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33f>eobor ^onfane
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(Sonrab 23Sanbrcp
6. 23etf’fcf>e 23erIagdbu<$I>anblting
Ööfar 25 e <f 3I£und^en 1919
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Sem SXnbenBen
meine & lieben 23 ruber 0
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23 ortt>orf
''c'Vr ©chwerpunft biefeS iöudheS liegt nicht im ^iftorifdfjen ober
Siographifdhen, eS fragt nach bem SBefen, ber SBebeutung uttb
©igettricfjtigfeit beS dicht er S gontane, eines burdh fein fünftterifcheS
SBer! noch unb immer Sebenbigen, es miß baS gontanebilb bief er ©egen*
wart einfangen, ohne fubjeftiüe Parteinahme, aber auch °h ne öorgeb*
liehe Dbjeftioität. die darfteßung geht auS bon einem intuitiven
©efamterlebnis ber geiftigen perfönlidhteit gontaneS, baS, analptifdh
erfaßt, Einheitliches unb Unteilbares mit ben wiffenfchaftlichen
3Äitteln ber begriffneren ßerglieberung unb wertenben 3nfantmen*
fchau nachjuformen oerfndht.
diefer S3etracf>tungSweife, bereit üßiethobe im einzelnen bem
©egenftanb angepafet ift unb aus ihm felbft ihre ÜKafjftäbe ju ent*
lehnen fudht, rüdEt baS Prioatleben beS didhterS — baS fo gern
mit bem S3iographifdhen berwechfett wirb — an bie periph er i c *
3m Zentrum fteht bie bewegte Einheit beS Snbioibueßen unb beS
Äünftlerifdhen als felbftänbigeS Phänomen, baS andh wohl oon ber
vita beS Richters manche Färbung empfängt, aber nidht aus ihr,
fo wenig wie aus biofeen ^eiturnftänben erflärt werben fann. das
3 nbioibueß*Äünftterifche wirb gefafet als gegebene, nidht weiter auf*
lösbare 6ubftan$, beren befonbere, nur Montane eigene Ortung in
jebem ßug, oor allem im (Sntfdheibenben, ber bidhterifdfjen ^form* unb
©efealtgebung, burdhfdhlägt.
@inem einleitenben Kapitel, baS aus bem Prioatleben gontaneS
baS tppifdh öebeutfame herauShebt, folgt ein gebrängter Slbrife ber
geiftigen Perfönlidhfeit, beffen oerbinbliche 3üge erft burdh bie fpäteren
deile beS SBudheS hin, an SBeifpiet unb Ein^elfaU, finnfäßig unb
lebenbig werben fömten.
9Bie baS prioatleben, tritt audh bie SBanberungSfdhriftfteßerei
in biefem oom dichter Montane hanbelnben Söudh nadh ®ebüf)r
äurüct die ©ettung gontaneS als dichter ift in ftetem Sßadhfen
begriffen, ber früher auSfdhliefelidh unb fpäter oornehmlidh belobte
SBanberer burdh bie SKarf SSranbenburg ift heut eine Sofalangelegen*
heit biefer protinj unb für bie beutfefee Siteratur nidht eben oon
Gelang, desgleichen erforberte bie h»h e Bewertung beS JBaßaben*
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VI
^omoct
fdjmberä t'ine kr neuen tieferen ©infid}! in Sefett - bk
tunft enifpredjenk Äorreftttr.
Um fö ftörfer teudjte nun bas reine ©ilb be-s geborenen ©pitecS
Montane, bes größten nach unb neben ©ntifrieb Ä'eftrr, tu
^aljr^nten. 3>ie fteik kr SBerUnec Romane, aus bc» Sank*
tungett £jerau*u>ad)fenb, non kr Uiugfainen ©rkfurng „©or bem
©tuent" über bie kiben ©ipfelpünftf Öer. „Errungen, 23^imttigm"
unb .kr |™ ©rieft" t)imoeg bis.;$ut testen ©ertfung be§ „6ted)(in" (
ift kr eigentüdje ^egenftaub ks £ie $rtal'i)fe il)ter d}ara!te=
riftifd^eu Formgebung, ilires inbimbneÜ^fontünifcljen ©diaites —
iDübei auf atte biogen ^nfiattsangaben, bic k'jcnikrsbei eptfdjat
Slftfte» fieif ui# Vlnalt)i>n an^iigeben pflegen, oetu^h't % — möge
enblid) bas UtngEjm »erfdjleppte Urtcii non Fontane» im stiemen,
©ciiaglidfeti. £äfttid)c« fuf oerüereirbcv ©ilrgcr f tdjfeü berichtigen.
SDte ftete Öe&enbigfeit unb ©egesiui.jft ber befielt IRomnnbi^titiigeu
Fontanes triberlegt allein fdjön biefe befangeaie Söertimg be$ ab*
gettmfeneir 3eHaiter§„
)jp| an» btefer ©edje ktwSfaÜenkn iKomane oon iiirrfiid)
mütberart fiiuftlerijdjen Wtoeau unb bihtnerem (Mjall toetbeti bann
in fnapp« Überfdjau beS .ftapitd* „©pifck ^ebenmerfe" nbgefynnbelt,
«ne benn bieies gmu,e Foutauebudj, infoitbcrijett kr elfte unb fünfte
'Seit, uirgenb§ nuE keife X'eftripticm, ftofflidje ©ofiftiinbigfeit unb
üufteie ©tjriniologie, Icmöeni um 3iijamirtenfa|fiuig, Formung unb
Deutung be§ utniängndjen äliafenats? bemiitii ift.
©o gibt e§ al§ <$cm$g : oljne billige ©lorififatiim ober mobifdje
Äoirtejfionen, sine ira ei. simlio, ba§ kutige SBitö Fontanes. befjnt
lebenjpeubenbe f ituY mttj mcudmii ©fottkfö; in imoerniinbertcr
Frifcbe tebenbü^ ift,. ©erabe tiiter3eit tuie her ©egentoart, bie attö
einem ©jettem trt^'ttnb^e.^kr^iif($tiEt0e0: nnb bie Beredjtigimg
feber trabitipricUeü 0feigitps abpleugnen fud&t, famt Fontaueä ioeife§
©omoljt^teaüdj, fdft' ptkmtum fonferoatiber uttb bemo*
fraiiftkr tobenden, feine ienfeils hex jjofttiWivn furteimutni »nt
nu'fenSoff 'tatKiyfn
Jkiltnkö
.»cnnlerftem M $Ugsü, •tm i.-;: v
Dr. ispumb SiBaubrcp ■,
3"J>al £
Vorwort .
Erfter Seil, ©ruttblagen unb Anfänge
1. SebenSgefdjiihte.
2. Sie geiftige ^erjöntidjfeit.
3. gournatiämug unb SBanberbfidjer . . .
Stoeiter Seit. Sie epifdjen grü^merfe
1. SBor betn ©türm.
2. Sie ballabeäfen Motetten.
3. ©djad) öon SButljenott).
Sritter Seit. Sie ÜJioüetten ber SJlittetgeit
1. ß’Stbuttera.
2. Excite.
3. Errungen, SBirrungen.
4. ©tine. ÜJlattjitbe SRö^ring.
SSierter Seit. Sie epifdjen ©pättoerfe
1. grau gennp Sreibet
2. Effi Sörieft.
3. Sie ^oggenpulp. Ser ©tedjlin . . .
günfter Seit. Sa3 fefunbäre ©Raffen
1. Sie epifdjen 9Zebetuuer!e.
2. SriegSbildjer. 9bttobtograp^ifd)e§. St'ritif .
3. Sic ©ebidjte.
3lnmerfungen unb SBibtiograpljie . . .
Seite
V
1
49
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104
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169
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(Srjler Xeil
©runblagen unb 2lnfänge
i. £e6ensgefcf)ic£)£e
„3)aS Seben Ijat rnidj gelehrt, ba& alles auf bie SDfenfdjen
anfommt, auf bie fogenannten $et§ältniffc. 5Die
Stttnfdjeit, in ncunuitbueunjig Süllen tton tjunbert, machen
bicjc. 2lutf) tucnn fic fid) ungünftig gcftalten, toetben fic
burd) baS, maS trir in unS tjaben, bod) fdjlicfclid) beftcgt.
SSeftegt, ntd)t um als irgcnbein töot!)fd)tlb ober jonftiger
©lücfsjmna aus üjnen ljerbotaugeljn, aber bod) infomeit,
um ben feinblidjen 9ttäd)ten einen ef>rem>ollen Trieben
abaujiDingen."
C) pn Johannistage beS JahreS 1827 fiebeltc ber Stpothefenbefifcer
fvi SouiS §enri gontane öon $ßeu*9iuppin nach ©winemünbe,
bcr Keinen unb crft öor fur^etn aufgeblühten Dftfeeftabt über. Sn
feiner Begleitung waren, ba bie grau einer üßeröenfur halber in
Berlin weilte, nur bie üier Äinber unb bie Stmme beS Jüngften.
©o ging e§ in breitägiger Steife über $Reu*©tretih unb Enttarn,
auf einer gätjre nach Ufeborn hinüber unb bei finfenber ©onne
beS lebten XageS in bie unfd^einlid^e ©tabt hinein. Berwunbert
flaute ber ättefte Änabe auf bie fpärlidhen unb ärmlichen Raufer,
bie ju beiben ©eiten beS nur tangfam burcfj ben ©anb ma^Ienben
SBagenS oorüberjogen, auf ben ungepflegten ^ßla|, barauf gegen*
über ber fdjeunenartigen Äirche öor einem fdhmudftofen $aufe mit
enbloS auffteigenbem 2)adh baS ©efährt enblicf) ^iett. @o 30 g ber
achtjährige Xheobor gontane in bie ©tabt ein, in ber er, ein burdf)*
fchnittlicher, in feiner $infi^t hcröorragenber ßnabe, feine Sngenb
öerbringen fottte.
©winemünbe bot baraalS bem frembeu Slnfömmling ein eigen*
artiges unb unerwartetes Bilb gefeUfc^aftlic^en SebenS. 3Rit feinen
nur öiertaufenb Einwohnern hatte eS nichts öon bem engen (Seifte, ber
©anbretj, Soutane 1
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2
Srfter Teil. ßjrunbtagen uub Anfänge
ängfttichen SBegrenjtfieit einer binnentänbifchen Äteinftabt. Tie t)öf)ere
©chicht ber tBeoötferung mar oon bunter, internationaler gufammen*
fefcung: ©dfjweben, Tönen, ^»oüänber, ©cfjotten waren anfäffig ge¬
worben, ben ©intjeunifdjen hatte ber §anbeI§oerfef)r unb baS fee-
ftäbtifc^e Treiben bie pjitiftröfität beS ißfahtbürgertumS ferngehatten,
bie oft eine unüermeibliche f5°IS e & cr Stbgefcfjtoffenheit unb eines
tärgli<hen SluSfommenS finb. 9Ran lebte unb Iie| leben. Sn ber
SReffource, bie bie Honoratioren ju ben zahlreichen ^efttichteiten
beS Sa^reS oereinigte, ging eS oft fyoä) her. Sine berbe, nörbtiche
ßebenSfreube tonnte unbebenftief) iljre ßuftigfeit in Übermut auS-
fchweifen taffen, ohne bafj man geglaubt bjätte, feiner tRefpeftabititöt
etwas ju oergeben. Ten berben @ewof»nt)eiten entfprach eine prat-
tifdEje ©efinnung. Stuf (Srwerb gerichtete Tätigfeit, tBefifc unb er¬
erbtes Herfommen hatten in biefen woljlhabenb geworbenen $auf»
teuten, tanganfäffigen ©utSbefipern unb wettgereiften ©eeteuten eine
tiefe ©fepfis gegen baS „höhere ©eiftige" grob gezogen: ntan tief;
eS mit $ug unb SRecht gelten, über man hielt nicht attjuoiet baoon.
(SS war eine oon geiftiger Überfeinerung unb nüchterner ßorreft-
heit gteictjweit entfernte ©phäre, in bie ber junge Stpothefer hinein¬
geriet, eine SBett beS bon sens unb savoir faire, Wie er eS auS-
gebriidft haben würbe.
ßouis Henri gontane muffte fi(h in bie neue Umgebung batb
ju finben, ihre ßebenSfornten tiefen oerwanbte ©aiteh in ihm
anflingen. Tein flotten Ton ber ©winemünber antwortete baS
teilte Temperament biefeS SlbföntmlingS einer franjöfifchen SRefugte-
familie. Montane wie feine $rau, bie Tochter eines berliner ©eiben-
faufmannS, entflammten ber franjöfifchen Kolonie SöertinS, unb
mancher $ug ftanjöfifcfjier SBefenSart ift oon ben ©Item auf
Theobor Montane übergegangen, für feine ^erföntidjfeit unb feine
Sunft oon töebeutung geworben: ßiebenSwürbigfeit, fchntiegfame
(Steganj, ßebenStapferfeit ohne Sßierfchrötigteit dharöfterifteren ben
SRenfdjen, ein tieferes SSerftänbniS für Tinge rein formaler ÜRatur,
eine ungewöhnliche ^Begabung für ben Tialog ben Äünftter Montane,
©aben, bie nicht alljuoft fich beutfehem SSefen üerquidfen unb hier
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1. SebenSgefdjidjte
3
ihre tiefere bolfifcße SBurjet haben. T)er |>ang beS geiftig bewegten
T)eutfct)en jum ©üben als feiner natürlichen ©rgönjung hat iu
ber bidjterifchen ©rßheinung Tljeobor ^ontaneS eine merfwürbige
Umfehmng erfahren, infofern er, ein burchauS beutfdj empfinbenber
äftann non auSgefprocfjen nicht*fübti<her Steigung, alle SorauS*
fefcungen ju einer harntonifch menfdjtichen 9tuSbilbung in fi<h, bom
Sötüte her, borfanb.
SJtit biefer ÜDtifchung beutfchen unb franjöfifdjen SefenS b)ängt
es jufammen, baß Theobor ^otjtane aufs glücflichfte bereinigte,
Was feine ©Item getrennt befaßen: ©h Q rafter unb Temperament.
SouiS £>euri Montane wirb bur<h ben berftärenben Stimmer, mit
bem bie tiefe Siebe unb Humanität beS ©ohneS in hohem Stlter
bie ©eftalt beS SaterS in ben „ßinberjahren" umgeben hot, als
ein bloßes Temperament fidjtbar, bem eine auSgefprochene (S^orafter*
anlage fehlte. T)aS autobiograpf)ifcf)e ©rinnerungSbucf) jeichnet, auf
bie Stbftammung ber ©ttern aus berfdjiebenen fran^öfifdjen ©tärnmen
hinweifenb, ihren SBefenSgegenfaß mit ben SSoiten: ,,©o barf eS
nicht fonberlidj überrafchen, baß „mes ancetres“, trofc räumlicher
9tad»barfchaft, biefer ©tammeSberfchiebenheit entfprachen,' eine Ser*
fdjiebenheit, bie, böttig unbeeinflußt burcf) bie injwtfchen erfolgte
Serpflanjung ins Sranbenburgifche, ftch auch uoch in meinen ©ttern
geigte: mein Sater war ein großer, ftattücher ©aScogner boll 33on*
homie, babei ißhantaft unb £umorift, ißlauberer unb ©efcßichten*
erhöhter, unb als fotcher, wenn ißm am woßlften war, fleinen
©aSconnaben nicht abjjolb; meine ÜJtutter anbererfeitS War ein Äinb
ber füblichen ©eoennen, eine fcf)tanfe, giertidje fjrau mit fchwar^em
#aar, mit klugen wie Sohlen, energifch, felbftfuchtStoS unb ganj
©l)dr öfter."
$enri. Montane war in bem feßr jugenblichen Sllter bon brei*
unbjwanjig fahren bie ©ße mit ber ©inunbjWanjigjährigen ein*
gegangen, ©eine Unerfahrenheit berftärfte baS 9JiißberhättniS beS
©aScognertemperamenteS ju bem refatib gefeiteren Sllter ber fchon
bon SRatur fefteren $rau. ©ie hatten im Sötärj 1819 bon bem ge*
meinfdjaftlichen Sermögen bie Söwenapöthefe in 9leu*9tuppin ge*
l*
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4
(Srfter Seit, ©runbtagen unb Slnfättge
fauft, am 30. Dezember fettigen Saures mar ber ättefte ©ofjn,
X^eobor gontane, geboren toorben. Das fülle Seben ber märfifdhen
Sanbftabt hotte bem unruhigen ©eifte beS jungen 9lpotheferS toenig
jugefagt, eine mit ben Sauren fid^ fteigernbe ©pielpaffion mar bie
fchlimme ftolge ber .Sangmeile gemefen unb ber ©efchäftsunfunbige,
oon berecf)ügten SSormiirfen ber Familie Söebrängte, mit ©chulb*
forberungen öeloftete am ©nbe jum Sßerfauf beS äufjerft günftigen
©efcfjäfteS gelungen morbett. 3n ©minemünbe füllte nun, in ein«
faseren SSerfjältniffen, ein neues Seben beginnen.
Stber baS leidste ©aScognerblut £>enri gontaneS fam and) hier
nur ju gut auf feine ^Rechnung. Dann führten bie gefc^äfttid^en
Ungtaublicfjfeiten beS ftetS in ber „33rebouiHe" befinblichen Sipo«
ÜjeferS manche fernere ©jene zmifdjen ben (Seeleuten herauf. Der
Kare ©erechtigfeitsfinn ber $rau tonnte in bem liebenSmürbigen
SBefen, bem bereitmiUigen ©ingeftänbnis feiner ©d^mä^en feinen
ftreipafj beS ©atten erblidfen, ihr leibenfcfjaftlidjer S^arafter erfparte
bem fcfjmachen 2Rgnn feine Demütigung. IRattoS unb boß innerer
^ßeitt mar ber junge Dfjeobor oft Beuge ber elterlichen ßmifüg«
feiten, beren SBebeutung ijjrn unberftänblidh btieb, mosten fie ficfj
feinem mirftidfjfeitsmachen ©inn auch noch fo nadhhaltig einprägen.
©in natürlicher £>ang jog ihn, ber burdj ben B^ift ber ©Itern
fidf) tyn* unb fjergemorfen unb inftinftio jur Parteinahme gebrängt
fühlte, jurn SBater. SBiet fpäter erft offenbarte fich ihut ber SCBert
ber mütterlichen SRatur, erfannte er banfbar in ihr, bie unter ber
harten, nüchternen 9luf$enfeite eine ftete ©üte unb ^ilfsbereitfdhaft
barg, baS erljaltenbe ©lernent ber f^amitie. 3hre „rafdhe $anb"
unb ber ©runbfap „SRur nicht meicf>lich" entfrembeten ihr früh*
jeiüg ben fenfiblen Knaben, beffen gute Ortung biefer ©rjiehungS*
Prinzipien nicht benötigte unb fich ih nen entzog. Die famerabfdhaft*
iidhe, mohlmoUenbe Strt beS SBaterS, für ben eine autoritatibe ©efte
aufjer bem Bereich ber ÜRögftdhfeit lag,, mirfte biel nachhaltiger
auf ihn ein. $enri Montane hotte bie gute unb fetten« ©igenfdhaft,
jeben 2Renfc£)en, auch bie eigenen Äinber, erft einmal als URenfdfjen
gelten ju laffen. SRodfj meit über feine 33onf)omie unb feinen Seicht*
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1. 2eben3gejd)idjte
5
finit f)inau§ ging feine Humanität. „Sch iiatte" — gefielt Montane
fetbft — „baS ©tiief, in meinen ÄinbheitS- unb Änabenjahren unter
feinen fremben @r$ieljung§meiftern — benn bie ^auStetjrer bebeuten
nach biefer ©eite ^in fef)r wenig — ^eranjutoa^fen, unb toenn icf>
bie $rage fteHe ,mie würben wir erlogen?*, fo mufj idj barauf
antworten: ,gar nicht unb — ausgezeichnet 4 , ßegt man ben 9lf$ent
puf bie SJtenge, berfteht man unter ©rziehung ein fortgefefcteS
Slufpaffen, ©rmahnen unb Perbeffern, ein mit ber ©eredjtigfeitS»
wage beftänbig abgewogenes Sonnen unb ©trafen, fo würben wir
gar nicht erzogen; berfteht man aber unter Erziehung nicf)tS weiter
als ,in guter ©itte ein gutes Söeifpiel geben 4 unb im übrigen baS
Peftreben, einen jungen Paurn, bei faum fühlbarer Stnfeftigung an
einen ©tab, in reiner £uft frifdj, fröhlich unb frei aufwachfen zu
taffen, fo würben wir ganz wunberoott erzogen." gontane hatte
baS fettene, für einen ©pifer, ber einmal baS ©igenwefen ber
Seit, ihrer SDtenfchen unb guftänbe geftatten Witt, gewifj unfehäfc*
bare ©lüdf, im biegfamften Witter entfdheibenbe 9ßirfungen burdh
baS btofje ®afein unb ©ofein ber ©ttern zu erfahren, ungehemmt
burdh ftarre Prinzipien unb unfruchtbares Sieben.
Sn biefe Stichtung uneS pu<h bie geiftige SluSbitbung beS Änaben:
baS Sebenbige galt bor bem ©chematifdhen, baS Praftifdhe oor ber
5£^eorie, baS Stächftliegenbe bor bem fernen. Sn ber Ätippfchute
bon Steu^Stuppin hat Montane feine ©chütertaufbahn ‘begonnen, aus
ber nie etwas StedhteS geworben ift, ohne bafj er bieS fonberlidfj
bebauert hätte. SDer Später f)iett es nur mit bem gefunben SJtenfchen*
berftanb unb einer natürlichen SebenSfunft, er war nie zu einer
Stnerfennung ber homines literati zu bewegen, ©ein ©ohn wufjte
fpäter ben SBert tüdhtigen SBiffenS woht z u fchäfcen, aber — auch
ba berbanb fich einer fotiben ©runbfehicht gtücftidh bie ererbte
StemperamentSantage — er hat eS nie überfchä|t, er wufjte, bafj
alte ©etehrfamfeit nichts tauge, wenn bie fernhafte menfchtidfje
SJtitte fehlt unb bie ©inne berfchtoffen finb.
Montane genofj in ©winemünbe ben ©tegreifunterrid^t beS
Paters, ber einer „fofratifdfjen SKethobe" hutbigte, b. h- eigentlich
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6
©rftcr !£eü. ©rimbtagen unb Slnfänge
gar nichts wufcte, aber über einen fdjier unenblicf)en Slnefboten»
fcfjafc perfoneffer unb friegggefchic&tlicher Statur aug ber jüngften
napoteonifchen Vergangenheit tierfügte. 2)iefer anfc^aulic^e Reichtum,
ber fid) bem bafeingfrohen SDtanne bur<h eifrige geitungg» unb
Sournalleftüre big in bie ©egenwart fortfe|te, traf im Sohn auf
fruchtbaren Voben. @r fühlte fpäter feine Dichtung unb Schrift»
fteHerei bem Vater banfbar oerpflichtet, feine Vorliebe für ©e»
fdjichtlicheg im allgemeinen unb Sbnefbotifdjeg im befonberen er»
hielt bamalg ihre frühefte görberung. Sn ebenfo wiüfürlicher mie
einprägfamer Strt nmrbe bem Knaben ein bunter, regellofer Reichtum
geographifdjen un b bjiftorifcfjen SBiffeng übermittelt. Sn jwanglofer
Unterhaltung fprang ber Unterricht üon einem ©egenftanb jurn
anberen, oft Härte bag ßonüerfationglejifon Vater unb Sohn ge»
meinfam über einen fraglichen ißunft auf, praftifche Sebengweigljeit
floh unmerflid) mit ein. Montane hat hier wirflich „fürs Seben"
gelernt, toährenb bie fpätere !ärgli<he ©pmnafial* unb Stealbilbung
nicht fruchtbar geworben unb ziemlich fpurlog abgefallen ift. S33ie
alleg Sehren unb Vilben öergeblidj bleibt, wenn ber Sehrenbe nicht
•juerft ein wohlwoüenber SKenfch ift, wie nur bei einer freunblichen
©efinnung, bie Bürger unb Verftimmthejt hitttanhält, ein ©rjiehungg»
wer! recht gebeiht, bag hat Montane an feinem Vater jutiefft er»
fahren. 5E)ie ÜDiutter erhob feinen ©infprudi), mochten ihr auch &ie
Vebenflid)feiten biefer fofratifchen Unterridhtgmethobe offenbar fein.
Sie war ber Meinung, bafj eg im Seben weniger auf SSiffen alg
auf guteg 51ugfehen unb gute SRanieren anfomme, fahr bielleicht
burch bie Stot im eigenen £>aufe beftimmt, Vefifc unb Vermögen
alg unzertrennlich oom wirflidhcn ©lüdE an unb griff nicht hinbernb
in bie freie Entfaltung einer Statur ein, bie ben improoifatorif<hen
Sehroerfudjen glücflich entgegenfam. Montane hat feine $inberjeit
nicht alg eine Schul» unb Sernjeit ooU ©equält» unb ©ebriHt»
Werbeng, fonbern alg eine ßeit unauggefefcten Spieleng in ber
Erinnerung behalten.
©ine bag fnabejtfjafte §llter überfteigenbe Vebadhtfamfeit aber
muh trofc biefeg forglofen 3)ahinlebeug $ontane fchon bamalg eigen
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1. £e6en§gef<fyii$te
7
getoefen fein, ©r toar munter beteiligt on ben ©fielen mit $ame*
raöen unb ©affenjungen in §auS unb ©tabt, an §afen unb ©tranb,
aber er gefielt, bafj er nie toagfjalfig getoefen unb ftetS alles in
ftuger Abmeffung feiner Kräfte getan tjabe. Auch in einer gemiffen
©rojjmannSfucht unb finbtictjen ©itelfeit, einer ftarfen ©enfibilität,
einer überempfinbtichen SReaftion gegen jene gegenftänblictjen ©r-
jiet)ung§oerfucf)e ber ÜDhitter mosten ficfj geheime ©nergien an*
fünbigen, bie noch unettoadjt in bem Knaben fd)fammerten.
3?ie BorauSfefcung jeber fünftferifctjen Begabung, mag fie nodj
fo fpät an§ 2idjt treten, ift eine baS getoöhnlictje SUiafj weit über*
fdjreitenbe SBachheit ber ©inne. Unb Montane toar fdjon früh eine
ftar! empfängliche ÜRatur, bie ber epifdjen ©runbartung feines
SöefenS entfprecljenb befonberS auf baS ©djauen ber 2)inge fic^
richtete. 3m fünftferifctjen ©efjen ift ftärffte Beteiligung unb intereffe*
lofeS Anfchauen fonberbar, aber unföSfictj oerfnüpft. 2Rit biefen
©efefcen mag bie Beregnung unb 9tefermertf>eit beS fpiefenben
Änaben in geheimem ßufammenfjang fielen, ber boctj feinen Afters*
genoffen ein lebhafter, frifcfjer ßamerab toar.
2)aS BebürfniS nadj Anfcfjauung blieb nicfjt auf bie Anefboten
beS BaterS befchränft. ÜÜtüIjefoS fügte fid) feinem ©ebäcf)tniS bie
£otaffenntniS ber ©djifferfchen Batfabentoett, toäljrenb fid^ ifjm
bie ßetjrhaftigfeit unb mpttjofogifctje äRafdhinerie beS „©feufifchen
fJefteS" bejeichnenbertoeife nicfjt nur auf biefer AfterSftufe toeigerte.
BatfabeSfe Anregungen bot auch bie nächfte Umgebung. Auf bem
Boben beS elterlichen $aufeS ftanb baS Bab, mit bem ber ÜRörber
Imnnactjer oom ßeben jum Xob gebracht toorben toar. Unb toaS
Montane ba aus bem SWunb eines Augenjeugen als Bergangenljeit
erfuhr, erlebte er bafb in SBirflichfeit, als ein Sftaubmörber unb
feine $rau auf gleiche SGßeife in ©toinemünbe gerichtet mürben,
toobei fein Bater an ber ©pifce ber betoaffneten Bürgerfd^aft im
3uge jum SRictjtpfafc marfchierte unb baS ßommanbo bei ber $in*
richtung führte: ein ©reigniS, baS auf ben regen Änaben tiefen
©inbrudf madhte, trofcbem bie üötutter, um feine fatfche ©entimen*
talität auffommen ju faffen, alles nur „in ber Drbnung" fanb. —
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8
(Srfter Seit, ©rmtbtagen uttb Stnfänge
Ober att fiütmijdjen ^erbfttagen, wenn baS 2J?eer in ben Strom
brängte, ftellte ber Sater, eines nicht aßtäglichen Vorganges froh,
eine ttberfchwemmung ber Stabt in SluSfidjt unb toirfte in lebenbiger
Ausmalung ber ©efaßr auf bie ißljantafie ber Äinber ein.
£u ben internen ©rlebniffen traten bie Vorgänge ber großen SGBelt,
wie fie burd) Leitungen unb 3af)rmarttSfcf)aububen nach Swinemünbe
ben 2Beg fanben. 2)aS fyalte 8ahr$ef)nt non 1827—32 brachte
bie Befreiung ©riechentanbS, ben ruffifch‘ttirftf<hen $rteg, bie ©r=
oberung Algiers, bie Sulireüolution, bie SoSreißung Belgiens oon
£oßanb unb bie große polnifche Snfurreftion. Oft, wenn eS ben
SBater üom Söoßwerf, wo bie Stettiner Dampfer an^ulegen pflegten,
mit ^reunben in ben nahen Spielpaoißon todte, entnahm ber
Änabe als erfter ben angefommenen Leitungen bie neueften üßa<h=
rieten. „33on großem ©tnbtud auf mich" — bezeugen bie „ßinber-
fahre" — „war bie SJladjridjt, baß in Srüffel bei Slufführupg ber
,Stummen oon $ßortici‘ bie Sfteoolution auSgebrochen fei unb §war
gerabe bei ber Steße ,bem Sßteertprannen gilt bie wilbe 3agb‘;
i<h fanb bieS unbefd^reiblid) fdtjön, oielleidjt in ber bunflen, für
eine ^oetennatur immerhin fdljmeichethaften SSorfteßung, baß t)ier
ein Sieb eine politifdtje £at gewedft unb gezeitigt habe." Sin folgen
©reigniffen fog ftcfj bie ^ßtjantafie ^ontaneS, auf bie erften fünftle*
rifc^en Slnfänge beS fünftigen iBaßabenbicßterS oorbeutenb, be=
gierig feft. £)ie großen tarnen ber Zeitläufte blieben if)m für
immer eingeprägt, am tiefften bie ©eftalten ber potnifdjen greißeitS-
!ämpfe oon 1830—31. Unb biefe Vorliebe ging auf bie $mf)ätS=
lieber oon Senau unb Julius äftofen über, in benen er feine
©mpfinbung als fdjon geftaltet begrüßte unb über aßen biente*
rifchen ßRangel burdfj bie Stärfe feiner inneren Stnteilnafjme E|inweg¬
getragen würbe.
SRun ift eS aber f)öd^ft bebeutfam, wie fdjon bamalS — Montane
war elf 3aßre — fich foldtjer ^reißeitS» unb ^elbenbegeifterung
ein fonträreS ©efüßt mifcht, baS beutlicß auf bie geiftige Uranlage
Weift, bie biefem Sßtenfd^en mit auf ben S93eg gegeben war. Montane
hat in feiner 3fugenb eine ebjrlid^e Schwärmerei, fpäter eine wißige
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1. 2eben3geid}i(ä)te
9
Stnerfennung für ffreiheitgfümpfe unb ^elbentum gehabt, ober fdjon
atg Änabe gleichzeitig eine ftarfe Neigung jugunften ber georbneten
©ewaften empfunben. @2 ift zu feinem Seibwefen ein SBiberftreit
öon ©mpfhtbungen, in ben ihn feine Sßolenbegeijjterung bringt.
©<hon in frühefter Sugenb, ein SUter, bag ben entgegengefe|ten
©trebungen noch am günftigften gewefen märe, bringt ein ftörffter
8ug feines Sßefeng, fein Drbnungggefüfjl, ein Moment ber
Neftejion in bie unbebenfftc£)e jugendliche Eingabe an naiüeg
$etbentum.
Siefeg Drbnungggefüf)I bezeichnet, richtig oerftanben, ffontaneS
SebenSgefüht fdfjlechthin. @3 h at Ttic^tS mit Nüchternheit, troefener
Äorreftheit unb Unlebenbigfeit zu tun. 9ttan h at bag aug ben
Nomanen fjontaneg h era uglefen tooßen, oft feine Äälte gerügt ober
ihn zum Sqpug eineg ängfttich wettfremben SBürgertumg ftempeln
wollen, bag burch eine alleg überljangenbe 9Räfjigfeitgtafel bag
queßenbe Sehen zu normieren fudjt. ®o<h fjontaneg Drbnungg*
finn ift nicht bag öon aufjen herangeholte SJtittel eineg bequemen
SRenfchen, um bie SEBelt zu fcljablonifieren, fonbern bie urfprüng»
liehe 2lrt eineg befonberen SBeltergreifeng: gontane orbnet nicht
bie SBelt, fonbern feine SBelt ift georbnet. Drbnung ift bei ihm
ein Sebenbig*@efühtteg, fein ©ehirnlich*@eforberteg. ÜRag immer*
hin einem folgen Sebenggefülß bag ©reifenalter bie gemäfjefte
©tufe einer bid^terifd^en SBeitgeftaltung fein, man fieljt Montane
hoch falf<h, wenn man feine $unft oon oornherein auf bie Se*
. fonberheiten einer Stttergftufe bezieht, wo bie Kräfte zu ermatten
begingen, too nid^t mehr ber ganze üttenfeh, fonbern nur noch ein
Xeilhafteg in ihm • erlebt, bie ©enera oor ben ©pezififa gelten,
bag ©hmbol öor ber ©inzelwirflichfeit. Montane ^at mit ganzen
©innen unb ganzer ©eete gefdhaffen, unb er ift in entfeheibenben
fünften wirflichfeitgnäher atg äße beutfehen ©pifer feiner ,3eit.
©r weigerte fidj feiner ©inficht unb Äonfequenz, er fonnte auf ein
freieg ©mpfinben Stnfpruch machen, mochte er nodh f° orbentlich,
in feinen SBerfen noch f° oft öon Drbnung bie Nebe ober Drb*
nungen fühlbar fein. @r hatte fie im Sölut, eg war feine $trt beg
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©rfter £eü. ©runblagen unb Anfänge
SEÖetterlebenS, bie lote alle? primäre ihr SRed^t in fich trägt, unb
fie ift e? in erftcr ^infidjt, bie ihn jutn repräfentatioen 2>i<f)ter
ber rcatiftifd^en Sßeriobe unferer Siteratur macht: in feinem (St¬
ieben geftaltete er ba? it)re, bü? treibenbe @tho? Montane? if* i»
ber ^Reifezeit feine? ©Raffen? ba? <$tb>os ber ganzen er hat
ba? Befte ber bürgerlichen $ra be? neunzehnten Sahrljunbert? in
fein 28er! hinübergerettet.
Seife Hingt bie eigene Sftote be? fpäteren ®ünftlertum? fdhon
in bem elfjährigen Sfrtaben auf, ben ein ßmergenfieg über fRiefen
oerwirrt, weil er gegen bie natürliche Drbnung ber £)inge der»
ftöfjt. «Schon h^r regt fich, wa? erft fpäter bewußt heroortritt unb
fjrudfjt bringt, ba?. Unableitbare unb SEBefentliche, wie e? audh ben
SJtenfchen unb Zünftler gontane, oor allen bloßen Beziehungen,
Umftänben, Berhältniffen, erft zu einer eigenen ©eftalt macht.
/^5ett»i§ waren bie heimlichen Bebenfen be? jungen Sutane gegen
|>elbentum unb greiheit?begeifterung nicht ftar! genug, ihm
feine finbliche $reube an ben bunten 2Beltüorgängen zu oerfümmern.
£)ie Stoinemünber Sahre unb bie nächftfolgenbe 3 e «t jtnb oon
einem fteten Sntereffe für alle? £>iftorifche erfüllt. 3n feinem
Zehnten Sahre gefragt wa? er werben wolle, antwortete Montane
unbebenflid^: „^ßrofeffor ber @efd)ichte". Unb biefe Borliebe bauert
an, al? er ©dfüler be? ©pmnafiunt? oon Sfteu-Buppin wirb.
Primaner pflegten mit bem brej^ehnjährigen Tertianer fpazieren •
ZU gehen unb fid} für? ©efdjicht?ejameit einpaufen zu laffen.
Sonft war e? mit ber Borbereitung, bie er mitbrachte, nidht
allzu gut befteUt. 3)a? Befte ber Äinberzeit blieb bie Anregung,
bie oom SBefen be? Bater? au?gegangen war. $°utane hot fich
ihm noch reifer 9ftann oerpflichtet gefühlt. 3)ie innigfte Zu¬
neigung überbauerte ben fcharfen ©egenfap oon 2eben?haltung
unb ©hurafter. @r fah ihn al? fdjiefgewicfetten, in? 2tpotheferhafte -
überfefcten SBeltweifen, ber hütter übertriebenem 3 eu g rin Stücf
Wohlberechtigter Seben?anfchauung oerbarg. SJtanche (Eigentümlich»
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1. 2eben3gefcljicf)te
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feiten ftnb benn auch Sßater unb ©otjn gemein. 2)er eine märe
am liebften zeitlebens auf ber ©ud)e nach einer neuen 5Ipott)efe
in ber SBett |erumfutfediert, ber anbere manbette unermübtich
bnrdfj bie 9Katf Söranbenburg; beibe maren unfeiertidhe ÜJtenfchen,
©efprädjSnaturen, bie in ber Untergattung mit. 35ame.n baS 23e*
benftidje graziös ju umfreifen liebten unb fidj gern in pharma*
Zeutifchen Slnfpielungen bemegten, x $enri Montane in ben $tf<f)=
reben ber ©minemünber Steffource, ber ©ofjn in feinen fpäteren
Romanen; beibe liebten bie Äonoerfation nach ihrem perfönlidjen
SöebürfniS Z u geftalten, befaßen bie Seibenfctjaft beS SBorteS unb
bie ^Beruhigung, eine ©adt)e für ftch ertebigt ju fjaben, menn fie
gut formuliert mar.
Sn meu*muppin, mo ber zwölfjährige Montane 3tpril 1832
in bie Quarta beS ©pmnaftumS eintrat, mar feines SöleibenS niefjt
lange, „ßefen, ©Treiben, meinen; biblifdje ©efchicfjte, römifdje
unb beutfefje Äaifer; (Sntbecfung t>on Stmerifa, Sortej, Pjarro,
ütiapoteon unb bie ÜDtarfchätte; bie ©cfjtacht bei maüarino, SBombarbe«
ment oon Algier, ©rodjom unb Dftrotenfa; SßfeffetS XabafSpfeife,
,9tachtS um bie zwölfte ©tunbe‘, £otteiS üftantettieb unb beinah
fämttidhe ©cfjiUerfd^e Sattaben. 35aS mar, einfdjtiefjftctj einiger
tateinifdfier SBrodfen, fo ziemlich alles." 3)iefe Aufzählung feiner
nad) meu=muppin mitgebrad^ten Äenntniffe aus ben „Äinberjahten"
Zeigt beuttich bie ßufättigfeit unb baS mebeneinanber einer $Bor=
bereitung, bie fein geeigneter ©oben für eine regelrechte ^öt)ere
©cf)utfaufbaf)n fein fonnte. Montane war benn auch ein mittet«
mäßiger ©djüler, beffen einziger mutjm Napoleon unb bie 9J?ar*
fctjälle bfteb.
©cf)on im |>erbft 1833 tiefe bie SBittfür beS SßaterS ben Knaben
baS ©pmnafium mit ber Ätöbenfdtjen ®emerbefd)ute in ^Berlin
oertaufchen. $u ber Ungeorbnetfeeit ber $enntniffe fam noch baS
©egeneinanber oerfchiebener Sehrpläne. 35er ©efchichtSunterridjt,
baS einzige $adh, bem er eine natürliche Neigung entgegenbrachte,
fiel meg, minimate S3rucf)teite oon Satein unb ©riechifch mürben
burdh neue aus ben maturrniffenf^aften oerbrängt.
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12
©rfter Seil. ©runblagen unb Anfänge
ÜRaeß breieinßalb 3taßren bricht biefe ©cßulzeit unüermittelt ob,
oßne baß ^ontanc etmaS SBIeibcitbcS mit fortnimmt. 2Bie menige
gleiten langes oerbanft er feinen Schuljahren nichts unb ber Folge¬
zeit, feinen eigentlichen Seßrjaßren, alles. „Einige Süden mürben
moßl jugeftopft, ober baS berühmte Sßort oom ©tüdmerf traf auf
SebenSjeit bucßftäblicß unb in befonberer Imcßgrabigfeit bei mir zu."
3u ben inneren ©rünben, baß eS mit bem Semen fo traurig
»erlief, traten äußere. Montane mar in Serlin einem Onfel in
Sßenfion gegeben, ber fieß ju nichts meniger eignete, als fRüdgrat
unb geftigung in eine ungeorbnete ©fiftenj ju bringen. (Sitel
Summelei unb liebenSmürbigeS Nichtstun, brachte biefer Onfel
Sluguft, ein J>od^ftaplertfc^eö ©egenftüd §enri F ont oneS, bem
$eranmacßfenben bie gefährliche ©eite ber Serßältniffe, in benen
er in ©minemünbe gelebt hotte, oerftärft nahe. SeneS faloppe
|>anfeätentum, baS bort ohne bie Seßaglicßfeit eines luftigen 2Boßl-
lebenS ju ftören, einen Sanferott nach bem anbern zeitigte unb
auch bie fonberbare ©efcßäftsfüßrung unb bie entfpreeßenben ©elb»
oerhältniffe im elterlichen £aufe unßeilooH beeinflußte, geigte fich
ins Serlinifcße überfefct bei Onfel Sluguft bem jungen Montane
öon neuem im lodenben Sicht eines blenbenben äußeren Scheins,
©in ausgiebiges ©cßulfcßmänzen mar ißrn halb jur ©emoßnßeit
gemorben, ein unfchulmäßigeS $>afein, feßon auf ber ©cßule, baS
ber jmanglofen Sugenbjeit in ©minemünbe unb ben fpäteren litera»
rifcß intereffierten Faßren beS SlpotßeferS fieß mefenSäßnlicß ein-
gliebert. $)ie gemonnene $eit biente oormittagS langen Streifereien
in ©runemalb unb Sungfemßeibe, SReßbergen, ©cßlacßtenfee unb
Siegel; ber SRacßmittag in ber Äonbitorei ju eingeßenber Seftüre
ber berliner SageSblätter, bie ben ©dßitler mit bem geitgenöfftfeßen
Siteraturieben befannt machten. $um ©lüd bauerte biefeS Summei-
leben nießt lange. Dftem 1836 bricht ber finanzielle SRuin über
Onfel Sluguft ßerein, unb $enri Montane bringt ben ©ecßjeßn-
jäßrigen in einer Slpotßefe als Seßrling unter.
S)aS außerberuflicße Sntereffe literarifcßer unb politifdßer Statur
bemaßrt ißn oon nun an oor bem Serfinfen in bie Stumpfheit
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1. £ef>en3ge)d)ic()te
13
einer ouf bfofjen ©rtoerb genuteten Vefdpöftigung. SBie man in
ben morgenblidpen ©jfürfionen beS Sdpnlflücptigen einen Vorffang
ber Söanberungen burdp bie SJtarf fepen fann, fo beftimmt bie
Seftüre non ßritifen unb 2luffäfcen, Slooellen unb ©ebiepten im
„Veobadpter an ber Spree", bent „freimütigen", bem „©efett*
fepafter" unb oor allem bem „berliner figaro" fontaneg litera¬
rische Anfänge. 3m berliner figaro, feinem erffärten Seib- unb
SDlagenbfatt, erfepienen bie erften puerilen Verfudpe beg Sfpotpefer*
teprlingg, bem ein Slbbrucf feiner Sprifa unb Vallaben mie „Pjarrog
£ob" ober „Simfon im Xernpel ber ^ßpififter" über bie SKifere
feiner redpt untergeorbneten Stätigfeit gfüdfficp pimoegpaff. SIfö er,
opne fonberfiepe Äenntniffe unb Vorbereitung, im 2)ejember 1839
naep fnapp oierjäpriger Sepr^eit fein ©epilfeneEamen beftanb unb
jum „§errn" aoancierte, fonnte er jufäKig am fetben Stage
im figarö jum erftenmat einen feiner nooelfiftifdpen Verfudpe,
„©efcpmifterfiebe", gebrudtt finben, ein ©rfofg, ben ber ftrebfame
jünger beg ^arnaffeg pöper einfepäpte afg bag eben beftanbene
©jarnen unb oor ben unquatifijierten Opren ber Sßrinjipafitüt
unb Äoüegenfdpaft fefbftbemufjt üerfepmieg.
tfcontaneg Stpotpefer^eit mäprt, bie Seprjapre abgeredpnet, fnapp
O neun Sapre, big jum fperbft 1849. ÜUiit feiner $eirat unb Etablie¬
rung afg freier ScpriftfteUer beginnt ein neuer ßebengabfdpnitt.
®iefe neun Sapre finb eine ßeit beg fteten tangfamen Steifen?
unb einer immer umfaffenber unb fidperer fidp auSbreitenben SQSelt-
unb äJienfdpenfenntnig. Spr literarifdper Ertrag fommt nidpt in
Vetradpt: eine teils anempfunbene, teils feere Sßrobuftion, in ber
üon fontaneg bicpterifcpem SBefen noep nidpts fidptbar toirb.
3)ag gilt befonberg oon biefem erften ^Berliner Slufentpaft.
S)er junge ©epiffe blieb big jum $erbft 1840, im ganzen alfo
oiereinpafb Sapre, in feiner alten Stellung. Seine ßeit ift jtoifdpen
beruflidper Pflichterfüllung unb fiterarifepen Sntereffen geteilt,
opne bafj eg jum Vemufjtfein eineg gmiefpafteg oon .ßtoang unb
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14 (Srfter Seit, ©nutblagen unb Anfänge
Steigung gefommen wäre. gontane nahm ba! Seben, wie el ficf|
ihm gab, in feinet £atfädjlid)feit, freute fid) feiner Keinen ©ßicfl*
fäöe unb trug' gelaffen manche Unannehmtichfeit unb 23efchrän»
fung, bie perfönlidfe Ser^ältniffe, Xätigfeit unb Umgebung ber«
antaffen mosten.
2Bal bie ©eftalt bei jungen Montane au! feiner nüchternen
Umgebung ^crauS^cbt, ift bie tiefere Anteilnahme, ba! frifdje
Sntereffe an Seben unb SKenfchen aßer Art, mochten fie ihm nun
berwanbt ober fremb ober entgegengefe|t fein. 5)ie f^Ubjigteit, fid)
— wie er e! einmal aulgebrücft hat — „in gehn ©tunben, um
nicht ju fagen ßftinuten, an jefjn Gingen freuen ju föhnen", bie
unermübtiche SBeobadjtertuft, bie ihn burch fein ganjel Seben be»
gleitet, ihm auch om färglidhften £ag eine Keine ^reube, eine 93e*
reicherung feine! SBiffenl um bie SBirKichfeit bewert, — fie ift
bal Reichen fchon biefer frühen ©tufe feiner ©ntmicKung unb ba!
©eheimnil jene! heimlichen ©chapel an geflauten Gingen, ber
burch Sahr^ehnte gemehrt bem Atternben plöfclich in rafdjer unb
überrafdjenber golge SBerf auf SEBerf fchenfen foßte.
An feinem ©h e f» c ' ncm SSoßt^pul bei öourgeoiltuml, fonnte
gontane feine ßJienfchenftubien beginnen. 3)iefel ÜDfufterftücf einer
ßRifdhung oon ©elbprop unb Silbunglparbenü wirb manchen $ug
•$u fpäteren ßtomahgeftatten hergegeben haben.- 2)ie jum %til recht
burchfchnitttiche Äoßegenfcfjaft offenbarte bie Xroftlofigfeit liebe»
bienerifcher unb innerlich fchäbiger ©jiftenjen. Aber el gab auch
grabgemachfene Naturen,* mit guter Äinberftube, bie ben Äontraft
fichtbar machten, unb Montane lernte, burch ferne titerarifchen 33er*
binbungen in bornehmen berliner 33ürgerhäufern ju ©aft, au!
eigenem Aügenfdhein fennen, bah Reichtum unb ©olibität wohl
bereinbar finb.
3m Äünftlerifchen fehlte ber ftarfe Söeifer, ben ihm in menfef}*
liehen Gingen fein gefunbel ©mpfinben bon bornherein gab. Aße
Iiterarifdhen üßtoben mürben bon bem jungen Apoßjefer mitgemacht,
bie aßgemeine ©trömung trug ihn burch ba! ©etriebe einer bichte*
rifdh minbermertigen ßeit; aber ohne fonbertid)en ©(haben. @r
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1. £eben3gefdjict)tc
15
probuzierte mol)l fdjoit, ober ni<f)t int eigentlichen Sinn, jebenfallS
blieben bie tieferen fdjöpferifchen Energien gefront, unb maS ber
2tötag heranbrachte, mürbe lebigltcf) junt mohlgeficf)teten, ju fpäterem
©ebraudh aufgeftapelten (Stoff. ■
Sie menig entfprad) gontane bent bamaligen ^Begriff beS
©enieS, baS man in ben breiiger unb oierjiger fahren ohne be*
ftimmte ntoralifche $)efefte nicht benfen tonnte! Nur an geiertagen
unb ben möchentlicf>en freien Nachmittagen ging er fonntägtich
aufgepuft ins Safe, .um fich, in einen Salb oon Leitungen oer*
graben, ber neueften literarifd^en unb politifdjen Sreigniffe ju er*
freuen., Sr mar ein mohl gefeUiger, aber ungefellfchaftlicher ÜNenfch
unb oermieb, mehr aus Snftinft als Berechnung, ein allzu - perfön*
li<heS Engagement, baS bie Klarheit feines BlicfS getrübt hätte.
3llS SNitglieb eines ißlaten* unb eines Senauflubs fnüpfte er mof)t
Beziehungen an, bie fich jum Steil in fpäteren fahren fortfefcen,
aber,über einen freunblichen Ston ift gontane im BerhättniS ju
anberen SNenfchen nie hinauSgefommen, feine felbftanbige Slrt htef
ihn innigeren Berfehr nicht fuchen, mar offen unb lebhaft, ohne
herzlich unb tief ju fein. Sludj bie SNenfdjen maren fpäter feinem
Äünftlerblicf in erfter Sinie eine gegebene Schau, bie man ohne
ftarfe fubjeftiüe 5lnfprücf)e unb gemütliche Erregtheit in ihrer Eigen*
art zu erfennen unb zu refpeftieren ^abe, unb fchon ber junge
gontane ber Sßfaten* unb Senauflubs ift feine Natur, bie 9Nenfd)en
entfeheibenb umformen, bereu ®unft perfönliche Srlebniffe grunb*
tegenb beftimmen. So fann oon ben Befannten ber bamaligen
$eit, mie fie gontane in ben meitauShotenben Erinnerungen „Bon
ßmanjig bis Streifig" ©eftalt an ©eftalt reiht, füglich gefdjmiegen
merben. Unb auch uon ben früheften poetifdhen Bemühungen. SaS
in ber Stille ber Nezeptierftube neben ben Stpothefertränfen an
Berfen zufammengebraut mürbe, ift einer gütigen Bergeffenljeit
anheimgefallen, meber für gontane noch für bie geit charafteriftifd),
untr foll ni«ht zu unrecht ans Sicht gezogen merben. Stuf baS
EntmicflungSgefchichtliche unb lebenbig gortmirfenbe fommt eS an,
nidht auf bie Äonferüierung belanglofen Schriftgutes.
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16 GSrfter Seil, ©ruublagett unb Anfänge
3m £>erbft 1840 oertiejj Montane Berlin, um in Surg, einem
©täbtdjen in ber 9^ät)e äftagbeburgS, zu fonbitionieren. 2)odh oon
grausamer Sangweite geplagt, fehrt er fdjon nach einem 9Siertet=
fahr ber tebiglicf) ffatfpietenben unb fegelfc^iebenben Sürgerfctjaft
ben dürfen unb reift nach Sertin ^uriicf. ®urch bie grembentifte
erfährt er zufällig non ber 3lntoefent)eit eines Seipziger Slpothefen*
befiperS, trägt biefem aufs geratewof)t feine ©ienfte an unb wirb
für Oftern 1841 engagiert. 9SöHig öeränberte, groftftäbtifche Sehens*
üerhättniffe treten in Seipjig an ihn heran. • 2)aS 3Rüf)felige beS
EefchäftSbetriebeS ift bem erften Sßrooifor übertaffen, ber Sfjef
begnügt fid^ bamit, pin unb mieber burd) bie 9tpotf)efe ju gehen
unb feinen ütngefteltten freunbtich jujunicEen; ©efctjäft unb gamitie
finb getrennt, ber Stnfömmfing erregt SBertegentjeit unb Serwunbe*
rung, als er, in patriard)alijcf)en berliner Slnfd^auungen befangen,
fidh anfchidft, ber $tau öom £aufe feine SSifite ju machen. Slber
er gewöhnt ftd) fchneÜ in bie neue Umgebung. 3Jät bem $53af)n
einer abfotuten Priorität SertinS unb alles Sßreufjifdjen h ers
gefommen, gibt er nicht nur .baS ®ogmp oom „fdfjönen Sertin"
auf, er finbet auch neben ber fpridhwörtlidhen fäcfjfifchen ©emütlicf)*
feit eine tebenSfräftige Energie fidfj regen, af>nt bie SitbungSüber*
tegenfjeit einer jafirfiunberteatten, wurzetfräftigen Kultur unb wirb
burdj biefe Erfahrungen frühzeitig baoor bewahrt, einem engen
SofatpatriotiSmuS ju Oerfaflen, ber gar manches bichterifctje latent
beS Realismus oerfümmert hat.
Montane fühlte fiep wohl in ßeipjig, feinen ®efi<f)tSfreiS er*
weitert, feine Statur geförbert, unb baS half über mandheS Un*
bequeme hiuweg. 2)ie Situation eines 9tpothefergehilfen war hier
feineSwegS günftiger atS in Sertin. $ür ihrer oier ejiftierte nur
eine Keine Stube mit einem noch fteineren Sltfoöenanhängfet, in
wetdh tepterem oier Setten ftanben, oon benen zwei nur mit £itfe
oon ttberftetterung erreicht werben fonnten. SDaS Sicht fiel Oon
einem bunften £of burcf) ein etenbeS äftanfarbenfenfter hinein.
§lber biefe primitioen 2öof)nungSoerhäItniffe fonnten feine SebenS*
freube nidht oerfümmern, anfprudhStoS unb leidet zufriebengeftettt
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1. £eben3gefd)idjte
17
Jjatf er fid) über baS $ärgtidje ber änderen ßebenStage hintoeg.
@S gab diel Unerfreuliches, aber auch öiete Ülnnehmtichfeiten. Sie
ÜKorgenftunben oor bem ©efchäftSanfang »erben ju Spaziergängen,
ju Schmimmbäbern in ©Ifter unb Reifte benufct, baS ffrühftücf
mirb im freien, in ber fchattigen 9Jiorgenfüf)te eines ©artentofateS
beS „SftofentatS" eingenommen, unb an freien Sagen mirb natürlich
baS leipziger Schtadjtfetb aufgefuc^t. Smmer erft fpät abenbS
fehrt er oon folgen hiftorifchen Ausflügen zurücf unb freut fid),
je müber er ift.
Sluch fernere Sage fommen. @r er!ran!t — es modjte ein
Sßieberaufftacfern beS SpphuS fein, ber ihn oor StohreSfrift in
^Berlin auf SBochen ans ßranfenbett gefeffelt hatte — plö|Ii<h an
©etenfrheumatiSmuS unb liegt oon SOtitte Februar an fedhS, fieben
SBodjen fich unb anberen zur tßeiit in jener etenben, zur SpphuS-
brutftätte mie gefdhaffenen Sachftube. ©ine nahe ©ermanbte nimmt
fich fchliepch feiner an, man ift in ber Stpothefe froh, ^ en Äranfen,
ber fich uidht erholen fann, toSzumerben, unb gute pflege täfjt ihn
nun fchnett genefen.
SSom Suti 1842 ab ift Sutane in ber Struoefchen STpothefe
in SreSben tätig, zufrieben, menn auch nicht fo mergnügtidj toie
in ßeipzig. SBieber lernt er ein neues Stücf SSelt fennen, nach ber
lebhaften ©efdjäftigfeit SeipjigS bie fülle Äunftftabt SreSben.
Sßieber mirb fein ©efidjtSfreiS gemeitet. 2ltS bie feftgefefcte 3eit,
ein Sahr, oertaufen ift, mitl er, zum erftenmal oon UmfattflfongS*
gebanfen erfüllt, fich tu ßeipzig als Schriftftelter etablieren. Ser
SSerfuch mißlingt, unb auch fein pan, bie Schulftubien mieber
aufzunehmen, um nach abfoloiertem ©jramen ©efdjichte zu ftubieren,
mirb glücftichermeife burdh bie ÜDtititärpfticht, bie ihn für Oftern j
1844 nach Serlin zum ffranz*9tegiment ruft, burdjfreuzt. Seine
oon ©runb aus mangelhafte SJorbitbung hätte ihn baS ßiet hoch
nicht erreichen taffen, unb fo mürbe menigftenS nur ein halbes
Saht oertröbelt. j
Dftern 1845 ficht er fich äem $tpotheferberuf miebergegeben j
unb nimmt in Berlin eine neue Stellung an. Slber mit bem forg* j
SBanbrety, Soutane 2 |
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18
(grfter Seil, ©runblageu unb Slnfönge
lofen Seben in ßeipzig unb 3)reSben mar eS je|t botbei. 3roang
unb Neigung, bie bisher frieblidj nebencinanbcr gcftanben Rotten,
fingen an, fidj in itjrer ©egenfäfcücfjfeit geltenb ju machen unb
einem Haren ©ntfdjeib jupbröngen. ©S fdjien baS befte, erft ein*
mal baS ißrobiforepmen abzulegen unb im bisherigen SSeruf einen
äußeren ^bfdjlufj p gern innen, ber ib>m für bie .Sufunft auf äße
Säße fRü(ff)att bot, elje er fidj fchriftfteßerifdjen Hoffnungen hin¬
gab, bie bielleicht trügen fonnten. ©r betreibt alfo erft in Söerün,
bann bei ben ©Hern auf bem Sanbe feine ©tubien fo gut eS gehen
miß unb bricht fchliefjlidj mit h^fich geringen Äenntniffen pm
©jamen auf. 2)er „SDurdjfchlupf" gelingt mit fnapper Rot. £rop=
bem ift menig gemonnen, feine finanziellen Mittel zur Verfügung,
feine ©pur bon SebenSauSfidjt bor ihm. @S h°tf fdjlmp<h nichts,
er mufjte toieber irgenbmo unterjufommen fuchen.
Sm ©pätherbft 1847 tritt Montane ferne Ie|te 21potljeferfteßung
an. 2)aS folgenbe Sahr bringt bie berliner Reoolution nnb greift ba*
mit, menn auch nur mittelbar, in bie äufjere ©eftaltung feines SebenS
ein. 2öie er irtnerlicf) ju ben ßeitfragen ftanb, mirb ein furjer ©lief auf
feine bisherige ©djriftfteßerei unb feinen literarifchenllmgang erläutern.
Cjrtt bie unfelbftänbigen Rerfuche ber erften ^Berliner 3ahre hatten
[ich neuere, ebenfo unreife angefchloffen. Sn Surgtoar ein ©poS
„SSurg an ber Sh^" im ©til bon SlnaftafiuS ©rünS „©parier*
gangen eines SSiener ißoeten" entftanben, bann haß« bie Seipziget
©chladhtfelbbegeifterung einen freiheitlidhen iUeberzpfluS gezeitigt.
„2)af; bie ^rei^eit noch nicht ba mar" — urteilt Montane fpäter
in gerechter ©elbftironie bon biefer Sßrobuftion —, „madhte mich
meiter nicht tief unglücflidj; ja bielleicht mar eS ein ©lücf für
mich, ich hätte fonft nicht nach ihr rufen fönnen."
Söidjtig mürbe bie SBefanntfdjaft mit bem SBerlagSbudjhanbler
Robert Sßinber, bie Montane einem fatirifchen ©ebidjt berbanfte, baS
in bem bielgelefenen „leipziger Tageblatt" erfchien unb in feinem
fedfen $on biel beffer als bie pathetifdh*freiheitlichen Reimereien,
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I
UNIVERSITY OF MICHIGÄtA
1. Sebenggefdjicbte
19
wie man fie bamate allerorten tefen fonnte, geeignet war, auf
feinen SSerfaffer aufmerffam $u machen. 2)er „ßeipjiger ©djiUer-
oerein“ fyatte eine ©djillerwefte erftanben unb bem ©dfiflermufeum
einoerleibt, üftan machte ein mistiges (Ereignis barauS. Unb nun
fpottete ^ttane in folgenben, „©IjafefpeareS ©trumpf“ betitelten
SBerfen:
Saut gefungen, fjoc^ gesprungen,
Cb Dcrfcfyimmett aud) yitb bumpf,
mir fabelt if^it errungen,
SßiUtam ®t)aEefpearcg mottuen ©trumpf.
®ef)t, mir Ijaben jefot bie Strümpfe,
.'pabeit jefot bag tjeü’ge ©ing,
©rinnen er burd) ÜJtoor unb ©ümpfe
©icfjer oor Cfrföltung ging.
Unb mir fjulbigen je&t bem ©trumpfe,
©er ber ©trumpfe ©fyafefpeare ift,
©enn er reicht ung big jum SRumpfe,
SBeit er faft jmei (Sßctt mifjt.
3et)t, mir fyaben je&t bie ©trümpfe,
©ran er pufcte, mifd)te, rieb
Ungejätjtte geberftümpfe,
9Itg er feinen fandet fdjtieb.
©rum herbei, mag 2trm unb Seine,
(Juer parret fd)on ©riumplj,
Unb bem ,,©f)afefpeare*©trumpftereiue"
§etft »ielteid)t itjr auf ben ©trumpf.
2)iefe$ ©ebicfjt, baS nod) fjeut oöHig frifcb ift unb fefjr Wol)l in
unferen Stagen (als ©atire etwa auf bie ftarfe Überfettung einer
ftoffgefcf>idjtlidj orientierten 2iteraturbetracf)tung) gemünzt erfdjeinen
fonnte, oerfc^affte gontane ©intritt in bie literarifdjen Greife Seip*
jig$. ©r wollte erft einmal „bineinfotnmen" unb würbe be&ljalb
erft einmal ißartei, wenn auch nur für furje $eit Site SJtitglieb
eine« $erwegf)*Älub§ ift er eljrlidj ber etjrltc^en po!itifdj»freil)eit-
lidjen ^Bewegung Angegeben, l)ört aus ben gutgemeinten Sßljrafen*
2 *
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0rigiaal from
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20 ©rfter Seil, ©runblagen uitb Anfänge
gebieten anberer mibertönen, maS jeine eigenen SreiheitSlieber
fchmetterten. Srucfjtbarer als biejer, [einem auf baS befomten 3Jia^
üolle gerichteten SBejen frembe 5rei§eitSfuIt mürbe bet SBerlehr
mit SBilfjelm SBolffoljn. @r führte Soutane in bie ruffifdfje ßiteratur
ein, »ermittelte if)m bie SSSerfe SßufchlinS, ©ogols, Sermontoms,
mistige ©inbrücte, bie für ben fpäteren 9tomanfdE)riftfteÖer gang
allgemein non 93ebeutung mürben, menn auch feine birelten ©in*
flüffe nadffmeisbar finb. '
Sn Berlin trat bann Soutane halb nach ©eginn feiner SWilitär-
geit im 3Hai 1844 ber 3)i<htergefeIIf<haft „$£)er Tunnel" bei, ein
herein, ber bereits feit fiebjefjn Sauren beftanb. „Sauter SBerbenbe
maren eS, bie bep-$unnel aüfonntäglicf) in einem öon SabalSqualm
burchgogenen Äaffeelofale öerfammelte: ©tubenten, SluSlultatoren,
junge Äaufleute, gu benen fich noch ©cljaufpieler, $rgte, Offiziere
unb junge Seutnants gefeilten." dichter mie ©eibet (ber fpäter
ben SCunnel eine $leinbi<hterbemahranftalt nannte), $et}fe, ©torrn,
S)at)n, ein Äünftler öorn 9tang Kbolf SDtengelS, ber öortreffliclje
Überfefcer 2)anteS, Otto ©ilbemeifter, jagten gu ben ÜDiitgliebern.
2)aS ®roS bilbeten Offiziere unb abelige Slffefforen.
Montane fühlte fidh halb heimifdh- Sc unleiblidjer ihm mit ber
ßett fein SBeruf mürbe, im Tunnel fühlte er fich am rechten Sßlafc.
„@S lommt" — befennt er einmal in feinen lebten ßebenSjaf>ren —
„barauf an, bajj einen baS Seben, in ©emäfjfjeit ber öon einem
öertretenen ©pegialität, richtig einrangiert, ©o !am eS, bafj ich
trofe meiner jämmerlichen SebenSgefamtfteKung bodh jeben ©omttag
nachmittag öon öier bis fedj3 richtig untergebradfjt mar, nämlich
im Tunnel." 2)ie gefeUfdfjaftliche ,3ufammenfe£ung unb ber gefeit*
fchofttiche £on maren öon günftigftem ©inftujs auf SonlaneS geiftige
©ntmief fang, bie öon Anfang an bie Xenbeng gur SreitenauSbehnung
geigte, ermeiterten abermals aufs glücflichfte feinen ©efidjtSfreiS.
SluS ben öerfcljiebenften ©tänben unb ©ehrten fanb man fich hier
gufammen. Sßolitifche ©egenfä|e lonnten nicht ftörenb bemerfbar
merben, ba bie £unnelftatuten jebe politifche Debatte auSbrücElich öer*
boten. Unb menn Soutane in Seipgig freiheitsbegeiftert gefungen hotte:
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1. ßebenägefdjidjte
21
2Bie lange nod) folt biefe§ Treiben mähren,
2Bie lange fpieifen wir „berfeljrte SBelt"?
®ie ©Habenfeele bettelt ftd^ gn @ljren,
Unb jebe freie SKännerfeele fällt
fo machte er jefct bie (jeilfame (Erfahrung, bafj eS auef) of)ne Sßolitif
ging, bafj ein Äonferoatioer unb 9l(tminifterießer feljr mo()( mit
bem Älabberabatfdj-Sömenftein am felben ©ifcf) fifcen tonnte. üftan
mar fongiliant unb fiefj fef>r mof)( aud) baS gfreifjeitfidje gelten,
aber man ging nidjt in einfeitiger §ermeg(jbegeifterung auf. Montane
gemöfinte fi<f) halb ab, im „ßeipgiger ©on" gu fingen. Slfö ifpt
um 1848 f)erum bie ßeitereigniffe gu einem f(einen SRüdffaü in
b'aS fdfjon übermunben geglaubte ^reifjeitlidje oerleiten, ift ba$
bombaftifefje, SRebenSartlicfje abgeftreift unb ein übermütiger ber¬
liner ©on, ooU 2Bifc unb Pointen, an bie ©teile getreten. @r f)at
mit einem ©pottg'ebicfjt, in bem er feine braut fctjergljaft gur %x&
manberung nadj ©übamerifa aufforbert, einen grofjen @rfo(g.
Statt ber @abignt)§ unb ftatt ber Uljben
Üben bort duftig, bie $Boto!uben,
Unb burd)3 Sdafenbein ber golbne SRing
©ragt fid) leidster al§ bon SBobelfdjtbingt).
berfe mie biefer fanben im Tunnel feinen 5Inftofj. Stber trop biefeS
gelegentlich ^eroortretenben greifinnS mar man bodfj gut preufjifctj
gefinnt. Unb mef>r als baS jßolitifctje, mehr audh a(S auSgefprochene
gormtalente, mefentlid) äfthetifetje unb Iprifche begabungen mie
§epfe unb ©torrn, liebte man baS ©erbe, üRörbliche, SReatiftifctje.
gontane fanb fidf), nadjbetn eS if)m guerft nicht gut gegangen mar,
gang allmählich gu ©toffen f>eran, bie gum ©umtel fomotjl mie gu
if)m felber beffer paßten als bie politifcJje ©atire. @r fing an, feine
■äRotioe ber ©efdhidhte, befonberS ber branbenburgifdjen, gu ent-
lernen, fefcte fiel) mit bem „Sttlten ©erfflinger" oerbientermafjen in
SRefpeft unb mürbe neben ©djerenbetg, ^efefiel unb Heinrich ©mibt
gum am meiften beifteueruben Sttitgtieb. ©er „$rcf)ibalb ©ouglaS“
erringt ihm einen ber größten (Srfotge, bie bie ®efct)icf)te beS bereinS
tergeidjnet.
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22
(Srfter Seit, ©runbtogen unb Anfänge
8ltS ber SDZärj 1848 herantam, war Montane eigentlich fdfjon
über baS Unreif*$ufiertiche an ber ßeitbewegung, bie ^ßfjantafterei
ber Sitaniben unb SoftrinärS unb i§r @<hwanfen gwifchen troffen
©egenfä|en hinauSgewachfen. ©eine, oon aufjen gefe^en, ein wenig
äWiefpältige ©teßung $u ben Ereigniffen jener Sage finbet ihre
Erllärung einerseits in bem ftarfen Engagement jugunften aßer
georbneten ©ewalten, wie eS fdfjon aus bem Knaben Spricht, anberer*
feitS in bem bamit oSt in SBiberfprudf) befinbtichen tiefgewurjelten
©efüf)t oon ber S^tbftöerftänblidhen Berechtigung aßeS wirtlich
lebenbigen ©efdjehenS. SEBenp gontane mit Seiner attioen Beteiligung
an ben Borgängen beS 18. SJtärj eine fomifche Sftoße Spielt, wenn
er Später auf bie achtunboier^iger Sage nicht ohne einen Einjdjlag
ironischer ©fepfiS jurücfbticft, So bebeutet baS nicht, baS ©an$e
Sei ihm eine Narretei, ein nicht ernft ju nehmenber Eyje| bürger*
lieber ©rofjmannSfucht geweSen. Äomifch in man<hem Pufferen, waren
ihm bieSe Borgänge hoch unb würben ihm Späterhin in oerftärttem
ÜRafje jum wenn auch ungefdjicften StuSbrucf tiefbered^tigter innerer
Slnfprüdfje.
Sßtit geheimen SQ3infetriebgefüt)ten ftanb er an jenem benfwürbigen
üKorgen am SRejeptiertiSdj ber Slpotljefe, nahm aber hoch bie Äunbe
oon ben Borgängen auf ber Strafe nur mit einem ftarf äftljetifch
geröteten Empfinben auf: „3n meinem ©emüt würben plöfclidfj
aßerhanb Baßaben* unb ©efchichtSreminifjen$en lebenbig, barunter
bunfie Borfteßungen oon ber ungeheuren Sßiacht beS ©turmläutenS;
aßeS ©rofje, fooiel ftanb mir mit einem ÜRale feft, war burdf)
©turmläuten eingeläutet worben." Er läuft alfo, ohne fich lange
ju beftnnen, auf bie nur fünfzig ©chritt entfernte ©eorgenfirche
ju, um mit ©turmläuten ju beginnen, rangiert fidj bann einem
ber umhcrjiehenben Strbeiterljaufen ein, ohne ju Wiffen, • was bie
ßeute oorhaben, ftürmt baS Äönigftäbtifdfje Sheater mit, erbeutet oon
ben SluSftattungSftücEen einen alten Karabiner unb hät momentan
ben ©tauben, bafj einer #etbenlaufbahn nun nichts mehr im SCBege
ftehe. Erft als er in fieberhafter Erregung baran geht, ben alten
©djiefjprfiget ju laben, machen ihn bie behäbigen SCBorte eines
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1. £e6eit§gefcf)id)te
23
fopffdEjüttetnben ©ürgerS auf bie traurige Äinberei feines SenetjmenS
aufnterffam. (Sr ift unglücftich, aber bocf> pgteief) wie erlöft, $u
ooHer (SrEenntniS feiner SSerfe|rtt)eit gefommen, jie^t fic^ Eteinlaut
nach |>auS jurücE uub wirb ben Vorgängen ein aufmerEfamer
^Beobachter, ohne felbft mehr aEtiü einjugreifen. SSieleS erinnert
ihn an fein eigenes Tun, fein ©tenbSgefü^I über baS, was eine
Sfteootution fein will, wädjft beftänbig. Sßeber bie Bürger, noch
baS Militär ffeinen if)m fef>r bei ber Sache $u fein: „Unfere Seute
find nicht barauf eingerichtet, fiefj untereinanber ju ntaffafrieren;
folche ©egenfäfce hoben fief) hierjulanbe nicht auSbilben Eönnen."
SltS bann bie Nachricht Eornrnt, bafs alles „bewilligt" ift, h°t
Montane ben ©inbrudE, als fei, waS fich ba Sieg nannte, nur ein
mit hoher obrigfeitlicher ^Bewilligung juftanbe gefommeneS ©twaS,
bem man ganj ohne SRot einen üoltstriumphlidhen Slnftridh ge«
geben höbe.
©rft oierjig Sahre fpäter fieht er in feiner Selbftbiographie
bie Vorgänge jener 3aE>re ebenfo reif unb wettgerecht toie fontanifch,
fieht in ihnen bie SBahrjeidhen einer neuen Ordnung, bie bie alte
Tradition ab jutäjen unb umjumobeln beftimmt ift. „(Solche Tinge
müffen — öorauSgefept, bafj ein großes unb allgemeines fühlen
in bem 9tufftanbe $unt StuSbrudE Eommt — jebeSmat mit bem Siege
ber SReüolution enben, meit ein aufftänbifd)eS SBolf, unb menn eS
nidhtS hot als feine nacEten £änbe, jcf)lief$tidh doch notwendig ftärEer
ift, ats bie mehrhoftefte georbnete äRadjt. 3m Teutoburger Sßalbe,
bei Sempach, bei §emmingftebt, überall baSfelbe." ÜRun erfennt
er ben Srrtum im edlen SEBoUen Friedrich SCBilhelmS IV. „Sr
handelte, wie wenn er ein Sßrofeffor gewefen wäre, bem eS ob«
gelegen hätte» Jtoifchen bem ethifchen ©efjalt einer alten lanb«
ftänbifchen SSerfaffung unb einer mobernen Äonftitution ju ent«
fdheiben unb ber nun in bem 9lltftänbifchen einen größeren ©elialt
an ©thiE gefunben. Slber auf folche Bestellungen fam eS gar nicht
an." Unb er fefct bem £>errf<her dies $iel: „Stuflehnungen, bie
mehr finb als ein Sßutfdh, mehr als ein frech oowt 3 fl un gebrochenes
Spiel, tragen bie ©ernähr beS Sieges in fidE), Wenn nicht heute,
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24
(Srfter Seit, ©runblagett unb Stnfänge
fo morgen. Alle gefunben ©ebanfen, auch baS fommt fjirtgu, leben
fidfj eben aus, unb f)ier bie richtige ®iagnofe (teilen, baS 3 u fööigc
oom Siefbegrünbeten unterfcf)eiben fönnen, baS ^ei|t Sftegente fein."
3m 9Rärz 1848, als bie Borgänge felbft fpielten, anläßlich
berer Montane in biefen SCBorten bie geredete SEBeiS^eit feineg Alters
auSfpricht, fonnte er ficf>, jugenblidh unb ungefeftigt, noch nicht zu
burdhbringenber Beurteilung unb tonfequentem Raubein ergeben,
unb fo reiht (ich an bie mifjglücfte Beteiligung am Aufftanb beS
18.3Rörj bie „Überzeugung oon ber abfoluten Unbefiegbarfeit einer
mofjlbifjiplinierten Sruppe jebem Bolfgljaufen, auch bem tapferften
gegenüber," unb baran wieber bie furze ©pifobe einer politifdjen
Sätigfeit im Sienft eben biefeS BolfSwißenS. @r weifj bei ber
Urmäljlerüerfammlung zur konftituante fo für fidE) einzunehmen, bafj
er gewählt mirb. ®ie Berfammlungen im königlichen ©dhaufpiel*
häufe oermittein ihm eine $üße lebenbiger ©inbrüefe, baS Stuf**
treten eines alten ©eneralS, ber fich freimütig ju könig unb Armee
befennt, unb eine 9tebe 3a!ob ©rimmS, ber ganz aßgemein über
Seutfdfjlanb fprid^t, wirfen befonberS nachhaltig auf ihn ein, ob*
gleich, °ber oielleicht gerabe meil biefe Ausführungen wenig mit
ben politifdfjen Angelegenheiten ber konftituante zu tun hatten.
ßur fetben $eit macht ihm ein fjreunb, ber Sßaftor ©chul|
im kranfenhauS Bethanien, baS Angebot, für auSfömmlicheS ©e*
halt, freie SBohnung unb Berpflegung bie pharmazeutifch’Wiffen*
fthaftlidhe AuSbilbung zweier kranfenfehweftern zu übernehmen.
SBieber einmal gilt eS, eine unleiblicf) geworbene Apotheferfteßung
aufzugeben. 9Ran läfjt ben ißolitifer, ber (eben Sag zur Beratung
ins ©dfjaufpielhauS geht, gern laufen, unb fchon im 3uni fiebelt
Montane nadh Bethanien über.
©ein ßeben mit ben beiben Siafoniffinnen wirb zum freunb*
liehen 3bpß, unb er pafjte hier auch oiel beffer hiu, als in ben
SReüolutionStrubel. ©etreulich wenbet er bei ber AuSbilbung ber
kranfenfehweftern bie fofratifche üßiethobe feines BaterS an, bie
ihm in gutem ©ebächtniS ift: „ßfteine BortragSweife, wenn ich
meiner Art zu fprechen biefen Slawen geben burfte, war bie plauber*
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1. £ebcn§geid)icl)te
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hafte, brin baS SCBiffenfchaftliche nur fo nebenher lief, roäfjrenb ich
beftänbig Slnefboten unb Keine ©ef Richten erzählte."
trftnf ©ierteljahre Bleibt Montane in ©ethanien. Sttß eS bamit
(jf auf bie ÜKeige gef)t, tritt ernftt>ofter benn je juoor bie $rage an
ihn heran: was nun? ®r war in ©ethanien fo oerwöljnt worben,
bafj ihm eine burdjfdjnittlicfje 9lpotheferftetlung unmöglich mehr
besagen tonnte, jurnat er baS ©efte baoon, Stellungen wie in
SreSben unb Seipjig, fchon innege^abt hatte. 2BaS alfo tun?
Montane fafjt ben fc^werwiegenben ©ntfchlujj, ben Äpothefer-
beruf auf jebe ©efaljr hin aufeugeben. 9tber feinerlei fefte ©töne,
feine öerlocfenben §luSficf)ten beftimmen ü)n ba$u, feine trügerifchen
Äünftlerphantafien; einfaches Selbft* unb SBeltoertrauen, ein fixeres
©efüht oon ©ere^tigung läfjt it>n ben entfdjeibenben Stritt tun.
@r bleibt in ©erlin, begeht Oftober 1849 ein einfaches, brei
Sreppen tjodj gelegenes ßimmer in ber Suifenftrafje unb oerbringt
^ier baS erfte Safjr feiner SchriftfteHerlaufbahn, bange unb forgen*
oolle Sage in einer etenben Chambre garnie* ©ine geitlang liefert
er ©eiträge für ein in SreSben erfcheinenbeS bemofratifdjeS ©tatt,
gibt aber biefen ©often, als bie unmittelbare 9iot beS ©erbienen-
müffenS nicht mehr brängt, halb wieber auf, ba baS „üßadjen in
©olitif nicht eigentlich fein gatt" fei. Sieben ben geitungSartifeln,
bie ben fiebenSunterljalt hergeben muffen, entftehen neue ©allaben.
©otta, ber fchon 1847 im SJtorgenblatt bie erften gelbherrenlieber
gebrueft hotte, läfjt je|t ben ©omanjen^fluS ,,©on ber fcljönen
Sftofamunbe" erfcheinen.
9luS einem füllen, relatio gtüctlidjen Sun unb Sreiben reifet
ihn ber StuSgang ber Schlacht bei Sbftebt (25. guli 1850) heraus
unb bringt ihn — eine recht unbefonnene ©ingebung beS 9lugen*
blidfS — auf bie Sbee, in bie fchleSwig»holfteinifche 9lrmee einju-
treten. Slber fchon ein paar Sage nach ber 9lbreife oon ©erlin
erreicht ihn ein Schreiben 2Bilf)elm oon SRerfelS, eines wohlwoUenben
©efannten üom Sunnel her, in bem biefer neue ©hef ber minifterieHen
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26
(Srfter Seil, ©runblagen uitb Anfänge
Sßrefjabteilung il)m eine biätarifcf)e Stellung in feinem titerarifdjen
Sureau anbietet. Montane nimmt an unb befdjtiefjt fogar auf ber
wirtfcljaftlidfjen ©runblage eines 2JionatSge|alteS oon öierjig SEatern
i\t heiraten. Sd&on im 2)e$embet 1845 f|atte er fid) »erlobt. 0tun
ift am 16. Dftober 1850 ^odjjeit.
@S tommen Xage emfiger Arbeit, er gef)t in Sßolitif unter,
fannegiefjert, referiert, forrefponbiert, fucf)t Serbinbungen mit aus*
Wärtigen Leitungen $u befommen unb 9tufcen barauS ju jie^en,
baff er „an ber Duette" fipt. 2)odj fdjon nadfj jWei ttßonaten
löft fic^ baS literarifdje Sureau wieber auf. Montane ift brotlos,
fjat mit ber neuen Xatfadfje feiner Sertjeiratung ju regnen unb
mufj nun baS ganje (Slenb ber freien Sdfjriftftetterei burdfjfoften:
Äonhtrrenj, 9ßict)tacf)tung, färgticf)eS StuSfommen, Sittftetterei, Sinti*
cfjambtieren unb Sebientengefidfjter. 2>ie Hoffnung, bei einem ton*
ftitutionetten Slatt als Äorrefponbengenfd^reiber Slnftettung ju finben,
um eS wenigftenS auf einen feften, wenn aucf> nodj fo Keinen
SalfreSgelialt ju bringen, ferlägt fef)l, 5Bücf>erbefprecf)ungen bringen
nichts ein, eS gibt Slbfagen über Slbfagen, unb bie Segafytung ber
bidOterifdfjen Beiträge für (SottaS ÜJtorgenblatt, bie als Sßrofa naclj
Sogenja^l honoriert werben, ift lädjerticf) gering, ißenfionäre füllen
eine neue ©innaljmequette fd^affen, aber eS $eigt fiefj halb: ber Sor=
teil ift flein unb ber Strger unerträglich.
3)aS Kämpfen mit ben nadtten ÜRaljrungSforgen nimmt Montane
in biefen ferneren ÜJionaten feine fonft ftets gemährte gute Saune.
@r finbet felbft am Tunnel fein Sergnügen me^r, eS brüeft iljn
ferner bamieber, wo eS mit if)m IjinauS will, aber er ift feft
entfdf|loffen, feine fd)riftftetterifcf)e @f>re nidfjt ju »erlaufen unb
fdhlimmftenfattS fidf) als Stbfcfyreiber $u »erbingen. SltS eS bann
ein wenig beffer ge^t, ift audj nicht oiel geholfen. 3ene Klagen
über baS Unbefriebigenbe ber jouraaliftifdjen Sätigteit, bie burdj
anbertfyalb 3a^rge^nte nicht oerftummen, werben jefct fdfjon laut:
ob er burdf) einen politifdfjen ober bettetriftifdjen Slrtifel, burefj eine
Sejenfion. ober ein 2)u|enbbucf) fein ©afein fümmerlicfi frifte, fei
unwefentlidl), eS fei baS Slftenfd&reiben beS Suriften, baS Sejepte*
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1. Seben§gef(f)id)te
27
machen bei Stpot^eferS. „92ur wer wirflidh f cfjafft, f>at ein
Sftedht, barüber ju reben. ÜUian geht mit 3ntereffe in bie Ateliers
Wahrer Äünftler, aber man befugt feinen fjlidffchneiber, um
ficfj ben neueften ©oben anjufehen, ben er einer alten $ofe ein*
gefegt B»at."
3m Sßoüember 1851 gewinnt Montane aufl neue ^Cttfd^lujs an
bie minifterieHe treffe unb fdhreibt Slrtifel für bie „ßeit" unb
bie „Sßreufjifdhe ßeitung". 3m Frühjahr 1852 gef)t er all Sin*
geteilter biefer ^Blätter jum Stubium englifcher SBerhältniffe nach
Sonbon. 2)ie „ißreufjifche Leitung" erflärt fief) bereit, ihm gegen
©infenbung non $euilletonartifeln feinen ©eljatt ju beiaffen, fo bafj
wenigften! für feine jurücfbleibenbe $amilie notbürftig geforgt
ift. ®ie jur Überfiebelung erforberlictyen (Selber treibt i§m fein
SBater auf.
2)iefer zweite englifd^e Slufentfjalt — bei einem jweiwöchent*
liehen ©ommerurlaub währenb feinel ÜJtilitärjahi?! ^atte Montane
Sonbon jum erftenmal gefeljen — bauert bon Slpril bil Sep¬
tember 1852. 2Jtan wirb feine Sebeutung nicht unterflögen
bürfen. @1 war gut, bafj gontane bon ben brüefenben familiären
unb beruflichen SSerf)ältniffen ein wenig abrüdfte, bie ifjn in ^Berlin
in ihrer täglichen ©egenwart mürbe unb unfroh ju machen brohten,
unb bann gewährte ihm Sonbon ein pracfftboHel ©egenbilb beutfehen
Wefenl. So ärmlich fi<h fein Seben in biefen Sonboner Monaten
geftaltet, ber innere ©rtrag ift wertooH genug, fein Weltbilb wirb
wieber um einen Umfrei! weiter, feine ©inficht in SWenfchlidhel,
feine ^Beurteilung unb SBergleidjung frember unb heiwifdher ßu*
ftänbe immer reifer unb freier, wie borbem in ben fä<hfif<hen
3ahren. SBewunbernb geht er bon £>pbe*$arf nadh Sftegent!*$ßarf,
entjücft fteht er auf SRidhntonb*|>ilI, bie SReidhtumlbilber tun ihm
wohl, teilnehmenb unb fremb zugleich nimmt er fie auf, fern bon
Sßeib, füllt bie englifdfje 3nfjenierung bei Sebenl ihn mit einem
fräftigen Wohlbehagen. 3)te $>inge beobachten gilt ihm beinahe
mehr, all fie befifcen, unb fo hat er jeben STag feinen ©lücfl* unb
greubenertrag wie fdjeinbar 93eborjugtere.
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28
Grfter Seit, ©ruttblagen unb Anfänge
Slber freilich ift biefer ßonboner Aufenthalt nodj rttd^t üon
bteibenber Sßirfung, lute fte ber fpätere, mehrjährige auStöft. @S
fpielt juoiet hinein, wag bic fruchtbaren Auf äße hemmt. 2)ie
Äorrefponbenj ber ßeit entrollt ein trübes 93ilb. kleine 9iöte,
bie leibige ©elbnot oor allem, haben Montane feine erften @^e=
jahre bis jur JBitterfeit oerleibet. ©ar ju häufig trifft ißn oon
Berlin ber fd&riftlidje 0iefle£ unerquidflichfter gamilienfalamitäten.
Unb menn feine grau bei bem heimlichen ©efdhmäß ber greunbe
über bie Sammerpartie, bie fie gemalt habe, bei ber offenen 4?eßerei
ber SBermanbten über feine angebliche SftüdfidjtStofigfeit unb feinen
©goiSmuS Oerjagt unb nun auch m bie Klagen unb Auflagen
einftimmt, !ann er ihr nur jurufen: „Saß unS mit ©rgebung
tragen, maS ber |>immel über uns oerhangt. SGBir finb beibe nicht
oom cfjriftlidijen Säftärtprergefdhlecht unb merben eS ßhmerlidh jur
greubigfeit beS SeibeS bringen, aber laß uns menigftenS
gaffung barin finben, baß mir nichts anbreS tragen, als maS
un§ beftimmt ift." gern jeber Überheblichfeit, jeber Überfettung
beS feßon ©eleifteten, tneifs er aus einem feften ©elbftgefühl h ers
aus nur auf bie gufunft ju üertröften unb ift mit allen Kräften
um ein bißchen ©lücf unb Unabhöngigfeit für fidh unb bie ©einen
bemüht, nur um bem unerträglichen betragen berer ju entgehen,
* bie ein paar Xaler mehr befißen unb fidh als dichter über ihn
berufen fühlen. @r hat nicht bie geringfte ©ehnfudht nach $auS,
menn er bebenft, tn furjem all baS Unleiblidhe mieber bulben ju
miiffen. Aber fein Urlaub mirb nicht oerlängert, er muß jurücE
unb ift oom ÜJioüember 1852 an mieber in Söerlin.
$räg unb gleichmäßig fließen bie SCage baßin. ©tarfe ©pmbofif
ift im einfach‘alltäglichen &eben biefer Sahre, bie SßorbereitungS«
fahre gontaneS finb, tppifdh in ihrer Schlichtheit unb ©ehalten*
heit beS SeibS, ihrem in ber 5£iefe fcf)tummernben ergreifenben
Vertrauen, ihrer oorbilblidhen SBeltfrommheit. &er SBinter 1852/53
bringt eine fdhmere ÄranfheitSfrifiS. ©r foH bie ©dhminbfudht höben.
ÜJtan fagt ihm runb heraus, eS fei nicht mehr oiet mit ihm. Aber
er glaubt eS nicht, überminbet bie trübe äftutlofigfeit mancher
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i. Seben3gefd)id)te 29
©tunben unb mirb bur<h eine oiermöchentliche $ur in Setljanien
\mir!li<h mieberhergeftellt.
Sluch mit bem ftetS als SKotmenbigfeit nnb Reffet jugteich emp*
funbeneit ßeitungSbienft geftaXtet eS fic^ mit ber $eit beffer. 3)ie
^Berichte über bie politifdhen ©reigniffe in ©nglanb, bie „.Äorrefpon*
benjenfchmabberei", mirb ihm abgenommen unb bafür bie te|te
Äorreftur ber ißreufjifchen ßeitung übertragen, er f)at Stbenbbienft
non acht bi§ elf Ufjr auf ber $)rucferei unb bafür ben ganzen
$ag frei. 9Jiitarbeiterf<haft an anbren Leitungen, Unterrichts*»
ftunben in engtifdjer ©pracfje, Siteratur, ©efdjichte unb ©eographie,
SBorlefungen in prioaten ßirtetn ber berliner ©efeUfchaft über
Siteratur* unb SBeItgefcf)icf)te geftalten feine ©infünfte nach unb
nach leiblicher unb bringen ifjn mit immer neuen üüienfcfjen unb
SBerhältniffen in Berührung. '
$Ruf)igere unb forgenootte £age mechfeln, aber ftetS bleibt baS
-©efüht mach, bap bie gufunft noch SSerfjeifjungen birgt, ©rgebüng
ins Unöernteibliche unb ©elptfucht nach mertooUer ißrobuftion, eine
feltfame 9Jtifd£|ung non ©enügfamfeit unb Ungenügen ift für bie
beispiellos lange SBerbegeit beS ©piferS gontane cljarafteriftifch
unb fpricht immer mieber aus feinen Briefen. „3ch mühe mich
je|t $u ermerben unb bin ruhiger, menn auch baS nicht glüctt",
hei^t eS einmal, unb „ich ging am liebften nach 9Kejifo ober
mürbe ißfeifenträger bei Omer ißafcha, benn eS besagt mir bie
Sßfennigmirtfdfjaft eines beutfc^en ßeitungS* unb üöattabenfdfjreiberS
ganj unb gar nicht mehr" |ei^t eS ein anbereS 9Kat. Sötan mirb
biefe S3riefftellen nicht als 3eugniffe unentfchiebener ^altlofigfeit
unb grämlicher Unjufriebenheit beuten bürfen. SBielleicfit märe
Montanes epifcljeS SBeltbilb nicht fo umfaffenb unb geredet ge*
morben, üielleid)t hätte er ben mannigfach fich befehbenben ©egen*
fäfcen beS objeftioen SBeltoerlaufS nicht fo miUig unb felbftfuchtStoS
nadEjentpfunben, menn er nicht in einer langen SebenSfchule baS Sieben*
unb Sneinanber gleichberechtigter Sntereffen an fich fetbft leibenb
erfahren hätte. 5DaS fdheinbar SBiberfprüchliche foldher Sefenntniffe
mirb jur berebten Offenbarung einer tppifch bestimmten Äünftterfeele.
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30 Grfter Seit, ©runbtagen uttb Anfänge
93alb nac^ feiner Sftüdffehr ton Sonbon fjatte Montane ge*
äußert, er märe gern auf jttei bis fünf Saljre in (Snglanb ge*
Wieben, benn es fei eine untergleid)lidje ©d}ule für jeben unb für
ihn inSbefonbere. 3)iefer SBunfdj foUte im £erbft 1855 in @r*
füttung geben. 3)er (Sntfchlufs ber preufjifchen Regierung, zur Unter*
ftüfcung i^rer ^Sotitif eine beutfdj*engtifdje Äorrefponbenz ju be*
grünben, führt ihn als SlngefteKten ber preufjifchen ßeitung aufs
neue noch Sonbon, unb er hat ben feften SBitten, biefe 3eit in
tiel bemühterem ©inn für fich auSzunupen als baS erfte 9Jtal.
9hm erft lernt er Sonbon ganz fennen, fucht (Sinblicf in baS
Seben ber terfchiebenften 23etölferung3fcf)icf)ten §u gemimten. ÜJiit
SuliuS Raucher, einem ÜDtttglieb beS ehemaligen berliner Senau*
tereinS, mirb baS offizielle unb unoffijieHe Sonbon burdhftreift.
©ie medjfeln mit ht<h oben unb tief unten, befugen Sßerbe* unb
ÜDtatrofenfneipen unb unter geheimpolizeilichem ©cpupe bebenfliche
SJerbrecherfpelunfen, mifchen fich on langen SBinterobenben unter
baS primitioe publifunt, tor bem in, ben ff $ebating*(SlubS" ber
©itp politifd^e Äneipenrebner ton SJietier ihre ßteben halten.
Montane, ber biefe Berührung mit bem unmittelbaren, un*
abgeleiteten Seben als millfommeneS Äorreftit feiner geitungS*
Treiberei empfunben haben muh, fc^reibt einem SBefannten, ber
ton ber lebten bid^terifd^en Stunnelfonlurrenz nach Sonbon be*
rietet: „3dh muh bo<h belennen, bah Wh eS eher für eine gnäbige,
fegenSreidje ©chicfung als für ein Unglücf anfehe, bah *<h auf fo
lange $eit auherhalb biefer 3Utionen geftellt bin. SllS ich noch
bireft unter euch mar, fah ich meine batnalS hoch auch nur litera*
rifdje Söefc^äftigung mit ber Politi! fd^on als ein befonbereS ©lücf
an, als ein frifcheS, ftärfenbeS S3ab, als ein ©(hubmittel gegen alle
(Sinfeitigfeit unb bie bei uns fo häufige Überfchäpung ber Äunft
auf Soften beS SebenS. |)ier hab' ich aun baS Seben; bie 3)inge
felbft, nicht mehr bloh ihre 93efcf)reibung. Sh r BeitungSfcfjatten
tritt an mich h era u, unb jebe ©tunbe belehrt ben armen Saßaben*
macher, bah jenfeitS beS 23ergeS auch Seute mohnen."
Srob ber äuherften Schlichtheit feines SebenS, ber Neigung,
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1. Sebettggefdiidjte
31
feine Sage uniform fidh abwicfeln gu taffen unb offne Störung
gu tefen unb gu fdfjreiben, bleibt gontone ber tätigen SBirflidjfeit
immer Oerbunben. (Sin fräftigeS Setbftbewufjtfein fpricfit aus biefett
gafjren. Unb auch bie trüben ©riefe, bie etma aus ber |jeimat
fommen, treffen i£)n bieSntaI fefter unb gufunftSfidherer. (Sr rüdEt
nun gang ob oon jener ßeit, bo ßiterotur unb ©eruf, Äunft unb
Seben für itjn getrennte 2)inge mären unb ihre Trennung nicht
als frogtoürbig empfunben tourbe. ®ie nüchterne, ober ftorfe £at*
fädhlidfifeit beS Sonboner ßebenS führt ihn ber äßaffrheit näher,
bafj echte Äunft nur aus ber ©Sirftidhfeit ermächft, bafj feine
frühere ©robuftion gum größeren Seit bem Äünftlicfjen gefäf(rlid|
naf)e geftonben fjabe. Hber nod) liegen bie fruchtbaren gotgen
biefer ©infinit im ©Seiten. 0lnr negatio weift auf bie fommenbe
(Spodhe fünftlerifctjer Xätigfeit bie jähe, immer toieber burdfj*
bredfjenbe Sfteoftion gegen bie journatiftifche ©erufSarbeit. „Siteratur*
machen ift mir ein ©reuet, aber Stunbengeben in Gingen, bie ich
oerftehe, ift mir eine gteube. Unter ,ßiteraturmachen‘ oerfteh' idh
natürlich btofj baS Schreiben fürs tägtidfje ©rot unb baS Sftum*
höfern mit fo unb fooiet SKanuffripten unterm Hrm. SKein ge=
funber Sinn lehnt ficfj anf gegen biefe Sdfmabberei."
gm guti 1857 fiebett feine gamitie nach Sonbon über, gontane
freut fidh, nach jahrelangem (Sntbeljren alter $äuSlidhfeit toieber
fein (Sigen um fidh S u h a ^ en - Unbefriebigenbe ber beruftidhen
©efchäftigung macht fidh momentan weniger brücfenb bemerfbar.
Huch ift er feft baoon bnrdhbrungen, baff biefe Scf)ut= unb Sern*
geit burdEjauS nötig für fein fpätereS gortfommen in ber Heimat
ift. So bergehen weitere anberthatb gafire.
Sdhon bie Sftefuttate beS ßonboner HufenttjatteS oon 1852
hatten fidh ä u feften (Sinfidhten unb Urteilen gufanunengefdhtoffen.
©ei ©etradhtung ber jonmatiftifdhen £ätigfeit gontaneS wirb ba=
bon noch bie iftebe fein. Huch w ^ßrioatbriefen bjie^ eS bamatS
fdhon: „(Sngtanb ift gtofj, fdfjön, erhebenb, aber auch mieber ftein,
befdhränft unb tangweitig. 5Der äufjere äftenfeh h a t eS bort weiter
gebracht, jebe Hrt ütepräfentation fteljt in gtor unb täfjt uns atS
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32 @rfter Seil, ©runblagen unb Anfänge
bto|e Stümper erfdheinen. Stber iitnerltd^ finb mir meiter unb
überhaupt mot)l bie erften." Stber erft gegen bag ©nbe beg mehr*
jährigen ßonboner Stufenttialteg fianbelt eg fp nicht mehr um
btofje Stubien unb Slperc;ug, fonbern um abfcf)tie|enbe ©rtebniffe,
menn er preibt: „äftan mufj eg ifjnen laffeit, ba^ fie wtg in
ariftofratifchen formen weit ooraug finb, aber in jener fcfjönen
Xoteranj, bie ben magren Slbet c^arafterifiert, finb fie um eben*
fobiet tjinter ung jurücf." 9tun erft fjat ihm Sonbon unb ©ngtanb
mirflp nptg mehr ju bieten. SBar er 1852 nur mit SEBiber*
mitten nach Seutptanb gurüdfgefehrt, biegmat fetjnt er fp nach
ber $eimat, nach bem öietoerfd^rienen märfifdfjen Sanb, fptt fp
eine Sßftanje in frembem SBoben unb roeifj, ba| bie beengenben
ißer^ättniffe, oor benen er einft flüchtete, itjn nun npt mehr eng
machen fönnen, ba er über fie tjinauggemadOfen ifi
Unb glüdftp finbet fp ju ben inneren SEBünfctjen bag ber*
antaffenbe äußere ÜKoment: ber Sturj beg SKinifteriumg SJtanteuffet.
@g mirb Montane npt pmer, feine Stellung — nadt) ©ingehen
ber beutfct^engtifchen Äorrefponbenj eine btofje SKitarbeiterfd^aft an
ben minifterietten Eßreffeorganen — aufgeben ju müffen. ©r fc^reibt
ber üfliutter, bie um feiue mirtpafttpe $ufunft beforgt ift — unb
eg ftingt mie ein Stuftaft beg entfdjeibenbften ©reigniffeg feiner
ßebenggeppte, ber 1876 erfolgenben Slufgabe ber Slfabemie*
ftettung —: „Slug früheren Briefen meifjt 3)u, bafc mein SSerbteiben
hier — unb menn eg big in bie apgraue Pechhütte gebauert
hätte — auch npt fegengrep auf bie ©eftattung meiner 9?er*
hättniffe baljeim eingemirft haben mürbe. 9fap fahren, menn p
barum petitioniert fyättt, ^ätte man mir biettept einen ihrer
tebernen Subatternpoften in irgenbeinem SKinifterium bemittigt;
p jieh’ eg aber, fetbft einfcfjtiepdfj alter Sorgen unb ©efatjren,
burdjaug oor, atg Sehrer, Strtifetpreiber unb Stunbengeber mp
arm, aber unabhängig burchjufdhtagen. S5u, atg Äinb einer anbem
ßeit, h a ft noch bie hP^n SSorftettungen oon ,83eamtenPaft‘,
,fprem 93rot‘ nfm.; p öerfipere 2)p aber, bafj eg bamit nptg
ift. $)ie alten SSorftettungen gelten npt mehr; ©inftufj, Slnfehn,
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UMIVERS1TY OF MICHIGAN
• 1. Seben3gefd)idf)te
33
SluSfommen, ©elbftänbigfeit ufm. liegen ganj mo anders." Montane
lehrt im Sanuar 1859 nach Berlin jurücE.
CYTVieber einmal ift er, toie dm Stnfang feiner journaliftifd^en
2aufbal>n, freier ©chriftftjller, diesmal für fünf SSiertetfafjre,
mieber fudfjt er, toie fdjon oorbem in Berlin, mit ßeitungSartifeln,
englifdhem Unterricht unb Sitera&troortefungen fictj bur^utjelfen.
ißaut Hepfe mill itjn nach ÜJiüncfjen gieren, mo äRajimilian II.
einen ÄreiS oon ßünfttern um fi<h oerfammelt hatte unb er als
©efretär beS ÄönigS in literarifd^en Slngelegenheiten eine Stnftellung
finben foH. ©er ißlan jerfd^tägt fitf». Montane mirb ehrenooH
aufgenommen, bei einem ©ptnpofion einige feiner gdb^errentieber
oon $epfe remitiert, ber ßönig ift „enefjantiert" — aber babei
bleibt es. ©in deutliches ©efühl ber ^remb^eit auf beiden ©eiten
trop alles guten Willens. Und toie hätte ber äKärfer fidf) in die
füblicfjfte aller beutfdjen ©eifteSftätten eingemöhnen fönnen, ohne
baS Söefte feiner ißerfönlidhfeit preiSjugeben? ©er heiteren SebenS*
fünft, ber äußeren ©efätligfeit biefeS ÄreifeS mar feine innerliche,
fchmucflofe Slrt $u fremd.
©in ©unnelfreunb, ©eorge Hefefiel, oermittelt ihm den Sftebafteur*
poften beS englifchen SlrtifelS ber 9leuen ^reufjifchen (Äreu$*)3eitung,
deren ÜJiitarbeiter Montane fdfjon in Sonbon gemefen mar. 3 e h n
Sahre, Oom 3uni 1860 bis jum ftrühjar 1870, hat er biefe ©tel*
lung inne, unb fo ferner ihm die Sinnahme fiel — da fich noch
die SSorfteüungen oon 1848 fyex an den Flamen Äreujjeitung
fnüpften — er rechnete fpäter biefe jehn Sahre ju den aller«
gtücflichften feines ßebenS. „©aff es fo oerlief, lag an oerfdf)iebenen
©ingen. ©S mar baS Sahrjehnt, in dem ich meine Wanderungen
durch die SKart ^Brandenburg unb meinen erften oatertänbifchen
Vornan ,$Bor dem ©turm‘ begann. 3 u & em , oon oierjig bis fünfzig
ift befte ßebenSjeit. Slber ber Hauptgrund, ba| i<h midh all die
3eit über fo mohl fühlte, mar doch ber, baff, oerfdhminbenb
fleine ©törungen abgerechnet, baS fieben auf ber SRebaftion unb
©anbteb, Sontane 3
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34 Grftev ü£etl. ©ruublagcn unb Anfänge
mehr noch baS nebenherlaufenbe gefettfdjaftlidje Seben ein fetjr an*
genehmes war. SBon bem fprichwörtlichen ,$)er fchwarze ÜRann
fommt‘, wobor ich ganz aufrichtig gebangt hatte, war feine SRebe;
nichts oon SötjjatttiniSmuS, nichts oon SKucfertum. SUIeS berlief
eher umgefehrt. ©tärffte SCBenbungen, auch 9 e 9 en ißarteiangehörige,
fielen beftänbig unb bon einer erquicklichen äfteinungSfreiheit würbe
ber weitefte Gebrauch gemacht."
®iefe ©teile aus „$on Zwanzig bis ®reifjig" jeigt bortrefflich,
was $ontane§ ©lüd in biefem Jahrzehnt auSmacht: er ift, fo recht
nach feinem ©inn, in eine fonjiliante Umgebung hineingeftellt; er
nähert fi<h ©d^ritt für ©chritt ben großen fünftlerifchen Aufgaben
feines SllterS; er fühlt fich, nun ganz tief unb für immer, in bie Um*
weit hinein, ohne bie biefeS SBerf nicht benfbar ift
35ie Journaliftentätigfeit war bie erfte ©taffel beS SGBegeS, fie
ift jefct innerlich überwunben. Es fommt ihm fehr zupafj, bah eS
auf Englanb hin angefehen ftiUe $eiten ftnb, alles Jntereffe bei
Jrranfreich ober bei SDeutfc^lanb fetbft liegt unb ber Ehefrebafteur
zeitweilig jeben 3Rorgen an feinen $la| tritt unb ihm mit leifer
©timme juflüftert: „SEBenn irgenb möglich, h eute nur ein paar
ßeilen; je weniger, befto beffer." ®iefe bequemen Xage laffen ihm
9Ruhe fi<h felbft ju förbern. 2)en Journaliften löft ber SEBanberer
burch bie äftarf Sranbenburg ab. 2)aS ift bie zweite ©taffel beS
SEBegeS. S)ie ^Säuberungen, fowenig fie Sßrobuftion in höh ercm
©inn bebeuten, fo fehr fie als ftarf fompilatorifche Arbeit noch
ber Sflotwenbigfeit ber Jorrn ermangeln, finb bod) ein gortfdjritt
gegenüber ber eintagSlebenbigen ßeitungSlorrefponbenz unb un=
oergleichlich wehr oon fontanifchem ©eift burchweht als bie eng*
lifchen SReifebüd^er. SDie britte. ©taffel bilben bie 9tomane. 2)ie
SBanberungen leiten unmittelbar in bie epifche Tätigkeit hinüber,
aus ihnen erwächft, im guten unb fchlintmen ©inn oon ihnen be*
einflufjt, baS oaterlänbifdje EpoS „Sßor bem ©türm".
Unb biefe zielftrebige, wegfidjere Entfaltung: Journalismus,
SEBanberungen, Ütomane, bleibt/ unlöslich baran gefnüpft, bah Mon¬
tane nun wieber baheim ift. Er muhte hinaus, um an berjrembe
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1. £ebeit§gefd)id)tc
35
bie $eimat meffen zu lönnen, um bie Freiheit bcr Siftanz ju ge=
mimten, ohne bie jeinen Romanen bie SBeite beS Slicfs fehlen
mürbe —, er mufte fjetm, benn er mar nicht meniger jtarf bem
heimatlichen Sßährboben oermadhfen als bie anberen großen epifdfjen
Salente beS beutfdfjen SRealiSmuS. SaS 3ahr^ehnt non 1860—70,
in. bem er bie heintifdhe SKarl fich unb ben 3Jiärlern in tiefer
Siebe ju erfdjliefjen beginnt, läfjt ihn bie oöllifdlje unb lanbfdhaft*
liehe SSerbunbenheit, ber er oerhaftet bleibt, bemühter unb frucht*
barer erlennen als je borher, obgleich jehon ber Sichter ber $elb*
herrenlieber ein guter Seutfdher unb SDiärler ift.
Unb auch feiu ®iö> ber ^Berliner ©efellfchaft, jeine menfdhlidhe
unb bingtidje Kenntnis alles bejjen, maS nur irgenb in feinen
©efidjtSfreiS gehören lonnte, runbet fich iu liefen fahren jur Soll*»
enbung. ©r oerlehrt mit Sdhaufpielern unb ßünftlern, ©eiehrten
unb geitungSmenfchen, Suchhänblern unb Offizieren, er nimmt bie
©efchmerlichleit unb häufige Sangmeile gefeUfdhaftlichen SebenS gern
in Äauf, menn er nur hoffen lann, ein paar neue Silber für
feinen „©ucflaften" einjuheirnjen. Schließlich finb bie Speicher
ganz gefüllt, ©r fennt zulejjt „alles auSmenbig", bie SÄenfcljen
unb bie Singe, burdh breiig 3toh re h^ n ift er, oom Sefudt) ber
Schaupläjje ber brei beutjdhen Kriege unb zwei belanglojen italie-
nijehen Reifen (1874 unb 1875) abgefehen, laum mehr als zu
_ SSanberungen in ber äftarl unb zu Sommeraufenthalten an
Oft*» unb SRorbfee, im jdhlejijchen SRiefengebirge unb §arz oon
Serlin entfernt.
