Zeit
durch verschiedene merkwürdige und gelehrte Mittheilungen und
durch seine reiche Sammlung von Gemälden, Medaillen und Büchern
sehr bekannten Reisenden, welcher sich in Venedig ziemlich lange
aufgehalten hatte. Er hatte von dort eine kleine Anzahl von Minia-
tur-Bildern mitgebracht, welche die Costüme aller Würdenträger der
Republik darstellten, und die der Verleger Nicolas Bonnart im
Stiche herausgab. Er hiess Jacques Chassebras de Cra.-
mailles, war ein gelehrter, in allen Sprachen gewandter und durch
seine späteren Schicksale merkwürdiger Mann, Ohne Zweifel ge-
hörte er zu den eingeladenen Gästen des Procurators Contarini. Wir
werden noch Manches von ihm entlehnen.
Durch ein Vergessen oder in Folge einer damals sehr gewöhn-
lichen Nachlässigkeit ist der Autor der Partitur zu den „Amazonen"
nirgends genannt, und der Historiker Burney macht in dieser Be-
ziehung folgende Bemerkung: , Während der Periode von 1660 bis
1680, in welcher Zeit nahe an 100 Opern auf den Theatern voa
Venedig aufgeführt wurden, findet man auf den Opernbüchern selten
die Namen der Dichter, Componisten oder Sänger, aber der Name)
des Maschinisten ist niemals vergessen." S. Roma-
nin**) ergänzt diese Lücke und nennt den Maestro Carlo Palla-
v i c i n i. Er fügt bei , dass bei dieser Gelegenheit eine mehr al«
fürstliche Pracht entwickelt wurde, welche die Geschichte erwähnen
muss , um zu zeigen , wie reich damals Venedig war , selbst nach
einem unheilvollen Kriege, wie der gegen Candia gewesen war.
In dem auf die Aufführung der »Amazone nell isole fortunate"
folgenden Jahre begnügte sich der reiche Musikfreund nicht mit
einem einzigen Werke, sondern er liess auf seiner Villa Bieben Opern
in Musik setzen. Zuerst eine „Berenice" von der wir noch sprechen
werden. Wir geben noch die Titel der folgenden Stücke: ,.// Cit~
tadino amante della patria, ovvero il Tello" (der vaterlandliebende
Bürger, oder Teil), operetta in musica, Gedicht von G. M. Rap-
p a r i n i ; „// Amante muto loquace" (der stumm - beredte Lieb-
haber), Gedicht von Nie. Leonardi; „La forza dcl genio" (die
Macht des Genie's) von einem unbekannten Autor. Das Textbuch
der „Amazonen" und das der „Berenice," auf welche „Wilhelm Teil"
folgte, tragen alle drei den Namen von Padua als Druckort. Di«
beiden Andern, welche wir genannt haben, sind verschieden bezeich-
net. Der reiche Mäcen, welcher wollte, dass seinem dramatischen
Etablissement in Piazzola nichts fehlen solle, hatte eine Druckerei
in dem Kloster jener Mädchen errichtet und das Theater wurde so-
gar nach ihnen benannt. Die Titel der Stücke wurden nun so ah-
*) „Mercure galant" Februar 1681.
**) „Storia documentata dt Venezia." T. VII. Venedig 1858.
- 154 -
gefasst: „Dramma rappresentato in musica nel teatro Contarino
delle Vergini di Pizziola nell anno 1680, in Pizziola, neu luogo
delle Vergini" (Dramen, in Musik aufgeführt auf dem Theater
Contarini au den Jungfrauen von Pizziola im Jahre 1680 in Pizziola,
dem Aufenthalte der Jungfrauen.)
Die bei dem Procurator versammelte Gesellschaft war zahlreich
und glänzend; es war die Blume von Venedig. Im Frühjahr ver-
liessen die Patrizier und die reichsten Einwohner die Stadt und
gingen auf das feste Land, um dort ihre Yillegiatur abzuhalten ; zu
Allerheiligen kamen sie wieder zurück, wenn die Unterhaltungen
und Theater eröffnet wurden. Carlo Contarini hatte die Genüsse der
Stadt auch auf seine Villa mitgenommen. Wir wollen noch Einiges
der Erzählung von jenen Festlichkeiten entlehnen:
„Am folgenden Tage nach der zweiten Aufführung der „Ama-
zone" fand Abends in der Allee vor dem Palaste grosse Promenade
statt. Die Herren und Damen erschienen alle in ihren sechsspän-
nigen Carossen, mehr als 150 an der Zahl. Hierauf folgte ein Ball,
auf welchem man die prächtigsten Kleider und unschätzbaren Ju-
welenschmuck sehen konnte. Am folgenden Tage fand wieder Cor so
in der Allee statt, und dann begab man sich in das Theater, wel-
ches wieder mit zwanzig Wachsfackeln erleuchtet war. Der Vorhang,
welcher die Bühne verbarg, war von carmoisinrothem Sammt mit
goldgestickten Blumen. Man vertheilte vergoldete Lichter, und in
dem Textbuche, welches Jedermann erhielt, war jede Scene in Stich
abgebildet. *) Die Aufführung war dieselbe wie am vorigen Tage
und dauerte von 6 bis 11 Uhr, fand aber so anhaltende Bewunderung,
dass wohl niemals eine Oper mit so vielen Zeichen der Genugthuung
aufgenommen wurde.
„War die erste Oper schon herrlich gewesen, so wurde sie doch
durch die „Berenice Yindicative" an Pracht der Aufzüge und Reich-
thum der Costüme noch übertroffen. Man zählte an 500 Mitwirkende,
nämlich 100 Pikenträger, 100 Frauen, 100 berittene Cavaliere, 60
Hellebardiere , Jäger, Stallmeister, Pagen, welche alle im ersten
Triumphzuge erschienen. Nichts vermöchte die Triumphzüge der
römischen Kaiser augenscheinlicher darzustellen. Man sah sieben
Wagen mit Trophäen beladen, und einer dieser Wagen war mit vier
Pferden nebeneinander bespannt. Er war 20 Fuss hoch und mit
"Gold- und Silber-Stuecatur von wunderbarer Schönheit geziert; auf
ihm thronte Berenice. Rückwärts war ein grosser Adler angebracht,
der seine Flügel über die Königin ausbreitete. Vor diesem Wagen,
dem 100 prächtig gekleidete Frauen vorausgingen, sah man jenen,
auf welchem der besiegte Feind angekettet stand. Man bewunderte
die Ordnung dieses Aufzuges, welcher ungeachtet seiner Ausdehnung
doch ohne alle Verwirrung von statten ging.
„Was aber am meisten in Erstaunen setzte, das war eine wirk-
liche Jagd auf lebende Hirsche, Bären und Eber, welche von den
Jägern getödtet wurden. Unter den Scenerien bewunderte man
vorzugsweise einen grossen Platz , einen Tempel , einen Stall mit
hundert lebenden Pferden und einer Menge von Stallbedienten; ein
-Zimmer, ganz mit Venetianer Spitzen von ausserordentlichem Werth
garnirt ; eine Carosse, die am Ende des 2. Actes erschien, und deren
Decke, Vorhänge, Portieren, sowie Pferdedecken von eben solchen
kostbaren Spitzen waren , ein anderer ganz mit seidenen Blumen
überdeckt, ein anderer mit kostbaren Steinen und wieder andere
•mit goldenen Büsten, Diamanten, Spiegeln und Goldstuccatur reich
verziert. Diese sechs Carossen enthielten Damen und Herred, wel-
che galante Lieder sangen und auf dem Theater herumfuhren, wie
mau auf einem Corso promenirt. Die Verwandlung der Decorationen
fand nicht in der gewöhnlichen Weise statt. Diese kamen aus dem
Boden heraus, und die auf dem Platze befindlichen verschwanden
mit einer das Auge vollkommen täuschenden Schnelligkeit. Alles,
was in der neuen Oper „Berenice" angewendet wurde, war verschie-
den von dem, was man am ersten Tage in den „Amazonen" gesehen
hatte. Da waren andere Costüme, andere Decorationen und andere
Musiker."**) (Schluss folgt.)
Die künftige Stellung der ehemaligen Hofbühnen
in Hannover, Cassel und Wiesbaden, und deren
Beziehungen zu unserer Oper, nebst einigen Worten
über Joachim.
*) Das Textbuch enthält 13 Abbilduugeu; es müssen also ebenso
viele grosse Decorationen vorgekommen sein.
**) „Mercure galant" Februar 1681.
(Schluss.)
Bei dieser Gelegenheit können wir nicht umhin, auf einen Um-
stand hinzuweisen, der mit der Theaterfrage in keiner Beziehung
steht, aber doch mit Hannoverschen Verhältnissen und für unser
Musikleben von höchster Wichtigkeit werden kann. Es ist allge-
mein bekannt, dass Joachim seine Stellung in Hannover aufgegeben
hatte, zuletzt aber durch wiederholte Bitten des Königs zum Ver-
bleiben bewogen worden war. Jetzt ist er durch den politischen
Umschwung entbunden. Wir können mit Bestimmtheit versichern,
dass er schon im verflossenen Winter sich nicht ganz ungeneigt ge-
zeigt hatte, seinen Aufenthalt in Berlin zu nehmen, frer^ich nur zeit-
weise und „ohne Musik zu machen". Wäre es jetzt nicht an der
Zeit, dass diesem grossen Künstler eine Stellung angeboten würde,
die ihn vielleicht zum dauernden Verbleiben entschiede? Er würde
ganz gewiss von allen Künstlern mit Freude begrüsst werden ; Ber-
lin wird der Centralpunkt des deutschen Musiklebens werden —
sollte der Gewinn eines Mannes , wie Joachim , nicht ein Opfer
werth sein?
Was nun die Bühnen in Cassel und Wiesbaden betrifft, so muss
diesen gegenüber wohl ein anderer Standpunkt angenommen werden,
als gegenüber der Hannoverschen. Bei aller Anerkennung, die den
daselbst angestellten Künstlern zu zollen ist, lassen sich doch von
ihnen Gegenleistungen nicht erwarten, wie die, welche unserer Hof-
bühne von der Hannoverschen bereits geboten worden sind *) —
und selbst wenn dies der Fall sein könnte, so ist doch schon die
grosse Entfernung als ein fast unübersteigliches Hinderniss der
Wechselverbindung in Betracht zu ziehen. Die Unterstützung, wel-
che die preussische Regierung den zuerst erwähnten Bühnen an ge-
deihen Hesse, müsste also nur zu dem speciellen Zwecke der Erhal-
tung derselben verwendet werden, ohne dass an irgend eine Com-
pensation von ihrer Seite zu denken wäre. Dagegen könnte aller-
dings unsere Hofbühne ihnen hie und da zu Hülfe kommen , und
durch die vergrösserten Einnahmen , welche ein Besuch unserer
Künstler in Cassel und Wiesbaden erzeugten, würde sich die Last
der Subvention um ein Bedeutendes mindern. Dass die künstlerischen
Zustände selbst sich heben würden, dürfte wohl ausser einigen Per-
sönlichkeiten, deren Allgewalt schwinden wird, Niemand läugnen.
Unter einer königl. preuss. Hof- Intendanz wird dem CKpellmeister
nicht zugemuthet werden, dass er ganze Stellen aus Mozart's ff Don
Juan" streiche, wie dies in Cassel vorgekommen ist, und gewisse
Wiesbadener Coulissen-Affairen, die wir nicht ohne dringende Ver-
anlassung erläutern wollen, werden mit den Veränderungen ein Ende
nehmen. Die Künstler an den Theatern der beiden Städte werden
sich sehr bald überzeugen, dass künstlerische und dienstliche Be-
ziehungen zu einem grossen Staate, der im steten Fortschreiten der
Kunst und Wissenschaft begriffen ist, auch auf ihre eigene Ent-
wicklung, auf ihre Carriere grossen und wohlthätigen Einfluss aus-
üben, und ein reges Leben wird sich entfalten zum Heile der Kunst,
des deutschen Künstlerstandes.
Was wir hier andeuten, kann allerdings nicht das Werk weniger
Wochen sein, es bedarf der Zeit und des guten Willens auf beiden
Seiten, aber im grösseren Wirkungskreise erzeugen sich auch grössere
Entwicklungen, und eine grossartige Umgestaltung, wie die in unserer
Zeit, wird nicht ohne Rückwirkung auf die Kunst bleiben.
Vorderhand gebietet, wir wiederholen es , die Humanität
ebenso wie die höheren Kunstzwecke, dass die Hannoversche Bühne
schleunigst wieder eröffnet werde.
•) Allerdings sind manche Wiesbadener von ihrem Caffieri so ein-
genommen, dass sie ihn über Wachtel und Niemann zu stellen
versuchen — aber
— 155
Das Conservatorfum der Musik In Cöln.
Das Conservatorium in Cöln entwickelt unter der Leitung eines
«ler grössten Componisten der Gegenwart , des Capellmeisters Fer-
dinand Hiller, eine von Jahr zu Jahr fruchtbarere Thätigkeit in
4er gründlichen musikalischen Ausbildung seiner Zöglinge , welche
in technischer, wie in theoretischer und ästhetischer Beziehung der
Richtung auf das Gediegene und echt Künstlerische durch das ein-
trächtige und von gleichem Geiste beseelte Wirken eines Vereins
von trefflichen Lehrern zugeführt werden. Es ist daher natürlich,
dass der Ruf dieser Anstalt weit über die Grenzen der deutschen
Lande gedrungen ist, so dass sie von Schülern und Schülerinnen
aus Amerika, England, Holland, Russland besucht wird. Einen be-
sonders erfreulichen Einfluss aber bat das Conservatorium auf die
Erziehung tüchtiger Musiker für unser näheres Vaterland , für die
rheinischen Provinzen. Wohl hat man in unserer Zeit, welche aller-
dings bei wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen oft
mehr in die Breite als in die Tiefe geht , den Cönservatorien der
Musik den Vorwurf gemacht, dass sie das musikalische Proletariat
sowohl im Ausüben als im Unterrichten beförderten. Was die Aus-
übung betrifft, so ist es gerade die handwerksmässige Abrichtung
für den nothdürftigen Broderwerb durch Musik, die sich z. B. am
deutlichsten bei den Sängern durch den allgemein gerügten Mangel
an technischer Schule und musikalischer Bildung zeigt, welcher die
Cönservatorien entgegentreten, und was das Proletariat der Musik-
lehrer angeht, so widerspricht die Erfahrung einer Vermehrung des-
selben durch die Cönservatorien, wenn die Zeugnisse, wie an der
hiesigen Anstalt, erst nach absolvirtem vollständigem Cursus und mit
strenger Gewissenhaftigkeit ertheilt werden. Wir haben hier die
Wahrnehmung vor Augen, dass unser Conservatorium den rheinischen
Orchestern in Cöln und Aachen gar manche ihrer tüchtigsteh Mit-
glieder zugeführt hat, abgesehen davon, dass z. B. in der neuesten
Zeit der junge Ludwig einer der ersten Geiger geworden ist. In
Rücksicht auf Musikunterricht sind z. B. Hr. Brambach, städtischer
Musikdirector in Bonn, die HH. Hompesch und Hülle, die am
Conservatorium angestellt sind, aus demselben hervorgegangen, und
von Privatlehrern , die sich hier niedergelassen haben , sind u. A.
Fräul. Niethen für Gesang, Fräul. Bruch, Fräul. Wer res, Hr.
Schrattenholz für Ciavier als empfehlenswerth durch Fähigkeit
und allgemeine musikalische Bildung , welche sie dem Conservato-
rium verdanken, zu nennen.
Die diesjährigen Prüfungen, in den drei letzten Tagen des vo-
rigen Monats abgehalten, fanden sozusagen bei offenen Thüren statt,
«md die Leistungen waren im Allgemeinen derartig, dass auch ein
grösseres und anspruchsvolleres Publikum, als dasjenige war, wel-
ches durch seine Anwesenheit die Theilnahme an der Anstalt und
ihren Zöglingen bekundete, seine Freude daran gehabt haben würde.
Im Ciavier- und im Violinspiel zeigte sich nicht allein das Resultat
einer guten Schule , sondern bei einer Anzahl von Schülern und
Schülerinnen echte Begabung für Musik. Unter den jungen Geigern
zeigten sich einige vielversprechende Talente.
Ganz besonders interessant waren die Leistungen der Classen
der HH. v. Königslöw, Japha und Schmit im Zusammenspiel.
Wir hörten eine Anzahl auserlesener Compositionen von Bach an
bis auf die Koryphäen der neueren Zeit. Unter Hrn. v. KönigslÖw's
Leitung trugen die jungen Schüler das Octett von Mendelssohn in
sehr befriedigender Weise vor, und bei jedem neuen Satze übernahm
ein anderer junger Geiger die erste Violinstimme, während sein Vor-
gänger an die Bratsche trat. Ausserdem kamen Sonaten und Trio's
Von Beethoven, Hauptmann, Schumann, Hiller, Gade u. s. w. zu Gehör.
Am Freitag den 31. August beschlossen die Vorträge der Ge-
sangschülerinnen der Frau Professorin Mathilde Marchesi die
Prüfungen. Die Leistungen sowohl im Chorgesange (aus „Ipbigenie"
von Gluck und „Die Liebe" von Rossini) als im Solo- und Ensemble-
Gesänge bewiesen, dass die Nachfolge des Hrn. Professors Böhme,
der aus Gesundheits-Rücksichten seine vortreffliche Wirksamkeit am
Conservatorium aufgegeben hatte, in vorzügliche Hände übergegangen
war, wesshalb es uns doppelte Freude macht, die ausgezeichneten
Leistungen der Frau Marchesi in dem hohen Grade anzuerkennen,
wie sie es verdienen. Der Vortrag von 23 Gesangstücken hinter
einander, obwohl für eine Prüfung offenbar zu viel, fesselte trotzdem
das Interesse bis zu Ende. Ein günstiges Geschick hat der Anstalt
eine Anzahl recht angenehmer, zum Theil sehr schöner Stimme«
zugeführt; unter den 12 — 15 jungen Schülerinnen haben wir fast
keine einzige Stimme gefunden, der man nicht gern zugehört hätte.
An allen jungen Damen war Liebe zur Sache und lobenswerthe Be-
nutzung der Anleitungen einer so vorzüglichen Künstlerin und Leh-
rerin, wie Frau Marchesi, wahrzunehmen. (N.-R. M.-Z.)
N n c U r i c It t e n.
München. Die Hoftheater - Intendanz spannt jetzt alle Kräfte
an, um die im Personal bestehenden Lücken zu ergänzen, und das
Theaterpublikum hat noch eine grosse Reihe von Gastspielen zu
erwarten, die sämmtlich auf Engagements abzielen. In erster Reihe
wird ein Frl. Malli nger aus Wien, die uns als begabte Anfängerin
bezeichnet wird , in den Partien der Norma und Donna Anna auf-
treten , um so ihre Begabung als Primadonna zu documentiren.
Kunstfreunde wird es interessiren zu erfahren , dass demnächst Mo-
zart's „Don Juan" dahier aufgeführt wird, und zwar mit Hinzufügung
der Originalrecitative und einiger Nummern, welche bisher stets aus-
gelassen wurden. Die Oper wird in Costümen und Decorationen
neu ausgestattet, der Text ist theilweise nach der Uebersetzung von
Wendung, und die Inscenirung nach Wolzogen's Vorschlägen.
Dann kommt die „Afrikanerin" zur Aufführung; die Partien sind
vertheilt und die Proben haben schon begonnen. Endlich wird dann
auch der längst vorbereitete „wundertätige Magus" von Calderon
mit Musik von Rheinberger die erste Aufführung erleben. (A. A.-Z.)
Wien. Im Carltheater ist am 1. September zum ersten Male
unter dem neuen Director, Hrn. Ascher, gespielt worden. Hr.
Ascher eröffnete die Vorstellung nach vorausgegangener Aufführung der
Festouvertüre von Lindpaintner mit einem sehr tactvoll verfassten,
parlamentarisch gehaltenen und geistvollen Prolog, der oftmals durch
rauschende Beifallszeichen von Seiten des Publikums unterbrochen
wurde. Hierauf folgte Langer's Lustspiel: »Ein Wort an den Mi-
nister," in welchem Ascher den Minister Kaunitz so meisterhaft
zeichnet, und die Operette „Mannschaft an Bord" von Suppe. Hrn.
Ascher wurde dieser Tage die Ehre zu Theil , vom Kaiser in einer
Audienz empfangen zu werden.
— Von den drei für das Schubert-Denkmal eingelaufenen Con-
currenz-Entwürfen, von Pilz in Wien, Wiedemann in München
und Kundtmann in Rom herrührend , ist von der betreffenden
Jury keiner angenommen worden. Der motivirte Beschluss wird
nächstens dem Plenum des Männergesangvereins mitgetheilt werden.
Jeder der drei Entwürfe wurde übrigens mit 60 Ducaten honorirt.
Brüssel. Am Sonntag den 2. September wurde das Theater
de la Monnaie mit Meyerbeer's „Hugenotten" in glänzender neuer
Ausstattung wieder eröffnet. Das zahlreiche Publikum empfing seine
Lieblinge, Mme. Erembert, Mlle. Moreau und Hrn. Vidal auf
das Wärmste, und auch der neue Tenorist Dulaurens erfreute sich
als Raimbau einer sehr freundlichen Aufnahme. — Die komische
Operette „ Voyage en Chine' 1 von Bazin erregte ungeheure Heiter-
keit und gefiel mehr durch ihr drolliges Sujet als der Musik wegen.
— Unter den Professoren der neuen Musik- Akademie in London
unter der Direction des M. W y 1 d e sehen wir auch den Namen
unseres berühmten Orgelprofessors Lemmens als Lehrer des Har-
moniums angeführt, und derselbe wird demnach wohl seine Stellung
am hiesigen Conservatorium aufgeben , um ganz nach London
überzusiedeln.
Rotterdam. Die deutsche Oper ist am 5. d. M. mit „Figaro's
Hochzeit" wieder eröffnet worden.—- Unter der Leitung Bargiel's
wird eine grossartige Aufführung der „Schöpfung" von Haydn
vorbereitet.
PdHs. Das für die italienische Opernsaison von Hrn. B agier
engagirte Säugerpersonal besteht aus folgenden Künstlern und Künst-
lerinnen: Damen: Adelina Patti, Lagrua, Castri, Calderon, Sorandi,
LIanes, Zeiss, Biancolini, Vestri, Dorsani, Gueretti, Marcus. Herren :
Fraschini, Pancani, Nicolini, Galvani, Ketten, Lervi, Arnoldi, Cresci,
Verger, Agnesi, Selva, Dobbelli, Fallar, Vairo, Zucchini, Mercuriali.
— Am 3. September wurde Eugen Walkiers, einer der aus-
gezeichnetsten Flötisten« vom einem zahlreichen Gefolge von Freunden
- 156 -
«n Grabe geleitet. Er war am 92. Juli 1798 geboren und Hess sieb
im Alter von 20 Jahren als Clarinettist bei einem Militär- Musikcorps
aufnehmen. Doch bald vertauschte er die Clarinette mit der Flöte
und nachdem er die letzten Feldzüge des Kaiserreichs mitgemacht
hatte, widmete er sich mit grösstem Eifer dem Unterrichte und der
Composition. Auf den Rath Boieldieu's verliess er Bavre , wo er
sich mehrere Jahre aufgehalten hatte, und ging nach Paris, um dort
unter Beicha's Leitung seine Studien zu vollenden. Als Flötis*
kannte Walkiers in seiner besten Zeit wohl keinen anderen Rivalen
als Tulou, und er hat eine der vorzüglichsten Flötenschulen ge-
schrieben. In den letzten 20 Jahren seines Lebens hat er viel für
Kammermusik componirt, nämlich Sonaten, Trio's, Quartette, Quin-
tette für Ciavier, Streich- und Blasinstrumente. Zwei preisgekrönte
Messen sind die einzigen Versuche, die er auf dem Felde der Kir-
chenmusik gewagt hat. Walkiers Linterliess ein Tagebuch, in wel"
chem alle seine Erlebnisse sorgfältig verzeichnet sindj und welches
werthvolle Aufschlüsse über eine Menge musikalischer Ereignisse
und Thatsacheu enthält, bei welchen er selbst betheiligt war. Er
wird auch als treulicher Mensch seinen Freunden unvergesslich bleiben.
— Die beiden Madrider Musikzeitungen „La Gazeta musicaV*
und „El Artista" haben sich in eine einzige verschmolzen.
— Der Orchesterchef Costa aus London, welcher sich gegen-
wärtig hier befindet, beabsichtigt eine Aufführung seines Oratoriums
„Naaman," welches die Runde durch ganz Grossbrittanien gemacht
hat. Es wäre dies ein interessanter Versuch im italienischen Theater,
wo David's „ Wüste" einbt so schöne Abende gewährt hat.
— Von der Oper „Zilda" ist eine sehr gelungene italienische
Uebersetzung von Zaffira soeben fertig geworden. Flotow ist
mit der Composition der Recitative zu dieser seiner neuesten Oper
beschäftigt, da mehrere Bühnen Italiens dieselbe zur Aufführung
bringen wollen.
— Im The'ätre lyrique haben Mlle. Cornelis als Siebel und
Hr. C a z a u x als Mephistopheles in Gounod's „Faust" mit Erfolg
debütirt.
— Die Ope'ra comique hat Pergolese's „Servante Maitresse"
mit Mine. Galli- Marie wieder aufgenommen. Ein junger Sänger
Hamens Falchieri hat die Rolle des Pandolphe in sehr aner-
kennenswerter Weise durchgeführt.
— - Im Theater Porte Saint- Martin wird ein grosses Pbantasie-
und Spectakelstück, „Die Pariser in London" dieser Tage zur Auf-
führung kommen. Es besteht aus Ö Acten, 23 Tableaux, und Oper
Schauspiel, Vaudeville und Ballet werden in demselben zur Vertre-
tung kommen.
*** D* a Hamburger Stadttheater wurde mit der Aufführung der
„weissen Dame" vor einem sehr zahlreichen Publikum eröffnet. Die
Aufführung selbst war für eine erste Leistung eines grossentheils
neuen Sänger- und Orchesterpersonals eine recht zufriedenstellende,
und erwarben sich Frl. Schneider und der neuengagirte Tenorist
Bohlig von Mainz besonderen Beifall. Am folgenden Tage gab
man die „Afrikanerin , tt welche trotz der 60 Aufführungen, welche
bereits stattgefunden haben, noch nichts von ihrer Anziehungskraft
verloren hat.
*** Die durch den Tod des Professors Mildner erledigte Pro-
fessorstelle für Violine am Conservatorium in Prag erhielt der be-
gabte Violinist Rebicek.
V Der Compoiiist Jacques Offenbach verweilte auf der
Durchreise von Wien nach Paris einen Tag in Salzburg, besichtigte
dort das Mozarteum und übergab vor seiner Abreise dem Redacteur
der „Salzburger Zeitung" einen Beitrag von 100 Frs. für dasselbe.
*** Hans r. Bülow ist vor Kurzem nach München zurück-
gekehrt, jedoch, wie es scheint, nur um seine dortigen Angelegen-
heiten zu ordnen, und nicht um wieder zu bleiben.
*** Alfred Jaell bringt seine Flitterwochen in Interlaken in
der Schweiz zu.
%• Der Concertist en gros Uli mann hat zu seiner beabsich-
tigten Tour durch die Provinzen Frankreichs auch den komischen
Sänger Berthelier engagirt.
*** Mit dem 1. September schloss das Jahr der Direction des
Hrn. Landvogt in Pesth. Durch eine Reihe von glücklichen Um-
ständen unterstützt, zu denen namentlich der mehrmalige Aufenthalt
Ihrer Majestäten und des Hofstaates in Pesth gehörte, erzielte der
Director Cassenresultate , deren sich seine Vorgänger nicht zu er-
freuen hatten. Im Allgemeinen ist das Pestber Publikum mit dem
Director Landvogt nicht unzufrieden, allein es hat noch manche
Wünsche auf dem Herzen, deren Erfüllung wohl mit der Zeit nicht
auf sich warten lassen wird. (Z. Bl. f. Th. etc.)
*** Bei Gelegenheit des neunten Congresses der niederländi-
schen Literatur, welcher am 28., 29. und 30. August in Gent statt-
fand , wurden unter Mitwirkung der Gesellschaft „Orpheus" zwei
grosse Concerte veranstaltet, in deren einem das grosse Oratorium
„Lucifer" von Benoit zur Aufführung kam.
*** Die Professoren J. Dupuis und C. Verken am Conser-
vatorium in Lüttich, sowie der Canonikus De vr oje, Generaldirector
der Kirchenmusik in der Diezöse Lüttich sind zu Rittern des Leo-
pold-Ordens ernannt worden.
*** Das prächtige Theater des Sultans Abdul-Medschid in
Constantinopel, gegenüber dem kaiserlichenPalaste von Dolma-Bagthe,
ist ein Raub der Flammen geworden. Dieses Theater, ein kleines
Wunder von Pracht und ein wahres Meisterstück von Kunst und
Decoration, war von S e e h a n, dem Decorateur der grossen Oper in
Paris, erbaut und kostete ungeheure Summen« Der Schaden wird
auf vier Millionen Franken angeschlagen.
*** Die italienische Oper im Berliner Victoriatheater ist am
27. Aug. mit dem „ Trovatore^ eröffnet worden, wobei der Tenorist
Andreeff sich besonders auszeichnete. Das Ensemble liess zu
wünschen übrig, und das Publikum hatte sich nur spärlich eingefunden»
*** In Linz ist die Oper „Perditta" von Barbieri mit ge-
ringem Erfolge in Scene gegangen.
*** Im Münchener Hoftheater wurde am Namens- und Geburts-
tage des Königs (25. August) die Oper „Richard Löwenherz" von
Gretry bei festlich beleuchtetem Hause und vor einem äusserst
glänzenden Publikum aufgeführt. Die Oper fand jedoch nur eine
sehr kühle Aufnahme.
*** N i e m a n n ist den neuesten Nachrichten zufolge lebens-
länglich für die königliche Oper in Berlin mit 8000 Thlr. Gage und
1800 Thlr. Pension engagirt.
*** Hr. v. Bronsart hat einen Ruf nach New- York als Lehrer
des Clavierspiels bei dem dort zu errichtenden Conservatorium
erhalten.
*** Hans von Bülow gedenkt den kommenden Winter in
Basel zuzubringen, wo er mit den HH. Abel und Kahnt Trio-
Soireen veranstalten und Unterricht geben will.
%* Das Nürnberger Stadttheater soll am 16. October wieder
eröffnet werden.
*** Das Hoftheater in Stuttgart wurde am 2. d. M. mit Weber'»
„Freischütz" und Frl. E h n n als Agathe wieder eröffnet.
f In Wien ist am 6. d.M. der unübertreffliche Komiker Friedr.
Beckmann nach langen Leiden allgemein tief betrauert gestorben.
ANZEIGE.
Der Wintercursus beginnt am 8. October. Das jährliche Honorar für den Gesammt - Unterricht beträgt fl. 150.
Die Theilnahme an einem einzelnen Fach fl. 50; an zwei Fächern fl. 90; an drei fl. 120. Ensemblespiel, wöchentlich
zwei Stunden, ist für alle Schüler gratis.
Anmeldungen sind zu richten an H. Henkel, d. Z. erster Vorsteher.
MBer Torstand.
Verantw. Rtd. Ed. Föckerer. Druck ». Carl Wattau, Mainz.
15. Jahrgang.
N* SO.
1. October 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
j* ~™~^
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
erltg
ton
Or^
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
j PREIS: ?
jfl.2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg. |
) für den Jahrgang.
j Durch die Post bezogen :
\ 50 kr. od. 15 Sgr. perQuartal.
IHHALT: Stradella und die Contarini. — Neue Vocalmusik. — Correspondenzen : Baden-Baden. Paris. — Nachrichten.
Stradeila und die Contarini.
Ein venetianisches Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert von
F. Richard.
- \r ••
XII. (Schluss.) ,
' . ... Ein Contarini als Musikfreund.
Bumer, welcher irrthümlich Padua als den Ort der ersten
.Aufführung bezeichnet, lehrt uns, dassFreschi der Autor .der Musik
war. Johann Dominik Freschi , ein Priester aus «Vicenza , erfreute
sich einer gleichen Berühmtheit als Componist kirchlicher :w$e* dra-
matischer Musik. So verhielt es sich damals fast mit allen Matrkern
und viele derselben gehörten dem geistlichen Stand an, sogar in den
höheren Würden der Hierarchie. Wir hätten schon bei Gelegenheit
der Abentheuer Stradella's bemerken können, dass mehrere hochge-
stellte Persönlichkeiten , deren Namen dort figuriren , dramatische
Schriftsteller waren, wie s. B. der Cardinal D e l f i n, Verfasser meh-
rerer Tragödien, und der Dichter Abbe" Vincems Grimani, welcher
mehrere Operndramen für die Theater Venedigs schrieb, was ihn
gleichwohl nicht hiuderte, den Purpur zu erlangen; ebenso hätten
wir den Papst Clemens XI. (Julius Rospigliosi) nennen können,
dessen Dramen im Original sorgfältig in der berühmten Bibliothek
des Cardinais Ottoboni aufbewahrt wurden.
Der Einsturz eines Neubaues , welcher zur Unterbringung der
Decorationen und der Garderobe bestimmt war, hatte den Stillstand
der prachtvollen Aufführungen zur Folge. Chassebras erzählt, dass
deren noch vier hätten stattfinden sollen , aber bei dem erwähnten
Unfälle wurden die Carossen und die Triumphwagen zerschmettert, und
darum die Festlichkeiten eingestellt. Dem Uebel muss jedoch schnell
abgeholfen worden sein, denn man findet, dass im nämlichen Jahre
drei andere Musikdramen auf einem zweiten Theater des Contarini
in Pizziola aufgeführt wurden. Von zwei dieser Dramen, „Odoacer"
nnd „die Liebeshändel des Alidaura" sind die Autoren unbekannt.
Der Titel des Letzteren ist bemerkenswerth ; er "lautet: „Amori di
Alidaura , dramma rappresentato nel secondo teatro Contarini
delle vergini di Piazzola consecrato da 8. E. il sig. Marco Con
tarini, procurator di San- Marco al divertimento di dorne e ca_
valieri, che lo favorivano in Piazzola Vanno 1680. in Piazzola
nel luogo delle Vergini, 1680, in 12*" („die Liebeshändel des AH.
daura, Drama, aufgeführt auf dem zweiten Theater Contarini zu den
Jungfrauen von Piazzola, gewidmet von dem Procurator M. Conta-
rini der Unterhaltung der Damen und Cavaliere, welche ihn mit
ihrem Besuche in Piazzola beehrten , im Jahre 1680"). Das letzte
Drama dieser Saison, „Erginda" war das Werk einer Venetianerin,
Namens Antonia Fontana.
Der Carneval von Venedig diente, wie Jedermann weiss, Jahr-
hunderte lang den reichen Müssiggängern , den Spielern von Pro-
fession und der reiselustigen Aristokratie von ganz Europa als
Unterhaltungs-Stelldichein. Mehrere Fürsten aus dem Hause Braun-
schweig waren der Reihe nach dort getreue Gäste. Der Herzog
Georg Wilhelm ging trotz der Abmahnungen seines Ministe»
viermal dahin, um seine Einkünfte zu vergeuden. Herzog Johann
Friedrich von Hannover, sein Brüder, war in den letzten Tagen
des Jahres 1679 auf der Reise dahin begriffen, als ihn der Tod
in Augsburg ereilte. Er hatte als Reisegefährten den Bischof von
Osnabrück, Ernest August, bei sich, den jüngsten von vier Brü-
dern, welchen wir während mehrerer Saisons als regelmässigen Gast
unseres gastfreundlichen Procurators finden.
Auch im Jahre 1681 befand sich der Bischof von Osnabrück
in Venedig, und ihm zu Ehren Hess Marco Contarini in seiner Villa
ein neues Operndrama, „Ermelinda," aufführen*). Diesmal wählte
er als Dichter den Doctor Fr. Mar. Piccioli von Padua, einen
damals beliebten Librettisten. Die neue Oper scheint jedoch von
geringem Werth gewesen zu sein; gleichwohl gab man sie hierauf
im Theater San Fantino zu Venedig unter dem Titel: „Costanza
fortunata in amore" und wiederholte sie später in Piazzola unter
dem ursprünglichen Titel.
Es ist wahrscheinlich, dass die wiederholten Besuche eines
souveränen Fürsten einigen Einfluss auf die Art der Schauspiele
übten, welche der Procurator veranstaltete, denn mit Ausnahme der
Wiederholung der „Ermelinda" im Jahre 1685 , der „Amori di
Alidaura 11 im Jahre 1686 und eines , t Auridalba" betitelten Draraa's,
das letzte, dessen Spur wir finden konnten, begegnen wir nur einer
Reihe von musikalischen Festen, welche ausschliesslich bestimmt
waren , die Anwesenheit des souveränen Gastes zu verherrlichen.
Verschiedene hübsche musikalische Dichtungen, aufgeführt von den
Jungfrauen von Piazzola, tragen dasselbe Datum, 1685, und flössen,
was die Gedichte anbelangt, aus der Feder des paduanischen Dich-
ters Piccioli, welcher, damit noch nicht zufrieden, sein Werk noch
mit einer Composition, **) „L'Orlogio di piacere," krönte, welche
die Stunden des ergötzlichen Aufenthaltes des Herzogs Ernst von
Braunschweig in Piazzola bei Marco Contarini schildert und seiner
Hoheit von dem Dr. Piccioli gewidmet ist. Es ist ein sehr selten
gewordenes Buch , welches aber immer nel luogo del Vergini ge-
druckt wurde.
Nach allen diesen Herrlichkeiten, welche aus einer uns so
fernen Zeit datiren und wie ein Mährchen aus „Tausend und eine
Nacht" erscheinen , können wir glücklicherweise constattren , dass
dies nicht Alles verloren ist, und dass uns mehr als ungewisse Er-
innerung davon übrig geblieben ist. Wenn auch die Macht der
der Contarini erloschen ist, so lebt doch der Ruhm dieser erlauchten
>)
Serenis. favori 8 E. il siguor Marco Contarini, proc. dt
San- Marco, nel luogo di Piazzola. Padova, per P. M. Tram-
botto, 1681, 12*. — Piazzola nel luogo delle Vergini, 1685 t
in 12*."
**) „L'Orlogio del piacere, che mostra l'ore del dilettevole sog-
giorno tenuto dal duco Ernest o die Brunsteich, nel luogo di
Piazzola di 8. E. Marco Contarini, proc. di S. M. consecrato
dal Dr. Piccioli alV Altezza sua, in Piazzola, nel luogo delle
Vergini, 1685, in 4* con rami."
158 —
Familie noch immer in Venedig. Diese grossen und bedeutenden
Persönlichkeiten haben überall die Spuren ihres erleuchteten Dilet-
tantismus zurückgelassen ; als grosse und grossmüthige Bürger haben
sie die Paläste und Museen ihres Vaterlandes mit Kunstwerken an*
gefüllt, welche ihr Glück und ihren Buhm ausmachten. Seit dem
16. Jahrhunderte haben sie der Bepublik eine ganze Sammlung von
griechischen Inschriften, Medaillen und Antiken von unschätzbarem
Werthe geschenkt. Ein Friedrich Contarini, Procurator zu San-Marco,
hatte diese Schätze noch vermehrt, indem er mit grossen Kosten aus
Constantinopel, aus Athen, aus Morea ein ganzes Museum von Sta-
tuen kommen Hess und sie dem Vaterlande und dem Publikum über-
gab. Eine zahlreiche Sammlung von kostbaren Documenten war
unter dem Titel „Libraria Contarini" schon seit langer Zeit einer
der Hauptschätze der Bibliothek von St. Marcus, als im Jahre 1843
einer der letzten Contarini, der Graf Gieronima, Ritter des goldenen
Vliesses, den Werth derselben noch erhöhte durch die Schenkung
des kostbarsten Theiles seines Archivs, enthaltend Ünica-Manuscricte
aus dem 16., 17. und 18. Jahrhunderte. Der grossmüthige Schenker
Hess es nicht dabei bewenden, sondern hat auch noch der Akademie
der schönen Künste , welche ein acht venetianisches Museum ist,
seine ganze, ausserordentlich werthvolle Gemäldesammlung vermacht,
so dass ein nach ihm benannter Saal 110, ein anderer 66 Gemälde
enthält. Was von den dramatischen Vorstellungen in Pizziola übrig-
geblieben ist, hatte kein minder glückliches Loos. Derselbe hohe
Geber hat die Bibliothek von St. Marcus damit beschenkt, und dort
kann man nun die Sammlung von 150 Partituren studiren , welche
man ehemals auf jener Villa aufführte; dort auch findet man in ihrer
Reinheit die Cantaten unseres Stradella.
Gewiss vermag Alles, was der Procurator Marco für die Musik
und für die Musiker gethau hat, den Abscheu vor dem Mörder
Stiadella's nicht zu vertilgen , allein wo fände man einen grossmü-
thigeren Musikfreund ? Kann man die Liebe zur Musik weiter treiben,
als dass man zu gleicher Zeit eine Musikschule, eine Instrumenten-
sammlung, eine Musikbibliothek, eine zahlreiche Truppe von Sängern,
ein vollständiges Orchester und endlich zwei grosse Operntheater
eiue Reihe von Jahren hindurch errichtet und unterhält?
Wir haben zwar auch in unserer Zeit noch hochgestellte Kunst-
freunde, darunter sogar Fürsten, und es gibt deren, die sich an das
Componiren wagen, aber ihre Art und Weise, die Künste zu ermu-
thigen hat sich einigermassen geändert; heutzutage hält man sich
vorzugsweise an die subventionirten Theater.
Neuere Yocalmusik.
Eine kritische Rundschau.
I.
Wenn man in diesen bewegten Tagen, welche das allgemeine
Interesse von allen so eiteln Dingen, wie schöne Wissenschaften und
Künste unwiderstehlich abziehen und für ihre tiefernsten , fast an
die Existenz rührenden Neuigkeiten in Beschlag nehmen, mit irgend
einem für Fachleute berechneten Artikel vor die Oeffentlichkeit tritt,
so muss man Ehren halber jene bekannte Entschuldigungsformel
aufsagen, welche Beit ein paar Wochen an der Spitze jedes grosseren
nicht politischen Zeitungsaufcatzes figurirt; auch wir haben hiermit
d-era Ernste der Zeit den schuldigen Tribut gebracht, und bitten den
dazu geneigten Leser uns auf einer kleinen Wanderung durch die
„Sangesblüthen" dieses nicht nur in der Temperatur ziemlich frosti-
gen Sommers zu folgen.
Der Beurtheiler eines Gesangsstückes hat vor Allem darnach zu
fragen, ob der Text glücklich gewählt ist; sodann, ob die musika-
lische Einkleidung auf denselben passt, ob sie nicht zu viel oder zu
wenig, oder gar etwas ganz Anderes sagt; ferner ob das musikali-
sche Material an sich neu, originell und schön sei ; endlich ob das
Ganze auch den berechtigten Ansprüchen auf Klarheit, Sangbarkeit,
überhaupt practische Ausführbarkeit genüge. Der gtösste Theil der
Gesangsproducte der Jetztzeit laborirt an der sichtbaren Angst, eines
der beiden Extreme zu vermeiden, deren berüchtigteres — die soge-
nannte Bänkelsängerei, welche durch characterlose Öüsslichkeit und
Fasslichkeit einer verderblichen Popularität nachstrebt — nicht viel
schlimmer ist als die byperkluge Ausdrucksdttftelei, welche sich vor
jeder gesunden Melodie scheut und schon so manches Lied schuf,
das niemals gesungen wird. Wer aber der Scylla zu ängstlich aus-
weicht, geräth gewiss auf die Charybdis. Um so erfreulicher ist es,
manchem Piloten zu begegnen, der zwischen beiden glücklich durch-
segelt, ohne in der Alles nivellirenden Salzfluth elendiglich zu
versinken.
Einer nun jener Glücklichen ist vor Allem Johannes Brahms,
unter dessen neueren Liedergaben die Gesänge aus Tiek's „Mage-
lone" obenan stehen. Vorzüglich gelungen darin ist das romantische
Colorit, das sich in manch' seltsamer Harmonie oder cbaraeteristi-
scher Begleitungsfigur ausspricht. Am liebsten sind uns Nr. 2 durch
etwas herbe aber schlagende Plastik und Nr. 3 durch seine tiefe
Innigkeit und Gluth ; eine kleine, nach Des-dur modulirende Stelle
erinnert an eine ähnliche in Schubert's „junger Nonne". Sonst sind
indess bei Brahms die wenigsten Reminiscenzen zu finden; so ist
z. B. in seinem ebenfalls bei Rieter-Biedermann erschienenen Op. 32
Alles durchweg neu, theilweise fast zu eigenartig, wozu allerdings
die gewählten Gedichte einiges beigetragen habdn mochten ; die Perle
von allen ist unstreitig das letzte: „Wie bist du meine Königin
wonnevoll" etc., womit jeder nur einigermassen mit Poesie begabte
Sänger seine Zuhörer zu bezaubern vermag.
Ein Geistesverwandter des Vorgenannten , Max"Bruch, der
sich noch mehr als durch seine Oper „Loreley" mit den herrlichen
„Scenen aus der Fritjofssage" die Hochachtung aller Parteien er-
rungen hat, beschenkt uns mit 4 Gesängen (Op. 18, Schott's Söhne),
worunter uns besonders das erste : „Volkers Nachtgesang" (das präch-
tige Gedicht ist von Geibel) durch Kraft und Schwung aufs wohl-
thuendste überraschte. Der Mittelsatz: „Mein grünes Heimathleben' 1
in E-dur ist voll tiefer Innigkeit, auch im Colorit gar characteristisch
gehalten. Auch das „provencalische Liebeslied" ist hübsch empfunden,
und die Begleitung interessant ausgeführt. Das ganze Heft, Jul.
Stockhausen gewidmet, ist allen Baritonisten auf's Beste zu
empfehlen.
CORRESPONDENZEN.
Aus Baden -Baden.
12. Seplembtr.
Das Geburtsfest S. K. H. des Grossherzogs ist dieses Jahr in
Baden-Baden mit ausnahmsweiser Feierlichkeit begangen worden.
Auch die Musik lieh ihre mächtige Stimme der kirchlichen Feier,
indem am 9. Sept. in der katholischen Kirche vor einer zahlreichen
Zuhörerschaft eine Messe mit grossem Orchester von FranzSchwab
von Strassburg aufgeführt wurde, welcher schon durch zahlreiche
Werke bekannt ist, wie z. B. durch seine Oper: „Les Amours de
Sylvio" die in Baden-Baden und in Strassburg mit grossem Erfolge
zur Aufführung kam, sowie durch viele in den Conversations - Con-
certen executirten Compositionen.
Sagen wir sogleich, dass die Messe von F. Schwab einen ausser-
gewöhnlichen Erfolg hatte , sowohl als Composition , welche ein
grosses Talent verräth, wie auch als Ausführung, welche ganz vor-
züglich war. Jedenfalls war diese Feierlichkeit eine Entschädigung
für die zu seltene Aufführung von guter Kirchenmustk in Baden-
Baden , und F. Schwab hat den Beweis geliefert , dass der ernste
Kircheustyl, ohne einen Augenblick die melodischen Schönheiten zu
vernachlässigen, ihm ebenso geläufig ist wie der moderne Opernstyl.
Instrumentirung , meisterhafte Harmonisirung, Erhabenheit, breiter
und edler Melodiengang, Alles das erinnert an die alten Meister in
diesem Genre und zeugt von den ernsten Studien des Autors.
Was die Ausführung betrifft, so war dieselbe so vorzüglich, wie
man sie selten in Baden - Baden zu gemessen die Gelegenheit hat.
Die Ausführenden waren das treffliche Orchester unter Leitung von
Könnemann, die Theaterchöre von Strassburg und Baden und die
Solisten (ein seltenes Glück für einen jungen Oomponisten) die ita-
lienischen Künstler vom Theater, nämlich die Damen Vital i und
Grossi und die HH. Nicotin! und Agnesi.
Eine detaillirte Analyse dieses bedeutenden Werkes würde uns
su weit führen, wir begnügen uns, nur der hauptsächlichsten Schön-
heiten Erwähnung zu thun. Das Kyrie (in D-moll) beginnt mit
einer breiten und imposanten Phrase der Bässe, welche dann vom
- 139 -
'Chor wiederholt wird, dessen Sehluss, nur ron den Pauken begleitet,
eine neue und ergreifende Wirkung hervorbringt. Das Gloria (in
F-dur) contrastirt durch seinen Glanz gegen die Mässigung des vor-
hergehenden Satzes; eine gut gearbeitete Fuge krönt das Ganze.
Die berühmten Solisten hatten hier Gelegenheit , ihre herrlichen
Stimmen glänzen zu lassen. Das Cre'do , die gewöhnliche Klippe
für Kirchencomponisten , ist hier geschickt behandelt und besonders
gut für Stimmen geschrieben; man konnte sich davon überzeugen,
als Vitali, Grossi, Nicolini und Agnesi sich im Incamatus zum
Quartett vereinigten, welches reich an vocalen und instrumentalen
Schönheiten ist. Das Sanctus für 3 Solostimmen und Chor ist eines
der grossartigsten Stücke der Messe. Das Thema, welches die rei-
chen Instrumente des Orchesters zuerst präludiren, wird von den
Solo-Frauenstimmen sodann angestimmt und vom Chor piano und
crescendo wiederholt. Dieser Satz ist von sublimer Reinheit, der
rührende Ausdruck, der diesem Engelsgesange eigen ist, verleiht ihm
trotz seiner Weichheit eine gewaltige und unwiderstehliche Erhaben-
heit. Die ganze Zuhörerschaft war auch sichtlich davon ergriffen.
Das Benedictus ist ein Solo - Quartett. Der Componist hat auch
hier wieder eine melodische Inspiration zu Papier gebracht, die einen
lebhaften und warmen Eindruck zurücklägst. Das Agnus Dei, mit
welchem die Partitur schliesst, ist meiner Ansicht nach sowohl im
Styl wie in der Factur das Capitalstück der Mesae. Nach einem
von den Blasinstrumenten unterstützten Chore wird das Motiv des
Kyrie mit Glück wiedergebracht um sich in ein majestätisches tutti
aufzulösen, welches das Ganze erhebend schliesst.
Aus Paris.
24- September.
Der Entschluss Verdi's, die Rolle des Grossinquisitors in seinem
„Don Carlos" dem Sänger David anzuvertrauen, hat den Prozess
zwischen B e 1 v a 1 und der Direction der grossen Oper kein Ende
gemacht, und das Tribunal wird zu entscheiden haben, ob die ge-
nannte Rolle für einen ersten Bassisten geschrieben iat oder nicht.
Vier Acte des Verdi'schen Werkes Bind bereits einstudirt. — Vorige
Woche haben auch schon die Scenenproben der „Alceste" begonnen.
Die komische Oper bereitet , wie ich Ihnen schon gemeldet,
mehrere Stücke zur Aufführung vor. Von diesen wird zuerst „Mignon"
von Ambroise Thomas in Scene gehen ; hierauf v Le fils du
Brigadier" von Victor Masset, ein Werk, welchem sehr viel
Gutes nachgerühmt wird. Dieser Tage werden auch die Proben
eines neuen Werkes von A u b e r beginnen.
Während die Triumphzüge Adelina Patti's in Deutschland
die Blumengärten in Contribution setzen und unzählige Journalisten-
federn beschäftigen, setzt ihre Schwester C a r 1 o 1 1 a die Musen in
Bewegung. Alexander Dumas, der Vater verfasst nämlich
eigens für sie einen Operntext nach einer Episode seines bekannten
Romans: u Le Comte de Bragelonne" ; Flotow wird zu diesem Text
die Musik schreiben. Hr. Ul 1 m a n n hat mit dem Dichter und Com-
ponisten unterhandelt, und wie es heisst, sind die Contracte bereits
unterzeichnet.
„Haroun-al-Raschid," das neueste Kind der Offenbach'schen
Laune, welches dem Publikum des Variete'-The&ters hätte vorgeführt
werden sollen, wird nun im The'ätre du Chdtelet zur Darstellung
gelangen, und wie man versichert, mit seltenem Glänze.
Das italienische Theater beginnt am 2.0ct. seine Vorstellungen
mit der „Sonnambula". Adelina Patti singt die Titelrolle.
Die Bovffes Parisiennes haben Sonnabend unter einer neuen
Direction die Wintersaison eröffnet. Offenbach hat diesem von ihm
gegründeten Theater untersagt, seine Stücke aufs Repertoir zu setzen.
I a c li r i c li t e n.
Mainz. Die artistische Direction unseres Stadttheaters zeigt an,
dass in der kommenden Saison 120 Abonnement- Vorstellungen statt-
finden und dass die Bühne am 2. October eröffnet wird. Aus der
bekannt gemachten Liste des engagirten Personals heben wir fol-
gende Besetzung der Hauptfächer der Oper hervor: die HH. Mühl-
dorf er, erster und Claus, zweiter Capellmeister; Hagen, Helden-
und Spiel-Tenor ; Fischer-Achten, erster lyrischer Tenor ; Leh-
mann, erster Bariton; Lind eck, erster Bass; Bahr, erster ftass-
Buffo. In zweiter Reihe stehen die Tenoristen Köhler und Wei tzel,
Baritonist T h e i s e n und Bassist Leonhard. Ferner sind engagirt
die Damen: Frl. Hentz, dramatische Sängerin; Frau Barnay-
Kreuzer, jugendliche dramatische Sängerin und höhere Opern-
Soubrette; Frau Skalla-Borzaga, erste Coloratur-Sängerin ; 'Frl.
Wolff, Altistin; Frl. Herbold, Opern- und Vaudeville-Soubrette;
Frl. Merbitz, komische Alte in Oper und Vaudeville.
Sondershausen. Hr. Fried r. Marpurg verlässt zum allge-
meinen Bedauern seine hiesige Stelle als Hofcapellmeister, um sich
an die Ufer des Rheins zurückzuziehen. Das Programm seines Ab-
schiedsconcertes am 23. Septbr. bestand aus: I. Theil: Ouvertüre zu
„Medea" von Bargiel; Vorspiel zu „Lohengrin" von Wagner; Sin-
fonie in C-moll (Nr. 6) von Beethoven. IL Theil: Ouvertüre zu
Byron's „Manfred" von Schumann; „Tasso," Lamento e Trionfo,
sinfonische Dichtung von Liszt.
Hannover. Die hiesige Hofbühne wird fortan unter der artisti-
schen Leitung des Hrn. von Bequignoles, bisher Regisseur in
Wiesbaden, stehen und ist bereits wieder eröffnet worden. Der König
von Preussen hat sämmtlichen Angestellten des Hoftheaters mittheilen
lassen , dass er alle bestehenden Verpflichtungen Obernehmen und
das Theater auf dem bisherigen Fusse fortgeführt wissen wolle. Die
Gagenabzüge werden vom 1. d. M. an nachgezahlt.
Strassburg. Am 2. Septbr. feierte der Elsässische Sängerbund
in Benfeld sein 8. Gesangsfest unter Direction von L. Liebe, bei
welchem u. A. ein Chor: ,,Mon Pags* von Liebe und „Noel* von
Adam, für Männerchor und Blasinstrumente von Liebe arrangirt, sehr
beifällig aufgenommen wurden. Die Socie'te 1 Choräle von Strassburg
sang Abt's „Abschied vom Vaterland" mit vortrefflicher Präcision.
Paris. Mlle. N i l 8 s o n , schreibt die »France musicalc" hat
bekanntlich einen Theil des Sommers in England zugebracht; man
wusste daher nichts Besseres zu thun, als sie zur Braut eines reichen
Banquiers in London zu machen. Es wäre wohl möglich, dass dieser
reiche Banquier das Theater ihrer Majestät ist, welches in Wirk-
lichkeit der Mlle. Nilsson eine wahre Goldbrücke gebaut hat, um
die Unterzeichnung eines Vertrags mit der „Königin der Nacht"
herbeizuführen.
— Wenn es noch keine „Ente" gäbe, so würde die „Flrance
Choräle" dieselbe erfunden haben, wie man aus folgendem, von ihr
in allem Ernste erzählten Wunder schliessen kann. Ein alter Po-
saunist, ein Bewohner des Meuse-Departements , dem wohl bekannt
war, dass man mit einiger Geduld Papageyen, Staare und Raben
singen lehren kann, gab sich die Mühe, eine der Enten auf seinem
Hofe zu unterrichten. Er wählte zu diesem Zwecke ein sehr junges
Exemplar und spielte ihm in einem abgelegenen Gemache, fern von
allem Geräusche, dieselbe Melodie jeden Tag 200 Mal nacheinander vor.
Die junge Ente fing bald an, einige den Tönen ihres Meisters ent-
sprechende Laute zu stottern. Nach Verlauf von sechs Monaten
kannte der gefiederte Zögling seine Noten, und jetzt singt die Eute
zum grossen Erstaunen der ganzen Gemeinde ganz deutlich die'
ersten acht Tacte der Melodie. Der Eigenthümer der Ente will
nach Paris geben, um das Talent dieses seltenen Vogels auszubeuten.
— Die musikalische Presse von Paris wird bei der demnächsti-
gen Wiederaufnahme der Oper „Astorga" durch Hrn. Gasperini
vertreten sein.
— Das Mauerwerk des neuen Opernhauses ist fast ganz voll-
endet. Man beschäftigt sich nun mit den Ornamenten, Basreliefs,
Gruppen und Statuen; die Arbeiten werden mit dem grössten Eifer
betrieben.
— Im The'ätre lyrique wird der „Freischütz" in nächster Zeit
mit der vollständigen Musik von Weber, ohne Abänderung und nach
der neuen Uebersetzung von Trianon gegeben werde. Die Haupt-
rollen befinden sich in den Händen der HH. Michot und Troy,
der Damen D a r a m und Schröder. Letztere ist eine deutsche
Sängerin, welcher man bedeutenden Erfolg voraussagt.
— Die von mehreren Blättern gebrachte Nachricht, dass der
Hofbai ldirector Strauss für die Dauer der Ausstellung von 1867
im Industriepalaste in den Champs-Elysees Monstreconcerte unter
der Leitung des Hrn. Pasdeloup veranstalten werde, ist vollkom-
men unbegündet.
H« W -York. Carl Anschütz wird, wie es heisst, ein Conser-
vatorium für Musik in hiesiger Stadt errichten. Ein solches Unter-
- 160 -
nehmen, auf solider Basis rntd nicht lediglich in der Absicht errichtet,
snf die leichteste Weise das meiste Qeld zu verdienen, würde augen-
scheinlich segensreich für New- York sein. Competente Kräfte, welche
als Lehrer an dem Institute beschäftigt werden könnten, gibt es genng.
*** (Marmor-Flöten.) Solche existiren nur zwei; die eine
befindet sich in der Sammlang des Fürsten Demidoff and die
andere gehört dem Violoncellist S er vais in Brüssel. Sie sind beide
nach der modernen Form von einem Marmorarbeiter in Carrara ge-
schnitten, gebohrt und ausgerüstet, und sind die einzigen Exemplare,
die ihm gelangen sind. Diese in ihrer Art einzigen Instrumente
sind vollkommen rein in der Stimmung, da natürlich die Tempera-
tur keinen Einfluss auf das Material derselben ha,t, und der Ton der-
selben ist merkwürdigerweise ausserordentlich sanft und angenehm.
%* Wie Europa, so besitzt auch die neue Welt viele Männer-
gesangvereine und 40 derselben haben sich kürzlich inLouisville
(Kentucky) zu einem grossen Qesangfeste zusammengefunden. Die
Staaten Indiana, Illinois und Ohio, welche grossentheils von deut-
schen Einwanderern bevölkert sind, waren dort zahlreich vertreten,
und so flatterte denn die schwarz- roth- goldene Fahne lustig neben
dem Sternenbanner der amerikanischen Bepublik. Eine prachtvolle
Festhalle, welche 4000 Personen f aaste, war zu diesem Zwecke mit
grossen Kosten errichtet worden, und der Festzug war äusserst glän-
zend und belebt. Das Fest dauerte drei Tage. Ob auch das in der
alten Welt bei solchen Anlässen herkömmliche Deficit sich eingestellt
hat, davon wird nichts gemeldet.
*** Die Sammlung von Briefen Beethoven's, welche, trotzdem
dass der Meister sich häufig der Schreibfaulheit anklagt , schon in
sehr grosser Anzahl bekannt sind, wird noch um ungefähr 300 Num-
mern vermehrt worden, welche A. T h a y e r mit der von ihm ver-
fassten Biographie Beetlioven's herauszugeben beabsichtigt. Auch
Jahn scheint im Besitze mehrerer noch unveröffentlichter Autogra-
phien von Beethoven zu sein.
\* In Paris werden nächstens fünf neue Theater eröffnet: das
Theater des Menüs - Plaisirs auf dem Boulevard Strassburg, ein
aweites in der Rue Lafayette, ein drittes in der Rue Saint- ff onore*,
ein viertes in Passy und endlich das alte Theater Saint Germain,
gänzlich umgebaut und unter dem Namen The'dtre des Folies
Saint - Germain.
*** Die Londoner Theaterdirectoren ergreifen, wie es scheint,
jedes Mittel, um das Publikum anzuziehen. Hier ist eines unter
Mehreren: Im Jahre 1766 führte man im Coventgarden-Theater eine
Bouffonerie auf, betitelt: „Mol her Goose" (Mutter Gans), welche
ungefähr 20,000 Pfund Sterling (240,000 fl.) eintrug.— Hr. Cave,
der Director des Clerkenwell-Theaiers, kam nun auf die Idee, diese
Farce nach Verlauf eines Jahrhunderts wieder auf die Bühne zu
bringen, und er kann sich dazu gratuliren, denn das Publikum strömt
massenhaft zu den Vorstellungen herbei.
*** Alexander Dumas ist mit eiuem Operntexte für Frl.
CarlottaPatti beschäftigt, zu welchem, wie man sagt, Flotow
die Musik liefern soll. Das körperliche Gebrechen (ein merkliches
Hinken), welches bisher Carlotta von der Bühne fernhielt, soll ein
notwendiges Attribut der ihr bestimmten Rolle sein; die von dem
Autor ausersehene Heldin des Stückes wäre nämlich MHe. d e 1 a
Valliere, welcher trotz einer leichten Hüftenlähmung ein so glän-
zendes Loos zu Theil wurde.
%* Die Gattin des Componisten Verdi war früher als G i u-
seppina Strepponi eine in Italien berühmte Sängerin, welche
besonders in der Rolle der Abigail in Verdi's „Nabucodonosor," deren
erste Trägerin sie war, grosse Triumphe feierte. Nach ihren glän-
zenden Erfolgen in dieser Rollo zog sie sich von der Bühne zurück,
und vermählte sich dann mit Verdi, zu dessen Rahm sie als Sängerin
soviel beigetragen hatte.
*** Das 15. der Musikfeste in Norfolk und Norwich , welche
von drei zu drei Jahren stattfinden, wird am 29., 30. und 31. Oct
und am 1. und 2. Nov. abgehalten. Die Hauptwerke, welche zur
Aufführung kommen, sind: „Naaman" von Costa (vom Componisten
dirigirt); „St. Cäoilia," von Benedict eigens für dieses Fest com-
ponirt; Bruchstücke aus der „Passion" von Händel (noch nirgends
aufgeführt); die „Schöpfung" von Haydn und „Messias" von Händel.
Die Solisten sind die Dameu Titjens, Ruder sdorff, Wynne,
Sinico, Demeric-Lablache, Anna Drasdil und die HH:
£ims-Reeves, Cummings, Morini, Santley, Weiss und
G a s s i e r. Chor und Orchester bestehen aus 400 Personen , und
Dirigent ist Jules Benedict.
*** Die HH. S e r v a i s und Leonard, deren beabsichtigter
Austritt aus dem Brüsseler Conservatorium so allgemeines Bedauern
erregt hatte, haben auf dringendes Anliegen des Ministers des Innern
der für ihre Erhaltung bedeutende Opfer bewilligte, sich entschlossen»
in ihrer bisherigen Stellung zu verbleiben.
*** Die Mitglieder des Correctionstribunals in Paris waren
kürzlich unfreiwillige Zuhörer eines Concerts für Blechinstrumente.
In einem Prozesse nämlich , welchen der bekannte Erfinder und!
Fabrikant der „Saxinstrumente" genannten Familie von Blechinstru-
menten gegen unbefugte Nachahmer seiner Erfindungen anhängig
gemacht hatte, wurden die betreffenden Instrumente zur vergleichen-
den Beurtheilung vor dem Gerichtshofe gespielt.
*** Die jugendliche Violinvirtuosin Therese Liebe, welche
in letzter Saison in London concertirte, wird diesen Winter nach
Paris gehen , um ihre Studien bei A 1 a r d fortzusetzen und dann
auch dort sich hören zu lassen. Zur nächstjährigen Saison wird sie
wieder nach London gehen.
*** Die durch den Tod des Dr. A. B. Marx erledigte Pro-
fessur der Musik an der Universität in Berlin ist dem Musikdirector
H. Bellermann, welcher sich durch sein „Lehrbuch vom Contra-
punkte 11 und eine Schrift „über die Mensuralnoten und Tactzeichen
des 15. und 16. Jahrhunderts" bekannt gemacht hat, verliehen worden.
*** Ein Sohn des Tenoristen Th. Wachtel hat kürzlich in
Linz seinen ersten theatralischen Versuch als Stradella gewagt und
viel Beifall gefunden.
%* Am 20. v. M. wurden in Wien bei Wiedereröffnung der
Hofoper durch die „Afrikanerin" Streichinstrumente voigeführt, wel-
che nach einem neuen, von Dr. Liharczik erfundenen Systeme-
gebaut sind. 20 Violinen und 2 Bratschen dieser neuen Construc-
tion wurden, nachdem der ganze erste Act mit Instrumenten der
bisherigen Art gespielt worden war, vom zweiten ab an deren Stelle-
gesetzt, und war man dortigen Blättern zufolge allgemein angenehm
überrascht von der nunmehr dem Streichorchester inne wohnenden
grösseren Klangfülle und Schönheit des Tones. Besonders sollen
die hohen Töne der E- Saite in dieser Beziehung so erheblich ge-
wonnen haben , dass nunmehr viele bisher noch ziemlich unschön
klingende hochliegende Stellen ganz andere Wirkung machten.
*#* Hr. v. Hülsen, General -Intendant der k. Schauspiele in
Berlin, ist nach Cassel und Wiesbaden abgereist, um die Umgestaltung
der dortigen Bühnen in kgl. Theater an Ort und Stelle zu leiten.
*** Eine neue Composition von N. W. G a d e , . betitelt : „Die
Kreuzfahrer" ist in Copenhagen mit grossem Beifall aufgenommen
worden. Das Werk besteht aus drei Tbeilen : „In der Wüste" —
„Armida" — „Gen Jerusalem," und dauert etwa eine Stunde. Die
Hauptpersonen sind: Armida, Rinaldo und Peter der Eremit.
*** In Wien geht man mit dem Plane um, den enormen Auf-
wand am Hofoperntheater zu beschränken, besonders in Bezug auf
das Ballet, und diese Anstalt, sobald die bestehenden Verbindlich-
keiten er thunlich erscheinen lassen , an einen Unternehmer zu
verpachten.
*** Frl. Grün vom Hoflheater in Cassel ist für die k. Oper
in Berlin engagirt worden.
*„* S. Thalberg hat seine Villa am Pausilipp verlassen, um
seine Familie in Deutschland zu besuchen.
%* Die Londoner Sängerin Frau v. Rudersdorff ist wieder
für drei Gewandhausconcerte in Leipzig engagirt worden.
*** Hr. Julian Kornea ist zum Director des Conservatoriums
für Musik in Madrid ernannt worden.
*** Für das Breslauer Stadttbeater ist Dr. Leopold Dam-
r o s c h als Capellmeister engagirt.
f In Darmstadt starb am 5. September der berühmte Waldhorn-
virtuose G. Seb. Thomas, geb. 1793; in Leipzig am 9. Sept.
W. Chr. PÖgner, geb. 1808, ehemals als Bassist ein ausgezeich-
netes Mitglied der dortigen Bühne, in der letzten Zeit als MuBik-
und Gesanglehrer thätig.
f In Oudenarde starb am 9. Sept. Henri Behrens, Professor
des Violinspiels an der dortigen Musikschule, ein sehr tüchtiger und
dabei bescheidener Künstler.
Verantw. Red. Ed. Fächer er, Druck v. Carl Wallau, Mainz-
15. Jahrgang.
JW± SM.
8. October 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jedes
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
?•(!•!
von
lungen.
•^
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PREIS:
jfl.2. 42 kr. od.Th.l.i8Sg.
\ für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
""?
.\
< 50 kr. od. 15 Sgr. perQuartal
INHALT: Das Publikum. — Ein Salon und ein grosser Künstler unter Napoleon I. — Literatur. — Correspondenz : Stuttgart. — Nachricht»».
