-3 *&,
BEIHEFTE
DEB
1NTERNATI0NALEN ZE1TSCHRIFT FUR ARZTLICHE PSYCHOANALYSE
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DK.SIGM. FREUD.
ERSTES BEIHEFT. 1914
UIBEf .USSTES GEISTESLEBEN.
s
VORTRAG, GEHALTEN" ZUM 339. JAHRESTAG DER
LEIDENER UNIVERSITAT AM 9. FEBRUAR 1914
VOM
HECTOR MAGNIFICUS
G. JELGERSMA
PROFESSOR DER PSYCHIATRIE
/
~ y 1914
HUGO HELLER & CLE*
LEIPZIG UND WIEN, I. BAUflRNMARKT 3
PRE1S FURA&ONNENTiN DER »1.Z.F.A.PS.« M.I.- EINZELPREIS M. 150
L
wissfl
JELG-EKSMA
MBEWUSSTES GEISTESLEBEN
L
►»-'.*--»."
BEIHEFTE
DER
INTERNATIONALEN ZEITSCHRIFT FUR ARZIUCHE PSYCHOANALYSE
HERAU8GEGEBEN VON PROP. DR. SIGM. FREUD.
ERSTES BEIHEFT.
=^ 1914.
UIBEf USSTES GEISTESLEBEK
VORTRAG, GEHALTEN ZUM 339. JAHRESTAG DER
LEIDENER UNIVERSITAT AM 9. FEBRUAR 1914
VOM
RECTOR MAGNIFICUS
G. JELGEESMA
PROFESSOR DER PSYCHIATRIE
1914
HUGO HELLER & GEE.
LEffZIG DND WIEN, I. BAUERNMARKT 3
AUe Rechte vorbehalten.
Copyright.
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
r
K. u. E. Hofbuchdruckerei Karl Prochaska, Teachen.
Vorwort.
Lesystemede Freud paraitconstituer
quoi qu'on en dise, un des plus im-
portants mouvements scientifiques de
l'epoque psychologique actuel.
Regis. Encephale. Avril 1913. pag. 357.
Der Inbalt meiner Rektoratsrede erseheint bier in deutscber Uber-
setzung. Wiewohl die Lebre Freuds in seiner Heimat in akademiseben
Kreisen mir sehr bedingten, man konnte vielleicbt sagen iiberbaupt keinen
Beifall findet, so werden in aufierdeutscben Landern immer mebr Stimmen
laut, die vie! Gutes daran zu loben finden.
Vorliegende Rede gibt nichts Neues, sie spricbt nur eine Uberzeugung
aus, die ich mir auf Grund dreijabriger wissenscbaftbcber Untersuebungen
iiber den Traum gebildet babe. Im wesentlicben kann icb die Resultate
Freuds, wie diesein seiner „ Traum deutung" niedergelegt sind, bestatigen.
Diese Untersuebungen erscbeinen mir von fundamentaler Wicbtigkeit fiir
die Auffassung der bysteriscben, psyebastheniscben und vielleicbt auch der
paranoiscben Symptoms.
Skeptiscber stebe icb den erreichten therapeutiscben Resultaten
gegenuber. Die Zeit ist jedenfalls nocb bei weiteni niebt da, sicb bieriiber
mit einiger Sicberbeit ein Urteil bilden zu konnen. Nur dieses eine
kann man ganz im allgemeinen sagen, dafi jedes bessere Verstiindnis
eines patbologiscben Prozesses notwendigerweise jeder tberapeutischen
Beeinflussung desselben vorangeben mufi.
Die breite Briicke, welcbe den Traum mit den deliranten Symptomen
im weitesten Sinne verbindet und die von jeher erkannt worden ist,
findet durch die klassiscben Untersuebungen Freuds iiber diesen Gegen-
stand ibre Erklarung.
Leiden, 4. Mai 1914.
G. Jelgersma.
__ __ -
■
t
'
Hochverehrte Yersammhing!
An diesem Festtag zur Feier des Jahrestages der ruhmvollen Lei-
dener Universitat folgt der Rector magnificus der herkommlichen Gewohn-
heit und halt einen Vortrag iiber einen Gegenstand aus einem speziei-
len Fach.
Er soil dabei der doppelten Anforderung gerecht werden, daB das-
jenige, was er sagt, allgemein verstandlich sei und womoglich allge-
meines Interesse errege. Es ist, als horte man die Aufforderung : Ihr
Fachgelehrte, die ihr in einem kleinen Teil der Wissenschaft eine wick-
tige Stellung erworben habt, zeigt nun einmal am Jahrestage eurer
Hochschule, dafi das Studium eures Faches noch etwas mehr ist als
dunkle Gelehrsamkeit allein und daB es eine Seite hat, welche mit groBen
menschlichen Fragen, wie siejedem denkenden und fiihlenden Mensehen
Interesse emflofien, zusammenhangt. Ob ich diese doppelte Anforderung
werde befriedigen konnen, kann nur der Inhalt meiner Rede zeigen.
Ich mbchte heute sprechen iiber:
UnbewuBtes Geistesleben.
Unser Geistesleben baut sich auf aus Reihen von sich folgenden
und sich kreuzenden Gedanken, Handlungen und Empfindungen. Sie
bilden das Ganze unseres Geistes und werden von uns gewufit, d. h. wir
wissen, daB ein bestimmter Gedanke in uns vorhanden ist, anders aus-
gedrucktj er ist uns bewuBt. Die Psychologie, die wissenschaftliche
Kenntnis des menschlichen Geistes, hat man also auch wohl genannt die
Kenntnis der BewuBtseinserscheinungen, indem man dabei stillschweigend
annahm, daB Geisteserscheinungen immer gewufit werden und also BewuBt-
seinserscheinungen sind. Diese Auffassung wird von verschiedenen Psyeho-
logen verteidigt. Ware sie richtig, so hatte meine jetzige Rede keinen
10 Gt- Jelgersma:
Sinn, da nicht gewufite Geisteserseheinungen nicht bestehen wlirden.
Dafi dies wohl der Fall ist hoffe ich in meinem Vortrag darlegen zu t
konnen.
Wenn wir unsere Aufmerksamkeit irgend welchem geistigen Gesche-
hen zuwenden, so ist dies in jenem Augenblick das einzige, was in un- >
serem Beymfitsein vorhanden ist. .Neben dem einzelnen, das uns beschaf-
tigt, besteht noch eine grofie Anzahl von Gedanken, Empfindungen und
Handlungen, die wir in jenem Augenblick nicbt wissen, denen aber doch
ein psychiscber Charakter nicbt abgesprocben werden kann. Das hat man
wohl immer eingeseben und man hat diese geistigen Prozesse latente Seelen-
vorgange genannt, weil sie dieEigenschaftzeigen, jeden Augenblick inner-
halb der Sphare des Bewufitseins gebracht werden zu konnen, obgleich
sie nicht bewufit waren, Unsere gewohnliche von Augenblick zu Augen-
blick fortschreitende Ideenassoziation tut nichts anderes als unbewufite
Geistesprozesse bewufit machen. Hiermit ist im Prinzip schon angedeutet,
dafi es unbewufite Seelenvorgange gibt.
Durch allerlei Obergange ist dieses zufallig Unbewufite mit dem
bleibend Unbewufiten verbunden, Aus Erfahrung wissen wir, dafi es nicht
immer leiebt ist, diese latenten Geistesprozesse bewufit werden zu lassen.
Wenn wir etwas vergessen haben, gelingt dies oft nicht, wie sehr wir
uns auch anstrengen. Plotzlich, gleichsam von selbst, kann es uns ein-
fallen. Dann verrichtet die automatische Ideenassoziation, was dem
bewufiten Suchen unmoglieh war, und der gefundene Gedanke war mehr
unbewufit und wurde weniger gut gewufit als der, weleher durch das
willklirliche Suchen gefunden werden kann.
Wir konnen aber dem Unbewufiten noch einen Schritt naher kom-
men. Aus unserer Jugend sind zahllose Erinnerungsbilder ftir uns ver-
loren gegangen. Wie wir uns auch besinnen und wie unerwartet dann
und wann eine Jugenderinnerung aus dem Nebel des Unbewufiten auf-
taucben moge, der grofiere Teil scheint unwiderruflich verloren, Wenn
wir aber den Ort unserer Jugend besuchen und in der Lage sind, die-
selben Wahrnehmungen von friiher zu machen, so werden wieder zahl-
lose Erinnerungsbilder wach, die anscheinend ganz aus unserem Geiste
verschwunden waren, die also in hohem Grade den Charakter des Unbewufiten
hatten, aber in psychiscber Hinsicht noch nicbt vollig vernichtet waren.
t
Hier liegt also der Fall vor, dafi nicht unser willkurlicher Gedanken-
gang oder die automatische Ideenassoziation unbewufite Geistesprozesse
DnbewuBtes Geistesleben. \l
bewuBt macht, sondern dafi die Wahrnehmung dies tut. Wir sind in
diesem Falle gewohnt, nicht mehr von einem Erinnerungsprozefi zu
sprechen, sondern nennen es Wiedererkennung, was ein mehr elemen-
tarer und deshalb intensiverer Seelenvorgang ist als die Erinnerung, wie
schon eine oberflachliche Betrachtung zeigt.