CyVVehrfacfj lann man bei Montane bie ^Beobachtung machen, mie
tJri t Sßerioben eines ruhigen SahinlebenS burdh jähe äußere ©in*
jehnitte bejchlojjen merben, menn ihr innerer Sinn erfüllt ift. So
mürbe ber Sonbotter Aufenthalt burdh ben Sturz beS ÜRinifteriumS
9ttanteuffel unterbrochen, jo gibt Montane im Frühjahr 1870 feine
ÄreuzzeitungSftellung plöfclidh auf: beibe üRale entfpridi>t bem fdfjein*
bar Unüermittelten eine innere ÜRotmenbigleit.
3*
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©rfter Seil, ©runbtegen unb Stnfänge
@g war ihm juerft wiWommen gewefen bet bet Äreujjeitung
wenig beschäftigt ju fein, am ©nbe beg Sah^ehntg aber wirb ißm
bag bloße Stunbenabfi|en langweilig. Ser ©et)ait urtb bie fonftigen
©innahmen waren immer noch gering, bag wirb je|t noch bitterer
empfunben alg öorbem, benn Montane fühlt feine Kräfte gewachfen
unb mit ihnen [teilt er höher? Slnfprüdhe, fdfjaut er nach heiteren
fielen aug. Sag Slbwicfeln ber Stage unter ©erhältniffen, bie
nur gerabe bag tägliche ©rot abwarfen, unb bie Slugficht, /für ben
3Fteft beg ßebeng biefen ßuftanb ber Singe noch alg befonbereg
©lücf anfehen ju muffen, hotte wenig ©rmunternbeg für ihn.
Stfg feine grau öon einer Steife ju englifdhen ftreunben be-
richtet, wie bie Älippe bon Soöer unb Später bie Sürnte ßonbong
wieber bor ihr aufgetaucht feien, ba gebeult er wehmütig biefer.
„ißradhtftücle feiner ©rimterung" unb fügt bei: „Sarnatg an ber
(Schwelle beg beften ßebengabfehnitteg, je§t auch lieber; aber an
ber Sür gegenüber. Unb wag ift bag ©efultat ber achtzehn
3 ahte, bie jwifdhen heut’ unb barnalg liegen! S<h will eg nicht
unterfdhä|en; in mandher ©ejiehung reicht eg big an meine Hoff¬
nungen h e ran ober übertrifft fie fetbft, aber fidf) burdh ein mutigeg,
arbeit- unb mühebolleg ßeben nicljtg alg Sorge für bag Sitter er¬
rungen 5 U haben, ift hoch, nach ber Seite äußeren ©rfotgeg hi«/
ju wenig." ©inige Sage Später teilt er ihr mit: „Sch habe meine
Äreujjeitunggftellung aufgegeben."
©g fommt $u einer heftigen brieflichen Slugeinanberfehung, wie
fie Später mit noch ftärferen Silenten, noch bejeidjnenber für ffon-
taneg ©heleben beim ©erlaffen ber Slfabemieftellung ftattfinbet,
Schließlich aber fügt fi<h alleg feinem feft unb Har geäußerten
SBiHen, fdheint für immer bie ßebengform gefunben, bie feinem
Semperament unb feinem Streben am meiften entsprach: frei öon
beruflichen ©infdhräntungen feiner fdfjriftfteilerifchen Neigung leben
ju tönnen.
Sie „©Säuberungen" werben fortgeführt, 1872 erfcheint ein
britter ©anb, bie beiben erften werben neu aufgelegt unb er¬
weitert. Ser fjelbjug öon 1870/71 trägt ißm, ber öon 1864 unb
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1. £eben3gefd)id)te
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66 tyer als ÄriegSfcbriftfieller einen fHuf befifct, ben Auftrag ein,
auch ben Äampf gegen ffranfreicb ju betreiben. Sine ©tubien*
reife nach bent ÄriegSfcbauplafc bringt ihn torübergebenb in fran-
jöfifebe ÄriegSgefangenfcf)aft, auf ber Snfel Dleron entfielt „Kriegs*
gefangen", als $rud)t ber ^weiten ©tubienreife, Dftern 1871, baS
S3udb „5luS ben Sagen ber Dffupation". 1876 gelangt baS |)aupt»
»er!, „Ser Ärieg gegen fjranfreicb 1870/71", jum ?tbfcf)tufj.
Sltt bieS war Arbeit, wie er fie ficb einft gewünfe^t batte, unb
braute wenigftenS fobiel (Selb ein, bafj bie näcbften Sorgen ^nb
barnit ber f>duSli(f|e $rger in biefer ßeit oerftummen. 9tm ,3iel
feiner SBünfdje fiitjlt fid) Montane bennoeb nicht. ÄriegSbüdljer
unb SBanberungen treiben mochte beffer fein als ben englifcben
Krtifel rebigieren, aber waS an filnftlerifd^en Snftinften in ihm
lag, brängte bodj tliefelt auch über biefe ßiele bütauS unb
rnufjte ibnt baS einft ^Begehrenswerte oerleiben. @r ift nun oon
amtlichen SRücfftten frei, aber waS biefe $ re ib e it jeitigte, baS
fonnte ibnt auf bie Sauer feine ^ö^ere Söefriebigung gewähren.
2Bar biefe Slrt ©(briftftellerei nun wirflicb baS ßiel, waren bie
„SBanbernngen" baS ^öchfitnöglidtje, was er erreichen fonnte?
9Jüt ben alten ßweifeln fteHt bie alte Unjufriebenbcit ficb
wieber ein. Slber er bat nun bie fjünfeig Übertritten, bie 5llter3-
mübigfeit will ihn überfomtnen. Sn trüben ©tunben erfdfjeint ibnt
feine innere Unruhe nicht mehr als beftänbigeS Gingen nach oor-
wärts, nur no<b als tnübcoolleS ^Behaupten auf einem Sßlajj britten
IRangeS. @S fd^eint bodfj ju fpät, um noch etwas SteueS anju*
fangen. „Sm (Srunbe genommen, höbe ich nun alles Srbifcbe er*
reicht: geliebt, geheiratet, üftaebfommenfebaft erhielt, jwei Orben
gefriegt unb in ben 93rodfbauS gefommen. @S fehlt nur noch
zweierlei: (Sebeimer 9tat unb Sob. SeS einen bin ich fter, auf
ben anbern beritt' ich allenfalls. @r fann mir aber auch noch
befebieben fein."
SluS biefer Stimmung eines müben SfeptijiSmuS, einer trüben
SRefignation heraus wirb eS begreiflich, wenn Montane ft noch¬
mals $ur Annahme eines SlmteS entfcbliefjt. Sie Berufung als
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(Srftcr XeU. ©runblagen unb Anfänge
(Srfter ©efretär ber königlichen Sllabemie ber künfte im 3ttär$
1876 wirb für if)n Verhängnis unb ©egen jugleicf). ©ine leichte
Xätigfett, ein forgenfreieS Seben, eine biftinguierte ©eljanblung
freien ihn ju erwarten. Slber es füllte gan$ anberS fontmen. (Sr
fühlt fich wohlgelitten, aber als armer Teufel behanbelt, ber froh
fein muh untergetrodjen ju fein, ©eine wirtliche ©egabung ift
nicht ju gebrauchen, unb WaS gebraucht wirb liegt nicht im ©ereich
feiner gäf)igfeit. Slrbeit, Sßerfonen, .guftänbe finb ihm fchon in ben
erften Xagen gleich unerquicflich. <Sr hat nur unangenehme (Sin*
brücfe. ©eine unfeierliche Statur fieht fich in ein fteifeS ßeremoniett
hineingefteüt, er foU langweilige, um Säufjerlichleiten fich brehenbe
Berichte fchreiben.
(Sin ©egenfap üon foldjer ©tärfe war notwenbig, um Montane
ber ©efahr gemütlichen SllternS ju entreißen unb einen fräftigen
SBiberftanb ju entfachen. $ie trübe fftefignation weicht benn auch
balb, er bäumt fidh auf gegen bie bureaufratifcfje Umgebung unb
hat binnen lur$em bie ganje ©eamtenfchaft ber Slfabemieüerwaltung
gegen fich- (Sine (Sharafteroerbächtigung gibt ben äußeren Slnftofj,
um bie (Sntlaffung einjufommen, bie fchon am 2. Sluguft ge*
nehmigt wirb.
$aS 2)atum bebeutet fJontaneS ©eburt als Sftontan*
fchriftfteller. Sille Säuberungen aus biefer fritifchen $eit geigen,
mit weicher Vehemenj er fid) plöplich über feine eigentliche innere
©erufung llar wirb. (Sr lärnpft gegen feine ^amtlie, gegen baS
Urteil ber Seute, ohne irgenb unficher ju werben. „Sch bin nicht
fo blinb, bah ich nicht erlernten füllte, wie feltfam mich bie 9Ken*
fchen anfehern mein ©arometerftanb ift fehr gefunfen. Sd> muh
mich erft wieber legitimieren, junt minbeften aber bie Slnftrengungen
baju machen, deshalb will ich e * n Saljr fang 9 an ä ntir unb
meiner Slrbeit gehören... Sitte SCBelt oerurteilt mich, t)ätt mich
für linbifdj, oerbreht, ho<hf a h ren b. Sch ntuh es mir gefallen laffen.
SDaS ©preßen barüber h Q b ich aufgegeben. (SS führt hoch ju
nichts. Sch ntuh burdf £aten beweifen, bah ich nicht leidjtfinnig
gehanbelt habe." (Sr ift nun gewillt, allen wirtfchaftlidjen SRüd*
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1. Seben3gefd)icf)te
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fielen jum Trofc, bcr fRomanfcfjriftftellerei ju leben unb nimmt
bie immer mieber jurüdfgelegte Slrbeit an „33or bem ©türm" nun
enbtich entfdjeibenb auf.
/ "K\en fchmerften Äampf galt eg im eigenen |>aufe augjufechten. Sin
r<-J bauernbeg ehelicheg germurfnig festen unoermeibtich, unb ein
ganjeg gahr gittert nach einer äußerlichen SSerftänbigung bie Sr*
regung biefer SGBod^en nach- Tie Stufgabe ber Stfabemiefteßnng
bringt auch bie Störung famitiärer üftöte, über bie baßer an biefer
©teile ein SSenigeg gefagt fein mag.
Montane §at berfchiebentlich fidt) bat)in geäußert, bie glüdfliche
Sße erforbere nicEjt gegenfäpliche, fonbern bie Stbftufung gleicher
Temperamente. Semißlicß alleg anbere alg eine bloße Theorie, benn
feine eigene Sße miberfpraef) biefer gorberung. gontane tjat bie
guten ©eiten feiner grau in ber Slutobiographie „S3on gmanjig
big Treißig" rüßmenb ßeröorgehoben: ,,©ie hat mir alte 93üd)er
unb alle ßeitungen oorgelefen unb hat mir meine öon Äorrefturen
unb Sinfcßiebfetn ftarrenben SJtanuffripte abgefeßrieben, alfo, meine
biefen Ärieggbüdßer mit eingerechnet, gute diergig Söänbe. ©ie mar
öor altem auch eine Haushälterin öon jener nicht genug ju preifen*
ben Strt, bie ©parfamfeit mit Orbnunggfinn unb $elfefreubigfeit
üerbinbet." Stber mag moHen biefe gern iß red^t banfengmerten
Sigenfdjaften bort befagen, mo bie innere Harmonie fehlt. Sine
treue Helferin, menn eg im Spaßen unb ÜJlächften anjufaffen galt,
machte fie hoch bem ©gtten nicht nur burch einen ftänbigen §aug-
frauenfuror, mirtfdßafttidßen Äleinfram unb Tienftbotenaffären bag
ßeben fauer, fie blieb auch feinen inneren Kämpfen geitlebeng
fremb, öerftanb fidß nicht auf feine Slrt unb Slrbeit. Tag ift bie
tiefere, Urfadße, menn ber ©treit ganzer gahrjeßnte ju feinem
Stuggleidß fomrnt. gontane fonnte mit feiner Sichtung öor fremben
Snbiöibualitäten nicht fo meit gehen, bie eigne aufeugeben, unb
öietteidht ift ein äußerlich beftimmenber Srunb feiner fpäten fünft*
lerifchen Sntfaltung in bem fteten, latenten SBiberftanb ju fudßen,
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@rfter Seit, ©runblagett unb Anfänge
/
bcr oon biefer fo anberg georteten grrau augging. ©ie hat immer
mieber nach aßen fränlenben SBormürfen unb Kritteleien ihr Un¬
recht eingefehen, unb bieg feine ßtedjtggefühl ehrt fie burdfjaug,
aber eg tear eine rein inteßeftueße (Einficfjt, ber ibjre ßtatur bie
©efolgfchaft oerfagte. (Eg gab tange Sßaffenftißftänbe in biefer
©je, aber bie ©egenfäpe braten «.‘immer mieber tjeroor, nnb erft
bag fpätere Sllter brachte beiben Jeneg ©i<h‘an=einanber-gemöhnen,
bag für gemöljnlich alg Sbeal ber bürgerlichen (Elje gepriefen mirb..
Tag mar aber lein „Slbfdjleifeh ber (Eigenarten", mie eg bei
Keinen ßRenfcIjen alg fdjmädjlidjer ©erdicht auf ib)r bifjehen ^ßer*
fönlidfjleit einjutreten pflegt, fonbern ein ehrlicher ftriebe, eine
gegenseitige menfcljliche Sldhtun'g, bie bei aßer Klarheit unb Stuf¬
rechterhaltung ber perfönlidljen (Eigenheiten mit bem machfenben
©ebenen feineg lünftlerifchen Söerleg fjontane alg gütiger §umor,
feiner fjrau alg (Ergebung in ein ©djicffal möglich mürbe, bag
audh ihrer bürgerlichen #ngftlidfjleit am ßebengenbe alg ein aufjer-
orbentlidjeg unb beglüdlenbeg erfdfjeinen muffte.
2Kit meiten Streiflichtern beleuchtet bie Korrefponbenj ber (Ehe¬
gatten bag $elb ihrer ©emeinfamleiten unb 9tid(jtgemeinfamfeiten.
Tie ©riefe gmtttaneg aug jener ferneren $eit oon 1876, ©er*
teibigung unb ©efenutnig zugleich, finb mertooß* unmittelbare To*
lumente feiner Seele, bie hier burch bie gemohnte gütige $reunb*
lichleit unb Stntetlnahme mit unbeftedhlichem (Srnft heraugtritt,
unnadhfichtlidh fidh gegen aßeg Traufjen mit feften Strichen ab*
grenjt, mögen bie Trennungen no<h fo bitter empfunben merben
unb oermunben, mo er am liebften gefront, anberen unb fidh
fchmerjlidhe ©emufftheiten erfpart hätte. „Sßteine $rau mftre eine
oorjüglidje ©rebiger- ober ©eamtenfrau in einer gut unb fidfjer
botierten ©teße gemorben. Stuf eine ©dhriftfteßerejiftenj, bie, mie
ich einräume, fidh immer am Slbgrunb hi« bemegt, ift* fie nicht
eingerichtet. Unb hoch lann ich ihr nicht helfen, ©ie h«t mich alg
©dfjriftfteßer geheiratet unb muf$ fidh fdjliefftidfj barin finben, bafj
ich, tro| Slbgrunb unb (Gefahren, biefe Slrt beg freien Tafeing
ben Slßtagglarrieren mit ihrem ßmang, ihrer (Enge unb ihrer
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1. £e6ett3gefd)id)te
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widptigtuerifctjen ßangetueite öorjietje. Sept, wo idp biefe Karrieren
atterpcrföntic^ft fertnen gelernt pabe, met)r benn je... (Sine öott*
fommene peiterfeit erfüllt mein ©ernüt, bie Sftupe beg guten ©e*
wiffeng, unb aug biefem peraug merbe icf) nieteg tragen."
Sie ßufunft ift grau genug, aber Montane jünbet feine
Slrbeitgtampe an unb öerfdjeuctjt mit iprem ftitlen ßid)t ben ganzen
Srübfetigfeitgnebet. @r getjt an fein Söerf; ganj baoon erfüllt,
tritt itjm bag ^ßriöate feiner ©jiftenj immer mef)r jurücf.
^\ie testen jmei Sebengja^rje^nte $ontaneg zeitigen in fteter fjolge
r<J jene 3teif)e epifdjer SEßerfe, bie fein 9tupm öor ber üftaefimett
ftnb unb ipn ben großen bicfjterifc^en ©eftatten ber ßiteratur beg
neunzehnten Satjrtjunbertg beireihen. Sn ber SJiitte ber fünfziger
Satire, mo bei anberen bie ©djaffengfraft ju erlahmen pflegt, be=
ginnt er erft feiner inneren $ütte bie fünftlerifct) angemeffene
Sorm ju fuetjen.
©einer Sebengreife unb SBetterfahrenheit blieb fo menig mie
bem jüngften Deuting erfpart, bie tedjnifdjen ^orberungen unb
inneren ©efejjtidjfeiten ber Äunftform, beren er fidj jur 2tug=
fpradje bebiente, erft burcf) eigene ©erfudje — manch teitmeifeg
äRifetingen unb fiarte üflüh — ju erproben unb fiep ju eigen ju
machen, ©o »ergeben jetin »eitere Satire. 9Kit „Srrungen,
SBirrungen" ift 1887 ber ©ipfet erreicht, auf bem fid) ÜJtenfdj
unb Äünftter, ©etjatt unb f^orm in herrlichem herein jufammen*
finben. „grau Sennp Sr eibet" unb „(Sffi ©rieft" finb bann, oom
Äünftterif^en aug gefetjen, nidfjtg weniger alg Stttergmerfe, ob*
gleich fie ein ©iebjiger ftreibt, ©rft in ben „Sßoggenpuhtg" wirb
ein 9ladjlaffen ber Äraft fpürbar, erft im „©tedjtin" fommt bag
formelhafte unb ßtbftraft* ®euerette, bie ©titfennjeid^en jeber ©pät*
funft, jur £>errfdjaft.
Siefe ptö|Iich fjerüorbre^enbe bichterifctie Sugenbtidjfeit unb
reidpfte ^robuftioität eineg Sltternben ift um fo erftauntid^er, alg
itjre phpfifetje ©runbtage, fontaneg ©efunbpeit, in biefen Sapr*
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Giftet: Seit. (Srunblogeit uttb Anfänge
gebnten feineSwegS bcr geiftigen Seiftung entfpracb, biefe nur als
ein 5lft {jo^er ©elbftgucbt unb gietficberbeit böllig begreiflich ift.
©ein Seben wirb nur noch einfacher unb einfatrter als bisher, er
felbft wunfcbloS in einem gong Ijoljen ©imt, „Smrner baSfelbe"
bie 2)ebife feiner Sage, fi<fj einfapfetn, biel fpagierengeben unb in
ruhigem Setterf (breiten ein SSerf nach bem onberen borbereiten,
förbern unb bottenben ber einzige ©inn feines 2)afeinS.
2Kan tnufj fief) pten, biefe „SJioufelod^ejifteng", wie ^ntone
einmal febergt, als eine $olge ber Söienfcben* unb Söeltmübigfeit
angufeben, bon ber gewifj genug in ben ^Briefen ber testen ßeit
gu lefen ftet)t. 3pe erfte Urfad^e ift immer, als üftorm feines
SebenS entpfunben, bie ©erpflidfjtung gur ©robuftion. @r weifj,
er ift alt, mufj balb tun, was er tun will. Sßur fein SÄuffcbieben.
2öaS bon jebem Äünftler gilt, gilt audfj bon fjontane in biefer
festen ©po<be feines SebenS, wo er fo gang Äünftler ift: bie
Söerfe finb ber primäre SfuSbrudf feines SEBefenS unb SBiHenS,
hinter bem bie refatiben Säuberungen an SCBert unb SBappit
gurüdffteben. ©in ©ilb, lebigli<b nach bem üftaterial ber ©riefe
beS alten Montane, wäre entfd&ieben ins ©djwarge bergeidpet. @r
gab fein ©efteS unb feine frifd^en ©tnnben nun an bie Ütomane
bin, unb baburdfj werben bie ©riefe, biel auSfdfjliefjlicber no<b als
früher, $eugniffe momentaner Stimmungen unb ©erftimmungen.
freilich, wenn ©infamfeit, SDfübigfeit, fRutjebebürfttiS immer
wieber bie leitmotibifd^en SBorte unb Klagen biefer pribaten 2luS*
fpradjen finb, buben fie auch ihre ©ebeutung für biefen Stbfcbnitt
feiner SebenSgefdjicbte, nur bafj ber innerfte SBefenSfern bon gon*
taneS Sßerfönlicbfeit bei allem ©ruft unb aller Schwere ein Weiteres
SBeltbertrauen, eine gefunbe irbifdje SBeltfreubigfeit ift unb bleibt.
9locb im „Sted^lin" flingt biefer ©runbton bernebmlicb unb wirb
nur in ben fefunbären geugniffen ber ©riefe oft bon einer trüben
©fepfiS übertönt.
@r fängt nun erft an. ÜKicbtS liegt hinter ihm, alles bor ihm,
ein (Slücf unb ein ©e<b gugteidE). ©o ift bie Stimmung am ©e*
ginn ber grofjen epifeben Sßeriobe, bie Arbeit unb immer wieber
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1. 2ebeit3gej<jf)tcf)te
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Arbeit feebeutet. ©r öerftept bie fermere Äunft, in ber grofjen
©tobt $u leben unb mieberum niept ju leben, bie er an 2lbotf
QKenjel bewunberte, unb wirb wie biefer ein Sfteifter ber Äonjen*
tration, ^iept bie ©infamfeit ber falfcpen ©efelligfeit üor, mag ba*
burdp audp baS äußere ßeben nodp eintöniger werben als bisher.
3)eS $ugeS ^ bie fjrembe, ber ipn früher betjerrfc^te, ift er
nun loS unb lebig. 2)ie weiten Reifen fangen an if>m befcpmerlicp
ju fallen, ÄönigSwufterpaufen unb äpnlidpe Hefter werben bem
©omer ©ee üorge$ogen. ©r fdpüpt, felbft wenn eS fid^ um Heinere
Reifen t>anbett, fein 5llter unb feine „3ntereffelofigfeit" oor, unb
üon festerer mar gewifj immer etwas babei, wenn fie audp nidpt
nur auf Äoften beS SllterS ju fepen ift —, er fannte eben „alles
längft auSwenbig". 5tlfo woju reifen, wenn eS baS SSerf nidpt
förberte? ©ei ber $ur in Äiffingen 1889 fommt nur nodp ber
Äünftter auf feine Sftecpnung. „$)ie ßangeweile ift foloffal unb
Wäre nodp foloffaler, wenn icp niept baS ÜIKenfdpenbeobadpten ju
einer mir lieben, unterpaltlidpen unb lehrreichen $unft auSgebilbet
hätte. 3a, eS ftedft was öon ©enufj barin, öon einer gan$ feinen
©innlidpfeit, wie fie ber fiinftlerifcp beanlagte SJtenfcp immer pat
unb paben mufi, folange er als Zünftler fiept unb empfinbet."
SDaS Sbeat ber ©ommerfrifdpe wirb je|t: ein ßeben, unenblidp
ftiU unb einfach, jufrieben mit frifeper ßuft unb einem freien ©lief
in bie ßanbfcpaft unb ber Äeprfeite alles beffen, was ber ©ertiner
^efcjagb nennt. 2)a ift er einfam unb ungeftört unb fann f(paffen.
$)ie Heine ßeprerfommerfrifepe, wie eS mal genannt wirb, pat öiel
$eil baran, bafj bie fünftlerifdpe ©rnte bodp noep fo gut in bie
©dpeuera fam. 3mmer näper rüdfen bie ©ommeraufentpalte an
©erlin peran. ©rft ift eS nodp baS SRiefengebirge, bann Saren
unb SReubranbenburg in 9Recflenburg. „Smrner gleich naep ©dpweij
ober Italien ift ju teuer unb ju umftänblidp, aufjerbem langweilig
burdp ®unft, burdp ,grofje ÜRatur‘ unb Table d’höte, baran bie
gremben einem ju anmafjlidp unb bie ßanbsleute $u ruppig er*
fdpeinen. $ier im medftenburgifepen Äornlanbe blüpt aber ber
SBeijen."
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©rfter Seit, ©runblagen unb Anfänge
2)ieg ^tie^en in bie einfadhfte Statur unb Umgebung hat feinen
anbeten ©runb in juneijmenber Äränflidhfeit, bie ihn 1892 nur
tote burch ein SBunber noch einmal genefen lief?. (Sr muffte fidj
oon ber Söelt abfperren, um bie nötige ©dhaffenStraft ju bemalten,
er ift bielfach einfam aus ©efunbljeitSrüctfichten. Unb toenn itjn
bie Äranf^eit an ber Strbeit ^inbert unb er fürsten muff, öiel*
leicht nid^t fertig ju toerbett, fd^eint bann oft innerliche Ver¬
bitterung, toaS in SBa^r^eit nur SluSbrudt jeittoeiliger förderlicher
Verftimmung ift unb feine feelifcfien ®runbfd)icf)ten nic^t berührt.
®ie 2>al)re bis jur Äranftjeit opn 1892 finb öoU folget Klagen
ber SKutlofigteit. (Sr fommt fich alt unb llapprig öor, eS falle
toohl noch' ohne $utun rin Gipfel oom Vaurn, aber bie Äraft $um
4?erabholen fei nicht mehr ba. 3)ann erfc^eint „Stau Semtp
treibet". Stn ©ommer 1892 geht eS ihm „rapibe fdhledhter". I
®er ßuftanb ift elenb. Sn ben folgenben Sauren fommen „(Sffi
Vrieft", „SßoggenpuhtS", „£)er ©tedf)lin" unb bie autobiograptfifchen
SBerfe jum Stbfcfjluff. Smmer toieber ringt fich feine üßatur bur<h
bie förperlic^en Unfälle ^inburd^ —> toäre baS möglich, toenn
Verbitterung unb äBeltfeinblicfjfeit ft« unterftü^ten, toenn nicht >
feelifche ©efunbljeit, toiberftanbSlräftiger SebenStoiHe ben törper-
lid^en Verfall aufseiten? Glicht toelt- unb menfchenfeinblidh ift
Soutane getoorben ober gar getoefen, toie man behauptet hat, aber
eine juneljmenbe SBelt- unb 9Kenf<henmü bi gleit fteUt fich in ben
lebten Sauren ein, bie nur bie natürliche Vegteiterfdheinung feines j
ho^en 5llterS ift unb ber befonberen Umftänbe, unter benen er j
— fpöt unb mit fdhon erfchütterter ©efunbheit beginnenb — !
probujierte. ©ie oerträgt fidh fehr toohl mit ber freunblich- ernften i
©üte, bie feine SEBerfe auSftrahlen unb audh ber SKenfch S on tane
in oertrautem Umgang noch bis jule|t befifcen tonnte, toie baS »
fßaut ©cf)tenther, ©rieh ©chmibt unb anbere ihm ÜKaheftehenbe j
erfahren unb bezeugt haben. i
©ine SBenbung ju bauernbem trüben SßeffitniSmuS toäre toohl
möglich getoefen: nun Soutane enblidfj jur ftunft gefommen toar,
bie als ßiel f>eimtic^er ©e^nfud^t perföntidh um fo mehr für ihn
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Original ftom
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1. SebenSgefdjidjte
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bebeutete, Blieb ber ©rfolg aus. SBie beim Übergang bom $lpott)eler*
jum Sournaliftenberuf if>m bie Hoffnung auf baS ©lüd geiftiger
Arbeit nur fefjr befd)ränft in ©rfüllung gegangen mar, jo mürbe
jefct bie ^reube über baS ©elingen bidjterifdjer ©cf) öpf ungen burcfj
bie ftarfe ©leidjgüttigfeit, ja baS Sßiberftreben berer getrübt, für
bie fie beftimmt maren. ©eine beften Sßerfe trafen in eine $eit,
bie in t)öf)erem SDiafje nod), als bieS für geraöfjnlicf) ber $all ju
fein pflegt, baS ÜÖftttelmäjjige bem ©ebiegenen, Sölätter ben 95üdjern
borjog. ©eine erften Romane ermeden nic^t bie freubige ©rfennt«
niS: Ijier ift mirflid) ein neuer Sidjter —, Verleger, Sßreffe, Sßubli*
!um reagieren rein gefdjäftSmäjjig unb mecfjanifcf), finb mit ber*
fdfjminbenben 5luSna§men ofine tiefere Seilnaljme. Sradjboget unb
bie ÜUiartitt tragen über ben Serfaffer bon „Errungen, Söirrungen"
ben ©ieg babon.
Montane fyat gemifs unter biefer ©teidjgüttigteit gelitten, um
fo mef)r, als er auf bie Freubigfeit beS ©djaffenS fic£> gefteUt
füllte unb feine äufjere Sage if>m felbft im f)öd)ften Sllter nocfj
ni<fjt geftattete, bie auSbleibenben ©rfotge bornefjm ju ignorieren.
$tber über eine lädjelnbe ©fepfiS ift feine SSerftimmung bauernb
nie f)inauSgegangen. ©in Sßftod, ein Sftaget bom 9tab beS ©lüdS
fdfjien ifjm genug, eine ©peidje, mie’S im ©pricfjmort eigentlich
heifjt, faft fdjion ju biet. SaS Sßadfjleben feiner beften SBerfe ber*
bürgte iljm if)r innerer SÖSert, er mar fritifctj ein biet ju feiner
Äopf, um if)re ©jiftenj bom TOagSurteil abhängig ju glauben,
unb ^at fid} oft pribatim über bie äKobegröfjen luftig gemalt,
©ie fonnten if)m ben tief gemurmelten, ^eiteren SebenSglauben nicf)t
berfümmern.
üliur fetten noch mirb bie arbeitfame ©title, baS ©leidfjntafj
ber Sage unterbrochen. SSon ben ©reigniffen ber 2Sett finbet nur'
baS ©rofje noch mirflichen ßugang h n ih m * ^ob beS alten
ÄaiferS unb SiSmardS erfdjüttern ihn tief. Sie alten Söefannten
fterben einer nach bem anbern bor ihm meg. 3m Familienleben
läuft alles im ruhigen ©teife, bie ©ohne finb längft tjerangemadtjfen
unb ber^eiratet. duftere ©jungen ftetlen fid§ ein: bie F««r beS
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ßrfter Seil, ©runblagcit uitb Anfänge
70. Geburtstages, ber SchitterpreiS (1891), ber £)of tortitel (zum
75. Geburtstage). (Sr nimmt biefe fpäten ^ulbigungen mit jener
Wettfidhtigfeit .^in, bie i£)n zeitlebens aud) bie „®et)rfeite ber
SKebaitte" betrauten lieft, aber baS gragmürbige baran berbrieftt
ihn nicht, im Gegenteil, eS gehört mit baju, baS ganze ßeben ber*
lauft ja fo, ein gemifdjteS Element.
Bum Softortitel fdjreibt er: „3m ganzen genommen ftelje'idj
mau unb flau zu Auszeichnungen berart. Siefe aber b)at hoch
einen GinbrudE auf mich gemacht, trofcbem ich recht gut meift, wie
begleichen gemalt toirb Unb auch bieSmal gemacht morben ift...
Aber tro|bem ift eS eine $*eube. SSor ftrenger Äritif fann über*
haupt nichts befielen." gontaneS fc^lic£)te Güte unb SiesfeitS*
freubigfeit märe als borbitbliche SebenShattung nidht fo mertbolt,
meun fie nidht unter ftetS erneuten Kämpfen ftdh hätte behaupten
müffen unb am (Snbe fiegreidh behauptet hätte. Söenn er bei ber
Sßerleihung beS ©dhiflerpreifeS gefteht, bie ganze Gefcfjidhte müftte
ihn ja eigentlich f e h r fltücElich madhen, aber eS fontme ein bischen
fpät unb falle bei ihm in eine Stimmung hinein, bie boef) bei
alter Weiterleit fdhmerztidh, ein Supdhbrungenfein bon ber 9licf|tig-
feit beS 3rbifct)dn fei, unb babei zähle er nidht einmal zu beu 33e*
gtüdften, bie an ein GmigeS glaubten, fo merben gier erft bie
Siefen ftdfjtbar, aus benen fidh feine SBettbejahung immer unb
immer mieber tro| SdhidffalSfchlägen, Äümmerniffen unb bitteren
Erfahrungen emporringt.
Sftan rnuft mit ben Briefen beS atten Soutane bie Gebidhte
ber testen Beit zufammenfiatten, ben oft galligen SBenterfungen
pro domo biefe herrliche SprucfjmeiSheit bergteidhen. 2)a lebt in
berbidhteter unb bod) ganz perfönticher $orm baS ASertboUfte eines
äßenfdhen fort, mirb, bon atten Sdhtacfen befreit, rein SeetifdheS frei.
AJaS er etma an greunbe unb gamitie anläfttid) beS 75. GeburtS*
tageS berlauten läftt, ift pribat unb retatib, baS föftlidhe Gebiert
„An meinem ^ünfunbfiebzigften" ift perföntidh unb abfotut zu¬
gleich- 2fot hatte fidh üt feinem langen ßeben geänbert unb burdh*
einanbergefdhtungen, er mar bei fonferbatiber unb liberaler treffe
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1. 8eben3gefd)id)te
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Äorrefponbent, war ©erljerrlidjer beS märfifdfjen ?lbetS gewefen
unb gefeierter Siebter ber SDtoberne geworben, aber oljne tieferen
SEBiberfprud^ fügt fidfj ba§ fdfjeinbar ünüerträglidfje ber ©intjeit eines
weiten unb reichen ßebenS ein. „2Bie f)o<fy ftebt bie Ijeitere f^rei^eit,
bie tjeute bieS tut unb morgen baS, btofj immer baS Sftidfjtige."
3n banfbarem Staunen fdfjweift fein ©lief über baS ©anje
feines SebenS. SaS weifte ift leibtid) geglüeft, ber Sinn für- bie
Satfädjlidtjfeiten f|at itjm immer wieber burdjgeljolfen, auef) oljne
©erwögen, $amitienanljang, Schulung, SGBiffen unb robufte ©e=
funbljeit. SaS Scfjitffal f)at ifjn boefj fdjliefjlid) gernäfj ber oon
if)tn öertretenen Spezialität richtig einrangiert, er fjat oft leiben
müffen, aber nie bauernben Sdfjaben genommen. „3$ bin abfolut
einfam burdjS Seben gegangen, oljne Klüngel, Partei, ©lique,
Äoterie, $lub, Sßeinfneipe, ßegelbafjn, Sfat unb ^reimaurerfdjaft,
oljne redfjtS unb oljne tinfS, oljne Sipungen unb ©ereine. 3cfj
fjabe, ben Sdjaben baoon gehabt, aber auef) ben ©orteil unb, wenn
icfj’S noefj einmal machen füllte, fo macf>t r idj'S wieber fo. ©ieleS
büfjt man ein, aber was man gewinnt, ift mefjr."
Sie lebenbige innere ©rfafjrung ber ©efejjlicfjfeit allen ©e*
fefjefjenS, feine SSeltfrömmigfeit, wirft oerflärenbe Stimmer audfj
über feine lebten Sage. @r mufj perjlicf) laefjen, als er in bem
englifdjen ©udfje eines Sugenbbefannten ber SEBenbung begegnet:
he struggled hard. „^inzugefept war, bafj öielleiefjt mefjr aus
mir geworben wäre, wenn mief) baS beftänbige ,hard struggling 4
niefjt zurüefgefjalten fjätte. Sarin f)at mir nun aber SERütler, ober nodj
mefjr meinem Scfjitffal, unrecht getan. SaS mit bem ,struggling‘
fjat äufjertidfj feine 9ticfjtigfeit; aber auef) wenn icfj weniger ge*
ftruggleb ^ätte, mefjr wäre boefj niefjt aus mir geworben. SaS
bilden, was in mir war, ift audfj fo rauSgefommen. 3tdj fjabe
mein Sc^itffat niefjt anzuftagen."
Sie SJtenfdjen tiimmerten midj nidjt biel,
(Sigen war mein 3Beg unb ßiet.
Sdj mieb ben 3ftar!t, id) mieb ben ©djwarm,
Slnbre finb reid), id) bin arm ...
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48 (Srfter Seil. ©runblagen unb Anfänge
Unb bodi), wär’8 in bie SBaljI m * r gegeben,
gdj führte nod) einmal baSfctbe fieben.
Unb foüt' id) nod) einmal bic Sage beginnen,
gd) würbe benfelben gaben Rinnen.
Sntmer enger wirb ber ÄreiS. SBiS brei Arbeit, bann ju Tifd}.
Unb nad) Ttj<h langsam unb matt in ben lebernen unb bocf> jo
lieben, »eil jo nötigen Tiergarten. SKübe Jommt er nach $auS,
um fich für 5lbenb unb Slbenbjeitung bie nötige griffe ju er*
fd)lafen. Sangjam oerfallen bie Prüfte. §luch bie traute ©ewoljn*
t>eit beS SrieffdjreibenS mufj nun eingefchränK werben. ©in elenber
©djwädjejuftanb jwingt ifjn, auf alles Seben braufjen ju üerjid)ten.
SDtittagS jud)t er bie Sonne auf unb umfreift ben Seip$iger Ißlap.
3mmer mehr fpinnt er fich ein, ber perfönlidje öerfeht hört auf
unb ber briefliche beinah auch-
gm §erjen tiefe SO?übig!eit —
9flle8 fagt mir: @8 ift geit...
(Sin langes Äranfenlager ift gontane erfpart geblieben. „Söller
Entwürfe, boU regften SntereffeS für alles unb jebeS, jo jaf> id) ihn"
— berichtet ^ßaul Sdhlentljer — „noch Freitag ben 16. September
abenbS in jeinem ÄrbeitSftübchen auf bem Sofa jwifchen ©rief)
SchmibtS unb meiner grau fipen. ßur geiet ber Verlobung feiner
ihm geifteSöerwanbten einzigen Tochter war ein Heines, feines ©ffen
bereitet worben. 9lur neun ^ßerjonen. Ter Sllte in feiner herrlichen,
lieben ©reifeSfchönheit SRittelpunft unb Seele ber Unterhaltung."
SBier ^Ibenbe jpäter, am 20. September 1898 abenbS neun Uhr,
überrafdjte ben 2lchtunbfieb$igfährigen janjt unb unerwartet bet
Tob. 3m alten 3ohanniterhauS ber SßotSbamer Strafe, wo er bie
lebten jechSunbjwanjig 3ahte feines Seberis gewohnt hotte, beim
Schlag ber alten gamilienftanbuhr, bei beren Tidtacf fein SSater
unb ©rofjoater geftorben waren, ift er ohne TobeSfampf oerfchieben.
2ln einem Karen #erbfttage ging ber ßeichenjug ben weiten
SEBeg nach tent h°h en berliner korben, burch. bie'Snbalibenftrafje,
wo Stine unb bie SBitwe jßittelfo» gewohnt hoben, bem franjöfifchen
Äirchhof ju. Tort bedt ihn ein fc^lichteS ©rab.
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2, £)te getjltge tyttfonlxcfyhxt
„ßtidjts ift feltetter als abfolute ©egenftänblidjfeit. $ie
föegel ift, baß ber Hünftler in feinem Üßadjfdjaffen eben
lein ©ott, fonbem ein SUienfcf), ein 3dj ift unb bon biefent
,3# in feine (Sd&öpfung Ijineinträgt. Unb bon bem Slugen»
blitf an, too bas gefd&ieljt, breljt fldj alles um bie gtage:
,2öie ift btefeS 3c*)? 1 "
''o'ye beiben ^ßole alles Sebeng, Sch unb SSelt, Irinnen unb
Sraufjen, SBert unb ©ein, ober mie man ben ©egenfafc
fonft noch begrifflich faffen mag, ziehen auch bie ißerfönlichfeit beg
Äünftlerg, fein ©Raffen unb alle fruchtbare Betrachtung feines
©dfjaffeng unmiberftehlidh in ihren Bannfreig. SSenn baS ©rlebnig
an einer Sichtung über bag nur ©eniefjerifdhe zu tieferem ©rfaffen
borbringen mifl, -fie^t eg fidh ftetS bor bie ffrage geftettt, melche
Elemente ftofflidher, feetifcher unb geiftiger 9latur zur Einheit ber*
fdhmoljen, fform unb Sehen mürben. SQ3aS berbanft ein Zünftler
feiner 9iaturanlage unb mag nahm er aug ber $eit, in metdfjem
Berhältnig ift Slngeboreneg unb Stngemöhnteg gemifdht?
9Kan fann beobachten, bafj ben boUfommenen, atg flaffifch an*
Zufptechenben ©chöpfungen immer bag gteidhgemidhtige, hormonifche
Sneinanberaufgehen ber Sebengpolaritäten eignet. Sie ©egenfäfce
finb bann in eine höhere Einheit aufgegangen, ber Äünftler mirb
tppifcf>eg Stbbitb ber .Seit, feine ißerfönlichfeit brüeft, nur geläutert
unb berftärft, aug, mag noch bie ©eringften ber gleichen ©poche,
nicht nur bie Beften bemegt, feine SBerfe, obmoht bie ßeugniffe
einer einmaligen ©eele, bleiben hoch ber ©efamtheit berbunben burdf)
t>ag ©emeinfante ber ©efte unb ber ©efinnung.
ffontane^ ift ber reinfte 5lugbrucf beg bidhterifdhen SRealigmug in
ber beutfdhen Siteratur beg neunzehnten Sahrhunbertg. SBag anbere
unter bem Srucf ber ßeitftrömung ober aug äWobe mürben, mar er
bon Anfang, bon ©eburt her. Sag SRealiftifche ift fein blofjer Seilzug
SBanbrety, Soutane 4
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50
grfter Steil, ©runblageit unb Anfänge
feines SBefenS, nicht an ein einzelnes ©tabium feiner ©ntmidflung ge*
fniipft, fonbern Äern feines ©djaffenS unb SKittelpunft feiner Sßerjön*
tidfjfeit. Slbftammung, tnbiöibuette Einlage, ßebenSgang — alles ^atf
baju mit, eine burc^auS einbeutig beftimmte ©rfdtjeinung zu fchaffen.
93iS auf bie ©egenmart bleibt in ber Vornan* unb ttlooetten*
bichtung bie 9ßa<hmirfung ber Sftomantif fpürbar, ©ottfrieb Mer,
Xheobor ©torrn, mie realiftifch in mancher ^infid^t aud} immer,
finb oom ©pejififd^en romantifdljer $>i<hterphantafie untrennbar,
gür Montane ift fie ein roefenSfrembeS Element. 0lur fd^einbar
ift er in feinen bictjterifdfjen ’ Anfängen, ber 33attabetiprobuftion,
SRomantifer. 2)aS Stoffliche entfdieibet ja nicht. ©r mar barnalS
mohl für romantifche 2)id)tung begeiftert, aber bie 2trt, mie er
romantifche ©toffe befjanbelt, fann über fein eigentliches Naturell
nicht hiumegtäufchen. 83ei Montane mirb angeeignete $e<hntf, maS
bort 5luSbrud romantifchen ßebenSgefühlä ift, unb meift behanbett
er fchon romantifche ©toffe als tttealift, eS fehlt baS üftebutofe, ber
finnliche SBohllaut, bie 5lf) nun 9 unbegrenzter fernen, unbegrenzten
©efühlS;. alles ift feft umriffen, mehr oon aufjett gefeiten als oon
innen nachgefühlt, ber äufjere ©lan fann bie blofje SBirtuofität nicht
oerbeden. ^ontaneS bichterifd^er Haltung fehlt baS romantifche
©runbgefühl: baS 9ltt*umfaffen= motten; feinem eingeborenen 2)rang
Zur ^Begrenzung miberfteht bie romantifche ülftafj* unb gormtofigfeit.
©<hon in bem Knaben fiegte baS lebenbige DrbnungSgefüht
über jugenblidfj unflare ©hmärmerei. 2Bir haben gejagt, bah
richtig oerftanben, fein ßebenSgefühl fdfjlechthin bebeutet. ßebenbigeS
DrbnungSgefüht mirb immer eine mefenttidje ©igenfdjaft ber dichter
fein, bie baS SSerbinbenbe, baS fruchtbare Sneinanber oon Sch unb
SCBett ftärfer empfinben als baS SCrennenbe. SBenn eS baS Reichen
ber großen fehöpferifeffen SDtenfchen ift, ihre Sßerfönlidhteit im ©egen*
fa| z ur beftehenben Sßett, ihr Sch als baS ©tariere, SBichtigere
ZU fühlen, als Präger einer neuen SSett mit neuen ^formen unb
neuer ©eele, bie bie alte unb oeraltete ablöfen fott, fo fteht bem
jene anbere, fdhlidjtere ©efinnung gegenüber, bie baS SBertootte im
Seftehenben aufzeigen mitt, in ber ©in* uttb Unterorbnung beS
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2. 2)ie geiftige ^erfönlidjfeit
51
3Renfcjjen in bcn gegebenen Äulturjufammenljang ben ©inn beS
SDafeinS erbtieft. $>ie fjpmnifdfje IBewegttjeit beS jungen ©oetlje unb
ber bitljprambifdje ©cfjwung SftepfdfjeS —, ber breite glufj äßilljelm
ÜDteifterS unb bie geftärte Sftulje ber fontanifdjen SRomanwelt —,
ba8 finb ©egenfajse nidjt nur ber poetifc^cn ©attung unb perfön»
liefen Begabung, fonbern eines tppifdjen SBeltoerljaltenS. $em
cpifc^en SebenSgefüt)! beS geborenen 9tomanbidf)terS ift bie bor»
Ijanbene SCÖelt feine überftänbige, ifjm finb iljre gefeUf<$aftlicf)ett
unb fittlidjen Orbnungen nidjt erftarrte SRormen, aus benen baS
Seben gewidjen ift, bie eS burcf> neue ju erfepen gilt, fonbern fie
finb if>m noc§ fräftige SSirflidjfeit, weit er fie als bie ©runbfeften
feines eigenen SDafeinS empfinbet. Ätaffifdje ©Meinungen auf bem
©ebiete ber tprif<$en 2)idfjtfunft bebeuten immer bie 9Rorgen» ober
Slbenbröte einer ©podje: eine neue $eit, nod) ungeftattet, erft in
wenigen rege, will in foldjem ©ange taut werben, ober eine über¬
reife, gealterte wirb burefj itjn ju ©rabe geläutet, ©oetlje unb $eine
finb hierfür bie größten ©eifpiele beutfdjer $)icfjtung. 2>aS epifelje
2Berf Wädjft aus bem £er$en ber ßeit, ift Qfrudjt iljreS reifen
Mittags, ber alte ©lemente unb ©trebungen, bie in einem Äultur»
$ug jufammenfc|ie|en, ju einem ooflfommenen unb fetbftgenugfamen
©anjen bereinigt Ijat, in bem ber SBitte unb baS gütjlen beS
©injeinen ber ©efamttjeit berfjaftet bteibt.
^fcontaneS SBettanfcfjauung beeft fid} in iljren fittlidjen ©runbtagen
O mit ben Stnfdjauungen, bie er in ber Söett oorfinbet, beren
üluSbrucf er ift. Dfyne ficlj in etfjifdje ©pefutationen einjutaffen,
übernimmt er bie ©runbjüge ber djriftlidjen ßeljre, wie fie mobi»
fijiert im tBewufjtfein beS tüchtigen ©ürgertumS tebenbig finb. @r
ift nicf)t eigentlich religiös, wie man gemeint f)at, was fdjon feine
jebem wirftidj ©laubigen unberftänblidje Trennung oon ftorm unb
©etjatt bei ber retigiöfen SBa^rtyeit, oor allem ber SBatjrljeit ber
retigiöfen ©pmbole, genügenb bartut, fonbern er ftimmt mit feiner
realiftifdjen $eit, bie zugleich bie ßeit beS SnbioibualiStnuS ift,
4*
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52
©rfter &eil. ©runblagett unb Anfänge-
barin überein, ba§ fein ©ottüertrauen nur ÜBeltoertrauen ift, für
beffen $orm er inbiüibuelle ^reiljeit berlangt. @r [teilt bie ®e*
finnung über ben ©lauben. Katholizismus unb SßroteftantiSmuS
finb ihm ^iftortfd^e, fterblidje formen unb ©infleibungen im
aflenfdjen liegenber fitttid^er ©efeputäfeigleit. „2)aS ift ba§ Stefultat,
wenn man lange gelebt Ijat: alles, maS ba ift, lann berbrannt
merben, menn nur je^n ober zmölf ©ä^e, in benen bie SDtenfcben*
orbnung liegt (nicht bie Söeltorbnung, bon ber mir gar nichts
miffen), übrig bleiben."
3)iefe SDtenfchenorbnung bet»errfdf»t baS ©efdjehen in ftontaneS
ütomanen, nic^t aus moralifdjer £enbenz, aber freilich auch nid>t,
meil fie bent ßeben fchlecptbin innemohnt, mie Montane b>ier glauben
möchte, fonbern meil fie ber bon ihm gefc^ilberten, tjiftorifcf» eilt*
gegrenzten ÜDtenfchenmelt gemäfj ift. ©ine allgemeine 9Jienfcl)lidjleit
in llaffif^^umanitärem ©inn gilt in gontaneS Stornanmelt nid)t
mehr. ©o gern feine oerföhnlicfje Statur biefen ©ebanfen auch tiegte,
er mar bodj in eine ßeit gefteüt, in ber ber ©inn für baS ©in*
malige alles f)iftorif(f)en ©efdjeljenS mieber auflebte, unb fo ift
feine „SDtenfd^enorbnung", fein natürliches SOtoralgefefc benn auch
bie ©ittlid&feit einer beftimmten ßeitfpanne, feine Kunft einfidjtiger
als feine fubjeftioe ©petulation.
©benfo fehlt ber ©laube an eine progreffioe SSerboHfommnung ,
ber SRenfdjljeit unb Kultur, obgleich und) bem gelegentliche $u|e*
rungen ^ontaneS ju miberfprechen fcheinen. Überhaupt: menn fdjon
prinzipiell jeber SSerfuch, eine geiftige $ßerfönlicf)!eit lebiglich aus
aphoriftifchen IBemerfungen unb brieflichen öelenntniffen aufzu*
bauen, [Reitern mujs, bei Montane gemif$. ©eine SBriefe finb ein*
geftanbenermajjen oft nur SluSbrucf oon ©timmungen, bebingt
burch ben SKoment ber Stbfaffung unb bie Stücfficht auf ben
©mpfänger. 2)ie ©chmierigleit, baS Sftelatioe oom Unbebingten,
baS, maS er glaubte, oon bem, maS er gern geglaubt hätte, z tt ‘
fdheiben, lann nur übermunben merben, menn ber ©lief immer mieber
Zuerft auf bie Sßerfe fic^ rietet, in benen ^ontaneS ©ehalt, frei
oon prioaten ©infehränfungen, fich objeftio unb abfolut auSfpricht.
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2. $ie geizige <ßerfönlid)feU
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©a toirb bemt ffar, tote fefjr er oon bem fteten Stuf uttb $lb,
bent SBechfel oon Slufftieg unb ÜRiebergang burchbtungen toar. (Sr
tourte, bafc e2 größere Beiten gegeben höbe alg bie feine. ©ine
bemerfengtoerte Siufjerung über bag Mittelalter jeigt bie $iefe
feiner gelegentlichen ^iftorifc^en ©inficht: „3)ag Mittelalter! Man
nennt eg eine buntle Beit, ntan fpricfjt oon Söefdjtänftheit unb
ber liebe ?ßh ar Uö er ,©egentoart‘ fchlägt an feine 33ruft unb fpridjt:
»ich &onfe bir, @ott, bafj ich oicht bin toie jene Beit beg $ber*
glaubeng unb ber 3ntoleranj‘. Mag fein! Slber bag Beitalter ber
^ejenprojeffe hotte oiel Sicht neben feinem ©chatten unb mit ber
rohen Überfraft ift ung bie ®raft überhaupt oerloren gegangen.
Mit ben flammen beg ©cheiterhaufeng finb grofje Sugenben er*
lofcf)en unb eg brängt fich mir auf, alg bebürfe bie Menfdjennatur
ber SBefchränfung, um bag SBoHmafj ihrer Äraft jur ©rfcheinung
ju bringen, unb alg toäre ©rtoeiterung beg ©eftdjtgfreifeg gleicfj-
bebeutenb mit ©djtoächung unb aller Mifere, bie fich baran fnüpft."
SBie bejeidjnenb, bafj biefe ©rlenntnig fich Qerabe bem Über*
toinber ber Sftomantif erfchliefjt! S)ag ©jpanfioe, ©lementarifche
toirb alg bag eigentliche Übel erlannt, in ber S3ef<hränlung unb
S3etoahrung bag $eil gefehen. 2)abei toar Montane toohl für eine
oernünftige Umgestaltung beftehenber SSer^ältniffe ju hoben, aber
alleg SReoolutionäre, Sftigorofe, forcierte toar ihm üerhafjt. Unb
toag oom Menfchen, gilt oom Zünftler, ©eine Abneigung gegen
$ebbel unb 3bfen hot fyti ihre SBurjel: bie Harmonie fteht gegen
bie Sßroblemati!, ber fltealift gegen ben jtoiefpältigen übergangg*
menfchen. Man lönnte gontaneg ©efinnung mit ber Formel „liberaler
Äonferüatigmug" umfchreiben; er lebte gan$ in ber ©egentoart unb
blieb hoch immer oor* unb rücfgetoanbt.
'T^viefe ©trultur machte ihn $um praltifchen ißolititer ganj un*
geeignet. @r ift nie eigentlicher Sßarteimann getoefen, fo lange
Sahre er auch &ei Beitungen angefteöt toar. 2)ie ißrin^ipienreiterei,
bie baoon untrennbar bleibt, lag feinem Sßefen $u fern. 2)ag Qk»
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54 ©rfter Seit, ©runblagett unb Anfänge
ftänbnig, er wäre wunberootl als ßeitartifelfchreiber ju gebrauchen,
Wenn bie üerbammten Politiken Unterschiebe nicht wären, fteUt
ihn über bie Parteien. @r !ann zeitlebens feinen SDrucf ertragen,
hat einen gan$ freien Sinn, ohne freilich „freifinnig" ju fein. @r
neigt ohne Söiberfpruch fich jnjeiten bem Äonferüatigmug ju; bann
heifjt e2 etwa, „baf alle ernften ßeute, bie nach ßuoerläffigfeit,
Sreue, Sh ara ^ er / meinetwegen auch ein bilden nach ^anatiSmug
unb berbiffenljeit au£|el)n, Äonferoatioe finb — bag anbre ift hoch
ber reine Sriebfanb, ber burdj bie Strömung, wie fie gerabe geht,
mal hierhin» mal borthin geworfen wirb". Ober auch: „Sag echte,
ibeale Sreujjeitunggtum ift eine Sache, bie bei $reunb unb $einb
refpeftiert werben muff. Sag gerrbilb, bag oft jutage tritt, ift
nicht bie Sache fetbft." Slber ebenfo muffte fein oorurteilglofer
blief bag ßufunftgfräftige unb berechtigte entgegengefefcterSenben$en
anerfennen. Sllg ber oierte Stanb fich lungfam organifiert, gefielt
er: „Sie oertreten nicht bloff Uuorbnuug unb Stufftanb, fie oer*
treten auch 3been, bie jum Seil ihre beredjtigung h fl ben unb
bie man nicht totfcf>tagen ober burch ©inferfernng aug ber SBett
fchaffen fann. 3Äan muff fie geiftig befämpfen, unb bag ift, wie
bie Singe liegen, fehr, fefjr Schwer."
Siefe ©erechtigfeit bleibt um fo bemerfengwerter, alg Montane
bidjterifch jur „alten ©eneration" gehört, fein bertin noch bag
alte bertin ift, nicht bie Spätere SBeltftabt, in ber bie fojialen
Sntereffen in ben borbergrunb treten, in ber ber -ftaturaligmug
mit feiner borliebe für bag Proletariat aufmächft. @r gehört ju
jenem oorurteilglofen Üflenf<henf<htag, bei bem ftetg ©infichten unb
beweggrünbe fich geltenb machen, bie tiefer unb umfaffenber finb
alg bag parteipolitische Programm. Seiner Urbanität blieben Söahlen
immer etwag peinlicheg. ©r amüfiert fich im füllen, wenn nach
ber „boffin" ber „SBaljl* unb Schlachttag auf- lange hm über
SCBohl unb Sßehe ber SQRenfchheit entfefjeibet". Sie Singe liegen
bei ihm fo fomplijiert, baff er ehren* unb anftanbghalber meift
an Solchen Sagen nicht mitftimmen fann. ©inmal Schreibt er, am
20. Februar 1890: „Unb nun breche ich üuf, om nach nieten, oieten
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2. 2)ie geiftige ^ßetfönüdjfeit
55
Sauren jum crftcn 3Rate mieber einen ©timmjettet in bie Urne ju
tun; melden? 3dj tjabe eg in meiner SSertegen^eit burdf) Änöpfe*
abjätjten feftgeftettt."
2)iefe fd^einbore ©teidfygüttigteit nnb ^Relativität murjelt in fetyr
ernfttjaften Überjeugungen. Montane mar tebenbig baöon burdtj*
brungen, bafj bog $eit immer öon großen (Sinjelnen tommt, bajj
tiefgreifenbe Urnmäljungen nidfjt ju „befctytiefjen" finb, fonbern mit
naturljafter SRotroenbigleit merben nnb machen, unb if>nen, toenn
itjr Sag gelommen ift, in einem fcf)öpferifct|en 2Renfd&en i|r
©predjer erfte^t. (Sr lonnte unb mufjte tiorn $artamentarifdf)en
geringer benfen, atg bem menfctJTictien SDurct)fcf)nitt verftattet ift,
meit er bie mefentlidjen Söemegungen im Sßettgefdjefjen an anbere
Snftanjen gebunben mufjte, atg eg partomentarifd^e äRefyrljeitg*
befd&tüffe finb, beren SBictjtigfeit für ben SlKtag, für bie Stufjen-
merte beg SSelt* nnb 2Renfd($eitggetriebeg er nie beftritten Ijat.
3m 3at)re 1878 fdfjreibt er: „(Sin SReaftiongregiment mirb be*
ginnen, unb ber 9totfct)rei Religion, Religion 4 toirb überall taut
merben, fogar in ben 83ottrgeoigf)äufern, bie ernfttid^ anfangen, für
i§ren ©elbbeutel beforgt ju merben. Slber eg mirb nidfjtg Reifen,
©o 'mag täfjt man nidf|t ,beforgen‘. (Sg mufj lo muten, bag (Sr*
fdjeinen grofjer ©eifter mufj ben IBotfggeift umgeftatten. Stber
bürfen mir barauf regnen? 9Rit ©efe|egparagrapt)en unb lang*
meitigen Sßaftoren jmingt rnan'g nidjt... (Sin grofjer 2Rann, ein
(Srmedter, ein ßidf)t* unb $tammenträger mufj bie ganje ©efdt|id|te
’mat mieber aug ifjrer SDtifere Ijeraugreifjen.“
^i^ntid^e $ufjerungen, mie fie fjier jum ißotitifd^en unb ©taat*
ticken öortiegen, tat er bei äftf)etifcf)en ©treitfragen. Sttg Stbotf
SRenjet fidf) über bie jeitgenöffifctje ^unfttritif fe|r abfällig ändert
unb feine Sefannten bag aufg entfcf)iebenfte mißbilligen, erttärt
Montane: „(Sg tjängt alteg non ber Vorfrage ab, ,mie grofj ift
9Renjet?‘ Sft er bloß ein fef>r guter ÜRater, fo barf er bergleidfien
nidfjt fagen; ift er aber, mie idj überjeugt bin, attererften SRangeg,
eine epodE)emacf>enbe SRr. 1, ein ©angpareit, fo barf er eg fagen.
3n folgern Säße geftef)’ ict) ifjm bag Dftecßt ju, äft§etifcf)e SBeffer*
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@r[ter £eil. ©runblagcu unb Anfänge
wiffereien als impotentes, langweiliges 3eug oon ber §anb ju 1
weifen. @3 ift wie mit unferm 9teid)3!an$ter. £>eifjt er ©djnöfel
ober ^afemann, fo mufj er ber ©locfe beS Sßräfibenten gehorchen;
Reifet er SöiSmarcf, fo mufj er ihr nicht gehorchen. ©arlpte hot I
rec^t, ber (Sinjelne beftimmt alles, barf alles, wenn er ber ÜRann j
banadj ift. ®aran hängt’S." }
ÜDian §at oiel ju nac^brücElid) auf fontaneS ausgeprägte
Steigung für baS kleine, Alltägliche, Normale hingewiefen. ©ewifj
ift fie charafteriftifch, a6er man barf boci» nicht oergeffen, bafj i
bamit nur eine ©eite feines SBefenS berührt ift, bafs bie Über¬
zeugung oon ber numerifc^en Überlegenheit beS Alltäglichen, oon
ber blofjen ©onntäglicljfeit beS ©rofjen unb £>elbifchen ein Söiffen
um bieS ©rofce* eine beftimmte ©inftellung beS ©rofjen oorauS-
fefct. ©erabe weil eS baS ©eltene, bie Ausnahme ift, fteht bei
fontane, ber baS Seben in feinen natürlichen Sejügen lägt unb
fdjilbert, nicht auf jeber ©eite baoon ju lefen, aber man fann oon
feiner auSfchlaggebenben Sebeutung nicht überzeugter fein, als
Montane eS war. S)aS ftete unb fid£)re ©efühl für ben S)iftanj-
unterfchieb beS ©rofjen unb kleinen, ©eltenen unb Alltäglichen,
feierlichen unb ©djlichten ift ein wichtiges ÜRoment feiner SCBett-
anfehauung überhaupt, erftreeft fich gleicherweife auf bie ©ebiete
feines SBirfenS unb ©chauenS, feines ßebenS unb feiner ßunft.
ie rechte epifdfje ©efinnung fchtiegt bie Gefurcht oor bem
©igenredht unb ber ©igenart all unb jeber ©rfcheinung mit
ein, fie will nicht baS Überragenbe ins 2)ur<hfchnittliche hinunter- >
Ziehen, baS ©eltene nicht als blofje Ausnahme beS ©ewöljnlichen
begreifen, aber fie ljot für falfche, fcheinbare ©röfje nur ©pott
unb Wirb biefe auch bort entbeefen, wo ein weniger fcharfer,
weniger oorurteilslofef 93ti<f bie blenbenben äußeren füllen nidht |
burchfdjaut. <
fontane hot fich öfters ffeptifch über $elbentum geäußert,
weil er wufjte, wie fetten baS wirflidhe anzutreffen ift, für baS er
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2. $ie getftige !ßcrföulid>feit
57
©^rfurd^t, Siebe, rü<f^a!ttofe SBemunberung b»egte. Unb fürs
bürgerliche griebenSleben galt tfjm ein ©leidfp. „@S gibt ein
ganz ftitteS |jelbentum, baS mir imponiert. 2öaS aber meift für
$etbentum geregnet mirb, ift fable convenue, SRenommifterei,
©rogrefuttat." 9Ran fönnte glauben, biefem Sefdjaulicben {)abe
ber <Sinn für baS SEBefen ber £atmenfdjen gefegt, aber nicht nur
miberfpridfjt bem mandfjeS Kapitel ber „SBanberungen", er ertlärt
auch für feine eigene ^ßerfon: ,,3cf) bin nicht für Kraftmeierei,
aber wenn fich Kraft ganz natürlich gibt, bann ift fie bocf) maS
herrliches unb macf)t baS Seben erft recht eigentlich Z um Seben."
Wuty ber SOÖiberfpruch gegen bie üatertänbifctje $)ramatif SSilben*
bructjs („patriotifcheS S3led(j unb nicht einmal btanf gepu|t"), gegen
einen Scfjaufpielet non Slbalbert 9RatfomSft}S 9lrt ift nicht Reichen
einer bürftigen Statur, ber jebe 9Röglidf)feit innerer ©rtjebung, jebeS
SBerftänbniS für feetengeboreneS ^ßathoS fehlt. @3 mar burcfjauS nicht
feine üReinung, ba| bto&e „UnrebenSartlidjfeit" überall auSteitfie,
bafj „gütige Stepp" bie höchfte meltanfd^aulid^e ©rrungenPaft
bebeute. gür ben ^Utag fdjien fie it)m baS Söefte, für bie 2)urct|=
fd)nittlicf)feit beS SebenS erfprie^lich, aber fie bat ju fdfjmeigen,
menn baS ©rojje ins ®afein tritt.
gontane bept eine ©runbtugenb beS borne^nten 2Renf<f|en:
er meifj SDiftanz ju galten unb ju unterfcljeiben. SJtan bentt an
SRiefcfdjeS Stngft unb Klage, bafc er emig „bermedfifett" merbe,
menn Montane, bem audj mafjre Sitbung baS ©rofje, baS Seltene
ift, fchreibt: „$)aS SRie^fchefdhe SSort bom ,|>erbenbiel)‘ ift leiber
mafjr. Set) fenne biete ©eljeimräte, bie fotcf)e Stelle tefen fönnen,
oljne fie anberS ju rangieren, als mie: ,menn’S regnet, ift eS nafp."
^Cudh er, ber Konziliante, fab in ber üDtaffe baS Ungeformte,
SEBabltofe, leicht Umjuftimmenbe unb h at baS oft belächelt, oft
beflagt. SRur feiten fdfjlägt biefe Stepp in SBitterfeit um, mie
beim Stöbe beS KaiferS: „®er alte SEBilljelm, als bor 3>af)r unb
£ag baS SSolfSanfammeln bor feinem genfter SRobe mürbe, fagte:
,$)iefelben 9Renf<f|en, menn ein politifdjer Umfcf)lag eintritt, jer*
reißen mid(j.‘ $Rur z« maljr". Montane mar fonjitiant, aber baS
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©rfter Seit, ©runblagen unb SInfängc
todj nicht, ba§ atle§ tierftefjen if)m alle« öerjeihen E)te§.
ittc man bic SD^enfdjen einmal in jmei grof}e ©ruppen, in
bie ©ntmeber, ober* unb in bie ©omohl, als auct^üßenfchen, jo ge*
hört er aitSgefprodhen jur jmeiten. Aber fidfj in alles finben, bie
S)inge gehen ju taffen, mie jie gehen, baS mar ihm berächtlidh-
„©etjorchen unb jd^meigen h at nichts $u fd^affen mit timiber,
fflaoifch*unmürbiger Unterorbnung. Sn entfdjeibenben Momenten,
mo baS 93efte, maS man tjat, auf bem ©ptele ftet)t, muff man
fpred^ett, orbentlidt), feft, beftimmt, mutig. Aber bie ßebenSfunft
befte^t barin, fein ißuloer nicht umtüfc unb nid^t in jebent Augen*
btidE ju öerfchiefjen." gontaneS 8ebenSgefcf)ichte jeigt, baf} er folgen
Überzeugungen im entfcheibenben ÜDioment auch mirflidh bie $at
folgen lief}, auf baS 8?ecf)t entfd^eibenber perfönlidjer ^tnfprücfje
beftanb.
3)iefeS ißodfjen auf bie eigne Snbioibualität fteljt nicfjt im
Sßiberfpruch ju feiner . bid)terifdf)en Haltung. SBo^l fd^itbert er
„objeftio" feine $eit ab, aber er nahm nid^t mahlloS auf, maS
unb mie er eS fanb. Äunftfcfyaffen ift, felbft als epifdfjeS ©Raffen
noch, immer auch Umformung, fcfjon in ber ©toffma^l SBertung
unb bamit Äritif. 3)er SBiberfpruch unb bie ©leichgültigfeit, auf
bie gontaneS Sßerfe oft ftiejjen, läfjt einen gemiffen ©egenfafc jur
Allgemeinheit fühlbar merben.
©ettfam unb hoch mieber erflärlich, baf 3 bie ÜUienfdEjen „oor
bem ©uten unb ©dhönen, baS ihnen oft befchmerlich ift, murren",
©ie oertragen eher ben Anblicf ihnen frember ©röfce, als baf* fie
baS erhöhte Abbilb if)reS ©etbft begrüßten. SebenSfräftige ©egen*
martSfunft birgt fittlid^e Kräfte, forbert ju ©infe|r unb ÜKach*
eiferung auf, unb baS SSorbilb unb Abbilb ber $eit, mie eS § onsi
tane in feiner Sftomanmelt aufftetlte, mar ein lebenstüchtiges,
fcf)licf)teS, meltfrommeS Sürgertum. SBer anberS fonnte gegen
biefeS SSorbilb jetern, als feine ®arifatur, als ber beutfdE>e Sour*
geoiS! Auch ber Bourgeois ift ein falfdf)er, oorgeblidjer ©rojjer,
unb barum trifft ihn mie feine anbere etablierte ÜDtacht ber $eit
fJontaneS ©pott. Seffer, als jebe neue Ausführung öermödhte, hat
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2. 2>ic geiftigc *ßerfönKd)feit
59
er felbft feine Stellung jum ©ourgeoigtum gelennjeichnet: „Sch
empfinbe gegen bag mit bem wachfenben SBotjIftanbe überhanb
nehmenbe ©ourgeoigtum eine tiefe Abneigung. 2Bir!li<her SReichtum
imponiert mir ober erfreut mich wenigfteng, feine ©rfcfjeinungg*
formen finb mir im työctfften SRafje fpmpathifch, unb ich lebe gern
inmitten öon äRenfchen, bie 5000 ©rubenarbeiter befdhäftigen,
^abrifftäbte gtünben nnb ©jpebitionen augfenben jur Äolonifierung
bon Slfrifa. ©rofje ©df)iffgreeber, bie ftlotten bemannen, Xunnel-
unb Äanalbauer, bie SBeltteile berbinben, ßeitunggfürften unb
(SifenbaljnfÖnige finb meiner £>ulbigungen fieser. Sch miß nichts
bon ihnen, aber fie fRaffen unb wirten $u fetjn, tut mir woijl;
alleg ©rofje ^at bon Sugenb auf einen Räuber für mich gehabt,
id) unterwerfe mich neiblog. Slber ber ,©ourgeoig‘ ift nur bie
Äarifatur babon; er ärgert mich in feiner Äleinftiefcigfeit unb
feinem unauggefefcten bedangen, auf nidjtg ^in bewunbert $u
Werben. ©ater ©ourgeoig h at fich für 1000 ialer malen taffen
unb bertangt, bafj ich bag ©efcfjmiere für einen ©elagquej ^atte.
SRutter Bourgeois §at fich eine ©pifcenmantille getauft unb be*
hanbelt biefen Äauf atg ein ©reignig. 3lHeg, wag angefdjafft ober
Wohl gar ,borgefe|t‘ wirb, wirb mit tinem ©lidfe begleitet, bet^
etwa auSbrücft: ,©egtüdter bu, ber bu bon biefem ßudtjen effen,
bon biefem SBeine trinfen burfteft 4 ; atleg ift finbifdhe Überfettung
einer Söirtfdhaftg* unb ßebengform, bie fdjtiefjtid) gerabefogut
©echferwirtfchaft ift wie meine eigene. 3a, fie ift eg mehr, ift eg
recht eigentlich, ©in ©tüdt ©rot ift nie ©edjferwirtfchaft, ein ©tüdt
©rot ift ein ^öctjfteg, ift ßeben unb ißoefie. ©in ©änfebraten*
biner aber mit ßeltinger unb ©aifer=£orte, wenn bie SBirtin babei
ftra^tt unb fich einbilbet, mich &er ÄfltäglichWt meineg S5afeing
auf jwei ©tunben entriffen ju höben, ift fedhferhaft in fich unb
hoppelt burch bie ©efinnung, bie eg begleitet.",
2)iefe Abneigung gegen bag ©ourgeoigtum ift ebenfo Slugflufj
bon $ontaneg fd^lic^ter ©adhlichteit, wie biefe burch jene mit be-
ftimmt Wirb. @g bietet in „$rau Sennp treibet" feinem ßebeng*
gefühl ein frudhtbareg ©egenüber, einen plaftifch greifbaren ©egen*
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60
GSrfter Seil, ©rurtblagen unb Anfänge
fafc. Siber aucfj üiete briefliche Säuberungen jeigen bag ftetc SBe*
»ufjtfein tiefer Abneigung lebenbig. Überall ift er auf ber §ut
üor Söourgeoigpratentionen unb ©ourgeoiggefüljten, in feiner näcf>ften
Umgebung fpürt er fie oft auf.
©ein ßeitatter, bag »eifj er recht »oljl, ift feine fRenaiffance,
»o man oerftel)t, gefte ju feiern unb fidj feierlich $u geben, ofjne
bie SRatürü<hfeit ju oerlieren. Unb ba er alg Äünftler feljr
empfinbtich ift für ©tiloerftöfje, merben itjm bürgerliche geftioitäten,
feien eg nun Staufen ober 4)od$eitg* unb ©eburtgtaggfeiern, ju
Dual unb ©pott. Seicht »eil er gegen geierlidtjfeit fcf)lecl)tf)in ift,
fonbern toeit itjn bie Snfongruenj oon Prätention unb Seiftung
peinlidt} berührt. „£>ie Itod^eit, — fchreibt er einmal — „ju ber
i<fy nicht erfdjeinen fonnte, fott ja fehr großartig getoefen fein: ju
$uf$ gerittene Quabrilfen, Pferbeföpfe, ©rafen ufto. 3f>r »ifjt,
toag meinen Urlaub unb mein kommen unmöglich madjte; in
aller Siebe unb fjreunbfdjaft rnufj idf) bocf) aber aucf) fagen: eg
fam mir fehr ä propos. 8cf> tjabe fein Organ für foldje freier**
ti<hfeiten; bei Sief eng Staufe friegte id) befanntlich ben Sadjframpf,
unb ettoag oon biefem alten Übermut ift mir big auf ben heutigen
$ag geblieben. 2lHe ,pon»pofität‘ reijt micfj ju fritifchen SBetrach®
tungen." 2tucf> bie falfche Pompofttät ber ©efüljle: „©inen refpef-
tablen, orbentlidjen ©c^merj »eif$ idj ju achten, aber jeber ©djtnerj,
ber boch sule|t nidfjtg anbreg ift toie SBerftimmung unb ber jebe
SDfinute in $eiterfeit umfdtjtagen fann, ift mir minbefteng lang»
»eilig."
SBer eg fo ernft mit ben ©efüljlen natjm, bem fonnte. ge»ifj
nidht bie Siebe (in ©änfefüfjdjen), biefer grofje 2ummelpla| ber
$urd}fd)nittgromanfd}reiber unb ihres publifumg, jum oorjüglidfjen
©egenftanb feiner bicfyterifdfjen Stätigfeit »erben. $Bon fjontaneg
„$ül)le" fteht ja atfentljatben ju lefen, aber biefen Krittlern feiner
fjerben äftänntidfjfeit fei bag 23efenntnig entgegengeljalten: „3clj
fönnte ein l)o£)eg Sieb fTreiben über bie ©rl)abenf)eit, bie §err*
lidhfeit, bie Sßonne, bie SSunberfraft ber Siebe, unb j»ar nicht
Plrafen, bie icf) l)affe, fonbern ©mpfunbeneg. Slber freilich, Mt*
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2. Sie geiftige ^erfönlidjfeit
61
fidh fo gemeinhin Siebe nennt, biefe ganje Sfteihe niebrigfteheuber, be*
teibigenber, jugleidh mit wucfjtigfter Prätention auftretenber Sourgeoi?*
empfhtbungen (unb biefe? Sourgeoi?tum ragt in ade ©tänbe hinein),
für biefe ©orte Siebe hob’ ich nur ©pott unb Seractjtung. 3<f» liebe
Siebe, aber ich gucte fie mir an unb prüfe fie auf ifjre ©djtheit;
oiele?, wa? fidj in gutem ©tauben bafür gibt, ift nicht meit t)er.
35ie btofje perföntid^e, au? teibigen Segriff?oerwirrungen geborene
Überzeugung: ,icf) liebe 1 ift noch lange teine Segitimation.“
CYT>it fo hohen Stnfprüd^en an bie üflenfdfjen muffte Montane im
<J ©runbe einfam bteiben. Slber biefe ©infamteit führte nic£»t
ju Sitterfeit unb Serjid^t. ©r ift guter ©efedigfeit nie au?gewicf)en
unb war bann ber ©efprädjigfte unb SJtitteitfamfte oon aden. 3n
feinen Serien nehmen bie ©efprädh?fjenen ben größten dtaum ein,
bie meiften feiner Sriefe finb nidjt ÜDtonotoge, fonbern Dialoge,
er macht fich fetbft ©inwänbe, wenn feine fremben ju wibertegen
finb, im lebhaften ©efprädh mit Scannten pflegt if)n ein fteiner
2)i?put oodftänbig ju engagieren. „Son meinen Sorten mödjt’
ich gelegentlich fagen: fie haben mich." ©eine $rau tabette ihn oft
wegen einer „unangenehmen Strt ju ftreiten", aber nachgiebig im
©injelfad, erflärte er bann auf? beftimmtefte, gerabe fo bteiben
$u woden, wie er war, unb fiel» nicht einen ©tjarafter Weg*
bi?putieren ju taffen, ber feine fitttidhe ^Berechtigung höbe.
2)a? norbilbtiche Serhältni? ju feinen Äinbern, ba? bei ber
Seftüre ber Sriefe fo oft entjüdft, bafierte auf bem ©runbfafc, baff
man als ©rjieher nicht an ben ©tjarafteren fjerumbaftetn, fonbern
fidh auf bie görberung beffen befchränfen fode, wa? in jebem oon
Anfang an gelegen höbe. „Natürlich muff eine gewiffe ©uborbi*
nation tjerrfdhen, man muff, wenn e? nottut, befehlen unb feinen
Sefeht audh burcfjfefcen fönnen; aber mit biefer mäßigen fftefpeft?*
ftedung muff man fidh begnügen. Sie fidh e * n Sdtatfch gibt, ba?
ift nicht ein ßufad, audh weiften? nidht ein @r$iehung3fehler,
fonbern ber 2tu?bru<f feiner üftatur."
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62
(Srjter -teil, ©runblagett unb Anfänge
9ltg Snbiöibualift, alg dichter ber realiftifdjen 3eitepocf)e will
er oom Söffen ber cfiarafteriftifcheu Sefonberheiten nichts wiffen,
oielmehr biefe eher ju ftarf betont, als im Stttgemeinen aufgehen
fehen. $ag unterbleibet ihn oon ©oetljeg epifcher Haltung, bie
bie jatfigen Konturen gern ing ^armonifdfje glättet. 2)ag ^Cuf=
flärunggibeal ift ifjtn „^Ifterweigljeit beg oorigen 3af)rl)unbert3.
2)ag Unheil, bag Seffing mit feiner ©efd^id^te oon ben brei Gingen
angerichtet hot, um nur einen Sßunft heraugjugreifen, ift foloffat.
$>ag ,©eib umfÖlungen, Millionen 4 ift ein Unfinn. $of)eitg-
oufgaben, bie bodj nicht gelöft werben fönnen, oerwirren bie
9Nenf<hheit nur. ®anj allgemein aufgeftellt finb unerfüllbare ©äfce,
Wie ,Siebet eure fjeinbe 4 , grob unb fegengreich. 2)enn ber (Sinjelne
fann ftd^ baran in ben §immet |ineinftrampeln. Unb ich be*
wunbere eg bann. 3lber fowie bag praftifcEje Seben für ben
TOagggebrauch banad) eingerichtet werben foH, geraten wir in
bie Steffeln unb fc^reien ,au‘." Stur ber Verbleib innerhalb ber
eigenen ©phäre, berfelben Nationalität, berfelben Neligion, ber*
felben SebenSfteHung fd^eint if)m bag Nötige, nur aug biefer
©leichheit ergebe fid) bie ©leidjheit ber Slnfdjauungen, bie Überein-
ftimmung in ben entfcf)eibenben Gingen, ohne bie fein redfjteg
©lüdf unb feine redete Qfreube möglich fei.
Sludh bieg wieber ift nicht enge SBefdjränftfjeit, fonbern weife
Sefchränfung. $llteg oom fjöc^ften ©efidhtgpunfte aug betrauten,
auf ein ütllgememeg beziehen, fdjliefjt bie ©efa^r beg S^eoreti-
fiereng, ber Sebengoerflüchtigung ein. Unb weil Montane ben
Gingen gerabe ing ©efidEjt fie§t, bag anerfennt, „-wag ift" —,
üerefjrt, bewunbert, unb bod) eine Meinung unb ben ÜNut eineg
gelegentlichen Nein hat, begtjalb ift er unb feine Äunft lebten
@nbeg optimiftifd) unb Reiter. @g ift eine Suft ju leben, felbft
wenn Seben nur ©djauen bebeutet. „$)af$ eg an Sangen unb
©orgen nicht fehlt, bafür ift ja ohnehin geforgt; aber nun mache
man auch bieg Xrübfalgmafj nicht üoller, alg nötig ift. Seicht $u
leben ohne Seidhtfinn, heiter ju fein ohne Sluggelaffenheit, 3Nut ju
hoben ohne Übermut, Vertrauen unb freubige Ergebung ju jeigen
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2. Sie geiftige ^erfönlidjfeit
63
of)ne türfifdfjen $atafi3muä, — ba§ ift bic $unft be3 £eben§."
©r miß, Reiter unb unaffetifT, bem Seben ben ©fjarme nic£)t ge-
raubt miffen. „$)er Dftminb pfeift 'mal rauf) ba$mifc£)en, aber fo-
fange feine Sßoffen ba finb, freue man ficf) beS ^intmfifdfjen ßidf)t8."
@r f)at nichts fo gern wie fröfjfidje SKenfd^en, unb barum ift fein
©of)n ©eorge gan$ nacf) feinem ©inn: „9lf8 er jur erften Compagnie
fant, fcfjrieb er: ,er Ijabe nun einen Öorteif, ber SOTufif am nädjften
ju marfdjieren 1 , eine 2$erfion, bie er, af3 er einige äßodjen fpäter
$ur oierten unb festen Äompagnie fam, baf)in abänberte: ,er f)abe
nun ben SBorteif, bie Sßiufif beS unmittelbar fofgenben SöataißonS
ju f)ören‘. ©r fjat gan$ recf)t; e§ fommt immer nur barauf an,'
bafc, mie unb too man aucfj marfdfjiert, man allerorten bie 9Jiufif
be3 Sebent f)ört. $)ie meiften f)ören nur bie $)iffonanjen."
'Triefe SRuf» beS SebenS ffingt, oft fauter, oft nur feife, burdj
bie SBeiten ber fontanifcfjen 9tomanmeft. @8 finb fjerbe, nörb-
ficfje Äfänge oon einer feufdjen ©innfidf)feit, eine äftufif, mie fie in
fofcfjer 9Reinf)eit nur biefer SDicfjter ju machen mufjte, in bem baS
©ute unb 93feibenbe ber reaüftifcfjen ©podje feinen poetif^en
9lu8brucf fanb.
©efbft mer fdjon burdfj bie äußere ©emädfßidjfeit biefer SBerfe
bie ftrenge ßudjt iljre8 99au8 erfannt f)at, fiefjt nodfj mit freubiger
Überrafdjung, mie ftreng Montane aucf) im $ßrin$ip über bidfjterifdfjeS
©Raffen badete unb urteilte. ©r f)afjt bie 3ftaffenprobuftion unb
miß, af3 erft einmaf ba8 ®icf)terifcf)e in if)tn jum 2)urcf)btucf) ge-
fangt ift, oon feinen früheren ©Treibereien nichts mef)r miffen:
erft mit bem fiebriger Äriegsbudfj unb „$Bor bem ©türm 4 ' fei er
,,©df)riftfteßer gemorben, ein 3Kann, ber fein SWetier af8 eine
Äunft betreibt, beren Slnforberungen er fennt". Unb et)' nun
ber Slbftanb oon ©rfenntnis unb Seiftung übermunben mürbe!
©emifj mar fein latent angeboren, mie jebe8 ec^te, aber mefcfje
SBifbung unb ©infidjt, mefcf)’ ©efTmadf unb eiferner $Ieij 3 maren
nötig, um bie $öf)e oon „Errungen, SBirrungen" unb „@ffi
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64
(Srjter Seil, ©runblagen unb Anfänge
©rieft" ju erretten. Sefct fjeifct bie Carole: »er nicht ganj bafür
geboren ift, wer in ber ®unft nicht baS |jöchfte leiftet, bpr bleibe
baoon. „2)er gewöhnliche äflenfd) fchreibt ntoffenhaft hin, WaS ihm
gerab’ in ben ©inn fommt. ®er Äünftler, ber echte dichter, fucht
oft oierjehn Sage lang nach einem SBort." ©ewifj hätte Montane,
ber in ftrenger ©elbftfritif urteilte, eS würbe nur wenig öon
feinen ÜEBerfen fi<h ins neue Sahrljnnbert hinüberretten, am Sebent
enbe ben eigentlichen ©eginn feines epifchen ©chaffenS noch fpäter
angefe|t. ©d|on 1883, als oon ben äjieifterwerfen noch nidhtS
oollenbet ift, fchreibt er: „,©or bem ©turnt 4 Oergeffe ich immer
’gefchrieben ju höben."
gontaneS Äunfteinfichten finb, wie fein ©Raffen felbft, burd)
baS ©treben ausgezeichnet, bie „natürlichen ©ejüge" ju wahren.
@r ift auch ölS Äritifer fRealift, befennt fich, ftatt in ©infeitig*
feiten ju tierfallen, auch ^ er S u einem weifen ©owohl — als auch-
©rlebniS unb ©epalt in ber Äunft finb ihm felbftoerftänbliche
©orauSfefcung. „Sn meinem ©ernüte fteljt eS fetfenfeft, baf$ eS in
aller ßunft — wenn fie mehr fein will als SDeforation — auf
etwas ©eelifcheS, ju £erjen ©eljenbeS anfommt, unb bafj alles,
waS mich nicht erhebt ober erfdjüttert ober gebanflich befdjäftigt,
feinen ©chujj Sßuloer wert ift." Slber er hütte ber grofje Zünftler
nicht fein müffen, wenn ihm bie ©inficht bafür gefehlt hätte, WaS
aus einem erlebnisfähigen unb gehaltootten üftenfchen erft einen
dichter macht: bie ©eftaltung, bie $ornt. „Sn Slnfc^auungen bin
ich W tolerant, aber Äunft ift Äunft. £)a tierfteh’ ich feinen
©pa|. SBer nicht felbft Äünftler ift, breht natürlich ben ©piefj
um unb betont Stnfchauung, ©efimtung, Stenbenj_$>ie ©h^°*
fophen höben oft gar feine Ülljnung baoon, worauf eS eigentlich
anfommt. Überall ba, wo eS auf baS ,©eftalten 4 anfommt, rebett
fie Unfinn. ©S fehlt-ihnen ganz baS Organ für baS, WaS bie
$auptfache ift."
SBie Soutane mit biefer „Imuptfacfje", bem ©eftalten, ber
Sortn rang, ohne bap ©rlebnis unb ©ehalt babei ju ©dhaben
famen, wie bann beibeS fich tn feinen SDteifterwerfen ju einem un*
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2. ®ie geiftige Sßerfönlidjfeit
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töSlidfjen ©anjen jufommenfinbet, ba§ fann erft bie ©injeftetrad}*
tung ber Romane ertoeifen. ©eilte ganje ^ßrobuftion ift „2)unfel*
fdjöpfung, im Sid&te $uredjtgerücft", uttb ein ftot^eS 93efenntni$,
nidjt ßeictfen ber ®ürftigfeit unb ©djtoädje, wenn er gefielt, brei
Viertel feiner ganzen literarifd^en Xätigfeit fei korrigieren nnb
feilen getoefen. 9?ur in biefer raftlofen Unermiibfidf)feit, biefer
Reiften Eingabe fonnte jene $8oEfommenf)eit reoXiftifd^er kunft
erreicht werben, bie iffren breifadfjen EtuljmeStitel in biefen kenn*
$eidf)en offenbart: geiftige 2)urcf)bringung, SSorurteifölofigfeit unb
©titgefüf)!.
SBanbret), Soutane
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3* 3>°untaIt0mtJ0 unk 203anöerMc^er
,/ 'F\af} alleg fünftlerifdje Stoffen öuf ein Urfprüngticfjeg im
Zünftler felbft zurüefgefit erhellt oielleicf)t fein Umftanb
ftärfer, ofö wie biefeg Ursprüngliche auef) im fremben Äleib fühl¬
bar wirb unb trofc aller Hemmungen unb ©djranfen fic^ fieg-
teidj beraubtet.
Montane, beffen innerftem SSefen unb Streben praftiScf>=politifdje
Üätigfeit fern genug lag, beginnt feine fdjriftfteflerifdje Saufbaf>n
bei ber «Bettung unb ift ein tyalbeg äflenfcfjenalter als Strtifel- unb
Äorrefponben$enfcf)reiber tätig. Überblicft man biefen Zeitraum, in
bem et ganz altmäfjlid) fief) immer mef)r ju fid) felbft fjinfinbet,
fo wirb redjt offenbar — unb bie Sdjlicfjtfjeit biefeg Veifpietg
erweift eg um fo eittbringlidjer —, bafc nid)t bie äußeren Sebeng-
umftänbe unb ^ufätle, bag blinbe Scljicffal, ben SKenfdfjen be*
ftimmen, fonbern eg barauf anfommt, wag einer aus ben Ver-
fjältniffen ju machen weift, bie fein Streben unb Seiften wo|l
mobifijieren, aber nidjt bag ©efefc feiner SXrt unb feineg 3Sacf)g-
tumg finb.
Selbft in ben frü^ften journaliftifd&en Anfängen orbnet Montane
ftdfj nid)t jwanggweife bem ©laubengbefenntniffe einer Bettung unter,
für bie er arbeitet. SDie politifd^en Slrtifel oor unb öon 1848 bleiben
burefjaug im Sinflang mit feiner bamaligen ©rfenntnig unb Stim¬
mung. Sllg bag greiljeitgfieber oorüber ift, fudjt er bag Sßolitifdje
nidf)t mel)t auf unb ftrebt im Notfall eine efjrlicffe Vermittelung an
ZWifdjen bem, wag man oon iljm erwartet, unb bem, wag feine
Überzeugung geben fann. §ludfj in ber argen Vebrängnig oon 1849
wirb ein Angebot ber bemofratifdfjen 2)regbner Leitung oorfidfftig
unb augweidjenb erwibert: wenn ityn bie Sadfje gerabe erwärme,
fönne er audf) einmal einen guten Slrtifel liefern. Slber nur ju
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3. Journalismus unb Söanberbüd^er
67
oft weidjt feine perfönlid^e Meinung öon ber üerlangten ob, er
fief)t bie 3)inge anberS unb fdjweigt.
©o mürbe Montane notwenbig jum politifch neutralen Feuilleton
gebröngt, wo eS nid^t ißrhtjipien §u oertreten gilt, fonbern eine
freie, fünftlerifdj gefärbte Setjanblung beliebigen ©toffeS möglich
unb ber persönlichen Auffaffung SRaurn geloffen ift. 9lur biefer
$eit feiner journaliftifchen unb reboftioneUen Xätigfeit birgt Meinte
unb Anfäfce beS eigentlidjen Montane, bie politischen Artifel finb
$)ufcenbware, ohne eignes profil, bie auch ein onbrer gefertigt
haben !önnte. SltichtS wäre falfdjer, als etwa ben Späteren Über*
gang oon ber „Äreu^eitung" jur „&offifdjen Leitung" als ©nt*
wicflung ju beuten. Montane war nicht erft fonferüatio unb bann
freifinnig, fonbern nahm oon beiben Parteien auf, was unb
wann eS ihm richtig bünfte unb gemäfj war. AIS ÄreujjeitungS*
mann fühlt er fidh oft im ©egenfa| ^u ben politischen ©palten
feines SötatteS, als Äritifer ber SBoffin behält er eine untilgbare
Vorliebe für ben märfifc^en Abel unb alles Äonferüatioe, tro|bem
man ihn als einen Abtrünnigen be^anbelt. ©ein Söemüfjen gef)t
nicht barauf, fiCh einer Partei einjugliebern, fonbern ein felbftänbiger
9Jlenfd) Oon Meinung unb Urteil $u fein.
Aber felbft biefe üerfjältniSmäfjig freiere unb angenehmere
feuilletoniftifche Arbeit, bie Montane nach ber oorübergehenben $8e*
fdhäftigung beim literarischen SBureau beS preujjifchen ÜJänifteriumS
1852 unb 1855—58 oon ßonbon als englifcher Äorrefponbent
für bie „Sßreufjifche ßeitung", bie „geit", bie „Äreu^eitung“, bie
„Soffifche Leitung", baS „S)eutf^e Äunftbtatt" oon fjriebrich ©ggerS
u. a. lieferte, brachte genug mit fid), was feiner eingeborenen Zünftler*
natur juwiber war. 3)ann Wagt er wohl: „©in SBeridjterftatter ift
nie §err feiner ßeit, unb wenn bie ©arben am Mittwoch ein*
rüden, fo muf} er beinah f° pünftlich auf bem Sßoften fein wie
bie ©arben felbft. SBenn bann baS ©djaufpiel oorbei ift, fängt
bie Arbeit beS burdj ißarfS unb ©tragen gehegten ©friblerS erft
Wahrhaft an, unb er muft mit fiebriger £>aft unb jitternber ^anb
über baS Rapier hwf<rf)**n, um bie Sßoft nicht $u oerfäumen."
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@rfter $eU. ©runblagen unb Anfänge
Unb eS ift nicht baS 9RÜl)felige allein, maS ihn üerbriefjt, bie
©intagSlebenbigfeit folget iöerid^terftattung ift ber tiefere ©runb
feines SRifjbehagenS. „2)ieS üfteuigfeitenaufpicfen unb in brei ßeilen
citissime SEBeiterfchaffen mag recht üerbienftlich (in boppelter 93e=
beutung) fein, mir aber fomrnt eS ein bifjdfjen mie unter meiner
SGöörbe üor. @S fdjeint mir auch biefer Älatfdfj mehr für alte
SBeiber als für SRänner gemalt. Sftit einem SBort, idf) miß fein
SReuigfeitSfrämer fein." Schon 1856, gmanjig Sa^re oor ßrfcfietnen
beS erften SRomanS, fü^tt er fid) mefjr „ißoet als Gebienter“ unb
Spaltenfüßen nicht als feinen eigentlichen Söeruf. ßeitenmadherei
unb literarifdje ©elbfpefutation oerteiben ihm oft, oon Leitungen
unb SBlättern, IRebafteuren unb Honoraren auch nut i u hö ren - 5lber
er muff fidfj mit ber gegebenen Sage abfinben unb nupt fie aufs befte.
SBaS oon biefen fJeuißetonS bei fpäterer 3)urchficht unb teilmeifer
Überarbeitung ber Slufbemahrung mert erachtet unb $u 93üdhera
oereinigt mürbe, bietet immerhin einen h°ffnungSt>oßen Anfang.
''T^'vaS erfte biefer 93ücf>er, „(Sin Sommer in Sonbon“ (1854), fofl
rU eine ^trt Rührer fein unb aßeS befdhreiben ober menigftenS
anbeuten, maS Sonbon an SehenSmürbigfeiten aufeumeifen h^t.
Slber Montane gibt hoch meniger unb mehr zugleich, gibt bodh
au<h anbereS unb (SigeneS, @S faßt ferner, ju glauben, baff SSoß*
ftünbigfeit angeftrebt mar, baS Such ift, felbft menn man bie ba=
mafigen befcheibenen Slnfprüche in betracht jieht, fein SBaebefer.
Fontane betreibt faft nur, maS ihn intereffiert, er regiftriert nicht,
mie fo oft in ben branbenburgifdhen SBanberungen, unb ber Schmer«
punft liegt barauf, mie bie 2)inge gefe^en finb. Sein Sntereffe
greift örtlich über Sonbon hinaus unb fogar auf ben belgifdhen
Slufenthalt jurücf (im Kapitel „ßn #auS", baS üorn 23egpnenhof
in ©ent erfühlt), er fdhiebt jmifchen bie ^Betrachtungen oon Stabt,
ßRenfchen unb Sanbfchaft manche Sittenfdhilberung, mie bie föft«
liehe 2Ribblefejmahl, bie anfdhaulidhe SBefdhreibung beS $auS« unb
Familienlebens im „(Snglifchen ßopf", umfängliche hiftorifche fftüdf«
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3. Qourualtgmuis unb Sßanberbüdjer
69
Hilfe, ge|djid}tfidje ß^arafteriftifen, ©enreljafteS, tote bie launige
©djilberung ber SürgerSfamilie auf bem ©onntagSauSflug nach
9ti<hmonb, ©timmungSmäfjigeS, lote bie ^Betrachtung „S)a8 Seben
ein ©türm", rein ißerfönlidheS, tote baS Kapitel „äJttjj Satte", ja
fogar tljeoretifierenbe ©ffapS, toaS alles in einem bloßen Rührer
nicht am ißlape toäre. x
2)iefer oerfdhiebene S^arafter ber Kapitel fdjafft einen toiH*
fommenen Sfteidhtum. gontane hat ©elegenheit, fic^ in mannigfachen
Slrten beS ©c^riftftellerifc^en ju oerfudjen. @r fchilbert nicht nur
ßonbon nnb Sonboner SSer^ättniffe, er gibt auch, teils betoufjt,
teils unbetoujjt, fich felbft unb hatte ©runb, an ©torm $u f ehr eiben:
„j£)aS Such bietet eine äRenge §lnlnüpfungSpunfte jur Sefpredhung
beS ganzen ÄerlS." SßerfönlicheS unb ©achtidheS, ©egentoart unb
$iftorie, Sefdhreiben unb Urteilen fchlingt fich itt einer bunten,
regellofen $olge burdheinanber.
$)ie fprachüdhe «Sorgfalt ift ungleich, nicht immer finb bie
ftiliftifdjen SKittel toählerifch, manche ©efchmacflofigfeit, manche
UngefdjicEIidhfeit läuft mit unter, man merft beutlidh, too er mehr,
too er toeniger innerlich beteiligt ift ober gar nur ans Pflicht
fdjreibt. @r ift fich toohl Oon Slnfang an flar, toaS er erreidhen
toiH unb too eS noch fehlt, bie erften ßonboner Sriefe fdheinen
ihm fdhtoadh, auf manche ber fpäteren burfte er fich toaS jugute
halten, aber baS ©eglüifte ift noch me h r 5 ruc ht beS giinftigen
SlugenbliifS unb ©toffeS als beS Talentes unb ber erftrebten
SBirfung, bie ©dhilberungen, obgleidh oft fehr betaiUiert, haben
nodh nidht bie ©inbringlichfeit ber fparfamen beS fpäten Sutane,
eben toeil ihre 2)etaiHiertheit nodh ttmhlloS in ber 5tbfchilberung
ber ganzen ©nmme beS ©egebenen oerfährt. ^ontaneS Talent be=»
burfte ber ßudht unb Sefdhränhtng, um jur SoHfommenhcit ju
reifen, nnb l)to h ot We Üßottoenbigleit, fich tnandhmal furj faffen
$u müffen, toenn bie Leitungen nur toenig 9taum 5 ur Verfügung
ftellten, getotfj giinftig getoirlt, auch manch toipiger ©infall, mandhe
gelungene Pointe ift fo entftanben, oft atlerbingS audh ein bifjdhen
^Berliner ©chnobbrigfeit mit eingefloffen.
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(ärfter Steil, ©tutiblagen utib Anfänge
+■ *
$)en beljagliclj auglabenben Klaubereien merft man an, wie
mollig fid^ Montane öon ben fluten ber ©roftftabt treiben läftt.
Überall ift eg bie ßafyl, bie Stenge, bie äRaffenljaftigfeit Sonbong,
bie iftm Staunen ab$wingt, er finbet eine abjcftredfenbe Monotonie
beg Gsinjelnen, aber oollfte Harmonie beg (Sanken, wenig Scftön*
fteit, oiel ÜDiädjtigfeit. 511s Symbol Sonbong »erben bie fünf
gewaltigen $f|emfebrücfen f»ert»orgef>oben: „Sie finb meiner ÜRei*
nung nacl) weitab bag Sebeutenbfte, wag Bonbon an Saulicfjfeiten
aufjuweifen l)at. gl$Dbe ben ©runb biefer eigentümlichen (£r*
fcfteinung barin gefunben ju ftaben, baft bag englifcfte SBolf alleg
ftat, was ju einem impofanten 93au augreicftt: Söerecftnung,
Sfteicfttum, Slugbauer, '^jüjnfteit, — aber bag entbehrt, wag $ur
Scftöpfung beg fünftlerifcf) SMenbeten nötig ift: ©efcfjmacf unb
Schönheit." Selbft bie SBeftminfterabtei fcfteint iftm an Scf)ön=
|eit gering, nur burcft bag ©efcfticfttlidje feffelnb, bag atg aug*
gefprocftene SSorliebe feine Urteile mit beftimmt. SBenn er auf
ben Xower unb $ampton=(£ourt, §aftingg unb 3Söftl)am*Slbbep
jn fprecften !ommt, beoölfern if>m feine anfcftaulicften ßenntniffe
biefe Stätten gefcfticfttlicfter (Srinnerung mit lebenbiger Vergangen*
heit. ©nglanbg ©efchicftte bünft iljn größer alg ©nglanbg (Segen*
Wart. 2)er £ower ragt alg ©rabmonument einer geftorbenen $eit
mit feinen grauen türmen wie ein fteinerner Slnachronigmug in
bie Äaufmanngwelt hinein.
Unb wo er aucft weilen mag, bei ber (Sinfaljrt burdE) bie
^emfe, im $lüdjtlinggf)otel, bei ber 3)urd^wanberung oon Straften,
33rü<fen, Raufern, ber Kefidfjtigung oon ©enfmälern nnb Köpften,
im K oet ^ ©orner ber SBeftminfterabtei, nie oerfällt er einer
frititlofen Eingabe, aller 83ewunberung gefeilt ficft immer auch
Urteil, unb ber SSergleicft fällt oft jugunften Seutfdhlanbg aug.
2)ie ©itft* unb 9lelfonfänle reifen feinen berliner 9Bi|, bie ge*
fcftmacllofen öffentlichen 2)enfmale, bie SReiterftatue ©eorgg III.
Werben treffenb gloffiert. (Sr ift ooU Sewunberung für ben groften
ßufhnitt, bie üornefjme änftere Snfjenierung beg Sebeng, er macht
immer wieber lange Omnibugfaftrten, um bag gewaltige Straften*
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3. Sourttaliämuä unb SSanberbüdjer
71
treiben auf ftdj mirfen zu taffen, aber feinem fdürfen SlicE bleiben
auch bie Stängel nicht verborgen, fie rüden ihm §eimat unb
Deutfdhtum in befto fetteres Sicht.
Sicht nur peri^erifd^e Dinge forbern feine Äritif ^erau8, mie
menn ber Sportfpleen felbft „armeg Solf, Tagelöhner, bie feine
©eig, gefchmeige ein ^ßferb im Stalle hoben", öor ber |jaugfront
ber „Slluftrateb Semg" zu Daufenben in üoUer ©rmartung zu*
fammenbrängt, „mag fünfzig Steilen nörblidh in ß^efter gefdjieljt
unb ob ber ,Calla Sooft) 4 ober ber ,2Bilberforce‘ gemonnen
hat". Sn bem Kapitel „Der englifdhe ßopf", bag mit ben
„Stufifmachern", „Die ÜSanufaftur in ber Äunft", ber „Stibbtefef-
mahl" ju ben beften beg S3ud§eg gehört, mirb auf tiefere Staben
berebt fjingemiefen, jene englifdhe Überljeblichfeit, bie fo öon- fid)
überzeugt ift, ba| fie auch bag Schlechte fonferoiert, fdfjreienbe
SKifjftänbe einreifien läfjt unb in Marine unb $eer, jeber Seuerung
unzugänglich, bon Siegen träumt unb fictj in Sicherheit miegt.
®g fallen bie SBorte: „Die ftolge Snfel mag fidh borfehn; fo feft
überzeugt ich bin, ba| ihr feine ©efaljren bon jenfeit beg Äanalg
brohen, fo feft überzeugt bin ich oudf), ba§ fie biefen ©efaljren
unterläge, menn fie jemalg Söirflidfjfeit mürben."
Unb mie ein roter ffaben zieh* M burdj ffontaneg Such bie
herbe ftritif beg übermnehernben ©elb= unb ©efcfjäftggeifteg. ein¬
mal mirb bie ff rage aufgemorfen: fteht englanb mirflidh auf
tönernen ffüfcen? unb ffontane antmortet — im Saljre 1852 —:
ja! „eg ift bag gelbe ffieber beg ©olbeg, eg ift bag Serfauftfein
aller Seelen an ben Stammongteufel, mag nadh meinem innigften
Dafürhalten bie %t an biefen ftolzen Saum gelegt hot- Die
Äranfheit ift ba unb mühtt z^rftörenb mie ein ©ift im Körper,
aber unberechenbar ift eg, mann bie Serfaultljeit fidhtbarlidf) an bie
Oberfläche treten mirb." Statt beg merry old England finbet er
nur nodh bag money-making people beg neunzehnten Saljr-
hunbertg oor, bag felbft ben ÜSut fauft, bem nichtg fo hoch ober
niebrig fteht, bah <8 nidht zum ©egenftanbe ber Spefulation
merben fönnte. „Spefutationen, Sennen unb bie Sogb nach ©etb,
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©rftcr Xett. ©runblogett uttb Anfänge
$od§mut, wenn eg erjagt ift, unb Serefjrung bor bem, ber eg
erjagt pat, ber gattje Äuttug beg golbenen Äatbeg ift bie grofje
Äranffjeit beg Sotfeg." ©r täfjt einen alten ©ngtänber, ber früher
in 2)eutfd)tanb gelebt f)at unb wehmütig biefer $eit gebenft, aug*
rufen: „Sei Sfjnen gibt eg -Uftenfcpen unb ^erjen, aber bieS @ng*
tanb tjat nur Seine unb Sörfen." ©elbft bie fonntägtidfj jur
©dfjau getragene grömmigfeit ift pot)le Äorreftljeit unb leerer
©ctjein: „$)ie SBodfje oerrinnt in raftlofem äßammonbienft unb
ber £ag beg $errn ift eitet Süge unb ©djein. ÜUiedjanifdj Wan*
bern bie güfje in bie Äirctje, aber bie ©eete burcpjagt fcfjon toiebcr
bie ©itt)*©trajjen unb fuctjt in ben ©patten beg Sörfenberidjtg
nad) ©ewinn unb Sertuft." 2)ag SOtenfdjengtüdt rupt wo anberg
alg in ber San! oon ©nglanb, nidjtg Strofttofereg unb Seräcpt*
tictjereg atg ber berengtänberte ©eutfcpe, bem er oft genug in
Sonjion begegnet! ©ctjarf werben beibe Sauber fonfrontiert: „®ng-
tanbg Äraft befielt in ber anfprudjgbolten ©ctjäpung feiner fetbft,
2)eutfcf)lanbg ©röfje in ber befctjeibenen SBürbigung alleg gremben.
©nglanb ift fetbftfücptig big $ur Segriffgberwirrong, ©eutfdEjlanb
geredet big jur eigenen ißreiggebung."
3)iefe Äritif wirft trop iprer ©djärfe einbringtid) unb geredet,
weit nirgenbg barauf auggegangen wirb, ©drüben entbecfen ober
©cfjledfjteg fepn ju wollen, weit pinter bem Stabet ein äJtenfdp ftefjt,
ber, oon ©ngtanbg ©röfce überzeugt, bon feinem ßanber immer
wieber überwunben, eprlidp anerfennt, wag Slnerfennung berbient.
Soreingenommenpeit unb 3)eutfcptümetei finb Montane fremb, bag
rnadpt feine Urteile übergeugenb, bie ©egenfäpe bon beutfcpem
SBefen unb engtifdpem cant aber audp um fo einbringtidper. ÜEBemt
ein Kapitel rügt, bafj bie engtifcpe ©aftfreunbfdjaft nur nocp eine
Sßprafe, im günftigen galt eine Stugnapme ift, baf[ bag Sanb offen
ftept, aber bie Käufer ju finb, weit „ber ©ngtänber entweber
nic^t begreift, l>aji unter einem jerriffenen SRocf bag $er$ eineg
©entteman fdptagen fann, ober bag 5tbfepn bon tufjerticpfeiten
ipnt fo böttig unmögtidp geworben ift, bafj er lieber mit einem
Safter in gradf unb ^anbfdpup atg mit einer pembgärmtidpen
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3. Journalismus unb SBanberbüdfyer
73
Xugenb oerfehrt", fo oergifct Montane bo<h nicht gu erinnern, wie
er felbft in jungen Jahren bie alte ©afifreunbfchaft einmal ge*
noffen habe, unb fteßt ber fteifen $ßarabegefeUf<haft bei äJtrS. S3utler
im nädfjften Kapitel ben herzlichen ©rnpfang auf bem ßanbfi| beS
3Jtr. ©urforb gegenüber.
Schon aus bem „Sommer in ßonbon" fprid^t atfo QfontaneS
realiftifclje Dbjeftiüität, feine ©Seite beS ©licfS, feine Sßeltgerechtig*
feit, ©egen baS ©nbe beS ©ucheS mirb offen eingeftanben: bem
eigentlichen gmeef, Zu unterhalten unb anzuregen, hat immer baS
©erlangen eines unummunbenen, ihm felber ©ebürfniS geworbenen
©efenntniffeS jur Seite geftanben.
©in ©ucf> über ©nglanb — aber hoch eben fein ©uef), unb
nicht nur in ben Urteilen, bie fehr wohl einen Slnfprucf) auf um*
fänglidhere ©ettung erheben fonnten, auch in manchen Eigenheiten
ber ©arftellung. 2)aS „Sßicfnidf in £>ampton=©ourt", baS Smithfielb*
fapitel beuten auf bie „©Säuberungen burch bie ÜJtarf ©ranben*
burg", wenn in einer ganz perfönlidfjen, genrehaft gefärbten ©in*
fleibung bie obligate Sdhlofjoifitation mit hifiorifchem ©ücfblicf
gegeben wirb ober Smithfielb, wo fo gar nichts $u fehen unb
ju betreiben ift, ben ©orwanb zur ausführlichen ßebenSbefdjtei*
bung ßabt) ^amiltonS bieten rnufc, bie h*^r als $inbermäbdjen
eines ^ofpitalarjteS ihre Sauf bahn begann. 3m „Sommer in
ßonbon" lefen wir zum erftenmal Säfce wie „üftan barf gelben*
taten nidht in ber ÜRähe betrachten" unb „@S ift ein ©twaS im
SWenfchen, was ihn ben |>erbft unb baS faHenbe ßaub mehr lieben
läfjt als ben Frühling unb feine ©lütenpracht" ober „@S ift waS
in mir, waS midh ben Diogenes mehr bewunbern läfjt als ben
ÜDtann, ber oor ihm in ber Sonne ftanb, unb was — wenn ich
jwifchen ©jtremen wählen foH — mir ben Orben oon Sa trappe
gröfjer unb beneibenswerter erfdjeinen läfjt als bie ßonbon»©itp".