Das Publikum.*)
Sonderbar ! Jeder gehört doch zum Publikum und Jeder spricht
tob ihm als von einer dritten, fremden Person, Viele wohl gar ver-
ächtlich. Weh* dem, der den Pöbel für das Publikum hält! In jedem
Publikum gibt es einen Pöbel. Es ist der gedankenlose , scandal-
leckende, gewinndürstende, umberträtschende, herumlungernde Haufe,
dem nichts recht ist als der Lärm, der in steter Schwankung wogt,
und dessen Atmosphäre eine anrüchige ist. Wenn man ihm seinen
Willen thut, so schimpft er darüber, dass man es gethan, und wenn
man ihn nicht erfüllt, darüber, dass es nicht geschehen. Ein hohles
Bohr ist er für den , welcher sich auf ihn stützen will , ein spitzer
Stahl für jenen, der sich vor ihm fürchtet, und in eine Nussschale
verkriecht er sich vor dem , welcher ihm ein männliches Drohwort
zuschmettert. Dieser Pöbel kann ohne Leithammel nicht existiren,
und jeden Moment kann man eine andere Meinung in ihn hinein-
pferchen: Einer sagt, man müsse froh sein, er jubelt; ein Anderer,
man müsse trauern, er heult; ein Dritter, dieser oder jener sei ein
vortrefflicher Mann, er vergöttert ihn; ein Vierter, er tauge nichts,
er steinigt ihn. Der Pöbel will in Furcht gehalten sein; wer ihn
nicht tyrannisirt, den hält er für schwach und spottet seiner.
Ob Zeiten kommen werden, in denen kein Pöbel sein wird?
Trotz der Verschiedenheit des Publikums vom Pöbel bestehen doch
zwischen beiden gewisse Familienzüge , welche beide als verwandt
erkennen lassen. Ein Teufel ist nur ein gefallener Engel und ein
Pöbel ein gefallenes Publikum. Es ist etwas Curioses um ein Pub-
likum ! Da steht es mitten in dem Gewirre der Parteien , in dem
Orkane der Leidenschaften, mitten unter Liebe und Hass, Gesinnung
und Gesinnungslosigkeit. Von allen Seiten wird es angeschrieen, der
Eine malt ihm die Sache schwarz, der Andere weiss; Dieser stopft
ihm etwas Bitteres, Jener etwas Süsses in den Mund; hier kommen
Paläste, dort Bettlerhütten ; jetzt soll es weinen, dann soll es lachen.
Die verschiedenartigsten Individualitäten, die kunterbuntesten Toll-
heiten und Weisheiten wälzen und drängen sich ihm entgegen. Und
mitten in diesem Tumulte steht das Publikum in ewiger Grösse, den
Einzelnen oft untergeordnet und doch über Alle erhaben.
Ihr, die ihr auf irgend einer Tribüne vor dem Publikum steht,
blickt nicht verächtlich auf dasselbe herab und glaubt nicht, dieser
Vielkopf habe keinen Kopf. Aber noch weniger haltet ängstlich
euer Hörrohr hin und lauscht auf jedes Stimmchen, und wenn ihr in
irgend einer Ecke den Wunsch hört, ihr solltet doch eine Schellen-
kappe aufsetzen und Kapriolen schneiden, so beeilt euch nicht, es
zu thun. Keiner wage es, sich zum Herrn der öffentlichen Meinung
aufzuwerfen, doch auch Keiner sei ihr Sclave. Willst du ein Pub-
likum beherrschen , so lasse ihm nie deine Gewalt fühlen , sei um
keinen Euphemismus verlegen, nenne Rosenbande, was Eisenfesseln
sind» Scheine dich seinen Launen zu fügen. Ein Publikum hasst
alle Tyrannei und ist selbst der grösste Tyrann. Ein Publikum hat
kein Oedächtniss : heute trägt es dich auf den Händen, morgen zer-
*.
*) Aus „Zellaer's Bl. f. Th., M. u. bild. K."
reisst es dich. Es baut stets seine Folterkammer gleich neben seinen
Freudentempeln. Der Mund, der sich öffnen will um Bravo zu rufen,
spitzt sich leicht zum Zischen. Es macht nur einen Schritt von
einem Krönungshügel zu einem tarpejischen Abgrunde. Früher beten
sie keinen Menschen an, als bis sie ihn gekreuzigt haben. Ein Pub-
likum, das du eben zu Thränen der Rührung und Wehmuth bringst,
kannst du die Minute drauf vor Lachen bersten sehen, wenn du im
Feuer der Rede den Frack sprengst. Die Gunst eines Publikums
ist aalglatt, man glaubt sie festzuhalten und sie entschlüpft unter
den Händen. Ein Publikum ist ein Schilfrohr, es beugt sich bis zur
Erde vor dem anstürmenden Winde, doch es bricht nicht, und wenn
die Kraft des Windes aufhört, so richtet es sich wieder empor, als
wenn es sich nie vor ihm gebeugt hätte.
Man braucht einen dicken eiserneu Mauerbrecher, um heutzutage
durchzudringen. Das Publikum ist so weit gekommen, dass es so-
gar eine türkische Trommel hören kann , ohne stehen zu bleiben.
Wo von allen Seiten Stimmen ertönen, da achtet man nicht so leicht
auf eine. Dem Ruhme wird alles Gute dick gebrockt vorgesetzt,
dir wird, wenn du's auch anders verdientest, die kleine Schale wäss'-
riger Suppe in einen Winkel gesetzt. Flieg' zur Sonne , Niemand
schaut hinauf, weil dich Niemand kennt. Wehe dir, dass du einen
Namen hast, sonst hättest du dir längst einen Namen gemacht. Das
Publikum wird täglich grösser. Schallwellen, die früher nur einen
kleinen Kreis von Menschen zu durcheilen hatten, müssen jetzt immer
weiter und weiter dringen. Die Zeiten , wo man ein Publikum
blenden konnte, wenn man mit der linken Hand eine Volte schlug,
sind vorüber. Es reisst nicht mehr den Mund auf, wenn Jemand
kalraukisch spricht, und hält nicht mehr geduldig die Augen hin,
um sich Sand hineinstreuen zu lassen. Ein Publikum wird von
genialen Schriftstellern gleichsam mit Stricken in die Höhe gezogen
und geniesst dort, ohne eine feste Basis errungen zu haben, in reiner
Luft freie, erhebende Aussicht, veredelnde Anschauungen. Wenn
aber, sei es durch Tod oder durch was immer für andere Umstände,
die Wirksamkeit dieser Schriftsteller aufhört und sie die Stricke aus-
lassen, dann fällt das Publikum, welches erst eben zuvor in lichten
Höhen geschwommen, auf unreinen Moorgrund herab und lässt sich
dort besudeln, von eklen, platzigen Kröten sich umhüpfen.
(Schluss folgt.)
Ein Salon und ein grosser Künstler unter Napoleon I.
Madame R6camier war die schönste und geistreichste Frau
des Directoriums und unter der Regierung Napoleon's I.; selbst noch
in den Zeiten der Restauration bis weit in die Regierungsperiode
des Königs Ludwig Philipp ward sie hoch gefeiert von den Bestes
aller Kreise ; bei ihr fand man die Häupter aller Dichterschulea,.
Chateaubriand und Masset, die ersten Diplomaten, den frommen Ers-
bischof von Parts nnd die Rachel. Sie war mit allen gleich liebens-
würdig, aber die Tonkünstler hatten sich ihrer besonderen Aufmerk»
samkeit zu erfreuen, denn sie liebte Musik leidenschaftlich.
162 -
Unter dem Kaiserreich stand sie noch in voller Blttthe ihrer
Schönheit und die Spitzen aller Klassen der Gesellschaft versammelten
sich bei ihr ; nach dem Salon der Kaiserin Josephine war jener der
Madame Recamier der gesuchteste , und dort hörte man auch die
beste Musik, dort wurden Haydn's Arien aus der „Schöpfung" und
seine Sonaten am Besten aufgeführt. Der Träger des Gesanges in
dem Hause der ausgezeichneten Frau war Garat, seiner Zeit ein
so berühmter Tenorist, als jetzt die Herren X. Y. Z. — er hatte vor
diesen höhere klassische Bildung und jenen Künstlerstolz voraus,
der nach obenhin dieWürde wahret, Gleichstehenden gegen-
über jedoch die Rücksichten der Collegialität und die Gebote des
Anstandes immer aufs Genaueste einhält. In seinem hohen Alter
wurde er freilich kindisch eitel, aber eines behielt er, das warme
Herz für die Kunst und für die Mitstrebenden.
Eines Abends war Garat bei Frau Recamier geladen, um seinem
Versprechen gemäss eine Arie aus dem Oratorium von Haydu »T>ie
sieben Worte des Erlösers" zu sing'en. Eine zahlreiche Gesellschaft
von Künstlern und grossen Herren war versammelt, um diesen sel-
tenen Genuss zu theilen. Unter den Letztgenannten befand sich
auch der Herzog X., einer der vielen Altadeligen, die es zuletzt be-
quemer gefunden hatten, die Regierung des „corsischen Usurpators"
anzuerkennen, um wieder zu Ehren und Gütern zu gelangen, als iu
der Treue für den angestammten Fürsten zu hungern. Diese Hemm
hatten sich zwar in der Politik den neuen Verbältnissen gefügt, ihre
gesellschaftlichen Principien waren aber noch die alten, sie blieben
so viel als möglich zusammen , um die vilains von sich fern zu
halten, uud besonders die Begegnung mit Künstlern, mit come'diens,
chanteurs und joueurs de cluvecin war ihnen unerträglich; unter
ihnen ragte der obenbezeichnete Herzog als Prototyp des alten
Kastenhoch muths hervor.
Garat ward lange erwartet, er kam auch, aber mit verzweifeltem
Gesichte — er war so heiser geworden , dass er unmöglich einen
Ton hervorbringen konnte. Er war selbst gekommen, damit sich
die liebenswürdige Hausfrau , die Freundin und Beschützerin der
Künstler selbst überzeugen könne, dass nicht etwa eine Lanne ihn
bewog, sein Versprechen nicht zu halten. Mme. Recamier tröstete
den Künstler so gut es ging, und kündigte der Gesellschaft an, dass
sie den erwarteten Genuss auf einen anderen Tag verschieben müsse.
Der Herzog, der eigentlich gekommen war, um die Kirchenmusik
zu hören, war durch diesen Aufschub nicht sehr erbaut; noch grösser
ward aber sein Unwille, als er Garat gewahrte, der, obwohl er nicht
sang , sich in der Gesellschaft bewegte und dort auch gut aufge-
nommen ward. Mit dem Kinn in der Cravatte ging der grosse Herr
auf Mme. Räcamier los und fragte sie ganz laut: „Das ist doch
ganz unbegreiflich, dieser Garat singt nicht, was macht er denn
eigentlich hier?" „Er macht sich lustig über alberne Tröpfe, Herr
Herzog" (M'amuser des sots, Monsieur le Duc) sagte der Künst-
ler, der hinter dem Fragenden stand. Sprachlos starrte der grosse
Herr den Sänger eine Weile an , dann drehte er ihm den Rücken
und meinte zu Mme. Recamier: „Hören Sie, waB sich der Sänger
bei Ihnen herausnimmt?" „Er ist hier zu Hause, mein Herr," ant-
wortete die Hausfrau. Dsr Herzog verschwand aus der Gesellschaft,
aber alle Künstler und Schriftsteller drängten sich von nun an um
ihre gefeierte Beschützerin und widmeten ihr alle möglichen Hul-
digungen. (Berl. N. M.-Ztg.)
I
^ »»o
Literatur.
Fest-Ouvertüre für grosses Orchester, zur 25jährigen
Stiftungsfeier des Pesth-Ofener Conservatoriums, com-
ponirt von Robert Volkmann. Op. 50. Pesth,
bei G. Heckenast.
Diese Festouvertüre ist ein Gelegenheitsstück, welches jedoch
durchaus keine der Schwächen zeigt, welche derartigen, oft übereilt
hingeworfenen Compositionen nur zu häufig ankleben, sondern im
Gegentheil durch Noblesse der Erfindung, durch lebhaften, natür-
lichen Fluss der Gedanken, durch gewandte Factur und glänzende,
effektvolle Instrumentation sich in hohem Grade auszeichnet. Es
wird daher dieses Werk des geistvollen Componisten allenthalben
•ich als ein sehr passende« Repertoiratück für Orchesterconcerte
empfehlen, und gerade die characteristischen nationalen Anklänge,
die darin enthalten sind, dürften demselben einen besonderen Reis
verleihen.
Drei Gesänge. „Sie siegt" von Almers, „Elegie" von
Max Huber und „Die Taube," nach Walter Scott
von Freiligrath, für gemischten Chor componirt
von J. Muck. Op. 10. Leipzig, bei C. F. Kahnt.
Der Gomponist genannter Gesänge hat schon früher sich in
diesem Genre n»it Glück versucht, und auch die uns vorliegenden
Lieder können wir mit gutem Gewissen auf das Beste empfehlen,
da dieselben der Ursprünglichkeit der Erfindung, des schönen Flusses
der Melodien uud der interessanten Stimmführung wegen au den
besseren Erzeugnissen der betreffenden Gattung gezählt werden dür-
fen und bei sorgfältig vorbereiteter Ausführung ihre Wirkung nicht
verfehlen, wie wir uns selbst zu überzeugen schon Gelegenheit ge-
habt haben. E. F.
CORRESPONDENZEN.
JLus Stuttgart.
Anfangs Oetober<
Am 27. Sept. gab eine früher unserer Hofbühnen angehörige
Sängerin, Frl. Elise Richter, ein Kirchenconcert, worin sie einen
hübschen Psalm von Martini , sodann das bekannte Händel'sche
„Heilig," das ursprünglich eine Liebesarie: „Dove sei* in „Rode-
linda" war, und endlich die noch bekanntere, unter Stradella's Name
coursirende „Pregbiera" vortrug, deren Styl so sehr jenem Pergolese's
gleicht, dass wir sie unbedingt diesem Meister zuschreiben möchten.
Frl. Richter besitzt eine höchst kräftige , in der Mitte gar wohl-
klingende Altstimme, die indessen etwas schwer anspricht; auch ist
der Uebergang in die tiefen Brusttöne zu wenig vermittelt, was wir
bei so vielen Altistinnen zu beklagen haben; Technik und Vortrag
erschienen grossentheils als befriedigend. Unterstützt wurde das
Concert durch unseren neugewonnenen Hofsänger Bertram, der
zwei Arien aus , Elias" und „Paulus" mit seiner klangvollen Bariton-
stimme, einige longueurs abgerechnet, zu bester Wirkung zu bringen
wusste, — dann durch die „Metallharmonie," einen kleinen, aus den
tüchtigsten Bläsern unserer Hofcapelle bestehenden Blechmusikverein,
deren meisterhafter Vortrag ernster Sätze uns schon oft erfreute, —
und endlich durch Hrn. E. Tod, der sich in einem mit genannter
„Metallharmonie" vorgetragenen gewaltigen Choralvorspiel und der
schwierigen Passacaglia von Seb. Bach als routinirter Orgelspieler
zeigte. Bezüglich der Begleitungen, welche derselbe ebenfalls mit
Vollkommenheit ausführte , möchten wir den Wunsch ausdrücken,
dass Singstücke, deien Accompagnement sich häufig in wiederholten
gestossenen Accorden bewegt (z. B. lg:), die einmal der Natur des
Instruments völlig widersprechen, entweder gar nicht auf der Orgel
begleitet würden , oder dass man wenigstens die gehörigen Aende-
rungen träfe, natürlich ohne dem Wesentlichen der Compositum zu
nahe zu treten. Auch sei man bei Concerten jeder Art bedacht,
nicht Stücke von gleicher Tonart aufeinander folgen zu lassen,
was das Ohr ziemlich ermüdet; diesmal z. B. kamen vier Nummern
in Es-dur unmittelbar nacheinander, was offenbar daran lag, dasi
man bei Entwurf des Programme« begreiflicher Weise nicht nach
den Tonarten fragte.
Im nächsten Concert des „Singvereins" kommen u. A. zur Auf-
führung: Chorlieder von MendVssohn (Morgengebet), Fr. Lachner
(Abendlied), Gretry (aus „LÖwenheri"), Attiuger, E. Tod, L. Stark
(Frauenchöre aus dem bei Falter & S. in München erschienenen
Op. 52), Terzetten von Chelard (aus „Macbeth") und Cimarosa (ans
„Matrimonio srgretto'), schliesslich derLiedercyklus: „Dichterliebe"
nach H. Heine von R. Schumann. — Auch der „Verein für classische
Kirchenmusik" wird demnächst seine Tbätigkeit wieder aufnehmen,
nachdem Hr. Prof. F a i s s t nach glücklich beendigter Cur in neu-
gestärkter Gesundheit zurückgekehrt ist. T.
— 163 -
Nachrichten
Mainz, 4. October. Das hiesige Stadttheater ist unter der ar-
tistischen Leitung des Hrn. Director Behr am vergangenen Sonn-
tag mit Mozart's „Zauberflöte" eröffnet worden, welcher am Montag
„Don Carlos* und am Dienstag Gounod's „Faust* folgte. Wir waren
vom Besuche dieser Vorstellungen abgehalten, hören aber, dass die
beiden Opern, namentlich aber die „Zauberflöte," in sehr befriedi-
gender Weise vorgeführt wurden , und dass namentlich die Damen
Frl. Hentz, Frl. Wolff und Frau Skalla-Borzaga, sowie die
Herren L i n d e k (Sarastro und Mephistopheles) und Leouhard
(Papageno) vielfachen Beifall erhielten. Weniger günstig lauten die
Urtbeile über die Aufführung des „Don Carlos". Wir werden nicht
verfehlen, sobald wir die nöthige Uebersicht über die Leistungen
des Opernpersonals gewonnen haben, unsere Ansicht über dieselben
mitzutheilen. E. F.
CÖln. Die Concert- Gesellschaft wird zehn Winterconcerte im
Oürzenich unter Leitung des städtischen Capellmeister Hrn. Ferd.
Hiller geben, und es sollen in dem ersten derselben die Sinfonia
eroica von Beethoven und das Requiem von Cherubini zur Auffüh-
rung kommen.
Wien. Hr. Aloys P o k o r n 7 ist als Regisseur am Carltheater
engagirt.
— Der k. k. Kammersänger Dr. Schmid, welcher bekanntlich
in der Schweiz sehr bedenklieb erkrankt war, ist nach seiner glück-
lichen Wiederherstellung nun wieder dahier eingetroffen uud wird
bald wieder auftreten.
— Der Componist Zaytz hat beim Carltheater eine neue Ope-
rette: „Zwei Paar Geschwister" eingereicht.
— Die „philharmonische Gesellschaft* wird in ihren diesjährigen
Concerten folgende Orchesterwerke zur Aufführung bringen: von
Beethoven die 6., 8. und 9. Sinfonie, die Musik zu „Egmont" und
„Leonoren 1 *- Ouvertüre N° 2; von Mozart: Sinfonie in D-dur und
„Serenade"; von Haydn: Sinfonie in G-dur; von Mendelssohn: Sin-
fonie N* 3 (A-dur) und Hebriden-Ouvertüre ; von Weber: Ouvertüre
zu „Oberon" und „Aufforderung zum Tanze u ; von Berlioz: ,,Car-
neval romaine"; von Schumann: Sinfonie N° 2 und „Ouvertüre,
Scherzo und Finale"; von R.Wagner: Faust-Ouvertüre; von Gade:
ßinfouie N* 1. Als Novitäten: Suiten von Raff und Lachner; Sin-
fonien von Hiller und Bargiel.
— Frl. Aglaja von Orgenji, welche ihr Engagement am
Berliner Operntheater aufgegeben hat, weil sie bei der Siegesfeier
nicht mitsingen wollte, ist am hiesigen Hofoperntheater als Aniina
in der „Nachtwandlerin" aufgetreten und hat vielen Beifall geerntet.
— Das Conservatorium wird der herrschenden Epidemie wegen,
gleich den übrigen Schulen, erst am 15. October eröffnet werden.
Brüssel. Nach dem Tode der Gattin des verdienstvollen, hoch-
bejahrten Directors des Conservatoriums, Hrn. F£tis, ging das Ge-
rücht , dass derselbe diese Stelle niederlegen wolle. Seitdem hat
Hr. Fetis mit unbegreiflicher Ausdauer den endlosen Prüfungen des
Conservatoriums beigewohnt, so dass man berechtigt war, jenes Ge-
rücht für unbegründet zu halten. Gleichwohl hat sich dasselbe
neuerdings, und zwar in verstärktem Grade, wieder vernehmen lassen,
und man fängt im Publikum bereits an , die Bewerber um seine
Stelle am Conservatorium zu mustern, unter welchen wohl Gevaert
die hervorragendste Capacität sein dürfte.
Paris. In der italienischen Oper soll „Saffo" von Pacini
wieder aufgewärmt werden , obwohl diese Oper bei ihrem ersten
Erscheinen auf derselben Bühne vor mehr als 20 Jahren nach drei
Vorstellungen wieder vom Repertoir verschwand und selbst von den
Trägern der Hauptrollen, Mlle. Grisi, Rubini, Lab lache und
Tambur ini nicht gehalten werden konnte.
— Der Senator und Intendant der kaiserlichen Theater, Graf
Bacciochi, ist, 63 Jahrealt, gestorben.
— Der neue Saal „Athenäum" wird Ende October eröffnet
werden. In den drei von Pasdeloup dirigirt6n Wochenconcerten
wird an einem Abende ein Oratorium, am andern eine sinfonische
Musik und am dritten Abende eine Auswahl von verschiedenen
Compositionen für Orchester und Gesang zur Aufführung kommen.
Unter den Werken, deren Vorführung beabsichtigt ist, befinden sich :
die vollständige Musik zu „Struensee" von Meyerbeer und das
Oratorium „Israel" von Händel, welche beiden Werke wahrscheinlich
in der ersten Woche aufgeführt werden. Auch Costa's Oratorium
„Naaman" soll im Laufe des Winters gegeben werden unter Faure's
und Mlle. Patti's Mitwirkung.
— Die Einnahmen der Theater, Concerte und öffentlichen Schau-
stellungen aller Art betrugen im Monat August 1,054,427 Frcs.
— Im The'ätre lyrique wird nächstens die Oper „Sar danapale"
von Victorien Joncieres gegeben werden; in der Rolle der
Myrrha wird Frl. Hebbe, eine schwedische Sängerin, debütiren.
(Dieselbe ist vor ein paar Jahren in Frankfurt und Mannheim mit
mittelmässigem Erfolge aufgetreten.)
— Die Opinion nationale bringt am 31. Juli in ihrem Feuille-
ton unter der Ueberschrift: 1t Les oeuvres inedites de Rossini* ein
Verzeichniss von Compositionen, welche Rossini grösstentheils in der
Zeit von etwa 1857 bis Mitte 1866 in Passy (bei Paris) geschrieben
haben soll. Es werden da angeführt etwa 50 Stücke verschiedener
Art für Gesang mit und ohne Begleitung, grösstentheils über fran-
zösische und italienische Texte ; ferner mehr als 60 Stücke für Cia-
vier allein uud eiuige Compositionen für Ciavier mit Begleitung
anderer Instrumente. Von sämmtlichen Tonstücken sind nur wenige
bekannt oder gedruckt worden, so z. B. ein „Gesang der Titanen,"
welcher in Wien in einem Concerte für das Haydn -Denkmal zur
Aufführung gelangte, ein in der Zeitschrift La Maitrise gedrucktes
salut aris für vier Singstimmen u. s. w. Von den übrigen machen
wir folgende namhaft: eine kleine vierstimmige Messe mit Begleitung
zweier Pianoforte und eines Harmoniums; ein Canon anti-savant
ä trois voix, de'die' aux Turcos par le Cygne de Pestaro; Reci-
tativo ritmato (Text von Dante); Hymne für Bariton und Chor;
Choeur de chasseurs de'mocrates, für Männerstimmen, zwei Trom-
meln und Tamtam; Ave Maria, für Frauen- und Männerstimmen;
Echantillon melodique sur les noires de la main droite, für Piano-
forte ; Pre'lude, Theme et Variation pour cor et piano ; un mot a
Paganini, Elegie für Violine und Pianoforte; kleine Caprice : style
Offenbach, für Pianoforte ; Recueil semi-comique de 66 morceaux
pour le piano, u. s. w. Der letzterwähnten Sammlung Ciavierstücke
(welche sämmtlich Ueberschriften haben, z. B. „Les figues Seches"
„Pre'lude convufsif,' 1 „ Valse anlidansante ," „Spe'cimen de mon.
temps" „Spe'cimen de Tavenir" u. s. w.) ist folgende, mit Rossiui's
Namen unterzeichnete Notiz beigefügt: u Je de'die ces Pe'chc's de
vieillesse aux pianistes de la quairieme classe , ä laquelle jai
l'honneur d'appartenir."
— Carvalho, der Director der komischen Oper, hat Mme.
Talvo Bedogni engagirt für die Rolle der „Deborah" in der
gleichnamigen Oper von Duvivier.
— Rossini bat sich endlich entschlossen, seine Messe zu in-
strumentiren, uud man hofft, dieselbe kommenden Winter zu hören.
— Der „Moniteur" enthält ein kaiserliches Decret vom 27.
September, zufolge dessen die Stelle eines General -Intendanten
nicht mehr besetzt werden soll. Durch dasselbe Decret ist Camille
Doucet, Mitglied der Akademie und Director der Theater-Admi-
nistration zum Generaldirector dieser Behörde ernannt worden.
— Von Verdi's r Don Carlos" ist nun auch der 5. Act bereits
gelesen worden, und es dürfte die Oper schon im kommenden De-
cember zur Aufführung gelangen.
— In der Opera comique wird man den „Sommernachtstraum "
von A. Thomas wieder aufnehmen, und Mme. Cabel zum ersten.
Male die Rolle der Elisabeth singen.
— Der Titel der neuen Oper von Dennery und C o r m o n,
zu welcher Auber die Musik schreibt, lautet: „Le premier jour
de bonheur".
London. In einem der letzten Concerte des Hrn. Mellon im
Crystallpalast ist der Violinvirtuose Wilhelmj von Wiesbaden
aufgetreten und hat enthusiastischen Beifall geerntet. In dem vor-
hergebenden Concerte Hess sich eine Flötistin, Frl. Sophie Ange-
line mit vielem Erfolge hören.
— Bennett ist zum Präsidenten und Otto Goldschmidt
cum Vicepräsidenten der königlichen Akademie der Musik ernannt
worden.
HeW-York. Der Stein way'scbe Saal schreitet mit grosser
Schnelligkeit seiner Vollendung entgegen und wird im December
eröffnet werden. Die Einrichtung desselben wird sowohl in Bezug
auf Comfort als Elegans nichts zu wünschen übrig lassen. Die Be-
leuchtung wird eine eigenthümliche und in den grössten Concert»
— 164 —
•Sien Londons benutzte sein, welche bisher hier noch nicht bekannt
gewesen ist. Diese Beleuchtung wird von England importirt werden,
und die Kosten für das Material dazu werden begreiflicher Weise
sehr bedeutend sein. Die Sessel für die Zuhörer werden breiter und
bequemer, zugleich aber auch kühler sein, als irgend welche bisher
in New-York befindliche. Die Baukosten nebst der inneren Einrich-
tung werden sich auf ungefähr 125,000 Dollars belaufen.
V* Carl Tausig, Hofpianist des Königs von Preussen, hat
in Berlin eine Schule für die höhere Ausbildung im Clavierspiel
eröffnet. Der Lehrgang umfasst die Ausbildung der Technik bis
zur höchsten Virtuosität, des Vortrags, des Vomblattspiels
und des Zusammenspiels. Ausserdem erhalten die Schüler und
Schülerinnen wöchentlich zwei Mal Unterricht im Solospiel, sowie
die nötbige Unterweisung in der Harmonie- und Formenlehre durch
Hrn. Musikdirector Weit z mann ertheilt wird. Jeden Monat finden
Versammlungen statt, um den vorgeschritteneren Schülern Gelegen-
heit zu geben, vor Zuhörern zu spielen und die dazu nötbige Un-
befangenheit und Sicherheit zu erlangen. Das jährliche Honorar
beträgt für den Cursus im Clavierspiel 60 Thlr., für den Cursus in
Clavierspiel und Theorie 75 Thlr. in vierteljähriger Vorausbezahlung.
Anmeldungen werden von der Musikhandlung des Hrn. Eugen
S i m m e 1 in Berlin , Mohrenstrasse 36, angenommen.
*»* Aus Wiesbaden schreibt man vom 2. Oct.t Morgen wird
unser Theater, welches nunmehr unter der Leitung des Hrn. B e-
quignolles und unter der Oberleitung des k. General-Intendanten
Hrn. von Hülsen in Berlin steht , den neuen Verhältnissen ent-
sprechend eröffnet werden.
%• Nachdem die HH. T h o m a s undReyer es abgelehnt
batteu, als Experten in dem Prozesse zu figuriren, welchen der Di-
rector der grossen Oper in Paris gegen deu Sänger Belval wegen
NichtÜbernahme einer Rolle in Verdi's „Don Carlos" anhängig ge-
macht hat, lässt sich nun der ehemalige Tenorist Duprez zu
dieser heicklen Aufgabe herbei und ist bereits in Eid genommen
worden.
*** Ullmann hat seine französische Rundreise in Boulogne
begonnen. Heben Carlotta Palti findet auch der Sänger
T r e b e 1 1 i grossen Beifall.
*** Für die Oper in Madrid sind für die Wintersaison folgende
Künstler engagirt worden: Soprani: Borghi-Mamo, Lotti, Car-
lotta Marchisio, Penco, Sonieri; Contralti: Maiietta Bianco-
lini, Barbara Marchisio; Tenori : Fraschini, Graziani,
Paleriui, San t es; Baritoni: de Bassini, Stört i, Varvoni,
Padovan!; Bassi : Medini, Selva; Buffo : S c a 1 e s e.
Das Personal der italienischen Oper in Lissabon ist folgendes:
die Damen Volpini, Rey-Balla, Ester Paganini und die
HH. Mongini, P i c c i o 1 i, Marin, Squ arci a, Pandolfini,
Junca, Ordinas, Reduzzi.
*** Der Tenorist Naudin verlässt die grosse Oper, da sein
Engagement abgelaufen ist, und wird wieder zur italienischen Oper
übergehen, die er uur verlassen hat, weil Meyerbeer ihn ausdrücklich
für die Tenorpartie in der „Afrikanerin" designirt hatte.
*** In Brüssel hat eine jugendliche Sängerin, Mlle. Sarah Le vy,
grosses Aufsehen erregt.
*** Alfred Jaell, welcher seine Flitterwochen in Interlaken
zubringt , wird dort bis zum 20. October verweilen und dann in
etwa 20 Concerten der musikalischen Gesellschaften in Basel und in
anderen Städten der Schweiz sich hören lassen. Auch Joachim
wird zur selben Zeit die Schweiz besuchen.
*** Die Solotänzeriu Mlle. S a 1 v i o n i vom Scalatheater in
Mailand ist im Berliner Opernhause in dem Ballet: „Ballanda, oder
die Entführung der Proserpina" mit vollständigem Erfolg aufgetreten.
*** Hans Schläger, der Director des Mozarteums in Salz-
burg , brachte vor Kurzem in einem Concerte die zwei ersten Acte
seiner Oper „Heinrich und Ilse" zur Aufführung, welche so grossen
Beifall fanden, dass ihm vom Orchester und der mitwirkenden Sing-
akademie ein Lorbeerkranz überreicht wurde. Das Werk wird wegen
seiner noblen Erfindung und glänzenden Instrumentation gerühmt,
soll aber ausserordentliche technische Schwierigkeiten darbieten.
Unter den Solisten hat sich die Gräfin von Gatterburg (Ilse) be-
sonders ausgezeichnet. Man ist sehr gespannt auf die beiden letzten
«Acte, welche ebenfalls bald zur Aufführung kommen sollen.
*** Der Magistrat zu Rostock hat beschlossen , dem Concert-
meister Müller die städtische Musikdirectorstelle zn übertragen.
Es ist daher zu hoffen, dass das berühmte Quartett der Gebrüder
Maller nach Rostock übersiedeln , und das dortige Musikleben
wieder etwas gehoben werde.
*** Das Pesth-Ofeuer Conservatorium versendet jetzt das schön
ausgestattete Gedenkblatt, welches dasselbe den Künstlern und Di-
lettanten gewidmet, die bei der 25jährigen Jubelfeier des Conserva-
toriums unentgeltlich mitgewirkt haben. Die in der Mitte des Blattes
befindliche Danksagung , welcher der Käme des betreffenden Mit-
wirkenden folgt, ist von den Mitgliedern des Festcomit6*s unter-
zeichnet. Den Text des Diploms umgeben schöne Zeichnungen,
links das Gesangsfest im Stadtwäldchen, rechts Liszt, wie er in
der Redoute das grosse Orchester dirigirt.
*** Der Ciavierauszug von A b e r t's „Astorga" wird demnächst
im Verlag von Breitkopf & Härtel erscheinen.
*„* Der Pianist T h eodor Ritter ist in Brüssel unter dem
Namen Felix als Sänger aufgetreten und — durchgefallen. E»
fehlt ihm zwar an Stimme, dagegen spielt er um so schlechter.
*„* Vom Violinvirtuosen Miska Hauser, dessen lyrische
Violiucompositionen die Runde durch die Welt gemacht haben, er-
scheint demnächst im Verlage der Hofmusikalienhandlung C. A. Spina
eine neue Serie von sechs Stücken. Für die zahlreichen Liebhaber
des Violinspieles gewiss eine gute Nachricht.
*„* Am 4. Oct. begannen die Gewandhausconcerte in Leipzig»
*** In Moskau ist das unter dem Prote ctorat der Grossfürstin
Helene gegründete Conservatorium eröffnet worden. Director ist
Nicolaus Ruhinstein und die Lehrer sind ausser diesem: Joh.
Wieniawsky, Door und Dubucoque für Piano, Laub für
Violine, Minkus für Viola, Cossmann aus Weimar und Oeser
aus Dresden für Violoncell, Tschaikoffsky für Theorie, Frau v.
Kotschetoff und Frl. Walsek für Gesang. Fürst Taubetz-
k o y hat sich um die Gründung des Conservatoriums besonders ver-
dient gemacht.
*** Alex. Dumas klagt in seinen neuesten Memoiren über
die tausendfältige Noth, die er gehabt habe, für Meyerbeer Dich-
ter zu sein. Allerhand grosse Dinge scheiterten an seinen Kleinlich-
keiten. So hat er Dumas auch eine Oper »Der Carneval von Rom"
mit Banditen, Pilgern und Pifferari aufgegeben. Eines Abends kommt
Meyerbeer und verlangt auf seine bereits fertige Musik ein drei-
strophiges Weihnachtslied mit einem bestimmten Refrain. Da Dumas
nur zwei Reime darauf hatte, brach er die Sache ab und ging wieder
zu seinem Scribe, der nach besonderer Klausel für jeden retouchir-
ten Vers 50 Centimes erhielt. „Meyerbeer wollte wenigstens das
Außergewöhnliche, wenn er das Unmögliche nicht haben konnte;
die Musik trug er immer fertig in der Tasche, der man dann ein
Duett, eine Cavatine oder ein Recitativ anpassen sollte, so dass in
Wahrheit nicht er die Musik zu dem Gedicht, sondern der Librettist
die Verse zu der Musik machte."
*** Zu dem Zwecke, in den grösseren Städten Englands Con-
certe zu geben, hat sich Frl. Titjens mit den Damen Sinico,
Demeric-Lablache und den HH. Mario, Morini, Stanley,
Gassier, Folli, Bossi und dem Capellmeister Arditi vereinigt.
*** Der Hof- und Kirchenchor in Hannover ist durch Verfügung
des Königs Georg V. aufgelöst worden.
*„* Der Tenorist Theodor Formes ist von seiner wenig
erfolgreichen Kunstreise in Amerika wieder nach Berlin zurückgekehrt.
*** Am 24. September fand in der St. Hedwigskirche in Berlin
die Trauung der gefeierten Tänzerin Marie Taglioni mit dem
Fürsten Windischgrätz, Major in österreichischen Diensten, statt.
*** Frl. Cornelia Meyerbeer hat sich Ende August in
Wiesbaden mit Hrn. Prof. Richter aus Berlin vermählt.
*** Der unlängst gestorbene Oberintendant der kaiserlichen
Theater iu Paris, Graf B a c c i o c h i , besass 27 Orden, darunter 18
Grosskreuze.
f In London starb J. Lemon Brownsmitb, Organist der
Sacred Harmony Society, 57 Jahre alt.
f In Modena ist am 6. September der ausgezeichnete Componistj
Biograph und Bibliograph Angelo Catelani gestorben. Er war
am 30. März 1811 in Gastalla geboren.
- • ii i H ».
Verantw. Red. Ed. Föckerer, Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
]¥* 42.
15. October 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint j eden i
MOKTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
V & tf 1 i g
Vv
^
•V?
yon
?
«**•
lungen.
<?
M»
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PEEIS:
!fl.2. 42 kr. od.Th. 1. 18 SgJ
\ für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
\ 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
INHALT.' Das Publikum. — imcifer. — Correspondenz : Paris. — Nachrichten.
Das Publikum.
(S c h 1 u s s.)
Ohne Frage herrscht im Publikum ein gesunder Naturalismus,
ein kräftiger, wenn auch oft beschränkter Empirismus. Die Einzelnen
im Publikum sind meistens ungebildet und beschränkt, aber in ihrem
Gesammturtheile sind sie oft überraschend fein und tief grabend.
Es ist als ob die Menschenmenge , welche man zusammen in den
einen Namen Publikum fasst, nicht nur dem Namen, sondern auch
der Sache nach eine Person würde , und somit die kleinen Por-
tionen Verstand , die in Allen , einzeln betrachtet , vorhanden sind,
in eine tüchtige Urtheilskraft vereinigt würden. Ein Publikum kann
nicht dauernd über etwas im Irrthum bleiben. Kein einzelner Mensch
hat die feine Spürnase für Anspielungen, Zweideutigkeiten u. s. w.,
als ein Publikum. So lange ein Publikum nichts Besseres kennt,
frisst es das Schlechte , wenn es einmal einen Braten gerochen,
schmeckt "ihm dann gewöhnliches Essen nicht mehr. Ein Publikum
wird nicht theoretisch , sondern practisch gebildet. Ein Raubthier
ist oft Jahre lang mit gemeinem Fressen zufrieden, hat es aber ein-
mal Blut geleckt, dann will es immer Blut haben. Und wer wollte
bezweifeln, dass in einem Publikum ein Raubthier steckt? Welcher
einzelne Mensch hat schon solche Grausamkeit begangen, als ein
Publikum? Einzeln fürchtet man sich vor zu grosser Grausamkeit,
die Masse kann sich wechselseitig zur höchsten emporsteigern. Es
ist seine Namenlosigkeit, welche das Publikum oft so rücksichtslos
und kühn macht. Könnte ein Publikum zur Rechenschaft gezogen
werden , so wäre es weit geschmeidiger ; Jeder fühlt sich unter so
Vielen behaglich verschwinden. Mancher, der, wenn er allein wäre,
ganz unterihänig Recht gäbe , wird im Publikum revolutionär. In
einem Publikum steckt ein Lamm und ein Tiger. Oft lässt es sich
durch ein Kind zu etwas bestimmen ; wenn man nur den Ring findet,
an dem man das Leitseil anbinden kann, so kann man es überall
hinführen. Bricht es aber in Wuth aus, dann fassen Feuersäulen
und Wasserwogen nicht so viel verheerenden Schrecken in sich, als
die aufgeregte Volksmasse.
Bedauernswerther, gegen den das Publikum ungerecht ist! Mag er
noch so schon sein, mag rechts und links, vor ihm und hinter ihm
die Tuba tönen und die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken suchen.
Das Publikum geht gleichgültig , misstrauisch und höhnisch ver-
schlossen vorüber, sagt weder ja noch nein, sondern blickt gar nicht
hin, bekümmert sich gar nicht um den Unglücklichen , der dieses
Loos nicht verdient. Gegen den es einmal sündigt, gegen den sün-
digt es auch con amore. Um einen Irrthum auszujäten, der einmal
im Publikum Wurzel gefasst hat, dazu braucht es Jahrzehende. Die
längste Zeit schleppt sich oft ein Vorurtheil durch die Masse, klettet
sich an sie an, verschmilzt mit ihr und grinst höhnisch den Men-
schenfreunden entgegen, welche es vernichten wollen. Oft scheint es
schon spurlos weggesengt und ausgebrannt, doch mit der Plötzlich-
keit des Gedankens schiesst es durch einen Zufall , gemästet in
irgend einem entfernten Winkel empor und über Nacht ist wieder
das vorige Terrain gewonnen.
Wer wollte daran zweifeln , dass der Hexenglaube , der doch
scheinbar, wenn nicht schon zu Spees' und Thomasius' Zeiten, doch
wenigstens jetzt ausgerottet ist, durch zehn Spuckgeschichten und
ein Dutzend Zauberhistorien wieder lichterloh erscheinen würde?
Vielleicht gräuzt Atheismus und höchste Cultur und Ausbildung mit
brennenden Scheiterhaufen und Auto da Fes näher aneinander, als
man glaubt.
Vielleicht vermag sich mitten im neunzehnten Jahrhundert
leichter ein mittelalteilicher Un&inn auf einmal breit zu machen, als
man sich vorstellt. Nichts stirbt gänzlich aus, was einmal in der
Welt gewesen. Das älteste Philosophem, die unsinnigste Hypothese^
die widerlegteste Behauptung vermag in irgend einem Ofen, nach-
dem bereits Jahrhunderte darüber hinweggerauscht, wieder aufge-
wärmt und als frisch wieder aufgetischt zu werden. Nicht nur kein
Körper, auch keine Idee geht unter, wäre sie auch die missförmigste.
Vielleicht würde uns ein Ochs, der in einem steten Kreise als Trieb-
kraft herumgeht, minder lächerlich vorkommen, wenn wir unseren
eigenen Bildungsgang aufmerksamer betrachteten.
Wo das Publikum im Areopag sitzt, da ist das günstige Urtheil
ebenso lohnend, als das ungünstige schrecklich ist. Daher kann der
Lyriker z. B. die kritischen zerbrochenen Scherben, die ihm aus
dem Journal-Ostracismus einzeln zukommen, auf einsamer Kammer
verschmerzen; doch das Auszischen eines Theaterpublikums hallt
wie ein entsetzliches Schlangenzüngeln in dem Innersten der Seele
des Dramatikers wieder und zerstäubt wie mit Donnerkeulen alle
Luftschlösser, die dort prangen.
Ein Stück Allmacht ist auf Erden geblieben, es steckt im Pub-
likum. Gegen ein Publikum kämpfen selbst die Götter vergebens.
Ein Publikum kann nie zu Grunde gehen. Das Publikum urtheilt
gern im Superlativ. Es schätzt entweder zu hoch oder zu niedrig.
Bald blickt es durch 's Ocular-, bald durch's Objectivglas. Es gibt
kein Jahrhundert, in welchem ein Publikum nicht an einer Grösse
gesündigt, keines, in welchem es nicht eine Nulle bekränzt. Aber
nichts Aergeres gibt es als ein kränkelndes, blasswangiges Publikum,
das einer von Lüge durchtränkten Sentimentalität auf ihrer hohlen
Moudscheinwanderung träumerisch ächzend nachfolgt. Ist ein Pub-
likum einmal auf Abwegen, so will ich es noch lieber johlend, bier-
schenkentoll , in unverschämter, pausbackiger Bauerngesundheit in
dem Schlamme der Sprache umhertrotten sehen, als es auf einem
Abwege wahrnehmen, wohin es Unkenruf, Siegwarts-Jeretniaden und
saftloses, ausgequetschtes Gemüthein verlockt hat. Das Publikum ist
der grosse Vielkopf, der ebenso gut Nectar schlürft als Gift, wenn
man es ihm vorsetzt, in Pfützen wühlt und Berge erklimmt. Miss-
braucht ein Publikum nicht. In einem Publikum wie in einem Genie
ist alles Gute und Böse vorhanden. Traut nur einem Publikum nicht
zu wenig zu. Wer sich zu ihm herabzulassen glaubt, erniedrigt es nur»
Stürmt nur im ungemesseneu Aarflug dahin, wenn auch das Publikum
sich nicht mit euch emporschwingen kann , so folgen doch seine
Blicke euch nach in die luftigen Höhen, es weidet sich an der Kraft
und wird selbst dadurch gekräftigt. "N
H O »fc
— 166
Ei 11 e i f c r,
Oratorium, gedichtet von Emmanuel Hiel, componirt von
Pwrre Benoit.
Am Sonntag, den tO. September, fand in Brüssel die lange «ntt
grosser Spannung erwartete Aufführung des .Oratoriums „huclfcP 1 \
von dem jungen belgischen Componisteu Benoit vor gedrängt
vollem Saale statt, und es dürfte unseren geneigten Lesern nicht
uninteressant sein, wenigstens auszugsweise zu erfahren, was der
gelehrte und berühmte Musik-Schriftsteller Ed. Vanderstraaten
in dem Journal „L'Echo du Parlement" darüber schreibt.
„Lucifer, heisst es dort, ist in der Sprache eines Van Maerlant
und Buesbroeck, eines Artevelde und Breydel geschrieben,
mit einem luxuriösen Aufwände von pitoresken Epitheta's, mifeinem
auffallenden Streben nach piquanten Rythmen und einem wunder-
baren Verständnisse für grossartige Gegensätze. Indem ich das Ge-
dicht Hiel's in dieser Weise characterisire , habe ich schon fast die
Eigenschaften aufgezählt, welche dasselbe auszeichnen. Ich kann
mich täuschen, aber ich glaube, dass dies Gedicht~ein wenig zu
überladen (touffu). zu sehr ausgearbeitet ist, um in Musik gesetzt
zu werden. Der Musiker braucht Situationen, nicht aber ausgesuchte
Worte und gefeilte Phrasen. Wird man Byron, GÖthe, Schiller in
Musik setzen?*)
Was dem Musiker hier geholfen, was ihn gerettet hat, das ist,
dass das Sujet rein beschaulicher Natur ist. Hiel beschrieb mit
Dante's Feder den Triumph des Geistes über die Materie, des Lichtes
über die Finsterniss, der Liebe über den Hass, des Guten über das
Böse. Aber dieser Triumph ist zu leicht errungen. Da ist wohl
Verschwörung, aber kein Kampf, folglich fehlt das Drama. In dem
Augenblicke, wo die Elemente empört sind auf den Ruf des'Lucifer,
erscheint der Allmächtige, und alsogleich weicht der Fürst der
FinBterniss zurück ohne zu kämpfen, und lässt die Elemente sich
in Licht und Liebe tauchen. Es gibt also hier nur zwei Scenen,
oder besser gesagt zwei Panoramen , die Nacht und den Tag.
In dieser horizontalen Dichtung, wo die Personen schweben, anstatt
sich zu bewegen , hat der Librettist dem Musiker gestattet , ohne
grosse Mühe den prächtigen Ciselüren sich hinzugeben), mit denen
er seine Partitur ausgeschmückt hat.
Ein Werk von grosser Erhabenheit der Idee, ein einfaches und
zugleich feierliches Werk, ein Werk, in welchem die Anordnung
der Compositiou, die Poesie der Details und insbesondere ein fieber-
haftes Streben nach dem Unendlichen, eine unaufhörliche Betrachtung
des Unermesslichen, den Mangel an Bewegung und Handlung, sowie
an dem Heraustreten gewisser Partien , welche auffallend hervorge-
hoben werden müssten — das ist, meiner Ansicht nach, die Haupt-
Physiognomie der Partitur des „Lucifer" von Pierre Benoit. In
dieser Schöpfung, welcher ich einen wirklichen künstlerischen Werth
zuzugestehen keinen Anstand nehme, hat der Componist entschieden
mit der Schulformel gebrochen und reicht dem modernen Deutsch-
land die Hand.
Ich bin nicht gesonnen ihn deshalb zu tadeln , weil Ursprung
und Genie des belgischen und deutschen Volkes sich nahe berühren,
und weil uns von Deutschland die wahrhaft grossen Compositionen
zukommen , wie die neunte Sinfonie von Beethoven , die Gemälde
eines Kaulbach und Cornelius. Vergessen wir nicht , dass ausser
einem ziemlich langen Aufenthalte in Deutschland der junge Meister
auch zweimal von derRegierung beauftragt wurde, dieMusikfeste, welche
alljährlich am Rheine gefeiert werden, zu hören, oder vielmehr zu
Studiren. Diese wundervollen und riesenhaften Aufführungen mussten
wohl die Einbildungskraft unseres Musikers tief aufregen , seine
Sinne mächtig erfassen und sein Herz lebhaft bewegen. Es scheint,
dass er dort die Quintessenz der grossen aufgeführten Werke erfasst
hat, insbesondere aber hat „Paradies und Peri" von Schumann, welches
beim letzteu Musikfest in Düsseldorf aufgeführt wurde, ohne Zweifel
einen ausserordentlichen Eiufless auf die Intelligenz Benoit's ausgeübt.
Meiner Meinung nach hätte die düstere Partie des Werkes die
gelungenste sein müssen. Als ein ängstlicher, gedrückter, verworrener
Mystiker, sieht Benoit nicht, wie viele Andere, einen blauen, glän-
zenden, strahlenden Horizont; seine Seele ist immer bedrückt und
von schwarzen, düsteren Nebeln überschattet. Er hat die Ahnung
*) Kann sich wohl nicht »af deren ly.Uehe Dichtungen bestehen? Anm. d. Red.
eines leuchtenden Eden, er sieht es im Geiste; er verbindet damit
nicht seine thränenreiche, enttäuschte Muse. Er hat nicht das Land
gesehen, „wo die Citronen blühen". Er besitzt die Melancholie eines
Btirer, aber mitidem Unterschiede, das« die Inapiration des deutschen
Meisters aus erster Hand kommt und eine Welt von neuen Empfin-
dungen eröffnet bat. Pierre Benoit kann mit Tasso sagen; »Die
Natur hat mir eine harmonische Stimme gegeben , um mit meinen
Klagen die Tiefe meiner Schmerzen auszufüllen. Während bei Andern
der Schmerz die Stimme erstickt, hat mir ein Gott die Gabe ver-
liehen zu sagen, wie sehr ich leide."
Ich täuschte mich jedoch. Da, wo ich von Benoit erwas erwar-
tete, hat er im Allgemeinen seine Wirkung verfehlt. Das, was er
der betreffenden Person in den Mund legte, ist oft verworren, un-
entschieden und sieht zu sehr nach Improvisation aus. Warum ühri-
gens auch sich eines hohen Baritons bedienen? Würde eine tiefe
Bassstimme nicht mehr entsprochen haben? Es liegt eine Idee in
dieser Beharrlichkeit der Accorde, welche die Anrufungen des Königs
der Tiefen begleiten; allein diese Wildheit der Harmonien ä la Weber,
welche sein Auftreten ankündigen , und selbst das, was vorhergeht,
von der Einleitung an (ein Chor der Geister) scheint mir ein wenig
mit zu grobem Pinsel gemalt, wenn ich mir den Ausdruck erlauben
darf. Dagegen scheint mir die bildliche Figur des Wassers mit
Meisterhand gezeichnet zu sein. Da ist Sauberkeit, da ist logische
Folgerichtigkeit. Alles, was das Wasser singt, ist köstlich und von
frühlingsmässiger Frische. Das Publikum applaudirte vorzugsweise
eine äusserst fein gemeiselte Cadenz. Der Chor unterbricht und
schliesst in anmuthiger Weise dieses liebliche Stück. Sodann hebe
ich die Arie der Erde hervor, welche von einfachem, grossartigem
Cbaracter ist. Die kleinste Erzählung dieser Persönlichkeit ist weit
über die gezwungene Gesangsweise des Lucifer erhaben. Auch die
Partie des Feuers erscheint mir hinreissend schön. Sie ist zart
gewoben und geschickt durchgeführt, nur sind die zarten Arabesken
des Orchesters und all das Geflimmer der Pizzicati sowie die
punktirten Noten der Holzinstrumente in den höheren Lagen vom Or-
chester nicht in befriedigender Weise wiedergegeben worden, so dass
die beabsichtigte Wirkung ganz verfehlt wurde.
Ein grossartiges und vorzüglich schönes Stück ist das Hosiatinak,
welches im Anfang des dritten Theils losbricht. Die Elemente
tauchen sich in Licht und Liehe. Dazwischen hinein schmettert der
besiegte, darniedergeschmetterte Lucifer seine letzten Verwünschungen
und der Tod sein sardonisches Lächeln. Der Chorgesang wird ge-
tragen von der Orgel, welche unmerklich sich in leisen Klängen
verliert, als wollte sie eine himmlische Entzückung, eine seraphische
Berauschung malen. Mitten darinnen bewegen sich die Motive, welche
vorher von jeder der bildlichen Persönlichkeiten ausgeführt wurden.
Auch der Scblusschor, obwohl ein wenig lang, verdient gleichfalls
das Lob der Kenner. Ein Lichtblick des Quartetts trägt dazu bei,
die Monotonie desselben etwas zu vermindern.
Dies sind die hervorragendsten Stellen des „Lucifer 14 von Pierre
Benoit. Ich schweige über eine grosse Anzahl anderer, welche eben-
falls lobenswerth sind , denn ich muss zu Ende kommen. Meiner
Ansicht nach dürften einige verständige Striche in der Partitur an«
gebracht werden, um sie weniger gedehnt und monoton zu machen.
Diese Striche werden leicht auszuführen sein, weil die Gedehntheit,
von der ich spreche, nur von der zu häufigen und sicherlich unnö-
thigen Wiederholung gewisser Motive herrührt, welche übrigens gut
erfunden sind. Einmal in die Regionen des lyrischen Styls gerathen,
gefällt sich Bencit zu sehr darin. Violenta non durant.
Hr. D e 1 i g n e (Lucifer) hat seiner schwierigen Aufgabe allen
möglichen Fleiss gewidmet. Hr. Goossens (die Erde) gab seine
Partie mit einer Einfachheit voll Tact und Geschmack. Wer es
versteht, so ruhig und so verständig zu singen, ist seiner Sache ge-
wiss. Das Auftreten dieses ausgezeichneten Professors am Conser-
vatorium (es sind zwölf Jahre , dass er sich nicht mehr öffentlich
hören liess) wurde mit den lebhaftesten Beifallsbezeugungen begrüsst.
Und was sollen wir von der Leistung des Hrn. Warnot (das Wasser)
sagen? Sie war ausgezeichnet im vollen Sinne des Worts. Der
Künstler hatte kaum einige Töne seiner köstlichen Stimme hören
lassen, als sich schon ein sympathisches Band zwischen ihm und
dem Auditorium knüpfte , und diese anziehende t stets wachsende
Macht fübrte schliesslich zu einem donnernden, lange anhaltenden
Applauke. Es ist dies einer der schönsten künstlerischen Erfolge»
167
«denen ieh je beigewohnt babe. Ebenso aufrichtiges Lob habe ich
•«dem Frl. Valentine Ledelier (das Fener) zu spenden, einer
jungen Dilettantin aus Antwerpen, welche mit einer prächtigen Contra-
altstimme begabt ist und mit der verständnissvollen Präcision einer
wahren Künstlerin singt. Mit dem Namen der Frl. Teichmann
bezeichne ich eine andere ausgezeichnete Dilettantin aus Antwerpen,
und weise auf ein hohes Talent hin und auf Alles, was ihr Eifer
und ihre Aufopferung für die Sache Beuoit's und für das Verstand*
ciss seines Werkes geleistet haben. Solche Talente und solche
Hingebung sind selten, und ich schliesse mich gerne den Ovationen
an , welche das Publikum Frl. Teichmann dargebracht hat. Alle
Ehre auch den Musikvereinen, den Damen von Brüssel, Gent und
Antwerpen, Ehre dem Chorverein von Gent und dem Orchester des
Theaters de la Monnaiel Alle haben wacker ihre Schuldigkeit
gethan, Alle haben gewetteifert an Mühe und Eifer. Eine so hetero-
gene, aus 300 Executirendeu (Chor und Orchester) zusammengesetzte
Masse zu leiten, erschien in Anbetracht der angeführten Verhältuisse
als eine sehr schwierige Aufgabe. Hr. Devos, der treffliebe Di-
rector des Chorvereins in Gent, hat dieselbe mit unglaublicher Ge-
wandtheit gelöst.
Unser ausgezeichneter Orgelmeister Hr. M a i 1 1 y hat sich der
ihm gewordenen , höchst schwierigen Aufgabe auf die glänzendste
Weise entledigt. Ein vollkommener Tact, eine erhabene Intelligenz
haben über seiner Handhabung der sämmtlichen Register des mäch-
tigen Instrumentes gewaltet, welches der Künstler unter seinen Hän-
den hatte. Hr. Alphons Mailly dürfte bald, wie man sagt, am Con-
servatorium jene Stellung eiunehmen , welche sein hervorragendes
Verdienst ihm im Voraus schon angewiesen hat."
CORRESPONDENZEN.
Aus Paris.
7. October.
Die italienische Oper hat vorigen Dienstag mit der ^Sonnam-
iula' die Wintersaison eröffnet, und wie es sich von selbst versteht,
hat Adelina Patti in der Bolle der Amina grossen Beifall erregt.
Hoch grösseren Beifall erwarb sich Mme. EmmaLagrua in der
Titelrolle der „Norma," welche Oper Donnerstag aufgeführt wurde.
Das genannte Theater studirt jetzt ^.Saffo'' von Pacini ein. Die
Hauptrolle der „Saffo" gehört zu den vorzüglichsten Leistungen der
Lagrua; es ist also leicht erklärlich, dass die Musikfreunde mit
einer gewissen Spannung dieser Vorstellung entgegensehen. — Die
erste Aufführung im Salle Ventadour hat eine Einnahme von
13,000 Frcs. erzielt, ein Beweis, dass das Publikum sich durch den
bohen Eintrittspreis nicht abschrecken lässt. Ein Sperrsitz im ita-
lienischen Theater kostet jetzt nämlich zwanzig Francs.
Künftigen Freitag wird Gluck's „Alceste" in der grossen Oper in
Scene gehen und zwar gleichzeitig mit dem neuen Ballet , La Source".
Auber's neue dreiactige Oper heisst „Le premier jour de
bonheur". Dieselbe wird schwerlich vor der Eröffnung der bevor-
stehenden Weltausstellung dem Publikum vorgeführt werden.
Gounod's „Me'decin malgre fiii" macht diesmal im The'dtre
lyriqufi kein Glück und wird wohl bald wieder vom Repertuir
verschwinden.
F6tis ist seit einigen Tagen in Paris. Von seiner allgemeinen
-Geschichte der Musik werden gegen Anfang kommenden Jahres die
ersten zwei Bände ausgegeben werden. Das Werk ist auf sechs
Bände berechnet. — F&tis hat das Alter von 83 Jahren erreicht,
arbeitet aber täglich nicht weniger als zwölf Stunden und hat sich
«eine ganze geistige Frische vollkommen zu erhalten gewusst.
I a c li r t c h t e n.
Mainz. Soeben erhalten wir die am 2. October ausgegebene
Frobenummer einer neuen, in Wien erscheinenden Zeitschrift:
„Blätter für Kunst, Wissen und Antike " als deren Herausgeber,
Eigentbümer und Redacteur Hr. Abel Luksic genanut ist. Das
Blatt erseheint wöchentlich zweimal, einen oder anderthalb Druck-
bogen stark und hat sich der Unterstützung tüchtiger Mitarbeiter
zu erfreuen. — Ein anderes neues Fachblatt erscheint seit Anfang
dieses Monats in Leipzig bei Paul Rhode unter dem Titel: „Netto
allgemeine Zeitschrift für Theater und Musik". Redacteur ist Hr.
Yourij von Arnold, und als Mitarbeiter werden in dem der
Probenummer beigegebenen Prospectus genannt die HH. : Ad. Bl ass-
mann in Dresden, Frd. Dräseke in Lausanne, Dr. Louis Köhler
in Königsberg, Dr. Oswald Mar b ach, Dr. Hans Marbach, Dr. Oscar
Paul und Dr. Wuttke in Leipzig, Dr. Feodor Wehl und Musikdir.
Weitzmann in Berlin u. A.
Leipzig. Der Beginn der Gewandhausconcerte ist der Cholera
wegen verschoben worden und es soll nun das erste derselben am
18. October stattfinden.
Wien, 18. September. Viele werden den alten, blinden Geiger
kennen, der oft stundenlang in den Durchgängen des Zwettelhofes,
Schottenhofes, unterm Schwibbogen die Mildthätigkeit der Vorüber»
gehenden durch sein Spiel in Anspruch nahm. Er ist vor einigen
Tagen gestorben. Seit zwanzig Jahren blind, hat er sich ein Ver-
mögen gesammelt. Man fand nach seinem Tode in der Tischlade
ein rechtskräftig abgefasstes Testament, in welchem er seines Bru-
ders Sohn , der als ein gering besoldeter Beamter auf einem fürst-
lichen Gute in Ungarn lebt, zu seinem Universalerben mit einem
Betrage von 10,600 fl. einsetzte, ausserdem seine Führerin, die ihn
stets begleitete, mit einem Legate von 6000 fl. bedachte. Das Geld
fand man theils in Staatspapieren , theils in Silber , von welchem
über 1000 fl. in Sechserin vorhanden, in eiuer alten Truhe, die unter
dem Bette des Gestorbenen stand.
StrassbüTg. Das florentiuische Quartett unter Jean Becker'«
Leitung wird am 15. October noch eine Abschiedssoiree geben, ehe
die trefflichen Künstler nach Deutschland, Holland und Russland
gehen. Sie werden Quattette von Beethoven, Schumann, Volkmann
und Rubinstein spielen. — Das Theater hat am 30. Septbr. seine
Vorstellungen begonnen. Die ersten Aufführungen waren : »Die
Stumme," „Die Musquetiere der Königin" und „Die weisse Dame."
Man spricht von Iusceuesetzung der „Afrikaneriu" im Laufe dieses
Winters.
Paris. In voriger Woche ist Gottfr. Engelbert Anders,
langjähriger Mitarbeiter an der ., Revue et Gazette musicate" und
gelehrter Schriftsteller über Musik, nach längeren Leiden gestorben.
Er war 1795 zu Bonn geboren , hatte gründliche philologische und
literar- historische Studien gemacht und sich 1829 in Paris nieder-
gelassen. Er beschäftigte sich unter Anderem mit einer französischen
Bearbeitung von Forkel's Geschichte der Musik und mit einem mu-
sikalischen Wörterbuche, war aber durch körperliche Beschwerden -
gezwungen, seine Arbeiten häufig zu unterbrechen. Er schrieb auch
Artikel in der früheren „Allgemeinen Leipziger Musikzeitung 1 *. Im
Jahre 1831 gab er eine Broschüre: ,.Paganini, sa vie, sa personne
et quelques mots sur son secret" heraus , auch in der Zeitschrift
„Cäcilia" erschien in A° 56 ein interessanter Artikel über die »Ge-
schichte der Violine" von ihm. Seine , Details biographiques sur
Beethoven. Paris. 1839, * sind nach Wegeier und Ries bearbeitet.
Seit 1833 war er an der k. Bibliothek angestellt als Conservator
der musikalischen Abtheilung.
— Bei der jüngsten Aufführung der „Parisiens ä Londres"
ereignete sich ein Unfall, der glücklicherweise nicht die schreck-
lichen Folgen hatte, die man befürchten konnte. Als nämlich, nach
11 */i Uhr, der Vorhang sich erhob, um die feenhafte Crystall-Deco-
ration zu zeigen, welche einen so überwältigenden Eindruck macht
und der Schluss - Apotheose vorhergeht, begann die erste Spiegel-
decoration sich gegen die Soffiten zu erheben, um langsam die zweite
Decoration, von electrischem Lichte blendend erleuchtet, sehen zu
lassen. Alle Mitwirkenden befanden sich auf der Bühne, als plötz-
lich ein entsetzliches Krachen sich vernehmen Hess. Die Seile,
welche die Decoration trugen, waren gerissen, die Träger, an wel-
chen die Glasscheiben und Gruppen von Frauen hingen , fingen an
zu schwanken und fielen dann mit einem furchtbaren Geräusche auf
die Bühne, so dass ein Schrei des Entsetzens aus dem ganzen Saal
erscholl. Es war dies ein Augenblick voll unbeschreiblicher Ver-
wirrung und Aufregung. Die Zuschauer sprangen auf und drängten
gegen die Ausgänge, die Frauen schrieen laut auf, wfhrend auf der
Bühne eine Staubwolke aufwirbelte, erleuchtet von brennendem Gas,
zwischen welchem man eine verworrene Masse von mensch liehen
Körpern, Balken, zerbrochenen Glasscheiben und Trümmern aller Art
168 -
«rblicken konnte. Man lies* sogleich den Vorhang herunter und
die Zuschauer sich entfernen, während man zugleich alle Gaskrahnen
schloss. Durch einen unglaublichen Glücksfall ist kein schweres
Unglück geschehen ; einige der Künstler haben Contusionen erlitten,
aber schwere Verletzungen sind nicht vorgekommen, so dass nur die
Spiegeldecoration verloren ging, und die ganze Affair e auf einen
materiellen Schaden ausläuft, der nicht einmal eine Unterbrechung
der Vorstellungen nöthig machen wird.
— - • Nach Naudin's Abgang von der grossen Oper wird nun
wohlVillaret die Rolle des Vasco in der „Afrikanerin" übernehmen
und voraussichtlich neue Lorbeeren in derselben erndten.
— Montaubry ist in der Opera comique in ^Jostf- Maria"
von Cohen wieder aufgetreten und mit Jubel empfangen worden.
— Dem Gerücht, dass der junge Tenorist Capoul von der
Opira comique für das The'ätre tyrique gewonnen worden sei, wird
nun auf das Entschiedenste widersprochen.
— Die Oper „Miguon" von A. Thomas wird wahrscheinlich
au Anfang des nächsten Monats in Scene gehen, und Mme. Galli-
Marie die Titelrolle geben.
— Am 21. October wird der unermüdliche Pasdeloup seine
beliebten populären Sonntagsconcerte im Cirque de V Imperatrice
wieder beginnen.
London. Seit einigen Jahren schon hatte Mr. 6ye, der Di-
rector des Coventgarden-Theaters, zwischen den beiden italienischen
Opernsaisons sein Theater nebst Garderobe einer englischen Opern-
gesellschaft abgetreten. Allein die englische Oper scheint keine
Lebensfähigkeit zu besitzen, und das darauf bezügliche Unternehmen
unterbleibt in diesem Jahre. Auch das Engagement der Frl. Car-
lottaPatti bei Hrn. Gye ist abgelaufen, und nnn ist dieselbe von
Hrn. Mellon, dem Unternehmen der Concerte im Crystallpalast bis
zum 3. November um die Kleinigkeit von wöchentlich 600 Pfd.
Sterling (7200 fl.) engagirt worden.
*** Am 6. October waren es 100 Jahre, dass das erste Schau-
spielhaus in Leipzig unter Direction von Heinrich Gottfried Koch
eröffnet wurde. Der Festtag wurde durch Wiederholung der vor
einem Säculum stattgehabten Vorstellung gefeiert. Dieselbe leitete ein
ein Prolog des Professors Christian August Clodius (geb. 1738 in
Annaberg, gest. 1784 als Professor der Dichtkunst in Leipzig), wo-
rauf das fünfactige patriotische Trauerspiel „Hermann" (Herzog der
Cherusker) von Joh. Elias Schlegel (geb. 1718 in Meissen, gest.
1749 als Professor der Ritterakademie in Soroe) folgte. Den Schluss
bildete das einactige, aus dem Französischen Jean Francois Regn ar d's
(1647 — 1709) übersetzte Lustspiel „Die unerwartete Rückkunft.*
Ein von R. Benedix gedichteter Prolog verlieh der Stimmung an
dem für deutsche Literatur- uud Theatergeschichte so denkwürdigen
Jubeltage Ausdruck. (Dresd. J.)
%* Die erste Regierungshandlung des neuen Herzogs von Mei-
uingen nach Besteigung des ihm von seinem Vater überlassenen
Thrones war die augenblickliche Lösung des durch die herzogliche
Hoftheater-Iutendanz mit dem Director M. v, Hessling am 12. Mai
dieses Jahres abgeschlossenen Vertrags , wodurch nicht nur der
Letztere, sondern auch das ganze von ihm engagirte Theaterpersonal
ganz unerwartet mit einem Schlage brodlos wird.