Unser willkiirlicher Gedankengang, unser automatisches Denken und
die gewohnliehe Wahrnehmung sind also Anreger oder, wie man es nennen
mochte, Bewufitmacher von unbewufiten Geistesprozessen, und zwar in
solcher Weise, dafi das willkurliche Denken, trotz der anstrengendsten
Geistestatigkeit die schwachste anregende Kraft hat, wahrend die gewohn-
liehe Wahrnehmung der kriiftigste Wecker von Erinnerungsbildern ist.
Dieses aus unserer tagliehen Erfahrung leicht herauszufindende Prin-
zip wird dureh das Studium der Pathologie auf vielerlei Weise bestatigt.
Ein Beispiel aus vielen moge dies naher beleuehten,
Infolge von Krankheitsprozessen im Gehirn kann die Sprache ver-
loren gehen. In den leichteren Fallen dieser Art ist das willkiirliche
Sprechen unmoglich geworden, wahrend die Worte noch wohl nach-
gesprochen werden konnen. Dies heifit, dafi die Worter nicht gefunden
werden konnen, wenn die Person eifrig und willkiirlich danach sucht
und sie durch geistige Anstrengung zu finden trachtet, dafi sie aber zum
Vorschein kommen, wenn sie vorgesprochen werden ; mit anderen Worten :
das geistige Wortbild erscheint nach einer Wahrnehmung. Ganz verloren
war es also nicht, aber es war dermafien unbewufit, dafi nur ein Wie-
dererkennungsprozefi zu stande kommen konnte. In den schweren Fallen
ist aber auch der Wiedererkennungsprozefi nicht mehr moglich.
Aus diesen einleitenden Bemerkungen diirfen wir also schliefien, dafi unsere
Geistesverrichtungen einen sehr verschiedenen Bewufitseinsgrad haben.
Die hochsen Bewufitseinsprozesse sind diejenigen, womit wir in einem
bestimmten Augenblick mit Aufmerksamkeit beschaftigt sind ; danebe n
besteht eine grofie Menge von Vorstellungen, die unter gunstigen Ver-
haltnissen jeden Augenblick bewufit werden kann, wahrend eine nicht
weniger grofie Anzahl die Fabigkeit des Bewufitwerdens ganzlich oder teil-
weise verloren hat. tfber diesen unbewufiten, diesen nicht gewufiten
Teil unseres Geisteslebens mochte ich in diesem Vortrag etwas mitteilen.
Dabei mufi ich mich auf einige fliichtige Andeutungen beschranken und
kann auch keine Tjbersicht geben iiber die vielen Arten, in denen sich
dieses unbewufite Geistesleben aufiern kann. Wir linden es in unseren
12 G. Jelgersma:
stereotypen Ausdriicken, in unserem Vergessen, in unseren Handlungen
und Fehlhandlungen, wie im Versprechen, im Fehlgreifen, in unseren
Irrtiimern, ja, wo finden wir es nicht?
Wir finden es aber namentlich in unseren Traumen, die wie F r e u d es
ausdriickt, die „via regia" zum Unbewufiten sind. Ich will als Ausgangs-
punkt das nun schon vor mehr als 10 Jahren erschienene Buch von
Freud nehmen, von dem man jetzt erst allmahlich einzusehen anfangt,
dafi es klassiscbe Bedeutung bat.
Meine Ubersichi entbalt nur einige Hauptpunkte, die ich selbst babe
feststellen konnen, und liber die ich ein auf Erfahrung fufiendes Urteil
abgeben kann.
Dabei mufi ich im voraus um Entscbuldigung bitten, dafi icb dann
und wann iiber mich selbst sprechen mufi. Dies ist keine Eitelkeit son-
dern wird von dem begreiflicben Umstand geboten, dafi man seine eige-
nen Traume am besten weifi und dafi dies scbliefilich das einzige Stu-
dienmaterial ist, wovon man ausgehen darf.
Der Traum ist eine Geisteserscbeinung, die schon jahrbunderte-
lang das Interesse der Menscbbeit auf sicb gezogen hat, wenigstens so
lange, aber wabrscheinlicb viel langer, als der Mensch iiber sich selbst
nacbgedacbt hat. Dennoch mufi man erkennen, dafi das wissenscbaft-
liche und systematiscbe Studium der Traumfrage noch von jungem Datum
ist. Im Altertum bestand allgemein die Auffassung, dafi der Traum eine
weissagende Bedeutung babe. Joseph teilte Pharao mit, dafi der Traum
von den sieben mageren Kuhen, welche die sieben fetten versehlangen,
die Bedeutung habe, dafi die sieben bevorstehenden Jahre von schlechter
Ernte den Vorrat der sieben vorhergehenden fruchtbaren Jahre aufzehren
wiirden. Zahllose ahnliche Beispiele aus dem Altertum und auch aus
der neueren Geschichte zeigen, dafi der Glaube an die weissagende Bedeu-
tung des Traumes allgemein verbreitet war.
Diese weissagende Kraft besteht gewifi nicht, sondern wie jede
andere Geisteserscbeinung findet der Traum seinen Ursprung in der Ver-
gangenbeit. Nach unserer Auffassung hat Joseph Pharaos Traum durcb-
aus nicht erklart, sondern er bat hochstens mehr oder weniger wabr-
scbeinlicbe zukunftige Ereignisse in kluger Weise in einen Traum zu
verkorpern gewufit.
Verschiedene Analoga des gesunden und kranken Geisteslebens sind
mit Recbt schon langst festgestellt. Treffend ist die Ubereinstimmung
UnbewnBtes Geistesleben. ^3
mit den deliranten Erscheinungen, wo dieselben Anhaufungen von Hallu-
zinationen und Wahnideen mit Beschrankung der Bewufitseinshohe und
demzufolge mit mangelhafter Erinnerung fiir die Zeit des Delirs, beob-
achtet werden. Der Traum ware also, woriiber man schon lange einig ist,
ein Verwirrtheitszustand, ein Delir, aber inmitten des gesunden Geistes-
lebens. Nie ist es aber vorher gelungen, sich von dieser Verwirrtheit
auch nur einigermaBen Kechenschaft zu geben, sie nur einigermaBen zu
verstehen und ebensowenig wie beim Delir bat man die Ordnung in
der Unordnung des Traumes finden konnen.
Im Traum kommen nur einfache Geistesprozesse zur Aufierung,
so einfacb, daB sie an sich nur einen geringen Grad des Bewufitseins
besitzen.
Es wird im Traum nicht verniinftig geredet, der Traumer halt im
Traum keine Beweisfuhrung, tate er dies, so wiirde er kein Traumer
mehr sein. Wenn in einem Traum mit Zahlen gerecbnet wird, ist dies
regelmafiig falsch, das Reebnen richtet sich nicht nach arithmetischen
Regeln. Zuweilen jedoch noch wohl nach sehr einfachen. 15 und 16 ist
1516, kam einmal in meinen Traumen vor, ich sah es geschrieben stehen.
Mit dieser Einfachheit des Traumlebens stimmt liberein, daB fast aus-
schliefilich Gesichts- und Gefuhlseindriicke als Ausdrucksmittel gebraucht
werden. Im Traum wird alles gesehen und gefuhlt, es sind kaleidosko-
pische Bilder, die an unseren Augen vorbeiziehen ; wir erleben Situatio-
nen und diese konnen sehr unlogisch und verwirrt sein. Gehorwahrneh-
mungen und Sprechen kommen viel weniger in unseren Traumen vor
und in diesen wenigen Fallen sind es Kopien von dem, was wir in den-
selben Worten gehort oder selbst gesprochen haben. Es sind keine im
Traum selbst erdachten Worter. Auch dieser Umstand weist auf die gei-
stige Einfachheit des Traumes hin. Das Gehor und das Sprechen sind
diejenigen organisehen Funktionen, worin unser kompliziertes Gedanken-
leben vorzugsweise und fast ausschlieUlich sich aufierst. Unser Denken
ist wie schon Plato wufite, das stille Sprechen und gedacht wird im
Traume nicht. In Gesichts- und Gefiihlsbildern dagegen verlauft unser
einfaches Erinnerungs- und Vorstellungsleben, Ereignisse, die ohne Zweifel
von einem heftigen Gefiihle begleitet sein konnen, die aber nie einen
zusammengesetzten intellektuellen Charakter an sich tragen.
Weiter sind im Traum Gemiitserregungen sehr vielfach. Furcht, Angst,
Freude, weniger oft Argwohn, Mifitrauen, Stolz finden sich im Traum;
-^4 Oi. Jelgerama :
es soil auch hier wieder hervorgehoben werden, dafi es einfache Gemiits-
erregungen sind; ethische und asthetische Gefiihle kommen im Traum
kaum vor. Der Traum ist absolut egoistisch, das Ich spielt die leitende
Rolle und das iibrige gruppiert sich als Beiwerk um die eigene Person
herum.
Die Einfachheit der Gemiitserregungen im Traum schliefit aber ihre
Heftigkeit nicht aus; Angsttraume kommen oft genug vor. Dies ist gerade
so wie imiwachen Leben, wo Beschranktheit der Geisteskrafte mit hef-
tigen Gemiitserregungen verbunden sein kann, wahrend hohere geistige
Entwicklung eine gewisse Mafiigung und Dampfung der Gemiitserregungen
ergibt.
Diese einfache Bescbaffenbeit der Geistesprozesse im Traum erklart
uns zwei wicbtige Eigenscbaften desselben.