5)aS wirft wie ein ©rälubium oieleS Äommenben, wie oft flingt
biefer $on fpäter noch auf! 3)ie ©efchreibung beS ©ilbeS einer
©räfin Äintore rechtfertigt jenes ©Sort ftontaneS an Storm oon
ben „©nfnüpfungSpunften zur ©efprechung beS ganzen ÄerlS":
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74
@rfter £eil. ©runblagen unb Anfänge
„Söewt mid) jemanb fragte, maS ,9lbel‘ fei, fo mürbe icf) ihn
fdjmeigenb am 2trme faffett unb üor bieS SBilbniS führen; fein
beutfdjeS Sßörterbudh fönnte fo ju ißm fpred(jen mie biefe ftitlen
3üge. 2)a ift nid^tö bon ber fjerrfdhenben ^o^ett einer Königin,
unb tttd^tS oon bem forcierten Stol$ einer (Sittitoc^ter, bie über
ficf) hinaus mill; meid) unb bod) feft, befcßeiben unb bocf) felbft*
bemüht blicft $)idfj bieS Stuge an unb erzählt S)ir Oon bem echten
Stbet, ber meber fid^ brüften nod) fidh bilden mag, fonbern, bie
|>anb jum Soll unb baS §tuge jurn Xf)ron, grabauf unb un*
beirrt feine ^ßfabe siebt." 28ie fontanifdh, mie märtifdh*preußifdh
Hingen biefe Säße! (Ss üerfdhlägt nichts, baß fie gerabe im
fdjmächften ber oierunbbreißig Kapitel, ber „ÄunftauSftellung",
fte^n. Sßie ben meiften feiner $eit |at fjontane baS SerftänbniS
für baS eigentliche SBefen ber bitbenben Äunft gefetjft. (Sr hat
aber auch nie ben Stnfprudj erhoben ein Kenner ju fein unb offen
eingeftanben, er hafte fidh meift an baS §iftorifdhe, ©egenftänb*
liehe, betrachte bie äftalerei als' Sßuftration ber ©efdhichte unb
liefere äußerliche Silberbefdhreibung ftatt Äunftfritif.
5 reilich, wenn folcf)e laienhafte ^Betrachtung über baS Gelegentliche
hinaus fidh gefdjloffeuer, prinzipieller SDarftellung erheben
mill, muß fie oerfagen.
2)er jmeite, mittlere £eil ber Sammlung oon 1860, „9tuS (Sng=
tanb" (1860), feßt fidh Aufgabe, in Slnfttüpfung an bie große
ÄunftauSftellung in äJtandhefter einen Stbriß ber ©efeßiehte ber eng*
tifdjen SJtalerei gu geben. 3)ie $nfprücbe finb befdheiben, Montane
meiß, baß bie $fttfidhten eines 9RalerS ober Sacßoerftänbigen mohl
oon ben feinen abmeidhen bürften, er mill nur auf ein reiches,
nadh Baßl unb SSBert, mie ihm bünft, unterfdhäßteS Material hin*
meifen, mill bureß Tabellen unb fummierenbe S)arfteHung bem
(Snglanbbefudher mie im „Sommer in ßonbon" gmedentfprecßenb
oorarbeiten, aber felbft menn man berüdfidhtigt, baß er nur mit
beftem SSillen unb können, niemanbem gu Siebe unb ju Seibe
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3. .gournaliginuö unb Sanberbüct)er
75
fid) über ein wenig Befjanbefte^ Schema verbreiten wollte — ber
SSunfd), biefe ehrlich gemeinte Arbeit über bie nädjfte Stunbe
hinaug ju retten, fonnte faum in Erfüllung gehen. ,
Sßicht nur bag Söitb ber englifchen SDtalerei tjat fic^ feiger
veränbert,, eg finb überhaupt bie äRafjftäbe ber ^Bewertung, bie
fritifc^en $anb!)aben für ^Betrachtungen ber 9lrt erft fpäter ge«
funben unb aufgeftellt worben. 2)ag Sachliche biefer fontanifc^en
Arbeit gehört jum toten Schriftgut, unb ba fie auch bezüglich ber
ißerfon beg SöerfafferS wenig bietet unb bieg SBenige an anberer
©teile viel charafteriftifdjer beutlich wirb, ift mit ffug unb $fted)t
von ber Aufnahme in bie ©efammelten SCßerfe abgefehen worben.
S)er vierte big jefjute biefer „©riefe aug 9Jtand)efter" betjanbelt
bie ©alerie englifd)er ißorträtg, $ogarth, SRetjnolbg, ©aingborough,
Sawrence, bie $iftorien«, @fenre* unb Sanbfdjaftgmalerei unb bie
ißrae-SRaphaeliten. gontane jiet)t nur bag, wag er hi er unb in
ßonbon ju ©eficht befam, unb jwar in Iebenggefcf>id)tli<f)er, anet«
botifcher ^infidjt in ©etradjjt. SBSirb einmal ben fachlichen ©rfinben
irgenbeiner ©rfcheinung nadjgeforfcht, fo muff ftetg bag Äultur»
hiftorifche herholten, bie eigentlich bilbnerifchen Probleme bleiben
unberührt.
©o fönnen wohl bie allgemeinften $üge ber englifd^en äRalerei
getroffen werben: ihre Unoriginalität unb SRüchternljeit, eg finb
gute ^Beobachtungen, bafj bie englifdje ißorträtfunft ju allen $eiten
einen faufntännifchen ©harafter getragen, ihre Äunben prompt unb
gut bebient höbe, gefchäftgmäfsig unb nüchtern —, bafj ber ®r*
Werbgtrieb ein latent tafch unb glänjenb big ju einer gewiffen
$öhe entwicfle, aber nie über biefe $öh e h* nouS —* unb foldje
Urteile erinnern an bie ©nglanbfriti! beg „Sommerg in Sonbon",
aber bag ©pejififdje ber äRaterei verfagt fich feiner ©inficht, ba
tommt eg ju fchiefen, oft ju falfchen Sähen. ,
SCBenn bei Xurner, ben er feljr bejeichnenb vom Ülnefbotifd)*
9Renfd)lichen fyx ju faffen fu<ht, bie luminiftif^en ^Bemühungen
ölg SBißfür geftempelt unb ber „Sdjiffbruch beg äRinotaurug"
für eine Strbeit erften fftangeg erflärt wirb: „@g ift aug einem
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76 @rfter Seil, ©ruublagen uni} Anfänge
y
poetif^en ©eift herausgeboren unb üott bramatifcher ©ewalt; man
ftarrt nicht mehr auf färben unb ©eftalten, fonbern mirb Beuge
einer Sragöbie, bie fid^ üor unferen klugen boßjieht", fo finb bie
Singe auf ben Äopf geftettt. fjontane burfte Wohl als £aie bon
3form unb ©eftattung abfehen, aber feine Bemerfungen merben
im felben äftafje uttjutreffenb, eg tjanbette fid) nur ju oft, menn
er ,3«tge eines großen Vorganges ju fein glaubte, um grob ftoff*
liehe, tünftlerifch unerfreuliche unb bebenflicfie SBerfe, um jene
„großen ©hinten", bie nun nach Berbienft in Verruf gefommen finb.
Stucfj feine Sefinttion ber SanbfchaftSmalerei, „bafj itjr ©e*
heimniS in bem B u f amme nt)ang ber Stimmung ber Statur mit
ber Stimmung beS SJtalerS liege", ift antiquiert. Sie Betrachtung
bilbenber Äunft h Q t fich längft über fotd^e entpfinbfamen Sin«
fprüdje ju ftrenger ©efe^lid^feit erhoben. Unb wenn er Saoib
SBißie £um SBalter Scott ber Palette macht unb fagt: „2Bir haben
in biefen, nicht leicht $u überfchäpenben Slrbeiten bie SEBirflichfeit
ohne Hoheit, wir haben ben |)auch beS Sbealen ohne ©inbujje
ber SBahrhcit, wir hüben fdfjlichte, leibhafte Sftenfdhen, aber wir
haben fie in SonntagSftimmung unb in oerflärenber $reube" —,
finb baS wirflidh Inhalte SBißieS ober fah nicht tiielmehr Montane
feine bidhterifch*realiftifchen Sfoeale in ben bourgeoiShaften SJialer
hinein?
$ür biefe UrteilSunficf)erheit gab eS einen guten SluStoeg: bie
flucht ins ^iftorifd^e, wo es ihm nicht leicht einer gleich tun
tonnte. Sie©aterie englifdjer Porträts, biefe „ooUftänbige SHuftra«
tion ber englifchen ©efchichte feit mehr benn üierhunbert fahren", gibt
willfommene ©elegenheit, eine weitgefpannte Ejiftorifdhe Überficht
einjufchmuggeln, unb ber Brief über bie ^iftorienmalerei wirb ber
längfte, tro^bem gerabe hißt bie fünftlerifche SKittelmäfngfeit fid}
breit madht. Sag beftänbige rafttofe Streben, bem englifdhen Boß
eine iHuftrierte ©efcfjichte ohnegleichen ju fdfjaffen, foH für ben
Mangel großer ^iftorienbilber fchablog haßen.
Sieben ber Borliebe für ©efdjichtlicheg fpielt ba auch ein anbreg
perfönlicheg Sntereffe mit: gontane erffärt Benjamin SBeft für
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yNIVERSITY OF MICHIGAN
3. igournatiiimuS unb SBanberbüdjer
77
bett eigentlichen Stammöater beS KealiSmuS, beffen an SBert un*
gleite Arbeiten öfters „ein füf)ner ©riff ins wirtliche ßeben waren
unb bieS Seben in afler $reue unb SCßaljrtjeit wiebergaben, nt)ne
tlaffifchen Faltenwurf unb ohne franjöfifche ©erüde". ^>afc ber
©rief über bie ©rae=Kapt)aetiten fo umfangreich geraten ift, wirb
ebenfalls ihren realiftifchen $enben$en jujufchreiben fein, bie Fontane
befonberS anfpredfjen mußten. „Sie finb eine Abzweigung ber
großen realiftifchen Schule. @S fehlt ihren Seftrebungen feineswegs
an Fbealität, nur forbern ihre Anhänger biefe Sfbeatität innerhalb
ber 28af>rheit unb öor allem frei oon ber hergebrachten Schablone.
2)ie ©rae*Kaphaeliten hoben ben |>af3 gegen baS fonüentioneU
^ß^iliftröfe, bie Abneigung gegen bie glatte, fonbentionelle Schön*
heit." $)aS finb gewifj auch fontanifche Seitfäpe, unb fo !am benn
hoch bei biefer ihm wefenSfremben 93efcf>äftigung mit ber ÜDtalerei
hie unb ba etwas ©uteS heraus, Anregungen unb ©eftärtung in
©ebanfen, bie heimlich in ihm lebenbig waren.
"o\ie ©riefe aus äKancljefter ftnb oeraltet, weil Montane ber
gähigleit ermangelte, fidf) über einen an fidh intereffanten
©egenftanb mit ber rechten Sacf)tenntnis ju oerbreiten. Umgelehrt
ift im lefcten Xeil beS ©udljeS „Aus ©nglanb", ber über bie eng*
lifche treffe honbelt, oiel HRühe an eine Aufgabe oerfchmenbet,
bie, wie juftänbig Montane audh auf biefem ©ebiet fein mochte,
oon oornherein ber Teilnahme eines weiteren ©ublitumS entbehren
mufete: @r hot benn auch biefe Auffäfce über bie Sonboner SBodhen*
unb XageSblätter nur mit ©ntfcfjulbigungen herausgegeben unb auf
leinen grofcen ©rfotg babei gerechnet.
©inem gefchichtlidfjen Küdblid auf bie ©ntftehung beS eng*
tifchen ßeitungSwefenS folgt eine ©efprechung oon breifjig in fünf
©ruppen eingeteitten neutralen, lonferoatioen, whiggiftifchen, rabi-
lalen unb illustrierten SSochenblättern. Äur$e Angaben über Kamen,
©rünbung, ©reis unb Auflage leiten bie einzelnen Auffäfje ein,
mehr ober minber umfängliche Ausführungen über politifcfje Kicfj*
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78
(Srfter Xcil. (örunblagen uitb Anfänge
tmtg, Inhalt, ßeferfreiS unb ©influfe, Sefifeer uitb JRebafteure bcr
©lätter reifen fich an. 3üate muffen $ur ©eranfchaulidjung helfen.
Montane weift fich in biefen ^reffeftubien als fef)r fleißigen
3eitungSlefer oon ungemeiner Kenntnis aus, aber fie tommen nur
für eine ©efchidjte ber englifcfeen treffe in ©etracht unb finb für
bie ©erfönlid}feit unb ben Xichter ftontane oon geringem ©elang,
wie bie ^riegebüc^er eine in höherem ©inn jufäüige ©robuftion,
bie auch bem biogen Xitel nadj nicht auf bie ©egenwart gefommen
unb längft ©ibliotfjefämafulatur geworben wäre, lpefee ber ©er*
faffer nicht eben Xljeobor gontane. ißerfönlid) unergiebig, ift fie
auch in ihrem fachlichen Xeil überholt. X)ie fokalen unb politifc^en
3nftänbe haben fich geänbert, bie 3eitungen mit neuen ©efifcern
ihre Dichtung gewechfelt, mit neuen IRebafteuren ihre ©üte ein*
gebüfet ober auch frifdjeS Änfehen erlangt. @S ift nicht überrafdjenb
ju hören, bafe baS englifche 3 e ü un Q3roefen an bem franft, waS
auch anberwärtS ben unabfehaffbareti ÜDtifeftanb jeber parteilich ge*
bunbenen XageSpreffe bilbet unb immer bilben wirb.
3m einzelnen finben fid} natürlich gute ©emerfungen, baS
SBefen beS ©enfationSblatteS (©. 282), ber SBifc beS ’jßundj
(©. 239) werben oortrefflich d)arafterifiert. X)er ©djlufeauffafe
gilt ben XimeS unb fafet gontaneS ©efamterfahrungen auf bem
©ebiete ber 3eitungSliteratur jufammen. @r mag immerhin jur ßef*
türe empfohlen fein. X)en oben angeführten Urteilen über ©ngtanb
fei aus biefem oergeffenen ©uche bie Äritif beS common sense
beigefügt: „9BaS man oon bem gefunben ütftenfdjenöerftanb über*
haupt gefagt hat, bafe er nicht überall auSreicht unb bafe er nur
bamt oortrefflich ift, wenn er fid) $u befcheiben weife, baS gilt ganj be-
fonberS oon bem englifcfeen common sense. 0h ne Qleichjeitige wahre
©ilbung beS ^perjenS unb ©eifteS ift eS minbeftenS mifelich, ihm
$u oiel Spielraum ju gönnen. Xiefe ©ilbung fehlt in ©nglanb
ungemein oft. ©ie bilben fich ein, mit common sense ju oer*
fahren, unb merfen nicht, bafe er ihnen unter ben £änben ju einer
blofeen äRifcfeung oon UnfenntniS unb befchränfter ©elbftfudjt ge*
Worben ift."
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3. Journalismus unb SBanberbücfyet
79
^\ie brittc unb tefcte geuiüetonfammtung: „Senf eit be? $meeb.
Silber unb Sriefe au? Schotttanb" (1860) leitet merflidf) ju
ben „äßanberurtgen burcf) bie 3Rarf Sranbenburg“ hinüber. 3m
„(Sommer in Sonbon" ftanb noch trofc be? gelegentlich ftarf fühl¬
baren ^iftorijd^en Sutereffe? bie ©egenmart unb ihr aftueße?
Sehen im ßentrum ber Setradjtung, ein praftifche? Such mar
beabfidjtigt unb oon ber ©egenmart au? mürbe geroertet, ma? oon
ber Vergangenheit Aufnahme fanb. 3)ie Steife über ben £meeb
fie^t oon öornherein im ßeidjen be? gefdjichttichen Sntereffe?.
Montane miß ba? gerichtlich berühmte, meniger ba? tanbfdjaftlidh
reiche Sdjotttanb fennen lernen, miß bie Schtadjtfetber unb fagen»
ummobenen Stätten auffucljen, bie feine fßljontafie feit Öen Äinbheit?»
tagen fidh fo oft unb gern üergegenmärtigt hotte. 2)er Sdfjafc
feine? hiftorifdh-'anefbotifchen SBiffen? fließt jmangto?, behagticf)
anregenb in ba? SEBerf ein; mie e? bie Steiferoute fügt, tritt ba? %
llnterfc^ieblidhfte in bunter jjotge jufammen, unb eben bamit
mirb ber befpnbere ©haralter ber Sßanberungen torbereitet. 3m
„Sommer in Sonbon" mirb in bie ©egenmart?fchitberung $ifto»
rifdhe? eingefenft, in „Senfeit be? Stmeeb" ift bie ©egenmart um
be? $iftorifchen mißen mit in Äauf genommen, fdhtiejjlich flehen
beibe in ben branbenburgifchen SBanberungen gleid^mertig neben»
einanber.
3)a? Such ift eine Steife burdh Scfjotttanb? Vergangenheit,
fffontane meifi in ben tanbe?übti<hen ©rmorbungen mie ein ©in»
heimifdher Sefdfjeib, e? paffiert gelegentlich, baf} er, ber ff-rembe,
bem Rührer Steue? über feine Sehen?mürbig!eiten mitteilen fann.
2Ba? ein „Statt in ber ©efdhidhte" hot, ift feine? Sntereffe? fidher,
unb er nimmt oon oornherein an, bafi jebern biefe Sachen ebenfo
lieb finb, mie ihm fetbft, er hot einen ©ib im |jimmel, aß biefe
Stätten pftichtfchutbigft ju befudhen.
©in drittel be? ©anjen bleibt für ©binburg referoiert, benn
hier ift ber Soben für fjontane? Vorliebe befonber? ergiebig. S)ie
Schilberungen ber Schlachifelber merben oon au?führlichen ge»
fchichtlidfjen Snftruftionen begleitet unb auch fonft Vormänbe ju
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80 @rfter Seit, ©runblagett unb Anfänge
hiftorifdh*anefbotifchen SßriüatiffimiS überall gefugt unb offen be*
fannt. SSie er angelegentlich oon gtobbenfielb unb ©uttoben*9Koor
fpricht, ben ©chaupläpen grofjer Stage aus ©cljottlanbS Kriegs*
gefehlte, fo fann er fi<h nicht genug tun, tion Königen unb gelben,
ben SDougtaä, ^amiltonä unb ©epton£ immer wieber $u fünben,
wenn fein SSeg ihre ©puren freuet. @3 ift be^eichnenb für ben
©harafter be3 Vud)e8, bafj Montane eine ©efchichtStabelle an*
hängt —, äußerlich eine ifteifebefchreibung, ift e3 in SSahrljeit eine
populär gehaltene ©tegreifwanberung burdfj ©chottlanbS fagenljafte
unb gefchidE)ttiche Vergangenheit. Unb wenn be3 öfteren fo gar
feine Gelegenheit ftch bietet, an einen ftteft ehemaliger ^errlidfjfeit
anjufnüpfen, madht er e3 einfadh wie ber ÄafteKan in ,,©&ile"
unb oerwanbelt ben an oorhanbene ©ehenSWürbigfeiten anfnüpfen*
ben ©rläuterungS oortrag in einen mit bem Verfchwunbetten fief)
befdhäftigenben ©efdjichtsoortrag, ein Verfahren, ba§ bann in ben
„^Säuberungen" jum Sßrinjip erhoben wirb.
SSeldje $ütle hiftorifdher 3Jiufternieten! S£>a3 ©itpfreuj unb
baS XotboothgefängniS oon ©binburg; fie befanben fidh mitten
in $igh*©treet, unb SSalter ©cotts „Sttarmion" unb „$erj oon
ättiblotf)ian" müffen bezeugen, was für prächtige ©ehenSWürbig*
feiten nicht mehr §u fehen finb. 3n Snoernefj rebujiert fidh ba3
Sntereffe auf einen einzigen ißunft, jenen $ügel, wo ba3 ©chlofc
be3 SJiacbeth ftanb. 3n ©owgate, einer alten ©trafje ©binburgS,
waren jwei $errenfifce oon befonberer Vebeutung, bem ©rjbifchof
oon ©ta3gow unb bem Vifdhof oon SDunfelb gehörig: baS genügt,
um nun oom „©trafjenfegen ber 2)ougla8" $u pfaubern. Unb
gleich baran anfchliejjenb ein befonberS fpredjenbeS Veifpiet: „Sn
einer ber ©affen, bie oon ©owgate nadh §tgh e( Street hinaufführen,
ftanb andh ba8 §au§ oon 3lrcf)ibalb SDouglaä, genannt VeU tlje ©at
3<h h°be oor, oon ihm ju erjählen."
Montane bringt feine ©efd^idhten forgloS, ohne große Äunft
ber ©infleibung, an ben SKann, unb nur bie ^rifche unb fjreubig*
feit feiner ©rjählertuft fann bie Teilnahme Wachheiten. ©ine nie
ermübenbe ©inbilbung8fraft belebt ihm bie nüchterne ©egenwart,
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3. ;3outnaIi3tnu3 unb 2Banber6üd)er
81
toie fie ipm fpäter bie nüchterne SJtarf belebte. $)er ©algen in
Sbinburg ragt nicpt mepr, aber bie Überlieferung ift reidp genug
unb ein paar Stnefboten aus ber 3eit ber Spndpjuftij pelfen bie
Vergangenheit lebenbig machen. 2)aS DueenSberrp*poufe läßt an
bie ©efcpidpte oom gebratenen Südpenjuttgen benfen, baS £olbootp*
gefängniS an jenen ©rafen SdplaBrenborff, ber ber pinrtdptung
nur entging, Weil er feine Stiefeln patte, oon Slbam Srnitp wirb
ein „anefbotifdper $ug dte ^ßrobe feiner parmlofigfeit" ein=
gefcpaltet —, immer wieber ermeift fiep baS Slnefbotifdpe als un*
entbeprlidp, bie Vorliebe fürs Sleine, baS fdpeinbar Stebenfäcplicpe,
als eigentlichen $icf biefer feuißetoniftifdpen Sdpriftftellerei. 2>a
gept er gern ins Vreite unb SlUjubreite, Wäprenb ben großen
Stummem ber Steife beutlidp auSgewidpen mirb. 2)ie Vefdpreibung
ber ^fingalspößle etma wirft reept fpärlicp unb ift mopl auch öon
Montane, als unjureicpenb empfunben worben. SDaS ©rlebniS ber
„großen Sanbfcpaft" pat er nie gepabt, Weber in Sdpottlanb nodp
fpöter in ber Scpweij unb Italien. Vei ber SOtelrofe^Slbbep muß
bie Srflärung genügen: ein großartiges ScpönpeitSwunber, „worin
ipr befonberer ßauber beftept, ift fcpwer ju fagen".
3)iefe Sargpeit pat weniger nodp in Unoermögen als in Unluft
ipren ©runb, bie fcpottifdpe Steife ift bie Vorjdpute beS märfifepen
SBanbererS, bem als pödpfter Stei$ beS SBanbernS gilt: „baS Ve*
fonbere, baS Verborgene, baS Unatttüglidpe gefepen ju paben". Unb
bann pinberte ipn audp bie wefentlidp piftorifdpe ©inftetlung, ber
fdpottifdpen Statur gereept ju werben. Selbft eine allgemeine
Sdpilberung ipreS befonberen (SparafterS wirb Wopl oerfprodpen,
aber fdpulbig geblieben. @S ift Montane burdpauS willfommen,
Wenn Satter Scott ipn ber Verpflichtung überpebt, baS country
of the lady of the lake ju befdpreiben. ®er S)idpter ber 3ung*
frau oom See wirb ju pilfe gerufen, unb wie bie ©egenwart
burcpS piftorifdpe, bie ßanbfdpaft burep bie 3)icptung gefepen. Sßertp
cnttüufdpt ben Senner oon Satter Scotts „Sdpönem SJtäbcpen oon
Sßertp", er pat eine ganj anbere, romantifepe Vorfteßung oon ber
(Stabt mitgebradpt. Sage, piftorie, S)idptung finb bie brei SJtädpte,
ffianbretj, Soutane 6
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82
(Srftcv Steil, ©ruublagcn uub Anfänge
bie Montanes (Stieben auf biefer Steife beftimmen, unb Sßalter
Scott ift bet genanntere 9tame, weil fie in ihm fic^ oereinen.
' Unb bod) wäre eg falfcf), „Senfeit beg SEweeb" jenen romantifdj*
fentimentalen Sfteifebefcbreibungen ju^urecbnen, bie immer wieber
einmal, wie gegenwärtig bie inbifcfjen Steifen, 9Jtobe werben unb
lebten (Snbeg eine Stfucfjt üor ber SBirflicbfeit bebeuten.
gontaneg biftorifd)eg Sntersffe ift nie arcfjäologifdj ober empfinb*
fam. SEBie feine ©aßaben nur in ftoffUdjer $infidjt romantifdj,
ihrer fpracblicben E£ecf|nif unb intern SGBeltgefübl nad) realiftifd^e
Sßrobuftion finb, fo macht er aucfj biefe SReife alg SRealift, fieljt
bie 2)inge fraftüoß unb IjeHäugig auf ihren (Sigenwert, if)re (Sin*
maligfeit f)in an unb weift aßeg ftimmunggmäfcige Schweifen alg
Verflüchtigung unb Sentimentalifierung jurüd. 2)ag ©cfjladjtfelb
üon (Sußoben^Üßtoor madjt ihm gerabe barum einen tieferen (Sinbrud
alg diel größere unb bebeutfamere ßampfftätten, bie er anbergwo
gefeben tyat, weil hier bie f)iftorifd|e Patina nicht weggepufct ift,
ohne weldje bie Überlieferung aufbört fie felbft $u fein. (Sr ent*
finnt ficb beg E£ageg, ba er jum erftenmal über bag Seliger
Sdjlacbtfelb fc^ritt: „(Sg bat fein beftimmteg Vilb in mir jurüd*
gelaffen. (Sg ift ein $elb wie anbere gelber. 5)er Sßflug ift über
ben ©oben fiingegangen unb bat aßeg binweggenommen, wag fidjt*
bar unb banbgreiflicb an jenen blutigen Dftobertag erinnern fönnte.
ÜRicbt fo auf (Sußoben*2ftoor." — 2)ie Äronjuwelen in (Sbinburg*
(Saftle laffen ibn falt, er hört nur mit halbem £>b r bie herunter*
geleierte (Srflärung beg $afteßang. SEBober biefe Snbifferenj? „2)er
^auptgrunb fcbeint mir ber ju fein, baff biefe Singe in ihrer
9tßgemein*Verwenbetbeit ben Sfteij beg Vefonberen, fojufagen beg
Sßerfönlicben berlieren. 5lßeg ßteliquienwefen muffen wir auf eine
ganj beftimmte ^ßerfon jurüdfübren fönnen. ,Sieg ift bag ©ebet*
buch Sane ©rapg, bieg ber (Sifenbut beg großen Äurfürften, bieg
bie Sabafgbofe beg alten $rifc‘, bag bat ein Sntereffe; bie ^ßerfon
felbft ftebt Wie aug bem ©rabe auf, trägt wieber bie Sache ober
fteßt ficb hinter biefelbe unb gibt ihr baburcb ihren 9teij unb SEBert.
SCBag foß aber üor unfer geiftigeg Sluge treten, wenn wir hören,
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3. Journalismus unb SBanberbücfyet
83
* ,bag ift bag SReidjgfctjwert öon @d§otttonb‘! 9tid£)tg; äße Me fieben
Safobg, bie fid^ tierpbrängen, fetbft wenn wir wag öon ifjnen
toiffen, öerwirren ung nur." gontaneg ©dräuen ift nie ©enfationg-
tuft unb btofieg ©affen, nie wof)lig*gemütöoß. ©g erfdEjeint ifjrn
fo uttpaffenb wie möglicfj, wenn ©egenftänbe, bie einft ber §aug*
fapeße ber äftaria ©tuart pgefjörten, nun wie in einem Slntiqui*
tätentaben pfammengefteßt finb, er empfinbet abfotut nictjtg, alg
man ifjm „bag 93fut ßti^iog", gewijjtid) bie .fpauptattraftion öon
|)oft)roob=ißalace für ben burct)fdOnitttidf)en ^rembenbefucfjer, geigt —,
„aud(j bie SSorfteßung fann nicf)t retten, bajj eg öiefleic^t bag ed^te ift".
'Me $inge fjaben ifjr befonbereg, nur an unb burdj Ort unb
©teße ifjreg 2Bacf)gtumg berechtigtet unb erHärltd^eg Seben, aug
if)rem ©oben geriffen öertrodtnen fie, wie bie jwifdjen Rapier ge¬
legte ißflanje. Slbbotgforb, bie romantifdfje Üßtufterfarte SBalter
©cottg,. öerurfacfjt ifjm einen fcljwüten SDrudt, er fdjreitet burcfj bie
ßimmer, wie burdh bie @äte eineg Sßadfjgfigurenfabinettg, unb
atmet auf, alg er fidfj wieber in frifdfjer ßuft befinbet. Unb habet
tonnte bie ©ettfamfeit unb $bfidfjtticfjfeit biefer forcierten ßtomantif
nodfj nicht einmal öoß auf iljn wirten, weit er p benen gehört,
bie über bie näheren Umftänbe unb ®erantaffungen biefer Äuriofi-
tätenfammlung SSefd^eib wiffen! SBie wenig gontaneg ßebenggefüfjt
bie eigentlich tpwantifd^e ©pfjäte aucf) nur berührt, wirb tro| feiner
SSorliebe für ben ©pifer ©cott, bie ja audfj ©oetlje befajs, bei
biefem Söefucfj Slbbotgforbg recht finnfäßig, unb man benft un-
wißfürtidfj jeneg Stugenbtidtg, ber iljn nie! fpäter unter einem
gleichen „fdjwüten 2)ruct" aug bem Söapreutljer geftfpießjaug fdfjon
ttadh bem SBorfpiel beg ^ßarfifat entweihen lieft. SBalter ©cottg
„ßtomanp aug ©tein unb üßtörtet" war fo wenig nadfj feinem
©inn, wie bie fcfjwüte ©rtöfunggfunft beg großen Sfjeatermeifterg.
ßtur weit bie Siebe prn ©ejdfjidfjtfidfjen für Montane eine per-
fönticlje ßraftqueße bebeutete, qat fie it>n nadfj ©ctjotttanb geführt,
er wuftte fidfj üßufcen aug ber $iftorie p gieren, of>ne öon ihren
SRadfjteiten angefränfett p werben, fie war ifjm Sttittet, nicht
©etbftjwedt, würbe ©tnfe feiner fdfjriftfteßerifdfjen ©ntwidftung otjne
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grftei £eü. ©runblagen uitb Anfänge
bic fftürffe^r jur ©egenmart unb ihren'gorberungen ju üerbauen.
2)a& et bet ©efaljr be« „tjiftorifc^en Vornan«" entging, bezeichnet
gontone« Stbftanb in fftang unb Vebeutung non SCBatter ©coit.
ie SBanberung burdj ©djotttanb« Vergangenheit jmingt ihn
fchtiefelich jur beutfdfjen §eimat, ihrer ©ejchichte unb ©egen«
ttmrt jurüd. ©d)on in bem 3Bibrnung«üormort üon „^enjeit be«
SCmeeb" an ben $unnetfreunb unb Veifegefährten Vernljarb üon
fiepet toerben toir auf einen Herren fi| ber märfifd>en $eibe ge*
führt: „(Sntfinnft SDu S)id> be« ©ilüeftertage« 1846? SBie geftern
ftehen bie ©tunben üor meiner ©eete, mo mir burdj bie minter*
ftitte, mürüfehe £>eibe fuhren unb enblidj üor bem ©ut«hau«
£)eine« Vater« hielten. 2ö‘ e ein üerjauberte« ©chlojj im ÜDZätchen
lag ba« alte, graue ©teinhau« ba, eine hohe ©djneemauer um fich
her unb überragt üon ben ^at6 bunften, halb glifcernben ©bel-
tannen be« ©arten«, ©tifle braunen unb brinnen. Stuf unfer
mieberhotte« Klopfen unb klingeln ersten ein alter Wiener, üer*
möhnt unb mürrifdh mie alte alten Wiener finb. ßögernb, mit
fauerfüjjem ©eficht fanb er fich enbtid) in 5)eine Stutoritöt. 2Bir
öffneten bie genfterläben, fdjafften fiuft unb Sicht in ben ^atb
fpulfjaft gemorbenen Räumen-" ift ba« nicht fc^on eine
©teile au« ben „SBanberungen burdh bie 3Rarf Vranbenburg"?
Unb bann bie galjrt üon ßonbon bi« ©binburg: „2)ie SDtorgen*
fonne lacht freunblich, mährenb mir bie fchottifdje Sanbfdjaft burch*
fliegen. $)ie gelber, bie Strt ber Veftettung, ba« ©eltenermerben
ber Reifen, alle« meietjt ab üon bem in ©ngtanb Üblichen unb
ruft un§ (mie üiete« anbere noch, auf ba« mir ftofjen merben)
bie Vilber beutfeher |>eimat mehr unb mehr in« ©ebäcfjtni« jurüd."
®ie glufjfahrt üon ©binburg bi« ©tirling nimmt, eine ganj
entfeheibenbe ©teile, gleichfam ba« Programm be« ,,§aüellanbe«",
be« britten $eile« ber SBanberungen, üormeg: „©olche gahrten
flußauf* ober abmärt« hoben in ben meiften gälten einen üer*
manbten CS^cxrcifter unb bie Vilber bleiben fo ziemlich biefelben,
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3. ^ournoli^mug unb 2Banberbüd)er
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ob bie fJluBmünbwtg, um bie eS fid) honbelt, bet @tbe ober bet
Ober, bem Sfterfep ober bem $orth angehört. (StmaS freilich h<d
bet fforth bot ben ebengenannten dorauS, bie $ütte Ijiftorifdj*
romantifcher 2ln!nüpfungen nämlich, bie mich beftimmen mürben,
bie ganje gatyrt mit einet fRt)einfat»rt ju dergleichen, menn mit
nid)t in unfern heimatlichen ÜDtarfen einen gluB hatten, bet bem
Sefet baS ßharafteriftifche beS gorth nach biefer ©eite hin noch
beutticher mieberjugeben dermag, ich meine bie $adet. SebeS
Sanb unb jebe ißrodinj h at ih re Sännet, aber manchem ffted
®rbe motten bie ©ötter befonberS mohl, unb ihm bie Rennbahn
näher tegenb, bie Gelegenheit jur Äraftentmidlung ihm beinahe
aufjmingenb, gönnen fie bem bedorjugten SanbeSteil eine gesteigerte
SBebeutung. @in fold)er glecf @rbe ift baS beinah' infelförmige
©tüd Sanb, um baS bie $adet ihr blaues SBanb jieht. @S ift
ber gefunbe Äern, barauS ißreufeen ermud)S, jenes Stbtertanb,
baS bie tinfe ©chminge in ben Scheut unb bie rechte in ben
Stiemen taucht. Sßohl ift eS beutungSreid), baB genau inmitten
biefer $adelinfel jenes fjehrbettin liegt, auf beffen Reibern bie
preuBifdje 9ttonar<hie gegrünbet mürbe. Unb meid) hiftdrifcher
©oben biefe Snfel überhaupt! Entlang an ben Ufern beS ffluffeS,
ber fie bilbet, hotten (unb haben noch) jede alten gamilien ihre ©ifce,
bie, don ben Xagen ber O-uifcomS an, mehr auf ©harafter
auf Xalent hielten unb beten ßähigfeit unb ©elbftgefühl, bie hoch
nur bie $ppen unfereS eigenen SBefenS finb, mir uns enblid) ge«
möhnen fottten, mehr mit Stefpeft als mit @iferfud)t anjufehen.
Sluf biefer ^adelinfet unb jenem fdjmalen ©treifen Sanb, ber nad)
au^en hi« fie umgürtet, liegen bie ©täbte unb ©chlöffer, barin
ber ©tamm ber $ohenjottern immer neue ßmeige trieb; liegen
^ bie ©täbte, barin brei ^Reformatoren ber Äunft baS Sicht ber
SCBelt erblidten: SBindelmann, ©cfjinfel unb ©djabom (don benen
ber jmeitgenannte eine Äafernenftabt in eine ©tobt ber ©«hönheit
ummanbelte); liegen bie |>errenfi^e, barin Rieten, Änefebed unb
bie £>umbolbtS geboren mürben, 3' e ten, ber liebenSmürbigfte unb
dolfstümlichfte aller SßreuBenhelben, unb Änefebecf, ber in minier*
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86
©rfter £eil. ©runblageit unb Anfänge
lieber ©infamfeit bett ©ebanfen ausbrütete, bic 9Jia<ht üftapoleouS
burdj bie SDiadjt beS SRaumeS gu befiegen."
Sch ^abe bic ©teile im gangen Umfang fjergefe^t, weit fie
wirflich ein ^ßrälubium oon Strt unb ©eift ber Säuberungen ift:
bie unfdfjeinliche, unbefannte ^peimatlanbfchaft wirb einer berühmten
Frernbe als ebenbürtig gur ©eite gefegt, nicEjt überheblich, nicf>t
eng, im ©ruftton eines Sofalpatrioten mit fehlerem,. ©ewiffen,
üielmehr aus ber inneren Sicherheit eines ftolgen ©tücfeS. Ser
Stftärfer braucht nur SBranbenburgS ßanb unb Seute, brauet nur
Satfachen unb tarnen mit fernhaften, fchtidjten Sorten aufgurufen
unb hot bie unmittelbare ©oibeng auf feiner ©eite. Sie wärmfte
©teile biefeS SBudjeS über — ©chottlanb!
Sa beburfte es nur noch beS äußeren ^InftofjeS, um ben $tan
gu ben Säuberungen burdj bie Sflarf auffteigen gu laffen. SaS
gefd^ietjt beim ©efudj oon Sodjleüen=©aftte. Montane ift im erften
SSormort gum erften 83anb ber Sanberungen ausführlich barauf
gu fpred)en gefommen, macht auch hi er in fo übergeugenber Seife
feinen eigenen Stnwatt, wie eS nur irgenb gefdjetjen fann. „@S
war in ber fchottifchen ©raffchaft $inro§, beren fdjönfter $unft
• ber ßeoen*©ee ift. SDtitten im ©ee liegt eine Fnfel unb mitten auf
ber Snfet, hinter ©fdjen unb ©chwargtannen hotb öerftedt, erhebt
fi<h ein altes SougtaSfdjlofj, baS in Sieb unb ©age oielgenannte
ßodjteüen=©aftle. ©S finb nur krümmer noch, bie Kapelle liegt
als ein ©teinhaufen auf bem ©djlofchof unb ftatt ber alten ©in»
faffungSmauer gieljt fi<h Seibengeftrüpp um bie Snfel h e G ober
ber SRunbturm fteht noch, in bem Oueen ÜDtort) gefangen fap, bie
Pforte ift noch fidpbar, bur<h bie Sittp SougtaS bie Königin in
baS rettenbe SBoot führte, unb baS genfter mirb nodh gezeigt, über
beffen S3rüftung hinweg bie alte ßabp SougtaS fiel) beugte, um ^
mit weit oorgehattener gacEet bem nadjfepenben SBoote ben Seg
unb womöglich bie ©pur ber Flüchtlinge gu geigen." Sie Snfel
wirb umfahren unb als baS S3oot gum ©tranb gurücflenft, fteigt
eine ©rinnerung an bie £>eimat auf, ein unoergeffener Sag: „Studj
eine Safferfläche war eS; aber nicht Seibengeftrüpp fajjte baS
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3. 3ournatiömu3 uu ^ 3Bauberbiid)er
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Ufer ein, fonbern ein $ßarf unb ein ßaubbotjtoalb nannten ben
®ee in ifjren Arm. — Ein ©cblofj ftieg auf mit ftlügeln unb
Jürmen, mit #of unb kreppe unb mit einem ©äulengange, bet
SBatuftruben unb SJtarmorbilber trug, tiefer $of unb biefer
©äulengang, bie Beugen ®ie bieter ßuft, mie bieten ©taubes
toaren fie gemefen? $ier über biefen £>of bin batte W* ©eige •
©raunS gelungen, menn fie baS ^lötenfpiet beS prinjlitben
greunbeS begleitete; fp cr waren ße ©aittarb unb 2e Eonftant,
bie erften Witter beS SaparborbenS, auf» unb abgefd)ritten; bi«
toaren, in buntem ©piet, in fiterer Ironie, fingierte Ämbaffaben
aus aller Herren Sauber erfd>ienen unb bon bi« aus enblidb
toaren bie Reiter ©pietenben binauSgejogen unb batten ficb betoäbrt
im Ernft beS ÄampfS unb auf ben |>öben beS SebenS. hinter
bem ©äutengange gli^erten bie gelben ©cblofjmänbe in aller #elle
beS JagS, fein romantifeber fjarbenton mifebte ficb ein, aber
©cblofc unb Jurm, toobin baS Äuge fiel, alles trug ben breiten
biftorifdjen ©tempel. S3on ber anbern ©eite beS ©eeS b«
grüßte ber ObetiSf, ber bie ©efebiebte beS fiebenjäbrigen Krieges
im ßapibarftit trügt.
©o mar baS 93itb beS StbeinSberger ©cbloffeS, baS, mie eine
gata SDtorgana, über ben Seoenfee binjog, unb ebe noch unfer
©oot auf ben ©anb beS Ufers lief, trat bie ^ftage an mich b«an:
fo febön bieS öitb mar, baS ber Sebenfee mit feiner Snfet unb
feinem JouglaSfcblofj bor bir entrollte, mar jener Jag minber
febön, als bu im gtaebboot über ben fR^ctnÖberger ©ee fubrft,
bie ©cböpfungen unb bie Erinnerungen einer grofjen $eit um bicb
ber? Unb icb antmortete: nein.“
$ür ^ontaneS menfebtiebe Erfahrung mürbe ber ßonboner Auf*
entbatt, für feine febriftftetterifebe Entmieftung bie febottifebe Steife
bon einfebneibenber 93ebeutung. Erft bie grembe tebrt ibn, maS
er an ber Heimat befifct. J)ie erften Anregungen ju ben SCBan*
berungen bureb bie ÜJtarf fommen ibm auf ©treifereien in ©cbott*
tanb. Unb bie Anregungen mürben SBunfcb, ber SBunfcb mürbe
Entfebtufe.
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(Srfter S£eil. ©ruttblagen unb Anfänge
nmittelbar nach ber SRüdEfe^r bon ©nglanb nimmt Montane bie
geplanten „©Säuberungen bur<h bie 9Karf ©ranbenburg" anf.
©ie Ratten i§n burdt) jein ganzeg Seben t)in feft. ©on 1859—98,
burdj einen ßeitraum bon üierjig Stohren, ift er nach längeren
unb fiirjeren Raufen mit immer erneuter Suft an bie Arbeit, ge*
gangen. ©Sohl fällt bie |>auptfumme in bie ßeit bor ber eptfc£»en
Probuftion, brei bon ben fünf ©änben erfdheinen bor bem erften
Vornan, aber er §at bei ben häufigen üßeuauffagen fidj ber fang*
mierigen 2Jiü|e beg Umformeng unb Augfdheibeng, ©rweiterng unb
©eridjtigeng ftetS gern unterzogen, bie wenigen ©emerlungen, bie
gelegentlich in ben ©riefen einen Überbrujj an ben ©Sanberutigen
befunben, berfchwinben bor ben mannigfachen ßeugniffen gegen*
teiüger Art. ©leibt ihnen hoch auch feine IKomanwelt tief ber*
pflichtet, beren Anfang unb portal, „©or bem ©türm", ohne fie
gar nicht benfbar ift. Unb als er fünftlerifdh erftarft unb bie
nicht immer glüdflicf)en formalen ©inftüffe ber märfijehen ©tubien*
büdfjer überttmnben finb, proteftiert er Wohl gelegentlich, toenn
man ihn auf bie ©Säuberungen feftlegen will, mit bem Hinweis
auf fein bicf)terifcheg ©chaffen, aber nodh 1898, im Stobegjahr,
befennt er fidf) ju ben „alten ©öttern", will nach ©ollenbung ber
autobiographifdhen Aufzeichnungen „©on Zwanzig big ©reifjig"
mit einem „Sänbdfjen fjriefacf unb bie ©rebowg" feine fchrift*
ftellerifdhe ßaufbahn befdhtiefjen. Unb wirtlich fanben fich im ÜKa<h*
la§ reifliche ©orarbeitert zu biefem ©uch: eg war feine te|te
märfifche Siebe, ©Säuberungen burch bie Sflarf ftehen gleicherweife
am ©nbe unb Anfang feines reichen ©djaffeng.
Drbnung unb ruhige ©tetigleit ift bag bontehntliche Äenn*
Zeidhen ber fontanifchen ©ntwicflung auch im Übergang bon ben
englifchen Üteifebüchern zu ben märfifchen ©Säuberungen. Ohne
jegliche Prätention bon jjforfchung, ©elehrf amfeit, hifiorifehern
Apparat geht bie Abficht zunächft nur barauf, ben ßanbg*
leuten bie |jeimat fennen z u lehren, z u jeigen, bafj eg in
ihrer nächften 9iäl)e gar nicht fo übel ift, nicht nur im be*
rühmten ©chottlanb „hiftorifdhe ©täbte, alte ©dhlöffer, fchöne '
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3. gounutltemuä unb SBanberbücfjei -
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©een, tanbfchaftliche ©igentümlichfeiten unb ©chritt für Stritt
tüchtige $erle gäbe".
Stber freilich mar bie Aufgabe bieSmat ungleich fcf)mierigeret
Strt. @S galt aufeufinben, nic^t nur aufjujeigen, es mar mit bent
bloßen kennen nicht mehr getan. ®ie fcfyottifdje Vergangenheit,
burch ©age unb 2)i<f)tung belannt genug, beburfte faum ber fc£)rift=
fteßerifchen ßieubelebung. gontaneS englifdje Sfteifebücher h a & e n
nicht eigentlich SReueS gebraut ober ein Elftes in öeränbertem Sichte
gegeigt, fie maren bantenSmert, aber burdjauS entbehrlich, eS fehlte
nichts SBefentlidjeS, menn fie nicht gefdjrieben mären. 3n ben
branbenburgifdjen SBanberungen mirb Fontane Veleber unb @nt*
beder zugleich, ift eS fein eigentliches Verbienft, bie auch i m mär*
tifdjen ©anb überall fliefcenben Duellen hiftorifetjen SebenS auf*
gefpürt, jebem F u fc breit @rbe feine ©efdiidjte abgemonnen, miUig
auf oft nur large unb leife ©timmen gelaunt ju h^ben. Über
bie Sangtoeiligfeit ber Äleinfotfcher, bie bei menigen Slugnahmen
herrfchenbe 3)üntte unb Oberflächlichkeit ber totalen Sßooeßiftit unb
Veßetriftil hinaus ftrebt er „bie ßofalität mie bie ißrinjeffin im
äRärcljen ju erlöfen, teils ju ber Unbefannten, ööttig im SEBalb
Verftedten oorjubringen, teils bie oor aller Slugen 2)aliegenbe aus
ihrem Vann, ihrem ßauberfchlaf nach SKöglichfeit ju befreien".
Feber 9J?ärter foll in gutunft, menn er einen beftimmten Orts*
ober ©efdjlechtSnamen hört, fofort ein beftimmteS Vilb bamit öer*
binben, foll bnreh $>etaitfd)ilberung ju befferer (SrtenntniS hifto=*
rifcher ^ßerfonen gebracht roerben; bie Vefdjreibung beS Sotaten,
bie Vertebenbigung beS ©efdjehenen, bie ©horatterifierung mär*
lifcher ßanbfchaft unb SRatur foß bie Siebe für baS ©anje ermeden.
$äufig ift biefe Stbfidjt öor$ügtid) geglüdt. ®ie beften ber
SBanberungSfapitel mürben jufammengeftettt ein ^eimatsbuch er*
geben, mie eS in gleicher ßteichhaltigleit unb Originalität leine
anbere beutfehe ißrooinj befifct. SDaS ähnlich ©eartete ift burd)
natürliche Sßärme unb Sebenbigleit, burch Farbenreichtum, üor
aßent burch ftiliftifdje Ungefchraubtheit übertroffen. F on i ane h Qt
baS gute ©emiffen, bie tiefe ©hrlichteit, ben meiten Vtid, an bem
V
j.
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©rfter Üetl. ©runblagcn unb Anfänge
eg ^eimatltd^en Veftrebungen tiefer $rt nur zu oft fehlt. $ier
wirb bie §eimat geliebt unb gelobt üon einem, ber bie größere
unb herrlichere $rentbe gefefjen hat, bie Sanberbücher quellen
aug bem tiefen, ftetg gegenwärtigen ©efütjl: man fann bie grofje
Seit fennen unb im Vefifc tiefer allgemeinen Seltfenntnig boch
ZU bem Schluffe gelangen: in bem unb bem Stücf ift eg bei ung
am beften. 2)ag fjeijjt gontane bann feften Sßatriotigmug. Unb
barum geht ihm tag übliche Viograpf)en= unb |jeimatgfunftrezept
ber anftanbglofen Verhimmelung, bie Siebebienerei mebiofrer ©e=
fchidfjtgbücher, wie bie totale Vaufclj unb Vogen*Vegeifterung Silben*»
brudjg gegen ben Strich- @r fafct tag ©injelne wie fc^on in (Schott*
laut in feiner Vefonberljeit, ohne öageg Jbealifieren unb ohne
«Sentimentalität. Konfequenter SRealift, SRorbbeutfdher, Sßroteftant,
will er feinen ftilifierten |)eiligenfult, gibt unb liebt er gelben
mit gehlem, weil ihm bag cf}arafteriftifch SRenfchliche über alleg
geht, tag in irgenbeinem fünfte immer bebürftig unb unzuläng¬
lich bleibt.
So repräfentieren bie Sanberungen burdh bie ÜRarf Vranben-
bürg in ber $at etwag ganz Eigenartiges, tag ihnen üor ber
foliben Xrodfenheit ber wiffenfcfjaftüchen Spezialforfcfjung manchen
Vorzug gibt, unb wenn fie nun trojjbem, tro| tiefer Vorzüge,
nicht mehr ben 9iang einnehmen, ben man ihnen zu Lebzeiten
gontaneg zubilligte, wenn fie heute hinter feinen Spontanen ebenfo-
weit, ja noch weiter zurüdEfteijen, alg fie tiefe burcf) Jahrzehnte
in ber allgemeinen Schä|ung überragten, fo ift ber ©runb bafür
in einer allgemeinen geiftigen Verwanblung unb Vewegung, nid)t
nur beg äfthetifdhen 9£iüeaug, zu fuchen. SDag <35efüt)t für geiftige
unb einheittidhe iurdfjbringung beg Stoffeg, für 2)urcf)bilbung unb
Konzentration audh im formalen ift in einem fteten Sadhfen be¬
griffen unb zum wichtigen Kriterium audh ber aufjer-fünftterifchen,
wiffenfdhaftlicf>en unb f^riftfteHerifdhen Seiftung geworben. Sag
tarn gontaneg Sftomanbidhtung zugute, muffte aber freilich ou <h
bie Sanberungen in ihrem Sert herabbrüdten, bie eben nur in /
bebingtem Sinn alg tünftlerifdh anzufpredfjen finb unb fetbft alg f\
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3. Journalismus unb Söauberbücf)er
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bto| fchriftftellerifche ßeiftung beit gefteigerten Ülnfprüchen nur gunt
S£eit noch genügen. SDie ©efahr, bie jebent SftealiSntuS broht: ficfj
ans ©toffticije unb ©ingetne, über ben Sßotbergrünben unb Ober*
flächen baS Slttgemeine unb bie innere ©efcfjloffenheit gu oer=
lieren — fie mar ja auch unb »orriehmtidt) bie ©efafjr Montanes,
beS größten nnb fonfequenteften unserer SReatiften beS SorteS.
£)aS kleine, Unfeheinbare, Slfltägliche, SKbfeitige, baS er jo feljr
liebte — jeine Sttatur wies itjrn wie feinem anberen nachbrücftich
gerabe biefe ©eite ber Seit.
$iefje eS nid}t an einem tqpijdjen Söeifpiel gielbewujjter ©elbft*
ergiehung, ernftefter Eingebung im $)ienft eines fünftlerifchen
SbeatS üorübergefien, Richtwerte in ihrem Sert herabfefcen unb
mifjbeuteu, gu benen bie Sanberungen nur eben SBorftufe finb,
mollte man biefe jo greifen, toie baS langhin gefdjeljen ift? J)a|
^ontane felbft bie Sftomane über bie Sanberbüdjer gefteüt wiffen
toottte, würbe an fid) noch wenig bebeuten, entfcfjeibenb ift, ba|
er wirtlich über fie IjinauSfam, bafj er bie Energien, bie hier fich
noch »erbettelten unb gu SCeilrefuttaten führten, gang aßmäfttid^ gu*
fammenfaffen lernte unb in eine ftetig geläuterte, entftoffticfjte unb
rein*fünftterifche gorm gu bannen wufjte. RaS RanfenSfoerte an
ben Säuberungen gugegeben, Montane würbe boch eine branben*
burgifche ©pegialität geblieben fein, hätte er nicht anbereS, höheres
gu fchaffen gewußt. Rie Süttorf wäre auch Stticf)tmärfern burdfj if>n
erfchloffgt unb oertraut gemacht worben, aber er befäfje nie feinen
Weithin fkhtbaren Sßlafc in ber ®efd)icf)te unferer Richtung.
Unb barum ift eS widriger gu geigen, was Serfe wie
„Errungen, Sirrungen" unb „(Sffi Sörieft" oon ben Sanbe*
rungen trennt, als ©emeinfamfeiten |eroorgu|eben. Rann erft
werben biefe ©djöpfungen in einem oiel ftareren Sid^t erfcheinen
atS bisher, wo man immer- noch, bei aller Sertfdfjäfcung, üief gu
oiet SanberungShafteS, Stoffliches, kleinliches, SBreiteS in fie hinein»
unb ben ©eift fouoeräner Söeherrfdfjung überfah, ber hier am Serf
\ ift, nur weit Montane getegenttidh fidh in bie behagliche ßäffigfeit
■ unb Seitfdfjweifigfeit ber Säuberungen gurüdfguoertieren liebte.
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92
Srftcr $eil. ©runblagen unb Anfänge
3ft bo<h btefc Siebe weniger ©tolj auf eine erprobte Seiftung,
weniger fdjriftftellerifcher Statur, alg öielmefjr ein ®efüf)l beg
®anfeg unb ber Verpflichtung gegen Sanb, äRenfcfjen, Sltmofphäre,
Kultur, baraug feine Kunft wie aug einem nie oerfiegenben Quell
ficf> fpeifte, währenb er bie Kräfte $u ihrer bid)terifchen Ver*
arbeitung niemanbem $u banfen hotte, in fich oorfanb unb in
weifer Umficht ftetig ju ftärfen wufjte.
©cf)on in ben Säuberungen ift bag ßiel ttinftlerifche Kon¬
zentration, aber Slbfidjt unb SRefultat faßen noch augeinanber, bie
©chwierigfeit ber Aufgabe, beim fteten Singehen aufg Sinzeine unb
Kleinfte hoch ein 9tunbe§ unb ©efchloffeneg ju geben, überfteigt
^ontaneS bamaligeg Können, feine noch unerprobte Kraft. Unb
überbie« oerfchiebt fich f<h on bei ber Arbeit am erften Vanb ber
leitgnbe ©efichtgpunft. Sr hat beim Vegimt ber Arbeit nicht ent»
fernt bie Seitfdjichtigfeit beg ©tcffeg überfehen, unb mit ben neuen
Quellen tarnen neue ®efid)tgpunfte, eine neue Verführung jum
Uneinheitlichen. $)er urfprüngtich geplante unb juerft feftgeljaltene
gemütliche Xouriftenton, ber grajiöfe ^ßlauberftil mufj zeitweilig
einer rein*facf>lichen ©tofffammlung bag gelb räumen, unb anbre
Kapitel fcheinen nun bod) ben Slnfpruch auf gorfcfjung, ©elehrfam»
feit, hiftorifchen Apparat zu erheben. Unb ba er nicht nur Vor»
hanbeneg unb wenig Vefannteg popularifieren wollte, traten nach
unb nach ä u ben unzähligen öffentlichen unb prioaten Slrchioen,
©clbftbiograpljien, Sejifen, Urfunbeitfammlungen, Kirchenbüchern,
Shronifen, Sftegiftern, aug benen fich bie Sanberungen fpeiften,
oiele huubert $)inge — Vriefe, $)ofumente, ©tammbäume, Vilber,
Saffen, Stofchriften, Vaulichfeiten, ©agen, Volfglieber, Slnefboten,
Kuriofa — bie er auffanb, bie oorbem für bie Seit nicht ba
waren. „Senn ich einft mit biefen Arbeiten zu Snbe fein werbe,
fo wirb bieg frifdj Sluggegrabene einen nicht Verächtlichen ©<ha|j
bilben." Slber biefe Sntbecferfreube hatte ihre bebenfliche Kehrfeite,
in folchen fällen mufjte bann nur ju oft bag blofje Snoentar bie
Verarbeitung, bie ßufammenftettung bie £>arfteUung erfefcen. Sr
breche „wie ein 5 ra <htwagen in ben Xetnpel beg SRuhnteg ein",
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ä
Original frorn
UMIVERSITY OF MICHIG^J
3. igournaftlmuS unb Sßanberbüdjet
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äufjert fjontane e w anbermal fjumorüott ju ©torrn über bie
©Säuberungen; er mufjte alfo audf) utn i§r fterbliclieS Steil unb
mar jufrieben, menn baS @rreicf)te menigftenS teitroeife bent ^ß(an
entfpraclj. Ünb lute t)ätte bie (Jinljeit einer Arbeit öon jtt»eieinb>alb=
taufenb ©eiten, über toeite 3 e i tr äume jerftreut, teils perfönlidfj
gefärbte Klaubereien, teils objeftioe ©efdjidjtfdjreibung, ans
ßeitungSfeuittetonS unb ßeitfcfjriftenauffäfcen jnjammengeftellt, oft
nur jufammengeftoppelt, immer mieber überarbeitet unb der*
metjrt —, mie J»ätte fie anberer als ftofflicfjer Strt fein fönnen!
SKan fann nun baS ©tofflidje um feiner felbft mitten lieben,
unb jeber Sftärfer l>at baS Sfted^t, gontaneS ©Säuberungen burct)
bie ütttarf ©ranbenburg in biefem ©inne ju begrüben. ©ber unfre
©etradjtung, bie um ber anfbauenben, pofitioen Denbenjeit in
gpntaneS Kctfönlid^feit unb ©Serf mitten unternommen ift, mürbe
in ben peripljertfcpen ©ehrten feiner ©ctjaffenSfugel mit ftofflidf)
öottftänbigen Darlegungen nur auf bie ©efaljr l)in meiten fönnen,
if>re ©runblinien ju oermifdjen ober juminbeft ab$ufcf)mäcf)en. Die
©Säuberungen bebenten nur für bie £eimatSfunbe ber K^oöinj
©ranbenburg etmaS ©ufjerorbentlidtieS, für bie bentfc^e Siteratur
nictjt eben oiel unb finb felbft für bie ©onberbetradfjtung beS
fontanifcfjen ©cfjaffenS nur Etappe eines ©JegeS, bie erft üom ,3iel
aus iljr rechtes ßict)t empfängt, begriffen unb beurteilt merben fann.
^\ie „©Säuberungen", mie fie Ijeute oorliegen, umfaffen öier©änbe:
riJ „Die ©raffdjaft Btuppin" (1861); „DaS Dbertanb. ©arnim*
SebuS" (1863); „^aoellanb. Die ßanbfd)aft um ©panbau, SßotSbam,
©ranbenburg" (1872); „©preelanb. ©eeSfom*©torfom unb ©arnim*
Deltom" (1881). Daju tritt „fjünf ©cfjlöffer. ©IteS unb ttleueS aus
ütttarf ©ranbenburg" (1889), ein ©upplementbanb, bem Montane
einen ©onberd^arafter gemährt miffen mottte: es fei mofyl eine
fjfortfefcung ber „©Säuberungen", aber bod) audfj etmaS anbereS,
baS feinen eigenen ©Seg geljen möchte. „3n ben ,©Säuberungen 1
mirb mitflicf) gemanbert, unb mie fjäufig icf) baS 9tän$el abtun
by Go gle
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94 @rfter Seil, ©ruublagen uttb Anfänge
unb ben Sanberftab aus ber £>anb legen mag, um bie ©efdhichte
bon Ort unb Sßerfon erft ju hören unb bann weiter ju erjä^ten,
immer bin id) unterwegs, immer in ^Bewegung unb am tiebften
ohne twrgefdjriebene 2J?arfdhroute, ganj nach Suft unb Saune. SDaS
alles liegt hier anberS, unb wenn ich meine ,Säuberungen 4 üietleid^t
als ^ßtaubereien ober Feuilletons bezeichnen barf, fo finb biefe
,Fünf Scfjlöffer 4 ebenfodiete tjiftorijdje Spejialarbeiten, EffapS,
bei beren üftieberfdjreibung idh um reiferer Stoffeinheünfung unb
noch häufiger um befferen Kolorits Witten eine beftimmte Foh rt
ober Steife machte, nicht eine Säuberung." SaS F^utane {>ier
oorbringt, !ann nur für bie „Säuberungen" gelten, wie fie geplant
waren, nicht wie fie nun wirtlich borliegen. $ud) in ben „Sanbe**
rungen" wirb burdhanS nicht immer gewanbert, bietmehr recht
häufig eine beftimmte F^rt nach einem beftimmten $iel unter**
nommen, gibt eS genug tjiftorifdjer Spezialarbeiten unb EffapS,
bie mit Klaubereien unb Feuilletons nichts ju tun hoben. 2)ie
„Fünf Schlöffer" finb fünf SanberungSfapitet, bie um ihres
äußeren Umfanges willen nidfjt gut ben borhanbenen hier Sänben
eingefügt werben tonnten. S)afj „^oppenrabe" urfprünglidh als
SanberungSfapitel geplant war, ift auch brieflich belegt (ßweite
Sammlung, 20. Stpril 1875), bei bem ßiebenbergauffajj baSfelbe
juminbeft wahrfcheinlich (ebenba, 9. Funi 1880). Sichtiger als
biefe äußeren $eugniffe ift bie ©leidjheit beS fdjriftftellerifchen
EhoratterS berSchlöfferauffäfce mit ben hiftorifcp gerichteten Kapiteln
ber „Säuberungen". SaS bon biefen gilt, gilt auch bon jenen.
Fnljatt unb Slrt ber hier ^auptbänbe hot fich burcp bie ÜReu**
auftagen hin, bie Fontane nodh erlebte, merflidh berfdfjoben. Sie
ttbfidht, bie einzelnen SanbeSteile gefonbert für fich ju befdfjreiben,
beftanb urfprünglidh nidht. ,ßuerft waren ganz allgemein „SRärfifdhe
Silber" mit bem Untertitel „ßwifchen Ober unb Elbe" geplant.
9tlS bann bie Einteilung in getrennte ßanbfdhaften fich burdhfefct,
^Werben aus bem erften in bie fotgenben Sänbe Kapitel über**
nommen unb finbet umgefehrt mandheS aus ben fpäteren bei SReu**
auftage ber früheren fytx feine Stelle, je nachbem es bie neue
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3. Journalismus unb SBanbetbüdjer
95
Orbnnng erljeifcht. ©ie loyale Segrengung wirb bei ber Siebaftion
ber fpäteren Sluflagen nur burdjbroc^en, wenn wichtige ©rünbe
inhaltlicher Strt, etwa bie einheitliche ©urchführung eines bio*
gra|$if<f)en SlbriffeS ober eines allgemeinen fulturtyiftorifdjen ©hemaS
bie' Preisgabe beS geographifcljen ©efidhtSpunfteS WünfcljenSwert
erfdfjeinen taffen. ©inige ber früheften unb frifcfjeften 91uffä$e aus
bem Sa^re 1859 ftetyen beifpielsweife jefct am Anfang beS ©dhluf}*
banbeS t>on 1881. ©ie ^ßrobufte weit getrennter ßeiten, fetjr öer*
fliehen in ©on unb ©ehalt, werben bunt burd^einanber gemengt,
unb es ift fraglich, ob Montane mit biefer Stnorbnung nach Sanb*
fd^aften nicht gu Unrecht bie urfprüngliche golge ber ©ntfteljung
gerftörte, bie ©inljeit beS ©angen wäre bann beffer gewahrt,
über baS nur ©tofflidhe hinaus in SCBefen unb Sßechfel ber fdfjrift*
fteÖerifdhen ©ehanblung oeranfert geblieben.
911S erfte ©infü^rung in bie „SBanberungen" mag rer bedien*
fdhaftsbericfjt, bie SlUgemeinbetradhtung über 9ftarf, SKärfer unb
baS Steifen in bie ÜÜtarf gelten, bie baS Vorwort gur gweiten Sluf*
läge beS erften unb baS Schlußwort beS Oierten SBanbeS gibt, auch
etwa bie ©tubie über ,,©ie SDtärler nnb baS Söerlinertum" (jefct
S3anb 9 ber gweiten Abteilung ber ©efamtauSgabe). SCBem bann
um einen reinen unb gefcfjloffenen ©inbuuf oom SBanberungS*
fdfjriftfteller Montane gu tun ift, ber greift am beften gur erften
Auflage beS erften SBanbeS ober, ift bieS nicht möglich, gum oierten
in ber heutigen ©eftalt, beffen erfte Kapitel unb auch noch baS
geitlich fünfgehn 3af)re fpäter liegenbe britte, ,,©ie wenbifcfje ©pree",
am unmittelbarften bie griffe unb fjarbigfeit unb ben gemütlichen
©on oermitteln, in bem baS ©ange geplant war unb auf ben gOnfane
fpäter leiber nur feiten gurücfgriff. SöefonberS baS 3Jtärfifch s ßanb*
fchaftlidhe ift |ier mit einer Jntenfität geflaut, an bie nur bie
greienwalbelapitel beS „OberlanbeS" oon fern heranreichen.
2Ber mit bem erften 93aub in ber lebten Raffung beginnt, hot
gwar gleich m feiten, bem ßarweabfchnitt, ein gutes SSeifpiel beS
frühen SEBanberungSftilS, !ommt bann aber halb in bie ©teppen
beS nur referierten SofalframS. ©Bie oiel hot fich ba oon ber
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96
(Srfter üEeil. ®cunb(agen urtb Anfänge
erften gur ©dt)luf 3 rebaftion geänbert! 3)er gweite Seit fei fad^tid^cr,
$iftorifcf)er als ber erfte, weniger unbefangen unb gefällig —, bieS
Urteil Montanes gilt nirf)t mef)r für bie fpäteren Auflagen ber
„©raffdjaft SRuppin", wo nun aud) baS $ßerföntidf)e unb Sbpllifdtje
berbrängt worben ift.
fjreilid^ bleibt baS „JDberlanb" ungleich bebeutenber. tiefer
gweite Vanb ift wot)l ber mtauSgeglidjenfte, abfotute Mieten neben
erften Treffern, aber über baS ÜUtarwi^ unb Äüftrinfapitel ift
^ontaneS bjiftorifcf»e 2)arftelIungSweife, wenn man fit an itjrem
©igenwert abmifct, nie t)inauSgebiel)en. 2)er britte bürfte bann als
•Korntalbanb angufprecfyen fein. 2)aS „^abellanb" enthält faurn
etwas fo gän^tic^ SluSgefalleneS wie „©djlofj Äoffenblatt" unb
„©teinfwfel", aber audt) nichts oon ber $öf)e ber „$attetragöbie",
es ift guter ©urdjfdjnitt. Sanbfdtjaft unb ©eure treten wieber ins
redete ©teidjgewidjt gurn ©efdjidjtlidjen, unb bei weniger umfang«
reidj bemeffenen Kapiteln wirb im fteten äßedjfet beS Söuntgereifjten
bie ©umme nodfj am elften ein ©angeS bortäufdjen fönnen. 3m
„©preelanb" fe|en ftd^ bie betriebenen SRicfjtungen wieber ftärfer
boneinanber ab unb bie Ungleidwtäfjigfeit wirb befonberS ftarf
unb ftörenb fühlbar.
ro ift burd^auS als eine falfdfje Stenbeng 31 t betrauten, ba§
Montane bei ber Arbeit am gweiten Vanb einer abfoluten
Dbjeftioität guftrebte, gurnat fein begriff beS $iftorifdjen in ben
„SBanberungen" mefjr bie Nuance beS einmal Vorgefallenen als beS
lebenbtg ^ortwirfenben f)at. forcieren gegen bie SRatur ber eignen
Veranlagung — baS fonnte auf bie SDauer feine ©aclje nic^t fein,
unb fo fudt)te er fpäter gwifdfjen beiben ^orberuttgen gu oermitteln.
©ine ätjnlidfje $urbe Weift ber Sftomanftit auf.
gorttane wollte im „Oberlanb" eine @rgäl)tungSweife amtefjmen,
bie bom ®rgät)ler möglicftft abftraljiert, bie Keinen 9teifeabenteuer
füllten fo gut wie gang berfdfjwinben, benn baS f)äufige Snfgene«
fefjen ber Sßerfon beS ©^riftftellerS fd^ien ifjm, fo unanmafjtidfj eS
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3. ^ournattämuia unb 28anberbüd)er
97
gefehlt, bo<h nid^t angebracht, er glaubte ju Unrecht, bah öer=
ftirnme, unb nahm bamit bem «Stil [einen befonberen ßauber, baS
gontanifdfje. ©pater fpradt) er [ich, burdj baS eigne Eünftlerifdhe
©chaffen belehrt uub benötigt, bei Gelegenheit ber ©pielhagenfchen
0 tomantheorie in gegenteiligem ©inne aus. Slber fd^on in ben
„^Säuberungen" ift bie SßrajiS halb mieber anberS gerietet, unb
bie perfönlidj gefärbten Slbfdjnitte, mo baS ©efd^id^tliche an ber
Gegenmart belebt unb burch baS 9J?ebium perfönlid^er Anteilnahme
unb ^tuffaffung burd^geleitet mirb, geraten ftets am beften. gontaneS
hiftorifd^e Kapitel bleiben [darnach, menn er nur ben ©toff gibt
unb geben !ann, ausgenommen jene häufigen $ätte, er ,
[Jreptag in feinen „Silbern aus ber beutfchen Vergangenheit" alte
Duellen um ihrer fjarbigfeit unb AnfchauIichEeit, ihres unmittel*
baren SBirüichfeitShaud^eS unb ber hiftorifchen Patina mitten bireft
reprobujiert. Aber erft menn er auf ein menfchlich SntereffanteS,
©chiclfal ober Gharalter, trifft,' Eomrnt eS über bie gutgefichtete
©tofffammlung, ben fchematifchen ÜberblicE, bie abhängige Duetten*
reprobuttion- 31 t mirflich fchriftftetterifchem Seben. Unb baS lag in
ber üßatur ber ©ad^e. ®ie Sßerfonen, oon benen ju [preßen mar,
bie binglid^e unb lanbfcljaftliche Äleinmelt, bie eS $u befchreiben
galt, hatten nur in ben felteneren gälten eine mirElicfje Sebeutung,
bie Siebe muhte baS meifte tun, bie Art, mie fie gefeljen mürben,
baS 2SaS erfefcen. 3ft nun bie ©tunbe günftig, [o üermag Montane
bie mirflicEje Gffenj beS Unfeheinbaren herauSjubeftittieren, bie öer*
borgene Reinheit jn geben, mo bisher nur bicEfte ^ßrofa gefehen mürbe.
Aber man(hmal mar ber ©toff gar ju bürftig unb auch Ofautane
gerabe nid^t bei Saune. £)ann oerfättt er aus ber liebeöotten in
bie pebantifd^e UmftänbliihEeit, oerliert ben ÜberblidE, vereitelt feine
GemiffenhaftigEeit bie Slbficfjt, an fich UnintereffanteS auf eine
Eünftlerifche £>öhe $u heben ober menigftenS lefenSmöglich ju ma(hen.
Dft mirb ein müheootteS fd^riftftetterifcheS Aufgebot an Gegenftänbe
oerfchmenbet, für bie Eaum ein Sföenfch [ich intereffieren Eonnte unb
mottte, eine nu^lofe Anftrengung, bie einer befferen ©adfje mürbig
gemefen märe.
tföaitbret), gontaue 7
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(giftet $eil. ©tunblagen unb Anfänge
©uteg ftef)t neben SKijjratenem, bie betnühungen um bie heimat¬
liche Sanbfdjaft finb bon fe^r berfchiebenem ©rfotg. Unb tiefe Un-
gleidfjmäfcigfeit ber fRefuttate jeigt am beften, welche Schwierig-
feiten $u überwinben waren, welche unabfehbaren Stoffmaffen fid)
auftürmten, burch bie Montane fich hwburcharbeiten muffte. „Slucfj
bie fchlechteften unb berachtetften bücf)er finb für Arbeiten, wie ich
fie borhabe, immer noch öon 393er t; man muh eg nur berftehn,
(Spreu unb SBeijen ju fonbern, aber tag ift eine Äunft, bie wenige
üben, ba fie mühfelig ift. ?tuch gibt eg h cr i^4> ^enig SKenfchen,
bie felbftänÖig benten unb fühlen unb einen ©belftein alg folgen
erfennen, wenn er auch *n einem Äuhflaben liegt. 3)ie meiften
räfonnieren fo: eg ift bon ©oethe, folglich gut; eg ift bon burge-
meifter Äarl £>oppe in 9tf)eittgberg, folglich fehlest. §oppe mag
fehr bumm gewefen fein, bag fchliefjt immer noch nicht aug, bah
man bon ihm lernen ober eine überlieferte ©efchichte bon ihm
banfbar empfangen fann." Montane war nun ber STOann, bortju
finben, wo anbere leer auggegangen wären. 9Jian<h unmittelbare
Verarbeitung eineg frif^en Slugfluggeinbrucfeg jeugt .babon. Slber
häufig hat er eben auch SBanberungen getrieben, wenn er ohne
Äugbeute nach £>aufe fam, häufig gar ju reichlich unb ungeniert
einen werttofen Stoff auggebreitet unb mit „Ütnmerfungen" ope¬
riert, freublog unb ohne innere Nötigung gearbeitet, beg leibigen
broterwerbg halber, hat bergeffeneg mit Unrecht $u einem Schein¬
leben erweeft.
©ineg fam, wie fehr bie fpröbe üftaterie einer bollftänbigen
2 )urchbringung wiberftanb, feiner befonberen begabung entgegen:
eg gab wirflich, wenn auch nicht „auf Schritt unb Sritt, tüchtige
Äerle", unb biefeg menfehlich SBertbotte $u heben ift feine freute
unb faft immer bon prächtigem ©elingen gefrönt. Stetg Riehen
biefe ©h ora fteriftifen bie äußerlich beftimmenben äßomente in be¬
tracht, fuchen bie üftenfdjen aug ihrer $eit, ihrem ßanb, ihrer Um¬
gebung $u berftehen, aber eg hanbelt fich boch um feine lebiglich
pofitibiftifche ©rflärunggweife, wie man gewollt unb gerühmt hat,
baneben läuft fchon ein beutlidheg beftreben, bie gefdhilberten ©e-
ty Google
Original frem
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3. igoumaltämuS unb Sanbetbücfjev
99
ftalten auf einen pfpdjifchen ©enerafnenner ju bringen, unb immer
urteilt Montane auf ©runb eigener Überzeugung, auch gegen bie •
gültige ijiftoriftfje Meinung, meift wirb eine unöert)of)tene ©pm*
ober Slntipatb)ie auggefpro<f>en. .
@2 ift reijooU, im Dberlanb biefen SBertnngen Ofautaneg nad)*
jnge^en. 2)ie oergteichenbe S^arafterftubie Sarfug*©cf)öning mit
ihrem forgfamen Abmägen t>on $ür unb SCBiber läfjt faurn ent*
fdjeiben, wem feine Zuneigung gehört, wahrfdheinlidh beiben. Seim
3Karfgrafen |)ang oon Äüftrin fomrnt er nach forgfamen ©pezial*
ftubien über eine öon (Sinzeizügen zum Sebengfern oorbringenbe
S^arafterifti! im ©egenfafc z u anberen (S^roniften zu einer bei aller
Hochachtung offen auggefprochenen Antipathie. 9Jtarmifc gehört
bann feine ootle Siebe unb Vewunberung, ohne bafj bie ©djroädjen
retoucf>iert mürben, oielmehr gibt er, um bie ©eftalt recht hetaug*
ZumobeHieren, bie oerfepiebenften Anfidfjten oon wechfelnben ©tanb-
punften unb führt weit ab in allgemeine unb aftuette fragen, mie
benn auch fonft in ben „Söanberungen" meitfd^auenbe parallelen
Zur ©egenroart mit leig päbagogifdfjer Färbung fidfj finben.
/TfL ein menfehtidheg Sntereffe reicht oon früheren 3af)r^unberten
v —) big in bie jüngfte Vergangenheit unb ©egenmart hinein. SSie in
ben englifchen SBanberbüchern wirb mancheg Kapitel unter einem
bloßen Vorwanb eingefchmuggelt, „©aaloto" im ©preelanb einfach
„©in Kapitel oom alten ©chaboro", nur weil beffen Vater eine ßeit*
lang alg 2>otff<hneiber bort anfäfftg mar. Unb gelegentlich Iä|t gon*
tone feinem fubjeftiüen Velieben gar zu freien Sauf, fprengt felbft ben
hoch gewifj auf bag SBeitefte beredhneten Nahmen ber „SBanberungen".
3)er Auffafc über SKathilbe oou 0tof)r, eine alte ©tiftgbame
unb fjreunbin feiner Familie, eineg ber fpäteften Kapitel unb erft
in ber achten Stuflage ber ©raffchaft 9tuppin nach fjontaneg £ob
erfdhienen, ift allzu intim unb prioat geraten, alg hübe eg fi<h aug
ben biographifdfjen Aufzeichnungen „Von ßwanzig big SDreifjig"
hierher oerirrt. * ’,
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100
Gfrfter £eü. ©runblagen unb Anfänge
9tnbre3 altueßer $trt, tote bie ©enfc=2tuffäjje ber ©raffdjaft
fRuppirt, $eigt bagegen toieber jene S3ef)errfd)ung beS ©e*
gebenett; jene Dbjeltioität, bie ftetS erftrebt, aber nid)t immer mög*
ließ toar unb erreicht rourbe. (Sr fucßt in gäßen toie biefem, too
eS ftc^ um bie ©dßitberung Sebenber unb lür$ticß SBerftorbener
ßanbett, ftetS ßeute aufeutreiben, bie über bie Setreffenben genau
orientiert ftnb. Smrner miß er ficf> in SSefifc fnapper, lennjeicßnen-
ber ©efdfjidßten feßen, fein „ rooEjtaffortierteö ©cßnurrentager" nodß
reifer unb öoßftänbiger gehalten. Slber feine SBertoertung be§
©eßörten betoeift ein oorbilbticßeS SEaltgefütjt unb öerfagt ficb» bie
naturatiftifdje Ungeniertst ber jüngeren ©eneration, oßne baß er
ei ben betroffenen ftets ju 2)ant gemalt ßätte. Sn ben Briefen
an SUejanber ©enß unb ÜÄatßitbe oon ßtoßr oom 19. Snnuar
unb 26. üftärj 1874 ift über bieS tßerßättniS be§ SßanberungS*
fcßriftfaflerS junt borgefunbenen gebjanbelt unb gtei^jeitig bie
ßäd^erlid^feit jener falfcßen ^amilienpietät ad absurdum geführt,
bie in einigen gälten ißre Stimme gegen gontaneS ©toffbetjanb»
tung taut toerben ließ.
$ßntidf)er SSiberfprucß gegen bie „SBanberungen" £)atte fdßon nadj
©rfdtieinen beS erften banbeS eingefefct unb ftcß bagegen gerietet,
baß bie angeftrebte lünftterifdfje be^anbtung aucß baS |)iftorifcf)e
ju umfaffen trachtete, gontane toar ber 9Mnung getoefen, baß
ei nictjt auf tarnen unb SDaten antomme, baß ein Stneföotenbudj
rneßr fortgeugenbeS Seben enthalten lönne at§ ein ©eneratftabS*
toer!. Sftun mußte er bettagen, baß mit ben Sßtännern ber SBiffen»
fcßaft lein Kompromiß, leine Stnertennung gegenfeitiger ßtedjte
mögticfj fcßien. „SBäßrenb unfereinS jeben Moment bereit ift, ©e*>
red^tigleit ju üben unb ber gorfdtjung (bie bocß mitunter trodlen
unb tebern genug ift unb in itjren ßtefuttaten ebenfaßS jeben £ag
toibertegt toerben lann) aßen möglichen fRefpeft ju bezeugen, lann
fidß ber alte gopfprofeffor nicßt ju ber SJorfteßung ergeben, baß
bie freie, lünftterifdje töeßanbtung eines ©toffeS um beS ®ünft=
terifdßen toißen ein SRecßt ber ©jiftenj ßat, audtj toenn bie ftrilte
ßiftorifdS$2afrßeU babei in bie törüdje geßt... Sßian lann eS
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3. $ouruaIt§mu§ Utib SBanberbftdjer
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biefen Herren nie reäjt machen, toetl fie ben ©dhmucE, ben bie
Äunft gibt, felbft ba, wo bie Sßafyrljeit nicht burdj biefen ©chrnudE
leibet, immer beargwöhnen unb als blojjeS Sarifari unterfdhäfcetj."
Montane hat jtt fdhwarj gefefjen. äftit ber ßeit fam ber Äornpro*
mifj, freilich rrft, als er biefeS BufpruchS nicht mehr beburfte unb
fidh ber ÜEBanberungSfchriftftetter, bem bie SBürbe eine« pfyilo*
fophifdfjen @hrenboftor§ juteil würbe, längft in ben Sftomanbichter
gewanbelt hatte.
3u ben perfönlidh ©ereilten unb wiffenfdjaftlich Beforgten ge«
feilten fidh bie ©egner ber ethifdhen $enben$. $)iefer SEBiberfprudh
aus politifdhem Säger war noch unberedhtigter, ja ftettte bie SBahr«
heit auf ben ®opf unb Ia§ fidh aus ben „^Säuberungen" baS gerabe
©egenteil oon ^ontaneS Meinung heraus. ÜJtadh ©rfcheinen beS
erften BanbeS mufj er hören, baS 93udtj fei im Aufträge ber $reu$-
jeitungSpartei gefdhrieben, nach bem ^weiten Wirb er wegen beS
üötarwihfapitelS als ©ötbner angefehen, ber fetbile Bezeugungen
bor bem SIbel macht.
3Iuch hi er wenbete fidh fpater baS Blatt. 2tm SebenSenbe ift
gontane fogar als liberal derfchrieen, als Überläufer ins feinblidhe
Säger, tro|bem fidh nichts SBefentlicheS geänbert hatte, ©eine Bor«
liebe für bie alteingefeffene ©belbeoölferung ber SflarE war bie
gleiche geblieben, wenn fie auch nicht mehr fo oft unb offen fidh
äußerte. §lnbererfeit3 betfdhlofe er fidh fch°n in ber 3eit ber an«
geblidhen ©erbilität nidht ihren offenEunbigen ©dhwächen. @3 glücEt
ihm in ben SSBanberungen ftets, einen gewiffen SWittetfurS jwtfdhen
greifinn unb Berbinblichfeit, Slnerfennung beS perfönlidhen unb
gefettfctjaftlichen unb Slnjweifelnng beS politifdhen äRenfdhen im
ntärfifchen Sanbabel einphalten, weit biefe äKifchempfinbung in ihm
felbft lebenbig ift: „2>ie $etle finb unauSftehtidh unb reijenb ju«
gleich." ^ro| ihrer enormen fehler finb unb bleiben märfifche
Sunfer feine „ftitte Siebe", unb er oerhilft, aller @nge, Kleinheit,
Borniertheit jurn Xroh, biefem ©efühl ju feinem nötigen 9IuS*
brudE, begünftigt burdh fein fpejififdfjeS SebenSgefüf)!, baS immer
cradh bie Äehrfeite ber Sftebaiße ju fehen unb ju weifen, immer
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102
©rfter £eil. ©runblagett unb Anfänge
jum ^ßofitioen baS 9legatiüe, jum Sicht ben ©Ratten ju fügen
oerlangte, ohne je in SRelatiüitäten $u oerfallen.
@r h<*t nicht ben füntmerlichen S^rgetj, einen höheren ©tanb
Wein machen $u ttoüen, hat ben ÜKut, Sftartoip erflärtich unb ent*
fchulbbar $u finben. „SKartoip ift tot, unb öor bem toten Sötten
in Üiefpeft ben $ut ju jte^n, ttäfjrenb bie ÜKäufe an ihm Ijerunt*
fnabbern, ift ficherlich nicht bebientenfjaft." Smmer übt er ©eredj*
tigfeit, ioägt ab, sine ira et studio, unb fein ©efamturteit getjt
fchliefjlidh bat)in: „35ie märfifd^en ©betreute fiub feljr gute ÜJtenfc^en,
aber fie tjaben ben allgemein märfifchen $ug beS SlrgttofjnS, ber
ÜRüchterntjeit unb beS SRidjtbegreifenfönnenS eines reinen, über ben
äußerHaften ©ettinn unb Vorteil tjinauSge^enben SollenS."
(Sljrlidje $ü<htigfeit aber 9ffüd^temf>eit, praftifch gerichtete $ätig*
!eit, aber toenig Sbealität, ttenig ©chönheitsfinn. S)amit ift jugleidj
ber ©tofffreiS ber „ Säuberungen" als ©anjeS umfTrieben, in unb
an bem Montane feinen in ber 5 re tnbe erftarlten 933irflid^feitSfinn
erprobt. S)aS Urteil über ben Stbet fann zugleich als Urteil über
bie ganje 9ttar! unb ihre SBeoölferung gelten.
2)ie meiften branbenburgifdjen Hefter hoben bei allem Sommer*
baren hoch einen gettiffen ©harme, baS tteiß er beffer als irgenb*
einer, tropbem er oft genug ben niebrigen ©tanb ber ^ßrooinj unb
SBeoölferung empfinbet. 2)ie fchlefif<hen ©ebirgSbörfer feiner ©ommer*
aufenthalte fcheinen ihm ttahre Sßarabiefe bagegen, ©ine fruchtbare
$ritif bleibt in ben „Säuberungen" immer latent fühlbar, erftreeft
ftcf> gleichcrtteife aufs ^iftorifche, 9ftenf<hliche unb Sanbfchaftliche,
fie fefjafft, im herein mit ber ebenfo fruchtbaren Siebe unb Ein¬
gabe an ben ©egenftanb ©adjlichfeit unb Seite, ©einer Tochter,
bie eine fR^einrcife macht, fchreibt er: „93ei ben tarnen unfrer
JBergnügungSorte: ©ierljäuSchen, ^anfels Ablage, Äaput — fühlt
man orbentlich, ttie baS Vergnügen entjtteigeht. Unb nun ba*
neben: SRolanbSecE, $)rachenfels, Sorelei!" Unb hoch, ttaS ift aus
Daniels Ablage in „Srrungen, Sirrungen" geworben, unb ttie
hat er fich in anberen ©tunben über „große 9?atur" luftig ge*
macht unb bie äftarf h^rauSgeftri^en! „SaS baS ^ßoetifche angeht,
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3. Journalismus unb SBanberbüdjer
103
fo bebeutet bie 3J?ar! ba3 benfbar 9ttebrigfte; nur bcr ©ifyerrje*
©ad&fe !ann noctj fonfutrieren." Unb bocf) mucfj$ an$ biefer poetifctj
niebrigfietjenben SKarf fein ganjeS bidjttrifcfye Deudre, er muffte
barum, mar bonfbor bafür, fiolj borauf. „©fyrlidf) ift ber ÜJtärfer,
aber fd^rerffic^. Unb baff gerabe id(j ifjn fjabe ber^wrttdjen rnüffen!“
ruft er in gelinber Sßerjmeiflung. 2Bir miffen fdfjou, baff f|ier lein
SBiberfpruclj borliegt, loiffen um bie fjötjere Sinljeif ber geiftigen
Sßerföntidjfeit, bie biefe derfdfjiebenen Pufferungen mütfelo« umgreift.
9113 ber bierte SBanb ber „Säuberungen" fjerauS ift, befennt
Soutane rücfblicfenb: „Jet) fjabe fagen motten unb t)abe mirflidf)
gefegt: ,Äinber, fo fctjlimm, mie itjr e§ mad&t, ift eS nidft 4 , unb
baju mar id(j berechtigt; aber e$ ift SEorfjeit, au$ biefen SBüd&ern
IjerauSlefen ju motten, idf) f)ätte eine ©cfjmürraerei für 3Rarl
unb Sftärfer. ©o bumm mar icf) nicht." 9lber et fyegte audf bie
Hoffnung, biefe S8ücf>er mit iffrer SBorfülfrung bon ^ftid^ttramjjetn
unb $)ienftfnüppeln mürben, att ihrer tttuppigfeit unb UnauSfteff*
lidhleit unbefetfabet, ein befd£>eiben SCeit ba$u mitljelfaj, ba§ man
einfeljen lerne, „mie biefe lefcte Kummer 2)eutfcf)IanbS berufen mar,
feine erfte $u merben".
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3u>eifer Xcil
Sie epifcfyen Qrüljtperfe
i* 23or bem ©ftirrn
O f iS bic Berliner Unioerfität Montane an feinem 75. ©eburtstag
^ jum Sijrenboftor ernannte, antwortete her 25idjter bem 2)efan
ber pfjilofophifchen fjafultät, ber baS 3)ipIom überreichte: mit feinen
üielgepriefenen „ÜRärfifchen Säuberungen" fei eigentlich nicht oiet
loS; er felbft erbtiefe fein eigentliches Sehenswert nun hoch in ber
SRotnanfchreiberei.
3)er ooH inner»”: ©ewifjheit unb Berechtigung fo fprach, hott*
barnalS auch als dichter feine ©ipfelfjöhe bereits überfchritten.
Sang unb. nvüheooH mar ber Seg gewefen, auf bem Montane ber
Bollenbung jureifte. ®an$ allmählich war aus bem Sauberer burch
bie SDtarf Branbenburg, ber feine jwanglofeit Schilberungen fdfrieb
— ftitiftifcf) gewanbt, hoch gern oerweilenb, in einer läffig be*
haglicheit Breite —, ber ©arfteller beS jeitgenöffifdhen ©efeßfchaftS*
tebenS geworben, ber über eine Sprache oerfügte, bie nur noch
fdjeinbar baS breit StuSlabenbe unb ^ßlauberhafte ber Sanber-
büdjer fefthielt, oielmehr in bewußter Öfonomie, oft in fcf)tagenbet
ßür$e, Äern unb Sefen ber ®inge traf.
j jDrei Sahrjeljnte trennen biefe ÜUterSftufe ber epifdjen 2J?eifter=
fchaft oon ben friifjeften Anfängen feines erften SRomanS, jwei
/3ahrä e hnte trennen beffen Boflenbung oon ben erften Sanbe*
j rungen in bie 9Jtarf. Unb eS ift nichts Befremblid^eS in ber $at»
fache biefer langgefponnenen ßeiträume: fie entfpredjen bem Sefen
beS epifchen Richters unb ber Struttur feiner fünftlerifc^en $ätig-
feit, fielen jumitibeft mit ihr nicht in Siberfpruclj.
©in IprifcheS ©ebitbe, baS ^ßrobuft einer Stimmung, einer
momentanen feelifchen Haltung, pflegt in feiner Normung an einen
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1. $Bov bem ©türm
105
engen Zeitraum gebunben ju fein. Studfj bent Srarna, infofern eS
ben Äampf in 2ftenfc£)en oerfongener feinbficfjer Kräfte junt SluS*
trag bringt, ift eine gefchtoffen*fortfd&reitenbe ©eftaltung am
günftigften. 9lur ber epifd)e Siebter fimn bie Arbeit an feinem
333er! jahrelang rufien ober burdj toeitefte geiträume hin fiel) ftetig
öon ihr f eff ein taffen, ohne bafj bie formale uttbrbfhdhifche ©inheit*
ficf>feit ■ barunter merflicfien Schaben litte. @r gibt nicht feine
(Stimmung, fonbern fein S3ilb ber Slufjenmelt. Sn 'hm befet)ben
fidf) feine feinblidjen Kräfte, benn in feiner Sßeltfrömmigfeit toirb
er ein befdjeibener Seil beg Stn§, geht in flüchtet 2öeltfd)au in
ihm auf. ©eine Sorge ift nur, recht genau ju fetjen, unb toa§
er gefe^en im 333erf mit ben Mitteln ber Spraye recht ficfjtbar
bem geiftigen Singe ju entmidfeln. Safj e§ tro|bem nur fein ein*
maligeg, inbioibuell befcfjränfteä 323eltbilb ift, bag er geftattet,
flimmert iljn nicht, benn er weif* um feine anbere 333elt atg bie
feine, unb bie Slrgumente beg ißerftanbeg »erben »efentog oor
feinem finnlid^en ÜJlenfdhentum, feinem flarfdjauenben ßünftlerblidt~
gontaneg Sluge hatte Sahrjehnte auf ber bunten SBWf geruf)t,
äftenfdhen unb Singe unbegehrlich unb leibenfehaftglog betrautet,
afö er enblidfj baran ging, feinen erften Vornan niebergufchreiben,
ber eine $ülle anfchaulicljett ßebeng freimachte, bag in if)m auf*
gefpeidfjert lag unb nun blofj jutage trat.
C'Vnt 333inter 1863—64 toaren bie erften Kapitel entftanben. Sin*
/-O fang Suni 1866 entmidfelt Montane 333ilf)elm £>erh, bem S3er*
leger unb langjährigen Begleiter auf ben märfifefjen S33anberungen,
ben Sßlan beg 2Berfe§. §erh macht ©inmänbe, äußert 33ebenfen
über Slnlage unb 333irfung. Sodj Montane ermibert: „Sitte biefe
fünfte finb michtig, unb ihr ^erborheben enthält einen begrünbeten
$imoeig auf borhanbene Sdhtbädhen. - Ob ich «3, ba bag ©anje
fertig in mir lebt, hier unb ba noch änbertt fann, ift freilidh eine
anbere $rage." (17. Suni 66.) Unb am 11. Sluguft heifjt eg in
einem gleichen SBrief an $erfc: „Sie bürfen nidht glauben, bafs
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106
3wp'tev Seil. Sie epifdjen $rül)loerfe
mein F*uer für ben Vornan niebergebrannt ift. Sm ©egenteil.
2lber eben «teil ich jo fefjr- baran hänge, weit id) biefe Arbeit als
ein eigentliches ©tücf fieben oon ntir anfef)e, fo buXbet fie fein
geteiltes $er$. 21« ein ber ©adje fremb Söerben ift gar nid^t zu
benfen. @8 ift nun jetjn Sahre, bafj icf) mich mit bem ©toff
trage, unb wetttr ich nach abermals je^n Sauren (was ©ott üer*
hüten wolle) erft an bie Fortfefcung ber Arbeit herantreten fönnte,
fo würbe bo weber meinen (Eifer erlahmt noch bie Ausführung
atteriert t)a Jcrt. TaS F euer ftadert nie tjodt) auf, aber eS brennt
ftiff weiter: Vertagungen, Unterbrechungen änbern nichts."
Tie gefürchtete Unterbrechung trat aber hoch ein, nahezu gehn
Sah re ruhte ber Vornan. Tie rebaftionette Tätigfeit für bie „9teue
^ßreufcifche kreuz*3eitung", bie Theaterberichte über baS königliche
©cf>aufpielhauS, bie er 1870 für bie „Voffifdje 3eitung" über*
nahm, üor altem bie brei umfangreichen Sßetfe über bie kriege
oon 1864, 66 unb 70—71 liefcen jene ungeteilte ^erjenSftimmung
-nicht auffomnten, bie Montane als VorauSfefcung für ein erfpriefc*
licheS Seihen feines IRomanroerfeS empfanb. ©o fam ber ©ommer
beS SaljreS 1875 heran. TaS Iej$te unb umfangreichfte ber kriegS*
bücher nahte bem Abfchlufj, Stufigere Tage, eine 3eit ber ©elbft*
befinnung unb (Sinfehr jog herauf. T)a gebenft Montane nach
neunjähriger fßaufe wieber beS SftomanS. Todfj bei geringem SSer»
bienft ftetS gezwungen, bie finanzielle ©eite feiner fchriftftellerifchen
Tätigfeit ju erwägen, macht er bie Fortführung junächft noch oon
ber Erlaubnis eines VorbrudfS abhängig. (Er fchreibt an $erfc
(14. Suli 75): „Sn einer mit ©tabtgericf)tSrat ßeffing — bem .
(Eigentümer ber „Voffifchen Leitung", beren Theaterfritifer Fontane
• war — geführten korrefponbenj h at biefer fich fcfjliefjlich bereit
erflärt, ben alten Rommel: meinen SRoman, ber nicht leben unb
nicht fterben fann, etwa im erften $albjaf)r 1877 in feiner ,Voffin‘
jum Abbrucf zu bringen. Ten Vorabbrudf überhaupt hoben ©ie
mir geftattet. Söohl aber ift eS benfbar, ba| Sh nen bie ,Voffin‘
nicht gerabe angenehm ift. Sei) bitte ©ie {»erblich, felbft wenn bieS
ber Fott fein fottte, ein Auge zubrüdfen zu wollen, ©ie wiffen
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1. $or bcm Sturm
107
fo gut tute idj, bafj eS nur bier, fünf ©lütter in 2)eutfd)Ianb gibt,
bie Montane bringen, unb bafj ber arme ©djriftfteller alfo IjeilS*
frofy fein mufj, überhaupt ein Unterfomnten gefunben ju Ijaben.
©agen ©ie ,nein‘, fo brid^t bie ganje ©efdjicf)te jufammen, unb
id) mufj meinen ,©i£lipupti‘, wie ©ie if>u, glaub’ ict), nannten, als
Fragment ber ÜRadjwelt überliefern."
$erfc Willigt ein, aber bie ©erljanblungen mit ber „©offifcfjen
ßeitung" jerfdjlagen fiel). SBieber bergest ein Satyr. SDocty nun
fe|t ficty 5 0nta neS SßrobuftionSbrang enbgültig burcty. S)er nadty-
tjaltigfte ©ctyritt feines ßebenS, bie Aufgabe ber 9tfabemiefteüung,
bejeictynet jugteicty fein inneres ^reimerben, baS $intanfetyen aller
familiären SRöte jugunften einer freien ©elbftbeftimmung $u
bidtyterifctyer Xätigfeit. (Sin neues SUbfommen fiebert ben ©orbrudE
im „$)atyeim", unb in fnapp $wei Satiren wirb baS umfangreid&e
SBerf in unabtäffiger Strbeit $u (Snbe geförbert. „3)er Vornan ift
in biefer für mich trofttofen $eit mein einziges ©lücf, meine ein*
jige (Srtyolung. Sn ber 93efc£)äftigung mit ityrn üergeffe icty, was
mich brüdtt. Slber wenn er überhaupt nocty jur SBelt fommt, fo
Werbe ict), im ©ücfblidE auf bie geit, in ber er entftanb, fagen
bürf^it: ein ©ctynterjenSfinb. (Sr trägt aber feine ßüge baoon.
(Sr ift an oiefen ©teilen fjeiter unb ntrgenbs bon ber SJftfere an*
gefränfelt. Scty empfinbe im Arbeiten baran, bafj icty nur ©ctyrift*
fteUer bin unb nur in biefem fdtyönen ©eruf mein ©lüdE finben
fonnte." (1. SRobember 76.)
Slm 21.9Jtär$ beS näctyften SatyreS fann Montane berichten, bafj
bie erfte $älfte fertig, am 21. 2)e$ember, bafj ber ütoman bis $u
ben ©ctylufjfapiteln borgerüdft ift. Snt Slpril 1878 ift er beenbet.
CVVor bem ©türm" tyebt ftdf) merflicty bon allen fpäteren Romanen
" Montanes ab. 2)aS bebingt einmal ber (SrftlingSctyarafter
beS SEBerfeS. SDenn borgefctyritteneS Sllter bebeutet feinen ©orteil
gegenüber ben Slnforberungen, bie bie formalen ©efefce einer be*
ftimmten $ictytgattung an ben ftetten, ber ficty ityrer erftmalig jur
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108
gttieiter £etf. ^te epifctjen gtiüjwerfe
Slugfpradfje bebient, rntb bie jeher ©djaffenbe öon neuem fidfj ju
eigen rnadjen, beren ©eltmtg er über alte oerftanbegmäfjige ©in*
fidfjt fyinaug bübenb an fidfj unb feinem Serfe erfahren mufj.
©obann aber ift bag Sefonbere beg Sftomang in bem formalen
3ufammen^ang mit ben „Sanberungen" ju fudjen. Unb betbeS ift
eng oerfnüpft.
3n ben „Säuberungen" mar eg fjontaneg eingeftanbene 2lb=
fidfjt gemefen, ben öerborgenen ober unbelaunten fyiftorifdjen unb
Ianbfctjaftlidfjen 0tei$ ber 9J?arf ang Sicfjt $u förbern. @r mu|te
einem jerftreuten SReicfjtum einfammeln ober fein &orf)anbenfein
überhaupt erft nacfjmeifen, eg gab feinen oorfjanbenen unb an*
erfannten ju oermerten. ©o lag ber üftadjbrucf ber „Säuberungen"
in bem oft aug ferner jugängtidjen Duellen gef köpften 3J?ateriaI,
in ber Sßopularifierung nur bem gadfjntanu unb Kenner jugäng*
licfjer ®efcf)icf)tg= unb SDtemoirenmerfe, ber Slfgent fiel, oft gegen
, gontaneg urfprüngtidfjen Sillen, auf bag ©ef)altlidt)*9tü|licf|e, bem
bie formaI*fünftIerifcf)en ©efid()tgpunfte nacfjgefteßt mürben. 3)ag
SRefultat mar ^ülle ofjne Normung, SReicfjtum ofjne ©inljeit,
neben bag abgerunbete ©fjarafterbilb trat bie ungeorbnete Material*
fammtung, neben bie oottfaftige ©d^ifberung bag öbe fRegifte^ unb
peinlid^e Snöentar.
^reitid^, bag befonbere ©eure, bag Montane fiel) in biefen
SBüdjern geraffen fjatte, mar big ju einem gemiffen ©rab aucf)
Slugbrucf feiner $lrt. ÜJietjr nodt) aber beftimmten eg äußere Um*
ftänbe, bie journafiftifcfje Sätigfeit aug mirtfcf)aftUtf)em $mang.
Sof)l mar bag ©infammein unb ang ßicf)tfteC(en in mandjer
$infid(jt aud) ein füllen ber eigenen ©dfjeuern, ein kennen* unb
©efjenlernen, ein immer fidlerer geübteg fpradjlicf)eg Sejmingen
ber öerfdjiebenften ©ebiete im anfdjaulicfjen unb pointierten Sort,
aber mefjr bodt» ein ©teigem ber Kräfte in frembem ©ienft. 9lur
menn eine ©eftalt, bie neben jajjlreicljen anberen ifyren $Ia| in
ben „Säuberungen" erljeifdjte, bem inneren Sefen $ontaneg be*
fonberg nalje trat ober ein befonberg ftarfeg ßaubfcfjaftgerlebnig
feine perfönlidjen ßebengfräfte freimadfjte, fam eg über bag f)ifto*
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1. Slot betn ©turnt
109
rifcße Referat, über eine faft immer lebenbige, au§ Siebe jur ßeimat*
tid^en ©cßolle geborene Srifcße unb Beteiligung hinaus ju jener
ßößeren ($inb)eit bon ®arfteller unb ©toff, bie als bidßterifcß an*
äufpredßen ift.
3)iefe beiben (Sßarafteriftifa ber „^Säuberungen": baS in fid^
abgerunbete, feelenbermanbte Porträt unb bie feelifdß bureßbrungene,
nic^t nur äußerlich abgefcßilberte Sanbfdßaft merben ju mefentlidßen
Elementen auch beS SRomanS „Bor bem ©türm".
©tofflicße ißaraHeten mosten gontane baju führen unb ber*
füßren, feinen erften Vornan in eine naße Begießung ju bem ©til*
Prinzip ber „^Säuberungen" ju bringen. 9tu3 märlifcßem Boben
füllten bie ©eftalten ermadßfen, auf ißm ißre ©dfjtcffale fieß erfüllen,
bie Begebenheiten fiel) abfpieten. SeneS Sanb SebuS, baS im britten
Banbe ber „^Säuberungen", bem „öberlanb", eine weitläufige
©dßilberung erfahren hatte, bie gleichmäßig bie lanbfdßaftlicßen
Beije, ben befonberen ©ßarafter f e ^ ner Bewohner unb bie ßifto*
rifdhe Bergangenheit umfaßte, tourbe jurn ©cßauplaß gemäßlt.
„Sch habe wir bie bie Srage borgelegt: foll bieS ein Bontan
merben? Unb menn es ein Vornan merben foll, melcße Regeln
unb ©efe|e ftnb innejuhalten ? Sch habe wi* bielmehr bor*
genommen, bie Arbeit ganj nadh mir felbft, nach meiner Neigung
unb Snbibibuatität ju madhen, ohne jegliches Borbilb ... £>ßne
ÜDlorb unb Branb unb große SeibenfcßaftSgefchicßten, höbe idh mir
einfach borgefeßt, eine große Slnjaht märfifeßer (b. ß. beutfdß*
menbifdßer, benn hierin liegt ißre ©igentümlidßfeit) Figuren aus
bem SEBinter 1812 auf 1813 borjufüßren, fjigurm, mie fie fuß
bamals fanben unb im mefentlidßen audß nodß je|t finben. @3 mar
mir nidßt um Äonflifte ju-tun, fonbern um ©cßilberung."
2Ba3 Soutane ßier „ganj nach mir felbft" nennt, jielte auf
feine bamalige ©chreibgemoßnßeit, ben fließen SSanberungSftif.
@r mitt feine ©efcßidßten, fonbern Siguren, feine ^anbtung, fonbern
©cßilberung geben. Unb baS boHenbete SSerf entfprießt biefer Stbficßt.
@3 ift jumeift baS Äennjeidßen bon ©rftlingSprobuftionen, fidß
über formale 5lnfprüdße ßtnmegpfeßen. liefern Slnfängerirrtum
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110
^weiter £eil. ®ie epifcpen grü^weifc
muffte auch ber gewifj nidjt me|r jugenbliche Montane feinen Tribut
Zollen. 9hm !ommt gewifj ber moberne ^ßrofarontan, bie faloppfte
aller Äunftformen, folgen Stnfprüchen benfbar entgegen, gorrn*
ftrenge war nic^t ein äßerfmat ber bürgerlichen ßiteratur beg
neunzehnten gahrljunbertg. 5lber fo günftig bie Umftänbe für
Montane lagen, fo weit man bie ©renzen beg SRomanbegriffg wirb
Zielen fönnen —: er gibt feinen $tnfprucf) Äunft zu fein in beut
Slugenblicf auf, wo feine eigene SJfttte bag Sßerf zufammenhält
unb mit ßeben burchftrömt, wo an ©teile ber ©lieber eineg £>r=
ganigmug ablögbare Steile eineg zufantmengefehten ©anzen treten.
SBag bei ben „Söanberungen" hiuzunehmen war, ja alg befonberer
9teiz gelten fonntej bie zwanglofe Slneinanberreihung oon äJlenfdjen,
Örtlichfeiten unb ßanbfchaften, bag ungebunbene gurücfgreifen in
bie Vergangenheit, bag üftifdjen oon ©egenwart unb ^tflorifc^er
Erinnerung, oor adern bie Stechnif beg abgefchloffenen ^ßorträtg,
muffte im Vornan bie Stiefenwirfung, bag ©egen* unb äftiteinanber
ber ißerfonen, bag Stbftufen ber 2Birfli<hfeitggrabe bei $aupt* unb
9iebengeftalten erheblich beeinträchtigen. Unb je größer bie ißerfonen*
Zahl, um fo merflicher muffte biefer äftangel fich h era u2fietten.
0iie hat Montane einen längeren ©eftaltenzug in einem SBerf oor*
überziehen laffen, nirgenbg Wirb aber auch bag gehlen eineg feften
inneren Äontafteg, einer bie Sdienfchen oerbinbenben £>anblung
fühlbarer.
2)iefer aUerbingg tief in ber Slrt feineg Erlebeng gegrünbeten
Äompofitiongweife fdjaffte gontane fpäter bie äfthetifch angemeffene
gorm bur<h eine weife Vefdfränfung ber Sßerfonenzahl; feine reifen
SBerfe friftallifieren fi<h um ben fUtittelpunft weniger, oft nur einer
©eftalt.
CJ fuä) in j, Vor bem ©türm" wirb „gewanbert". 3n bem wichtigen
Slugenblicf, ba bie Überfiebelung beg Äönigg nach ©ttgfau ftatt*
finbet unb bag ©ebnen ber an ben ©efchicfen beg ßanbeg Stnteil*
nehmenben in Erfüllung gehen foU, läfft gontane eine richtige
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1. ®or bem Sturm
111
gatyrt in bie 2Jtorf, nach bcm ßiftergienferflofter ßeljnin in bic
©rgählung eingreifen. So wir machen biefe fjohrt einige ßapitel
fpäter (53) im brieflichen Sfteftep gum gweitenmal. ©ie obligaten
Äirchen-, ©chlofj* unb ißarfoifitationen ber „Söanber ungen" mit
bem tppifchen Slicf auf bie Vorgerichte ber Sauten unb ber
3Renfd)en wirfen allenthalben in „Vor bem ©türm" nach- $aben
wir gu Veginn ben jungen ßeoin auf ber winterlichen ©glitten-
fahrt oon Verlin nach |>ohen-Viep begleitet, fo folgt gleich &ie
|>iftorie be« $errenfipe« unb ©efcplecht« in einem eigenen Äapitel.