*** Wir haben unlängst von einer Sängerin erzählt, die in
einem Pariser Cafe durch ihre auffallend schöne Stimme die Auf-
merksamkeit mehrerer dort anwesender Künstler erregte , welche
sogleich den Anfang machten, die Mittel zur Ausbildung der viel-
versprechenden Kunsrjüngerin zu beschaffen. Nun ist dieselbe,
Maria Romagnoli ist ihr Name, vom Director der italienischen
Oper für kleinere Rollen engagirt worden , während ihre weitere
künstlerische Ausbildung ihreu ungestörten Fortgang nimmt und
nach den bisherigen Beobachtungen zu den schönsten Resultaten
führen dürfte.
*** Hr. Röntgen, bisher Mitglied des Gewandhaus-Orchesters
in Leipzig, hat einen ehrenvollen Ruf nach Petersburg als Concert-
meister bei den Concerten der Musikgesellschaft und als Violinpro-
fessor am dortigen Musik-Conservatorium erhalten.
V* Ridhard Wagner hat zu seinem Geburtstage vom König
von Baiern einen kostbaren Stock im Werth von einigen Tausend
Gulden zum Geschenk erhalten, dessen Griff einen in Gold getrie-
benen, reich mit Brillanten besetzten Schwan vorstellt.
*** Das neue Stadttheater in Leipzig, dessen Bau im August
1864 begonnen wurde, ist nun unter Dach gebracht, und haben am
29. Sept. die herkömmlichen Feierlichkeiten stattgefunden ; nur das
beabsichtigte Essen für die beim Bau beschäftigten Arbeiter fand
aus Sanitäts- Gründen in Anbetracht der dort herrschenden Cho-
lera nicht statt.
*** Das Wiener Operntheater verliert drei von den dort enga-
girten acht Tenoristen. Ferenczy hat seine Entlassung verlangt,,
E r 1 lässt sich pensioniren , und auch der vor einem Jahre wieder
stimmfähig gemachte Tenorist Kreutzer wird sich wieder zu-
rückziehen.
*#* Virtuosen, welche im stillen Ocean Concerte zu geben be-
absichtigen, werden darauf aufmerksam gemacht, sich für ihre dort
zu erwartenden Honorare mit genügenden Transportmitteln zu ver-
sehen, da dieselben dort in naturalibus ausbezahlt werden. So er-
hielt kürzlich auf einer der Cooks-Inseln eine amerikanische Gesell-
schaft für ein „grosses Concert" 78 Schweine, 98 Bruthühner, 116
gewöhnliche Hühner, 16,000 Cocosnüsse, 5700 Ananas, 418 Scheffel
Bananen, 600 Kürbisse und 2700 Orangen.
*** Nachdem alle Musik - Zeitungen angekündigt haben, dass
Richard Wagner mit einer neuen Oper, betitelt: „Friedrich
von Hohenstaufen" beschäftigt sei, melden baierische Blätter, der-
selbe habe sich einen „Wilhelm Teil" gedichtet, den er auch in
Musik zu setzen gedenke.
%* Mermet's Oper „Roland in Ronceval" ist in Bordeaux
vollständig ausgepfiffen worden. Es muss übrigens constatirt werden,
dass die Aufführung eine sehr mangelhafte war.
*** Die Museuni8concerte in Frankfurt a. M. werden unter der
Leitung des Hrn. Musikdirectors C. Müller am 12. October ihren
Anfang nehmen.
*** Hr. Zdenko Skuhersky, Musikdirector in Insbruck,.
wurde zum Director der Prager Orgelschule ernannt.
*** Hr. Capellmei8ter Ferd. Hiller in Cöln hat vom Gross-
herzog von Mecklenburg die goldene Verdienstmedaille, am rothen
Bande zu tragen, erhalten.
*** Musik dir. Löwe in Stettin hat vom König von Preussea
den rothen Adler-Orden 3. Classe mit der Schleife erhalten.
*** Maschinenmeister Brandt von Darmstadt hat sich nach
Italien begeben , um den Italienern einmal ein paar seetüchtige
Schiffe für die „Afrikanerin" zu bauen.
*** Die bekannte ungarische Violinvirtuosin Frl. Charlotte
Deckner hat sich mit dem Banquier Hm. Hermann Cohn in
Hannover verlobt.
f In Leipzig starb am 26. v.M. Otto Hunger, eines der .ge-
achtetsten Mitglieder des Gewandhaus-Orchesters, welches ihm einen«
ehrenvollen Nachruf widmet, und viele Jahre hindurch als Bratschist
eine vortreffliche Kraft der Kammermusik -Unterhaltungen des Ge-
waudhauses.
f Am 3. d. M. starb in Frankfurt a. M. der in weiteren Kreisen
bekannte Musiker und Autor Carl Gollmick im 70. Lebensjahre,
nach langen, schweren Leiden, betrauert von Allen, die ihn kannten.
Seiner Beerdigung wohnten die ersten Mitglieder des Theaters, viele
Künstlern aus allen Fächern und eine grosse Anzahl persönlicher
Freunde bei, welche seinen Sarg reichlich mit Blumen und Kränzen
geschmückt hatten. Der deutschkatholische Prediger F 1 o s hielt
am Grabe eine Anrede an die Leidtragende , in welcher er einen
Umriss des Lebensganges des Verstorbenen gab.
A N Z E I G
Verlag von I. ÖUTTBNTAG in Berlin.
Soeben erschien:
Reissmaiiii, A.,
Lehrbuch der musikalischen Composition II.
Die angewandte Formenlehre. Preis 3 Thlr.
(I. Band: Die Elementarformen. 1865. Preis 3 Thlr.)
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
in* sa.
22. October 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNC
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post
ämtern, Musik- & Buchhand
lungen.
von
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
w4 Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
r
I?
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
fftr den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
INHALT: Die Glockenspiele. — Carl Gollmick.f — Correspondenzen : Wiesbaden. München. — Nachrichten.
Die Glockenspiele (Carillons) in Belgien und Holland.
(Von E. J. Gregoir.)
Das Glockenspiel war früher das Lieblingsüustrfttnent der Belgier
und der Niederländer, und in keinem anderen Lande war dieses
Instrument so populär wie in Flandern. Kein Musik-Dictionnaire
brachte bis jetzt etwas Geschichtliches Aber das Glockenspiel. Seit
nahezu zwei Jahren haben wir Nachforschungen angestellt» um offi-
eielle Documente über die verschiedenen Instrumente dieser Art zu
erhalten. Alte Bücher liefern uns den klaren Beweis, dass eine Art
von ZusammmenstelluDg mehrerer Glocken schon im 13. Jahrhunderte
existirte, und man findet in diesen Werken Zeichnungen, welche den
König David singend darstellen, indem er mit einem kleinen Hammer
auf einige Glocken von geringer Grosse schlägt. Diese Glockenreihe
bietet aber nicht viel Abwechslung und gerade das Spielen auf
Glocken hat das musikalische Geläute hervorgerufen , wie es im
16. Jahrhundert üblich war.
Das Werk des A. Schaepkens »Von den Glocken und ihrem
Gebrauche 1 * enthält einen kleinen Kupferstich aus dem 15, Jahr-
hundert, welcher eine junge Frau, auf dem Tympanon spielend, dar-
stellt, welches einfach eine Verbindung mehrerer Glocken ist.
Die Schätze der Archive von Amiens, Oudenarde, Löwen, Lierre
und anderen Orten liefern uns Nachweise, welche für die Archäo-
logie von der höchsten Wichtigkeit sind. Im Jahre 1409 besass
man in Oudenarde (nach Van d erstraten) ein Glockenspiel; Ant-
werpen bekam das seinige 1430, Löwen 1434 und Lierre 1446. Aus
den Andeutungen, welche die Archive geben, geht hervor, dass man
zu jener Zeit mit grossen Hämmern auf Glocken von verschiedener
Grösse schlug, und die Stelle eines Glockenschlägers wurde gewöhn-
lich von dem Koster (Küster) der Kirche versehen. Gegen das
Ende des 15. und besonders im darauffolgenden Jahrhundert wurde
das Glockenspiel mit Cylinder und mit Tastatur eingeführt. Doch
ersehen wir aus einer Chronik der Abtei Egmont-sur-Mer bei Alk-
maar in Holland , dass unter der Regierung des Abts F r a n c o
(1182 — 1206) in einem der Thürme dieser berühmten Abtei ein
Glockenspiel angebracht wurde.
Flor ens, der 19. Abt dieses Klosters, Hess das luftige Instru-
ment im 13. Jahrhundert renoviren. War dieses im lateinischen
Text (in's Holländische übersetzt von C. Van Herk) erwähnte In-
strument ein Cylinder- oder ein Ta9ten-Glockenspiel? Dies ist schwer
zu entscheiden.
Das Gockenspiel, welches im 15. Jahrhundert gemeiniglich
unter der Benennung Voorslag bekannt war, bestand einfach aus
einigen Glocken , meistens den Umfang einer Octave darstellend.
Gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde das Glockenspiel in
Flandern populär, und im darauffolgenden Jahrhunderte beBassen alle
belgischen und holländischen Städte ihr musikalisches Geläute auf
ihren Wachtthürmeu , Kirchtürmen oder RathhäUB«trn. Bei jedem
kirchlichen oder weltlichen Feste Hess diese brillante und harmo-
nische Musik Litaneien, Psalmen und Volkslieder erklingen, was den
flämischen Festes einen eigentümlichen Character verlieh. Eine
besondere Anziehungskraft erhielt in alten Zeiten diese luftige Musik
dadurch, dass man wirkliche Künstler auf dem Carillon besass*
Chromatische Läufe, selbst Triller und Harpeggien waren den meisten
Glockenspielern (carilloTtneurs) eine Kleinigkeit, und mehrere der*
selben spielten sogar drei- und vierstimmige Fugen. Unter den
besten Glockenspielern führen wir an : Bergfauis und Schol in t>elft>
J. Beuslin, H. Cramma, Everaerts und De Grttytters in Antwerpen»
Schepens in Gent und Oudenarde, Van der Gfaeyn in Löwen, De
Neve in Ath, P, Nys in Brüssel, L. Leblancq in Soignies, N*
Maghermann in Brügge, Haverals in Mecheln, P. Grau in Oudenarde»
J. Clerze in Lüttich , J. Van Eyck , Dicx und Fischer in Utrecht«
J. Hess in Gouda, Nouts, 8. Verbeek und Pothoet in Amsterdam»
G. Havingha, Van Neck und Van der With in Alkmaar, und Lootett»
in Middelburg. -i
Es liegen uns mehrere handschriftliche Compositfonen für da«
Carillon vor, welche bedeutende mechanische Schwierigkeiten dar»
bieten. Die Berghuis, Tan Eyck und Pothoet spielten mit merk-
würdiger Gewandtheit Sonaten, Concerte und Variationen. Burney
spricht sich in seinem historischen Werke über Musik sehr lobend
über verschiedene belgische und niederländische Glockenspieler aus.
Die Anwendung des Glockenspiels hatte sich dermassen ver-
breitet, dass man dasselbe im 17. Jahrhundert in mehreren belgischen
Klöstern einführte. So hatte man in den Klöstern zu Pasc, Ever*
bod«, Eename, Afflighem, Tongerloo, Lierre u. A. Glockenspiele,
welche ans 30 bis 40 Glocken zusammengesetzt waren. Während
der französischen Revolution von 1793 sind eine Menge dieser In-
strumente zerstört worden, und seit jener Zeit hat das Glockenspiel
auch viel von seinem Ansehen verloren und es werden nur ausnahms-
weise noch deren neue aufgestellt*
Zwei schwer zu beantwortende Fragen drängen sich uns auf:
Wer war der Erfinder des Carillon? Welche bestimmte Nachweise
gibt es über die Entwicklung desselben? Wir wollen mehrere auf
diese beiden Fragen bezügliche Documente anführen.
Die „Revue britannique'* (1845) schreibt in einem Artikel über
die Sophienkirche in Constantinopel : «Der Kaiser Michael liest
896 den Thurm erbauen, welcher noch jetzt am Östlichen Ende steht,
um in demselben ein Glockenspiel anzubringen, welches ihm der
Doge von Venedig geschenkt hatte; allein die Türken haben das-
selbe nachher eingeschmolzen, um Kanonen daraus zu giessen."
Wahlen in seinem „Neuen Conversations Lexikon" sagt: „Das
Glockenspiel ist ein im Mittelalter erfundenes Instrument, welches
aus einer gewissen Anzahl von Glocken besteht, die so aufge-
stellt sind , dass sie Octaven bilden. Diese Glocken wurden mit
Hämmern angeschlagen, die durch Hebel bewegt wurden vermittelst
einer Tastatur, welche der Spieler mit den Fäusten und seihst mit
den Füssen schlug."
Ein Journal von Brügge (1845) bringt folgendes: „Sehr wahr-
scheinlich ist das Carillon nichts als das Tintin nabuJwn , welches
man so häufig bei den Manuscriptmalern des Mittelalters antrifft.
Man gewahrt ein Tintinnabulum unter den musikalischen Instrumente^
170 -
auf einem im 11. Jahrhunderte geschnitzten Medaillon in der Kirche
zu Booherville. De Coussemaker gibt in seinem Werke: „Me-
moire sur ffucbald' 1 eine Abbildung davon."
Der Autor der in dem Journal von Brügge veröffentlichten Ar*
tikel glaubt die Ehre der Erfindung des Glockenspiels einem Johann
von Beveren aus Dünkirchen , im Jahre 1478 , zuschreiben zu
müssen; gleichwohl gibt er selbst zu, dass schon 1300 von einem
Carillon in Brügge Erwähnung geschieht. Busch im, ordentlicher
Canoniker von St. Augustin, schrieb eine Chronik, betitelt: „Chro-
nicum Windesemense" und beendigt 1464. Sie wurde 1621 in Ant-
werpen in 8° herausgegeben. Im II. Buch, Cap. 56, S. 535 findet
man beim Jahre 1404, dass Heinrich Löder, schon seit langer
Zeit Laienbruder daselbst, ein Glockenspiel construirte, welches mit
Hülfe eines Cylinders und mehrerer Hämmer ein Lied spielte, um
die Brüder zu wecken. J. B. Pachichelli, Priester in Rom,
gest. 1792, sagt in seinem Werke t „De Tintinnabulo" etc., gedruckt
in Neapel 1793, dass das Glockenspiel in Nola, einer Stadt in der
Nähe von Neapel, erfunden worden sei.
Mehrere ältere belgische Historiker behaupten, man verdanke
die Erfindung des Glockenspiels einem B. C o e c k e von Alost und
einein gewissen L e Y o n g. Wahr ist es , dass Coecke um 1467
ein Glockenspiel auf dem Eathhause von Alost einrichtete. F. Senet
schreibt in seiner „Description de la ville et du comie d* Alost *
über diesen Gegenstand : »Vor dem Jahre 1467 stellte Bartholomäus
Coecke in diesem Thurme das von ihm erfundene Glockenspiel auf . . .
Der Beweis, dass dieses Hotel lange vor dem Jahre 1487 erbaut
worden ist, geht aus dem Protokoll über die Inauguration des Grafen
von Alost, Herzog Carl von Burgund (am 10. August 1467)
hervor. Es wird dort gesagt, dass die drei Nachtwächter die Trom-
pete von der Gallerie des Wachtthurms bliesen und dass der Caril-
loneur auf den Glocken spielte." Der Leser sieht also, dass in den
Erklärungen der verschiedenen Autoren eine verzweifelte Verwir-
rung herrscht.
Wir haben mehrere Rechnungsbücher yon Städten und Kirchen
durchgesehen, in denen man hie und da einem Vertrag bezüglich
unserer luftigen Instrumente begegnet; allein diese authentischen
Quellen enthalten zu unserem grossen Bedauern keine näheren An-
gaben über die Einrichtung der Glockenspiele. (Schluss folgt.)
f Carl CSoIlmick.
Frankfurt a. M., 3. October. Unser verstorbener Mitbürger,
Herr Carl Gollmick, war der Sohn des ehemals geschätzten
Tenoristen gleichen Namens und ist am 19. März 1796 iu Dessau
geboren. Er erhielt in Cöln seine erste Erziehung und wuchs mit
dem nachmals berühmt gewordenen Bernhard Klein auf. Nach mehr-
jährigen Reisen, die das unstete Theaterleben seines Vaters veran-
lasste und die des Knaben Unterricht häufig unterbrachen , kam er
1812 zum zweitenmale nach Strassburg, wo er Theologie studirte
und durch Unterrichtgeben im Lateinischen und in der Musik schon
früh selbstständig sein lernte. Unter der Leitung des dortigen Ka-
pellmeisters Spindler, Vater des berühmten Romanschriftstellers, stu-
dirte er die Composition und entwickelte seine musikalischen Ta-
lente weiter, von denen sich schon in einem früheren Alter Spuren
gezeigt hatten, indem er schon in seinem 11. Jahre Lieder com-
ponirte, die später bei Andre im Druck erschienen. In Strassburg
dirigirte er die sogenannten Klosterconcerte und zeichnete sich als
fertiger Klavierspieler aus; auch spielte er einige Zeit die Orgel in
der dortigen Thomaskirche. Zwistigkeiten unter den Studenten, die
viele Relegationen nach sich zogen, verleideten ihm seine Stellung.
Er reiste daher 1817 nach Frankfurt, wo er Anfangs Unterricht in
der französischen Sprache ertheilte und darauf ganz seinem Hange
zur Musik lebte. Capellmeister Spohr engagirte ihn als Pauken-
schläger für das Theaterorchester hierselbst und er bekleidete diese
Stelle bis zum Jahre 1858, wobei er sich nebenbei mit Musik-
unterricht, musikalischer Schriftstellerei und Compositionen beschäf-
tigte. Es sind ungefähr 50 grössere und kleinere Klavier- und
Qesang8compositionen von Gollmick im Druck erschienen, die in
einem freundlichen, vorzüglichen Styl gehalten sind, aber auf keine
grosse künstlerische Bedeutsamkeit Anspruch machen können; sehr
Vieles darunter ist auch für instructive Zwecke berechnet. AJs mu-
sikalischer Schriftsteller und Kunstkritiker hat er sich durch viele
Aufsätze in musikalischen und anderen Blättern bekannt gemacht)
eine „Kritische Terminologie für Musiker und Musikfreunde" (Frank*
fort a. M. 1853), herausgegeben und mehrere Operntexte verfasst;
darunter ist eine bis auf Ouvertüre und Schlusschor vollendete
Oper von Mozart, deren ursprüngliches Libretto von Schlachtner
ist, das Gollmick mit Beibehaltung des Planes umgearbeitet und
mit dem Titel „Zaide" versehen hat. Zu Anfang dieses Jahres gab
derselbe im Verlage von C. Adelmann dahier seine „Autobiographie
nebst einigen Momenten aus der Geschichte des Frankfurter Thea-
ters" heraus, die manche interessante Einblicke in seinen eigenen
Lebensgang und in das künstlerische und schriftstellerische Leben
und Treiben vieler bedeutender Persönlichkeiten der Vergangenheit
gewährt.
CORRESPONDENZEN.
Aus Wiesbaden.
Unsere Theaterfrage, die bisher die Gemüther der Einwohner
unserer Stadt so sehr beschäftigt, ja beunruhigt hat, ist nunmehr
dahin entschieden, dass unsere Bühne eine königliche geworden
und demzufolge auch vom Könige aus die nöthige Subvention zn
erwarten hat. Der bisherige Intendant, Baron v. Boose, ist zurück-
getreten und an seine Stelle ist der bisherige Dramaturg und Ober-
regisseur unseres Theaters, Herr v. Bequignolles, vorgerückt.
Im Augenblicke ist der Letztgenannte auch mit der provisorischen
Leitung des Theaters in Hannover als kgl. Commissär betraut und
ist abwechselnd an beiden Orten thätig. Das Winterabonnement
wurde am 3. Oktober mit dem „Troubadour" von Verdi eröffnet,
dem der „Maskenball" von Auber und das ,, Nachtlager von Gra-
nada" folgten. Die Oper ist im verflossenen Sommer trotz der un-
günstigen Zeitverhältnisse recht thätig gewesen und war auch, na-
mentlich gegen den Schluss der Saison hin, stets recht besucht»
Aufgeführt wurden fast alle Opern, die an den bedeutendsten Thea-
tern im Gange sind; der vorhin erwähnte „Maskenball" kam noch
am Schlüsse der Saison zum Benefice des Herrn Capellmeisters
Jahn als neueinstudirt auf das Bepertoir. Im Sängerpersonale
hat es einige Veränderungen gegeben ; das Bertram'sche Ehepaar
hat uns verlassen mit dem 1. September; dafür wurden engagirt
der Baritonist P h i 1 i p p i vom Theater zu Nürnberg und Frl. Lieh t-
may, die letztere für das dramatische Fach. Herr Philippi hat
schnell sich die Gunst des Publikums erworben; er ist ein verstän-
diger, gut gebildeter Sänger; seine Stimme ist weich und voll-
tönend und vorherrschend lyrischen Characters. Seine besten Leist-
ungen waren bisher der Jäger im „Nachtlager," Wolfram im „Tann-
häuser" und Luna im „Troubadour." Frl. Norden, die bisher
das jugendlich-dramatische Fach vertrat, hat uns ebenfalls verlassen,
ihre Stelle ist noch unbesetzt. Wir hoffen, dass man zur Deckung
dieser Vacanz alsbald die nöthigen Schritte ergreifen wird.
Das Concertwesen hat durch die Ungunst der Verhältnisse im
verflossenen Sommer bedeutend gelitten; statt der üblichen 10 Ad-
ministrations-Concerte, die sich stets vermöge der äusserst brillanten
Ausstattung eines grossen Rufes erfreuten, haben deren im Ganzen
nur zwei stattgefunden; dagegen hat die Administration Privat-
Concerte im Kursaale sehr begünstigt. Unter den letzteren war
dasjenige der Herren Gebr. Willi und Louis Thern am 5. Oc-
tober von besonderer Bedeutung. Die beiden jungen trefflichen
Künstler führten in demselben aus: das grosse Doppel • Concert in
Es-dur für 2 Pianoforte von Mozart mit Orehester, das andante
con Variazioni, Op. 41, von Beethoven, die Schnmann'sche „Tbl-
cata" und ein Scherzo von C. Thern (Vater). Sie ernteten auch
hier wieder, wie bei allen Gelegenheiten, wo sie auftraten, enthu-
siastischen Beifall. Mitwirkend traten auf: Frl. Norden und Hr.
Philippi von unserem Theater und der Cellist Hr. L. Lübeck
vom Gewandhaus zu Leipzig. Die Liedervorträge des Hrn. Phi-
lippi, „Am Meer" von Schubert und „Das Fischermädchen" von
Ferd. Ludwig , gefielen sehr. Die letztgenannte (Original-) Com-
position ist musikalisch gediegen und sehr dankbar. Herr Lübeck
spielte zum Erstenmal« dahier. Er trug ein Servais'sches Concert-
- 171 -
stück, das „Ave Maria" von Schubert und „Riverie 11 von Vieux-
temps vor. Sein Ton ist gross, voll, gesangreich, seine Technik
vorzüglich und sein Vortrag elegant. Er wurde mit grossem Bei-
fall aufgenommen.
Welche Concert-Unternehmungen uns der bevorstehende Winter
biingen wird, ist noch unbestimmt; ob die Quartett - Soireen der
Herren Baldenecker, Schelle, Kahl und Fuchs wieder auf-
genommen werden, scheint noch in Frage zu stehen. Ein Ersatz
für Herrn Kahl, der nach Riga abgegangen ist, möchte wohl leicht
gefunden werden. Der „Cäcilien verein" hält zur Einstudirung einer
Bach'schen Passionsmnsik fleissig Proben. Ob er der Aufgabe ge-
wachsen sein wird, ist nach der Analogie vorausgegangener Bach 1 -
scher Aufführungen noch fraglich. Jedenfalls ist Fleiss und Stre-
ben, solche Werke in Aufnahme zu bringen, sehr ehrenwerth.
Aus München.
14. Octaber.
Die hiesige Oper hat einen schönen Fund gemacht. Ein Frl.
Mailing er, die Schülerin Levi's in Wien, eine gehorne Kroatin,
debütirte zum ersten Male und zwar als „Norma" und ihr Debüt
wurde ein wahrer Triumphzug. Erweckte schon die jugendlich-
anmuthige Erscheinung allgemeine Sympathie, so war es noch mehr
der süsse Wohlklang der Stimme, der feingebildete musikalische
Geschmack, das in jeder Nummer sich äussernde Talent, die ganz
seltene Technik, was diese Sympathien in lauten anhaltenden, immer
wiederholten Beifallsstürmen kund werden liess. Die junge Künst-
lerin hat nun die Aufgabe, auch für die Darstellung der Leiden-
schaft den vollen ergreifenden Ausdruck zu finden, der ihr stets in
virtuosester Weise für die lyrischen Situationen zur freien Verfügung
Stand; dann wird sie einst iu erster Reibe genannt werden, wenn
man die berühmtesten deutschen Sängerinnen aufzählt. Hoffentlich
wird sie die Erwartungen erfüllen, welche die Kunst auf sie setzt,
sie ist talentirt und berufen, die höchsten Stufen des Ruhmes zu
ersteigen. Möge sie der Genius echter deutscher Knust dahin be-
gleiten !
Die nächste Partie, in welcher dieses musikalische Phänomen
vor das Publikum tritt, ist die Donna Anna. »Don Juan wird
mit den Originalrecitativen und in neuer Uebersetzung und Aus-
stattung (meist nach den Vorschlägen Wendling's und W o 1-
z o g e n's) gegeben. Vorläufig ist er auf den letzten Sonntag im
October angesetzt.
Ist diese Oper von Stapel gelaufen, so wird die „ Afrikanerin 11
einstudirt. Für die Titelrolle haben wir nur zwei Vertreterinnen,
Frl. Mallinge r und Frl. Stehle. Die Concurrenz wird manches
Gute stiften !
Das Opernrepertoir wurde auch durch die Neueinstudirung von
Mozart's „Entführung aus dem Serail" erweitert. Herr Hacker
aus Dessau hatte den Belmonte übernommen, doch keineswegs ver-
mochte weder er es, noch Herr ßausewein, dem die Partie des
Osmin zn tief liegt, die Palme des Abends zu erringen, sondern
diese fiel dem Frl. D e i n e t (Constanze) zu , welche sowohl durch
die Frische und Ausgiebigkeit der Stimme, durch die Brillanz ihrer
Coloratur, die in geschmackvollster und vollendeter Technik die
Töne glockenrein aneinander reihte , wie durch die Innigkeit ihres
Vortrages und die Eleganz und Routine ihres Spieles auf die höchste
Anerkennung Anspruch hatte. Das Publikum, das sich ungemein
Kahlreich eingefunden, zeichnete die beliebte Künstlerin durch leb-
haftesten Beifall und wiederholte Hervorrufe aus.
Herr Hacker ist nach Dessau zurückgekehrt. Die hiesige In-
tendanz hätte ihn gerne für die Oper engagirt, doch waren seine
Forderungen so übertrieben, dass dieselbe auf sie nicht einzugehen
vermochte.
Und noch immer rufen wir nach einem Heldentenor. Herr
Norbert, der dieses Fach bei uns versieht, besitzt eine schöne,
aber ungebildete Stimme, dabei hat er kein musikalisches Gehör
nud noch weniger künstlerischen Geschmack, auch in schauspieleri-
scher Beziehung genügt er nicht einmal den bescheidensten For-
derungen. Ein Glück, wie jenes mit der Mallioger, könnte unserer
Oper wieder auf die Füsse helfen.
Frl. Stehle hat sich von ihrer Krankheit — sie litt an Lun-
genentzündung und Typhus — nun wieder erholt und wird dem»
nächst wieder die Bühne betreten.
Wie ich höre, wird Frau D i e z zu Ostern im nächsten Jahre,
wo sie ihr dreissigjähriges Jubiläum als Mitglied der Münchener
Oper feiert, sich gänzlich von der Bühne zurückziehen.
Im Actien-Theater herrscht frisches Leben, es wird ge-
sungen und musicirt, dass es eine Freude ist und Kapellmeister
Heber aus Heidelberg, der an Konradin's Stelle getreten ist, gibt
sich viele Mühe, das Orchester zu gediegeneren Leistungen heran-
zubilden. So arbeiten da zwei tüchtige Musiker , Heber und
Krempelsetzer als Dirigenten und ihre Mühe verspürt der Zu-
hörer in dem feinen nüancirten Zusammenspiel und der sorgfäl-
tigeren Einstudirung der Chöre.
Was uns das Musikleben der bayerischen Hauptstadt in der
Wintersaison bringen wird , ist noch sehr unbestimmt , jedenfalls
werde ich Ihnen darüber des Weiteren berichten.
Der Gedanke, das aufgelöste Conservatorium für Musik in eine
Musikschule umzuändern und die Direction derselben Hans von
B ü l o w zu übertragen , ist keineswegs , wie es da und dort hiess,
aufgegeben , sondern steht beim Cultusminister noch vollkommen
fest und wenn nicht ausserordentliche Dinge eintreten, wird diese
Musikschule wahrscheinlich schon mit Anfangs März oder April
unter der provisorischen Direction des geistlichen Rathes Nissl er-
öffnet werden. Z.
IVacli richten.
Mainz. Die Liedertafel veranstaltete am Samstag den 13. d. M.
im Saale des Hotel Barth in Castel ein geselliges Abendessen, wel-
ches schon Anfangs Sommers angesetzt, der Zeitverhältnisse wegen
bis jetzt verschoben werden musste. Um so zahlreicher und leb-
hafter war dagegen die Theilnabme, wenigstens von Seite der in-
activen Mitglieder, während die activen zu den in herkömmlicher
Weise producirten Gesängen nur ein sehr schwaches Cootingent
stellten. Gleichwohl wurden die auf dem Programm befindlichen
Quartette recht wacker gesungen und mit vielem Beifall aufgenom-
men. Ein besonderes Interesse erhielt diese Abendunterhaltung durch
die Anwesenheit und freundliche Mitwirkung der beiden Brüder
Thero aus Pesth, welche durch ihre Vorträge auf zwei Ciavieren
wahren Enthusiasmus erregten. Es ist aber auch eine wahre Freude,
mit einer so tadellosen Präcision, mit einem so gänzlichen Aufgehen
des Eiuen im Andern die beiden jungen Leute spielen zu hören,
die sich überdies einer sehr bedeutenden Technik und einer uner-
schütterlichen Ruhe und Sicherheit zu rühmen haben. Die zum
Vortrage gewählten Stücke waren ein Concertino und ein Andante
et Scherzo^ recht gediegene Compositionen von Prof. Thern, dem
Vater und Lehrer der jugendlichen Künstler, Toccata von Schumann,
„Cameval von Venedig" uud endlich „türkischer Marsch" aus den
„Ruinen von Athen" vop Beethoven. Stürmischer Beifall folgte
jedem ihrer Vorträge auf zwei vortrefflichen Erard-Flügeln, und wir
hören mit Vergnügen, dass die beiden jungen, ebenso bescheidenen
als talentvollen Virtuosen dieser Tage im Theater auch dem grösseren
Publikum Gelegenheit geben wollen , die seltene Vollendung , die
sich in ihrer Specialität bewährt, bewundern zu können. — Heitere
und ernste Gesangvorträge verschiedener Vereinsmitglieder wechsel-
ten mit den Productionen der gefeierten Gäste, und die munterste
Stimmung hielt die Theilnehmer an dieser gelungenen Abendunter-
haltung bis lange nach Mitternacht zusammen. E. F.
Dresden. Hr. Coucertmeister Lauterbach hat vor wenigem
Tagen eine Berufung als erster Concerrmeister nach München
erhalten und zwar unter sehr glänzenden Bedingungen. Hoffentlich
inde88 haben wir den Verlust des ausgezeichneten Virtuosen nicht
zu beklagen , dessen künstlerische Leistungen eine Zierde der kgl.
Kapelle und von vorwiegender Bedeutung für die hiesigen Musik-
zustände sind. (D. J.)
Wien. Die Hellmesb erger 'sehen Quartettabende werden
nächstens beginnen; es sollen deren acht und in der Fastenzeit
noch weitere vier bis sechs stattfinden.
— Das lange vorbereitete Concert der Männergesangvereine
Wiens und der Umgebung findet am 25. d. M. in der grossen Win-
terreitschule in der Hofburg statt und werden 1200 bis 1500 Sänge*
— 172 —
ttttd »wei MilitSreapeTlen datei mitwirken, fcie Leitung des t?ön*
certs bat Herr Hofcapellmeister Hörbeck Übernommen. Das Pro-
gramm enthält Compositiooen von Beethoven, Mendelssohn, Kreu-
zer, Gretry, Abt, Schubert, $ileber, R. Wagner und Fr. Laehner, im
Ganzen 11 Nummern.
r- In der jüngst stattgefundenen Generalversammlung des Wie-
ner Männergesangvereins wurde der bisherige Vorstand, Hr. Dum-
ba und der Dirigent, Hr. Wein wurm, wiedergewählt. Der
Verein zählt 224 ausübende nnd 460 unterstützende Mitglieder. Die
Hinnahmen des letzten Jahres betrugen 9026 fl., die Ausgaben
5894 fl.
Brüssel. Am 15. October wird im Herzoglicben Palast die
•weite Aufführung des Oratoriums „Lucifer" von Pierre Ben oft
mit denselben Kräften wie bei der ersten Aufführung stattfinden.
— Die populären Concerte für classische Musik, welche vorigen
Winter so viel Anklang gefunden haben, werden Anfangs November
wieder beginnen. Der Director derselben , Herr Samuel, beab-
sichtigt eine grosse Anzahl classischer Werke aufzuführen, die in
Brüssel noch nicht gebort worden sind, ebenso wird den belgischen
Componisten reichlich Rechnung getragen werden durch Vorführung;
eigens für diese Concerte componirter Werke von Lassen, Ba-
d o u x und D u p o n t.
Pari*. Am Freitag den 12. October fand die lange erwartete
und sorgfältigst vorbereitete Aufführung der „Alceste" von Gluek
in der grossen Oper statt. Der t.Entr'acte* bringt bei dieser Oe*
legenheit folgende Notizen über die früheren Aufführungen dieser
Oper in Paris. Die erste derselben fand statt am 23. April 1776,
die folgenden am 22. October 1779, am 24. Febrnar 1786, am 13.
Ifessidor des Jahres V (1797), am 20. April 1825 und am 21. Oe*
tober 1861. Bei der Aufführung im Jahre 1786 sang Mlle. Saint-
Buberti die Rolle der Alceste. Diese war so bekannt für ihre ge-
wissenhafte historische Treue in Bezug auf ihr Coatüme, dass mau
ihr gestattete, sieb das der Alceste nach eigener Angabe anfertige«
sn lassen. Allein sie hatte sich se strenge an die geschichtliche
Tradition über das Coatüme der Aleeste gebalten, dass man sie bei
der «weiten Aufführung veranlasste, dasselbe zu verändern, da man
m für zu wenig anständig hielt.
— Der Tenorist N a u d i n ist nach Madrid abgereist, wo er für
20 Gastrollen am Theater ,J' Oriente'' engagirt ist Er wird dort
auch den Vasco in der „Afrtkanerin" singen.
—> Die Einnahme sämmtlicher Theater, Concerte etc. in Paris
betrugen im Monat September 1,329,622 Frcs.
— Einer der besten Decorationsmaler der grossen Oper, Jo-
seph Thierry ist gestorben. Er war 55 Jahre alt und seit 1863
Ritter der Ehrenlegion.
%* Concertmeister Au er in Düsseldorf hat seine Stellung auf-
gegeben, um in gleicher Eigenschaft in Hamburg einzutreten.
*«* Nie mann hat mit der Rolle des ,.Tanubäuser" als enga-
glrtes Mitglied an der Hofoper in Berlin debÜtirt, war aber leider
Sucht eben glänzend disponirt.
V Herr Dr. Guna wird die Bühne in Hannover vorläufig
nicht verlassen.
*** Den Mitgliedern des CasBeler Theaters ist am 2. October
von der erfolgten Umwandlung des bisherigen kurfürstlichen Hof-
iheaters in ein königliches Theater Kenntniss gegeben worden. Die
Intendantur bleibt in den Händen des Hrn. v. Heeringen; auch
sonst werden wesentliche Veränderungen in den Verhältnissen des
Theaters nicht eintreten. Der preussische „Staatsanzeiger" theilt am
1. October unter der Rubrik »Kunst- und wissenschaftliche Nach-
richten" zum ersten Male die Wochenrepertoire der Hoftheater zu
Hannover und Gassei mit.
*** Barn um, der Erfinder des Humbug, hat auch für Mexiko
«Inen besonderen Stern erfnnden. Die Patti Mexiko's beisst Ange-
lina Peralta, und auch ihre Lieblingsrolle ist die Amina in der
„Sonnambula*. Barnum hat es mit Hülfe der Reclame wirklich
dahin gebracht, dass die Parterre - Platze mit 10 Piastern (56 Frs),
die Legen -Plätze mit 100 Piastern bezahlt wurden. Mlle Peralta
kann nicht auf der Bühne erscheinen, ohne mit Blumen überschüttet
su werden nnd einen an Wahnsinn gränzenden Enthusiasmus hervor-
zurufen. Kaltblütigere Zuhörer meinen freilich , Mlle. Peralta sei
•ine sehr mittelmässige Sängerin , allein es ist nicht rathsam , so
etwas laut zu sagen , denn die entzückten Cabailerus lassen sich
ihren Götzen üfdrt nehmen und sind gleich mit dem Stilett bei
der Hand.
*** Der Pianist Bockelmann, welcher längere Zeit in Mexi-
ko verweilte und sich die Besserung der dortigen Musikzustände
mit lobeoswerthem Eifer, wenn auch nicht mit dem gewünschten
Erfolge, zur Aufgabe gemacht hatte, hat sich nun in New -York
niedergelassen.
*** Man beabsichtigt in Rom dem Tonmeister Pal estr in a ein
Denkmal zu errichten, und es hat sich bereits ein Gönnte" zu diesem
Zwecke gebildet.
*** DerComponist und Ciaviervirtuose Wilhelm Speidel in
Stuttgart hat vom König von Würtemberg die grosse goldene Me-
daille für Kunst und Wissenschaft erhalten.
*** Ein englischer Instrumentenmacher hat ein Ciavier erfunden,
auf dem vermöge einer durch ein Pedal regierten Hämmerreihe
die Octave oder Doppeloctave eines jeden angeschlagenen Tones
hervorgebracht werden kann. Der Erfinder hat sein Instrument
„Arabella" getauft, zu Ehren der Pianistin Arabella Goddard-
D a w i s o n.
V Der ehemalige Director des eingeschlummerten Münchener
Conservatoriums, Franz Hauser, hat bei Breitkopf &Härtel eine
Gesangschule herausgegeben. Möge dieselbe sich eines besseren
Erfolges erfreuen, als die Wirksamkeit ihres Autors in München I
*«* In Brighton hat ein achtjähriges Wunderkind, Flank
L i e b i c h , durch sein Clavierspiel Aufsehen erregt.
*** Auber hat, wie man in Paris wissen will, grosse Aussicht}
den Sitz des verstorbenen Marquis von B o is s y im Senate zu erhalten*
V* In Regensburg gab eine ebenso hübsche als talentvolle
junge Sängerin, Frl. Hermine Steiner aus Wien, als ersten thea-
tralischen Versuch die Zerltne im „Don Juan" und hatte sich einer
sehr freundlichen Aufnahme zu erfreuen*
*** Die italienische Saison in Triest wurde mit Halevy's „Ju-
din" eröffnet. Die Sängerin Sgra. Fricci und der Tenorist Steger
machen dort viel Glück.
f In Wien starb vor einigen Tagen eine unter dem Namen
„ Bassgeigen-Marie a stadtbekannte Harfenistin in einem Alter von 72
Jahren, welche als Tochter eines Musiklehrers Gelegenheit fand, sich
für die Oper auszubilden , längere Zeit auch wirklich grossen Ruf
genoss nnd schliesslich als Bettlerin auf einem ärmlichen Strohlager
endete. Schon in ihrem 19. Jahre wurde sie durch eine Rundreise
mit dem damals berühmten Concertisten L. allgemein bekannt, trat
sodann als Mitglied der Gross'schen Operngesellschaft in allen be-
deutenden Städten Europa's, aueh in Wien, auf und liess sich durch
ein intimes Verhältniss mit einem jungen Cavalier zum bleibenden
Aufenthalte in Wien bestimmen. Eine Krankheit raubte ihr jedoch
das einzige Existenzmittel, die Stimme, und von diesem Augenblicke
an sank die berühmte Schönheit immer tiefer, und nachdem sie in
gewissen Kreisen noch eine Art Glanzperiode durchgemacht hatte,
musste sie, deren Passion es früher war, die Cigarren ihrer Lieb-
haber mit Zehnerbanknoten anzuzünden, zur Harfe greifen, am die
mit heiserer Stimme gesungenen Gassenhauer zu begleiten. Den
Namen „Bassgeigen-Marie" hatte sie ihrem einst prachtvollen Haare
zu verdanken, welches die sogenannte „Bassgeigenfarbe" (aschblond}
hatte.
f Der frühere Bassist Woltereck, früher langjähriges, ver-
dienstvolles Mitglied der Hamburger Oper , ist , 69 Jahre alt , auf
seiner Besitzung in dem Flecken Garstedt, in der Nähe von Lock-
stedt, gestorben. Er war schon 1843 im kräftigsten Mannesalter von
der Bühne abgetreten und sodann eiue Reihe von Jahren Be-
sitzer des Cafä restaurant in der Nähe des Stadttheaters gewesen.
Woltereck hinterlässt eine Wittwe und acht Kinder. Eine seiner
Töchter ist an den bekannten Komiker Räder, eine andere an den
Capellmeister Barbieri verheirathet.
Briefkasten. Wir zeigen der Redaction der „deutschen
New- Yorker Musikzeitung" an, dass uns seit Anfangs Mai d. J. kein»
Nummer ihres Blattes mehr zugekommen ist. Dürfen wir der Nach-
Sendung entgegensehen? Die Red.
Verantw. Red Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
im* äd .
29. October 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
T"
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern >Musik- & Buchhand-
lungen.
V © p 1 1 g
y, .
von
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PBBIS:
fl.2. 42 kr. od.Th.l.I8Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
*
♦***
INHALT: Neuere Vocalmusik. — Correspondenzen : Mainz. Ems. Stuttgart. Paris. — Nachrichten.
Neuere VocaIntu§ik.
Eine kritische Rundschau.
II.
Als werthvolle Gaben verdienen besondere Anfmerksamkeit die
beiden neuen Liederhefte Ton Albert Dietrich, von dem wir
schon manche warm empfundene Weise liebgewonnen haben. Dies-
mal sind es in Op. 16 vor Allem das erste Lied : „Dein Auge,* 1 und
das vierte: „Frühlingsabend," welche sich sofort in's Herz hinein-
gingen ; das letztere hat eine köstliche, ebenso neue als wohlklingende
Begleitungsfigur in Achteltriolen, welche nur zu der ernsten Schluss-
frage nicht recht passen will. In N° 3 : „Meine Liebe" schaden die
breiten Accente auf den kurzen Verszeilen dem Eindruck, der sonst
ebenfalls ein sehr günstiger wäre. Op. 17 enthält ein prachtvolles
Lied: „Scheiden" von fast Beethoven'scher Innigkeit und Gewalt
des Ausdrucks, ergreifender Harmonik and tief bedeutsamer Decla-
mation. Heiterer, jedoch nicht minder wahr und natürlich erschei-
nen N* 3: „Frühlingssonne," eine gar brauchbare Concertnummer,
und N* 5: „Munterer Bach". Gerade auf solche Lieder, welche
neben ihrem musikalischen Werthe auch höchst dankbar für die
Stimme sind und dazu keine zu grossen Ansprüche an die Intelligenz
oder musikalische Vorbildung des Ausführenden machen , möchten
wir die deutschen Opernsäuger hinweisen , deren Concertrepertoir
eich so häufig im beschränktesten Kreislauf bewegt, und welche oft
durch anstrengenden Theaterdienst, wo nicht durch dünkelhafte Be-
quemlichkeit von Erweiterung ihrer Literaturkenntnisse abgehalten
werden, oder das sich bietende Neue unter dem Vorwande, es liege
nicht „dankbar," schnell ablehnen, weil es ihnen nicht von vorn-
herein die unentbehrliche Musik des Beifallklatschens und Hervor«
rufens verbürgt, die sie dem stillen Danke der Kenner so sehr vor-
ziehen. Bisher haben, einen Stockhausen und wenige andere
echte Künstler ausgenommen , höchstens stimmlose und schlechtge-
schulte Sänger , um durch das Verdienst des Componisten ihrer
eigenen Leistung aufzuhelfen , Neues gebracht , das aber dann so
wenig zu erfreuen vermochte, als etwa edler Wein in schmutzigem
Becher.
Weitere Liederhefte liegen uns vor von W. Taubert (Op. 149),
G. Goltermann (Op. 46) und H. Esser (Op. 71), welche sämmt-
lich recht Brauchbares, theilweise auch höchst Gelungenes enthalten.
So zeichnen sich unter den Taubert'schen , deren nicht durchweg
sangbare Texte dem bekannten spanischen Liederbuche entnommen
sind, N° 1, 3, 5 und 6 durch fliessende Melodie aus; auch Decla-
mation und Begleitung sind edel und geschmackvoll. Die vier
Goltermann'schen Gesänge sind auf englische Originalgedichte com-
ponirt, die deutsche Uebersetzung von L. v. Plönnies steht da-
runter, und die Musik ist mit grosser Geschicklichkeit beiden
Sprachen so angepasst, dass wir nirgends eine Härte finden. Dabei
liegt Alles sehr gut in der Stimme, und ist der englische Lokalton,
wenn man so sagen darf, oft recht glücklich getroffen. — Esser's
drei Lieder athraen wieder ganz jenen treuen, herzlichen Character,
die wir an so vielen Gesängen dieses Tondichters schätzen; an-
spruchslos, ohne alles moderne Raffinement, treten auch diese Weisen
an uns heran, um sogleich verwandte Saiten zu berühren. Insbe-
sondere loben wir uns das dritte: „Herz auf der Wanderschaft" mit
seinem köstlichen Humor in Wort und Ton.
Von J. O. Grimm, einem der liebenswürdigsten Vertreter der
Schumann'schen Schule, kam uns ein Liederheft, Op. 11, zu, in wel-
chem wir unbedenklich die beiden stimmungswarmen Volkslieder
N* 1 und 4 den Preis zuerkennen; aber auch die anderen Gesänge
stehen denselben würdig zur Seite.
Schliesslich haben wir Hrn. Schletterer für seine Sammlung
„polnischer Volkslieder" aus Oberschlesien unseren freudigsten Dank
auszudrücken ; das ist Poesie und Musik von wahrhaft verjüngender
Gesundheit. Die deutsche Bearbeitung hat unser Hoff mann von
Fall er sieben geliefert, dem nie etwas misslingt. Harmonisirung
und Aecompagnement verrathen überall den feinen Musiker, — etwas
Veniger wäre manchmal besser gewesen, wie z. B. in N 8 8. Dagegen
sind z. B. die Nummern 1 , 8, 5 und 6 in Weise wie Untersetzung
ganz unvergleichlich schön zu nennen.
An die erwähnten Bearbeitungen polnischer Volkslieder reihen
sich jene schottischen Gesänge, welche E. Friese herausgegeben
hat. Auch diese sind mit Geschmack ausgewählt; in der Ueber-
setzung ist alles Holperige so weit vermieden , als es bei dieser
Gattung möglich ist, und die Harmonisirung ist überall fliessend
und natürlich. Eine andere Frage ist freilich, ob es nicht stylge-
mässer wäre, Melodien, die in irgend einer alten, etwa gar in det
gälischen fünftönigen Tonart stehen, auch in dieser zu untersetzen,
wie es etwa bei Chorälen geschieht und wodurch die schroffe Eigen-
tümlichkeit der Weise noch gesteigert wird. So hätten in vorlie-
gendem Werk wohl N* 1 und 6 eine derartige Behandlung verdient ;
indessen wollen wir auch die gewählte gerne als verständig und
wohlklingend anerkennen.
Josephine Lang, unter welchem Namen Mendelssohn die
Tondichterin in seinen Briefen als seine hochbegabte Schülerin auf-
führt, und unter deren früher erschienenen Liedern viele von hohem
Kunstwerth sind, die nur theilweise wegen gar schwieriger Beglei-
tung nicht zu allgemeinerer Kenntniss gelangten, hat wieder einmal
in ihre langverstummte Leyer gegriffen und bei Stürmer in Stutt-
gart 6 Lieder für Alt herausgegeben.*) In keiuem derselben ver-
läugnet sich der Adel der Auffassung, die melodische Frische, der
harmonische Reichthum den wir an dieser Componistin ebenso
schätzen wie bei ihren Geistesverwandten Viardöt-Garcia und
Clara Schumann; indessen stehen nicht alte der vorliegenden
*) Hier scheint uns eine Personenverwechslnng stattzufinden, denn
wenn wir nicht sehr irren, so ist die Pianistin und Compo-
nistin Josephine Laug aus München, von welcher Mendels-
sohn in seinen Briefen spricht und die sich im Jahre 1841 mit
dem Professor K ö s 1 1 i n in Tübingen verheirathete , schon
vor längerer Zeit gestorben. Die begabte Liedersängerin war
die Tochter eines k. Hofmusikers in München und Schwester
des noch jetzt am dortigen Hoftheater wirkenden Komikers
Ferd. Lang, und uns von München her gar wohl bekannt.
(Aum. d. Red.)
174
Gesänge auf gleicher Höhe ; manche davon scheinen viel früher ent-
standen zu sein, und sich nur ungern noch an's Licht der Oeffent-
lichkeit befördert zu sehen; es ist nichts gefahrlicher für einen
wohlverdienten Ruhm, als Ueberlebtes, was uns selbst nicht mehr
begeistert, dem Publikum darzubieten. Am besten gefallen uns von
vorliegenden Liedern N° 1, 5 und 6; besonders letzteres ist ein dank*
bares Vortragsstück für einen klangvollen Bariton.
Unter den neu erschienenen mehrstimmigen Sachen stellen wir
obenan das bei B. Schot t' s Söhnen in Mainz erschienene
Op. 6 von PeterCornelius: drei zweistimmige Lieder für Sopran
und Bariton. Die gewählten Poesien zunächst sind äusserst anmu-
thig; die musikalische Verwerthung derselben geschah mit seltenem
Feinsinn; da sind höchst interessante Harmoniewechsel , spannende
canonische Führungen, duftige Klangeffecte, nicht, zu vergessen die
verständige Declamation und sangbare Behandlung der Stimmen.
Köstlich zumal ist der Canon N° 3 auf die Worte des alten lustigen
Tegernseer Abtes Wernher: „Ich bin dein" etc. Ich für meinen
Theil ziehe diese Duetten noch jenen, gleichwohl hoch zu achtenden,
für Alt und Bariton von Brahms vor , von welchen die letzten
beiden an einer gewissen Gemachtheit leiden. Vom gleichen Fehler
sind nicht freizusprechen die drei Ghorlieder für weibliche Stimmen
mit Begleitung von kleinem Orchester von Franz Wü 11 n er, dessen
Sachen sämmtlich einen bedeutenden, ja oft minutiösen Fleiss be-
urkunden, der fast wie Aengstlichkeit aussieht. Es hängt dies so
ziemlich allen Productionen der, wir wollen sagen, niederrheinischen
Schule an; besonders stört gewöhnlich in der Rythmik etwas Ge-
schraubtes, den natürlichen Fluss Beengendes, das sich schliesslich
trotz aller Klügelei doch lahm und hinkend ausnimmt. Uebrigens
sind diese Frauenchöre sangbar geschrieben und sehi sorgfältig
instrumentirt, so dass wir das Ganze als anständige Musik gerne
empfehlen.
Weniger günstig denken wir über ein Op. 1 von Gaukler:
zwei geistliche Lieder alla capella, die ausser einigen schulmeister-
lichen Nachahmungen in Quartensprüngen , wie sie wohl ländliche
Orgelkünstler zu improvisiren pflegen, lauter gewönliche, mehr süss-
liche Dilettantenmusik enthalten , wie sie nicht wohl im stilo alla
capella, ja nicht einmal in dem sogenannten stilo familiäre vorkommt.
CORRESPONDENZEN.
Aus Mainz.
Das angekündigte Concert der Brüder T h e r n aus Pesth fand
am Freitag den 19. d. M. im Theater statt, and es hatte sich ihnen
der Violoncellvirtuose Lübeck, welcher, früher Mitglied des Leip-
ziger Gewandhausorchesters , sich gegenwärtig in Frankfurt a. M.
niedergelassen hat , angeschlossen. Das Concert wurde mit der
„Oberon"- Ouvertüre begonnen, deren Ausführung recht präcis und
schwungvoll war, doch wurde leider ein ungetrübter Genuss durch
die wahrhaft detestable Stimmung oder vielmehr Verstimmung der
Oboen und Flöten unmöglich gemacht. Sollte denn diesem Uebel-
Btande, der schon im vorigen Winter so störend wirkte, gar nicht
abzuhelfen sein? — Die IIH. Thern spielten ein Concert für zwei
Claviere mit Orchesterbegleitung (in drei Sätzen) und ein ungarisches
Divertissement, beides Compositionen ihres Vaters Professor Thern.
Der erste Satz des Concertes ist eine recht hübsche Arbeit, sowie
auch das Adagio recht fein angelegt und durchgeführt ist; der Schluss-
satz dagegen fällt bedeutend ab und ist weder an Erfindung noch
an Factur dem ersten Stücke gleichzustellen. Wir bedauern über-
haupt , dass man nicht wenigstens ein Werk von allgemein aner-
kanntem Werthe, z. B. ein Mozart'sches Concert oder die herrlichen
Variationen für zwei Claviere von Schumann dem Programme ein-
verleibt hatte. Ueber das Spiel der Brüder Thern verweisen wir
auf das in unseren vorigen Nummer darüber Gesagte und constatiren
nur, dass die dort anerkannten Vorzüge der jungen Künstler sich
wieder vollständig bewährten. Am Schlüsse des Concertes spielten
dieselben wieder das brillante Arrangement des „Carneval von
Venedig". Das leider gar wenig zahlreiche Publikum lohnte die
trefflichen Leistungen durch wiederholte Beifallsspenden und Her-
vorrufe.
Eine höchst erfreuliche Erscheinung war uns Hr. Lübeck, der
den ihm vorausgegangenen Ruf eines ausgezeichneten Violoncellisten
in jeder Weise glänzend rechtfertigte. Schöner, weicher, wenn auch
nicht vorzugsweise starker Ton, eine durchaus geschmackvolle, das
Gemüth warm ansprechende Cantilene und dabei eine Vollendung 1
der Technik , für die es keine Schwierigkeiten mehr gibt , nebst
tadelloser Reinheit der Intonation selbst bei den schwierigsten Stellen,
dies sind die Vorzüge des genannten Künstlers, der wohl zu den
besten jetzt lebenden Violoncellisten zu zählen sein dürfte. — Hr.
Lübeck spielte ein Concertstück von Servais mit Orchesterbegleitung
und Schubert'*» »Ave Maria" sowie die bekannte Reverie von Vieux*
tetnps mit hinreissender Meisterschaft. Selbstverständlich wurde
Hrn. Lübeck die wohlverdiente Ovation von Seite des Publikums
in reichlichem Maasse zu Theil. Wir hoffen, dass uns derselbe bald
wieder mit seinem seltenen Talente erfreuen wird.
Frl. Hentz und Hr. Fischer-Achten sangen, Erstere die
B-dur-Arie aus der „Schöpfung" von Haydn und Letzterer Beet-
hoven's „Adelaide" mit Geschmack und künstlerischem Verständniss
und erndteten wohlverdienten Beifall. E. F.
Ans Ems.
10. Oclober.
Am Ende der diesjährigen Saison angelangt, erlauben wir uns
einen flüchtigen Rückblick auf dieselbe in musikalischer Beziehung
zu werfen. Wie wir bereits zu Anfang des Sommers gemeldet haben,
wurde unsere Cursaalbühne den 19. Juni eröffnet, und waren es im
Ganzen sechszehn Vorstellungen , welche die französische Künstler-
gesellschaft gab — zu jener Zeit, in der in den böhmischen Wäldern
und am Maine die Kriegsdrommete erklang , und das Publikum,
wenigstens das deutsche, eigentlich nur eine sehr getheilte Aufmerk-
samkeit den heiteren Gebilden der Muse zuwenden konnte. Nennens-
werthe Novitäten sind in der verflossenen Saison nicht vorgeführt
worden ; sicherem Vernehmen nach , konnte durch die Ungunst der
Zeitverhältnisse ein für die hiesige Bühne bestimmtes Werk von
Offenbach nicht zur Aufführung gelangen. Zu den Operetten, welche
auch in diesem Sommer mit besonderem Beifall aufgenommen wur-
den, gehören: „Le Cafe' du Roi si von L. Deffes (Text von H.
Meilhac) , „La Poupe'e de Nuremberg" von A. Adam (Text von
A. de Leuven und A. de Beauplan), »Valse et Menuet" von L.
Deffes (Text von Mery), „La Chatte mätamorphose'e en femme"
von Offenbach (Text von Scribe und Melesville) und „Lieschen
und Fritzchen" von Offenbach (Text von Briqueboul). Letzteres
Stück, eine Alsacienne, hat eine besondere Anziehungskraft für die
Deutschen vermöge des gemüthlichen Grundtones, der das Ganze
durchdringt, und man vergisst das Barocke der Sprache gern über
den ansprechenden Motiven, die an „die alten Balladen und Lieder
des Elsasses," wie es im Texte heisst, erinnern. — Noch fügen wir
obigen Operetten Paer's „Capellmeister" hinzu, der bekanntlich eines
der bedeutendsten Werke seiner Gattung ist. Wenn wir uns nicht
sehr getäuscht haben, gehört L. Deffes, dem übrigens auch ein ehren-
volles Streben nach Gediegenheit nachzurühmen ist, zu denjenigen
Componisten, die dem Publikum je länger je mehr gefallen.
Wir müssen der Administration des Cursaales die Anerkennung
aussprechen, dass sie Bich für dieses Jahr mit besonderer Sorgfalt
die Glieder der hiesigen Bühne ausgewählt hatte. Eine Zierde der-
selben waren vor Allen die Damen Frl. Albrecht (beiläufig be-
merkt, eine Mainzeriu) und Frl. Vois, sowie unter dem männlichen
Personale die trefflichen Komiker J. Paul und Gourdon.
Concerte von besonderer Bedeutung sind in der verflossenen
Saison nicht vorgekommen; der schlechte Besuch der Curorte hat
jedenfalls grosse Künstler abgehalten, hierorts aufzutreten, wie denn
überhaupt niemals Mars und die Musen in freundschaftlicher Be-
ziehung gestanden haben. Das Musikcorps des Hrn. Hartmann
von Coblenz vertrat die ganze Saison über unsere frühere Curcap eile,
die Musik des 1. nastauischen Regimentes; im September erfreute
uns die Capelle des 36. preussischen Infanterie-Regimentes unter der
Leitung des Musikdirectors Franz Fiedler mit einigen Concerten
im Freien.
-p 175 -
Da die Interessen unseres Curortes mehr oder minder von dem
Bestand des unter der preussiscben Regierung verbotenen Hazard-
«pieles abhängen , so sieht man hier , wie auch in Wiesbaden,
Homburg etc. der nächsten Zukunft mit Spannung und nicht ohne
.Besorgniss entgegen.
Aus Stuttgart*
Ende Oetober.
Von den bisherigen Concerten ist vor Allen jenes des jungen
Oeigenktinstlers A. Küchler zu erwähnen, welcher besonders die
ungarische Liederfantasie von Ernst und das perpetuum mobile von
Faganini mit schönem Ton und bewundernswerter Technik vortrug.
Daneben spielte noch Frl. A. Mehlig, nunmehr auch Hofpianistin
I. M. der Königin von Würtemberg, die Liszt'sche Paraphrase des
Tannhäuser-Marsches, Hr. Robicek und Frl. Ehnn, unser neu-
engagirter, vom Publikum bereits bedenklich bevorzugter, indessen
•noch einiger Schule bedürfender Mezzosopran , sangen , und Frl.
Meyer und Hr. Robert declamirten. Wir möchten hier vor
einer gewissen Nonchalance warnen , welche in manchen hiesigen
Concerten einzureissen scheint und welche die , besonders Meister-
werken gebührende Pietät oft sehr vermissen lässt; hier nur einige
Beispiele: bald wird ein bedeutsames Nachspiel eines Liedes weg-
gelassen, bald unerhörte Tempi genommen, bald Gesänge, mit denen
•die Originaltonart unzertrennlich ist, beliebig transponirt. Wer etwas
klassisches in der Originallage nicht singen kann, bleibe weg davon;
Ausnahmen dürfen sich höchstens eine Viardot oder ein Stock-
liausen erlauben. Ueberdies wäre es Pflicht gewissenhafter Sänger,
$>ei Schubert'schen „Müllerliedern" die Randhartinger'sche Original-
ausgabe zu Rathe zu ziehen, und nicht die empörenden Willkürlich-
weiten pietätloser Gurgelhelden wieder und wieder abzusingen.
In der „Zauberflöte hörten wir einen ebenfalls neugewonnenen
Sänger, Hrn. Baumann, als Sarastro, der, wenn auch nicht be-
sondere Tiefe , doch ein vortreffliches Material besitzt , aber noch
fceinen gehörigen Unterricht genossen zu haben scheint; Tonbildung
find Aussprache sind gleich fehlerhaft; wir wünschten demselben
•die treffliche Schule , welche auswärtige Bühnen an den Zöglingen
unseres Rauscher zu schätzen wissen.
Auch im letzten Singvereins - Concerte errang eine frühere
Schülerin unseres Conservatoriums, Frl. Mors tat t, glänzende Er-
folge. Dieselbe ist in der Schweiz als Concertsängerin allgemein
gesucht, wie denn überhaupt die Methode jeneB Instituts durch zahl-
reiche Eleven in weiter Ferne zur Geltung gebracht und fortge-
pflanzt wird.
In dem ersten Concerte des Orchestervereins hörten wir Catel's
•etwas schulsteife Ouvertüre zu „Semiramis" und eine ziemlich harm-
lose Sinfonie in Es (N° 15) von Mozart. Frl. Richter, deren wir
«chon früher erwähnten, sang Einiges, darunter eine in Tempo und
Character grÖssteutheils vergriffene Arie aus Händers „Semele," und
Hr. Egm. Fröhlich spielte eine Clementi'sche Sonate (Op. 50,
N* 2, D-moll) und Beethoven's Variationen (Op. 34), letztere aber
mit solcher Reinheit, Wärme und Fertigkeit, dass wir diesen Bericht
nicht schliessen wollen , ohne ihm hiermit unsere dankbarste Aner-
kennung auszudrücken. T.
Aus Paris.
tt. Oetober.
Gluck's „Alceste" erfreut sich in der grossen Oper eines sehr
lebaften Beifalls, aber wie es sich von selbst versteht, nicht bei der
Masse, die eine solche classische Kost nicht stark genug gewürzt
findet, sondern bei der verhältnissmässig kleinen Zahl aufrichtiger
Musikfreunde. Gluck's Werk wird übrigens auf eine sehr befriedi-
gende Weise gegeben, und man muss der Direction Dank wissen,
■dass sie dasselbe wieder auf das Repertoir gesetzt. — Das Ballet
■,,La Source" hat wegen Unwohlsein der Salvioni noch nicht ge-
geben werden können ; man hofft, es werde nächste Woche in Scene
gehen. — Die Proben des »Don Carlos von Verdi werden ohne
Unterbrechung betrieben.
Die Ope'ra comique lässt noch immer das Publikum auf die
Aufführung der neuen Oper „Mignon" von AmbroiBe Thomas
warten ; doch wird dies Werk- hoffentlich im Laufe künftigen Monat«
zur Darstellung gelangen.
Adelina Patti ist in der vortrefflichen Oper der Gebrüder
Ricci „Crispino e la Comare" aufgetreten und hat wahrhaft Fu-
rore gemacht. Sie lässt auch in der Rolle der Annetta wirklich
nichts zu wünschen übrig. Sie wurde mit Kränzen und Blumeu-
sträussen überschüttet. Die genannte Oper war schon früher sehr
beliebt und sie wird daher mit der jetzigen Besetzung noch eine
lange Reihe von Vorstellungen im Solle Ventadour erleben.
Das The'dtre lyrique übt mit Mozart's „Don Juan* eine ausser-
ordentliche Anziehungskraft auf das Publikum aus. Dieselbe Bühne
wird auch, wie es heisst, nächstens wieder „Oberon" zur Darstel-
lung bringen. — Die beiden neuen Opern „Sardanapale" von
Jonciere und „iJe'borah" von Devin-Duvivier werden fleissig
einstudirt. — Wann dort Gounod's „Romeo und Julie" dem Pub
likum vorgeführt wird, ist noch ungewiss.
NT a c li r I e h t e n.
Dresden. Am 15. Oetober gab die „Liedertafel" in der hiesigen
Frauenkirche ein geistliches Concert für die Abgebrannten in Ehren-
friedersdorf und brachte unter Leitung ihres bewährten Dirigenten
Hr. F. R e i c h e 1 1) Das „Vater Unser" von Reichel, 2) Arie „Sei
getreu bis in den Tod" aus Mendelssohn's „Paulus", 3) Requiem
von Cherubini, 4) Arie , Sanctus, o salutaris" mit Orgelbegleitung
des Hrn. Stephan, gesungen von Frl. AI vsleben, und 5) Motette
„Verzweifle nicht" für 8stimmigen Männerchor und Orchester von
R. Schumann zur Aufführung. Eingeleitet wurde das Concert durch
ein Orgel-Präludium des Hrn. Stephan. Die Paulus-Arie sang Hr,
Elmendorf recht hübsch, sowie denn sämmtliche Nummern in
lobenswerther Weise durchgeführt wurden. Leider war das Concert
nicht so besucht, als es der Zweck und der gute Wille der Lieder-
tafel verdient hätten.
Leipzig. Die unter dem Titel: „Andante - Allegro" hier beste-
hende Gesellschaft von Künstlern und Kunstfreunden veranstaltete
zur Feier des 74. Geburtstages des Hrn. Dr. Moriz Hauptmann
am 12. d. M. einen musikalischen Abend im Saale des „Hotel de
Pologne," wobei eine Reihe von Vocal- und Instrumental-Composi-
tionen des gefeierten Künstlergreises aufgeführt wurden.
— Das erste Gewandhausconcert fand am 18. d. M. mit fol-
gendem Programm statt: I. Theil. Ouvertüre zur Oper „Die Aben-
ceragen" von Cherubini; Recitativ und Arie aus der „Schöpfung"
von Haydn, ges. von Frau Ulrich-Rhon vom grossh. Hoftheater
in Mannheim ; Concert in D-moll für die Violine von Spohr, vorgetr.
von Hrn. Hermann Brandt aus Hamburg; Arie aus „Faust" von
Spohr, ges. von Frau Ulrich-Rhon. II. Theil. Sinfonie N° 7 (A-dur)
von Beethoven.
München, Der Redacteur des „Neuen baierischen Couriers" ist
bekanntlich vom Stadtgericht wegen Beleidigung des Hrn. v. Bülow
in seinem Blatte zu einer Strafe von 3 Tagen Arrest und 10 fl,
Geldbusse verurtheilt worden. Der Beklagte appelirte und bean-
tragte, dass ihm statt des Arrestes blos eine Geldstrafe zuerkannt
werde. Das Bezirksgericht in seiner Sitzung vom 25. Oct. hat nun
diesem Ansinnen entsprochen und die Strafe in eine einfache Geld-
busse von 50 fl. verwandelt, ungeachtet der Anwalt des Klägers und
der Staatsanwalt sich für Aufrechthaltung der Arreststrafe aussprachen.
Wien. Nach langer Ruhe ging im Hofoperntheater am 15. d. M.
Herold's „Zampa" wieder in Scene und fand vielen Beifall. Die
Titelrolle wurde durch Hrn. von Bignio mit vielem Fleiss und
manchen schönen Momenten wiedergegeben. Frl. K r a u s s sang
und spielte die Partie der Camilla mit Feinheit und Noblesse.
Stürmischer Beifall folgte dem Duette zwischen Rita und Capuzzi
im 2. Acte, meisterhaft ausgeführt in Spiel und Gesang durch Frl«
Bettelheim und Hrn. Mayerhofer.
— Die „Gesellschaft der Musikfreunde" gibt am 4. November
ihr erstes Concert mit folgendem Programm: Ouvertüre zum „Berg-
geist" von Spohr; Sinfonie in H-moll von Schubert; Marsch und
Chor aus den „Ruinen von Athen" von Beethoven ; Arie aus „Obe-
ron ," und Finale aus Mendelssohn's „Lorelev" unter Mitwirkung
der Sängerin Frl. Marie W i lt.
— Zu der im Laufe dieser Saison bevorstehenden Aufführung
— 176
«lerCantate „La Damnation de Faust 4 vonH. Berlio« hat dieser
«ine an ihn ergangene Einladung angenommen.