An erster Stelle spricbt der Traum nie Unwahrbeit, was nicbt sagen
will dafi im Traum keine Unricbtigkeiten vorkommen, Um Unwabrheit
zu sprecben ist erforderlich, dafi man uber ein gewisses Mafl von Logik
verfiige, und das besitzt der Traum nicbt. Was im Traum erlebt und
geseben wird, ist eine Abbildung von dem, was in unserem Geiste vor-
handen ist, wiewohl wir es vor uns selbst gern bemanteln mocbten.
Hierdurch wird der Traum ein unbarmberziger Wahrheitssprecber und ein
Darsteller unserer gebeimsten Gedanken.
Wir kommen spater darauf zurtick.
Eine andere Eigenscbaft des Traumes bangt mehr indirekt mitihrer
Einfacbbeit zusammen.
Wir alle wissen, wie scbwer wir uns an unsere Traume erinnern.
Wollen wir dies, so miissen wir den Traum morgens aufschreiben, am
liebsten sogar ihn nacbts uns vergegenwiirtigen und wiederbolen. Dies
ist so stark, dafi es mir passiert ist, dafi ieb nacbts traumte, und als
icb aufwacbte, den Traum analysierte und verstand, wabrend icb mor-
gens beim Erwacben sowobl meinen Traum wie dessen Analyse vergessen
batte. Gewobnlich wissen wir nur Traumstiicke, durch leere Zeitraume
getrennt, von denen uns bewufit ist, dafi etwas darin getraumt wurde. ^
So kommt es vor, dafi wir in einer Nacbt verschiedene Traume
baben, die, wie deren Analyse uns lehrt, zusammenbangen.
Diese scbwache Erinnerung des Traurainhaltes kann wobl nichts an- )
deres sein als die Polge der Lockerheit oder der geringen Anzabl
seiner assoziativen Yerbindungen mit dem Ganzen der Personlichkeii
DnbewaBtes Geistesleben.
15
Der Traum ist, wie man es nennen konnte, eia Anhang zur gegenwar-
tigen Personlichkeit, jedoch ein Anhang, der friiher ein integrierender
Bestandteil derselben war, der aber jetzt mehr oder weniger isoliert
ist, und wir wissen, dafi isolierte Teile der geistigen Personlichkeit imraer
sehr einfach sind.
Das oben Mitgeteilte geht schon aus dem, was uns von unserem
Traum als Bewufitseinsprozefi bekannt ist, hervor. Es handelt sich nun
darum, den Sinn unserer Traume zu entdecken. Was bedeuten unsere
Traume mit ihrem sonderbaren und unlogischen Inhalt? Urn dies zu er-
hellen, bedarf es einer naheren Erorterung.
Wenn wir irgend ein emotionelles Ereignis erlebt haben, hat unser
Geist die Neigung, wiederholt zu jenem Ereignis zuriickzukehren. Wir
empfinden dies am wenigsten, wenn wir aufmerksam mit etwas anderem
beschaftigt sind, aber kaum Iassen wir unseren Gedanken freien Lauf,
so kommen wir wieder unbemerkt mit der erlebten Gemiitserregung in
Bertihrung. Meistens ist dem sogar so, daB andere Geistesbeschaftigungen
erschwert werden, wir schweifen jedesmal ab und werden stets nach
unserer Gemiitserregung hingedrangt. Wenn wir im stillen unseren
Gedanken nachspiiren, indem wir jedes Wort, das uns in den Sinn
kommt, laut aussprechen, so gelangen wir nach kurzer Zeit wieder bei
unserer Gemiitserregung an und auch wenn wir andere dies tun Iassen,
sehen wir dies geschehen und fast jede Gedankenreihe findet darin
ihr Ende.
Urn eine solche Gedankenreihe zu verfolgen, ist die sogenannte freie
Assoziation erforderlich, die jede sich darbietende Vorstellung aufnimmt,
nicht die gebundene Aufmerksamkeit, die einer bestimmten Vorstellung
in ihren Konsequenzen und Folgen nachspiirt. Man mufi also nicht nach-
denken und suchen, sondern nur aufmerksam empfangen. Da wissen-
schaftlich denkende Personen gewohnlich fast ausschlieClich ihre gebun-
dene Aufmerksamkeit geubt haben, im Gegensatz zu Kiinstlern, die
sich jedem darbietenden Eindruck hingeben, scheint es mir, dali letztere
besser fiir Traumerklarung veranlagt sind. Auch Angaben aus der
Pathologie weisen in dieselbe Richtung.
Wenn nun, wie wir spater sehen werden, im Traum die emotio-
nellen Ereignisse und Gedanken unseres friiheren Lebens verborgen sind,
dann ist die Methode der Analyse des Trauminhalts schon im Mit-
geteilten gegeben. Amliebsten in einer ruhigen Umgebung richten wir
I"
lg G. Jelgersma:
unsere Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Stiick des Trauminhalts und
empfangen jeden Gedanken, der sich uns zu diesem Traumstiick dar-
bietei; wir schweifen ab und gewohnlieh kommen wir sebr bald zu
Gedanken, von denen wir die subjektive Gewifiheit haben, dafi sie durcb
das Traumstiick, wovon wir ausgingen, dargestellt werden. Diese sicb
darbietenden Gedanken sind nie gleichgiiltige Dinge, sondern immer
gelangen wir zu Umstanden, die fiir uns wicbtig waren. Wenn wir nun
alle verscbiedenen Traumstiicke nacheinander in derselben Weisebehan-
deln, so kommen wir schliefilich zu einem sebr komplizierten Netz von
Gedanken, Empfindungen und Handlungen, die durcb unser ganzes
Leben verbreitet liegen konnen und die alle in irgend einer Weise mit
dem Trauminhalt im Zusammenbang steben. Daber kommt es, dafi ein
Traum, der in einigen Satzen erzahlt werden kann, der Ausdruck
ganzer Gedankenreiben ist und deren Abbildung darstellt. Freud, der
zuerst diese Methode der Traumanalyse gefunden und bei sicb selbst und
anderen angewandt hat, kam dadurcb zu folgender Unterscbeidung :
Er stellte den Inbalt des Traumes, den sogenannten manifesten
Trauminhalt, den wir wissen, den sogenannten Traumgedanken, die wir jj
nicht wissen, gegenuber. Zur Kenntnis dieser Traumgedanken konnen wir
durch die Analyse des Traumes gelangen, und diese Traumgedanken
betrachtet Freud als die Erreger des Traumes.
Es ist nun in hohem Mafie interessant, diese Traumgedanken mit
dem bekannten Trauminhalt zu vergleichen.
Das erste, was uns auffallt, ist, dafi die gefundenen' Traumgedanken
zusammenhangende Systeme bilden, wahrend dies vom Traum, der die
Abbildung dieser Systeme ist, durchaus nicht gesagt werden kann.
Es gibt aber eine Art von Traumen, die nicht verwirrt sind und
die gewohnlich sofort verstanden werden konnen; dies sind die Traume
von Kindern. Als Knabe liebte ich das Angeln. Ich besafi aber kein Geld,
iim ein neues Fischzeug zu kaufen, wovon ich ein Prachtexemplar in
einem Schaufenster hatte hangen sehen. Ich traumte, dafi ich ein neues
Portemonnaie bekame, und beim Offnen desselben zeigte es sich, dafi es
voll Geld war. Ein solcher Traum erklart sich von selbst. Das Verlangen
nach einem neuen Fischzeug wird im Traum als erftillt dargestellt. So
sind fast alle Kindertriiume beschaffen, der Inhalt des Traumes ist durch
einen bestehenden Gedanken direkt gegeben und die ganze Frage der
Traumerklarung besteht hier kaum. Noch ein anderes Merkmal des
I
I
DnbewuBtes Geistesleben. 17
Traumes, das bei Erwachsenen undeutlich ist, wird durcb dieses Bei-
spiel beleuchtet, Der Kindertraum stellt die Erffillung eines Wunsches
dar. Das Fischzeug, das ich so gern haben mochte, bekomme ich in
meinem Kindertraum. Diesen Charakter der Wunseherfiillung bat nach
Freud der Traum der Erwacbsenen ebensowohl, aber da ist dies mebr
versteckt.
Solche einfaclie Traume kommen ab und zu bei Erwacbsenen aucb
wobl vor. Als Student batte icb morgens um 8 Ubr ein Kolleg in Botanik
und mufite dahin iiber eine balbe Stunde geben. An einem kalten Winter-
morgen, als meine Wirtin micb gerufen batte, traumte icb in meinem
Halbschlaf, dafi icb im Botanikkolleg sei. Wie gefallig ein solcber Traum
docb sein kann!
In der „Traumdeutung" von Freud kommt ein Traum vor, der
fast genau so ist.
Geben wir zu den mehr gewobnlicben Traumen von Erwacbsenen
iiber, dann steben wir vor der Frage, wie es moglicb ist, dafi zusammen-
hangende Gedankensysteme und Neigungen durcb den Traum in so ab-
surder Weise wiedergegeben werden?
Es gibt im Traum des Erwacbsenen Eines, das fast regelmafiig
deutlich ist. Dies ist der Traumanlafi. Dies ist ein Ereignis oder ein
Gedanke, der jenem Tag angehort, der der Traumnacbt vorhergeht.