Unb gang im $lrabe«fenftil ber „SEBanberungen" wirb e« eingeführt,
tritt ber ©ichter au« feiner epifchen ßurücfhaltung anfünbigenb
unb einlabenb heroor: „Sn ber £>atle fchwelen noch einige Vränbe;
fchütten wir ©annäpfet auf unb plaubern wir, ein paar ©effel an
ben Äamin rücfenb, oon £ohem=Viep." $11« ber ©chauplap wechfelt,
wirb wieber bie epifche ©arftellung mit ber befchreibenben ©tubie
oertaufcht. „@ufow" hotte fchon bie Überfchrift eine« Äapitel« be«
„Dberlanb«" geloutet. Unb hier übernimmt Montane fogar bireft
eine ©teile ber „SBanber ungen" (3weiter ©eil, 12. Äufl. ©. 195)
in ben ©ejt be« Vornan« (Äap. 18, gweiter Sffbfap). fühlte er ihre
befonbere ©cpönheit, bafj er fie au« ben „Söanberungen" herüber¬
rettete, bie halb mehr gelobt al« gelefen werben foHten? £>ier wie
bort wirb ber alte ©erfflinger, beffen Varne ber ©tolg ber Ver¬
gangenheit ©ufow« ift, treulich erwähnt, ohne bafc e« ber ®ang
be« Vornan« erforberte. Unb gang ähnlich wie im Kapitel §ohen-
Viefc heifet e« bann: „©iefer $lap am $enfter war anheimetnb
genug; jeber anbere Vejucher aber würbe e« hoch öorgegogen hoben,
ba« lepte ßicht noch S u einem Untblicf in bem ©alon felbft gu
benupen." Unb nun folgt bie ©cfjilberung. — SBenn wir bie ©orf-
firche oon #ohen»Viep betreten, wirb eine beffriptioe Slufgählung
ber ©ehen«würbigfeiten eingefchoben. Überall ift Montane barauf
au«, ben Slnwalt ber 9Karf gu machen, ihren Veidjtum aufguweifen.
ßeoin unb ©ubal finb auf einer ©our oon |>ohen-Viep nach ^irch-
©örifc im ©efprädj: „,6« ift ein ©lüd, bid) hier gum Rührer gu
haben. Sch hätte biefer Öbe jeben hiftorifchen SWoment abgejprochen/
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112
^weiter £etl. ®ie eptfd)en grütjroerfe
,©eljr mit Unrecht. (SS liegen tjier ©dhäfje auf ©dhritt unb Stritt.
Xa ift ÄriegSrat 2Bof)Ibrücf brüben in ^rantfurt, ber feit Sauren
bie SRaterialien ju einer |>iftorie beS SanbeS SebuS fammelt unb
audj in £ohen*Vie& mar, um unfer ©utSardhiö ju burchforfdhen.
Xen hob ich «tebr als einmal fagen hören: es fef)It unS nicht an
©efchehenem, faum an @efcf)icf)te, aber eS fehlt unS ber ©inn für
beibeS. 4 " Unb über biefem (Eifer, biefer Siebe $ur ättarf, biefem
Sßitten, bie Slrbeii ganj nach bem eigenen ©elbft $u machen, der»
gafj Montane immer mieber bie Slnforberungen ber iRomanform.
Sn bem Kapitel „$ohen*Viefc" unb „©chlofj ©ufe" (2 unb 18)
mar ein f)iftorifdf)e§ 9luShoIen noch berechtigt burdj bie Vebeutung,
bie beiben Sßläfcen im Vornan jufommt, aud) mirlen fie an ihrer
©teile mehr als (Einleitung unb ^intergrunb. Xoch oft fjanbelt
es fid) nur um Unterbrechungen. 3m Kapitel „|>ohen=3tefar" (65)
neigt ber Utoman fid) fchon feinem (Snbe $u, fteigt enblich ju einer
umfaffenben ülftion, bem Überfall granffnrtS auf —, ba unterbricht
Montane bie anfteigenbe Vemegung burdj ben Ausflug ju Xroffel*
ftein. S33ir müffen bie ©chilberung feines ^»errfchaftSfiheS famt
ber §iftorie feines ©dhlojjgefpenfteS, einer „meinen $rau", gebulbig
jur Kenntnis nehmen.
(Sin jmeiter, aus ben „SBanberungen" übernommener ©riff
finb bie gefdhloffenen ©efamtdharafteriftifen mit fummarifdhem Über*
fchlag ber Vergangenheit, meift eingeleitet burdh eine ©tegreiffrage
,,333er mar?", beenbet burdh ein sufammenfaffenbeS ,,©o mar" ber
unb ber. Ober ganj läfftg: „Xa mir nun im langen Verlauf
unferer (Erzählung nirgenbS einen $unft entbeden fönnen, ber
iftaum böte für eine biographifdhe ©fi^e' unter bem Xitel ,Xante
©dhorlemmer 4 , fo Ratten mir hier ben Slugenblid für gelommen,
uns unferer Pflicht gegen biefe trefflidhe Xante ju entlebigen."
Montane gibt biefe Viographien unb ($harafteriftifen in „Vor
bem ©türm" ftets. ©an$ nebenfächlidhe Figuren merben etma in
einem Kapitel fdhematifdh aneinanbergereiht („^derlei $reunbe", 20),
bie ^jauptperfonen in eigenen Kapiteln (8—11) nadheinanber oor»
geführt: ^»oppenmariefen, ©dhulfce ßnieljafe, äftarie, ©eibentopf;
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1. S3ot bem Sturm
113
gewifj in bollenbeter Stnfchaulidhfeit, ober atg ©injdtne, porträthaft,
©rft Wenn wir fic fennen, werbende 3flenfchen jufammengebradht.
gontane jeigt Ejier noch nidpt bie fpäter meifterlich geübte Äunft,
SOtenfchen burdfjg ©efprädf) lebenbig ju machen, inbern gleichseitig
©egenjfanb unb Sthpthmug ber Siebe ben «Sprecher fennjeic^nen.
Sohl war er fdjon in „SBor bem ©türm" barum bemüht.
„Stnregenbeg, Weiteres, wenn’g fein fann geiftooHeg ©eplauber, toie
eg ^ierlanbeS üblich ift, ift bie Dauptfadje an bem S3u<h. Sieg
herborjubringen, meine größte SDtühe. Saljer jum Seil auch bie
ewigen ßorrefturen, weil nicht bie Singe fadhtidh, fonbern burdfj
ihren Vortrag wirfen. Sch möchte etwa? feines, ©rajiöfeg geben.
Ob ich eg erreiche, fteht ba^in." Slber eg bleibt bei 9lnfä|en, ge*
wöfjnlidE) fpricijt man nod) über beftimmte fernen. Sn ben
fpäteren Serfen weidet ber ©dhilberunggftit ber „Säuberungen"
ftetig bem fteigenben SarfteHunggbermögen: an ©teile ber be*
fprodhenen ©adfje tritt bag geiftreidje ©eplauber, an ©teile be$
gefdfjloffenen Porträts bie burdf) it)r ©preßen fid^ cfjarafterifierenbe,
im ©efpräch erft aufwadfjfenbe ©eftalt.
3 u biefen mit ben „Sanberungen" jufammenpngenben ßügen
retarbierenber Ungefdhmeibigfeit treten bann noch folc^e, bie mehr
in fjontaneg literarifcher Statur begrünbet liegen unb bie er fpäter
mit ben Slnforberungen ber Stomanform beffer in ©inftang ju
fefcen wufjte: bie Vorliebe jur ©intage fdhlechthin unb befonberg
jur Slnefbote. Sie alte §errnl)uterin Xante ©d^orlemmer erzählt
ber tränten Sienate, um fie ju unterhalten, tion ihrer ÜJtiffiong»
tätigfeit in ©rönlanb, unb ein ganseg Kapitel ^atibett bon
„Äajarnaf bem ©rönlänber" (33). Offiziere, bie ben fpanifchen
unb ruffifchen getbjug mitgemacht haben, tefen ihre „©panifefjen
©rinnerungen" (43) unb über bie ©dhfacht bon „83orobino" (47)
bor, ohne bafj eine innere Versöhnung fpürbar würbe, nur bafj
etwa bag Ärieggfotorit ber napoleonifdhen $eit auf biefe Seife
beranfdfjaulicht wirb (aber auf bie ©inlage befd^ränft bleibt, ohne
©anbrety, Soutane 8
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114
ßiuciter Seit. Sic cptjdjcn griUjtucrfe
bie Stomanfphäre $u burchbringen) ober üiet fpäter Seoin, als ber
alte ßabalinSfi in bie $)orffirdje ^inauffteigt, um bie bor bent
$tttar aufgefleHtc Seiche feines Sohnes, ju fehen, an eine Situation
ber „Spanien Erinnerungen", beren 93orlefung er beiwohnte,
gemahnt, mit einem flüchtigen „SCBie bei ißlaa, aber biefer ©ang
ift fchwerer" auf jene Einlage jurüefweift. Äeine ©etegenfjeit läjjt
Montane borübergehen, Details au^umaten unb baS Sieben*
jächlichfte feft ^u umreiten. 2)ie Kapitel, bie jum britten Xeit
Überleiten unb burefj baS $h cata ^anfe ßebin in SBo^tö«*
borf" ju umfehreiben finb, müffen herhalten, um bie ©eftalt einer
ÄrügerSfrau unb ihres SebenS mit einem gutmütigen, aber faulen
SJlanne in flarfter Sßlaftif borjuführen. Sie rücft bamit in
bie borberfte ©ilbflädje, fchwäcf)t bie SöirfungSfraft ber $aupt*
geftatten unb trägt wie jatillofe anbere ßüge beS SBerfeS ba$u
bei, ein Äompenbium beS ßebenS ju geben an Stelle eines fünftle-
rifdhen Organismus. Unb bie gleiche $lä<hentenben$,. biefeS 93er*
jidhten auf räumliche $iefe, jeigt im britten Xeil ber „®eferteur"
(60), wo wieber baS grojje ©an$e burch ein einzeln heraus*
gegriffenes beranfchaulicht werben foll, bie allgemeine Stimmung
burch einen teilhaften Äleinjug fpmbolifiert wirb. — Äapitel
Wie „2luf bem SBinbmühlenberge" (38) unb „Sei fjrau $ulen"
- (40) führen ein gan$ felbftänbigeS ßeben, fie finb eine SBelt für
fich in ber Stomanwelt. 2)ie fjäben, bie nach uu^en leiten unb
eine 93erbinbung hielten: ba| ber Qfelbwebel Ätemm auf bem
SBinbmühtenberg unb bei $rau $ulen ju ©aft, ba| biefe 3immer-
Wirtin ßebinS ift, finb $um SerftänbniS webet nötig noch fötberlidj.
3ft bort noch entfernt ein StimmungSjufammenhang mit bem
gerichtlichen $intergrunb gegeben burch ben Steflej beS SBelt*
theaterS in ben berliner Sürgerföpfen — „grau $ulen", obgleidh
bie meifterhaftefte aller Einlagen in „93or bem Sturm", ift ein
ftörenber grembförper im Sloman, bebeutet nichts als einen ber*
heifjungSboUen 93orftofj $ontaneS in feine fpätere Stoffwelt. Er
hat bie fpejieHe ©efeüfchaftsftufe, bie er hier abfehilberte, nur noch
einmal, in „SJlathilbe ÜJlöhring", gegeben. Sie liegt äwifdjen
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1. SSor bem Sturm
115
„Errungen, Sßirrungen" uttb „grau gennp Xreibel" uttb ent*
fpricht ber in „©tine" begrabierten ©chicht.
SDtacht gontaneg Neigung jur Unterbrechung, jur ©intage,
gunt Detail fich burch bag ganje ©emebe beg 2öer!e§ hin fühlbar,
fo toirb enblicfj biefe ^enbenj noch unterftrichen burch bag Sinei*
botifcfje, eine Sorliebe, bie bie Sßerfonen beg Romans mit ihrem
©djöpfer gemein hoben, ben $ang, ein ©rofjeg burch ei« charafte*
riftifdh kleines, ein umfangreich SBirllicheg burchg ©leidfjnig aug*
jubrücfen. Seoin unter bem SSeihnachtgbaum, bie Säuern beim
feiertäglichen Sier im Krug, ©eneral Samme beim ©iner ber
©räfin Stmelie, Sebin unb Stubal auf bem Ütugflug nach Kir<h=
©örip, grau §ulen auf ihrer 5lbenbgefettfd^aft: fie alte ersten
SInefboten, fpmbolifche ©efdjjichten, fie alle finb roie ber alte S)oftor
Seift, ber „gerne fpracf) unb Stuefboten erzählte, um bag emige
©inerlei ber Kran!engefchi<hten log ju merben".
Unb auch ba ift gontane noch nicht auf ber $ölje feiner
fpäteren Kunft. @g gilt born ^Inefbotenerjähteu, mag über bie
£e<hnif beg ©efpräcfjg in „Sor bem ©türm" gejagt mürbe,
gontaneg Kaufeurfunft hat fi<h in biefem Vornan meniger ermiefen
alg h^rangebilbet, unb trop feiner Semühungen um geiftooHeg
©efpräclj trifft ihn ber Sormurf SRenateg mit, alg Seöin eine
©efdjichte erzählt: „0^ ih r grofftäbtifchen Herren, mie feib ihr
hoch fo fchted^te ©rjähler, unb je fdjtechter, je ftüger ihr feib.
Sfmmer Sortrag, nie ©eplauber!" SRanche ©lemente mirlen moht
bem Sähmenben, breit 2tuggefponnenen entgegen, $üge, bie eher
bem ©influfj beg älteren Unterhattunggromang jujjtfchreiben,
romanhaft im unerfreulichen ©inn, alg ballabegf, bem Sßefen beg
©id^terg entfpringenb, finb. hierher gehört bag Kartenlegen ber
$oppenmariefen, in bem fie ben Überfall burch ihre Komplijen
beutlich ooraugfieht; ihr mirlfameg Sefprechen beg im $errenhaufe
auggebrochenen geuerg; ber im ßufammenhang mit einer ©efpenfter*
erfcheinung eingetretene unb auggebeutete $ob ber ©räfin Stmelie.
Stber all biefe ©injelheiten, bereu mir nur ein paar herborftedfjenbe
alg Seifpiel anführen, finb nicht ftar! genug, ben ©efamteinbrucE
8 *
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3»eitet £etl. 2>ie epifdien grüljhjerfc
bei SBerfel im ©tnn bei Semegteren umjuftimmen, jumol noch
jii beit mannigfachen anberen bie literarifchen (Sjfurfe treten.
Montane mar, noch *h c er englifd^e ©tubien unb ntärfifdje
SBanberungen fcf)rieb, SaHabenbichter gemefen, hatte romantifche
©toffe ber norbifdjen ©age bearbeitet unb populäre preußifche
Ärieglljelben in fchlagfräftigen Siebern gefeiert, ©o mürben in
ben fjrühroman, ber mit feinen heterogenen Elementen ein Äom*
penbium alles beffen ift, mal ben dichter bemegte unb ihm
aufjeichnunglmürbig erfchien, auch Siteraturgefpräche unb eine
angemanbte #ftheti! eingefenft, bie auf bie XunnelgefeUfchaft unb
eigene Sßrajil unb Seftüre gleichermaßen jurücfgriffen.
Montane mar 2J?itglieb bei $unnell, Seoin ift 9Jiitglieb, ja
fogar ©rünber ber „Äaftilia". 9Sir mohnen im jmeiten £eil bei
Romani einer ©ifcung biefer 2)ichtergefeHfchaft bei, ju beren
farbiger ©chilberung bie Xunnelerinnerungen herhalten muffen.
(Sin junger SaÜabenbichter, ber „$afon Sorfenbart" unb „(Seneral
©epblifc" oorträgt unb über bie Slrt biefer Äunft fidh ben entf)U*
fiaftifchen 3 u hbrern einfidjtig unb felbftfritifch oerbreitet, trägt in
feiner flüchten, aber beftimmten $Irt unoerfennbare 3ü9 c ^
jungen Montane. Sinei feiner menigen Iprifchen @ebicf)te: „Kräfte
bidh, bie ©tunben eilen", in fchmerfter 3eit nach SSerlaffen ber
SlfabemiefteÖung entftanben, mirb neben einem älteren ©djerjlieb
auf Sonaparte bem entftehenben fltoman mirfungiooll eingefügt.
®en bidhterifchen (Sinlagen gefeßen fidh Siteraturgefpräche, ebenfaUl
auf bie SRomantif hinmeifenb: Äunft unb 2lrt bei ßtooaltl unb
$ötberlin merben mit beftimmten Sßerfonen bei SRomanl in $8e*
jiehung gefept, burdh biefe dharafterifiert unb fie charalterifierenb.
2)oftor fjaulftidh, ber |>aulpoet ber ©räfin Slmelie, oielbefchäftigt
in ben fünften, aber bal ©chöne nur feinfinnig foftenb unb
baburch oermeidhücht, mirb jum ©erfünber bei Ülooalil, preift
fein jünglingljartel, in finnlidher ©laubenlgemißh^it ruhenbel
©treben unb 21ufgehen in Grippe unb Äreuj. Raufen * ©reß, ber
burdj bal ©chöne geftählt tatkräftig jum $anbeln ftrebt, mirb
jum ©predher ber h er ^ en Äunft ^ölberlinl, bei fcfjeinbaren
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UMIVERSITY OF MICHIGA^
1. $or bem Sturm
117
SRomantiferS in ftreng Begrenzter gorrn. Unb ju jebent ber Beiben
2)idjter neigt ißrer inneren SBefenSart nach einer ber fjreunbe,
benen bie Berfe getefen »erben: $uBat, ber fernlos UnBeftimmte,
wie alle finntidjen Naturen unter bem ©influß fcßwärmerifchen,
ftc^ anfehmiegenben SßohttautS ©teßenbe, ju $ftobatiS, Sebin, ber
„reinen $erzenS ift" unb bureß ©djicffat ju männlicher Beftimmt*
heit reifen fott, zu ^ötbertin.
Stucß biefe titerarifeßen ©jfurfe ftnb nur fdheinBar in baS Vornan*
geweBe enger berflocßten als bie früher Befprocßenen ©inlagen. Mon¬
tane Benußt fie, wie eBen gezeigt würbe, um Unterschiebe an aWenfcßen
ßerauSzuarbeiten. 3)iefe Secßnif ber Karen Begrenzung bon ©eftalt
gegen ©eftatt berftärft ben mofaifhaften ©ßarafter beS SßerfeS.
(YVor bem ©türm" trägt ben Untertitel „Ütornan aus bem
" SBinter 1812 auf 13". @r füllte zuerft — Montane toar
fieß ber fompofitioneUen ©cßwäcßen wohl Bewußt — „ßeit= unb
©ittenBilb aus bem SBinter 1812 auf 13" lauten. Über |>erß,
in ber Befürchtung, bann taufe eS niemanb, erhob ©infprueß.
©ewiß hätte biefer Untertitel SEßefen unb $orm beS SBerfeS Beffer
getennzeichnet, äßnlicß wie 3acoBfen feine „grau 3Karie ©ruBBe"
„Interieurs aus bem Siebzehnten gaßrßunbert" nennt, um bie tofe
Äompofition anzubeuten. Um Interieurs ßanbett es fich eigentlich
auch Bei Montane. 2)er Hinweis auf bie potitifcß ßoeßbebeutfame
$eit bon 1812/13 war einigermaßen irreführenb, ba fie — ben
SRoman auf feinen eigentlichen ©eßatt unb ©ang hin angefeßen —
mehr EBarftellungSmittel als EDarftettungSinßatt ift. Seicht fo tag
eS, baß eine Anzahl märfifeßer ©eftalten aufgeBoten würben, um
bie ßeitbewegung, wie fie fi<h im BranbenBurgifchen ßanb auS»
wirfte, zu fchilbern, fonbern bie ßeitbewegung, baS langfam wieber
emporwachfenbe oatertänbifche Müßten würbe ein ÜDtittel, neben
anberen, zur Bloßen ÜRenfcßenfcßilberung.
©S fällt babei wenig ins ©ewießt, was Montane über feine
9tBficßt Bei ber ©eftattung beS SßerfeS geäußert ßat, toidßtig unb
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118
Zweiter Seit ®ie epifc^en griifjroerfe
entfd^eibenb ift, maS er tatfächlicb geftaltete unb bafj fd^on in biefern
©rftling, unb zum Xeil gegen feinen SBißen, ein ©runbjug feines
SSefenS unb feiner ÄompofitionSmeife fidjtbar wirb: ber SWenfch
in feinem innerlichen, reinen So-fein ift baS Nichtige unb @nt=
fdjeibenbe, bem alle anberen fjaftoren, üflilieu, Hanblung,
rifche unb gefeüfchaftlidje ^Begrenztheit, ja baS üttit* unb ©egen*
einanber ber SKenfchen untergeorbnet merben.
©ine ©efamtbifion ber fontanifd^en SRomantoelt ergibt nicht eine
Slnjähl bon Hanblungen, fonbern eine ©alerie non ©eftalten, bie
einzeln, boßplaftifch, in reinem $ür*fich*fein gegen ben SRaumftehen,
loSgelöft botn 5lne!botif<hen, bon ben ^Begebenheiten, an unb in
benen fie fich bilbeten, unb thpifch barum, meil burch alle füllen
unb ßufäÖigleiten ber ©eburt unb beS ©efchiäS als $ern in
ihnen jene geläuterte äftenfchlichleit auf leuchtet, bie baS Sßefen beS
gefunben SBürgertumS auSmacht, beffen Stusbrucf Montane ift.
ÜRan hat, auf baS gemichtige Urteil 2JtommfenS zurüdgreifenb,
an „S?or bem «Sturm" immer mieber bie ^iftorifd^e Echtheit ge¬
rühmt, bie $reue ber SebenSfpiegelung t>om SBinter 1812/.13.
Slber ber Äernpunft beS SBerleS mirb bamit nicht getroffen, mag
man es nun aus fich h erou $ °bet als Anfang einer Iftomanreihe
betrachten. SDaS „Hiftorifche" ift gemifj echt unb überzeugenb, aber
maS ift es, näher befehn?
Montane moHte Säuberungen geben unb Figuren borführen,
, „tote fie fich bamalS fanben unb im mefentlidjen auch noch jefct
finben". ®ie feiten unb ihre gerichtliche ©ebärbe mechfeln, aber
bie ©rbfchoüe, barüber fie begehn, bleibt, unb es änbern fich uur
toenig bie ÜDfonfchen, bie fern ben großen Siebelungen, ber Scholle
oerhaftet, ein einfaches, rein=menf<hlt<heS 2)afein führen. ÜJtommfenS
Sob ber ©djtheit galt bem- äöanberer burch bie Sttarf, ber bie
lanbfchaftliche SBefonberheit beS DberbruchS, feine beutfch=flamifchen
SWenfchen bom Hirtenjungen bis zum abeligen ©rofjgrunbbefiher
aufs genauefte unb bon ©runb aus lannte. 3)aS „Hiftorifdje" ift,
näher beferen, ein ©thnographif<h e§ - 2BaS als baS fpezififd) ©h as>
rafteriftifd^e für bie ßeit bon 1812/13 hinzülommt, ift für gon*
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1. SSov bent Sturm
119
tane tneJjr ein Sßiffen um bie ©ergangenßeit, als ein lebenbig
©rfüßtteS unb fünftlerifcß SßacßgefcßaffeneS.
Unb mie J)ätte es anberS fein !önnen? Sener ©taube ^ontaneS
an ein 2lttgemein*;ä) f tenfcßlicßeS, baS, mie in einem früheren Kapitel
auSgefüßrt mürbe, in SBaßrßeit baS natürlicße SOtoratgefeß einer
beftimmten ©podße mar, ftetS feine ©eftalten als S3afis trägt, unb
ßier ber 93e.rgangenßeit fubftituiert mirb, fjätte nie einem ©cßaffenS»
projefj fidß fügen tönnen, ber in ber ©efcßicßte rneßr fießt als ber
©ottßeit lebenbigeS Äfeib. $ür gontane befielt mie für ©oetße
unb bie ganje nacßflaffifcße ®icßtung eine Trennung bon ßiftorifcßer
©rfcßeinung unb menfcßlicßent ©eßalt. Unb aus biefer Trennung,
biefer ©rlebniSart ßerauS mirb ein mirflkß ßiftorifdßeS Äunftmer!,
im fjaö $ontaneS ein „ßiftorifcßer Vornan", jur Unmöglicßleit.
fJontgneS eigene SBorte, bie bieS fcßetnbar mibertegen, ftnb ein
Zeugnis — nic^t gegen fein SSer!, aber gegen feine Sluffaffung
beS eigenen SCBerteS „2)er ©cßmerpunft beS SSucßeS liegt nicßt im
,2anbfdßaftlicßen‘ (mie Sßaut |>eßfe meinte), menn er biefem SGßorte
aucß bie allergrößte StuSbeßnung geben unb alles 2)effriptibe
barunter berfteßen mitt. 2)er ©cßmerpunft liegt bielmeßr in ber
©efinnung, aus ber baS SBucß ermucßs, unb menn eS einen be*
fcßeibenen ©rfolg erringen foHte, fo merben Kapitel mie baS bierte
beS erften SBanbeS (Söernbt öon ©ißemiß), im jmeiten öanbe baS
«Bmiegefpräcß jmifcßen SBernbt unb Änießafe, bejießungsmeife ^mifcßen
S3ernbt unb Dtßegraben (30) im britten Söanbe baS $rin$ $er*
binanb* unb JöninSfUÄapitel (37 unb 52) nnb im testen S3anbe
bie Äapitel, bie bem granffurtfer Überfall unmittelbar folgen, bie
maßre Urfacße babon fein. 9We aber ßaben mit bem jSanbfcßaft*
ließen* gar nicßtS ju feßaffen."
SBetracßten mir bie angemerften Kapitel, fo ßat Montane in ber
$at ßerauSgeßoben, maS für baS $iftorifcße auSfdßtaggebenb ift.
$ier unb nur ßier mirb bem 3eitlicß*93ebingten gegenüber bem
9tein*ÜKenfcßlicßen fein SRecßt. Slber maS Montane gibt, ift fRebe
‘über bie SRot ber ßeit, nidßt ©eftaltung ber ßeitnot. $)er Äern
biefer Kapitel finb ©efpräcße, unb bie Trennung oon menfcßlicßent
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120 3tt>eiter £eit. ®ie epifdjen grüfyüerle
SCBefen unb hiftorifcfjer Erfcffeinung fommt gerate barin am Warften
Zutage. 2)ie baterlänbifchen Verpflichtungen finb Slnforberungen,
bie an biefe 3Jtenfchen: Verübt, Äniehafe, Dtf>egratien, SEubaf,
Seöin neben anbren Verpflichtungen, bie baS Seben an fte fteHt,
herantreten. @8 finb Verpflichtungen unb Erfüllungen, bie in ber
2)id)tung nur bie gunftion hoben, ben bom Zeitlichen unabhängig
geglaubten SßefenSfern jur SluStoirfung bringen, ihre aHenfchluh*
feit fich bemähren unb feftigen ju laffen. Üftur auf biefe Kapitel ift
ber ßeitgeift, fotoeit er aus ÜDtenfdjen rebet, befchränft (ber fchit*
bemben — Vorobino. 3)urch zwei £ore. $>ie $ranffurtfapitet —
gibt es neben ben Einlagen tanbfdjaftlicher unb genrehafter Slrt
genug), aber er umgibt fie nicht als Sltmofphäre, ift nicht StuS*
atmnng ihres SBefenS unb fie bebingenb, baS $iftorifche ift nidht
tebenbig angetoachfene §out, fonbern ein Xeilinhalt ihrer Seelen,
mie ber Zeitgeift nicht bie Sltmofphäre beS SRomanS auSmacht,
fonbern ein $eitinhalt auch f e iner ift, ber ptaftifche 3J?enfchen mit
inbioibuellen Schidfaten formen hilft. Stuf bie „Eefinnung" fäme
eS an —, baS zielte nur fcheinbar aufs $ßatriotifcf)e, in Söahrheit
auf gontaneS Überzeugung, baß im hiftorifdj „Zufälligen", baS
baS @<hicffat heranführt, baS SBefen felbftgetreuer unb fcf)loanfen*
ber Eharaftere auflenchte.
CYTVerfen mir einen furzen Vticf auf SBillibatb SttejiS, ben mär*
fifcßen Spejialiften oor Montane. Sein teßteS Sßerf, ber „3fe*
grimm", legt eS nahe, bie beiben zu üergleichen unb ben Unterfchieb
in ber f(heinbaren €hnlidhfeit um fo ftärfer heroortreten ju taffen.
2)er „Sfegrimm", baS oon Soutane am meiften belobte SBerf
beS SltejiS, hot mit „Vor bem Sturm" baS Stoffliche gemeinfam:
bie Übergangszeit bon 1812/13 auf märfifchem Voben. Montane
ift im Veginn feines Romans — fytt wie bort bitbet eine
ftimmungSbotle f^ahrt burch bie einfame SJiarflanbfchaft ben Ein*
gang — zweifellos bon ihm beeinflußt. Sluch gehen bie £>aupt-
geftalten beiber SBerfe, Verübt bon Vißeraiß unb $err bon Buar*
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1. SSor bem ©türm
121
bi|, auf bie gleiche Quelle, bie SJiemoiren ßubmigg oon ber 3ftar*
w>i$ jurüdf (ogt. „SBattberungen" Reiter ^eit, 12. Stuft. ©. 229).
Slöer mögen bte ftopchen parallelen, bie immer nur bie Ober«
flauen ber $>inge ftreifen fönnen, auf fidfj berufen. Söic^tig ift,
bafj Stlejig bag ^at, mag Montane fehlt: bei ihm mirb nid^t nur
non ben .ßeittäuften gefprochen, bie ßrieggabenteuer finb nicf)t nur
eingeftreut, fonbern ber eigentliche ©egenftanb beg SRomang, bag
jeittidfj Stftueüe bebingt alle Steile, ihm merben bie Perfonen unb
Vorgänge untergeorbnet, bie prioaten Seibenfchaften haben oor ben
großen ^orberungen ber $eit fein Specht. 2)ie ©truftur beg „Sfr*
grimm" ift ber oon $ontaneg SRoman gerabe entgegengefefct: bei
Sttejig finb auch bie Sftebenhanblungen unb 'perfonen auf bie
gtomanmitte, bie Sanb* unb Seutefchitberung in einem beftimmten
hiftorifdhen Moment, bezogen; bei feinen äftenfehen liegt ber Stfjent
auf ihrer bem bjiftorifd^en Stugenbticf jugefehrten ©eite, fie finb
untergeorbnete gaftoren eineg breiten hiftorifdhen ßeitgemätbeg.
Stber tro| biefer richtigen Stntage eineg hiftorifdhen Ütomang,
bie für Sttejig gegen Montane fpridht, mirb man nicht fagen fönnen,
bafj bie Stbfictjt erreicht märe. $ ontane Ö^b nicht, mag er moltte,
aber er gab bafür etmag attbereg. Sei SUejig, ber aug feiner
inneren Sßotmenbigfeit, fonbern aug ßmeefen fdhuf, mirb bag @r*
arbeitete unb (Srtefene fühlbar, ber Projefj ber inneren SDurct}*
bringung, bag inbioibuette lliachteben unb Stnfchauen ift nicht ftarf
genug, um jur fünftterifcf)en gornt ju führen.
©rft menn man ^ontaneg SSerf gegen bag Sftomannioeau ber
ßeit ftettt, fief)t man bie großen Stbftänbe, bie fetbft biefen ©rft»
ting oon ber probuftion beg guten SDurchfctmittg trennen. Sieteg
mirb bann gum Sorjug unb gortfehritt, mag gegen feine fpäteren
SBerfe gehalten bag Slnfängertum in „Sor bem ©türm" aug»
macht. Unter gontaneg eigenen Romanen ber fdhmerfätligfte, ift
er gegen Sttejig' im Quettenftubium fteefengebtiebene Ungefügigfeit
ftraff jufammengehatten. gontaneg bei aller Sreite fcharf um*
riffene Silber, Sanbfchaften, Sorgänge, äflenfehen ftehen gegen bag
eintönige ©rau, mit bem bei Sllejig ein bedfenber ©dhteier beg
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Original fram
UMIVERSETY OF MICHIGAN
122
^weiter Seil. Sie epifcfyen grüt) teerte
Rebutofen jebc Profilierung oerroifdht. Fie ©efprädje in „Vor
bern ©türm", ein unbeholfenes Stnfängertum im Vergleich jum
alten Montane, f(feinen oon inbioibuefler ßebenbigfeit neben bem
$äf> en 3Iuß, in bem SltejiS nur mit ^Beobachtung ber atlgemeinften
©runb$üge feiner Perfonen enbtofe Slbhanbluttgen über bie
tifdje Vergangenheit unb ©egenwart gefprädjsweife an biefe auf*
teilt. SBo Montane tebenbige ÜRenfthen gibt, ftehen bei SttejiS oft
nur oerleibtichte 3been (3Ii| —Duitiß: fonferoatio — mobern), ber*
harrt bie Rtenfchengeftattung im fonoentioneU Romanhaften unb
©chabtonenmäfjigen, wie benn bie,romanhaften 4 ßüge, in „Vor bem
©türm" Refte einer noch nicht ganj nberwunbenen Fechnif unb
mit bem Äern beS ©anjen im 28iberfpru<h, bei 5ttejiB jnm ©eift
unb ©tit beS SöerfeS gehören. Montanes perfonen fprectjen inbi*
bibueH unb aus bem Slugenbticf heraus, wenn man fie nach bem
uncharafteriftifchen ©chriftbeutfch ber Sfegrimmgeftalten hört.
SttejiS bleibt im Rohftoff haften, baS $iftorif<he wirb auch &ei
ihm nicht bichterifch geformt. SlnbererfeitS ift feine Perfönticf)?eit
$u unbebeutenb, um biefen StuSfaH ju beefen. Montane brauchte
nur ben burch Sahrjehnte erworbenen Reichtum hiftorifchen unb
gegenwärtigen SebenS in feinen Roman ju leiten, ben er lebenbig*
anfchautich in fich barg, unb fchliefjlich trug baS, was er aus
Sigenent ju geben hotte, über äße SRängel unb Fäufdjungen ber
Anlage fieghaft hinweg.
(YVor bem ©türm" verfällt in Fettgehalte, bie fünftterifdj un-
n oerbunben bleiben, aud) wo fie eine fcheinbare ©inljeit bitben.
SBenn wir ben Roman nach ben ©chaupläfceit abgrenjen: erfter Feit
$ohen*Vieß, ©ufe (1—36); ^weiter Feit Verlin (37—58); brittcr
Feit $ohen*Viefc (59—82), fo ift bamit nicht nur ein äußerlicher
©efi<htspun!t gewonnen. 3n jebetn biefer Feite wirb eine be*
ftimmte ©ruppierung ber brei 3nhattSmomente fühlbar. Fen
erften beherrfdjt bie ©chitberung oöttig. 3m ^weiten treten bie
feelifchen ©ntwieftungen hi«ä« unb gewinnen tangfam baS
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1. SJor beut Sturm
123
Übergewicht. 3m brittcn Xeil bringen äufjere ^Begebenheiten
biefe jum Slbfdhlufi.
$>er erfte Xeil ift rein fdfjtlbernb. @r entftanb am früfjeften
unb mufjte am meiften oon ber 9lrt beS „SßanbererS" anne^men.
2)aS ergab ©orjüge unb ©djwäd)en. SBir lernen ben Sanbftricf)
unb bte Örtlidjfeiten, bie Sanbfcfjaft im allgemeinen unb bie be*
fonberen ©cf)auplä&e, bis ins fleinfte fennen. 35aS ^erren^auä unb
©dfjlojj ©ufe, bie Pfarre unb ber ©dE}ul$enf)of, ber Ärug unb ber
Ororftacfer werben mit einer finnlidljen gefctjitbert, fo fern
aller ©erblafenf)eit, fo ganj mefenfjaft, bafj man begreift, hier ift
ein bejahrter Kenner märfifdfjen SanbeS am Sßerf, um mit ge«*
übtem ©lid ben Eräftigen Untergrunb, bie farbige Umtoelt ju
fd^affen, in ber feine ÜDienfdfjen atmen follen.
Slber freilich war bamit ber ganje erfte $eil beS SRomanS,
ber no<h baju bei ftärfftem Umfang bie ftirjefte .ßeitfpanne, oom
SBei^nac^tStag bis ©iloefter, umfaßt, aufs reine ÜDftlieu gefteHt.
$>er junge Seoin oon ©ifcewifc fährt im erften Kapitel oon Serlin
ju ben 303eifjnad()tSferien nach £>aufe. £)iefe fjaljrt wirb für ben
ßefer, ber |jeimat unb Familie ßeoinS nit^t fennt, jur märüfd^en
SBanberung. $)aS jweite Äapitel bringt bie ^iftorie beS Herren*
fi|eS, fpätere bie anberen ©dfjauplä|e oon $of)en*©ie$, in ben Über*
fünften wirb baS rein ©cfyilbernbe beutlidj: „3n ber Kirche" (5),
„3nt Äruge" (7), „©cfjlofj ©ufe" (18), „$irci)»@örifc" (27). 2Da-
jtoifd^en fliehen ficf> bie gefdjloffenen Porträts ber 2Jienfdjen, bie
in biefe Szenerie gefteHt finb, wobei baS ©ummarifdje, ütbgelöfte
wieber fcljon in ben Äapitelüberfd^riften fiel) anjeigt: „©ernbt
oon ©ifcewifc" (4), „|joppenmarie!en" (8), „©d^ulje Änieljafe" (9),
„2J?arie" (10), „ißrebiger ©eibentopf" (11), „£ante Slmelie" (19),
„Allerlei fjreunbe" (20), „$oftor gaulftidj" (28). Unb nun läjjt
Montane, oljne bafj eine burdjgreifenbe, baS ©injelne oerbinbenbe
^anblung fich entwidelte, bie gefdf>ilberten 9J£enfcf)en an ben ge-
fdfjilberten Örtlichleiten in reinen Üöälieufeenen [ich oereinen: am
„2Beif)nad)tSmorgen" (3) bie ©ewohnerfdjaft oon 2)orf unb ©djtoj 3
jur chriftlichen ©efdjerung, „Slm ®amin" (6) bie engere gamitie:
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124 S^eiter SLeil. ®ie epifdjen gtüf)tt>er!e
Seoin unb feine ©djmefter Senate; bie ^errn^utifd^e Xante
©dhorlemmer, baS §au§faftotum oon ^>o^en®SSie^; Sparte, bie
Pflegetochter beS ©d^utjen^ofcg unb greunbin Senates. X)er jmeite
Feiertag ift bem 99efucE| in ber Pfarre oorbehatten. X)er britte
führt nach ©ufe jur gräflichen Xante Amelie; ihren SBohnfifc,
ihre Vergangenheit unb 2Irt, ihren Umgang fennen mir burch
öorauSgeftellte Kapitel, nun lä|t ein feiertägliches Xiner äße
porträtierten jufammenfommen. Xie nächften Xage bringen einen
Vefudh titerarifdher Statur in ®ir<h*©örih bei Xoftor gaulfticf),
einen (Einbruch biebifdhen ©efinbetS ins Herrenhaus unb feine er*
folgreiche 9tuffpürung im üerfchneiten Dbergelänbe, fchliefetidf) bie
©iloefterfeier in ©ufe, erhöh* öur<h eine Heine Xheaterüberrafcfiung,
baS Auftreten ber äftabame 9Ilcefte, einer alten Vefannten ber
©räfin üom VheinSberger H°f beS Prinzen Heinrich her.
X)ie Vüdßehr SeoinS nach Verlin leitet $um jmeiten Steil über.
Sludh biefer nodh reichlich burch ©dfjilberung unb ©intagen be»
fdfjmert, aber jufammengehaltener burch bie Perfon SeoinS, auf ben
fich baS menfd^tiche Sntereffe ftarf zentriert, unb burch ben örtlichen
ÜDättelpunlt, baS SabatinSfifdhe H&uS, io bem bie einzelnen gäben
ber langfam fich regenben H^nblung ju tofer Knüpfung gelangen.
©eheimrat oon SabalinSli, ©cfimager ber ©räfin 9lmelie, unb
feine ßinber Xubal unb Äathinfa finb ßontraftgruppe ju Verübt,
Seoin unb Senate oon Vi^emi|. 91 uS biefem ®egenfa|, ben bie auf'
eine mechfelfeitige Heirat ber ©efdjmifterpaare gehenben gamilien*
ptäne ber ©räfin nicht bebenfen, ermachfen bie feetifchen ßonftifte.
©irte ßteihe Äapitel beS jmeiten XeilS fußt bie ©d^itberung biefer
jmeiten ©ruppe, paraßet bett Kapiteln beS erften XeilS, bie ber
erften gelten. Xamt führt bie grembheit jmifchen Seoin unb Äathinfa
über aße ©chranfen gefeßfdfjaftlicher unb familiärer ßZatur ju ihrer
glucht mit bem polnifchen ©rafen VninSli unb ber entfdheibenben
inneren SBanblung SeoinS. ©ein VohlSborfer $ran!enlager fcfjafft
bie Verbinbung jum britten Xeil.
Hier fomrnt enblidfj baS ^>iftorif<he, bisher auf ©efpräche unb
©inlagen befchränft („gm Äoßeg", 42; „Xitrch jmei Xore", 48),
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1. 9Sor bem ©turnt
125
ju einem fcheinbaren fRecf)t. SBernbt bon ©ifcewifc t)at ben Sßlan
einer ©olfSerhebung bis jur ©Raffung eines ßanbfturmbotoittonS
im Greife SebuS geförbert. 3)te Überrumpelung ber franzöfifdjen
Garnifon, bie granffurt befe|t hält, wirb als einzige friegerifche .
Stftion borgeführt. 5lber baS Sntereffe an ben ÜUZenfdjen ift burdfj
bie immer wadjfenbe ©ebeutung, bie ihnen im Gefüge beS Romans
Zufommt, fchon ju ftarl geworben, ihre innere ÜluSrunbung brängt
ju fehr jum Slbfdhtuß, als baß auch nur biefer britte Seit im
©imt einer ©Filterung beS überperfönlichen zeitgenöffifeßen gü^tenS
in Slnfprudh genommen werben fönnte, bie oom gangen Sßerf irr*
tümlich auSgefagt würbe, ©ie bleibt benn auch in ÜEBirflidjfeit bloßes
Mittel: entfdfjteiert ©ernbt, bem &auptbertreter ber patriotifc^en ©e*
ftrebungen, ben menßhlichen Grunb feines ©trebenS, bringt burdf)
bie Gefangennahme unb Befreiung ßebinS beffen bauernbe geftigung
unb ©ewäljrung, führt mit bem Stob Dubais Gefchicf unb ©erzieht
SRenatenS herauf.
£}ebin wirb im ©eginn beS SRomanS als ber „$elb" bezeichnet. GS
^ ift fdhon baS ©cfjidffat berühmterer SRomanhefben gewefen, neben
anberen Geftalten ber nach ih nen genannten üöerfe unbebeutenb
ju erfcheinen. Slber felbft eine lebiglidf) formale ©ebcutung, wie im
„SBinjefat SReifter", wo am ßebenStauf eines SDurdhf^nittSmenfdhen
ein nmfaffeitbeS Söeltbilb aufgerollt, er zum SRüdfgrat beS gorm*
gebäubeS wirb —, felbft biefe formale ©ebeutung hat ßebin in ,,©or
bem ©türm" nicht, mag ber Vornan fidf) audh zeitweilig im SRittet*
teil fidh um ihn gruppieren. ^ontaneS gleichmäßig nadh allen ©eiten
auSgefpannteS Sntereffe wollte feine ©eborzugung ber menfdhlidhen
Grfdheinung gegenüber bulben. Gr umfing bie Geftalten feines
SBerfeS, wichtige unb nebenfädjliche, mit gleicher Siebe, zog ihre
inbibibuetten Konturen mit gleicher ©orgfatt aus.
9Rag alfo audh Sebin in bem urfprünglidhen ißlan beS SRomanS
eine größere ©ebeutung zugefommen unb er bann in ber ftüdf*
weifen SRieberfdfjrift beS SBerfeS, bei immer wadhfenbem ©eiwerf
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126 ^weiter Seil. Sie epifdjen grüljwerfe
jurüdgebrängt morben fein, fo ift bodj, ba nadj $ontaneg Sßort
atleS fertig öor iJ)m ftonb, ef>e er begann, bie SBe$eid)nung Seöing
alg beg gelben ef)er auf bie Sejiige ju beuten, bie jmifdjen ifjnt
unb feiner ©eftalt obmalteten, unb öon benen eg el>er möglich ift,
baff ein ftärfereg Jperoortreten geplant mar, bann aber als un=
fünftlerifdj öermorfen mürbe.
Seöin trögt mancfje ßäge beg jungen Montane: bag franjöfifdje
33lut, bag öon ber SJtutter Ijer in it)m fliefjt; bie Siebe $um
kleinen („2)ag kleine ift bie £>auptfadje, benn eg ift bag 3dj",
fagt er äljntidj mie Montane); nidjt julefct bie literarifdjen
Ambitionen (bie Sßercpfdje Sallabenfammlung fommt nidjt oon
feinem $ifdj, mie fie lange nidjt öon bem gontaneg fam) unb
bie bei alter Neigung ju ©üte unb Auggleidj ftetg gemaljrte Xreue
gegen fidj unb anbere. ©djmerfäflig unb ungefdjidt nadj aufjen,
ift er öott innerer ©laftijität, eine im ©runbe tyerbe unb $u*
fammenget)altene Statur, ber eg befdjieben ift, über alle ferneren
Sßedjfetfätle beg Sebeng Ijinmeg ju beglüden unb gtüdtidj ju fein,
ein unpolitifdjer SJtenfdj, beffen Sntereffe im ißarteigetriebe ben
menfdjlidjen Äern ju faffen trautet.
3)er alte SBifcemifc, felbft öon fdjarf geprägter ©igenart, meifj
bie i|m frernbe Snbiöibualität beg ©otyneg ju achten: „3dj meifj,
mag eine Statur ju bebeuten fjat; aUeg An* unb ©ingeborene ift
mir fjeilig; gelje beinen Sßeg, Seöin." 2)ie fluge, mettläufige ©räfin
Amelie bagegen fdjreibt in ©orge um ifjre gamilienpläne über ben
Steffen: „Seöin rnufj aug feinem engen Greife fieraug; er rnufc öor
allem bie titerarifdjen Allüren abftreifen. @r nimmt biefe SDinge
grünblidjer unb ernftljafter, atg fid^ mit bem ©belmännifdjen öer*
trägt, bag moljt ein Sntereffe f>aben, aber nid|t fac^mä^ig fid^
engagieren fott... ©r mürbe bag 2ßeltmännifd)e geminnen, bag
if>m jefct fef)tt, unb auf bag Äatljinfa einzig unb allein ©emidjt
legt... Äat^infa ift eine Sßotin, 9a dit tout."
Amelie, bie Überlebenbe beg adjtyeljnten Satyrljunbertg, mit
franjöfifdjer STrabition, Ijanbelt nadj ©rünben; mag finb iljr
Staffenunterfdjiebe, $emperamentgunterfdjiebe? ®atl)infa nad) Stei*
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1. 3$or bent ©turnt
127
gungen. Seüin bleibt i§r innerlich fremb, ein ©egenfap im SebenS=
rhpthmug, ber trop beg SBittettS jur ©ejtoingung immer ftärfer
unb ftörenber fic^ fühlbar macht. Montane toeiß mit biSfreter
ihrnft biefe feinen Sdhtoanfungen bar^utun, feien bie beiben
allein, in Familie ober ©efeflfdfjaft; big jur meifterhaften Sdhilbe*
rung ber nächtlichen |>eimfehr oon Älofter Senin, mo ihre Seelen
gum erftenmal fidh ju berühren fcheinen, um auf immer aug-
einanberjufliehen: eine edhte $ontanef$ene, fnapp im Umriß, fparfam
in ben färben, mit epigrammatifcf) jugeipi|ter Stebe, einbrucfgöott
in ben inneren Raufen, jenen tanggehaltenen Seetenfermaten, bie
bei ftontane immer $öf)e ber Situation, SBenbe» unb Sßegpunfte
unb mit Schicffat getaben finb.
(Sine jmeite S$ene gleich h°h en 9tange§, bie in tafonifdfjer
Äür^e über SBidhtigfteg entleibet, jeigt ben potnifdfjen Grafen
Söningfi, bie $att)infa mahloermanbte Statur. (Sr bringt ben ab*
fdhlägigen SBefdheib beg alten Sabalingfi, unb fie faffen ben Sßlan
gemeinfamer flucht. Sludh fytt fteht Montane trop feiner Anfänger*
fdhaft fdhon tueit über bem ungefüllten ißathog ber üblichen gemüt*
oollen Stomanfeene. (Sg ift fc^ön unb glaubhaft geftaltet, toie ba
jtoei leibenfdhaftlidhe, tatfräftige, felbftänbige Statuten unter bem
(Srnft einer entfdheibenben Situation ihren perfönlich * gefühloollen
Slnfptüdhen Schweigen gebieten unb ber herbe Srnft, jene Klarheit
feelifdhen Sdfjaueng fie überfommt, bie bag Seben in all feinen
©ejügen toie oon einem ©ipfel überblicken läßt. Sie finb fidh ber
(Berantmorttichfeit ooll betoußt, bie fie in Srügfierung gefellfchaft*
liehen unb familiären ttbereinfommeng auf fidh nehmen, «nb fe|en
ihr natürtidheg Stecht, bag Stecht ihrer Steigung, gegen bag ge*
fünftelte unb mißbräuchlich geübte, bag fie jum Opfer frember
Stücffichten madhen miß.
„3)er Stimme ber Statur, menn fie nur ftar! genug ift, alg
bem $eitigften folgen unb bie Äonfequenjen auf fidh nehmen",
biefe ©runbformel beg fontanifdhen (Sthog bricht fchon in „$or bem
Sturm" an ben feelifdhen §öhepun!ten burdh, nod} nicht oöttig in
Dichtung aufgegangen toie fpäter, noch ftar! Stebe unb fjormulie*
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128
^weiter Seil. Sie epifcfyen grüfjwerfe
rung, aber ebenjomenig Slbficht uttb $enben$. 3)er feelifdhe Stähr*
hoben ber ©eftalten mirb ftd^tbar, SontaneS felbfteigenfter ©efip
an reiner, gejunber, ftärfer SJtenfdhlidhfeit, nicht eine prätentiöfe
3Beltanjcf)auung, üon aufien ^in eingetragen.
Unb Seoin, bent nodf) UnooUenbeten, üerfplft biefer burdf)S
©chidEfat gefügte ©erjicht auf einen SJienfdhen, ben er nicht lieben
burfte, jur entfeheibenben ©rfenntniS ber eigenen Statur. ($)ie
innere SBa^r^eit ber ©eftalt bleibt burdfj feine romanhaft infjenierte
ftludjt oon Berlin unberührt.) ©r begreift fidj, noch in fchnter^
Ijaftem Verlangen, aber hoch fchon in Elarer ©infidfjt, oon jenen
^eiteren gerieben, bie bie geborenen ©ieger beS SebenS finb, ben
©tarfen, STatträftigen, benen er nur fein angeborenes träumen
unb ßurücfftehen entgegenjufepen Ijat, menn er mit forglich ge=
hütetem ^arm einen fjeijj erfehnten pia| oon einem anberen be=
fept finbet.
Stadlern er feine ©rennen in leibenber Siebe erfahren h<*t, bringt
SJtarie, bie Pflegetochter beS ©dhuljenhofeS, fein Seben unb SBünfdhen
in redeten ©leidjElang. Sn ihrer Strt unb ©ebärbe tommt bie tieffte
©chidht fontanifdhen SßeltfehenS unb SßeltglaubenS ans Sicht. 3)aS
Äinb eines im 2)orf oerftorbenen ©auflerS, bem man juerft ein
ehrlidheS ©egräbniS toeigerte, mirb bie ©attin beS abeligen ©utS*
herren. 2)aS SBertüollc ift babei, mie Montane ein an fi<h im üblichen
©inn „romanhaftes" ©efcheljen glaubhaft aus bem reinen SJtenfchen*
tum h^roortoachfen läfjt. 2BaS an ftörenben 3ügen bem ©ilb noch
anhaften mag, bleibt äufjerer ©inftujj unb ©eljang, üerblafjt Oor
ber bichterifdjen SSirflichfeit ber ©eftalt. ©eltfarn finb mie in Seüin
miberftreitenbe ©lemente in ihr gemifc^t. ©ie liebt ihn lange, beoor
er eS meijj, unb fühlt ein Stecht ju biefer Siebe, benn bie hoh en
unb nieberen ©efeUfchaftSgrabe finb ihr blofee Stollen, bem SBefen
nach gleidhmertig. ©ie fühlt ihre innere ßugehörigfeit ju Seoin, mie
in ihm einen fid} in ihr Ph an tafie unb ©infadhheit. ©ie leibet ftitl
unter feiner Seibenfchaft ju Äathinfa, aber fie fieljt bereu ©nbe oorauS.
Montane hot ihr als mirffame Solle bie ©eftalt beS ÄonreftorS
Othegraoen gegenübergeftellt, ber fi<h oergebenS $u SJtarie als [einer
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1. SJor betn ©turnt
129
©rgänpng f)infef)nt. SCBie Bei Äathinfa unb Sebin ntüffen bie p=
fälligen Sßünfche bor bem Sßaturredht meinen. $>er ölte Sßrebiger
©eibentopf mirb aus einer biergigjä^rigen ©rfahrung fjerauS p
feinem ©precher: „Sntmer mieber f)obe ich mahrgenommen, bafj fiel)
Spännet S^rer Slrt p Naturen mie SJtarienS unmiberftehlicf) Ijin*
gezogen füllen, ohne ba| biefe Staturen bie Siebe, bie ihnen ent=
gegengetrogen wirb, jemals erwibern fönnen. 2)en Sljaralter jieht
eS pr ^ß^ontofie, ober nicht um gelehrt." Sn ber SBerbefjene Dthe*
grabenS, einem britten ©ipfet beS SBerfeS, wirft biefeS ©efefc fidfj
herb unb fdhlid£)t aus, ohne Särm in ©efühlen, ohne bieteS Sieben
Wirb eS an lebenbigen ©eftalten pm ©rlebniS. ®ie trocfene
9ßüdjteml}eit DthegrabenS umfängt bann ein ftiller ©d^ein, er wirb
wie biete ©eftalten gontaneS reich burch SBerjid^t unb gewinnt bie
Äraft, nach bem unglütflicfjen grartffurter Überfall eines StobeS p
fterben, ber ifp weit über fein getnö^nlid^eS Sttenfdfjenmafj bebt.
S)ie nach innen gewanbtefte Statur in „S3or bem ©türm" ift
Stenate, bie Montane befonberS ans $erj gewachten mar, mie er
fpäter brieflich geftanb. Äatljinfa, Sebin, SOtarie fomrnen nadb
Srrungen unb Kämpfen pr Erfüllung, Senate ift bie SSerjidbtenbe,
ibr SBefen fcbon bebeutet ©erdicht; bah fie fidb p ibm burdbringt,
mabrt bie ©inbeit ihrer Statur. Sin £ubal gefettet, ben ©innigen
in „SSor bem ©türm," bem baS ©elbftgetreue fehlt unb ber bamit
beinah 5 um Vertreter beS böfen ißrinppS mirb, ift ihr ©cf)tcffal:
lieben p ntüffen, ohne bertrauen p fönnen. Sn einem ©efpräcb
bon herber Snnigfeit mit Sebin lehnt fie bie SDtöglid^feit eines ©tüdfeS
für fidb ab. ,,©S ift ein bunfleS |>auS, unb maS fie (bie SabalinSfiS)
felbft nicht fyabtn, baS fönnen fie niemanb geben: Sidbt, ©lüdf.
©S mar immer ihr ©dbidffal, Siebe p medfen, aber nidbt Vertrauen."
©o mirb ihr ber £ob Dubais, ben bei ber Befreiung SebinS aus
ber Äüftriner ©efangenfdbaft eine feinblidbe Äuget trifft, pm ©dbmereu,
baS fie bor noch Schwererem bemahrt. SluS trüben £agen ftiller ßurüdf-
gepgenheit tritt fie nur noch h eröor , um rein als ©cfjauenbe bie
$age p fpiegeln, bie ber dichter aus bem ferneren Seben feiner
©eftalten in „StenatenS STagebuch" am ©nbe beS SBerfeS mitteilt*
8Banbret>, gontane St
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130
^weiter £eit. ®ie epifdOeu griüjwerfe
2ubal ift bcr ÜJtenfch ohne Äent. 9^tcE)tS fann für Montanes
Slnfcljauung unb Überzeugung oom SCBefen beS 9Kenf<hen, oon ber
Vebeutung beS UKenfchtichen überhaupt fennjeid^nenber fein, als
tute biefe ©eftalt tu beu Montan gefteßt ifl ®S ftreift fytt, mo
fein tecfjnifcheS können fputer beut ©efialtungsmißen oft nod)
zurüdfbleibt, nahe an bie 2enbenz-
2Kan tjat in ber bidjterifdjen Vemegmtg ber ©egenmart, ber
eine ftarfe föeaftion gegen baS neunzehnte 3ahrt)unbert eignet,
biefem auch au f bem ©ebiet ber Äunft ben fdjmeren Vormurf
einer ©ntmertung beS Sßtenfchen gemalt. 2aS ©efüt)l für baS
urfprünglich ©efefcte, Unableitbare im üftenfetjen -fußte üerloren
gegangen fein. SDamit märe freilich ber Sinn aller Äunft auf¬
gehoben, bie eS immer mit bem ©cfjöpferifchen zu tun hot. 2odh
es honbelt fid) babei um mißfürlidfje Veraßgemeinerungen unb
Sßaraßelifierungen mit ^meigen beS miffenfcljaftlichen, te<hnifdE|en
unb mirtfchaftlichen SebenS ber $eit. Stßein bie bidhterifdhe Qsr-
fdheinung 2h e °bor ^ontaneS mürbe bemeifen, baf$ bie ftarfe ßunft
beS realiftifdjen ßeitalterS oon mechaniftifchen unb pofitioiftifchen
Veftrebungen frei blieb. ^ontaneS ©laube an bie menfcf)liche ©ub-
ftanz, ein ©runbpoftulat feiner Dichtung, ift mit ihm unoereinbar.
2aS zeigt — freilich noch nicht bichterifdh ooßmertig, in leicht
tenbenziöfer ^ürbung — fchon fein ©rftlingSroman unb in ihm
bie ©eftatt 2ubatS. 9Wit ber ftarfen ©elbftfritif unb ©elbft-
erfenntnis, bie innerlich brüchige Naturen zue ßtefleyion brängt,
fpridfjt er aus, maS fein Seben fchon genugfam oerbeutlidjt: „3df}
habe fein SRedjt, bie SKotioe zu fritifieren, bie meinen Sßapa be-
ftimmt hoben mögen, fi<h zu expatriieren, aber er hat uns burdf)
biefen ©dhritt, ben er tat, feinen ©egen ins |jauS gebracht. Unfer
9tame ift potnifdh unb nnfere Vergangenheit unb zum beften 2eit
auch unfer Veftp, fomeit mir ihn oor ber ÄonfiSfation gerettet
haben. Unb nun finb mir Sßreufjen! 2er Vater mit einer 9lrt
Oon Fanatismus, $atf)infa mit abgemanbtem, idh mit zugemanbtem
©inn, aber hoch immer nur mit einer Siebe, bie mehr ans ber
Vetradhtung als aus bem Vlute ftammt. Unb mie mir nicht recht
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1. SSor bent ©türm
131
ein Vaterlanb hoben, fo hoben mir auch nicht rec^t ein #aug,
eine ^omiüe. Unb bag ift bag ©dhtimmfte. (Sg fe^tt uns ber
ÜJtittelpunft. Äat^info unb ich, mir ftnb auf gern adhfen, oBer nicht
auferjogen. 2Sag mir on (Srjieljung genoffen hoben, tt»ar eine (Sr*
Ziehung für bie ©efellf<hoft. Unb fo leben mir Bunte Sage, aBer
nicht gtücftid^e; mir zerftreuen ung, mir hoben holbe fjreuben,
aBer nicht ganze, unb fictjerlicfj feinen ^rieben." Seutlich ift aug*
gefprochen, mag bem ÜJtenfdjen Söert oerleiht unb erft SeBen Oer*
Bürgt: fefter ©runb außer unb in ficfj. Subat, bem |jeimatlofen,
fehlt auch ber innere üflittelpunft. (Sin Qfrieblofer, führt er ein
halbeg Sehen unb hot ein IjatBeg ©efchidE. (Sr fennt nur ben
Stugenblicf, er liebt unb ift ber eigenen Siebe nicht fidler, greift
frampfhaft nach äußeren ©tüßen unb fucßt in ©elbftanftage oor
ficß unb anberen eine lahme Rechtfertigung, ©ein SeBen zerfließt
geftaltlog unb neigt fiel) am (Snbe ben Störungen beg Äatholi»^
jigmug ju, beffen ftrenge gorberungen er über ben momentanen
Slnfprüdfjen feiner meltmüben ©eetenfchmäche bergißt.
C^uBal hot feine Sreue gegen ft<h unb anbere. Sag Jochen auf
biefe (Sigenfcljaft ift ber etf)ifcf)e Slngelpunft beg SBerfeg. (Sg
Behefrfdht in ben mannigfachften Slbftufungen unb (Srfcheinungg-
formen auch W* ReBenperfonen. ©emiß finb biefe alle leib*
hafte ©eftalten — Montane mürbe Sbeenoerförperung alg (Snt*
mertung unb ÜRißBrauch ber SRenfchenform angefehen hoben —,
aber mag fte über bie Vereinzelung hinaughebt, fte ju ©liebem
beg ©anjen madht, ift einmal ihre Verfnüpfung mit ben |>aupt*
perfonen burdh ©egenfäßlichfeit ober Parallelität ber ©eftnnung,
fobann bie Beziehung auf bag ibeeUe Äraftgentrum, oon bem
aug Betrachtet bie ©eftalten alg (Stfdheinunggfortnen einfe Stil*
gemeinen, ber 3bee ber (Shrtidfjfeit un ^ ©elbfttreue, angefprochen
merben fönnen.
Sie erftgenannte, äfthetifdje, ^unftion hot im ©emebe beg
Rontang ^aulfticf) gegenüber Subat, fo fielen $anfen*©relt ju
9*
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132 ^weiter Seil. Sie epifcfyen ^ftüljtoerfe
Sebin (Parallelität), SninSfi 511 SabalinSli, Sam me $u Sernbt,
bie ©djorlemmer ju Slmelie (©egenfafc). Sor ber fyöj)eren ©in«
Ijeit ber Sbee aber »erben Slntipoben »ie Samme unb Xante
©dOortemmer, Slmelie unb üftarie $u SluSmirf ungen berfelben
$raft, bie in beS Xi<f)terS perfönlidjfeit unb SebenSgefüljl ge«
jefct ift.
3)ie gorberung ber Xreue, beS CS^rlicfjen, ©djein« unb Präten*
tionSlofen, ber Xrang ju ben Xingen unb Serfiältniffen, mie fie
»irflidEi finb, loSgeläft bon ben Serfleibungen ber ©elbfttäufcf)ung
unb abfic^tlid^en ©ntftellung, fdjafft aud) bem, »aS bon Seit«
gefdfjicf)tlicfjem in ben Sftoman fjineinragt, »aS über Politif unb
Saterlanb, jjranjofen unb Patriotismus gejagt toirb, jeine eigen«
tümli^e Färbung. SSto Stoijc^en ben Seilen ju lejen berfteljt,
toirb erfennen, bajj Montane über jene Seit nodj mandfjeS ge«
# badE|t E)at, toaS er nidE)t bireft auSjprad^. SBie tyier bon einem im
bejten ©inn patriotijd^en üftamte einige ttjpijd) beutfdjen ©igen«
fdjaften in ein neues Sidjt gefe|t, manche preufjifcfjen Sejonber«
feiten bon einem guten preujjen im ©piegel beS jremben ©egen«
über aufgejangen »erben, baS Ijat ge»ifj mit fünftlerifdfjen
Dualitäten »enig ju tun, legt aber bon ber SorurteilSlofigleit
unb SSeltfenntniS gontaneS baS berebtjte ßeugniS ab.
©r »iH immer jur ntenjdjlictjen Sttitte borbringen, ©elbft
Sernbt bon Sifcemifc, bie in ljiftorijcl>er, politifdjer, patriotijcfjer
$infid}t am meiften engagierte ©eftatt beS SRomanS, »irb auf
einen folcfjen ®ern rebujiert. Montane legt ben Stfyent auf ben
©litten unb Sater. ©djon in bem gefd&lofjenen Porträt, baS am
Anfang gegeben »irb, fjerrjdjen bieje ßüge bor. Son ber Siebe
ju jeinen Äinbern ift bie SRebe. „Sernbt bon Si$e»ifc, »ie alle,
bie itjr $er$ an et»aS fefcen, machte »enig babon; er fjatte baS
©d^amgefü^l ber Siebe. Slber ebenjo»enig gefiel er fiel) barin,
eine rauije Slujjenfeite ^erauSjuleliren. Söeil er Autorität Ijatte,
burfte er barauf ber$id)ten, fie jeben $lugenblicf geltenb ju machen,
©r liebte eS, im ©efprädj ben Unterfd)ieb ber Saljre ju über«
jpringen unb befpöttelte jene Säter unb 2 Rütter, bie, aus ber «Rot
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1. $Bot bem ©turnt
133
eine Xugenb madjenb, ihre ©efüfjtg* unb ©ebanfenweft in jWei
SRubrifen, in eine für bie „intimen" uttb in eine anbere für bie
ßinber beftimmte £>ätfte ju teilen pflegen. @r war offen, entgegen*
fommenb gegen Seoin, reich an Stufmerffamfeiten gegen Senate." —
©o weifj Montane gleich bei ber (Sinfüljrung feinen SRenfchen oon
ber öornetjmen ©üte feiner Statur mitjuteilen. Bernbt ift mtg
menfchtich nahe gebraut, ef)e wir noch an feinen potitifefjen Be*
ftrebungen ieitnehmen. Sie bejeichnenb, baf* auch fein fSranjofen*
unb SRapoteonhajj nicht einem patriotifetjen Pflicfjtgebot entspringt,
fonbern in feinem 3Renfdfjentum oeranfert bleibt! @r hat im tiefften
§etjen eine nicht $u ertötenbe Borliebe für ben 9Rut, bie Be-
geifterung unb Dpferfäfjigfeit ber franjöfifd^en -Ration, unb oder
$afj, ben er biefer Siebe jum Xrofc ftar! unb ehrlich jur ©ctjau
trägt, ift oiel mef)r $bficf)t unb ÄatfuI atg unmittelbare ©mpfinbung.
SRur fein $af} gegen Napoleon ift ungefünftett unb unmittelbar,
gilt aber nicht bem fjeinb beg Batertanbeg, fonbern bem Ber-
nid£|ter menfd)ticf)er greifjeit unb inbioibueUen Sebeng. Napoleons
©röfje entbehrt für ihn beg t)immlifc^en Sichteg. 2)arum ift fie
if>m ftauneng-, nicht bewunberngwert.
$ödtjft wat)rf<^einlid), bafj Montane burctj Bernbt im wefent-
liefen feine eigene Stnfidjt augfpricht. Stber wie er burdj ben
fritifchen ©infdfjlag feiner SRatur ftetg über ben Äreig einer allju
engen Betrachtung f|inau§rücft, gern bie Äehrfeite ber 9Rebaitte
geigt, fo gibt er auch h' er swei SlnficJ)ten berfelben ©ache. Bernbtg
oatertänbifchen Begebungen tritt bie Äritif ber ©räfin Stmetie
gegenüber, in beiben ift fjontaneg 2trt, finb Polaritäten feiner
SRatur oerfangen, unb fo fommt jene Seite beg BlidEg, jene
epifdje Dbjeftioität juftanbe, bie gontaneg Serfe augjeichnet.
Bernbt organifiert mit jäher (Snergie eine allgemeine Bolfg-
bewaffnung, bie, wenn fein regelrechter Ärieg erftärt wirb, ber
Äänig feine ßuftimmung oerweigert, ju einem Botfgfrieg auf
eigene $anb führen foU. Sine opferfreubige unb h^roifche ©efte.
Slber fo Spiegeln fid) bie S)inge in Amelie, fo fieht fie ihren
Bruber: „II organise tout le monde. 2)ag ganje Dberbrudj
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134 3»eiter Seit. Sie epifdjeit ^rüfjwerfe
öuf unb ob freitet er gu einer VolfSbemoffnung, für bie er
bunbert tarnen ^at: Sanbmehr, ßanbfturm unb ,le|teS Stufgebot 4 .
3n fernem ©ifer überfielt er, mie biefe lefcte Vegeicfjnung, anftott
fturdjt einguflöfjen, nur tragifomifch mirfen fann ... ®S er*
heitert mich, Wenn idj mir feine ©rofi* unb Älein*DuirlSborfer
als mittelmärfifcbe ©uetittaS benfe. S)iefe ®orffcf)aften, in benen
im ®ur(bfcbnitt feine fed)S Sogbftinten aufgutreiben finb, motten
fi<b bem Üttlarfdjatt Step entgegenftetten, ä Ney, le hdros de la
Moskwa." — 3Ran mufc ben ©rab fpüren, bis gu bem gontane
mit fotcben $ufjerungen feiner SRenfchen ficb ibentifigiert, unb bie
Unauffättigfeit, mit ber et eS tut, um bie Reinheit unb heitere ftrei*
beit biefeS ©eifteS gu bemunbern. Unb man batf unb fann nicht
ben febr bernehmlichen Stebenton überhören, ber bie Vorbereitungen
gum fjranffurter Überfall, ben SluSgang unb bie $eimfehr nach
bem Saiblingen begleiten. 2)ajj baS ©piefjige biefer Vorgänge
auber ber Stbfidjt ^ontaneS gelegen hoben unb miber feinen SBitten
in bie 2)arftettung hineingeraten fein fottte, ift unbenfbar. SBie
ba immer unb immer mieber bie SRenfcfjen fich gegenfeitig bor«
reben, eS honbete fich eigentlich nm gar fein gefährliches Unter«
nehmen, unb mie tropbem alte Slngft hoben; mie bie SRenfchen
ihr fjeuer unb ihren ©ifer on bie Vorbereitungen fe|en unb, als
eS ©rnft mirb, bie meiften fteintout merben; mie biebraoe ©cljor*
temmer (72) ben herrnhutifchen ©pilog beS SluSgugS macht unb
Vamme am ©nbe bie allgemeine ©timmung fehr begeichnenb in
bie SBorte fafjt: „SttS fämen mir recte öon ber Strmenjünberbanf.
feigen mir unfer gutes ©emiffen, ober tun mir menigftenS fo":
bieS atteS fann gar nicht onberS gebeutet merben, als bajj Montane
auch bie Äehrfeite, baS tttibicute, biefer Vorgänge unterftreichen
mitt. ^atte er boch an fich n& er £elbentum ©ebanfen, bie öon
fern an Vemharb ©harn, ben oermeintlichen ©ntlarber beS gelben*
tumS, benfen laffen: „Sitte ©tubenhocfer bringen beftänbig auf
,Opfertob 4 ; alte, gefaulte ©otbaten ober, bie ouS fünfzig ©d^Iad^ten
her miffen, einerfeitS, meid) ein eigen unb unficher 2)ing ber 9Rut
ift, onberfeitS, melch niebrige Organifotion, metch bloßer, mer meifj
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1. Sßor bem Sturm
135
toofjer genommener Xaumefyuftanb auSreidjt, um ein |>etbenftüd
gemöf)nlicf)en Sdf)tage8 $u oerridfjten, alle biefe benfen fefjr rufjig
über Söraoourangelegenljeiten unb §aben in ber fRegel längft auf-
gehört, alles, maß baf|tn gehört, in einem befonberen ©lorienfcljein
3 « fetjen. M
^\ie§ beftätigt, ma8 oben über bie Sebeutung ber Ijiftorifd)*
politif^en ©infdjläge be8 SBerfe8, bie nur üttittel finb, gefagt
ttmrbe. 2)ie unmittelbaren folgen be8 granffurter Überfalls löfen
ba8 ©ntfcfjeibenbe in ben 9Renfd|en au8. SBernbt tyält mit fid>
ßmiefprattje: „StUeS gefdjeitert. Unb idj fjab' e8 fo gemollt. ©e-
fdjeitert, ganj unb gar. ©oll e8 mir ein .ßeidjen fein? 3a.
Slber ein geidjen, bafj mir unfer ßiebfte8 an ein |>öd)fte8 fe|en
müfjen. 0Jid)t8 anbere8. 5DieS ift feine Sßelt ber ©lattfieiten."
$)o<fj menig 3 £ ücn fpäter: „2öar e8 SBaterlanb unb fjeilige Städte,
ober mar e8 ©fjrgeij unb (Sit elf eit? ... 3d) meifj e8 nidEjt.
©8 mirb gemefen fein, mie eS immer ift, ein bifjdfjen gut, ein
bifjdfjen böfe. Sfrme, Heine 9J?enfd)ennatur!"
5)iefe8 #eraufbämmern ber menfd)lid)en Unjulänglidjfeit ift
im SBettbilb be8 SRoman8 ein mistiger ^ßunft. 3)er 9Renfd§
fdjeint fdjlecf)tf)in alles ju fein unb ift bodf) nicf>t ba8 äRafj ber
S)inge! ?lber ma8 anbere eng madjte, mirb ffontaneS ©infidjt
jum bemühten SBerjidjt: 23efd)ränfung, nid)t Söefc^ränftfjeit ift fein
3 eid£>en. ©§rfurd)t, Ambition, ©elbftjuc^t finb ba8 befte ieil
feiner einfachen unb e^rlid^en 2Renfd)en. 3)a8 felbftgemäfjtte
©djidtfal auf fiefj nehmen, fid) üor ber SEBirfti^feit ber $>inge
nidjt oerfdjliefjen, ben Siberfprud) oon ßeben unb SWeinen ju
überbrüdfen fudjen: ba8 ift e8, ma8 gontane unb feine ©eftalten
über ba8 ©ürgerlidj-^urdjfdjnittlidfje ergebt, in baS fie bod; oer¬
fangen bleiben; au8 bem fie f)erau8madf)fen unb an bem fie bodf)
oft $ugrunbe gef>en. @r fanb fpäter fefbft: „2)a8 S3udf) ift ber
$lu8brucf einer beftimmten SBelt- unb ßeben8anfd)auung. ©8 tritt
ein für Religion, Sitte, Sßaterlanb, aber e8 ift ooH $afj gegen
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136
gtoeiter Xctl. ®ie cpifdjert grütyiuerfe
bie ,blaue Äornbfame‘ unb gegen ,9Jtit ©ott für Äönig unb SBater*
Ianb‘, mitt fagen: gegen bie iß^rafen^affigfeit unb bie Äarifatur
jener Freiheit . . . §ätt' icf) auch nur einen Xropfen ,fromme
$enben$‘ hineingetan, fo märe eg tot, mie alleg ßurechtgemachte.
Slber eg ftecEt in bem Suche ganj gegen mein SBiffen unb Seiden.
3$ finbe eg je|t $u meiner Überreichung barin, unb bod) liegt
eigentlich fein ©runb jur Überrafchung öor; benn alleg, mag ich
gegeben höbe, ift nichtg alg ber Slugbrutf meiner Statur."
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2 » 3)te Ballabeöfen ^Toüelten
'"? > vurdfj bie „^Säuberungen" ift ein 333eg bezeichnet, ber öon
Montanes Romanen in feine grüf^eit zurücf leitet: „Vor bem
©türm" ift ba$ 2)enfmal beS allmählichen |>inübergteiten§ öon
©<f|ilberung ju 2)arftetlung, öon ftofflid^er Überfülle zur begrenzten
bichterifchen gorm. 2Bie bie SBefenSart gontaneS inftinftiö nach 2tuS*
gleich unb Kontinuität ftrebt, ba§ geigt ober auch noch bie fünftlerifcf)e
Sßrobuftion, bie „Vor bem ©türm" unmittelbar folgt unb mit
onberen gäben in bie eigene Vergangenst zurüifweift. 2)ie äußeren
Slntäffe zu einem SBerf finb oft burdj baS ©efe| ber Polarität
beftimmt. @o folgen auf ben öierbänbigen Vornan, baS umfang*
reichte, öielfpältigfte, unüberfichtlichfte, geftaltenreicfjfte Vudj gon»
taneS zt°ei fürzefte VoöeHen: „<Srete ÜVinbe" unb „©llernflipp",
fnapp in gorm unb Ausführung töte öon ben fpäteren „Verliner
Vomanen" nur noch „ ©tine". gontane fucfite bie greifbaren ©chwächen,
bie ber öoUenbete Vornan feinem einficfjtig nachprüfenben Sölicf ge*
Zeigt hotte, baburd) z u öermeiben, bafj er if)r ©egenteil: äufjerfte
VefdEjränfung beS Umfanges, geringe ^ßerfonenza^l, innere Ver*
fettung öon Vtenfchen unb Vorgängen, Vermeibung ber nidb>t zu*
gehörigen Slbfc^toeifungen zw leitenben ©efichtspunften bei ben
neuen (Entwürfen erhob.
SMefern ©treben nach Vereinfachung unb feftem ßufammenhatt
entfprachen jene $üge feiner fünftlerifdhen Veranlagung, bie feine
früljeften bichterifcljen Anfänge, bie Valtabenprobuftion, beftimmt
hatten. SDie beften ber Überfettungen unb Vearbeitungen englifdfjer
unb fdhottifcher Vallaben unb ©toffe, bie preufjifdjen gelbljerren*
lieber hotten baS ©eheimnis t^rer SBirfung in bem frifctjen ©riff,
ber fnappen SEBortfunft, ber ptaftifdfen Anfdfjauung, mit ber, oft
in wenigen furzen Verfen, populäre ©eftalten unb Vorgänge aus
©efdjichte unb ©age feftge^atten worben waren. 2)iefe Stec^nif ber
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138
Zweiter £ei{. 2>te epifd^en grüljroetfe
„SRänner unb gelben" fuc^t gontone nun in ben batfabegfen
SRooellen „©rete Sfttnbe" unb „©tternftipp" für ba£ ©ebiet ber
Sßrofa ju erobern.
/J^ofort natf) ©eenbigung be$ SftomanS ging er in frifdjer Schaffens-
v —) luft unb mefjr geftärft als ermübei oont enbüdjen $lbfc§(uf} be£
burdj 3a|re öerfc^leppten SBerfeS an bie neuen päne f)etan. „$>er
Montan" — fctfreibt er on 2BiIf|eIm |jerp — „ift ^mei, brei Sßodjen
fertig, unb ebenfo lange befestigen ntid^ päne für neue Arbeiten."
(9. üftai 78.) Sctjon öerlodtt if)n bie Stoffmelt, bie bie nacfjfialtigften
2Bir!nngen feiner fpäteren SBerfe augtöfen foUte. „5lm Iiebften ging'
id) toieber on etrnag Umfangreiche^ on eine heitre unb, fomeit meine
Äräfte reifen, humoriftifche 2)orftettung unfrei ©ertiner gefeflfdfjaft*
fielen Sebent." 5tber eine gute gügung, mof)t audh ein geheimer
Snftinft, ber ftärfer mar, at§ bie momentane Saune, unb nicht
guliejj, bafj eine unüoHfommene grühftufe bie Stoffgebiete üormeg*
nahm, baran feine $ßerfönlidf)feit ihr (SigenfteS offenbaren fottte,
^ei^t ifm feinen SBunfä) unterbieten.
$ufjere ©rünbe mirfen mit. @r mitt erft ben (Srfolg be$ erften
SRomang abmarten, nicht mieber unter Sorgen unb Ungemi^eit
ein größeres Sßerf beginnen unb barum jmei furje Sßobetlen
bajmifchenfcfjieben. (Sin ©orabbruct mirb oereinbart. £>erp erttärt
fidfj jurn ©erlag bereit, gontane getjt unüerjüglich an bie 5tuS*
füljrung oon „©rete ÜDiinbe". ©on feinem Sommeraufenthalt in
SSernigerobe au8 befugt er Xangermtinbe: „öd) mar anbertfiatb
£age oon' f)ieo fort, um in £angermünbe Kirche, ©urg unb 9tat*
hau§ an^ufetjn. SDu meifjt, bafj meine neue Arbeit bort ihren Schau*
plap f)at." (11. Suti 78.) 5Da§ meltabgefchiebene Seben ber deinen
altmärfifd)en Stabt, ben Söanblungen ber $eit menig untermorfen,
fpridjt ftarf unb tebenbig ju feinem tjiftorifd^en Sinn unb feiner
bidjterifchen ©tiantafie: fRatt)au§ unb ©urg merben midftig für
bie Szenerie ber Sftooelle, bie Saubfctfaft um bie Stabt t)ött ber
geübte ©tief beg SBanbererg in ben dE)arafteriftifct)en ßügen feft.
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2. $ie baßabeSfeu Diotießen
139
Anfang 2 luguft beginnt gontone bie erfte Sßieberfdjrift unb ift
üolt guten ÜUhtteS. Stnfang September ift baS SBerf im SBrouitton
fertig. 3)ann fdhmeigen bie Briefe, bis am 14. Januar 79 fein
naher 2tbfchtufj gemetbet mirb: „Sn brei Sagen bin ich mit meiner
für ,9?orb nnb ©üb‘ beftimmten üßoöelte fertig."
tfcontane meint fjier nicht ben 9Ibfchtufj ber im ©ommer unter«*
O brodhenen Arbeit, fonbern eS ^onbelt fictj um bie 3 meite, enbgültige
gaffung, bie üftonate öon ber erften SKieberfchrift trennen. Unb
biefer ?lrbeitsmeife bleibt er burctj feine gan^e fotgenbe Sßrobuftion
treu. Sn „SBor bem ©türm" fehlt noch Jbie 9lote ftitiftifcfjen @h r,s
geijeS, bie oon nun an immer ftärfer burcfjHingt unb bie befonbre
Strt ber fontanifdhen ^ßrofa beftimmt: fie ift mehr erarbeitet ats
gemachten, tro| ihrer (Sefprächigfeit mehr bemühter ©tit ats epifcher
gtufe, mehr ein freubigeS ©galten mit ben Sßerten ber Sprache,
ein immer fid^rer geübtes 93ef)errfd(jen ihrer Nuancen unb SBirfungen
als ein urjprünglidheS Duetten, ein unmittelbares Treffen unb S3e*
jeidfjnen ber Singe.
Siefe bemufjte SBortfunft oerbinbet ihn ber mertootten Sßrofa
unferer Sage, bie auch im Reichen ftitiftifctjer Seibenfcpaft fteljt,
toie fie etwa ShornaS 9Kann mit feiner offen befunbeten Sßortiebe
für gontane oertritt. Sn einer ßeit, bie ben L’art pour l’art-
tBegriff noch nidE»t fannte, mar es fcfjon gontaneS ©totj, fidh einen
„©titiften" ju nennen, Siefe ©titbemüpungen fepen nach ber ge«*
mäcf>Iidjen SBreite ber „SBanberungen" unb „Sßor bem ©türm" mit
ben battabeSfen Sonetten ein, ber ^trbeitSprojefj mirb iljr 2tuSftu|.
©tept ein Ser! in ben ^auptjügen oor gontaneS Sßpantafie,
fo folgt — meift in fürjefter grift — eine erfte ÜTCieberfcprift, bie
nicpt oiet mehr feftpätt, ats Äapiteleinteitungen, gijierung ber
|jauptpunfte, ber inneren ©emidjtsbispofttion, ber ßparaftere unb
^Begebenheiten. Sann fällt bie mefentlidpe Strbeit unb ©cpmierigfeit,
baS äftpetifdp ßntfcpeibenbe, auf bie StuSfüprung beS ßinjetnen,
ber Pointen im SDialog, baS oon gaffung ju gaffung ficfjrere unb
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140
^weiter £eU. 2)te epijdien grriifiroerfe
ftarere £eraugtreiben bcr ©eftatten unb Situationen, nid)t jule|t
bag Slugmerjen beg SKifctungenen.
iöriefftetlen über „©rete SWinbe" taffen feinen ßweifet an biefer
Strt itirer @ntftel)ung, wenn bag SBerf fetbft nidtjt fdjon beutfidfj
genug fprädje. Sftod) am 5. gebruar 79, Soeben nadj bem ge*
hofften $lbf$tujj ber Strbeit, tefen mir: „SJtidfj nimmt noef) immer
meine für ,9torb unb Süb‘ beftimmte. Sßoöelte total in Stnfprudfj.
§ludj bie Äorreftur ber 5tbfdjrift, bei ber idj jefct bin (britte
Raffung!), ift nqdj toieber eine wodt>entange Arbeit. 3d| bin nun
mat ein Saftter unb Sßufjter unb fann eg nun nicfjt rnefjr log
Werben. Slber etwa am 15. bin id) wirfttef) fertig. 4 ' ©nbtidfj tjat
gontane feiner ftiliftifdfjen, Seibenfdjaft genug getan. 25ie SRoüeHe
erfdjeint batb barauf unb finbet bag Sob ber Äemter. „3m
ganzen mufj i<f> mit biefem üftoöettenbebut fefjr jufrieben fein."
(11. 3uni 79.)
weiertei weift in „©rete 3Rinbe" $um frühen Montane juriidE:
formal bie Übernahme ber Saltabentedjnif, ftofftidj bie Stn*
tetjnung an gegenwartgferne feiten. S)ie ÜRooeHe trägt ben Unter*
titet „92a<f| einer altmärfifcfjen ©jjronif" unb fdljöpft aug ber
totalen Überlieferung beg attmärfifdfjen Stäbtcfjeng Xangermünbe,
bag in ber Äurfürftenjeit oor Stugbruct) beg breifjigjäljrigen Äriegeg
burdfj einen 2lft perfönlicfjer SRadfje ber oottftänbigen ©inäfdjerung
oerfiet. 2)ie Urheberin beg Sranbeg, ©rete üttinbe, wirb jum
9Kittetpunft ber koüeße. SdE)Iid)t unb öotfgtiebt)aft ift bie Äon*
jeption: ©rete wäd^ft im oertrauten Umgang ber Äinberfpiete mit
bem $ftacf)bargfof)n Sattin auf. Unter ben 3ljren ift fie fremb:
bag Äinb einer fdjönen jungen grau, bie aug ber gerne fam unb
batb ftarb. ÜTCadf) bem Stöbe beg Saterg unter bem tjarten SDrudf
beg älteren Stiefbruberg unb ber böfen Schwieger fafjt fie ben
Sßlan tjeimtidjer gtudjt mit Sattin. 2)rei 3af)re oergef)en. Sie
begleiten Sßuppenfpieter auf ifiren galten burdfj bag Sanb, big
Sattin ftirbt. 2)a fefyrt ©rete mit ifjrent Äinbe tjeirn. Sie fuefjt
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2. 2)ie battabeäfen Slobetlen
141
üergebeng bie Stugfößnung beg Vruberg, unb alg bcr Vat bcr
©tabt ißr bag mütterliche ©ut meigert, ftecft fie in einem Stnfalt
irren $offe§ bie ©tabt in Vranb.
@g mar bie $rage, wi* meit biefe ©efcßicfite ifjrer Anlage
nacß bem Talent gontaneg entgegenfam. (Sine inbiüibuatifierenbe
unb pfpdfjotogifdje Vertiefung fdjien nid(jt ratfam, ba fie ben ftoff=*
ticken ©tementen entgegengemirtt hätte. SRur eine Stugfüßrung, bie
bie f^erne ber Vorgänge unb ÜDtenfdfjen unangetaftet ließ, fonnte
junt ©elingen führen.
©g ift ju bemunbern, big $u meinem ©rabe Montane biefen
Stnfprücßen auch gegen feine Statur gerecht ju merben üermoct)te,
bie über bag rein Objeftioe f)inau§ jur perföntießen S)urchbringung
ftrebt unb ben umfaffenben unb begrenjenben £immet einer SBett*
anfeßauung über ben Vorgängen unb SDtenfcßett ju mötben liebt.
9Jtan hat beg öfteren an ben baüabegfen Üttoüeflen bag Unfontanifcße
gerügt, aber eg fragt fidß üietmeßr, ob fie unfontanifcß genug finb,
um gefeßtoffene Äunftgebitbe ju fein.
SDer Anfang üerfpridßt öoHfteg ©elingen. 3)ie epifeße „Sntereffe»
tofigfeit" ift gemährt. ättag bag erfte Kapitel — bei bem übrigeng
bie (Erinnerung an ©ottfrieb ÄeHerg „Vomeo unb 3utia auf bem
$>orfe" maeß mirb — noeß ju ib^Uifd^, gart unb ßelt geftimmt
fein, um ben ©runbafforb beg ©anjen recht aufflingen ju taffen,
ber Fortgang jeigt einen ftraffen Stufbau oßne Stebenroert, eine
fidßere Veßerrfcßung unb ©inßeit ber ©timmung. Seber $ug ift
mistig, ©parfamfeit unb ©inbringtidßteit jeießnen bie ©ituationen
aug, bie ($. V. bag Äapitet „Stuf ber Vurg") im ©egenfafc ju ber
regettofen gütte in „Vor bem ©türm“ forgfam auggemäßtt finb,
an it)rer ©teile nießt nur feßitbern unb ©etait beibringen, fonbem
©pmbotmert haben.
Montane überträgt üon feinen ^etbenbattaben bie Secßnif beg
Knappen, Unüermittetten in ber bloßen Stebeneinanberfteltung üon
©ituationen mit Slugfcßluß beg Verbinbenben unb Stebenfäcßlicßen
mirffam auf bie Sßrofa unb meiß burdß bie SHftanj, bie er ju
feinem ©toff rnaßrt, ben Vergibt auf pfpcßologifcße $teinfunft unb
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142 Bretter 2eü. ®ic epifc^en grüfjtoetfe
gemütliches SRäherbringen, jenen reinen, fügten ©inbruef heröor-
jurufen, wie er oft bei älteren romanifdjen Lobelien fidj einfteUt
unb hier oom ©egenftanb geforbert mar. Ser ©ehattenljeit, mit ber
toeittragenbe ©efchehniffe unb Situationen, ber Schnelle Stob beS
alten SRinbe, ber enbgültige Vruch ©reteS mit Srub, bie bittenbe
©djwefter oor ©erbt, ohne 2lu3jchmücfung, ohne überftüffige fftebe
im ©hronifftit gebucht werben, entspricht baS SBefen ber äRenfdjen.
©rete unb Srub tragen ihren |>afj jahrelang ohne äufjere ßeid^en
in fcheinbar friebtichem Veifammenfein mit fief) herum, bis er plöfc-
lid) blifcartig in ben ©jenen ber oerfpäteten $eintfehr (Äap. 7
unb 13) fid) enttäbt.
Ser ©inbruef beS flhnfweifen, ©parfamen wirb oerftärlt burch
bie langen*$eiträume, bie fich jwifd)en bie ifolierten Vorgänge
ber an fid) fchon furjen SRooeHe fchieben. Sa finb immer wieber
3ahre oergangen, ehe ein neuer VilbauSfchnitt oor baS innere
Vlicffelb rüdft. Sie entfd)eibenben ©chieffate ©reteS unb ValtinS
nach ber flucht werben übersprungen. ©ine Äluft oon brei fahren
trennt Slbfdjieb unb ^eimfehr, bie ohne Vermittlung nebeneinanber-
treten, wie es bie wortfarge ßunft beS VolfSliebeS liebt.
ßum sprunghaft Sähen ber Sedjnif fommt bie $erbe unb
fterue ber ©eftalten. ©S fehlt, was baS Sppifd)e ber fontanifdjen
•äftenfehen fonft auSmacht: ein £auch beS SiebenSwürbigen, Un¬
mutigen, ©hmpathifdjen, ben Später auch bie tefcte feiner Stieben-
geftatten noch öerbreiten fattn. Sftur h^r unb jutn Seit in
„©tternftipp" finb ©haraftere gefennjeidjnet, bie oon SeilnahmS-
lofigfeit unb $a§, innerer Äätte unb greubloftgfeit erfüllt finb.
SBaS man am tppifdjen fontanifdhen 9Renf<f>en ©efühtsfälte ge-
Schotten hat, fteHt fein wahres SEBefen, ©efühtsoerhattenheit,
recht h^auS, wenn man fieht, wie er ben ©eftalten biefer SRoüelte
unter bem ßwang beS ©toffeS jene fjreubigfeit oerfagte, bie feine
tiebeootte Seilnahme fonft ftetS ju fd^affen weif).
©rete Sütinbe hat bie oerljattene ßeibenfehaft unb ben frernb-
länbifchen ©infcfjtag ber SDlarie auS „Vor bem ©türm“, aber nicht
ihre Sernut. ©ie fann nicht leiben, aber fie Witt eS auch nicht.
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2. Sie baüabesfen 9toüeöen
143
«Sie bittet ihren Stüber um Serjeiljung, aber eS ift eine äußere
ißofe, üott ber ihr ftofyer Sinn unberührt bleibt. Sie will nicht
Xroft nnb ©nabe, fonbern Stecht, bie SatSmannen ber Stabt
f ollen fie nicht auf rieten, fonbern richten. — Xrub befifct bie
Siebe, bie fie ©rete unb Sattin neibet, fetbft nicht nnb weif} fidf)
auch nicht bie Siebe anberet jn .erringen: fremb ift fie im eigenen
§auS unb muff üor bem alten ©igaS ben Slid fenfen, wenn er
ihren Slnfcfjulbigungen ©reteS mit ber fjrage antwortet: Siebt iljr
baS Äinb? — Sei ©erbt, bem Stiefbruber ©reteS, tritt bie feelifdje
Serljärtung öollenbs als Stumpffinn auf, ber ins ^ämifdfje um*
fchlägt, wenn anberen ein €rger ober Unrecht gefdfjieht.
$)iefe unerfreulichen äßenfdhen, bie baS perfönlich Unbeteiligte,
Wie eS fc^on aus ben ftitiftifdhen Momenten fpridht, oom 3nf)alt
her üerftärfen helfen, h«*ben einzig in Saltin, bem ©eliebten ©reteS,
ihren SBiberpart. SDie ©eftalt biefeS ©utmütigen, ber wiber beffere
©inficht ber ©eliebten in bie ftrembe folgt unb ein hartes Sdhidffat
leibet, gab bie einzige SSöglidhfeit einer menfchlidljen Zuneigung,
eines innerlichen SSitgehenS für fjontane, ohne ben ©h ara ^ er beS
©ntwurfs ju fdhwächen. 2)o<h er tonnte ber Serfudhung nidht
wiberftehen, beS ©Uten gu öiel jn tun, Wiber fein inftinftiöeS
SBiffen um bie Stnforberungen beS Sujets am ©nbe hoch baS Sein*
3Kenfchliche aufleuchten ju laffen, ein weltanfdhaulicheS ©lement yt
bie ©rjählung hweinäutragen, unb fo entftanb jener ßwiefpalt
ber inneren $orm, ber um fo ftörenber wirb, je mehr bie Sooelle
fich ihrem ©nbe nähert. Sicht bafj bie SSenfdhen unb Sorgänge
fern bleiben, fonbern bafj fie nidht fern genug bleiben, ift ber
äfthetifdhe ©inwanb, ber gegen „©rete SSinbe" erhoben werben
muff, ba| ©efprädh unb ißfpdhologie an Stelle ber $u Seginn be*
nufcten 2)arfteHungSmittel treten. Unb als erft einmal biefe>©te*
mente, benen fJontaneS oerwanbte Satur antwortete, in baS werbenbe
SBert hineingeraten waren, mochte ein neuer, ftörenber, bem ur*
fprünglichen ißlan entgegengefefcter ©efid)tSpunft fidh in ben Seffe*
rungen ber einjelnen Sieberfchriften immer mehr burdhfefcen nnb
auch in ben erften, einheitlidhen Seil ber Sooelle einbrängen.
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144
^weiter £eü. 25ie epifdjett grüfytoerle
Montane zieht feinen ©eftatten, tote fie nun einmal finb unb
bleiben mufften, ben 33oben unter ben puffen weg, fobalb fie an*
fangen, über fich unb ihr Xun zu reben, ja über fich felbft ju
©eridjt zu fifcen. ©rete ift glaubhaft, toie fie Montane in überjeugenbe
Situationen ^ineinfteHt, aber fie toirb Sprachrohr gontaneS unb
beS neunzehnten SahrljunbertS, toenn fie jum fterbenben SBaltin
rebet ober ihr Äinb Strub unb ©erbt jur Aufzucht geben will.
$rub toirb untoahr, toenn fie im tarnen ber poetifdjen ®erecf)tig*
feit baS Urteil über ©erbtS SüuStoetfung ber Schtoefter fpridjt.
gontaneS Humanität brach boef) am ©nbe burd) bie felbftgezogenen
Sdjranfen, bulbete nid^t, baf} eine bichterifdje Sßirflichfeit ohne
S3ezug zu feiner 2Seltanf<hauung bleiben, oon bem ethifdjen ©runb
feiner ^ßerfönlic^fcit toSgelöft, ein felbftänbigeS ßeben führen füllte.
2BaS ihm in ber furzen SßerSbaUabe möglich getoefen toar, ertoieS
fich bei ber noch fo furzen Profaballabe als Unmöglichfeit: ein
Sehen unb Sfachbilben ber äftenfehen oon aujjen her.
©in neues bemühen, baS geheime feetifd^e SCriebtoerf biefer
fernen Sötenfchen barzulegen ober toenigftenS teiltoeife aufztihellen,
fommt in Äonflift mit ber anfänglichen batlabeSfen £ecl)nif, bie
Pfhdjologie ber ©egentoart toirb in biefe fremben Seelen hinein*
getragen unb bamit ihrer herben, unoerföhnlichen 5trt oom 3)idjter
felbft toiberfprochen. 2)er ©egenfap ber proteftantifdfjen Prebiger
©igaS unb 9toggenftroh z u ben Tonnen oon Ülrenbfee ift nur
noch um beS 333eltanf<hauli<hen, SUtobernen, fffontanifchen toiHen ba,
toar bie Slbfidjt, baS bjiftorifc^e Kolorit bur<h biefe $intoeife auf
bie erbitterten ©laubenSfämpfe zu beleben, oorhanben, fo ift fie
überwuchert worben, ©in ftörenber 2on fubjeftiüer Parteinahme
mifd^t fich ^ bie objeftioen Vorgänge. Unoermittelt treten ber
Äälte unb bem ^afj ber £auptgeftalten bie prononcierten begriffe
oon ©lauben, Siebe unb Sßerfgeredjtigfeit entgegen.
2BaS wir an Montane fonft fo hoch ftellen, bie einfache Süchtig*
feit feiner 9latur, hier toar fie einem Stoff nicht günftig, ber feine
gorberungen in fich trug nnb einen SSerjid^t oerlangte, ben Montane
Wollen, aber nicht bringen fonnte. ©r leitet am ©nbe eine „Schulb"
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2. Xie boUabesfcu s J?ooeIIeu
145
©reteg baraug ab, bafj fic nur aug ^offart ffiefjt, um ficf) ferneren
©erpffid£)tungen ju entziehen, niefit einem inneren $mang folgt,
unb roiberfpridjt bamit ber ©eftalt, bie öon Stnfang an anberg
tjätte gebilbet merben müffen, menn ©d)icffal unb Sfteue aug if)rem
SEBefen ficf) ergeben fottten, ftatt bem fontanifdjen @tf)og ju ent*
fpringen. @r gönnt feinen ÜKenfcf)en if)r ©igenleben nid^t unb bag
füfjrt bie pracfjtöofl anfteigenbe SßooeUe zum matten ©djfufj. SBafjr*
fjeit unb SEBirfung be§ ©anjen finb in Ofrage gefteUt, bie §of)en
©injefoorjüge fönnen feinen Sfuggfeicf) tyerbeifüljren. 9iur ber
menigen, einbrucfgöoH mit ber ©efcfjidfjte öerffocf)tenen Sanbfdjaftg*
bilber unb »ftimmungen fei befonberS gebadet. 3f)re Äfartyeit, iljr
Berber fjarbenglanz mirb in ben fpäteren Romanen nic^t mefyr
öbertroffen, nur f)ie unb ba nodj erreicht. SEBag Montane in ©rete
ÜDtinbe non ber ©djönljeit be§ nörbficf)en $erbfteg — fdjon öom
SBanberer burcf) bie SJlarf wieber nnb roieber gerühmt unb nodj
in „@ffi ©rieft" bie einzigartige ©erflärung beg ©nbeS — feft*
gehalten Ijat, ift bag ©teibenbe beg SEBerfeg, fetbft bie öifionäre
Äraft ber lebten ©eiten roeift nur barauf f)in, bafj ber ©toff zu
einer einbrucfgöoflen ©offgbaHabe fidj ber g-orm ber mobemen
^ßrofanoöeße nicf)t fügen fonnte.
ratlernflipp", bie zweite ber baflabeSfen 9?oöetten, ift big in
®inzeif)eiten bag ©egenftücf zu „©rete ÜWinbe". Montane
mar ficf) biefer ©ermanbtfcf)aft menigfteng öom ©tit Ijer bemüht,
benn er grenzt beibe in einem ©riefe Ijumoriftifcf) afg „9Jlit*Unb*
ÜRoöeßen" gegen bie mobernen, bie „Df)ne*Unb*9ßoöeffen“ ab. „3<fj
opfre 3f)nen u — Reifet eg in biefer fef)r djarafteriftifcf)en Stugfaffung,
bie ©ermaljrung gegen bie ©erbefferungen einfegt, benen er fiefj
bei ber ©inficfyt ber Äorrefturbogen zu „©ffernffipp" auggefefct
fief)t — „meine ,©unftumg‘, aber meine ,Unbg‘, mo fie maffenf)aft
auftreten, müffen ©ie mir taffen. begreife, bafj einem f)immef*
angft babei merben fann, unb boef) müffen fie bleiben, nad) bem
alten ©afje: oon zmei öbefn mäf)fe bag ffeinere. — SEBarum müffen
©anbrcij, gontanc 10
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146 Smiter !Eeü. 2>ie epifc^ett gfrü^merfe
fie bleiben? ©$ ftört, e$ öerbriefjt ujw. Unb bod^! 3<h bilbe
mir nämlich ein, unter uns gejagt, ein ©tilift $u fein, nicht einer
bon ben unerträglichen ©lattfehreibern, bie für alles nur einen
$on unb eine gorm haben, jonbern ein wirtlicher. 2)aS helft*
aljo ein ©chriftfteller, ber ben Gingen nicht feinen altüberfommenen
üftarlitt- ober ©artenlaubenftil aufewängt, jonbern umgefef)rt einer,
ber immer wechfelnb jeinen Stil aus ber Sache nimmt, bie er
behanbelt. Unb jo *fommt es benn, bafj ich ©äfce jehreibe, bie
oierjehn ßeilen lang jinb, unb bann wieber anbre, bie noch lange
nicht bierjehn ©üben, oft nur bierjehn öuehftaben aujtoeijen. Unb
jo ijt eS auch mit ben ,UnbS*. SBoUf ich alles au f ben Unb-Stit
fteHen, jo müfjt' ich als gemeingefährlich eingefperrt toerben. Sch
jehreibe aber 2Jtit*Unb=>9toDeHen unb Ohne*Unb-SRooellen, immer
in Slnbequemung unb SRücf ficht auf ben ©toff. 3e moberner, ‘befto
Unb*lojer. 3e jehlichter, je mehr sancta simplicitas, befto mehr
,Unb‘. ,Unb‘ ijt biblifch*patriarchalifch unb überall ba, wo nach
biejer ©eite hin liegenbe Sßirfungen erhielt werben jollen, gar nicht
$u entbehren. 3m ©injelfafl — bieS gefteh ich 9 crn S u — fann
eS an ber Unrechten ©teile ftehn, aber bann mu| ber ganje ©a$
anberS gebilbet werben. ®urch blojjeS SBeglajjen ift nicht $u halfen.
3m ©egenteil." Stimmt man ju biejer ^Rechtfertigung, auS ber
beutli<h ein bewußter ©tilfünftler fpricht, ein fpätereS SefenntniS
fjin$u, baS baS Problem ber lebenbigen SRebe in ber SDidjiung
berührt, jo heiftt eS ähnlich*. „2öie joll man bie 2Renfcf}en jprechen
lajjen? 3ch bilbe mir ein, bafj nach biejer ©eite hi« eine meiner
Forcen liegt unb bafj ich anch bie heften (unter ben ßebenben
bie Söeften) auf biejem ©ebiet übertreffe. SReine ganje Slufmerljam«.
feit ift barauf gerietet, bie ÜRenfchen jo jprechen ju lafjen, wie
fie wirfüch jprechen. 2)aS ©eiftreiche (was ein bibdjen arrogant
flingt) geht mir am leichteften auS ber geber. 3ch bin — auch
barin meine franjöftfche Äbftammung oerratenb — im ©preßen
wie- im Schreiben ein ©aufeur; aber weil ich öor allem ein Äünftler
bin, Weib ich genau, wo bie geiftreiche ©aujerie hingehört unb wo
nicht. 3n ,®rete 9Rinbe‘ unb ,®Hernflipp‘ hetrfcht eine abjolute
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2. 2)ie fcallabeSfen Zottelten
147
Simpli$itatgfprache, aug ber ich, meineg SEBiffcnS, auch nicht einmal
herauggefaHen bin; in ,ß’21bultera‘ unb ,Scharf} bon 2Buthenoro‘
liegt eg umgelehrt."
2)iefe Briefftefleu, mistig für ^ontaneg ©inficht in bie ©efefce
ber epifdjen Äunft unb bag Spezielle ber eignen Begabung, laffen
eine mefenttidje $rage unberührt. @g fommt alleg barauf an, inmie*
meit ein Stoff, ber, mie Montane richtig erlennt, nicht inbifferent ift,
fonbern fdjon beftimmte Ömrberungen in fi(f> trägt, unb bie Statur beg
S)i^terg, bag, mag bon it>r mitteig beg Stoffeg heraugtritt, $u einer
Pieren ©iuheit jufammengehn, $ornt im höheren Sinn merben fann.
Sn „©rete SDtinbe" mar bie Spntljefe bon ftofflicljem Bormurf •
unb bidjterifdjer Verarbeitung nid}t jroingenb gemefen. $ontane
lannte mohl feine Slnforberungen unb fud)te if>nen nadjjufommen;
er bemühte fid^ um eine Simpli^itätgfprac^e, um einen ber Sache
entnommenen Stil, um bie Schlichtheit unb sancta simplicitas:
er fdjrieb eine Unb*9tobeHe. Slber charalteriftifche ©lemente feineg
SBefeng, bag ftranjöfifdje, ©eiftreidje, ber $ang ju petfönlicher
Slnteilnafjme, ftaubeu biefer Bemühung ju fremb gegenüber, alg
bafj eine bolle $)urd)bringung fjätte erreicht merben lönnen. SCrofc
aller ftiliftifchen ßeibenfchaft fdjuf Montane immer bon einer
lebenbigen SRitte f»er, ber mitfühlenbe SRenfdj belam über ben
benlenben Zünftler bag Übergemidjt. Ohne fein SBiffen brängte
bie ©auferie unb Parteinahme unter ber SJtagfe pointierten ©e-
fprädjg über religiöfe ©egenfäfce fid) ein, unb fo fiel er am ©nbe
bodj aug ber Simplijitätgfprache fi<h felbft nicht miffenber ÜDtenfchen.
©rete ÜDtinbe unb £rub analpfierten fid), fprachen ihr Snnereg
aug, brachten eg auf eine fjmnnel, mürben geiftreidj auf Äoften
ber bidhterifdhen 2Sir!lid}leit, mürben moberne SRenfchen, il)t
$iftorifd)eg mürbe blofjeg Äoftüm.
CVn „©Hernfüpp" ift ftontane jum jmeitenmal an ber Stufgabe
/O gefdheitert, eine ihm unmögliche St)nthefe ju erjmingen. SEBieber
bie Bearbeitung eineg fernen Stoffeg, biegmal nach rinem
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groeiter Xeil. 5)ie epifcfyen griU)ioer!e
Kirchenbuch- 3m |)erbft 1879 entfielt bie erftc Sßieberfdhrift, toie
bei „©rete SJtinbe" ein unausgeführter, alles feineren Details ent»
be^renber ütohentmurf, ber bann längere $eit ruht. @rft ein SBrief
oorn 14. 2Jtär$ 80 oerhanbelt mit KarpeleS, bem Sftebafteur ber
Söeftermannfd)en ÜJionatShefte über ben Sorabbruc!. SllS er ge»
fiebert ift, geht $ontane noch öor 9tuffu<hen ber ©ommerfrifdhe
in Serlin an bie eigentliche Arbeit, bie jtoeite Raffung. „,©Hern»
Kipp* liegt in »ergebenen Kapiteln linlS unb rechts auf meinem
$ifd). Sch bin fehr fleiptg. babei, lomme aber nur langfam öon
ber ©teile, ba fid) baS Sheater in ©aftfpielen überfchlägt. Slnbere
Störungen fahren auch bajtoifchen." (3. Suni 80.) Qcrft bie ßurücf»
gejogenheit in Sßernigerobe läfj’t bie öoUe SlrbeitSfraft ber Korreftur
jugute Jommen. Son Anfang Sluguft ift er bauernb um bie Wo*
öeHe bemüht, unb toie bei „@rete SERinbe" bereitet bie enbgültige
^erftetlung beS STejleS bem ©tiliften bie größte äftühe unb ©orge.