Brüssel. Der „Guide musical" sagt in Bezug anf das Orato-
rium „Lucifer" von Pierre Benott: „Unsere sämmtlichen Jour«
Haie stimmen fiberein in dem Lobe dieses beachtenswertben Werkes
des jungen belgischen Meisters," und fährt dann die in den be-
deutendsten Blättern enthaltenen, durchweg günstigen Kritiken an.
Wir verweisen unsere Leser auf das in unserer vorletzten Nummer
(42) über diesen Gegenstand bereits Mitgetheiite.
P&riS. Die Conservatoriumsconcerte werden demnächst wieder
beginnen und man hört mit Vergnügen, dass das Comite sieh ent-
schlossen hat, dieses Jahr, um den zahlreichen Kunstfreunden, welche
bei der Beschränktheit der Raumes bisher ausgeschlossen blieben,
Genüge zu thun, zwei Abonnement-Serien geben wird und zwar in
der Weise, dass jedes Abonnementconcert am darauffolgenden Sonn-
tage für die Abonnenten der zweiten Serie wiederholt wird; jeden
dritten Sonntag wird dann Pause gemacht. Es ist dies eine sehr
lobenswerthe Einrichtung, welche allgemeine Anerkennung findet.
— Am Sonntag den 21. d. M. fand das erste der populären
Concerte des Hrn. Pasdeloup statt mit folgendem Programm :
Ouvertüre zur Oper „Freischütz"; Sinfonie in C-dur (Op. 34) von
Mozart; Balletmusik von Gounod ; Andante und Variationen von
Haydn (zum 1. Male); C-moll-Sinfonie von Beethoven.
— Wie bereits mitgetheilt wurde, beabsichtigt Rossini sich
an die Orchestrirung seiner Messe zu begeben. Von speculativen
Concertunternehmern sollen dem Maestro bereits fabelhafte Summen
geboten worden sein für das Aufführungsrecht des vollendeten Werkes
zur Zeit der grossen Industrie-Ausstellung in Paris. Doch soll sich
indesB derselbe bis jetzt solchen Anerbietungen noch unzugänglich
erwiesen haben; so erzählen wenigstens Pariser Blätter.
London. Die bedeutende Anzahl von Theatern in London ist
kürzlich wieder durch ein neues vergrössert worden, indem das neu-
erbaute Holborn-Theater, in dem gleichnamigen Stadttheile gelegen,
eröffnet wurde, und zwar unter grossem Zudraug von Schaulustigen,
deren Erwartung noch gesteigert wurde durch die angekündigte Auf-
führung eines neuen Stückes von dem äusserst populären Dichter
Boncicault. Das Haus ist ungefähr ebenso gross wie das Olympia-
Theater, aber viel bequemer eingerichtet. Das Eröffnungsstück war
eine Farce von T.J.Williams, betitelt: „Larkin's Liebesbriefe";
nach dessen Schluss hielt der Director des Theaters, Hr. Sefton
Parry eine kurze humoristische Ansprache an das Publikum, und
nun kam das ersehnte Stück von Boncicault, ein sogenanntes Turf-
StQck, in welchem eigentlich Rennpferde die Hauptrolle spielten.
Den höchsten Enthusiasmus erregte das mit nochniebtdagewesenem
Aufwand von decorativen und mechanischen Künsten in Scene ge-
setzte Derby- Wettrennen. Der Unternehmer kann mit seinem ersten
Erfolge in jeder Beziehung vollkommen zufrieden sein.
*,* Das konigl. Schullehrer- Seminar zu Eichstätt in Baiern
veranstaltete vor einiger Zeit in der dortigen Peter und Paulkirche
eine Production von Orgelcompositionen älterer und neuerer Meister.
Die erste Abtheilung enthielt Compositionen aus dem 16. und 17.
Jahrhunderte, so von Jacques Buns (1540), Claudio Merulo (1578),
Frescobaldi (1630), Scarlatti (1683), während die zweite Abtheilung
Werke von J. S. Bach, Händel, Job. Ludw. Krebs, Rink, Ad. Hesse,
L. Spohr, J. G. Herzog und Fei. Mendelssohn -Bartholdy brachte.
Wir erwähnen dieser Aufführung, weil sie einen erfreulichen Beweis
liefert, dass das Orgelspiel, welches in den katholischen Kirchen
Baierns im Allgemeinen nicht sonderlich glänzend bestellt ist, we-
nigstens hie und da eine bessere Pflege findet. Mögte in allen
Schullehrer-Seminarien demselben gleiche Sorgfalt zugewendet wer-
den wie in Eichstätt.
* *
* Der zur Zeit in Schandau weilende Tanzcoroponist A.
Wallerstein hat dort sein „Album für 1867" vollendet, welches
wie seine Vorgänger bei Schott' s Söhnen in Mainz erscheinen
wird und , wie von competenter Seite versichert wird , auch wieder
viele hübsche, frische und originelle Weisen enthält.
*** In Hamburg sind populäre Abendunterhaltungen für Kam-
mermusik organisirt worden und fand die erste derselben bereits am
12. October statt, in welcher die HH. L. A u e r aus Düsseldorf,
L. Albrecht aus Petersburg, Brandt und Kleinmichel aus
Hamburg das Tiio N* 2 in F-dur für Pianoforte, Violine und Vio-
Ion cell von Schumann, Sonate in A-dur für Pianoforte und Violon-
cell von Beethoven und ein Quartett von Haydn vortrugen. Hr.
Stockbausen sang Lieder aus Schuberts „Schwanengesang" uncl
deutsche Volkslieder. Die Eintrittspreise sind auf 20 Schillinge für
den Saal und 12 Schillinge für die Gallerie festgesetzt.
*** Die italienische Oper, welche im Berliner Victoriatheater
Vorstellungen gab, hat dieselben nach kurzer Zeit wieder eingestellt,,
da die geringe Theilnahme , welche den Unternehmern von Seito-
des Publikums gewidmet wurde, eine weitere Fortführung desselben
unmöglich machte.
*** Das abgebrannte grosse Theater in Constantinopel soll auf
Befehl des Sultans mit grossem Kostenauf wände wieder hergestellt
werden, und ist der italienische Architect Minareli Straboni.
mit dem Baue beauftragt.
V Frl. Anna Mehlig aus Stuttgart, Hofpianistin der Gross-
herzogin von Weimar, ist nun auch von der Königin von WÜrtem»
berg zu deren Hofpianistin ernannt worden.
V Bossini, Friedlich Rieci, die Librettisten Piave und
Solera, sowie der Balletmeister Saint-LSon haben vom Kaiser
von Bussland den Alexander-Newsky-Orden erhalten.
*„* Shylok, der so lange schon sein Messer wetzt, muss nun-
selbst an's — musikalische Messer, d. h. er muss singend „auf seinem
Schein Btehen," da in der nächsten Saison des Coventgarden-Theaters
eine Oper „Der Kaufmann von Venedig" von Ciro Pinsuti zur
Aufführung kommen soll.
*** In Strassburg werden auf Anregung und unter der Leitung
des Orchester- Directors Hasselmans sechs classische Concerte
stattfinden, in welchen vorzugsweise die Werke der grossen deut»
sehen Meister vorgeführt werden sollen.
%* Die erste Opern - Novität , welche das deutsche Theater in*
Prag diesen Winter bringen wird, ist Abert's „Astorga"; die-
Bollen sind bereits vertheilt. Abert ist bekanntlich ein geborner
Böhme.
*** Verschiedene Zeitungen bringen die erschütternde Nach-
riebt, dass ein nach New- York und New-Orleans bestimmtes Dampf-
schiff, welches 300 Passagiere an Bord hatte, mit Mann und Maus
zu Grunde gegangen sei. Unter den Passagieren sollen sich zwei,,
fttr die Oper und für die Comödie engagirte Gesellschaften französi-
scher Künstler befunden haben.
*** »Der Sohn der Wüste" ist der Titel einer neuen Oper
von A. Rubinstein, welche diesen Winter in Moskau aufgeführt,
werden soll.
*** Der Kurfürst von Hessen beabsichtigt, in Hanau ein an-
ständiges Theater in's Leben zu rufen, um die langgewohnte Zer-
streuung durch die Kunst nicht entbehren zu müssen.
*** Die Nachricht, dass R. Wagner an einer Oper „Friedrieb
von Hohenstaufen" arbeite, wird in den Leipziger „Signalen" de*
mentirt. Bleibt also nur noch der „Teil," wenn er nicht ebenfalls*
apokryphisch ist.
*** Der Schauspieler Friedrich Haas e ist in Coburg lebens-
länglich als „Hof8chauspieldirector" engagirt, mit 4000 fl. Gehalt,,
freier Wohnung und dreimonatlichem Urlaub.
*** Die „Neue Zeitschrift für Musik" enthält eine Mittheilung
aus Born, nach welcher Liszt sein Oratorium „Christus," von dem«
die schon öfter aufgeführten „Seligkeiten" und das „Vater unser*
Bruchstücke sind , nun gänzlich vollendet haben soll. Das Werk
füllt vollständig einen Abend aus und dürfte an drei Stunden dauern.
*** Joachim hat am 13. d. M. seine Quartettsoire'en in.
Hannover wieder eröffnet. Das bisher nach englischem Muster in.
Hannover eingeführte Verbot der Theatervorstellungen an Samstagen,
ist jetzt aufgehoben werden.
*** Ein Schaffhausener Bürger Namens lmthurn bat daselbst
mit einem Kostenaufwand von einer halben Million Francs ein.
Theater erbauen lassen, welches den Namen „Imthurneum" erhält,
auf 700 bequeme Sitzplätze eingerichtet ist und das Bchönste
Theater in der Schweiz sein soll. Zum Director desselben ist Dr.
Ferd. Stolte bestimmt.
Briefkasten. Unsern geehrten Hrn. Correspondenten in»
Leipzig ersuchen wir hiermit um baldige Erfüllung seiner freund-
lichen Zusage.
■i i m » ii » ——————■
Verantw. Red, Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wa?lau 9 Mainz*.
15. Jahrgang.
JV* 4S.
5. November 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUND.
r„
•-«/f
\
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
?«Hlg
r
Ton
4
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Sehott & Co.
PBEIS:
£1. 2. 42 kr. od. Tu. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
IIHALT: Die pästliche Capelle. — Giovanni Pacini. — Nachrichten.
Hie päpstliche Capelle.
Aus J. W. V. Wasielewskfs „Erinnerungen aus Italien."
Die Hauptstadt der katholischen Christenheit geniesst den alten
Bnhm, in der päpstlichen Capelle ein musikalisches Kunstinstitut
ohne Gleichen au besitzen. Man begreift daher, dass dem Fremden
die Bekanntschaft mit den Leistungen desselben ebenso wichtig er-
scheint, wie etwa die Besichtigung der vaticanischen and capitoli-
nischen Museen, und dies um so mehr, je seltener Gelegenheit ge-
boten ist, den genannten Sängerchor zu hören. Es ist Vorsorge
dafür getroffen, dass demselben der Beiz der Neuheit und damit ein
gewisser Nimbus erbalten bleibt. Denn nur in der Charwoche und
an einigen hohen Festtagen, bei denen der Papst persönlich in der
sixtinischen Capelle fungirt, lässt er sich vernehmen. Begreiflicher
Weise bilden diese Momente Beiner offiziellen Thätigkeit einen grossen"
▲asiabwigsponkt für die Fremden, welche sich auch stets zahlreich
lagjge vor Beginn der betreffenden Ceremonie im Vorraum der six-
tpHschen Capelle einfinden. Endlich wird die belagerte Pforte ge-
öffnet; man darf eintreten in das Heiligthum, wenn man sich näm-
licn durch einen anständigen Frack zu legitimiren vermag (denn
nur Leute im Gesellschaftsanzuge werden eingelassen), und ist froh,
einen leidlichen Stehplatz zu erobern. In ermüdender Stellung harrt
man gelassen und andächtig der Dinge, die da kommen sollen. Er-
hoben und erwartungsvoll gestimmt betrat ich jene Räume, in denen
der unvergleichliche Geist von Michel Angelo mit titanischer Kraft
sich verewigt hat. Der Kühnheit und Gewalt seines Ausdrucks in
diesen einzigen bildlichen Darstellungen voll prophetischer Hoheit
und Wahrheit ist nichts Anderes in der Malerei vergleichbar, und
unnahbar stehen sie im Gebiete der Kuust da , gleichwie in der
Natur jene riesigen, von ewigem Schnee bedeckten Bergcolosse, die
vereinsamt und majestätisch aus der Alpenwelt in den blauen,
sonnenverklärten Aether hinaufragen. Doch wer nur für das Mäch-
tige, Gewaltige in der Kunst einen Sinn mitbringt, wird an dieser
Stelle Genüge finden: das Liebliche, Anmuttnge, absolut Schöne,
was in Raphael's wundergleichen Werken jeden Beschauer ohne
Unterschied des Empfindungsvermögens so unmittelbar eifasst und
erfüllt, ist hier ausgeschlossen.
Eben war ich in den Anblick des Michel Angelo'schen Christus
versunken, der im Weltgericht des Meisters mit alttestamentarischem
Zornesblick und entsprechender Geberde das Verdammungsurtheil
auf die den finsteren Mächten Verfallenen herabschleudert, als die
ersten Töne des Sängerchors an mein Ohr schlugen. Die Function
begann in dem Augenblicke, da der Papst mit seinem zahlreichen
Gefolge die Capelle betrat. Es ist schwer, die Wirkung zu schil-
dern , welche die Leistung der päpstlichen Sänger in der zu Gehör
gebrachten Messcomposition bei mit erzeugte. Ein Gemisch von
starker Enttäuschung und dem eifrigen Bestreben, an dem Gehörten
jene Eigenschaften zu entdecken, von denen ich so viel gehört und
gelesen, beherrschte mich, und unter den widersprechendsten Ge-
fühlen hörte ich die ersten Voealsätse an. Die Leistungen erschie-
nen mir mittelmäßig, und doch getraute ich mir nicht, solches zu-
zugestehen, denn ich war voll des besten Willens, das auch schön
und treulich zu finden, was zu so grosser Berühmtheit gelangt. Doch
alles das half mir nicht über den wirklichen Eindruck hinweg, den
die musikalische Production auf mich machte. Sie bewirkte viel-
mehr nach und nach die vollkommene Ueberzengung bei mir, dass
es sich um ein Kunstinstitut handle, welches, ehedem einzig in seiner
Art, durch fortgesetzte ungenügende Führung allmählig in das Sta-
dium unaufhaltsamen Verfalles gerathen sei. Und hier fand ich
wieder einmal die schon oft gemachte Erfahrung bestätigt, dass ein
wohlbegrüodeter Ruf weit schwerer zu verlieren als zu erwerben ist.
Die päpstliche Capelle wird fort und fort bei allen denen als das-
jenige gelten, was sie ohne Zweifel ehedem war, eben weil sie einen
alten Ruhm besitzt. Indess nur unklare Naturen , die sieh dem
Autoritätenglanben blindlings hingeben, und denen die wahren Be-
dingungen der Kunst nicht gegenwärtig sind, können hier getäuscht
werden.
Doch ich will mich näher erklären. Die Leistungen der six-
tinischen Capelle bleiben nicht nur in geistiger, sondern auch in
technischer Beziehung hinter jenen Erwartungen zurück , die mau
sich allen Prämissen zufolge von ihnen macht und machen darf.
Das Institut ist einem seelenlosen Formalismus verfallen , und in
handwerksmässigem Betriebe wird eine Thätigkeit mit mechanischer
Routine fortgesetzt, die sich in keinem Pnnkte verkennen lässt.
Diese Erscheinung findet ihre vollkommene Erklärung in dem neueren
Entwickelungsgange der Musik Italiens überhaupt. Nach einer
glänzenden Epoche, welche von den namhafteste/t Meistern repräsen-
tirt wurde, gerieth diese Kunst dort allmählig in Verfall. Die Ton-
setzer gaben das künstlerische Ideal ihrer Vorgänger auf und füg-
ten sich mehr und mehr den wechselnden Tagesbedürfnissen des
Publikums, das infolge socialer und politischer Corruption nur noch
nach oberflächlichem, einschmeichelndem Ohrenkitzel verlangte. Der
Geschmack entartete solchergestalt; selbst für das Handwerk der
Kunst, für die Technik verlor man die festen Haltpunkte, das Me-
thodische der Kunstübung, und was von Traditionen in dieser Be-
ziehung übrig geblieben war, wurde geistlos und schablonenmässig
angewandt oder wohl gar in einseitiger Uebertreibung ohne inneres
Verständniss der Sache bis zur Carricatur entstellt. Auf diesem
Standpunkte erblicken wir heute im Allgemeinen die Handhabung
der Tonkunst in Italien. Auch die sixtinische Capelle, das ehedem
hervorragendste Musikinstitut das Landes, hat sich diesen Zuständen
nicht zu entziehen vermocht. Sie würde es ebenso wenig gekonnt
haben, wenn ihre artistische Leitung eine bessere wäre, als sie ist.
Zwar bewahrt man auch hier, wie der Vortrag in mancher Beziehung,
namentlich aber in Betreff des Declamatorischen , erkennen lässt)
Traditionen. Allein die Anwendung derselben erfolgt äusserlicb und
in so affectirt gröblicher Weise, dass die musikalische Wirkung des
Ganzen nur entstellt wird, anstatt gehoben zu werden. So geschieht
es, dass einzelne Töne, Figuren und Phrasen der declamatorischen
Betonung halber roh und gewaltsam hervorgestossen werden, wäh-
rend der natürliche Gegensatz einer aceentuirten Vortragsweise, das
— 178 —
Legato, gänzlich fehlt. Auch von einem guten Portament habe ich
keine Spur gefunden, Ueberdies war die Intonation , das erste
Bedingniss einer musikalischen Leistung, höchst unsauber, und im
Ensemble nahm bisweilen eine völlige Unklarheit der Gestaltung
überhand. Alles wurde stark gesungen ; die Abstufungen des p und
pp fehlten ganz.
Besser als die Gesammtleistungen waren einige Solopartien, iu
denen einzelne schöne Stimmen vernehmbar wurden. Doch gehörten
diese zu den Ausnahmen. Ich hatte eine Vereinigung von auser-
lesenen Gesangskräften erwartet und wurde auch in dieser Beziehung,
wenigstens theilweise, völlig enttäuscht. Zumal die näselnden, fast
schnarrenden Castratenstimmen machten einen Übeln Eindruck. Kurz,
ich gelaugte zu keinerlei Genuss.
Man sagt, dass die sixtiniscke Capelle den Glanz ihrer Leist-
ungen vornehmlich in den Productionen der Cbarwoche entfalte.
Hieran darf man indess mit Recht zweifeln. Denn die Gesänge,
welche bei dieser Gelegenheit zur Aufführung kommen, insbesondere
die Improperien des Palestrina, erfordern eben ganz andere Eigen-
schaften, als der päpstliche Sängerchor bei seiner Pfingstfestproduc-
tion mir offenbart hat. Die genannten Compositionen des Meisters
gehören vermöge ihr«ur grossen Einfachheit und Tiefe zu den schwie-
rigsten Aufgaben der musikalischen Vortragskunst, und in dieser
Beziehung gerade lassen die fraglichen Sänger Alles zu wünschen
übrig. *)
Giovanni Pacini.
Der greise Maestro P a c i n i , welchen die Last seiner Jahre
nicht hindert, noch immer als Operncomponist thätig zu sein, hat
dem Theater San Carlo in Neapel den ersten Act seiner neuen Oper
^Berta" eingesendet und arbeitet rüstig an der Vollendung des ganzen
Werkes. Eine so seltene Dauer der geistigen Frische und der Fan-
tasietliätigkeit verdient wohl, dass man sein schöpferisches Wirken
sich etwas näher betrachtet, umsomehr als auch die italienische Oper
in Paris durch die Wiederaufführung der Oper .,Saffo" von Paciui
die Aufmerksamkeit wieder auf diesen Componisten gelenkt hat»
der zwar in Deutschland wenig gekannt ist, dagegen zu den frucht-
barsten italienischen Operncomponisten gehört und die dortigen
Bühnen Jahrzehnten lang mit Opern förmlich überschwemmt hat.
Wir entnehmen dem „M&nestrel" folgende Notizen: Das Ende
des 18. Jahrhunderts brachte in Italien sechs Componisten hervor,
die, was Fruchtbarkeit anbelangt, einander nichts nachgaben, und
keiner von ihnen hat weniger als 50 Opern geschrieben ; Pacini
muss nahe an seiner hundertsten angekommen sein. Die er-
wähnten sechs Musiker sind : C o c c i a (1789), Rossini (1792),
Coppola (1793), Pacini (1796), Donizetti und Mercadan te
(1797). Ein einziger von ihnen, und zwar einer der begabtesten,
der liebenswürdige Donizetti ist todt. Bossini überlebt sich selbst
nach einem 40jährigen Schweigen; Mercadante ist vor der Zeit alt
geworden und nun seit mehreren Jahren erblindet, so dass er seine
Stelle als Director des Conservatoriums in Neapel niederlegen musstc;
gleichwohl hat er noch iu diesem Jahre eine neue Oper, „ Virginia"
aufführen lassen. Coccia und Coppola schreiben schon lange nicht
mehr; der Erste lebt vermuthlich in Turin, der Andere ist seit vielen
Jahren Concertmeister und Orchesterdirector am Theater San Carlos
in Lissabon. Nur Giovanni Paciui, der Freund und Arbeitsgenosse
Rossini's, steht noch auf der Bresche und scheint noch gar nicht an
seinen Rückzug zu denken.
Er ist am 17. Februar 1796 in Catania geboren, also nahezu
71 Jahre alt, was ihn jedoch nicht hindert, einer der beschäftigtsten
Menschen in ganz Italien zu sein, indem er hier eine Oper gibt»
dort eine Messe aufführt, kritische und gelehrte musikalische Artikel
für zehn verschiedene Journale liefert, sich mit der Errichtung eines
Monumentes für seinen Freund Rossini oder einer Statue für seinen
Landsmann Guido Monaco (Gui d'Arezzo) befasst, seine Memoiren
schreibt, als Schiedsrichter über verschiedene musikalische Preis-
concurrenz-Arbeiten und Gott weiss, mit was sonst noch beschäftigt
*) Das Urtheil, welches L. Spohr in seiner Selbstbiographie über
die Musikaufführungen in der sixtinischen Capelle während der
Cbarwoche abgibt, stimmt in der Hauptsache mit dem des Hm.
v. Wasiliewski vollkommen überein. (Anm. d. Red.)
ist! Thatsache ist es, dass der Componist der »Saffo* 1 und der
„Niobe" jederzeit von wunderbarer Rührigkeit war, und dass diese
Rührigkeit, weit entfernt abzunehmen, sich im Gegentheil mit zu-
nehmendem Alter zu verdoppeln scheint. Im vergangenen Jahre
veröffentlichte er seine „Memorie artistiche" componirte eine grosse
Cantate für die Enthüllung des Denkmals, welches in Pesaro für
Rossini errichtet wurde; er besorgte die Correspondenz mit dem
Comite , welches mit der Ueberbringuug der irdischen Ueberreste
Bellini's nach Catania beauftragt war; er schrieb viele Briefe in
Bezug auf die Gui d'Arezzo zu erweisenden Ehren ; dies Jahr com-
ponirte er eine Oper, „Berta," welche demnächst in Neapel aufge-
führt werden soll, uüd zu gleicher Zeit lieferte er unzählige Artikel
für die verschiedenen musikalischen Zeitschriften Italiens. Dabei
kann er sich rühmen, sein ganzes Leben lang gearbeitet zu haben,
indem er in noch jugendlichem Alter seine Laufbahn betrat. Als
der Sohn des Sängers Luigi Pacini, welcher zuerst ein vortreff-
licher Tenorist und später ein renommirter Buffo war, machte er
seine musikalischen Studien in Bologna, wo er mit Tommas Mar-
en es i, sodann mit dem berühmten Pater Stanislaus Mattei
studirte. Kaum 15 Jahre alt, schrieb er eine Farce, „Jnnetta e
Luanda,* welche er im Theater Canobbiana in Mailand aufführen
liess. Mit eiuem Sprunge iu den glücklichsten Erfolg eingetreten,
gab er nacheinander „ Adelaide e Comingio* in Mailand, ^Atala*
in Padua , „La tiposa fedele" in Venedig , „L'Evacuazione del
Tesoro" in Pisa und u liosina H in Florenz. Mit 20 Jahren erzielte
er |eineu ausserordentlichen Erfolg in der Scala mit »il Barone di
Dolsheim." uud nun folgten in unglaublicher Schnelligkeit mehr als
ein Dutzend Opern aufeinander.
Im Jahre 1822 befand er sich in Rom, wo er für das Theater
Argentiua seinen „Cesare in Egitto" schrieb, während Rossini für
Tordinona au seinem „Corradino" arbeitete. Eines Tages erhielt
er folgendes Billet: „Carissimo Pacini ! Komme so schnell als mög-
lich zu mir, da ich dich dringend noth wendig sehen muss. In der
Noth erkennt man seine Freunde ! G. Rossini."
Pacini eilte sogleich zu Rossini, der ihm ungefähr folgendes
sagte: „Du weisst, dass ich den „Corradino" für Tordinona schreibe;
wir sind schon in den letzten Tagen des Camevals, und es fehlen
mir noch sechs Nummern. Tordinona quält mich und hat Recht;
darum habe ich gedacht, Du könntest meine Plage mit mir theilen,
d. h. Du solltest nämlich drei Stücke schreiben, uud ich schreibe
die andern drei. Da ist der Text, Papier , ein Stuhl , nun mache
Dich au die Arbeit." Pacini that, was sein Freuud von ihm ver-
langte, so dass die Oper zur rechten Zeit gegebeu werden konnte;
leider hatte sie aber keinen Erfolg.
Pacini begab sich bald hierauf nach Neapel , wo er seinen
,,/4/essandro neV Indie" aufführte, uud dann sich für eiuige Zeit
wie Rinaldo iu die Gärten der Armida zurückzog, dajä heisst, er
heirathete eine junge Neapolitauerin, welche das Wunder vollendete,
ihn während eines ganzen Jahres von der Bühne entfernt zu halten.
Im Jahre 1825 erschien er in San Carlo wieder mit seiner u Ama-
zilia" und einige Mouate später gab er seine Oper „& Ultimo giorne
di Pompeji " ein Werk, welches ihm einen seiner grössten Triumphe
bereitete und welches seinen Namen zuerst in Paris bekannt machte,
wo dasselbe am 2. October 1828 als Debüt der grossen Gesangs-
künstleriu Mme. M eric-La laude gegeben wurde. Hierauf schrieb
er für Mailand ,.La Gelosia corefta" und sodann wieder für Neapel
seine >y Niobe ," eines seiner Hauptwerke; diese Oper war für die
Pasta geschrieben, welche eine schöne Cavatiue aus derselben be-
rühmt machte und sie in vielen andern Opern einlegte. Auf „TVäfofo"
folgten mindestens ein Dutzend verschiedene neue Opern, die wir
nicht namentlich anführen.
Im Jahre 1835 liess sich Pacini in Viareggio nieder, wo er eine
Musikschule gründete und ein Theater erbauen liess , welches er
1837 mit seiner Oper „// Talismano" eröffnete. Im folgenden
Jahre begab er sich wieder auf die Wanderung und goss eine ganze
Fluth von Opern über die verschiedenen Städte Italiens aus. Man
sieht, er verlor keine Zeit; und doch, was bleibt von diesem so
zahlreichen Repertoir, und wieviele Opern von diesem Componisten
werden, selbst in Italien heutzutage noch gegeben? Höchstens drei:
„Niobe," „Saffo" und „// Saltimbanco." Die übrigen sind, wohl für
immer, verschwunden, und diese Vergessenheit ist die gerechte Strafe,
die einen Mann von Talent und Einbildungskraft treffen musste, der
- 179 -
«ich zu wenig um seinen Ruf kümmerte, die Quantität mehr wie die
Qualität im Auge hatte , und auf unverzeihliche Weise das in hun-
dert mittelmässigen oder schlechten Partituren verzettelte, womit er
zwanzig ausgezeichnete hätte machen können. In Frankreich kennt
man nur vier Opern von Pacini. Die jetzt wieder hervorgesuchte,
^Saffb, 11 wurde in Paris 1842 gegehen, nachdem sie 1841 in Rom
«um ersten Male über die Bretter gegangen war.
W a c 8i r i c h t e n.
Düsseldorf Am 26. October fand in der neuen Tonhalle das
«rste Concert des „Allgemeinen Musikvereins" unter Leitung des
Hrn. Musikdirector Julius Tausch Btatt und wurde mit der treff-
lich ausgearbeiteten Ouvertüre zu „Lodoiska" von Cherubini glän-
zend eröffnet. Als Gäste hatten uns Frl. Henriette Garthe vom
Hoftheater in Hannover und Hr. Musikdirector Friedrich Lux
aus Mainz durch ihre Mitwirkung in hohem Grade erfreut. Erstere
sang die bekannte Kirchenarie von AI. Stradella und Lieder von
Taubert und Marschner, sowie eine Scene aus Gluck's „Ipbigenie".
Sie erndtete wohlverdienten Beifall und gab, stürmisch hervorgerufen,
noch Mendelssohn^ „Auf Flügeln des Gesanges" zum Besten. Was
Hrn. Lux anbetrifft, so hat derselbe seinen Ruf als einer der besten
Organisten glänzend gerechtfertigt durch den meisterhaften Vortrag
der Mendelssohn'schen B-dur- Sonate und einer Fantasie über das
Gebet aus dem „Freischütz" von seiner Composition. Ausserordent-
lich schöne Wirkung machten auch das von ihm für Violoncell,
Orgel und Pianoforte arrangirte „Ave Maria" von Fr. Schubert
und die Gounod'sche Meditation über das erste Präludium von Seb.
Bach für dieselben Instrumente, wobei Hr. de Swert die singende
•Stimme auf dem Violoncell mit ausserordentlich schönem Ton und
tinreissender Wärme wiedergab. Auch der Chor leistete in einem
Psalm von Mendelssohn, in einer Scene aus Gluck's „Iphigenie" und
in der Hymne von Händel recht Anerkennenswerthes und verdient
das aufmunterndste Lob.
CobleilZ. In höchst interessanter Weise begannen am 30. Oct.
unsere Abonnementconcerte unter Direction des Hrn. Max Bruch
mit folgendem Programm: „Jubelouvertüre" von C. M. v. Weber;
Concert für Violoncell mit Orchesterbegleitung (2. u. 3. Satz) von
B. Molique, vorgetr. von Hrn. Concertmeister Jules de Swert aus
Düsseldorf; „Frühlingsbotschaft" von Emanuel Geibel, für Chor und
Orchester componirt von Niels W. Gade ; „Romance Sans paroles'*
von J. de Swert und zwei Gavotten für Violoncell mit Clavierbegl.
von J. S, Bach, vorgetr. von Hrn. J. de Swert, welcher sich hierin,
wie in dem Concert von Molique als ein ebenso technisch vollendeter
wie geschmackvoller Violoncellist bewährte und reichlichen , wohl-
verdienten Beifall erndtete. Den 2. Theil des Concertes bildete die
C-moll- Sinfonie von Beethoven, welche ebenso wie die Ouvertüre
und die Cantate von Gade unter der sorgfältigen und sicheren Lei-
tung des Hrn. Max Bruch ihre volle Wirkung machte, so dass dieser
erste Concertabend zu den günstigsten Erwartungen für die weiteren
Productionen dieser Saison berechtigen dürfte.
Cöln. Am 28. October fand das erste Gesellschafts-Concert im
grossen Saale des Gürzenich statt. „Zur Gedenkfeier der vater-
ländischen Helden" brachte das Programm: 1. Festklänge für Or-
chester, Chor und Orgel, componirt für das Berliner Siegesfest von
Heinrich Dorn. 2. Requiem in C-moll für vierstimmigen Chor,
Orchester und Orgel von Cherubini. 3. Sinfonia eroica von Beet-
hoven. Dorn's Composition fand keinen besonderen Beifall. Um so
grössere Wirkung machten dagegen das unvergleichliche Requiem
von Cherubini und die Beethoven'sche Sinfonie.
Berlin. Der frühere Capellmeister am Hoftheater in Hannover,
Hr. Bernhard Scholz, welcher nach einem längeren Aufentbalte
in Florenz nach Deutschland zurückgekehrt ist und sich nun in
Berlin niedergelassen hat, gab am letzten Sonntag in seiner Wohn-
ung eine Matinee , zu welcher er einen Kreis von Künstlern und
Kunstkennern eingeladen hatte, um ihnen zwei seiner Compositionen,
nämlich ein Quintett für Pianoforte und Streichinstrumente in C-dur
und ein Claviereoncert in G-dur mit einer für Quartett arrangirten
Orchesterbegleitung, vorzutragen, wobei Hr. Scholz, ein Schüler des
Professor Dehn, sich nicht nur als ein tüchtiger Pianist, sondern
auch als ein in Bezug auf contrapunctisches Wissen, polyphone Stimm-
führung und noble Erfindung ausgezeichneter und vielversprechender
Componist erwies, und sich die Achtung und Anerkennung der an-
wesenden Notabilitäten im Fache der Kunst und Kritik mit einem
Schlage gewann. Möge Hr. Scholz recht bald mit seinen Werken*
namentlich mit seinem Clavierconcerte vor die Oeffentlichkeit treten,
und auf diesem Wege von dem kunstsinnigen Publikum Berlins das,
für ihn so vortheilhafte Urtheil der bei jener MatinSe anwesenden
Männer von Fach sich bestätigen lassen.
Paris. Am Sonntag den 28. October fand das zweite der popu-
lären Concerte für classische Musik unter Leitung des Hrn. P a s-
delonp statt mit folgendem Programm : Ouvertüre zu „Struensee*
von Meyerbeer; Pastoral-Sinfonie von Beethoven; „Eine Nacht auf
dem Meere," Adagio aus der Columbus-Sinfonie von Abert (zum 1.
Male); „Canzonetta* aus dem Streichquartett Op. 12 von Mendels-
sohn (von sämmtlichen Streichinstrumenten ausgeführt) ; Ouvertüre
zu den „lustigen Weibern von Windsor* von Nicolai. Das erste
dieser Concerte war sehr zahlreich besucht, und sämmtliche Nummern
des Programms wurden trefflich ausgeführt und mit lebhaftem Bei-
fall aufgenommen; Gounod's Balletstück und das reizende Andante
von Haydn mussten sogar wiederholt werden. Es ist kein Zweifel,
dass diesem Unternehmen auch in gegenwärtiger Saison von Seite
des Publikums die wärmste und ausdauerndste Thei Inahme entgegen-
gebracht werden wird, wie dies in den vorhergehenden Jahren stet»
der Fall gewesen ist.
— Gluck's „Alceste" wird fortwährend von dem kunstsinnigen
Theil des Publikums bewundert, von den gewöhnlichen Operngästen,
die entweder nur durch spectakelhaftes musikalisches Geräusch und
Maschinen wunder aufgeregt oder durch nichtssagendes Geleier ge-
kitzelt sein wollen, natürlich als höchst langweilig befunden. Sicher
ist, dass Hr. P e r r i n den aufrichtigen Dank aller wahren Kunst-
freunde für die Inscenirung dieses Meisterwerks verdient.
— Die Proben für Verdi's „Don Carlos" nehmen ihren eifrigen
Fortgang und werden demnächst auf der Bühne stattfinden, worauf
dann die Orcbesterproben beginnen werden, so dass die Aufführung;
der Oper für den Anfang des Monats Dezember zu erwarten sein
dürfte.
— Eine Neuigkeit, welche geeignet ist, die ganze Pariser Be-
völkerung in Trauer zu versetzen, durchläuft die Stadt. Theresa,
die schamloseste Vertreterin des gesungenen Cancans, soll den Reis
ihres rauhtönigen Organes durch eine furchtbare Erkältung auf das
Ernstlichste gefährdet sehen 1 Was ist Paris noch, wenn sie nicht
mehr ihre Gassenhauer singt?
Moskau. Am 13. September (neuen Styles) wurde das kaiser-
liche Conservatorium für Musik mit den entsprechenden Feierlich-
keiten eröffnet. Diese Anstalt, welche gleich dem Petersburger Con-
servatorium unter dem Protectorate der GroBäfürstin Helene steht,
hat sich die Aufgabe gestellt, die russische Jugend nicht nur musi-
kalisch zu machen, sondern überhaupt zu unterrichteten und nütz,
liehen Menschen heranzubilden. Die Zöglinge, bis jetzt 120 an der
Zahl, entrichten ein jährliches Honorar von 100 Silberrubel und ver-
pflichten sich für einen sechsjährigen Cursus.
Unterricht wird ertheilt auf allen Instrumenten, im Gesang, in
Theorie und Geschichte der Musik, in der russischen und deutschen
Sprache, in allgemeiner Geschichte, Geographie, Mathematik und
Kunstgeschichte. Nachdem der Zögling seinen Cursus vollendet und
sein Examen glücklich bestanden hat , erhält er das Diplom eines
freien Künstlers, welches ihn vom Militärdienst und von allen
Steuern befreit. — Nicolaus Rubinstein ist zum Director der
Anstalt ernannt, und mau verspricht sich viel von seiner Wirksam-
keit. Die angestellten Professoren Bind : für Ciavier: Wieniawsky,
Door, Dubuc, Kaschkin und Langer; für Theorie: Rubin-
stein und Tschaikowsky; für Violine: Laub und Scbradik;
für Violoncell: Cossmann; für Gesang: Frl. Alexandrow und
die HH. O s b u r g und Kaschperow etc. etc. Geschichte der
russischen Musik lehrt der Prediger Rasumowsky und Kunstge-
schichte Hr. G ö r z.
*** (Ein Actenstück von Mozart.) In den Händen Felix;
Mendelssohn -Bartholdy's befand sich ein merkwürdiges Original-
Document Mozart's. Auf der Aussenseite steht in drei Respect-Ab-
sätzen: „Stadt-Magistrat! unterthäniges Bitten Wolfgang Amade Mo-
zart's, K. K. Hofcompositors, um dem hiesigen Herrn Capellmeister
an der St. Stephans - Domkirche adjungirt zu werden." — Da
- 180 -
Schreiben seihst, vonMozart's eigener Hand auf einen Stempelbogen
geschrieben, lautet wie folgt: „Hochtöblich Hoch weiser Wienerischer
Stadt-Magistrat, Gnädige Herren! Als Herr Capeilmeister Hoffmann
krank lag, wollte ich mir die Freiheit nehmen, nm dessen Stelle su
bitten, da meine Musikalischen Talente, und Werke, so wie meine
Tonkunst im Auslande bekannt sind, man überall meinen Namen
einiger Bücksicht würdiget, und ich selbst am hies. Höchsten Hofe
als kompositor angestellt su sein, seit mehreren Jahren die Gnade
habe ; hoffe ich dieser Stelle nicht unwerth su sein, und eines Hoeh-
weisen Stadtmagistrats Gewogenheit au verdienen. — Allein Kapell-
meister Hoffmann ward wieder Gesund und bei diesem Umstände,
da ich ihm die fristung seines Lebens von Herzen gönne und wünsche,
habe ich gedacht, es dürfte vielleicht dem Dienste der Domkirche
und meinen gnädigen Herren zum Vortheile gereichen, wenn ich dem
schon älter gewordenen Hrn. kapellmeister für jetzt nur unentgeld-
lich adjungiren würde, und dadurch die Gelegenheit erhielte, diesem
Bechtschaffenen Manne in seinem Dienste an die Hand zu gehen,
und eines Hochweisen Stadt - Magistrats Rücksicht durch wirkliche
Dienste mir zu erwerben, ich durch meine auch im kirchenstyle aus-
gebildeten känntnisse zu leisten vor andern mich fähig halten darf.
Untertänigster Diener Wolfgang Amade Mozart K. K. Hofkompositor."
— Die Unterschrift steht ganz unten ; das Datum ist nicht hinzuge-
schrieben, M. hat es vergessen. Es muss aber aller Wahrscheinlich-
keit nach in den letzten Jahren seines Lebens verfasst worden sein ;
vielleicht nicht lauge vorher, als ihn der Tod davon befreite, seine
Dienste der Welt anbieten zu müssen.
*** In Hainburg besteht ein aus den Arbeiterinnen der dortigen
k. k. Tabak« Hauptfabrik gebildeter weiblicher „Liederkranz, tt wel-
cher kürzlich wieder eine Production veranstaltete und mehrere
Lieder mit deutlicher Aussprache, Richtigkeit des Tons, überhaupt
recht wacker vortrug. Am tüchtigsten vertreten war der Bass, ob-
wohl sich auch recht angenehme hohe Stimme bemerklich machten,
wie e. B. die der kleinen Capellmeisterin Sidonia Wiesinger,
welche mit Energie den weiblichen Chor zusammenhielt, der wohl
in Deutschland in seiner Art der einzige bestehende ist.
*** Die Pianistin Frl. Marie Wieck, Schwester der Frau
Clara Schumann, hat Dresden verlassen, um sich nach Florenz
su begeben und an den Bestrebungen einiger deutscher Tonkünstler
su betheiligen, welche sich die Einbürgerung der deutschen Musik
ia Italien zur Aufgabe gemacht haben.
*** In London ist in der Nacht vom 540. auf den 21. d. M.
das Strandtheater abgebrannt. Man hatte am Abend vorher eine
Parodie des „Freischütz* unter dem Titel: „Der Freischütz, or a
good cast for a piece u aufgeführt, und das 4000 Menschen fassende
Haus war gedrängt voll gewesen.
*** Ein amerikanischer Componist, Mr. G r e e c 1 e r , hat die
YerfasBungBurkunde der vereinigten Staaten für Soli, Chor und Or-
chester in Mnsik gesetzt. Die kürzlich vor einem geladenen Kreise
veranstaltete probeweise Aufführung nahm nicht weniger als acht
Stunden in Anspruch. Sollte dies nicht Anlass geben , auch die
deutsche Reichsverfassung zu componiien? So könnte man sie we-
nigstens auf führen, da sie doch schwerlich e i n geführt wird. Das
nüthige Notenpapier könnte wohl aus der ehemaligen Bundes-
kanzlei entnommen werden.
%• Das Prager Theater bereitet ausser A b e r t ' s „ Astorga*
auch eine Oper, betitelt: „Die Meergeuse" von Skraup zur Auf-
führung vor. Man spricht auch von einer schon früher vollendeten
Oper „Columbus" des letztgenannten ComponiBten ,. welche im Na-
tionaltheater in Scene gehen soll.
*** Wie die „Signale" schreiben , hat Rieh. Wagner in
diesem Sommer den 2. Act seiner „Meistersinger" gearbeitet und
beginnt jetzt den 3. Act. Wenn seine Gesundheit günstig, seine
Ruhe ungestört, wird die Partitur binnen Jahresfrist das Licht der
Oeffeotlichkeit erblicken können. An allen anderen Dingen, welche
in den Journalen die Runde machen, arbeitet Wagner nicht! Auch
wird von anderer Seite versichert, dass an der ganzen Geschichte
von einem überaus kostbaren Stocke, den Wagner vom Könige von
Baiern erhalten habe, kein wahres Wort sei!
%* Am 2. November feiert Hr. Gustav Schmidt, Capell-
m eist er am Stadttheater in Leipzig, Componist der Opern „Prinz
Eugen," „die Weiber von Weinsberg" und „LaReole" sein Süjähriges
Jubiläum als Capeilmeister. Am 2. November 1841 debütirte er als
solcher in Brunn mit dem „Freischütz". Der verdienstvolle Jubilar
darf der freudigen und herzlichen Theilnahme seiner zahlreichen
Freunde an den früheren Orten seiner Wirksamkeit, wie Frankfurt
a. M., Mainz etc. vollkommen versichert sein.
*** Capeilmeister J. J. B o 1 1 wird trotz einiger mit der neuen
Direction stattgefundenen, jedoch nicht von ihm hervorgerufenen»
Misshelligkeiten, seine bisherige Stellung in Hannover auch ferner-
hin behalten; dagegen heisst es, dass Joachim nach Berlin über-
siedeln wolle.
V In Brüssel kam unlängst die preisgekrönte Cantate „Der
Wind," in flämischer Sprache gedichtet von H i e 1 , componirt von»
Va n den Eeden zur Aufführung und wurde mit ausserordentlichem
Beifall aufgenommen. Die Chöre wurden von der „königl. Gesell-
schaft der Melomanen" und von den in der Fabrik von Van Hoe-
gaerden in Gent beschäftigten Kindern ausgeführt, welch 1 letztere,
freien Schul- und Musikunterricht gemessen und alle Chöre gana
sicher auswendig singen.
\* Der treffliche Violinvirtuose Joseph Walter, Mitglied
der k. Hofcapelle in München, ist zum Concertmeister ernannt wor-
den. Ueber die Acquisition oder vielmehr die R e acquisition des.
dort in unvergänglichem Andenken stehenden H. Lauterbach,
als erster Concertmeister verlautet noch nichts Bestimmtes.
*** Der „Cäcilien- Verein" in Bordeaux hatte einen Preis aus-
geschrieben für eine Sinfonie und in Folge dessen 14 Concurrenz-
arbeiten zugesandt erhalten.
*** Hofcapellmeister Herbeck in Wien wird Anfangs De-
cember ein Concert veranstalten, dessen Programm ausschliesslich,
aus seinen eigenen Compositionen zusammengestellt sein wird.
*** Eine einactige Oper „Der schwarze Prinz" von Richard
G e n e e ist in Frag mit Beifall aufgenommen worden.
%* Der Leipziger Gesangverein für gemischten Chor „Orpheus*
hat Hrn. Rieh. Müller an die Stelle des Hrn. Selmar Bagge-.
zu seinem Dirigenten erwählt.
*** Abert's „Astorga" kommt dieser Tage in Leipzig zur
Aufführung.
%* Der unlängst in Basel verstorbene Banquier Hr. Carl
B i 8 c h o f hat unter vielen anderen Legaten auch dem dortigen».
Stadttheater 100,000 Free, vermacht.
*** Hr. E s c u d i e r , Redacteur der in Paris erscheinendem-
„France musicale" hat den hannoveranischen Ernst-August-Orden,
erhalten.
*** Der beliebte Novellist Dr. Herrn an Schmidt wird vom.
5. November an die artistische Direction des Münchener Actien-
volkstheaters übernehmen an Stelle des abtretenden bisherigen Di-
rectors Engelken.
*** Der bekannte Kritiker Carl Bank in Dresden hat sich ia
Familienangelegenheiten nach New- York begeben.
*** Musikdirector Löwe, der Balladen -Componist, hat vom.
Könige von Preussen den rothen Adlerorden dritter Classe mit der
Schleife erhalten.
**• Der erste Band der Biographie Beethovens von A. W..
Thayer ist bei Friedr. Schneider in Berlin erschienen.
*** Der Stern'sche Gesangverein in Berlin wird in kurzer Zeit
das Oratorium „Elias" von Mendelssohn aufführen. Frl. Lucca und.
der Tenorist Nie mann werden in den Solis mitwirken.
%• In Darmstadt wird eine Oper: „Die letzten Tage von Pom-
peji" von Dr. Muck zur Aufführung vorbereitet.
*** Am 11. October starb in Wien Hr. Franz Pöckh, Mit-
glied der Hofcapelle und des Hofoperntheater - Orchesters , im 51*
Lebensjahre. Er war ein Mitglied der berühmten Posaunistenfamiliej
Pöckh und selbst ein ausgezeichneter Posaunist.
ANZEIGE.
Stelle - Gesuch.
Ein Musikdirector sucht eine Stelle als Dirigent;
eines grösseren Gesang -Vereins. Gefallige Offerten bittet
man an die Verlagshandlung d. Bl. einzusenden.
Verantw. Red. Ed. Fächer er. Druck v. Carl Wattau, Mainz»,
15. Jahrgang*
jw*- de.
12. November 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post- ? *y
ämtern, Musik- & Bachhand- 1 Da
lungen.
/v4
V © ff II 1 g
Jr
~SU$
PREIS:
yon
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
4
INHALT: Dio Glockenspiele. — Neuere Vocalmusik. — Mozart- Paralipomenon. — Nachrichten.
Die Glockenspiele (Carillons) in Belgien und Holland.
(Von £. J. Gregoir.)
(S c h 1 u s s.)
Es liegt uns ein Vertrag über ein Glockenspiel in Oudenarde
zur Hand } der vom Jahre 1556 datirt ist, aber keinen Ausschluss
über die Einzelheiten der Construction desselben gibt. Einen an-
dern Contract, betreffend ein neues Glockenspiel, abgeschlossen im
Jahre 1651 in Autweipen zwischen dem städtischen Magistrate und
dem Glockengiesser Delecourt, theilen wir hier den Lesern mit.
Derselbe lautet: „1651. Diesen 20. Juni des Jahres 1651 sind zu-
sammengekommen und haben sich verständigt die Herren Schatz-
meister und Einnehmer dieser Stadt Antwerpen einerseits und
Florent de la Court, Bürger von Douay andrerseits, in Be-
treff des Gusses von 32 Glocken , zum Schlagen und Spielen auf
«lern Glockenturme der Cathedralkirche von Nostre-Dame in dieser
Stadt, von denen die grösste, welche die erste ist nach jener, die
auf die Stundenglocke folgt , als D dienen soll , und folgen dann
die anderen bis zum Umfange von drei Octaven , die vorerwähnte
grosse Stundenglocke mit eingeschlossen, so dass mit den Kreuzen
und Be's die obengenannte Zahl von 32 erreicht wird, indem das
erste B zwischen dem D und E stehen soll, und sodann die übrigen
Kreuze und Be's sich auf ihrem Platze befinden, wie es die Ordnung
in der Musik mit sich bringt. Der obengenannte Delecourt macht
sich zugleich verbindlich, die erwähnten Glocken rein gestimmt, gut
und wohlklingend herzustellen, in jeder Weise übereinstimmend mit
der grossen Standenglocke sollen dieselben Glocken aufgestellt und
dem Urtheile sachverständiger Personen unterzogen werden, nämlich
Musikern und Anderen, sowohl aus dieser Stadt, wie aus anderen
Städten und auch vom Hofe. — Auch ist bedungen, dass er einen
geeigneten Platz zum Giessen erhalte , wohin ihm die gegenwärtig
auf dem Thurme befindlichen Glocken sollen geliefert werden, nach-
dem dieselben auf der Stadtwaage gewogen worden sind, was auch
mit den von ihm neuhergestellten Glocken geschehen soll. Und wenn
es sich zutragen sollte, dass einige der besagten Glocken dem oben
Gesagten nicht entsprächen, in solchem Falle solle er verpflichtet
und gebalten sein, sie auf seine Kosten und Gefahr umzugiessen und
dies zwar so oft, bis sich Alle in gutem Einklänge befinden, und
es soll ihm nicht gestattet sein irgend welche Reparaturen zu deren
Sehaden oder Veränderung daran vorzunehmen, sondern er soll ver-
pflichtet sein, dieselben ohne irgend welche Fehler oder Sprünge
in allen ihren vollkommenen Eigenschaften während eines Zieles
von drei Jahren zu erhalten und sie vollkommen und fertig am
ersten Februar abzuliefern.
„Sobald dies ausgeführt, sollen ihm für seine Mühe, Auslagen
und Fa$on der besagten Glocken zur Zeit und Stunde, sobald die
Veröffentlichung durch den Glockenschlag geschehen, drei Pattars
für das Pfund und für das Material, welches ihm über das Gewicht
der übergebenen Glocken fehlen sollte, und was bis auf fünf, sechs
oder sieben Tausend Pfund steigen könnte für zwei oder drei Glocken
mehr, die er nöthig hätte, neun Pattars für das Pfund oder 45 Gul-
den für 100 Pfund bezahlt werden und zwar die Hälfte ein Jahr
nach Ablieferung besagter 32 Glocken, die andere Hälfte ein Jahr
später.
„Actum. Antversiae presentibus Nicoiao Melis et Domenico
Verschuden in cohs testibus" (Aus dem Archiv der Stadt Ant-
werpen entnommen.)
Unter den Glockengiessern , die einen grossen Antheil an der
Herstellung von Glockenspielen gehabt haben, führen wir an:
die Familie Wagheveux in Mecheln, die Familie Van den
Gheyn in Löwen und Mecheln, de Haze und Julien in Ant-
werpen, F. und P. Hemony, sowie Fremy in Amsterdam, Du-
mery und Derk in Hoorn. Unter den berühmtesten Glockenspiel-
Verfertigern müssen wir vorzugsweise Francois Hemony, geboren zu
Levrecourt in Fiankreich und seinen Bruder Pierre anführen. Sio
wurden geboren zu Anfang des 17. Jahrhunderts und starben in
Amsterdam »wischen 1669 und 1080. Nach einem Aufenthalte von
einigen Jahren in Zütphen (1643-1664) Hessen sie sich in Amster-
dam nieder; im Jahre 1655 überHess die Stadt an Fr. Hemony ohne
Miethe ein Haus mit einem grossen Atelier und ernannte ihn zum
Glocken- und Kanonengiesser der Stadt, eine billige Belohnung für
einen Mann, dessen Talent den Glocken einen reinen und richtigen
Ton zu geben vermochte, wie er vor ihm nicht gekannt war. Wäh-
rend eines Zeitraumes von etwa 30 Jahren bat Hemony mehr als
30 Glockenspiele aufgestellt, welche durch ihre Harmonie und ihr«
Vollendung die Bewunderung aller wahren Kenner erregten. Das
erBte Glockenspiel grösserer Gattung wurde 1644 in Deventer auf-
gestellt, und nach heute noch vorliegenden Zeugnissen war dieses
Glockenspiel mit grosser Vollkommenheit construirt.
Die Mehrzahl der besseren Glockenspiele in Belgien und Holland
ist von Franzosen ccnstruirt. Das schöne Glockenspiel in Brügge
ist von Dumery hergestellt ; es besteht aus 49 Glocken und kostete
nahe an 200,000 Franken. Das Glockenspiel in Dünkirchen besteht
aus 38 Glocken und äst von Van den Gheyn in Löwen hergestellt.
Eine alte Chronik sagt uns, dass man schon 1478 auf dem Thurme
dieser Stadt ein kleines Glockenspiel von einem Johann Van
Berken besass. In Brüssel hatte man früher sieben Glockenspiele,
von denen nur noch ein einziges in der Kirche am Coudenberg be-
steht, welches von Van den Gheyn eingerichtet wurde.
In Amsterdam befinden sich gegenwärtig noch fünf Glocken-
spiele, von denen das grösste aus 36 Glocken besteht. Auf diesem
Glockenspiele, welches sich auf dem Rat h hause befindet, Hess Bich
im letzten Jahrhunderte der berühmte Jacques Potholt mit den
schwierigsten Compositionen hören.
Wir schliessen hiermit diese kurze Notiz über ein Instrument,
welches die Freude unserer Väter war und noch heutzutage als eine
wahre Specialität der Städte Belgiens und Hollands dasteht.
182 —
IV euere Vocalmuslk.*)
Eise kritische Rundschau.
III.
Noch einmal tritt J o h. Brahms vor uns mit seinen drei
geistlichen Chören für Frauenstimmen , Op. 37. Ist das derselbe
Tondichter, fragen wir uns, der jene leichtgeschürzten vierhändigen
Walzer schuf, die ihrem Erzeuger neben herzlichem Lob auch schon
manchen Tadel eintrugen? Der die harmlosen, aber liebenswürdigen
Volkskinderlieder untersetzte? Oder der jenes „Ständchen" sang, das
bezauberndste seiner Lieder, Op. 14? Hier stehen wir vor streng
canonischen Bildungen, noch dazu in dem überaus engen Umfange
von vier Frauenstimmen; umsomehr schätzen wir die Kunst, welche
unter dieser Beschränkung solche drei charactervolle, grösstenteils
auch fliesseude und wohlklingende Sätze hervorbrachte. Im dritten
sind mit dem Chore auch zwei selbstständige Solostimmen verbunden,
wodurch die Künstlichkeit des Gewebes noch erhöht wird.
Unter den uns vorliegenden Arrangements nenneu wir als vor-
züglich dankenswertb die Bearbeitung 6 Uhland'scher Lieder von
Conradin Kreutzer, wozu dessen schönste gewählt wurden. Die
Ciavierbegleitung ist überaus feinsinnig gemacht; für die Singstimme
blieb die, allerdings ziemlich hohe, ursprüngliche Tenorlage. Ob-
schon wir dem Transponiren principiell feiud sind, hätten wir im
Interesse der weiteren Verbreitung eine Ausgabe für die mittlere
Stimmlage gewünscht.
Wir suchen nun noch einen Uebergang zu den uns noch zu
erledigenden instructiven Gesangssachen und glauben einen solchen
finden zu dürfen in den „stillen Liedern" unseres Freundes Wilh.
Baumgartner, des Sängers der „Tage der Kosen". Instructiv
scheinen uns dieselben wegen der consequenten Unterstützung der
Singstimme durch das Ciavier , wie es wohl Anfänger noch nöthig
haben. Doch sind die Lieder dessungeachtet fein und poetisch ge-
halten, besonders N° 3 und 4, womit ein klangvoller Contraalt grosse
Wirkung machen kann. Auch die Gedichte sind mit Geschmack
gewählt, was wir nicht an allen modernen Producten rühmen können.
Unter dem rein Pädagogischen haben wir zuächst Frau Mar-
chesi unsere Hochachtung für ihre 12 Etudes de style auszudrücken,
in denen sich edle und ausdrucksvolle Melodie mit vollkommener
Sangbarkeit vereinigt. Wohl setzen dieselben bereits tüchtige Vor-
studien voraus, aber der Bau eines sorgfältigen Unterrichts wird
durch diese Etüden gar vortheilbaft gekrönt werden.
Dem Anfänger hingegen dürfte sich wenig Mützlicheres bieten
als Panofka's neue Vocalisen, welche denselben mit kundig be-
messener, langsam aufsteigender Schwierigkeit bis zum Abschlüsse
des ersten Unterrichtsstudiums führen, worauf dann die schwereren
Vocalisen seiner »Art de Chant' anzuwenden sind.
Aus dem Breitkopf & Härtel'schen Verlag haben wir ausser
dem Op. 9 von Constantin Bürge], dtssen zweites, drittes und
viertes Lied von seltener Frische und Schönheit sind , die Gesang-
lehre von Franz Hauser zu erwähnen, über dessen persönlichen
Unterricht am Münchener Conservatorium seiner Zeit die Meinungen
ziemlich getheilt waren. Allerdings findet sich Manches, was an
jener Methode getadelt wurde, z. B. die Einseitigkeit der Ansatz-
lehre, die Negirung des Portaments nach oben u. dgl. auch in die-
sem Buche wieder ; aber nicht genug zu loben ist, dass es ernst und
redlich auf das Practische des Stimm •Mechanismus eingeht, desseu
klare Erörterung sowohl die vornehmen Leisetreter, welche vor
lauter „Schonuug des Organs" zu gar keint-m Resultat kommen, als
die Anhänger des bequemen Schlendrians, den sie „italienische
Schule taufen , als endlich die Charlatane der neuen syllabischen
Kraftmethode sorgfältig vermeiden. Hr. Hauser pibt uns Auskunft
über vieles höchst Nöthige, uud doch bisher nirgends Berührte, lehrt
manchen nützlichen Handgriff und lenkt den denkenden Lehrer auf
die Fortbildung des bisher Ei reichten. Auch die Beispiele bieten
viel Werthvolles; mau kann das Werkchen mit gutem Gewissen
empfehlen.
*) Joseph ine Lang, Mendelssohn's Schülerin, jetzt verwittwete
Kost] in, ist noch am Leben. Der Irrthum wurde vermutlich
durch 8eiuerzeitigen Tod ihres Mannes veranlasst. (Siehe die
Anm. d. Red. auf der ersten Seite der Nummer 44 d. Bl.)
Mozart - Paralipomenon.
Von Otto Jahn.
Es ist Im Verlage von Breitkopf & Härtel ein Band „Ge-
sammelte Aufsätze über Musik" von Otto Jahn erschienen, wel-
cher das Interesse der Musiker und Musikfreunde in hohem Grade
in Anspruch nimmt, obwohl das Buch nichts Neues enthält, sondern
eine Anzahl von Aufsätzen über Musik, welche Jahn in den Jahren
1841 bis 1864 in verschiedenen Zeitschriften , am meisten in den
„Grenzboten" veröffentlicht hatte und nun erfreulicherweise der Ver-
gessenheit entrückt, indem er sie gesammelt wieder herausgibt.
Den Inhalt dieser Sammlung bilden 13 Aufsätze, nämlich: eine
Erinnerung an G. C h. A p e 1 , zwei Aufsätze über Mendelssohn's
„Paulus" und „Elias", zwei über die Musik des H. Berlioz , zwei
über R. Wagner's „Tannhäuser" und „Lohengrin " drei Beethoven
betreffende , zwei über das 33. uud 34. niederrheinische Musikfest
in Düsseldorf und ein Mozart- Paralipomenon, welches sehr interessante
Aufschlüsse über eine Episode aus Mozart's Leben gibt, welche bis-
her häufig einer irrigen Auffassung unterlegen hatte. Wir theilen
diesen letzteren Aufsatz hier unseren Lesern mit, indem wir ihre
Aufmerksamkeit in keiner wirksameren Weise auf das interessante
Buch zu lenken vermöchten.
Jahn schreibt wie folgt: Die schwerste Aufgabe erwächst dem
Biographen durch seiue Pflicht, die Wahrheit zu sagen, und zwar
wie der geschworne Zeuge nichts als die Wahrheit uud die volle
Wahrheit zu sagen. Ich habe dabei nicht die Schwierigkeiten im
Sinne, welche das wissenschaftliche Erforschen und Feststellen des
Factischen darbietet, sondern die Noth, in welche einen gewissen-
haften Biographen die Entscheidung versetzt , welche er über das
treffen muss, was er mitzutheilen oder zu verschweigen hat. Es kann
nicht fehlen, dass sich eine Menge Notizen ansammeln, die in ihrer
Gesammtheit unmöglich zu verwerthen sind , wo dann die Frage
eintritt, welche Züge die wesentlichsten sind, damit ein wahres, und
zwar ein in seiner künstlerischen Wirkung wahres Bild zu Stande
komme. Die Entscheidung wird namentlich erschwert, wenn auch
die Discretinn ins Spiel kommt, die man, wie sie im Lebensverkehr
unter gebildeten Menschen in Beziehung auf das Privatleben und
manche Seiten des Characters für eine Pflicht des Anstandes gilt,
sicherlich auch grossen Menschen schuldig ist, wenn diese gleich
durch ihre Leistungen zu öffentlichen Personen geworden sind. Die
Frage, welche Nachrichten als solche, die das Wesen und die Ent-
wickelung des Darzustellenden wirklich aufklären und characterisiren,
festgehalten werden müssen, und welche man als gleichgültige oder
gar verwirrende fallen zu lassen habe , ist oft nicht leicht zu ent-
scheiden. Dazu kommt , dass meistens für deu Biographen nicht
einmal mehr res integra ist, dass er so viel wahres, falsches uud
— was das Aergste itt — - halbwahres Gerede aufgeführt findet, dass
er, um reine Bahn zu schaffen und ein klares, zuverlässiges Bild
zu geben, sich auf Vieles einlassen muss, was am besteu gar nicht
zur Sprache gebracht wäre. Das Alles kam bei Mozart nur zu oft
in Ueberlegung. Wahrhaft beunruhigt aber hat mich die tragische
Erzählung von dem auf Mozart eifersüchtigen Ehemann , der sich
selbst entleibte, nachdem er seine Frau verwundet hatte. Lange und
ernstlich habe ich geschwankt, ob ich sie mittheilen sollte, uud mich
schliesslich dazu verpflichtet gehalten , obwohl ich sie nicht völlig
in's Klare zu setzen vermochte. Warum ich jetzt wieder darauf
zurückkomme, wird sich aus der nachstehenden kurzen Erörterung
ergeben.
Als ich mich im Jahre 1852 mehrere Monate in Wien aufhielt,
sprach ich Öfters bei Carl Czeruy ein, der mir in seiner freund-
lichen, mittheilsameii Weise über Beethoven aus seinem lang-
jährigen Verkehr mit ihm Vieles und Interessantes erzählte. Als er
mir eines Tages über sein ganz ausserordentliches Fantasiren man-
cherlei berichtet hatte, fügte er hinzu, auch die Frau Hofdemel,
die begeisterte Schülerin und Freundin Mozart'**, habe erklärt, nach-
dem sie Beethoven gehört habe . das gehe denn doch noch über
Mozart. Es habe übrigens Mühe gekostet, dass ihr Beethoven etwa«
vorgespielt habe. Sie sei nach Wien zum Besuch gekommen und
habe bei Czerny's Eltern gewohnt , und als sie den dringenden
Wunsch geäussert , Beethoven zu hören , habe der Vater den Sohn,
der damals als junger Meusch Beethovens Unterricht genoss , zu
183 -
diesem begleitet and ihm die Bitte der Frau Hofdemel mitgetheilt,
^Hofdemel ?" habe Beethoven gefragt, „ist das nicht die Frau, wel-
che die Geschichte mit Mozart gehabt hat?" und auf die bejahende
Antwort rundweg erklärt, vor dieser Frau werde er nicht spielen;
auch sei es erst später durch vieles Zareden gelungen, ihn dazu zu
'bringen , dass die Frau ihn besuchen durfte , wo er dann auch
fantasirt habe.
Auf meine Frage, was denn das für eine Geschichte mit Mozart
«ei , äusserte Czerny sein Erstaunen , dass sie mir unbekannt ge-
blieben , und erzählte mir, Frau Hofdemel sei die Schülerin von
Mozart gewesen , ihr Mann sei auf denselben eifersüchtig geworden
und habe in einem Anfall von Baserei seine Frau tödten wollen,
sie aber nur durch Schnitte in Hals und Brust gefährlich verwundet
und dann sich selbst entleibt. Er selbst habe in seiner Jugend die
Frau , die in Brunn gewohnt habe , bei Besuchen in seinem elter-
lichen Hause wiederholt gesehen , und da ihm aufgefallen , wie sie
die entstellenden Narben am Halse durch ein auf eigene Art ge-
bundenes Tuch zu verdecken gesucht habe , sei ihm von seinem
Vater die Begebenheit mitgetheilt worden.
Da Czerny sah, wie diese Erzählung mich ergriff, äusserte er
in seiner Aeogstlichkeit den Wunsch , nicht als Gewährsmann der-
selben genannt zu werden und versicherte, sie sei in früheren Jahren
in Wien ganz bekannt gewesen. Meine Versuche, dort Bestimmteres
über die entsetzliche Begebenheit zu erfahren, schlugen freilich fehl,
allein an der Zuverlässigkeit der Czerny'schen Mittheilung zu zwei-
feln, schien mir damals, wie jetzt, ganz ungerechtfertigt.
Eine Bestätigung gab mir Leopold Schefer's im Taschen-
buch „Orpheus" für 1841 gedruckte Novelle „Mozart und seine
Freundin," der ganz unverkennbar in allen wesentlichen Motiven
und namentlich im Verlauf der Erzählung eben diese Begebenheit
su Grunde liegt. Auch bemerkt Schefer selbst, dass er eine wahre
Begebenheit benutzt habe, die auch durch öffentliche Blätter bekannt
geworden sei. Hiervon habe ich nun zwar keine Spur auffinden
können , und ich bin geneigt , es für eine Verwechselung mit den
Berichten von der Bestellung des Requiems zu halten , allein ganz
Unzweifelhaft bleibt es, dass Schefer dieselbe Begebenheit erfahren
hatte, welche mir Czerny mitgetheilt hat. Um ganz sicher zu gehen,
bat ich Leopold Schefer selbst um Auskunft über die Quelle , aus
Welcher er geschöpft habe, allein ich erhielt von ihm die Antwort,
dass er, der hochbetagte Greis, von seinem Gedächtniss im Stiche
gelassen, darüber nichts mehr angeben könne.
Allein meinem verehrten Freunde K ö c h e 1 gelang es, unterstützt
von den treuen Nachforschungen des Hrn. Franz Leimegger, in
der Registratur des Landesgerichts iu Wien ein Actenstück ausfindig
eu machen, aus dem sich über diese Angelegenheit Folgendes ergibt.
(Schluss f.)
N a c ii richte
ii
Mainz. Die zweite „Suite für grosses Orchester" (A-moll, Op.
70) von H e i n r i ch E s s e r ist im Verlage von B. S ch ot t's Söhnen
in Mainz iu Partitur, Octav- Format in eleganter Ausstattung er-
schienen. Dieses Werk , welches bei seiner Aufführung in Wien
während der letzten Saison vom Publikum mit enthusiastischem
Beifall aufgenommen und von der Kritik mit seltener Einstimmig-
keit als ein in jeder Beziehung vorzügliches Werk gerühmt wurde,
besteht aus 4 Sätzen: 1. Introduzion . 2 AHetfretto (liourre'e).