Dies kann ein kleines und unbedeutendes, aber aucb wobl ein wicbtiges
Ereignis sein, das mebr oder weniger verkappt in den Traum aufge-
nomnien wird. Verfolgt man in den Traumgedanken diesen Traum-
anlafi, dann gelangt man in seinem Geiste zu wichtigen Begebenbeiten,
und meistens ist dies so bewandt, dafi man nicbt auf ein einzelnes Er-
eignis, einen einzelnen Gedanken oder eine einzelne Neigung stofit, son-
dern auf mebrere, die in irgend einer Hinsicht unseres Interesses wert
sind oder waren.
Diese Ereignisse liegen oft in weiter Vergangenbeit, wir konnen
lange Zeit nicbt daran gedacbt baben, aber damals, als sie stattfanden,
haben sie unser Gemiit erregt. Diese durcb den Traumanlafi geweckten
Gedanken und Neigungen konnen verscbiedener Natur sein, sie konnen
allerlei Gedankensysteme umfassen, zuweilen viele, zuweilen wenige, sie
baben aber einen gemeinscbaftlicben Zug und dieser ist im Traum in
einem Bilde oder in einer Situation vorgestellt. Unser Traumstuck, das
Bild, die Situation, wovon wir bei der Traumerklarung ausgegangen
18 Gf. Jelgersma:
sind, fiihrt uns also auf das Gedanken- und Gefiihlssystem, das es
darstellen mufi.
Dies bringt uns zu der ersten Eigenschaft des Trauminhalts. Es
hat, wie Freud es genannt hat, ein Verdichtungsprozefi stattgefunden.
Ein einziges Traumbild kommt an die Stelle zahlloser Gedanken.
Nimmt man nun fur die Analyse ein anderes Traumstuck, so hat
man das Namliche und daraus ergibt sich, dafi ein kurzer Traum einen
groflen Teil der in einem Menschenleben vorgekommenen Erregungen
konzentriert.
Diese Verdichtung erzeugt allerlei Mischbilder. „Herr Professor",
sagte eines Tages ein Patient zu mir, „ich habe heute nacht mit Ihnen
einen Spaziergang gemacht, aber Sie waren in meinem Traum ein Stock."
An dem Spazierstock, auf den er sich stiitzte, war mein Gesicht als
Knopf ausgehauen. Ich war also seine Stiitze, und wenn ich Ihnen
mitteilen wollte, warum ich seine Stiitze war, so miifite ich Ihnen seine
ganze Krankheit und vielleicht sein ganzes Leben mitteilen.
Weshalb wahlte er aber das Bild eines Stockes, er hat mich nie
so wenig schmeichelhaft mit einem Stocke verglichen. Die Sache ver-
halt sich sehr einfach. Den vorigen Tag hatte er das Gedicht von
Vondel auf den Stock von Oldenbarnevelt gelesen. Dieser kurze Traum,
der aus einem einzigen Satze besteht, umfaCt, wenn ich ihn weiter
analysieren wollte, ein grofies Stiick vom Leben dieses jungen Mannes,
und dennoch ist er sehr einfach. Das Lesen eines Gedichtes am vorigen
Tag war der Traumanlafi, Das am meisten Charakteristische vom In-
halt dieses Gedichtes hatte sich unbewufit, ohne dafi sein personlicher
Wille etwas daran andern konnte, in Zusammenhang gebracht mit dem
Begriff „sich auf etwas stiitzen" ; dieses Stutzen war veranlaBt durch
hunderterlei Erfahrungen aus seinem Leben, das Bediirfnis nach einer
Stiitze war die Folge seiner Krankheit, wozu sich von selbst das Bild
seines Arztes gesellte, und dies alles zusammen, vereinigt und in ein
Bild gebracht, als Situation und Ereignis vorgestellt, war sein kurzer Traum,
Was geschieht in unserem Menschenleben und in uns doch selbst
so viel, dessen wir uns nicht bewufit sind! Ist es nicht verstandlich,
oder vielmehr ist es nicht notwendig, dafi wir uns selbst so oft Ratsel
scheinen ?
Die Bilder im Traum sind oft mangelhaft, zuweilen sehr ver-
schwommen, zuweilen stellen sie ein bestimmtes Ding vor, das sie in
UnbewuBtes Geistesleben. 19
unserem Traum nicht sind. Anlafilich eines Ereignisses, das hier nichts zur
Sache tut, triiumte ich einmal, daB ich einer Entbindung beiwohnte.
Das junge Kind war aber kein Kind, sondern ein Pferd, obgleicb eswie
ein Kind aussab. Wie macbe icb nun in meinem Traum aus einem
Kind ein Pferd? Die Traumgedanken geben bierflir eine annebmbare
Erklarung.
Als icb es triiumte, batte icb mich, mitten in mich interessierender
Arbeit, um Hochzeitswagen und Pferde zu sorgen. Diese Pferde binderten
mich damals sebr und storten micb in meiner Arbeit und icb sucbte
die lastigen Bilder aus meinem Geiste wegzuscbaffen.
In meinem Traum kommen sie aber zum Vorscbein und icb setze
das Bild eines Pferdes an Stelle eines Kindes. Ganz sinnlos ist dies
aber scbon wieder nicht, wenn man erwiigt, daB es Pferde vor Hoch-
zeitswagen waren und Hocbzeit und Kinder sehr nab verwandte Begriffe
sind. In meinem Geiste bestand also eine deutlicb assoziative Ge-
meinschaft zwischen Pferd und Kind, aucb wieder nicht derart, daC ich
mir davon im wachenden Leben irgendwie auch nur die geringste Re-
chenschaft gab. Der Traum aber ergreift einen solchen geistigen
Zusammenhang und stellt ihn dar. Der Unsinn in meinem Traum vom
Pferdekind, wie wir es nennen wollen, ist also in den Traumgedanken
noch nicht so unsinnig, im Traum selbst war es eigentlich nur Beiwerk.
Die Hauptsache meines Traumes war, dafi ich bei einer Entbindung
gegenwartig war, was mir in meinem wachen Leben nie passiert.
Dieser Teil des Traumes bat mit der Pferdegeschichte nichts zu schaffen
und findet seinen Ursprung in wissenschaftlicher Arbeit, womit
ich besehaftigt war. Wir sind hier also wieder bei etwas, was mich
damals personlich in hohem MaBe interessierte. Es lag hier eine aufier-
gewohnlich interessante Ursache vor, die uns einen merkwiirdigen Blick
in die Traumtechnik geben wiirde und die ich Ihnen genau mitteilen
konnte, aber ich darf es nicht, denn sonst miifite ich Geheimnisse offen-
baren, die nicht nur mich selbst, sondern in diesem Fall auch andere
betreffen. Ich bitte Sie mir auf mein Wort zu glauben, dafi dieser ab-
surde Traum sich in meinen Traumgedanken in einen sehr logischen
Zusammenhang mit der Gewifiheit eines physischen Experimentes uber-
setzen lafit.
Es liegt auf der Hand, daB die besprochene Traumverdichtung
dazu beitragen wird, den Inbalt des Traumes dunkel und unverstandlich
20 G. Jelgersma:
zu machen. Es gibt aber noch einen Faktor, der mehr als die Traum-
verdichtung zur Unverstandlichkeit des Traumes mitwirkt, dies ist die
Traumverschiebung, die Traumsymbolisierung konnte man es auch
nennen. Diese bewirkt, dafi das Schauspiel des Traumes, die Situation
itn Traum, der Mittelpunkt, um den die Traurnereignisse sich gruppieren,
ein anderer ist, als in den Traumgedanken. Die Traumszene scbeint
dadurch nichts zu scbaffen zu haben mit dem sich daran knupfenden
Gedanken, diese scheinen beim ersten Anblick etwas anderes und da
man friiher nie zu den Traumgedanken vordrang, konnte man den
Traum einfach als unerklarlichen Unsinn betrachten, was er an sich
und aufler Zusammenhang mit den Traumgedanken selbstverstandlich
auch ist.
Ein Beispiel wird meine Meinung am besten verdeutlichen. Ich
traume, dafi ich mit meiner Frau und meinen Kindern draufien spaziere ;
wir gehen uber einen Damm in der Nahe eines Bauerngehoftes, auf dem
Damm befinden sich Kilhe, unter denen eine grofie, die auf den Knien
am Boden liegt, dazwischen ein Mann, der mit einer Harpune, wie sie
Metzger benutzen, die Tiere sticht. Plotzlieh kommt aus dem Gitter-
zaun des Gehoftes junges Vieh herangerannt. Wir bekommen Angst
und fliichten auf das Gehoft. Ich vermisse mein Sohnchen. Ich sehe
ihn an einem Damme emporklettern, ein Fiillen, das bose dreinschaut
beifit ihm eben ins Bein, ich ziehe ihn herauf und es gelingt mir
ibn zu retten.
Ein einfacher regelmafiiger Traum, wie man sieht. Bei der Analyse
bemerke ich sofort, dafi der TraumanlaB ein politisches Spottbild im
Wochenblatt „Der Amsterdamer" ist, das ich am vorigen Abend gesehen
hatte. Dieses Bild stellte den Ministerprasidenten unter einem Baume
auf einem Sessel sitzend dar, umgeben von den verschiedenen politischen
Parteifuhrern, als Tiere vorgestellt, eine Schlange, einen Ochsen usw. Das
mit kraftigen Ziigen gekennzeichnete Bild des Ochsen fesselte mich am
meisten, Der ganze Traum bewegt sich in der Szene des Bildes, dies
ist der Mittelpunkt und man kann sagen: ich habe von diesem Bilde
getraumt. Die Kuh, die ich in meinem Traume liegen ,sah, entspricht
genau dem Tier des Bildes. ft^JLvt <g£d<3 "f^"^ ' -
Die Traumanalyse lehrt mich aber etwas ganz anderes; es gibt
fast kein Wort in diesem Traum, das nicht mit Ereignissen und Vor-
stellungen verknupft ware, die in meinem Leben von Bedeutung waren ;
!