„@S h a P ert mitunter mehr, als man, in $offnungSbufelei, an»
nehmen jn müffen glaubte. Solle ad^t SEage höbe ich gebraucht,
um baS in Slbfchrift üor mir liegenbe erfte Kapitel in Drbnung
ju bringen (britte Raffung!). Unb ein paar ©teilen genügen-mir
auch i e fct noch nicht unb müffen, nach erneuter Slbfcfjrift, mteber
unter bie Seile. 9tun müffen ©ie aber nid^t fürchten, bafj baS fo
meiter geht. 3)aS erfte Kapitel ift immer bie |>auptfache unb in
bem erften Kapitel bie erfte ©eite, beinah &ie erfte ßeile... Sei
richtigem Aufbau mujj in ber erften ©eite ber Keim beS ©anjen
fteden. S)aher biefe ©orge, biefe ^uffelei. $>aS Solgenbe fann
mir nicht gleiche ©cf)tt>ierig!eiten machen, unb fo benf idh, idh ber»
fpreche nicht ^uoiel, menn idh foge: ich merb’ eS am 31. b.
eingefchrieben jur Sßoft geben." (18. Sluguft 80.)
^\en Snhalt ber SRobelle hot 3°ntane auf ©runb ber erften
r<J Sftieberfdhrift fo ffixiert: „©HernJltpp. Sftach Aufzeichnungen
eines $arjer Kirchenbuches, ©pielt unmittelbar nadh bem fieben»
jährigen Kriege in einem £>arjborf. ©iferfu^t beS SaterS gegen
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2. Sie büllabeSfeit JJoOcßeu
149
ben @of>n. 3)er ©ohn fällt als Opfer, bis gulefct auch ber Sitte
ben Vifionen feiner ©djulb erliegt. Hauptfigur: ein angenommenes
$inb, fdjön, tiebenSWürbig, poetif<^=apatf)ifcf>, an bem i<h befliffen
gemefen bin, bie bämonifch*unroiberftehliche üJtacht beS illegitimen
unb Sanguiffanten gu geigen. ©ie tut nichts, am menigften etwas
VöfeS, unb bocf) oerwirrt fie regelrechte SSerJjättniffe. ©ie felbft,
ohne ben ©runbton ihres SB'efenS gu änbern, oerflärt fidh unb
überlebt baS SBirrfal, baS fie geftiftet."
3)iefe ©figge, ber bie SluSführung entfpricht, geigt fchon,- »aS
„©llernflipp" mit „©rete ÜJtinbe“ oerbinbet unb mo bie geheimen
©efaljren beS ©toffeS für gontane lagen. ©S h&nbett fich um
ÜDtenfcfjen ber Vergangenheit, nicht fo fern toie in ber langer-
münber ©ef<hi<hte, aber immerhin reichlich h u ttbert Sah re surücf*
liegenb unb barum oon einer Sßfpche, bie SBefentlicheS t»on bem
fongilianten fühlen ber mobernen ©egenwart trennt. 5)aS Valla*
beste ber Vorgänge — ©iferfudjt, 9J?orb unb ©üljne aus Siebes*
teibenfchaft —, baS Unbifferengierte ber SJienfdhen, bie in ber Sßelt-
abgefdjiebenheit ihreS*HargborfeS ein einfaches, bobenftänbigeS Wa¬
fern führen, legten eine fnappe SluSführung nahe, mehr auf Sin*
fchaulichteit, garbigfeit unb ben ©eftuS gefteßt, als auf feetifche
$iefenfcf)ürfung, pfpdjologifche Stnalpfe unb innere Veweglichfeit.
Söieber gibt gontaneS Steflejion ihm bie richtigen 2Jtittet an bie
Hanb, aber toieber fprengt feine ©mpfinbung bie innere ftorrn.
Stur toirb ber Vruch weniger bemerfbar, ba eben „©llernflipp" bem
geitgenöffifchen ©mpfinben immerhin näher gerügt ift, als bie gang
ferne gühtmeife ber nachreformatorifdjen Beit. •
SBie in „®rete ÜJtinbe" tritt bie Verfdjiebung ber treibenben
Äräfte erft allmählich ein. $)ie erften Kapitel ftnb am gefchloffenften
fomponiert unb auSgeführt, ein rechtes ^rälubium ber ©efchichte
unb bem gu ftimmungSmeichen Slnfang oon „©rete SJtinbe" ent¬
fliehen überlegen. 3)ie ©eftalt ber noch finblidjen Hilbe ift mit
gang wenigen ©trichen fidler gegeichnet. 3h re moralifche Bnbiffereng,
baS ©rbhafte, mit ber Statur Verwachfene, ber SBechfel oon Bähe
unb Säffigfeit, baS grembartige, baS oom Vlut fyt als un*
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150
3weiter Seil. Sie epijcfjert grüljwerfe
beftimmte ©ehnfucfjt nach einem fernen $raufjen, als innere £eintat=
lofigfeit fich funbgibt, baju ein reifer £>ang jum SJtyftifchen, ein
Streben aus ber ftrengen Äälte beS ^ßroteftantiSmuS jum fhtnlich
Anbaubaren beS alten ©laubenS, wie eS auch in „©rete 3ttinbe" unb
foater in „Steile", ber nachgeborenen ©djwefter |)iIbeS, lebt — aÄ
bieS wirb bei Montane jum glaubhaften AuSbrudf einer menfeh*
liehen (Einheit, einer llar nmriffenen ©eftalt. £>ier ift jene geforberte
©implijität erreicht, jenes einfache, oon feiner flteflejion unb pf^d^o*
logifchen Ausbeutung geftörte ©«hauen ber SGBelt, jenes reine Auf*
fangen ber ©ichtbarfeit, baS bie epifdje Äunft fo nahe an bie bilbenben
Äünfte riteft.
Aber wieber beginnt au«h baS ^ßroblematifche ber 9?ooeHe bei
ber lebenbigen ütebe. ©S ift ein anbereS, im ©implijitätsftil
fdhreiben unb ättenfcfjen ©implijitätsfprache fpred^en ju laffen.
$ilbe wirb altflug, mit einem berliner ©infchlag, im ÄonfirmationS*
unterricht bei Sßaftor ©örgel; unb bleibt biefe Störung im erften
$eit ber üWobeHe, wo ber ^orm^wiejpalt noch «ic^t eingetreten ift,
auch öereinjett, ihre SBorte wollen fcf)on jefcf nicht red^t mit ihrem
©ebaren jufammenftimmen, fei eS, bafe fie jur alten Schaffnerin
©riffel — eine fßaraffelfigur jur SRegine in „©rete ÜJiinbe" —,
ju SKartin — ber wie Baltin baS paffioe ©lement in ber ©e»
wegungSöfonomie ber SRooelle oertritt — ober ju Welcher $arntS
fprid^t, bem alten ©iehhirten unb Äonoentiller.
^aftoren unb Äonoentifler, oon „Vor bem ©türm“ bis jum
„Stechliw!' SieblingSfiguren ^ontaneS, oerbanfen ihre wichtige
Stellung im ©ebaube feiner SRomanfunft bem Umftanb, bafj fie
ein willfommeneS unb natürliches SJiittel ftnb, lang unb gefchloffen
reben ju laffen, oor allem SBeltanfdhaulidheS beijubringen. 3n ben
fpäteren SBerfen finbet eine engere Verflechtung biefer Figuren
in baS ©efüge ftatt, ber ©eift unb baS ©thoS ber ©efchaulichen
unb Äonjilianten ift oft baS ©tljoS beS ganzen SöerfeS. Auf ber
fjrühftufe ber badabeSfen Lobelien ift eS noch Seilgehalt unb wirb
oerhängnisooll, ba eS bet Interpret h^reinfchmuggelt, ftatt aus bem
®ern ber ©efchi«hte ^crauSentwidfett.
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2. 3)ie baüabeäfeit 9toüeflen
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Sn „©rete SRinbe" finb ©igaS unb bie Strenbfeer Tonnen
bic weltanfdfauticfien ©egettpole; in „©Iternflipp" ÜIRelctjer $armS
uttb Särget. ©ogmenftrenge unb SBerftätigfeit fielen bort, ftarrer
©taube unb SRenfdfjenliebe Ijier fid^ gegenüber, ofjne bafj bie SRot-
Wenbigfeit einer inneren SBejiefjung jur öorgetragenen ©efdfjicfjte
fühlbar würbe. „©tternftipp" fd^eint jwar eine leife Neigung ju
breiterer epifdfjer ©ntfattung, gegenüber ber fnappen Söegrenjung,
ber öitbtedjnif in „©rete SDRinbe" ein SRebeneinanber frentber
(Steinente etjer jujutaffen. ©odf) eS f)at bomit nicf)t fein Söewenben.
2Bie ©igaS für erlaubt f)ätt, aus bem Übereinfommen ber tnenfd)*
tidfjen ©efeflfd)aft fjerauS^utreten, wenn ein ^öfterer fRuf eS ge-
bietet, unb bamit metapI}orifc£) oon ben gorberungen beS StuteS
rebet, benen baS $anbetn oft metjr unterworfen ift als ber
Äonoention, fo erfennt ber $eibereiter bie Söeredfjtigung eines eigenen
SBittenS bei $itbe an, füt>tt er fiel} fetbft unter bem ßwang eines
SBertfängniffeS, baS einfaef) beftet»t unb worüber ein SReben unb
Urteilen nietjt taugt. „©S Wirb nichts ©uteS. 3d) fütjf eS ...
®S fann nietjt. Sdf) f)abe woljt baS ©infetjen unb baS Singe, baff
eS beffer Wär’, eS wäre anberS; aber weiter §ab’ idj nidfjtS. Unb
ob bie Sd£)ulb mein ift ober nidfjt, unb ob idff’S öerfatfren fjab’
' ober nidf)t, eS rnufj bleiben, wie’S ift, unb eS muff geffen, wie'S
will." ©er fettfame ßwiefpatt biefer SluSeinanberfefcung offenbart
ben 3wiefpatt KontaneS: ein $Rid)t-urteilenwotten unb ein Urteilen-
müffen, äfttjetifetje unb perfönlid&e Korberung liegen im Streit.
Sotdje Stellen finb SßarnungStafetn, bie Montane fidf) felbft auf-
rietet. ©ie Kommutierung beS SRetdjer $armS: „sijr S3tut ift it)r
SoS, unb ben Sungen reifjt fie mit tjinein. @S gefdjieljt, waS muff,
unb bie Sßunber, bie wir fetjen, finb feine SBunber. ©wig unb
unwanbelbar ift baS ©efefc", ift ein ©rüder unb wäre ent-
beljrlidfj, wenn in ber ©arftettung alles tjerauSgefommen wäre.
Stber fdjtiefjtict) gibt eS bodj SBunber, Umbiegungen ber ©t)arafter.e
unb ber ©efdfjidfjte, Kmontwed^fet unb Schwächungen. K°utane täfjt
ben ^eibereiter in tanger Siebe an feinem ©eburtstag fidj ergehen,
mit pfhchologifdfjer Äteinfunft in feinem eigenen Snnem beltfid^tig
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152 3> u citer Seil. ®ic etnfdjeit griüjweife
fyerumfpüren, um beit feefifdjen guftanb ^or ber Xat ju jeicljnen
unb biefe ju begrünben. SBeniger märe mel)r geroefen, bie jä^e
©djlagfraft ber ©jene, in ber SBater unb ©ofytt auf ©Hernflipp
jufammenprallen, t»atte folcfje fubtile SSorbereitung nidfjt nötig, oer*
iüifd^te oielmeljr ben plaftifdjen Umrifj beS roortfargen, ungefügen
ÜKanneS. — Slucf) DilbeS ©Ijaraltet roirb umgebogen. 3ft iljre
£eirat aus „f^urd^t unb 2)an!barfeit" noclj allenfalls glaubhaft,
if)re SBerflärung in „^rieben, ©trauen, SBerföfntung", bie SBer«
fe^rung it)rer Statur in $>emut unb Sßerltätigfeit wirb lebiglidj
berietet, bleibt ein fontanifd^er S33iHe, bem bie formenbe £>anb
feljlt. S)er 2)idjter mag baS felbft gefüllt Ijaben, als er bie S8e*
gebniffe, bie bem ©elbftmorb beS ^eibereiterS folgen, in rafdfjem
KeljrauS auf baS le|te Kapitel befdpänfte. ©S tut bem ©anjen
mef)r ©intrag, als baS eS bie ©efdjicljte abfdfjlöffe, bie fd^on üor*
fyer ju ©nbe ift.
®te Slnalpfe ber Stooelle füfjrt ju ben gleidfjen Stefultaten toie
bei „@rete ÜDtinbe". ßafylreidje äußere SBergleidjSpunfte laffen fiel)
jttifcljen beiben anffinben: bie Parallelität ber Perfonen; bie
piö$licf|!eit ber entfcfieibenben ©jenen; bie tppifd&e fjrift oon brei
Sauren, bie nacf) bem ^auptoorgang fid) einfdjiebt unb bie
feelifd^en SBanblnngen im 2)nnfel läfjt; bie Konfrontierung äljn* *
lid^er Momente toie baS ©inbringen beS erfdjoffenen SBilbbiebeS
unb beS |>eibereiterS; baS Sejieljen ber ©efdjidjte auf öolfstümlicfje
SBerfe, bie oon Unbeteiligten gefungen roetben; gefpenfterljafte $üge,
toie baS Stufen im ©isbrudf): all bieS ge|t auf bie SÖallabentedfjntf
jurüdE, bie Iper nidfjt mef)t fo auSfcl)lief}Iicf) rote in „©rete SDtinbe",
aber bod§ ber $auptfad(je m6) nocf) f)errfd>t. 2)iefelbe unfontanifd^e
©timmung ber ftreublofigfeit, ber unoerfölptlidjen £ärte, ber
Iäfpenben Trauer feljrt roieber, ber $erbft als bie ber ©timmung
entfpred^enbe SafjreSjeit. ©rete SJtinbe oertrauert ifjr ßeben mit
ber $ut beS KinbeS oon ©erbt unb SCrub, £ilbe unb SJtartin
leiben barunter, baft bie greube nid)t in ifyrern $aufe l>eintifdj ift,
baS Seben roirb if)nen jur Saft, iie alte ©riffel faßt ins Un*
fpmpfjatifclje, |>ämifdfje roie©erbt —, roenn fie auf $ilbe unb
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2. ®ie baüabesfen ÜRoöeUcn
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UWartin $u fpredjen fotnrnt unb ben ©eift beS Kaufes treffenb in
bic SEBorte fafjt: „233aS ein richtiger §eibereiter ift, ber peilt auf
ben alten Suttb unb aufs alte Xeftament. Unb ttrntum? SBeil es
fdfjärfer ift." ©otdpe ©äpe entfpradpen menig gontaneS füteinung,
bie am (Snbe ben oerföpnlidpen ©cplufj erjtoang, baS beutlidpe
©pmfjol beS ßmiefpalteS öon Äonjeption unb 2tuSfüprung, öon
objeftio* BaHabeSfer unb fubjeftiö*perfönlicper ©trebung, bie nicpt
jur (Sinpeit gefommen mären.
/JJ<tarf unb rein würfen audp in „(Stternftipp" bie ßanbfdpaftS*
v —) fgenerien unb »ftimmungen. 216er gontane täufcpte fiep über
ipre Sebeutung, menn er eine einheitliche Sßirfung ber SRoüeUe
öon biefen (Elementen erhoffte: „2ttan ntufj felber nacp Sßernigerobe
gepen, auf einem SBalbpügel ober einer ©raSmalge fi|en unb bie
©efcpicpte non bem rotblonben, nidpt jum ©lüde geborenen Äinbe
lefen." (Sr prätenbiert, eine ©timmungSnoöelle gefcprieben ju paben,
unb baS täfjt an Stpeobor ©torm benfen. ©eiüifj fommt er bem
rückhaltlos berounberten ßprifer unb epifcpen ©egenpart nirgenbS
näper, aber ein genaueres gufepen bedt ben ganzen Unterfdpieb
ber beiben Naturen auf. •
Sei ©torm ift „©timmung" 2tuSbrud feines ßebenSgefüptS
unb ßentrum feiner ßunft, bei gontane ein 2)arfteHungSmitteI
neben anberen. SBettabgefdpiebenpeit unb Sßettfrembpeit dparafte»
rifieren ben ftormfcpen üftenfdpen, ißrimitiöität feine Äonflifte.
Sei gontane bleibt baS ^rimitioe unb gerne eine ©tilforberung
beS ©toffeS, in feinen fpäteren Sßerfen ift er oft fepr kompliziert
* unb aftuett. ©tormfcpe ©eftalten finb jart unb burcpficptig, haben
mepr ©eele atS Körper, finb mit leidsten 2tquareHfarben gemalt,
bie nichts fßtaftifdpeS unb (SrbfcptöereS feftpatten fönnen, ßaübfcpaft
unb gigur gteidpermeife in ©timmung auflöfen. Sei gontane ift
ftetS ber plaftifcpe SIRenfdh |)aupt|acpe, ipm toirb alles untergeorbnet,
©timmung bleibt — felbft in „(Süernfüpp" — ein ÜJtittel jur
Serbeutlidpung. ©tormS jarte unb bocp jäpe (Smpfinbung ift oon
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154 Breiter ^eil. ®tc epifcfyen 3rriüjtoer!e
einer fettfamen Unbemegltcßfeit. ßeiträume toerben übermunben,
baS ^eitgefüßl getötet, Vergangenheit, ©egenmart, gufunft öets!
fcßmtmmen in einer reinen ©egenmärtigfeit feelifcßen ©eins. ©r
tenbiert auf Stefultate ftatt auf Sßrojeffe, aufs guftänblicße ftatt
auf ^anblung, alles ift bem einen ©efießtspunft ber ©timmung
untergeorbnet. — ©omeit in „©tternflipp" biefe ©lemente im ©piel
finb, ßanbelt eS fieß um SluSbrudf menfeßließen SöefenS unb ben
©har öfter ber ergötzten ©efeßießte, meßt um ein urfprünglicß im
©r^äßler ©efeßteS. g° ntane hält fidß in „©rete Sttinbe" unb
„©Hernflipp" im 'Jßpifcßen, meil er areßaiftifeße SSirfungen an«»
ftrebt, ©torm muß im Sßpifcßen oerbleiben, meil er alles in ber
$orm ber ©timmung erlebt, bie auf ein Vermifcßen ber feßarfen
Konturen, ein tilgen ber cßarafteriftifcß*inbiöibueHen $üge oon
bornßerein aus ift. SBenn er baS ©igenfte im ©cßidffal feiner
SÄenfcßen in bie Vergangenheit legt, ergäßlerifcß bureß britte Sßer*
fonen Beibringen ober fie als ©r^äßter beS eigenen, hinter ihnen
tiegenben ©cßicffals unb SebenS auftreten läßt, fchon abgeflärt,
unter ßöfeßung beS ©harafteriftifchen jum Stilgemeinen empor*
geläutert, fo hobelt es fid^ babei um ben StuSbrudf feines perfön*
lidhen SöelterlebenS, mährenb Montane bie gemottte SCßpifierung
am SluSbrudf feiner Statur, bie jum ©harafteriftif(hen ftrebt,
hinberte. ©tormS Sftenfcßen reben immer eine ©dßrift* unb ßiteratur*
fpraeße, inbioibuette Tonfälle, wie fie ber fpätere Montane meifter*
haft nachbilbet, mürben ber einheitlich binbenben ©timmung feiner
Stabellen, ihrem gleichmäßigen $luß, ihrer Stamantif entgegen*
mirfen. Vei Montane ift baS Stamantif che, mie bie frühe Vallaben*
probuftion jeigt, eine äußere Secßnif, er felbft ganj unromantifch,
eine mirflicßfeitS* unb gegenmartSfroße Statur, bie bie 2>inge gern #
oßne ben berßüllenben ©cßleier ber ©timmung fießt. Stüdft er
©torm in „©Uernflipp" naß, fo ift eS gerabe baS Unfontanifdße,
maS bie Verbinbung feßafft. Unb ber Vrucß in beiben batlabeSfen
Stabellen meift beutlicß barauf ßin, baß er auf Unrechtem 2Beg,
nodß ein Serbenber unb ©ueßenber mar.
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3* ©djadj öon
'^ > vcr Sfting ber epifdjen grüfewerfe wirb mit „Schach üon
riJ 2ßutf)enow" gefcf)loffen. „ß’5lbultera", bie nächfte 23er*
öffentlidjwtg; bringt ben SDurchbrucl) in bie eigentliche Sßelt ^ontaneS,
bie moberne berliner ©efettfd^aft. Unb barum ift biefe Sonette
als ÜbergangSprobuft jwiefpältiger noch als bie früheren, bie
ftreitenben Elemente mifdhen fiel) in noch auffälligerer Sßeife.
gum lefctenmat bearbeitet Montane einen Stoff ber 23er*
gangenheit, ber ,3eit oon 1806 unmittelbar oor ber Schlacht oon
3ena. Slber bie 3tuhe unb Breite ber Srjählung aus „23or bem
Sturm", bem Vornan oom Sinter 1812/13, bie altmobifche Stechnit
feiner aftenfdjenfchilberung wirb nicht mehr aufgenommen. Stiliftifch
unb formal rücft „Schach oon Suthenow" ebenfoweit oon bem
grühroman ab, wie fie ftofflidj fidh oaljetreten. T)aS heroorftedhenbfte
•Dterfmal ber reifen Sßrofalunft, baS |>auptmittel ber (£f)arafte*
rifierung bei gontane, baS lebenbige ©efpräcf), bie geiftreidh
pointierte 9tebe gibt fdhon biefer gefdhidhtlidhen SRoüette eine ftarf
mobente Färbung. @2 wirb oiel unb leibenfdhaftlidh gefprodhen,
unb wenn auch in ben großen SRebefeenen unb Kapiteln im Salon
ber fjrau oon Sarapon, bei ^ßrinj SouiS, bei Sala Tarone nodh
mandhmat beftimmte fragen bisfatiert werben, noch oicpt baS reine
Sprechen um beS Sprechens willen, baS fdheinbar jufällige, wechfelnbe
nnb bodh oon fünftterifdher Intention getragene Swprooifieren herrfcht,
fo ift bodh Unbeholfenheit ber abgejirfetten ©efprädhSthemen, baS
ängfttidheStuSfparen beS9tebeftoffeS oerfchwunben. Sutane weife nun
ben franjöfifdhen Sinfcplag feines Temperamentes ins petlfte Sicht $u
fefeen, ift fich ber befonberen 2lrt feiner Begabung bewufet geworben
unb fudht fie bidhterifch fruchtbar ju madhen.
Singelegte Briefe bringen jept ftatt Tatfadhenmitteilung Sauferie,
TiSput, SReflejion unb oerftärfen bie Sirfung beS ©efprädhhaften.
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156
groeiter icil. Sic cpijdjcn gvütjwerfe
T 1
Um 2Renf<henbarfteßung banbett eg fi<h auch im „Schach", bie ©e=
fd^id^te bleibt nebenfächtich, aber menn bisher bie ©eftalten in
Kater S3ilblid)feit angeraut mürben, fo gleitet jept bag Sntereffe
auf bie pfgcfjifdje Stnalpfe über. 2)ie bunte Sluffenmett tritt ganz
Zurücf, bag Seetifche befommt ben ^»auptafjent, Montane fjat je^t
meniger Sntereffe baran, 2Renf<hen ju feben, atg ihre Tonfälle ju
hören. (St miß bag innere £riebmerf ihrer Seelen auffpüren.
S)ag $ßfocbotogtfcbe tritt in ben SSorbergrunb.
^ättgt mit biefer SSanbtung jufammen, bafj Montane fich
nun Spezialfäflen beg SERenfcfjtidtjen jumenbet. $tucb bie pfedjo*
logifche 3)arfteßung mar ein ©ebiet, bag erft erobert merben
rnufite. 2Bo anberg als bei abfonberticben feetifcben Problemen,
bei ungemöbnlicben Vorfällen unb ©efd^icfen tonnte fie beffer ge¬
übt merben. (Sr greift nach Stoffen, bie bem neuen SBeftreben ent-
gegenfommen. „Schach bon SButbenom", „S’Slbultera“, „Secite"
finb bie Sßerfe biefer SSegftrecte. (Srft nadjbem bie neuen Äuuft-
mittet beg ©efprächg unb ber pftydjotogifchen Slnatpfe erprobt unb
ermorben maren, manbte Spione ficb mieber mie in „SSor bem
Sturm“ ber bid^terifd^en SSerftärung beg burchfcbnittlichen ÜKqt-
fcbentumg ju, um in einer refKofen $)urchbringung bon Stoff
unb fjorm, perföntichem unb fachlichem ©ef)att bag ibm $ödbft-
möglidbe ju erreichen.
/J^cbadb bon SSutbenom" bat mit ben früheren SBerfen bag ßurüct-
" v —) greifen auf bie SSergangenbeit gemein. (Sinern gefd6(id£)ttid^
unb total ftreng begrenzten äRilieu entmäcbft ber intereffante (Sinzet-
faß. gontane fixiert ben Inhalt fotgenbermafjen: Schach bon
Söuthenom 1 fpiett im Sommer 1806: $eit beg Sftegimentg ©en-
barmeg. Inhalt: (Sitten, auf bie (Sbre biefer Sßelt gefteßten Staturen
ift ber Spott unb bag Sachen ber ©efeßfdfjaft berart unerträglich,
bafj fie lieber ben £ob mähten atg eine Pflicht erfüßen, bie fie
fetber gut unb ttug genug finb, atg Pflicht zu ertennen, aber auch
fdjmacb genug finb, aug furcht bor SSerfpottung nicht erfüßen zu
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3. <Bä)aä) tton SButljenott)
157
tootten." Unb am ©<htu| ber üftooetle, in einem 93rief 93ütoto8,
ber kontraftfigur ju ©djach, ^ei|t e§: „Ser Schachmatt ift burd)*
aus geiterfcheinung, ober, motjlnerftanben, mit totaler SBegrenjung,
ein in feinen Urfadjen ganj abnormer ^aU, ber fidj in biefer Art
unb SCBeife nur in ©einer königlichen Sflajeftät oon ^ßreufjen £>aupt=
unb fRefibenjftabt, ober, toenn über biefe hinauf, .immer nur in
ben Leihen unferer nachgeborenen fribericianif^en Armee jutragen
tonnte, einer Armee, bie ftatt ber ©h re mx oo<h ben Süntet, unb
ftatt ber ©eete nur nod) ein Uljrtoerf hot."
Montane intereffiert nur bie ©eftalt, richtiger baS Problem
©<ha<h. Sie feetifdhe Anatpfe ber ©eftalt ift ber Inhalt ber
üeüe. AtteS anbere toirb SBeitoerf. Unb baS 9iein*2Renfchtiche
fcheibet beim galt ©chadj, ber „burcf)au3 ßeiterfcheinung" ift, toie
SBüIoto im tarnen gontaneS epitogifierenb erflärt, oon oornherein
aus. 3m ©egenfafc ju „SSor bem ©türm", mo bie ÜRenfchen aus
fich h e ^ou§, fott ©cha<h nur aus feiner ßeit heraus begriffen
merben. Sie menfd^ti<f)e Anteilnahme gontaneS toirb jurüdgebrängt
Oom Sntereffe be§ Sßftjchologen, ©djach toirb jum blofjen Dbjeft
einer forfdjertichen Unterfuchnng. Sro§ ber mobernen Mittel beS
©efpradjS unb ber minutiöfen feetifchen ©djilberung bleibt eine
grembljeit, eine toeite Siftanj nicht nur jtoifchen gontane unb
feinem gelben, auch 5 toij<hen bem Sefer unb bem SBert, „©chadh
oon SButhenoto" bleibt ben ballabeSfen 9toöeHen benachbart, ihrer
tühten, tünfttidhenßurücthottung, bieerftmit „Errungen, SBirrungen"
für immer oerabfehiebet toirb.
/^Jefdhi^tlichen ©tubien galt bei biefer ßeitnooeHe mit totaler
Umgrenjung ^ontaneS erfteS bemühen. SSon ihnen berichten
bie frühften Säten ber SBorgefchichte. „3tefct tefe ich bie SKeutoiren
üon ©ophia ©dhtoerin, aus benen idh noch oiet lerne (mehr als
ich ertoartete), unb toerbe, toenn ich bamit fertig bin, bie oon §ar*
nifch unb kügetgen folgen taffen. 3$ braudhe nämtich ^üge aus
biefen Süchern ju einer SRoüeHe." (13. Aug. 78.) ©orge um hifto*
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158
Zweiter üeil. ®ie epifdjen griUjnjerfe
rtfd^e ©enauigfeit fprid)t aus einem ©tief an SD’fat^itbe oon fRofjr,
her er ben ©toff mit allen SetailS üerbanft („SBanberungen" I,
©. 470): „ES ift eine rein literarifdje $rage, ober allenfalls audE)
eine ^iftorifd^e, bie midj ^eute fchreiben läfet. Scf) lefe jept fleißig
in $rau SRombergS ,©opl)ta ©Ernenn 4 , ftnbe barin ben tarnen
Oon ©cfiadE unb wollte hiermit gef)orfamft anfragen, ob biefer
oon ©c^acf berfelbe ift, ber in bem 'Seben Fräulein oon ErapnS
bie Hauptrolle fpielt. Sdf) benfe mir, grau oon Homberg wirb
biefe grage otit ja ober nein beantworten tonnen. Vielleicht fügt
grau oon Sftomberg aus ihren Erinnerungen wenigftenS anna^emb
genau fjinau, in welkem Satire ber ganje traurige Vorfall ftatt*
fanb. S>ieS ift wichtiger für mid), als ©ie glauben tonnen. S)aS
Verliner ßeben unmittelbar nad) ber ©d&ladjt bei Sena — ich
meine etwa oon 1808—1810, wo baS fönigliche $aar aus
Dftpreufjen wieber in ber |jauptftabt eingetroffen war — war
total anberS als in ben Sauren, bie ber Senaer Stffäre unmittelbar
oorauSgingen. S)aS Äolorit ber einen $eit pafjt nicht für bie
anbre. ©timmungen, Slnfdjauungen, altes t»atte fidf) geänbert. Sßun
ift eS jWar wat)r, bafj icf) bie eine $eit, fagen wir oon 1804 bis
1806, gerabefogut fdjilbern fönnte wie bie anbre (1808—1810).
gebe ber beiben Epochen läfit fich gut oerwenben; jebe hat, no*
OeHiftifdj angefeljn, ihre befonberen Vorjüge. Slber um mit freub*
ooller Sicherheit ju fd£|itbern, mufj ich bodj beim ©d)ilbern bie
©ewifjfjeit hoben: bie Singe oottjogen fidf) wirflidf) ju biefer ßeit
unb ju feiner anbern. Veunruhigt mich fortwäljrenb ber ©ebanfe:
,bu fcfcilberft jept 1805, eS ift aber oielteidf)t 1809 gewefen 4 , fo
lähmt baS meine Äraft. 44 (11/Stng. 78.)
greilidf) hotte Montane fc^on 1873 in einem 2tuffa| „SBißibalb.
SltejiS" über baS ^3feubo=^>iftorifd^e beS „9tolanb oon Berlin 44 ge*
fchrieben: „Hiftorifcher ©inn, poetifcheS Sl^nungSoermögen, rüdtwärtS
gewanbte Vegeifterung, unbebingte ÜRufe, jahrzehntelanges ©tubium,
fie alle finb nötig, um eine ©eele berart ju bilben unb ju pflegen,
bajj fie unter ben ßebenben unferer Sage wie unter ©Ratten unb
unter ben ©Ratten ber Vergangenheit wie unter lebenSfrifdfjen @e*
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159
3. <5ä)ad) bon 3öutljenoro ;
ftaften Wanbeft." 5lber bic abgufdjifbernbe ßeit lag im „©djadj"
weniger weit gurücf afS in biefetn Vornan beS 9lfej:iS, gontane
mar als ®efd)id)tsfenner unb -liebßaber mit ber ßeit fcßon oer-
traut, er ftanb nidjt oöllig fremben Gingen gegenüber, baS SDftfieu
tonnte ifjrn, ber nod) jung in baS „SBeftborf" ©erlin gefommen
war, audj feine ©cßroierigfeiten bereiten, ©o ßat fdjon biefe ängft- •
lidje ©orge urnS „^iftorifdfje", wie fie aus bem zitierten Briefe
fpricfjt, etwa§ SKtßfidjeS unb läßt bie rechte ©icf|erf)eit einer feften
ßongeption, ber Sinfjeit oon Sbee unb Hnfdjauung oermiffen. SS
Wirb gu geigen fein, wie Montane fdtjlieftlic^ eine Ifteifje oon §ln»
fisten aus oerfdjiebenen ©eficfjtspunften, aber nicf)t feine 2fnfid)t
über baS Problem ©cf)ad) gab, mögliche ßöfungen ftatt ber Söfmtg,
eine forfdjerficße Sfnalpfe beS gelben ftatt einer fünftferifcfjen ©pn«
tljefe aus ber lebenbigen SBifton.
2)aß gontane feiner @acf)e nidjt gang fieser War, geigt ein
©rief oom 3. Sunt 79, wo er nadj Sfbfcfjfuß beS QuettenftubiumS
unb fdfematifdjen Entwurfs an bie Arbeit ge£t: „Sin paar SBodpen
Witt id) mir in Söernigerobe Srljofung gönnen unb bloß laufen
unb ftettern, bann aber poff icf> fleißig fein unb enbftcp bie be¬
wußte gräuletn oon Srapmüftoüette fdfjreiben git fönnen. SltteS ift
oorbereitet unb ber ©toff längft in Kapitel eingeteilt. S)aS erfte
Kapitel ßab id) fdpon gwei-, breimat gef d) rieben, aber immer wieber
üerworfen. 2)ie Sinfeitung, wie idj fie jefjt ßabe, fdfeint mir aber
bie richtige gu fein." Slnbere Umftänbe treten pingu, um bie Sin»
ßeitfießfeit beS SBerfeS gu gefäßrben. Sine rafdje SluSfüfjrung
pätte oieffeiept bie ©rüdpigfeit ber Anlage ein wenig auSgfetcpen
fönnen. Slber bie Arbeit bleibt liegen. 3)ie erfte ÜRieberfdprift ber
„S'Slbuftera", btefer fo gang aftuetten unb unpiftorifepen ©e»
fepidpte, brängte gontaneS ©timmung unb Sßpantafie in anbere
©apnen. $>amt oergögert ber SBiener Speroman „®raf Sßetöfp"
oon neuem bie fang aufgefepobene ©dpacp*9toüette. Srft im Sapre 1
1882 wirb fie in gäper Arbeit unb nidpt opne innere SBiberftänbe
gu Snbe geförbert. fjonteme rnodpte füllen, baß er über baS $rag-
. ment pinauSgeWadpfen war, wenn er fiep baS auep, um fdpaffenS»
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160
3iueiter Jeil. 2>ie epifc^en grüfjwerfe
freubig ju bleiben, nicht eingeftanb. (Sr fudjt beim Slbfchlufj bie
Bebenfen feiner $rau an bet pfgdjofogifdjen ©laubmürbigfeit ber
©dha<h*©eftalt gu jerftreuen, fü^rt feine SÖtotioierung in flater 9Flec^*
nung ^3unlt für ißunft oor (19. SuU 82). Sropbem bleiben ßmeifeL
(Sr jmingt fiel) fchüefjlich, mährenb ber Sibbrucf in ber Bofftfchen
ßeitung fdjon begonnen ^at, jur enbgültigen ^ertigfteUung. „Die
Stooefle" — fchreibt er am 6. Stuguft — „macht mir nodfj furchtbar
oiel Arbeit, aber id) ^abe mich nun brin ergeben; an manchen
Sagen fifc’ ich bis oier unb felbft bis fünf Uhr feft auf meinem
ßimmer." Slber felbft bie Boßenbung bringt nicht baS (Snbe ber
oielfadjen Bemühung, bei ber Buchausgabe gibt eS neue Beraub*
fangen über ben Xitel. Dod) äße neuen SBorfc^täge: 1806; Bor
3ena; Et dissipati sunt; @e$ählt, gemogen unb ^inmeggetan;
Bor bem Stiebergang, müffen mieber bem anfänglichen „Schach
oon SButhenoro" meidjen. ©ie miefen nur aufs ^iftorifd^e uub
Sachliche hi«# unb ber Sßtenfd) mar fc^tiefetic^ aud) hier, trofj aßer
hiftorifchen Determiniertheit, jur ^auptfaefje gemorben, Montane
hatte am (Snbe ber SRooeße eine Deutung beS ©chadh»$aflS gegeben,
bie bie ©eftalt bei aßer ißroblemati! auf ein SfteimäJtenfchlicheS
ju fteßen fuchte: Unb fomeit bieS oon ber urfptünglidhen Slbfidht
megführt, in feiner 9teife$eit mürbe er gemifjltch ben «Stoff oon
eben biefem fünfte aus einheitlich geftaltet haben, ber auf ber
fjrühftufe feiner Äunft fiel) bem Dichter erft nadh ben miber*
fprechenbften (Srllärungen unb Beurteilungen ber ©eftalt barbot.
Cfeülom, ber ©egner «Schachs, bem bie fffunftion BninSfiS in
„Bor bem Sturm" jufäßt, fieht ben ftaß fo- »®tn Offizier
üerfehrt in einem abligen §aufe; bie ÜJfatter gefaßt ihm, unb an
einem fdjönen SDtaitage gefäßt ihm auch bk Dochter, oielleicht ober
fagen mir lieber fehr mahrfdheinlich, meit ihm ißrinj SouiS eine
halbe 2Bocf)e oorher einen Bortrag über ,beaute du diable* ge*
halten h«t- $lber gleidfjoiel, fie gefäßt ihm, unb bie Statur $iel|t
ihre Äonfequenjen. SBaS unter fo gegebenen Berhältniffen märe
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3. @d)ad) bon SSutljenoib
161
nun wollt einfacher unb natürüd^er gewefen, alg 3luggleich burcfj
einen (Shefdhtufj, burcf) eine Verbinbung, bie Weber gegen ben
änderen Vorteil, noch gegen itgenbein Vorurteil berftofjen fjätte.
2öag aber ge^cfjiebjt ? (Sr fließt nach SButhenow, einfach weil bag
holbe ©efcljöpf, um bag fidj’g ^anbelt, ein paar ©rübdjen mehr
in ber SBange ^at, alg gerabe ntobifch ober !£>erfömmlidfj ift unb
Weil biefe ,paar ©rübchen zubiel* unfern glatten unb wie mit
Schachtelhalm polierten Sdjadj auf oier 2Boc£)en in eine bon feinen
$einben bewi|elte «Stellung fjätten bringen fönnen. (Sr fließt crlfo,
fag' ich, töft fiel) feige bon Pflicht unb SEBort, unb alg ii»n fchliefj*
li<3), um ihn felber fpredhen zu laffen, fein ,5lt(ergnäbigfter $önig
unb £>err‘ an Pflicht unb SEBort erinnert unb ftriften ©ehorfant
forbert, ba gehorcht er, aber nur, um im Moment beg ©ehordjeng
ben ©ehorfant in einer allerbrügfeften Söeife zu bredjen. (Sr tann
nun mal ßieteng fpöttifdjen Vlidt nicht ertragen, noch biet weniger
einen neuen 2lnfturm bon $arifaturen, unb in Slngft gefegt, burdj
einen Statten, eine (Srbfenblafe, greift er §u bem alten 2tu§funft3*
mittet beg Verzweifelten: un peu de poudre." So fiefjt eg VüloW,
ber ©egner beS nadf)fribertcianifcf)en ißreufjeng, alg beffen SEppug
ihm Schach gilt. (Sr ift itjm bag Opfer eineg falfd^en (StjrbegriffeS,
einer eitlen unb berfcfjrobenen ©efedfdfjaftöorbnung. Slber berührt
er mit biefer richtigen Deutung nicht nur bie äußern Schichten
einer fomplijierten Seele? ©ewif} $ält Schach auf Äonbention,
fefte formen unb äufjere 2lnjel)nlicf)!eit. S)ie bon ißocfennarben
entfteüte Schönheit Victoireg würbe ber Beirat immer einen Schein
beg Säuerlichen geben, über ben er nicht hinwegfommt. Slber
Vütow beutet biefe Veweggrünbe moralifcl) aug, ein Äamerab
feinet ^Regiments äfthetifch- „Schach ift eine fehr eigenartige Statur,
bie, wag man auch an ihr augfefcen mag, wenigfteng manche
pfpdhologif<he Probleme ftellt. Sch habe beifpielgweife leinen üftenfchen
lennen gelernt, bei bem alleg fo ganz un & 9°* au f bag $fthetifdje
jurüdlzuführen wäre. (Sr fühlt fich burdh ihre mangetnbe Schönheit
gerabeju geniert, unb erfchridlt bor bem ©ebanlen, feine Formalität,
wenn ich mich fo augbrücfen barf, mit ihrer Unnormalität in
SBaitbretj, gontanc 11
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162
3toeiter Seil. Sie epifdjen grüfjtoerfe
irgenbtoelche Berbittbmtg gebraut ju feiert." 2)ag ift bie jtoeite
Interpretation. $)ie britte gibt Bictoire, ehe fie noch in nähere
Begehungen ju Schach tritt: ,,©r §at ettoag fonfiftorialrätlic^
$eierlicf|eg, unb toenn mich nicht alleg täufdjt, jo ift eg gerabe
bieg feierliche, toag Bülow fo fehr gegen Üjn einnimntt. Siel,
biel mehr alg ber Unterfchieb ber Meinungen . . . ©r ^at bie
befte ©efdjeitljeit, bie mittlere, baju bie beg reblichen ÜUtanneg."
2BeIcf)e ©egenfafce! 2)erfelbe 3Renf<h alg äftljetifche Statur nnb
pfpchologifdjeg ^robtem, bann alg forrefter Bürger angefprochen.
®ag Bertoirrenbe liegt nicht barin, baff oerfchiebene Sßerfonen
berfcfjieben über einen SWenfchen benfen, fonbero baff hinter allen
Beurteilungen fein mirftidjer ÜRenfch fteht. ©in Stebeneinanber
frember $eile gibt noch feine fomplijierte ©inheit. Bergebeng fuc^t
Montane fie burdf) immer neue Spiegelungen unb SRifctjungen ju
ergingen. 3)iefelbe Bictoire, bie Schach für ritterlich f>ält unb
boH natürlichen Slnftanbeg, berietet im felben Brief ihrer fteunbin
bon einer $anblunggweife, bie biefe mit Stecht für bag Unritter«
lichfte oon ber SBelt erflärt. 3)afj fontane folche 2öiberfprü<he
bemüht aufnimmt, bebeutet noch nicht ihre Söfung, bie fdhliefjtich
augbleibt. Unb eg ift mie bag ©ingeftönbnig fünftlerifchen Un«
oermögeng, toenn nach bem Setbftmorb Sctjadhg, ber bem ßefer
fo überrafchenb unb unöerftänbtich fommt toie ben SJtenfchen ber
StooeHe, Bictoire an Sifette f^reibt: „ ,2Bie fich bag alleg erflärt? 4
fragft $)u unb fefceft hinju: ,S)u ftünbeft oor einem Stätfel, bag
fidh ®ir nicht töfen toolte 1 . SDteine liebe Sifette, toie löfen fich ^
Stätfel? SRie. ©in Steft oon ®unflem unb Unaufgeftärtem bleibt,
unb in bie testen unb geheimften Xriebfebem anberer ober auch
nur unferer eignen ^anblunggtoeife hineinjublicfen, ift ung oerfagt."
2)ag ift bie Kapitulation beg ©idjterg oor bem aufgetoorfenen
Problem, ©etoifj geht eg auch °h ne Probleme in ber Dichtung,
aber fie fann unb barf ficf) Probleme ftellen. 2)er dichter, unb
geraifj ber moberne SRobeHift, ift auf feine SCBeife auch e ^ n ® r ”
fennenber. 2)ann aber müffen bie aufgenommenen Probleme gelöft,
b. h- in ber Kunft, geftaltet »erben. 2)odh in biefem ißroteug*
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3. <3djad) öon SButfjenoiu
163
\
wer! will Montane ©rfennenber fein unb erft, atg fidb ihm bie
©rfenntnig nicht gibt, bie nur aug ber bic^terifd^en Intuition
fließen fönnte, fud^t er einen freiwilligen SSergidfft auf ©rfenntnig
öorjutaufdjen. Symbol biefeS Stugeinanberfatteng oon Anfang unj>
@nbe ift bie blenbenbe ©eiftreidbigfeit ber Sütowfdben Stper^ug
in ben erften Kapiteln unb bie wie Scharf^ Xob unerwartete,
ja unöerftänbtidbe Hinneigung Sictoireg jum ÄatfjolisiSmuS, bie
bag SSerf mit einem ^ragejei^en abfdbtiefjt.
Ofucb grau oon ßaraljon unb SSictoire ftnb nicht einf>eittid^ ge*
<vi fe^en unb pftjdfjifd) gebeutet. Montane ftebt fo im ßtoange beg
aug ber ßeit unb ben Umftänben ju erftärenben ißrobtemg ber
@cbadb * ©eftatt, bafj er bie anbern giguren wiHfürtid) nadb ben
Situationen möbelt. 2)aju bleibt manc^eg wiffenttidb im fünften,
ohne bafj ein fünftlerifdber Vorteil baburcb erreicht würbe, eher
eine Sc^äbigung. SBetdbeg finb bie gurücfliegenben Schiebungen
©d^ad^g ju grau oon ©aratyon, auf bie öfterg angefpiett wirb,
o^ne baf} Klarheit in biefe für ben Verlauf ber üftoöette fo fe^r
Wichtigen Soraugfefcungen gebraut würbe? @g banbett fidb babei
nicht um bie fontanifdbe ©igenart, feetifcbe H ö b^nn!te feiner ®e*
fdbidbten nur im SReftej beg Sor unb 9tadb ju geben, teibenfdbaft*
tidbe Auftritte ju umgaben. 2)aöon finben fidb auch in biefer
SßooeKe dbaratteriftifdbe Setege: bei ber Hingabe Sictoireg im 8.,
ihrer Seifte im 11., bei ber Slubien^ene im 17. Äapitet. ©onbern
eg ift jene merlwürbige Unbeftimmtbeit, bie bie ganje 9looette
beberrfd^t. gontanifdbe Raufen Wirten wie germaten in ber 9ftufif;
einbringticb, oerftärfenb unb bur^aug ftar in ihrer Sebeutung;
entgegengefefct bie oieten Unftarbeiten im „Schach". 2)af} Wir
nidbt Wiffen, wie Schach unb grau oon ©arapon jueinanber
fteben, nimmt ben feetifcbcn Schiebungen, bie gontane atg ©egen*
wart barftettt unb entwicfett, bie Safig. 2Sir fennen biefe SDtenfdben
nidbt genau, werben über ihre Sergangenbeit im fünften getaffen,
über ihre ©baraftere wiberfprüdbtidb berietet, unb fo täfjt fidb
n*
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164 Breiter Seil. Sie epifcfjen- grüfjtoerfe
alles öon irrten ertt)arten, bie eintretenben ©retgniffe unb SSenbungen
totrfen nicht überjeugenb.
Sictoiren bezeichnet AtöenSteben als eine Wipig* elegifdje Statur,
(fine befrembtiche äRifchung, bie man aber als möglich hinnehmen
fann. 9lur geigt Montane gerabe nie^t bie äftifdjung, fonbern ein*
mal biefe, baS anbere äJtal jene ©eite ber ©eftalt, bie fo als
(Sinfjeit nidjt lebenbig mirb, ©etenf ber ißroblemfonftrultion bleibt.
Sei ber Aufführung öon ßadjariaS SBernerS „2SeiE)e ber Äraft"
fdjwärint bie SÖtutter überfdjtoenglid) mit, mäljrenb Sictoire fi<h
oon ben ©entimentalitäten abgeftofjen fühlt. Äurj barauf nimmt
fie bie Angelegenheiten ber Tochter fepr unfentimental unb giel=
bemüht in bie £mnb unb tabelt an jener ben „romantifdien ßug,
ber ihr eigen ift". — : Sictoire belennt [ich öor ihrem Abenteuer
mit ©djad> ju einer freien unb unfentimentalen Auffaffung öon
©itte unb ©efeflfdjaft. SUtan glaubt hier einen Sorftang jener
felbftänbig fichren grauengeftalten ju öernehmen, mie fie gontane
Später fchuf. Aber wenige ©eiten barauf erfolgt ein gegenfäplidjer,
pathetisch fütlidjer ©eelenauSbruch, als bie nächtliche Schlittenfahrt
ber übermütigen Offiziere an ihren genftern oorbeifliegt. — Seim
Abfdjieb nach bem ^odtjeitSfeft, furj öor ber Äataftrophe, Weift
grau öon ©arapon auf bie tiefe gnnerlidjfeit ber Siebe SictoireS
hin. Sis jur ©jene beS öerljängniSöollen AbenbS, an bem ©chach
fie allein trifft, erfahren mir nur öon einer aufrichtigen ©djäpung
unb fehen Sictoiren Sorjüge unb ©<hwädjen ©chadjS flar unb
nüchtern abwägen, eine Haltung, bie ihr auch nach feinem ©elbft*
morb halb wieber ju erringen gelingt. Äurj, bie ©eftalt bewegt fich
in SBiberfprüchen, bie ihrer Sebenbigfeit ©intrag tun unb mehr bem
Serlauf ber ©efdjid)te, als immanenter SJiotwenbigfeit entfpringen.
Son grau öon ©arapon läfjt fich ©leid^e fagen. 2)ie
gwangsweife burdjgefepte $eirat, ihre Appellation beim Äönig,
bleibt peinlich, obwohl, ja gerabe weit fie ber ftofflidjen Sortage
entnommen ift, bie hier einem primären ©eftaltenerlebniS gon*
taneS entgegenarbeitete, deutlich werben ba bie SRäpte fichtbar,
bie bie heterogenen ©lemente ber ©efcpichte jufammenhcHten. Seim
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3. ©cfjadj Don Sßutpenott»
165
erften ©efudh ©dhadjS nach bem oon grau oon Sarapon erwirlten
^eiratsbefepl beS Königs Ejei^t eS: „@ie ging it)m entgegen, unb
baS fic| fofort entjpinnenbe ©efpräcp üerriet auf beiben ©eiten
weniger ©erlegenpeit, als nach bem ©orgefaEenen |ätte üorauS«
gefe|t werben foEen. Unb bod| erllärte fidp’S auch wieber. AEeS,
wa8 ge|d|e|en war, fo fcpmerzlich eS |üben unb brüben berührt
patte, war boep fcpliefjUcp oon jeher ber beiben Parteien üerftanben
worben, uftb wo ©erftänbnis ift, ift auch ©erzeipung ober wenig«
ftenS bie EftöglicpEeit einer folgen. AEeS patte fiep in natürlicher
Äonfequenj aus ben ©erpältniffen heraus entwidEelt, unb Weber
bie gludpt, bie ©dpaep bewerffteEigt, nocp bie Älage, bie grau
üon Sarapon an oberfter ©teEe geführt hatte, batten Übel«
woEen ober ©epäffigEeit auSbrücfen foflen." §ier wirb gontane gu
feinem eigenen Interpreten, fuept nachträglich burdp Siebe zu moti«
oieren, was oorper als 2)arfteEung nicht gelang unb überzeugte.
^\aS gleiche Phänomen wie in ben baEabeSEen SßoüeEen: gegen
rZJ baS Snbe pin macht eine fteigenbe Unfidherheit fiep geltenb
unb gontane eilt, um biefen SinbrucE nidht anwadhfen ju laffen, .
merElicp fcpneE jum ©cplufj. Sn ben Kapiteln „gata EKorgana"
unb „^ochjeit" müffen felbft bem AnjprucpSloien bie Etiffe unb
Eienfungen auffaEen. Sin pre^iöfer ßug fomrnt in bie ®i!tion.
SaS grau oon Sarapon üon ber ©eufzerbrüdEe fagt, wie fie nach
bem ^oepzeitsbiner mit einer unbegreiflich taEtlofen ©enterfung
„fcperzenb ©dtjadpS" Arm nimmt, baS ift unwahr* unb ganz un«
fontanifdh wie noch fo manches anbere, mißliche Äonfequenz einer
ElooeEe, bie in Anlage unb Ausführung oon oornperein feinem
SlatureE wiberfpradp.
Unb bie im engeren ©inn fontanifepen Slemente beS SerEeS
oermögen ben AuSfaE nicht zu bedEen. $>ie fixere AnfcpaulicpEeit
beS piftorifepen Kolorits bietet über bie „Säuberungen" unb „©or
bem ©türm" hinaus nichts ÜÄeueS. ©ei einem Sob ber wanberungS«
mäßigen Kapitel wäre überbieS an gontaneS eigene Sorte zu er«
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166
^weiter £cU. $ie epifdjett grüptuerfe
innem: „X>ie gef amte beutle treffe »erfolgt, mir roie anbern
gegenüber beftänbig ben ßmeef, einen beftimmten ©chriftftetter an
eine beftimmte ©teile feftnageln $u motten. @8 ift baS IBequemfte.
SDtein Getier befielt barin, bis in alle ©migfeit hinein ,märfifche
SBanberungen 1 $u fchreiben. Sitte« anbre mirb nur gnabig mit in
ben Äauf genommen, 2lud) bei ©<hach tritt baS mieber ^erüor,
unb fo lobt man bie Äapitel: ©ala Marone, Xempelljof unb
SGButhenom. 3n 2Baf)rf)eit liegt eS fo: üon ©ala Marone §ab ich
als Xertianer nie mehr als baS ©djilb überm fiaben gefegt. 3n
ber Xempelljofer Äird>e bin ich nie gemefen, unb ©chlofj SButhenom
ejiftiert überhaupt nicht, f>ot auch nie ejiftiert. X)a8 ^inbert aber
bie ßeute nicht, ju »erfichern, ,icf) hätte ein befonbreS Xalent für
baS ©egenftanbli<he\ mäf)renb bod} alles, bis auf ben lepten @troh=
halm, oon mir erfunben ift, nur gerabe baS nicf>t, maS bie Söelt
als Srfinbung nimmt: bie ©efcf)icf)te felbft."
3Ran fief>t, morauf eS Montane anfam unb maS bie Urt unfrer
^Betrachtung rechtfertigt: fie mitt bei biefen epifchen $rühmerfen
nicht eine fünftlerifdje ©pnthefe in ihre SBeftanbteite jurücfanalp-
fieren, fonbern jeigen, bah unb marum etroaS nicht bichterifche ffform
mürbe. Montane ift im „©cf)ach M um ein neues ©ebiet unb neue X)ar-
ftettungSmittel bemüht. X)a8 ©cheitern beS erften ©erfucheS einer
pfpdjologifchen fttooette Iaht bie ttiotmenbigfeit biefeS ©drittes un¬
berührt, ber, ©inbeglieb einer ftetigen ©ntmicflung, trop beS 9Hih s
lingenS ein ÄufmürtS bebeutet.
^\em Überfteigern ber pfpchotogifchen X)arftettungSbemühung ent*
r<*J fpricht bie gemagte ßauferie ©üloms mit feinen glänjenben
Xiraben über bie „©pifobe" Sßreuhen, bie „©pifobe" Suther, ben
fallen ©hrbegriff, fjriebrich ben „®uten". 2Ran mirb ben
dichter nief/t ohne meitereS, fo menig mie mit ber ©räfin in „®or
bem ©türm", mit feiner ©eftalt ibentifijieren bürfen, menn auch
mieber hinter ber fdjeinbaren fjrioolität unb ©aloppheit folget
ÄuSlaffung ein entfter 2Bitte, ber meitauSfchauenbe unb burdj jeit-
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3. ©cfyad) öon Sßutljenott)
167
lidje Vorurteile wenig eingefcfränfte Söticf eines SßeltmanneS
bar wirb, ber bie 2)inge — fontanifcf fiefjt.
3ene burcfigängige Unterfliegt, jenes beftimmte @tl)oS, baS aße
SEBerfe gontaneS aus fi ä) I) er auStreibt unb trägt, gibt aud) biefent
Sßert gwar feine fünftlerifdje, in fid) rufenbe, aber eine auf ben
Verfaffer guriiefteitenbe ©infjeit weltanfdf)aulid()er ßiatur. ©pater
entnimmt Montane feine ©toffe feiner ßeit, fteflt in feinem güfjlen
baS il)re bar, mirb biefe ©inljeit objeftib. 3m „©djadj" ift baS
3CBeItanfcI)auIid)e nod) bon ber ©egenwart in bie Vergangenheit
hineingetragen unb ftef)t in SGBiberfprud^ gu ber auf pfpd)o!ogifche
unb f)iftorifd)e ©rfenntniS gehüteten f£enbeng, bie ben beginn ber
SKobeße beljerrfdjt. SEBie in „©rete 2J?inbe" unb „©Bernflipp"
bricht bie eigene, Ijintangefiaftene Statur burd).
„Unfere Sßringipien bauern grabe fo lange, bis fie mit unfern
Seibenfcfjaften ober ©itelfeiten in Äonflift geraten, unb gieren bann
jebeSmal ben färgeren" fagt ber Verleger ©anber in ber SRobeße
unb gibt bamit eine etf)if<$e ßtanbgloffe gum ©dhadh'gaB. Unb
grau öon ©arapon läfst fiel) bernefjmen: „Sieber ©dhad), idf) bin
nid)t albern genug, 3hnen eine ©gene gu machen ober gar eine
©ittenprebigt gu galten; gu ben SDingen, bie mir am meiften ber*
faft finb, gehört auef) E£ugenbfd)wäferei. 3ch ^abe öon Sugenb
auf in ber SEBelt gelebt." SIber trofbem ein Stnerfennen ber
©df)ranfen, bie menfdhlidf)e Vereinbarung gog. „3dj gehöre ber ©e*
feflfd)aft an, beren Vebingungen idf) erfülle, beren ©efefcen id) ntid)
unterwerfe; baraufhin bin id) ergogen, unb idf) fjabe nidf)t Suft,
einer Opfermarotte meiner eingig geliebten E£od)ter guliebe meine
gefeflfdf)aftlidhe ©teßung mit gum Opfer gu bringen. ÜKit anbern
SGBorten, idf) f)abe nid)t Suft ins Älofter gu gehen ober bie bem
Srbifdfjen entrücCte ©äulen^eilige gu fpieten, audf) nicht um VictoirenS
mißen. Unb fo muf idf) benn auf Segitimifierung beS ©efc^etjenen
bringen." — ©ang ähnlich äußert fid) fpäter grau bon Vrieft.
©tetS gibt gontane in mannigfachen ©rfdfjeinungSformen biefe
ßmeiheit, bie il)m einfad) gefegt ift: ben urfprünglic^en, aus fid)
heraus |anbelnben ÜKenfdhen unb bie bon aufen herantretenbe ©e*
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168
^weiter Seil. $ie cpi|'cf)ctt griifjwerfe
feflfcf>aft3fonüention. Veibe empfinbet er als gleich notmenbig, gleich
mirflidj, gleidfj lebenbig. ©elbft ber Äönig, bie b)ödf>fte 3nftan$, b)at bie
SBorte ju fpredjen: „®ie ©arapon; fatale ©adfje. ©pieie nid^t gern ben
Uftoraliften unb ©plitterridjter; mir üerpafjt; audj meine Verirrungen.
9tber in Verirrungen nidfjt fteden bleiben; mieber gut machen."
©einer Sftatur folgen unb bie ®onfequenjen auf fidfj
nehmen: biefeS ©runbajiom gontaneS legt fid^ als begrenjenber
unb normierenber $ori$ont aud; um eine »ergangene ÜBelt unb einen
9tuSnaf>mefalI. @r maefjt baS fünftlerifdf) ßmiefpättige ber Sftooelle
ooef) einbrüdflidfjer. 2)er Vriefepilog ber lebten Kapitel greift tjinter
bie f)iftorif<i)e Vebingtpeit ©dfjaeps jurücf. „@r roufjte jepr moljl,
bafj aller ©pott ber SBelt fd)Iief|Iid) erlahmt unb ertifdfjt, unb mar
im übrigen audfj äftannS genug, biefen ©pott ju befämpfert, im
galt er nicf)t erlahmen unb niefjt erlöfdfjen mottte. liftein, er fürchtete
fidj nidjt »or biefem Äampf, ober menigftenS nidfjt fo, mie ber*
mutet mirb; aber eine finge ©timme, bie bie ©timme feiner eigenften
unb innerften Sftatur mar, rief ifjrn beftänbig ju, bafj er biefen,
Äarnpf umfonft fämpfen, unb • bafj er, menn audfj fiegreidfj gegen
bie SBett, nid)t fiegreidfj gegen fiefj felbft fein mürbe. 2)aS mar eS.
©r gehörte burdfjauS, unb meljr als irgenbmer, ben idj fennen
gelernt f>abe, ju ben äftännern, bie nidfjt für bie ©I)e gefefjaffen
finb ... Sin feiner Saufbaljn als prinjlidjer Siebling unb Sßleni*
potentiäre f)ätt’ id) iEjn oerpinbert, ja, f)ätt’ ipn, bei meinen an-*
fprudpslofen ©emofjnpeiten, auS aU unb jeber Karriere IjerauS*
geriffen unb i£»n nad) SButljenom fpngejmungen, um mit mir ein
©pargelbeet anäutegen ober ber Äludpenne bie $ü<fjelcf)en megju*
nehmen. ®aoor erfcpraf er. ©r faf) ein Heines unb befdfjränfteS
ßeben oor fidfj unb mar, id) mit! nidfjt fagen auf ein großes ge*
[teilt, aber bodf) anf ein foIdjeS, baS i^m als grofj erfcfjien."
SDaS ift bie Ie|te Snterpretion ber problematifd^en $igur, mit ber
man ^ontaneS fcfiliepdje äfteinung mirb ibentifijieren müffen. SIber
jmingenb ift auep fie nicf)t. ®er ©egenfap oon ©toff unb 3d), ber $mie-
fpalt oon SInfang unb ©nbe bleibt, unb man mirb auef) biefe üftooeHe
nidfjt ju ben bleibenben SBerfen ber beutfcfyen ißrofafunft regnen bürfen.
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^Dritter Seit
Sic STtoöellcn bet DQciffe^eif >
i. £ ? 2lbulfera
O’Slbultera" ift bog erfte jener SEBetfe, bie ben bauernben Stufem
gontaneg begrünben. ÜJtan pflegt fie unter bem KoHettiö*
begriff ber berliner Nomone jufommenjitfaffen unb meint ba*
mit jene gefcfetoffene iReifje, bie bon „S'Slbuttera" unb „Geeite",
„Errungen, SEBirrungen", „©tine" unb „EDtatfeilbe Sttöfering" über
„fjrou Sennfe treibet" unb „Gffi Prieft" §u ben „Poggenpufetg"
unb bem „Stettin" fiiEjrt.
3)iefe ßufammenfaffung ift ntefer atg eine äufeere ©efeemati*
fierung, bezeiefenet meniger eine ftreng abgegrenzte Sofafität atg
eine beftimmte ©eiftegoerfaffung. SSielfeitig in ©toff, ©efeatt unb
fjprm bilben biefe SEBerfe eine Ginfeeit, bie auf beutfefeem Poben
bei allem Uttierfcfeieb ber Staffen unb Perfönticfeteiten, beg biente*
rifefeen EJEemperamenteg unb ber mettanfefeautiefeen Pegrenzung ettoag
erftefeen tiefe, bem nur Palzacg „SJienfcfelicfee Komöbie" bergticfeen
»erben fann. Kein beutfefeer geitgenoffe fjontaneg feat mit gteiefeer
Umficfet unb Sßeite, gteiefe tiebebott unb boraugfefeunggtog bag
Seben alter ©tönbe unb ©(feiefeten, fomeit eg fi(fe bamatg efearafte*
riftifefe äufeerte, ergriffen, bag unmittelbare SEBefen ber bürgertiefe*
reatiftif(feen 3 e i* in feinem gliefeen aufgefangen.
2)er berliner Stoman ift bie bicfeterif(fee ©eftattung biefeg bürger*
Udfeett Steatigmug, ein Pegriff, mit bem mir bauernb reefenen müffen
unb einen beftimmten, zeittiefe begrenzten feetifefeen ©tatug belieferten,
ber Pürger, Slbetige unb Proletarier gteiefeermeife umfafet unb ju
bem bie orbinäre SBitme pittelfom ber „©tine" fo gut gefeört mie
fjrau Kommerzienrat Sennfe Etreibet unb ber Paron oon Snnftetten
aug „Gffi Prieft".
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V.
t
170 dritter 2eü. $>ie Ötoüeüen ber äRitteljeit
gontane, bcr auSgefprochen 9U<ht*Sübli<he („$)ie Sföagnetnabel
meines ©eifteS weift mid) entf «hieben nach üftorben"), gibt in ben
berliner Romanen ein umfaffenbeS 93ilb norbbeutfehen, oornehm*
lieh. preußifchen ÜDtenfchentumS, wie eS fid^ oon feinem ftäbtifdjen
ajtittelfcunft Serlin aus in ber ^weiten Hälfte beS neunzehnten
gahrhunbertS barbot. @r fühlt fich üom Sranbenburgifcf)en jum
Sßorb* unb Sßieberbeutfchen hin. gmmer bleibt ber 931icf beS Stealiften
auf bem (Scharfgeprägten haften. 3)a§ gnbiüibueUe gilt oor bem
Allgemeinen unb wirb tppifdj, wenn bie (Schüberung burchfcljnitt*
lichern 35afein gilt.
,,8’Abultera" unb „©ecile" geftalten noch untppifche (Singel**.
fäUe ber höheren ©efettfdjaft; „Errungen, Ortungen", „Stine“ unb
„SRathübe SKöhring" 'heben baS Sptnboftfche alltäglichen SebenS
herauf. 3n „grau gennp treibet" erfcheint bie burchfchnittliche
Sßelt ber Aüjumenf^Iichen unter bem ©efichtswinfel behaglicher
gronie. S)ann mifcht fich fachlicher ©ruft unb perfönliche ©üte
wunberoofl in „@ffi SBrieft". Schließlich gibt gontane nach bem
Intermezzo ber „SßoggenpuhlS" im „Stechlin" gang fich fel&ft unb
ba$ 3<h als Dbjeft, als ©eftalt im ÜEßerf.
2Sa§ z®tfchenburch noch entftanb: ber Sötener ©heroman „®raf
ißetöfp", bie fdjlefifche Xenbenzerjählung „Ouitt“, bie Kriminal*
nooeHe „Unterm Sirnbaum", bie bänifd^e SiebeSgefchidjte „Un*
wieberbringlich“, fonbert fich werflidj aus ber Steiße ber ^Berliner
Üiomane. 2>ie Übertragung feiner Sehweife auf frembe äKenfchen
unb Sßerhältniffe im „©raf Sßetöfi)" fonnte bei ber f<harfgeprägten,
ethnographifch gebunbenen ©igenart gontaneS fein günftigeS @r=
gebniS zeitigen. 2>ie ethifchen Strebungen feiner Statur führten
Zeitweilig, bei fünftlerifcher ©rmattung, in „Buitt" z u einem ßmecf*
roman, bie finnliche güße feiner anfchaulichen iph°tüafie fonnte
fich an eine Äriminalgefdachte oerzetteln, unb felbft in „Unwieber*
bringlich“ ifa bei aller geinheit ber lanbfchaftlichen unb feelifdjen
ScfafberungSfunft baS Stoffliche nicht oöüig geformt unb mit ßeben
<s ntngen worben.
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1. 2’SlbuItera
171
^Y$(bultera", bet erfte ©erlittet Ütoman, ift nodj öor 5(bfct|tuf}
beS ,,©ct)act| öon SSutljenom" entftanben, ber bett epifdjen
gfrüfjtoerten jujurec^ttett mar. 35ie äußere ©fyronotogie barf nic^t
öor bett inneren ©rünben gelten, bie eine bie ßeitfolge öerfeljrenbe
Setradfjtung ber beiben Sßerfe nötig machen. „©dfjadj öon S33utf»e-=
noto", burdfj bie ©toffwatjl nodt> „Ijiftorifdje" Modelle, öermengte
©ergangenf>eitgfd)ilberung unb gegenwärtiges $üf)len, brachte bie
e|>ifd^e 2)arftettung mit ber Sßerfönlidjteit be3 ©erfafferS in ßonflift:
eine burd^ mawtigfadje ©cf)Wierigfeiten gefjinberte, langfjinge^ogene
Strbeit, ber bie innere $orm, bie SRotwenbigfeit fehlte. ,,8'Slbultera",
einheitlich in ber Äonjeption nnb mühelos auSgefüljrt, fällt bie
$eit non nodfj nicht einem ©iertetjafjr. Montane öerfefct fich nicht
meljr tünftliclj in bie ©ergang|nt)e\t, bitbet fi<h nicht mef)r burdfj
ßettüre unb f)iftorifd)e ©infüljlung tangfam ju feinem SBer! Ijeran,
fonbern greift in baS unmittelbar aftuelle ßeben ber ©egenmart:
ein wenige Satire jurüdfliegenber $afl (9taöen4) aus ber ©erliner
^autefinance gibt ben beinah fenfationellen ©toff. 3)a taten feine
©tubien metjr not. Montane Ijutte als Sftebafteur unb ntärfifcfier
Sßanberer 9ftenfd(jen unb ©d^idtfale biefer ©efeUfd^aftgfd^id^ten
genugfam fennen gelernt, ats fcfjarfet ©eobacfjter in ben geiftreicfien
©erliner ©atonS ba§ Seben ber l)öf)eren Greife tängft in djarafte»
riftifdf)en ßügen in fich gefammelt, unb biefer 9teidf)tum fonnte
nun, auct) um ben Äern unbebeutenber fabeln, ju mertoollen
Jünftlerifchen ©ebtlben jufammenfc^iefeen.
©in ©rief öom 15. Sanuar 1880 metbet bie ©eenbigung be§
©ntwurfS, ber faum inS ©orjafjr jurüdEreidjen bürfte, ba biefe
©rouißonS immer in türjefter ßeit entftanben. SDann folgt bie
$erau8arbeitung ber tebenbigen ©injeljüge unb bie Äorreftur, bie
aber audj fdjon üöiitte ÜJtärj „fij unb fertig" ift (14. 3Jtär$ 80).
$)er ©toff ber „ß'Slbultera" enthält baS allgemeine üftotiü
ber ©tje beS alternben ÜöianneS unb ber jungen $rau, ba8 fich
aud) au£ bem „®raf ißetöft)", ©ectle" unb „@ffi ©rieft" ab»
ftr alteren läfjt. 3ßa3 i|n anjog, mar aber, nicht ba$ ©Ijetfjema,
fonbern eine einzelne ©eftalt, ß’ülbuttera, Tetanie öan ber
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172 dritter Seil. Sie s Jiot»elleu ber SWitteljeit
©traaten. 28ir ^obctt fcf)on ^eroor, bajj gfontaneS ©troffen nicht
auf ©efdfjichten, fonbcrn auf ©eftalten tcnbiert. @S geigt fiel) gudj
hier. um eine ©tjegefdjidjte gu fd^reiben erfinbet er bie @e*
ftalten ber SÄobefle, wie ©trinbberg in feinen „heiraten“, fonbern
um ein paar intereffante üJtenfdfjen gu geicfjnen bebient er fitf) einer
©^egefd^id^te.
X>ie Trennung bon ©gefiel unb ÜEJelanie »an ber ©traatenS
unwahrer ©{je läjjt erft jene ©dfjictjten menfchlidhen SBefenS ans
Sicht treten, auf bereu ©lofjlegung es bem Xidhter anfommt.
Sine liebenSmürbige unb bei fchetnbarer Dberflächlidhfeit fernhafte
tjrau begreift ihr bisheriges Seben, baS fich burdj ein willenlos
aufgenommenes ©cljicffal in falfdjer Dichtung bewegte, als Irrtum
unb teiftet im SBiberfpruch gegen ©ewotjnheit unb ©efep ber ©e*
fettfdhaft ihrem innerften 3dfj, ber ©timme ber üßatur, über ©nt*
behrung unb Seiben hinweg XieS ift ber ©inn, EManieS
©ntwitflung ber ©ang ber EfobeEe, unb Wie im „©chadf)" ift alles
anbere nur ©eiwerf. ©etbft bie Origur beS ÄommergienrateS
oan ber ©traaten, ber man wegen ihrer unmittelbaren fjrifcfje unb
SebenSbidhte boin fiinftterifc^en ©tanbpunft aus ben Vorrang bor
EMante wirb geben müffen, tritt im ©erlauf ber EiooeHe immer
mehr gurüdf unb ift im Anfang nur baS ©egengewicht, an bem
ber latente SBiberftanb ÜÄelanieS fich emporarbeitet.
SBie fehr eS Montane bor ber Elbfdhilberung ber äußeren
SebenSbreite unb fulturellen gufamntenhänge auf SKenfcfjenbarftel*
lung anfommt, geigen fchon bie Xitel feiner ^auptwerfe. EKit §luS*
nähme bon „Errungen, SBirrungen" (gewifi fein glücflicher ©in*
fall) tragen alle ben tarnen beS gelben, nur bei ben $rüh* unb
Eiebenmerfen finben fidh Xitel inhaltsbeutenber ober ftimmungS*
mäßiger Statur. Sludh „S'Slbultera" war urfprünglidh „EKelanie
bau ber ©traaten“ genannt, unb man fieljt Montane ungern ba*
bon abgehn. X)ur<h ben bauernben ©egug auf XintorettoS ©ilb
ber ©hebredherin befommt baS Sßerf etwas gewollt ©pmbotifdheS,
waS bem realiftifchen ©runbdharafter ftörenb gumiberlauft.
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1. ü'SlbuItero
173
tfcontane fcJjreibt über beit Xitel: „ßu ,2’91bultera‘ lieb ich mich
O beftimmen, 1 weil bag ©piel mit bem S'9tbultera*Bilb unb
ber S'Slbultera»[Jigur eine Heine ©eiftreidjigleit, ja, mag mehr ift:
eine runbere Stunbung in [ich fchlieftt. 3n biefer ©egenüberftellung
unb parallele lag etmag Berlodenbeg, bag mich anbermeite Be*
beulen jurüdbrängen lieft." ®ie runbere Stunbung »füllte ben
©injelfatl jurn Xppifchen ergeben. Slber aug bloftem „©piel" mirb
nie etmag mahrhaft ©pmbolifcheg erroadjfen unb bag SSerl lann
biefer ©infthläge jurn ©lücf entbehren, mirb nur non ber ein*
fachen Söirllidjleit feiner lebenbigen ©eftalten getragen, unb nur
bieg ergebt „ß’5lbultera" über „©cbach oon Söuthenom", [teilt
fie in bie Steihe ber bleibenben Sßerle [Jontaneg.
3m ,,©d)ad)" mürben bie SJtenfchen einer [Jabel untergeorbnet
unb nach i^rem Verlauf jure^tgebogen, gegen [Jontaneg Statur
belam aug ^iftorifcfjen unb pfpdjologifchen Bemühungen h e raug
bie oorgefunbene ©efchichte bag Über gemixt; benlt man fie fort,
fo öerlieren bie ©eftalten ihren regten ©inn, ihren feften §alt,
ihre Sebengfähigleit. ÜJtan lann fie nicht benlen, ohne zugleich bie
[Jabel ber ©chach s 9toüeHe mitjubenlen. 3n „S’SlbuItera" lann man
alleg ftörenbe Beiroerl, bag ©piel mit bem £’21buItera*BiIb, bie
fataliftifdjen ßüge oan ber ©traateng, bie oorgreifenben Berner*
tungen mancher ©efpräche mit ihrer forcierten ©pmbolil, bie »er*
unglüdte ©eftalt ber Spbia, t)eg untinblidjen Äinbeg, megftreichen,
ohne baft an ben Sebengnero beg Sßerleg gerührt mürbe. SBag
im „©chach" noch ßeichen beg Sftiftlingeng, [Jeljler ber Slnlage, ift
hier nurmehr äuftere ©chlade, bie abfällt, menn SManie unb
oan ber ©traaten in oofler ßebenbigleit ber geiftigen Stüderinnerung
erftehen.
SJtit bem urfprünglichen Xitel märe auf biefe aufbringlid)en,
aber unmefentlichen 3üge ber ©efchidjte nicht fo nadhbrüdlich fyn*
gemiefen morben. 9tun nahm man fie für bie ^auptfadje unb ber
Srrturn einer prinzipiellen Ablehnung unb einer jmeifelhaften
Popularität biefeg BSerleg haben gleid)ermeife an fie angelnüpft.
3)ie Slnmärter ber tonoentioneUen ©ittlidjleit glaubten in ber
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174 dritter Seil. Sie 9?ot>elIen ber äKitteljeit
SKoüette eine fataliftifche Verherrlichung beS ©hebruchg befürmortet
unb erhoben matinenb ihre Stimmen, bie fjontaneg Staffen big
jut „Stine" in ftetS oerftärftem @<ho begleiten füllten. S^nen
gelte jein Bort, baß bie ©efdjichte für natürliche unb anftänbige
3Renf<hen feine Spur non Vebenftichem enthalte, baß man aber
biejen üben Sittüdhfeitgftanbpunft einnehmen rnüffe, menn man
mehr $elot alg SBienfcf) fei. 2lnbrerfeitg meinten bie Verfünber
beg Slaturaligmug auf „S'Sßmltera" triumphierenb hinmeifen unb
gontane alg ben 3h ren io 2lnfpru<h nehmen ju bürfen, ba er [ich
nicht gefreut höbe, einen aftuetten Vorfall beg gegenmärtigen
Sebeng ohne Scheu, meber abfchmädjenb noch oerfdjönenb, be-
hanbett ju hoben.
Slber auch bieje ©inftettung mar fatfch, oerfannte ben tieferen
(Gehalt, hielt fich an ben Stoff unb bie Vorbergrünbe. SDtan nahm
ben dichter alg einen SKaturaliften, oerführt burdj feine bebingte
5lnertennung biefer lebenbigen Vemegung, unb fah nicht, baff bie
Burjetn feiner geiftigen ^ßerfönlic^feit in anberem ©oben ruhten.
fjontane hol fpäter geäußert, er höbe ein Stüdf Sehen ohne
jebe Sttebenabfidht ober £enbenj geben motten unb miffe bag Berf
im ©egenfo| ju Surgenjem unb gola — fügen mir f>i«3u: auch §u
Stöfen, an bem er bag (Gleiche ju tabeln pflegte — frei „oon Über¬
treibungen überhaupt unb üor allem oon Übertreibungen nach ber
Seite beg faßlichen hin. 3<h bin fein ißeffimift, gehe bem traurigen
nicht nach, befleißige mich oielmehr, alleg in jenen Verljältniffen
unb ißrojentfäfcen ju beiaffen, bie bag Seben felbft feinen
©rfcßeinungen gibt." £>ier finb mefentlpe fünfte berührt, bie
Montane oon ben jüngeren, ben Vealigmug oom Sfaturaligmug
trennen: ber £ang jnm tttegatioen unb nur faßlichen, 'bie Vor¬
liebe für ben oierten Staub, ber in ber ^Berliner tttornanmelt nodh
nicht auf ben ißlan gerüdft ißt. Unb öor allem bleibt bie fefte
Veranferung beg Schaffeng in einer einheitlichen unb ftarf aug-
geprägten ißerfönlichfeit Reichen ber realiftifdjen ©poche. 2>ie
Berfe ber (Generation beg üßaturaligmug fönnen meift nur alg
meßr ober minber jufättige ©manationen ihrer Verfaffer unb faum
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1. 8 T 'ilbultcra
175
eines ber ©ejamtwerfe ihrer gü^rer — wenn wir oon Strt^ur
©djniller abfehn — als geschloffener bichterifcher SluSbrucf eines
einmaligen SBeltfehenS, einer ausgeprägten ober organifefj fich
wanbelnben Snbioibualität gelten.
„2’Slbultera" gehört, fofern man auf ben ©eljalt unb bie
©ntwidlung ber ©eftalten fieljt, bem SRealiften Montane. Äber *
freilich noc § nicht unbebingt. 3ene bejie^ungSreithen Slnbeutungen
mancherlei $lrt, bie bie „runbere SRunbung" anftreben unb burd) bie
ganje Arbeit oerftreut finb, oerhüUen lange ben eigentlichen $ern.
SEBemt ÜKelanie in ber Sommerlichen ßurücfgejogenheit ber
E£iergartenoilla fich ihrer SGBagnerfchwärmerei hingibt, unb Älänge
aus „Sriftan unb Sfolbe" unb „SEBotanS Slbfchieb" bejiehungS»
reich herübertönen, als ©benejer tftubehn ber ©attin beS ©h e f8
feinen SlntrittSbefuch macht, bie halb ,,$bfcf)ieb'' nehmen unb mit
ihm, bem heimlich ©eliebten, fliehen foH, fo mag bieS noch hin*
gehn. Slber allenthalben greift ein nicht glücfücheS (Streben nach
leitmotioifcher Rührung oon biefer romantifchen $heatermufif in
ben ganj unromantifchen ©ang ber SftoöeUe über. SJtelanie fieht
am Öfenfter bem fallen ber ©djneeflocfen ju unb eine plö|li<he
©ehnfucht überfommt fte, „als müffe es fdjön fein, fo $u fteigen
unb $u fallen unb bann wieber $u fteigen" wie fie: ber realiftifche
©ang ber (Stählung wirb unterbrochen burch ein Signal, bei
bem man etwas &u beulen, baS etwas $u „bebeuten" h Qt * ®ie
fiöfung lommt, als fie nächtlicher geit baS £>auS beS ©atten für
immer oerläfjt unb aus ber ©efeflfdjaftSorbnung heraustritt, ©ie
muh beS „EfcageS benfen, nun beinah jährig, wo bie ftloden auch
wirbelten wie heut, unb bie Unbifdje ©ehnfucht über fie fam, $u
fteigen unb $u fallen wie fie". — Ober bie prachtooHe Sanbpartie
nach ber ©tralauer SEBiefe, auf ber bie ©reigniffe fich f° natürlich
entwickeln, wirb burch ähnliche SDrücfer unb ^inweife, bah etwas
paffieren, bah biefer StuSftug wichtige folgen nach ftch gieren
werbe, anfünbigenb abgefchwächt, oorweggenommene Interpretationen,
bie ftören, beren eS nicht bebarf, ja bie bie ganj falfche ÜRemung
auffommen laffen, eS honbele fich hier um etwas wie eine ©chicffalS*
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176
Dritter Deil. Die 9?o»eHen ber SRittetjeit
nooette. 9Ran möchte mit oan ber ©traaten folc^e „intrifaten
SBortfpietereien" gern rniffen, gumal Montane« fünftterifcbeS Ver¬
mögen biefet fatfdjen ©eiftreiebigfeit gar nic^t bebarf. Äber bie
Störungen motten nid}t aufljören. ÄlS bie Eafttofigfeiten beS
ÄommergienratS bei bem animierten ©ouper, baS ben ÄuSflug
befcbliefct, SKetanie bereits entfebeibenb gu SRubebit haben hinüber»
gleiten taffen, mufj bie ©pree noef) einmal gu einer gelungenen
©pmbolif begatten. ttKetanie: „,3<b benfe, mir Iaffen bie ©täfer
teer. @8 ift ohnehin ©tübmein. Unb menn mir noch hinüber
motten, fo mirb es 3eit fein,' hob« 3 e it\ unb fie betonte baS SBort."
Smmer mieber mirb ein teitmotioifeber SRifjbraucb getrieben,
©ange Kapitel runben ficb mit ihren Überfcbriften „SGBobin treiben
mir", „Unter Halmen", „ß’Äbultera" in biefem ©inn. ®ei ber
fo übergeugenb geftatteten Eingabe SRetanieS mirb nicht nur an
ein gu $obe gebepteS $itat erinnert, fonbern bie Älaoiertebrerin
mu| auch mirfticb noch fpredjen: „3Ran manbett nicht ungeftraft
unter ißalmen."
Äm meitgreifenbften ift bie ©pmbotif beS ß’Äbultera^VitbeS.
©teicb baS gmeite Äapitet führt atS Untertitel ben beS gangen
SBerfeS, unb ÜRetanie bat, ben ©ang ber Sonette üorauSnebmenb,
ficb über SEintorettoS Stuffaffüng ber ©eftatt fotgenbermafjen gu
oerbreiten: „©emeint bat fie... ©emijj... Äber marum? SBeil
man ihr immer mieber unb mieber gefagt bat, mie fehlest fie fei.
Unb nun glaubt fie'S auch, ober rnitt eS menigftenS glauben. Äber
ibr £erg mehrt ft<b bagegen unb !ann eS nicht finben. 1. Unb
bafj i<b bir’S geftebe, fie mirft eigentlich töbrenb auf mich- ©8 ift
fo oiet Unfcbutb in ihrer ©ebulb... Unb alles ift mie oorber»
beftimmt." Stiles mie oorberbeftimmt! 2)a8 ift baS ©ticbmort ihres
©atten, gu bem fie fpriebt, ber einen fataliftifeben $ug mitbefommen
bat. „ÄtteS meebfett im ßeben. Unb fteb, atS mir testen ©ommer
in Venebig maren, unb ich bieS Vilb fab, ba ftanb eS auf einmal
alles beutlidj oor mir. Unb ba mar eS benn auch, bafj ich ©aloiati
bat, mir baS Vitb fopieren gu taffen. 3cb mit! es oor Äugen haben
fo atS Momento mori... 2)enn eS ift erblich in unferm $au8..
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1. S’Slbultera
177
Äattn es bertounbern, bafj man ffontane bcn SBortourf ber
Tenbenz machte? 9Jlan §at aus bem ©ebantlidfjeu, ftatt aus bcm
©eftatteten erftärt, bcn Fatalismus »an bcr ©traatenS als SJleinung
ffoutaneS gebeutet, beibe ibentifijiert unb barauS eine laje
53ef)anblung fittlicf>er fragen gefolgert. Ter Irrtum, bafj bie 93er*
^ättniffe bie äKenfcljen machen, tote er fogar öon gontanefennern
als beffen Überzeugung angefprodjen toorben ift, fonute an einer
foldjen ©teile \i<fy fefjr gut Ijeranbitben, unb man. öergafj ganz,
bafj ÜJtelanie fdpefjlicf) bie Sßerljältniffe energifdfj iljrem perfönlidjen
SBillen unterorbnet, bafj üan ber ©traaten nur Äontraftfigur ift,
bie ©ein unb ©inn ber helbin fteigert.
Kommerzienrat ban ber ©traaten ift ber erfte flaffifdje berliner
«/V gontaneS, in biefer Lobelie, bie mit ifjrer ^auptgeftalt ganz
im Snbibibuetten bleibt, bie tt)pifd|e gtgur, in ©pradje, ©ebärbe
unb 2Jteinung ber tooljlbegüterte ©preeatljener beS Tiergarten*
biertels. ÜDlan tönnte feinen ffatatiSmuS ganz gut ofö befonbere
©rfcfjeinungSform jener ©entimentalität beuten, bie fid) ber SBifcig-
!eit beS ^Berliners oft djarafteriftifclj eint. TaS ©entimentale Ijat
ftdfjin ifjm zum gataliftifcfjen berfefjrt, baS Sßi|ige zum ©feptifdfjen.
©in reidO getoorbener ©mporfömmling, ber, profcenljaft unb gut*
mutig zugteidj, nie eine gute Äinberftube genöffen l>at, ein ßebe»
mann, ber fidj geljen läfjt unb „aus feinem ^erzen feine SJlörber*
grübe rnadjt". Unoermeiblidf) berfällt feine Siebe, toenn iJjm tooljt
toirb, in bie SöeroliniSmen ber 9$olESfprad()e. ©eine felbftgefältig
Zur ©dfjau getragenen Äenntniffe finb zweifelhafter Slatur, feine
boroelimen jßaffionen fd^led^t unb mobern. 3BaS er über „gelben*
tum" befinbet, d^arafterifiert iljn ganz bortrefftich, unb man
fieljt beutlidh bie faloppe Sßofe biefeS bicEen -tölenfcfien, toenn er
ftch zu ber ©cfjule feines „ffreunbeS ^eine" befennt, ber „bei
jeber ©elegenljeit feiner äufjerften Abneigung gegen tragifd^e
SBlanieren einen ehrlichen unb unumtounbenen SluSbrudE ge*
geben Ijabe".
' SSanbret), Montane 12
t
I
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178
dritter Deü. Die SiobeUeii ber äWittcl^eit
ffontaneg Äunft, SRenfchen burch tRebe fiefftbar ju machen,
jeigt fich in „S'ÄbuItera" fchon oöHig reif unb oirtuog. @g ift
eine erlefene ÜReifterfc^aft, bie ben SRljtytfjniuS unb bie XonfäHe
biefeg Äommeraienrateg f che inbar mühelos fijiert. Sie fpricht er
in öerfdjiebenen Situationen unb ju oerfcf)iebenen üRenfdjen oet*
Rieben, wie fpiegelt fich ba beutlich bie jeweilige Stimmung, ber
©rab, in bem er feinem Xemperament bie $ügel fließen läßt!
Sine Sfala oon ber leifen Stnfpielung big $ur offen unb felbft»
gefällig geäußerten Unanftänbigleit, ein $on, oft fpifc, oft jwei*
heutig unb meift unpaffenb, ein ßfjarafter, gutmütig, ohne Untere
fcheibunggoermögen, auch im Sohlwollen noch ungefdjidft.
SRelanie tjat als VacEfifcf) ben ^roeiunbüieqigiäbrigen geheiratet.
35ie SJurdjfchnittgehe läuft jeljn Sa^re glücflich, ihre Sünfcße
fcheinen nicht über bie zärtliche Verwöhnung beg ©atten unb bie
$lnnehmtichfeiten eineg bequemen Sohllebeng hinaugjureichen. 3)a
tritt ©benejer SRubehn, ber elegante granffurter ißatrijierfohn alg
Volontär in oan ber Straateng |>anbelgbaug, unb aug ber oor*
nehmen ßurüdfhaltung beg neuen |jauggenoffen erwächft für
SJtelanie ein ftiller Siberfprudf) gegen bie biftanjlofe Statur oan
ber Straateng unb bie oberflächliche $lrt ihreg Verliner ©efetlfchaftg»
lebeng.
gontane ^at r um bie felbftänbige Sirfung ber £auptgeftalt
nicht ju beeinträchtigen, oon SRubehn nitf)t mehr gezeigt, alg gum
Verftänbnig ber Sanblung SRelanieS nötig ift. @r wirb, wie
oan ber Straaten, nur in entgegengefe|tem Sinn, SRittel ihrer
feelifchen ©ntwicflung unb bleibt barum ein wenig paffio. 3)odjj
ift biefe Vefdjränlung unb Integration, bie an Stelle beg Sieben*
einanber oon „Vor bem Sturm" getreten ift, nicht Unoermögen
unb 21rmut, fonbern 2echnif unb bewußte SIbficht.
$)ag (angfame ^inübergleiten üftelanieg gu SRubehn ooU^ießt
fich mit einer Unauffälligleit unb Selbftoerftänblichfeit, bie ^ontaneg
©rftarlen in ber Seelenanalpfe beutlich erfennen laffen. Sie hot
ni^tg mehr oon bem Sjemplarifchen ber Schach »SRooeHe. 3n ben
erften Kapiteln, oor bem Auftreten SRubehng, wirb audh oon SRelanieg'
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Original frei '
UMIVERSETY OF MICHIGAN
1. £’2lbultetö
179
tiefrer Statur nod) nichts fidjtbar, felbft bie $intoeife oon aufjen
fehlen, tote fie Montane üorgretfenb ju geben liebt, eS perrfdjt
ganj jener Xon, ber als „toibriger Seigefdjmacf", als öerfeljlt felbft
oon ©rid) ©djmibt getabelt toorben ift, ber aber nottoenbig toar,
erjt einmal gehört toerben mu|te, toenn bie fpätere ©ntwidlung
üerftänblid) bleiben foH. — 9Relanie äußert Sebenfen, ben jungen
9tubef)n als |»au§genoffen aufeunefymen. San ber ©traaten: „,®r
ift oerlobt, ober fo gut toie oerlobt. 4 ,©d)abe. 4 ,©d)abe? Sßarurn? 4
,233eil Serlobte meiftenS langweilig finb. ©inb fie beifammen, fo
finb fie ^ärtlidf), bebriitfenb järtlid) für itjre Umgebung, unb finb
fie getrennt, fo fdjreiben fie fiel) Sriefe ober bereiten fiel) in if)rem
©emüt barauf oor. Unb ber Sräutigam ift immer ber ©flimmere
oon beiben. Unb toill man* fid) gar in ipn oerlieben, fo fjeijjt baS
nidjt me^r unb nid)t weniger, als jwei ßebenSfreife ftören. 4 ,3wei? 4
,3a, Sräutigam unb Sraut. 4 ,3d) Ijätte brei gejault 4 , lachte oan
ber ©traaten. ^Slber fo feib Ü)r. 3dj) wette, bu Ijaft ben dritten
in ©naben oergeffen. (Seemänner gälten überhaupt nid)t mit.
Unb wenn fie fid) barüber wunbern, fo machen fie fid) rtbifül! 4 " —
Ober eS ift jwif^en beiben oon einem Silbe bie SRebe, baS SRelanie
alä altes bejeidjnet. San ber ©traaten: „,2lIteS Silb! @3 ift
niefjt alter als id). 4 ,9hm, bann ift eS gerabe alt genug. 4 ,Sra-
oiffimo. ©iel), fo f)ab id) bic§ gern. Übermütig unb boshaft. Unb
nun fage, was beginnen wir, tooljin gonbeln wir? 4 ,3d§ bitte
bid), ©fcel, nur feine SeroliniSmen. 2)u fjaft mir bod) geftern
erft . . . 4 ,Unb id) |alt’ es aud). Slber wenn mir tooljl umS
$erje wirb, ba bricht es wieber burd). Unb je|t fomm, wir wollen
ju §aa3 unb uns einen Xeppid) anfefyen . . . „©erabe alt ge¬
nug* 4 ... Sorjüglid), oorjügtidi) ... Unb nun fage $ßapadf)en, wie
tyeifjt bie fdjönfte grau im Sanbe? 4 .äRelanie. 4 ,Unb bie Iiebfte,
bie flügfte, bie befte grau? 4 ,2Relanie, SRelanie. 4 ,@ut, gut . . .
Unb nun geljab’ bid) wof)l, bu 9Renfcf)enfenner! 4 ' 4
233er folgen ©teilen nur ben l)äfjlid)en Seigefdjmacf abmerft,
l)ört fie nidjt rec^t. ©eJ»en wir überhaupt oon blofjen ©efcljmacfs-
urteilen ab, fteHen Wir bie grage nur bal)in, ob biefer SEon — ein
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180
dritter £etl. ®te 9Zo»etteit ber SDlittetjeit
fpegififdjer Xon beg ^Berliner SJBeftenS — öon ber ©igengefefctichfeit
biefer Sßoöelte geforbert toirb. ©etoifj ift er bag. @r fennjeidjitet
öorgügtidf», toag an biefer ©teile beutlid) toerben rnufj: bag Sßürbe*
lofeint Verfehr ber Regatten, wie fie fich nicljtg gu fagen höben
«nb fi<h nichts finb, tote ihr ßufammenleben eine gufäUige ®e*
toöhnung ift, toie SManie fid» unperfönlich in bie Strt öan ber
©traateng gefunben höt unb if»n i»öc^ften§ ein toenig luftig ober
genierlic^. finbet.
liefen guftanb malen bie folgenben Kapitel toeiter aug: „2)er
engere ßirfet", „Vei Sifch", „Stuf bem ^eimtoeg“. ,®er engere
ßirtet ber Vertoanbten unb gremtbe toirb burd) ein 2)iner —
neben ber ßanbpartie gontaneg beliebtefteg bittet, ßeute fomnten
gu taffen, bie in ©egenfafc unb Sßaraßete ^anbtung unb $aupt*
perfonen gu fpiegetn unb gu unterbrochen höben — eingeführt:
©rpcgingfi, ber ©eneralftübter unb ©treuer, mit tabettofen 2Wanieren,
oon öan ber ©traaten burdE» SBetten getrennt; feine grau gacobine,
©cfjtoefter -üManieg, bie bag toirtlich ift, mag jene nur gu fein
f<heint: eine tiebengtoürbig=oberflächliche ©efeßfchaftgbame; bagu
eine 9teifje öon ©enrefiguren mit prachtöoß tebenbigen Äteingügen,
bie toertöoße. Veigabe jebeg ^Berliner 9tomang, aber nur gum
3toedE ber gütlung unb nur in tofer Verbinbung mit ben eigent*
liehen Vorgängen öerftochten: ein mifjöergnügter, alter ßegationg*
rat, Vigmardfgegner unb feit feiner 3)ienftentlaffung mit bem ge*
flügelten SBort auf ber 3unge, bafs atteg genüge „überfchäht"
toerbe; ein Sßotigeirat, äufjertich argtog, aber mit geheimen feetifchen
$intergrünben, öon bem öiet naiöeren öan ber ©traaten ber un*
anftänbigen ©efchidfjten toegen beöorgugt, bie er in öorgerüdfter
©timmung gum beften gibt; ein paar üftater, gunggefeßen in
nicht fonbertich guten Verf)ältniffen, bie bag Äunftmäcenatentum
beg Äommergienrateg oer auf cf) antiken halfen; fpäter bann noch
gtoei alte gungfertt, eine tangaufgefchoffene Ätaöiertehrerin, bie für
bie ßeit ber heimlichen Vegieljungen ÜDManieg unb ßtubehng gur
Vertrauten toirb, unb eine Keine, öertoachfene Stbetige, gräutein
grieberife öon ©atoa^fi, bie ben menfehenfreunbliehen, gereiften
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1. S'Slbultera
181
Vtid unb bag gütig tröftenbc SBort hat, betn zuliebe in ben meiften
Sßerlen ftontaneg eine befonbere ©eftalt erftefyt.
„Sei $ifdh" mirlen biefe ^ßerfonen burch ihr blofjeg S)afein
unb t§re ©efpräcfjgbeteiligung jur ©dhilberung bet üan bet
©traateng mit. 3fn jmartglofent ©eplauber fommt bie ganje
Sltmofppre be§ fommerjienrätlichen |>aufeg jur 2)arfteHung. „Äitf
bem Deimmeg" fpredpen bie ©äfte über bie ©aftgeber. Unb mie
bie pfpcpotogifche Stnalpfe ift nun auch bieS jmeite ^auptmittel
fontanifdjer ©eftaltungglunft, bag ©efprädj, mühelos unb mit
üoKern ©rfolg getjanb^abt. $)ag ganje Äapitel t)at nur ben Zmed,
bie ÜJlenfchen, S5ert)ättniffe unb $)inge, auf bie eg anlommt, burch
©efprädh immer üon neuem unb nach aßen ©eiten um unb um
ju rnenben. ®er Später fpricht auf bem Vod beg SCBageng,
©rpejingfig im Sßagen über üan ber ©traateng, ber Segationgrat
unb ber ißolijeirat, bie ju peimgepen, bepanbeln bag gleite
^f»ema, SDinge, bie mir fcpon ju miffen meinen, fdjeinbar fdpon
©efagteS mieberpolen, unb bodp in 233irllicf)feit ©a| für ©ap ein
unauffälliger Äünftlergriff finb, ber bie Vejiehungen unb ©eftalten
immer leb« unb leibhafter, immer plaftifcper unb üielfeitiger herauf
formt. SBenn Vubepn auftritt, ift leine Unflartjeit mehr jutüd-
geblieben, ift ohne langatmige ©cpilberung auf fünfunbüierjig ©eiten
gefagt rnorben, mag ju fagen ift.
^\ie Sanbpartie nach ber ©tralauer SGBiefe unb ßöbbefeg Äaffee«
h ouS bringt ben feelifchen SBenbepunft ber ßloüeUe. ßanb-
partien finb auch m ben fpäteren Romanen bie ©jenen mistiger
Vorgänge unb Verfdpiebungen in ben menfchlidjen Vejiehungen.
fjontane meijj ben ©epap feiner „2Banberung«n", feine Vorliebe
unb Vertrautheit mit ber märfifdpen ßaubfepaft ben jeweiligen
bichterifchen ßroeden bienftbar ju machen. @2 finb leine emanzi¬
pierten ©chilberungen mehr, mie in „Vor bem ©türm", unb auch
rein eHenmäfjig üon ber Inappften Sfagbepnung. SSie oft Zeich¬
nungen großer 3Reifter mit ein paar ©tridpen ben 2)uft unb bie
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182 dritter ütcil. 2)ic 9?oüeIIen ber ÜUtitteljeit
befonbere Stimmung einer Sanbfcbaft geben, fo ift ^ier mit
fdjlicöteften Mitteln SEBefenttic^fteS feftgeljalten. S)ie Sanbfcbaft um
Berlin wirb, wie ber ©orten um ein |>auS, ben Vewobnern ber*
traut unb mit ihnen berwadbfen, fte ift nicht Staffage, fonbern
gebt mit ben ÜKenfdjen, bie in fie binauStreten, eine ^öt)ere Ver*
binbung ein.
SJtetanie bat $u Stubebn, bem Stiebt* Vertindr, — unb fie fennt
nur ben oberflächlichen unb ben fpöttifeben berliner £on — eine
Steigung gefaxt, bie bi^ber noch im Unbewußten berbarrte. "Stuf
ber Stratauer Sßartie wirb fie ficb über bie 2lrt ihres gfftbfenS
Kar. Stubebn empfinbet baS familiäre unb anzügliche betragen
ban ber StraatenS, ber bei abenblicbem ©lübwein in Stimmung
gefommen ift unb aus feinem |jerjen wieber einmal feine SJtörber*
grübe macht, als abftoßenb unb peinlich- SJtelanie fiebt fein Un*
behagen, unb WaS ihr bunbertemal nur Verlegenheiten ober Sirger
bereitete, oerurfa^t ihr jum erftenmal Scham. Sb re ganze @b e
rücft ihr plö^licb. in ein neues Siebt. ©ie Siebe ju Stubebn bringt
ihr SnnerfteS zutage,' ber Vergleich mit ihm ftellt ihrem nun
beHfidjtigen Vlicf baS Stegatioe an ban ber StraatenS Statur un*
bittlicb be^auS: ,,©r weiß fo wunberboH alles zu treffen, was
fränft unb bloßfteUt unb befdfjämt. — @r fennt fein ©eßeimnis,
weil ißm nichts beS ©ebeimniffeS wert bünft. SBeil ihm nichts
heilig ift. Unb wer anberS benft, ift febeinbeilig ober lächerlich-
Unb baS bor 3buen...." Slber nach ber fieberhaften Erregung
beS erften SluSbruchS fommt ihr zeitweilig bie ^errfeßaft über fi<h
felbft zurücf, unb erft naebbem fie Stubebn nichts mehr zu berfagen
bat, naebbem fie ein Äinb bon ihm trägt, entfdfjließt fie ficb jum
lebten, folgenfdfjweren Sd^ritt: §eim, ©atten unb Äinber zu ber*
taffen. >
CS ift bezeidbnenb für ben Slbftanb $ontaneS bom üblichen
Stomannibeau, für bie Stiefe feiner menfeblicben ©infiebt, wie er
bie Eingabe SJtetanieS zu motibieren weiß. ®iefe Reinheit ift nicht
gefeßen, ift als ßufäüigfeit gebeutet worben, als Slbbängigfeit beS
SJtenfdben bon ben Umftänben. Slber eS liegt bodb anberS. SJtelanie
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1. £’ s ltbulteva
183
1
miU fiel) oon bem Steuert, baS auf fie einftürmt, befreien, if)re Siebe
jur neroöfen Überreizung eines §lugenblids ftempeln. 9Jtan gibt
eben bie ®emohnf)eiten eines zehnjährigen SebenS nicht ohne
meitereS auf. Sie jmingt fidf ju einer leichtfertigen Suftigteit, um
bie innere Stimme jum ©chmeigen ju bringen, bie fie 9tubet)n
folgen läht. Unb ba f)ei^t eS bann, als bie beiben im Halmen*
häufe baljingeljn: „9JManie füllte, mie biefer beraufdjenbe 2)uft
ihre Heroen hinfcfjminben machte, ©ie jaulte jenen oon äußeren
(Sinbrüden, oon Suft unb Sicht abhängigen Naturen ju, bie ber
grrifdje bebürfen, um felber frifd} zu fein. Über ein ©djneefelb
hin, bei rafenber $ahrt unb fcharfem Oft, — ba mär’ ihr ber
heitere ©inn, ber tapfere ÜHut ihrer ©eele miebergefommen; aber
biefe meiefje, fchlaffe Suft machte fie felber meich unb fchlaff unb
bie Lüftung ihres ©eifteS loderte fi<h unb lüfte fi<h unb fiel." .
9Kan benlt unmillfürlich bei biefer ©teile an einen Bericht
Otto 93rahmS, er habe Montane niemals aufmerffamer aufhorchen
fehn als bamalS, mo £enrif Sbfen ihnen auSeinanberfefcte, bah
feine $ebmig in ber „SÜBilbente" fi<h vielleicht nid^t getötet hätte,
rnenn nicht gerabe ein fdjmerer SGßintertag gemefen märe, mo ein
trübes, graues Sicht über alles hinfällt unb ber ©djnee bid unb
jäh auf gefrornen Scheiben ruht. Slber muhte barum Sbfen jum
©chidfalsbramatifer geftempelt unb oon Montane gejagt merben,
bah er bie üDtenfchen auf Stainefclje SBeife ableite? ÜSon Montane,
ber befannte, baS Seben h°be ihn gelehrt, bah nUeS auf bie
äRenfdjen anlommt, nichts auf bie fogenpnnten SSerhältniffe!
2)ie ©ntmidlung ber „S’5lbultera" oon einer ßufäüigfeit ab*
hängig ju finben, heiht benn auch SSeranlaffung unb Urfache üer=
mechfeln. Seicht meil fich SManie ütubehn hingegeben h a *r folgt
fie ihm auch ferner, fonbern meil er bie ihr mahloermanbte Statur
ift, gehört nur nodj ein Heiner äufjerer Slnftoh baju, um fie ganz
in feine 5trme zu treiben. Glicht maS für ßufälle ben äftenfehen
begegnen, fonbern maS fie aus ihnen zu machen miffen, ift baS
©ntfdjeibenbe bei Montane.
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184
dritter Seil. Sie Üftoüetlen ber äKitteljdt
^\er näd(jttiche 3tbfcf)ieb ÜManieg bon bau ber Straaten ift bie
(Steigerung unb Erfüllung jener Svenen, bie fdhott in „93or
bem ©türm'' §öhepunfte bebeuten: ©efpräche ohne jebeg gefchraubte
SßatljoS, f<f)Iicht, einbringtich burdj ©ehattenheit, ebenfo bejeicfinenb
für Montane wie für bie fontanifchen UJienfc^en. SRetanie unb ban
ber Straaten feinen tjier auf eine ihr gewöhnticfieg 2)afein über*
ragenbe Stufe gehoben ju fein. Sßie er SRenfdhen burctj3 ©efpräch
gibt, fo geben t>ier bie Rtenfdjen fi<h fetbft int ©efpräcf), ihre nacfte
Seele tritt ang Sicht, eg finb Setbftoffenbarungen bon ftärffter
Sßrägfamfeit unb Sßräjifion. Unb babei hoch atg SBort ihreg SRunbeg
nicht unwahr. ®er ftar! intetleftuelle ©infchtag, ben gontaneg
wefengberwanbte ©eftalten mitbefommen, ber auch fühlbar wirb,
Wenn fie gerabe nicht formulieren ober geiftreicf) finb, täfjt fie in
Slugenblidfen ftärffter innerer Stftibität fich biefer ihrer Äraft be*
bienen, wenn eg etwag SBi^tigeg augjuricfiten gilt, if)r Setbft mit
fühter Objeftibität augfpredhen, wenn eg fi<h um Rechtfertigung
hanbett. S)ag gibt bann feine Seibenfchaftgfeenen im üblichen Sinn:
Stitprinjip biefer fprechenben SRenfdfjen, Stitprinjip beg 2)idjterg,
ber fie fprectjen täfjt, ift immer bie ©eholtenljeit, eine fotdfje aber,
bie fehr gut mit geiftiger unb feelifdfjer Seibenfchaft fidh berträgt.
2Bag biefem wunberbollen Kapitel „Slbfchieb" feinen eigenften
üBert berleiht, ift bag Ruhig= ( Setbftoerftänbtiche ber Stugeinanber*
fefcung, bie bag Ungewöhnliche, gefettfcfjaftlich Slnftöfcige atg ein
bor ber Ratur Rotwenbigeg, bag fcheinbar Unfittliche atg ein
innerft Sitttidjeg gu begreifen weife. Stuch Rora Reimer öerläfet
©atten unb ßinber, unb man hot baraug eine Senfation gemacht.
SBir empfinben h^ut bor Sbfeng bietbewunbertem unb tedhnifdh noch
$u bewunbernbem 3)rama, baff eine borjügtich angelegte grauen*
geftatt im lebten 9lft wittfürtich umgebogen wirb, um atg Sprach 3
rohr beg frauenrechtterifch geftimmten 2)ichterg gu bienen. ÜRetanie
ban ber Straaten, in ihrer großen 3tbfchiebgf$ene, wirb nicht
tenbengiög, fie braucht nicht aug ihrem bigherigen (S^arafter fjeraug*
jutreten. 2öag fie Reueg augfpricht, hot präformiert fchon in ihr
gelegen, unb fie rebet immer atg grau, währenb Rora, gang ab*
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1. S'3lbuttera
185
gefeften üon bem Snftalt ihrer neuen ©rfenntniffe, biefe in einer
Sorm oorbringt, bie ben fdharfen Stempel Sbfeng trägt, ober
mit bem liebengwürbigen Sßkfüberton ber glaubhaften 9tora ber
erften oier Sitte nicht jufammenftimmt. $ontane§ SBille, ber
innerfte SBilte jebeg echten Spiferg, bag ßeben in feinen natür=
liehen ißrojentfäften ju beiaffen, nur ju fehn, wie unb warum alleg
fo ift, wie eg fich bem rein ©djauenben offenbart, bulbete feine
tenbenjiöfe Umbiegung.