3. Thema con Variation*, 4. Finale. Wir machen Concertdirectionen
auf dieses interessante und sicheren Erfolg versprechende Werk
hiermit, besonders aufmerksam.
— Am 6. d. M. debütirte im hiesigen Stadttheater ein Herr
N oll et, der eine recht hübsche Baritonstimme besitzt, als Jäger im
„Nachtlager". Ein hiesiges Localblatt gibt über den hoffnungsvollen
Kunstjünger folgendes tiefsinnige Urtheil ab: „ . . . . Die tech-
nische Bildung anlangend, zeigte die Sicherheit und Reinheit
seiner Intonation von entschieden musikalischem Naturell und von
einem Selbstvertrauen, welches nur musikalischen Talenten von aus-
geprägtem Berufe eigen ist ; dagegen bedarf der technische
Theil seiner Künstlerindividualität noch einer bedeu-
tenden Nachhülfe" (sie!).
A&chen. Im Benefuconcert des städtischen Orchesters kam unter
der Leitung des Musikdirectors Breuuung zur Aufführung: die
dritte Suite für Orchester von Fr. Lachner; Agnus Bei für Chor
und Orchester von Cherubini ; Ave verum von Gounod, und Violiu-
concert von Mendelssohn.
Leipzig. Bei C. F. Peters erscheint eine „Gesammtausgabe
der Werke von J. S. Bach, 8 mit Erläuterungen, Fingersatz und Be-
zeichnungen versehen von C. Czerny, S. W. Dehn, L. Erk, F#
Grützmacher, F.K. Griepenkerl, M. Hauptmann, J. Hell*
mesberger, F. Kroll, F. A. Boitsch u. A. Die Ausgabe ent-
hält im Ganzen 9 Serien in 52 Bänden für Instrumentalmusik und
die Partituren sämmtlicher Vocalwerke. Die Sammlung bringt eine
nicht unbedeutende Anzahl bisher vollständig unbekannter und hier
zum ersten Male veröffentlichter Werke, nämlich : 32 Ciavierstücke,
ein Concert für 4 Claviere, 3 Sonaten für Ciavier und Flöte oder
Violine und eine Anzahl von Chorälen.
— Am 29. October fand hier die erste Aufführung der Oper
„Astorga" von J. J. A b e r t unter der persönlichen Leitung des
Componisten statt. Die Besetzung der Hauptrollen war folgende:
Astorga, Hr. Gross; Eleonore, Frl. B 1 a c z e k ; Angioletta, Frau D u-
mont; Balbazes, Hr. Thelen. Solisten wie Orchester und Chöre
lösten ihre Aufgabe mit Lust und Liebe, so dass die Aufführung
eine im Ganzen abgerundete und bis auf einige Kleinigkeiten tadel-
lose genannt werden darf} auch die Inscenirung konnte im Allge-
meinen befriedigen. Die Aufnahme des Componisten und Beines
Werkes von Seiten des Publikums war eine äusserst freundliche, so
dass Hr. Abert mit dem ersten Erfolge seiner Oper außerhalb
Stuttgart wohl zufrieden sein kann.
— Im ersten Concert der Gesellschaft „Euterpe" in der Central-
halle wurde Gluck's „Orpheus und Euridice" aufgeführt. Fil. S ch r e ck
aus Bonn sang die Partie des Orpheus mit der ihr eigenen Meister-
schaft im Vortrage classischer Musik und wurde oft und lebhaft
applaudirt. Frau Bianka Blume aus Dresden erwarb sich durch
die verständnissvolle Auffassung und die Innigkeit des Ausdrucks,
mit der sie die Partien der Euridice und des Amor saug, den auf-
richtigsten , ungeteilten Beifall. Auch Chor und Orchester Hessen
nichts zu wünschen übrig, so dass der Eindruck des Meisterwerkes
ein vollkommen günstiger und ungetrübter war.
München. Die musikalische Akademie gibt am 10. December
einen Psalm für Männerchor und Orchester von Franz Wüllner
und Cherubini's Requiem für Männerchor unter Betheilig-ung der
Münchener Sängergenossenschaft. Der Gesangverein „Bürgersänger-
Zunft" hat, da ihr bisheriger Dirigent Max Zenger sich von dieser
Stelle zurückgezogen hat, ihren früheren langjährigen Leiter, den
Hoftheater-Chordirector Konrad Max Kunz wieder zu ihrem Di-
rigenten erwählt.
— Hr. Reissmann wird im Laufe dieses Winters einen Cyclus
von Vorlesungen über „Geschichte der Musik" geben.
Wien. Frau Kainz-Prause ist unter sehr glänzenden Be-
dingungen für das Hofperntheater engagirt worden. Auch sind Unter-
handlungen zur Verlängerung des demnächst ablaufenden Contractes
der Frl. v. Murska im Gange. Man beschäftigt sich soeben damit,
die lange nicht mehr gegebenen Oper „Das Rothkäppchen" von
Boieldieu und „Der Maskenball" von Auber wieder in Scene zu setzen.
— Die von dem „Männergesangverein in Verbindung mit hie-
sigen und auswärtigen Vereinen , unter Mitwirkung eines grossen
und auserlesenen Orchesters in der grossen Wiuterreitschule veran-
stalteten und von Hofcapellineister He rbeck geleiteten zwei Moustre-
concerte haben eiuen Bruttoertrag von 6000 fl. ergeben , welcher
nach Abzug der Kosten für die Opfer des Krieges verwendet wer-
den wird.
— Im Harmonietheater wurde Conradin's Oper „Der galante
Abbe" unter dem Titel „Ein junger Candidat" gegeben und beifällig
aufgenommen.
Paris. Die Tänzerin Mlle. Salvion i ist nun von ihrem Un-
wohlsein gänzlich wieder hergestellt, und die Aufführung des Ballets
„La Source ' wird demnach nicht länget mehr auf sich warten lassen.
— R o s s i u i hat vor einigen Tagen auf der Treppe , die zu
■einer Wohnung führt, einen glücklicherweise nicht von übten Fol-
gen begleitenden Fall gethan; doch bedurfte er einiger Tage der
Ruhe, um sich von der Aufregung durch den Schrecken zu erholen.
Gegenwärtig ist er wieder ganz munter und arbeitet rüstig fort an
der Instrumentirung seiner Messe.
— Am 4. November fand das 3. populäre Concert des Hrn.
- 184 -
Pasdeloüp mit folgendem Programme statt: Ouvertüre zu „Semira-
mis* von Rossini; Sinfonie in A-inoIl von Mendelssohn; Adagio ans
dem Clarinett- Quintett von Mozart; Balletstück aus „Ipbigenie in
Aulis" von Gluck; Ouvertüre zu B Leonore u (N* 3) von Beethoven.
— Vor einigen Tagen wurde der erste akustische Versuch mit
ganzem Orchester, Chor und Solisten in dem neuen Athenäum-Saale
des Hrn. Bischof fsheim, in der Rue Scribe, gemacht, und zwar
inmitten der Decorateurs, welche noch an der Ausschmückung des
schönen Saales arbeiten , dessen Eröffnung nahe bevorsteht. Die
Lampen beleuchteten gleichzeitig die Musiker , welche Haydn's
„Schöpfung" probirten, und die Maler, welche goldene Arabesken,
auf die mattweissen Logenbrüstungen hinzauberten. Alles in dem
prächtigen Saale erweist sich als vortrefflich gelungen. Derselbe ist
von dem ausgezeichneten Architecten Merindol mit dem feinsten
Oeschmacke und mit schöner Uebereinstimmung der Details ange-
legt und ausgeführt. Er ist ebensowohl bestimmt für rednerische
Vorträge wie für auserwählte Muflikaufführungen und hat die
akustische Probe für Stimmen und Instrumente vorzüglich gut be-
standen. AUes klingt vortrefflich, wie man sich bald bei Eröffnung
der abonnirten Concerte überzeugen wird. Als Director des Athe-
näums hat Hr. Biachoffsheim Hrn. Guy-Stepban angestellt. Die
Leitung der Concerte ist, wie bekannt, Hrn. Pasdeloup übertragen.
— Von den 69 Künstlern und Künstlerinnen der Truppe, wel-
che von Hrn. Paul Alhaiza für New -Orleans engagirt, mit dem
„Evening Star" Schiffbruch gelitten haben , ist auch nicht eine
Seele davongekommen. Hr. Alhaiza, welcher zu Land von New- York
nach New-Orleans vorausgereist war, empfing dort die erschütternde
Nachricht von dem Untergange seiner ganzen Gesellschaft.
— Das The'ätre lyrique kündigt die drei letzten Vorstellungen
des „Don Juan" an. Am 12. November soll der ,, Freischütz" wieder
in Scene gehen.
— Die Maskenbälle in der grossen Oper werden dieses Jahr am
15. December beginnen.
Petersburg. Bei Gelegenheit der Vermählung des Thronfolgers
mit der Prinzessin Dagmar wird am 1. (13.) November eine Gala-
vorstellung im Theater der Eremitage stattfinden. Saint-Leon
Btudirt für diese Feierlichkeit das kleine Ballet ,,Die Wallachenbraut"
ein, in welchem Mlle. Petipa din Hauptpartie tanzen wird.
*#* Der Pianist und Compositeur Henri H erz, welcher in den
Jahren 1846 bis 1851 Amerika bereiste, hat nun in einer Broschüre,
betitelt: n .Mes voyages en Amerique" seine Kreuz- und Querfahrten
in der neuen Welt beschrieben, welche, mit vielen piquanten Anec-
doten ausgeschmückt, einen interessanten Einblick in das amerika-
nische Musiktreiben und überhaupt eine sehr anziehende Leetüre
gewährt.
*** Während der letzten 25 Jahre sind in London folgende
Theater abgebrannt: das Astley - Theater am 8. Juli 1841, Olymp-
Theater am 29. März 1849, Islington-Circus am 27. Juli 1853,
Pavillon-Theater in Whitechapel am 13. Februar 1856, Coventgarden
am 5. März 1856, Surrey - Theater am 30. Januar 1865 und das
Standard-Theater (nicht das Strand-Theater, wie wir irrthümlich mit-
getheilt haben) am 24. September 1866.
*** Auch in Breslau fand, wie in München, eine purificirte
Aufführung des „Don Juan" statt, indem dort der neue Capellmeister
Dr. Damrosch diese Oper von allem bisherigen Wut>t und Schlen-
drian möglichst gereiuigt und in 4 Tbeile getheilt in Scene setzte.
Viele Rathschläge und Rügen Ku gl er 's, Wolzogen's u. s. w.
wurden beachtet , die Chöre an den ungehörigen Stellen beseitigt
und die Origiual-Recitative, wenn auch gekürzt, wieder in ihr Recht
eingesetzt.
*** Das Programm des ersten Concertes des Orchestervereins
in Bremen, welches am 23. Octbr. unter Mitwirkung des Hrn. Con-
certmeisters L. Auer aus Hamburg stattfand, war folgendes: Fest-
ouvertüre Op. 124 von Beethoven; Violinconcert N* 9 von Spohr;
Vorspiel zu den „Meistersingern" von R. Wagner ; „Ungarische Lieder"
für Violine von Ernstfund Sinfonie N° 8, F-dur, von Beethoven.
*** Der Musikvereiu in Darmstadt bringt unter der Leitung des
Hofmusik directors C. Mangold diesen Winter folgende Werke zur
Aufführung : „Messias" von Händel , „Jahreszeiten" von Haydn,
Stabat mater von Palestrina, Fragment aas „Ipbigenie in Aulis"
von Gluck und „Matthäu*passiou u von Seb. Bach.
*** Jean Becker hat sieb, nachdem er von seinen Reisen in
Italien und Frankreich zurückgekehrt ist, in Mannheim mit dem von>
ihm gegründeten Streichquartett hören lassen und den unumwundene*
Beifall aller dortigen Musikfreunde erhalten.
*** Dem Componisten Pierre Benoit in Brüssel wurden nach
der Aufführung seines Oratoriums „Lucifer" daselbst von dem Mi-
nister des Innern die Insignien als Ritter des Leopold - Ordens
überreicht.
*** Die Ankündigung des Wochenrepertoirs der k. Schauspiele
in Berlin enthält nun auch regelmässig das Repertoir der der k.
General -Intendanz unterstellten Bühnen in Hannover, Cassel und
Wiesbaden.
*** Die Intendanz der k. Schauspiele zeigt an, dass in Han«
nover im Laufe dieses Winters 8 Abonnementconcerte der k. Ca"
pelle im Concertsaale des k. Schauspielhauses stattfinden werden.
*** Wie „Zellner's Blätter für Theater etc." aus Pans geschrie»
ben wird, soll Rossini sich endlich entschlossen haben, ein neues
Werk für die Opera comique zu schreiben. Der Titel dieser Spät-
geburt ist: „Le cheval de Troie (l ,
** Hr. Wachtel jun. ist aus Anlass seines erfolgreichen Gast-
spiels im Stadttheater zu Leipzig als erster lyrischer Tenor unter
sehr vortheilhaften Bedingungen engagirt worden.
*** Eine junge Frankfurterin, Frl. Perl, Schülerin der Fram
v. Marra, ist in Darmstadt mit vielem Glück als Fides im „Pro-
phet" aufgetreten.
V* Hofcapellmeister Kall i wo da ist nach einer mehr als vier-
zigjährigen Thätigkeit in Donaueschingen von dort nach Carlsruhe
übergesiedelt.
*** Die durch den Tod des Professors Mildner am Conser-
vatorium in Prag erledigte Professur des Violinspiels wurde dem
bekannten Prager Künstler Hrn. Bennewitz durch einstimmige
Wahl übertragen.
*** Rieh. Wagner hat von Hrn. Carvalho, dem Director
des Theatre lyrique in Paris , eine Einladung erhalten , die an
diesem Theater bevorstehende Aufführung seines „Lohengrin" selbst
zu dirigiren.
* # * Professor Ludwig Nohl hielt unlängst in München im
Liebig'schen Hörsaale an drei verschiedenen Abenden musikgeschicht-
liche Vorträge über Haydn, Mozart und Beethoven.
*#* Der rühmlichst bekannte Musikschriftsteller Aug. Reissr
mann beabsichtigt eine Biographie Felix Mendelssohn-Bar-
tholdy's herauszugeben.
%• In Berlin wird in Zukunft die kleine Spieloper in die
für dieselbe viel passenderen Räume des Schauspielhauses über-
tragen werden.
*** Der Tenorist Kreutzer aus Wien , der vor einiger Zeit
seine verlorene Stimme wieder gefunden hat, ist in Olmütz, wo er
mit Beifall gastirte, für den kommenden Winter engagirt worden.
*** Das im Bau begriffene neue Stadttheater in Leipzig hofft,
man am 1. Januar 1868 eröffnen zu können.
*** Wie man hört, soll Graf Platen, früher Hoftheaterinten-
dant in Hannover , in gleicher Eigenschaft in München ange-
stellt werden.
*** Roger hat ein Gastspiel in Stettin mit gutem Erfolge
eröffnet.
V* Frl. Stöger, dramatische Sängerin am Hoftheater in Darm-
stadt, hat sich mit Hrn. Adolf Lefeld, Stallmeister des Prinzen»
Carl von Baiern, vermählt, wird jedoch in ihrer Stellung am Darm-
städter Theater verbleiben.
V* Frl. Tipka, die bekannte Coloratursängerin, bat sich mit
dem Capellmeister und Componisten Hrn. J, Weinlich ausOester-
reich vermählt.
ANZEIGE.
Stelle - Gesuch.
Ein Musikdirector sucht eine Stelle als Dirigent
eines grösseren Gesang -Vereins. Gefällige Offerten bittet
man an die Verlagshandlung d. Bl. einzusenden.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz*.
15. Jahrgang.
N* 49
19. November 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
r — -i
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post- > p
ämtern, Musik- & Buchhand- \ Um
hingen.
¥ @ Hl |
r
von
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PREIS:
fl.2. 42 kr. od.Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
?
^-o.
INHALT: Kleine Studien. — Mozart-Paralipomenon. — Correspondenzen : Leipzig. Paris. — Nachrichten.
Kleine Studien.
I. Der Partikularismus im Musikwesen.
„Immer strebe zum Ganzen, and kannst kein Ganzes du werden,
Schliease als dienendes Glied doch an ein Ganzes dich an."
So räth uns der weise Dichter, wir aber, zumal im lieben Süd-
deutschland, ignoriren gar zu gern seinen Nachsatz, und klammern
uns an seinen missverstandenen Vordersatz, und das nicht nur in
Dingen der Wissenschaft, Poesie oder bildenden Kunst, wo die Cent-
ralisirnng entweder unmöglich wäre, oder doch ihre bedenklichen
Nachtheile hätte , sondern leider auch auf dem Felde der Politik,
Kriegführung und reproducirenden Tonkunst, wo alle bedeutenden
Resultate vom Zusammenwirken, von der Unterordnung aller Einzel-
kräfte unter eine einsichtsvolle Oberleitung abhängen. Wir wollen,
die politische und militärische Seite der berührten Frage den be-
treffenden Fachmännern überlassend , hier nur den musikalischen
Partikularismus , wie er bei uns immer mehr um sich greift , und
seine Nachtheile beleuchten, sowie zu seiner allmähligen Abstellung
einige Vorschläge beibringen.
Frei von ihm sind uur jene Gemeinweseu , welche sich in den
allerengsten und kleinsten Verhältnissen bewegen , also jene Ort-
schaften, welche das Glück haben, nur einen einzigen Schulmeister
zu besitzen , dem also alle vorhandenen musikalischen Kräfte zur
Verfügung stehen, sei es nun für die Kirchenmusik oder für die
ländliche Liedertafel. Wohl mag es da oft schwer fallen, bei der
Ueberzahl von zweiten Tenoren und ersten Bässen die äusseren
Stimmen entsprechend zu besetzen, aber es liegt die Oefahr fern,
dass die zur Herstellung eines wohlklingenden Ebenmaasses etwa
bei manchen Chorliedern ausgeschlossenen, minder befähigten zweiten
Tenore und ersten Bässe sich in irgend einem Trutzwinkel zu einem
Rumpfquartett constituiren, — weil sie keinen Dirigenten fänden.
Anders schon liegt die Sache in grösseren Orten, wo zwei oder
drei Lehrer, welche gleich befähigt sind, oder sich mindestens dafür
halten, neben einander wirken. Da bilden sich der zweite und dritte
lieber, als dass sie sich uuter den Tactirstock des ersten beugen,
aus ihrem Anhang eigene Sing- und Musikkränze, die sich gegen-
seitig allerlei unschuldige Bosheiten anthun, wie z. B. das Abspenstig-
machen nützlicher Mitglieder, Störung der jenseitigen Probe oder
Aufführung durch Veranlassung gleichzeitiger Abhaltungen u. dgl. m.
Dass sich nun vollends ein älterer Lehrer dem Tactstabe eines
jüngeren, wenn gleich vielleicht notorisch befähigteren, unterwerfe,
ist gar nicht zu denken , eher wird durch kluges Manövriren der
eigenen wohldressirten Sippschaft jede grössere Association vereitelt.
Und nun erst sehen wir nach den Städten, die nicht nur einen
officiellen Musikdirector, sondern daneben noch einen Schwärm von
Ciavier - und Gesanglehrern , Pianisten und Organisten besitzen ;
welche Zersplitterung der besten vorhandenen Kräfte! Da Behaart
zunächst der Organist die orthodoxe Jugend um sich zu einem
„Oratorienverein,* wo man aber keinen Bach oder Bändel singt»
sondern höchstens Mendelssohn und zumeist schales, süsschristliehes
Zeug. — Der Pianist, dem wie allen Ciavierlehrern, die Hände ge-
waltig nach dem Tactstock jucken, vereinigt die „guten Familien,"
die nämlich wenigstens einen Gulden für die Stunde zahlen, zu einem
„Kränzchen" mit obligater Schönrederei, wobei am Ciavier sehr viel
Lieder , aber auch Cantaten und Opern und , wenn der Dirigent
selbst componirt , vorzüglich seine eigenen Sachen studirt und mit
dem üblichen succe's d'e'stime begleitet werden. — Den singenden
Theil der „gebildeten" Männer repräseutirt die städtische „Lieder-
tafel," die allerdings meistens von dem Musikdirector geleitet wird
die frischeren, wiewohl ungeschulteren Stimmen aber, die der Ar-
beiterstand liefert, fallen der unkundigen Führung irgend eines
Schulmeisters zu, der wieder, zu stolz sich unter den Musikdirector
zu stellen , seinem „Frohsinn" u. dgl. lieber ordinäre Schreilieder
einpaukt. Der Musikdirector dagegen hält es für seiner Würde un-
angemessen, gute Stimmen persönlich zu gewinnen, und ignorirt lieber
vornehm das ganze ausser seiner Sphäre liegende Musiktreiben. Und
doch muss er, zumal wenn er ein tbeilweise aus Dilettanten be-
stehendes Orchester unter sich hat, gar manche süsse Worte geben,
bald einem spröden Hörn ein Glas Wein eingiessen , bald einem
kinderreichen Fagott Pathe stehen , bald mit der dicken Tochter
eines Contraviolons tanzen, Alles nur um die betreffenden Instrumente
bei Laune zu erhalten. Und doch bringt er's selten zu einem grossen
Oratorium eines Meisters, sondern muss fortwährend leichte, wenig
Proben erfordernde, keinen grossen Chor verlangende Sachen stu-
diren, — warum? wegen der Zersplitterung der vorhandenen Kräfte.
Eher möglich sind derartige Aufführungen in Residenzstädten,
welche ein kampfgeübtes Orchester, einen tüchtigen Capellmeister,
routinirte Solosänger aller Stimmen und einen wohlgeschulten Theater-
chor besitzen, aber auch hier nicht in dem Maasse, wie man es bei
den so zahlreich vorhandenen Dilettanten-Kräften, welche zur Ver-
stärkung heranzuziehen wären , erwarten sollte. Es scheuen sich
nämlich die meisten Dilettanten, theils aus verzeihlicher Bescheiden-
heit, theils aber auch aus lächerlichem Hochmuth vor dem Zusammen-
wirken mit besoldeten Fachmusikern und Theater -Choristen, und
gruppiren sich desshalb lieber nach Alter, Geschlecht, Geistesrichtung,
bürgerlicher Stellung und Geschmack in Liedertafeln, Oratorien-
vereine, akademische oder Kaufmanns - Liedertafeln , Cäcilien- und
Orchestervereine u. dgl. Diese Isolirung in so viele kleinere Gruppen
wird noch begünstigt durch den Ueberfluss an wirklich oder ver-
meintlich befähigten Dirigenten, wozu die überall bestehende Oppo-
sition gegen das jeweilige Musikregime ein zahlreiches Contingent
liefert. Da sind Virtuosen , die nicht zum Auftreten eingeladen,
Lehrer, deren Zöglinge nicht angestellt, Componisten, deren Werke
nicht aufgeführt werden; sie alle suchen sich einen Tummelplatz
für ihre Tactirwuth , wo sie ein Stück Capellmeister , oder mit B.
Auerbach zureden, „Befehlerles" spielen. Dabei aber bleibt ja Keiner
bei seinem Leisten, nein, der Pianist, der von der Gesangstechnik
keine blasse Idee bat, dirigirt einen Chorverein, der Gesanglehrer,
der niemals einen Geigenstrich that, ein Privatorchester; ihm zum
Possen gibt ein Violinist Gesangsstunden, und ein Flötenbläser re-
petirt Opernpartien mit Bühuensängern.
186
„Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie ewig neu!"
Und welche Literatur wird in allen diesen „Kränzchen" ge-
trieben, besonders in solchen, die nebenbei auch „gesellige Zwecke"
pflegen, d. h. in Gestalt von Tanzabenden und Maskeraden gar ver-
führerische Leimruthen ausstellen, worin arglose junge Musiker und
empfängliche Töchter kluger Mutter jämmerlich hängen bleiben?
Antwort: Meistens veraltete, gräulich langweilige Virtuosenmusik. —
Da entledigen sich nämlich Musiker dritten und viertn Banges jener
Mayseder'schen oder Tulou'schen Varialions und Polonaises bril-
lantes, denen man die officielle Pforte verschlossen, und die ihnen
seither den Magen beschwerten. Da hören wir die grosse Scene
des Jägers aus jener verkannten Kehle, welcher sonst nur mit dem
„Graf, seid ihr's?" zu glänzen vergönnt ist. Und welch* ein Schund
von Ciavierfantasien, rührenden Liedern und „jovialen" Männerchören
wird da preisgegeben ! Wer je das mitgenossen , wird uns von
Uebertreibung freisprechen.
Aber „Das ist Freude, das ist Leben,
Wenn's von allen Zweigen hallt!"
singt abermals ein edler Dichter, und scheint damit allerdings die
freie Concurrenz zu preisen, deren wohlthätige Wirkung den bedenk-
lichsten Einwand gegen unsere Jeremiade abgäbe. Allerdings, wenn
die Concurrenz in Musiksachen immer eine so offene, redliche wäre,
wie sie etwa unter ehrenhaften Kaufleuten und Fabrikherren einge-
halten wird, welche es für eine Schmach hielten, sich in der Presse,
wenn auch noch so indirect, gegenseitig herabzusetzen, oder einander
tüchtige Arbeitskräfte wegzufischen n. dgl. ; das überlassen sie den
Trödlern und Charlatanen, den Verschleissern von Malzextract und
Brustsyrup. Nicht so die HH. Tonküostler, unter denen, wenn man
,, halb weg ehrbar thut ," Alles erlaubt scheint , was dem Rivalen
schadet oder den eigenen Vortheil fördert. O , dächten doch die
Priester der KunBt immer daran, wieviel Edles, Schönes und Grosses
durch solch' beilloses Cabalenwesen nicht nur im Wachsthum gestört,
sondern oft schon im Keime vernichtet wird !
Wo liegt aber der Urquell all dieser unseligen Zersplitterung,
dieser kleinlichen Sonderbündelei, dieser gegenseitigen Eifersucht?
Antwort: In der so vielen Süddeutschen innewohnenden Selbstüber-
schätzung, die sie hindert, sich rückhaltslos einer, wenn noch so
tüchtigen Direction zu unterwerfen, und die ihnen eine solche Unter-
werfung, wenn sie wirklich freiwillig geschah, als ein höchst dankens-
werthea Opfer erscheinen lässt, wodurch der Sache eine bedeutende
Unterstützung geleistet wurde. Damit glaubt man aber das Recht
zu unbeschränkter Bekritelung des Dirigenten) erworben zu haben,
und gefällt sich in jener vermeintlichen Unentbehrlichkeit, die vor-
kommenden Falles mit liebenswürdiger Rechthaberei behauptet wird.
Da nun Collisionen nie ausbleiben, so thut sich alsbald die Mino-
rität, statt sich nach guter parlamentarischer Sitte der Mehrzahl zu
fügen, zu einem neuen Verein zusammen, in welchem das alte Elend
von vorne beginnt, bis endlich die letzten Trophen des anfänglich
so reichen Stromes im Sande der Alltagsprosa versickert.
Wie wäre nun den berührten Uebelständen wirksam entgegen-
zuarbeiten? Auf dem natürlichsten Wege, nämlich durch Anschlusa
der kleineren Gruppen an die zunächst liegenden grösseren, welche
die stärkste Attractionskraft ausüben. Während bisher jeder Turn-
verein , jede Schützengilde fast ihr eigenes Männerquartett besitzt)
müsste dieses in die städtische Liedertafel eintreten , ähnliche An-
schlüsse hätten kleinere Chor - und Musikkränzchen aufzusuchen*
Wie sich ferner die Liedertafeln einer grösseren Stadt oder Land-
schaft löblicher Weise zu einer Säugergenossenschaft geeinigt haben,
so müssten sich auch die übrigen gleichartigen Vereine in je einen
Gesammtverein zusammenschliessen , stets unter Uebertragung der
Leitung an den tüchtigsten der bisherigen Einzeldirigenten. So würde
sich endlich die Masse der musicirenden Dilettanten einer Stadt in
drei Hauptvereine zu vertheilen haben, nämlich
1) in einen Orchester vere in, dessen Leiter jedenfalls auch,
der Stricharten u. dgl. halber, mindestens eines Bogeninstrumentes
mächtig sein soll,
2) in einen Männergesang- und
3) in einen Damengesangverein,
deren gemeinschaftlicher Dirigent vor Allem in der Technik und
Literatur des Gesanges vollständig zu Hause sein muss. Beide Vereine
studiren in ihren getrennten wöchentlichen Proben nicht nur selbst-
ständige Männer-, beziehungsweise Frauenchöre, sondern auch die
entsprechenden Chorstimmen für die vorzubereitenden gemischten
Chöre und Oratorien. Etwa zweimal des Monats treten dieselben
zu einer gemeinschaftlichen Probe zusammen, das zweite Mal aueh
mit obigem begleitenden Orchester verein , und zwar unter Leitung
des Gesangdirectors. Dieser bereits ansehnliche, dreifach gegliederte
Tonkörper agirt nun selbstständig , wenn in der Stadt keine Hof-
capelle besteht, oder wenn deren Leiter unfähig oder zu bequem ist,
um ein frisches Musikleben zu veranlassen und zu unterhalten. Ist
aber der officielle Capellmeister der rechte Mann, so hat er auch
den vollen Anspruch auf den Oberbefehl über die irregulären Truppen,
d. h. die Dilettantenkräfte , und deren einzelne Leiter haben sich
unbedingt denjenigen seiner Massregeln zu fügen, welche die Auf-
führung eines grösseren Werkes bezwecken. Es sind deren ohnehin
höchstens zwei im Winter möglich, da auch die Fachmusiker sich
in mindestens zwei selbstständigen Unternehmungen zu bethätigen
haben, nämlich in Sinfonieconcerten und Kammermusikabenden, in
welch' letzteren am besten zugleich das Streichquartett und das
Ciaviertrio vertreten ist, so dass der Localpiaoist hier seinen ihm
besser als der Tactstock entsprechenden Wirkungskreis findet.
Durch eine derartige straffe Concentration und Gliederung der
musikalischen Kräfte jedes Ortes würde es möglich, dem Publikum
stets das Beste in bester Weise vorzuführen, und dessen pecuniäre
Unterstützung für alle Branchen des Musiklebens gleichheitlich zu
gewinnen, da dieselben ebenfalls der leidigen Zersplitterung nicht
mehr ausgesetzt wären. l. St.
Mozart -Paralfpomcnoi)
Von Otto Jahn.
(S c h 1 u 8 s.)
Franz Hof dem el, Canzellist der k. k. obersten Justizstelle,
hatte sich am 10. Dezember 1791 in seiner Wohnung (Stadt, Grün-
angergasse 1360) in einem Alter von 36 Jahren selbst entleibt und
wurde im allgemeinen Krankenhause gerichtlich beschaut. Offenbar
hing mit diesem Selbstmorde die Verwundung seiner schwangeren
Frau Magdalene Hofdemel, geb. Pokorny zusammen, da eine
Quittung der k. k. Oberbereiterin ThereseWeiss vom December
1791 über 120 fl. vorliegt, welche sie „zur nöthigen Verpflegung der
verwundeten Frau Hofdemelin" aus dem Nachlasse Franz Hofdemers
durch die Erben erhalten hat. Von der Wittwe selbst ward ein Ge-
such um 1000 fl. Entschädigung für die Kosten ihrer Heilung und
Entbindung eingereicht, welches mit den Worten beginnt: „Es ist
*eider nur allzubekannt, in was für einen elenden und jammervollen
Zustand mich mein Ehegatte, Hr. Fr. Hofdemel, Canzellist bei der
hochlöblichen obersten Justizstelle sei. durch die so vielfältige Zer-
schneidung meines Angesichts uud sonstiger Theile meines Körpers,
die meine Ungesundheit und zwar vermuthlich für meine ganze noch
übrige Lebenseeit nach sich ziehet, versetzet, und dass er mich in
so einem Zustande als Mutter eines geborenen und eines noch zu
hoffenden Kindes hinterlassen habe." Sie erhielt im März 1792 die
Summe von 560 fl., zog nach Brunn und gebar dort am 10. Mai
einen Knaben, Johann Alexander Franz, der früh gestorben sein
muss. Die bei Lebzeiten des Vaters geborene Tochter Therese war
im December 1791 ein Jahr alt.
Dass Mozart mit Hofdemel bekannt war, geht aus folgendem von
Nobl (Mozart's Briefe Nr. 266) veiöffetitlichten Briefe hervor:
„Liebster Freund!
„Ich bin so frei, Sie ohne alle Umstände um eine Gefälligkeit
zu bitten; — könnten oder wollten Sie mir bis 20. des künftigen
Monats 100 fl. leihen, würden Sie mich sehr verbinden : am 20. fällt
mir das Quartal meiner Gage zu, wo ich dann meine Schuld mit
Dank wieder zurückerstatten werde.
„Ich habe auf 100 Ducaten (die ich vom Auslande zu erwarten
habe) mich zu sehr verlassen ; — da ich sie aber bis zur Stunde
noch nicht erhalten (sie aber täglich erwarte) , habe ich mich zu
sehr vom Gelde entblösst, so dass ich augenblicklich Geld vonnötben
habe, und deswegen mein Vertrauen zu Ihnen genommen , weil ich
Ihrer Freundschaft ganz überzeugt biu. ,
- 187 -
„Nun werden uns bald mit einem schöneren Namen nennen
können! Ihre Sache ist dem Ende sehr nahe!"
Hofdemel half ihm aus der Verlegenheit, wie der von Mozart
ausgestellte und geschriebene Wechsel, ehemals im Besitz des Hm,
Mendheim in Berlin, beweist, durch den auch die Zeit festgestellt wird«
Wien den 2ten Aprill 1789. A dato 4 Monathe zahle ich Endes-
gesetzter die Summe von 100 fl., sage Ein Hundert Gulden an Herrn
Ton Hofdemel oder an dessen Ordre, Valuta habe baar empfangen'
leiste zur Verfallzeit richtige Zahlung und unterwerfe mich einem
k. k. N. Oe. Merkantil- und Wechselgericht.
Sola an mich. Wolfgang Am ade Mozart,
Capellmeister in wirklichen k. k. Diensten.
Dass es sich hier um eine und dieselbe Person handelt, ist nicht
zu bezweifeln. Jener Franz Hofdemel hinterliess ein Vermögen von
€937 fl ; in seinem Nachlass war unter andern ein Buch gefunden:
„Die Feierlichkeiten der gerechten und vollkommenen Loge der
Einigkeit von Frankfurt a. M. , H er war also offenbar Freimaurer,
und auf seinen Eintritt in den Orden bezieht sich unverkennbar der
■Schluss in Mozart's Briefe.
Actenmässig festgestellt ist also der Selbstmord Franz Hofdemers
lind die durch ihn geschehene Verwandung seiner Frau; das Motiv
der Eifersucht und dass diese Mozart gegolten habe , kommt hier
nicht zur Sprache ; dass man damals wenigstens in gewissen Kreisen
4ie Begebenheit so aufgefasst und besprochen habe, ist durch Schefer's
und Czerny's Zeugniss erwiesen. Allein es ist nunmehr auch fest-
gestellt, dass die grauenvolle That erst 5, Tage nach Mozart's Tod
begangen ist, und dadurch wird es, man kann wohl sagen, zur Un-
möglichkeit, dass der bis zum Wahnsinn gesteigerte Argwohn des
Mannes, wenn er wirklich das Motiv der That war, soweit er Mo-
zart betraf, durch Thatsachen hervorgerufen worden sei. Ueber die
Wahrscheinlichkeit eines zu Mozart's Ungunsten verbreiteten Gerüchtes
nachträglich Erörterungen anzustellen, hat nunmehr kein Interesse
Mir ist es eine wahre Erleichterung, dass die Vermuthung, welche
«ich mir aufgedrängt hatte, die Schatten dieses tragischen Ereignisses
möchten Mozart's letzte Lebenszeit verdüstert haben, sich als ganz
«ingegründet erwiesen hat.
CORRESPONDKNZEN.
Aus Leipzig.
10. Novembar.
Nach einer Zeit der Noth ist die der Noten, — nicht der diplo-
matischen — nach einer Zeit der Disharmonie die der Harmonie,
wenigstens in unseren Concertsälen freudigst begrüsst, eingezogen.
Am 18. Octobor wurde unsere diesjährige Concertsaison durch das
«rste Abonnements-Concert im Gewandhaus eröffnet; das Programm
desselben bestand aus folgenden Nummern : Ouvertüre zu den „Aben-
«eragen" von Cherubini; Arie aus der „Schöpfung" von Haydn:
„Auf starkem Fittige," ges. von Frau Ullrich-Bohn vom Mann-
heimer Hoftheater; Violinconcert (N* 9, D-moll) von L. Spohr,
vorgetr. von Hrn. H. Brandt aus Hamburg; Arie ans „Faust" von
X«. Spohr, von der obigen Sängerin gesungen, und im II. Theil die
A-dur-Siufonie von Beethoven. Von einer Seite, die der Direction
der Gewandhausconcerte nicht gerade hold zu sein scheint, wurde
dies Programm gleich nach Beiner Verkündigung als ein Nothbehelf
betageblattet; richtig ist, es enthielt nur den Besuchern der Concerte
hinlänglich bekannte und oft gehörte Sachen. Als ob wir aber nicht
jeden Lenz dem Schlage der Nachtigallen mit gleicher Freude
laubchten und uns daran ergötzten! Zudem mag es nicht leicht ge-
wesen sein, in einer Zeit, wo noch ein finsterer Gast in unseren
Mauern weilte, singende und spielende Gäste aus der Ferne zu be-
kommen ; wenigstens erzählt man sich , dass die Concertdirection
gleiches Schicksal mit der Theaterdirection gehabt habe, welcher auf
mehrfache telegraphische Anfragen ein sehr entschiedenes quod non
als Antwort geworden sei.
Was nun die Ausführung obiger Werke anlangt, so war die der
beiden Orchesterwerke eine zum bei weitem grössten Theile dem
Rufe des Gewandhauses entsprechende; hie und da in der Sinfonie
wäre ein etwas strafferes Zusummenspiel zu wünschen gewesen. —
Frau Ullrich-Bohn erwies sich vornweg als eine routinirte Sängerin,
die mit ihrer Aufgabe, soweit es ihre Fähigkeiten und Mittel er*
lauben, fertig zu werden weiss. Was ihr an jenen fehlt, wie Wärme,
Freiheit und Glätte des Vortrags, wird sie schwerlich noch hinzu-
thun und erlernen. Indess kann man sich schon mit dem, was sie
bietet, begnügen, wie dies das Publikum, das der Sängerin lebhaften
Beifall spendete, auch that. Hr. Brandt, hier als einer der wacker-
sten Schüler des Conservatoriums gekannt und genannt, bewältigte
die Schwierigkeiten des ziemlich phrasenreichen Spohr'schen Con-
certes, namentlich in den beiden ersten Sätzen, mit Sicherheit und
Verständniss ; weniger gut gelang es ihm, uns über die Monotonie
des letzten Satzes hinwegzubringen.
Das zweite Gewandhaus-Concert am 25. Octbr. brachte an Or-
chesterstücken zum Beginn Haydn's Leben und Humor sprudelnde
G-dur-Sinfonie, zum Anfang des zweiten Theiles eine Fest-Ouvertüre
zur 25jährigen Stiftungsfeier des Pesth-Ofener Conservatoriums von
Robert Volkmann, zum Schluss Schumann's Ouvertüre zu „Genovefa."
Ueber die Executirung dieser Werke lässt »ich im Allgemeinen nur
Gutes berichten. Was die Volk man n'sche Ouvertüre betrifft, die
hier zum ersten Male zu Gehör kam, so enthält dieselbe unstreitig
manche interessante Details sowohl in Gedanken, wie in deren Ver-
arbeitung ; Mangel an Fluss aber, ein zerrissenes, zerfahrenes Wesen
lässt einen vollen Genuss , eine rechte Freude daran nicht zu. — -
Alb Sängerin präsentirte sich in diesem Concerte zum ersten Mal
Frl. EmilieWagner aus Carlsruhe ; brillantes Material, ein Mezzo-
sopran von noblem, vollem Klang, auch leidlich gute Schule, aber
keine innere Wärme. Der Vortrag der Sextus-Arie aus Mozart 1 «
„Titus": „Ach nur einmal noch im Loben" hielt sich so ziemlich
am Gefrierpunkt. Auf gleichem Niveau stand der des Schubert'schen
Liedes „Nachtstück " ; besser fand sich die Sängerin mit Schumann'«
„Ich wandre nicht" ab; der durch den frischen Klang gesteigerte
Effect der Schlusstacte verschaffte ihr so lebhaften Beifall, dass sie
noch ein Lied zugeben musste. — Hr. Joseph Dorf fei, Hofpianist
Ihrer kaiserl. Hoheit, der Frau Grossherzogin Helene von Russland,
mag ein ganz tüchtiger, fertiger Salonspieler sein; da aber Beet-
hoven's Es - dar - Concert in einen Salon nicht recht passen will, so
wird es auch wohl besser sein, wenn Hr. Derffel sich nicht mit ihm
befasst. Besser gelang ihm der Vortrag zweier Salonstücke eigener
Composition. Die Notwendigkeit , warum Hr. Derffel componirt,
haben wir freilich nicht einzusehen vermocht. (Schluss folgt.)
Aus Paris.
1 1 . November.
Die bevorstehende Woche verspricht den Parisern eine Reihe
von Tbeatemeuigkeiten. Zuvörderst das neue Ballet vonMinkouS
und Leo Delibes, „La Source," welches morgen in der grossen
Oper zur Darstellung kommt. Gestern hat vor einem fast vollen
Hause die Generalprobe stattgefunden. Die Mise en scene ist sehr
schön; die Salvioni tanzt ganz vortrefflich, es gehört abei dock
viel Geduld dazu, das Ende dieser dreiactigen und zwei volle Stun-
den dauernden Pantomime abzuwarten , uud das um so mehr alt
kein Mensch aus der Handlung klug werden kann.
Die Ope'ra comipue verspricht , „Mignon" von A m b r o i s e
Thomas gegen Ende dieser Woche zur Darstellung zu bringen
natürlich wenn sich kein unvorhergesehenes Hinderniss einstellt.
Die Bouffes Parisiens , denen Jacques Offenbach noch
immer grollend den Rücken zukehrt, werden künftigen Freitag mit
einem neuen Werke, „Les Chevaliers de la Table ronde ,*■ das
Zwergfell aller Lachlustigen zu erschüttern Sachen. Da ich gerade
Offeubach's erwähne , so will ich auch bemerken , dass seine ,. Vit
Parisienne,'* die seit vierzehn Tagen im Palais Boyal-Theater ge-
geben wird, sehr anspricht. Diese Operette ist aber auch reich an
gefälligen Melodien, die sich dem Gedächtniss leicht einprägen.
Hr. B a g i e r hat sich entschlossen, Sonntags -Vorstellungen zu
herabgesetzten Preisen zu geben , um dem grösseren Publikum den
Besuch des italieniHchen Theaters möglich zu machen. Heute findet
die erste dieser Vorstellungen statt.
Man ist allgemein gespannt auf die erste Aufführung des „Frei-
schütz," die von der Direction des Theatre lyrique für die nächste
Woche fest versprochen ist. Weber's Meisterwerk soll diesmal den
Kunstfreunden in seiner ursprünglichen Gestalt und nicht wie früher
verstümmelt und zugestutzt vorgeführt werden.
- 188 -
Mermet, der Compositeur des „Roland in Bonceval," bat so-
eben die ersten zwei Acten seiner „Jeanne d'Arc" beendigt und
'wird dieselbe nächstens einem engern Kreise mittheilen.
I a c li r i c h t e ii.
Maim. Am 9. Novbr. hatten wir Gelegenheit im ersten dies-
jährigen Concert des Kunstvereina die ClaviervirtuosinFrau Johnson-
G r a e v e r aus Holland zu hören, welcher ein bedeutender Ruf voraus-
gegangen war. Sie spielte das Quartett in H-moll von Mendelssohn
mit denBH. Concertm. Pöpperl, Sesselmann und Frisch vom
hiesigen Theaterorchester, und sodann allein die Variationen in
C-dur von Händel, eine Caprice von eigener Composition und die
„Campanella" von Taubert. Eine eminente technische Fertigkeit,
schöner Anschlag und geschmackvoller Vortrag sind die Vorzüge^
durch welche das Fpiel dieser Künstlerin sich auszeichnet, und der
lebhafte Beifall des zahlreichen Publikums folgte jeder ihrer schönen
Leistungen.
CÖln. Das 2. Gesellscbafts-Concert im Gürzenich fand mit fol-
gendem Programm statt: I. Theil. Ouvertüre von Jol. Tausch ; Arie
für Sopran aus „Scipione" von J. Ch. Bach (Frau Rudersdorff);
Fantasie für Violoncell von AI. Schmit (Hr. AI. Scbmit); Canzo-
setten von J. Haydn (Frau Rudersdorff); Adagio und Finale aus
dem Concert in H-moll für Pianoforte von J. N. Hummel (Frau
Johnson-Graever, Hofpianistin der Königin von Holland); Fi-
nale zu „Lorelei" von Mendelssohn (Leonore: Frau Rudersdorff).
ii. Theil. Sinfonie in D-moll von R. Schumann. Besonderes Inte-
resse erregte das Auftreten der Frau Johnson-Graever, welche nach
dem Urtheile des Hrn. Prof. L. Bisch off in der „Nieder-R. M.-Z. a
sich als eine den grössten Pianistinnen, Clara Schumann und
Szarvady-Clauss ebenbürtige Virtnosin erwies.
Berlin. Der Stern'sche Gesangverein führte am 4. November
zur Gedächtnissfeier Mendelssohn-Bar tholdy's dessen „Elias"
auf. Frau Blume vom Hoftheater in Dresden sang die Sopran-
partie und erwarb sich nicht nur den lebhaftesten Beifall des Pub-
likums, sondern auch die unumwundenste Anerkennung ihrer vor-
trefflichen , wahrhaft künstlerischen Auffassung und Vortragsweise.
Dass Frau Jach mann -Wagner und der k. Domchorsänger Hr.
Otto in ihren Partien den strengsten Anforderungen genügten,
versteht sich von selbst; aber in Hrn. Hill aus Frankfurt, der die
Partie des Elias sang , machten wir die erfreuliche Bekanntschaft
eines Oratoriensängers, der in seinem Fache am Rhein wie in Holland
bereits einen soliden Ruf sich gegründet hat und zu den besten
Sängern in diesem Fache zu zählen ist.
Ein anderer interessanter Gast war Hr. Concertmeister Lauter-
bach ans Dresden, welcher in den Blumner'schen Montagscon-
certen in verschiedenen Compositionen von Mozart, Haydn, Schu-
bert etc. sich hören Hess und als ein feinfühlender, von tadellosem
Geschmack geleiteter , in technischer Beziehung unübertrefflicher
Künstler sich die ehrenvollste Anerkennung erwarb und den ihm
vorausgegangenen Ruf vollkommen rechtfertigte.
Gent. Das in Brüssel mit so grossem Beifall aufgenommene
Oratorium „Lucifer M von P. B e n o i t ist nun auch liier vor ge-
drängt vollem Saale aufgeführt worden und hat einen vollständigen
Erfolg gehabt.
Brüssel. Für das erste der populären classischen Concerte des
Hrn. Samuel, welches am 11. November stattfindet, ist folgendes
Programm aufgestellt : Ouvertüre von Beethoven ; ßourre'e, Air und
Gavotte von S. Bach ; Adagio aus dem Quiutett von Mendelssohn ;
„Türkischer Marsch" von Mozart, instrumentirt von Pascal; „Ham-
let" -Ouvertüre von AI. Stadtfeld, und endlich die 1. Suite für Or-
chester von J. Raff.
Ronen. Hr. A. L. M a 1 1 i o t hat dem Maire von Rouen, Hrn.
V e r d r e 1, einen Plan znr Errichtung eines Conservatoriums für Musik
vorgelegt, welches dem in dieser Stadt gebornen Componisten der
„weissen Dame" zu Ehren „Institut Boietdieu u genannt werden soll*
Liverpool. Meyerbeer's „Hugenotten," welche hier seit einigen
Jah ren nicht mehr gehört wurden , kamen dieser Tage wieder zur
Aufführung mit den Damen Tietjens und Wiziak und den HH.
Mario, Santley, Gassier und Fol i. Aufführung und Ausstattung
liessen nichts zu wünschen übrig und die Aufnahme von Seite des
Publikums war eine wahrhaft enthusiastische. Die nächste Oper
wird der „Freischütz" sein.
*** Der ehemals berühmte Tenorist Duprez in Paris, der be-
kanntlich mit seiner Oper „Jeanne d'Arc" Fiasco gemacht bat»
schreibt jetzt ein Requiem.
*** Hrn. Capellmeister G. Schmidt in Leipzig sind bei Ge-
legenheit der 25jährigen Jubelfeier seiner Thätigkeit als solcher
vielfache Ehren widerfahren. Schon am Vorabend, den 1. Novbr.,.
ward ihm ein Ständchen vom ganzen Chorpersonal gebracht. Am
Morgen des 2. Novbr. selbst begrüsste ihn eine Deputation vom
Theaterorchester unter Ueberreichung eines silbernen Pokals im
Namen desselben. Sodann fanden Beglückwünschen durch die Vor-
steher verschiedener hiesiger musikalischer und geselliger Vereine
statt. Am Abend fand die Vorstellung des „Freischütz" statt, der
ersten Oper, welche Hr. Schmidt als Capellmeister (in Brunn) diri-
girt hatte. Des Dirigenten Pult war bekränzt und geschmückt; auf
demselben lag die Partitur des „Freischütz," in rothen Saffian mit
Gold eingebunden , darüber ein Lorbeerkranz. Ein allgemeiner
herzlicher Empfang ward dem Dirigenten beim Erscheinen am Pult
von Seiten des ganz vollen Hauses zu Theil, verbunden mit drei-
maligem Tusch vom Orchester. Nach dem ersten Act richtete Bür-
germeister Dr. Koch von der Bühne aus im Namen der Stadt wie
im eigenen einige herzliche Beglückwünschungsworte an den Jubilar..
(Leipz. Sign.)
*** Die „Afrikanerin" soll in Dresden am 13. November mit
äusserst glänzender Ausstattung in Scene geben. In München
dagegen soll die Aufführung dieser Oper, Münchener Blättern zufolge»
abermals auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben und wenig Hoffnung
sein, dieselbe vor dem Jahre 1868 auf den Brettern zu sehen. Man»
bemüht sich dort vergebens, die Gründe dieses Aufschubes aufzu-
finden, da überdies die Hauptrollen einstudirt sind, und Chor und
Orchester bei ihrer anerkannten Vortrefflichkeit wohl auch keia
Hinderniss bilden können.
*** J. Rheinberger, Hoforganist in München , hat eine-
„Wallenstein - Sinfonie" componirt. Wallenstein, Tbekla's Klage,
das Lagerleben mit der Capuzinerpredigt und Wallenstein's Tod
bilden die Hauptmotive zu den vier Sätzen der Sinfonie. Dieselbe
wird in einem der Abonnementconcerte der musikalischen Akademie
zur Aufführung gelangen.
*»* In Louisville ist das dortige Theater abgebrannt. Der
Schaden beträgt 70,000 Dollars, die Versicherung beläuft sich nur
auf 10,000 Dollars.
*** In Coburg kommen nächster Tage Langert's „Fabier^
zur Aufführung.
ANZEIGEN.
Nene Musikalien.
Im Verlage von Fr. Kistner in Leipzig erschien
soeben mit Eigentumsrecht :
Aflantscliewsky, M. v. Op. 10. Trio für Pianoforte, Violine
und Violoncell. Thlr. 3. 10 Ngr.
Bach, JToli. Seb. Trauer -Ode, bearbeitet von Rob. Franz.
Clavier-Auszug. Thlr. 2. 10 Ngr.
Richter, Ernst Friedrich* Op. 30. Vier Characterstücke
für Pianoforte. 20 Ngr.
Strutli, A. Op. 128. L'Alouette du Printemps. Bluette en forme-
d'une Etüde expressive pour Piano. 10 Ngr.
— Op. 131. Erinnerung an die Kinderzeit. 6 cbaracte-
ristische Toubilder für das Pianoforte. 12 V» Ngr.
— Op. 136. Blumensprache. 24 kleine elegante Ton-
stückeben für das Pianoforte. Heft I. und II. a «0 Ngr.
Stelle -Gesuch.
Ein Musikdirector sucht eine Stelle als Dirigent
eines grösseren Gesang -Vereins. Gefällige Offerten bittet
man an die Verlagshandlung d. Bl. einzusenden.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mate*
15. Jahrgang.
m- ds.
26. November 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
r -"?
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post- ? -y
ämtern, Musik- & Buchhand- \ £>■
^ lungen. .
V^rlay
Y
*T
von
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ,
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PREIS: <
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
/Vi
INHALT: Zwei Pastoral-Sinfonien. — Correspondenzen : Leipzig. München. Regensburg. — Nachrichten.
Zwei Pastoral-Sinfonien.
Unter dem Titel „Veux symphonies posturales" veröffentlicht
der unermüdliche, obachon so hochbejahrte F6tis in der Revue et
Gazette musicale einen Artikel , in welchem er dem seiner Zeit
hochgeachteten, jetzt aber wenig mehr genanntenComponisten Kn e cht
sozusagen die Priorität des Programms der Beethoven'schen Pasto-
ral-Sinfonie vindicirt, indem Knecht eine Sinfonie mit fast ganz ähn-
lichem Programm wie die genannte Beethoven'sche gesehrieben habe.
Hören wir, was Fätis darüber schreibt:
„Zwei Pastoral-Sinfonien I Hat sich denn wirklich ein Musiker
gefanden, der kühn genug oder einfältig genug war, um sich an
dem von Beethoven so glänzend behandelten Gegenstande zu ver-
suchen? Nein, Niemand war so anmassend. Zweimal wurde der
Ausdruck der Gefühle, welche die Seele beim Anblick der Natur an
einem schönen Tage bewegen , musikalisch wiederzugeben ver-
sucht; aber Beethoven war es, der sich des Programms eines heut-
zutage fast unbekannten Künstlers bemächtigte, welcher aber in den
ersten Jahren dieses Jahrhunderts in Deutschland sich eines gewissen
Rufes erfreute. Er hiess Knecht. Geboren zu Biberach in Würtem-
berg im Jahre 1752, erhielt er von seinem Vater den ersten Musik-
unterricht und genoss bei seinen ersten musikalischen Studien die
Leitung seines Landsmannes Wieland, welcher später eine der
Berühmtheiten deutscher Literatur , der Zeitgenosse undj Freund
Herder's, Schiller's und Göthe's wurde.
Nachdem Knecht seine Studien in Esslingen beendigt hatte,
wurde er im Alter von 19 Jahren von dem Magistrate der Stadt
Bibrach berufen , in seiner Vaterstadt Unterricht in den schönen
Wissenschaften zu geben. Im Jahre 1792 vertauschte er dieBe Stellung
mit der eines Musikdirectors , welche seinem Geschmacke mehr zu-
sagte. Er hatte in Mannheim die Schule des Abbe" Vogler be-
sucht und war ganz eingenommen für die falschen Doctrinen dieses
„Musikcbarlatans ," wie ihu Mozart nannte. Zurückgekehrt in das
Städtchen Bibrach , genoss Knecht daselbst eine ruhige und den
Studien gewidmete Existenz. Viele seiuer Gompositionen für Orgel,
Ciavier, Gesang, Theater, Kirche und Orchester sind theils veröffent-
licht worden, theils Manuscript geblieben. Seine Schriften zur Ver-
teidigung der Vogler'schen Theorie, seine Abhandlungen über Har-
monie und über die Grundprincipien der Musik, sowie seine grosse
Orgelschule erfreuten sich grosser Werthschätzung. Dieser würdige
Mann starb in Bibrach am 11. December 1817.
Unter seinen Schriften, welche ich in meiner „Biographie des
musicienf'* angeführt habe, befindet sich auch ein „Portrait musi-
cale de la nature" Sinfonie für Orchester. Ich kanute diese Com-
Position nur nach dem in Gerber's „Neuem Lexikon der Ton-
hünstler" angeführten Titel; erst kürzlich kam dasselbe in meine
Hände und interessirte mich durch die Uebereinstimmung seines
Programms mit dem der Pastoral -Sinfonie von Beethoven, sowie
durch einiges Andere, wovon ich sogleich sprechen werde. Der in
höchst mittelmässigem Französisch geschriebene Titel des Werke»
jftutet in deutscher Übersetzung:
„Das musikalische Porträt der Natur, oder grosse Sinfonie für
2 Violinen , Viola und Bass , mit 2 Querflöten , 2 Oboen, Fagotten,
Hörnern , Trompeten und Pauken ad libitum. Dieselbe soll mib
Hülfe der Töne ausdrücken :
1. Eine schöne Gegend , wo die Sonne leuchtet , die sanften
Zephire wehen, die Bäche das Thal durchziehen; die Vögel zwit-
schern, ein Bergstrom fällt murmelnd herab, der Schäfer pfeift, die
Lämmer hüpfen und die Schäferin lässt ihre sanfte Stimme hören.
2. Der Himmel fängt an plötzlich dunkel zu werden (commence
ä devenir soudain et sombre); die ganze Umgebung hat Mühe zxx.
athmen und ist erschreckt, die schwarzen Wolken steigen auf, die*
Winde beginnen grossen Lärmen zu machen, der Donner rollt von*
Weitem, und das Gewitter naht mit langsamen Schritten.
3. Das Gewitter, begleitet von murrenden Winden und fallen-
dem Regen, stürmt mit aller Macht; die Gipfel der Bäume machen«
ein murmelndes Geräusch , und der Strom rollt seine Gewässsr mit
entsetzlichem Lärmen.
4. Das Gewitter besänftigt sich nach und nach, die Wolken
zerstreuen sich, und der Himmel wird wieder heiter.
5. Die Natur, voller Freude, erhebt ihre Stimme zum Himmel
und bringt dem Schöpfer lebhaften Dank dar durch sanfte und an-
genehme Gesänge.
Gewidmet dem Herrn Abb6 Vogler , erster Capellmeister der
churfürstlichen Capelle von Pfalz-Baiern, von Justin Heinrich Knecht.
Veröffentlicht und zu verkaufen in Speyer bei Rath Boesler."
Man ersieht aus dem Catalog des Herausgebers, welcher der
eisten Violinstimme beigefügt ist, dass diese Sinfonie im Jahre 1764
veröffentlicht wurde, gerade in demselben Jahre, da Beethoven, da-
mals 14 Jahre alt, bei dem nämlichen Verleger seine drei ersten
Ciaviersonaten erscheinen lies*.
Es ist einleuchtend, dass das Programm der Sinfonie von Knecht
kein anderes ist als das der Pastoral - Sinfonie , welche Beethoven
dreissig Jahre später schrieb. Es handelt steh nicht darum, dieses
grosse Werk mit der Sinfonie des Musikdirectors von Bibrach zu
vergleichen ; allein es ist doch bemerkenswert!) , dass ein andere»
Werk von Knecht, betitelt: „Taus der Ländleute, von einem Ge-
witter unterbrochen," das Sujet ftt* des dritten Theil der Sinfonie von
Beethoven geliefert hat. (Schluss folgt.)
GORRB8PONDENZER.
Am Leipzig.
10. Nmator.
(Schluss.)
Der erste Theil des dritten Abonnements - Concertes führte uns
ein gut 8t8ck in die Vergangenheit zurück; ein Concert (G-moll)
für Streichinstrumente, zwei obligate Violinen und Violoncell von
G. F. Händel, zwei A rieften aus „Susanne" von Händel und eine
Sonate für Violin-Solo von F. W. Bast bildeten das Programm ; das
190 -
des zweiten Theiles: Hymne für Sopran-Solo and Cbor und Sinfonie
(Nr. 3, A-moll) von F. Mendelssohn. Die erste und dritte Kummer
des ersten Theiles wurden hier zum ersten Male öffentlich ausgeführt.
Das Händel'sche Concert machte sowohl durch seinen innern Werth,
wie durch seine treffliche Ausführung (die Solostimmen durch die
HH. Concertmeister David, Haubold und H e g a r) einen sehr
günstigen Eindruck. Es liegt etwas Unverwüstliches in dieser Musik,
wenn auch manches Veraltete, manches, was an den Zopf erinnert,
mit unterläuft. Das Gleiche gilt von den beiden Arietten, in deren
Vortrag Frl. Wagner in viel günstigerem Lichte erschien als in
dem vorhergehenden Concerte. — Die Rust'sche Sinfonie ist im Jahre
1795 componirt und zwar für Violine allein; Hr. Concertm. David
hat sie bearbeitet, indem er noch eine Ciavierstimme (von Hrn. Ca-
pellmeister Reinecke ausgeführt) hinzufügte und dadurch einem
Werke zur Anerkennung verhalf, das bald auf dem Repertoir aller
Geiger glänzen wird. Ebenso interessant in der Erfindung wie in
der Mache, wusste Hr. Concertmeister David die Vorzüge desselben
durch sein meisterhaftes Spiel in das hellste Licht zu stellen und
erhielt dafür von Seiten des Publikums die rauschendsten Beifalls-
bezeugungen. — Zum Vortrage der Mendelssohn'schen Hymne fehlte
Frl. Wagner das Weiche , das Seelische ; ein grober Fehler am
Schluss riss selbst die Wenigen , die in die rechte Stimmung ge-
kommen sein mochten, aus dieser wiederum heraus. — Die Ausführung
der Sinfonie bezeugte von Neuem , wie vertraut das Orchester mit
derartigen Werken ist.
Eine gleiche Vertrautheit bekundete letzteres in Beethoven's
F-dur-Sinfonie Nr. 8, welche das vierte Gewandbausconcert, Donners-
tag den 8. Novbr., eröffnete. Nur vermochten wir uns bei dieser
nicht mit den schleppenden Tempil des zweiten und dritten Satzes
zu befreunden. Die anderen Instrumentalstücke des Abends waren:
Entr'acte aus „Medea" von Cherubini und Passacaglia und Toccata
von J. S. Bach, instrumentirt von H. Esser. Der Erstere machte
auf uns denselben gewaltigen Eindruck wie bei seiner ersten Auf-
führung im vorigen Jahre; dass sich dieser in der Oper, wo die
rolle Bedeutung der Musik klarer vorliegt, noch erhöht, dürfte wohl
nicht zweifelhaft sein. Die Passacaglia wurde zum ersten Male zu
Gehör gebracht; so meisterhaft Esser's Instrumentation ist, so ver-
mag sie doch nicht uns über eine gewisse Monotonie, an der wohl
auch zum Theil die Länge des Stückes die Schuld trägt, hinwegzu-
heben, und wird darum die Passacaglia nie zu einem Lieblingsstücke
werden, wie es mit der Toccata der Fall ist, die uns auch diesmal,
wie bei ihrer ersten Aufführung vor einem Jahre , einen wahren
Hochgenuss bereitete. — Zwischen diesen Orchestersachen waren
folgende Gesangstücke eingefügt: Recitativ und Arie für Sopran mit
obligatem Pianoforte von W. A. Mozart, Cantate vcn Alessandro
Stradella und 2 Lieder: „Siciliana" von Händel und „Pastorelle"
von Haydn. Den Vortrag derselben hatte Frau Hermine Ruders-
dorf f aus London übernommen. Frau Rudersdorff ist eine zu
routinirte Sängerin, als dass sie nicht ihren Aufgaben vollständig
gerecht werden sollte, d. h. soweit es ihre Mittel, die beauoc restes
ihrer Stimme , erlauben. Nur mögen diese sie nicht verleiten , in
Künsteleien sich zu ergehen und durch solche den Beifall des Pub-
likums hervorrufen zu wollen.
Als Rivalin, wenn auch noch nicht als ebenbürtige, ist nun auch
die hiesige zweite Concertgesellschaft „Euterpe" unter grosser Theil-
nahroe des Publikums in die Schranken getreten. Es fanden bis
jetzt zwei Concerte statt, am 30. Octbr. und am 6. Novbr. Zur
Aufführung im ersten hatte man Gluck's „Orpheus" gewählt, eine
Wahl, die dem Geschmacke des Vorstandes alle Ehre machte und,
wie aus dem Besuche zu schliessen war, auch allgemeinen Anklang
fand. Ihr entsprach die Aufführung selbst, unter Leitung des Hrn.
von Bernuth. Die Chöre waren trefflich einstudirt, griffen mit
Sicherheit und Energie ein, das Orchester entsprach allen billiger-
weise an dasselbe zu stellenden Anforderungen und, um das Beste
zuletzt zu erwähnen, die Soli'a waren in den Händen der Fräulein
Franziska Schreck von Bonn und der Frau Blume vom k.
Hoftheater in Dresden. Die Leistungen , von dem innigsten Ver-
ständnisse der Gluck 'sehen Muse getragen, rechtfertigten den Ruf,
welcher beiden Damen als durch Stimme und Schule ausgezeichneten
Sängerinnen vorangegangen war.
Das Programm des zweiten Concertes war zusammengestellt aus:
Ouvertüre zu „Leonore" (Nr. 3) von Beethoven; zwei Duetteu aus
„Jessonda" von Spohr und aus „Templer und Jüdin" von Marschner;
Ciaviervorträge von Frl. AnnaMehlig, und Sinfonie (Nr. 2, C-dur)
von Robert Schumann. Mehr als im ersten Concerte machte sich
in dem diesmaligen der Nachtheil einer allzugrossen Lokalität —
die Euterpe-Concerte finden im Saale der Centralhalle, dem grössten
Leipzig's , statt — geltend. Weder Beethoven's Ouvertüre , noch
Scbumann's Sinfonie konnten bei einer den Kräften nach sonst ganz
leidlichen Ausführung die rechte, volle Wirkung erzielen. Auch der
Vortrag des Chopin'schen Concertes (F-moll) durch Frl. Anna Mehlig
litt darunter; er erschien nicht uüancirt genug und dadurch zu
wenig leidenschaftlich uud schwärmerisch. Glänzend gelang der
Künstlerin der der Fuge in E-moll von Mendelssohn und der Rhap-
sodie hongroise von Liszt; eine eminente Technik, vollständige Be-
herrschung des Instrumentes, staunenswerthe Sicherheit und Gewand-
heit — Vorzüge, die bereits Frl. Mehlig den Ruf als eine der ersten
Pianistinnen gesichert haben, brachten ihr auch hier die lebhaftesten
und rauschendsten Beifallsbezeugungen. — Die beiden Duetten, von
Frl. Blaczek und Hrn. Rebling, Mitglieder des hiesigen Stadt-
tbeaters, in anerkennenswerther Weise vorgetragen, verfehlten nicht,
animirend auf das Publikum zu wirken.
Um nun gleich beim Theater zu bleiben, so hat dieses in jüng-
ster Zeit als Novität Abert's „Astorga" gebracht. Ueber ein solches
Werk nach einmaligem Anhören — die zwei bisherigen Wieder-
holungen war Referent leider verhindert zu besuchen — ein er-
schöpfendes Urtheil zu fällen, ist unmöglich. Jedenfalls stellt sich.
Astorga sogleich als Schöpfung eines bedeutenden Talentes heraus,
das zwar nicht berufen scheint, neue Bahnen zu brechen, das aber
mit feinem Verständniss das wahre Gute in seinem Bereiche erfasst
hat, und darum wohl geeignet sein dürfte, jene Bahnen zu erweitern
und auszubauen. Die Oper fand von Seiten unseres Publikums den
lebhaftesten Beifall; der Componist, der selbst dirigirte , wie die
Darsteller der Hauptpartien , wurden nach jedem Acte mit steigen-
dem Interesse gerufen ; die letzteren waren in den Händen der Damen
Blaczek (Eleonore) und D u m o n t (Angioletta) und die HH. Gross
(Astorga) und T h e 1 e n (Balbazes). Es steht zu hoffen und zu er-
warten, dass noch viele Wiederholungen folgen und Veranlassung zu
einem weiter eingehenden Bericht geben.
Aus Uffi ii cli en.
Mtnit Ntrember.
Die Aufführung der neueinstudirten Oper „Don Juan" war für
die Münchener Musikfreunde ein Ereigniss. Die Intendanz hatte
ihrer Pietät für das unsterbliche Meisterwerk dadurch Ausdruck ge-
geben, dass sie die besten Kräfte, über welche unsere Oper gebietet,
in's Treffen führte und neue , passende Scenerien malen Hess , die
sich schon längst als nothwendig für das Verständniss der Handlung
herausgestellt hatten, der Capellmeister aber dadurch, dass er eine
zweckdienlichere, vorzüglich dem Leumund Ottavio's zu Hilfe kom-
mende Reihenordnung der Arien arranghte, einzelne bisher unter-
drückte Nummern aufnahm, und endlich dass er die alten Recitative
wieder vorsuchte, welche die einzelnen Musikpiecen wirksamer und
abgerundeter verbindet. Ueber der ganzen Vorstellung schwebte der
Hauch des Feiertäglichen , des Ausserordentlichen : Orchester wie
Sänger waren von ihrer Aufgabe begeistert, und diese Begeisterung
trat fühlbar in der Aufführung hervor.