Unbewufites Geistesleben. 21
es gibt in diesem Traume verborgene Dinge aus dem Tiefsten meiner
Seele. Ich kann nicht erklaren, was mit jener Harpune gemeint ist,
das sind Dinge, die man verbergen muB. In diesem Traum finden sich
Empfindungen von Argwohn und gekranktem Ehrgeiz, Eigenschaften,
die ich schon langst glaubte tiberwunden zu haben. Eines kann ich
wohl daraus analysieren und werde Ihnen zeigen, zu welchen Konglo-
meraten von Gedanken man kommt, Im bosen Fullen, das mein Sohn-
chen ins Bein beifit, sind die meiner Ansicht nach in mancher Hinsicht
unverniinftigen Anforderungen des jetzigen Unterrichts symbolisiert,
die vielen Kindern schaden. Als sein Beschiitzer ziehe ich mein
Sohnchen aus dem Maul des bosen Fiillens. Warum ist dieses Fiillen
bose? der Unterricht ist doch nicht bose. Dies kommt daher, dafi ich
einmal einen Vortrag gehalten habe iiber den Ausdruck von Gemiits-
bewegungen bei Tieren und beim Menschen. Beim Menschen konzen-
trieren sich die Gemiitsbewegungen in erster Linie um das Gesicht
herum, bei den Tieren verbreiten die Ausdrucksbewegungen sich iiber
den ganzen Korper; eine lachende Kuh in den „Fliegenden Blattern"
macht einen komisehen Effekt. Wie wiirde ein heulendes und boses
Pferd aussehen, fragte ich in meinem Vortrag. Mein Traum ist so
freundlich, diesen Wunsch zu erfiillen; weshalb es aber kein Pferd,
sondern ein Fullen ist, werde ich spater in einem anderen Zusammen-
hang noch mitteilen. Hier sind wir vom politischen Bilde ausgehend,
iiber den Unterricht hinweg, zum bosen und beifienden Fullen gelangt.
So ist jeder Traum beschaffen, wenigstens jeder Traum, der einen nicht
zu kindlichen Charakter tragi Diese Verschiebungsarbeit, wie wir es
nennen wollen, macht den Trauminhalt bei den einigermafien kompli-
zierten Traumen ganz unkenntlich, Man stelle sich die Kiiheszene bei
einem Gehoft vor, worin als Zentrum ein Mann vorkomrat, der Kiihe
miiihandelt und eine Furcht vor jungem, durchgehendem Vieh, und man
vergleiche damit, wie intensiv wichtig die darin vorkommenden Dinge
fur den Traumer sind. Nur die systematische Analyse des Traumes
kann beide Gedankenspharen miteinander in Einklang bringen.
Wie wir gesagt haben verfugt der Traum nicht iiber die Sprache
sondern mufi sich mit der Darstellung diirch das Auge zufrieden geben.
Er ist wie der Maler und Bildhauer, die auch nur iiber eine Re-
produktion durch Gesichtsbilder verfiigen. Dadurch entsteht eine grofie
Beschrankung in dem, was der Traum vorstellen kann.
o
Jelgersma, Unbtwufitea Geistesleben. °
22 G. Jelgersma:
Unsere logischen Gedanken erhalten ihren Zusammenhang dadurch,
dafi sie durch Bindeworter verbunden werden. Der einfachste Zusammen-
hang ist die Yerbindung durch das Bindewort und. Dies kann man
kaum einen logisehen Zusammenhang nennen. Es ist fast nicht mehr
als das in Zeit und Raum gegebene Material, das durch logische Ver-
bindung noch zu einem Ganzen verarbeitet werden mufi.
Der Maler tut es, indem er seine verschiedenen Figuren neben
einander stellt, aber fur das Bindewort und, zeitlich angewandt, reicht
seine Kunst schon nicht mehr aus. Er mufi, wenn er diesen Zusammen-
hang ausdriicken will, schon zu verschiedenen Abbildungen nacheinan-
der seine Zuflucht nehmen. Der Kinemato graph ist hierin der Malerei
uberlegen und gibt durch seine Aufeinanderfolge der verschiedenen
Bilder die Zusammengehorigkeit in der Zeit wieder.
Der Traum, uber Zeit verfugend, tut wie der Kinematograph und
steht also in logischer Hinsicht hoher als die Malerei, die in ihrer zeit-
losen Wiedergabe nur den Zusammenhang im Raum darstellen kann.
Es ist nun hochst merkwiirdig, wie im Traum, der nicht uber die
Sprache als Mittel verfiigt, logischer Zusammenhang wiedergegeben wird.
Wir stofien dann auf sehr kindliche Methoden, von denen Freuds
Genie einige entdeckt hat.
Zunachst : Wie wird ohne Anwendung der Sprache Kausalitat
wiedergegeben? Wie werden die Worter „weil" und „weshalb" aus den
Traumgedanken, worin sie wiederholt vorkommen, in die Traumbilder
iibertragen? Dies findet in verschiedener Weise statt. Erstens dadurch,
dafi man die Bilder nebeneinander stellt. Es steht fest, dafi Bilder,
die im Traum nebeneinander stehen, wenn sie auch noch so disparat
scheinen, in den Traumgedanken eine kausale Bedeutung erhalten
konnen. Dies kann so weit gehen, dafi ein Traum, der aus verschie-
denen voneinander getrennten Stuckchen besteht, in den Traum-
gedanken kausale Verhaltnisse wiedergibt,
Eine andere Methode ist das Ineinander iibergehen lassen von
zwei verschiedenen Bildern. Dies will zuweilen sagen, dafi das eine Bild
etwas tut, indem das andere es veranlafit.
Wenn man Patienten behandelt, geschieht es namentlich zu Anfang
der Behandlung, dafi man in ihren Traumen auftritt. Der Patient z. B.
traumt, mit der Krankenwarterin auf Reisen zu sein, in einem Zimmer
oder anderswo. Die Warterin ist aber nicht ganz die Warterin, sondern
UnbewuBtes Geistesleben. 23
sie tut, als ware sie der Arzt oder sie nimmt wohl die Haltung des
Arztes an oder verwandelt sich in den Doktor, mit anderen Worten:
es entsteht ein Mischbild oder eine vollstandige Verwandlung. Dies
alles will gewohnlich sagen, wie es sich beim Naehspiiren der Traum-
gedanken deutlich zeigen kann, daB die Warterin also handelt, da es
vom Arzte also verschrieben worden ist.
Nach meiner Erfahrung wird das kausale „weil" nicht als ge-
hortes Wort, sondern als direkt aus dem wachen Leben iibernommener
Gredanken, in Traumen wohl wahrgenommen. Ich habe es in Traumen
entstehen sehen. Ich behandelte eine gebildete Frau und hatte mit
ihr besproehen, welche Gedanken und Phantasien sie im Interesse
ihrer geistigen Gesundheitvermeidenmusse. In ihren Traumen konnte es vor-
kommen, dafl sie dachte, nein, nun mufi mein Traum nicht nach dieser
Pdchtung hin weiter gehen, denn, dann geht es nach der unrichtigen
Seite hin. Dies war dann nach jener Seite, die ich ihr als die nicht
erwiinschte angedeutet hatte. Nach meiner Meinung sind dies die in logischer
Hinsicht hochst organisierten Traume, die im Halbschlaf vorkommen
und die sich allmahlich umbilden zu den Phantasien des wachen
Lebens.
Auf diese Weise wird Kausalitat im Traum wohl einmal ausge-
driickt und dies ist moglich, weil die Zeit als Faktor im Traum vor-
kommt.
Noch armlicher steht es urn die anderen logisehen Verbindungen.
Eine der gewohnlichsten Verbindungen 1st das wahlangebende Binde-
wort entweder dies , . . oder jenes. Das wahlangebende Bindewort
driickt Moglichkeiten aus, deren Wahrscheinlichkeit man erwogen hat,
aber bei welchen man durch Mangel an Angaben nicht zu einem be-
friedigenden Beschlufi hat kommen konnen, so dafi man verschiedene
Falle als moglich hat annehmen miissen, mit Ausschlufi einer Anzahl
anderer, die durch die verfugbaren Angaben als ausgeschlossen betraehtet
werden konnen. Wie man sieht, setzt es einen in logischer Hinsicht ziem-
lich zusammengesetzten Apparat voraus, nicht aber in dem Mafie kom-
pliziert, da6 es nicht ein Wort unseres taglichen Sprachgebrauchs
ware.
Was bringt der Traum nun hierbei zu stande? Ich selbst habe da-
von nichts finden konnen, aber ich finde bei Freud eine merkwurdige
Angabe. Er beschreibt in Traumen Mischungen von Bildern, wovon
2*
24 Or. Jelgersma:
der Traumer nicht angeben kann, was es war und kam in einigen
Fallen bei der Analyse zum wahlangebenden Bindewort.
Es wlirde also in solchen Fallen sein, als ob ein Maler nicht
wissend, was er darstellen will, einige Striche au£ die Leinwand machte
und dies far ein Gemalde gelten liefie. Sollte unsere allerjiingste
Malerschule vielleicht eine solcbe Art von Traumer sein?