©aft man bie ÜJlooeHe bei ihrem (Srfcfteinen üielfach anftöftig
fanb, ift um fo fdjwerer gu begreifen, alg Montane ber Slbfdfjiebg*
feene in bem Kapitel „SDie 5Berne$obreg" eine Solie gegeben hot,
bie fiar erhellt, worum eg fich & e i ber glucljt SManieg unb
iRubehng honbelt, unb worum eg fich nicht hanbelt. 3)ie alte be*
forgte Wienerin ergäbt ber ^errin, währenb fiel) biefe jum nacht«
lidhen Fortgang rüftet, um fie oon ihrem ißlan abguhalten, baft
bei ihrer oorigen |>errfchaft etwag gan§ Slh n ^^ e§ paffiert fei: bie
Srau höbe einen jungen SBaumeifter geliebt, ber Süiann alleg gehen
taffen, unb halb fei er ihr über geworben unb alleg beim Sitten
geblieben. — ÜManie weift, baft fie „hoch anberg ift". „Söeiftt
bu, man fann auch treu fein, wenn man Untreu ift. treuer alg
in ber Streue." Unb alg oan ber ©traaten fie ju Ratten fueftt,
fagt fie: „Sch weift wollt, baft auch anbereg gefehlt, jeben Stag,
unb eg ift noch feine halbe ©tunbe, baft mir (Shriftel baoon oor*
geplaubert hat. Stber einem jeben ift bag ©efeft ing i»erj ge*
feftrieben unb barnach führ ich, ich rnuft fort. — Sch wiU fort,
nicht aug ©dfjulb, fonbern aug ©tolj, unb will fort, um mich oor
mir felber wieberherjufteHen." — ©ie hofft, baft bie SBelt nicht
aug lauter ©elbftgeredjten befteftt, fonbern audh aug äJtenfchen, bie
9Wenfdhlidheg menfcftlitf) feften. „Scf) habe nur ein gang äufterlidjeg
©dhulbbewufttfein, unb wo mein ®opf fidh unterwirft, ba proteftiert
mein $erj.... ©o hilft mir benn eineg nur unb reiftt mich eineg
nur aug mir heraug: ein ganj neueg ßeben unb in ihm bag, wag
bag erfte üermiffen lieft: Streue." 2öie fteftt Soutane in biefen
etftifchen ÄernfteHen beg SBerfeg über ber lebtog geworbenen Äonoen*
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186 dritter Seil. Sic 9iotiefleu ber äftitteljeit
tion ber bürgerlichen ttftoral, tote hat er baS (Sittliche biefeS @he=
bruchS auf gezeigt! (Sin SNotib, baS ben Naturalismus fpäter toefte,
laute Afyente aufjujefcen unb Schranfen einjurei^en um beS ©in*
reifjenS mitten, biefeS SNotio finbet in „S’Abultera" Sermenbung
als notmenbiger Stritt einer ftarfen, felbftfidjern Snbiöibualität
unb fteht im SDienft eben ber SJtächte, bie [ich baburch bebroht
fühlten. So parabof es flingt, ber ©h e & ruc § mirb jur Serherr*
tichung ber @h e » bem lebenbigen ©ritnb ihrer Snftitution mirb
fein Nedjt gegeben gegen hohle, mefenlofe Seräujjerlithung.
Montane, ber flaffifche dichter beS NealiSmuS, ftrebte zugleich
immer baS Snbioibuette, ©igengefefcliche ju oerförpem. Söeibe Se*
griffe finb Korrelate unb merben in biefer Slütejeit unferer ^ßrofa*
bichtung Nichtlinien, an benen man ihren Söert abmeffen fann.
Sßie Montane hier baS Sittliche beS ©hebrudjS geftaltet, fo ge*
ftattete er halb barauf in „Errungen, SBirrungen" unb „Stine"
baS ©ittlidhe beS SerhättniffeS, rechtfertigte öor ber Äonüention
unb bem Allgemeinen ben inbioibuetten $att, inbem er ihn auf
eine gefunb=menjchtiche ©runbfehicht jurüefführte. Son SNelanie
oan ber Straaten führt eine gefdjtoffene Sinie über bie Sene
jur SBitme ^ßittelfom. fjontane jog fie mit fouüeräner Sicher*
heit, unbefümmert um bie törichte iüngftlichfeit ber ftofflidj 93e=*
fangenen. '
SßaS bei ber AbfdjiebSfeene befonberS nahe tag, $u -ManieS
©unften eine einfeitig gefärbte 3)arftettung ju geben, mar eine
©efahr, ber ftontaneS Unparteilichkeit nicht oerfatten fonnte. Reimer
mirb im lebten Alt ber „Nora" bemüht ins Unfpmpathifc^e oer*
jeichnet, um Stimmung unb Neigung beS Aufnehmenben in bie
Sahnen gu tenfen, bie SbfenS ßmetfen Sorfdjub teiften. San
ber Straaten fteht in einer gleichen Abrechnung ebenbürtig neben
■Manie, ©emifc ift fie im Necht, aber ohne bafc barauS eine
„Sdhulb" für ben ©atten abgeleitet mürbe, ßmei SNenfchen fönnen
nicht länger jufammenbleiben, meil bie mahre Natur beS einen
nun erft ans Sicht trat unb ihrer beiber SCBefen fid) nicht mehr
gufammenfinbet. SSaS 3bfen gunt Problem mirb, nimmt Montane
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1. S'Slbultera
187
ot§ bloße Xatfacße, bic eS lebiglicß auSgufpredßen gilt. @r ßatte
baoon bcn großen fünftlerifcßen ©eroimt, baß ftd^ feine SDicßtung
innerhalb ber ©renjen ber SBirflicßfeitSgeftaltung, beS Steatiftifcßen,
ßielt. 9tedjt unb Unrecht gibt eS nur oor ber Partei, ^ontaneS
SBirflicßfeitSfinn blieb aueß oan ber ©traaten eine ©eftalt, beren
©igenridßtigfeit er refpeftierte, moeßte er menfeßtidß noeß fo feßt
auf feiten SManieS fteßen. San ber ©traaten wäcßft unb gewinnt
in ber WbfcßiebSfjene tote fie. 9lucß feine Statur feßrt ißr SnnerfteS
ans Sidßt: er nimmt bie 35inge beS ßebenS nidßt feßr’groß unb
ibeal, aber aueß nießt !lein unb eng, er will nidßt gewaltfam
ßinbern, fonbern nur Sorftettungen maeßen; er ift ein Stioeau*
menfdß, aber fein Spießbürger. 2)ieS StßtagSmäßige feines ©ßarafterS,
bem aueß baS Slußerorbentlicße fi<ß auf ein Siormalmaß rebujiert,
trennt ißn oon SKelanie ab, bie bie ©ütigfeit feines £erjenS woßl
ju fcßäßen toeiß, ber aber bie ©infießt fidß erfcßloffen ßat, baß bie
URenfdßen nießt gleidß finb. ©o feßeiben fie benn ooneinanber oßne
Ungeredßtigfeit unb oßne Sentimentalität.
''T^vamit ift gontaneS eigentliches Sntereffe an feinen SKenfdßen
r<-J erfeßöpft unb er eilt merftieß fcßnell jum ©dßluffe. $>ie Steife
StubeßnS unb SKetanieS naeß bem ©üben, bie ©ebnrt beS ÄtnbeS
in Senebig, bie StücEfeßr naeß Serlin unb ißr ftitteS, jurüdl*
gezogenes ßeben bafelbft jießen im epifeßen ©efißtoinbmarfcß oor*
über. SBirb biefer Serjidßt auf breitere Ausmalung begreifließ, fo
gibt Montane bodß aueß bie ferneren ©cßiclfale beS jungen ißaareS,
baS ber ©efeUfeßaftStonöention entfpreeßenbe referüierte Serßalten
ißrer Sefannten unb Serwanbten, bie üergeblicßen, ungefeßidEten
unb f(ßüißternen Serfudße neuer Slnnäßerung, bie gefeßäftließen
UnglütfSfälle unb bie Serarmung StubeßnS, in ju fnapper ©fij*
jierung, als baß bie Sewäßrung SJtelanieS ganj überjeugenb wirfen
fönnte: wie bie innerlich gegrünbete ßiebe $u Stubeßn fie ein oon
ben bisßerigen ©ewoßnßeiten fo oöllig abweidßenbeS ßeben füßren
unb burdßßatten läßt, baß fie fpietenb entbeßren lernt, baß bie an
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188 dritter Seil. Sie SRoöeÜen ber SKitteljeit
ben Komfort ber £iergartenöißa gewöhnte £)ame mit ntufifalifchen
unb franzöfifchen ©tunben zum Unterhalt' besteuert.
äftan mirb, mie eS anfänglich fÄu6eE)n gefd^ie^t, fich öon ber
©urchführungStnöglidjfeit ihrer piäne nicht oößig überzeugen taffen.
Slber baS liegt meniger an ber Konzeption ber ©eftalt, bie in
ihrem SEÖa^r^eitSgehalt ünangetaftet bleibt, als am Verfahren
SontaneS, ber oft, wenn auch au$ üerfdjiebenen ©riinben, baS
Sernpo gegen baS @nbe hin ftar! befchleunigt. 3BaS gut bie zweite
$älfte beS SBerfeS merben fönnte, mirb in „S’Slbultera" z um
©chiufj, mie eS in „©llernflipp" unb „©djach" z um ßtotbadj mürbe.
2)ie ^meiteilung entfpricht bem ethifd)en ©runbajiom: feiner
Statur folgen — unb bie Konfequenzen auf fich nehmen. Sn
„S'ülbultera" h Q t Montane biefe Konfequenzen, ohne fie zn öer»
tufdjen ober aufzufchönen, mehr fixiert als burchgeformt. Sn
fpäteren Sßerfen („Sprüngen, Söirrungen", „@ffi ©rieft“) ift biefeS
üKifjöerhaltniS ber Xeile ausgeglichen, fo bafj feine ßmeifel zurück-
bleiben.
„Sch ha&e" — fagt üßelanie, als fich alte 5 reu nbin, ^räulein
9tie<fdjen, mieber zu i^r magt — „nie begriffen, mie man ©runb*
fäfce haben fann ober Prinzipien, maS eigentlich baSfelbe meint,
aber mir immer noch fernerer unb unnötiger borgefommen ift.
Sch hab' immer nur getan, maS ich mollte, maS mir gefiel, mie
mir gerabe zumute mar. Unb ich fann e§ auch f° fd^redflich nicht
finben. 2tu<h je£t noch nicht. 5tber gefährlich ift eS, fo oiet räum'
ich mh." fönnte ÜManie anberS fpred)en, bie z^h n Sah*e
©attin beS Kommerzienrates oan ber ©traaten mar? 9KancheS
bleibt an ihr haften, maS an ihre erfte ©h e erinnert. Montane
lag eS ganz fern, einen „9tettungSoerfuch" z u machen, ÜWelanie
in eine ^eilige z« öermanbeln, za oerflären, mie er bie £>itbe in
„©Hernflipp" am ©nbe oerflärte. ©elbft ßtubehn, ber ihr aßeS
opfert, gefteht fich: „S<h bin nicht ber ßiarr, ber oon ©ngeln
fpricht. ©ie mar feiner unb ift feiner, ©emif} nicht. Stber ein
freunblicheS ajlenfdjenbilb ift fie, fo freunblich, mie nur je eines
über biefe arme ©rbe gegangen ift." ÜIManie ift menfchlich, h fl t
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■j v *v». .
1. £’2lbuttera
189
©djtoädjeit, unb bie SFifdEiung bon (Srnft unb Seidjtfinn, bie ©til
unb ©timmung bet Fobeße im Anfang fo fet>r bef)errfdf)t, ift aucf)
ber ^auptgeftalt ju fRed^t nicf|t ganj fern geblieben. Montane
toeifj: f( e2 braucht nidf)t aßeg Xragöbie ju fein" unb Iä|t feiner
ß'Slbuttera am ©dfflufj ba§ SBort jurufen: „Fimm eg nitf)t
tragifdjer alg nötig unb grüble nid^t jubiet über bog alte leibige
St^ema bon ©djulb unb ©üf)ne."
$Berne|mIich ftmdjt ber SBiße einer SBeftouffoffung unb SBeft*
geftaltung, bie bog ßeben fidj aug fidf) fetbft Ijeraug toieber ing
©teid^gemid^t fe|en taffen unb beg getoaltfamen ßutung, oller
prinjipießen Formierung, immer mef)r jugunften einer natürlichen
©etbftbeftimmung entroten miß.
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2* Gerile
rrectfe", bic zweite ©efeUfchaftgnoüeUe, liegt unter gontaneg
" reifen Sßerfen feinem ßebengäentrum om fernften. 5)ie
©runbfräfte, t»on benen fie aUe genährt werben, ber weftanfchau-
liehe £orijont, ber fie begrenzt, finb t)ier am wenigften unmittel¬
bar ju fpüren. ÜJtelanieg ©elbftbefreiung in „ß’Abuftera" mar
gan$ ein SBormurf nach bem ©inn beg 2>ichterg gewefen. @r
tonnte feine ftarfe Anteilnahme ändern, ofjne bie epifchen Kon¬
turen ber ©eftalt ju »erwifchen. Sn „Secite", fomeit eg fict) um
ben menfchlidjen Konftitt tjanbelt, wirb ein bfofjer Xatbeftanb feft*
gefteßt, ein füfyteS Sntereffe bebjerrfc^t bie 35arfteHung, übermiegt
bag menfchliche 9Jtitfüt)ten. Xon unb Abführung erinnert an bie
©cha<h-9ßo»eIIe, in ber Montane feine perfönlidjen Neigungen ben
ftofftid^en gorberungen unterorbnete, aber mir werben auch bie
ganje Überlegenheit gefteigerten Kömteng unb ber »eränberten
©toffmaljl in „Secile" gewahr: bie pfychologifche Rührung ift
nicht mehr müheoott, ejemptarifch, unfidfjer-taftenb, fonbern unauf¬
fällig, leicht unb fnapp, unb fie fteht nicht mehr im 2>ienft einer
»ergangenen äßelt, bie erft erarbeitet werben tnufj, ehe fie ju einem
©dheinteben befdhworen werben fann —, fte fleht im 3)ienft ber
©egenwart unb hüft ein ganj inbioibueßeg ©djidEfal beg geit-
genöffifdhen gefeUf^aftlidhen ßebeng geftalten.
'T^vie Arbeit an „ßecile" fällt in bie ©ommermonate oon 1884
unb 85, bie gontane in im §arj unb in Krumm¬
hübel im ßtiefengebirge »erbrachte, ©o fehr er mit bem lärntenben
unb bunten ©etriebe ber ©rofjftabt »ertraut War, ja eg alg An¬
regung jum guten 5£eil liebte unb benötigte, fo fdjeint tro|bem
bag berliner Lilien, ber ÜJiährboben feiner ßtomanwelt, bem
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2. ßecile
191
eigentlichen SdjaffenSprojeh nicht günftig gemefen ju jein. üßtan
muh aus bem h^auS, roaS man beurteilen miß, h at Sbjen ge*
meint, für ben beurteilen unb ©eftalten baSfelbe mar unb ber
feine baterlänbifdjen SBerte „branö" unb „(ßeer ©hnt" fern bon
SRormegen fchrieb. $hnlich benu|t gontane gern baS fommerliche
gernfein bon (Berlin, um feine „berliner (Romane" ju frfjreiben.
2)aS ßeben in ber (Ratur,. lebig ber familiären ©^raufen unb
{(einen (Röte beS dlßtagS, ftärfte feine probuftioen Kräfte unb fonnte
ihm mühelos freuten, maS fi<h in bertin bem jähen (EBißen an*
geftrengter unb anhaltenber Arbeit nicht fügen moßte.
©in brief born 19. $uni 1884 berichtet, mie fi<h ihm bie bis
bahin nur in fdjmebenbef Unbeftimmtheit herumgetragene (Robeße
auf einem breiftünbigen Spajiergang oon %1)ak nach Slltenbrat,
einem groben SDorf an ber bobe, „in aßen teilen Mar aus*
geftaltet", fo baf* eS nun „bamit loSgehn" (amt. S)iefe Mare 9luS*
geftattung meint bie Anlage im brouißon, Äapiteloerteilung unb
gijierung ber ^auptpunfte. 3)ie eigentliche dluSfüfjrung beginnt
erft in Ärummhübel unb füßt bie jmeite §älfte beS Suli unb ben
Sluguft. 9lm gleichen Drt mirb im näihften Saljr, 1885, baS
SBerf im mefentlidjen beenbet. gontane meilte bdntalS breieinhalb
dRonate, bis dRitte September, in bem ihm lieb gemorbenen ©e*
birgSborf, baS feiner probuftiüen Stimmung aufs günftigfte ent*
gegenfam, mäfjrenb eS ihm öor berlin, oor beffen „aRenfdjen,
ßärnt unb SXalaria" eingeftanbenermafien graute. S)ie (Robeße
fcheint ohne befonbere Schmierigleiten gefdjrieben morben ju fein;
nicht nur ba§ {eine (Briefe bon ben Sorgen ber Äorrettur unb
SluSfeilung berichten, auch baS fertige (EBert hat, mit „ß’Slbultera“
berglichen, einen leichteren glüh- ®ie innere ©hronologie ^ er
(EBerle gontaneS jeugt bon einer immer tieferen unb fidjrer ge*
übten ©inficht in bie ©efefclichfeit ber eignen (Ratur, in baS, maS
fie fidh borfefcen unb leiften {onnte, unb in bie drittel ber boßen
(BermirMichung.
„©ectle" ift, ber technifchen StruMur nadh, baS ©egenftüd ju
„ß’dlbultera", in beiben (EBerfen eine grauengeftalt baS ßentrum,
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192
dritter *£eil. 2>ie üftoöellen ber SRitteljeit
um baS ftd^ alles fdfjidjtet 3»ei männliche Sßerfonen treten in
gleicher gunftion als ©egenfpieler fjinju: ber alternbe, grob*
fchtädhtige (Satte unb ber junge, elegante Sßeltmann, Äommergien*
rat öan ber ©traaten unb ©beneger 9tu6e§n, Oberft öon ©t. 5tr*
naub unb Ingenieur öon SeSlie*@orbon. 3n beiben UtoöeHen totrb
eine brühige ©dfjeinehe burdj bie £>ingufunft beS dritten auS=
einanbergetrieben, in beiben ift nicht bie S^egefd^id^te bie $aupt*
fache, fonbern bie 3RobeUiernng ber eingelnen ©eftalten. Unb ba
in „©äcile" mit ber Titelfigur eine rein paffiöe ©fifteng in ben
äJtittelpunft tritt, gu beren Normung feine lauten Vorgänge be*
nötigt »erben, ift bie ändere ^anblung noch fpärlicfier, bleibt ber
gange erfte Teil, g»ei drittel ber UtooeHe, 9Kilieu unb SbplI.
©rft gegen baS ©nbe, als ©orbonS gemaltfame 3tnfprüd^e $rau
öon ©t. Slrnaub bebrängen, fe|t eine plöplicfje SWtiöität fi<h burdh,
bie, ben bisherigen UihpthmuS beS SBerfeS umfchaltenb, in jähen
©töfjen gnrn ©chlufj eilt.
rr^cile öon ©t. Slrnaub ift bie fenfibelfte ©eftalt, bie Montane
geraffen hat. ©ein Sntereffe am ©eelifdh*3nbiüibueHen neigt
fidh h* er bis gunt 5lbfonberlidjen, unb eS gelingt eine $igur, bie
mit öiel mehr Utecht als ättelanie öan ber ©traaten öon ben 2Jto*
bernen hätte in Utnfprudh genommen »erben bürfen. ©ie ift nicht
»ie biefe burdh ein Temperament gefehen, fonbern in öiel öoHerem
Umfange ihrer empirifchen ©jifteng in baS SBerf eingegangen,
Montane geigt auch baS an ihr, »aS feinem UtatureH »iberftrebt,
er nimmt baS gange Snöentar ber Sßerfönlidjfeit auf, feine pfpcfjo*
logifdhe TarftellungSfraft erprobt ihre öoUe Tragweite.
2öaS im- „©cpach" mißlang, glüeft in „Steile". UJiit einer
Reinheit innerer Tiefenfcf)ütfung, einem ©efühl für baS ©egeidpnenbe
fleinfter ©eften unb leifefter feelifdher UluSfcpIagSWinfel, bie an
Utrtpur ©dfjnipler benfen iäfjt, »ei| gontane bie fompligierte ®e»
ftalt gu bannen. Söie reif unb auSgebilbet finb bie Äunftmittel
biefeS bicpterifchen UtealiSmuS! Tie garte ©cpönheit ber fdhlanfen
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2. Steile
193
grau mit beut munberbollen profil uub bem ©emmenfopf, t^rc
apatBifdBe Statur, i^rc 93er änberlicBf eit, bag ©dfjtoanfen gtoifd^en
plöBlicBer ÜDlübigteit unb tebenbiger griffe, bie behaltene ©cBmer*
mut, bie firtblid^e Sßaibität, i^re 93orlieBe für ^ulbigung unb
Sßifanterie, bie feltfame äRifcBung bon 93orue^m^eit unb Unbilbung,
iBre ttypifcfje Neigung jum SßerfönlidBen, Sßribaten unb Abfälligen
im ©efpräcB, ber gänjtidje fanget an gntereffe für DBjeftibeg
unb 2)ingticBeg —, nidjtS mirb Blofj Berichtet, alle 93efdjreiButtg
> ift jugleid^ 9lugbrudE, bie fummierenbe 93aufcf)= unb 93ogen-
cBarafteriftif beraBfRiebet, bie ©injeljüge glaubhaft unb anfdjau*
lid^ al§ leBenbige $u|erung einer ©jiftenj. 933enn ©orbon
fpäter im SBrief an bie ©cBtoefter eine meiftertiafte birefte ©B 0 *
rafteriftif ber jungen grau liefert, fo Bebeutet bag tebiglicB ein
ütefumd, eine gnBattffi^e ber borBergeBenben 2)arftellung, ein ber-*
ftärfenbeg ÜJtacBfaBren fdfjon gegebener ßüge, für ben gortgang
unb bag ©efüge ber Lobelie nid^t unbebingt bonnöten, mäBrenb
früher — allerorten in „93or bem ©türm" unb nodfj im 93eginn
ber „ß'9Ibultera" Bei ber ©efamtdBarafteriftif, bem gefcBtoffenen
Porträt ban ber ©traateng — foldlje ©teilen ein tedBnifcBeg Un=*
gefdBid Betunben.
9lber freilich märe eg gontane nidfjt möglidfj gemefen, bag
gntereffe an ber ©efcBidBte, in ber fo gar nic^tg borfäUt, ber jebe
93emegtBeit unb StbmecBglung mangelt, bauernb macB ju galten,
menn nidf)t ju ber fagjinierenben, aber rein paffiben ©jiftenj ber
(Steile anbere Momente Betebenber 2trt träten, beren jebe 2)idj*
tung Bebarf, fei fie nodB fo ereigniglog.
gontane gönnt in „©ecile" ben ©lementen, bie nid^t in un*
mittelbarem 93ejug ju ben £>auptperfonen fteljen, einen ungetoöBn*
lidB meiten 9taum. SWan Bat oft feine bef)aglicf)e 93reite Berbor*
geBoBen, aber fie cBarafterifiert meBr bie geiftige Haltung beg
Slutorg alg feine Äompofitiongmeife, bie üBermiegenb, unb gemifj
in biefen 9ßerfen aug ber SKitteljeit feineg ©dBaffeng, feBr jiel=
ficBer überlegt unb im fdBeinbar UtebenfäcBlicBen SBefentticBeg feft-*
Bält, mie bag fcBon „ß’Äbultera" geigte, Sn „Steile" ift moBl
SSanbtetj, gontane 13
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194 dritter 2etl. ®tc SRoOeöen ber SSKittetjeit
/
ein frohes Verwetten ouf Gingen fpürbar, bic nicht citg auf ben
Äern beS SBerfeS Vesug nehmen, bergeftalt jebodj, bafj biefer nid^t
SU ©djaben fommt, nicht überwuchert wirb. 2BaS war auch biefer
Äern? 3)afj ber Ingenieur öon ßeStie=©orbon, ben baS biftin*
guierte SSefen ber fdjönen grau öon ©t. ÜIrnaub unwiberftehtich
ansieht, in beut Stugenblicf feinen heimlichen Sßünfcfjen nachgeben
$u fönnen glaubt, atS ber ©djteier ihrer gaüoritinnenüergangenheit
fiel) lüftet unb bie gefeßfd&afttidfjen ©dfjranfen, bie er bisher re»
fpeftierte, ju faßen fctjeinen. £)iefe @ntf)üßung aber, burdj ben
Vrief öon ©orbonS ©djwefter gegeben, gefehlt fet)r fpät, fo baff
auch bie eigentliche ©efcfyidjte, baS „©efchehen", erft fetjr fpät be*
ginnen fonnte. •
®ie Vergangenheit S&tteS wirb nun nicht anal^tifd^ bei-
gebradf)t, mit jener Xedjnif, bie Sbfen fo meifter^aft übt. SBotjt
liegt auch t)ier baS Veftimmenbe im Seben ber äftenfchen jurüdE,
bie ßtoöeße beginnt mit bem fünften $lft. Slber eS Wirb in ihrem
©ang nicht ©cf)ritt für ©djritt, Kapitel nach Kapitel baS Vorleben
©eciteS unb StrnaubS funftooß mit berechneter SBirfung aufgetjeßt,
gontane begnügt fidfj bamit, öon $eit ju ßeit immer wieber Ve*
merfungen, öerftecfte ^inwetfe, bebeutungSüoße ©ituationen ju üer*
ftreuen, bie auf Vergangenes Vesug haben muffen, baS ebenfo
wichtig ju fein fcheint, wie eS unbefannt bleibt. 2)iefe SCed^nif ber
geheimniSöoßen Slnbeutungen, bie öon ber analptifd^en Xedhnif
wohl su fdf)eiben ift, fchafft 9taum für ein behagliches Stbfdjweifen
öon ben „|jauptfadhen", fpannt ein immer gefteigerteS Sntereffe
nach ber enbtidhen Söfung, bie bann mit einem ©cf)Iage erfolgt —,
ein einfaches SWittet, ben taugen ereigniStofen erften Seit tebenbig
ju hatten unb in ben ^Weiten, fürseren, überjuteiten, ber unter
anbren SöirfungSgefepen fteht.
@ t. Slrnaub unb Secite fahren am Veginn ber Stoüeße öon
Vertin ab, um fidh s u einem ©rhotungSaufenthatt nach
5hate su begeben. Sn 9ßotSbam hält ber $ug. „Viele StfititärS
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2. Gectle
195
fdjritten ^icr bcn ißerron ouf unb ob, unter ihnen oudfj ein otter
©eneral, ber, als er ©äciteS anfidjtig mürbe, mit befonberer 9trtig-
feit in ba£ Goup6 hinein grüßte, bann aber fofort oermieb, aber-
mal« in bie ttfähe beSfelben ju lommen. ©8 entging ihr nicht,
ebenforoenig bem Oberften." ©o mirb ganj teife unb unauffällig
ber ©runbafforb be$ ©an$en prälubierenb angefchlagen. 3n folcher
inbireften 3)arftettung, foldhem fprechenben Serfchmeigen ift Montane
SUteifter. SUtan merft, e8 ift etmaS oorgefatten, ba8 ju einem nicht
gan$ freimittigen ©ertaffen SerlinS jmingt, etmaS, baS mit ber
©efettfchaftsfonoention nic^t in ©inflang ftehen mufj. Unb biefer
ttteij be§ ©eheimniSootten mirb meitergefpomten. $118 ÄrnaubS
am erften borgen auf ber ^erraffe be$ Rotels ßeljnpfunb ge-
friihftücft haben unb fich mit leichtem ©rufe an bie ßunächft-
fifcenben entfernen, bleibt ©orbon, ber, oon ber ©chönheit ©Reifes
gefeffelt, bem Sßaar befonbere Stufmerffamfeit ermteS, jurücf, unb
feine Sßeugierbe, fein $infpielen über 9Jtöglidf)feiten überträgt fich,
fott auf ben ßefer überjpringen: „3a, jefct entfinne ich mief). 3n
©t. 2)eni§ mar anno 70 oiet oon ihm bie fRebe. Äuget burih ben
#al8, jmifchen Äarotia unb Suftröhre. SBahrer Sßunberfchufj.
Stnno 70 mar er noch unoerheiratet; fie märe bamatS auch faum
achtzehn gemefen. dahinter fteeft ein tttoman. @r ift über ^manjig
3ahre älter al8 fie. 9?un, baS ginge fchliepdf), ba8 bebeutet unter
Umftänben nicht oiet. 2Iber ben Slbfchieb genommen, ein fo bril¬
lanter unb bemährter Offizier! 2Ran fieht ihm noch ben
©chneib an; ©arbeoberft comme-il-faut, jeber ßott. Unb boch
aufjes ®ienft. ©ottte oietteicht... Stber nein, fie fofettiert nicht,
unb auch fein Benehmen gegen fie hätt baS richtige 2Kafj. @r
ift artig unb oerbinblich, aber nicht ju gefuetjt artig, al$ ob 'mag
$u fafchieren fei. 0fun, ich »itt eg fdhon erfahren."
2)er gleiche Xon Hingt in bem jmanglog-ungebunbenen Treiben
ber nächften Stage mit feinen ©efprächen unb Ausflügen, feinem
müfjigen ©eifammenfein immer mieber auf. 2)iefe fonnigen ©chilbe-
rungen, fo felbftänbtg fie fein mögen, enthalten immer mieber
©timmunggfaftoren $um bunflen ©runbton. Sei ber ©chtofj*
13*
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196 dritter £eü. Sie SRoöeöen bet -äftttteljeit
beficljtigung in Dueblinburg lieft man bie fonberbare Snfcfirift,
bie eine Sarocfprinjeffin auf bem ©rabobelisf if)te§ Sotognefer»
hünbdjenS hat anbringen taffen, unb ©orbonS fpöttifdfje Semerfung
über ben £)anf für ^unbetreue läßt ßecile oerwirrt jurücftreten.
töei ber Seficßtigung ber SchönheitSgalerie bringt fie baS Porträt
ber ©räfin Slurora, an ba§ ©orbon allerlei Semerhingen über
gürftenfaüoritinnen unb büßenbeS ÜJtagbalenentum fnitpft, oon
neuem aus ber Raffung: fie fifct wie gelähmt in einem Seffel ber
genfternifche. — Ser Sluäflug nach Slltenbfaf füfjrt am Sagb*
fd&toß Sotenrobe oorbei, baS unter bem alten $erjog eine Ser*
gangenljeit gehabt haben foH, unb wieber muß (Steile fürsten,
baS ©ejpräch eine SEBenbung nehmen ju feßen, bereu ^eimli^e
Sßein für fie feiner ahnt.
Sille biefe ©teilen haben nichts oon ber Slufbringlicbfeit meßr,
mit ber in „S’Slbultera" ber ber ©rjähluttg burdt) fpmbotifche
©ignale unterbrochen würbe. finb nicht Störungen, fonbern
natürliche Sluäftüffe ber jeweiligen Situation. Sie ©jene ber
beiben ^Berliner Souriften, bie nach ber Säble b’hote im fjremben-
buch bie Sßerfonalien ber Slrnaubg unb ©orbonS erfnnben („,Slh,
hier. SaS iS er: ©orbon*ßeSlie, giotlingenieur. 4 ,©orbon*ßeSlie!‘
wieberhotte ber anbere. ,SaS ift ja ber reine >2BaUenfteinS Sob<.‘
,2Bahrhaftig, fehlt bloß noch Dberft Suttler! 4 ,9ia, höre, ber alte.. .*
,9fteinft bu?‘ freilich, mein' ich- Sieh bir ’n 'mal an. Söenn ber
erft anfängt...‘ ,$öre, baS war' farnoS; ba fönnt’ man am ©nbe
noch 'waS erleben. 4 ") jeigt in ihrer reichen Slögeftuftheit nicht nur
Montanes oolle ÜJieifterfdfjaft über fein eigenfteS Mittel, bie ®e*
fpräcßStechnif, nicht nur bie faloppen berliner in ihrem ©emütlich*
feitsjargon werben baburch charafterifiert, auch auf bie |>aupt*
perfonen fallen Streiflichter, ber ©ang ber SiooeHe wirb ganj
unbeftimmt, gefühlsmäßig oorbeutenb, oorweggenommen.
Unauffällig oerflicht gontane naturatiftifche galten in ben Sau
beS SöerfeS. Sn einem Srief au§ Sßale an feine grau heißt eS
einmal: „So ftitt bie Sage hier oergehn, fo hat biefe ftille SBett
auch ihre Aufregungen. $eute nachmittag hat fich in ber SRadfjbar*
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2. (Steile
197
fdjaft ein Dr. 3* erhoffen. £)u entfinnft 2)icf> beS ,bermunf<henen
©chloffeS 4 im 333albe, mit milbent 333ein unb Sßapageiboftöre, —
eS faf) aus, als ob ^rieben unb ißoefie itjr £eint barin haben
müßten. Unb mie mar es? SBelcEje furchtbaren 3)inge haben fief)
feit fahren barin abgejpieft!" Montane benu^t baS, inbem er
©orbon bie ©t. Slrnaubs auf einem ©pajiergang an ber Vitta
borüberführen täfct. (Secile bleibt uberrafdjt ftehen. If ,333ie jauber*
haft‘, jagte fie. ,$)aS ift ja baS >bermunfebene ©cf)tof 3 < im ttftärchen.
Unb fo ftitt unb laubig. SBirft eS nicht, als mohne ber $räbe
barin ober, maS baSfetbe jagt: baS @lücf.‘ ,Unb bodj haben beibe
feine ©tätte Iper gefunben, unb ich S c § e täglich an biefem $aufe
oorüber unb hole mir eine $rebigt.‘ ,Unb melche? 4 ,3)ie, bafj
man barauf bereichten fott, ein Sbtjtt ober gar ein ©lücf bon
anfjen her aufbauen ju motten.. .* @S mar, als ob ©orbon auf
ein 393ort ber ßuftimmung gemartet hätte. SDieS SBort aber blieb
aus, unb ©6cite jählte nur bie ÜKafchen beS bor ihr auSgefpannten
2)raf)tgitterS, mährenb ber Oberft fein ßorgnon nahm unb bie
genfter mit einer Strt ruhiger ttteu|ier mufterte." ©o meifj Montane
ohne fflabifcheS 5l6fchreiben äufjere ©egebenheiten, bie fief) ihm ju*
fällig barbieten, in fein 333er! einjufiigen, menn fie bie innere
Öfonomie förbern, immer neue SDtöglichfeiten ju geminnen, baS
Sntereffe an ber unaufgeflärten Vergangenheit ©Teiles ju fpannen
unb macf) 3 uf)alten.
tttur berfchminbenb menige SlitSläufer ber älteren tttomanted^nif
mahnen nodh an Montanes unbeholfene Anfänge: 333enn ©orbon
nach einem Vefuch ©ecileS einen Seidjenjug treffen unb babei einige
lehrhafte Stpoftrophen an bie eigne ißerfon rieten mufj; ober nach
ber teitmotibifchen 3trt ber „S’ülbultera" ©orbon unb bie SKalerin,
gräulein tttofa, bon Steile reben unb nun in £>inblicf auf ihre
unglücfliche @h e w Stbftänben jmeimat ber pointierte ©a| fällt:
„®ebe ©ott, bafj es ein gutes @nbe nimmt", maS biel ju ab«»
fidjtlich auf ben ernften SluSgang meift; ober ©orbon bei ©latteiS
jum Opernhaus fährt, mo er bie entfeheibenbe Vegegnung mit
ßecile haben fott, unb ber 333agenfd§Iagöffner bie epifche Ob*
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198
dritter Seil. Sie SKoöellen ber SDtitteljeit
jeftiüitöt p bur<hbre<hen f)at: „Zehnten Sie fi<h in acht!" Sag
wirft unt fo ftörenber, gerabe weit eg nur noch bereingelt fictj
finbet, bie ©efamttecfjnif Fontaneg biefeg niebrige üftioeau nun
hinter fidfj gelaffen i)at.
^\a bie Slftion ber Sonette erft nach ber (SnthüKung oon
r<-J (Söcileg ©orgefdhidfjte beginnt, !ann Fontane pr Füllung
ber breit auglabenben 9Infanggpartien fi<h otjne ©efaf)r im 93ufolifd^=
Sanbfchaftlidhen ergeben. (Sr tjat fein gangeg eigeneg fJcrienglüdE in
biefe ßapitel gu legen gewußt: wie er ber ©rofjftabt entfloh, nm
in ber gerben Sßatur beg $arger ©erglanbeg fidh gu lebenbiger
griffe gurütfgufinben. Suftberänberung, äBedfjfel ber menfdtjlid^eft
unb örtlichen Umgebung pflegte er oft unb gern alg befte (Sr*
Rötung gu preifen, unb fomie feine !ärglidt>en (Sinfünfte eg erlaubten,
ift er in ben Sommermonaten ©erlin fern. ©om Safjr 1877 big 84
hat er jährlich ben $arg befuctjt, abwechfelnb in SEBernigerobe unb
Shate geweilt unb jebegmat mit bantbarer greube biefelben fräftigeu
(Sinbrücfe genoffen, bie Sßiefen, ^änge unb ©erge mit neuen Stugen
nnb toie pm erftenmal begrübt. Sieg frohe Schweifen, bieg wohlige,
forgtofe Ungebunbenfein ift in ben Scaler Seit ber 9iooeHe ein*
gegangen unb fd^afft ihr ihren eigenften 3auber, ihr eigentlicheg
ßeben. 9J?an fet)nt gar feine (Sreigniffe Ijeran, möchte bag ftille
anfprucljgtofe ©lüdf biefer Sage gar nicEjt geftört fef)tt. ©ielleidfjt
ift bag eigentümliche ©efüljl ber ^erienftimmung, jene gefteigerte,
wie neu geborene gufpafeit Slufneljmeng, bie Neigung, fich ang
Ungewohnte mit freubigem Staunen p oerlieren, — oielleidht ift
bieg epifdf) nie beffer gefchitbert worben wie im erften Seit ber
(Secite*9tooeHe. S)afj man gang unberechtigte (Sinwönbe gegen bie
Fortführung im ©erliner Seil erhob, h Q t nicht gute^t feinen in*
ftinftioen ©runb in bem Unwillen, mit bem man bie ibpllifchen
Sage beg Shaler ©ebirggaufenthalteg fdhwinben fieht unb bie
graue, falte Sttmofphäre ber ©erliner Stabtwoljnung alg neuen
S(haupla| eintaufchen mn|.
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2. Secile
199
3n ber Saenerie ber §arjer SSergtanbfchaft betoegt Fontane
atoangloS feine ©eftalten; bie Sagen oon 9ftägbefprung, Sftofjtrappe
nnb Srocfen, bie foüiet farbiges Sofalfolorit betbringen, toerben
nid^t etngeflidt, baS ©efprädh gleitet unauffällig ju ihnen über.
Unb toie in „S’Slbultera" fpridjt nicht mehr Montane über feine
•äKenfdfjen, fonbern biefe fprechen untereinanber, ©orbon über bie
SlrnaubS, biefe über ihn, unb ©orbon unb bie 2Katerin nach bem
2)iner in Berlin über bie ©aftgeber. Unb nicht mir machen ihre
93efanntf<haft, fonbern bie ^ßerfonen lernen fid) unter ficf) fennen.
$)ie £able b'ljote fütjrt alle aufammen. 2)er höflich referüierte, liebenS«
toürbig oerbinblid^e Xon, in bem bie StrnaubS unb ©orbon fonoer«
fieren, tritt in prächtigen Äontraft ju ber burch SBeinlaune gefteigerten
Stimmung unb Ungeniertst ber beiben berliner Stouriften. SebeS
SBort ihres äJhtnbeS, jeher Heine ßug offenbart FontaneS Äenner*
fcljaft, ihr toifciger Jargon, treffenb, ehrfurdhtSloS nnb gutmütig, toirb
mit fühlbarem Beilagen toiebergegeben. Solche inbioibueUen &on=
fälle finb erft bei Montane in ber beutfdjen Äunftprofa ju hören.
3hre glüdlidje ÜJtifchung oon 2Sirflidf)feitSnähe nnb ftilifierenbem
Feingefühl beS Richters, ber baS £ppif<he im ©ewöhnlicljen heraus«
äuarbeiten oerfteht, macht fie ber naturaliftifdien Million überlegen,
bie fpäter in blinber SEBahllofigfeit oft aufnahm, toaS nnb' toie
fie eS fanb.
„(Steile" bleibt trofj ber Slnfieblung im $ara „berliner Vornan".
StrnaubS unb bie Xouriften nicht nur, auch bie ÜUtalerin unb ber
^ßrioatgelehrte finb ^Berliner, Fräulein 9tofa ift feineren Schlages
als bie Stouriften, bie fie genierlich finbet, aber bodfj eben auch
mit Spreetoaffer getauft. Fontane hot feine ftiUe Freube baran.
Shre Sprechtoeife, gemäßigt, hoch unoerfennbaren UrfprungS, fenn«
aeichnet bie ^Berlinerin, ooH fleiner Staftlofigfeiten, ooll Söipegierbe,
nnfdhulbig unb felbftgefäHig. Über bie ©eftalt beS Sßrioatgelehrten,
£>errn (Sginfjarb SluS bem ©runbe, mit ber er eine befonbere Slb«
ficht »erfolgte, unb bie üielleicf)t gerabe beShalb toeniger gelungen
ift, fdhreibt Fontane: „3)ie langen SluSeinanberfefcungen über bie
SlSfanier toerben nicht öiet Freunbe gefunben hoben, unb hinfi<htli<h
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i
200 Sritter Seil. Sie 9iooeIIen ber SRittetgeit
meiner fünftferifdfjen $lbfi<fjt, ben ,Sßriüatgefef)rten‘ als eine lang*
weifige $igur $u jeidfjnen, wirb man mir mutmafjficfj jagen,,meinem
3ide näfjer gefommen ju jein als nötig*. ?tfs idj an ©ecife
arbeitete, begegneten mir atferfjanb Öbljeiten in ben berliner unb
brattbenburgifefjen ©efcf)id(jtSüereitten, unb weil bieje Sebernfjeiten
äugfeiefj fefjr anfprucf)SüoIl aujtraten, befcfjfoft icf), fofdje ©efefjrten»
farifatur abäufonterfeien. 3cf) f)ätte eS aber lieber niefjt tun füllen,
bie SKooeUe wäre.baburd} um etwas fürjer unb um üiefeS bejjer
geworben. 4 ' Sßun jinb eS aber gewifj nid)t bie „Gängen", gegen
bie ein SBebenfen ju ergeben ift. ffontaneS Sebenbigfeit, jeine Stil»
gefefjmeibigfeit, jein eleganter Sprecfjton oerf)inbern ftetS, baff jeine
Sängen Sangweifigfeiten werben. Silber baS tarifierte ber ©eftalt
tut bem $on beS SöerfeS ein wenig ©intrag, Sie ift nidjt rein
fatirifefj, baju war baS bicf)terijcf)e gormgefüljf $ontaneS §u auS=
geprägt, oiefmefjr ein 3wifcf)enbing oon $umor, Ironie unb Satire,
mit bem Satirifdjen als ffeinftem Sßroaentfap, aber eS genügt, um
einen unreinen tlang $u geben. 2)iejer Unentwegte mit feinen
befeften ©amafdfjen, feinen ju langen Sftocffcfjöfjen, mit Strippen»
f>aar, tlapp^ut unb Hornbrille fällt läftig nic£)t burdfj ben Snfyaft
feiner allerorten auSgefpenbeten Sßriüatoorträge über bie ©röjje
unb SBebeutung ber SlSfanier unb bie relatioe Unbebeutenbfjeit ber
Hofjenjolfern, jonbern weif fein rechter ätfenfcf) hinter biejen
Situierungen ftefjt. 2)ie Sängen unb SBreiten ber Dueblinburger
Sofalbefcfjreibung unb bie übrigen „Duebfinburgereien, Oon benen
baS SBud) wimmelt 44 , finb oon ber 3bee ber SRooeffe gejorbert unb
wirfen an iljrem Sßfa$, bie Schäfereien beS Sd^einfebenbigen bei
ber SRaft auf ber Sftofjtrappe, bei ber Sßromenabe nad) Sinbenberg,
bem 9luSflug naef) SKftenbraf finb überpffig unb läftig, weif fie
ber tnenfdjfidfen SBafiS entbehren.
Sein ftänbiger ^Begleiter, ein after Sßaftor ©merituS, bleibt
ganj im Hintergrund er oertritt mit bem $ofprebiger beS ^weiten
S£eifS baS befcfiauficfje, weftweife ©fement, bem in biejem Sßerf
wenig Sftaurn gegönnt ift. gontane pflegt fofdfe peripfjerijd^en
Figuren mit ein paar fprecfjenben ©injeljügen $u ftgnieren, ge»
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2. Steile
201
wiffermafeen nur bie Silhouette oon ihnen ju geigen, ein ©er*
fahren, baS, feit $)idfen8 beliebt, noch bei S^oma§ Sttann pnt
beherrfchenben Stitprinjtp feinet großen $ouptwerfeS würbe.
/J^<o fehr $ontane8 Sßerfönlichfeit in „Steile" jurücftritt, in
v —) $lein$ügen bleibt fie hoch immer gegenwärtig. ©S ift nicht
ber lefcte 0tei§ beS SßerfeS, wie er bie ©efpräche feiner 9Renf<hen
aus ©ignem ju fpeifen weife. SBer ben uneubtiefeen üteiefetum ber
über taufenb ©riefe, 'bie oon $ontane bisher an bie Öffentlicfefeit
gelangt finb, einigermafeen gegenwärtig h at f wirb bie gfücfttche
Slrt begrüfeen, mit ber ber dichter über bie eigne güUe oerfügt.
Montane leiht bem Stttenbrafer Sßräjefetor feine Slbneigung gegen
JOrbenSauSjeichnungett nach Sftubrif unb Schablone, wobei baS
perfönliche ©erbienft oor fRang unb Stellung nichts gilt: „2Äan
wollte mir ein ©änbefeen geben an meinem SubitäumStage. 9hm
gut, auch ein ©änbefeen fann etwas fein; aber bas, bas meiner
harrte, war mir hoch ju wenig, unb fo macht' ich furjen Sßrojefe
unb bin ohne Subiläutn, aber, ©ott fei 2)anf, audh ohne Äränfung
unb iSrger aus bem 2)ienfte gefchieben. Sch weife recht wofet, bafe
man nie recht weife, was man wert ift, aber ich weife auch, fwfe
eS bie ÜKenfdhen in ber Sftegel noch weniger wiffen." §ier fpricht
am rechten Ort Montanes Unfeierlichfeit, ©efcheibenheit unb Selbft*
bewufetfein, wie fo oft aus ben ©riefen. — Ober ©ginfearb reitet
fein Stecfenpferb, berteibigt ben 9Jtarfgrafen ©ero, ber breifeig
SBenbenfürften abf erachten liefe, unb $oniane legt bem Oberft
feine oft geäufeerte Meinung in ben SOhrnb: „@S bleibt ewig
merfwürbig, bafe bie burch 9£atur unb ©eruf friebliebenbften ßeute
oon ber SBett allemal für ,®opf *ab‘ finb, währenb alle Seute oon
gaefe an breifeig abgefcfetachteten SBenbenfürften hoch einigermafeen
Stnftofe nehmen." — SGBie luftig ift jene fleine Schwäche ^ontaneS,
faft in jebem SBerfe, bis jum ©ieShübler ber „@ffi ©rieft", aus
feinem einftigen ©eruf heimlichen 9ht$en ju jiehen unb wo eS
irgenb angeht, botanifcf) * lateinifcfje SBeiSfeeit an ben 9)?ann ju
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202
dritter Seil. Sie Utoüelleit ber ÜDlitteläeit
bringen. 3n „©ecite" gefdjieljt eg in ftitter ©elbftironie burdj
©ginfjarb, ber bei einem leisten ©djmäd)eanfaß ©eciteg fogleid)
gu ^erörteren beginnt über bog „Selebenbe beg 2)oppef*Djigeng,
bog erfatjrunggmäfng in bent ßufammenrnirfen üon ßtabet- unb
Saubfjolj tage, üon benen bag üßabefljofg auf ber Sinbenbergfjitye
fomdljt burd) Larix tenuifolia mie sibirica, bag Saubf)oI$ ober
burdj Quercus robur in mafjren $ßrad(jte£empfaren oertreten fei".—
Ober jeneg fdjalfljafte sßrioatoergnügen, bog Montane M un ^
feiner $rau ©mitie bereitet, bie itjm jeitlebeng fo treulich Ijalf nnb
oft fo fdjmer $u fdjaffen madjte: ©orbon merft, bafj Steile ber
tarnen feiner ©djmefter, Slotfjilbe, nid^t fonberlicf) gefällt, unb
argumentiert: „3a, Äfotf)iIbe, meine gnäbigfte $rau. ©ie mögen
ben tarnen unb finben it»n etmog ferner. Unb ©ie Ijaben red)t.
3cf) glaube aud) nicf)t, bafj idj fäf)ig fein mürbe, mief) jernafg in
eine $fotf)iIbe ju oerlieben. Siber je meniger ber -Karne für eine
©raut ober ©etiebte pafjt, befto meljr für eine ©cfjmefter. @r ffat
etmag gefteg, ©ofibeg, ßuoerläffigeg unb gef)t nad) -biefer ©eite
1) in faft nod) über ©milie |inaug." Unb mie glänjenb ift bie
©auferie über „ fünfter $ug", bie ©orbon beim S)iner jum beften
gibt, burdj unb burd) geiftreid), fontanifdj - inbioibuefl unb ganj
im ©til ber ©riefe, üon feinem nod) fo eleganten Stpljoriftifer
ju übertreffen.
©o ffingt aud) in biefem füllen SBerf, nur leifer unb feltener,
bie fpejififcf) fontanifdje ßtote. 2tucf) bie fpäter oermorfenen Sängen
meifen $üge feiner unoerfennbaren, nur if)tn gehörigen Slrt, bie
2) inge ^u fetjen. SEBenn man beim Stugfiug naef) Dueblinburg
jmeifelnb jmifcfjen ben beiben ©eljengmürbigfeiten, ©cfjtofj unb
Äirdfje, ftefjt unb fd)Itefjtict) bem ©dfßofj mit bem @ntfd£|eib „mir
finb ja ^ßreufjen" ben ©orjug gibt, bemerft $ontane mie neben¬
bei: „Unb fo manbte man fid) benn rafcb) entfd^Ioffen bem $afteßan
ju, freilich nidfjt oljne fein ©igaüig, ben nad) linfg f)in fteljenben
Äüfter, mit einem fjoffnunggebenben ©rufj geftreift ju fjaben. @r
Oemeigte fief) benn aud) in ©rmiberung barauf oerbinbtid) läcfjefnb
nnb fcfyien aßeg in aßem nidfjt unjufrieben über biefen ©ang ber
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2. ©edle
20S
Singe. Senn unten in ber Stabtfirdhe läuteten eben bie SDtittagg*
gtodfen, unb etmag 53ratrourftartigeg, bag oon ber Küche ^er burd)
bte Suft jog, lief; bag Sn*bie*ämeite*2inie*geftellt*merben faft alg
einen SBorjug erfdEjeinen." 2ßie ift ^ier aug bem 9lebenfächtichften
eine Heine Köfttichfeit gemalt, mit jtctjrer |>anb eine gonje Ejüftenj
in Stbbreoiatur gezeichnet!
Unb alle biefe beffriptioen unb caufierenben Partien beg SBerfeg,
jo jdtjeinbar felbftänbig jie auftreten, jinb bo<h mertooUe Komponenten
beg ©efügeg, jinb alle abgejtimmt auf ben einheitlichen ©runb*
ton. Sie ©'d^Io^öifitation ift meit baüon entfernt, eine Sangmeilig*
feit ju fein, nicht nur ein edjteg Stüdf gontanefunft, fonbern eg
Ziehen fiel) geheime gäben oon bem Einbruch ben bie Schilberung
beg Sdhtoffeg macf)t, an bem alleg 3Sergangenf)eit ift, gu jenem,
’ben bie unaufgeftärte SSergangenfieit Säcileg immer mieber mach*
ruft,, unb eg entfielt bei allem Slbfchmeifen oon ben äflenfcfjen ber
•KooeHe, an bie nichts herantritt, mag fie irgenb oeränberte ober
in Slftion braute, ein mofjloerbunbeneg ©anze.
gn bem Slugflug nah Slltenbraf hat bie forg* unb ereignig*
tofe Beitfpanne beg erften Seilg ihren $öhepunft. Stimmung unb
©egenftänblicljeg, ÜKenfdjen unb Singe, Vorgänge unb Schilberung,
SBid^tigeg unb Sßebenfächlicheg bilben eine fo felbftgenugfame, ge*
fchloffene Einheit, bafj man bag Seben fetbft zur Kunfteinheit ge*
morben glaubt. Ser Schein, alg habe gontane nur SSorgefunbeneg
ohne SBermanblung unb Umf^meljung ju übernehmen brauchen,
ift ein epifcher Sriumph, Bethen beg ganz gertigen unb SSoH*
fommenen. Bugteich fünbet fi<h bie SBenbung §um zweiten Seil
an. Stuf bem fftücfritt oon Slltenbraf nach 2h°le fe|t bie Slftion
ein, bie Sdhicffate beginnen fich zu oerfnoten.
Steile hat jur (Site gebrängt, „üfticht lange, fo mar eine 2öeg=
freu^ung erreicht, oon ber aug man in Entfernung oon menig mehr
alg fünfzig Schritt eineg Senfmalg anfichtig mürbe. ,SBag ift
bag?‘ fragte ber Oberft unb ritt auf bag Senfmal zu, mätjrenb
©orbon unb E&ite langfameren Scljrittg ihren Sßeg fortfepten.
,ßocft Sie'g nicht auch? 1 fragte Steile mit einem Stnfluge oon
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204
dritter Seil. Sie Lobelien ber SKitteljeit
©pott unb bitterer Saune, ,6t. Stntaub fie^t mich fröftetn unb
mei|, bafj ich bie üKinuten jä^le. S)ocb mag bebeutet eg
,Unb ift bocf) fonft üott non Stufmerffamfeit unb 9tüdfficbtnabme.‘
,3a‘, jagte jie tangfam unb gebef>nt. Unb eine SBett non 33er*
neinung tag in biejent 3a. ©orbon aber nahm ihre läffig herab*
bängenbe £anb unb ^iett unb füfjte fie, mag jie gefdjetjen liejs*
S)ann ritten beibe fdjtueigenb nebeneinanber her, big fid) 6t. Strnaub
ihnen mieber gefeilte." ©o fnapp unb jujammenge^atten gibt
Montane ben entfcbeibenben 9Woment bei ganzen SBetfeg. 2Bag
man ftetg bei if)m roabrnebmen toirb: er ift augfübrlicb nur im
Stuf« unb Stbftieg ber Äuroen beg ©eetenlebeng feiner äftenjdben;
bie ©ipfetpunfte, bie Stugbrüdje, mo Sangberbatteneg ang Siebt
tritt, gibt er mit einbringlicber ©parf amfeit, eg febtt nicht«, aber
eg roirb nur bag SWtigfte gejagt; jie finb glaubhaft, aber forbern
Dom Sefer eine ftarfe ©ammtung unb ©mpfängticbfeit.
-^\er jmeite, Sertiner Seit ber £6cile=9iooefle meift biefe ©igen*
art gontaneg aufg einbringticbfte. $u ber Kargheit, mit
ber ber 9Reft ber ©efRichte „aufgearbeitet" toirb, ftebt bie Sbaler
©jpofition in einem ©egenfafc, ber größer faum gebaut »erben
fann. gontane gebt ja oft, febon in „S$or bem ©türm" unb
„S'Stbuttera", oon ber angfübrlicben ©cbitberung ber erften Sage,
oon zeitlicher Äompreffion unb Sefcbränfung zu freieren 3nterbatten
im Sauf ber ©efcbicbte über, ©rft toirb Sag für Sag, ©tunbe für
©tunbe beinah, gefliffentlidj nacbgefübtt unb mitertebt, bann nur
noch Slugfdbnitte, mit taugen Raufen bajtoifdben, tttpifd^e Stugen*
bticfgbitber. SBenn erft einmal bie 9J?enfcben, bie ihn feffetn unb
für bie er intereffieren toiH, burcb ben täglichen unb ftünbtidjen
Umgang, in ben er fidj unb ung mit ihnen fefct, ganz oertrant
unb tebenbig getoorben finb, entläßt er jie plöblid) biefer forg*
lieben, immertoäbrenben £>aft unb zeigt nur noch bie SBenbe*
punfte ibreg ©dfjicffatg. 3n „Steile" tritt zu biefer befonberen
Secbnif beg zweiten Seitg bie oerünberte ©zenerie unb ber
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• * ■
2. (Secile
205
Umfehtag ber Stimmung. (Sine fühle, forfchertidhe Stnatpfe fefct
ein, ein togifdfjeS, fargeS folgern non ^ßuntt zu Sßunft. (Sin Schritt
Zieht ben anberen nach fictj, mit ber peinlichen ©enauigfeit einer
©eridhtSberhanbtung führt Montane feine SRenfdhen jüm trogifdhen
(Snbe, weniger ihr dichter als ihr dichter.
©orbon ift non Stf)ate in gefdhäftlidhen Gingen plö|li(h ob*
berufen worben. (Sr fieht Steile erft in Gerlin wieber. @r wirb
ßeuge ihres einfomen, fteublofen SebenS, geuge ber Gernadhtäffi*
gung burcf) ihren ©otten. S)er glönjenbe Offizier, feit feinem 5lb*
fdhieb befcf)äftigungSloS unb »erbittert, fteht im Statterfaal herum,
fpielt in einem £>aute * ^inonce* $Iub mit fehr hohen ^ointS, ift
bott ©goiSmuS unb Saunen, Rechthaberei unb S)ünfel. ©orbon
fühtt fidh ju ©ectle ünwiberftef)iich hi n 9 e jogen, Wirb immer mehr
bon innerer Unruhe erfüllt. 3)a erreicht ihn ber berfpätete Grief
feiner Sdhwefter Älotljitbe, ber bie Gorgefdhidhte ©Teiles enthält;
unb nun erfährt er: fie ftommt aus einer berormten, halbpolnifdhen
9tbelSfamilie, wuchs ohne ©rzieljung in bohemehafter Umgebung
auf, würbe „Gorleferin" eines alten dürften, nadh beffen Stöbe
ber Reffe unb (Srbe ben SBunfdh äußerte, bafj fie baS „Sdhlofj
nicht ber taffen" möge. Steile bleibt, bon einem Äamnterherrn
„protegiert". 2)er junge fjürft ift franf. ÜJZan glaubt, bajj fie
nadh feinem $ob ben |jofmarfchall heiraten werbe. Sie fehrt aber
reich begütert ju ÜRutter unb ©efcfjwiftern jurüdE. 9Ran mietet
eine glänjenbe SBohnung, in ber Strnaub ©ecile, bie nun ftitt unb
jurütfgejogen lebt, femten lernt, ©r betlobt fidh mit ih r > ber ältefte
Stabsoffizier feines Regiments erhebt im Ramen beS DffijierforpS
©infpruch- Strnaub erfchiefjt ihn im 3)ueü, wirb zu neun ÜRonaten
Heftung berurteitt, heiratet (Steile bodh — mehr aus (Sigenfinn,
eine fdhöne $rau ju befi|en, als aus Reigung — unb nimmt ben
«bfdhieb.
©ine Überfülle »ergangener Gegebenheit fdhiejjt burdh biefen
Grief mit einemmal in bie Robette ein. Rach h on bIungSarmen,
interimiftifdhen Szenen, bie bem bierten Stft eines SDramaS §u ber*
gleichen finb, bie brei erften im Sßrefto eines fomprimierten epifdhen
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206
dritter Seil. Sie SJtoüeöen bet SJiittelgeit
ßteflejeg, unb bann in jätjer @ebaHtE)eit bcr fünfte! 5lber man
rechne nur nad), eg mirb fiel) feine Sücfe im pfodjologifdjen Vau
finben.
©ine ÜRatur üon linblicher Urfprünglichleit unb Sftaioität ift
ein Opfer ber Verljältniffe geworben, bie ihre frühfte Sugenb um*
fdhränften. 3h r gaooritinnenbafein, biefeg Vererbtwerbett oon ßteffe
auf Onfet unb Sfammerljerrn, hat ©6citeg tieffte feelifdje Schicht-
nie Berührt, fie fefjnt fidh nach 9tui)e, grteben unb ßurüdgejogen*
heit. Sann bringt bie Sßerbung Slrnaubg fie üon neuem in Sol*
lifion mit ber 2Belt, aber eg ift nun i|r fefter SBiße unb ©cf)tour,
.bafj aßen |>utbigungen fortan eine beftimmte ®renje gezogen fei,
unb foßte fie barüber jugrunbe gehen. ©g fommt aßeg baranf an,
ob eg gelungen ift, jene ©eljnfudjt unb biefen Vorfafc ©ecileg trofc
ihrer Vergangenheit glaubhaft ju madhen. Unb orbnet man an
biefer fritifdhen ©teße einmal ben ganzen erften Seil biefem ßwedE*
begriff unter, fer mirb man bie Sicherheit bemunbem muffen, mit
ber Montane bort ber fpäteren ©nßjüßung oorgebaut h at - mirb
nidht nur offenbar, bafj bie Steile beg erften Stetig biefer Vor*
gefchidfte entfpridht, fonbern bafj fie jenen fdhmermiegenben ©nt*
fdhlufj gefaxt hat unb faffen muffte, ihr ganjeg ©ein, mie eg fidf)
bort augbreitet, läfft ihn bem ßurücfblicEenben atg ßtotmenbigfeit,
alg gorberung ihrer ßtatur erfdheinen. Montane fonnte alfo, ohne
ber pfpcfjotogifchen Söahrheit ber ©eftalt (Eintrag gu tun, bie Sata*
ftrophe oon biefem einen Sßunft abhängig machen.
©orbon hat- bigher, trofc beg ßauberg, ben Steile auf ihn
augübt, in ihr immer nur bie grau üon ©t. Slrnaub gefefjn. ©r
hat preufjifdhe ©dhule unb ift fontanifdher üötenfcfj genug, um feine
©efühlc nidht ohne weitereg über bie gefeßfchaftlidje Sonoention
ju fe|en. ßlun aber läfjt ihn ein unbebachter 9lugenbli<f im ©e*
fprädfj mit Steile bie früher beobachtete ©renje überfdfjteiten. ©ie
ahnt ben ©runb feineg oeränberten Song unb fchreibt fofort:
„VJag ber ©runb auch H fragen ©ie fidh, ob ©ie ben SQSißen
unb bie Sraft haben, fidh 3 U bem Sone jurüdEjufinben, ben ©ie
früher anfehlugen, unb ber mich f° glüdlidh madhte. prüfen ©ie
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2 . (Steile
207
fidh, unb wenn ©ie antworten miiffen ,Retn‘, bann taffen ©ie
bag ©efprädj, bag wir eben geführt hoben, bag le&te gewefen fein.
Eg gilt unb mein ©tücf ... Trennung, ober bag ©kümmere
bricht herein." ©orbon fragt fid^: fpielt fie mir $omöbie bor, ift
e§ nur „ber Jargon einer frönen grau, bie fidj unbefriebigt
fühlt unb bie langen fdjönen ©tunben if)re£ 2)afeing mit einer
ßiebegintrige Jürgen möchte" ? Slber er f)ört bag Söefenntnig ihrer
Steigung ju gut t)eraug unb barf fidj ÜKenfcf)enfenner genug
glauben, um nicht big^er burch SSerfteÜung getäufcht morben ju
fein. „Ob ich ben SBillen unb bie Äraft höbe, fragt fie. Run,
ben SßtUen: ja. ßlber nicht bie ®raft." Er reift ab. Sollten if)m
je ßweifel an ber Stufrichtigleit ©beileg Jommen, fo wirb fein
Ieibenfcfjaftlidfjeg ©efühl, nur begraben aug Hutung bor bem SBiHen,
ber ehrlich bag atte Seben ein für allemal hinter fich geworfen
hat, bie Dberljanb gewinnen, fein Eigenfinn fi<h biefeg ©efühfö
bemächtigen unb in leibenfc^afttid^er 93ege^rlid)feit alle ©reujen
fpreugen. $aum hot Montane bie pfhdjifche Slftion big ju biefer
latenten Spannung, biefem fchwebenben Rerljängnig geförbert, fo
führt er bie $ataftropf)e fhon herauf.
©orbon ift für einige Stage im Aufträge feiner ffirma nadh
Serlin jurüdgefehrt unb gewahrt Secile im Dpernhaug in ber
gegenüberliegenben Soge, ©ie fcf)eint in unbefangenfter, legerer
Unterhaltung mit einem wiberlichen, fuffifanten ©eheimrat, bet
ihm bon einem $)iner bei Strnaubg burch fein auffaUenbeg 93e=
nehmen, feinen fribolen SBifc, feine nur bie nötigften ©dhranJen
einhattenbe S)reiftigfeit in unangenehmfter Erinnerung ift. Er
fieht bie beiben tufetjetn unb lachen, ftürmt in ber ißaufe hinüber,
beteibigt Eecite burdh beifjenben, fuperioren ©pott, folgt ihr unb
bem Begleiter nach $aug, bringt ein unb probojiert, nadhbem ber
©eheimrat fidh entfernt hot, um fofort ©t. Strnaub im Älub auf*
jufudhen, in feiner blinben SSerfennung eine alle gefellfchafttiche
Rücffidht aufjer Sicht taffenbe Eiferfudhtgfjene. Shre bornehme, ein*
bringlidhe Rechtfertigung trifft taube Ohren. Er ftürmt mit ber
fdhwerften S3eteibigung babon, bie Eecile $u innerft treffen muff:
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208 dritter £eü. ®te Lobelien ber SÖtitteljeit
„2Bir bleiben unferer Statur getreu, baS ift unfre einige Sreue...
©ie gehören bem Augenblick an unb toed^fetn mit ihm. Unb teer
ben Augenblick hat..." (Sr bricht ab.
$er nädjfte 3Rorgen finbet Steile unb Arnaub in latonifdj-
referierter AuSeinanberfe|ung. ÜJieifterlich zieht gontane feine
Schlußfolgerungen aus bem Brennpunkt ber ©haraktere: „,(Sr
fdfrieb in einem fort. (Smige Briefe. 4 ,2BiHft bu fie lefen? 1 ,Un=
ftnn. 3$ fenne Siebesbriefe; bie beften friegt man nie ju feßen,
unb maS bann bleibt, ift gut für nichts. Übrigens finb mir feine
Beteuerungen unb öielleicht auch Bebauerungen abfotut gleich¬
gültig, aber nicht fein Auftreten üor beugen, nicht fein Benehmen
in ©egenmart anberer. (Sr hat bi<h beleibigt.’" Überjeugenb mirb
bie gorberung ArnaubS aus feinem ©tolg hergeleitet, ©eine $rau
ift ihm gleichgültig, auch baß fie beleibigt mürbe —, troßbem er
baS ©egenteil auSfpricht. Aber er fühlt fid) beleibigt. „©efürdjtet
ju fein, einjufchüdhtern, bie ©iiperiorität, bie ber 9Jtut gibt, in
jebem Augenblicke fühlbar ju machen, baS mar recht eigentlich feine
Sßaffion. Hub biefer 2)urchfchnittS=©orbon, biefer oerfloffene
preußifche ißionierlentnant, biefer Äabelmann unb internationale
2) rahtjieher, ber hatte geglaubt,- über ihn meg fein ©piel fpielen
ju können, tiefer Anmaßliche. . ." StWit knappen ©trichen gibt
biefer ©ebankenmonolog bie Ouinteffenj ber gangen ©eftalt, bie
baS ©djictfat aller brei äußerlich befiegelt. ©orbon, tropig unb
ooller ©elbftgefühl mie Arnaub, meigert fich ber fjorberung nicht,
©ang unfentimental unb unoerföhnlidh »erläuft baS SDueH. ©orbon
fällt. Arnaub entzieht fich ber ^eftungSljaft unb fdjreibt oon ber
©chrneig aus an (Secile, h^jcnskühl unb felbftberoußt: „Sßimnt
baS ©ange nidht tragifcher, als nötig: bie Sßelt ift kein Treibhaus
für übergarte ©efühle." Ähnlich fprach (Sbeneger fRube^n gu SUtelanie.
3) och (Secile fehlt bie oitate Äraft, fie entbehrte zeitlebens ber Aktiüität,
mar auf ein leibenbeS ©enießen gefteUt. Sßre garte 9latur hält bem
erneuten Anfturm nicht ftanb. ©ie enbet in freimütigem Job.
Äeine Berklärung ift über ben ©djlliß gebreitet, baS Berföhn-
liehe ber fontanifchen SBeltanfchauung bleibt fern, bie 9loöelle mirb
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2. Gecife
209
$um bunflen ©eitenftücf bcr ,,2’Slbultera". ßwei abfonberüche
ber höheren ©efettfchaftswelt finb geftattet, bort aus bcn
ginanj», fyier auS bcn äftilitärfreifen. Steile will fich in ben Singen
bcr ©efeUfchaft rehabilitieren, iljr mißlingt, was üftelanie oan ber
©trauten gelang, ©eltfam genug mutet eS an, wenn Montane fpäter
befennt, er habe bei ber SRooeHe etwas wie eine £enben$ im ©inn
gehabt: „SEBer mal brin fifct, gleich t>iel ober ohne ©chulb,
lommt nicht wieber heraus." ©her noch fönnte ber oerf ähnliche
©chlufc ber ,,2’Slbultera“ abfichtlich anmuten. 3n ©ecüe war
feine fünftlerifdHormenbe Äraft ftärfer unb weifer als bie reffe!»
tierenbe ©inficht, geftaltete mit freier Snfpiration, was biefe mit
3we<fen befchweren wollte, ©r ftfjuf ein reifes SBerf. ©ein ©treben
jum 9tnr*3nbioibuelIen, pfadjologifch Sntereffanten, baS mit bem
„©chach" begann, hat hier feine fünfte ©rfüUung gefunben.
28anbrcti, Soutane
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3, 2> rrmt 9 eit / 2ßtrnmgett
er et^nograp^if<^en ©ebunbenheit gontaneg fonnten nur auf
märfifchem unb berliner ©oben reife grüßte gebeten.
Tiefe tragenbe, oerbinbenbe ©dfjidjt gibt fchon „Schach Don
SButfjenoto" einen gett)iffen §alt, eine über bie 93rüd»igfeit ber
äftenfchenfchilberung f)inau§reidjenbe einheitliche 9tefonanj. Slber
erft mit ber SBenbung jur, 2Birflicf|feit feiner Beit, mit ber
„S'Stbultera", tut gontane ben entfdjeibenben Schritt in feine
eigenfte SBelt: ber gegenmartsfrohe Sinn ^ontaneg brängte jum
unmittelbar Gegebenen, jur ßanbegoerbunbenheit muffte erft bie
©egenmartgoerbunbenheit fich finben, ehe er hoffen tonnte, ben
eignen hohen Slnforberungen $u genügen.
©o entlehnten bie ©efettfchaftSnooeUen „ß'Slbultera" unb „ßecile"
ihren Stoff ben höheren Greifen beg gegenmärtigen berliner Sebent.
Unb hoch blieben auch hier flehte Unftimmigfeiten jurüdE. Seicht
bafj biefe Söerte noch mit ben pftjdhologifchen Mängeln ber Schach*
SRodelle behaftet mären, aber fie mufften in anberer §infi^t feine
gefteigerten Slnfprüche an bag eigne können unbefriebigt laffen.
„ß'Stbultera" geftattete einen exzeptionellen, nuränbioibueUen gaH,
unb feine Statur, mie fehr immer bem ©harafteriftifchen ge*
neigt, ftrebte bodh barüber hinauf jurn Tppifchen. Tetn geigte
ber „ß’Slbultera"* Stoff fidh nur menig gefügig. SEBohl brang
Montanes perfönlicheg ©tljog merflich burch, moht geigte er ein
SlllgemeingültigeS in ©hctrafter unb ©efdhidf 2Manie oan ber
Straateng auf, aber Stoff unb ©eljalt, Tarftetlung unb Tar*
legung, 2Berf unb Tidfjter bilben hoch nicht jene runbe ©htheit,
bie Bächen aller Dollen ®unftroirflichfeit ift unb bei ber Trennungen
Don ©ehalt unb $orm, fubjeftioem SßiHen unb objeftioer $orbe*
rung nur fpätere, oerftanbegmäfftge Scheibungen unb ©infichten
bebeuten. 3n „©ecile" ift bann Don oornherein auf bie Tppifie*
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3. 3trungcn, SStrrungeit
211
rung, aber bamit freilich auch auf eine persönlichere Surchbringung
be« ©angen oergichtet.
9hm bringt ba« nächfte SEBerf bie ©pnthefe be« bisher @r-
reichten, ben ©ipfel. S)ie oolle epifcf>e Sebenbigfeit nicht angutaften
unb hoch zugleich bie eigene, eigenwillige Verföntichfeit gu geben —,
ba« gfeXb realiftifcher 2)arfteflung inbioibueßer ©djicffale nicht gu
nerloffen unb hoch gugleich in« Sppijche aufgufteigen —, bie« 3iel
erreicht Montane, inbem er fich oon ben ^öXjcren Schichten ber
©efeßfehaft ab* unb bem burchfehnittüchen ÜRenfchentum ber unteren
Älaffen guwenbet: „Ortungen, Söirrungen" unb „Stine" finb bie
SBerfe biefer SEBegftrecfe.
CTTVa« biefe fokalen non ben ©efeßfchaft«nooeßen oon oorn-
herein Scheibet, ift ba« gang Alltägliche ber Stofflichen
Vorlagen. SDer ©hebruch 9Relanie«, bie Vorgeschichte Steile«, bie
©chicfSale beiber grauen bergen noch e ‘ n „romanhafte« 1 ' ©lement,
einen auf ©pannung gerichteten ©infchlag. ©olche ©djicffale mochte
e« geben, Solche bie ©efeßfehaft erregenben gäße mochte bie chronique
scändaleuse häufig oergeichnen, e« haftete hoch immer etwa« ©en-
fationefle«, Außergewöhnliche« baran, unb wenn gontane auch tn
„2’Abultera" ben Au«nahmefaH auf eine natürliche Vafi« gu
Stellen, al« oor ÜIRenSchlichfeit unb SRatur berechtigt gu motioieren
wußte, bie Stoffliche ©enfation blieb, ba« UnSpmbolifche ber ©e*
Schifte ließ eine Verflärung, eine bichterifcße Steigerung oon innen
herau« nur bebingt gu.
gn „grrungen, SBirrungen" fehlen bie ©lemente, bie in ben
©efeßfchaft«nooeflen noch romanhaft anmuten; bie Stoffliche Vor¬
lage barg fie nicht, unb gontane brauchte auch feine „runbere
SRunbung" mehr oon außen gu erftreben, fie ergab fich °on felbft.
Äeine lauten Vorfälle, bie ber ©efeUfchaft ©toff gum ÄlatSch geben,
feine „ interessanten" ÜRenfchen, feine Spannenbe ©efchidjte, — ba«
alltägliche ßeben, ba« Schwer ift oon ©infachheit, gewinnt in bieSer
Schlichten ÜRooefle ergreifenbe ©eftalt. Vewußt wirb oermieben,
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212
dritter 2eU. ®ie 9toücüeit ber ‘äftitteljeit
was irgenb als falfdjer ^ßrunf ftörcn fönnte: glänjenbe ©efpräd)S*
fjenen, bic ftc^ ifolieren, elegante pftjcfjologifcfie SeweiSfülirungen,
bie ben Gönner oerraten; f)ter ift fein ßuredjtrüdfen in ber $ont-
pofition mef)r fpürbar, fein probierenbeS $erumtaften, fein SEBof)I*
gefallen an guten SBenbungen, an ftiliftifdjen Söirfjamfeiten, fein
aH$u felbftänbigeS DerauSragen ber 9ttenfd)en aus ber ©efdjicf)te
unb bem binbenben fokalen Untergrunb. fReif unb reidj war
gfontaneS Snnerlidjfeit fdjott gewefen, als er „Sor bem ©türm"
fcf)rieb, jefct, naef) je^njä^rtger Arbeit, f)at ftd) i§m auef) bie ^forrn
gefügt, bie Slnfprüdje feiner $ßerfönlicf)feit unb bie ©efe|e ber
epifdjen Äunft oergleidjen fief). Montane folgt feiner Statur wie
bort, aber fie ift burd) ftarfe ©elbftjudjt ju jener fünftlerifdjen
^jellfidjtigfeit fjeraufgeläutert, bie nirgenbS mef)r — fei eS formal,
fei eS gefjaltlid) — im ©ubjeftioen fteefen bleibt unb anbererfeitS
eine flar geflaute SBelt oon ©eftalten unb Silbern f>eroorjubringen
wei|, o|ne fiel) fünftlid) ber perfönüdjen Slnteilna|me enthalten
ju muffen.
@S ift nidjt ber le|te Üriumpf) biefer SRooetle, ba| altes in
i|r, bie ©efdjidjte, bie 9J?enfcfjen, bie güljrung ber §anblung unb
Dialoge fo felbftoerftänblid) anmutet, ©ine l)öd>fte ßunftfertigfeit
erreicht liier, unb nid)t rneljr blo| an einzelnen ©teilen, fonbern
burdj bie öoHe SluSbeljnung beS SBerfeS |in, bie ©tufe, wo fie
ber ÜRatur gleidjfommt, wie fie einfad), „natürlich" wirft, ättan
fpürte beim ©rfdjeinen bie befonbere 2ltmofpf)äre SerlinS, ben
„berlinifdjen flavour ber ©ad)e", wie eS Montane fpäter nannte.
SWit 9tedjt fonnte er auSfpted)en, ba| niemanb fid) auf biefe S)inge
beffer öerftelje. $lber bie wenigften ahnten, welkes können biefe
fo anfprudjSloS fidj gebenbe Arbeit oorauSfe^te, wenige erfannten,
als fie im ©ommer 1887 in ber Soffifdjen ßeitung erfdfjien, i|re
ganje Sebeutung. S)aS Sßublifum, an bie 9iüf)rfeligfeit ber bünnen
Settelfuppen gewöhnt, bie ben SRaum unter bem ßeitungSftrid)
meift ju füllen pflegen, fonnte baS fünftlerifd) ©eleiftete nidjt
würbigen. Montane |at biefe Sefer in ©cf)u| genommen, fd^reibt
noc§ oor ber Seröffentlidjung oorbeugenb am 14. Suli: „@ott,
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3. Errungen, SBirruttgcn
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wer lieft Sßoöellen bei bet £>i|e? Sßer hat je|t ßuft unb $ät)ig=
feit, auf bie hunbert unb, id) fann breift jagen, auf bie taufenb
gineffen gu achten,. bie ich biefer öon mir befonberS geliebten Arbeit
, mit auf ben fiebenSfeeg gegeben f|abe?"
Aber fear es feirflicfe nur bie §ifee, bie baS breite ßefepublifum
öor ben äfttjetifcfjen Anforbermtgen beS SEBerfeS öerfagen liefe?
SEBie unbebenflicfe griff man bocfe jum beliebteften Mittel fünftle*
rifefeer Erlebnis* unb UrteilSunfäfeigfeit: feine 2)ürftigfeit unter
bem anfprucfeSöoIlen Mantelfeurf ber fittlicfeen Entrüftung jn
bergen! Man fanb eS unanftänbig, bafe ber ßeutnant SBaron öon (
IRienäcfer unb baS Pättmäbdfeen ßene SRimptfcf) ein SerfeältniS!
haben, bafe biefeö SBerfeältniS unb bie folgen feiner ßöfung für
beibe eine fo ausführliche Scfeilberung erfahren. S33ie öom äftfee*
tifefeen Üftiüeau ber ©efehiefete ahnte man nichts öon ihrem innerft
Sittlichen, hielt fidj an baS SßaS, fear blinb für baS SEöie, blieb
im Stofflichen fteefen. Ein Mitinhaber ber SBoffin fragte ben Efeef*
rebafteur: „SEBirb benn bie gräfelicfee ^urengefefeiefete nicf>t halb
aufhören?" unb bie Abonnenten fchienen jo ernftlidh böfe, bafe ber
Abbrucf ber „Stine" im näcfeften Jahrgang öerfeeigert feurbe.
damals feferieb fjontane, rücfblicfenb auf bie Erfahrungen, bie er
mit „Errungen, SBirrüngen“ gemacht hotte, an ißaul Scfelenther:
„ES gibt gehn ober, feenn eS hoch fommt, fennbert Menfcfeen in
2)eutfcfelanb, bie öon ber ErfenntniS unb ber freunblichen
©efinnung finb, bie Männer wie Sie ober ber Keine Erahnt ober
ber liebenSfeürbige M. ü. Sßalbberg fotefjer Arbeit entgegenbringen—
baS grofee ißubtifum, nun, es ift nicht nötig, grofee SBorte barüber
ju öerlieren. S<h hätte feieber baS fittlicfee $aHoh mit anhören
müffen. fjamilie de. hätte fich feieber über .Scfeneppengefcfeichten 1
befchfeert, unb felbft bei gamilie 3). hätten alle feohlfeollenben
©efinnungen für mich nicht auSgereidjt, mir ein Sebauern über
ben armen alten Mann, ber fi<h fo toenig ber Pflicht feiner Safere
befeufet ift, ju erfparen."
Stärfer noefe als ber Arger fpriefet bie Selbftficfeerheit Montanes
aus biefen geilen: er meife, bafe er nicht für bie Menge fefereibt. j
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214 dritter Seil. $ie SRoöetten bet äJiitteljeit
. $ie ©timmen, auf bie es anfommt, finb rücfhalttoS in ihrer
$reube unb Slnerfennung, ooran SBrahm unb ©djlenther, beten
hohe äftf>etif<he ©inftcf)t baS ©intreten für biefeS weithin oerurteilte
23ud) genugfam befunbet. gontane füllte felbft, bafi er etwas
SBoflfontmeneS gegeben hatte, etwas, baS fo nur er geben tonnte:
„Ofünfjig ga^re lang habe ich mich nur mit SftuHgraberfolgen,
ohne Sob unb Sabel ^ingequält unb mich mit bem ©ebanfen,
ohne rechte Sonne fjingefjn $u muffen, oertraut gemacht: ba fieht
ber nur noch auf ©tunben ©efteHte beu 93aU am Horizont unb
ruft mit bem- betannten ©etigen: ,$8erweile bocf)‘." ,2)aS ©efchicf
war gütig genug, biefem SSunfcf) ju willfahren. Ser nahezu
©iebjigjätjrige foHte ßeit behalten, nach unabläffigent ©treben bie
Früchte eines tynWtyn HerbfteS auSreifen ju laffen.
CYTVeihnadhten 1887 ift „Errungen, SSirrungen" in einem Keinen
Seidiger Sßinfelüerlag, ber fchon ben „®raf Sßetöfh" gebrucft
hatte, herauSgefommen. Sie größeren unb betannten werben bur<h
ähnliche ©rwägungen, wie fie bie Sefer ber 93offif<h cn ßeitung
beunruhigten, bon ber Übernahme beS SßerfeS jurücfgehalten worben
fein. Sie ^Briefe geben barüber wie über bie ®ntftehungSgef<hi<hte
ber Sßooelle feine 02ad^ric^t. SaS eine mag bewußte $bficf|t ber
Herausgeber fein, baS anbre ift fein ßufatt: wir haben es bei
biefer Dichtung, beren erfter ©ntwurf ins Saht 1883 gurücfreicht,
mit einem SSerf freubiger Äraftentfaltung ju tun, bei bem bie
innere ©id^erheit mühelos oorwärtstrieb unb faum erhebliche
©djwierigfeiten Oorfanb.
Sie ablehnenbe Äritif fnüpfte bei „Srrungen, Söirrungen" an
ben ethifd^cn ©efialt au. Unb fo gewifj bie ^Beurteilung einer
bidjterifchen ©Köpfung teilhaft bleibt, wenn fie nur biefe ©eite
ans Sicht jieljt, bie ^Berechtigung baju lag bo<h in ber ©ebärbe
beS SucheS. SBie ftarf ^ontaneS fünftlerifd^eS können auch fein
mag, wie oollfommen auch gerabe in biefem 2Berf feine fprachliche
SWeifterfchaft fich offenbart, fo fteljt bieS alles hoch immer im
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3. Errungen, Sßirrungett
215
S^icnft einer Sebengfchilberong, ber ^ontaneg ©efimtung eine aug*
gebrochene Prägung »erlebt. 9ii<$t bafj eg fich irgenb um Senbenj
hanbette. 216er Montane bringt in feinem perföntidhen ÜEBeltbilb
Zugleich ba§ überperfönliche fühlen ber $eit j U m 2lugbrucf, unb
biefcS giüjlen ift, wie alle Sichtung, bie ber breiten ©dhicht beg
23ürgertumg entwädhft, oon i£)m getragen unb nur feine SBett ge*
ftattenb, wef entlieh et^ifcf) orientiert.
Sie Sicfjfung beg ,$ang ©ad)g unb feineg geitalterg mit ihrem
umfänglichen üöeltbeljagen gewinnt ihre überperfönliche Jöebeutung
nur burdh bie fittlidfje Süchtigfeit, bie ftetg als wiHfommene ©tüfce,
nie al§ ©graule empfunbene ©ebunbenheit burdfj beftimmte fitt=*
liehe SSorfteHungen. Sag moralifcf) Sehrhafte ift ba nicht Hemmung,
bie bie Sebenbigfeit ber ÜJtenfchen beeinträchtigt, ihrem SBiflen
©intrag tut, fonbern Zentrum, aug bem heraug fie leben, aug bem
heraug ihnen Seben erft möglich wirb.
Unb ähnlich oerhält eg fich mit ber bürgerlichen Dichtung ber
Zweiten Hälfte beg neunzehnten Sahrljunbertg. ÜEÖie audh bie ßeiten
ft<h geänbert hoben, wie auch bie ^Bewertung beg Snbiüibuellen, bag
©efüht oon ber Stacht unb SBebeutung beg ©injelnen fidh gefteigert
unb ©chranfe auf ©chranfe niebergelegt hot, eg bleibt eine ©runb*
fchidfjt gemeinfamer fitttidher 33erbunbenheit, aug ber fie alle:
Drehtag, Heller, ©torm, Deuter, Montane h^raugwachfen, oon ber
fie getragen werben, ©ie ift eg, bie, welche SBefdhränftntg ihr audh
notwenbig eigen fein mag, bie epifd&en SSerle beg 0tealigmug jur
eigentlichen Sichtung ber $eit ftempelt, währenb geiftig oiel be*
beutenbere Sßerfönlichfeiten, 2lntipoben wie £>ebbet unb Söagner,
obgleich fie mit ungleich umfaffenberen SSorfteHungen an bie Ännft,
mit oiel tieferen ©infidhten an menfchbjeitliche fragen h era «treten,
ifoliert geblieben finb unb nidht ©efchidhte gemacht hoben. Sh«
fubjeftiüe ©pefulation wollte ber $eit gewaltfam abtrohen, wag
fie nicht hergab, ihr SBiHen blieb ihreg ©dffaffeng befter Seit.
2luch Montane, bem weltfunbigften unb oorurteitglofeften SBer*
treter beg bidhterifdhen SRealigmug, gibt biefe ethifdhe Sßerbunbenheit
mit ber bürgerlichen 2ira erft feine Sebeutung für fie unb ihre
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216 dritter Seit. $te 9?ottcßen ber 9KitteI$eit
3Kcnfcljen. ©ie fdjitbert er ab, mag ilfr $orijont aud^ begrenzt
fein, mögen ifjre Spalte unb äftöglidjfeiten auefj non ben Olpfel^
t)öf)en ber Äunft abfüljren. ©djon in „23or bem ©türm" jeigte fid)
ein ftarfeS S3ort>errfdjen etfjifc^er ©trebungen, je|t, bei ber ÜKodeße
„Sprüngen, SBirrungen" treten fie mieber beljerrfd&enb in ben
Sftittelpunft. Unb barum muffte baran erinnert »erben, bajj eS
'fid) nid)t um moralifierenbe Jenbenj, um eine Auslieferung ber
Äunft an anbere mettformenbe Äräfte fjanbett, fonbern bajj Montane
immer autonomer ©idfjter bleibt, menn aud) beftimmt unb begrenzt
burcl) bie ©truftur beS ©eifteS feiner 3eit.
üütan §atte alfo ein Stecht oom @tf)o§ ber „Srrungen, 233ir»
I rungen" ^u reben. ©ittlidEje Probleme lagen ber $eit, fittlidje ißro*
j bteme befjanbelt Sontone mit Vorliebe, menn er eS aud) immer
als Äünftler tut unb man über bem allgemeinen ©eljatt ber
233erfe, ber abftralt auSgefprodfjen menig befagt, bie Sonn nidfjt
oergeffen barf, in ber allein er geftatteteS Seben ift, baS biefe all*
gemeinen ©rfenntniffe erft abftralperen Ippt.
Aber mäljrenb man oon ber ©efinnrug fpradfj ober ju fpredfjen
meinte, bie aus ber Modelle bemetpntic^ rebet, geriet man un=
derfeljenS in baS hinein, maS Sontane jur ©efaljr gemorben märe,
l)ätte er nid^t bei aller ßeitgebunbenfjeit ben offenen SBticf für baS
SBefentlid^e, für ben lebenbigen $ern im 9J?enfdf)en befjalten: man
•' moratifierte. @S ift groteSf genug ju feljn, mie iljm aus eben ben
Greifen 293iberfprudj ermäd&ft, beren 23erljerrlid}ung unb bidfjte*
, rifdfjer öerllärung feine SebenSarbeit gilt. ®r, ber bie ©runb*
fdjidfjten tüchtigen SürgertumS ans Stcfjt jog, if)re ©olibität unb
unrebenSartlidje ©infad)l)ett, iffren ©inn für baS $ßraftifd)*$Äädjfte,
itjre ungefünftette, natur* unb gefüfjlSberbunbene Unmittelbarfeit
feierte unb in bie bleibenbe S orm f)inüberrettete, fam in ben
©eruclj eines unfittlidfjen ©d^riftfteHerS.
Soutane tjätte nicfjt fo gut unb bollfommen fein müffen, menn
nid(jt ber SBiberfprudf) ber Sßieljubielen taut gemorben märe, ©in
S)id^ter ift aucf) baS madfje ©emiffen ber $eit, in feinem 233er!
friftaUifiert fid; if>r innerfteS Seben, ifjre ftärfften, mefenljafteften,
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3. Errungen, SSirrungett
217
na<hbrüdli<hften gorberungen. SKag er auch ©dhilberer beS menfdh*
liehen $)urdhfdf)nittS fein, er muf?, will er baS i^pifd^e im 2)ur<h=
fdhnitt,' baS SßertooKe im 9ttttagSmenf<hen aufjeigen, ein fe£»r waches
Bewufjtfein öon ben ©trebungen haben, bie baS ßeben biefer Stil»»
täglichen, ihnen felbft unbewußt, erft jüm SEpptfchen erheben, erft
merttiott machen. Unb wertooH ift für getane nur bie (Sjiften^f
bie fidh nicht fdhematifch, medhanifcf) unter borgefunbene ©efepe
beugt, fonbern fie nur anerfennt, wenn eS zugleich ihre, berj
lebenbig*gefüf)lten Snbibibualität eigne ©efepe finb ober biefe Sn* \
bioibualität mit ihnen in ©inflang ju bringen ift, ohne bafj beibe /
toefentlidhe ©inbufje erleiben. Unb hier fepte ber 2Biberfpru<h berer
ein, bie bon bem feelifdhen §erb nichts mußten, ber ihre ©eneration
fpeifte, in bereu ®efe|en nicht bie Berbinblidhleiten ihrer eigenen
Statur wieberfanben, fonbern einen 2Jtorallobej fallen, bem man
fidh ftumpfen unb blinben ©inneS unterjuorbnen habe. Unb fo
hielt man benn Montane bie ftarren ©efepeStafeln bor, bereu
lebenbigen ©inn er gebeutet, beren Berechtigung er erft nach*
getoiefen hotte.
SBir befi^en einen Brief, ber feine eigene Meinung bon ßene
SRimptfcf), ber $elbin ber Lobelie, mit aller SDeutlidhfeit auSfpridht.
Unb obgleich baS 233erf genugfam für fidh ^ebet unb einer @r*
flärung bon aufjen, unb fei eS bie beS SichterS felbft, nicht bebarf,
fo möge er hoch feiner herjerfrifchenben, gefunben Offenheit wegen
hier fteljen. ,,©S wirb nicht alle SBett" — fdhreibt Montane —
„wenigftenS nicht nadh aufjen fyn, ebenfo nadhfichtig über Sene
benfen wie ich; ober fo gern ich bteS jugebe, fo gewifj ift eS mir
auch, bah in biefem offnen Belennen einer beftimmten ©tellung '
ju biefen fragen ein ©tücfdhen SBert unb ein ©tücfdhen Be=
beutung beS Bud(jeS liegt. SGßir fteefen ja bis über bie Ohren
in aKerhanb lonbentioneller Süge unb foHten uns fdhämen über
bie ^eudjelei, bie wir treiben, über baS falfdhe ©piel, baS wir
fpielen. ©ibt eS benn, aufjer ein paar 9ta<hmittagSprebigern, in
beren ©eelen ich ouch nidht fpneinguefen mag, gibt eS benn aufjer
ein paar foldhen fragwürbigen Ausnahmen noch Ugenbeinen ge*
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218 dritter Seil. Sie Dioöetlen ber SJlittetjeit
I
bilbeten uitb h er ä c nSanftänbigen ÜRenfchen, ber fi<h über eine
©chneibermamfetl mit einem freien SiebeSderhältniS wirflich mora*
lifcf) entrüftet? 3<h fenne fernen unb fe£e hinju, ©ott fei Sanf,
bah ich feinen fenne. ^ebenfalls würbe ich ihm aus bem Sege
gehn unb mich oor ihm als üor einem gefährlichen 3Jienfd^en
j hüten. »Su foUft nicht ehebrechen 4 , baS ift nun halb dier 3aht>
i tanfenbe alt nnb wirb auch wohl noch älter werben unb in Äraft
unb Slnfehn bleiben. @8 ift ein ißaft, ben ich fc^lie^e unb ben ich
fdjon um beShalb, aber auch noch ans onbern ©rünben, ehrlich
halten muh; tu' i<h’S nicht, fo tu' ich ein Unrecht- wenn nicht ein
»Ülbfommen 4 bie Sache anberweitig regelt. Ser freie üDlenfcf) aber,
ber fid} nach btefer ©eite hin $u nichts derpflichtet hot, fann tun,
was er will, unb muh nur bie fogenannten »natürlichen Äon*
fequenjen 4 , bie mitunter fehr hört finb, entfdjloffen unb tapfer
auf fid) nehmen. 9lber biefe »natürlichen Äonfequenjen 4 , welcher
Slrt fie fein mögen, hoben mit ber Sftoralfrage gar nichts gu
fdhaffen. 3m wefentlicfjen benft unb fühlt alle Seit fo, unb eS
wirb nicht mehr lange bauern, ba| biefe Slnfdjouung auch flilt
unb ein ehrlicheres Urteil herfteHt. Sie hoben fich bie Singe
feit bem ,©inmauern 4 unb ,3n=ben=6acf=ftecfen 4 geänbert, unb wie
Werben fie fich weiter änbern. ©mpörenb ift bie Haltung einiger
Leitungen, beren illegitimer Äinberbeftanb weit über ein Supenb
hinausgeht (ber ©h e f re &afteur immer mit bem ßöwenanteil) unb
bie fich nur barin gefallen, mir »gute ©itten 4 beijubringen. 51rme
Schächer! Slber eS finben fich immer ©eheimräte, fogar unfubalteroe,
bie folcher Heuchelei juftimmen." •
ßieljt man üon biefer pradjtdollen ißarabe ab, waS auf Äoften
ber momentanen Srieflaune ju fepen ift, fo bleibt hoch in ftärffter
Äomprimierung ber ©inn ber Modelle, ja mehr, ber Äern ber
fontanifchen Seit auf chauung. auSgefprochen: fie will don Äatechi*
fierung nichts wiffen, ba ihr bie ©ittengefepe, bie fie fehr wohl
refpeftiert, nur eine Sertwelt neben anberen finb. Sie menfch-
liehe ©ntfchlufjfähigfeit bleibt gewahrt, bie Stimme ber ntenfeh*
liehen Sllatur baS ©rfte, Anfängliche, bem alles anbere nur nach' 5
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Original fram
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3. Errungen, SBirnutgen
219
jufolgen f)at. Offenheit unb natürlicher Mut, bie nodj lange nicht
©djamlofigfeit bebeuten, toerben jum Reichen beS oorbilblichen
Menfdjen, ber fein §eroS ju jein 6raudht f ber tote Sene Stimptfch
ein fchlicßteS Alltagsleben führen fann. t
SEBie jehr Montane in baS toirflic^e Seben ber Zeit griff, ein
©tücf ©egenwart geftattete, beweift eine ©jene, bie in feltfamer
Mijcßung bön (Ergreifendem, Äontif unb Verlegenheit batb nach
(Erfdheinen beS SßerfeS in jfontaneS ArbeitSjimmer fi<h abfpiette:
„(Eben" — fchreibt er — „toar eine SDatne non fedjSunboierjig bei
mir, bie mir jagte, ,jie jei Sene; id) hätte ih te ©efdhidjte gefcf)rieben‘.
(Es toar eine furchtbare ©jene mit Maffenheuterei. 0b jie üerrücft
ober ungtüdHicfj ober eine ©chwinblerin toar, ijt mir nicht Har
geworben." — Man möchte ben tiebenSwürbigen alten Montane,
bem Sentimentalitäten unb 2)iftanjlofigfeit jo juwiber waren,
bei biejem Auftritt gefehe'n haben; bod) wirb baS Unangenehme
ber ©jene öon anberen ©efüfjlen aufgewogen toorben fein, bie er
mit befannter Vefcfjeibenheit forglitf) oerbarg.
Von Anfang an für bie StooeHe erUärte fich feine jfamifte,
ber baS Stecht freier Meinungsäußerung bon je juftanb unb bie
oon biejer (Erlaubnis oft ©ebraueß gemacht hat. gontane fonnte
liebeootten Xabel ftetS ertragen, er war ihm angenehmer als ober*
ffädjlidheS 2°b. „Errungen, SSirrungen" fanb bie wof)ttuenbe ßu*
ftimmung ber ©einen. „ViS jeßt haben nur wenige ben Mut
gehabt, fich e h r ^^ ä u bea barin niebergelegten Anfchauungen ju
befennen. S)ie meiften, joweit fie nicht £eu<f>Ier finb, warten,
,geftüfct auf beS Mutes beffren Seit 4 , erft ab, wie ber £>afe läuft.
Stur alle Mitglieder meiner jfamitie, bie bodh oielleicf)t am eheften
bie Staje rümpfen fönnten, haben fich rüdfhaltloS für ben ,Alten 4
erflärt."
/T^ine tounberüoöe ©leichgewichtigfeit, eine wohltuende Stuhe unb
Sicherheit fprießt aus bem Vau biejeS SöerfeS. S)ie beliebte
Zweiteilung fontanijeher Äompofition erjdheint äußerlich propor*
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220 dritter Seil. 2)ic SZotjellen ber SKittetjeit
tionierter. ttlicht mehr mirb baS spätere Seben ber ißerfonen in
rafchem fteljrauS fixiert, ber (Sinfdjnitt fällt nun in bie Sttitte,
ber erfte Seit fdjilbert ben turjen ^erjenSbunb SeneS unb Bothos,
ber jmeite i|r ferneres ©tfdjicf, mie eS fid^ in getrennten Bahnen
erfüllt. Statt ein Stücf EBirflichfeit aus bem allgemeinen gufammen*
hange um beS inbioibuetten gatteS mitten tjeranSjufc^neiben mie
in ben ©efettfdhaftSnooetten, mirb jefct ohne (Sinfchränlung bem
eignen Seitfafc entfprodjen, ber baS Seben in feinen natürlichen
^ßrogentfä^en belaffen miß. „Errungen, SBirrungen" unb „Stine"
heben, fo fehr fie auch ©eftaltungen menfchlidjer ©injelfchicffale finb,
j biefe hoch fo ftarf ins ^ppifdE»e, bafj fie als Elbbreüiatur beftimmter
©efettfchaftsfdjichten gelten fönnen.
(Sine ©ärtnerei oor ben Xoren Berlins nimmt uns auf, in
bie nur oon fern noch ber Särm ber Stabt hinüberhattt, ein bei*
nah länblidheS Milieu, fommerliehe EBärme unb Stille, .in ber ein*
fa^e Sftenfcfjen ein befcheibeneS unb jufriebeneS S)afein führen,
| ber Üßatur oerbunben, als lebten fie braufjen in ber ÜJiarf. ttftan
fühlt, eS mirb fid) um leine grofje fieibenfd^aftSgefd^id»te fabeln,
aber oielleicfjt ein 33licf oergönnt merben in 3ufammenf)änge, bie
Sdjicffal bergen in fdjlichtefter Eltttäglichleit. Unb auch oon fojialem
| (Slenb mirb nicht bie Siebe fein. 0h nc tomantifdj aufjufchönen,
gibt gontane in feiner Schilberung ber $örrfcf)en ©ärtnerei bie
©emifiheit, bafj ihre Snfaffen nicht auf bloßen (Srtoerb aus finb,
aber auch nicht gehest oon EBünfdjen unb fielen, bi e über ben
ÄreiS ihrer Stätigfeit hinausreichen. (Sr fiefjt baS ein menig oer*
fattene ©emefe, bie materifche Unorbnung ber gärtnerifchen Ein¬
lagen mit ben gleichen Elugen mie ber ©ärtner 2)örr unb feine
, ftrau felbft; ihr Stücf Sanb unb ihre Befchäftigung ift ihnen ans
£>er§ gemachten, innere Siebe unb Beteiligung fd^afft Reichtum aus
Elrmut, 3ufriebenheit bei aller Äärglichfeit, ©üte unb Einteilnahme
bei aller SBunberlichleit, aller Derbheit beS äußeren ©ehabenS.
35aS eigentliche EBohnfjauS ber ©ärtnerei ift an bie alte Siimptfd)
unb ihre Pflegetochter Sene oermietet, bie ein fleineS SBäfch* unb
Sßlättgefchäft betreibt. EJian finbet fich in täglichem Berleljr ju*
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3. jungen, SBirrungen
221
jammen, lebt in friebfertigem herein, ift in ber $lbgefd}iebenheit
aufeinanber angemiefen unb Ijat Jeine ©eheimniffe ooreinanber.
Montane weife fich jeben Äleinjug ber ©orgejcfeichte unb Einleitung
jum Vorteil $u wenben. ©o natürlich alles oorgebrac^t wirb, jo
fünftlerifd)*bewufet ijt eS bodj auch. Einfacher unb biefeterijeh ein*
bringlicfeer Jann bie ©efdjichte t>on ßeneS unb ©otfeoS erjtem 3«“
jammentreffen nicht erjagt werben, wie ba grau Dörr ihren
©chemel unter baS genfter je|t, unter bem alten geflieften 2Äarft*
jdfirm ihre ©pargelbünbel binbet unb Sene, bie brinnen fleißig
mit bem fßlätteijen umgebt, if)r Abenteuer öom ^weiten Dftertag
entlocft, nicht ohne in flüger Diplomatie bie EigenroiHige üorljer
burdj ein ©erid£)t ©ruchfpargel gefügig gemalt ju haben. Unb
fiene erzählt, wie jie mit einer greunbin bei einer Äahnfaljrt um
bie Dreptower SiebeSinfel beinah öon einem Dampfer überrannt
worben unb nur burdj baS rajehe Eingreifen jweier oomehmer
Herren gerettet worben wäre, ©ie hätten fich wie richtige Äaöa*
liere benommen unb ber eine fie bann nach $aufe begleiten wollen.^
w ,?lch, liebe jjrau Dörr, eS mag wohl nicht recht gewejen fein,
gleich jo frei weg ju fpreßen; aber er gefiel mir, unb fich gieren
unb jimperlich tun, baS hab ich nie gefonnt.‘ ,Unb nachher? 4 ,3a,
nachher. 9lun, ©ie wifjen ja, wie'S nachher fam. Er fam bann
ben anbem Dag unb fragte nach- Unb feitbem ift er oft gefommen,
unb ich freue mich immer, wenn er fommt. ©ott, man freut fich
bodj, wenn man mal was erlebt. ES ift oft jo einjam hier braufeen.
Unb ©ie wifjen ja, grau Dörr, ÜJlutter hat nichts bagegen unb
jagt immer: ftinb, eS fcfeab't nichts. Eh man fich’S oerfieht, iS man
alt. 4 ,3a, ja, 4 jagte bie Dörr, ,fo hab ich bie SRimptfchen auch
jehon jagen hären. Unb hat auch Qanj recht. DaS heifet, wie
man’S nehmen will, unb nacfe’m Katechismus iS boch eigentlich
immer noch befjer unb fojujagen überhaupt baS ©efte. DaS fannft
bu mir fchou glauben. Slber ich weife woU, eS geht ni<h immer,
unb mancher will auch nic^. Unb wenn einer nid} will, na, benn
will er nich, un benn mufe eS auch jo gehn unb geht auch mehr*
ftenS, man btofe, bafe man ehrlich iS unb anftänbig unb SBort
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222 dritter Xeil. 3)ie SJoöcHen ber SRitteljeit
/
hält. Un natürlich, was bemt fommt, baS mufj man auSfjatten
unb barf fich nid) wunbern. Un wenn man aß jo was weift unb
fich immer mieber ju ©ernüte führt, na, benn iS eS nid) jo jdjlttnm.
Un jdjlimm ift eigentlich man bloft baS ©inbilben. 4 ,A<h, liebe
grau 2)örr‘, lachte Sene, ,waS ©ie nur benfen. ©inbilben! Sch
bUbe mir gar nichts ein. SEÖenn ich einen tiebe, bann lieb' ich ih n *
Unb baS ijt mir genug. Unb miß weiter gar nichts oon ihm,
nichts, gar nichts; unb baft mir mein ^erje jo fchlägt unb ich
©tunben jähte, bis er fommt, unb nicht abwarten fann, bis er
\ wieber ba ift, baS macht mich gtüdlid), baS ift mir genug.‘"
@S jwingt immer oon neuem jur ©ewunberung, wie gontane
| in fotzen ©efprächSfjenen bie SKenj^en fich bienftbar macht, fie
jeine eignen Meinungen ausfprechen Iäftt, ohne hoch ben Nahmen
ihrer ©jiftenj ju fprengen. grau S)örr unb Sene bleiben oöflig
in ben ©renjen ihres SBejenS gefangen, hoben nicht mehr ©ewuftt*
heit, als jeber Berliner biejeS ©chtagS, bie bejonbere Art ihres
PaubertonS ift jorglich gewahrt. Unb zugleich gibt er in ben
Sieben bie ©eften mit, ohne baft er nötig hätte, fie erft auSbrüd*
lieh ju bejehreiben: man fiet)t grau SDörr ihren ©parget binben,
ßene ihre SBäjche plätten, ihre balb gefdjäftigen, balb läjfigen
Bewegungen, je nach bem Sntereffe unb SebenbigfeitSgrab ber bie
Arbeit begteitenben Unterhaltung. $)aS ©rtebniS, baS man immer
bei gontane hot, fteßt hier in bejonbrer ©tärfe fich ein: man
glaubt bieje SDZenfchen jehon nahe ju fennen, ift ihnen fefton Der*
traut, ehe fie noch e i n P°ar hunbert Söorte gerebet hoben, man
atmet in ber Sicherheit eines flar umriffenen äfttlieuS. SBohf liegt
bie ©ntwidftung noch ungewift im SBeiten, aber wie bie Sntro*
buftion eines meiftertichen SonftttdS baS ©an$e feimhajt birgt, jo
bei gontane bie ibpflifdje ©inteitung ber „Srrungen, Sßirrungen"
bie 2KÖglichfeiten finb abgegrenjte, ein jehr ausgeprägtes ©tügefüf)t
leitet bie innere Anteilnahme feft unb fidjer, Iäftt bie oorfchweifenbe
^ßhontajie nur in beftimmten ©ahnen jich ergehen. 9J?an ahnt bie
©ntwicflung, ohne fie wifjen ju fönnen, man empfinbet baS ©tüd
Seben, baS fich ausbreiten joß, oor aßer fünftlerifchen Unjutäng-
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3. Errungen, Simmgen 223
licpfeit gefcpüpt unb fieEjt bocp jugleicp bie objeftioen Äuroen ge*«
maprt, opne bafj fie mit einer fflaoifcp*naturaliftifcpen SebenS*
abfcpilberung ju teuer erlauft mären.
gontane ift überall barauf aus, innere ©ejüge im ©au feines
SßerfeS perjuftellen. SDocp opne auSbrüdlicp auf Jie pinaumeifen,
oerbirgt er fie oielntepr, ftettt fie als miüfommenen ßufatl beS
©eftaltungSüerlaufS b)in unb fcpafft gerabe baburcp jene perrlkpe
Äomprimiertpeit, jene ßebenSbicpte, bie in öiet pöpetem SNafje baS
©epeimnis feiner $)icptung unb iprer Sßirfung ift, als ber oft be=
lobte ©lid für baS kleine unb bie ©egabung für baS ©egen*
ftänblicpe.