Die Titelpartie lag in den Händen des Hrn. Kindermann.
Seine Stimme und sein Temperament bevorzugen ihn von allen
Baritonisten Deutschlands zu der Partie ; der frische Wohlklang und
die sympathische Fülle seines Organs können sich keinen besseren
Tummelplatz denken als der Don Jnan. Ein grosser Fehler jedoch
ist es, dass er nur die ritterlich-galante Seite des Characters darzu-
stellen weiss. In dem Don Juan ist mehr, viel mehr gezeichnet als
der gewöhnliche Liebhaber im spanischen Costüm: der Dänionismus,
der von ihm ausstrahlt und dem die Franen alle, die in seinen Bann
kommen, unrettbar verfallen, fand in seiner Darstellung nirgends
auch nur eine Andeutung. - Frl. M allinger, unsere schnell be-
rühmt gewordene Kroatin, unternahm das kühne Wagniss, als zweite
Partie, mit der sie vor das Publikum trat, die Donna Anna zu singen,
und dem Kühnen hilft das GlQck: sie that es mit ausserordentlichem
Erfolg. Allerdings verlangen die Recitative und die Rachearie mehr
- 191 -
'Leidenschaft und ein grösseres Stimmvolumen, als sie zeigte, aber
«o detaillirt haben wir die Partie, so in sich fertig die Briefarie
nie wieder gehört. — Eine ebenso werthvolle Leistung war die der
Frau D i e z als Elvira. — Die übrigen Partien waren unter die
HH. Vogel (Ottavio), Bausewein (Leporello) und Hartmann
(Masetto) und das Frl. Thoma (Zerline) vertheilt, und sie hatten
grossentheils ein Anrecht auf den Beifall, welcher diesen Abend fast
immerwährend lebendig blieb.
Die ersten Blüthen unseres winterlichen Musiklebens haben sich
schon gezeigt. Das Concert der musikalischen Akademie am Aller-
heiligentage führte Mendelssohn^ „Paulus" ror, ein Werk, dessen
grösste Schönheiten in der Form liegen. Die Aufführung , der ein
grosses Publikum beiwohnte, wurde oft durch den Beifall des Audi-
toriums unterbrochen; besonders erfreute sich Hr. Vogel (Tenor)
<ler allgemeinen Aufmerksamkeit: er sang aber auch seine Partie
mit schöner, wohlgeschulter Stimme und mit delicatem, an Nuancen
reichem Vortrag.
Im ersten Abonnement -Concert der musikalischen Akademie
wurde Beethoven'*, siebente Sinfonie (Op. 92, A-dur), die populärste
«einer grossen Schöpfungen, vorgetragen. Wer einen Beweis von der
Vortrefflicbkeit des Münchener Orchesters haben will, der höre sich
einmal an, wie dasselbe z. B. den ersten Theil des zweiten Satzes
dieser Sinfonie spielt: Eine Seele, Ein Gedanke beherrscht alle In-
strumente , und jede Nuance des Crescendo wird mit einer über-
einstimmenden Genauigkeit gebracht, die wie eine mathematische
Progression hervortritt. Oder man höre den letzten Satz, wie dort
•die Tonmassen allmählig zur höchsten Kraftentwicklung vordrängen
l>is sie titanenhaft einherschreiten, gewaltig und unbezwingbar, und
»ich nur von Ihresgleichen verdrängen lassen. Um aber zu solcher
Virtuosität, die sich nur mehr um das „Wie" des Vortrags zu küm-
mern braucht, zu gelangen, müssen derartige Tonwerke wohl oft ge-
spielt werden, und es gereicht den neueren Compositionen keineswegs
«um Vortheil, dass sie meist nur einmal vorgetragen und dann bei Seite
gelegt werden. — Eine Novität, „Nachklänge von Ossian," Ouver-
türe von Niels W. Gade gefiel. Sie ist ein empfindungs- und poesie-
volles, characteristisches Tonstück, in welchem Gade wieder ganz
als der scandinavische Mendelssohn erscheint. — Hr. Venzl, wenn
wir nicht irren, ehemaliger Schüler Lauterbach's und jetzt Mitglied
des Hoforchesters, spielte Spohr's Gesangsscene für Violine recht
sauber, correct und geschmackvoll. — Der letzte Satz (AUa Turca)
aus der A-dur-Sonate mit den Variationen von Mozart, von Paskai
recht geschickt instrumentirt, fand keinen rechten Anklang. Man
liebt hier dergleichen musikalische Manöver nicht, und in der That
hören wir das characteristische Tonstück auch lieber auf dem Cia-
vier als unter dem Heidenspectakel heraus, den das volle Orchester
macht. — Frl. Ritter, die junge AltiBtin unserer Hofoper, eine
Schülerin der Falconi, vertrat den vocalen Theil des Concertes; sie
«ang eine oft gehörte Arie aus der Oper „Mitrane" von Rossi, „Das
Mädchen und der Tod" von Schubert und „Die Bäume grünen überall"
von Marschner; ihre schöne Stimme und der geschmackvolle Vortrag
gewannen ihr überreichen Beifall.
Das Programm dieses Concertes führte auffallender Weise fast
lauter Compositionen in A auf. (Vielleicht bringt das zweite lauter
Compositionen in ß?) (Schluss folgt.)
m»
Bl\\% Regensburg.
Anfang November.
rß Figaro 's Hochzeit" von Mozart , dieses noch nicht erreichte,
vielleicht unerreichbare Muster einer komischen Oper, ist für jede
Bühne eine schwere Aufgabe, und es gehören bedeutende Kräfte
dazu, um der Aufführung derselben den Stempel der Vollkommenheit
aufzudrücken. Wenn nun gegenüber eiuer solchen, vom Recensenten
unlängst in München gehörten Mustervorstellung die kürzlich hier statt-
gehabte Aufführung einen im Allgemeinen ganz günstigen Eindruck
su machen vermochte, so ist damit ein Verdienst der Aufführenden
eonstatirt, welches in der noch jungen Chronik der dermaligen
Direction Schi in ang von Werth sein dürfte; ja, wir schätzen dies
Verdienst um so höher , mit je grösserer Geistesgegenwart und mu-
sikalischem Geschicke zwei durch so leicht mögliche Gedächtniss-
fehler hervorgebrachte gefahrvolle Momente, und zwar gewiss für
die Meisten unbemerkbar, beseitigt wurde«. Dies Lob trifft Tor
Allem den tüchtigen Capellmeister Rietz und das gut geschulter
Orchester, wir ehren aber auch die Discretion und Fassung derer, die
sich sogleich zu corrigiren verstanden. Wir erinnern uns dabei einer
Anecdote, welche zwischen Mozart und der jungen Schikaneder
vorfiel. Letztere hatte in einem der Knaben-Terzette in der „Zauber-
flöte" sich verpausirt , erfasste aber gleich wieder so richtig ihre
Partie, dass Mozart ihr zurief: „Brav Nannerl, aus Dir kann noch
was werden!"*) Gerade die Art, wie die besagten Klippen um-
schifft wurden, haben unser Vertrauen auf fernere tüchtige Opern-
vorstellungen erhöht. Ausser diesen eben berührten Schwankungen
können wir die Ensembles alle als sehr gelungen bezeichnen, zumal
deren Schwierigkeit durch die hie und da zu rasch gegriffenen
Tempi, namentlich im 2. Finale nicht wenig erschwert war. — Da«
Orchester war im Ganzen vorzüglich und bewährte sich bei den be-
sagten kritischen Stellen. — Wir wenden uns nun zu den Solosängern,
nachdem wir noch dem Chor , so unbedeutend er beschäftigt ist,
dennoch auch sein ihm gebührendes Lob gespendet haben.
Hr. Massen (Graf Almaviva) hat uns namentlich im Gesang
vollständig befriedigt, und wir freuen uns, die früher bemerkbare
polternde Aussprache, namentlich des R, vermisst zu haben. Noch
ein wenig mehr adeligen und doch leichten Anstand, und wir möch-
ten seine Repräsentation des Almaviva eine mustergiltige nennen.
Hr. Hayek gab den Figaro im Ganzen in gelungener Weise,
nur finden wir in Stimme, Gesang und Spiel etwas Trockenes, Leb-
loses, was auf den Zuhörer sich überträgt, und dass dies wirklich
der Fall war, und Hrn. Hayek's Leistung nicht zündend wirkte, mag
derselbe aus dem Mangel an Applause entnehmen. Nichtsdestowe-
niger haben wir vieles in seiner Auffassung sehr gut und von eif-
rigem Studium zeugend gefunden.
Die Gräfin der Frl. Kays er leidet zum Theil an ähnlichen
Gebrechen wie der Figaro des Hrn. Hayek. Frl. Kayser findet
Schwierigkeiten, in ihr Singen das zu legen, was sie, wie wir glau-
ben , wirklich empfindet. Sie hat ihre beiden Arien sehr gut ge-
sungen, aber der correcte Vortrag wird, wir möchten sagen durch
das stossweise Ansingen des Tones , wodurch immer ein gewisser
tonloser Zwischenraum zwischen dem Ansätze und der Entwicklung
des Tones entsteht, sehr beeinträchtigt. Ob diese Tonbildung Ma-
nier oder Erzeugaiss der Angst ist, lassen wir vorerst unentschieden j
es mag Beides zusammenwirken , aber jedenfalls möge die junge
Künstlerin Erstere corrigiren und Letztere überwinden, und sie wird
zu immer besseren Erfolgen gelangen. Wir danken Frl. Kayser für
das , was sie geleistet , da sie es nach besten Kräften gethan , und
namentlich freuen wir uns der Pietät, mit welcher sie der Compo-
situm getreu blieb; mehr Schwung und Freiheit, namentlich im
Vortrage des Recitativs , wird sich bei längerem Singen auf der
Bühne von selbst finden, das Uebrige wird der Fleiss, welchen die
junge Dame ihrer technischen Ausbildung zuwenden wird, erringen.
Des Schreib - Duetts mit Susanne müssen wir noch erwähnen ; wir
wünschten dasselbe weniger sentimental vorgetragen, und zwar von
beiden Damen; denn wenn auch die Herzen sowohl der Gräfin als
Susanuens bewegt sind, so muss doch auch der List und Schelmerei»
welche in dem Zwecke der Abfassung und der Absendung dieses
Billets liegt, Rechnung getragen werden.
Gegen den Pagen der Frl. Steiner können wir auch die Be-
merkung wegen zu grosser Sentimentalität nicht unterdrücken. Sen-
timental ist der junge Mensch , aber ebenso keck und leichtsinnig ;
die zweitgenannten Eigenschaften des Pagen Hess Frl. Steiner gaos
ausser Berechnung. Dass Frl. Steiner und Frau Brenner das rei-
zende Flüster - Duett vor dem Sprunge des Pagen aus dem Fenster
wegliessen, verdenken wir Beiden; denn es gibt nur drei Ursachen
dafür, welche aber Alle gleich zu bedauern wären: 1. dass sie das
Reizvolle dieses Duettioo's nicht erkennen und verstehen, — 2. dass
es ihnen zu schwer, oder — 8. dass es ihnen zu wenig den Applaus
hervorrufend dünkt, und dass sie sich desshalb damit nicht plagen
und damit trösten mögen , dass der Missbrauch , dies Duett wegzu-
lassen, an vielen Bühnen einheimisch geworden ist. Wir hoffen, bei
*) Sie wurde auch eine bedeutende Sängerin, aber, wie gar oft ein
glänzendes Künstlerleben in Armuth und Noth endet, lebte sie
lange als Mm e. Eikof hier in tiefem Elende, bis König Max IL
von ihr hörte und, von inrem Schicksal gerührt, im Andenken
an Mozart ihr eine Pension von 200 fl. aussetzte, deren Genuas
ihr Leben bis ans Ende ihrer irdischen Laufbahn versüsate.
— 192
«iner Wiederholung der Oper eine glänzende Widerlegung des obigen
Verdachtes zu erfahren.
Ueber Frau Brenner als Susanne haben wir nnr sehr wenig
zu sagen, denn sie löste ihre Aufgabe in höchst erfrenlioher Weise,
ja sie sang die Arie im 4. Acte entzückend schön — bis auf eine-
Cadenz , die , ganz den Absichten Mozart's widerstreitend , überdies
einen Gemeinplatz an die Stelle der einfachen Melodie Mozart's
setzte, welcher uns selbst an einem Machwerk aus der neuesten ita-
lienischen Schule zu abgebraucht erschiene. Eine solche Verletzung
cLer Pietät gegen Mozart hätten wir dieser tüchtigen Künstlerin nicht
zugetraut; wir halten es aueh in der Tbat für einen Fehler an guter
musikalischer Sitte und eine Sünde am guten Geschmack, Aende-
rungen an Compositionen wie Figaro anzubringen, an denen jede
Kote gerade so und nicht anders sein darf, um die Tolle Intention
des unvergleichlichen Meisters zu erfüllen.
Marzeline und Bartolo (Frau r t h und Hr. E n s 1 i n) haben
ihren Antheil am Gelingen des Ganzen beigetragen. Basilio verfiel
aber in Uebertreibung sowohl in Erscheinung als in Gesang und
Spiel , und darin mag die Ursache des einen der oben erwähnten
kritischen Momente gelegen sein. Basilio möge seine ohnehin helle
und ausgiebige Stimme überhaupt nicht durch Foreiren bis zum un-
angenehmen Klange steigern.
Eiu Wort noch über Bärbehens Lied „Unglücksei g*e kleine
Nadel". Bei richtiger Auffassung der Situation wird man dem Lied«
chen seine Bedeutung einräumen und namentlich finddn, dass Bärb-
chens Lied durch Figaro's Erscheinen unterbrochen wird, desshalb
hat das Lied auch keinen eigentlichen Schluss. Figaro muss gerade
mit der letzten Kote, die Bärbchen zu singen hat, eintreten und sie
dadurch so erschrecken, dass ihr der Rest ihres Selbstgesprächs so-
zusagen im Munde stecken bleibt. Die Soubrette der vorigen Di«
rection, Frl. Paul mann, brachte diese Ariette zu solcher Geltung,
dass sie lebhaft applaudirt wurde. Diesmal ging diese Seene spur-
los vorüber! Warum? h»
TV a c li r I e h t e n.
M&inz. Am 16. November gab die Liedertafel in Verbindung
mit dem Damengesangvereine unter Mitwirkung der Frl. Heotz
und des Hrn. F i s ch e r - A oh t e n vom hiesigen Stadttheater sowie des
Theaterorchesters und unter der Leitung des Hrn. Fried r. Lux
im Theater das herkömmliche Concert zum Besten der Armen, und
zwar hatte man das Oratorium „Paulus" von Mendelssohn zur Auf-
führung gewählt. Leider waren wir am Tage des Goncertes von
hier abwesend und konnten diesem daher nicht beiwohnen, doch
wurde uns von sachverständiger und unparteiischer Seite mitgetheilt,
dass die Aufführung im grossen Ganzen eine recht gelungene , von
sorgfältiger Vorbereitung und lobenswerthent Eifer aller Mitwirken-
den zeugende und von dem äusserst zahlreichen Publikum mit reger
Theilnahme uud vielfachem , lebhaftem Beifall aufgenommene war»
Namentlich herrscht über Sicherheit, Reinheit uud schön nüaocirten
Vortrag der Chöre nur eine Stimme , die der allgemeinsten Be-
friedigung. Was die Soli betrifft, so wird Frl. Heutz, die als dra-
matische Sängerin bereits der Liebling des ganzen Theaterpublikums
geworden ist, auch bei dieser Gelegenheit in Bezug auf Stimme,
Auffassung und Vortragsweise besonders lobend hervorgehoben, wäh-
rend auch die Leistung des Hrn. Fischer - Achten , der die Tenor-
partie übernommen hatte, mit vielem Beifall aufgenommen wurde*
Die übrigen Soli waren in den Händen von bewährten Vereinsmit-
gliedern , welche schon manche Lorbeeren in den Concerten der
beiden Vereine sich errungen haben. Was die kleineren Soli be-
trifft, so wurde uns der Wunsch ausgesprochen, es möchte in Be-
setzung derselben möglichst viele Abwechslung stattfinden, um auf
diese Weise stimmbegabte und talentvolle Sänger und Sängerinnen
aus der Chormasse herauszufinden und zu weiterem Streben zu er-
mutbigen. — Das Orchester löste seine schwierige Aufgabe trotz der
wenigen Proben recht wacker, uud Hr. Lux führte den Dirigenten*
stab, wie immer, mit energischer und sicherer Hand. E. F.
*** Die „Independance beige" berichtet von einem Virtuosen,
einzig in seiner Art. Es ist nämlich in Brüssel ein Hr. Zoni an-
gekommen, der es durch eine eigentümliche Naturgabe und unend-
lichen FleiBS dahingebracht hat, mit seinem Stimmorgan ein ganzes
Orchester herzustellen. Nicht nnr ahmt Zoni jedes Instrument mit
einer wunderbaren Treue nach , sondern er vermag auch mehrere-
zugleich hören zu lassen und zwar dies Alles ohne ein anderes Hülfe-
mittel als die Elasticität seines Kehlkopfs. Besonders merkwürdige
ist es, ihn eine Spieldose nachahmen zu hören; die Täuschung ist
eine vollständige, die Töne mit einem metallischen Klange rollen
in brillanten Läufen auf- und abwärts , Bich durchkreuzend", wie>
Perlen dahin und bringen vollständig die Wirkung des Instrumentes*
hervor. Zoni ist übrigens auch ein ganz tüchtiger Musiker und hat
sich für seine Specialität verschiedene Stücke und Opern-Ouvertüren
recht geschickt arrangirt. Ueberall wo er sich hören liess, hat er
das grösste Erstaunen erregt.
*** Der „Almanac de la musique" für 1867 ist bei Ikelm er
& Co. in Brüssel erschienen. Derselbe enthält unter anderen inte-
ressanten Gaben auch zwei bisher noch nicht veröffentlichte Frag-
mente von Rameau und Mozart und eine Uebersicht der hervor-
ragendsten Erscheinungen auf musikalischem Gebiete in den verschie-
denen Ländern während des verflossenen Jahres.
*** In Copenhagen wurde dem Componisten Weise ein etwas*
verspätetes Monument auf dem abgesperrten Platze bei der Univer-
sität errichtet. Chr. Ernst Friedr. Weyse war keine Däne (er ist
1774 in Altona geboren und 1842 in Copenhagen gestorben), aber
er hat seit seiner Kindheit in Copenhagen gelebt.
*** Das Pergola-Theater in Florenz hatte einen Concors für
Opern-Compositionen eröffnet. In Folge dessen liefen 22 Partituren
ein, unter welchen blos zwei der Beachtung und Aufführung werth*
befunden wurden. Die Verfasser siud die HH. F a d e u c c i und?
G i a 1 d i n i.
*** Der Violinvirtuose Wilhelmj spielte am 1. November in
Manchester mit grossem Success in Halle's zweitem grossen Concert
das Militär-Concert von Lipinsky und die Reverie von Vieuxtemps*
*** Frl. von Murska verlangt von nun an bei Erneuerung-
ihres Contracts am Hofoperntheater in Wien 18,000 fl. Gehalt, mehr-
monatlichen Urlaub und vollkommene Steuerfreiheit. Ob sie bei
diesen bescheidenen Anforderungen sich auch verpflichten will,,
manchmal zu singen, wird nicht gesagt.
*** Professor Leonard soll nun doch das Brüsseler Conser-
vatorium verlassen und sich in Paris niederlassen. Belgien verliert
mit ihm seinen besten Geiger.
*** Die so schnell berühmt gewordene junge Claviervirtuosin«
Frl. Mary Krebs ist von London, wo sie, der erklärte Liebling
des Publikums, in 78 Concerten gespielt hat, nach Dresden zurück-
gekehrt. Sie wird Ende November nach Wien gehen, um dort zu
concertiren.
%* Abert's „Astorga* ist in Leipzig auch bei der zweiten
Aufführung mit grossem Beifall aufgenommen worden.
%* In Sondershausen soll an Marpurg's Stelle Dumont,.
jetzt in Leipzig lebend, früher Capelimeist er in Mainz, inVorschlag sein»
*** Der R ü h 1 'sehe Verein in Frankfurt a. M. wird dort zum
ersten Male Schumann's »Paradies und Peri, 8 sowie einen Psalm von*
Vierling zur Aufführung bringen.
%* Album für 1867 von Anton Wallerstein (Verlag
von B. Schott's Söhnen in Mainz). Der SO. Jahrgang dieses stets
gern gesehenen Werkchens bringt ganz vorzüglich hübsche Melodien.
Wir dürfen namentlich die Künstler - Polka , die Margarethen - Polo-
naise und die Liebesklänge als besonders originell und gelungen
bezeichnen. Bei der weiten Verbreitung, welcher sich schon seit ge-
raumer Zeit die Wallerstein'schen Tanzcompositionen erfreuen, wird?
aucn diese neue Gabe eine sehr willkommene sein. Auch dieser
Jahrgang ist wieder ebenso glänzend und gesahmackvoll ausgestattet.
worden wie die früheren.
ANZEIGE.
(Stelle - Gesuch.
Ein Musikdirector sucht eine Stelle als Dirigent
eines grösseren Gesang -Vereins. Gefällige Offerten bittet,
man an die Verlagshandlung d. Bl. einzusenden.
Verantw. Red* Ed. Föckerer, Druck v. Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
JN* 49.
3. Dezember 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
V • r I • j
V
^
von
?
lungen.
./v-4
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PKEIS:
In. 2. 42 kr. od.Th. 1. 18 Sg
für den Jahrgang.
( Durch die Post bezogen :
' 50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
5^/V— — — — -— .-~ /v-k
INHALT: Zwei Pastoral-Sinfonien. — Correspondenzen : München. Stuttgart. Paris. — Nachrichten.
Zwei Pasi oral - Sinfonien.
(S c h 1 u s s.)
An und für sich betrachtet ist die Sinfonie von Knecht nicht
ohne Verdienst; die Thema's sind von Bedeutung, aber leider fehlt
es ihr an Episoden und ihr Hauptfehler ist Monotonie. Wenn auf
die ersten 68 Tacte des ersten Satzes einer jener unerwarteten
Gedanken käme, welche die musikalische Erregung hervorbringen,
so würde dieser Theil des Werkes das Lob eines jeden Kenners
verdienen. Es herrscht in demselben wirklich das ausgeprägte Ge-
fühl des Eindrucks , welchen der Anblick der Gefilde bei schönem
Wetter und ferne von der Stadt hervorbringt, denn der Reiz liegt
hauptsächlich in der Einsamkeit. Da bringt nun der erwähnte
Mangel an überraschender Abwechslung in diesem Theile des Por-
trait de la nalure, während doch die Natur selbst in ihren Bildern
soviel Abwechslung bietet, zuletzt Langeweile hervor. Wohl befindet
sich in der Mitte des ersten Stückes ein andante pasforale und
an einer anderen Stelle eine Villanelle gracieuse\ die Motive sind
nicht gewöhnlich, aber es geht Alles in einem Tone fort. Ueberdies
beruht das ganze Interesse der Knecht'schen Sinfonie auf dem Streich-
quartett, und die Blasinstrumente gehen nur begleitend mit. Der
Componist wusste sich derselben nicht zu bedienen, um sein Gemälde
mit den Gegensätzen der Klangfarben zu coloriien.
Mit der köstlichen „Sceue am Ufer des Baches" , in welcher
Beethoven's Genie sich zur höchsten Höhe erhebt , kann , wie man
sich wohl denken mag, nichts in der Knecht'schen Sinfonie ver-
glichen werden ; allein in seinem Gewitter findet sich eine Eigen-
tümlichkeit, welche wegen ihrer Aehnlichkeit mit der betreffenden
Stelle in Beethoven's Werk Beachtung verdient; sie besteht in einem
Gange der ersten Violinen, welche sich in abgestossenen Noten von der
E-Saite nach der 4. Saite bewegen, indem sie alle Töne der Accorde
mit der höchsten Kraft des Sturmes durchlaufen ; da haben wir denn
denselben Effect , denselben Gang , welche in dem Gewitter der
Pastoral-Sinfonie von Beethoven den Zuhörer so mächtig ergreifen,
sowie auch die abwärts laufenden chromatischen Tonleitern, die sich
ebenfalls in dem Werke von Knecht vorfinden.
Noch in einer andern Beziehung verdient der Autor des Por-
trait musical etc. unser Lob und einen Platz in der Geschichte der
Musik ; ich spreche nämlich von seinen Neuerungen in den Ausdrucks-
nüancen. Man kennt Haydn's Nüchternheit in der Anwendung von
Nuancen ; er brachte sie immer zweckmässig an , nahm Rücksicht
auf den einfacheren und grossartigeren Character des Gedankens,
allein er wendete sie nicht häufig an, weil er sich mehr an die In-
telligenz und das richtige Gefühl wendete als auf tieferen Eindruck
hinarbeitete. Der leidenschaftlichere Mozart machte schon einen
ausgedehnteren Gebrauch von den Nuancen der Tonstücke, welche
unentbehrlich für den Ausdruck der Leidenschaft sind. Knecht, wenn
man ihn mit diesen Meistern vergleichen darf, konnte gemäss seiner
Wahl eines descriptiven Sujets die Farben seines Gemäldes nur in
den Nuancen der Tonstücke finden ; er begriff dies, und darin besteht
sein Verdienst. Ich will mich hier nicht weiter auslassen über die
falsche Tendenz, welche der Musik durch ihre Anwendung für das
Malerische und Beschreibende aufgedrängt wird ; ich will nur con-
statiren , dass , nachdem einmal diese Bedingungen gegeben waren,
Knecht der Vorgänger Beethoven's war in der Entdeckung jener
unvorhergesehenen Accente, welche das Nervensystem beim Anhören
der Musik erregen. Ich war auch bei Durchlesung der Knecht'schen
Sinfonie erstaunt , in derselben alle jene Effectmittel durch die
Nuancen zu finden, deren sich auch der grosse Siufonist bedient, um
seinen Gedanken Farbe'zu verleihen, und zwar dieselben dort ebenso
vielfältig zu finden. Die fortwährenden Gegensätze von piano und
forte , oder von forte und piano, das crescendo und decrescendo
und jene so ergreifende Wirkung des unmittelbar auf ein crescendo
oder auf ein absolutes forte folgenden pianissimo , alles dies finde
ich dort immer mit Einsicht angewendet.
Es ist um so sonderbarer, bei einem obscuren Musiker, der nie
aus dem engen Kreise eines kleinen Landes und eines Städtchens
von 4000 Einwohnern herauskam , dieses feine Verständniss der
Nuancen und des Effects zu finden, als ihn sein Instinct für den
Effect bei der Anordnung seines Werkes gänzlich im Stiche Hess»
denn wenn er auch die Notwendigkeit jenes Lobgesangs der Natur
bei der Rückkehr des Lichtes nach dem Gewitter, jener so feier-
lichen , prächtigen Hymne , welche die Pastoralsinfonie abschliesst,
wohl begriff, so hatte er doch die sonderbare Idee, auf dieselbe ein
langsames Tempo folgen zu lassen , mit kleinlichen Phrasen , und
das Ganze piano, d. h. in der kläglichsten Art, die man sich denken
kann, zu schliessen.
Ungeachtet ihrer bedeutenden Fehler aber halte ich die Sinfonie
von Knecht für zu interessant, als dass nicht die Geschichte der
Musik die Erinnerung an dieselbe bewahren sollte. Was ich darüber
gesagt habe, beweist, dass dieser Künstler ein zartes und auserlesenes
Gefühl besass, welches sich vielleicht zum Genie ausgebildet hätte,
wenn derselbe auf einem grösseren Schauplatze gewirkt hätte. Der
Eiufluss der Umgebung, in der man lebt, ist ausserordentlich. In
einer grossen Stadt, im Mittelpunkt der Intelligenz und im Umgangu
mit ausgezeichneten Menschen jeder Art erweitert sich der geistige
Horizont. Aber in einer kleinen Stadt! Man muss in einer solchen
gelebt haben, um zu wissen, wie man dort beständig mit dem Gifte
der Kleinlichkeit getränkt wird. Nur hervorragende Naturen werden
demselben vielleicht nicht unterliegen, und darum ist es schwer au
beweisen, ob solche vorhanden sind."
CORRESPONDENZEN.
Ans Hfioelien.
Monat November.
(S C h 1 u 8 s.)
Das Hoftheater brachte jüngst Calderon's »wundertätigen
Magus" zur Aufführung, wozu Rheinberger, dem Auftrage der
- 194 -
Intendanz nachkommend, die Masik schrieb. Er componirte Ouver-
türe, vier Zwischenacte and vielleicht fünf oder sechs melodramati-
sche Piecen ; überall bewährte er sich als den geistreichen, noblen,
feinfühlenden, originellen Componisten, wie wir ihn schon lange
kennen. Vorzüglich gelang ihm seine Aufgabe, wenn es galt, die
lyrischen Situationen musikalisch zu illustriren ; der erste und dritte
Zwischenact, sowie einzelne melodramatische Nummern sind werth-
volle Galten eines schönen Talentes. — Die Compositionen fanden
lebhafte Anerkennung , und der beliebte Componist wurde am
Btfhluese gerufen.
Die nächsten Concerte der musikalischen Akademie bringen an
Novitäten: Rheinberger's „WallenStein-Sinfonie", Sinfonie in D-dur
von Mozart, Ouvertüre zu „Fierabras" von Schubert und einen
Psalm für Männerstimmen und Orchester von Fr. Wüllner. Ausser-
dem noch: Sinfonie in C-dur von Beethoven, „Feuer- und Wasser-
musik* von Händel, Ouvertüre Nr. 2 zu „Leonore" von Beethoven,
Ouvertüre zu „Manfred" von Schumann, Finale des ersten Actes aus
„Cosi fan tutte" von Mozart und Finale des ersten Actes aus der
„Euryanthe" von C. M. v. Weber.
Das berühmte Walte r'sche Quartett veranstaltet auch in dieser
Saison wieder drei Soireen im grossen Museumssaale. — Unser
erster Violinist Walter concertirte jüngst in Bremen und Hildburg-
hausen mit grossem Erfolg. — Der Harfenist Vitzthum, der Sohn
unseres ersten Hoboespielers, ein äusserst talentvoller junger Künst-
ler und Schüler T o m b o's, concertirte auf eine Einladung hin dieser
Tage in Wien und gewann sich durch sein treffliches Spiel allge-
meinsten Beifall.
Am 11. d. M. sah das Hoftheater einen Blumenregen, wie wir
ihn noch nie erlebt haben. Frl. Stehle betrat, nachdem sie seit
etwa vier Monaten durch eine gefährliche Krankheit ihrem künstle-
rischen Wirkungskreise entzogen war, wieder die Bühne und wurde
von dem Münchener Theaterpublikum , dessen ausgesprochenster
Liebling sie ist, ungemein freundlich empfangen und mit Blumen
überschüttet.
Davon, dass der ehemalige hannoversche Tntendant Graf P 1 a t e n
in München eine gleiche Verwendung finden soll, weiss man hier
nicht das Geringste. Im Gegentheil erhielt erst vor einigen Tagen
der Intendanzrath Schmitt dahier die angenehme Nachricht, dass
der König seinen Gehalt ' um 1000 fl. aufgebessert habe. Das ist
wenigstens kein Zeichen davon, dass man mit seinen Dienstleistungen
nicht zufrieden sei., Z
Aus Stuttgart.
Monat November.
Die Eröffnung unserer Abonnementconcerte geschah am 6. No-
vember mit Lindpaintner's bedeutend anhebender , später aber in
den gewöhnlichen Theaterstyl verlaufender Ouvertüre zum „Fausf-
Drama, womit der Ehrenpflicht gegen den Stifter dieser Concerte
auch für die heurige Saison genügt zu sein seheint. Ein von 0. M.
Goltermann meisterhaft bewältigtes neues Violoncellconcert von
F o p p e r erregte Interesse durch seltsame Form, kecke Harmonik,
originelle Ideen und farbenreiche Instrumentirung, wodurch sich zu-
mal der langsame Satz auszeichnete ; dagegen schadet die Zerrissen-
heit des Finale dem Erfolge der Gomposition und des Spielers nicht
unmerklich. Mozart's Concertarie mit obligater Violine wurde uns
diesmal durch Frau Marlow und C. M. Singer vorgeführt. Die
HH. Schüttky und Bertram sangen das stets wirksame Buffo-
duett aus Cimarosa's „heimlicher Ehe". Mendelssohn^ Hebriden-
Ouvertüre und Beethoven's A-dur- Sinfonie wären fast tadellos aus-
gefallen, wenn nicht die Trompete einiges Unglück gehabt hätte.
Der ungünstigen Akustik des Königsbau-Saales hatte man durch
eine Rückwand nachgeholfen, soweit es eben thunlich war; befrie-
digend ist in diesem Saale nur die Klangwirkung des Blechs, wie
man sich in dem Concerte unseres Hornkünstlers Fohmann über-
zeugen konnte. Es Hess sich kein angenehmerer Ohrenschmaus
denken als die einfachen Lieder von Mendelssohn, Schubert und
Kücken, deren Wahl für dieses Instrument mit seinem echt deut-
schen, treuherzigen und träumerischen Klangcharacter als ein höchst
glücklicher Griff bezeichnet werden muss, und die Hr. Fohmann mit
einer Innigkeit, stellenweise mit eiuem mezza voce vorträgt, wie es
wenige Sänger vermögen. Seinen mächtigen Triller und sonstigen
Reichthum an seltener Technik zeigte er in den Lortzing'schen Va-
riationen, deren Werthlosigkeit freilich nur durch die virtuoseste»
Ausführung verdeckt wird. — Unterstützt wurde das Concert durch
treffliche Vorträge der Damen Marlow und Panocha, sowie
mehrerer Herren Hofmusiker, unter deren Mitwirkung drei Sätze des
Spohr'schen Nonetts zu Gehör kamen; leider blieb das Finale w«g,
wodurch das so zierlich und kunstreich gearbeitete Werk nicht zu
seiner vollen Wirkung gelangte. Auch ein hübsches Flötensolo,
componirt von Fr. Doppler, Vorgetragen von Hrn. C. Krüger,
mit Begleitung von 4 Hörnern , ist lobend zu erwähnen. Es ist
„Wald vöglein" betitelt; der musikalische Schwerpunkt ruht in dem.
— Hornquartett, während die Flötenstimme etwas etüdenhaft ge-
halten ist.
Als Opernnovität erschien bei uns Donizetti's „Favoritin," jene
erste Probe des gallisirten italienischen Styles , der schon damals
als das echte Volksthum durch Bellini seine letzten Schmerzens-
seufzer h er überhauch te , das Bündniss mit Frankreich musikalisch
anticipirte ; damals begannen die Italiener ihre Hauptstadt in Paris
zu sehen, bis mit Verdi und Villafranca die Fülle der Zeiten
hereinbrach. Dem zwar derberen, aber auch glänzenderen Verdi
gegenüber haben Donizetti's Weisen für uns bereits etwas verblasstes,
abgeschossenes, und es gehörte die ganze Bravour unserer Stimm-
helden Sontheim und Schüttky, denen sich Frl. Ehnn rühm-
lich anschloss, dazu, um die immerhin zahlreichen Glanzpunkte dieser
Oper zur Geltung zu bringen; dahin rechnen wir die grosse Arie
der Leonore und die Cavatinen Alfonso's und Fernando's. Dagegen
ist die Balletmusik, überhaupt die Achillesferse der Italiener, gar
zu mager und characterlos ; die hiesige Ausstattung und Scenerie ist
sorgfältig und glänzend. Die Oper kann sich , besonders für die
Sonntage, immerhin halten.
Letzten Sonntag, den 18. d. M., sangen wir unserem braven
Rauscher das Grablied, welcher am 16. d. einem Gehirnleiden
erlegen war. Dieser Künstler glänzte einst unter den deutschen
Tenoristen als "einer der ersten und war eine Zierde der Bühnen
Wien's, Hannovers und Stuttgarts. Auch als Lehrer erwarb er sich
hier, zuerst an der kgl. Gesangschule und später zugleich am Con-
servatorium, die grössten Verdienste; unter seinen zahlreichen Zög-
lingen nennen wir hier nur die Frl. Bauer, Reiser (in Mannheim),
J a i d e (in Darmstadt), D e i n e t (in München), Hr. D e g e 1 e (in
Dresden) tu s. w. Leider wurden dem Verewigten , auch zuletzt
während seiner körperlichen Leiden , nicht von jeder Seite gewisse
Kränkungen erspart, wodurch dasselbe möglicherweise verschlimmert
wurde. Ja noch an seinem Grabe , das alle edlen Künstler und
Kunstfreunde um sich versammelte und an welchem Prof. Dr. Faisst
die wärmsten und herzlichsten Worte sprach, fehlte so Mancher, der
nichts dazu gethan hatte, dem greisen Collegen die letzten Tage zu
versüssen. Für den als Lehrer schwer zu Ersetzenden war wenig-
stens das hiesige Conservatorium so glücklich, in dem kgl. Kammer-
sänger Schüttkjr für das Fach des dramatischen Gesanges einen
ebenbürtigen Nachfolger zu gewinnen, dessen künstlerische und per-
sönliche Eigenschaften die fernere Blüthe dieses Lehrzweiges ver-
bürgen. T.
Aus Paris.
*•• November.
„Mignon," die neueste Oper von Ambroise Thomas, hat den
Erwartungen nicht entsprochen. Der Text, den die HH. Michel
C a r r e und Jules Barbier nach „ Wilhelm Meister* bearbeitet
haben, ist nichts weniger als gelungen. Die beiden Textverfertiger
haben den herrlichen Göthe'schen Figuren sehr übel mitgespielt; be-
sonders gilt dies von Philinen und der armen Mignon. Diese stirbt
nicht, sondern heirathet im dritten Act acht spiessbürgerlich den
Wilhelm Meister. Was die Musik betrifft, so fehlt es derselben durch-
aus nicht an einzelnen melodischen Schönheiten, dem Ganzen aber
fehlt der Schwung, die Inspiration, so dass man dem Werke keine
lange Dauer auf dem Repertoire versprechen darf.
Die italienische Oper hat die erste Vorstellung der „Sappko"
wegen plötzlichen Unwohlseins derMme. Lagrua aufschieben müssen.
Der „Freischütz" wird erst künftige Woche im Theätre lyrique
über die Bretter gehen. Man erwartet die Aufführung dieses Werkes
mit grosser Spannung.
«5 -
Der unermüdliche Offenbach hat wieder mehrere Opern com-
poulrt, von denen eine, „La chambre rouge" nächstens im Varie'te'a-
Theater zur Darstellung kommt; eine andere wird bald in den /Vi»*
totste» Parisiennes aufgeführt werden.
Das von dem Banquier B i s c h o f f s h e i m gegründete „ Athenäum*
ist vorigen Mittwoch eröffnet worden. Der Saal war gedrängt voll.
Die Soiree begann mit Meyerbeer's Schillermarsch, und es wurden
hierauf Stücke von Mendelssohn , Bossini und Auber executirt.
Joachim, der ein Concerto von Spohr spielte, wurde, wie es sich
Ton selbst versteht, sehr bewundert. Das Athenäum ist nicht blos
musikalischen, sondern auch literarischen Genüssen gewidmet. Mon-
tags, Mittwochs und Freitags werden dort Concerte stattfinden, die
übrigen Tage sind zu Vorträgen aller Art bestimmt. Pasdeloup
Ist mit der Leitung des musikalischen Theils betraut. Der geschmack-
voll eingerichtete Saal ist mit einerl vortrefflichen Orgel versehen.
Das Athenäum wird sich hoffentlich einer dauernden Theilnahme
von Seiten des Publikum erfreuen.
Joachim hat gestern im Cirque Napoleon gespielt und einen
unbeschreiblichen Enthusiasmus erregt.
—ooo«
N a c U r i c li t e n.
Aus Darmstftdt wird vom 6. November geschrieben: Das erste
Abonnementconcert der Grossb. Hofmusik hatte gestern die Räume
des grossen Saales der vereinigten Gesellschaft sehr gefüllt und er-
öffnete den diesjährigen Beigen der philharmonischen Concerte mit
Beethoven's C-moll- Sinfonie ebenso würdig, wie der Musikverein
oeulich seine Aufführungen mit Händel's »Messias" begonnen hatte.
Beide grossartige Werke haben eine gewisse Aehnlichkeit: sie stehen
jedes in seiner Art erhaben da und bezeichnen den Höhepunkt des
geistigen Schaffens ; jenes auf dem Gebiet der Sinfonie und überhaupt
der orchestralen Leistung, dieses in der glücklichen Mischung der
«ernsten Vocal- und Instrumentalmusik: den Oratorien. Die Ausführung
<der herrlichen Sinfonie von Seiten unserer braven Hofcapelle unter
Hrn. N e s w a d b a's sicherer Leitung war fast in allen Stücken ganz
vortrefflich: Feuer und Schwung im ersten Theile und in dem trium-
phirenden Finale, Ausdruck wahrer Empfindung und feine Nüanci-
rung in dem wunderschönen Andante kennzeichnen die gestrige Pro-
duction. Mit gleicher Vortrefflichkeit wie die Sinfonie wurde der
Hochzeitsmarsch aus dem „Sommernachtstraum" von F. Mendelssohn-
Bartholdy, sowie die Ouvertüre zu „Struensee - von Meyerbeer aus-
geführt; letztere unseres "Wissens zum ersten Male in den philhar-
monischen Concerten. Sie ist , wie die meisten Meyerbeer'schen
Ouvertüren, ein grosses Effectstück, kunstvoll gearbeitet und nament-
lich brillant instrumentirt ; da sie aber arm an guten Gedanken isti
reizt sie mehr für den Augenblick, ohne eine nachhaltige Wirkung
hervorzubringen. — In Hrn. Lübeck, erstem Gellisten vom Frank-
furter Stadttheater, lernten wir gestern einen neuen Künstler kennen«
der sich gleichzeitig als Virtuos und Componist einführte. Der
Erstere scheint uns über dem Letzteren stehen. Hr. Lübeck erwies
«ich beim Vortrag eines Concertstücks von Servais für Cello als ein
bedeutender Vrituos, der im Besitz eines grossen, seelenvollen Tons,
eugleich eine hohe Entwicklung seiner Technik, besonders in den
Doppelgriffen, Octavvorgängen etc. zeigte, welche Staunen erregte;
dagegen schien uns das von ihm vorgetragene Werk eigener Com-
position , welches immerhin recht hübsch gearbeitet und ganz dem
Wesen des Instrumentes angepasst war, keinen grossen Kunstwerth
beanspruchen zu können. Hr. Lübeck wurde mit verdientem Beifall
aufgenommen. — Die schöne Tenor-Arie aus Weber's „Euryanthe B
„Unter blühenden Mandelbäumen" wurde von Hrn. Nachbaur mit
viel Gefühl und gutem Ausdruck vorgetragen. (Möchte uns doch
bald einmal die schon lange von unserem Bepertoir geschwundene
„Euryanthe" wieder gegeben werden 1) Noch hörten wir eine Eo-
xnanze für Tenor und obligates Cello mit Orchesterbegleitung, die
Komposition eines hiesigen talentvollen Dilettanten (Hrn. von S i d o-
rowitch, Attache* bei der russischen Gesandtschaft hier), welche
durchaus solid und edel gehalten, sehr wirkungsvoll instrumentirt
*iud von Hrn. Nachbauer schön gesungen, die wärmste, allgemeine
Anerkennung des Publikums faud. — Wie wir mit Interesse ver-
nehmen, soll im nächsten philharmonischen Concert A b e r t's grosse
sinfonische Dichtung „Columbus" vorgeführt werden, ein Werk, das
in vielen grösseren Städten mit grossem Beifall aufgenommen ward.
Hauchen. Den „Neuesten Nachrichten" wird von gut unter-
richteter Seite mitgetheilt, dass die Intendanz keineswegs, wie be-
richtet wurde, die Aufführung der „Afrikanerin" wieder verschoben
hat, sondern dass mit allen verfügbaren Kräften daran gearbeitet
wird, um die Oper den Münchenern bis zum Neujahrstage vorführen
zu können. Die Ausstattung wird eine glänzende sein. Sieben grosse
Decorationen werden neu geschaffen, von denen zwei vollständig,
die anderen theilweise fertig sind. Auch das Schiff, dessen Her-
stellung wegen der Grösse der Bühne grosse Schwierigkeiten bot, ist
nahezu vollendet. Dass der Intendanz eine erbetene Subvention aus
der Cabinetskasse zur Montirung der „Afrikanerin" verweigert wor-
den sein soll, beruht vollständig auf Erfindung. Die Intendanz weiss
recht gut, dass die Oper sich selbst abbezahlen wird und war daher
gar nicht in der Lage, einen Zuschuss irgend welcher Art verlangen
zu müssen.
Cttln. Das am 20. Novbr. stattgehabte dritte Gesellschaftscon-
cert brachte im ersten Theile die unvollendete Sinfonie Nr. 2 von
Norbert Burgmüller, eine geistvolle, in hohem Grade interessante
Compositum, eine Ouvertüre zu Shakespeare's „Sturm" von Benedict,
welche das Publikum ziemlich kalt Hess , und das Adagio und
Allegro des Violinconcerts in G-dur von L. Spohr, von Concert-
meisterOtto v. Königslöw mit der ihm in hohem Grade eigenen
Meisterschaft vorgetragen. Dazwischen sang Meister Stock hausen
eine Coloraturarie aus der „diebischen Elster" von Bossini mit stau-
nenswerter Virtuosität uud zwei Schumann'sche Lieder mit jener
Gefühlstiefe und Wahrheit des Ausdrucks, kurz mit jenem künstleri-
schen Verständnisse, wie es unter allen deutschen Sängern fast nur
ihm allein in diesem Grade zu Gebote steht. Eine Frl. Hayne,
eine junge Engländerin und Schülerin des hiesigen Conservatoriums,
debütirte mit der B-dur-Arie aus Haydn's „Schöpfung," für welche
jedoch ihre künstlerische Ausbildung noch nicht weit genug vorge-
schritten erschien. Den zweiten Theil des Concertes füllte Mendels-
sohn^ „Walpurgisnacht" aus, welche in abgerundeter Weise durch-
geführt wurde und namentlich Hrn. Stockhausen wieder Gelegenheit
bot, die glänzendsten Seiten seiner künstlerischen Individualität her-
vorzuheben. Ferd. Hiller dirigirte.
Düsseldorf. Im zweiten Concert des „Allgemeinen Musikvereins"
kam unter Leitung des Mus. - Dir. Jul. Tausch das Oratorium
„Judas Maccabäus" von Händel zur Aufführung. Die Solopartien
wurden von Frl. Bothenb erger aus Cöln, Frl. Asmann aus
Barmen, Hrn. Aug. B u f f aus Mainz, Hrn. Kammersängsr Koch
aus Cöln und Hrn. Carl Othmer gesungen. Hr. Mus.-Dir. Weber
aus Cöln hatte die Orgelpartie übernommen. Hr. Buff, Schüler des
Hrn. Koch aus Cöln, debütirte in glänzender Weise als Maccabäus.
Seine frische , sympatische , durch alle Begister schön egalisirte
Stimme, seine treffliche Gesangstechnik und sein warmer, verständ-
nissvoller Vortrag erwarben ihm die allgemeinsten Sympathien, und
er sah sich mehrmals durch enthusiastischen Beifall geehrt. Die be-
kannten Vorzüge der übrigen Solisten hatten sich ebenfalls wieder
glänzend bewährt, und die Leistungen des Chors machten diesem
und dem verdienstvollen Dirigenten alle Ehre.
Wien. Die Gattin des k. k. Kammer- und Hofopernsängers
Dr. Carl Schmid ist am 17. Novbr« nach langem schmerzlichem
Krankenlager in der Blüthe ihrer Jahre gestorben.
— Das Gastspiel der Frl. Orgeni im Hofoperntheater hat kein
Engagement zur Folge gehabt.
Bolen. Wie wir vernehmen, bat der Musikverein in Innsbruck
in seiner gestrigen Sitzung Hrn. M. N agil ler zum Capellmeister
ernannt. Wenn wir gleich wiederholt unser Bedauern über dessen
Scheiden aus seinem hiesigen Wirkungskreise aussprechen müssen,
so freut es uns andererseits, dass die Thätigkeit unseres allgemein
verehrten Landsmannes seinem Vaterlande Tirol erhalten bleibt.
Hoffen wir, dass Hr. Nagiller für das Gedeihen des hiesigen Musik-
vereines, dem er sich nun seit beinahe fünf Jahre gewidmet, auch
in der Ferne thätig sein , und der Verein der erhaltenen edlen
Bichtung nicht untreu werde. (Boz. Ztg.)
Paris. Das 3. der populären Concerte des Hrn. Pasdeloup
brachte: Ouvertüre zu „Fidelio" (E-dur) von Beethoven; Sinfonie
Nr. 29 von Haydn ; Allegretto un poco agitato (Op. 58) von Men-
delssohn ; Clavierconcert in D-dur (Nr. 6) von Beethoven, vorgetragen
— 196
von Hrn. Theodor Bitter; Ouvertüre zu „Oberon" von Weber.
Im vorhergehenden dieser Concerte wurde das Vorspiel zu „Lohen*
grin" dacapo verlangt, was eine ziemlich lebhafte Opposition her-
vorrief; doch siegten zuletzt die Freunde der Wagner'scben Musik,
■und das Stück wurde wiederholt.
— Das 4. populäre Concert fand mit folgendem Programme
statt: „Athalia"- Ouvertüre von Mendelssohn; G-moll- Sinfonie von
Mozart; Vorspiel zu „Lohengrin" von Rieh. Wagner; Heptuor von
Beethoven.
— Der „Moniteur" meldet, dass trotz 'der bei dem Bau des
neuen Opernhauses aufgestellten Wächter und des dort angeschla-
genen Verbotes, den Bau zu betreten, dennoch mehrere dort nicht
beschäftigte Personen sich aus Neugierde hineinschlichen, und in
Folge ihrer Unvertrautheit mit den Localitäten von den Gerüsten
gefallen sind und sich schwere Verwundungen zugezogen haben;
einer der Eindringlinge blieb auf der Stelle todt.
— Mme. Szarvady ist wieder hier eingetroffen und gedenkt
apäter wieder in einigen Conceiten cl assische Werke mit der ihr
eigenen Meisterschaft vorzuführen. Einstweilen ist sie geneigt, eini-
gen begabten Eleven Unterricht zu ertheilen.
— Die erste Auflage des bei B r a n d u s erschienenen Ciavier-
auszugs von Meyerbeer's Musik zu „Struensee" war in acht Tagen
schon völlig vergriffen, so dass alsbald eine zweite Auflage nothig wurde.
— Vieuxtemps, welcher die Concertgesellscbaft des Hrn.
Uli mann auf ihren Reisen durch die französischen Provinzen be-
gleiten wird, hat zu diesem Zwecke sich ein neues Concertstück,
nämlich ein äusserst brillantes Duo für Ciavier und Violine über Mo-
tive aus der „Afrikanenn" geschrieben.
— Am 20. November starb in Folge eines Schlaganfalles det
geistreiche Feuilletonist und Musikkritiker J. Dortigue, tief be-
trauert von seiner Familie und von seinen zahlreichen Freunden.
Er redigirte mit unbestrittenem Talente das musikalische Feuilleton
des , Journal des Debüts" und war ein eifriger und beliebter Mit-
arbeiter des Musik- Journals „Ze Me'ne'strel". Der Verblichene hatte
«in Alter von 64 Jahren erreicht.
*** Meyerbeer'« „Afrikanerin" ist am 16. November in äusserst
glänzender Ausstattung und sorgfältigster musikalischer Ausführung
in Dresden unter Leitung des Hrn. Hofcapellmeisters Rietz in
Scene gegangen, scheint aber nach dem Feuilleton -Berichte im
„Dresdener Journal" zu schliessen, gerade keine besonders zündende
Wirkung in ihrem musikalischen Theile gemacht zu haben , wenn
auch der mise en scene und den Leistungen der Sänger wie des
Orchesters die gebührende Anerkennung nicht vorenthalten wurde.
*** Man schreibt aus Florenz: „Das Denkmal, welches
Italien dem Meister Ch erubi n i errichtet, ist soweit in seiner Voll-
endung vorgeschritten, dass man der Inauguration desselben in Bälde
entgegensehen kann. Es wird in der Kirche von Santa-Croce auf-
gestellt, in diesem italienischen Pantheon , wo schon die Marmor-
deukraale eines Michel Angelo, Machiavel, Galiläi, Lanzi, Alfieri und
Dante sich befinden. Das Denkmal Cherubini's wird aus zwei Fi-
guren in grossem und reinem Styl, einer Muse und einem Genius
bestehen, welche ein Medaillon mit den Zügen des grossen Meisters
tragen. Die mit der Cavourstrasse parallel laufende Strasse hat den
Kamen Cherubini's erhalten.
*** Für die mit dem Evening Star zu Grunde gegangenen
Künstler wurde zu St. Roche in Paris ein feierliches Requiem ver-
anstaltet, zu dessen Kosten der Kaiser 1000 Frs. beisteuerte. Ausser-
dem ist für die hinterbliebenen Waisen eine Subscription mit bestem
Erfolg im Gange, und wird von den Mitgliedern der Pariser Thea-
ter eine Collecte veranstaltet, um den Verunglückten auf dem Fried-
hofe von Montmartre ein Denkmal zu errichten.
*** In Mein in gen ist mit dem 1. November wieder ein Hof-
theater ins Leben getreten , zu dessen artistischer Leiter Hr. G r a-
bowski ernannt ist. Der mit dem Director Max v. Hessling
geschlossene Vertrag wurde deshalb gelöst. Von Opernvorstellungen
soll gänzlich abgesehen werden , doch will man ein gutes Schau-
spiel eultiviren.
*** Joachim concertirte mit Brahms in verschiedenen Städten
der Schweiz, selbstverständlich mit grösstem Erfolg. Auch Ja eil
bereist die Schweiz mit seiner Frau, und das ausgezeichnete Künst-
lerpaar hat bereits in einer bedeutenden Anzahl von Concerten überall,
iro dasselbe auftrat, wohlverdiente Lorbeeren geerndtet.
*** Vor Kurzem feierte in Willenstedt der dortige Pfarrer
Johannes Cotta sein 50jähriges Jubelfest. Derselbe ist in Ruhla
in Thüringen geboren, einer der wenigen noch lebenden Mitbegründer
der deutschen Burschenschaft und der Componist des Arndt'schen
Liedes „Was ist des Deutschen Vaterland".
* m * Die Oper „Wanda" von Doppler ist in Regensburg mit
schwachem Erfolge aufgeführt. Ob letzterer einer mangelhaften Auf-
führung oder dem Werke selbst zuzuschreiben ist, wird nicht berichtet.
*** Ein Virtuose auf der Guitarre, Hr. M. Sokolowski, hat
in Dresden ein Concert gegeben und durch seine ungewöhnliche
Fertigkeit auf dem an und für sich so undankbaren Instrumente
vielen Beifall erzielt.
*** Hrn. Hofcapellmeister Franz Wülln er in München wurde
für seine vortreffliche Composition: der 98. Psalm für Männerchor,
Soli und Orchester , von dem Festcomitä des Revaler Sängerfestes
ein Ehrenhonorar von 30 Ducaten bestimmt und nebst einem ehren-
vollen Schreiben ühersandt.
*** Man schreibt aus Rom, Liszt habe dem Papste einige
Stücke aus seinem nun vollendeten Oratorium „Christus" vorgespielt^
worauf dieser ihn geküsst und ausgerufen habe : „Mein Sohn, mein
theurer Sohn, Du bist mein Palestrina !"
*** Ein junger französischer Ciaviervirtuose, Leon Roques,
soll sich auf einer kleinen Concertreise um die Welt auf den Sand-
wichsinseln mit der ältesten Tochter der Königin Pomare verlobt
haben und zum Thronfolger avancirt sein. Vorher will er noch
schnell einige Tage nach Frankreich hinüber, um dort eine Oper
von sich aufführen zu lassen.
*** In Bonn wird jetzt eine Gedenktafel an dem Geburtshause
Beethoven's errichtet, nachdem es ausser allen Zweifel gestellt
worden, dass dasselbe Bonnergasse N° 525 gewesen.
*** Die „Afrikanern!" ist in Florenz mit grossem Erfolg in
Scene gegangen.
*** Der Musikdirector und Organist Hr. J. G. Herzog in
Erlangen, hat von der dortigen Universität den Doctortitel erhalten.
%* Liszt's Oratorium „Elisabeth" soll diesen Winter in Wien
zur Aufführung kommen.
*** Eine neue Oper von Gustav Härtel: „Die Carabiniers"
wirdf nächstens in Schwerin zur Aufführung gelangen.
*** In Cassel ist den dortigen Musikfreunden ein seltener
Kunstgenuss geboten durch die Kammermusik-Soireen der HH. Con-
certmeister Wipplinger , Heilemann, Seiss und K n o o p.
Der Kurfürst hatte dergleichen Aufführungen niemals geduldet. —
Das dortige Hoftheater-Orchester ist durch Anstellung der bisher in
demselben mitwirkenden Gardemusiker auf die Stärke von 50 Mit-
gliedern gebracht worden.
*** In der russischen Oper in Petersburg ist ein neuer Gesangs-
stern , Frl. Buddel, als Lucia mit enormem Success aufgetreten.
Man stellt sie der Adelina Patti gleich.
V* "Vom Juli 1865 bis August 1866 sind in Italien 32 neue
Opern aufgeführt worden.
f In Leipzig ist am 15. Novbr. Frau Elisabeth Brendel, die
Gattin des Musikhistorikers und Redacteurs der „Neuen Zeitschrift
für Musik," Franz Brendel, gestorben. Sie war in früheren Jahren
als Frl. Trautmann vorzugsweise auch in den musikalischen
Kreisen von Dresden als Pianistin geschätzt.
f In Stuttgart starb am 16. Novbr. die Gattin des Tenoristen
Sontheim; sie erhängte sich in einem Anfalle von Melancholie.
Ebendaselbst verschied am 17. Novbr. der k. Hof- und Kammer-
sänger Jakob Wilhelm Rauscher, 73 Jahre alt.
t In Brüssel ist am 26. Novbr. der berühmte Violoncellvirtuose
F. S e r v a i s nach längerem Leiden gestorben.
ANZEIGE.
Stelle - Gesuch.
Ein Musikdirector sucht eine Stelle als Dirigent
eines grösseren Gesang -Vereins. Gefällige Offerten bittet
man an die Verlagshandlung d. Bl. einzusenden.
M l I ■ H ill II II | i I ■ ■ I — — — —
Verantw. Red, Ed. Föekerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
JV* so.
10. Dezember 1866.
SODDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
JT
rl
DieseZeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
a hingen. ,
£, 4
V t r I a g
t
von
B.
SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18
fftr den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
i
I8HALT: Adrian Frans Servais. — Correspondenzen : Wien. Prag. — Nachrichten.
f Adrian Franz Servals.
Wie wir schon in unserer letzten Nummer mitgetheilt haben, ist
am 20. November der berühmte Violoncellist A. F. Servais ge-
storben. Er erlag einer längeren schmerzvollen Krankheit, welche
aehon seit einiger Zeit seinen nahen Tod voraussehen Hess. Wir
geben in Nachfolgendem eine kurze biographische Skizze des aus-
gezeichneten Künstlers, welche wir dem „Guide musical" entnehmen.
A. F. Servais wurde am 6. Juni 1807 in Hai, einer kleinen
Stadt in der Nähe von Brüssel geboren. Sein Vater , ein armer,
ehrlicher Schumacher, hatte gerade soviel Musik gelernt, um in der
Pfarrkirche die Violine mitzuspielen oder im Chor mitzusingen. Nach
4em Heiligen aber kam das Profane ; an Sonn- und Feiertagen Hess
er die guten Bewohner der Stadt , welche unter dem besonderen
Schutze „Unserer lieben Frau zu den Wundern" steht, nach seiner
Geige tanzen. Der wackere Mann erfüllte seine Aufgabe*während
30 Jahren mit musterhafter Gewissenhaftigkeit. Sein dreifacher Be-
ruf als Schuhmacher , Geiger und Sänger hat ihm jedoch , wie es
acheint, nicht behagt, denn als der kleine Franz bei dem Antritte
qeiner Laufbahn in allen Dingen seinem Vater nachahmen wollte,
gestattete ihm dieser nur Eines, nämlich— Schneider zu werden!
Servais war damals 10 Jahre alt ; er begann seine Lehrzeit als
Schneider mit unüberwindlichem Widerwillen. Das war nicht der
Beruf, der ihm zusagen konnte; die Musik allein besass für den
Jüngling jenen geheimen Beiz, welchem sich seine Seele trotz aller
väterlichen Vorstellungen überliess. Kurz, eines Tages brach er alle
2?ande, welche seine natürliche Neigung gefesselt hielten, indem er
Nadel und Scheere hinlegte, um das Studium der Violine zu beginnen.
Vater Servais , als ein kluger Mann , stellte diesmal der Neigung
seines Sohnes nichts mehr in den Weg, sondern erkannte die Un-
widerstehlichkeit einer so klar ausgedrückten Beharrlichkeit, und
wurde selbst der erste Lehrer des jungen Franz, d. h. er lehrte ihn
Alles , was er selbst von der Kunst verstand. Dies war bald ge-
schehen, denn der Schüler machte reissende Fortschritte. Ein vor-
nehmer Musikliebhaber , der Marquis von S a y v e , welcher eine
Vorliebe für den kleinen Virtuosen gefasst hatte, ergänzte theilweise
den Unterricht des Vater Servais ; später übernahm Corneille
Van der Plancken, erster Violinist am Theater in Brüssel seine
weitere Ausbildung.
In seinem zwölften Jahre schon versuchte sich der junge Servais
an der Seite seines Vaters zuerst in der Kneipe, dann in der Kirche
und später ganz allein in einigen musikalischen Gesellschaften. In
Hai erinnert man sich noch ganz gnt eines seltsamen Abenteuers,
welches während eines ländlichen Balls dem jungen Musiker, der
an diesem Tage als Tanxmusikant fungirte, begegnete. Servais be-
gleitete einen schlechten Fiedler auf dem Contrabass. Er entlockte
demselben auf einmal so drollige und herausfordernde Töne, dass
«Jner der Bauern darüber in einen förmlichen Wuthanfall gerieth
und anfing, den Bass mit Fäusten und Füssen zu zertrümmern.
Einige Zeit hierauf nahm sich Servais vor, die Clarinette zu
spielen. In Hai befand sich kein Lehrer für dieses Instrument;
glücklicherweise fand sich ein gebildeter Dilettant, der ihm die neue
ersehnte Bahn öffnete. Dieser Dilettant, Namens J. Vandercam-
m e n , war dem jungen Virtuosen nicht nur ein ausgezeichneter
Führer, sondern auch ein eifriger Beschützer, ein ergebener und
grossmüthiger Freund.
Eines Tages hörte Servais den Violoncellisten Platel und was
nun für dieses Instrument eingenommen; von diesem Augenblicks
an war sein Beruf in unwiderruflicher Weise festgestellt. Von nnn
an sollte das Violoocell das Instrument des jungen Servais, Platel
sollte sein Lehrer sein und in ihm einen würdigen Nachfolger haben !
Servais wurde in das Brüsseler Conservatorium aufgenommen und
genoss den Unterricht des Meisters, welchem sein künstlerischer In-
stinkt ihn zugeführt hatte. Er machte rasche Fortschritte; in we-
niger als einem Jahre überflügelte er alle seine Mitschüler und er-
hielt bei dem allgemeinen Concurs den ersten Preis. Er füllte dann
die Stelle eines Hfilfslehrers in seiner - eigenen Classe aus und trat
zugleich in das Theaterorehester ein, in weiehem er drei Jahrs l»og
verblieb. Doch nun ward ihm Brüssel zu enge und es drängte ihn.
seinem Talente auch auswärts Geltung zu verschaffen. Dem Ratha
seiner Freunde folgend, machte sich daher Servais eines schönen
schönen Tages auf den Weg nach Frankreich.
Im Jahre 1833 debütirte er in Paris an der Seite eines B a i 1 1 o t»
T u 1 o u uud anderer Berühmtheiten jener Epoche ; die Pariser Mu-
sikliebhaber bestätigten das Urtheil des belgischen Publikums, und-
Servals wurde von nun an zu den ersten ausübenden Künstlern
Europa's gerechnet. Im folgenden Jahre begab er sich nach Lon-
don und liess sich dort in der berühmten »Philharmonischen Gesell-
schaft" hören in Anwesenheit der königlichen Familie. Sein Erfolg
war ein vollständiger; von allen Seiten wurde ihm das schmeichel-
hafteste Lob gespendet, und die Städte Grossbritaniens vereinigten
ihre Huldigungen mit denen der Hauptstadt.
Nachdem Servais wieder mehrere Conoerte in seinem Vaterlande
gegeben hatte, ging er 1837 nach Holland, und seine Reise durch
dieses Land glich einem wahren Triumphzuge. Die Universität
Leyden stellte ihm ein Ehrendiplom aus , und der Hof im Haag
feierte und bewunderte sein Talent. Die Prinzessin von Oranien,
jetzige Königin von Holland, veranlasste ihn sich an den nordischen
Höfen hören zu lassen und gab ihm einen Empfehlungsbrief an ihren
Bruder, den Kaiser Nikolaus von Bussland mit. Servais unternahm
diese Reise zu Anfang des Jahres 1839. In allen Städten, wo er
sich aufhielt, war er der Gegenstand der allgemeinen Huldigung;
er wurde bald der Liebling der Russen, und während die Grossen
ihn auf alle Weise hätschelten und in ihre Kreise zogen , über-
schüttete ihn das Publikum mit Beifall und Kränzen, wo er sich nur
immer hören liess.
Servais kehrte Anfangs 1840 nach Belgien zurück, reich be-
laden mit den Lorbeeren und kostbaren Geschenken der zwei russi-
schen Hauptstädte. Er liess sich in Brüssel, Antwerpen, Spaa etc.
hören, und man fand, dass er während eines Jahres sein Talent noch
weiter ausgebildet, und sein Spwl in jeder Beziehung an Vorzüglich-
keit noch gewonnen habe. Seine ausserordentlichen Erfolge in
- 198 —
Russland Hessen ihn bald an eine zweite Reise dahin denken, welche
er auch schon im Februar 1841 antrat, um abermals Petersburg,
Moskau und Warschau durch sein Spiel zu entzücken. Von dort
zurückgekehrt, besuchte er Wien und Prag, und auch in diesen
beiden Städten war sein Erfolg ein fast beispielloser.
Im Jahre 1843 unternahm Servais eine zweite Reise nach Holland
und im darauffolgenden Jahre nach Deutschland , wo er Berlin,
Leipzig und Hamburg besuchte und überall die allgemeinste Be-
wunderung erregte. Hierauf trat er seine dritte Reise nach Russland
an , die er bis nach Sibirien ausdehnte. Einen seiner schönsten
Triumphe feierte er im Winter 1847 in Paris. Hierauf bereiste er
Dänemark, Schweden, Norwegen, die Städte am Rhein, wohin er
mehrmals berufen wurde, und die bedeutenderen Städte Frankreichs.
Im Februar 1866 begab er sich in Begleitung seines Sohnes Josef,
welcher ebenfalls Violoncellist ist, zum viertenmale nach Russland,
wo Beide die freundlichste Aufnahme fanden ; allein diese Reise trug
auch dazu bei, den Keim der tÖdtlichen Krankheit zu entwickeln,
deren Opfer er geworden ist. Er spielte nach seiner Rückkehr im
August noch in Spaa und kehrte dann auf seine Villa in Hai zurück,
wo er auch verschieden ist.
Seit 1848 Lehrer am Gonservatorium in Brüssel , hat Servais
viele ausgezeichnete Schüler herangebildet. Er vermählte sich 1842
in Petersburg. Servais war erster Violoncellist des Königs von Bel-
gien und Offizier des Leopold-Ordens. Er hat vieles für Violoncell
geschrieben und herausgegeben: 3 Concerte und 16 Fantasien für
Violoncell und Orchester; 6 Etudes-Caprices mit Clavierbegleitung,
und ausserdem in Verbindung mit Jos. Gregoir 32 Duos über
Opernmotive für Ciavier und Violoncell; 3 dergleichen für Violine
und Violoncell mit Leonard und 1 mit Vieuxtemps. Alle seine
Compositionen sind bei B. Scbott's Söhnen in Mainz erschienen.
Am 29. Novbr. wurde in Hai die irdische Hülle des vortreff-
lichen Künstlers feierlich zur Erde bestattet, doch sein Ruhm wird
ihn noch lange überleben.
Aus Wien.
10. November.
Die Reihe der Concerte wurde in diesem Jahre durch eine grosse
Production der verbundenen hiesigen Männergesangvereine eröffnet.