Wenn wir sehen, wie elemental' die logischen Produkte unserer
Traume sind und uns daran erinnern, dafi auBer Neben- und Nach-
einanderstellung in Zeit und Raum hochstens von einer Andeutung des
Kausalitatszusammenhanges die Rede sein kann, dann wird man dem
zustimmen miissen, was icb zu Anfang meiner Rede schon feststellte,
dafi unsere Traume denn doch besonders einfaltig und in intellektueller
Hinsicbt niedrig organisiert sind.
Eine letzte Eigentiimlichkeit des Traumes mufi noch besprochen
werden. Dazu muB icb eine kleine Absehweifung machen,
Wenn wir in uns selbst einkebren und uns in unserer Einsamkeit
einmal sebr aufrichtig Rechenschaft von unseren Motiven und Gedanken
zu geben versucben, dann ist dies eine sehr scbwere Arbeit; denn wir
alle wissen doch dieses eine wohl, daB alles in uns nicht so schon ist,
wie wir die Neigung haben, es von aufien aussehen zu lassen. Wir
finden in unserem Innern zahlreiche Wiinsche, die wir nicht ohne wei-
teres jedermann mitteilen moehten, halb oder ganz versteckte Begierden
die wir uns selbst fast nicht gestehen wollen, ehrgeizige Ideen, GroBen-
ideen zuweilen, sehr oft Neigungen von sexueller Natur und was alles
nicht mehr. In unserem gewohnlichen taglichen Leben konnen diese
tief Iiegenden Wiinsche und Gedanken sich nicht aufiern, weil unsere
hoheren geistigen Vermogen und auch unser eigenes Interesse dies nicht
zulassen, Sie werden unterdruckt, sind aber darum noch nicht ver-
schwunden und bleiben als elementare, starke Neigungen fortbestehen.
Sie konnen sich nach aufien nicht als eine Handlung offenbaren, aber
bleiben bestehen als ein Wunsch. Dafi sie keinen EinfluB auf unseren
Willen und unsere Handlungen iiben konnten, daB sie die nicht ab-
andern konnten, diirfte man aber nicht bebaupten,
Diese verdrangten Wiinsche sind tief in unsere Seele eingegraben,
unsere hoheren Geisteseigenschaften widersetzen sich aber stets den
niedrigen Wunschen, dermaBen sogar, daB sie von unserem besseren Ich
oft nicht als bestehend erkannt und sogar nicht mehr gewufit werden ;
UnbewuBtes Geistesleben. 25
in diesem Falle sind sie ganz nach dem UnbewuBten verdrangt und dies
ist gewifi eine der Ursaehen, daB wir uns zuweilen so mangelhaft von
unseren Handlungen Rechenschaft geben konnen.
Eine sehr eigentiimliche Stelle in diesem verdrangten Geistesmaterial
nehmen unsere sexuellen Empfindungen ein. Diese werden beijedermann
und namentlich bei Frauen aufs starkste verdrangt und das Eigentiim-
liche hiebei ist, daG, wiihrend bei den anderen Empfindungen und Nei-
gungen die Verdrangung dem Grade ihres moralischen Wertes entspricht,
dies nur teilweise bei den sexuellen Neigungen zutrifft.
Dies kommt daker, weil bei diesen Neigungen aufjer der wirk-
licben Moral, die in der Natur der Dinge gegeben ist, noch im bohen
Grade eine konventionelle Moral mitredet, welcbe die Tendenz hat, Sexua-
litat und Verdorbenheit gleichzustellen.
Diese konventionelle Moral macht, da6 eine angeborene Neigung
der ganzen organiseben Scbdpfung aufs starkste, und ich darf beilaufig
wohl hinzufiigen, oft zum Schaden der geistigen Gesundheit verdrangt wird.
In unserem gesunden taglichen Leben werden diese Eigenschaften
unseres minderwertigen Ichs bezwungen, aber was geschieht, wenn unser
hoheres Ich schlaft ; man ware dann geneigt zu glauben, dafi iiberhaupt
jede Kontrolle fehlte und dafi unsere verdrangten Neigungen freies Spiel
hatten. Dies ist nicht ganz der Fall. In unserem Schlafe, imZustand,in
dem wir traumen, ist nicht unsere ganze Persbnlichkeit vernichtet, der
Traum ist zwar sehr einfaltig, aber er ist geistig gesprochen kein
Nichts. Wenn ich den Traum fur einen Augenblick als eine Person
vorstellen diirfte, was er nicht ist, dann konnte ich sagen, er iibt zwar
eine geringe Kontrolle auf das Verdrangte ans, aber es ist doch eine
— wenn auch schwache — Kontrolle.
Wie kommt nun das Verdrangte in unserem Traum vor. Es ist
sehr einfach, wenn man es einmal weiB. Das Verdrangte kommt vor als
kleine Anspielung, als Einzelheit, die mit dem wirklichen Trauminhalt
wenig zu schaffen hat, oder es erscheint als verwirrendes Moment.
Konkurrieren einige verdrangte Neigungen, im Traum zu erschei-
nen, dann kann es sein, dafischon dadurch allein ein verwirrter und
unzusammenhangender Charakter des Traumes zu stande kommt.
Im Anfang meiner Rede habe ich den Traum einen unbarmherzigen
Wahrheitssprecher genannt, weil er zu dumm sei, zu liigen. Nun mull
ich also eine kleine Korrektur hinzufiigen.
26 Cr. Jelgersma :
Die ganze Wahrheit spricht auch er nicht, aber er bemantelt sie
in dermafien unbeholfener Weise, daB ein besonnener Verstand leicht diese
Hullen durehsehaut,
Dennoch ist es nicht leicht, das stark verdrangte Material des
Traumes zu finden; mir wenigstens hat es viel Miihe gekostet. Dies
wird durch verschiedene Umstande verursacht.
An erster Stelle sind es oft Kleinigkeiten des Trauminhalts, die
das Verdrangte vorstellen. Man ist gewohnlich zu rasch mit einer Traum-
erklaxung zufrieden und erst allmahlich fangt man an, auf die Kleinig-
keiten, welche die verdrangten geheimen Gedanken ausdriicken, zu
achten. Dieses Ubersehen der Kleinigkeiten ist oft so stark, daB mir
Personen bekannt sind, die behaupteten, ihre Traume ohne Analyse zu
verstehen. Bei Nachfrage stellte sich dann heraus, daB sie nur den
TraumanlaB wuBten und sich hiermit zufrieden gaben.
An zweiter Stelle gibt es noch etwas anderes. Wenn man erwacht,
ist man wieder im Besitz aller hoheren Vermogen, und wenn nun diese
namlichen hoheren Vermogen etwas so komplett weggearbeitet haben,
daB es fur das Bewufitsein nicht mehr bestand und nur im Traum zu
einer fluchtigen AuBerung hat kommen konnen, so tun sie nach dem
Schlaf wieder dasselbe und so sieht man, daB die Erinnerung an Teile
des Traumes, die unterdriickte Geistesprozesse vorstellen, oft sehr mangel-
haft ist, und man sieht weiter, daB wiederholt eine Neigung besteht,
diese Teile des Traumes zu vernachlassigen und sie von der Analyse aus-
zuschliefien. Als allgemeine Regel darf man aufstellen, daB eben diese
vernachliissigten Teile wichtige Dinge enthalten konnen.
Als Demonstration hiervon will ich einmal offenherzig sein und
Ihnen einen meiner verdrangten Gedanken mitteilen. Ich wiihle dazu
meinen soeben schon mitgeteilten Kiihetraum, worin soviel Verborgenes
steckt. Ein Fallen bifl darin mein Sohnchen ins Bein. Das Bild des
beifienden Tieres war nicht besonders deutlich und ich weiB nicht gewiB,
ob es ein boser Esel war; bose was erbestimmt. Warum aber ein Esel
und kein Fiillen ?
Ich weiB es. Weil es so dumm ist, an Kinder Anforderungen zu
stellen, die in hygienischer Hinsicht verkehrt sind. Der Unterricht ist
also in meinem Traum ein Esel und ist also dumm.
Dieser Gedanke ist verdrangt. Ich mochte es in meinem wachen
Leben nicht gern behaupten, aber im Innersten meines Herzens, in
Unbewufites Geistesleben. 27
meinem niederen Geistesleben, ist eine Neigung zu diesem Gedanken vor-
handen.
Dieses Verdrangte offenbart sich in meinem Traum als ein ver-
schwommenes Bild, darum weifi ich nicht, ob es ein Fiillen oder ein Esel
war. Aber eigentlich weifi icb es wohl, denn das Tier schlug aus wie
ein Esel, wie ein Fiillen es nicht tut und es war zu dick fur ein Fiillen.
Weshalb schlagt es aus ? Weil ausschlagen eine der unangenehmst en
Eigenschaften eines Esels ist. Und nun weifi icb mit einem Male, warum
dieses Vieh aus dem Gehoft rennen mufite. Selbstverstandlich nur, um
ausschlagen zu konnen. Ein gewohnlicher Esel war nicht genug, es
mtifite ein ausschlagender sein.
Nach der Analyse dieses Traumstuckes ist die Synthese, der Wieder-
aufbau durch Zusammenfiigung der Elemente an der Reihe.