2)ie Nebenfiguren fönnen opne ßmang als ©arianten unb Stb*
ftufungen ber |>auptperfonen gebeutet merben. SBenn bie alte
Pflegemutter unb baS ©pepaar ®örr an bem offenen ©erfepr
SeneS unb ©ottjoS fo menig Slnftof; nehmen, bafj man fiep am
geierabenb ju ungejmungeftem, luftigem ©eifammenfein oereint, fo
pat bieS mit $eruntergefommenpeit unb fittlieper Srreleüanj gar
nichts ju tun. S)iefe Seute befifcen fepr mopl ein ©efüpl für Sin*
ftänbigfeit unb fittliepe ©erpflicptung, aber freilich finb eS ibjre
eignen ©orftellungen, bie ipnen in iprent SebenSfepidfat peran*
gereift ftnb. Unb E)ier oerbinbet fiep $rau 2)örrS ©eftalt unb ©er*
gangenpeit ber ©egenmart SeneS. 2öir pörten fc^on ipre Sfteinung:
„... man blofj, bafj man eprlicp iS un anftänbig unb SBort hält",
©ie nimmt ade biefe ©igenfcpaften für fiep in Stnfprucp unb pat
tropbem jahrelang ein ©erpältniS mit einem alten ©rafen gehabt,
ßene erjäplt ©otpo barüber: „@ie ging mit ipm, mie fie fiep aus*
jubrüden pflegt. Unb barüber ift mopl fein ^roeifel, ba^ über
bieS ©erpältniS unb natürlich aucp über bie gute $rau 3)örr felbft
oiet, fepr oiel gerebet morben ift. Unb fie mirb auep Slnftofj über
Slnftofj gegeben paben. Nur fie felber pat fiep in iprer ©infalt nie
©ebanfen barüber gemaept unb noep meniger ©ormürfe. ©ie fpriept
baüon mie oon , einem unbequemen 2)ienft, ben fie getreulich unb
eprliep erfüllt pat, blofj aus Pfticptgefüpl." ©in beutlieper ©or*
flang ber ©tine*NoöeHe unb iprer beperrfepenben ©eftalt, ber SBitme
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»
224 dritter $cü. Sie 9?ot>eUeu ber SKittclgeit
Pittelfom! 2lber maa bort in ben Sorbergrunb rücft, ift t)ier nur
©egenfap gu Sene, bereu Sßefen unb Siebe fich öon ber golie ber
grau ®örr öorteühaft abhebt. 2Kan fann nerftetjen, bafj grau
SDörr unb bie äöitrne pittelforo auch für meniger ängftliche ®e*
müter etma§ Sebenflidjeg begatten mit biefer eignen Strt öon
SDienftöerhältnig unb Pflichtgefühl. Sene unb 93otf>o bleiben bag
ibeale Siebegpaar, auf bag ein öerflärenber ©dhintmer fättt. 3n
ihr ift nichts öon Seredhnung, unb 93ott)o gibt fich ohne ©taubem
hodhmut in freier Siebengmürbigfeit. S)iefe natürlichen SERenfd^en
finb ohne falfche ©cham unb ohne falfche Hoffnung, ein fteteS @in=
galten ber ©djranlen, bie burch bie ©eburt gezogen finb, fdhafft
ifjnen ihren ©eelenrang. 2)a| fie biefe, trophein eg fiel) um bie
innerliche Siebe groeter mahlöermanbter Naturen hattbelt, nie gu
burchbredhen toagen, ba| fie ihnen genau fo natürlich unb gegeben
erfcheinen, mie ihr ©efüht, bag fie gueinanber treibt, hebt fie über
bie üftaffe: Sotho über bie ftarre $ont>ention ber Slbelgmelt, Sene
über bag bumpfe Proletariat.
grau 2>örr, bie immer an ihren ©rafen gurüdfbenft unb ihn
mit Sotho oergleidht, fieht nur bie h an ^Ö re ifli < ^ en Unterfdhiebe.
Unoergefjlich bleibt eg, menn gontane fie in einem $one, ber fein
lächelnbeS Serftehen audh foldher üttenfchen unb Seben^oerhältniffe
ergreifenb bartut, reben läjjt: „SBeil ich mir n * e mag in’n ®opp fepte,
barum ging eg immer gang glatt unb gut, unb ich h a & e öu dörren.
9la, oiel eg eg nidh, aber eg ig bodh mag Slnftänbigeg, unb man
fann fidh überall fehen laffen. Unb brum bin ich mich w bie Äirche
mit ihm gefahren unb nich blofs ©tanbegamt. Sei ©tanbegamt
reben fie immer noch- — Stber mag ich eigentlich feigen moHte...
2öag nu er mar, mein ©raf mit feine fuffgig aufm Pucfel, na
ber mar auch man 9 0It i ftrnpel unb blofj immer freugfibel un un*
anftänbig. Unb ba reichen ja feine hunbertmat, bafj ich ihm gefagt
habe: ,9Je, ne, ©raf, bag geht nidht, fo mag oerbitt’ich mir...‘
Unb immer bie Sllten finb fo. Unb ich f°9 e blofj, liebe grau
Sßimptfch, ©ie fönnen fidh f° mag gar nidh benfen. ©rüfjlich mar
eg. Unb menn ich mir nu ber Sene ihren Saron anfehe, benn
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225
3. Srntngcit, Sßirrungen
fchämt es mir imfer noch, menn ich benfe, roie meiner mar. Unb
nu gar erft bie Sene felber. Sott, ein ©ngel iS fie mott grabe
auch nidh, aber propper unb fleißig un !ann alles unb iS für
Drbnung unb fürs SReelte."
SSottjo unb Sene galten bie ÜJtitte ein jmifc^en ben SSünfd)en
ber eignen Eiatur unb ben fokalen unb gefeEfc^aftfidjen ©rennen.
9J?an rnuB fidfj mieber üergegenmärtigen, ba§ biefe ©djranfen für
Montane, unb aud) für Sene unb S3ott)o, nicht eigentlich äußere
|>emmniffe in rein negatioem ©inn bebeuten, beren 02iebertegung
einem SBorteit gleich !äme. ®S finb mofjltuenbe unb fef)r nötige
SBiberftänbe, bie bem ^Belieben beS ©injelnen fich entgegenfe^en,
unb fie merben als fotche anerfannt, mögen aucf) bie Augenbtide
eines ferneren SBerjichteS nur it)r Schmerzliches fühlbar machen,
grau S)örr fagt oon Sene: fie ift für Drbnung unb fürs Reelle.
Unb öot^o [teilt if>r fpäter, afS es if>m barum ju tun ift, baS
Söefte öon i|r ju fagen, maS er fagen fann, beim 93efud) ©ibeon
granfeS, baS 3 eu 9uiS auS: f)Qt baS ^erj auf bem regten
gledf unb ein ftarfeS ©efüf)t für Pflicht unb 9ted£)t unb Drb*
nung." Unb mie Sene fidfj immer ber ©d) raufen bemüht bfeibt,
bie fie oon bem ©eliebten trennen, fo meifj S3otf)o, bafj i^m Sette
nicht für immer gehören fann. ©ehr fein unb unauffällig f)at
gontane bie fojiale unb geiftige ©ifferenj, bie jmifd^en ben Sieben*
ben bleibt, baburdj ausgeglichen, baB Sene bie feefifcf) ftärfere
Statur ift. S3otf)o fudjt fi<h beS öfteren über baS 3eitlidfje if)reS
SBunbeS hiumegjutäufchen unb gefällt ficf) manchmal in moljligen
Ausmalungen, mie es eigentlich fein fönnte, menn bieS unb jenes
nicht miire. Aber Sene entgegnet: „©taube mir, bafj ich buh fyabt,
biefe ©tunbe habe, baS ift mein ©tücf. SBaS barauS mirb, baS
fümmert mich nicht. ©ineS 2ageS bift bu meggeflogen... 2)u
liebft mich unb bift mir treu, menigftenS bin ‘ich in meiner Siebe
finbifch unb eitet genug, eS mir einjubilben. Aber megftiegen mirft
bu, baS feh’ ich ^ ar unb gemijj. 35u mirft eS müffen. @S h^iBt
immer, bie Siebe mache btinb, aber fie macht auch h e ^ unb fern*
fidjtig ... S<h toeiB, baB bu beine Sene für maS öefonbreS fjältft
SBanbretj, Soutane 15
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226
dritter letl. 3)ie s JJooetIeu ber SJtitteljcit
unb jcbeit £ag benfft: ,menn fic boS eine ©räfin märe‘. 25amit
ift e2 nun aber $u fpät, bag bring' iS nkf)t mefjr jumege." Unb
als bann bie gefürstete Trennung fomrnt, fagt fie ,,©g
bleibt bei bent, wag iS geftem abenb fagte. 2)a| iS biefen
©ommer leben tonnte, mar mir ein ©tücf unb bleibt mir ein
©tü<f, auS wenn iS oon fjeut ab unglücEüS toerbe."
2Sag biefem gürten feinen 9tang fSofft, ift bag ÜKafjüoHe,
^eßfiStige in ber Eingabe. ÜTCiStg märe fatfSer, afg oon purer
Verftänbigfeit unb Äüf)Ie ju reben. ÜJian §at aug ber SeibenfSaftg*
tofigfeit beg fontanifScn ^ßriüattebeng öoreilig generatifierenbe
©Stüffe auf feine ÜRenfSengeftattung gezogen. 3n SßirfliSfeit
finb ntanSe feiner ©eftalten, fo eben Sene, fefjr leibenfSaftliS,
aber fie befifcen, mag mertooUer ift: eine praStooße ©efjaltenljeit.
S)em Samenfofo grunbfäptiS abgeneigt, mit einer fSamljaften
©eele begabt, fpart fiS bag SlufcerorbentliSe in Snen für Slugen-
btidfe auf, bie ben ßufSauer meiben. Montane fetbft miß niSt
ßufSauer fein. SBer bie ©efü^Igftärfe, bie fjinter ber Siebe S3ott)og
unb Seneg ftefyt, niSt fpürt, nur bie äufjere VefjerrfSSeit fief>t,
mifsfennt fie gang unb gar, beutet in fie tjinein, mag fie niSt
Ijaben unb finb: äufjerliSe Orbnungg» unb gormelmenfSen, bie
jeben ftarfen grnpufg Srer Statur ängftliS nieberfialten mie ber
©atte ©ffi Vrieftg, 93aron oon gnnftetten. Sene befipt Vernünftig*
feit unb SeibenfSoft jugleiS, fie £>at bag fSöne, ftaffifSe ©teiS*
gemiSt aüfeitig burSgebilbeter SflenfSfiStot anb tut bar, mie
man in Srer $eit unb Srent ©tanbe augfeljen mu|, um naS
9?ie|fSeg tyerrliSer gorberung „reStminflig an Seib unb ©eele"
ju fein.
Vottjo fommt Sr barin niSt ganj gteiS, er f>at eine ©pur
oon Sentimentalität. Slber mie tjübfet» toeifj ber märfifSe ©bef*
mann mit ben einf&Sen Seuten ju plaubern, mie fjerjenggütig ift
feine Stellung jur alten 0?imptfS, mie faunig fein Verfefir mit ber
originellen grau $)örr: fein mofßmottenbeg ©iSfjerablaffen, ein
Uebengmürbigeg ©ntgegenfommen, ein jmanglofeg ©ingefjen üief-
mef)r in einen fSIiS ten Sebengfreig. ©r fann in bem befSeibenen
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3. Errungen, äßirrangeu
227
ßtmmec ber alten SBäfcfjefrau fich fo tr>of)I fügten, baß er erffärt:
„$ier neben grau 9timptfch, baS ift ber befte $ßta$. 3<h lernte
feinen £>erb, auf ben ich jo gern jäf»e; immer geuer, immer
SBärtne. 3a, SDiutterchen, eS ift jo; hier ift eS am beften." Unb
er mei| fpäter recht gut, maS ihn immer wieber in baS Sbtjll ber
Sörrfchen ©ärtnerei, ju grau Sftimptfch unb ju ßene gog: „Seber
äRenfch ift feiner Sftatur nach auf beftimmte, mitunter fetjr, fehr
Keine Singe geftettt, Singe, bie, troßbem fie Hein finb, für itjn
baS ßeben ober bodfj beS ßebenS SBefteS bebeuten. Unb bieS SBefte
heißt mir ©infachheit, SBahrßeit, 3tatürticf)feit. SaS alles hat ßene;
bamit hat fie nttr’S angetan, ba liegt ber ßauber, aus bem mich
ju löjen mir jeßt jo fdjtoer fällt." —
@S mar ein guter @riff gontaneS, baS ßiebeSglüd Söot^oS
unb ßeneS nur eine furje ßeitfpanne mähren ju taffen, nur in
feiner erften, frijcßeften 93lüte oorjufü^ren. SRur jo ift eS möglich,
baß bie ©cßranten, bie fid) einem bauernben 93unbe entgegen*
fteUten, fühlbar bleiben, ohne bah baburdj bodh bie Snnigteit ber
Neigung abgefchmächt, bie ßauterfeit ber ©efinnung getrübt mürbe.
3>ie ßanbpartie nach „§anfelS Ablage" bringt ben £>öhepunft
ihres furjen ßufammenlebenS: fie finb jum erften* unb leßtenmal
für einen einzigen Sag ganj allein.
Unb bieje Äapitet finb öielleicht baS ©cßönfte, 9teichfte unb
Snnerlidhfte, maS gontane je ju jc^affen gelang. Sn anbren SBerfen
mögen fich Seiljüge feines bidjterifchen SßefenS unb feiner Sßer*
fönlichfcit feiner ausgeprägt finben, aber ihre große ©umrne ift
nirgenbS fo üoH unb rein äufammengef^moljen. ßünftlerifche unb
ethif^e ©nergien, bie tiefften ©trebungen unb bie mehr äußer¬
lichen ©emöhnungen feiner fchriftfteHerifchen Statur, alles burcf)*
bringt fich unb löft fich in ber öollfommenen ©inhfit einer ebenfo
flar unb perjönlich gefchauten mie bemältigten bichterifcßen SSifton.
Sie äftenfdfjen oerbinben fich ber ßanbfchaft in einer fo burch*
gefühlten ©inljeit, baß man öerfudfjt ift ju erflären, hier märe auf
fleinftem Staunt unb in jmingenber gornt mehr oon märfifchem
©eift gegeben, mie in ben fünf bieten öänben ber „Sßanberungen".
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228
dritter Seil. 2>ie 9ioöcHen ber 9JHtteljeit
SBem einmal Sanb unb ßeute ber SKarf jum ©rlebniS geworben
finb, ber !atut biefe Kapitel nic^t me^r oergeffen, bem werben fie
mit ÄteiftS Homburg, ©cbtüterS ©rofjem Äurftirften unb ßeiftifows
©runewatbbitbern ju einem wertoollen, unoertierbaren 58efi$. SEBie
bie ^erbe ©cf)önt)eit ber märfifcf)en ßanbfcbaft ficb bem warmen
©rnfte im (Stjarafter SeneS eint unb bann bie abenbticbe ©title
unb Serfunfenbeit eine fettfame ©efüb^weiebbeit ^eraufbringt, wie
biefe Siebenben wiffen, bafj jeber Stugenbtidt, ben fie f)ier weiten,
ben ferneren ßebenSweg burdjftingen wirb, unb nun jebe Äteiuigfeit,
jebeS Söort, jebeS unfcbeinlicbe 2)ing 3üß e gewinnt unb ©tan$
oon bem feltnen ©tücf ber ©tunbe unb ju järttidjem SBerweiten
jwingt! |>ätte einem anberen jene ©jene getingen tonnen, ba Sene
bei ^ereinbre^enber S^ac^t auf ben ©etiebten wartet, in Dotier @r*
füllung i^reS ©tücfeS unb boef) im Söewufjtfein ber Sßergängticb*
feit biefeS Slbenbs ? -Kur ber eigenartigen ÜDftfdjung oon ©lementen,
bie ftontaneS bidjterifcbe ^erföntidbfeit als ©rnft unb ©üte, ©inn*
tidfjfeit unb Derbheit, füllten unb ©infidjt barg, tonnte fie ent*
Waffen. Unb bie Statur gebt ein in bie ftaren ^reuben biefer
Siebesfeier. „Sine tiefe ©title tjerrfctjte; nur in ber alten Ulme
ging ein SEBeben unb ütaufdfjen ... 3DaS SEBaffer flutete teife, ber
SEBalb unb bie SEBiefe tagen im abenbtidfjen Kammer, unb be_r
SDtonb, ber eben wieber feinen erften ©icfjetftreifen jeigte, warf
einen Si^tfd^ein über ben ©trom unb tiefj baS Rittern feiner
fteinen SEBelten erfennen..."
^o\ann folgt ber zweite Seit, ber oon ben ßonfequenjen baubett.
9Jtit einer nadb alten ©eiten parteilos unb boeb tiebeoott
auSgebreiteten Umfid^t werben bie angefponnenen $äben oon
Montane weitergefübrt, in einer SEBeife, bie Weber bem aufgefangenen
Seben ©ewatt antut, noch baS ©efefc fünftterifd^er ©efdEjtoffenbeit
aufjet StcEjt täfjt.
93otbo unb Sene träumten baoon, bie irgenbwann einmal not*
wenbige Trennung mögtiebft weit in bie ßufunft ju rüdten. Stun
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3. Errungen, SSirrungen
229
fommt fie ganz fchnell unb unerwartet. Schon im erften Seil
^aben zwei Äapitel (7 unb 8) VotfjoS f$r am ift enöer ljältniffe unb
gefeUfdjaftliche Stellung beleuchtet. 5Die pracf)tüolle <$pif obenfigur
beS alten OnfelS, Varon Often, unb bie Älubfzene, bie baS geiftige
Sftoeau, bte legere Vornehmheit ber jungen ©arbeofftjiere in
meifterlicher Äürze zeichnet, gaben bie Umfcf)tcht, in ber VothoS
offizielles SDcrfein oerläuft, in ber nach beS DnfelS SBiUen unb
bem Stanb ber VermögenSoerhältniffe feine gefamte ©fiftenj in
Söälbe burdj eine langgeplante betrat mit einer reichen Äufine fich
berfeftigen fott. Sefct wirb mittels eines feljr glücklichen 2JtotioS,
ber Überrafdjung beS ^ßaareS in ^anfelS Ablage burch bie brei
intimften SftegimentSfameraben unb beren „$)amen", ein ebenfo
toirffamer toie fruchtbarer Äontraft aufgebaut. S)er 2)urchf<hnittS*
leutnant mit ber $Durd)fcf)nittSliebfcf)aft läjjt, noch ba^u in brei*
fadjer SluSgabe, baS Vefonbre unb Söefenljafte im Verhältnis
VothoS ju Sene ganz ftorf h cr °uStreten, zugleich aber, unb barin
liegt baS Sßeiterfüfjrenbe ber ©egenüberftellung, ift Votljo gezwungen,
lamerabfchaftlidh auf biefen ÜberrafchungSfcherz ber greunbe ein-
Zugepen, fich auf ihr 9?ioeau herabzufinben, baS für alles eine
^ Äonöention bereit hält: aus ber ßanbpartie toirb für ihn ein 3eu
im freien, für Sene bie toiberfprucfjSlofe SDegrabation znr ©efettfdjaft
orbinärer 3)emimonblerinnen.
3)amit ift beiben finnfäUig nahegerüdt, maS ihre ßiebe oor
ben 9Jienfchen bebeutet, maS fie oor ber SEBelt, bem $erfommen
bebeuten mürbe, unb ber StuSftug nach ^anfelS Ablage, ber fo
glüdlich begann, enbet mit Sftübigkeit unb SIbfpannung. @S ift
Sene, bie baS flarere Veroufjtfein üon ben eigentlichen IXrfachen
ber Verftimmung hat, fie weift VothoS ©ntfdjulbigungen zurück:
„@S mar heute nicht fo, wie’S hätte fein foUen, unb bodj mar
niemanb fdjulb . . . Stüdj bie anbern nid>t. Slber bafj eS fo ift,
baS ift eben baS Schlimme baran."
2) er innere Veweggrunb ber Trennung ift mit biefem fdjmerz*
liehen ©rlebniS gegeben. $)ie äußere Nötigung bringt ein Vrief
oon VothoS 9Jtutter. 2)ie finanziellen Verlegenheiten beS Kaufes
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230 dritter Seil. $ie SiooeUen ber ©iitteljeit
dtienädfer finb immer bringtidfjer geworben, bie ^amüie ber reidfjen
Kufine wid fidj nic^t länger t)inf)atten taffen. „SSenn eS £>errn
non dtienädter beliebe, baS, was früher bariiber bon feiten ber
^amitie geplant unb befprodjen fei, faden gu taffen unb ftattgetjabte
SBerabrebungen atS blojjeS Kinberfpiet angufefjn, fo tjabe fie nichts
bagegen." 93otfjo fief)t ein ^jinauSfdjieben ber Beirat nidtjt tanger
mögtidj. Sn einem fdjarfen ©etbftberljör beugt fidj fein nur*
perföntidtjeS (Smpfinben, feine Siebe, bem ^erfommen, bem Sld*
gemeinen, ber Drbnung; nidjt tebigticfj aus 3wang, fonbern aucf)
in freimidiger, fctjmergtidjer (Sntfagung, weit bieS Stdgemeine, bie
Drbnung, nidjt als ein Slujjer*SnbibibuedeS, tebiglidj ©törenbeS,
fonbern atg baS Über« Snbibibuede empfunben wirb, atS geiftige
Suft, als Sftäljrboben ber (Sjifteng, unb bafür tein Opfer gu grofj
fein fann. „Söenn unfre märtifdjen Seute fidf) bertjeiraten, fo
reben fie uidfjt bon Seibenfctjaft unb Siebe, fie fagen nur: ,Sdj
mufe bodfj meine Drbnung t>aben.‘ Unb baS ift ein fdjöner $ug
im Seben unfreS 33otfS unb nictjt einmal profaifd). Senn Drbnung
ift biet unb mitunter adeS. Unb nun frag' icf) mtd): SCBar mein
Seben in ber ,Drbnung 1 ? SKein. Drbnung ift @f)e."
©o folgt benn ber Stbfdjieb bon Sene, baS tepte töeifammen*
fein, ein Kapitel, bei bem an bie Sßaradetfgene auS ber „S'StbuItera"
erinnert werben mufj. Senn fo fjoct) biefe als ©ipfet beS SCBerfeS
gu fteden war, bie Konfrontierung geigt, wie erft in „Srrungen,
SBirrungen" Montane gung dfteifter feines SBidenS geworben, ad
unb jebeS in Sarftedung aufgegangen ift, wo früfjer nodj ein dteft
bon Ungeformtem, tebiglid^ ©ebadjtem berbtieb. Sn „S'Stbuttera"
tjat bie StuSeinanberfepung ber (Stjegatten nodj etwas bon einer
SiSputation, eS wirb jufammenfjängenb, togifdj fotgernb gefprod&en.
Sn „Srrungen, SSirrungen" ift baS ©efprädjtjafte bloßer StuSflufj
ber poetifd^en ©ituation, ber augenblidKictjen ©timmung. Sort
würbe ber gange Sntjatt ber ©tunbe in Kare SBorte auSgemiingt,
jept berbteibt bieteS in btofjer Stnbeutung, in berebtem ©Zweigen,
eS wirb wotjl gefproctjen, aber nidjt adeS gefagt, wenn audj adeS
burdfjgefüfylt. Sie S'Stbuttera *©gene trägt, bon biefem fpäteren
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3. Errungen, SBirrungen
231
äBerf auS rücfblicEenb beurteilt, ben ©tempet eines füllen SßatljoS.
2)aS unöergteidjtidj Ergreifenbe ber neuen 5tbfcf)iebSfjene liegt
barin, baß fie gteid^ fern ift bern $att)oS wie ber $üf)te. ©ie ift
ber toürbige 5lbfcf)tuß biefeS $erjenSbunbe3 jWeier SJtenfcßen auf
ßeit. SaS ©dfjwere unb ©dtjmerjlidfje wirb als feiner unb fdjmerj*
tidj in feinem ganzen Umfang empfunben, aber eS erbrücft fie
nicf)t, weit bie üßotroenbigfeit beS SBerjidtjteS ebenfo einbringtidj in
iljnen lebt. Sieb ©eßegteS wirb preisgegeben, bamit ber Burjet*
grunb ber Ejiftenj nidjt erfd^üttert werbe. ES fann wot)I einmal
einer, ber bem ^erfommen, b. t). bei Montane einem bem innerften
SebenSgefefc SSertjafteten, gef)orcf)t, jugrunbe geljn, aber er get)t
b eff er jugrunbe als ber, ber itjm wiberfpricfjt. Unb tjinter bem
©cf)Weren liegt als fraftigenbe Hoffnung jebeS SebenStücßtigen unb
»willigen bie ÜJtögtidfjfeit neuen, anbern ©tücfeS, mag eS audj ge*
bämpft fein unb überfdjattet öon ber Erinnerung unwieberbring*
tiefer Sage.
äftan muß an ben großen Einfdjnitt ber Eäcite * SRoöette, an
ben angeftidften ©eßtuß ber „2'5lbuttera" jurüefbenfen, um ju er*
fennen, wie naß bie ©efaßr einer ,8erfptitterung ber einheitlichen
Sarfteüung in „Errungen, SBirrungen" tag. ES galt nun, 23otßoS
Eße unb ßeneS ferneres ©efcßicf getrennt, jebeS für ftd^ ju erjagten.
Slber ber fapitetweife, regelmäßige SBBedhfel beS ©dßauptaßeS, baS
äußere $in unb $er jwifeßen ben isolierten SUtenfcßengruppen wirb
gar nießt als ftörenb empfunben, weit ber feetifdje |jerb beS BerfeS
berfelbe bleibt. ©tüdE unb Einheit beS jurüdfliegenben SiebeStebenS
ift ber einzige ©rab* unb Bertmeffer ber ferneren ©jenen, 23e*
gebniffe, ©ebanfen, Stimmungen, bie Montane mitteitt. 9ftcßt baß
er bie neue ©eftalt ber Äätße, ber entjücfenben Keinen ^rau, inS
Unfpmpatßifdße, ©ibeon ftranfe, ben fpießbürgertießen Äonoentifter
unb Bewerber SeneS, ins Äomifcße oerjeidßnete; er refpeftiert, wie
baS fdßon in „2'5lbuttera" ßeröorjußeben war, bie ©etbftähbigfeit,
Eigenrichtigfeit, ©ewaeßfenßeit jebeS ©efcßöpfeS, fie ßaben ihre
liebenswerten, ja tücßtigen Eigenfcßaften, nur freilich, ^oß $ätße
leine ßene unb ©ibeon fein SBotßo ift, unb beibe, 33otßo unb Sene,
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232 dritter £eil. 2>ie 9?otidleu ber SKitteljett
4 !■
bei aller (Sinfidjt in bie Stfotwenbigfeit ihref Verjidhtef aufeinanber
baf, waf erreichbar oor ihnen liegt, immer mieber unmiHfürtich
an ber Vergangenheit meffen, bie ein fchöner £raum war, eine
ibeelle 9Jtögli<hfeit, ber nun bie reale SEBirflichfeit, baf Material
ber Pflicht, gegenübertritt, mit ber ef fi<h aufeinanber* unb inf
Einöernehmen ju fe|en gilt, fei fie nun begrüfjenf* unb wünfchenf*
wert ober nicht.
$ür Votho war bef ßebenf Veftef: Einfachheit, SBabjr^eit,
Sßatürtidjfeit. 2)af ^atte ßene. ; Er War gleichgültig gegen ben
Salon, wiberwiHig gegen Eefchraubtljeit, ßurechtgemachtef, Ehic,
savoir-faire, bie beliebten, gefuchten Eigenfdjaften bef gefeUfcfjaft*
liehen Verfefjrf, unb fie hat $ätf)e, eine geborene Dffijierffrau,
ber erflörte Siebling ber Äameraben. 933aS fann fie Votfjo fein,
ber baf Veffere fennt, biefe öorjügliche junge 3)ame, bei ber atlef
angeflogen ift, blofjef EefeUfchaftfecho, bie jwifchen wichtigen nnb
unwichtigen Gingen nicht ju unterfcheiben weift, mit ber er allen*
fatlf ein oernünftigef, aber nie ein ernftljaftef Söort reben fann,
bie an ißufc unb Vtaubern, Seiten unb fahren üollef Eenüge
finbet unb feinen Sinn für $äuflidhfeit hat? üßun, er gewöhnt
fi<h an ihren täglichen Umgang, auf Verpflichtung, auf an*
geborener ßiebenfwürbigfeit, ein wenig auch auf ßompromift. Er .
liebt fie, wie man begleichen grauen liebt, lebt in feiner un*
gfücflichen Ehe, aber ohne rechte $reube. So gehen bie Sahre baljin.
Sene ift längft mit ber alten 9limptf<h in einen anberen Stabt*
teil »erlogen. Sie gönnt Votho fein mutmaftlichef Elücf, ja freut
fidh, &af 3 er ef hat, aber fie will nicht täglich an baf Vergangene,
baf oergangen fein rnuft, erinnert fein, unb ihr 2Beg führte gu oft ^
an ber nahen SSohnung bef jungen Sßaaref oorbei. SKun gedieht
ber alten Beit nur fetten noch Erwähnung. Unb nebenan wohnt
ein neuer Bieter, ein orbentlicher unb gebilbeter Sttann, öon nicht
gerabe feinen, aber fehr anftänbigen SÜlanieren. Er ift, fo erftärt
bie alte Sßimptfch ber $rau 3)örr, bie oft ben weiten SBeg öon
ber Eärtnerei nach bem Suifenufer ju Vefuch fommt, fo waf „,wie
ßimmer* ober SUfauerpoIier, un hat wohl fwnbert unter fi<h. Un
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3. Errungen, SBiirungcn
233
f iS ein' fetjr reputterXicfjer Sftann mit ^ptinber un fchmar^e |>anb*
( ' Un §at auch ein gutes ©ef|att.‘ ,Un ßene?‘ ,9iu, ßene, bie
/ nahm' i^n fcJ»on. Unb marum auch nid^t? Aber fie !ann ja ben
■ ÜÖiunb nid^t galten, unb menn er fommt unb i£>r maS jagt, bann
mirb fie itjmy atteS erhöhten ... Unb Rranfe, müffen ©ie miffen,
ift ein feiner un anftänbiger $02ann.‘"
3)aS etljifdje 9litieau ber ©efdhidjte bleibt ein gleich tjotjeS, unb
mieber macht ßene itjre niebre ©eburt burdj größere feetifc^e ©tärfe
unb (Sljrüdjfeit mett. 3h rem freien ßiebeSüerhättniS auf $eit folgt,
im ©egenfajj ju Vottjo, eine (Sf)e, gang auS freier SBat)I unb
ohne Verfchmeigen ber Vergangenheit. Sie fagt .©ibeon Rranfe,
ber fie feit Sahr unb Stag fennt unb nun feinen Antrag macht,
runb h^ouS, mie eS um fie ftefjt unb bafj itjr $er$ noch an
Votljo hängt, ba| fie ihn aber nehmen motte, meil er ein ehrlicher
unb juoertäffiger üftann fei. 0h ne fatfd^e ©<hant, aber audh ohne
Unmeiblidhfeit folgt fie ihrer ttlatur, gemohnt, „nach ü) ren eigenen
©ntfdhtüffen gu haitbeln, ohne oiet tttüctficht auf bie ÜUtenfchen unb
jebenfattS ohne furcht üor ihrem Urteit". Unb menn Rranfe, ber
troh feines fpieftbürgertidhett AufgugeS freimütig unb babei boef)
oon untabeliger ©efinnung ift, nun ßene hontet, menn Vottjo
bei bem ©rfunbigungSbefudh RranfeS — eins ber oieten Fracht’*
ftücfe beS SGßerfeS, über bie ein gefonberter (Sffap gu fchreiben
märe, mottte man bie Reinheiten ber ©rfinbung unb Ausführung
ins ©ingelne aufgeigen unb interpretieren — aus tiefer über-*
geugung oon ßene fagt: ,,©ie friegen eine fetten gute Rrau", fo
bafj nun Rranfe eigentlich ber Vefctjenfte unb ßene bie ©ebenbe
ift, fo hebt fidh biefe ßöfung nicht nur meit über baS herfömmtidhe
©nbe beS faben SDurdhfchnittSr omanS, ber „atteS in SBohtgefatten
auftöft", bebeutet nicht nur einen Triumph fontanijdher @r=
gähtungSfunft, fonbern eine Verherrlichung mahrer ©itttichfeit, auch,
unb oietteidht gerabe, im nur*bürgerlidhen ©inn. SDenn beibe, ßene
unb Rrante, murgetn jeber auf feine Art im tüchtigen, gefunben
Vürgertum, fie fönnen fidh gufamntenfinben in Orbnung unb @h e
tro| ber Ver[dhiebenf)eit ihrer ßebenSfdhitffate unb fßringipien, meit
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dritter Seil. 2)ie s JJooelIen ber SOtitteljeit
fic menfdfjlichen unb moraltfcfjen SBert on tieferen, lebenbigeren
(Sigenfchaften abmeffen, als eS äufserltd^ aufgepappte 3Sof)Ianftänbig=
feit unb 9lchtbarfeit oor ben Seuten finb.
©o Hingt beiber, Söot^oS unb SeneS Seben gleichgemichtig au§:
jtoei $onüention3ef>en, il>rem äußeren #abituS na$, nicht un*
glütflicf), aber mit Sftüiferinnerung. 2)ie perfönlichen Stnfprüche unb
bie objeftiöen gorberungen fjaben ficf) ins @inoernet)men gefe|t.
gontaneS eigene Meinung fcheint burdf), ohne lehrhaft auSgefprodjen
ju merben. Sf)m finb bie legitimen Sfjen ber ß’SlbuItera unb
ßecile innerlich unfittlicljer, als ba§ illegitime Verhältnis VothoS
unb SeneS. Unfittlidj märe if>m ihre §eirat.
3mei ©hen mit Sftücferinnerung, bei Sene offen jugeftanben,
bei Votljo öerfdfjmiegen. ®enn bie fpmbolifche Söfung ber testen
gäben, bie ihn mit Sene oerbtnben, baS Verbrennen ber Siebes*
briefe, bleibt eine blofje ©efte. ,,©S tann nichts ungef drehen ge*
macht merben unb ein Vilb, baS uns in bie ©eele gegraben mürbe,
oerbla|t nie gang mieber, fdfjminbet nie ganj mieber ba^in. @r*
innerungen bleiben unb Vergleiche fommen." 35en feinbüchen
ajtädhten ift ein ehrlicher griebe abgerungen im Äarnpf um Pflicht
unb ©elbftbeftimmung, aber eine Trübung ber ©eele bleibt jurüdf.
SDaS ©nbe ift milbe Sftefignation, lädhelnber Verzicht.
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4* ©fine* 9Ttof^tIbe
Q'AbuItera" uttb „Steile", bie beiben ©efettfchaftSnoüeflen, waren
Montane unter ber |>anb ju $wei ©egenftücfen geworben.
/ ßwei innerlich brüchige ©h en würben getrennt, unb baS führt ein*
mal ju neuem, gegrünbetem Beben, baS anbere 2JtaI §u .ßwiefpatt
unb 5Eob. Unb in beiben fällen war eS mehr noch als fittlidhe
äftädhte bie Vitalität ber betroffenen grauen, bie baS unb
SBiber entflieh:, SManie trägt, traft ihrer BebenSfreubigfeit,
BebenStüdhtigfeit, über alle berechtigten unb unberechtigten S3or*
würfe ber ©efettfdfjaft ben ©ieg baoon, Secile, bie paffioe ©jiftenj,
bie SebenSmübe, ift neuen Kämpfen niefjt gewachfen unb geht
jugrunbe.
®ie fokalen Lobelien wieberljolen biefe ßorrefponbenj auf
anberer 93afiS. „©tine", „baS richtige Sßenbant ju Errungen,
SBirrungen 1 ", wie Montane felbft erfannte, nimmt baS £t)ema
beS BiebeSfonflifteS aus ©tanbeSunterfdhieben bon neuem auf,
unb wie bei bem erften 9£oüeltenpaar ift bie zweite gleidhfam
baS ÜRegatiö junt borangegangenen Sßofitiö. S)ie ÜUienfdhen,
jwifdt)en benen fiel) ber tppifdhe ^onflift abfpielt, finb in ihrem
BebenSgefüljl bem SiebeSpaar aus „Errungen, SBirrungen" fo
fonträr, bafj gleiche ober wenigftenS ähnliche äußere ©egeben*
heiten ju polaren SSerfchiebenheiten führen: Sßirflichfeit unb Söahn,
Beben unb £ob treten fidh gegenüber wie in „B’AbuItera"
unb „©ecile".
'T^ver erfte ©ntwurf ber „©tine" reidht bis ins Sahr 1881
rücf. S)ann läfet bie Ausführung ber 1883 fonjipierten
„Errungen, SBirrungen" bie ältere Arbeit in ben ^intergrunb
treten, ©rft 1886 wirb fie frifdf) aufgenommen. Am 1. Auguft 1887
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dritter Üeil. 2>ic 'JioüeUeit ber ÜDiittcI^ett
melbet ein ©rief, beiläufig: „©tine liegt fertig im haften.“ 5ln*
fang 88, als eS fi<h um bie Verausgabe Rauheit, gebt Montane
an bie Ie|te Teilung. £>od) erft nach üielfadjen Slbfagen ängft*
lieber ßeitungS» unb ßeitfebriftenrebafteure febafft SJiautbner
bet SßooeUe in feiner ßeitfehrift „$)eutferlaub" ein Unterfommen.
®ie BudjauSgabe erfolgt bei feinem ©obn, bem BerlagSbucfjbänbler
fjriebricb f^ntane in Berlin.
„©tine" ift Sßenbant pi „Errungen, SBirrungen". 2)ie ÜKotiüe
finb nal)ejn bie gleiten, ber menfcblicbe ©etjalt märe mutatis
mutandis auf biefelben Formeln ju bringen. Unb bo<b mirb bie
Betrachtung fkb mefentlicb anberS einftetten müffen, als bei bem
ooraufgegangenen üDieiftermerf. 2)ie SluSfübrung, bie bidjterifcbe
Seiftung ift fefjr oerfebieben, ift, um bieS üorroegjunebnten, geringer,
„©tine" ftetjt nicht fo ebenbürtig neben „Errungen, SBirrungen",
mie „2’9lbultera" neben „ßecile", ift trofc b 0 b er SJorjüge im
©injelnen nur eine auSgefüljrte ©tubie, eine 9looeHette.
Montane felbft bat fidj feinen SKufionen barüber bjingegeben.
„Stuf bie grage Sene ober ©tine bin angefebn, tann ,©tine‘ nicht
befteben" —, baS gilt njefjt nur t)infic^tlidh ber Xitelfigur unb
mirb oon feinem noch fo großen Bemunberer ber SGBitme ißittelfom
umgeftofjen merben bürfen. „Errungen, SBirrungen" ift nicht nur
breiter in ber 21uSfüf)rnng, nicht nur baS meitere Greife umfaffenbe
©tabt* unb SebenSbilb, eS bat auch bie größere SBirflicbfeitSbicbte.
(Sin ©tücf Seben mürbe ba gegeben, ohne eS irgenbmelchen Sbeen
ju unterteilen, aus ihm heraus erft ergaben fi<h allgemeine fragen
unb Äonflifte. 3n „©tine" ift baS allgemeine £b ema , Siebes*
lonflife aus ©tanbeSunterfcbieben, menn auch nicht bidjterifcber
Äeirn beS SßerfeS, fo bo<b (SraoitationSpunft ber 35arfteHung,
um nicht ju fagen ber $)iSfuffion.
SBie bejeidbnenb, bafj hier mieber fo ausführlich unb angelegent¬
lich bisfutiert mirb, mie feit bem „©djacb" nicht mehr! 2)aS griffe
ber fontanifdjen ^rofa, bie $üHe beS fraftooll kleinen, beS Kolorits,
baS nirgenbS leere ©teilen läfjt ober blofieS $üt(fel mirb, taufet
juerft über bie geringere Dualität hinmeg. gontane ift ja, auch
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4. Sttne. SKatfyilbc s Diöfjrtng
237
menn er einntat mehr biSfutiert als geftaltet, immer noch ber
Sefiper unb Serroenber unerfcfjöpfUcf) reicher Sttaffen geflauter
2)inge. SDaS gereicht natürlich auch ber „©tine" $um Vorteil, utn=
lleibet mirfungSoott bie eigentliche ©trultur ber tttooettette, unb
erft toenn biefe lebensootte SUeinfunft gebührenb genoffen unb be=
nmnbert ift, wenn ber Slicf fiel) ber formenben $raft, bem ©anjen
als ©anjen jumenbet, merft man, bafj meniger eine ©efd^id^te
erzählt, als eine grage erörtert morben ift, meniger SKenfcfien um
ihrer felbft mitten geformt morben finb, als um bie Seisheit eines
SebenSfunbigen auSfprechen ju laffen, SDinge, bie ihm am $erjen
lagen, bie eS ihn ju fagen brängte, mag babei aud) bie ©renje,
mo baS ^enben^iöfe, Unlünftlerifche anfängt, nie überschritten
morben fein.
©<hon ein Slicf auf ben Sau beS SBerfeS mirb bieS oerbeut*
liehen. @S umfafjt fechgehn Kapitel. 2)ie erften neun, bie genaue
$älfte, geben baS ttJtilieu, bie auftretenben äflenfehen, bie SorauS*
fefcungen beS ÄqnflilteS, ben ©toff ber 2)iSfuffion. ihnen hot
ber 2)icf)ter, ber ©piler baS SBort. 35ie jmeite ©ruppe, gehn füS
oierjefjn, bringt in fünf Kapiteln bie ^auptfache, fünf ausführliche
©efprädhSfjenen ober oielmehr Dialoge, bie fchon burch ben 3n*
tenfitätSgrab ber 3)iftion als ßentrum beS SBerfeS lenntlich
gemadht finb: ©tine unb bie SSitme Sßittelfom (10), SBalbemar
unb Saron ißapageno (11), SSalbemar unb ber alte ©raf (12),
ber alte ©raf unb bie ißittelfom (13), fdjliefjlich SBalbemar unb
©tine (14), fie fpredjen alle über baS eine $hema, bie Siebe beS
jungen ©rafen SSalbemar $u ©tine, ber angefränfelten Slonbine,
bem üftähmäbchen, baS er burchauS heiraten mitt; fie finb nur
ba$u ba, um baoon ju fpredfjen, mie bie Kapitel nur biefer ©e*
fpräche megen ba finb. tttoch bem ©chlufjbialog beS SiebeSpaareS
©tine unb SBalbemar, mit bem baS Schema erfchöpft, bie fjrage
um unb um gemanbt ift, fo bajj lein meiterer ©efidjtSpunft mehr
übrig, nichts SReueS $u fagen bleibt, lenlen bann bie beiben le|ten
Kapitel (15 unb 16), obgleich fie mie in „Steile" bem Sottjug
eines Urteils, bem ©rgebniS einer oorangeganaenen Serfjanblung
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238
dritter Seil. $ie 9?oöeüeit ber SJlitteljeit
gleiten, bodt) woljltuenb in bic eigentliche SBelt epifcher ©egen*
ftänblidhfeit ein unb jurüd, werben nach ben nieten Debatten
ruhiger, binghafter empfunben unb bitben, bent Anfang entfprechenb,
ein wiUfommeneS ©egengewicht: bie Hauptmaffe ber zentralen
Äapitel mit ihrer biateftifdjen Unruhe ift gerahmt unb gehalten
burd) bie ruhige ©egenwärtigfeit einer plaftifchen, anfdjaulichen SBelt.
OTVebenmotide aus „Errungen, SBirrungen“ rüden in ben Sorbet*
fJ t grunb. grau ®ön h attc f beoor fie ben ©ärtner heiratete,
ein SerljältniS mit einem alten ©rafen, baS fie als unbequemen
2)ienft anfah unb ehrlich erfüllte aus bloßem Pflichtgefühl ber
Übereintunft h crau $- SBaS bort tebigtich im ©efpräch geftreift
würbe, wirb jefct leibhaft in ber ©rfdfeinung ber SBitwe pittel*
fow, ber älteren ©chwefter ©tineS. Montane fyat fich auf biefe
©eftatt was jugute gehalten. SJtit ooHem 9te<ht. @r war Weber
blinb für bie Schwächen, noch für bie SBerte unb Sorjüge feiner
2)Üh tun 9- Unb fo fonnte er auf baS SBibmungSblatt eines ©tine*
ejemptareS ben SerS fchteiben:
§at bir unter ben puppen allen
©rabe Stine nidjt reept gefallen,
SBiffe, tep finbe fie felbft nur fo fo,
Slber bie SBittoe Sßütelfoto!
Unb an ©mit SDominit, ben Herausgeber ber ßeitfehrift „gur
guten, ©tunbe", ber bann ben Sotbrud ber ©tine ablehnte': „3$
glaube, bie SBitwe pitteltow ift eine mir gelungene unb noch nicht
bagewefene gigur." 9tber auch über ihre zweifelhafte fRepräfentationS*
mögtichfeit war er fid) don dontherein im Karen. @S gab manche
Stbfagen für bie biffijile ©efchichte, ohne bah ih n baS fonberlich
gefränft hätte, „©d^lie^lich werbe ich *8 i° «whl noch irgenbwem
,anf<hmieren‘ tonnen", äußert er ffeptifch*hwnorboll, „unb was
bann hinter meinem Etüden gerebet wirb, fchabet nicht diel".
®ie SBitwe pittelfow, eine refotute, fdjwarzhoapige Perfon don
rüdfidhtSlofem, aber grunbehrlichem ©harafter unb unberedhenbarem
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4. Stine. 9JtatI)übe ÜDtöljrinß
239
Temperament madjt aug iljren ßiebegbejiet)ungen ju bem alten
©rafen nicljt ben geringften £>ef)I. ©etbft itjrer jefwjäfjrigen Tochter
gegenüber ift er einfad) „ber Dffe", ber eben fomrnt, menn eg it)m
beliebt, unb !ommen barf, weil ein Slbfommen bag jo geregelt f)at.
©ine wirttidje ßuneigung itjrerfeitg befielt nidjt im geringften. -
Ter alte ©raf, wie it»n Montane in ber ©jene eineg „Sßittetfow*
Slbenbg" entführt, offenbart fidfj alg ein leerer SBtafierter, ber,
oon ben angeborenen Sorjügen unb 35orred£)ten beg Hoffen ©rafen»*
tumg alg etmag ©elbftoerftänbtidjem innig burdjbrungen, unter
ben obligaten ©tanbegrequifiten natürlich audf) eine Sftätreffe tjatf
feinen „lieben fdjwarjen Teibet", in beffen 3tugen er ein „offeg
©tet" ift, unb bamit fertig.
Tieg bie ©itaation, bag SKilieu, in bag Montane ju beginn
ber „©tine" einfütjrt. — 2Bar eg nidbjt boc§ etwag unmoratifd), un=
anftänbig juminbeft, menigfteng oor einem SBiertetjafjrljunbert, alg
bie fftooeffette erfdjien? $ür unbefangene ßefer, bie mirflicf) ju
lefen oerftanben, woljt fc^oit barnatg nicljt. Slber bie waren ju
jätjlen. üftirgenbg wie bei ber ©tine, in ber gefamten fftei^e ber
berliner Romane, ift eg meljt geboten, an jeneg ©taubeng*»
betenntnig beg ©reifeg aug „SBon ßwanjig big Treifjig" ju er»*
innern: „Ter berüljmte ©afj ,®unft fei für affe‘ ift grunbfatfdfj;
Äunft ift umgeteljrt für fefjr wenige,'unb mitunter ift eg mir, alg
ob eg immer weniger würben. 9ßur bag SBeeffteaf, bem fidj leidet
folgen täfjt, ift in einer fteten üfftadfjtfteigerung begriffen." Tie
ÜDlefjrjafjt ber ßefer muffte ficf) am ©tofftic£»en ftofen, weit fie ju
affen ßeiten, atfo aud) bamatg, nur bag ©toffticlje aufjunetymen
oermag unb bei wirfticlj neuen Sßerfen audj bag ©tofftidje SJteueg
ju bieten pflegt, alg fotdfjeg ungewohnt, unbequem unb oft bireft
anftofgig auf jeben wirten muff, bem Äunft ein btofjeg Unter*
tjattungg* unb Stuffrifdjunggmittet leerer ober müber ©tunpen ift
ober, wenn eg Ijodj fomrnt, eine Söeftätigung, eine Sffuftration
-feineg SRioeaug, feiner Sßerte, in weitem $affe bann gern
oon bem „©rljebenben" gefprodfjen wirb, bag bie $unft aug*
löfen foff.
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240
dritter 3TetI. ®te ■Jioücßen bcr SJlitteljcit
Sßün ift „©tine" geioifjlich meber erljebenb, noch eine SHuftra*
iion allgemeingültiger SSerte, aber ebenfo gemifj ift bie SBitme
ißittelforo eine ber ftärfften Seiftungen be§ ®eftalter§ Montane,
ein Triumph feiner Äunft, nnb eine fachliche ^Beurteilung fyat nur
nach betn äftfjetifcf) SSertooden $u fragen, freilich, erftaunlich bleibt
e§ ja, Montane, ben binftinguierten alten §errn, al§ glaubhaften
©dfjilberer ber £)emimonbefcf|aft fiel) entpuppen ju fefjen! ©dljon in
„Errungen, SEBirrungen", beim ÜberrafchungSfcherj in £>anfel§ 5lb*
läge, fällt bie Sicherheit auf, mit ber er bie „tarnen" ber greube
auf treten unb fprechen lq|t. 2Bo hat er e3 her? „2)urch Intuition,
um nidht blaSphemifdh ju fagen ,üon oben‘." $)ie bid^terifd^e Sn*
tuition biirfte ba§ 5lu§fchlaggebenbe gemefen fein, obgleidh fjom
tane in ber angejogenen VrieffteHe bisfret anbeutet unb fcherjhaft
fortfährt, baf$ „man bodh auch w grauer Vergangenheit in biefer
SCßelt ’rumgefchnüffelt" ha&e- Slber mie bem auch M bie ©laub*
miirbigfeit ber ißittelfom gelang ihm. ©o etmaS fühlt fich- Unb
baS ift fdhon erftaunüdh genug für einen ©pifer jener Sahre, mar
mirllidt) „etma§ nodh nicht SDagemefeneä". Sßoch mehr aber mirb
man oielleidht bemunbern müffen, bafj gontane oermochte, bie
©eftatt nicht nur glaubhaft, fonbern audh fpmpathifch ju machen.
@r fonnte ba§ im ©runbe nur baburch erreichen, ba| er offen,
mit gutem ©emiffen unb unbefdhabet feiner SRefpeftabilität auf
©eiten ber pttelfom flehen burfte, al§ SDid)ter {ebenfalls, als Sieb*
haber unb gürfpredj origineller Naturen. Slber auch als SDtenfdh.
„$>enn bajj ber alte fogenannte ©ittlidfjfeitsftanbpunft ganj bäm*
lidh, ganj antiquiert unb bor allem ganj lügnerifdh ift, baS miß
ich mie ÜRortimer auf bie ^oftie befdhmören." Um fein SRein*
mafdhen, feinen SRettungSOerfuch hbobelt eS fidh bei ber $igur ber
SEBitme ißauline ißittelfom, fonbern um eine ehrliche unb begrünbete
©pmpathie, bie fidh auf fon Sefer überträgt. 2luS ihr herauf, aus
biefem ©infühten fn bie befonbere ©fiftenj biefeS einmaligen 9Ren*
fdhen mit feinen einmaligen SebenSbebiugungen mirb erft bie Vor*-
gefdhidhte fo jmingenb erfunben, mirb baS moralifdhe ißlaiboper für
bie reichlich orbinäre unb bodh unmiUfürlidh imponierenbe Sßerfon
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4. ©tine. SSRattjilbe SÄöfirmg
241
erft mirffam. 2HI bie§ ift, als SBillen fomoljl wie als Seiftung,
in jebem ©inne pracf)tooll unb Ijeut bic greube febeg leiblich oer*
ftänbigen äRenfchen, ber ft cf) überhaupt mit bid^terifd^en Gingen
erfpriefjlidh befdf)äftigt.
O rber bebauerlidhermeife mürbe nun in bem iDlafje, mie gon*
rvl tane£ Sntereffe fic£) ber gigur ber Sßittelfom jumanbte, feine
$raft oon ber ©eftaltung be§ Äonflifteg unb feiner Präger, ©tine
unb Söalbemar, abgewogen. Ser blieb, mie bag Söerf einmal an*
gelegt mar, bocl) bie £>auptachfe ber Äompofition unb rnufjte eg
bleiben, menn audh Montane fpäter, unb mof)l unter bem (Sinbrudf
beg formal SDlifjratenen, erklärte, bie £>auptperfon fei nicht ©tine,
fonbern bie ^ßittelfom, i£>re ^ßorträtierung fei if)m mistiger ge*
mefen atö bie ©efc^i^te. Montane metfj fetbft, bag „foß eigentlich
nic^t fein", unb oerfiel nun gar barauf, ficfj ein Unoermögen nach*
jufagen, bag in SBirflichfeit gar nicht befielt: „Sn meinen ganzen
©Treibereien fudtje ich mich mit ben fogenannten £auptfadt>en
immer fcfjnett abjufinben, um bei ben Siebenfachen liebeooU, Oiel*
leidet $u liebeoott oermeilen ju fönnen." Sag ift, in biefer gorm
jebenfaßg, ganj mifjoerftänblidh unb mufj um fo nadf)brüc!Ud)er
berichtigt merben, alg man immer noch an ber $anb einer be*
liebten unb oft recht irreführenben Sftetljobe, in beren Reichen audh
ber größere Seil ber gontane*ßiteratur fteht, Sichtungen au3
Siufjerungen beg Sichterg felbft über fich unb feine Söerfe ju er*
Hären oerfudht, ftatt erft einmal bie Söerfe felbft ju befragen, ihnen
ben SDlafjftab ber ^Beurteilung ju entnehmen unb bann, menn eg
tunlich ober geboten erfcheint, ©elbftgeftänbniffe alg Sßuftrationen
ju oermenben. — Sn „©cfjach", „S'Slbultera", „Srrungen, Söir*
rungen" ift gemifj nicht über bie |>auptfachen jugunften ber Sieben*
fachen hmmeggeeitt (in „ßäcile" treten fie nur in ben SSorber*
grunb, bodh ohne bominierenb ju merben), menn audh gontane,
mag etmag ganj anbereg befagen miß, bie ^auptfadjen burch
Älein* unb Seiljüge $u fdhilbern liebt. 2lu§er ben „Sßoggenpuhtä"
Sö&anbtety, gontane 16
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242 dritter $eil. S)te -ftooellen ber SJUttcX^eit
leibet nur „©tine" unter ber SSerfchiebung ber natürlichen Slljente,
ber (Smanzipation ber ^ßittelforo, unb baS wirb ein um jo jdjwererer
©d^aben, alä bie §auptperfonen an fi<h nicht banach angetan finb,
für fi<h einzunehmen.
SBie blafjblütig ift bod^ biefeS Siebespaar, gegen Söotho unb
Sene gehalten. „(Sin armeg, franfeS £uhn" nennt bie ^ittelfow
ben ©rafen Söalbemar unb trifft bamit, wie immer, baS Nichtige;
ein tppifcfjer Sefcter feines ©efcf>lechteS, ohne Snitiatioe, früh Q e *
ftranbet, ohne rechtes ©lücf, aber auch °h ne Talent jum ©lüdf.
2)ie ©eftalt ift oorzüglicfj nnb forgfältig angelegt, nur bajj eS eben
leiber bei ber Anlage, ber ©üjjierung bleibt. SBir hätten fonft
ein mertooHeS männliches Sßenbant ju (Secile erhalten, einen neuen
bemerlenSmerten SSorftofc in jene feelifdje 2)ämmerwelt, bie ©cf)nih=
lerS mübe, überreife Sßtofa fo oirtuoS gepflegt hat. Sene oielen
forgfältig gelleibeten jungen £errn beS SBiener HittorS, bie aus
lauter S3ef<häftigungSlofigfeit immer nnb ewig an ihrem lleinen
©eelenproblem laborieren, haben in SBalbemar, ©raf ^albern,
ihren nörblichen Vorgänger unb ßeibenSbruber. SDecabentS fie alle,
©infame, ©tieflinber ber SRatur unb beS ©efchidfS. Speicher Slb*
ftanb §u S3otho, welch ^attlofeS $in= unb |jerpenbeln fpricht aus
SöalbemarS ©eftänbniS: „3dh refpeltiere bie herefchenben $ln=
fchauungen, aber man lann in bie Sage lommen, fi<h in tatfäd^lic^en
SBiberfprudh ju bem ju fefcen, waS man felber als burdjauS gültig
anerfennt" —, ein Äonflift ber ©chwädlje, nicht ber Äraft. 93otho
befinbet fidh wohl zeitweilig in SBiberfprudh zu bem, was er als
gültig anerfennt, ben ©dhranfen beS ©taubes, ber Orbnung, aber
ba er fie wirflich refpeftiert, finbet er bie Äraft beS (SntfdjeibS.
93ei SBalbemar tritt an ©teile beS ©icf)4efinbeng, ber zeitweiligen
©ituation, baS ©idh s in=SBiberfprudh s fe|en zu bem, waS er angeblich
als gültig anerfennt. 9lur hier ift er aftio, wo eS baS SRegatioe
gilt, baS oergebliche Slnrennen gegen fefte äftauern. SSerfidhert er
hoch: „Sdh bin weitab baoon, ben SBelt* ober audh nur ben ©e*
fellfdjaftSreformator madhen z« wollen. 2)azu hab’ ich nicht bie
©dhultern." ®er Sßot unb beS ©lücfeS einer feften ethifdhen S$er*
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4. ©tine. ÜÜftatljilbe Sßöljrtng
243
binblicf)feit ift feine jögernbe ©$wädje nidjt fällig, fßlirafe, '©elbft*
betrug ift bei i^m ber SRefpeft öor ben Ijerrfdtienben 9lnfdf)auungen.
@r fjat fie nidjt in fid^, tt)ie Söotfyo, als innerften ©efifc, ift ein
SDÜettant beg Sebeng, ein ©ntwurjelter, bem ber Snftinft feineg
©tanbeg abtjanbengefommen ift, ber nur nodj alg ßwang, alg
Äonüention empfinbet, wag Slugbrucf, ©pmbol feineg ßebenggefüfjlg
fein foHte.
Unb äffnlid) ber Äontraft äWifdjen Sene unb ©tine. Stalbemar
befennt pon ifjr, er füfjte ficf» unwiberfteljlid) ^ingejogen „ju biefern
liebengwiirbigen ©efdjöpf, bag nidfjtg ift alg SSaprljaftigleit, 5Katih>
tid^feit unb ©üte". $)ie gleiten ©igenfd^aften lobte 93otf)0 an ßene.
Slber ©tine feljlt wie Sßalbemar bag ©ntfdjeibenbe, bag S3otl)o unb
ßene befi&en: fidlerer ßebenginftinft, fraftöoHeg örbnungggefüf)!.
Unb barum geljen beibe jugrunbe. $Rid)t weil eg gontane fo be*
liebt aug einem leljrljaften 9Rorafpatf)og lieraug, fonbent weil fie
bie Sebengjufamntenfiänge, bie ftü^enben SBerbinblifeiten üerneinen
unb auflöfen, bie allein ifjnen £alt gewähren lönnten. Stalbemar
erfdjiefjt ficlj, unb „©tine Wirb nicf)t wieber", wie iE)re gimmer*
Wirtin epilogifierenb erflärt. ©ie E)at eine töblid^e (Srfältung oom
S3egräbnig SBalbemarg mit Ijeimgebrad)t, aber iljre innere Sebeng*
unfäfpgleit wirb fdjon burdf) bag le|te ©efprädfj mit Stalbemar
Ejinlänglid^ cfjarafterifiert, inbem fie, gang gegen beffen (Erwarten,
fidt) ber Sterbung weigert.
Slber ift nun biefe Steigerung, bie ben Änoten fdfürjt, moti*
üiert, -ober liegt ba bag ißroblematifdje beg Sterleg, bleibt bie
Äataftroplje of)ne SRotwenbigfeit, wie man behauptet Ijat? ®odj
wot)l faum. ÜRidjt gontaneg ©jjarafterifttf ift unjulänglidü, fonbern
Montane d^arafterifiert einen unjulänglidjen ÜRenfdjen. ©ewifj, bag
ßiebegpaar in „©tine" fyat, wie im ooraug betont würbe, nicfjt
bie ooflplaftif^e SRunbmtg, bie man fonft bei Montane anjutreffen
pflegt, aber bag ergibt fid) alg Äonfequenj ber ©efamtanlage unb
=augfiüjtung beg Sterleg. ©tine alg einzelne ©eftalt ift burdj*
aug glaubhaft fixiert, wenn aud), wie Sßalbemar, ©li^e geblieben.
Sine feelenfd^winbfüd^tige Sßerfon, beren Slnftänbigfeit im SSergleidj
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244 drittel %tü. 55ie 9toöeUen bec SäÄittetjeit
jur ^ittelfow nicht Diel befagen will, bie einen Äampf, welker Strt
auch immer, gar nicht erft aufnimmt, im beutlid>en ©efühl ihrer
©dfjwäche ficE» über baS Seben hinwegfefct, ftatt fid) hinburd)- ober
wenigftenS entgegenjufe^en. Saran t>at SCBalbemarS (Eintritt in
ihren SafeinSfreiS wenig geänbert. ©ie täfjt fich feine Siebe, bie
auch nur eine teibenbe Siebe ift, „gefcfyefjen" unb fragt nicht: was
wirb? „Unb wenn mir bie fjrage fam, fo t)ab’ ich fie jurüd*
gebrängt unb nicht auffommen taffen unb nur gebadet: freue bid),
fotange bu bid) freuen fannft." Sie ^ßaraßete ju „Errungen,
Sßirrungen" ift ohne weiteres War. SCBir mähten abfid)tlich, wie bei
bem zitierten 2tu8fprud)S SGBatbemarS, ©teilen, wo fich bie beiben
SEBerfe äufjerlkh am nächften fornmen, um bie innere Betfdjieben*
tjeit befto beutticf)er ju machen. SieS „freue bid), fotange bu fannft"
befte^t bort $u recht, ^ier $u unrecht. Sene hat bie grage: waS
wirb? nie jurüdgebrängt, weit ihr Seben Stttinität bebeutet unb
barum immer nach oorwärtS, in bie ßufunft gerichtet ift, was
biefe aud) bringe, ©tine mujj fie jurüdbrängen, weit fie Don
ben ©reigniffen willenlos umgetrieben wirb. 3n Sene !ann fein
©djulbgefüt)! auffommen, weit altes SebenSfräftige feine Berechtigung
in fich trägt, ©tine, ber it>r bifjchen Seben non aufjen jufliefjt,
mufj ficf) als ©djutbige füllen, wenn SGBalbemar ihretwegen aus
ber SGBelt geht, mag ihre Steigerung noch fo wotiDiert, auch ty*
fetbft gerechtfertigt erflehten. Senn wie füllte jemanb $att fein
fönnen, ber fetbft beS §atteS fo fehr bebarf? Beibe lieben fich unb
fönnen hoch nicht jueinanber, fönnen fich auf bie Sauer nichts
fein, weit fie fetbft nichts finb. ©ie gtauben fich &ur<h ©taubes*
fdhranfen getrennt, währenb fich hinter biefen ein tieferes menfcfj»
ticheS Sütanfo Derbirgt. @S wirb wieber recht beuttich, wie wenig
bei Montane bie Orbnung — h* cr bie ©tanbeSfdjranfen — etwas
Äußerliches ift, wie fehr fie bem eigentlichen SEBefen feiner ©eftalten
oerhaftet bleibt.
©tine unb Söatbemar brechen bie Orbnung unb barum finb
fie bie eigentlich Unmoratifchen. ÜHögen ihre Beziehungen noch
fo achtbar fein —, fie haben baS Seben gegen fich- Sie Sßittelfow
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4. Stine. SÄatljübe SDtöljring
245
ober, bie fdjeinbar anftöfjige Sßerfon, oerförpert auf ifyre SBeife bie
Drbnung, unb bal Seben auf ihrer ©eite, ßugegeben, bafj
el fid) beim (Sthol ber 9ßi*ttelfom um einen ©renjfatt hanbelt. @8
gehörte ein Rotier ©rab oon ^ünftlerfidjerheit unb menfchlicher
Autorität baju, um bei einem folgen Bormurf nicht ju ftranben,
el erforberte $ontanel können, feinen äftut, feine (Sinfidjt, um
bal Berechtigte bei lufratioen Berhältniffel epifch barjutun, biefe
unfittlidje ©ittlicf)feit ober fittlidfje Unfittlidjfeit — um ben ©eljatt
v auf eine ^formet ju bringen. @1 ift gernifj, oon aufjett gefetjen,
fein fo meiter 2Beg mehr oon ihrer tufjerung: „Brao fein unb
fich re<htf<haffen hatten, bal ift aUel fehr gut unb fdjön, aber hoch
eigentlich nur mal fftinel für bie bomehmen unb beiden" ju
jenem ©tanbpunft SSebefinbfcher äftenfehen: „äRorat? Sch fann
mir biefen Sujul nicht leiften." Aber Montane brachte eben bal
©dhmierige jumege, el entftanb eine burdj unb burch tebenloolle
ftigur, unb jebe folche hat ihre fünftterifche Sßahrheit in fich- Unb
nicht nur bie fünftlerifche. S)ie (Sntmicflung hat bem dichter unb
feiner Sßitme ißittelfom recht gegeben, ©ein Appell an bie £>erjenl*
anftänbigfeit jebel ehrlichen SRenfchen träfe h eut meniger taube
Ohren. ®ie ethifchen ÄernfteHen bei achten ©tine» Kapitell
bürften Allgemeingut ber roahrhaft ©ebilbeten gemorben fein. 35afj
Montane all erfter aul blofjen fragen, fragen heißer !Ratur,
bichterifchel Seben erftehen lieft, mirfenbe SBirflichfeit, biel ift ber
bleibenbe (Srtrag unb SBert ber „©tine".
CTTVit „©tine“ hat fich ein jmeiter ßreil bei fontanifdhen
t/rll ©chaffenl gerunbet. (Sr umfcfjliefjt, nach ben taftenben
Berfuchen ber epifchen fjrühmerfe, eine ©ruppe oon ©ebilben, bie
ihrer formalen Sßatur nach all mefentlich nooeHiftifch anjufprechen
finb. SDie ©renje jmifchen Vornan unb üftooelfe ift ja an ftch nicht
fefjarf ju jiehen. Alle äfthetifchen Bemühungen nach biefer Dichtung
hin finb eigentlich nie über ftofflich * quantitatioe Unterfchiebe hinaul»
gefommen. S)ie bichterifd)e ^ßrajril h ot ber tljeoretifchen SRornt
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246 dritter Jetl. $ie 9Joüeflen ber TOitteljeit
immer miberfprochen. 2lber bo nun einmal ber Sichtung unb beS
ÜberblicfS falber ffiinfchnitte gemacht unb baS SRüftgeug ber »e*
griffe an ben lebten ©runbeS unteilbaren Verlauf eines fü'nftle*
rifdfen SBirfungSlebenS ^erangetragen merben müffen, fo rnirb man
gut tun, bem eigentlich Sßeuen, bem ©inmaligen menigftenS beS
einzelnen ÄunftroerfeS, ber einzelnen Sichtung, bei biefem
ißrogef} ber ©inglieberung unb ©rfemttnis nur in bem üftafje
©eroatt angutun, als eS mit bem SBefen aller theoretifchen $unft*
betradhtung fdjmerglich, aber unlösbar derfnüpft ift, bie, toaS nur
als 3 u ? ammc ngefügteS, ßufammengemachfeneS feinen ©inn unb
SBert h a t betaften unb gerlegen muff, will fie ihren ©inn unb
SBert nicht aufgeben, unb bann erft baS ©ebilbe ber fünftlerifchen
ißhantafie mit ihren begrifflichen ÜJiitteln als ein neues unb anbereS
©angeS erftehen laffen fann, fofern ber befonbere ©ang ober 3mecf
ihrer Unterfudfung bieS geboten erffeinen läfjt.
Montane fommt unferem »Men, alles ©chablonifieren nach
äJiöglichfeit -gu meiben, auf halbem Sßege entgegen, ©r gebraucht
üerfdjiebentlich in feiner Äorrefponbeng ben 91uSbru<f Vornan unb
Modelle für baSfelbe Söerf. Unb ber ©harafter biefer Sßrobufte
ber SRittelgeit feines ©Raffens ift in 2öirflid)leit auch e i ne
form bon Vornan unb Modelle, toobei baS ÜJlooeHiftifche übermiegt.
„2'Slbultera" ift in ber erften SluSgabe bireft als Modelle be»
geichnet. Srop ber gelegentlichen Steigerung beS abgefchilberten
SebenS ins Sppifche bleibt hoch ber ©onberdjarafter, baS Snbiot=
bueHe ber Vorgänge gemährt, in ben ©efeHfdhaftSnodetten fogar
gang einbeutig. Unb eS hobelt fich um derhältniSmäpig fürgere
SBerfe mit menig Sßerfonen, bie ber Anlage nach nie auf bie gange
«Breite beS SebenS gielen, biefe dielmehr nur fpmbolifch ober erft
in ihrer ©umme, als ©inheit gefafjt, miberfpiegeln.
SaS änbert fid) nun. Unb barum fann man mit „fffrau Sennp
Sreibel" eine neue «ßh^fe, bie ber epifchen ©pätmerfe, anfepen.
©ie bringt bie ,,©ffi »rieft" unb ben „Stechlin", Sichtungen
eines Umfanges, ben feit bem ungefügen ©rftling ,,»or bem
©türm" feine Schöpfung gotitaneS erreichte, unb Romane auch
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4. Stil«. Üülatljtlbe 3Dtöf)riug 247
ber inneren Anlage nadj, ba nun auggefproc^en bag ©anje üor
beut ©in^elnen gilt.
S)en Übergang bilbet „ÜRatljilbe ÜJtöljring". 2)ag Ser!
ift bei aller Äürje bodj non SCenbenjen burdj)fef}t, bie eine Neigung
gfontaneg ju größerer gorm unb grüHe fdjon beutlid^ erfennen
laffen. Sag äußere Slugmaf} entfdjeibet ja nicf|t allein, ©ewif}
lief} fidj in ben fnappen SRatymen biefer ©r^tung fein betaiHierteg
©efellfdjaftgbilb fpannen, wie eg batb barauf „$rau Sennp Sreibel"
entwirft. Sludt) barin trägt ,,9ftatf)itbeüRöt)ring" nodf) ben SGooetlen*
cfjarafter, baf} fie wtfentlid) auf ©fjarafterifierung einer einzigen
©eftalt fid) befdjränft. 3Ratf>ilbe ift nid)t blofjer formaler äftittel*
punft beg ©efügeg, wie bie Sitelljelbin üon „f^rau 3ennp Stretbel",
wo bie 9febenperfonen in eine SÖIicfebene mit ber ßentralgeftalt
rüden; bie anbren Figuren treten neben if»r noef) merflidj gurüdf.
Stber eg ift bieg boclj mef)r eine SBefdfjränfung, bie Montane fid(j
auferlegt, alg baf} bie Äonjeption beg Serfeg eine breitere Slug*
füfjrung bermefjrte. @g wäre fetyr gut möglich gewefen, bie ®e*
ftalten beg §ugo ©rofjmann unb ber SJiutter ju ber ißlaftif an*
warfen ju taffen, bie Snftetten unb ©rampag alg Sftebenfpieler
in „®ffi SBrieft" Ijaben, wo audt) bie Sitelfigur bominierenb bleibt,
ifyre ©ntwidlung bie innere $orm fonftituiert unb bod) ein Vornan,
ein umfaffenbeg ©efeUfdjaftgbilb fid) aufrollt. „ÜJtatfjilbe SDtöljring"
ift ein berfappter Vornan, bag Ser! jietjt feinen eigenften Sfteij
aug ber unentwidelten fJüHe, bie freilich nicfjt geftaltet, aber audj
nid)t blof} oerfprocfjen, fonbern intenfib wirffam ift, wie bie ßnofpe
fdjon bie $üHe ber ©Itite enthält unb aljnen läfjt.
SDie ©rünbe, baf} Montane bag ©rouidon ber „äJtatfjilbe
SJtöIjring'' nidjt in all feinen 2Jiöglid)feiten auggeftattete, bürften
in mef)rfad)en Umftänben ju fudjen fein: einmal barin, baf} ber
Entwurf ber Sichtung in eine ßeitfpanne fällt, bie ber langhin
geübten SRooellentecfjnif näd)ft benachbart war, alfo notgebrungen
fidf) in Überleitung unb Überwinbung mit if)r augeinanberfefcen
mufcte; fobann barin, baf} bie Slrbeit an ben epifdjen ©pätwerfen
unb biefem Überganggprobuft fid^ oielfadj burdfjeinanber fdjiebt,
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248 dritter £etl. $ie 9?oöeÜeit ber ÜDtitteijett
baS eine borbrängt, baS anbre jurüeftreten läfjt.' „SDlatfytfbe
SJiöhring" ift erft aus bem üftadjtaf} gontaneS erfchienen. 2)ie
Raffung, in ber mir fie heute lefen, ift jtoar ein nahezu, bis auf
@in$etf)eiten ber 2>iftion unb ben Schluß, boßfommeneS ©ebilbe,
aber eS bleibt bodh bemerfenSmert, bafj Montane bie gertigftellung
unterlief}, um fo mehr als fie nur noch geringe SWü^e hätte in $n-
fpruch nehmen fönnen. @r wirb, als erft einmal bie 9tomanform
mit „grau gennp treibet" boll erobert mar, lieber an „@ffi ©rieft"
gegangen fein, bie baS breitere SluSfjolen nicht nur geftattete,
fonbern bon bornljerein borfah; bie freilich auch feinem inneren
Seben, feiner ©roblematif, biel näher ftanb, aber in ber eben auch
feine nobeßiftifdhen (Sinfdfjüffe ju überminben ober ju berüdffid^tigen
maren, mie fie ber erfte ausführliche (Sntmurf ber „3Hathilbe
ÜUtöfjring" nod) enthielt. Unb als „@ffi ©rieft" fertig mar, brängte
mieber neue Arbeit, neue (Sntmürfe, bie feiner feigen bidjterifchen
Stimmung näher ftanben als bie bodh bis auf eine genaue $>urdh*
fidht unb geilung fertige 9tontan=9tobelle.
2)aS galjr 1891 ift baS fruchtbarfte unb arbeitSreidhfte ber
epifdhen Spätprobuftion. gm Stuguft/September entfteht ber
©ntmurf ju „ÜKathilbe Sötöhring". @r mirb abgelöft burdh „grau
gennp treibet", bie, feit 3Rai 88 im ©rouiUon fertig, nun im
$erbft 91 ihren SKbfdfjluf} finbet. ®ann folgt fofort bie SluS*
arbeitung ber fdhon 89 ffixierten „@ffi ©rieft", ©leichjeitig ent¬
fteht bie ganuar 92 beenbete erfte gaffung ber „©oggeupuhlS".
gortführung unb ©oltenbung ber einzelnen SSerfe fc^iebt fid)
burdheinanber, jumat noch &i c Soutane befonberS am ^erjen
liegenben autobiographifdhett Slufjeichnungen „ÜJteine ßinberjahre"
(1892—93) unb ,,©on ßtoanjig bis 2)reifrig" (1894—98) feine
Äraft bauernb in Slnfprud) nehmen. guerft mirb „(Sffi ©rieft"
fertig, 1894. S5ann ftef>en bie „©oggenpuhtS" im ©orbergrunb
beS überreichen SlrbeitSfelbeS unb treten 95 an bie Öffentlichfeit
„ÜRathilbe SJiöhring" mirb jurüdfgebrängt burdh baS jmeite rneit*
fdhidjtige SOtemoirenmerf unb ben 1895 neu entmorfenen, ber
biographif<h en ©efdhäftigung entmadhfenben „Stedhlin". ghm gehört
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4. ©tine. Staffjilbe SRöJjrtng
249
bie Hauptarbeit im SBinter 1895 auf 96, unb er fottte baS tepte
SQBerf bleiben, baS fJontaneS nimmer ruljenbe |>anb ju ©ttbe führte.
SDen Sournalabbrucf pat er noch erlebt, bie 93ucf)auSgabe nicf>t mehr.
''T^vie Sttooetlen ber 3Jtittetjeit fiub getragen oon einer Spannung,
r<J bie g-ontaneS ©tauben an eine beftimmte fitttidje unb fojiale
Drbnung unb baS SCBefro biefer Drbnung beuttid) burchfcheinen
täfjt. SBenn ßene unb töotfjo feinen bauernben S3unb fdjtiejjen
fönnen, weit bie fojiaten Sdjranfen, bie ihnen eine tjeitfame öinbung
unb ^eftigung geben, refpeftiert fein motten, menn Stine unb
SSatbemar an ber SrüSfterung ober bem oergeblichen Stnrennen
gegen biefe Sdjranfen fReitern, fo befunben biefe fremben Scpicffate
im Äampf unb StuStrag ber ©egenfäfce auch $ontaneS perfönlicfieS
SEBeltgefüht, feine fpejififcpe ©efinnung. „SKatljilbe SKöhring" ent*
bef)rt biefer polaren Spannung. $>aS ©thoS, baS bie epifdje SBett
$ontaneS trägt, mirb pier nicht erfämpft unb befämpft, fonbern
bteibt unauSgefprodhene SBorauSfefcung. Montane gibt baS Sief)*
finben unb Sufammenteben jrneier 9Jtenfd^en, benen bie fittticf)*
fojiate ©runbtage ihrer ©jiftenj niemals fragmürbig gemorben
ift, bie oon biefer ©runbtage getragen unb genährt merben, ohne
um ihre Üßotmenbigfeit unb ihren SBert ju miffen. ®arum tritt
baS ©efprädt)f>afte, fomeit über ben Sinn unb bie SBerantmortlich*
feit beS ßebenS unb $)afeinS gerebet mirb, ganj jurücf. X^itbe
unb Hugo fronen fojufagen nur Statfächlichf eiten, reale ©egeben*
peiten, ihre 93ebeutung oor bem ett)ifcf)en grorunt ftept gar nicht
in fjrage, rücft biefen gan$ unbifferenjierten, im guten Sinn
nüchternen, rein praftifd^en Sflenfchen gar nicht ins S3emufjtfeht.
Sie hoben teil an ihren fegenSootten Söirfungen, ohne barüber ju
refteftieren, merben oon ihnen auf ein anftänbigeS, bürgerliches
9ftittelmaj3 gehoben, ohne in Äantpf ober gmiefpatt für biefe fd)u|*
ootte Umfriebung irgenbmetdhe Arbeit teiften $u müffen. 2)ie ftarfe
Söirfung, bie oon ber ©eftalt ber Sflatfjitbe auSgeht, beruht auf
biefem unbemufjten Süchtigfein, biefer ahnuugStofen Übereinftimmung
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250
Sritier Seit. 2)ie üftoticflert ber SOlittelgeit
mit ber fittlidjen ©efeplichfeit ber fontanifchen iSßelt. 3h re Ve*
redfjnung — unb Verecljnung ift ber heröorftedhenbfte Stjarafterjug
unb biefe i£»re ^Rechnung in itjrerrt Slblauf ber äußere ©ang ber
©efdjichte — mirft nur Wutn niemals niebrig unb eng, meil fie
in Übereinftimmung mit bem fidj befinbet, maS nach Montane
gelten fofl, maS ber ©efeUfdhaftSftufe ber ÜRöhringS entfpridht.
StanbeSunterfchiebe, bie einen $onftift üerurfadhen fönnten, finb
nicht borfianben, unb fo bleibt bie menf£f>licfje 9luSeinanberfe|ung
gmifchen bem gutmütigen, bemooften $<mpt unb ber energijdfjen,
jmecfftchren, talentboHen filia ho^pitalis bem feinen $er$enSta!t
überlaffen. ®afj eS bei biefer StuSeinanberfehung, biefer Vereini*
gung jmeier fonträrer Naturen fo gut abgeht, bah man fie als
fjarmonifcf), als übereinftimmenb empfinbet mit Slnfprüchen unb
geiftig*normatiüen Verpflichtungen, bon benen bie beiben gar nichts
ahnen, ift ein neuer boHer ©ieg beS ©eftalterS gontane unb gibt
bem fleinen Söer! feinen tieferen ©ehalt. ®S fomrnt mitten aus
ber gegrünbeten Sicherheit, ift ein rein gegenftänblidheS, unreflef*
tierteS geugnis ber bürgerlichen gontanemelt, ein Heiner 9tuSfcf)nitt
ihrer, ber aber bau! ber heimlichen Kräfte, bon benen er burdfj*
ftrömt ift, fpmbolifdhen SBert erhält. SBenn man ben Vlicf nach
rücfmärtS auf baS mannigfache Seib mirft, baS ben ÜRenfchen
gontaneS baburdh entfteht, bah fie aus biefer natürlichen «Sicher*»
heit herauSgeriffen toerben burdh ©dhicffal ober Seibenfdhaft, nach
oormärts ju „@ffi Vrieft", too bie bürgerlidhe DrbnungSmelt nidht
nur in einzelnen Vertretern, fonbern als ©an^eS, für Montane, er*
fdhüttert ift, fo fällt auf biefeS ßmifchenprobuft erft baS bolle Sicht,
unb man bebauert um fo mehr, bah feine VoHenbung jurücE*
gebrängt mürbe unb nun manche Unftimmigfeiten bem reinen ©in*
brucf hinbertich finb.
grau SJtöhring fällt in ben testen Kapiteln gar ju fehr ins
Sarmopante. @S hätte biefeS mütterlichen ^ontrafteS nicht beburft,
um bie £ü<htigfeit XhilbeS ju beglaubigen, bie in ihren an*
geborenen ©igenfcljaften, ihrem latent unb nüdhternen Satfadhen*
finn ruht. Vielleicht mürbe gontane auch bei ber lebten Über*
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4. (Stine. SKatljilbe SDZöljrtng
251
arbeitung beS SBerfeS üotn Stöbe ^jugoS an mehr fomprimiert
paben. Sollte ber SluSgang ber ©efdjichte, bie Promotion $htlbeS
jur Sehrerin, btofjer StuSbticf in bie ßutunft fein, fo märe, weniger
mehr gemefen. $>aS romanhafte, breitauStabenbe Moment bleibt
ja ohnebieS latent unb hätte auch am Schluß nicht jur Entfaltung
fommen tonnen, ohne bie Proportionen beS tec^nifcE)en 93aueS ju
fchäbigen.
SDte Lobelie ift ftott heruntergefchrieben, bon einem leichten
glujj unb ohne bie ftete SBebachtfamfeit, bie ftete fRechenfchaft über
baS Einzelne, bie fonft gontaneS fchriftfteflerifche Arbeit betunbet,
ohne bie Söreite unb 9tuhe ber „grau gennp treibet" unb „Effi
Sörieft", ber eigentlichen Romane gontaneS. SDie Ummelt ber
9flöhring§ im §auS auf ber ©eorgenftrafje, baS meftpreuf}if<he
Äteinftabtmitieu in SBolbenftein hätte mof)t ein längeres Sßermeilen
gelohnt, aber einmal hat gontane in fpäteren SEBerfen, fo im
Äeffiner Steil ber „Effi Srieft", etmaS mie einen Erfafc für biefen
SluSfatt (ober SBerjicht) geboten, unb bann fteht eben „ÜDiathilbe
9Köhring" noch unter bem Einfluf} ber Sftooeüen ber äftittelgeit.
2BaS mit biefer fparfamen $unft begonnen mar, märe !anm bei
ber erneuten Stufnahme ins St)etait bereichert unb ermeitert morben.
Sßielteicht hätten bie neuen Erfahrungen unb Oetjatte ber großen
Romane ober gar beS formlos jerflie^enben ©tedjftn mit bem be*
fonberen Efjarafter auch ben befonberen 9teij beS SBerfeS jerftört,
baS mir jefct als einen Übergang im gormaten unb als eine min*
tommene ^Bereicherung feines 33itbeS ber bürgerlichen SBelt beS
SDtittetftanbeS aus bem üftachlafj gontaneS empfangen haben.
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SSierfer Seil
Sie epifcfyen @paftt>erfe
i. §rcui 3emtp SreiBel
CVjt „grau gennp treibet" wirb bie äftannigfaltigfeit beS SebenS*
O jufammertbangeS felbft jum eigentlichen ©egenftanb ber 2)ar*
fteßung erhoben, fällt auf ben üDtenfchen in feiner Sfolation, ben
Vorgang in feiner Singularität nicht mef>r baS entfeheibenbe ©e*
toidht. gontane will bie lügnerifdje ^ßi)rafent)aftigfeit, ben leeren
hodjmut, baS hartherzige ber Sourgeoiswelt zeichnen, bie |xrr*
fchaft beS ©elbfacfs unb ber ©elbfadSgefinnung, bie ftänbig ben
9lnfpruch auf baS „höhere" erhebt, oont Schönen, ©Uten, 2Bal>ren
rebet unb im entfdjeibenben $lugenblicf, bie ÜDtoSfe werfenb, baS
golbne $alb umtanzt. 2)aS war mit ber bisherigen noüeliiftifch*
romanhaften 3Rifdhform nicht ju erreichen. @S mußte eine güHe
tion ©eftalten aufgeboten werben, unb feine burfte hooptperfon
im Sinn ber bisherigen SöirfungSöfonomie fein, es galt eine
Sache, eine ©efinnung, eine allgemeine Kalamität zu treffen, eine
aKaffenerfdjeinung unb »erfranfung, bie am beften burdh ein breites
ßuftanbSgemälbe barzufteHen war.
@S entfteht ein SDälieuroman, ein Sßerf oon ungewöhnlichem
ffteidhtum, ber nun nicht mehr, wie in ben 9looellen ber Mittel*
Zeit, auSgefpart unb oerwaltet, fonbern mit oollen hänben aus**
geftreut unb üerfdjwenbet wirb. 9iur in ganz äußerlichem Sinn
ift bie berliner Äommerzienrätin gennp Sreibel äftittelpunft beS
gormganzen. Söie ein gewirfter 2Banbteppi<h auf bie britte SDi*
menfion oerzidjtet, nur einen planimetrifchen 9JiitteIpunft fennt unb
eine ihm entfprechenbe, in ihn placierte h au Ptfache, ber fich baS
anbere in gleicher glädje unb gleich wirflid), gleich nahe, um* unb
beireiht, fo ift genug treibe! nur formaler ÜRittelpunft eines
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1. grau gennij Xteibel
253
horizontalen ©efügeS, unb gleichwertig, ebenbürtig reifen fich um
fie: ber jooiale Kommerzienrat unb ba3 SKutterföhnchen Seopolb,
ber junge treibet oom £>olzhof unb feine ©attin mit bem Hamburg»
Komplex ber gutmütig ironifdje ©pmnafialprofeffor SSilibalb
©chmibt unb fein berliner SÄufterfinb ©orinna, bie treibelfdje
®inergefeHfchaft unb ba3 Dberlehrerfränz<hen, bie fauerfüfje ©e»
feUfchaftSbame, gräulein £>onig, unb ba3 £>au3faftotum, bie ©<hufc=
mannStoitme ©chmolfe — engere unb meitere Kreife um bie ©eftalt
ber 9tätin, aber burchauS nicht mehr „nebenfächlicf)", oielmehr im
gleiten ©licffelb, gleichtoichtige Komponenten in biefem 9fti!ro*
foSmoS, biefem Vornan oon ben fcherzhaften SBiberfpielen, bie ba3
bürgerlidhe Seben erheitern.
2)ie äußere ^Bewegung, bie ©egebenhehsfülle, ift auf ein SWini*
mum zufammengefchrumpft. Söar fie in ben früheren SBerfen meift
blofjeS SDiittel ber SJienfchengeftaltung, fo ift fie in „grau Sennp
treibet" nur noch ein ©lifclicht, ba3 bie gefchilberte äftenfcfjentoelt
in befonberS mirfungSooller ^Beleuchtung erfcheinen läfjt.
fT orinna, bie ein meitig emanzipierte $ocf>ter SGBilibalb ©djmibtS,
fommt ganz öon ungefähr auf. ben ©ebanfen, ben jungen,
unfetbftänbigen Seopolb SEreibet für fich einzufangen. ©etegenheit
Zum ©eifammenfein finbet fich oft. 3ft boch feine SUhttter, bie
Kommerzienrätin, Sugenbfreunbin ihres ©aterS oon ben $eiten
her, ba biefer als junger ©tubent bie barnals noch in einem
SRaterialmarenlaben fjantierenbe Sennp ©ürftenbhtber anzubichten
pflegte. 2113 bie mütterliche greunbin bei einem ©efuch ©orinnaS
mieber mal oon bem ©egen ber „flehten ©erhältniffe" f(hmärmt,
oon bem jäheren, bafür fie eigentlich geboren fei unb ba3 fie nun
in ber ißrofa be3 fommerzienrätlichen 3)afein3 fo oft oermiffe:
,,«ch Sugenb! SJteine liebe ©orinna, bu toeifjt gar nicht, meid)
ein ©chap bie Sugenb ift, unb toie bie reinen ©efühle, bie noch
fein rauher £aud) getrübt hat, boch unfer ©efteS finb unb bleiben,"
ba entgegnet ©orinna: „Sugenb ift gut. 2lber .Kommerzienrätin 4
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254
Vierter Seil $ie epifc^eit <3pätit>crEc
ift auch gut uitb eigentlich noch beffer. 3<h bin für einen San*
bauet unb für einen ©arten rnn' bie Bißa herum." ©ie meifj,
mag oon fotzen Beteuerungen ber Rätin gu halten ift. Sljr Bater
mürbe einft bon biefen „reinen ©efühten" ber Sennt) fo lange
genaSführt, big fich bod) noch eine beffere Partie fanb, ber ©roh-*
inbuftrieße treibet. Unb alg nun Sennt) immer meiter fentimen*
tatifiert: „3<h h a b e nur meine beiben ©ohne, ©efdjäftgteute, bie
ben SBeg ihres Baterg gehen, unb ich utufj eg gefd^ehen taffen;
aber menn mich ©ott burch eine Xodjter gefegnet hätte, bie märe
mein gemefen," atg fie fc^Iie^Uch in ber Bifion einer ibeaten
©<hmiegerto<hter fich ergeht, — menn ihr guter Seopotb dielleicht
einmal ein armeg, aber ebleg Stäbchen liebte, bann mürbe fie nicht
bagegen fein, fie, bie fich «an ©ebidjten herangebilbet" h at unb
nun in ©efdjäftgluft atmen muh —> ba mirb ©orimta übermütig,
ber Hafer fticht fie unb fie äufjert begügtich ber ©chmiegertodjter:
„©ine ÜDialerin ober eine ißaftorg* ober eine ^ßrofefforentochter..
©ie fennt bie Äehrfeite bourgeoifen 2)afeing noch uid^t unb fühlt
an bem bürftigen ßleinteben ihreg oäterlichen ^eimg nur bag ©nge,
unterfchäht ben Sßert fd^tic£»ter ©olibität unb muh erft einfehen
lernen, bah bie Beftiebigung ihreg ©inneg für Reichtum unb
2Bol)lleben gu teuer erlauft, merben !ann. ©ie läfjt atfo biefen ®e*
banfen einer Bertobung mit Seopotb, biefen ptöfctichen ©infaß, in
berechnenber ©itelfeit meiter gebeten auf bem treibetfchen $iner,
befeftigt ihn aug Rechthaberei, aug 9J?arotte, im S)igput mit bem
biebern Better ÜRarceß unb fefct ihn fchliehlich aug Stroh burch
auf ber bebeutunggdoßen Sanbpartie nach ^atenfee.
Söie in „ß’2lbultera", ,,©6cile", „Srrungen, SCßirrungen"
bringt eine ßanbpartie bag ©ntfcheibenbe, ben ütngelpunft beg
gangen Sßerleg: bie Bertobung ©orinnag mit Seopolb. Äanm ift
fie guftanbe gebracht, fo fommt ber Umfdjmung, bie ^ehrfeite ber
ÜRebaiße, nach Ofontaneg Siebtinggaugbrucf, mirb fichtbar. S)iefe
Sennh treibet, bie fdjon in ihrer Sugenb bag Sentimentale nur
unter Beoorgugung oon ©djtagfahne unb ©ourmachen liebte, ift
trofc Stjrtf unb Hochgefühlen bie augfctjtiehtich auf Siuhertichteiten
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. IVERSITY OF MICHIGAN
1. grau geuttt) Sreibel
255
geftetlte Sennt) Vürftenbinber geblieben., Eorinna trögt eine ber=
biente Demütigung baöon unb burfhfchaut nun erft bie gange
Ätäglidhfeit unb ^»o^IEjeit ber unechten VourgeoiSmett. „Diefe
9tätin, mit ihrem überheblichen ,9£ein‘, ^at mich nicht ba getroffen,
mo fie mich treffen tonnte, fie meift biefe Verlobung nicht gurüdt,
tuet! mir'S an |>erg unb Siebe gebricht, nein, fie meift fie nur
gurücf, meit ich arm ober menigftenS nicht bagu angetan bin, baS
treibelfdje Vermögen gu berboppetn, um nichts, nichts meiter;
unb toenn fie bor anberen berfidtjert ober bielleicht auch fidf) fetber
einrebet, ich fei ihr gu felbftbemu|t unb gu profeffortictj, fo fagt
fie baS nur, meil'S ihr gerabe pafet. Unter anbern Verhättniffen
mürbe meine Sßrofeffortichfeit mir nicht nur nicht fdjaben, fonbern
it)r umgefehrt bie §öhe ber Vemunberung bebenten." VoltenbS
baS läppifche, unmännliche Venehmen Seopolbs, ber nach ber pfeife
ber fommergienrättichen 2Rutter taugt, täfet EorinnaS gefunbeS
Empfinben über eine furge Stbirrung ben ©ieg babontragen. ©ie
fchreibt if)m ab, baS ©dhmibt*gontanifcf)e in ihr, ber feine Etjren=
puntt, bie anftänbige ©efinnung befommt bie Dberfjanb. Sie
heiratet SJiarceH SEßebberfopp unb Seopotb mag fich iu ©otteS
tarnen bon ber ÜÜiama mit feiner ©chmägerin §übegarb, ber
Vottbtuthamburgerin, bertoben taffen.
^\ie§ märe etma, maS man in „grau Sennp Dreibet" als
^anbtung t)erau§fd^äten fönnte unb maS mie gefagt an fich
nicht biet bebeuten mitt. Stuf baS .ßuftänbtiche, bie üttmofphäre*
tommt eS an. ©ie mirb meifterfyaft bergegenmärtigt burcff bie
©chitberung beS großen treibelfchen Diners. Vortrefflich h at ©ott*
frieb Äricfer in feiner gontanefcf)rift ihr tedjnifch ^luSgeidjnenbeS
herborgehoben. „Stftan nehme einmal" — helfet eS ba — „baS
britte Äapitet in ,grau Sennp Dreibet 1 , baS Diner bei ßommergien»
ratS. Die Einführung greift in baS borige Äapitel hinüber. Siadp 5
einanber treffen bie ©äfte ein. Stn bie Vegrüfeung tnüpft gmang»
toS ein ©efprädh an, baS batb gröfeere Greife gieht. Dann bie
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256
Vierter $eil. 3)ic epii'djctx Spätroerfe
Unterbrechung: man geht ju Sifch- §ier entfpinnt fich fogteich
jwifchen Sennp unb ^öutein oon Söomft ein ©efprädf), auf baS
Sennt) fchon länger wartete, Sreibel mifcht fich ein. Sie ßiegen*
hafö folgt. Surcf) einen SBinf XreibelS auf ihre Untertaffung auf»
merffatn gemacht, wenbet fich Sennp bann ihren Nachbarn $u.
Stuf ber anberen ©eite fe|en treibet unb fjrau oon ßiegenljatS
ihre Unterrebung fort, ©o entwicfelt fich JtoangloS, oom dichter
ficher geleitet, baS ©efprädf) ö or Sluge unb Oh* 1 beS ßeferS. Ser
©toff entspringt burcf>auS ber ©ituation unb ber Snbioibualität
ber ^Beteiligten. Ser Fortgang ift ftraff, lücfenloS unb rafdf). ©in*
fach, !tar unb ohne ©toefung geht eS weiter, mit erftauntidjer
SMenbung ber Übergänge. 3>eber ©afc zeugt oon feinfter SBe»
obachtungSgabe für bie befonbere ©igentümlichfeit beS ©efprochenen
unb bie SluSbrucfSfähigfeit beS !tug gewählten SBorteS." 3n SBahr*
heit ift fym eine Sichtigfeit ber 2Birflicf)feitSfchilberung erreicht,
eine fo meifterhafte Sßolpphonie beS Sneinanber, bafj man jeben
Stugenblid fich oerfucht fühten fönnte, in bie Sisfuffion einzugreifen,
©efeßfdhaften finb ja oon Stnfang an neben ber Sanbpartie baS
betiebtefte SSehifel ber fontanifchen ©efprächStechnif. Slber welche
Steigerung oon ber „ß'Slbultera" ju biefer neuen Sinerfzene,
bie ihresgleichen nicht hat! Unb Montane gibt noch oiet mehr als
ein epifcheS Sftufterftücf, ben eigentlichen SEBert erhält baS Kapitel
erft burcf) feine fhntbolifdje 93ebeutung, ben tppifchen ©ehalt.
©efeßfthaften ju geben unb in ©efeßfehaften ju gehen, einen
reichen gefeflfehafttidjen SJerfehr ju pflegen, bieS ßetchen bürgerlich»
' oornehmer 2öof)lanftänbigfeit, ©ewähr ber ßioitifation unb reifen
Umgangsform, ift nach unb nach im felben üIRafje ju einer äufjer*
lidhen Übung herabgefunfen, ßJiittel beS blofjen ßeitoertreibS, leere
Äonoention geworben, je weniger baS breite Bürgertum ben neuen
geiftigen unb Sozialen Strömungen ftanbjuhalten, bie neuen Äräfte
unb 9Kä<hte einer neuen ßeit in fich aufzunehmen unb $u oer*
arbeiten oermochte. Sie ©epflogenheit „gefeßfchafttichen SSerfehrS"
(Slbfütterung) h at i» unferen Sagen einen etwas zweifelhaften
Slfpeft befommen. ©ie war einftmalS ber fichtbare StuSbrucf einer
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257
1. $rau ^ctttit) treibet
nic^t gerabe hochgeftimmten, aber immerhin umfaffenb wirfenben,
tücttfreubtg=6e^aglid^en ©efinnung urtb würbe nun, auf ihren Söert
alg ßeitaugbrudf ^tn betrachtet, eine bebenftiche Überftänbigfeit,
Wenn nicht Sdjlimmereg.
@g ift intereffant unb unterridfjtenb, bag Xhenia ber ©efetl*
fdhaft, beg $inerg, in ber Siteratur ber lebten Sohrjehnte 3 U
folgen. 2)a wirb recht beutlidj, wag fich ehemafö bamit augridjjten
tiefe unb wag eg je|t bebeutet unb bafe eg öiel mehr ift, atg ein
technischer Siebtingggriff ber ©pii SBenn gontone in feinen SBerfen
fo oft ©efellfchaften unb 2)inerg abfdfjilbert, fo ntag man auch
baran ermeffen, wie feft er ber gefunben, foliben «Schicht beg
Söürgertumg in feiner reidjften unb mächtigften ©ntfattung oer*
wurzelt ift. 9iirgenbg wirb fo gut unb gern unb oft gefpeift wie
bei gontane, in unfrer ganzen epifchen Literatur beg neunzehnten
Jgahrhunbertg nicht. Unb nun gar in „grau gennp treibet"!
93ei gontane ift eben bie ©efettfdjaft, bag Seiner, ein willfommeneg
©pmbol feftgefügter, behäbiger ©emeinfdhaftgformen, er hot biefem
äftotiö gegenüber noch bag gute ©ewiffen beg reatiftifchen 35ichterg
ber älteren 3eit. SBie änbert fich bag halb, wie merft man auch
an biefer peripfeerifchen ©injetheit, bafe gontane Stugftang einer
bidhterifchen ©poche ift, bafe er hört an ben üftaturatigmug unb
©ubjeftiöigmug grenzt, eine neue, wefentlidfj anberg geftimmte SBelt,
bie fdhon um ben ©reig tebenbig aufwuchg unb ihn wohl gar für
ben Sh rcn erklären wollte!
SDa finb Jhomag 3Jianng „53ubbenbroofg", biefer Vornan öom
SSerfaU einer gamitie, in bem fo ziemlich a£(eg fteht, wag fich 5 U
bem öielfeitigen 2hema Bürgertum unb S3ürgertich?eit oom Staub*
punft eineg mobern empfinbenben äftenfcfjen aug fagen täfet.
Xhomag äflann hot bem Bürgertum gegenüber nicht mehr bag
gute ©ewiffen gontaneg, er fehnt fich tooht nach feiner be*
haglidfjen 3)urchfchnittli<hfeit, aber mit einer fallen ©ehnfucht,
mit ber Schmerzlichen Vorliebe beg SBiffenben, bem bie Um*
friebung problemlofen SDafeing oerfagt ift unb ber bie Schwere
neuer 23erbinbli<hfeiten gern abwälzen würbe, wenn bieg feine
äBattbretj, gontane 17
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258
Vierter $eil. ®ie epifdjett «Spätmerfe
Sficbtic^feit nur irgenb ertaubte. $h omöS 9ftann hat feine SBor*
tiebe für gontane, für gontaneg bürgerliche Sßett, bie ihm atg einem
ffrembting, einem ©pätergeborenen öer mehrt ift, offen befannt,
jene SSett ber erften Söubbenbroofgeneration, bie auch burch e m
®iner abgefdjitbert, aber fo oerbädjtig fd^netl unb fummarifch er*
tebigt mirb, meit fie bem perföntichen ©ein unb ©mpfinben beg
jüngeren ©idjterg am femften liegt, mie fie bem $ontaneg am
nädhften tag. Sftann, ber ©ubjeftiöift, ber jmiefpättige ßünftter
einer übergangg^eit, ber im ©pmbot beg Verfalls einer ffamitie
ben inneren ßerfalt ber atten bürgerlichen, ber ffontanemett, bar*
ftettt, beginnt erft mit ber ^weiten SubbenBroofgeneration, bei
ber ©chitberung ber inneren ßerriffenljeit beg £h°mag, öon innen
her ju formen, erft hier ift er teibenfdjafttich beteiligt mie nimmer
öorher, erft hier, mo bag Sfteue, alle Bmeifel, ^rembheiten, 2)ifferen*
gerungen ber neuen ©poche allmählich in bie foliben atten formen
einftrömen unb fie ju fprengen fudjen. SEBag ift bag jefjt für eine
gänjtich anberg geartete ©efettfdjaftgfeftimtät, bag Jubiläum beg
©enatorg! $)iefe fcheinbar fröhliche SBett fteht auf fyofym ©runb,
mirb oom dichter gefehen unb oom Sefer erlebt burdh bie Stuf*
faffung, bie jerfehenbe Äritif beg Shomag 23ubbenbroof hmburct).
2)a minbern fich fe^r bejeidjnenb auf einmal bie ironifdjen (Stoffen,
biefe Keinen, boshaften ^Bezeichnungen, biefe teifen Stnfäfje jur
Äarifatur, mit benen ber mobertte, teibenbe ©eift [ich ber grob*
gefugten, feft einhertretenben SBürgerlichfeit big bahin ftitifierenb
$u ermehren fuchte. ©ie fdjminben gan$, menn bie britte ©eneration
herauffommt unb mit ihr £h omag SJtanng eigenfteg Problem,
fein fdhmereg Seben, bag Seben beg Keinen,£anno. $at man be*
mertt, bafj nun erft alleg oon einer gerabeju befrembenben SCBahr*
heit ift, üön einem unerbittlichen ©ehatt? SCBag märe §anno
öubbenbroof in einer „©efeHfdjaft 4 ', auf einem 3)iner, etma bei
Äommerjienrat Sreibetg? 2)ie btofje SBorftettung mirK grotegf.
Unb in biefem ©inn einer grotegfen Sehanbtung ift bag SRotio
beg S)inerg auch a Kein in ber britten SBubbenbroofgeneration mög*
tich, mitl anberg ein ©icfjter mit ihm mirKich etmag fagen unb
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1. $emti} £reiM
259
geftatten, wog aus bem ©eift tiefer heutigen ßeit h^auSmäSft,
mag eS immerhin ttod^ fo unerfreulich fein. Sch fejje um bie§ gu
iüuftrieren eine ©teile aus ber „©efpenfterfonate" ©trinbbergS fytx,
beS lange oerlannten ober, richtiger gefagt, Bei Sebgeiten noS nicf)t
in feinem gangen Umfang gefisteten 3>id^ter§, eines Vorläufers,
ber erft bie jüngfte (Generation bemirft hot. 2)er junge ©tubent
ergäbt ba oon feinem Vater: ,,©r mar mie mir alle oon einem
VertehrSfreiS umgeben, ben er ber Äürge falber 0-reunbeSfreiS
nannte; es mar eine ©djar elenber Seute natürtiS, mie äftenfcffen
meiftenS finb. Slber etmaS Verfehr rnufjte er boS ba er
nid)t einfam leben fonnte. üiun, man fagt ben SDtenfdjen nicht,
maS man oon ihnen benft, gemöhnliS menigftenS niSt, unb baS
tat er auS nicht. (Gr muffte roohl, mie falfdj fie maren, er fannte
ihre £reu!ofigfeit aus bem ©runbe... aber er mar ein meifer
9Jtann unb mofjlergogen, beShalb mar er immer höflich* ®ineS
StageS aber hotte er eine grofce ©efeÜfSaft. ©S mar abenbS; er
mar miibe oon ber Slrbeit beS £ageS unb oon ber Stnftrengung,
teils fdjtoeigen, teils Unfinn mit ben ©äften fSmafcen gu miiffen...
©djliepch flopft er auf ben Stifcf) unb gebietet ©Smeigen, ergreift
fein ©laS unb hält eine 9tebe... 2)a liefen bie ©perrhafen loS,
unb in einer längeren SluSeinanberfepung entfleibete er bie gange
©efeüfSaft, einen nach bem anbern; fagte ihnen ihre gange f^alfS*
heit. Unb bann fepte er fiS mübe mitten auf ben XifS unb ,er=
fu^te bie ©äfte, gum Teufel gu gehen!"
©S ift unbenfbar, baff gontane ßugang unb VerftänbniS für
ben fSauerliS groteSfen ©rnft tiefer ©trinbbergfteüe gehabt
hätte. @r mürbe bann eben nicht Montane gemefen fein. 5Iber mie
fi<h bie ßeilen geänbert haben, melche abfonberliSen Vermanblungen
in ber ißfhS e biSterifS führenber ©eifter in brei ©enerationen
oor fiel) gegangen finb, !ann tiefer motiögefSiStIiS e ®jfurS fe^r
mohl iüuftrieren. ©r mirft erft baS reSte ßid^t auf bie fontanifSe
©Silberung beS treibelfSen SDinerS. SDie Reuten einer binierenben
VürgergefeüfSaft, für S^omaS 9Kann ber fragmürbige ©egenftanb
einer fpöttifSen 2ßef)mut, finb, noS bagu in ihrer bourgeoishaften
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260 Vierter £eit. 3)ie epifdjen Spätroetfe
Verzerrung, für gontone bloß eine Duelle gutmütig behaglicher
Ironie, ©ie werben bei ©trinbberg Dbjeft eines wütenben, z er *
ftörerifcfjen $affeS. gontone fann bie innere Verlegenheit noch als
bloße (Entartung eines wohlberechtigten unb gehaltootten VraucheS
empftnben, beffen SSert er on ficf» felbft, feinem gefunben, bürgen
liehen SebenSgefüht abmißt. SlhomaS Mann fteht f<hon holb braußen,
muß fidj in biefe ßufammenhänge erft hineinoerfepen. ©trinbbergS
VerftänbniS hoben fie fich üöllig oerfchloffen, er müßte feine @h rs
licßfeit, barangeben, wollte er oon ihnen im $on unb mit ber
Sluffoffung gontaneS reben.
/
rfcine bef>agIich4ronif ä)t ©efamtftinunung, baS ift ber leßte unb
bleibenbe (Sinbrucf oon „grau gennp treibet", biefem Milieu*
roman ohne große Suroen im äußeren Verlauf unb ohne tiefere
feelifche Konflifte. 3)ie ©efüßtefontrooerfen oerbleiben in einer
wohltemperierten Mittellage, feiner biefer Menfcßen ift einer ftorfen
Seibenfdhoft fähig. Vürger unb VourgeoiS werben auf bem treibe!**
fchen 3)iner unbefdjabet ber Vorzüge unb Unterfchiebe im (Sinzeinen
in Voufch unb Vogen burdheinanbergewirbelt. 3)ie prejiöfe Ver*
binblichfeit ber IRätin, ihre fdjöngeiftig gefteiften Mutmaßungen
über baS ©^egtücf auf ben |>öhen ber Menfdjheit, mit benen fie
ben abligen SDamen ju imponieren fudjt —, bie naioe ©chamlofig*
feit beS Kommerzienrates, ber ganz offeu zugibt, baß feine politifch**
fonferoatioen Veftrebungen feine Überzeugung, fonbern ben alten
Sftegelbetrianfaß fputer fich h a & cn * u»enn baS unb baS fo oie! bringt,
wieoie! bringt baS unb baS —, bie fchmaropenben alten £>ofbanten,
bie für ein gutes 2)iner fich ruhig als Sßarabe* unb SluSftattungS*
ftücfe oerwenben taffen —, (Sorinna, bie um ihrer geheimen ßwetfe
Willen in ben feineren afrobatifdjen fünften weiblicher (Sitelfeit
ein $ußerfteS leiftet —, fie äße finb für gontane „ber Menfch,
bie fteine SRarrenwelt", eine wiflfommene Veluftigung, aber bei**
leibe nicht ©egenftanb einer fittlichen (Sntrüftung, eines tnoralifdjen
SßathoS.