Der Ertrag war der Gründung eines Pensionsinstituts für die Witt-
wen und Waisen der Opfer des letzten Krieges bestimmt, und die
vollständig gefüllte „Winterreitschule ," das grösste Local in Wien,
zeigte, dass die Wiener immer gern bereit sind, ihr Scherflein zu
wohlthätigen Zwecken zu widmen , namentlich wenn sie sich zu
gleicher Zeit amüsiren. In Beziehung auf den Kunstwerth einer
solchen Production von Männerchören scheint es uns ziemlich gleich-
gültig, ob sie von einer Anzahl von etwa 120 Personen in einem
kleineren oder von 1200 in einem grosseren Räume stattfindet. Wir
können daher solchen Unternehmungen weniger einen künstlerischen
Wertb beilegen.
Die regelmässigen Concertunternehmungen eröffneten bald darauf
ihre Productionen unter gleicher Tbeilnabme wie in den früheren
Jahren. Da wir uus hauptsächlich auf die Berichte über den Erfolg
von Novitäten beschränken — die treffliche Aufführung der Meister-
werke unserer grossen Meister, sowie deren warme Aufnahme als
selbstverständlich voraussetzend - so haben wir von der Raff sehen
Suite zu berichteo, welche im ersten philharmonischen Concerte zur
Aufführung gelangte. Eine eingehendere Besprechung dieser Arbeit,
welche den Lesern der Süddeutschen Musikzeitung aus verschiedenen
Berichten nicht unbekannt ist , vermeidend , haben wir anzuführen,
dass die mittleren Sätze von dem Publikum sehr beifällig begrüsst
wurden, während der erste Satz mit seiner wohl trefflich gearbeiteten,
aber etwas steifen und wenig feurigen Fuge kalt liess , und der
letzte Salz mit seinem Anlehnen in der Erfindung an Mendelssohn^
„HochzeitsmarBch" das durch die vorhergehenden Sätze erregte In*
tere8se bedeutend erkältete, und dadurch den Gesammteindruck ab-
schwächte. Im Ganzen wurde Raffe Suite von dem Publikum besser
aufgenommen als von der Kritik, und scheint Ersteres überhaupt
diesem neuen Genre mehr Interesse zu schenken, als die Letztere.
In der ersten Quartett-Pro duetion des Hrn. Hellmesberger
trat zum erstenmale die jugendliche Claviervirtuosin Frl. Mary
Krebs aus Dresden auf. Sie spielte Beethoven'« B-Trio und die
chromatische Fantasie von Seb. Bach. Im zweiten philharmonischen
Concerte trug sie Beethoven's Concert in Es-dur vor. Frl. Mary
Krebs zeichnet sich durch einen wundervollen Anschlag, durch die
Correctheit ihrer Technik, grosse Kraft und ein durchaus musikali-
sches Wegen auf das vortheilhafteste aus und verschaffte sich durch,
diese Vorzüge die ungetheilteste und lebhafteste Anerkennung. Das
Einzige, was man mit leisem Tadel hervorhob, war ein Mangel au
Wärme im Vortrage, welchen wir bei der Jugend des 15jährigen
Mädchens leicht begreiflich finden und in der sicheren Erwartung
einer baldigen Besserung nicht zu hoch anschlagen möchten. Bei
die/ber Gelegenheit können wir nicht unerwähnt lassen, dass das aus
der Fabrik des Hofclaviermachers Streicher hervorgegangene In-
strument, auf welchem Frl. Krebs spielte, der Schönheit und Gleich-
heit des Tones wegen allgemein bewundert wurde. Frl. Krebs wird
jetzt wohl in einer Reihe von eigenen Concerten sich dem Publikum
noch näher bekannt machen , und wir zweifeln nicht , dass diese
nähere Bekanntschaft zu einer dauernden Freundschaft führen wird.
In deu beiden Musikvereinseoncerten, welche bereits stattfanden,
kamen zwar keine Novitäten zur Aufführung, dagegen zeigte sich
ein Fortschritt in der Vermehrung der Streichinstrumente des Or-
chesters, welche ihre Wirkung, namentlich bei Beethoven'e C-molI-
Sinfonie, nicht verfehlte.
Vom Hofoperntheater, über dessen zukünftiges Schicksal bei
Eröffnung des neuerbauten Opernhauses die Verhandlungen noch
schweben, über dessen Verfall aber unter der jetzigen Direction alle
Welt einig ist, können wir nicht viel berichten. An die Stelle des
durch dauernde Indisposition seinem Berufe für längere Zeit ent-
zogenen Hrn. Ferenczy ist Hr. Zottmayer getreten, ein zwar
recht musikalischer Sänger, dessen Stimme und Vortragsweise jedoch
nicht die Sympathien des Publikums zu gewinnen vermögen. Aus
diesem Grunde werden die sonst beliebtesten grossen Opern , wenn
Hr. Zottmayer darin beschäftigt ist, vor leeren Bänken abgespielt.
Ein zweiter Tenor, Hr. Prott, befindet sich in einer ähnlichen
Lage. Seine Leistungen gehen nicht über die ersten Stufen der
Anfängerschaft hinaus.
Als Novität wurde die schon von der italienischen Saison her
bekannte Verdi'sche Ballnacht gegeben und zwar mit der besten
Besetzung , welche die deutsche Oper zu leisten vermochte. Die
Kritik, welche die Wahl dieser Oper, die doch von der A u b e r'schen
Composition desselben Buches au musikalischem Werthe unendlich
übertroffen wird, in künstlerischer Beziehung zu tadeln versucht sein
möchte, wurde durch den Umstand entwaffnet, dass sich die italie-
nische Ballnacht — allerdings eine der besseren Arbeiten von Verdi
— eines grossen Beifalles zu erfreuen hatte und bereits eine Reihe
besuchter Vorstellungen erlebte.
Von Reprisen älterer Opern erwartet man Boieldieu's „Roth-
käppchen" und M£hul's „Jakob und seine Söhne, welchen dann die
nene komische Oper von Mosenthal und Eissmayer: „Das
Landbaus des Herrn Gogot - folgen soll.
Aus Pra^*
Monat Nevember.
Prag ist augenblicklich in der grössten Begeisterung über das
unübertreffliche Spiel des ungarischen Hirtenschalmei - Virtuosen
Jacob Nagy, der sich hier in zwei Concerten hören Hess und
eine Sensation erregte, welche nur Paganini und Jenny Lind
in unserer Moldaustadt bewirken konnten. Alle Journale — deutsche
und böhmische — überschütten den unvergleichlichen Virtuosen mit
den höchsten Lobeserhebungen. Die „Bohemia" nennt ihn den
Gusikow, die „Politik* den Paganini und die „Nawdni Hsty"
den ungarischen D a 1 i b o r auf der Hirtenschalmei. Und in der
That verdient Nagy diese characteristischen Benennungen, denn er
überwältigt auf seinem winzigen Instrumente — eine Hirtenflöte mit
6 Oeffnungen ohne Klappen — die grössten Schwierigkeiten , die
rapidesten Passagen, die kühnsten Sprünge im Umfange von 4 Octaven
mit fabelhafter Schnelligkeit, und minutenlange Triller in der schwin-
delnden Höhe , sowie die halben Töne bringt er mit unfehlbarer
Sicherheit zu Gehör. Bewundernswürdig ist sein wunderschönes
Legato und sein Spiel in Doppeltönen (Prim und Sexte) mit einem
Athemzuge , das als akustisches Räthsel zu betrachten ist. — Hr.
— 199
ftagy spielte £n den beiden Concerten (7. und 13. Novbr.) Fantasien
über ungarische Nationallieder, Concertcavatine von Doppler, Nach-
tigallencsardas und das non plus ultra seiner fabelhaften Kunst, den
„Carneval von Venedig". Der Goncertgeber wurde unzählige Male
Tom enthusmirten Publikum gerufen und mit dem grossten Beifall
ausgezeichnet.
Bei dieser Gelegenheit dürfte die Mittheilung nicht uninteressant
Bein, auf welche Weise Jacob Nagy (geb. 1821 in Szantö in Ungarn)
seine unvergleichliche Virtuosität auf seinem primitiven Instrumente
erlangt hatte. Die Ereignisse des Jahres 1848 und 1849 verwickelten
ihn in die ungarische Bewegung, und er wurde nach der Capitula-
tion G ö r g e y's bei Vilagos in die Citadelle Felegvar zu Klausen-
burg internirt. Als besonderer Musikliebhaber bewog er den men-
schenfreundlichen Kerkermeister, ihm einige Hollunderstäbe und ein
Messer zu leihen. Nagy schnitzelte 116 Stück Hirtenpfeifen daraus
und von allen sind ihm nur drei gelangen, auf denen er sich zu üben
anfing. Er suchte sich die Scala auf, übte sich ganze Tage und
Nächte und brachte es nach mühevollen Studien auf dem Instru-
mente so weit, dass er sich, als er freigelassen wurde, bald öffent-
lich in Ungarn hören Hess und tiberall die gr'össte Bewunderung
erregte. Magy concertirte in den süd'österr eichischen Ländern, dann
in Italien, namentlich inPadua, Bologna, Venedig, Mailand, Florenz
etc., und überall feierte er Triumphe, wie sie nur die grossten Vir-
tuosen erlebt hatten»
In beiden Concerten wirkten Frl. Marie Körschner durch
den geistreichen und effectvollen Vortrag Erben'scher und Uffo Horn'-
scher Gedichte, und der tüchtige Componist Jos. Low, welcher
seine gediegenen Compositionen mit Geschmack vortrug, — Hr. Nagy
veranstaltet in Prag noch zwei Concerte und begibt sich nach Mün-
chen und von da durch ganz Deutschland zu der Weltausstellung
nach Paris.
Die Direction des böhmischen Theaters, welche Hr. Fr. Thome"
Tor der Occupation Prags durch die Preussen niederlegte, übernahm
ein Consortium von 20 reichen Prager Bürger, deren Ausschuss die
Angelegenheiten Thalia's leitet. Das Consortium spart keine Kosten,
um die Bühne auf die höchste Stufe zu bringen. Zu Capellmeistern
sind Hr. Fried r. Smetana und Hr. Tausig (Czeche) ernannt.
Als engagirter Operncomponist fungirt der geniale Componist der
Oper „Templari" (die Templer), Hr. Karl Se bor, dessen genannte
Oper bald in Oll mutz zur Aufführung gelangt, und als Dramaturg
wird der bewährte Schriftsteller Karl Sabina genannt. Zur bal-
digen Aufführung gelangt auch Glinka's russische Oper „Ruslan
a Ludmilla".
Hr. Em. M e" 1 i s arbeitet an einem musikalischen „Fremden-
führer" durch Prag, an einem Werke, worin die Namen sämmtlicher
Musiker in Prag, sowie alle auf Musik bezüglichen Daten angeführt
werden.
Nachrichten.
Strassburg. Das erste der von Hrn. Hassel man ns dirigirten
Concerte ist mit äusserst glücklichem Erfolge vom Stapel gelaufen.
Es wurde zur Aufführung gebracht: Sinfonia eroica von Beethoven ;
Arie aus „Titus" von Mozart und aus „Alceste" von Gluck, vorge-
tragen von Mme. Viardöt-Garcia; „Türkischer Marsch" aus den
„Ruinen von Athen" von Beethoven, welcher wiederholt werden musste.
Paris. Am 25. Novbr. 6. populäres Concert des Hrn. Pasde-
loup mit folgendem Programm: C - dur - Sinfonie von Beethoven;
Genofeva-Ouvertüre von Schumann; Adagio aus einem Quartett von
Haydn; Violinconcert von Mendelssohn, vorgetr. von Hrn. J o a c h i m
(immenser Erfolg); Ouvertüre zu „Loreley" von Wallace.
— Programm des 7. Concertes: Ouvertüre zur „Zauberflöte 11 von
Mozart ; Sinfonie in A-dur von Mendelssohn ; Ouvertüre zu „Coriolan"
von Beethoven ; Violinconcert von Viotti, vorgetr. von Hrn. Joachim;
„Einladung zum Tanze" von C. M. von Weber, instrumentirt von
Berlioz.
— Die Einnahmen der Theater, Concerte etc. in Paris betrugen
im Monat October 1,640729 Frcs.
— Der rühmlichst bekannte Pianist Schulhoff ist wieder in
Paris eingetroffen.
Brüssel. Am Sonntag den 26. Novbr. erschien bei dem nach
H
Paris übersiedelnden Violinprofessor H. Leonard eine Deputation
von früheren und gegenwärtigen Schülern des verehrten Meisters
und überreichte ihm zum Abschied und als Zeichen ihrer Anhäng-
lichkeit einen goldenen Lorbeerkranz mit der Inschrift: ,,Les Kleves
duConservatoiredeBruxelles ä leur c&ebreetregrette'H.Le'onard"
nachdem Hr. Maurice Leenders in einigen herzlichen Worten ihm
das allgemeine Bedauern über seinen Abgang vom Conservatorium,
an welchem er während 17 Jahren in rühmlichster Weise gewirkt,
ausgedrückt hatte.
— Am Sonntag den 2. December fand im Nationaltheater des
Circus das zweite populäre Concert des Hrn. Samuel für classische
Musik statt mit folgendem Programm: 4. Concert - Ouvertüre von
Theodor[Radoux; Canzonetta aus dem ersten Quartett von Mendels-
sohn, ausgeführt von sämmtlichen Streichinstrumenten ; „Türkischer
Marsch" aus den „Ruinen von Athen" von Beethoven ; Sinfonie Op. 52
von R. Schumann; Fragment aus der *1. Suite von Fr. Lachner;
Ouvertüre zur Oper „Der Vampyr" von Marschner.
*** Mlle. Nicolo, die Tochter des Componisten von „Joconde
und „Cendrillon," spielte neulich bei Rossini ein Ciavierstück
ihrer Composition, das allgemein gefiel und der Dame viel Compli-
mente von Seiten der Anwesenden eintrug. Schliesslich wandte sich
der Maestro zu ihi und sagte: „Das Stück muss in den Druck
kommen ; bemühen Sie sich aber nicht um den Editeur , sondern
sehen Sie denselben in mir. Ueberhaupt kümmern Sie sich um
Nichts; ich werde Alles besorgen und sogar den Titel machen." In
der That sah man kurze Zeit nach diesem Vorfall in den Schau-
fenstern der Pariser Musikalienhändler Folgendes ausgelegt: „OlS
plainte, andante pour Piano, par Mlle. Nicolo, e'dite'e par son
ami et Vadmirateur de son pere, G. Rossini* (zu Deutsch: „Dia
Klage," Andante für Pianoforte von Mlle. Nicolo, herausgegeben von,
ihrem Freunde und dem Bewunderer ihres Vaters, G. Rossini).
* m * Der Londoner Concertunternehmer Hr. Ella, der sich
gegenwärtig in Wien befindet, bat dem dortigen Conservatorium
100 fl. übergeben, welche dem besten Violinschüler, welcher in diesem
Jahre aus der He lim es berge raschen Classe hervorgeht, als Preis
zuerkannt werden sollen. Das ist gewiss aller Anerkennung werth
und verdient Nachahmung von Seite unserer Landsleute.
*** Dem „Dresd. Jour." zufolge iBt zur provisorischen Leitung
der Directorialgeschäfte bei der Generaldirection des Hoftheaters und)
der musikalischen Capelle infolge des am 27. Novbr. erfolgten Ab-
lebens des Generaldirectors von Könnerite der geheime Hofratb
Bär mit allerhöchstem Auftrag bis auf Weiteres versehen worden
und hat diese Geschäftsführung bereits übernommen.
%* Der Pächter von Her Majesty's Theatre in London, Hr.
Mapleson, beabsichtigt dort in Leicester Square ein neues
Opernhaus mit einem Aufwände von 100,000 Pfund Sterling zu er-
bauen, welches sich den ersten seiner Art in Europa würdig an die
Seite stellen kann. Als Baumeister wird der in diesem Fache be-
rühmte Hr. E. A. Salomons aus Manchester genannt.
*** In Baden-Baden haben Bieh mehrere musikalische Grössen
häuslich eingerichtet, theils Villen gebaut oder bezogen. Der Senior
derselben ist der Ciavierspieler Pixis, ein Siebziger; dann Jacques
Rosenhain, der gewöhnlich zwei Drittel des Jahres auf seiner
Villa zubringt; dann Mme. Viardöt-Garcia, welche neuerdings
neben ihrer Villa noch eine Tonhalle gebaut hat, die indess etwas
miniaturmässig ausgefallen ist; endlich Frau Clara Schumann
mit zwei Töchtern.
*** Bei Dunker & Humblot in Leipzig erschienen soeben
„Musiker - Briefe," eine Sammlung Briefe von Gluck, Ph. E. Bach,
J. Haydn, C. M. v. Weber und F. Mendelssohn-Bartholdy, auf deren
interessanten Inhalt wir vorläufig die Musikfreunde aufmerksam
machen wollen. Wir kommen noch ausführlicher auf diese Samm-
lung zurück.
*** A. Langert's neue Oper „Die Fabier" ging am 25. Novbr.
in Coburg zum ersten Male und unter des Componisten persönlicher
Leitung über die Bühne und fand bei einem zahlreichen Publikum
sehr freundliche Aufnahme.
%* In Frankreich gibt es gegenwärtig 16 Musik-Conservatorien.
*** Französische Journale melden jetzt, dass Hans von
Bülow zum CapeHmeister und Hofpianisten des Königs von Baiern
ernannt worden sei.
*** Für die artistische Leitung des zu Pfingsten nächsten Jahres
- m -
In Aachen stattfindenden nfederrheinisehen Musikfestes ist I^r. Hof-
capellmeister Dr. Julius Biets in Dresden gewonnen worden.
*** In Stockholm fand am 11. November ein grosses Concert
etatt, bei welchem 1062 S&nger, meistens ans Stockholm and unter
den Auswärtigen über 20Q Studenten ans Upsala mitwirkten. Es
kamen nur Compositionen von schwedischen und norwegischen Com-
ponisten zur Aufführung und wurden sämmtlich vortrefflich ausge-
führt. Dem Concerte , welches Capellmeister J. A. Södermann
dirigirte, wohnten etwa 10,000 Zuhörer bei. Das Erträgniss dieser
und einer nachfolgenden ähnlichen Aufführung ist für die Errichtung
einer Universität in Stockholm und für den Guss einer Fontaine von
äem schwedischen Bildhauer M o 1 i n bestimmt.
%* Der Violinist und Kammervirtuos des Grossherzogs von
Hessen, Hr. Gustav Friemann, hat in Dresden unter Mitwirkung
der HH. Hess (Piano) und Kammervirtuos F. A. Kummer eine
musikalische Abendunterhaltnng gegeben und sich durch den Vortrag
des D-molI-Trios von Mendelssohn, des 7. Concerts von Beriot und
e^ner Fantasie von Leonard als ein sehr tüchtiger Geiger erwiesen.
Lebhafter Beifall folgte jedem seiner Vorträge.
*** Hr. Concertmeister Lauterbach bat die ihm in München
angebotene Stelle nicht angenommen) sondern wird in Dresden bleiben,
zur Freude aller dortigen Musikfreunde.
*** Das Stuttgarter Hoftheater erleidet einen empfindlichen Ver-
lust durch den Abgang der dramatischen Sängerin Frau Dr. L e i-
singer, welche sich ganz von der Bühne zurückgezogen hat.
%* Die deutsche Quartettgesellschaft in Hongkong hat im
Germaniaclubb ein Concert zum Besten der im deutschen Kriege
Verwundeten gegeben, welches besonders von den dortigen Eng-
länderinnen stark besucht und eine erhebliche Einnahme lieferte.
Es wurden Männerchöre von Schumann, Kreutzer, Marschner, Poh-
lenz etc. gesungen und auch ein Mendelssohn'sches Clavierconcert
gespielt.
*** Die Wittwe des berühmten Violinisten Ernst hat ein von
ihr selbst xnodellirtes Medaillon ihres Gatten vollendet, das als sehr
gelungen gerühmt wird und in den Stein eingelassen werden soll,
der das Grab des Künstlers bedeckt.
*** Die „Afrikanerin" überschreitet nun auch den Ocean und
wird in New-Vork, Charlestown, Angusta und Savannah noch in
diesem Winter zur Aufführung kommen.
\* Im Münchener Volkstheater wird nächstens eine nene Ope-
rette von Krempelsetzer: „Die Geister des Weins," gedichtet von
A. v. Wouvermanns, zur Aufführung kommen.
*** Tn New-Orleans wird nächstens ein, 160,000 Dollars kosten-
des deutsches Nationaltheater fertig, auf dem aber gewiss wieder
nur italienisch gesungen werden wird.
* *** Die „Neue Berliner Musikzeitung" meldet, dass R. Volk-
mann mit der Composition einer grossen Oper, „Sani," beschäftigt ist.
*** In der bekannten Liebig'schen Capelle in Berlin sind
Differenzen zwischen dem Dirigenten und den Mitgliedern entstanden,
und es ist zu befürchten , dass Ende dieses Jahres die Capelle sich
auflöst.
*** In Bonn fand am 9. Novbr. das erste Abonnementconcert
unter Brambach's Direction und Stockhausen's Mitwirkung
statt. Man gab: „Trost in Tönen" für Chor und Orchester von
Brambach, Ouvertüre zu „Alphooso" von Schubert, achte Sinfonie
von Beethoven etc.
%* Hr. Dr. M. Hauptmann, der würdige Cantor der Thomas-
schule in Leipzig, feierte am 27. Novbr. im fröhlichen Familien- und
engeren Freundeskreise seine silberne Hochzeit
*** In Philadelphia hat sich ein neuer Gesangverein, „Mendels-
sohn-Gesellschaft" unter Direction von Jean Louis gebildet.
*** In Paris ist die längere Zeit unwohl gewesene Cancan-
sängerin T h e r e s a wieder aufgetreten.
*** Hr. Gustav Landrock, ein talentvoller Pianist, hat sich
am 12. Nov. in Dresden als tüchtiger Clavierspieler dem Publikum
vorgeführt. Er spielte A. Henselt's Clavierconcert mit Orchester-
begleitung, Beethoven's Fis-dnr- Sonate (Op. 78), von S. Bach ein
Fräambulum (G-dur) und eine Barcarolle von Lührss.
'*»• Die Nummer 97 von „Zellner's Blätter für Tb., M. u. K."
berichtet den am 29. Novbr. erfolgt sein sollenden Tod des königi.
alichs. Hofcapellmeisters Dr. Julius Rietz in Dresden. Da jedoch
bis jetzt noch in keiner anderen Zeitung, selbst nicht in den Dres-
dener Blättern eine Bestätigung dieser Trauerkunde enthalten ist, so>
kann jene Nachricht in dem Zellner'schen Blatte wohl nur auf einen»
Irrthum oder einer Mystifikation beruhen. Hoffentlich bleibt der;
wackere Meister Rietz noch lange d*r Kunst erhalten, der er so er-
folgreich dient. {
f In Carlsruhe starb am 1. December der pensionirte gross}?.,
badische. Hofcapellmeister Joseph Strauss, geb. 1798 in Brunn«
Der Geschiedene hatte 40 Jahre lang an der Spitze der Carlsruhe?
Hofcapelle gestanden und nahm erst im vorigen Jahre seine Pension,
Strauss hat früher Opern, Sinfonien, Ouvertüren etc. geschrieben.
Ebendaselbst verschied am 3. December plötzlich der pensionirte
fürstlich Fürstenbergische Hofcapellmeister Johann Wenzel Kalli-
w o d a , geb. 1801 in Prag , nachdem er erst vor einigen Wochen
von Donaueschingen nach Carlsruhe übergesiedelt war. Seine Com-
positionen, namentlich seine Männergesänge, sind in weitesten Kreisen
bekannt und beliebt geworden.
f In München starb die in dortigen Theater^reisen renommirte-
Sängerin Daisenrieder (früher in Mannheim engagirt) j sie wurde»
während sie bei einer Dame zu Besuch war, von einem Herzschlag:
getroffen und blieb zur Stelle todt.
f In Weimar starb der kleine 12jährige russische Pianist
Alexander Ogloblinskij, welcher es in seiner Kunst schon zu
einer sehr hohen Stufe gebracht hatte und einer schönen Zukunft
entgegensah.
f In Dresden starb am 1. December der berühmte Akustiker
Friedrich Kaufmann im 82. Lebensjahre
*** Soeben wird von J. A. §targardt in Berlin, Jägerstrasse«
53, ausgegeben: Verzeichntss einer werthvollen Sammlung von mu-
sikalischen, hymnologischen und liturgischen Werken, Volksliedern*
Autographen u. a., deren Versteigerung am 8. Januar 1867 stattfindet»
Darunter die Werke Bach's, die alten und seltenen Schriften vonv
Glareanus, Matthes.on, Otto, Kirnberger, Meibonius,.
Hassler — unter den Manuscripten der Nachlass von August
Bergt, alte Hymnensammlungen , Briefe und Compositionen von
Bach, Beethoven, Mendelssohn-Bartboldy, C. M. von
Weber — unter den hymnologischen Seltenheiten: P. Gerhard's-
geistliche Andachten v. J. 1666; Kercken-Ordeninge, allerley/
Gesenge mit Forme der Noten, Stettin, 1690, u. A.
ANZEIGEN.
PREIS- AUSSCHREIBEN.
Der Rheinische S&ngerverein eröffnet hiermit seinen Statuten
gemäss wiederum einen
CONCURS
auf die besten Concertcompositionen für Männergesang und Orchester.
Für dieselben hat der Verein zwei Preise, von einhundert*
f iinfxlg Tlialern und einhundert Thalern ausgesetzt,
die für den Fall zur Auszahlung gelangen, dass die noch zu erwäh-
lenden Herren Preisrichter dieselben als wirklich preiswürdig:
erklären.
Die näheren Bedingungen des Concurses — denen des vorigjährigen ganz,
gleieh — sind bei dem Unterzeichneten jeder seit zu erfahren.
Die concurrirenden Tonstüeke mausen spätestens bis zum 1, October 186T
beim zeitigen Vorort des Vereins, „Bonner Concordia," eingelaufen sein, mit.,
einem Motto versehen und von einem versiegelten Couvert begleitet , welche»
äusserlich das nämliche Motto und im Innern den Namen des Coneurrenten trägt.
Bon V im November 1866.
her Vorstand der „Bonner Concordia" als zeitiger
Vorort des Rheinischen Sangervereins,
A. A.
C. Wrede t Adv-Anw.
Stelle -Gesuch.
Ein Musikdirector sucht eine Stelle als Dirigent,
eines grösseren Gesang -Vereins. Gefällige Offerten bittet
man an die Verlagshandlung d. Bl. einzusenden.
Verantw. Red* Ed, Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz*
15. Jahrgang.
JW* £/♦
17. Dezember 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
K:
r?
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG-.
Man abonnirt bei allen Post
ämtern, Musik- & Buchhar 3
w lungen.
? © fp i • e
j^.
PREIS:
von
B.
■■
fl.2. 42 kr. od.Th.!.18Sg.
SCHOTT 'S SÖHNEN in MAINZ. | Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
i
INHALT: Kleine Studien. — Correspondenzen : Mannheim. Stuttgart. Paris. — Nachrichten.
Kleine Studien«
II. Deutsche Bearbeitungen ausländischer Opern.
Unter den Büchern eines etwas gar viel schreibenden modernen
Musik-Literaten handelt eines über die „Melodie der Sprache," und
-wie es ein gewisses Verdienst desselben, wie anderer Büchermacher,
ist, Binsenwahrheiten, die von jeher als etwas Selbstverständiges so
allbekannt waren , dass man deren schriftliche Niederlegung für
überflüssig hielt, auf einmal als neue Entdeckung in behaglicher
Länge und Breite aufzuschreiben und der Welt in dicken Bänden
zum Bewusstsein zu bringen , so enthält auch dieses Buch zum
erstenmal jene Regeln der musikalischen Declamation, deren Beob-
achtung bisher dem gesunden Menschenverstand, guten Geschmack
und feinen Ohr der Tonsetzer anheimgestellt war. Mit der Nieder-
schreibung dieser Gesetze ist in der That ein gutes Werk geschehen,
und besonders die Componisten, Sänger und Gesanglehrer sind dem
Verfasser dafür zu Danke verpflichtet. Wir wollen hier keine Kritik
darüber schreiben, mussten aber das Werk erwähnen, weil unsere
diesmalige Untersuchung sich an die gleichen Grundsätze zu hal-
ten hat.
»Der musikalische Accent soll dem Sinn und der
Betonung der Text wo rte nicht nur nicht widersprechen,
sondern noch eine erhöhte Gewalt undBedeutung ver-
leih e n , u das ist ungefähr der summarische Inhalt aller Gesetze
Über musikalische Declamation. Auch in dieser Hinsicht stellt man
die Voealwerke unserer Classiker als Muster auf, doch ist hier einige
Vorsicht vonnöthen, wie sich bald zeigen wird.
Betrachten wir nämlich nicht nur die Oratorien HändeFs, die
Opern Gluck's und Mozart's im Urtexte, sondern auch die Werke
neuerer französischer und italienischer Meister- wie Cherubini, Boiel-
dieu, Auber, Adam, Herold , Halevy, Rossini, Bellini und Donizetti,
so fiuden wir zu unserer Freude , wie sich die Mnsik bei ihnen
überall den Originalworten auf's engste anschmiegt, ja gar nichts
Anderes als der Ton gewordene Sinn des Textes zu sein scheint.
Dieselbe wirkt, natürlich eine fehlerfreie Aasführung vorausgesetzt,
schon durch sich selbst, durch ihre Wahrheit uud Lebendigkeit
schlagend , ganz abgesehen von den technischen uud sprachlichen
Eigenschaften, welche italienische oder französische Sänger vor den
deutschen voraus haben mögen. Auch liegt nicht au letzteren die
Hauptschuld, wenn die gleichen Werke in deutscher Uebersetzung
einen ungleich geringeren Erfolg haben, sondern an dieser Ueber-
setzung, welche in der Regel der musikalischen Phrase nicht jene
Worte unterlegt , die genau unter den gleichen Noten jenen des
Originals entsprechen. Dadurch aber wird der ursprüngliche Sinn
der Musik vernichtet, oft ein ganz anderer an dessen Stelle geschoben,
und so das Verständniss des Sängers und Hörers irre geleitet. Für
Beispiele mit Noten mangelt uns hier der Raum; auch böte jede
Seite einer ursprünglich französischen Oper von Gluck, oder einer
urspi anglich italienischen von Mozart so vielen Stoff, dass Einzelnes
gans bedeutungslos wäre, und der Leser sich besser in den betreffen*
den Partituren selbst überzeugt; er wird höchst wenige Stellen
finden, wo sich Wort für Wort mit dem Originaltexte deckt, wie es
einmal für die Musik unumgänglich ist. Ueberdies wäre eine solche
Uebereinstimmung nicht so schwer zu erreichen , als es für den
ersten Anblick scheint.
Fast alle Uebersetzer haben bis jetzt darin gefehlt , dass sie
zu viel Dichter sein wollten, und vor Allem den Reim, jene für
die treue Uebersetzung allerhinderlichste , für die Musik allerwerth-
loseste Spielerei, berücksichtigen zu müssen glaubten. Die selbst-
ständig umgedichtete Strophe, die fast wie ein neues selbstgeschaffenes
Kunstwerk aussah, wurde erst nachher der Musik gewaltthätig an-
gepasst, wobei diese Haare lassen musste, sowie sie sich nicht augen-
blicklich gehorsam fügte. Da wurden beliebige Noten ausgelassen
oder hinzugefügt, auf dass ja die liebe Umdichtung um keine Silbe
zu kurz kam ; da wurden Bindungen zerstört und neu eingeschoben,
als ob nicht schon durch eine einzige Ligatur nach Umständen
die Physiognomie eines ganzen Gedankens alterirt würde ; höchstens,
wenn es viel war, sah man darauf, hohen Noten dankbare Vocale
zu unterlegen, wie a und o, au und ei. Aber auch in den Vocalen
musste man sich an's Original halten; namentlich die Italiener
wussten gar gut, welchen Vocalen gewisse Noten für diese oder jene
Stimme am besten zusagten; die Erfahrung und der feine Instinkt
zeigen ihnen das Richtige. Uns hat in neuester Zeit der gelehrte
Helmholz in seinem Buche von den „Tonempfindungen" den
Schlüssel des Geheimnisses gegeben, indem er fand, dass die Klang-
kraft jedes Vocales auf jedem Tone von dem stäikeren oder ge-
ringeren Mitklingen der harmonischen Obertöne herrührt.
Auch für den Athem, der bekanntlich am besten vor einer kur-
zen Silbe und Note geschöpft wird , waren möglichst die gleichen
Stellen beizubehalten, wie im Original. Der schlimmste Fehler war
aber immer die Verrückung des Sinnes, wovon besonders die noch
jetzt im Gebrauch befindlichen Bearbeitungen Mo zart 'seh er Opern
Haarsträubendes leisten; wer aus dessen ursprünglich deutsch ge-
schriebenen Werken weiss, welch feine Andeutungen derselbe in
seinen Begleitungsfiguren oft sogar für das Spiel gegeben, zumal in
der „Entführung," der kann sich denken, wie viele solch feiner Züge
in den italienischen Operu, wie „Don Juan" und „Figaro" durch
die deutsche Verarbeitung schmählig verloren geben. Ja manchmal
trifft es sich, dass die Musik auch zu ganz anderen Worten als im
Original doch trefflich zu passen scheint, und dann könnte man irre
werden an aller bisher fromm geglaubten symbolischen Ausdrucks-
fähigkeit der Töne und möchte verzweifeln an der musikalischen
Characteristik, an der wir doch stets so grosse Freude hatten.
Aber noch eine ganz andere schlimme Folge hatte die Mangel-
haftigkeit der bisherigen Opernübersetzungen, eine Folge, welche
besonders bei den neueren Opernschreibern Deutschlands empfind-
lich hervortritt. Da dieselben nämlich ihre Muster grösstenteils
aus Partituren oder Ciavierauszügen mit deutschem Texte, oder in
den Aufführungen selbst studirten, so setzten sich die falschen Be-
tonungen und sonstigen Declamationsfehler in ihrem Geböte derge-
stalt fest, dass sie sich daran gewöhnten und in ihren eigenen Ar"
— 202 -
beiten dergleichen nicht im Geringsten vermieden, ja sogar, wie
z. B. „Stradella" und „Martha" zeigen, den angestrebten französi-
schen Hautgout dadurch zu steigern glaubten, wenn sie jene un-
deutschen Wendungen und Accente absichtlich hervorbrachten, die
sie in den Verdeutschungen Auber'scber Opern gefunden hatten j das
schien ihuen dann graziös und pikant Auch unsere Liederkompo-
nisten und Sänger wurden an jene falschen Accente so gewöhnt, dass
sie sie nicht mehr als fehlerhaft empfanden , — selbst in L i s z t's
herrlichen Liedern spuken noch solche, gerade dem neudeutschen
Principe besonders widersprechende Nachlässigkeiten. Unser Beet-
hoven und Schubert sind ebenfalls nicht ganz frei davon ; am er-
folgreichsten wirkten dagegen die Bestrebungen Mendelssohn^,
Schumann's und vor allem Richard Wagner's, dessen scharfes Drauf-
gehen die musikalische Luft schnell von den noch umherkriechenden
Miasmen , von allem gedankenlosen Schlendrian gesäubert hat (?).
Allerdings sind wir bereits in Gefahr, dem anderen Extrem zu ver-
fallen, indem man zur Erfindung einer Gesangmelodie dem Schüler
vorschreibt, er solle die Textphrase so lange mit sorgfältiger Ab-
wägung der Silbenquantität und des Wortsinnes laut vor sich hin-
sprechen, bis aus dem Sprechen ein Tönen werde, und dann der
betontesten Silbe die höchste, längste und stärkste, der mindest be-
tonten die tiefste , kürzeste und schwächste Kote zutheilen , und
nach dem gleichen Principe auch mit den übrigen Silben verfahren !
Das mag ganz gut sein als Eselsbrücke zu erfindungslosem Com-
biniren, aber nicht zum Componiren; auf diesem Wege wäre
weder ein C. M. v. Weber , noeh sein in der Melodik ihm noch
immer nachempfindender Epigone Wagner zu jenen frischen, hin-
reissenden Gesangsweisen gelangt, wodurch deren Opern besonders
den Laien fesseln.
Um nun zu unserem Hauptthema zurückzukehren, so müssen
wir die Herstellung neuer, nach den entwickelten Grundsätzen ge-
fertigter Bearbeitungen von Texten zunächst classischer Opern als
unabweisbare Nothwendigkeit bezeichnen. Das Deutsche müsste
darin so genau auf den Urtext klappen, dass keine einzige doppelte
Kote nöthig wäre. Alle Rücksichten auf Versbau, Reim u. dgl.
müssten dem Wortsinn und einer natürlichen, sofort verständlichen
Sprache geopfert werden, welche alles Geschraubte, dann insbeson-
dere jene störenden Fremdwörter vermeidet, die nur für's Komische
erträglich sind. Vor allem sollte sich ein intelligenter Verleger finden,
welcher Gluck's fünf bedeutendste Opern in neuer Bearbeitung her-
ausgäbe ; ein Anderer würde vielleicht mit Mozart'schen nachfolgen,
wieder Andere mit Rossini , Boieldieu , Auber etc. An sofortiger
Einführung der verbesserten Texte an den Bühnen wäre nicht zu
zweifeln. Dabei Hesse sich auch die Ciavierbegleitung in einer der
modernen Spielweise entsprechenderen Art einrichten, die zugleich
den Orchestereffect (mit abgekürzter Angabe der wichtigsten Instru-
mentirungsmomente) mittelst Pedal , Vollgriffigkeit u. dgl. treuer
wiedergäbe, als die alten Auszüge mit ihren dünnen , engen Lagen
vermochten. Ferner wären entweder die vollständigen Original-
recitative oder der gesammte Dialog beizugeben, mit Angabe des
Scenischeu, vielleicht sogar mit Costüm- und Situationsbildern, auf
dass die Opernschüler in solchen Ciavierauszügen Alles fänden, was
Bie brauchen. Als Einleitung wäre eine je nach dem Sujet sich
historisch und ästhetisch über das Werk ergehende kurze Abhand-
lung aus competenter Feder voranzustellen. Eine übermässige Ver-
teuerung solcher Ciavierauszüge könnte durch Vermeidung des
sonstigen Ausstattungsluxus, sowie durch starke Auflagen ferne ge-
halten werden, welche sich bei der zweifelsohne siegreichen Con-
currenz mit den bisherigen Auszügen bald als geboten erweisen dürfte.
CORRESPONDENZEN,
Aus Mannheim.
Obwohl erst ein kleiner Theil der musikalischen Wintersaison
hinter uns liegt, habe ich doch schon über eine für die hiesigen
Verbältnisse namhafte Anzahl von Concert - Aufführungen Ihren Le-
sern zu berichten. Zu den bedeutendsten derselben gehören drei
Quartett- Concerte; welche der nicht blos als Virtuose, sondern ganz
besonders auch als trefflicher Quartettspieler rühmlichst anerkannte
Herr Jean Becker in Verbindung mit den Herren Enrico
Masi, Luigi Chiostri und F r. H i 1 p e r t hier veranstaltete,
und in denen folgende Quartette zu Gehör kamen: Mozart: C-dur;
Beethoven: E-moll, A-moll, Cis-moll; F.Schubert: G-dur, Op. 161;
Mendelssohn: D-dur, E-moll; V. Lachner: Es-dur; Rubinstein: C-
dur, Op. 72; Volkmann, A., Op. 9. Sämmtliche Leistungen dieser
vier Quartettisten waren von seltener Vollendung und hatten sich
der allgemeinsten Anerkennung zu erfreuen ; die Vorzüge derselben
näher zu detailliren möchte ganz überflüssig sein, sie werden sicher
überall sogleich erkannt werden.
Frau Clara Schumann erfreute die hiesigen Musikfreunde
auch dieses Jahr wieder mit einem Concerte unter Mitwirkung des
Hoftheater - Orchesters und der Sängerin Frl. Reiser, einer sehr
talentvollen Schülerin des kürzlich verstorbenen Tenoristen Rau-
scher in Stuttgart, welche seit wenigen Monaten an der hiesigen
Bühne engagirt ist, und als eine sehr glückliche Acquisition für
dieselbe bezeichnet werden muss. Frau Cl. Schumann spielte mit
bekannter Meisterschaft Beethoven's ziemlich selten gehörtes Con-
cert in G-dur, an dem wir uns höchlich erfreuten ; sodann eine An-
zahl kleinerer Stücke: „ Variationen über ein Originalthema* von
Brahms; „Tempo di Ballo" von Scarlatti ; „Passecaille" von
Händel ; „Novelette," H - moll, „Romanze," Fis-dur, von R. Schu-
mann und „Caprice," E-dur von Mendelssohn. Fräul. Reiser sang
Beethoven's Concertarie „Ah perfido" und Lieder von F. Schubert.
Ausserdem betheiligte sich das Orchester durch die Ouvertüreu »Me-
lusine" von Mendelssohn und „Medea" von Cherubini. Aus einem
mir unbekannten Grunde war auf dem Programm anstatt der erst-
genannten Ouvertüre jene zu den „Hebriden" von Mendelssohn an-
gegeben , über deren treffliche Aufführung sich sofort die Bericht-
erstatter für die hiesigen Blätter aussprachen. (1)
Zu Anfang Novembers fand die erste musikalische Akademie
des Hoftheater - Orchesters statt, wie gewöhnlich unter sehr zahl-
reicher Betheiligung des musikalischen Publikums, und brachte von
Orchesterwerken zum ersten Male die schottische Ouvertüre „Im
Hochland" von Niels W. Gade, und zum Schluss des Concerts Beet-
hoven's Sinfonie in B-dur. Je mehr wir uns freuten, ein für hier
neues Orchesterwerk, die Ouvertüre von Gade, zu hören, um so
mehr bedauerten wir, in ihrem späteren Verlaufe die anfänglich auf-
tretende Eigentümlichkeit der Stimmung nicht hinreichend fest-
gehalten zu finden. Die Aufführung derselben, sowie der Sinfonie
von Beethoven unter V. L a c h n e r's bewährter Leitung war eine
vorzügliche. — Unsere dramatische Sängerin, Frau Michaeli s-
N i m b s , die wir nur selten auf einem Concert - Programm finden,
erfreute durch den Vortrag der Arie im 4. Act aus „CatharinaCor-
naro tt von Fr. Lachner, sowie zweier Lieder: „Ich grolle nicht,"
von R. Schumann, und „Gretchen am Spinnrad" von Schubert. Der
Pianist, Herr Ad. Gutmann aus Paris, spielte aus dem E-moll-
Concert von Chopin die Romanze und das Rondo mit der uns von
früher bekannten Meisterschaft, während die Composition an und
für sich weniger interessiren konnte; ferner: „Au bord du ruis-
seau," Melodie von Gutmann, den Trauermarsch von Chopin, und
schliesslich „Tarantella," ebenfalls von Gutmann, und ein Parade-
stück von Fingerfertigkeit.
Im Musik-Verein fanden ziemlich schnell nach einander
zwei Aufführungen statt, deren erster jedoch Ref. nicht beiwohnen
konnte , das Programm derselben war sehr anziehend und bestand
aus folgenden Musikstücken: 3 Lieder für gemischten Chor von M.
Hauptmann: „Im Sommer," „Wanderers Nachtlied" und „Frühzei-
tiger Frühling." Serenade für Flöte, Violine und Viola von Beet-
hoven/ gespielt von den Herren Neuhofer (Flöte), Naret Ko-
ni n g (Violine) und Mayer (Viola). „Elegischer Gesang" von
Beethoven für Chor mit Begleitung von Streichinstrumenten. Con-
cert für Violoncell von Goltermann, gespielt von Herrn Kü n din-
ge r; schliesslich: „Mirjams Siegesgesang" von Fr. Schubert, für
Sopransolo, Chor und Orchester. Das 2. Concert brachte folgendes
Programm: 1. Geistliches Lied „Wie ein wasserreicher Garten"
für gemischten Chor von J. Rietz. Dasselbe wurde mit erwünsch-
ter Sicherheit und schöner Nüancirung gesungen. 2. Sonate in B-
dur für Ciavier von Fr. Schubert, von dem seit einiger Zeit hier
angesiedelten Clavierspieler und Lehrer, Herrn E. M e r t k e , mit
richtigem Verstand nias vorgetragen. 3. „Der Rose Pilgerfahrt" von
R. Schumann , wobei Frl. Reiser und zwei sehr begabte Dilet-
203 -
tanten Äie Hauptsoli sangen. Die Aufführung (mit der von Herrn
Mertke gespielten Ciavierbegleitung , die Schumann seinem Werke
ursprünglich beigegeben) gelang im Ganzen wohl, doch hätte der
Sopran im Chor mit etwas mehr Mnth vorgehen dürfen.
Der Dilettanten-Verein legte in seinem ersten Concert
«in erfreuliches Zeugniss seines Strebens dar, die jugendlichen Spie-
ler, aus denen derselbe hauptsächlich besteht, führten eine Sinfonie
(D-dur) von Haydn und die Ouvertüre zur „Felsenmühle" von Reis-
siger anerkennenswerth aus ; im Uebrigen bestand das Concert ans
kleineren Vorträgen für Gesang, Violine und Ciavier. Der Verein
erfreut sich einer sehr regen Theilnahme, nicht nur von Mitwirken-
den, sondern auch durch den zahlreichen Beitritt pecuniär unter-
stützender Mitglieder.
Vor wenigen Tagen begannen unsere hiesigen geschätzten
'Quartettspieler ihren Cyclus von Quartett - Aufführungen mit den
Quartetten: von Haydn Es-dur, Nr. 38; Beethoven letztes in F-dur,
liier zum ersten Male vorgetragen, und Mendelssohn D-dur, unter
sichtlich zunehmender Theilnahme der Musikfreunde.
Die Liedertafel eröffnete kürzlich ihre öffentlichen Auffüh-
rungen mit einem reichen Programm, dessen Hauptbestandteile, die
Männergesänge, folgende waren : „Hymne an Odin" von Kunz, „das
Abendglöcklein" von Ferd. Langer; Motette „der Herr ist König'«
von B. Klein ; Geisterchor aus dem Drama „Rosamunde" von Fr.
Schubert, mit einer von L. Hetsch hinzugefügten Begleitung von
Altviolen, Violoncell und Contrabass; V. Lachner's reizendes Quar-
tett „Schneeglöckchen" und „Jagdchor" mit Begleitung von Blech-
instrumenten von L. Hetsch. Die Ausführung dieser Männergesänge
war durchweg eine musterhafte und zeichnete sich besonders durch
vollständige Sicherheit des ganzen Gesangkörpers, durch Präcision
der verschiedenen Stimmeneintritte, namentlich in der schwierigen
Motette von Klein, richtige, nicht überfeinerte Nüancirung und sehr
deutliche Aussprache auf's Vortheilhafteste aus. Der Chor aus
„Rosamunde" machte einen sichtlich tiefen Eindruck, während V.
Lachner's „Schneeglöckchen" durch seine von den Sängern in er-
wünschtem Maasse wiedergegebene feine Empfindung den Zuhörer
angenehm beruht te und der kräftige ,, Jagdchor" zum Schluss des
Concerts das höchst zahlreiche Auditorium aufs Lebhafteste anregte.
Ans Stuttgart.
Anfang December.
Unser zweites Abonnementconcert begann mit Haydn's Sinfonie
militaire , deren Ausführung bis ins feinste Detail eine vollendete
war. Die durch Zufall veranlasste Verzögerung der darauffolgenden
Nummer verschaffte uns noch die Freude , das Andante mit dem
Faukenschlag aus einer andern Haydn'schen G-dur-Sinfonie zu hören,
für dessen Einlage dem Orchester der verdiente Dank gezollt wurde.
Inzwischen war unser Gottlieb Krüger eingetroffen und bezau-
berte das Ohr wieder mit seinem meisterhaften Harfenspiel , dessen
Effecte oft an das wundersame Glitzern der Sommerfäden gemahnen,
und dessen Piano's aus Spinnweben gesponnen scheinen. Schade
nur, dass der Solosatz für dieses Instrument so sehr an das homo-
phone und accordische Element gebunden ist, dass er sich stets in
den schon durch die seichteren Ciavierstücke breitgetretenen Geleisen
halten muss und so wenig musikalisch Interessantes und Neues zu
bieten vermag. Und doch Hesse sich dergleichen leicht schaffen,
und zwar unbeschadet der Eigentümlichkeit der Harfe, sondern nur
unter Beschränkung auf ihre Besonderheit, wenn man obligate In-
strumente dazu setzte, wie Violoncell, Hörn, Clarinette etc. etc., mit
deren Hülfe sowohl der musikalische Gehalt als die poetische Be-
deutsamkeit einer Composition für die Harfe sehr erhöht würde.
Welch dankbares Feld wäre dies für sinnige Tondichter wie Brahras
Jensen, Rubinstein u. A. , die so eifrig neue Bahnen suchen. —
Eine Novität, wenigstens dem Namen nach, war Benedicts Ton-
märchen „Undine" ; thatsäcblich fanden wir ein Aggregat Mendels-
sohn'scher, Hiller'scher und sonstiger wohlbekannter Gedanken, für
das edle englische Publikum mit türkischer Musik und sonstigen
feinen Reizmitteln neu aufgeputzt. Wir geben gerne zu, dass diese
Chöre und Arien sich neben einer scenischen Aufführung ganz wohl
hören lassen mögen; sie sind aber nicht bedeutend genug, um allein
die Fantasie zur Vorstellung dieser Ereignisse anzuregen. Die Aus-
führung war eine besonders sorgfältige; Orchester, Chor, die HIT.
Schüttky und A. Jäger thaten ihr Möglichstes , ebenso die
Damen Mario w und Ehnn. Letztere fängt bereits bedenklich an
zu tremoliren ; überhaupt bedarf sie noch dringend eines competenten
musikalischen Rathgebers ; wer ihr bis jetzt dazu diente, wissen wir
nicht, können aber, ihr ausgesprochenes Talent mit den Leistungen
vergleichend, auf keine hervorragende Autorität schliessen.
Die erste Soiräe für Kammermusik brachte ein Quartett in B-dur
von Haydn, das C-moll-Trio von Mendelssohn und ein Divertimento
für Streichquintett und 2 Hörner von Mozart. Der Ciavierpart war
in Händen des Hrn. W. Speidel, die erste Violine in denen des
Hrn. C. M. Singer, das Violoncell in denen der HH. Krumb-
holz und C. M. Goltermann; ausserdem wirkten mit die HH.
Barnbeck, Debuysere, Kratochvil, Fohmann und Franz.
Sämmtliche Künstler entledigten sich ihrer Aufgabe mit Meisterschaft ;
besonders gefiel das glänzende Trio, sowie die Mehrzahl der köst-
lichen Mozart'schen Sätze. Leider sehen wir heuer unsere Concert-
säle nicht entsprechend gefüllt, wovon wir die Ursache ausser den
Nachwirkungen der Zeitverhältnisse auch in der Concurrenz ver-
muthen, welche durch die vermehrten Vorstellungen des Hoftheaters,
die Gratisvorlesungen im Königsbau, die verschiedenen Abende des
„Liederkranzes" und anderer Gesellschaften geschaffen wurde , wo-
durch unser eigentliches, ohnehin nicht zahlreiches Concertpublikum
noch mehr getheilt wird. Ueberhaupt scheint uns das Musikinteresse
schon in vielen Orten bereits seinen möglichen Gipfelpunkt erreicht
zu haben und rasch wieder im Abnehmen begriffen zu sein.
Das Programm des nächsten Singvereinsconcertes enthält u. A.
Gade's Frühlingsphantasie, Liszt's Claviermelodram „Leonore," drei
Chorlieder im Volkston vou Max Zenger, und Mendelssohn^ Lieder*
spiel „Heimkehr aus der Fremde". T.
Aus Paris.
10. December.
Das grosse musikalische Ereigniss ist die Aufführung des
„Freischütz" im The'ätre lyrique. Der Direktor dieses Theaters,
der sich um die Verbreitung der deutschen Opernmusik in Paris
schon so sehr verdient gemacht, hat diesmal alle Kräfte in Beweg-
ung gesetzt , um dem Publikum das Werk des deutschen Meisters
aufs Würdigste vorzuführen. Die Darstellung war auch im Ganzen
eine gelungene. Frau Mioian-Carval ho sang die Agathe wie
eine grosse Sängerin, der man nur hier und da etwas mehr Feuer
der Leidenschaft hätte wünschen mögen. Troy ist als Caspar
vortrefflich und er musste das berühmte Trinklied auf stürmisches
Verlangen wiederholen. Die Rolle des Max wird von Hrn. Michot
leider mit unzulänglichen abgenutzten Stimmmitteln gesungen. Frl.
Dar am als Aennchen so, so. Das Orchester übertraf sich selbst,
und auch der Chor, sehr bedeutend durch die Mitglieder eines Ge-
sangvereins verstärkt, erwarb sich einen lebhaften, wohlverdienten
Beifall. Kurz, die Vorstellung, wenn auch nichts weniger als voll-
endet, war doch sehr anerkennenswerth, besonders wenn man sie
mit den früheren Aufführungen dieses Meisterwerkes in Paris ver-
gleicht.
Bei der Eröffnung des The'ätre Rossini in Passy wird eine
komische Oper von dem Musikalienhändler Prilip, der als Com-
positeur unter dem Namen Camille Schubert vortheilhaft be-
kannt ist, zur Darstellung kommen.
Rossini hat Freitag einen Schlaganfall gehabt. Als er sich,
seiner Gewohnheit gemäss, nach dem Diner in sein Zimmer zurück
zog, stürzte er ohne Besinnung nieder und verletzte sich an Stirn
und Nase. Man liess schnell seinen Arzt kommen, dem es zu ver-
danken ist, dass der berühmte Maestro sich jetzt auf dem Wege der
Besserung befindet.
Mac li richte
ti.
Colli. Das 4g Gesellschaftsconcert im Gürzenich brachte das
Oratorium „Saul" von Ferd. Hiller, unter des Componisten per-
sönlicher Leitung. Dem interessanten Werke wurde von Seite des
Publikums trotz seiner Länge die vollste, unermüdete Aufmerksam-
- 204 —
Iteit und häufige, sehr lebhafte Beifallsäusserungeu gewidmet. Der
Chor zeichnete sich durch Sicherheit und Präcision, wenn auch nicht
durch Stärke aus, und das Orchester bewältigte seine schwierige
Aufgabe in wahrhaft vollendeter Weise. Die Soli waren in den
Bänden der Frl. Eh maus (Michal), Schülerin des hiesigen Conser-
vatoriums , welche ihre Partie in Folge eingetretenen Unwohlseins
der Frl. Bodinius, welcher dieselbe bestimmt war, in wenigen
Tagen einstudirte und wacker durchführte; vortrefflich waren die
Mäunersoli besetzt durch die HH. Hill aus Frankfurt a. M. (Saul),
Schild vom Theater in Leipzig (David) undKrolop vom hiesigen
Stadttheater (Samuel) , die denn auch in Bezog auf Stimme und
Vortrag nichts zu wünschen übrig Hessen und reichlichen Applaus
erndteten.
Paris. Programm des 8. populären Concertes des Hrn. Pas-
d e 1 o u p : Sinfonie Nr. 49 von Haydn ; „Hebriden"-Ouvertüre von
Mendelssohn; Adagio aus dem G-moll- Quintett von Mozart, von
sämmtlichen Streichinstrumenten ausgeführt ; Violinconcert von Beet-
hoven, vorgetragen von Hrn. Joachim; Ouvertüre zu „Tannhäuser*
von R. Wagner.
— Die Proben für Verdis „Don Carlos" werden eifrigst be-
trieben, und Alles wird angestrengt, um die Aufführung dieser Oper
bis zum 15. Januar möglich zu machen.
— Joachim ist im Athenäum wiederholt aufgetreten und hat
dort das im 7. Concert des Hrn. Pasdeloup vorgetragene Concert
von Yiotti mit immensem Erfolg gespielt.
V Der Brüsseler „Guide musical* bringt eine ausführ-
liche Beschreibung der feierlichen Bestattung des verschiedenen
Yioloncellvirtuosen Servals, welcher die ganze Bevölkerung von
Hai, wo er geboren und begraben wurde , sowie alle künstleri-
schen, literarischen und administrativen Notabilitäten von Brüssel
beiwohnten. Alle Häuser des Städtchens Hai waren geschlossen,
vom kleinsten bis zum grössten. Die Strassen waren sämmtKch mit
Trauerfahnen und schwarzen Schilden behängt, welche in silbernen
Lettern das Datum von Servais' Tod zeigten. Das Trauerhaus war
ganz mit schwarzem Flor bedeckt. Bei dem Leichenzuge, der sich
am 29. November um 10 Uhr Morgens in Bewegung setzte, wurden
die Enden des Bahrtuches getragen von dem Bürgermeister von Hai,
dem Director des Brüsseler Conservatoriums, Hrn. Fetis, dem Ad-
jutanten des Königs, General Göthals, Mitglied der Verwaltungs-
commission des Conservatoriums, Leonard, Professor am Conser-
vatorium, Gillon, Bürgermeister von Josse ten-Noode, DeMaere-
Limander, Mitglied der Repräsentantenkammer und Präsident des
Chorvereins von Gent, Kufferath und Heimburg, ehemaligem
Präsidenten der philharmonischen Gesellschaft in Brüssel. Dem Sarge
voran gingen die verschiedenen Vereine der Stadt Hai mit ihren
florumhüllten Fahuen. Auf dem Sarge lagen auf einem schwarzen
Sammtkissen die Ordenszeichen des Verblichenen, ein massiv gol-
dener Kranz, den ihm seine Verehrer nach seiner ersten russischen
Reise gewidmet hatten uud darüber der in seiner Hand so mächtige
Violoncellbogen. Das Violoncell des Meisters, mit Flor umhüllt,
wurde von vier seiner jüngsten Schüler getragen. Seine Söhne
Franz und Joseph und sein Schwiegersohn Godebski führten
die Schaar der Leidtragenden an und eine zahllose Menge folgte
nach, unter welchen man Künstler aus Paris, London und Cöln be-
merkte, welche zur Leichenfeier herbeigeeilt waren. Reichliche
Thränen flössen nicht nur um den ausgezeichneten Künstler, son-
dern auch um den guten liebenswürdigen Mitbürger, um den Wohl-
thäter der Armen, Sechs verschiedene Reden wurden an seinem
Grabe gehalten, unter welchen besonders die des greisen Fetis her-
vorzuheben ist. Das Herz des unvergesslichen Künstlers wurde ein-
balsamirt uud dem Gemeinderathe der Stadt Hai zur Verfügung ge-
stellt, in Erwartung dass dem Verewigten ein würdiges Denkmal
gesetzt werdeu wird.
*** Der Pacht des städtischen Theaters in Tri est ist auf den
Zeitraum 1867—70 ausgeschrieben. Die Dotation beträgt jährlich
56,000 Gulden in Silber nebst den Erträgnissen des Theaters. Be-
werber haben sich bis zum 31. Dec. d. J. zu melden.
*** Das Auftreten der Sga. V i 1 d a (Frl. Wilt) als „Norma" im
Fenice-Theater zu Florenz wurde kalt aufgenommen und Frl. Wilt
ist daher bereits wieder nach Deutschland zurückgekehrt.
*** Am 23. November ist in Cassel der Coraponist und Musik-
schriftsteller Otto Kraushaar gestorben.
*** Joh. Brahms hat sich nach seiner Schweizerreise nach
Wien begeben, wo er den Winter zubringen will.
*** Der bekannte Musikkritiker Dr. Oscar Paul in Leipzig
hat sich an der dortigen Universität habilitirt und bereits seine
Vorlesungen über Geschichte der Musik, Harmonik und Metrik,
Aesthetik etc. eröffnet. Seine Habilitationsschrift: „Die absolute
Harmonik der Griechen" ist bei A. Dörffel in Leipzig erschienen.
*** Der Tenorist Niemann ist an der Berliner Oper mit 8000
Thaler Gage und 25 Thaler Spielhonorar engagirt. Es ist dies die
höchste Gage, die bisher in Berlin bezahlt wurde.
%* Am 3. Dec. starb in Kopenhagen der Violoncellist Christ.
Kellermann. Er war 1817 zu Ramberg in Jätland geboren und
erhielt seine musikalische Ausbildung in Wien. Vor einigen Jah-
ren wurde er, auf einer Kunstreise unter Ullmann's Leitung be-
griffen, in Mainz durch einen Schlaganfall gelähmt, und konnte
namentlich die Beweglichkeit der linken Hand nicht wieder errei-
chen, sowie er denn überhaupt seit jenem Unfälle seine Gesundheit
und Kraft immer mehr schwinden sah.
%* Der ausgezeichnete Flötenvirtuose Demersseman ist in
Paris, erst 35 Jahre alt, gestorben.
*%* In Augsburg wird nächstens eine neue 2actige Oper: „Die
Liebesprobe" von dem dortigen Theatercapellmeister Dr. O. Bach
zur Aufführung kommen.
*** Die Direction der „Sacred Harmonie Society** in London
hielt unlängst in Exeter-Hall ihre Jahressitzuug, die 34. seit ihrem
Bestehen. Die Gesellschaft hat seit ihrer Gründung im Jahre 1832,
die 15 Concerte des letzten Jahres mitgerechnet, 482 Concerte ver-
anstaltet. Die Subseriptionseinnahme der abgelaufenen Saison betrug
über 1912 Pfd. Sterl. , das Eigenthum der Gesellschaft wurde auf
9000 Pfd. Sterl. geschätzt. Ein Antrag regte die Idee an, zur Zeit
der Ausstellung in Paris Oratorien daselbst zu geben. Costa'»
Bemühungen für das Wohl des Vereins wurden in anerkennendster
Weise hervorgehoben, Mit grossem Interesse wurde auch die be-
absichtigte Errichtung der Grand Memorial Hall für Kunst und
Wissenschaft iu South Kensington entgegengenommen, nämlich
die Absicht, einen grossen Concertsaal zu bauen, der bequem 500O
Personen fassen kann , ein Local , woran das grosse London bisher
Mangel leidet.
*** Der Director des Brüsseler Conservatoriums , Hr. F e" 1 i s,
hat dem berühmten Geiger Vieuxtemps den Antrag gemacht, au
der Stelle des nach Paris übergesiedelten Professor Leonard den
Violinunterricht an jenem Conservatorium in seine Hände zu nehmen.
Vieuxtemps hat jedoch dankeud abgelehnt, indem seine vielfältigen
Engagements ihm nicht gestatten würden, seinen Pflichten als Pro-
fessor in entsprechender Weise nachzukommen.
*** Der Herzog Max in Baiern hat dem Hofsänger Kinder-
mann nach der letzten Aufführung des „Waffenschmied" von Lortzing
einen prächtigen silbernen Pokal zugeschickt mit der Inschrift: „Dem
Waffenschmied ' und dem Namen S. K. Hoheit.
*** Am 4. December fand im Berliner Operntheater die lange
mit grosser Sorgfalt vorbereitete und glanzvoll in Scene gesetzte
300. Aufführung der „Zauberflöte" von Mozart statt. Die erste Auf-
führung dieser Oper in Berlin fand am 12. Mai 1794 statt und
zwar in dem kleinen, von Friedrich dem Grossen am Gensdarmen-
markt für die französische Schauspielergesellschaft erbauten Thea-
ter, da im Opernhause nur italienische Opern aufgeführt werden,
durften.
*** In Hannover kamen im 2. Abonuementconcert folgende
Werke zur Aufführung: der dritte Theil von Schumann's „Faust";
Ouvertüre zu „Coriolan" von Beelhoven und dfe dritte Suite für
Orchester von Fr. Lachner.
V Joachim wird Mitte dieses Monats in Bordeaux und Lille
concertiren, wohin er seitens der dortigen philharmonischen Gesell-
schaften sehr schmeichelhafte Einladungen erhalten hat.
Briefkasten. Hrn. A. A. in O. Mögen Sie sich in Betreff
der patriotischen Gesinnung des Autors vou: „Der Par&jularismus im
Musikwesen" (Nr. 47 d. Bl.) beruhigen; derselbe ist mit Leib und
Seele Süddeutscher, und fällt es ihm nicht ein, seinen Landsleutea
irgendwie zu nahe treten zu wollen. D. Red.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau t Mainz.
15. Jahrgang.
JN* &&.
24. Dezember 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG
\ DieseZeitung erscheint jeden
V % ff I 8) g
;
*
*<«.
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand
lungen.
von
4
B. SCHOTTS SÖHNEK in MAINZ,
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
PREIS:
fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
für den Jahrgang.
Durch die Post bezogen :
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
X
INHALT: Musiker - Briefe. — Frau Sophie Dies. — Joachim in Paris. — Correspondenz : München. — Nachrichten.
ABONNEMENTS-EINLADUNG.
Mit dem 1. Januar 1867 beginnt der 16. Jahr-
gang der Süddeutschen Musik - Zeitung.
Ihrer bisherigen Haltung getreu, wird sie auch künftig ein
unparteiischer Berichterstatter aller bedeutenden Vorkomm-
nisse im musikalischen Leben sein, wichtige Fragen in
eigenen Artikeln erörtern und den Lesern durch biogra-
phische und musikgeschichtliche Aufsätze eine ebenso
angenehme wie belehrende Unterhaltung bieten.
Wir bitten um rechtzeitige Bestellung; alle Post-
anstalten, Buch- und Musikanstalten nehmen solche an.
Preis: fl. 2. 42 kr. od. Thlr. 1. 18 Sgr. per Jahr. Wöchent-
lich eine Nummer.
<-S*peoifton oer Jmo&ettffdjen 'gftnßß-JMfcuig.
Musiker- Brie f e.
Unter diesem Titel hat Ludwig Nohl im Verlage von
Dunker u. Huinblot in Leipzig eine Sammlung Briefe von C. W«
r. Gluck, Ph. E. Bach, Jos. Haydn, Carl Maria v. Weber und
Felix Men delssohn-Bartholdy nach den Originalen herausge-
geben, auf welche wir die Verehrer der angeführten Tonmeister hie-
mit aufmerksam machen wollen, indem diese Briefe, von denen ein
grosser Theil hier zum ersten Male veröffentlicht wird, vollkommen
geeignet sind , das allgemeine Interesse in hohem Grade zu fesseln
und einen tiefen Einblick in das künstlerische sowie in das rein
menschliche Wesen der allverehrten Kunstheroen zu gewähren. Es
bietet daher diese Briefsammlung dem Musiker wie dem Laien eine
höchst anziehende und interessante Leetüre und wird sie den be-
wunderten Meistern in vieler Beziehung näher bringen. Wir ent-
nehmen hiermit für unsere geehrten Leser zur Bestätigung unseres
Urtheils einige dieser Briefe dem Nohl'schen Buche und hoffen da-
mit die allgemeine Aufmerksamkeit auf dasselbe zu lenken.
Unter den Briefen von Jos. Haydn befinden sich mehrere,
welche an Frau von Genzinger, die Gattin des „Damendoctors"
Peter Leopold von Genzinger in Wien gerichtet sind, welch letz-
terer in seiner Wohnung an Winterabenden häufig Musiker und
Musikfreunde bei sich versammelte, wo an Sonntagen ab und zu
Männer wie Haydn, Mozart, Dittersdorf, Albrechtsberger an der
Tafel willkommen waren und ihre neuesten Werke prodaciiten. Als
Leibarzt des Fürsten Nicolaus Esterhazy ven Galantha musste
der Doctor oft lange in Eisenstadt weilen , wo er dann mit Haydn
so nahe bekannt wurde, das« dieser, so oft er in Wien war, sein
Gast sein musste. Seine Gemahlin Marianne geb. v. Kayser, eine
geistreiche Frau und ausgezeichnete Sängerin, die damals in allen
musikalischen Kreisen Wiens geschätzt und gesucht war, fand sich
durch ihr» Liebe zur Musik natürlich noch näher zu dem liebens-
würdigen Meister hingezogen, und ob sie gleich fast 40 Jahre alt
war, bildete sich auf dem Wege des musikalischen Verkehres doch
allgemach zwischen beiden ein persönliches Verhältniss, das auch
die Herzenssaiteu merklich berührte und ein schönes Freundschafts-
band zwischen ihr, die glücklich verheirathet und mit fünf wohl-
erzogenen Kindern gesegnet war, und dem alten und doch so Jugend«
frischen Meister, der in kinderloser und keineswegs glücklicher Ehe
lebte, entstehen liess. Den ersten Anlass zum schriftlichen Aus-
tausch gab nuu folgendes Billet der musikeifrigen Dame, das von
Wien im Juni 1789 datirt ist:
„Hochgeehrtester Herr von Haydn!