In meinem Geiste bestanden vor der Entstehung des Traumes zwei
Gedankensysteme mit ihren Zusatzen, Das eine aus meinem niederen
Geistesleben lautete: der Unterricht ist dumm, ein Gedanke, den mein
hoheres Geistesleben nicht ubernahm, der aber dennoch seine Kraft nicht
verloren hatte. Das zweite System hatte seinen Sitz in hoheren Regionen
meines Geistes, war dem Studium fiber den Ausdruck von Gemiitsbewe-
gungen bei Menschen und Tieren entlehnt und lief auf die etwas komische
Frage hinaus, wie wiirde ein boses Pferd aussehen? Diese beiden Gedanken
mit ihren Zusatzen konkurrieren um eine Aufierung in einem Traum.
Das Bild in „der Amsterdamer" war dabei der Anlafi, der nach beiden
Richtungen hin assoziative Verbindungen hatte.
Der letzte Gedanke aufiert sich in meinem Traum ohne weiteres als
ein Ausdruck von Bosheit auf dem Gesicht des Tieres und damit ist
es aus.
Der verdrangte Gedanke meines niederen Lebens kann aber so
offenherzig nicht sein und fangt an zu pfuschen, Ich schame mich vor
diesem Gedanken und mein Traum ist nicht mutig genug, uber dieses
Gefiihl der Scham hinweg zu kommen oder vielleicht besser ausgedriickt,
meine Scham nagt an der Deutlichkeit der Bilder meines hoheren Lebens.
Sie fangt damit an, das Bild eines Pferdes in eine Art von Fiillen zu
verandern, um es fur das bezweckte Ziel schon ein wenig kleiner
zu machen, die Bosheit bleibt selbstverstandlich bestehen, denn die hatte
in einer anderen Ursache ihren triftigen Grund. Dem Gedanken meines
niederen Lebens geniigte aber ein Fiillen nicht, denn er wollte
28 G. Jelgersma :
Dummheit ausdriieken. Offentlich im Traum wagte er das nicht und
darum maeht er das Ftillen zu dick und liefi es ausschlagen wie einen
Esel. Dieses Ausschlagen mufite einigermafien plausibel gemacht werden
und darum wurde eine ganze Umgebung von jungem rennenden Yieh
geschaffen.
Man sage nicht mehr, dafi der Inhalt eines Traumes widersinnig sei.
Noch etwas anderes kann dieser Traum uns lehren. Als ich ihn
fiir die Analyse niederschrieb, war ich in meinem bewufiten Leben ganz
aufrichtig und glaubte, dafi ein Ftillen mein Sohnehen ins Bein gebissen
habe ; ich dachte nicht an einen Esel.
Warum habe ich dies falsch aufgeschrieben ? Weil ich ganz wach
war und die Verdrangung ihre Arbeit wieder tat.
Der niedrige Gedanke, dafi der Unterricht ein Esel sei, konnte in
meinem wachen Leben nicht passieren. Bei der Analyse meines Trau-
mes stiefi ich aber jedesmal auf Esel und nicht auf Piillen, bis ich mir
selbst gestand, dafi ich in meinem Traum wirklich einen Esel gemeint
hatte. Bei der Analyse fiirchten wir uns vor unseren geheimen und
verdrangten Gedanken, wir glauben, dafi die zu weit von uns entfernt
liegen und dafi wir unmoglich solche Dinge gedacht haben konnen, bis
wir endlich vor uns selbst Schuld gestehen und dies gibt wieder ein
Geftihl der Befriedigung. So sind wir uns selbst gegeniiber unaufrichtig
und nicht nur uns selbst, sondern noch mehr anderen gegeniiber. Wes-
halb sind wir aber unaufrichtig ? Wir wollen doch nicht liigen. Die Ur-
sache liegt darin, dafi neben dem verdrangten Gedanken immer eine
Gemiitserregung steckt und jedes Urteil unter Einflufi eines Affektes ist
falsch.
Eine Gemiitserregung macht durch ihre Irradiationen ein besonnenes
Urteil unmoglich und drangt uns immer nach der egoistischen Seite hin.
Ich wurde aber zu weit abschweifen, wenn ich die Psychologie des
Affektes eingehender besprechen wollte.
Fassen wir nun die gegebenen Ursachen zusammen, dann wird es
wenigstens bis zu einem gewissen Grade deutlich, warum unsere Traume
so sonderbar aussehen. Wenn man ein gegebenes zusammengesetztes
System von Gedanken, Empfindungen, Neigungen, Wiinschen als Ganzes
nimmt, darauf das geistige Yerfahren der Yerdichtung und Verschiebung
anwendet, wenn man dann weiter beriicksichtigt, dafi dieses verbildete
Material in Gesichts- und Gefiihlsbildern vorgestellt werden mufi und dafi
"'•■
UnbewuBtes Geistesleben.
29
es dann noch eine Art von Prohibitivverordnung fur zu grofie Offentlich-
keit gibt, dann nimmt es uns nicht mehr wunder, dafi wil zu einem
geistigen Ganzen gelangen, wie wir es in unseren Triiumen vox uns sehen.
Welch einen grofien Einflufi die Verdrangung auf den Traum des Er-
wachsenen iibt, wird noch deutlicher, wenn man damit die klaren Traume
der Kinder vergleicht.
Kinder haben vor sich selbst noch nichts zu verdriingen, da sie
noch nicht einsehen, dafi ihre Wiinsche etwas Unerlaubtes an sich haben.
Sie sind nur Wunschmensehen und keine Willensmenschen. Dafi
dies nicht bedeutet, dafi Kinder so unschuldig und so sittlich sind, ist
selbstverstandhch. Das Gegenteil ist wahr.
Hiermit hangt auch zusammen, wie ich geglaubt habe feststellen
zu konnen, dafi altere Menschen immer schwerer ihre Trauine analysieren
konnen.
Was ich Ihnen hier mitteilte, sind so ungefahr die Anschauungen von
Freud, und obgleich ich in mancher prinzipiellen Hinsicht von ihm ab-
weiche, so mussen wir in ihm den grofien Entdecker und teilweise den
Loser der uralten Frage der Traumerklarung sehen ; diese Frage wurde
friiher wohl gestellt und insoweit ist Freud nicht der Entdecker der-
selben, aber er war der erste, der sie in richtiger Weise gestellt und
jedenfalls einen Anfang der Losung gefunden hat, und dies bleibt sein
unvergangliches Verdienst.
Die richtige Auffassung der Traumfrage scheint mir eine der grofiten
psychologischen Entdeckungen der letzten Jahre.
Das Studium der eigenen Traume hat meiner Ansicht nach einen
nicht zu unterschatzenden padagogischen Wert. Wenn man von seinen
Traumen aus durch Analyse zu den Traumgedanken aufsteigt, dann
weifi ich aus eigener Erfahrung, dafi man stutzt vor den in uns vorhan-
denen Griinden und Motiven. Durch das Studium seiner Traume gelangt
man zu einer unbarmherzigen Selbstanalyse, und vielleicht auch noch,
obgleich in geringerem Grade, zu etwas Selbstverbesserung. Auf jeden
Fall kann die Kenntnis, dafi unsere Taten nicht so rein sind, wie sie
von aufien betrachtet wohl aussehen, nicht anders als zu unserer Selbst-
bildung beitragen.
Das Traumleben ist ein einfaches Geistesleben und das Einfache
ist in unserem Geiste das Niedere. Das Hohere ist das Zusammengesetzte
und das Harmonische; der Traum ist einfach und unharmonisch. Unser
30 Gf. Jelgersma:
hoheres geistiges Leben entwickelt sich aber auf dem Boden des nied-
rigen und es setzt dies voraus, ohne dieses konnte das hohere nicht
bestehen.
Das hohere geistige Leben bestebt also nicht im Feblen des
niedrigen, sondern es ist ein Zusatz desselben, eine Abanderung dieses
niederen Lebens, eine Hemmung der Aufierung des niedrigen, ein un-
ablassiger Kampf zwischen dem, was wir wilnscben, und dem, was wir
wollen, wobei dann der Wunscb das niedere, und der Wille das boh ere
geistige Leben ist.
In unserem taglichen Leben wissen wir dies wobl.
Jemand, der keinen Mifibraucb von Alkobol macht, weil er Alkohol
nicbt gern mag, braucbt keine verdienstvolle Person zu sein, aber jemand,
der sebr gern Alkobol trinkt und dennocb kein Alkoboliker ist, zeigt
eine gute und starke Willenskraft. Er wiinscbt den Alkobol, weil dieser
gut sebmeckt, will ibn aber nicbt, weil er scblecbt ist.
Fast all unsere Wiinscbe sind unerlaubt, und wie sonderbar wiirde
die Welt ausseben, wenn all unsere Wiinscbe befriedigt wiirden. Unser
hoheres geistiges Leben ist oft mehr eine Hemmung des niedrigen sicb
zu auflern, als wobl eine selbstandige aktive Leistung. Will man sicb
in paradoxer Weise ausdriicken, dann konnte man sagen, das Hobere
setzt das Niedrige voraus, bebt es aber zu gleicber Zeit auf, es ver-
leugnet die Mutter, woraus es entsprossen ist und zeigt also in seiner
Hobeit eine ungekannte Niedrigkeit.
Einfacber sagt man : in der Entwicklung des boheren Greisteslebens
aus dem niederen spiegelt sicb das gewobnlicbe Entwicklungsgesetz,
das die ganze Scbopfung beherrscbt.