Mit Dero gütigen Erlauhnüss nehme ich mir die freyheit, Ihnen
einen Ciavier auszug des schönen Andante Ihrer mir so schätzbaren
Composition zu übermachen. Solchen auszug habe icn ganz allein
aus der Spart ohne Mindester beyhilf meines Meister gemacht, bitte
die gute zu haben, wen sie etwas daran auszustellen finden, solche«
zu corigiren. Ich verhoffe, Sie werden Sich in besten Wohlstand
befinden und wünschte nichts sehnlicher als Sie bald in wien zu
sehen, um Ihnen immer mehr meiner Hochachtung, welche ich für
Sie Hege, überzeugen zu können. Ich gebleibe mit wahrer Freund«
Schaft Dero ergebeuste Dienerin
Mein gemahl, kinder Maria Anna Edle von Gennzinger
empfehlen sich Ihnen geborne Edle von Ttayser."
gleich fals schenstens.
Darauf läset Bich nun Haydn von Estoras aus am 14. Juni
1789 so vernehmen:
Hoch und Wohl gebohrne
Gnädige Frau!
Unter all meinem bisherigen Briefwechsel wäre die Ueber-
raschung, eine So schöne Handschrift mit so gütigen Ausdrücken
durch zu lesen, für mich die allerangenehmste ; noch mehr aber
Bewunderte ich das eingeschückte — treflich übersezte Adagio,
welches Ihrer Richtigkeit wegen jeder Verleger unter die Presse
legen kan. nur mochte ich wissen, ob Ihro gnaden dieses Adagio
aus der Partitur, oder ob sich Ihro gnaden die erstaunende Mühe
gaben, Es vorhero in die Partitur zu setzen und es alsdann erst
für das Ciavier übersetzt haben, denn wau letzteres, so ist diese
Attention für mich zu schmeichelhaft, welches ich in Wahrheit nie
verdiene :
Allerbeste — gütigste Frau von Gennsinger! ich erwarte einen
Fingerzeig, wie auf was arth ich im stände seyn kan, Euer gnaden
gefällig zu werden: Sende unterdessen das Adagio zurück, und
Hofe v. Euer gnaden in Rücksicht meiner wenigen Talenten ganz
sicher einige Befehle, und bin mit ausnehmender und vorzüglich-
ster Hochachtung
Euer gnaden
N. 8. an Hoch Dero Herrn ganz gehorsamste Diener
Gemahl bitte mein gebor- Josephus Haydn m. p.
samstes Compliment zn ver-
melden.
206 —
Sophie Diez, geb. Hartman«.
München, 6. Dez. 1866.
Die jüngBtverfiossenen Tage brachten uns eine Feier, wie sie
wohl selten aus solcher Veranlassung und unter solchen Umständen
sich ergibt. Es war da keine halbofficielle Cour im Boudoir einer
tonangebenden Primadonna, auch erschollen keine gemietheten Po-
saunen, um das grand evenement dem nach Tagesneuigkeiten lüster-
nen Publikums zu verkünden, sondern einfach und würdevoll, zu-
meist im inneren Heiligthum der Familie und im Kreise bewährter
Freunde und Berufsgenossen wickelte sich der Act aufrichtiger Hul-
digung ab für eine Künstlerin, welche in dem stillen, aber innigen
Character der ihr gewordenen Theilnahme nur das Spiegelbild ihres
eigenen Wesens erblicken konnte.
Am 1. Dezember 1836 hatte Sophie Hartmann, aus einer
musikalisch begabten, doch mittellosen Familie stammend, mit der
kleinen Rolle der Angelina in Cherubini's „Wasserträger" die hie-
sige Hofbühne betreten, welcher sie, nachdem sie am 24. November
1841 mit dem damaligen Operntenoristen Friedrich Diez sich
vermählt hatte, seitdem ununterbrochen und zur Zierde der Anstalt
Da die ausgebreitete Wirksamkeit, die seltene Vielseitigkeit,
sowie die durch 30 Jahre angestrengtester Thätigkeit ungebrochene
Kraft der nicht nur in ihrer Vaterstadt München populär geworde-
nen, sondern auch in weiteren Kreisen rühmlichst bekannten Künst-
lerin wirklich ein Phänomen genannt zu werden verdienen, so dürfte
es ein statistisches und psychisches Motiv haben, das Gebiet ihrer
Leistungen genauer kennen zu lernen und im Zusammenhange zu
überschauen , und wir glauben daher nicht nur den allgemeinen
Musikinteressen zu dienen , sondern auch den speziellen .Kennern
und Verehrern zu Gefallen zu sein, zugleich aber auch der hoch-
verdienten Sängerin die angemessenste Feier ihres dreissigjährigen
Wirkens zu bereiten, wenn wir eine auf die besten Quellen gegrün-
dete Uebersicht ihrer Leistungen folgen lassen. Der Baum dieses
Blattes gestattet nicht eine detaillirte Aufzählung der einzelneu
Bollen dieser trefflichen Künstlerin zu geben, und wir beschränken
uns daher auf folgende summarische Angaben.
Frau Sophie Diez ist in 94 Opern und in 122 verschiedenen
Bollen 1544 mal aufgetreten. Im Fache des Singspiels , der Posse
etc. gab sie in 83 Stücken 89 Rollen in 635 Aufführungen, so dass
sie also in 211 Bollen 2079 mal aufgetreten ist, was im 30jährigen
Durchschnitt 70 Beschäftigungsabende per Jahr ergibt.
Da jedoch auch die anderweitige Thätigkeit der Sängerin in
Gastrollen und namentlich in Concerten einen grossen Factor zur
Beurtheilung ihrer Leistungsfähigkeit bildet, so gehen der Summe
von 2079 Darstellungen auf hiesiger Hofbühne weiter zu die Büh-
nengastspiele derselben in Eegensburg, Nürnberg, Augsburg, Ulm,
Stuttgart , Cöln , Mannheim , Freiburg, Darmstadt, Dresden, Aachen
und Hamburg, 67 an der Zahl und die Summe der Leistungen in
öffentlichen Concerten dahier sowie in andern Städten, welche sich
auf 240 beläuft, und wovon allein auf die grossen Concerte der
musikalischen Akademie dahier 140 treffen, so dass sich also eine
Summe von 2381, d. i. auf 30 Jahre durchschnittlich im Jahre von
80 Beschäftigungsabenden ergibt, ohne die nicht mehr bestimmbare
Anzahl von Proben, Hof- und Hofcapelldiensten, sowie die Mitwir-
kung bei andern kirchlichen Productionen und ohne den nebenher
fortdauernden Antheil bei musikbeflissenen Privatgesellschaften uud
Cirkelu in Anschlag zu bringen, wo die Liebenswürdigkeit und
uneigennützige Aufopferung der unermüdlichen Sängerin sich allent-
halben immer glänzend bewährt hat.
Dass auf eine so lange Beihe von Jahren verhältnissmässig so
wenig Gastspiele treffen, und dass Frau Diez manche Bolle sang,
welche jede andere Gesangsgrösse in der Begel mit Stolz von sich
weisen würde , bildet lediglich ein Zeugniss dafür , wie unser Lau-
deskind weniger nach Geld und äusseren Ehren trachtete, sondern
jederzeit bereit war, dem Interesse der Anstalt, welcher es ange-
hörte, zu dienen und für dasselbe auch eine untergeordnete Stellung
nicht zu missachten.
Mögen diejenigen , welche allenfalls über diese Seite des Wir-
kens unserer kleinen Heldin das Naschen rümpfen wollen, beden-
ken, dass dieselbe Frau, welche es so vortrefflich versteht, die ein-
fachste Tochter des Gebirgs in naivster Weise darzustellen, ebenso
die Kraft und Bildung besitzt, die Meister Gluck und Mozart
in einer Weise zu reproduciren, wie sie nicht leicht einer der jetzt
lebenden deutschen Sängerinnen zu Gebote stehen dürfte.
Und so wird es Jedermann klar geworden sein, dass er es hier
mit einer an Leib und Seele gesunden Natur, mit einer ächten
Priesterin Euterpens zu thun habe.
Möge sie uns noch lange erbalten bleiben, möge aber auch die
hochgeschätzte Sängerin sich nie und nimmer den Augenblick ent-
fliehen lassen, der ihr gebietet, noch zur rechten Zeit vom äusseren
Schauplatz ihres Buhmes abzutreten , auf dass uns immer die Erin-
nerung den Stern im unversehrten Glänze zeige, welchen wir dank-
bar nennen mit dem liebgewordenen Namen: „Sophie Diez."
»Joachim in Paris.
Der grösste Geiger unserer Zeit hat nun schon mehrmals im
„Athenäum" und in Pasdeloup's Concerten gespielt, und seit
langer Zeit hat Paris keinen ähnlichen künstlerischen Erfolg gesehen,
wie ihn Joachim im Sturmschritt errungen hat. Die französischen
Kritiker sind einstimmig in Anerkennung seiner genialen Behand-
lungsweise des Instrumentes , auf welchem so viele" grosse Künstler
aus Frankreich selbst hervorgegangen sind. Paul Smith schreibt
in der ^Gazette musicale" unter Anderem ; „Wir bewundern an ihm
vorzugsweise den Muth und die Kraft, womit er die Kunst des Vio-
linspiels auf ihre einfache Grossartigkeit zurückgeführt hat. Bei ihm
ist dies Instrument wieder die wahre Violine in ihrer Reinheit, ohne
jene gekneipten Töne , welche an die Guitarre erinnern , oder jene
Bogenhiebe, bei denen das Holz ebenso viel leistet wie das Haar.
Joachim hat begriffen, dass man auf der Bahn des Uebertriebenen,
Aussehweifenden nicht weiter vorgehen dürfe und dass man zur
Vernunft zurückkehren müsse, wolle man nicht in's Ungeheuerliche
verfallen. Dies ist der Weg, welchen die Kunst den Künstlern in
den Zeiten der Uebersättigung, des Verfalls vorschreibt; doch bedarf
es mehr Talent um dieses Gesetz zu beobachten als um es zu bre-
chen, häufig genügt das Talent nicht mehr und es wird Genie er-
fordert. Joachim scheint uns reichlich damit begabt zu sein , und
er hat die Fähigkeit , sich mit den Werken der verschiedensten
Meister zu ideutificiren, im höchsten Grade bewiesen durch den Vor-
trag der Werke von Spohr, Mendelssohn, Viotti und Beethoven, so
dass es schwer zu bestimmen wäre, welche dieser Compositionen er
am Besten aufgefasst und wiedergegeben hat."
CORRESPONDENZEN.
Ans München.
g. December.
Zum grossen Vergnügen der hiesigen Musikfreunde, deren Häuf-
lein alljährlich wächst , haben sich die HH. Concertmeister Jos.
Walter und die Hofmusiker Closner, Thoms und Hippolyt
Müller wiederum entschlossen, drei Quartettsoireen zu geben. Die
erste ging , äusserst zahlreich besucht , vor etwa vierzehn Tagen
glücklich in Scene und lieferte auf's Neue den Beweis, wie diese
vier Herren unermüdet nach grösserer Vollendung und Abrundung
ihren Spieles trachten. Zur Aufführung kam: Quartett in F-dur von
Jos. Haydu (Op. 77, N° 32), Quartett in D-dur von W. A. Mozart
(Op. 14), uud unter Mitwirkung des Hrn. Hofmusikers C. Bamftler
Quintett in C-dur von L. van Beethoven (Op. 29). Hm. Walter's
Geige jubelte und sang wieder, dass es in der That eine Lust war
ihr zuzuhören, und die anderen Theilnehmer des Quartetts unter-
stützten ihn in künstlerisch-wirksamer Weise. Eine recht minutiöse
Kritik könute vielleicht im 3. Satz des Haydn'schen Quartetts die
erste Violine in dem Augenblick etwas mehr piano gewünscht haben,
wo das Cello das Hauptmotiv bringt. Den vierten Satz könnten
wir uns gerade von diesen Künstlern trotz seiner angehäuften Schwie-
rigkeiten noch ruhiger, bestimmter gespielt denken.
In der zweiten Soiree brachten sie Haydn's Es - dur - Quartett
Op. 9, N* 20 zur Aufführung , eine Composition , in welcher die
erste Violine in auffallender Weise präponderirt, dann das C-moll»
- 207
Quartett Op. 9 von Max Bruch, ein Werk, dessen Gedanken sich
nur gezwungen in die engen Grenzen des Quartetts schieben lassen,
und endlich Schubert 1 » A-inoll - Quartett Op. 29, ein wahres Rosen-
heet der duftigsten Gedanken. Die Darstellung selbst war tadellos.
Das zweite Abonnementconcert der musikalischen Akademie
trug an der Spitze seines Programms die „Wallensteinsinfonie" von
Rheinberger. Es fällt mir nicht ein, für oder gegen Programm-
musik Thesen und Antithesen aufzustellen : die Feststellung der
Grundsätze in diesem Capitel muss einer späteren Zeit überlassen
werden, die Gegenwart ist noch zu viel Partei und kann desshalb
noch kein gültiges Votum abgeben. Es liegt mir viel mehr daran,
das genannte Werk zu interpretiren, als Principien zu reiten. — In
dieser seiner Wallenstein-Sinfonie wollte Rheinberger die hauptsäch-
lichsten Empfindungen, welche die Schiller'sche Trilogie hervorruft,
in der Sprache der Musik zur geistigen Anschauung bringen, und
von seihst boten sich demzufolge die vier Sätze. Rheinberger gab
folgendes Programm: l.Satz: Wallenstein. 2. Satz: Thekla. 3. Satz:
Lagerscene und Kapuzinerpredigt. 4. Satz: Wallensteins Tod (Ver-
schwörung, Seni, Trauermarsch).
Wir wollen versuchen , den Inhalt dieses in jeder Beziehung
grossartigen Werkes noch ausführlicher zu geben, um Ihren Lesern
die Idee desselben zur verständlicheren Anschauung zu bringen.
Im ersten Satz, der fest und abgeschlossen, ernst und würdig auftritt,
sich so fortbaut und abschliesst , ist das volle Bild eines entschie-
denen Characters gegeben. Schon pHich das erste Motiv nimmt
das Interesse des Zuhörers gefangen ; die Form ist knapp und kräftig
und dem Gedanken entsprechend. — Im zweiten tritt uns Thekla
in der Maienzeit ihres Lebens entgegen ; rosenroth liegt die Welt
vor ihrem Auge , und aus jedem Tone spricht unendliches Liebes-
glück. Doch das wechselt bald mit dem Abschied von dem Geliebten,
und finsterer wird der Himmel über ihr. Schmerzliches Bangen und
tiefe Sehnsucht fällt ihre Seele , da erfährt sie die Nachricht von
dem Tode des Mannes ihrer Wahl und stumm und gebeugt begräbt
sie hinter den öden Klostermauern die Hoffnungen ihres Herzens. —
Das Scherzo führt erst drei Marschmotive von verschiedenem Cha-
racter vor, um auf diese Weise das Durcheinander der Stände zu
zeichnen, die im Wallensteinischen Lagei vei treten waren. Daran
reiht sich ein lutherisches, marschartig-es Lied (allerdings einer etwas
späteren Zeit entstammend), und diese vier Motive combinirte der
Tondichter mit der ihm ganz eigenthümlichen Kunst auf eine äusserst
interessante Weise. Die Kapuzinerpr "li^t -t der Inhalt des Trio.
Der fanatische Mönch wird mit köstlichem Ünmor von den Bässen
und den tiefen Blasinstrumenten atigekündigt, er tritt auf und be-
ginnt mit komischer Salbung seine Predigt. Gross ist sein Zorn,
doch allmählig verdünstet dieser; so oft aber der Eifer zu ermatten
beginnt, ertönt neckend und höhnend das lutherische Lied, so dass
die verglimmende Glut neu aufschlägt in lichten Zornesfiammen, und
das Pathos der Predigt immer lauter und wüthender wird. Doch
stärker und bestimmter erklingen die Soldatenlieder, bis sie endlich
den Prediger in der Wüste übertönen und vollständig verdrängen.
— Im letzten Satz zeichnet Rheinberger Wallenstein's Glaube an
den Eiufluss der Sternenwelt auf sein Schicksal. Mancher Ihrer
Leser lächelt vielleicht darüber ungläubig und meint , dieser Ge-
danke lasse sich nicht musikalisch darstellen. Doch da irrt er sich.
In dem Motiv, das Rheinberger anschlägt, liegt etwas Erhabenes,
Ernstes, wie die Nacht mit ihrer Sternenpracht, und in dem Mangel
an eigentlicher Peiiodisirung ist das Weite, Unendliche symbolisch
höchst glücklich und leicht verständlich ausgesprochen. Dieses in
seiner Stimmung ergreifende Bild wird duich einen sehr bewegten,
wilde Leidenschaft athmenden Satz verdrängt, in welchem die Ver-
schwörung gegen Wallenstein gezeichnet werden will. Da tritt Seni
auf, seine Warnung klingt schmerzlich, Unheil verkündend : er hat
es ja am Himmel gelesen , dass ein gräulich Zeichen im Haus des
Lebens steht, dass ein naher Feind, ein Unhold hinter den Strahlen
des Wallenstein'schen Sternes lauert. Umstonstl — die Warnung
erklingt unbeachtet, und das Schicksal muss sich erfüllen: Wallen-
stein fällt!
Das ist, 40 weit wir bei einer einzigen Aufführung das grosse
interessante Werk aufzufassen und zu durchschauen im Stande
waren, der Gedankengang in der Composition. Allerdings hat Rhein-
berger Wallenstein nicht in seiner vollen Tiefe erfasst, der Revo-
lutionär par excellence, das Gegenbild des ersten Napoleons , wel-
cher der Kraft des Genies den Vorzug vor dem Throne gibt, auf
den nur die Geburt verholfen, blieb in der Sinfonie ganz unaus-
gesprochen und doch liegt eigentlich darin seine grosse dramatische
Bedeutung. Aber schon das, was Rheinberger bietet, ist unendlich
viel und auf- und abwogen in wechselnder Farbenpracht die Stim-
mungen, gross und eindrucksvoll, wie sie die Trilogie heraufzau-
bert. In der Erfindung seiner Motive ist Rheinberger, wie immer»
nobel und vielseitig, in der Durchführung geistreich und pikant;
die Instrumentation beweist uns , dass er viel über Klangwirkung;
nachgedacht und ihre Begründung wohl erfasst habe; ein charac-
teristisches Colorit zeichnet jeden Satz aus.
Wenn sich der Componist entschliessen könnte, einige Aende-
rungen und Kürzungen (zumal im vierten Satz) vorzunehmen, welche
den Zweck hätten, die Architektur in ihren schöngegliederten Ver-
hältnissen herzustellen und die Composition bis zum Schlüsse zu
steigern, so würde die Novität sicherlich als lieber Gast in jedem
Concertsaal, wo gute Musik mit Ernst gepflegt wird, aufgenommen.
Rheinberger, der selbst dirigirte, wurde von dem Publikum mit Bei-
fall überschüttet.
Auf diese Sinfonie folgte eine oberflächliche Arie aus der Oper
„Graf Ory" von Rossini, von Fräul. Deinet mit Virtuosität vor-
getragen.
Die „Wasser- und Feuermusik" von G. F. Händel, die im
vorigen Jahr bei ihrer ersten Aufführung so freundliche Aufnahme
fand, erquickte und entzückte auch diesesmal wieder die Herzen
der Zuhörer. Bei der Gelegenheit erwähnen wir rühmend der vor-
züglichen Leistung des Hrn. Freitag, welcher sein Flageolettsolo
mit delikater Kunst vortrug. Die letzten Nummern des Programms,
das Finale des ersten Aktes aus der Oper , Cosi fan tutte" von
Mozart und die Ouvertüre zu „Leonore" Nr. 1 wurden von dem
schon grösstentheils ermüdeten Concertpublikum nicht mehr mit
der gebührenden Aufmerksamkeit angehört: das Programm bot zu
viel des Guten und auch das schadet.
Auf dem Hoftheater wurde ein idyllisches Singspiel von J.
Weigl „Nachtigall und Rabe a neu einstudirt. Bei der Aufführung
erwies sich der Stoff und die Musik desselben als so veraltet, dass
eine Wiederholung desselben wohl eine Art Vogelscheuche für die
Theaterbesucher bilden wird.
Wir hören, dass die Hofmusikintendanz mehreren Componisten
den Auftrag gegeben habe, für das Streichquartett Zwischenacts-
musik zu componiren, damit den Bläsern der Dienst erleichtert
werde und ihre Gegenwart bei den Schauspielen nicht immer not-
wendig sei. Solche Einrichtung gibt ein rühmliches Zeugniss von
der humanen Denkweise des Baron Perfall.
Auch das loben wir, dass jetzt die Zwischenactsmusik knapp
vor Beginn eines Actes gespielt werden muss und nicht mehr, wie
es bisher üblich war, dem abgespielten Acte nachhumpelt. Ist der
Regisseur mit seinen Vorbereitungen zu Ende, so gibt er ein Zei-
chen, die Musik hebt an und augenblicklich hinter ihr hebt sich
der Vorhang. Diese Einrichtung, die Anfangs allerdings überall so
gedacht wurde, aber im Laufe der Zeit sich anders gestaltete, ver-
diente wieder aufgefrischt zu werden und wir empfehlen das hier
gegebene Beispiel zur Nachahmung. z.
I » c ii r i c h t e ii.
Mainz. Am 14. Dezbr. veranstaltete der „Kunst- und Literatur-
verein" wieder ein Concert im Saale des Frankfurter Hofes , in
welchem als auswärtige Gäste die HH. Wallerstein, Pianist,
Wolf, Violinist und Lübeck, Violoncellist, sämmtlich aus Frank-
furt a. M. auftraten uud ein sehr zahlreiches Auditorium anzogen.
Das Es-dur-Trio von Fr. Schubert, von den genannten drei Künst-
lern vorgetragen, vermochte nicht zu erwärmen, da die Ausführung
desselben nicht sorgfältig genug vorbereitet erschien ; dagegen
erndtete Hr. Lübeck, den wir schon in dem Concerte der Gebrüder
Thern als ausgezeichneten Meister auf seinem Instrumente kennen
gelernt hatten, wieder den ungetheilten und wohlverdienten Beifall
des Publikums durch den Vortrag eines Adagio's, wir wissen nicht
von wem (statt des angekündigten Concertes von Goltermann), und
einer Fantasie von Servais über Motive aus der „Regimentstochter/
Wir verweisen auf unser früheres Urtheil über diesen vortrefflichen
208 -
Künstler. Hr. Wallerstein spielte ausser dem genannten Trio ein
Nocturne von eigener und eine Saltarella von Dreyschock's Conipo-
aition mit Yollendeter Technik und fein nüancirtem Vortrag; doch
hätten wir eine glucklichere Wahl gewünscht. Hr. Wolff vermochte
mit seinem Salonstack von Vieuxtemps nicht durchzudringen. Frl.
Bentz vom Stadttheater sang zwei Lieder von Soltans mit vielem
Beifall, und den Schluss des Concertes machte der Männerchor:
»Das Küchlein" von Becker , von dem Gesangverein „Frauenlob"
unter Direction des Hrn. Soltans mit schöner Wirkung vorgetragen.
Berlin. Am 4. d. M. fand , wie schon gemeldet, die lange er-
wartete 300. Aufführung der „Zauberflöte statt, unter ausserordent-
lichem Zudrang des Publikums, an welches vor dem Beginne der
Vorstellung eine Zusammenstellung interessanter Notizen über die
früheren Darstellungen auf der kgl. Bühne , Rollenbesetzungen etc.
gratis vertheilt wurden. Die sämmtlichen Decorationen waren nach
Scbinkel'schen Entwürfen von Gropius und Lechner neu ge-
malt, die Costtime glänzend und geschmackvoll und die Maschine-
rien sinnreich und von schöner Wirkung. Die ersten Bollen waren
besetzt durch Frau H a r r i e r s-W i p p e r n (Pamina), Frau Beringer
(Königin der Nacht), Frl. Frieb (Papagena) und die HH. Krüger
(Tamino), Frieke (Sarastro), K r a u s e (Papageno), Basse (Monos-
tatos) und Betz (Sprecher). Die drei Damen waren durch die Frls.
Börner, Gev und v. Edelsberg, die drei Knaben durch die
Frls. Horina, Nolte und Bahr vortrefflich besetzt. Chor und
Orchester leisteten unter der Direction des Hrn. Rad ecke Vor-
zügliches , so dass die ganze Aufführung eine mustergültige zu
nennen ist.
Hamburg. Am 6. December fand zum Besten des St. Nicolai-
thurmbaues ein geistliches Concert in der St. Michaeliskirche unter
der Leitung des Hrn. Ludwig Deppe statt, dem ein äusserst
zahlreiches Auditorium beiwohnte, so dass die Kirche in allen ihren
Räumen gefüllt war. Das Programm enthielt das t , Requiem" von
Mozart und den zweiten Theil des Oratoriums „Israel in Egypten"
von Händel, welcher unter dem Titel „Moses Gesang" ein selbststän-
diges Ganze bildet. Die Solopartien waren in ausgezeichneter Weise
besetzt; sie befanden sich in den Händen der Damen Frl. Tietjens
und Fr. Joachim, sowie der HH. Schild, Stockhausen und
Schulze. Hr. Osterholdt spielte die Orgel und Hr. Armbrust
die Ciavierbegleitung zu den Recitativen. Der Chor zählte 250
Stimmen, und das Orchester bestand ausser einem vollen, kräftigen
Streichchor aus doppelter Besetzung der Blasinstrumente. Die beiden
unvergleichlichen Werke wurden in vollendeter Weise durchgeführt,
uud nur die Heiligkeit des Ortes vermochte den enthusiastischen
Beifall zurückzuhalten , welcher sonst den Leistungen der Solisten
wie des Chors und Orchesters gar häufig gespendet worden wäre.
Hr. Deppe hat sein Directionstalent wieder auf das Glänzendste be-
währt, und sowie das Publikum höchst befriedigt das Gotteshaus
verliess, so wurde auch der äusserliche Zweck des Concertes durch
Erzielung einer reichlichen Spende zu dem Thurmbau vollkommen
erreicht.
Wien. Am 22. und 23. d. M. finden im Hofburgtheater die
herkömmlichen Akademien des Tonkünstler - Wittwen und Waisen-
Versorgungsvereins „Haydn" statt, und wird an beiden Abenden
unter Leitung des Hrn. Hofoperncapellmeisters Esser die „Schöpf-
ung u von Jos. Haydn zur Aufführung kommen. Die Soli werden
von Frl. v. Murska und den k. k. Kammersänger Gustav Wal t er
und Dr. Carl Schmid gesungen werden.
BrÖSSel. Nach der Beerdigung des unvergesslichen S e r v a i 9
fasste eiue zahlreiche Versammlung von angesehenen Bürgern Ha?»
den Entschluss, das Andenken des geschiedenen Künstlers durch ein
Monument zu verewigen, welches demselben auf einem der öffent-
lichen Plätze der Stadt errichtet werden soll. Eine Commission zu
diesem Zwecke hat sich bereits unter dem Vorsitze des Bürgermeister»
der Stadt gebildet. Die Hubscriptionslisten sollen sofort in Umlauf
gesetzt werden und werden auch ohne Zweifel bald mit zahlreichen
Unterschriften bedeckt sein.
*#* Der ausgezeichnete Violoncellvirtuose Hr. Concertm. J. de
S w e r t in Düsseldorf hat von dem Fürsten von Hohenzollern die
grosse goldene Medaille .,Bene merenti* erhalten. Hr. de Swert
hat unlängst wieder Proben seiner Virtuosität abgelegt, indem er im
3. Winteiconcert in Düsseldorf eine Fantasie über schwedische Volks-
lieder von eigener Composition, eine Melodie aus Max Bruch's Oper
„Loreley" und zwei Gavotten von S. Bach vortrug und stürmischen
Beifall hervorrief.
*** Am Sonntag den 16. d. M. fand im Redoutensaale in Wien
die erste Aufführung der Legende: „Faust's Verdammniss," für Soli,
Chor und Orchester von B e r 1 i o z unter Mitwirkung von Fräul.
Bettelheim, Hrn. Walter, des Singvereins und des Vereins-
orchesters und unter des Componisten persönlicher Leitung statt*
Der Beifall war ein ausserordentlicher. Näheres hierüber wird uns
wohl unser Wiener Correspondent recht bald mittheilen.
%* Der „Liederkranz" in Biber ach (Würtemberg) feierte un-
längst das Enthüllungsfest der Büste des verdienstvollen Componisten
und Organisten J. H. Knecht (siehe den Aufsatz: „Zwei Pastoral-
sinfonien" in N° 48 dieses Blattes), welcher in Biberach lange Zeit
als Organist gewirkt hat.
*** Carl Reine ck e, Capellmeister und Dirigent der Gewand-
hausconcerte in Leipzig hat eine grosse Oper in 5 Acten, betitelt:
„König Manfred," Text von Friedrich Röber, vollendet.
*** Die Schauspielerin R i s t o r i hat in New - York während
zwei Monaten für ihren Theil die fabelhafte Einnahme von 100,000
Dollars erzielt.
*** Am 27. November wurde in Bremen das Oratorium
„Jephta" von Reinthaler unter Mitwirkung von Hrn. Hill aus
Frankfurt a. M., Frau Rübsam und Hrn. Gar so aufgeführt.
%* Abert's „Astorga" wird auch in Weimar zur Aufführung;
vorbereitet.
* m * In New-York fand vor Kurzem ein „Kirchenconcert"*
mit folgendem merkwürdigem Programm statt: Männerquartett von
J. Becker; „Der Trompeter" von Speyer; Ciavier -Variationen über
ein englisches Volkslied; Tenorarie aus Rossini's „Stabat mater"^
Duett von Kücken; Männerquartett von Kreutzer; „Schlafe wohl,
du süsser Engel," Lied von Abt; Terzett aus Verdi's „Attila" etc.
%* Abermals ein Theaterbrand ! Im Theater des Nouveaulds
in Paris brach am 3. December kurz vor Beginn der Vorstellung
Feuer auf der Bühne aus, welches mit furchtbarer Schnelligkeit um
sich griff und in eiu paar Stunden das gauze Gebäude einäscherte.
*** Abert's „Astorga" wurde in Schwerin und Prag mit
grossem Beifall aufgeführt.
*sis* Frl. Marie Wi eck ist in Florenz im ersten Concert der
philharmonischen Gesellschaft mit glänzendem Erfolg aufgetreten.
*** Frl. Orgenji gastirt mit vielem Glück in Breslau.
f In Leipzig starb kürzlich der dort als Componist und Sänger
sehr beliebt gewesene Tonkünstler Julius Borsdorf.
ANZEIGEN.
Im Verlage vonL. Hoffarth in Dresden sind erschienen und durch jede Buch- und Musikhandlung zu beziehen:
THEODOR TWIETMEYER.
Acht Lieder.
(Liebesfrühling. — Die Abendglocken. — Mondschein auf
dem Meere. — Wohl waren es Tage der Sonne. — Unter'm
Xindenbaum.— Lebe wohl. — Wärst du mein.— Nach Jahren.)
Acht Lieder.
(Das junge Gras. — Dein Angesicht. — Wasserfahrt. —
Mit deinen blauen Augen. — Vergissmeinnicht. — Der
Abendstern. — Lebewohl. — Wonne des Frühlings.)
Op. 7. Preis 1 Thlr.
Für eine Singstimme mit Pianoforte.
Op. 8. Preis 1 Thlr.
Verantw. Red. Ed. Föckerer* Druck v» Carl Wallau, Mainz.
15. Jahrgang.
jv* &&.
31. Dezember 1866.
SÜDDEUTSCHE MUSIK-ZEITUNG.
tz
Diese Zeitung erscheint jeden
MONTAG.
Man abonnirt bei allen Post-
ämtern, Musik- & Buchhand-
lungen.
Ttrlil
r-
\
PREIS:
von
L
; fl. 2. 42 kr. od. Th. 1. 18 Sg.
.. j für den Jahrgang.
B. SCHOTT's SÖHNEN in MAINZ. | D»rch & m ««.. ■.
50 kr. od. 15 Sgr. per Quartal.
Brüssel bei Gebr. Schott. London bei Schott & Co.
?
^o.-
INHALT: Musiker -Briefe. — Concerte des Darmstädter Musikvereins. — Literatur. — Correspondenzen : Stuttgart. — Nachrichten.
ABONNEMENTS-EINLADUNG.
$C$* Mit dem 1. Januar 1867 beginnt der 16. Jahr-
gang der Süddeutschen Ullis ik - Zeitung.
Ihrer bisherigen Haltung getreu, wird sie auch künftig ein
unparteiischer Berichterstatter aller bedeutenden Vorkomm-
nisse im musikalischen Leben sein, wichtige Fragen in
eigenen Artikeln erörtern und den Lesern durch biogra-
phische und musikgeschichtliche Aufsätze eine ebenso
angenehme wie belehrende Unterhaltung bieten.
Wir bitten um rechtzeitige Bestellung; alle Post-
anstalten, Buch- und Musikanstalten nehmen solche an.
Preis: fl. 2. 42 kr. od. Thlr. 1. 18 Sgr. per Jahr. Wöchent-
lich eine Nummer.
Jspebiüon bcr fub&euffdjen '§8tt|tö-5eifttttfl.
Musiker- Brie f e«
Von Ludwig Nobl.
'U
II.
Gegen Ende des Jahres 1789 scheint Hardn wieder einmal nach
Wien gekommen zu sein, und es erneuten sieb jene angenehmen
musikalischen Zusammenkünfte im Gennzinger'schen Hause, wo be-
sonders Haydn's neueste Quartettschöpfungen durebprobirt wurden.
Leider dauerte die Freude nicht lange, denn schon am 3. Februar
1790 muss der Meister traurigen Gemüthes seine Abreise melden,
und am 9. Februar erfolgt von dem öden Estoras, dem Landsitze
des Fürsten Esterhazy aus, eine wahre Submerzensepistel, worin aller
Uumuth und jede Bekümmerniss und Sehnsucht der theilnehmenden
fernen Freundin in wärmsten, halb komischen Worten ausgeschüttet
wird. Wir lassen diesen Brief in seiner ganzen originellen Aus-
drucksweise hier folgen. *
„Wobledelgeborne
Sonders bochsebätzbarste — Allerbeste Frau v. Gennzinger!
Nun — da sitz ich in meiner Einöde — verlassen — wie ein
armer Waiss — fast ohne menschliche Gesellschaft — traurig — voll
der Erinnerung vergangener edlen Tage — ja leider vergangen —
und wer weiss, wann diese angenehme Tage wieder kommen werden?
diese schönen Gesellschaften? wo ein ganzer Kreis Ein Herz, Eine
Seele ist — alle diese schöne musicalische Abende — welche sich
nur denken and nicht beschreiben lassen — wo sind alle diese Be-
geisterungen? — — Weg sind sie — und auf lange sind sie weg.
Wundern sich Euer Gnaden nicht, dass ich so lange von meiner
Danksagung nichts geschrieben habe! ich fände zu Haus alles ver-
wirrt, 3 Tage wusst ich nicht, ob ich Capellmeister oder Capelldiener
war, nichts konnte mich trösten, mein ganzes Quartier war in Un-
ordnung , mein Fortepiano, das ich sonst liebte, war unbeständig,
ungehorsam, es reizte mich mehr zum Aergern als zur Beruhigung,
ich konnte wenig schlafen, sogar die Träume verfolgten mich, denn
da ich am bebten die Opera le Nozze di Figaro*) zu hören
träumte , weckte mich der fatale Nordwind auf und blies mir fast
die Schlafhauben vom Kopf. Ich wurde in 3 Tagen um 20 Pfund
magerer, denn die guten Wiener Bisserl verloren sich schon unterwegs.
Ja ja, dacht ich bei mir selbst, als ich in meinem Kosthaus statt
dem kostbaren Riudfleisch ein Stück von einer 50jährigen Kuh T statt
dem Ragout mit kleinen Kuöderln einen alten Schöpsen mit gelben
Murken, statt dem böhmischen Fasan ein ledernes Rostbrätl, statt
den so guten und delicaten Pomeranzen einen Dscbabl oder soge-
nannten Gros-Salat, statt der Backerei dürre Aepfel-Spältl und Hasel-
nuss — und so weiter speisen musste. — Ja ja, dacht ich bei mir
selbst, hätte ich jetzt manches Bisserl, was ich in Wien nicht habe
verzehren können. — Hier in Estoras fragt mich niemand, schaffen
Sie Chocolade — mit oder ohne Milch, befehlen Sie Carle, schwars
oder mit Obers (Rahm), mit was kann ich Sie bedienen, beste«
Havdn, wolleu Sie Gefrornes mit Vanille oder mit Ananas? Hätte
ich jetzt nur ein Stück guten Parmesan Käse , besonders in der
Fasten , um die schwarzen Nocken und Nudeln leichter hinab zu
tauchen, ich gab eben heute unserm Portier Commission, mir ein
paar Pfund binabzuschicken.
Verzeihen Sie , allerbeste gnädige Frau , dass ich Ihnen da«
allererstemal mit so ungereimtem Gezeug und der elenden Schmiererey
die Zeit abstehle, verzeihen Sie es einem Manne, welchem die Wiener
zu viel Gutes erwiesen haben, ich fange aber schon an mich nach
und nach an das Ländliche zu gewöhnen, gestern studirte ich zun
erstenmal und so ziemlich Haydnisch.
Euer Gnaden werden gewiss fleisBiger als ich gewesen sein. Das
gefällige Adagio aus dem Quartett wird hoffentlich schon den wahren
Ausdruck durch Dero schöne Finger erreicht haben. Meine gut«
Fräulein Peperl wird sich (hoffe ich) durch öfteres Absingen der
Cautate auch des Meisters erineren, besonders bey reiner Aussprache
und genauer Vocalisirung , denn es wäre eiue Sünde, wenn eine so-
schöne Stimme in der Brust versteckt bliebe, ich bitte desshalb Hin-
ein öfteres Lächlen, sonst geht mir ganz gewiss etwas vor. Den
Moos. Francis **) empfehle ich mich ebenfalls in sein musicalisches
Talent. Wenn er auch im Schlafröckl singt, es geht doch immer gut,
ich werde zur Aufmunterung öfters etwas neues übermachen. Unter-
dessen küsse ich nochmal die Hände für alle mit erwiesene Gnaden,
und bin mit vorzüglichster Hochachtung zeitlebens etc."
Noch ein kurzer, aber durch die darin ausgesprochene Bewun-
derung, welche der grosse Meister für Mozart'« Geuius hegte, be-
*) Mozart'» „Figaro" war im Augnst 1789 in Wien wieder auf die
Bühne gebracht und von Neuem mit grossem Beifall aufgenommen,
worden. Auch von „Cosi fern tutte* fand am 21. Januar 1790
die erste Auffuhrung statt und am 28. und 30. Januar die fol-
genden. Merkwürdig, dass Haydn dieses neuesten Werkes seines
verehrten Freundes nicht erwähnt» Es scheint aber überhaupt
keinen sonderliehen Erfolg gehabt zu haben.
**) Josepha und Franz, die ältesten Kinder der Frau V. Gennzinger
210
sonders interessanter Brief Haydn's an den Provinzialoberverwalter
Roth in Prag möge hier eine Stelle finden. Er lautet wie folgt:
„Sie verlangen eine Opera buffa von mir. Recht herzlich gern,
wenn Sie Lust haben von meinen Singcompositionen etwas für sich
allein zu besitzen. Aber um sie auf dem Theater zu Prag aufzu-
führen, kann ich Ihnen diesfalls nicht dienen, weil alle meine Opern
zu viel an unser Personal (zu Esterhaz in Ungarn) gebunden sind,
und ausserdem nie die Wirkung hervorbringen würden, die ich nach
der Lokalität berechnet habe. Ganz was anders war es, wenn ich
das unschätzbare Glück hätte, ein ganz neues Buch für das dasige
Theater zu componiren. Aber auch da hätte ich noch viel zu wagen,
indem der grosse Mozart schwerlich jemanden andern zur Seite
haben kann.
Denn könnte ich jedem Musikfreunde , besonders aber den
Grossen , die unnachahmlichen Arbeiten Mozart's so tief und mit
einem solchen musikalischen Verstände, mit einer so grossen Em-
pfindung in die Seele prägen, als ich sie begreife und empfinde : so
würden die Nationen wetteifern, ein solches Kleinod in ihren Ring-
mauern zu besitzen. Prag soll den theuern Mann festhalten — aber
auch belohnen; denn ohne dieses ist die Geschichte grosser Genien
traurig und gibt der Nachwelt wenig Aufmunterung zum fernem
Bestreben; wess wegen leider so viel hoffnungsvolle Geister darnieder
liegen. Mich zürnet es , dass dieser einzige Mozart noch nicht bei
einem kaiserlichen oder königlichen Hofe engagirt ist! Verzeihen
Sie, wenn ich aus dem Geleise komme : ich habe den Mann zu lieb." *)
Concerte des Darmstädter Musik -Vereins.
1.
Der Verein hat bis jetzt zwei Concerte gegeben; in dem ersten
führte er Händel's „Messias" auf. Im vorigen Winter war das letzte
Concert Bach's „Passionsmusik" gewesen ; dieses zufällige Zusammen-
treffen, wie die Gleichartigkeit in ihrer Idee lässt eine Vergleichung
der beiden Werke rechtfertigen. Sie sind beide die höchsten Leist-
ungen ihrer Meister; in einer Periode, kurz hinter einander ent-
standen (die „Matthäus-Passion" 1729, der „Messias" 1741) sprechen
sie auch am Grossartigsten die Idee ihrer Zeit aus: das Zusammen*
fassen der Nation zur sittlichen Wiedergeburt. Diese Wiedergeburt
konnte nicht anders geschehen , als durch die Erkenntniss der
lautersten, reinsten Idee, das Bewusstsein der Menschenwürde, der
Menschenliebe und unbedingten Gerechtigkeit. Keiner hat diese
Idee herrlicher durch die eigene That bewiesen als Jesus Christus-
Für die sittliche Reformation mussten die Künstler zur Darstellung
dieses Helden greifen : die „Passion" und der „Messias" sind die
Darstellungen des Christus, wie ihn das 18. Jahrhundert erkannte;
sie unterscheiden sich nur wie die Charactere ihrer beiden Schöpfer.
Bach stellt seinen Christus als den Repräsentanten der unbe-
dingten Wahrheit, Treue und Herzensgüte dar, als den einfachen
Lehrer, der in kleinem Kreise wirkt, aber durch den Opfertod,
mit dem er seine Lehre besiegelt, so mächtig überzeugt, dass Tau-
sende von Schülern für seine Idee gewonnen werden, und von Ge-
schlecht zu Geschlecht seine Lehre fortpflanzen. Zu seiner Grösse
gelangt dieser Christus erst im Lauf der Jahrhunderte , wenn die
ganze Menschheit sich zur Lehre der Wahrheit und Treue bekehrt
hat, wenn die Menschenliebe thatsächlich geübt wird. Händel
war es nicht gegeben, so bescheiden aufzubauen, blos zu überzeugen»
in der Voraussicht , dass die späteren Geschlechter den Triumpb-
gesang beginnen würden ; er musste siegen. Drum ist sein
Christus nicht mehr der bescheidene Lehrer, sondern der von der
Menschheit anerkannte Reformator, den die Menschheit im
Triumphgesang feiert und anruft, wiederzukehren, um ihr fort und
fort aus ihren Nöthen zu helfen.
Der Idee entsprechend, stellt Bach seinen Christus leibhaftig
dar, in seinem Schaffen und Wirken, in seinem Leben und Leiden.
Die muthige Ueberwindung des langsamen Martertodes war seine
grösste, seine all' überzeugende That. Die Ueberzeugung thatsäch-
, *) Gerade um dieselbe Zeit übrigens ward an Stelle des soeben ver-
storbenen Gluck Mozart am kaiserlichen Hofe in Wien ange-
stellt, und zwar mit — 800 fl. Gehalt.
lieh zu zeigen , stellte er dieser That die zuschauende , mitempfin-
dende Gemeine gegenüber, deren Mit- Leiden die wirkliche Ueber-
zeugung aussprach. Händel brauchte zur Darstellung des Reforma-
tors nicht das Thatsächliche aus seinem Leben, sondern das Ideelle.
Zwar schildert er auch den ganzen Verlauf seines Lebens, aber nicht
das Leibhafte, sondern blos die Wirkung seiner Lebens-Epochen auf
die Menschheit. Die Völker wandelten im Dunklen ; da erschien
das grosse Licht, das die Finsterniss erleuchtete. Sie frohlockten
und jauchzten bei seinem Entstehen ; dann, wie es sie zu versengen
drohte , löschten sie's aus. Das Licht aber erklomm wieder und
leuchtet nun in alle Ewigkeit.
Bach's Christus, der überzeugen sollte, musste den Schmerz
erwecken; denn nur der Schmerz, die Noth zwingt zum Mitempfin-
den, zum Nachdenken. Die ganze Erzählung, wie die Theilnahme
der Gemeine ist ein fortwährender Klag- Gesang, ein grosser pro-
phetischer Jammer, der dem, der ihn einmal wahrhaft empfunden
hat, nie wieder aus dem Gedächtniss schwindet. Er wirkt in ihm
fort, wie ein ewiges Läuterungsfeuer, das stets aufflammt, so wie
ihn die Noth wieder an seine Verirrung gemahnt. Händel, der seine
Idee in ihrer ganzen Grösse zeigen will , darf nicht mit Klagen
kommen; er muss jubeln, frohlocken. Sein ganzer Messias ist dess-
halb ein ewiger Triumph-Gesang. Das Halleluja zieht vom
Anfang bis zum Ende, und so steht es auch dem, der die Kraft in
sich fühlte es mitzusingen, als ein ewig leuchtender Stern vor Augen,
der in allen Fähren und Nöthen erweckt und ermuntert.
Mit Rücksicht auf die musikalische Form ist Bach's Gesang
stets einfach, schmucklos, die knappste Zeichnung, die nur zu denken
ist. Die Striche sind aber tief eingerissen, wie bei einem Dürer' -
sehen Holzschnitt. Dann ist jede Gestalt bis ins Kleinste ausge-
zeichnet; daist nichts vergessen, denn zur unbedingten Ueberzeugung
soll Alles vollständig sein. Händel singt auch einfach , aber gross,
prunkvoll ; wie Rubens zieht er breite, feste Striche mit einem Zug
über die ganze Wand. Wenn Bach viele Sänger bedarf, um das
reich gestaltete Leben in allen Einzelnheiten darzustellen, so braucht
Händel die Massen, um mit seinem Vollgesang das Himmelsgewölb
zu erschüttern. Bach's Instrumente dienen blos zu einer leichten
Färbung des Gesangs ; er will blos so viel färben , als zum Leben
unbedingt nötbig ist. Ein Geigenchor, ein paar Flöten und Oboen,
das genügte ihm neben seiner Orgel. Händel will nicht blos färben,
er will malen , mit dicken , glänzenden Farben , die Licht strahlen.
Ausser den vollen Registern seiner Orgel braucht er noch Trompeten
und Posaunen ; das muss Alles erschüttern und zusammenschlagen.
Glücklicherweise fand er noch den trefflichen Ausleger seiner Werke,
der mit der Errungenschaft einer späteren Zeit seine Absichten ver-
wirklichen konnte , das war Mozart. Ein Mann von derselben
Lebenslust und Sangesfreudigkeit wie Händel , so konnte er mit
seiner vervollkommneten Instrumentation ausmalen, was dem älteren
Meister nicht vergönnt war.
Aus dem Character der Stücke ergibt sich dann die Verschieden-
heit der Aufführung. Bach , der den einfachen Lehrer darstellt,
will überzeugen, verstanden werden. Klarheit der Sprache, Bestimmt-
heit des Aufdrucks, Wahrheit, die an die wirkliche That glauben
lässt, sind die ersten Erfordernisse der Ausführenden. Weil der
Rede stets eine bedeutsame That folgt, muss jedes Wort mit äusser-
ster Schärfe gesprochen sein, mit einer Characteristik , wie wir sie
in den allerbedeutendsten Lagen des Lebens finden. Händel , der
den sieghaften Reformator darstellt, will nicht mehr überreden,
sondern triumpbireu. Begeisternde Gluth, die eutzüudet, fortreisst,
Titanenkraft, die einen Olymp auf den Ossa thürmt, um den Himmel
zu stürmen , das sind die Erfordernisse für die Ausführenden. Die
„Passion" verlangt mehr feine Declamation , dem Darsteller muss
die ganze Kunst des Schauspielers zu eigen sein. Der „Messias"
erfordert den eigentlichen Vollgesang, die Kraft und die Fertigkeit
des Sängers ohne Rücksicht auf die Sprache ; dies gilt für Solo- wie
Chorgesaug. Bach's Chor, der in die Handlung eingreift, muss mit
aller Schärfe des Declamators sprechen. Händel's Chor hat nichts
zu reden, keine Handlung darzustellen ; er braust immer in der Voll-
glut des Gesangs daher. Selbst das Orchester muss in gleicher
Weise characterisiren: bei Bach durch feine Zeichnung, scharfen
Strich, knappen Ton ; bei Händel durch grosse Malerei, derben Strich,
vollsaftigen, breit hinströmenden Klang.
Die „Passion" wie der „Messias" wurden in der Stadtkirche
— 211
auf gefühlt. Das ist der richtige Ort; denn einen Casino-Saal mit
Bajaderen an den Wänden möchte man kanm für die Hochzeit zu
Kana, geschweige für die Kreuzigung Christi als passende Umgehung
halten. In akustischer Hinsicht ist die Form dieser Kirche unge-
eignet; die Sänger standen auf der Emporbühne über dem südlichen
Seitenschiff, während die Hörer im unteren Baum des Langhauses,
auf der nördlichen Emporbühne und im Chor sassen. Wo der Geist
aber mit feurigen Zungen redet , wie in diesen Werken , da ver-
schwinden die akustischen Mängel vor der gewaltig erregten Fan-
tasie. Die Darstellung der „Passion" ist im Ganzen schwieriger wie
die des „Messias", weil sie mehr detaillirte Zeichnung von den ein-
zelnen Sängern wie von dem Chor (der selbst verschiedene Rollen
eu singen hat) verlangt. Obgleich das Werk schon mehrere Jahre
hinter einander wiederholt einstudirt wird , fehlt noch die Ueber-
zeugung, welche eine genaue Characteristik zu geben vermöchte.
Meist liegt es an den Einzel-Sängern, welche diese Partien zu flüch-
tig lernen, zudem bei dem täglichen Opern -Quodlibet nicht mehr
den rechten Ernst behalten. Der „Messias" gelingt meist besser,
weil die Einzel -Sänger weniger Einfluss auf den Character des
Ganzen haben. Sie sind nur Tbeile des Chors, keine bestimmten
Personen mit ausgeprägten Zügen, wie in der „Passion". Der Sänger
findet sich besser in den Geist des Stücks und geht mit dem ge-
dämmten Chor in einer gemeinsamen Stimmung auf. Der „Messias"
macht desshalb mehr den Eindruck des Abgeschlossenen, Fertigen,
wie die „Passion ,* weil in all diesen Aufführungen der Chor den
Hittelpunkt bildet und dieser seit Jahren bei Mangold in guter
Schule war.
Solche Werke werden hier vom Publikum mit grossem Interesse
Aufgenommen, man sieht es an der Betheiligung — der „Messias"
wurde zweimal in einer Woche aufgeführt — wie an den Urtheilen
der Einzelnen. Es ist fast zu verwundern , weil das Theater für
die Bildung eines richtigen Urtheils wenig thut. Im Ganzen lebt
«her ein gesunder Sinn in der Bevölkerung , der selbst durch eine
schlechte geistige Leitung nicht verfälscht werden kann. Bach und
Händel sind den Darmstädtern geistiges Eigenthum geworden , und
wenn das die Kunst zu Stande bringt, dann hat sie was geleistet.
Heinrich Becker.
CORRESPONDENZEN.
- — ooo —
Literatur.
König Thamos. Verbindender Text zur Musik von
W. A. Mozart. Nach Philipp von Gebler's Drama
von Gisb er t Freiherr v. Vinke. Frankfurt a/M.
1866, bei Mahlau & Waldschmidt.
In einem Frankfurter Museumsconcert kam am 5. Januar d. J.
die Musik zu dem Gebler'schen Drama „König Thamos," mit ver-
bindendem Text von Freiherrn v. Vinke zur Aufführung und zwar
mit dem besten Erfolge. Das Gebler'sche Stück war seinerzeit in
Wien durchgefallen, und Mozart schrieb desshalb an seinen Vater:
„Es thut mir recht leid, dass ich die Musique zum „Thamos" nicht
werde nützen können. Dieses Stück ist hier, weil es nicht gefiel,
unter den verworfenen Stuckert, welche nicht mehr aufgeführt werden.
Es inüsste nur bloss der Musik wegen aufgeführt werden und das
wird wohl schwerlich geschehen. Schade ist es gewiss." — - Mozart
scheint also diese Composition selbst hoch gehalten zu haben, und
um sie vor gänzlicher Vergessenheit zu bewahren, legte er den Chören
lateinische Texte unter und machte Kirchenstücke daraus , welche
unter dem Titel „Hymnen" gedruckt worden sind. Ausser den
Chören hatte Mozart zu dem Drama vier Instrumentalstücke und ein
Melodram geschrieben, welche sämmtlich bis zur erwähnten Auffüh-
rung in Frankfurt im Schoosse der Vergessenheit begraben lagen.
Um so grösser ist das Verdienst des Vereins, der das schöne Werk
wieder an's Licht rief, und Hrn. v. Vinke's, des Dichters des ver-
bindenden Textes, welcher in schöner, fliessender Sprache und mit
verständnissvoller Erfassung der Handlung recht wirksam und voll-
kommen zweckentsprechend geschrieben ist. Text und Musik zu
»König Thamos" sind durch C. A. Andre in Frankfurt a. M. zu
beziehen.
Ans Stuttgart.
Mitte Deeember.
Endlich ist der Concertsegen gehörig in Fluss gekommen, und
dem Berichterstatter von dem leidigen Stoffmangel geholfen. Zuuächst
haben wir wieder ein „Mozartconcert" zu erwähnen , wie es der
Orchestervereiu durch seine specielle Tendenz wie durch den Ge-
schmack seiner Abonnenten jährlich zu geben verpflichtet ist. Dies-
mal hörten wir die Ouvertüre' zur „Gärtnerin aus Liebe , K deren
Partitur Hr. Jahn in Bonn gefälligst hergeliehen hatte, die D-dur-
Sinfonie ohne Menuett, zwei recht hübsche Märsche, ein Violincon-
cert in D-dur, von Hrn. v. Besele mit grosser Fertigkeit vorge-
tragen,' und zwei Arien aus „Titus" und „Idomeneo," von Fräulein
Schüttky mit grossem Beifall gesungen, obschon das Accompagne-
ment des Gesanges noch die schwache Seite des Orchesters ist;
insbesondere bringen die Herren Bläser noch kein genügendes Piano
zu Stande; dagegen klappten die Orchesterstücke ganz prächtig,
und kam das Meiste recht deutlich heraus.
Im dritten Abonnements -Concert hörten wir als Novität eine
„Orchester - Serenade" von Ignaz Brüll, einem jungen Tonsetzer
aus Wien, und freuten uns herzlich an derselben; sie ist klar, be-
scheiden und doch edel gehalten, reich an feinen Details und zeugt
von glücklicher Erfindungsgabe und grosser Geschicklichkeit. Der
Styl hält etwa die Mitte zwischen Gade und Schumann. Die Auf-
nahme hätte im Allgemeinen wärmer sein dürfen. — Frau El 1 i n g er
sang die grosse Arie der Vitellia mit obligatem Bassethorn (Herr
Meyer) ganz vortrefflich ; besonders besitzt sie eine schöne Tiefe
und hätte das neufranzösische Coquettiren mit den sogenannten auf-
gesetzten Brusttönen nicht nöthig. Hr. Hofmusikus Franz zeigte
seine bedeutende Virtuosität auf dem Hörne in einem Concerte von
Fr. Kiel, in dessen nichtssagenden Phrasen wir aber keine Spur
eines Beethoven'seheu Styles erkennen konnten, zu dessen berufenen
Kachbildner man diesen Tonaetzer schon stempeln wollte. Mendels*
sohn's A-moll-Sinfonie war eine Meisterleistung unseres Orchesters,
und constatiren wir gerne , dass Eckert gerade Mendelssohn'sche
Werke , für welche ihm die lebendige Tradition zu Hilfe kommt,
musterhaft vorzuführen weiss.
In der Stiftskirche fand eine Aufführung des „Vereins für clas-
sische Kirchenmusik" statt, worin Orgelstücke von Bach und Men-
delssohn , Vocalsätze von Graun, Caldara, Händel und Faisst, dann
Scbumanu's Requiem zu Gehör kam, letzteres allerdings nur mit
Orgelbegleitung, was die rechte Wirkung ziemlich beeinträchtigte.
Auch schien die fromme Mehrzahl der Zuhörerschaft von solch*
geistreicher, gar nicht nach ihrem Sinne kirchlicher Musik wenig
erbaut zu sein, und die gute Absicht Faisst's, durch neuere Werke
seinen Programmen wieder mehr Interesse zu verleihen, schnöde zu
verkennen. Die Ausführenden zeigten mit Ausnahme einer Conser-
vatoriumsscbfilerin , Frl. Hartmann aus Ingelheim , welche die
Sopransoli mit Sicherheit und Verstau dniss sang, noch wenig Ver-
trautheit mit Schumann's Styl. Der Chorsopran klang besonders
mager und schneidend, dagegen ist der Bass recht tüchtig und hat
an Obertribunalrath Köstlin einen Führer, dessen Eifer nicht hoch
genug anzuschlagen ist.
Ein ausgewähltes, geladenes Publikum versammelte sich in der
Matinee des Hrn. L. Dill, vormal. bad. Amtsrichter , von dessen
zahlreichen Ciaviersonaten Hr. Brüll zwei und Hr. Pruckner
eine vortrug, indessen Hr. Schüttky einige hübsche Lieder von
Gordigiani sang. Durch das treffliche Spiel beider Pianisten kamen
die interessanten Partien, die hübschen Einfälle, sowie der eigen-
tümliche Gesammtstyl der Dill'schen Geisteskinder zu möglichster
Geltung, und that das dariu theilweise noch enthaltene Unfertige
oder Fremdartige der allgemeinen Befriedigung keinen Eintrag.
Endlich ging PresseTs langerwartete Oper „Der Schneider von
Ulm" über unsere Bühne , entpuppte sich aber lediglich als ein
Singspiel von stark schwäbischer Localfärbung , mit vielem Dialog
und Melodram, kurzen und wenig bedeutenden Vocalsätzen, jedoch
immerhin eiuigeu wirksamen Scenen, wie z.. B. der Traum und das
Schlnsstableau ; im Allgemeinen gleichen sich Handlung und Held
darin, dass sie beide nicht vom Flecke kommen. Was die Musik
— 212 -
"betrifft , so bedauern wir amstprechen zu müssen, dass der sonst
tüchtige Componist darin gegen seine „Johannisnacbt 11 einen be-
denklichen Rückschritt gemacht hat, und wünschen ihm bald einen
glücklichen Stoff zu einer gelungeneren Eutfaltung seiner Kräfte.
Das 4. Abonuementconcert am Christfeste hatte diesmal ein fast
durchweg interessantes Programm , in lobenswerthem Widerspruch
mit der bisherigen Tradition, welche dem grösseren Publikum an
diesem Abend entweder nur Geistliches oder allzu Populäres und
Abgedroschenes bieten zu dürfen glaubte. Wagner's Faust-Ouvertüre,
meisterhaft ausgeführt, fand den Beifall aller von Vorurtheilen Un-
abhängigen; Beetkoven's Pastoral -Sinfonie wurde begeistert aufge-
nommen, ebenso das Loreley-Finale von Mendelssohn, obschon Fr].
Ehnn mit dem Solopart eine ihre schönen, aber noch der Schonung
bedürfenden Mittel weit übersteigende Anstrengung übernommen
hatte ; auch der kleine Chor war gegen die Orchestermasse fast un-
hörbar. Hr. W. Speidel spielte das Beetboven'sche Clavierconcert
in C-dur mit grosser Sauberkeit und Eleganz, und freuten wir uns,
auch dieses, wo nicht tiefe Auffassung, doch .classische Durchbildung
erheischende Werk wieder einmal zu hören. T.
Hf » «3 li r i • h t e ii.
CÖlD. Das 5. Gesellschafts -Concert im Gürzenich fand unter
Ferd. Hiller's Leitung am 18. Dezember, dem Geburtstage Carl
Maria von Weber's statt und war der Feier dieses in seiner Art
unvergleichlichen Meister'« gewidmet, indem das ganze Programm
aus Compositionen von Weber bestand. Die erste Abtheilung ent-
hielt die Ouvertüre zu „Oberon" mit dem ersten Elfenchor, Scene
und Arie der Agathe aus dem „Freischütz," und die Cavatine:
„Glöcklein im Thal©" aua „Euryanthe ," sowie die Lieder: „Das
Mädchen an das Schneeglöckchen" und „Unbefangenheit" (sUrnmt-
licbe Gesaugatücke von Frl. Emilie Wagner aus Carlsruhe in
vortrefflicher Weise vorgetragen), das Concertstück in F-dur für
Ciavier und Orchester und Adagio und Scherzo aus der As-dur-
Sonate, vorgetr. von Frau Clara Schumann, und endlich die
Freischütz-Ouvertüre. Die zweite Abtheilung füllte die vollständig«
Musik zu „Preciosa" mit verbindenden Worten von C. O« Stern au,
welche von Frau Ernst vom hiesigen Stadttheater in meisterhafter
Weise gesprochen wurden, aus. Frl. Waguer sang das Lied der Pre-
ciosa, und die ganze Aufführung sämmtlicher Tonwerke war eine
vorzügliche und hohen Genuas gewährende.
Wien. Am 17. Dez. Abends fand im Saale des Hotel Munsch
ein Bankett zu Ehren des gefeierten Tonmeisters Hector Berlioz
statt, zu welchem sich eine Anzahl seiner Verehrer, theils Künstler,
theils Kunstfreunde eingefunden hatte. Der Fürst Czartoryski
brachte den ersten Toast auf den Gefeierten aus und hegrüsste den-
selben in französischer Sprache und in vortrefflichen Worteu im
Kamen der Gesellschaft, indem er seinen Verdiensten als Componist,
insbesondere als Reformator der Instrumentirung, sowie als Kritiker
und nicht minder seinem edlen Character gebührende Anerkennung
aussprach, worauf Berlioz das Wort nahm und seinen Dank für die
warme Aufnahme, die er iu Wien gefunden, ausdrückte. Fürst Czar-
toryski brachte einen weiteren Toast auf die bei Berlioz's Concert
betheiligten ausübenden Künstler, Herbeck und Ella wieder auf
Berlioz und dann folgte ein humoristisch gehaltener Spruch Herbeck's
auf die Armee der Musiker und deren Anführer. Auch Frl. Bettel-
heim Hess sich iu deutscher und französischer Rede vernehmen,
worauf Berlioz noch den Musikern und Säugern Dank sagte. Bis
zur Morgenstunde blieb die Gesellschaft versammelt, und Vorträge
des Pianisten Leopold v. Meyer, sowie der Frl. Bettelheim
und des Hrn. Gustav Walter trugen zur Veiberrlichung des
schönen Abends wesentlich bei.
Brüssel. Das dritte populäre Concert des Hrn. Samuel war
wieder vou grossem Erfolg begleitet. Man gab eine Sinfonie von
Lassen, welche das Publikum sehr günstig stimmte. Die Fest-Ou-
vertüre von R. Volkmaun machte ebeufalis grosse Wirkuug, Nach
diesen geräuschvollen Musikstücken erschien Haydu's „Ariadne auf
Naxos" wie eiu Sonnenblick aua gewitterschwerem Himmel. Ein
Frl. Hanna Stern berg trat in der Partie der Ariadne zum ersten
Haie vor das Publikum und erzielte einen glänzenden Erfolg. Fr.
Lachner ist durch seine Suiten der Liebling der Brüsseler Musik-
freunde geworden. Das Scherzo aus einer seiner Sinfonien, welche»
in diesem Concert aufgeführt wurde, erregte emen Sturm von Applaus
und musste wiederholt werden. ^
^- *
Amsterdam. Der „Niederländische Verein zur Beförderung der
Tonkunst" hat seine 37. Generalversammlung dabier gehalten, und
wir sehen aus dem veröffentlichten Berichte über dieselbe, dass die
Einnahmen des letzten Vereiusjahres 8578 fl., die Ausgaben 853$ 4*
betrugen ; der Reservefond besitzt 51,600 fl., der Künstler- Wittwen-
fond 28,300 fl. und der Musikfestfond 23,900 fl. Der Verein zählt
15 Abtheilungeu mit 1831 coulribuirenden Mitgliedern^ darunter
100 Künstler. Ausserdem gibt es 37 Ehren - und 40 correspondi-
rende Mitglieder. Die Vereinsbibliothek enthält bereits mehr als
2000 Tonstücke, Bücher und Manuscripte. Die Musikschulen de»
Vereins zählten im Jahre 1865/66 779 Zöglinge, die Gesangvereine
809 Mitglieder. Die Abtheilungen haben in demselben Jahre 37
grössere Tonwerke aufgeführt. — Es werden für das beginnende
Vereinsjahr drei verschiedene Preisaufgaben für kunstgeschichtliche
Arbeiten und Musikcompösitionen aufgestellt. — Dem Stifter des
Vereins, Hrn. A. C. G. V e r m e ul e n iu Rotterdam, wird beim
Niederlegen seiner Stelle als allgemeiner Secretär im Namen des
Vaterlandes und des Vereins der innigste Dank für seine 37jährigen>
erfolgreichen Bemühungen für den letzteren ausgesprochen und be-
schlossen, dass sein Name als »Stifter des Vereins" stets oben an»
dem Namensveraeichniss der Ehrenmitglieder stehen, bei etwaiger
Auflösung des Vereins der immer fortbestehende Künstlerfond den
Titel „Vermeulen-Htiftung" annehmen, und ihm ein calligraphischea
Diplom dieser Beschlüsse im Namen des Vereins überreicht werden
soll. An seiner Stelle wird Hr. Dr. J. P. H e i j e in Amsterdam
zum allgemeinen Secretär und Bibliothekar ernannt. Die nächste
Generalversammlung findet im Juni 1867 zu Arnheim statt, woselbst
zugleich ein zweitägiges Musikfest nebst Congress abgehalten wer-
den soll, und bewilligt der Verein hiezu die Summe von 3500 fl.
Paris. Joachim hat Paris verlassen, nachdem er noch im»
Athenäums-Concert die Teufels-Sonate von Tartini und das Concert
von Mendelssohn gespielt hatte. Die Sonate rief einen solchen
Enthusiasmus hervor, dass man das letzte Stück derselben stürmisch-
dacapo verlangte; statt dessen trug Joachim die Gavotte aus der
sechsten Violinsonate von J. S. Bach vor, welche man ebensogerne
hätte wiederholen hören. Der unübertreffliche Geiger spielte auch
das Violinsolo in dem Benedictus der grossen Messe, welches in
leidlich guter Weise zu Gehör gebracht wurde.
— Die Conservatoriums-Concerte haben begonnen. Das erste
derselben brachte: B-dur- Sinfonie von Beethoven; Elfenchor aus
„Oberon" von Weber; Adagio und Scherzo aus der Sinfonie-Can-
tate von Mendelssohn; Chor von Gounod ; Sinfonie in G-dur von
Haydn. H a i n l dirigirte. Für die folgenden Concerte wird unter
Anderem auch das Vorspiel zu den „Meistersingern von Nürnberg' 1
von R. Wagner vorbereitet.
— Die Pianisten Gebrüder T h e r n sind hier eingetroffen und
beabsichtigen Concerte zu geben.
*** Die Mozart-Stiftung in Frankfurt a. M. Dem
28. Jahresbericht des Verwaltungs- Ausschusses dieser Stiftung ent-
nehmen wir Folgendes: Der Vermögensstand der Stiftung ist in
diesem Jahre auf die Summe von 50,366 fl. 25 kr. herangewachsen.
Die Statuten verlangen, dass bei Erreichung eines Vermögensstande»
von 60,000 fl. mit einem jährlichen Zinsertrag von 2000 fl. , ein
Conservatorium gegründet werden solle. Der Verwaltungsrath hat
aber in Anbetracht der Unausführbare it dieser Bestimmung, die er
gleichwohl nicht einseitig aufheben hann, da der Senat von Frank-
furt die Statuten sanctionirt hat , einen Bericht eingereicht, über
dessen Erfolg bei der veränderten politischen Lage Frankfurts erst
später eine hoffentlich befriedigende Mittheilung wird gemacht wer-
den können. — Der jüngste Stipendiat der Stiftung, Leonhard
W o t f f von Crefeld , setzt seine Studien unter der Leitung seines
Meisters, Ferd. Hill er in Cöln, mit Eifer und sichtlichem Erfolge
fort und wird im Winter auch noch in Brüssel den Unterricht
Leonard 's benutzen, während Hiller Beine Compositionsstudier*
fortwährend überwachen wird.
Verantw. Red. Ed. Föckerer. Druck v. Carl Wallau, Mainz.