Die Kenntnis dieses Niedrigen in uns verdanken wir nicht nur
dem Studium des Traumlebens; dies weist uns nur mit grofiem Ernst
darauf hin. Es war der Menschbeit scbon seit Jahrhunderten bewufit
und es ist eine merkwiirdige Erscbeinung, dafl groCe Geister dieses
Niedrige zuweilen tief empfunden baben.
Wabrscbeinlich spricbt es als eine dunkle Eegung in der Tiefe
ihrer Seele.
Die Tbeorie von Calvin fiber die namenlose Schlecbtigkeit, die
absolute Verdorbenbeit und demzufolge der ewigen Verdammnis des
menschlicben Geschlechtes, betracbte ich als AuBerung dieses tiefen und
verborgenen Gefiihls.
Unbewufites Geistesleben.
31
Ihm wurde bewufit, was die grofie Mehrheit nur undeutlich emp-
fand. Aber er war in dieser Hinsicht, wie viele andere grofie Manner,
einseitig und dadurch unwahr. Er sah das Medrige und dies bleibt
sein grofies Verdienst, aber er verkannte das Hohere und daraus geht
seine Einseitigkeit hervor.
Man wundere sich nicht dariiber, dafi eine solclie abschreckende
Lebensanscbauung auf Millionen von Menschen bleibenden EinfiuU geiibt
und das Denken von Jahrhunderten beherrscbt hat. Diese namliche
angeborene Verdorbenbeit, die Calvin bei fast alien Menschen annabni,
war die Ursache, dafi jeder die ewige Peinigung auf den Rlicken seines
Naehbarn schrieb und dies war ein Gliick, denn eine Gesellschaft, deren
grofierer Teil sich fur immer verloren waknt, wiirde nicht bestehen
konnen. Ein Mensch mit der ewigen Peinigung in Aussicht, wiirde vor
Angst kein Glied mehr riihren konnen.
Ich besprach nur den Traum des gesunden Menschen und mochte
schliefien mit einigen fliichtigen Bemerkungen iiber den Traum bei den
Nervosen.
Wenn es wahr 1st, dafi der Traum die emotionellen Ereignisse des
Traumers wiedergibt, dann erha.lt er eine grofie Bedeutung fur das
Studium des nervosen Menschen. Bei diesem sind doch die Emotionen
die krankheiterzeugenden Ursachen und die Kenntnis der Emotionen ist
also die Kenntnis der krankheiterzeugenden Ursachen. Ftirwahr eine
Vermutung von nicht geringer Bedeutung.
Die Untersuchung bestatigt diese Vermutung und in den Traumen
finden wir wirklich die Krankheitsursachen wiedergegeben, selbst-
verstandlich insoweit diese Ursachen nicht in der Organisation, in der
Anlage der Person selbst gegeben sind.
Viel konnte ich aus den Traumen von Nervosen mitteilen, ich will
aber nur die Aufmerksamkeit darauf richten, dafi die Verdrangung, die
wir bei Gesunden besprochen haben, bei ihnen riesige Dimensionen an-
nimmt und zu krankheitserzeugender Ursache wird. Es sind hier vor
allem sexuelle Gedanken und Empfindungen, die verdrangt werden und
die ebenso wie im Traum verbildet und unkenntlich gemaeht als Sym-
ptome der Krankheit, oft als sogenannte korperliche Symptome, zum
Vorschein kommen,
Ich besprach nicht oder fast nicht die sexuellen Erscheinungenim
Traum von Gesunden.
i ■
32 G. Jelgersoaa : Unbewufltes Geistesleben.
Nicht weil diese nicht da waren, sie sind im Gegenteil in grower
Menge vorhanden, aber weil das Dekorum eine Mitteilung derselben in
einem Vortrag unmoglich macht. Bei einer Behandlung des Traumes
bei Nervosen wiirde es besprochen werden miissen, da sexuelle Gedanken
da so oft den Mittelpunkt des Traumes bilden, nicht offenkundig, aber ver-
drangt, verdichtet, verscboben und symbolisiert, geiade wie dies so oft
im Delir der Pall ist, namentlicb bei Prauen, die eine feinere und hohere
Sexualitat besitzen als Manner.
Eines kann icb Ihnen aber wobl mitteilen, was, als ich es zum
ersten Male beobachtete, einen gewaltigen Eindruck auf micb macbte.
Wir alle kennen die Inzestmytbe aus der Odipussage. Nun denn,
diese Inzestgedanken kommen im Traum von Nervosen vor und das
sogar mit einer Genauigkeit und einer Deutlichkeit, die der tragiscben
Beschreibung in der Mytbe nicbt nacbstebt. Und nicht allein bei Ner-
vosen findet man diese Inzestgedanken. Ich beobachtete sie auch im
Delir eines jungen Mannes, der an Dementia praecox litt, da sogar
verbunden mit einem Mordanschlag auf den Vater.
Hat man nun einmal diesen Odipuskomplex in seiner vollkom-
menen Entwicklung im Traum und im Delir kennen gelernt, dann findet
man ihn auch in Andeutungen und zuweilen sogar deutlich bei gesunden
Kindern wieder, und wer wollte es hier Verdorbenheit nennen?
Ein anderer Gedanke, der viel fruchtbarer ist, drangt sich uns auf.
Wenn wir die Odipusmythe mit dem Traum vergleichen, dann
fiihlen wir, dafi das, was die Seele jenes alten Griechen vor 3000 Jahren
bewegte, auch jetzt noch als emotionelles Moment auf dem Boden des
Geistes eines gebildeten Europaers schlummert.
Welch eine Ubereinstimmung bei soleh einem grofien Unterschied.
Meinen Zweck mit diesem Vortrag wiirde ich fiir erreicht halten,
wenn es mir gelungen ware, bei Ihnen Interesse und Ehrfureht fiir den
Traum zu wecken. Ehrfureht, nicht vor dem vorworrenen Inhalt
des Traumes an sich betrachtet, sondern vor den dahinter versteckt lie-
genden Traumgedanken, die ein zusammenhangendes Ganze bilden, und
die der Ausdruck des Leidens einer Menschenseele sein konnen. Ehr-
fureht aber vor allem vor dem Ganzen des menschlichen Geistes, der
fur seine Vergehen und fiir die ihm selbst unbekannten Fehler und ver-
borgenen Mangel einen Ausweg im Traume sucht.
Es geht viel vor in den verborgenen Tiefen des menschlichen Geistes.
A
Hugo Heller fr Co. Verlag / Leipzig und Wien 1
Imago
Zeitschrift fur Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften
Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud
Redigiert von Dr. Otto Rank u. Dr. Harms Sachs
•Imago* erscheint sechsmal jahrlich im Gesamtumfang von etwa 36 Bogen und kann
fur M. 15. — = K IS. — pro Jahr durch jede Buctiliandluny sotvie direkt vom Verlag abonniert
werden.; Einzelne Heftc werden nicht abgegeben.
Internationale Zeitschrift fiir
Arztliche Psychoanalyse
Offizielles Organ der Internationalen Psychoanalytisclien^Vereinigung
Herausgegeben von Prof. Dr. Sigm. Freud
Redigiert von
Dr. S. Ferenczi Dr. Otto Rank Prof. Dr. Ernest Jones
Budapest Wien London
unter standiger Mitwirkung zahlreicher auslandischer Psychoanalytiker
Jahrlich 6 Hefte im Umfange von fiber 40 Bogen zum Preise von M. 18.—
= K 21.60. Gemeinsaraes Abonnement rait » Imago* zum ermaBigten Gesarat-
jahrespreis von M 30. — = K 36.—.
» . . . ein aehr reichhaltiges, durchaus interessanfes Material, dessen Leklfire fur jeden,
der sich fur die Weitere Entwicklung der Psychoanalyse Tind deren Ausbau interessiert, un-
gemein wertvoll ist . . . Von groBem Wert sind die VIcineren, Eahlreichen kasuistischen Mit-
teilungen, die in ihrer Oesamtheit ein schatzenswertes Bild von den Leistungen der Psycho-
analyse bieten." (Wr. Win. Rdsch. 1913, Nr. 36.)
Totem und Tabu
Uber einige Obereinstimmungen im Seelenleben der Wilden u. der Neurotiker
Von Prof. Dr. Sigm. Freud
Preis geh. M. 4.— = K 4.80, in Originalleihenband M. 5.— = K 6.—
Der Kunstler
Ansatze zu einer Sexualpsychologie
Von Dr. Otto Rank
Preis geheftet M. 2.— = K 2.40
Probleme der Mystik u. ihrer Symbolik
Von Herbert Silberer
18 Bogen. mil mehreren Abbildungen, geheftet M. 9.— = K 10.80, in Halb-
franz geb. M. 12.- = K 14.40
1NHALT. I. Einleitender Teil: 1. Die Parabola. 2. Traum- und Mirchendeutung. —
11. Arialytischer Teil: 1. Psychoanalytische Deutung der Parabola. 2. Alchemie. 3. Her-
metische Kunst. 4. Rosenkreuzerei und Freiraaurerei. 5. Das Problem der mehrfachen Deutung
— III. Synthetischer Teil: 1. Introversion und Wiedergeburt. A. Verinneru'chung und Intro-
version. B. Folgen der Introversion. C. Wiedergeburt. 2. Das mystische Ziel. 3. Konigliche
Kunst. — Anmerkungen. — Quellen. — Index.
K. u. K. Hofbuchdrackerei Karl Prochaska in Teschen.