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1. ftrau 3t'uni) 2rcibel
261
@8 ift nicht 3ufatt, bah in biefem Ütoman baS SBort fronte
fo oft oorfommt, SBilibalb ©cfjmibt bie fRätin mit einer „feinen
3ronie" bel)anbelt, biefe ihrer ©chmiegertochter mit „einer 3Kifcf)ung
oon SeljagUcfjfeit unb Sronie" begegnet, Slbolar Krola ben mufi=
falifdfjen öfpirationen SennpS mit „SCBohlmotten unb Sronie"
gegenüberftef>t,'ber alte ißrofeffor am ©nbe bie ©elbftironie als
mittfommeneä Korreftiü be3 Strebend nach Vottenbung preift. 2)ie
fronte ift ber $on ber 3)arftettung, mögen nun biefe SKenfdj*
* lein fich über ficf> felbft, über einanber, ober Fontane fic^ über
fie luftig machen. Kidjt als ein SBerf beS $umor§ gilt un§ „Frau
3ennp treibe!", ber nach F°ntane3 treffenb lur^er Formulierung
ein „göttliches 2 )urcf)einanberfd)meij 3 en oon grofj unb Hein" be-
beutet, fonbern als eine ©cfjöpfung fpezififdj berliner 2Bi|e3, beffen
befonbereS ©^arafteriftifum bie gutmütige Verfpottung ift. 3n
biefem SourgeoiSroman finbet fi<h nur Kleine*, 3)urc^f^nittlic^|eS,
e$ gab nicht ©rohes unb Kleines jum ®urd)einanberf^meifeen,
auf Verfpottung ift es abgefehen, nicht auf Verllärung, baS un¬
trügliche Kennzeichen bes toahren $umorS, mie ihn auch Montane
befifcen tonnte unb nur eben hier nicht jur Slusmirfung braute,
®aS gegenfeitige ©i<h*Iuftig«machen, Kritifieren, ^erabfefcen,
Veargmöhnen burcfjzieht baS ganze SSBerf, unb nur weil eS fo
ohne Söitterfeit gefd^ieht, fjot man folglich oon £mmor fprechen
fönnen. S5ie junge treibelfche ©chmiegertochter |>elene, geb. 9Kunf,
in ihrem Hamburger ^Jatrizierftolz ift noch $rgfte. ©ie fe|t
bie Treibeis h cr ab. „Unfre Schiffe gingen fchon nach SJteffina,
als beine SWutter noch in bem Slpfelfinenlaben fpielte, braus bein
Vater fie hcrüorgeholt hot- Material- unb Kolonialmaren. 3h r
nennt eS ^ier auch Kaufmann ... aber Kaufmann unb Kaufmann
ift ein Unterfchieb." ©ie finbet bie „ganze Sreibelei ribifül", unb
bie ganze Ureibelei, ©atte unb ©chmiegereltern, finben mieberum,
bah bie „#amburgerei nicht baS |>ö<hfte in ber SBelt ift, unb bah
ber liebe ©ott feine Söelt nicht um ber ÜKunfS mitten gefchaffen
hat". Unb ©orinna entgegnet ber IRätin auf ihr Kein zur Ver¬
lobung: „(Erlauben ©ie mir, 3h neTt Z u fogen, bah idj boS nicht
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262 Vierter Xeit. 2)ie epifdjen ©pätiocrfe
blofc ^oc^müdg unb höchft bermerflidlj, ba| ich eS auch bor allem
ribitüt finbe. 3)emt mer finb bie Treibeis? Bertinerblaufabrifanten
mit einem NatStitel, unb ich, ich bin eine ©chmibt", moju ber $ßapa
heimlich Brabo ruft. Sllfo — mer finb bie Treibeis, mer finb bie
©cf>mibtS, mer finb bie äftunfS? S33iß man Montane als ©d^iebS*
ri^ter aufrufen? Hber er lächelt ironifdj unb fdfjmeigt. (Sr meifj
an jebem eine kleinere ober größere ©djmäcfje ober Unepfid^feit
aufjubecEen unb bamit begnügt er fich. Seber Oberlehrer oom
Kränzchen etma, unb ißrofeffor ©chmibt nicht ausgenommen, ber= *
•fichert, ohne ben „Stbenb" eigentlich nicht auSfommen p fönnen,
unb hoch erfcheinen immer nur bie, bie nichts BeffereS oorhaben.
Ober treibet legt baS 2)eutf<he Tageblatt über baS Berliner,
menn jernanb lommt, unb erträgt ben Seutnant a. 2). Vogelfang,
ben mibertichen politifchen ganatifer, nur als „Bürger unb
^Patriot", b. h- auf treibelifdfj um ber perfönlidljen Vorteile mißen.
Bogelfang ift auf bem 2)iner mit feinem lächerlichen £oaft ber
einige, ber eS ganz ehrlich meint, unb gerabe biefe (Shrlidjfeit mirft
anftöfjig, mährenb bie SNebifance nach aufgehobener SCafet als etmaS
boßfommen Natürliches empfunben mirb! (SS ift höchft Eomifdj,
menn biefer Vogelfang ben Kommerzienrat für fidf) in SKnfprudh
nimmt: „,SBenn mir rufen: (SS lebe ber König! fo gefcfjieht eS
boßfommen felbftfucfitSloS, um einem großen Prinzip bie §errfchaft
Zu fichern; für mich bürge ich, un & i<h h°ffa bab ich e§ au< h für
©ie !ann ...‘ ,©emif}, Vogelfang, gemijj/ ,9lber biefe $iegenhalS
unb ihresgleichen, menn bie rufen: (S£ lebe ber König! fo pifjt
baS immer nur, eS lebe ber, ber für uns forgt, unfer Nähroater;
fie fennen nichts als ihren Vorteil. (SS ift ihnen oerfagt, in einer
Sbee aufzugehen, unb fich auf ißerfonen ftüfcen, bie nur fidh
ffttnen, baS helfet unfre ©ache berloren geben/" SSaS für ironifcf)
zmeifelhafte Sichter fpielen über biefen 2)ialog! (SS h^rrfcht bie
berfehrte SBelt, ein feef luftiges 5luf=ben*Kopf=fteßen beftehenber
©afcungen. Sogeifang ift ber ©olibe in biefer bourgeoifen ©djem*
mett, aber bie ©olibität tritt leiber als Borniertheit auf, als
UtopiSmuS. getane fügt eS fo. Unb fie rnufe ahnungslos ber
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1. grau gettitty treibet
263
Unfotibität fiep öerbinben. SDiefer 2)on Quijote bon einem poli*
tifd^en Agitator glaubt mit feinen Auflagen einen gemeinfamen
(Regner ju treffen unb trifft in Saprpeit feinen fcpeinbaren
SBerbünbeten, ben Kommerzienrat, opne bafj biefer fiep fonber*
tidp genierte unb ben berftiegenen Sbeatiften anberg atg foutifcp
näprne.
©eiftigeg unb finnlicpeg ©cpmaropertum machen fiep gemütlich
breit, merben anftanbgtog bon Montane in ber geräumigen Seit
biefeg SRomang angefiebelt unb fommen mit einem blofjen 33lief
mitleibigen ©potteg babon. Qber fie merben in eine lomtfepe,
miberfprücpticpe ©ituation gebraut, bie fie jmar felbft nicpt aug
ber Raffung bringt, aber ben $>icpter unb Sefenben bafür fepabtog
pält, fiep bauernb in fo inferiorer, ruppiger ©efeltfepaft ju befinben.
Sllg äKarcett, ber ©ortmta gern Reimten möcpte, bei 0n!el ©epmibt
über bag 23enepmen feiner Soepter flagt, ipre SBertobunggmarotte,
biefen offenbaren Irrtum, ba beruhigt iEjn ber Sitte: „äftag alleg
fcpmanfen unb unfieper fein, eineg ftept feft: ber ©parafter meiner
greunbtn Semtp. 5Da rupen bie Surjeln beiiter ßrqft. Unb menn
©orinna fiep in StoGfjeiten überfcptägt, taffe fie; ben Sluggang ber
©aepe lernt’ icp. S)u fottft fie paben, unb bu mirft fie paben unb
bietleicpt eper, alg bu bentft." 2)ie ©paratterftä.rle mirb berufen,
etmag ©uteg ju mirlen, unb bemirft eg aucp. 5Dag märe eine
Banalität, menn niept bie Ironie bie perlömmtidpen Sebeutungen
mieber in ipr ©egenteil berteprte unb mit biefer fonberbaren
©pejieg bon ©paratterftärle einen neuen luftigen Beitrag $ur
Äemtjeiepnung ber boppetbobigen ißarbenümelt lieferte. Sennp
barf, atg ipr ©orinna über ipren ^jocpmut bie Meinung fagte,
entrüftet unb boHen ©rnfteg augrufen: „Qmpietät ift ber ©paratter
unferer 3 e it" unb ©epmibt ber Slpnungglofen fcpelmifcp unb fepein*
bar befümmert ermibern: „greilicp, bie ßeit ... atteg miH über
fiep pinaug unb ftrebt pöperen ©taffetn gu, bie bie SSorfepung
fieptbarliep niept moltte." Sennp nidft nur. ©ie beftätigt: ,,@ott
beffre eg" unb ©epmibt pflicptet bei: „Soffen ©ie ung bag poffen."
Unb bamit trennen fie fiep.
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264
Vierter £eil. 25ie e|>ifct>en Spätioerfe
2öie felbftoerftänbticp toirft biefe Äomif, tote toenig oott aufjen
perangetragen, toie ermäcpft fie jtoangloS ber ©ituation! 2)er
©ipfet biefer fontanifdpen fronte ift es, toenit geleite auf bie
grofje Stacpricpt oon Seopolbs Verlobung mit (Sorinna pin fofort
in ber erften beften $)rofcpfe fid^ auf ben 2ßeg macpt, um mit
ber ©cpmiegermutter gemeiufam ju Hagen unb gegen bie unftanbeS*
gemäße $ßrofefforento<pter fiep ju oerbünben. ©ie fiefjt nur nodp
bie gemeinfame ©efapr unb bie bauernb bdrittelte, bor bem Ham¬
burger $orutn ebenfalls unftanbeSgemäfje ©cpmiegermutter toirb
auf einmal bie „Trägerin beS H au f eS "- 2BaS ftnb jefct bie Treibeis,
toaS finb bie SRuntS? SDiefe großen fragen toerben ju Heinen,
nun eS baS maprpaft ©rofje gilt: $u oerpinbern, bafj biefe „Sßerfon"
ipre „Settlabe — benn um biel ’roaS anbereS toirb eS fiep nic^t
panbeln — in baS treibelfcpe HauS trägt". Montane erfticft pier
bie Stufgebtafenpeit, ben 3)ünfel in feiner eignen, eingeborenen
ßäcperticpfeit. Sennp pat fcfjlie^tic^ bon jtoei Übeln baS Heinere
ju toäplen, fie pat mopt punbertmal gefcptooren, bafj ipr eine
Hamburger ©cpmiegertocpter, eiue Stepräfentantin aus bem großen
Haufe Stpompfon-SJtunt gerabe genug fei unb mufj nun als gütige
Rügung begrüben, bafj fie bie jtoeite überhaupt befommt.
©o finbet fiep benn ©leicpeS ju ©leiepem, berfinfen bie fepein-
baren Unterfdpiebe in biefem angeblicpen Äampf um bie „@pte
ber Familie". 2)ie perfeHe Sreibelei fällt ber perfeften Hamburgerei
gerüprt in bie Strate. 2)ie Statur fiegt, ober bie Unnatur — je
naepbem, toaS man unter beibem oerftepen toiH. Montane begnügt
fiep mit ber bisfreten ^eftftettung ber iatfadpen, bie audp an fiep
fepon amüfant genug mitten. Unb (Sorinna peiratet SRarceH
SBebberfopp. ©ie pat mit ßeopolb ein äpnlidpeS ©piel getrieben,
toie 3ennp 93ürftenbinber bei iprer SSerpeiratung mit Xreibet,
fie mürbe biefer jur ©eifei, gerabe baburep, bafj ipre HanblungS-
meife ber mapren Statur ber Sennp entfpraep, unb biefe mufj
nun ßorinnaS mir!li(peS ©lüdt betreiben pelfen, bem fie fepein-
bar burdp ben ißroteft gegen bie Verlobung mit ßeopotb jutoiber*
panbelte.
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1. grau gennt) Sretbel
265
@o bleibt audj in biefent Vornan „alles einer gemiffen ruhigen,
tliftorifdfen ©ntmicflung übertaffen", um mit fßrofeffor ©dlpnibt
ju reben. Montane £jat ifytn merflidjer, als er fonft ju tun pflegt,
oom eignen SÖIute beigemifcljt, mie benn aud) für bie (Sorinna
feine Xocfjter üftete ein paar $üge t)erteit)en mufjte. Xto^bem
ftimmt bie beliebte ©leidjung Montane* ©d^mibt nidjt. 3n ber
Äontroberfe mit feinem fjreunbe 3)iftelfamp fagt ber Sßrofeffor
manches, maS febjr ju Unredjt auf bie ütecfjnung beS Autors ju
fefjen märe, ber bem Dberlefjrerljaften überhaupt, felbft in ber
feineren (SrfdjeinungSform bei Sßilibalb ©dfjmibt, fo fern mie rnög*
tidf) ftanb. Montane mar felbft im borgerücften üllter nodfj oiel ju
reidj, um ber billigen unb unfünftterifdfjen äKobellfudjt ertebniS*
unb ftoffarmer ©fribenten ju berfallen, ©rft im „©tedjlin" gibt
er eine 9lrt ©elbftporträt, o^ne bafj fid) aud) ba ®id)tung unb
IXrbilb bedten.
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2* @fß 23 rieff
^r^vic Modellen ber 3KitteIjcit gipfeln in „Errungen, Sirrungen",
bie ©pöttoerfe in ,,©ffi Vrieft". Veibe gehören jum Äron*
fchafj neuerer beutfdjer ©rjählungSfunft unb »erben auch oom
Veften nicht ubertroffen, toaS man nuS Vergangenheit unb $olge*
$eit oergleidfjenb neben fte [teilen fönnte. @S ftnb Schöpfungen,
in benen nicht nur eine einzelne jfünftlerifche Veranlagung ihr
©tilftärffteS erreicht, fonbem eine ganje bichterifd^e ©poche, bie
realiftifdje, fidh erfüllt. ©ine ©efchichte beS bdutfehen ©ichtftitS
hätte an beiben Serien ihren reinften unb höchften SluSbrudf.
Unb an „©ffi Vrieft" noch eigentlicher als an „Errungen,
Sirrungen". Selchern Vu<h ber SßreiS unb Vorzug gebührt, biefe
oft unb unterfdhiebtich beantwortete fjrage hängt, toenn man fie
überhaupt fteßen miß, öon bem ©tanbpunft ab, oon bem aus man
^ontaneS ©efamtwerf betrachtet. Seber befteht ju recht, unb barum
hat jebe Veurteilung ihren guten ©inn. Stimmt man gontaneS
^ßrofafunft als ein in [ich gefcf)loffeneS ©an$eS, betrachtet man es
aus [ich heraus nach ÜDtafjftäben, bie an bem inbioibueflen ©igen*
wert gontaneS abgenommen ftnb, fo mag „Errungen, Sirrungen"
höher ju bewerten fein. VirgenbS ift baS unerfe£li<h ©inmalige,
baS fpejififdh ^ontanifche, in gorm unb Oebjatt fo rein- unb eigen*
richtig anjutreffen. gnr ben auf baS Überinbiüibueße, bie ©teßung
fJontaneS in ber ©efdhictjte beS beutfehen VomanS, gerichteten
VlidE hingegen fulminiert fein Schaffen in „@ffi Vrieft". „Errungen,
Sirrungen" erfchliefjt fidh in feinen feinften Veijen nur bem oer*
trauten Kenner gontaneS, ber fein Gingen mit ber $orm unb
ben aßmählichen Ausgleich perfönlidher unb fachlicher ^tnfprüdje
oerfolgt hol- „®ffi Vrieft" erforbert ju biefem intimen VerftänbniS
bie. ÄenntniS oon Montanes bi«hterif<f>er ©ntwicflung nicht. 2>enn
hier bleiben aße Spezialitäten bahinten, ber Vornan h<*t, wie fein
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2. effi Söricft
267
anbereg SSerf feines ©cljöpferg, ftd£> nmb uttb boHfommen bon
iljm loggetöft, füfjrt ein ganj fetbftänbigeS, felbftgpnugfameg Seben.
„Errungen, Sßirrungen" wirb in ber beutfdjen ßiteratur immer
eilten f)ot>en 9tang einneljmen. 2Kit „@ffi ©rieft“ ragt Montane
in bie SBeltliteratur. @g ift eineg ber überperfönlidjften nnb in
feiner ©nttyaltfamfeit bodj' menfdjengütigfteri bidfjterifdjen ©üdjer
beS vergangenen Safjrljunbertg.
'"o\ag ©oUfommene pflegt nicfjt feiten aucf) bag 9ttüf)elofe $u
<*<J fein. 3)ie raftlofe Arbeit, ber SBitte jur ÜReifterfcfjaft mirb
bei jebern ftarfen ©djaffenben einmal $u einem ©unfte führen, too
bag früher mii^fam Errungene fid) iljm alg ein jmanglog unb
natürlich SBerbenbeg gibt. 2>ann fct)eibet bag ©roblematifcfje,
lebiglid) ©emoHte aug, bag ©erföntid^e ift reftlog ing Db jeftibe
f)inüberge|oben, fein SBerf ift ganj pofitib, ganj feienb, ift freilief)
nidfjt me^r fiiJjner ©orftofj in neue $onen, Arbeit beg ©ionierg,
mit ben ÜJierfmalen, bem ©cfjmeifj ber SIrbeit, bafür aber ©pmbol
fidlerer §errfd)aft, feften ©efipeg. Unter biefem Beiden ftefjt „(Sffi
©rieft“, ^at gontane aud) naefj $elene ^errmanng SJtacfimeig
(bgf. „SDie ©efd^id^te eineg fltomang“, 5)ie $rau XIX, ©. 543 ff.)
ben erften, nod) über bag 3al)r 1889 jurüdtreid^enben (Sntmurf
vielfach abgeänbert unb an ber öoKftänbigen üftieberfdjrift im
einzelnen bie mannigfadjften ©efferungen borgenommen, eg gilt
boef) fein fpätereg ©efenntnig: ,,©ieHei<f)t ift mir @ffi ©rieft fo
gelungen, meil id) bag ®anje träumerifd) unb faft toie mit einem
©ft)djograpf)en getrieben fjabe. ©onft !ann icf) mid) immer ber
Strbeit, if)rer ÜJtüfje, ©orgen unb ©tappen erinnern — in biefem
$alle gar nicf)t. @g ift fo mie von felbft gefommen, of>ne redfjte
Überlegung unb ofjne alle kritif." 3)eutlid^ fpridjt bag ©efiifjl ber
Snfpiration bei „@ffi ©rieft" aug bem ©efenntnig an ©cljlentfjer:
„ 9tad)träglidj, beim korrigieren, bjat eg mir biel Slrbeit gemalt,
beim erften (Sntmurf gar feine. ®er alte 2Bifc, bafj man SHunb»
ftücf fei, in bag bon irgenbmoljer t)ineingetutet mirb, fjat bod^ mag
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268
Vierter SEetl. ®ic epifc^en ©pätroerfe
für ft<h, unb baS $urdjbrungenfein babon lä|t fdhliefjlidh ttur jmei
©effiljle jurüdf: löefdjeibenheit unb SDanf."
$>ie erfte Anregung jur ®onjeption gab eine befreunbete $)ame,
bie auf feine jnfäUige ©rfunbigung nach einem gemeinfamen 93e=
fannten — einem Offizier, ben bet Vornan in Snnftetten tranS*
poniert — Montane „bie ganje ©fft SBrieft* ©efdhichte" erzählte.
„Unb als bie ©teile fam, jmeiteS Kapitel, mo bie fpielenben
ÜDtöbdhen burdhS SBeinlaub in ben ©aat Ipneinrufen: ,©ffi, fomm‘,
ftanb mir feft: ,2)a3 mufjt bu fchreiben‘. $udh bie äufjere ©r*
fdheinung tnnrbe mir burdfj einen glücftidjen ßufaH an bie £>anb
gegeben. Sei) fafj im ßehnpfunbhotel in 2f)ale, auf bein oft be-
fdhriebenen großen SBalfon, »Sonnenuntergang 4 , unb fat) nach ber
IRofftrappe hinauf, als ein englifcheS ©efchmifterpaar, er jtoanjig,
fie fünfzehn, auf ben SBalfon ^inauStrat unb brei Schritt bor mir
fid(j an bie Srüftung lernte, Reiter plaubernb unb bo<h ernft. @3
toaren ganj erfkhtlicf) 2)iffenterfinber, SUtethobiften. 2)a3 SRäbd^en
mar genau fo gefleibet, mie ich ©ffi in ben aüererften unb bann
auch mieber in ben atterle^ten Kapiteln gefdhilbert habe: ganger,
blau unb meifj geftreifter Kattun, Sebergürtel unb ÜDJatrofenfragen.
3(f| glaube, baf? idj für meine $elbin feine beffere ©rfcheinung
unb ©infleibung finben fonnte, unb menn eS nicht anmafjenb märe,
baS Scfjicffal als ein einem für jeben Äleinfram ju SDienften
fteljenbeS ©tmaS anjufeljen, fo möchte ich beinah fagen, bas Scfpcffal
fehiefte mir bie fleine SDletljobiftin."
ÜUton mirb folch gelegentliche ©eftänbniffe bon Zünftlern, mie
baS ty.ix borliegenbe gontaneS, in ihrem SBert für bie ©rffärung
unb @ntftef)ung ber betreffenben SBerle nicht überfeinen bürfen.
3)ie gehörte „©efdhidjte" mar moht ber *knlafj, ber einen btcf>=
terifdhen ißrojefc inIBemegung bradhte; aber baS eigentliche SDlaterial
jum Vornan lag iu Montane felbft, im anfdhaulidhen SReidhtunt'
feines bemegten SebenS, in ber feelifdhen ^ütle feiner gereifte»
3Jtenfchlidhfeit. @r habe bie ©efdhichte „umgeftaltet", fagt er jmar
fpäter mit einem biel ju befdheibenen SluSbrucf, ber baS SBefentliche
beS bidhterifchen ^ßrojeffeS gar nicht berührt. §lber in einem ÜBrief
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2. »tieft
269
an griebridj ©pielljagen, bcn ÜDtobellmütigen, bcr einen ©ergteidj
pnfdjen „@ffi ©rieft" unb ben äEBal)loermanbtf$aften plante unb
bann mirflidj oom ßaun bradj, Reifet eg — unb in bem ein*
geflohenen 5ßaffug liegt ber ganje ©egenfap jroeier fünftlerifdjer
©efinnungen befdt)loffen —: „SReinem f>er§üct)en S)anf tüitt idj
nur folgenbe furje Angaben — freilidj immer nod) in blöfjen
Slnbeutungen — Ijinpfügen. Snnftetten ift ein Oberft ©aron
b. St., früher |>ufar, jefct Dragoner. ©ffi ift ein Fräulein, toenn
idj redjt berietet bin, aug ber ©egenb oon ©arej, nid^t aug ber
2ftart, fonbern aug jenem EXeil beg 2ftagbeburgifd)en, ber am öft*
liefert ©Ibufer liegt, ©ooiet idj meifj, lebt bie 2)ame nod), fogar
ganj in ber Sfiäbje oon ©erlin. — Sltteg fpielte, um aud) bag nodfj
p jagen, am SRfyein, nid)t in Sommern. Sag ift bag SEBenige,
mag id) rneifj."
SEBag märe nun eine „©ffi ©rieft" ofpe ^o^en * ©rentmen,
mit einem 9W>einftäbtd)en ftatt Äeffin? SEBer möchte mofjt allen
©rnfteg oon „©infleibungen", „Umgeftaltungen" reben, bafj bie
©rpfylung ber alten $)ame bag SBefenttid^e fei, oon gontane mit
beliebigen ßutaten augftaffiert, bafj er ben Vornan ljätte am Sfiljein
fpielen taffen, menn if)n nic^t bie iftüdtfidjt auf bie lebenbe §elbin
baoon abgef)alten Ijätte? ©ine ©ffi ©rieft ofjne märfifdje Suft,
ot)ne bag Äeffiner nieberbeutfdje Söiilieu ift etmag Unbenfbareg.
fragen mir alfo lieber ftatt na<$ bem 9tof>ftoff, ber Montane oon
aufcen pfarn, nac§ bem äWaterial ber ©erarbeitung, bag er in ftdj
oorfanb, unb ben Kräften, bie biefeg ÜRateriat oerarbeiten. 2)ie
eigentlichen äRotioe, bag ©emegenbe, liegen ja immer tiefer, atö
. in ftofftidjen Slnläffen.
50er perfönlic^e ©eljalt ftontaneg oerbinbet fiel) in „@ffi ©rieft"
am reinften einer tjoljen SWgemeinljeit. 5Damit hängt ein anbereg
nalje pfammen: eg ift auch bagjenige SGBerf, in bem Montane am
meiteften über fiel) fjinaugfommt, bag am oernehmlichften in bie
ßufunft meift. @g ift bie fcf)mer$tid) pgeftanbene Überminbung
ber öom dichter üerförperten Drbnunggmelt, beren Ijotyeg Sieb
unb oolle ©erflärung „Sprüngen, 3EBirrungen" gemefen mar. „@ffi
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270
ÜBierter £eil. 2)ie epifdjen Spätwerfe
Söricft" murjett tooijt auch noch in tiefem (Gntnbe, ober bie ©e»
teuchtung tjat gemechfett. Montane ift noch ber 5llte, aber bie SBelt
um if)n, in ber er lebt unb leben ntufj, tjat fi<h öeränbert. @8
liegt etma8 tragifdf) (GrgreifenbeS barin, baff ber SKeifter gerate
in tiefem Vornan höchfter ©ottfontntenheit ben Tribut ja^tte, ju
bem fcfjon fo mancher atternbe Zünftler bem jungen, neu empor»
machfenben @efdf)tedjte gegenüber fich genötigt fanb, wenn feine
SBett, bie für if)n bie SBirtlichfeit fd^Xec^tbjin bebeutete, als ein
©egrenjteS im ^iftorifc^en ©erlauf fid£}tbar mürbe, als eine Sßir!»
lidjfeit, bie nur noch neben ober gar nach anberen itjr fJlec^t
haben fott.
®ie ernften, buntlen ©Ratten, bie Montane um fein tiefes,
miffenbeS Sßerf gebreitet fjat, finb finntidh*fünftterifcher 5luSbrudt
unb ©pmbol bafür, bafj er bie üolle Breite beS SebenS unb
(Glaubens feiner $eit in $rage gefteüt fiet)t. 9Kan mirb an SbfenS
©aumeifter ©olnefj gemahnt, bei bem bie Sugenb anpodfjt, bie
als blofje Sugenb fc^on baS Kecf)t auf ihrer ©eite hat. 3n ben
(GefprächSfjenen jmifchen Snnftetten unb SBüIIerSborf, gegen ben
©chlufj ber „(Sffi ©rieft", rüdft Montane bem norbif^en ©teptifer,
bem herolb ber neuen (Generation, fo nahe, mie eS bei ber ©er»
fdjiebenartigfeit ihres ßebenSgefüfjlS nur irgenb möglich mar. $lber
trofc tiefer -Kotierung — metdfje Äluft! gür Sbfen ift bie ironifche
©fepfiS, bie Sodterung ber alten gunbamente ber bürgerlichen
DrbnungSmett, bie ©erneinung beS hergebrachten, beS it)m oon
öornljerein Schlechten, Überftänbigen, feelifd^e (Grunttjaltung, natür»
lieber unb felbftöerftänblidher StuSbrucf feiner (Gefinnung, ülKittel»
pun!t feines Schaffens. gür Montane ift fie eine äufjerfte Äon»
jeffion, eine notmenbige Äonfequenj, bie fein unerfdfjrocfener SBirf»
lidhfeitSfinn mo^l einmal jog, angefid^tS ber neuen (Gegebenheiten
fich fchmerjOott abrang, bei ber er aber nicht hätte oermeilen
fönnen, ohne fich felbft ju jerftören unb fein gefamteS ßebenSmerf
in $rage ju [teilen.
„(Sffi ©rieft" ift moht in hinficht ber $orm, beS tünftlerifdh
©ntfeheibenben, ein realiftifcheS (Gipfelmerf; aber ein mefentlicher
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V
' r
2. gffi Sörieft 271
£eit beg ©etjatteg, beit biefe $orm birgt, bie fpejififdje Sßote beg
($tfyog, Weift bodj fo weit über bie ßeit tpnaug, bie ben reatiftifd&en
Stil jur Steife braute, baff wir nteljr atg einen ßufalt unb
wenigfteng eine fetjr gütige Rügung barin fetjen müffen, bafj „Qsffi
©rieft" nicf)t ^ontaneg Ie|teg SerE btieb. @g war ifpn befdjieben,
fid^ ju ficf> fetbft unb ben alten Secten jurüdEjufinben, bie @r*
fcfjütterung feiner ©runbfeften btieb eine oorübergefjenbe, fein fjeiterer
Sebenggtaube fiegte, auf „®ffi ©rieft" folgte ber „@tedf)tin".
3n ben ©efprädjgfjenen jwifctjen Snnftetten unb Sültergborf
wirb ber geiftige 9?ät)rboben fidjtbar, ber „(Sffi ©rieft" gezeitigt
tjat, bie feetifctje ©ebrängnig, bie nacf) Stugfpradje unb Söfung oer-
taugte. Stber ber ©et)att tritt, in itjnen fo nacEt unb beinahe ab*
ftraft jutage, bafj bie 3füHe anfcijaulidjen Sebeng, bie big baljin
ficf) auSbreitete, notwenbige ©oraugfefcung feiner Eünftlerifctien
SirEung bteibt. Sine $)icf)tung ift ja nie fjotge ber ©d(jlidf>tung
oon tiefen flöten im 2)ictjter, fonbern burclj bie ©eftattung unb
in it|r, im aHmät)ticf)en Serben beg SerEeg, fctjticfitet fic§ atte
©ebrängnig. 2)iefe ©efprädfje finb ein geiftiger Sftedjenfctjaftgberidjt,
ber Montane erft baburd) mögüdfj wirb, baf} bag Seben feiner ®e*
ftatten unb itjre ©djidEfate big $u biefem ©unEte gebieten unb ge¬
führt würben; fie finb, oon ber 3)id)tung aug gefeljen, Qrrud&t, nidjt
Äern beg ©ebitbeg. ättan mufj erft beffen Serben big ju itjnen
f)in oerfotgen.
^\er tedjnifcfje ©au ber „@ffi ©rieft" jeugt oon fouoeräner
2Keifterfdfjaft. Senn irgenbwo, fo mufj angefidfjtg biefeg
9tomang bag oerfd)teppte Urteit oon fjontaneg SäffigEeit unb be*
fjagtidjem Slugfd^weifen auf Soften ber £auptfadjen unb ber Äom*
pofition üerftummen. 2)em näheren gufetjen ergeben fictj brei
gerunbete ^auptmaffen oon natjeju gteictjer Stugbefjnung (ßapitet
6—14, 15—22, 23—31), unterbaut unb überbaut oon einem
einleitenben (ßapitel 1—5) unb einem befdjliefjenben Seit (Ka¬
pitel 32—36), bie, bei ebenfattg gleicher Sänge, ju ben |>aupt*
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272
SSiectcr Seit. Sie epijcfjen Spättuerfe
teilen im ©röfienoerhättniS bon eins ju jtoei fielen. ®iefe tool )U
proportionierte ©lieberung mag ftd^ bei Montane ganj oon felbft
ergeben t)aben^ ift aber {ebenfalls mehr als ein bürreS ©djerna
unb trägt biet baju bei, ben ©ittbrucf beS feft ©efügten ju oer*
ftärfen, bie ftdjer, toenn auch inftinftib formenbe £>anb beS SDidjterS
fpüren ju taffen, bem bie SRomanfortn nid^t greiftatt eines dhaotifch
bat)inftutenben ^rofaftromeS ift.
,2)er äußeren ©lieberung oerbinbet fich bie fachliche, beibe toirfen
ineinanber unb §eben einanber. 2)er innere Fortgang toirb, toie
auch in anberen SBerfen („Gor bem ©türm“, „©ecile"), bem
SEBechfel ber ©chaupläfce bertnüpft, ber einleitenbe Seit ift in
£of)en*Sremnten angefiebelt, ber ©chlufj in biefe ©jenerie jutücf-
geienft. Sajtoifchen flirrt ber SBeg nach Äeffin unb oon ba nach
Gerlin. Smmer entfpricht ber OrtSberänberung ein feelifcljer ©in*
fchnitt. Ser §o|en*©remmer Seit jeigt ©ffi als äRäbdjen, bie
beiben Äeffiner baS ©beleben, mit ©ieS^übler im erften unb
©rampaS im jtoeiten §auptteil als ©egenfpielern, ber berliner
bringt baS fdfjeinbare SluSflingen, ben latenten ßtoiefpalt unb jähen
ßufammenprall, ber tefcte ©üf)ne, Ausgleich unb ©nbe.
$Ro<h einmal finb in einem SBerf alle Gorjüge fontanifdher
Äunft bereinigt: ber mol)lproportionierte Gau beS ©anjen, baS
S)urchfomponierte beS ©meinen, baS Slbteüc^ten ber Svenen unb
©ituationen bis in bie SEBinfel, baS auSgefprodjen ©innbolle auch
beS nicht eigentlich Gerechneten — turj, alle Sugenben ber fo*
genannten GerftanbeSpoeten bon SeffingS 5tf>nenfdt>aft her. 2tn
Seffing erinnert bie meifterljafte ©jpofition, an ber nicht baS
Äteinfte unb fc^einbar SRebenfächlichfte geänbert, meggetaffen ober
umgefteHt toerben fönnte, ohne ben Organismus beS SBerfeS ju
gefährben. 2BaS aber Montane gegenüber ©ntmidtungen, toie fie
ftarf refleftierenbe Siteraturtoerfe ber borrealiftifdhen ßeit meiftenS
gaben, auSjeichnet, ift bie Unabfidhtlidhfeit unb Unauffäöigfeit
beS in fich ßtoedooHen, baS erft hinterher als jtoecfooli betoufjt
toirb. @S ift fonjipiert unb gibt fich au $ t)er unbefangenen erft*
maligen SRejeption junächft als eine blofje finnliche ©egentoart,
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ein lebenbig SßirfticljeS, baS mof)l einen ©in« fjat, eine befonbere
$unftion im ©efüge, aber bergeftalt, bafi biefe erft aus bem finn=
ticf}=anfcfjaulicfjen ©tüdf ßeben, mit bem mir oertraut gemalt
merben, fid) ergeben, ftatt beffen Stnlafj unb ©orauSfepung ju
fein. ©S ift einer ber mefentlidfjften SBerte fontanifcfjer Äunft, bafj
baS ©emujjte, ißlanmäfjige, ©eorbnete erft im SBerben feiner
2öer!e fic£) auSmirft unb erft am ©emorbenen fic^ funbgibt, ftatt
if)r reinlid) ablösbarer, in gebanflicljer $ornt präejiftenter Ur=
fprung ju fein. ©emt§ fpielt baS reflejiüe ©tement audf) bei if>m
unb feinen ©eftalten eine grofje 9ftolIe, aber eS ijt bodj nid^t
Duelle unb $ernpunft beS ©ctjaffenS.
Saran mufj bei „@ffi ©rieft'' nodj einmal prinzipiell erinnert
merben, meit erft bamit ber ungemöfjnlid&e äftlietifcfje fRang biefer
geiftig tieffdfjürfenben Sichtung gemonnen mirb. Sachte man aus
bem Vornan alles fort, maS Montane über feine ißerfonen unb
biefe übereinanber lebiglidj §um ßmecfe ber ©erbeutftcljung beffen
jagen, maS fidt> burdfj baS lebenbige Safetn biefer SKenfd^en an
©reigniffen abfpielt unb an ©rfenntniffen auSmirft, fo bliebe bodfj
baS ©an$e ein SebenbigeS, aus fiel) IjerauS oerftänblid^. jJontaneS
2Jtenfcf)en mögen noct) fo gut in unb über fidj ©efcljeib miffen, er
mag ttodfj fo oft jur ©ad^e reben, üerbeuttidjen, erflären — baS,
maS feine ©efc^öpfe oon Statur aus finb, ift bod^ am ©nbe
ftärfer als alle fRebe unb Stnmerfung. ©eine reifen S33er!e finb
©aben ber Snfpiration, Sichtung im tieferen ©inn, mag bie SRe*
flejion an bem auffpriejsenben ©ebilbe ber unbemufjten ©mpfäng*
nis bann audj nodj fo reifen Slnteil befommen.
Sie ©jpofition ber „©ffi ©rieft" bietet baS befte ©eifpiel für
baS primäre ber anfcfjaulidjen ©Ijantafie in ^ontaneS reifer Sid)=
tung. ßnapp unb bodf) ungejmungen, mirb il)re finnltcf)e $ülle
nicf)t gebrüdft burcf) baS ©ebeutungSOotle, mie jumeift im realiftif<f>
intentionierten Srama ^ebbelS; baS 9Jatürlicl|e ift nur funftmäfjig
organifiert. ©dfjneU unb fidfjer mirb bie ©eftatt ber ©ffi mit
menigen ßügen umriffen. ©in paar ©riffe, ein paar Sinien, unb
ein lebenbiger äftenfdfj ftefjt ba. Sßictjt naturaliftifd^e ©ejd^icflid^feit
SBanbtet), gontane
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Vierter Icil. $ic cpi}ct)cn Spöttoerfc
in bcr ßufammenfteflung empirifcher ©eobachtungen feiert hier ihre
Triumphe — mie bla| unb fabenfdjeinig mirfen oft bie ©eftalten
ßota« — e« maltet bie unerlernbare, fdjlafroanblerifcfje Sicher¬
heit ber inneren Slnfchauung. 9tu« einer genialen bic^terifc^en In¬
tuition tjerau« ift bie ©eftalt ber Effi ©rieft geboren unb fteljt
gleich fo plaftifch unb roirftidj ba, baf* Montane fdjon jefct mögen
!ann, über feine ©eftalt ju fprecf>en unb fpredjen ju taffen, ohne
baf} ba« al« ein SRotbehelf, ein unumgängliche« ßuhilfefommen
ber Sfteftejion mirfte. 2Bir beziehen bie ©emerfungen im ©efpräch
ber grau oon ©rieft unb ihrer Xochter (Kapitel 4) unb be«
©rieftfdhen Ehepaare« (Kapitel 5) auf einen SWenfchen, ben mir
bereit« fennen, ein tebenbiger Umgang, ben nicht«, auch fcinfte
pfpchotogifche ©emertung nicht, erfefcen fönnte.
| tnfägticher 9tei£, bejmingenbe Stnmut geht oon biefer ent»
-H jücfenben ÜJtäbchengeftalt au«. 3ft e« nid^t fettfam, bah ge-
rabe gontane, für ben einer feiner feinften Äenner bon heut unb
ein dichter obenbrein ba« 9tlter at« bie ihm gemäfjefte ©tufe
bi^terifcher $tu«fpra<he, ber er möglichft fd^neU jugeeilt fei, be»
jeichnete, baf} gerabe er biefe flaffifche ©eftalt eine« finblichen
SEBeibe« bon emiger Sugenb gef Raffen hot? Effi ift übermütig,
aber nie altflug, ooß natürlicher Siebe unb Ehrfurcht, frifch» ge*
funb unb unfentimentat, ba« $inb ebenfo gefunber, frifcher, un¬
befangener, praftifch-meltläufig gerichteter üftenfdjen.
Stu« biefem Sharatter unb SBeltgefühl feiner ©eftatten meifj
Montane ebenfo rafdj mie überjeugenb bie ©ertobung Effi« mit
Snnftetten her$uleiten, ben Stnfang unb Urfprung aßen Unheil«.
grau bon ©rieft hot einft ihre Siebe $u Snnftetten, ber nun
um Effi mirbt, geopfert, ©eibe maren blutjung, unb blofee Siebe-
ift „ein papperlapapp" mie £>err bon ©rieft fagt, ber al« ßtitter-
fchaft«rat unb Eigentümer bon |>ohen*Eremmen bem noch nicht
jmanjigjährigen Seutnant Snnftetten ben ©ang ablief. Sntereffen
be« ©tanbe«, ber repräfentatiben ©erpflichtung entfehieben bor ber
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«»
2. @ffi «rieft 275
Neigung, bie borurn ttoc^ nicht ganj aus bem ©piet blieb. 2)ie
(5§e ber alten SörieftS ift eine gute, achtbare 2)urcbjcbnittSebe. (Sr,
öon auSgefprocbener Söon^ontie unb ein wenig friöol bei guter
Saune, gleich ftontaneS SSater, fteflt feine tjofyen Slnfprücbe ans
Seben, jufrieben, auf feinem märfifd^en Sefi^tum frei fdfjatten ju
fönnen, ftatt als Beamter ftänbig ben S3Ii<f nach oben rieten ju
mäffen, ein üßaturmenfdj, ber auch feine (Sfft als Staturfinb auf-
wa<bfen läfjt. Unb fie ^at ficb in ihren ©atten „gefunben", ift
aus angeborenem $eingefüf)I gegen jebe 93erfu<f)ung, jebe btofje
Sßünfcbbarfeit gefeit, bie baS Seben etwa noch an fie fjerantragen
fönnte, ein fjrrauentppuS, mie man ihn im beutfdjen Stbel am
bäufigften antreffen wirb, öon einem gewiffen feetifcJjen Äonfer-
oatiSmuS, ber in biefen Greifen fo überaus gut Keibet.
(SS liegt nafje, bafj $rau öon SSrieft bie Verlobung (Sffis mit
Snnftetten billigt, tro| beS UnterfdfjiebeS ber Satire, ©ie urteilt
oon ihrem Naturell aus, fieljt, einfach unb ehrlich, aber nicht eben
geiftig bifferenjiert toie fie ift, nur baS ©<f)i<flidf)e unb ©ünftige
ber SSerbinbung. 2)ie $rage ift bei ifjr unb bem alten Sörieft, ber
*ßrobtematifcbeS ein- für attemat mit ber agrarifcb geprägten StebenS-
art: „®aS ift ein toeiteS gelb" oon ficb fd^iebt, ja auch bei (Sfft,
bie hierin ganj ben (Sttern gleicht, nicht: fotl fie ifjn heiraten?
fonbern: warum foH fie it|n nicht heiraten? 2Jian banbett nach
befter (Sinficbt, jeber feiner Statur gemäfj, jeber bat recht, unb alles
fd^eint in befter Drbnung. Stber es fcfjeint eben nur. getane 9^t
baS SDiöglicbe unb Statürtid^e ber Verlobung, jugleicb aber audj
ihre Sßroblematif, aus ber ber Äonflift erwachen fofl. Ot)ne auf-
bringlicb ju interpretieren, läjjt ber ©timmungSgebatt, ber pfpebifebe
Stfforb ber einteitenben Äapitel feinen Stugenblicf barüber im
^weifet, bafj ein äKijjgriff gefd^ietjt. SBir werben in ber jebein¬
baren $eiterfeit ber Vorgänge umfangen öon einer latenten Xragif.
(Sine Süß® Keiner ßüge unb ©jenen macht es überaus fdjwer,
-(Sffi öerbeiratet öorjufteüen. Stod) baju mit Snnftetten. ,3)enn
Snnftetten ift ein Sormetmenfdf) unb (Sffi eine Keine pf>antaftijcf)e
^ßerfon, ein Urciluftfinb. (Sffi gleicht einem SGBefen im Staturftanb,
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276
Vierter Seil. Sie epifdjeu Spätioerfe
für baS Drbnung in betn ©inn, tote mir fte als ßentralbegriff
ber bürgerlich realiftifc^en Sßelt, als gentrum bcS fontanifdjen
SebenSgefühlS unb als geiftigen |>auptnerö feiner Stomanfchöpfungen
nadhgemiefen ^aben, noch gar nicht ejiftiert. ©ie ift ntenfcpdje
SBerförperung einer 2>af einSform üor atter fokalen Drbnung unb
(Sinorbnung; i£)r SBemufjtfein oerläuft in Greifen, bie foldfje nod)
gar nicht benötigen. (Sine (Sjiftenj, bie als ber eine Pol ant
meiteften oon $ontaneS feelifchem §erb abliegt.
S)er anbere Pol ift Snnftetten, ber DrbnungSntenfdh par
excellence, aber nicht im guten, pofitioen ©inn. 3hm bebeutet
Drbnung nicht mehr gefüllte, jugleidfj eigene unb überperfönlicfje
©efeplichfeit, fonbern nur noch äujjereS ©ebot, baS er refpeftiert,
meil fich baS fo fdjidt, um beffen lebenbigen ©inn er aber nicht
mehr meif}, unb nach bem er auef) nicht fragt. (Sr hat im Sßalbemar
ber „©tine" feine SSorftufe, ift 51uSlIang unb (Snbe ber fontanifchen
üDtenfchenmelt, mie $8otf)o, £ene unb bie pittellom bereu SJiitte
finb; nicht nur feinem SBemf nad) ein 23ureau!rat, ein preufjifdher
ßanbrat mit Elften* unb gormelbeljang — er fönnte trofcbem
ma§r|aftig lebenbig fein, gleich ©ibeon graule —, fonbern feiner
Paragraphentätigfeit antmortet eben leiber auch eine Paragraphen*
feele, menn man ben ÜtuSbrudf, eigentlich eine contradictio in adjecto,
geftatten roiü. SBarunt bleibt biefer oorjüglidhe Beamte, ’ bem
niemanb etmaS nadhfagen fann, bem alle mit Verehrung unb $odh*
achtung begegnen, bocfj im ,©runbe fo unerquidlid)? Sturmeil ihm
bie menfd^liche ©üte, baS eigentlich ßebenbige, baS SJtenfch mit
SJtenfchen SBerbinbenbe unb gortmirlenbe fehlt. 3n ihm überlebt fidh
bie DrbnungSmelt gontaneS, mirb fragmürbig in felbem äJtafje,
afö fie aus bpnamifdher ©efeplicfifeit fich m mechanifdhe ©apmtg
gemanbelt h<d.
iT^ffi ift in Äeffin aus ihrer oertrauten Umgebung hcrauSgeriffen,
unter frembe äJtenfdfjen, in ein neues SJtilieu hineingeraten.
3c fefter ihr SBefen im ^eimatboben murmelte, um fo fchmerer
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2. (Sffi Söricft
277
finbet fie fid^ in baS Sßeue, mehr noch, eS bebeutet eine Unmöglich
feit für fie. Sine blofje Statur, wirb $eimatlofigfeit ihr Schief=
fal; fie öerfümmert unb irrt fcfjliepd) ab, fann, üflan^enhaft, aus
bem heimatlichen üftäljrboben geriffen, tro| pflege unb Sorgfalt
nicht mehr recht gebeten. Sie bleibt fremb in Äeffin, fremb im
eigenen §aufe. Senn Snnftetten ift bei aß feinen ©orjügen nidht
ber HRann, fich in ihre ©ebrängniS h' ne ^ rt d u P^ en *
SKeifterlich h at Montane fd)on ben Son ber ©riefe getroffen,
bie fie oon ber itatienifc^en §o<h§eitSreife nach $auS fenbet. 2Bie
fteht ba baS SBichtigfte unb (Eigentliche jwifchen ben feilen, toie
offenbart fief) Montane wieöer, unb hier, wo baS Schreiben zugleich '
bie Schreiberin gegen ihren SGBtUen djarafterifieren foß, fo recht
am notwenbigen $ta£e, als Sichter beS berebten ©erfdjweigenS!
Solche ©riefe gehen bann oft oon Äeffin nach $ohen*Sremmen
unb fdjaffen, ju b?m feetifch=pfhchotogifchen Sut, baS fie mit fich
führen, eine glücfliche, immer wieber einmal aufgenommene Sr=
innerung unb ©erbinbmtg mit ber wahren Heimat ber $etbin,
bie fie nie hätte oerlaffen foßen unb $u ber ihr SBeg erft nach
Srrtum unb unheilbarem ßeib als bem einzig bergenben |jafen
gurücflenft.
Ser erfte Äeffiner Seit beS SftomanS, ohne äußere ©ewegt*
heit, enthält in ber Schitberung ber Snnftettenfdfjen Slje bie
tieferen ©orauSfe|ungen ber fpäteren Sntwicflung. Sie latente
Sragif wächft merllicf) an, ber Segenfafc jwifd^en Sffi unb Sun*
ftetten, bislang nur angebeutet, wirb im täglichen ßofammenleben
beiber ganj ftarf fühlbar. SS fehlen in biefer probtematifchen She,
Wie in „ß’Slbultera", „Steile", „Errungen, SBirrungen", bie
tieferen Seelentöne einer fdjönen Semeinfamfeit. Sie innere ßeere
wirb ‘nur berbeeft burch bie tabeltofen formen beS Satten, bet,
immer Äaüatier, auch gegen Sffi eine löbliche Siftanj Wahrt, bie
im gamitienteben 0 ft berloren geht, aber eben nur Äaüalier ift,
juoorfommenb ohne rechtes 3 utrauen r liebenSwürbig ohne rechte
ßiebe. Sffi, bereu $ufdjigfeit unb Äinblichfeit manchmal oon fern
an Ääthe Sftienäcfer benfen liefje, bie batbrige Sattin ©othoS, ift
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278
Vierter Steil. 2)ie eptfdfen ©patroerfe
/
bag märmefpenbenbe Element. SRid^t $ule$t bleibt bag freilich ber
epifd^en Kunft gontaneg ju oerbanfen. SDie Dbjeftioität ber 2)ar*
fteüung, bie fo gern mit Kühle oermechfelt mirb, ift in biejen
Partien burd^pulft oon bem tiebeooÖ oerftehenben unb nachfühlenben
|>er$ beg $>idhterg.
©o fehr e§ bei biefer feelifdfjen ©etailfdhilberung 00 H feinfter
Nuancen auf bag ißfpchologifche anfommt, Montane oerliert fich
bodfj nie mehr ing Slbftrafte, forfdjerlich Dbjeftioe, mie im ,,©<f|ach
-oon SButhenom". ®ie $arftellung ift gan$ feelifd) burdjglühte,
fümtidf^epifche ©egenmart; Keffin gibt eine nieberbeutfdj==!feinftäbtifdje
Szenerie oon fräftigem, atmenbem Kolorit, für bie gontane bie
rechten Farben in ber Belebung jener heiteren, frütjeften ©inbrüdfe
oon ©minemünbe fanb. Ü0lan fpürt bie üftähe ber „Kinberjahre",
beren Slbfaffung mit „©ffi ©rieft" zeitlich jufammenfäHt. Unb bie
©(^ilberungen oon ßanb unb ßeuten finb nicht rnetjr felbftänbige
Komponenten mie noch in „Steile". 2)ie natürliche $enben$ beg
Stomang alg bid^terifd^e gornt, bie $enbenj jur Slugbreitung nach
allen ©eiten, oermä£)lt [ich in „©ffi ©rieft" einer eigentümlich
bramatifcf)en ©eroegtfjeit. 3ft “,©or bem ©türm" ganj ein SBerf
ber Slbbition, fo möchte man „@ffi ©rieft" ein SBer! ber ÜRulti*
plifation nennen. $)ag ©£tenfio*©pifcf)e ift geloben mit einer
Sntenfität, bie unmillfürlich an ©pannung unb Sluftrieb ber
bramatifrfjen gorrn benfen läjjt.
Montane §eigt oon ber Keffiner ^onoratiorenfehaft unb oom
Sanbabel nur fo oiel, alg jum ©erftänbnig ber ©ffi* ©eftalt nötig
ift. Sill biefe äftenfdjen haben gemifs ein runbeg, felbftänbigeg ©igen=
leben, aber fie bleiben bodfj merflich ber Stomanmitte, ber feelifchen
©ntmidlung ber „©ffi ©rieft" jugemanbt. Unb baburdh fommt
eine Komprimiertheit juftanbe, bie bie ßebengbicfjte ber „Errungen,
SBirrungen" noch übertrifft. Studh bag fd^einbar Sßebenfädjlichfte
mirft nicht mehr alg millfommene Zugabe, ©ibonie oon ©rafenabb
unb bie Srippelli, Sllonjo ©ieghübler unb Stogmitha finb im
Keffiner S)afein ©ffig ebenfo midhtige ©lemente unb SBirfungen,
mie §ulba ÜRiemetjer, ©ertha unb |>ertha~ttnb bie ©Item in ber
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2. gffi »tieft
279
fjohen=©remmener Sphäre, (Sie mobeüieren mit an ber ©eftalt
ber $elbin, finb unentbehrliche ftaftoren beS StomonS. deiner ift
fo auSfchlieftiidh um eine ©eftalt friftatlifiert, felbft „<Schadh" unb
„£'5tbuttera" nicht, benn ba fonnte bie formenbe Äraft Montanes
mit feinem SBißen nodh nicht gleichen «Schritt halten.
3u ©ffi unb Snnftetten treten jwei ^ßerfonen als ©egenfpieler,
ber Stpothefer Sllonjo ©ieShübler unb ÜJtajor öon SrdmpaS.
©ieShübler beherrfdfjt ben erften, ©rarnpaS ben jweiten ^eit ber
Äeffiner ßeit; beibe finb SPtarfpunfte ber inneren SBanbtung, bie
©ffi burdhmacht.
©ieShübler ift mit Stecht eine ber beliebteren ©eftalten ber
fontanifdhen Stomanwelt geworben, ganj StuSbrucf jener tapferen
unb gütigen SDtenfdhlidhfeit, bie burch ein ferneres ©dhieffat fich ju
ooöem Verzicht unb jur £5E)e reiner Betrachtung hinaufgeläutert
hat, ohne baft ihm bie SGBelt barüber jum Sammertale geworben
wäre, ©in SBeifer, ber ohne weljleibig ju fein, baS ßeib als beften
Vertrauten fennt, weltgläubig^fromm wie Montane felbft, ber auch
burch Kämpfe unb $weifel fich immer wieber burdhrang unb ben.
heiteren ßebenSglauben nicht finfen lieft. $e auSgefprochener „@ffi
Brieft" baS bewegte ©prnbol foldher Kämpfe unb ßweifet barfteUt,
um fo wohltuenber geftt bie ©eftalt beS {leinen Berwadhfenen als
guter ©eift burdh ben ernften, fragenfeftweren Stoman. ©r fann
in rüftren b ^örtlicher, fchüchferner Verehrung ber jungen $rau für
baS ©rfafc bieten, was, ihre ©he fie permiffen läftt, &n,flucht fein.
Wenn bie ©ehnfudjt nach |)ohen*©remmen immer oon neuem fidh
einfteöt. Slber freilich vermag er nicht bauernb feine fchüjjenbe
§anb über ihr Sehen ju holten, baft inftinftio jebem äufteren ©in-
fluft erliegt. Sie „wirb öont ©cfiitffal geformt, ftatt ihr ©djicEfal
©ffi fdjeint bei ihrem Befudjj in f)ohen=©remmen noch ölte,
als wäre fie noch immer hier 5« |)auS, als wäre fie ein Saljr
in Äeffin ju Befuch gewefen. ®ann aber wenbet fidh &oS Slott.
3hre SKutterfchaft hot fie öeränbert, ihr $ang $um sparten,
Sntereffanten fixiert fidh, wirb fidh ihrer weiblichen Steije be-
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280 Vierter £eil. 3)ie c^ifrfjcu Svättoerlc
mufjt. 3« biefe Situation trifft ©rarnpag hinein, ber neue Sanb*
mehrbeäirfglommanbeur. ®r ^at fo gar nichts bon einem £)rbnuncj£*
menfdfjen unb berfteljt ficf> anfeheinenb fo biel beffer alä 3nnftetten,
ber ÜJiann ber ©efefclidhteit, auf ©fffg %rt. „Slft ufi benn alleg fo
furchtbar gefeplich fein?" fragt er gelegentlich „Me ®efe|lichteiten
finb langmeilig," unb belennt ein anbermal: „28er gerabe ge*
madhfen ift, ift für ßeicf)tfinn. Überhaupt- ohne £eicf)t[inn ift bag
gartje ßeben leinen Sdfjufj Sßulber mert."
Montane f^ilbert nun im ©egenfafc $u „Errungen, Söirrungen"
bag langfame §inübergleiten ©fftg.ju ©rarnpag. Tort liegt, beut
■ftooetlencharatter beg 2Berfeg gemäfj, eine breite Äluft jmifchen
bem Mfd^ieb 93ot^oS bon ßene unb bem Sluftauc^en ©ibeon
ftranleg. Montane füllt biefe Äluft nicht, gibt Tatfachen ftatt ©nt*
toicflungen, Mgfdhnitte, tQpifc^e äftomente, ftatt ben Stoff in boller
SBreite rotnanmäfjig augaumünjen. 3n „@ffi 33rieft", too bie eine
©eftatt ben einen ^muptaljent trägt, märe ein foldjeg Verfahren
nicht ftatt^aft gemefen, unb fo leitet benn eine gan$e it)e forg*
. fam geftufter Svenen, meift Seelenmonologe unb ©efprädfje, bie,
fo pftydjologifdj beredjnenb fie an fi<h auch finb, bod^ immer jmang*
log aug ben ©^aralteren unb Situationen ertoadjfen, in fteter
Steigerung ganj allmählich ju ber entfeheibenben Schlittenfahrt.
2$on ihr gilt bagfelbe mie bon ber oft beanftanbeten Sßatmenljaug*
fjene in „S’Multera": eg gibt leinen „Befall" atg notroenbig be*
ftimmenbeg üKoment bei Montane. Sang SSorbereiteteg mirb burdh
Situationen, bie ber ßufall heranführt, lebiglich auggelöft, fie finb
äufeereg SWittel, nicht unumgängliche SBoraugfebnng beg ©eftattungg*
berlaufeg. ©ffi märe ©rarnpag hoch üerfaßen, menn and) jene
$af)rt nic^t ftattfänbe. Tag eigentlich ©ntfeheibenbe liegt bor biefer
Sjene, fpiett atg feelifcfje ^anbtung in ©ffi, bie ohne 3*h^ e ü
ift ju läntpfen unb fiefj ju behaupten, über bie bag Verbotene
Stacht belommt, meit eg lodlt, ihr Temperament anfpridht, ohne
barum leibenfdhafttidh begehrt ju fein.
Tie 2ftenf<hen finb unb bleiben bag SSefentlicfje bei fjontane,
bem SSegebnig unb §anblung fidh untetforbnen. 2fa<h in „©ffi
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2 . Sfft »tieft
281
©rieft". äKatt wirb faurn eine @^e6ru(^ggef^t^te finben, in bet
eg fo bejent |etget)t; ober eg ift üertefert, ben Montan beghalb ju
loben, wie eg oft gefdjetjen ift, ju meinen, Montane tjabe gemilbert,
berfc^önert, ben, ad), fo beliebten „©dreier" ber Dichtung über
bag empirifdj Unerfreuliche gebreitet. ©olche ©dreier gibt eg für
ben realiftifd^en Zünftler nicht. 2Bag man in „®ffi ©rieft" alg
anftänbig begrübt hot, ift burch bie ©igengefefclichfeit beg Sßerfeg
geforbert, nicht ein ©elieben fjontaneg, ein ©ntgegenfonutten gegen*
über zweifelhaften ©efchmacfganfprüchen beg großen ©ubltfumg.
SBie fügt fich hoch bag £)igparatefte feiner SDarftellunggfraft! ©ffi
unb bie SSitwe ^ittelfow finb mit gleicher Sicherheit geftattet,
Slnftänbigteit unb Unanftänbigfeit wohlweife, mit fünftlerifdjer
Stbfidft unb ohne moratifchen Klüngel »erteilt, wie unb wo eg
bon ber befonberen Aufgabe geforbert wirb.
$ag 2ob ber 2)ezenz in „ßffi ©rieft" tonnte fich nur auf
bie 0Jotwenbigteit grünben, mit ber biefe ganz meifterhafte 9lrt
inbirefter 2)arfteHung burch ben ©ang beg fRomang, bie pfhdjo-
logifdje ©ntwidlung ber ©ffi=©eftalt, nicht nur gerechtfertigt ift unb
glüdlid) gewählt, fonbern burdjaug geforbert erfcheint. Montane
hat bie ©djitberung beg @h e ^ ru ^ § i» „@ffi ©rieft" nicht über¬
gangen, benn eg war nur fein SReflej im ©ebaren ©ffig zu geigen.
Sn ihrem £mt unb Sieben fpiegett fich, immer teife unb in
abgetönten ©raben, auf ihren ©timmungg* unb ©ewiffeng-
Zuftanb bezüglich, ber ©erfehr mit ©rampag. —. ©ewife ftettt biefe
©ubtitität auch ber ©ornehmheit beg fontanifdjen ©mpftnbeng bag
aüerbefte ßeugnig aug; aber an fich mürbe fie fehr wenig be-
beuten, ©in oornehmer 2Renf<h bleibt immer ein unzureichenber
2)id>ter, wenn er nur menfchlich tüchtige ©igenfdjaften befifct. S)ag
eigentlich SBBertöoUe liegt in ber unlöglid)en 2)urchbringung öon
Sch unb S33erf, SCBiUen unb fjorberung, Sorm aab ©e^alt. Wie
fie „©ffi ©rieft" aufg höchfte augzeichnet unb auch bei geborenen
Äünftlern eben nur in fettenen ©tunben fidh einfteUt.
Montane weife ganz glaubhaft za machen, wie ©ffig jeher ©er-
fteUung frembeg SCBefen fich ia bern Stugenblid ing ©egenteil oer-
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282
;
Vierter Seil. Sic epi)cf)eu Spätiocrfe
lehrt, mo eS etmaS ju üerbergen gilt. „Ratürtidf)" bleibt fie aber
auch je|t nodj. Sin burchauS naiüeS Raffinement ermöglicht iljr
manches oerbotene ©teflbid)ein, ohne bafj ein ©djulbgefüht in ihr
aufläme. ©ie läfjt fich treiben, weit fie nichts änbern fann unb
nidjtS_änbern miß. Unb mit bem eigentlichen ©dhulbgefüljl fehlt
ihr auch jebeS Verlangen nach ©elbftrechtfertigung. ©ie fieht,
echt fontanifdh, aßeS !lar, befdhönigt nichts, unb nur Stngft ift in
ihr. $lber SrampaS fdhreibt: „2)u mufjt bidh nicht um alles fo
bangen. SSir hoben auch c ^ n Rech*- Unb menn bu bir baS ein»
bringlich fagft, mirb, benf ich, oß e 3fur<ht oon bir abfaßen. 2)aS
Seben märe nicht beS SebenS mert, menn baS aßeS gelten foßte,
maS jufäßig gilt. 9lßeS 83efte liegt jenfeitS baöon. Seme bidh
bar an freuen." SBenn baS aßeS gelten foßte, maS jufäßig giß,
bie SBerte, bie ber orbentlidhe 3nnftetten oertritt! ©ie meifj !aum
oon biefen SSerten, bie ßrampaS als ^ajarbeur beS SebenS mißent»
lieh brüsfiert! Unb boef» finb beibe in ihre ©eltung einbejogen,
jenes thrannifierenbe ©efeßfdhaftS»StmaS, baS ihm „ßufaß" hei|t,
ihr nur eine SDenfbarfeit bebeutet, ihrem 33lute fremb. 5llS 3wt»
ftetten nach Berlin oerfe^t mirb, fdhreibt SrampaS benn audh:
„3dh bin aufjer mir, ünb nur barin h a ft recht: e§ ift bie
Rettung, unb mir müffen fdhliefjlidh hoch bie |>anb fegnen, bie
biefe Trennung über uns oerhängt."
SS ift einer ber fdjönften Stugenblicfe beS 33ud)eS, menn 3nn»
ftetten Sffi feine Berufung ins ÜRinifterium mitteilt, bie ihr mie
eine Srlöfung erfdheinen mu|, ein Reichen, bafj fie nodh auS aß
bem h^auSfann, maS miber SBißen über fie !am, unb nun plöfc»
lidh eine Riöglidhfeit aufleuchtet, bafj beibe in SSefenntrtiS unb
mirflidhem Rerftehen fidh finben. Stber mie SffiS Slbirren gerabe
aus ihrer Raturhaftigfeit heraus bem ßufaß, bem ©dEjicffaf, ber
©timmung tief oerhaftet bleibt, fo ift auch ih r h a I&eS ©eftänbniS
nur eine SBaßung beS SlugenblicfS. ©ie fühlt fofort mit inftinftioer
Sicherheit, bafj fie biefem Rtann nichts geftehen barf, meit er nie
begreifen mürbe, ©ie bleibt jur Rerfteßung oerurteilt, meil in ihrer
Sfje für menfchlidh fdhöneS Söelennen unb SUerjeihen !ein Raum ift.
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2. GSffi Söricft
283
@ 0 Reinheit benn bet öierte £eit beg SRomang, in bern bet
©chauptafc nach Vertin üertegt wirb, öon bem, wag an
©Iü(f in folget ©he möglich bleibt, ©ie gemahnt an Vottjo nnb
®ätf)e SRienäcfer, nur bafj bie Ütotten öertaufdjt finb:, Snnftetten
bet ßufriebene, bem nichts fef)tt, unb ©ffi bie öon ©rinnetung
Veunnthigte. 5lber fie ift nun bem unerträglichen ©inertei Äeffing
entrüeft; in bie neue Umgebung weifj it)t munterer ©inn fich öiet
leidster unb ^wangtofer ju finben; bie Vergangenheit öerbtafjt öon
Saht ju Saht, öertiert ihren quätenben 2)ruct. SDernt ©ffi büfjt
auch m ^Berlin if)ee Siaturhaftigfeit nicht ein, unb SRatur pflegt
fo gern nur im (Gegenwärtigen fich augjubreiten, unbetümmert
um Vergangenheit unb ßufunft. ©o üerftiefjt 5of)r ouf Saht.
Snnftetten hot bie beften Stugfichten auf eine hotK friere, ©ffi
ift ber fjreunbfchaft ber jungen üüiinifterin gowürbigt. Veibe
teben fich mehr unb mehr ineinanber ein. ©ffi benft faum
noch an bag, wag oergangen ift, wag öergangen fein folt,
wof>t einmal SBirflidhfeit war, aber weit weg, wie auf einem
anberen ©tern.
Sßürbe nicht ein Romancier ber nachfontanifdjen (Generation
ben 0toman oietteidht nur big ju biefem fünfte geführt unb auf
biefen $bf<htuf 3 einen oornehmlichen ÜRadjbrucf gelegt hoben? ©in
Slbfchtufj etwa, wie ihn Montane fdjeinbar felbft in „Errungen,
Sßirrungen" bitbet, ohne Äataftrophe, mit einem ©icfjöergteichen
ber ©egenfä^e? $>ag Sebenggefütjt biefer neuen (Generation füllte
fich ja ben etlichen Verbinbtid)feiten ber älteren $eit nicht mehr
öerpfti-htet unb hätte bag ©ujet ber ,,©ffi Vrieft" in einer SBeife
burchbringen fönnen, bafj eine ganj anbere (Gefinnung aug ihr
fpräche,' ber ©taube etwa, bafj Jeinegwegg fid) alle ©djutb auf
©rben räche unb bag Seben trofcbem feinen guten unb fruchtbaren
©ang weiter gehe.
- ^ontaneg auggeprägte ©erföntichfeit bleibt biefen naturatiftifchen
ÜDtögtichfeiten fern. Snbem er aber bie neuen $orberungen unb
Slugbticfe, wiewoht fie feinem innerften SCBefen fremb fein unb
bleiben mufjten, hoch in fein SBerf einbejieht, wirb biefer tefcte
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284
Vierter 2cil. Isic epiftf)cit Spätrocrlc
Xeit beS SRomanS jurn ragenbett ©ipfel, bon tragifd^er ©timmung
umtoef)i, bie erft ben regten ©inn be$ ©anjen enthüllt.
©djon bie ftarfen $lf$ente, mit benen bie furjen DftüdEblicfe
nad(j Äeffirt auSgeftattet finb, taffen feinen Stugenbtidf barüber im
ßmeifet, in melche fltidjtung biefer ©inn be$ SBerfeS jiett. 2)ie
eigentümlich taftenbe ©efamtatmofphäre ber „®ffi Srieft" fteigert
fid^ in bem fdjein&ar auf gtüdtiche Söfung hinarbeitenben berliner
Seit ju einer 3ntenfitüt, bie bieSataftrophe mie eine mitlfommcne
Söfung beS banernben fchmüten, behaltenen 2)rucfe$ empfhtben
tö&t. Sßeldje SBirfung mirb, auf ber $erbftreife nach Sügen,
ganj ungefudjt au$ bem Umftanb gezogen, ba| ein 2)orf jufäUig
„ßrampaS" ^ei|t! Unb erft, menn @ffi, in $of)en*©remmen auf
Sefuch, fpät abenbS allein am fünfter fifct unb jum monb-
befdhienenen ©arten f)inunterfief)t mie Sene einft in $anfel3 2lb-
tage über bie nächtliche f^tu^tanbfc^aft in ©rmartung 83ott>oä unb
bollem ©efühl ihres ©lücfS! Speicher Stbftanb im feelifdjen ©e^att
ber beiben SBerfe. 2)ort - ©inflang unb Stufricfjtigfeit, Sßiffen,
flareS ©treben, millentliche Sefchränfung; f)ier Unfreiheit, Ser-
ftettung, plantofeS ©etriebenfein, ein Seben ohne feften ©runb unb
rechtes $iet. ©ffi meift mie Sene in fid) Sefcheib, beibe finb fon-
tanifch mit natürlichem $>rang jur ©elbfterfenntniS auSgeftattet.
Slber metche ©egenfäpe bedft biefe ©infehr auf. Sene mar jebe
Stnmanblung bon SReue fremb, fie hanbelte aus, einem feften Ser«
antmorttichfeitSgefühl h erQ u2., ©ffi fühlt fich boti einer ©chutb.be-
x laftet, ibie hoch mieberum als feine u$te ©d^utb empfunbeu nnrfe.
Unb mie fönnte eS anberS fein, ba audh fie „ihrer ÜRatur folgte“,
freilich nicht aus freiem @ntfcf)tujj mie Sene, fonbern iitftinftib,
mit ber unftaren Sorftettung, bafj irgenbmetdhe ©ejefce, betten auch
fie unterteilt fei, baburdfj bertefct mürben. „SCßenn alte SBeibte fo
finb, bann ift eS fchrecflich, unb menn fie nicht fo finb, mie\ch
hoffe, bann fteht eS fc^led^t um mich, & Qnn $ tfmaS nicht w
Orbnung in meiner ©eele, bann fehlt mir bas richtige ®efüf)t.i
Montane tenft ben inneren ©ang beS SBerfeS mit fidjerer
£>anb. Studh flüchtig fann nicht bie Meinung auffommen, eS mürbe
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2. CSffi trieft
285
et^ijt^eit SRelatiöitäten ba§ SBort gerebet. ®ie SafiS, auf bcr bie
gesamte fftornanmelt fJontaneS fteht, gilt auch für „@ffi Sörieft",
uuter mie ftarfen (Srfchütterungen auch immer. $)ie Äataftrophe
Iäfjt nicfjt auf ficf» märten.
Söieber ift baS ftofftidf)e SJiotio angefochten morben: bie @nt=
becfmtg ber (SrampaSfchen ©riefe in ©ffi§ üßähtifdfjchen burdf) 3nn=>
ftetten. Söieber mit Unrecht. 3)enn täfjt nicht gontane bie ©eheim*
rätiu ßmicfer, bie bebenfliche ©efä^rtin @ffi3 beim Sabeaufenttjalt
in @m3, an eine greunbin fd^reiben: „@3 ift unglaublich — erft
felber fettet Mb ©riefe fd^reibett unb bann auch noch öie be$
anberen aufbemahren! SEBoju gibt eS Öfen unb Äamine?" (Sffi
ift eben nicht bie ßmiefer unb biefeS Stufbemahren ber ©riefe ein
mohlgelungener Sharafterjug, ber ih.r unbebautes, naiüeS SBefen „
aufs neue beleuchtet unb beftätigt. ®enug, bah baS 2Kotiü möglich
unb nicht unmahrfcheinlich mirtt. Montane hotte noch „eine äftenge
anberer (SntbedEungen im Vorrat. 5lber icf) höbe nichts baoon
benufct, meil alles menig natürlich mar." @S fommt nur barauf
an, maS biefer mechanifche £>ebel ber ©efdfjichie on innerem orga=
nifchen ©efchehen auStöft.
^r\amit ftttb mir in unferer Stnalgfe bis jurn ©efpräch 3mt*
r<*J ftettenS mit ©eljeimrat SBüHerSborf oorgerüeft. @S ift, fo*
meit ich fehen tonn, bie größte ©prechfeene beS beutfchenlftomanS.
3hte ©ebeutung liegt in ber nach Sßräjifton -unb (SinbrudE un*'
überbietbaren Slrt, mit ber hier bie ©runbfeften eines ganzen,
geiftigen ßeitalterS, ber fontanifchen, reatiftifchen 2BeItanf<hauung
gezeigt merben, unb gleichzeitig ihre (Srfdfjütternng, bie. baS be*
fonbere ©horafteriftifum beS ®fft ©rieft*fltomanS ift.
Snnftetten fieht fich plöfclich oor bie (SntbecEung ber Untreue
feiner ^rau gefteöt, feine moht abgejirfelte SEÖett erfährt einen
unheilbaren ©tofj, ber ihn zu tiefft aufrütteln muh, menn anberS in
ihm, beffen ©afein unb Xun in oorgefchriebenen Sahnen, in über»«
nommenen Meinungen oerläuft, überhaupt noch ein $nnfen mahr««
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286
Vierter Seit. Sie epifetjen Spätioerfe
haften ßebenS fteeft. — Stber nun geigt fiep: er bleibt au<p jept,
obgleich unerbittlich über baS SReinen ber anberen unb ber ?M*
geiuein^eit auf fiep felbft, auf fein perfönti<peS, urfprüngticpeS ®e*
füt|t berwiefen, bleibt auch jept noch biefer SEBelt btofjer £)rb*
nungen, beS leblos geworbenen $erfommenS überantwortet. ©S
wirb nichts in ihm taut, als bie gebieterifche fjrage nach bem
©ntfepeib feines perföntiepen SEBoptS unb SEBepeS an ihn herantritt,
weit nichts in ihm ift. Unb biefe ßeere fann ihm jept erft als
fein .©epieffat bewufjt werben, mufj ihn, bei immer junepmenber
$tarpeit barüber oergewiffern, baff er „nie gelebt put", wie SbfenS
Srene fagt. Sluep hier wacht ein Xoter auf, ber für einen ßebenben
galt, fich für einen ßebenben hiett.
2ttS Snnftetten SCBütterSborf bittet, bie gorberung an SrampaS
ju überbringen unb fein ©efunbant ju fein, antwortet biefer:
„,$üpten ©ie fiep fo bertept, beteibigt, empört, bafj einer weg muff,
er ober ©ie? ©tept eS fo?‘ ,3<p weifj eS niept/ ,©ie rnüffen eS
Wiffen.‘" Unb nach einiger $eit ertennt unb befennt er: „ÜRein, fo
fiept eS niept." @r ift opne jebeS ©efüpt üon §ap ober gar, bon
©urft naep 9tacpe. 9?ur StJienfepen, bie ipr ßeben wirftiep teben,
ftnb folcper ©efüpte fäpig. @r ift fiep felbft junt ©rop in feinem
„tepten ^erjenSwintet jum SSerjeipen geneigt“, benn opne reepte
ßiebe, fann er auch baS SSergepen (SffiS niept atS unfüpnbare per*
fönlicpe Äränfung empfinben. Unb tropbem fiept er feine SJtögticp*
feit als ©uett unb ©Reibung. „9J2an ift niept nur ein einzelner
üötenfep, man gepört einem ©anjen an, unb auf baS ©anje paben
Wir beftänbig Ütüefficpt ju nehmen, wir finb burcpauS abpangig
bon ipm ... ©en, ber einem baS ©tücf genommen pat, ben brauet
man niept notwenbig aus ber SEBett fepaffen. üttan fann ipn, wenn
man weltabgewanbt weiter ejiftieren Witt, auch taufen taffen. Slber
im ßufammenteben mit ben üüienfcpen pat fiep ein (StwaS gebitbet,
baS nun ’mat ba ift unb naep beffen Paragraphen wir uns ge*
wöpnt paben, altes ju beurteilen, bie anbern unb uns felbft. Unb
bagegen ju berftofjen, geht niept."
©aS ift tieffter fontanifeper ©taube, aber jugteidp bon unfiepem
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{
i
2. @ffi SBrieft
287
Sintern umfpielt, meit Snnftetten eS auSfpridht. 2)aS VefenntniS
ber DrbnungSmelt auS einem Munbe, ber nur noch einer tönenben
Stelle gleißt. @2 ifi nur folgerichtig, ergreifenb fonfequente Sn«
fonfequen$, menn SßütterSborf auf baS Vecht ber „Verjährung"
hinmeift unb Snnftetten fo meit überzeugt, bafj biefer gefteht:
„Vor fedhS ©tunben, biefe Äonjeffion mitt id) ihnen machen, hott'
ich & ag ©piel «°$ i« ^ er tonnt* ich «och & ag e me «nb
baS anbere, ba mar noch ein SluSmeg. Sept nicht mehr, jefct ftecfe
idh in einer ©acfgaffe . . . Sch ging ju Shnen unb fdfjrieb S^n
einen Bettel, unb bamit mar baS ©piet auS meiner £>anb . . .
SBeit biefer Mitmiffer ba ift, fann ich nid^t mehr jurtid." 2öa3
bleibt ju tun in einer Sßelt, in ber bie Menfdjen leblofe Marionetten
am 2)raf)t einer plumpen, bummen ®cn»ention gemorben finb?
„3)te SBett ift einmal, mie fie ift, unb bie SDinge »erlaufen nicht
mie mir motten, fonbern mie bie anbern motten . . . Unfer
(ShrenfultuS ift ein ©öpenbienft, aber mir müffen uns ihm unter«
merfen, fo lange ber ®o|e gilt."
2)a3 ift ihrer SßeiSheit lepter ©d)lup. SöaS miffen bie beiben
Minifterialräte baoon, bafj ihr „©öpenbienft" einmal lebenbiger
Mengen innerfter $em, mirflichfteS Seben mar?
Stber audh ihnen fann menigftenS bie Stimmig ihrer f chatten*
haften ©jiftenj, ber (Srftarrung jebeS gefunben (SmpfinbenS nicht
gang »erborgen bleiben. SllS (SrantpaS mit munberooller ©efafjtheit
geftorben ift, gleichgültig gegen baS $)afein, in bem er hoch fo
gern »ermeilte, mit einem fchmerjtichen Sädhetn, als roollte er jagen:
„^ßrinjipienreiterei, lieber Snnftetten, ©ie tonnten eS mir erjparen
unb fi«h felber audh", ba fchreibt SöütterSborf, ber in Äeffin jurücf*
bleibt, um alles $u orbnen, einen Vrief an Snnftetten, in bem bie
SBorte ftehen: „(SS märe ju münjehen, bap eS mehr ©ieShübler
gäbe." Unb Snnftetten fetbft, obgleich ö0 « ^r Vichtigfeit feines
|janbelnS überzeugt, grübelt unb grübelt: „(SS mujj eine Ver¬
jährung geben, Verjährung ift baS einzig Vernünftige . . . SEBenn
ich bie Vriefe fünfunbjmanjig Satire fpäter gefunben hätte, fo mar
ich ftebjig. 5)ann hätte SBütterSborf gejagt: ,Snnftetten, feien ©ie
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288
Vierter Jcil. 2)ic cpifdjcit Spütiucrfe
feilt Starr . . .* 9tber wo fängt eS an? SBo liegt bie ©renje?"
Unb er finbet bie ßöfung, bie freitief) für ityn fetbft feine fiöfung
bebeutet. „Sa, wenn idty oolt töblictyem £>a£i getoefen wäre . . .
9ta<$e ift nichts ©ctyöneS, aber was SJtenfdtytidtyeS unb tyat ein
natürtictyeS menfctytictyeS Stecht, ©o aber war alles einer SSorfteUung,
einem begriff juliebe, war eine gemalte ©efdtyidtyte, tyatbe Äomübie.
Unb biefe Äomöbie muff icty nun fortfe|en unb mu| ©ffi fort*
fttyidfen unb fie ruinieren unb micty mit ..."
'©r mufi weiterteben nadty bem ©efefc, wonacty er angetreten,
ein wenig unfictyerer oietteidtyt wie bisher, innerlich wenigftenS, wenn
aucty nictyt oor ben ßeuten, aber äße $reube wirb aus feiner Stätye
oerbannt fein, er wirb, einmal ^etlfid^tig geworben, fidty nun aucty
fetbft metyr unb metyr atS baS begreifen müffen, waS er in Söirflidj*' '
feit ift unb immer war: ein StuSgeftofjener Oom SCifc^ beS SebenS.
ÜJtan muff bie jweite Snnftetten*2BütterSborff jene (Kapitel 35)
mit ber erften jufammentyatten. 2)a ift Snnftetten nadty Satyr unb
Stag ÜJJtinifterialbireftor geworben. Stber was bebeutet itym baS
nocty, bem ©infamen? „Sc metyr man micty auSjeictynet, je metyr
fütyte idty, bafj bieS altes nidtytS ift." S)ie ©etynfudtyt nadty bem
©infadtyen, Staturtyaften erfaßt ityn. ©eine ißaragraptyenwett, bie
er mit ber SBelt fctytectyttyin oerwedtyfette, erfdtyeint itym nun atS eine
„fetyr fragwürbige ©efdtyidtyte". Stber er ift ju alt, um untjuleraen.
©S tyeifjt Stefignation üben, in ber ©refdtye ftetyn unb auStyalten,
bis man fällt. SBüHerSborf oergewiffert unb tröftet ityn beS. „©iner,
bem audty oiet üerquer gegangen war> fagte mir mal: ,©tauben
©ie mir, SBüßerSborf, eS getyt übertyaupt nictyt otyne >§itfS*
fonftruftionen«.‘ S)er baS fagte, war ein 23aumeifter unb mufft’
eS atfo wiffen. Unb er tyatte redtyt mit feinem ©a§. @S oergetyt
fein Xag, ber ntidty nictyt an bie ,§itfSfonftruftionen‘ geinatynte."
/feiner Statur folgen unb bie Äonfequenjen auf
v —) fidty netymen. gür Snnftetten fütyrt biefeS ©runbajiom
Montanes jur ©fepfis, ber fetbft baS Sädtyeln fetytt unb fetyten um|,
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2. ®ffi »rieft
289
baS feinen oer$icf)tenben Rienfchen fonft eigen ju fein pflegt. (Sffi
mirb eines gütigeren ©chicffalS teilhaftig. 21ucl) fie ntufj bie Äon*
fequenjen bis $ur Stragif auf fid) nahmen. Slber bann umgibt fie
gontane gegen ben ©chlufj mit immer betfutfamerer ßärtlidjfeit, ja
fein boHeS ©efüht fprengt einmal (Äapitel 36), ihren Stob an*
fünbigenb, offen unb erfdjütternb bie epifchen ©djranfen.
911S baS Unheil mit bem Vrief ber Riutter über fie herein*
bricht, mirb gleichseitig ihr eigentliches SBefen noch einmal in ber
Äontrafigeftalt ber Rätin ßmiefer gefpiegelt. Raffiniertheit tritt
ber Raioität, Vereinung ber ^armlofigleit gegenüber unb macht
begreiflich, in mie hohem Riaf$e @ffi, baS Raturfinb, ein blofseS
Opfer ber Verhältniffe unb ©efellfchaftsfonbentionen mirb. $lber
biefe ©eftaltung, aller «Schönfärberei fern, ift bielmehr bagu an*
getan, ben ©inbruef beS herben ©chicffalS ber $elbin $u berftärfen.
Montane läfjt bie ®inge ihren ungehinberten Sauf nehmen, bie
Bitternis boll auSfoften, ift gegen fich unb feine ©eftalten bon
einer Unnadjfichtigfeit, bie eine ebenfo h°h e Meinung bon feinem
Äünftlertum mie bon feiner Rienfdjlichfeit ermeeft. ÄeineSmegS ge*
fonnen, gemütboKen 91nfprücf)en irgenbmelche Äonjeffionen ju
machen, bleibt er ftarf unb männlich, bis ber $ug beS SlBerfeS
ihm geftattet, ©efüljl unb Verflärmtg um. fo einbringlicher in ihre
Rechte treten ju laffen.
@ffis Riutter fdhreibt: „. . . mir fönnen ®ir leinen füllen
Sßlafc in Rolfen * Stemmen anbieten, feine Zuflucht in unferem
§aufe, benn eS hiefje baS, bieS £auS bor aller Sßelt abfchliefjen,
unb baS gu tun, finb mir entfehieben nicht geneigt. Rieht meil
mir ju fehr an ber SCBelt hingen unb ein Slbfdfjiebnehmen bon bem,
maS fidh ,©efellfchaft‘ nennt, uns als etmaS unbebingt Unerträgliches
erfdjiene; nein, nicht beShalb, fonbern einfach, meil mir $arbe
befennen unb bor aller SSelt, ich fonn 2)ir baS SBort nicht er*
fparen, unfere Verurteilung 2)eineS XunS auSfprechen moHen."
©o mufj (Sffi ihre £age in einer flehten RiietSmohnung ber
’Äöniggrä^erftra^e berbringen, jum jmeiten Riale herauSgeriffen
aus ihrer gemohnten Umgebung, abgetrennt bon ben Rienfcfjen,
Banbrety, gontane 19
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290
SSierter Seil. Sie epifcOen ©pättoerfe
, 't
nur in ©cfcHfd^aft ber alten fftoSiott^a, bic fie at§ ßinbermäbhen
in Äeffin ing $aug nahm unb bte ihr nun in rührenber Slnhängtich*
feit in ihre Slbgefhiebenheit folgt, ofjne freilich einen öoßen ©rfafc
für bag Verlorene bieten jü fönnen. @g tierge|en brei.Saljre.
35ann läfjt bte Segegnung mit Zinnie allen ©hmerj noch einmal
frif dj aufbredjen, bie „Äonfequenjen" ing faum Erträgliche fteigern,
eb»e bie Slücffeljr nah |>ohen*(£remmen unb bamit bie @üf>ne unb
ßöfung geftattet rnirb.
@ffi ift ihrer zehnjährigen $od)ter zufällig begegnet. Xrofc
llarer (Sinfidjt in bag ©etbftöerfhulbete ihrer Sage regt fid) eine
bunfle Slufle^nung in ihr gegen Snnftetten, bem fie recht unb ju*
gleich unrecht gibt ©ie n>iH nicht länger üon itjrem $inbe getrennt
fein unb ermöglicht fi<h burcf) ffürfpradje ber SJlinifterin — eine
munberüofle grauen* unb üülütterfjene, in ber fid) Sted)t unb
SJlenfhtihfät unüergefjtid) burhbrhtgen — einen Sefudj Slnnieg.
Slber bag SBieberfe^en fällt anberg aug, atg fie oermeint. Stnnie
ift eine rechte 3nnftetten=£od)ter geworben; er Ijat iljr für biefen
ÜBefudj, ben er einer SJlinifterin nicht abjufhlagen oermohte, genaue
SSerhaltunggmafjregeln eingefhärft. Slodj einmal triumphiert, um
fo brutaler unb abftojjenber, ba eg fich um bag heilige unb ehr*
mütbtge ©efühl einer SJlutter für ihr Äinb hobelt, bie blofje ,
Sieget, ber ©hematigmug über bie ©timme ber Slatur. SBlifcartig
erleuchtet ©ffi biefeg fhmerjfihe ©rlebnig ihre freublofe @he, bie
trüben Xage Äeffing. Slun erft blidt fie Snnftetten big auf ben
©runb unb bricht in leibenfd}aftlih en SBermünfdjungen jufammen. N
„SDlih efelt, mag ich getan, aber mag mich nod) mehr efelt, bag
ift eure £ugenb."
SJlit biefer feelifh bemegteften ©jene, bie Montane je gefdjaffen
hat — ihr Stbftanb üon ber ftoffgleichen ber „S’Slbuttera" jeigt >
ben Sltefenmeg, ben fjontane alg Zünftler jurüdlegte —, ift bem I
Sieht genug gefdjehen, unb bie SJlenfhtih^t tonn mojltuenb ißtah
greifen. g)er alte SBrieft telegraphiert auf ben 93rief Dr. Slumm*
fhüttelg, ber Effig jünehmenbe Stränflihfeit nah 4?ofjen» ßremmen
meldet, ganj einfach : „@ffi, fomm!" 35er für je 35ialog ber alten
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2. Sffi Srieft
291
©rieft#,. in. be.nL_©ffiS Soramen befchloffen wirb, ift baS pofitiöe
Ko mpl e ment gu b e n g nnftetten«-Süllet£borf» ®ef prägen. ©rft Bäbe
jufammen ergeben gontaneS ÜReinung, ber in jenem fo gut wirft
unb fpricht wfe in biefen. SBeibe 9Rate läuft biefe Meinung nicht
neben bem Serfe h«, fonbern wächft aus itjm felbft heraus,' als
unterfchieblicheS Urteil unterfd&ieblidjer ÜRenfdjen. diesmal lautet
fie: „,3tlS SnnftettenS ©rief Jam, ein ©lip aus Weiterem Fimmel,
bamalS war ich beiner Meinung. Slber baS ift nun fchon wieber
eine halbe ©wigfeit her; foü i<h Iper bis an mein SebenSenbe ben
(Srofjinquifitor fpielen? Sch fann bir fagen, ich h a &’ e $ feit lange
fatt . . .* ,9Jtad)e mir feine ©orwürfe, ©rieft; ich liebe fie fo wie
bu, oielleicht nod) mehr; jeber hat feine ?lrt. Slber man lebt hoch
nicht blofj in ber Seit, um fdjwach unb järtlich ju fein unb alles
mit SRadjficht ju behanbetn, was gegen ©efep unb Oebot ift unb
waS bie 3Renfchen oerurteilen unb, oorläufig wenigftenS, auch noch
mit 9le<ht oerurteilen. 4 ,2lch waS. ©ineS geht oor.‘ Natürlich,
eines geht oor; aber WaS ift bieS eine? 1 ,Siebe bet ©Item ju
ihren Kinbern. 4 “
©S fann lein 3 Weifet fein, bafj bie beiben alten ©rieftS gontaneS
$erjen näher ftanben als ber ÜRinifterialbireftor, ja oielleicht als
©ffi felbft. ©ie finb aRenfdjen, wie fie nach feiner Meinung fein
fptlen, ©erförperungen beS weifen ©owohl> SUSauch, ©otho unb
Sene oerwgnbt, nicht beS ©ntweber»0ber, wie ©ffi unb ihr forrefter
®atte. $)ie alten ©rieftS haben baS lepte Sort im Vornan.
ffifft, fomm!" tiefer 9tuf ift fchon einmal im ©eginn erflungen,
" war fogar ber Slnftofj jur Konzeption beS SerfeS gewefen,
jener ©rjählung ber alten $>ame entnommen, oon ber Montane
fchreibt: „$)ie ganje ©efchichte ift eine ©hebrnchSgefchichte wie
hunbert anbere mehr unb hätte, als mir grau S. baüon erzählte,
weiter feinen großen ©inbrud auf mich gemacht, wenn nicht bie
©jene bejiehungSweife bie Sorte ,@ffi, fomm! 4 barin oorgefommen
wären. $)aS Stuftaudjen ber ÜRäbchen an ben mit Sein über»
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292
Vierter icif. 2)ie cpifcf)en Spätweife
madjfenen $enftern, bic SRotfÖpfe, ber ßurufunb &onn &o3 lieber*
butfett unb SSerfchwinben machten folgen ©inbrudf auf mich, bafj
au3 biefer ©jene bie ganje lange ®efd)idjte eutftauben ift." 3e|t
weifen biefe SBorte jum ©nbe, baS mit löfenber ©ewalt in bie
©jenerie beS Anfangs jurüdttenft.
©ffi ift wieber batjeim, in ber ättarf, in £ohen»©remmen. Üftie
hat Montane einen ftfjöneren ©djlufj gebilbet. Stiles menfc|Itcf)e
SSeh öerraufcf)t in bie geliebte heimatliche Sanbfdjaft. ©ie geht
über bie weiten gelber ins Such, fieht bie Sftanunfetn unb roten
Slmpferftauben blühen, bie fidfj im SBinbe bewegen, atmet begtücft
ben S)uft, ber oon ben 9tapS* unb Äteefetbern herüberfommt, unb
folgt bem’Sluffteigen ber Serben unb bem ßug beS SBieljS jur
$ranfe, unb leifeS ©eläute bringt ju ihr herüber. ©tiH unb ent*
rücft blicft fie auf bie üftatur unb oergifjt, was ihr baS Seben
öerfagt ^at. ©ie trögt wieber, wie in Sugenbtagen, ihr btauweifj
geftreifteS Äitteltteib, ift wieber ganj $inb, eine SSerHärte, „Sethe,
Sethe," fagt ber alte Sörieft wohl, als ©ffiS 93ruftteiben fich oer*
fchtimmert. Slber fie leibet eigentlich gar nicht mehr an ber 2$er*
gangenheit, auch bie riieft nun in ein öerftätteS Sicht. Unb als
ein Sa.h r w® Sanb gegangen ift unb fie baS ©nbe nahen fühlt,
bleibt if>r bester SBunfch: „@S liegt mir baran, baf$ er erfährt,
wie mir hier in meinen ÄranfljeitStagen, bie hoch faft meine
fdjönften gewefen finb, wie mir hier ftar geworben, bafj er in
allem redht gehanbelt. Sn ber ©efdjichte mit bem armen SrampaS—
ja, WaS foßt' er am ©nbe anberS tun? Unb bann, womit er
mich am tiefften oerle^te, ba| er mein eigen $inb in einer $lrt
Stbwehr gegen midh erlogen hot, fo hört es mir anfommt unb fo
weh cg m i r tut, er hot auch barin redht gehabt. Safj ihn baS
wiffen, bafj idh in biefer Überzeugung geftorben bin. ©S wirb ihn
tröften, aufrichten, üielleidht üerföhnen. 2)enn er hotte oiet ©uteS
in feiner Statur unb war fo ebel, wie jernanb fein fann, ber
ohne rechte Siebe ift."
SEroft unb ©<hönf)eit liegt über biefer ©terbeftunbe. Slber bie
Derbheit ift um nichts gemilbert. @S ift ein unenblich wehes @e=
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2. ©ffi Sörieji
293
füljl übet ben SluSgang beS 33ud)eS gebreitet, ein ©efüf)l, baS.
gontane nadjjuerleben jwingt mit berfelben ©tärfe, bernf eiben
©c^merj, ben er felbft empfanb. ®ein ©c^merj über ein einzelnes
©d^idffal. 2)aS ©inmalige mirb am ©nbe burd§ unb burcf) fpmbolifcf),
mie ©ffi ftdj gfeidjfam in ber ßanbfdjaft auflöft. N SenfeitS oon
bloßer ©djulb unb 93erfdjulbung flogt ein ©d&merj um baS ®an$e
ber SBelt, um ben Söeltjufammenljang. SfargenbS ift fJontaneS
SBIidf in bie Xiefe unb Sßroblematif beS SDafeinS länger unb berebter
gemefen als f»ier, wo feiner ber „Sdjulbige" ift, ©ffi nidjt anberS
- als Snnftetten fdjliefjlidj als fdjulbig Unfdjulbige üor unferem geiftigen
Singe fteJjen.
Slber gontaneS 95Hcf bleibt nidfjt bort unten gefangen. ®ie
ernfte Sftefignation beS StuSgangS ber „@ffi ©rieft" jwar barf
feine tapfere SBeltgläubigfeit nur als leife Üßebenftimme umfpielen,
bie Sßaffion füllte nidjt abgefdfjmädfjt werben. Slber fein tieffteS Sßort
über ben SBelt* unb SRenfd^enjufammen^ang, in ben er Ijinein*
geftellt mar, ift bodfj nidfjt fein Ie|teS geblieben, fein eigentliches
gemefen. 3)ieS blieb bem „©tecfjlm" aufbeljalten.
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3* Sie ^3oggenpul)l0* Ser (SfecfyOrt
CYTVie lange auch ben berliner Spontanen Montane?, biefem
ßpfluS männlich* reifer ©Köpfungen alles greifenhaft ©er*
fteifte fernblieb, einmal fam auch für itjn, ber fo fpät fich als
Zünftler gefunben f)atte, ber ßeitpunft heran, mo ber bewunbernS*
ttmrbige Antagonismus jmifchen bem hinfälligen SDfenfchen unb bem
fraftooUen dichter nicht mehr behauptet rnerben tonnte. „(Sfft ©rieft"
ift fünftlerifch ein (Snbe, roie fie ein ©ipfel ift. 9iun folgt ber rafche
Abftieg, ber fchnelle ©erfaß.
Sn ben „©oggenpuhlS", bie fich als Keine (Spifobe jmifchen
bie „@ffi ©rieft" unb ben „©techlin" fchieben, fefct bie fchöpferifche
Energie plöplich, mitten in ber Arbeit, aus. Aber eS ift bieS fein
SRuhen, fein ©ammein neuer Kräfte. 2)er „©ted^lin" jeigt ein beut*
licheS ©rmatten, ein SBiffen beinahe um baS @nbe auch ber bicf)te*
rifdhen Aftiohät. Sn ben „©oggenpuljlS" toill Montane nicht mehr,
im „©techlin" fann er nicht mehr formen.
'"^'\er poetifche ©orttmrf ber „^ßoggenpuhlS" — ein Xitel, auf
beffen ftraffe Äürje Montane ftolj toar — läfjt fich ähnlich
an, »ie ber ju „$rau Sennp Xreibel". SBieber eine SDlilieu*
fchilberung. 9lach bem ©ilb ber Unfolibität propenhafter ©ourgeoifie
eine XarfteHung befcheiben tüchtigen AriftofratentumS, toie fie
minutiöfer, liebeooß oermeilenber nicht gebaut toerben fann. 2>ie
oermitwete Üfltajorin, geborene ©ütter, aus einer armen, angefehenen
ißrebigerfamilie; ihre Xöchter Xherefe, ©ophic, SJianon; bie beiben
©ohne SBenbelin unb Seo; Onfel (Sberljarb, ber penfionierte ©enerat
unb ©ruber beS bei ©raoelotte gefallenen ÜKajorS: baS finb „Xie
^SoggenpuhlS". Unb jebem SDtttglieb ber Familie meifj Montane in
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3. 2>ie ^oggetipuljte. ©er (Stettin
295
Etappen ©efamtdjarafteriftifen einige fpredjenbe ßüge ju berieten,
bie eine unmittelbar tebenbige Smpreffton bermitteln.
SaS guftänblidfje wirft entfdjeibenb mit. Ser bielbelobte ©imt
für ben Sltttag unb baS Unfdjeinbare, beffen retatide 9iebenfödjlidj*
' feit fd^on aufgejeigt mürbe, ber fo oft unb nicf)t immer jugunften
gontaneS wertbottere $üge feines bictjterifdjen SCBefenS berbedfte,
ift in ber Äleinwett ber ißoggenpuf>lS nun wirflict) mal wefentlidfj
unb atterorten am SEBerf, eine erftaunlidje Slfribie, bie bocf) nie
ins ttRofaiftjafte oerfättt unb bie ©abe beS organifdO’gefdt)loffenen
ßufammenfdjauenS faum weniger einbringlic^ befunbet, wie ber
Siebling beS alten Montane, ber junge ©erwarb $auptmann in
ben beften 9J?iIieafjenen ber „Söeber" unb beS „guljrmann ^enfdfjel".
Sie Häufung ber abeligen tarnen wirb unter ben £>änben
Montanes jurn forgfättig gearbeiteten ©df)mu<ffäftcf)en, jum gier-
liefen funftgewerblicfjen ©tütf, baS feinen Snljalt fo wirfungSbott
wie nur möglich präfentiert, wenn fidfj ber Sedfel f>ebt. Slber eS
ift nid^t btofje ^Beobachtung, btofjeS ßufammentragen üon Seit*
jügen, was bie primitioe SMetSwoljnung in ber ©rofjgörfchenftrafje
famt iljren Snfaffen fo greifbar beutlief» bor bie innere Stnfdjauung
rüdft, bis ins UnmerflidEjfte unb ftlüchtigfte hinein, ben funftbotten
ißrefjfof)lenaufbau etwa, ben bie alte grieberife, baS treue £>auS*
faftotura, im Dfen beS SBofjnjimmerS am frühen borgen ent*
jünbet, bis auf ben fieberhafter, mit bem bie gute ißerfon if»re
SEBirtfd^aftSauSgaben notiert unb bon bem Montane bemerft, baff
er „nach oben f)in mit einem Slbler abfchlofj, ber aber auch eine
Saube fein fonnte", bis auf ben färglichen ©eburtStagStifdf) ber
ttftajorin, biefeS järtlidEj unb befjutfam nacfjgepinfelte bichterifdfje
©titteben. 2111 bieS fönnte totes ßeug, naturaliftifdfje ißf)otograptjen*
technif fein unb ift bodj fo biet mehr, weil eS ber unteilbaren
©in^eit ber bidjterifdjen Intuition berfchmitst.
Sie burchgefüfjlte 9ttilieufcf)ilberung wirb fefunbiert bon einer
aufs feinfte geftuften ©efprä^Sfunft. SSor ber SSerftofflictjung unb
©manjipierung beS ©efprächhaften im „©techlin" jeigt fie fiel) in
ben SiSfuffionen fJrieberifeS unb 2eoS (Äap. 5), ber Üftajorin unb
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296
SSicrtcr 2eil. 3)ic cpifc^eu ©pätimte
beS ©enerals (Äap. 9) itodj einmal glorreich bemährt, nicEjt birtuofer
als fchon in „Errungen, SBirrungen", aber noch fehlster, unb in
biefer Schlichtheit non lebtet Steife. ,,©S ift" — nad) bem bor*
trefflichen Sob beS „intermittierenben SKeifterftiidc^enS" burcf) Paul
©djlentffer — „als ob aus einem piaufch ein S)u^enb lebenbiger
9Jtenfd)en mie aus einem SBagen auSftiege."
„grau gennt) Xreibel" bietet baS natürliche penbant. Beibe
fteljen ähnlich gegeneinanber roie „Errungen, SBirr ungen" unb
„Stine". Sßäre gontaneS Äraft nicht mitten in ber Strbeit erlahmt
unb ber Stoff nach ben ihm innemohnenben gorberungen ju Qsnbe
geftaltet morben, fo träte bie Parallelität noch ftärfer jutage. 2>ie
hohle Paroenümelt ber Treibeis hatte ber fouberäne Spott beS
©efellfchaftSfritiferS getroffen, ber Stoman mürbe in feiner ganzen
SluSbehnung mit gronie burdhtränft, fie bemirfte ©ituationen unb
SOtenfchen, Sprache unb ©til. $>ie „PoggenpuhlS" geben bie $tb*
brebiatur einer anberen in fich abgefchloffenen StanbeSfultur, bie
geroit meniger „jeitgemät" ift, aber bafür eine tiefere Berechtigung
hat, fefte gunbamente, f°l^ e Srabition. „$>at mir ben armen
Slbel in einer Slrt bon ©ollenbung, ober fag’ ich Steinfultur, bar*
fteßen, barüber fann fein ßmeifet fein," fchreibi Seo nach §ouS,
unb gontane fäftt fich angelegen fein, biefe Behauptung in boHem
Umfange $u bemahrheiten, mie es borbem feine heimliche greube
mar, ber aufgeblafenen gennp Bürftenbinber unb ben 3h ren nach
Kräften heintjugeigen. Sine lächerliche -2)emaSfierung unb eine
freunblidhe Betätigung jmeier ©efeflfchaftSjuftänbe, ^mei SBelt*
bilber, bie bei aller Berfchiebenljeit unberfennbar auf ihren gemein*
famen Urfprung in ©eift unb Seele berfelben bidjterifchen Perfön*
lidjfeit hinmeifen.
333ir miffen, baff gontane trofc ber Befchränfung feiner mirt*
fchaftlichen Sage nie in Befdjränftheit berfiel, bat er heiter unb
allenfalls ein menig ffeptifch entfagen fonnte, mo es geboten mar,
ohne ben bom ©chicffal SÄifs^anbetten ju tragieren, bat er mohl
einmal flagte, menn eS gar ju fehlest ging, aber nie eigentlich t<h
beflagte unb anflagte. 2)iefelbe lebenstüchtige, bieSfeitSfrohe ®e*
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UMIVERSITY OF MICHIGAljl
I
3. $)ie s $oggenpuf)t3. 3)cr 3ted)lin 297
finnung fprid^t aus ber jungen ^oggenpuljlgeneration, ber männ¬
lichen unb meiblidhen, fehr oerfchteben gerietet, aber mit bem gleichen
Unterton in 3)ur unb in ftetem (Gegenfap gu ber leicht fentimentalen,
bürgerlich gebürtigen äftarna, bie freilich ftfh f) at „gu f e h r quälen
inüffen, un ba bergeht eS einem..mie Montane bie in ihrer
2lrt hoch auch prächtige $rau burc£> ^rieberifeS ÜUiunb gelegentlich
ins SRedjt fefct. $)ie Xödhter finb jeber kopfhängerei abljotb, toiffen
fid£> gefdhicft in bie Keinen 95ert)ättniffe gu finben unb hoch faft
ftanbeSgemäfj gu leben, ohne beim Sftedjnen inS ftörenb Gerechnenbe
gu berfatten ober in falfcfjer Serüilität fich baS (Geringfte gu ber¬
geben. Sebe hat ihr eigenes latent, ihren eigenen GerlehrSfreiS, aber
alle brei fielen felbftloS im SDienft ber Familie, ber Goggenpuhlfdben
Strabition, benfen nur an bie „gmei 3ungenS\ bie Sörüber Söenbelin
unb Seo, bie ben alten Solbatenruljm ber Familie fortpftangen
fotlen. SBenbelin, ein älterer ^remierleutnant, mirb biefen ©r-
martungen boHauf geredet, fd^eint eines SßlaheS im kriegSutinifteriunt
ober (Generalftab gemifj. Sftur über Seo bleibt man in fteter Sorge.
@r hat bisher nur burdj Sdfjulben unb Scljneibigfeit fidh h erö01>
getan, ©r ift baS bemegeitbe SlgenS ber Sichtung.
Senn mie fehr „Sie ißoggenpuhlS" im ÜMlieu oerharren, gang
ohne £anblung, ohne einige Gegebenheit guminbeft, fonnte Montane
auch flier mie in „$rau Sennp Sreibel“ nidht auSfommen. üftur
bie furge Sfigge oermag fich ohne ©efafjr im rein guftänblidfjen,
Seffriptioen gu halten, ein Umfang, über ben baS Sßerf mit feinen
hunbertbreifjig Seiten fdhon hinausreicht. Montane gruppiert alfo
feine Sdhitbernng um bie (Geburtstagsfeier ber ÜDJajorin — immer¬
hin ein „©reigniS" in beS Wahres ©inerlei für bie befdfjeibene
Familie —, unb ÜEßenbelin hat ber Sftama ben Siebling gnm geft
nach $auS gu fdhicfen. Stuch biefer Gefudh ßeoS mirb gnm @r-
eignis, beSgleidhen ber Slbenb im königlichen SdhaufpielhanS. Slber
immer bleibt ber eng umgrengte SJiilieudharafter, bie fpegififche
Goggenpuhlatmofphäre gemährt, aus ber man biefe üflenfchen nicht
herauSlöfen fann, ohne ihre SebenSfähigfeit, jebenfaHS ihre bidhte-
rifche Sebenbigfeit gu gerftören. Sie SBilbenbrnchepifobe — man
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298 Vierter ^eit. 3)ie epifdjen ©pätroerfe
fte^t bie- Oupomg — ift feft im ©anjen bernietet, mirft be$eip*
nenbe ©plagiierter: - auf bie ÜKajorin, bie aug 58efpeibenl)eit $u
$auS bleibt; bie Stöpter in ibjrer berfpiebenen parafteriftifpen
©teHungnarme ju bem @tü<f; auf Seo, bem bie probinjiale Un*
befangenreit beg Onfelg genierlip rnirb; nipt julept auf biefen
felbft, feine ergöfclipen Sergleipe jmifpen Söi^martf unb Quporn,
feinen naib*realiftifpen Äunftgenufj. Slup bie folgenbe ©jene im
SReftaurant, bie eine ©pifobenfigur bringt, ben jungen ©paufpieler
£errn bon $leffentin, roarrt nop bie ©inreit beg ßuftänblipen,
ba nun'bag 5p emo öon &og emiger ^inanjlalamität ungejmungen
aufllingen lann unb fip, an bem Seifpiel beg greunbeg unb ere*
maligen Äameraben born Äabettenforpg, atterranb auggefpropene unb
nnauggefpropene Sefürptungen für feine 3 u ? un ft einftreuen laffen.
Söig ju biefem fünfte ift ^ontaneg Sßerf öon bollern Gelingen
gefrönt, bie Slugfürrung bipt unb bruplog. $)ie meitere ©eftaltung
beg ©toffeg fpeint fip, mie er einmal angefafjt mar, faft mit
©elbftberftänblipfeit ju ergeben. tfyxdxfy bem luftigen Serlobungg*
lampf um Seopolb treibe!, ber bie geiftigen Xenbenjen beg Sourgeoig*
romang $um £ufammenprall bringt, lag nun ein Äampf um Seog
ftanbeggemäfje ober toenigfteng augfömmlipe Serforgung alg näpfte
üub natürlipe ©ntmicflung im SBefen ber ©efpipte. Montane rat
bieg, toenigfteng alg äftöglipfeit, felbft geferen. 2flanon fpript
immer toieber oon prer greunbin, ber jungen Sübin glora Sorten*
ftein, ber reipen Sanfiergtopter, unb fpeint fip pre Serlobung
mit Seo jum ßtel gefept ju fyabm. ®er aber ift in Sporn, aug
purer Sangmeile, fpon ^alb unb r<ilb gebunben, an etmag' Öftlip*
! ©laoifpeg, eine @fper Slumenpal, mag nun felbft ÜRanon, alg
bag gagrafte ©eftänbnig r^raug ift, „freilip fplimrn" finbet. SBelpe
amüfanten Sermitflungen retten fip nun anfpinnen laffen, ju
melpem ©plufj aup Montane bie ©elb*, Siebeg* unb ©tanbeg*
mirren gelenlt r^tte, nap Sporn ober in bie Sofjftrafje. S)ag
äftilieu ber ißoggenpurig märe burp eine Sorfürrung beg |>aufeg
Sorten ftein, öielleipt aup in furjetn epifpen Sftefley, ben er fo
meifterlip ju r<Htbraben muffte, beg §aufeg Slumenpal, nipt ge*
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3. 2)ie s ßoggenput)[3. 2>cr ©tedjliit
299
fprengt, fonbern aufs glücftichfte gefteigert, in nodj toirfungSüottere
^Beleuchtung gefept toorben, tote bie SBelt ber DreibetS ihren frud^t*
Boren Äon traft an ben ©chmibtS h öt -
©tatt beffen führt Montane unoermittett auf ben fchtefifdjen
Sanbfih beS DnfelS, baut, mit ftörenber Äonfurrenj, eine neue
©jenerie auf, bie nicht nur unnötig ift, fonbern ben ^Berliner
Ffaoour, oon bem fie allein lebt, au£ bem 9?eft ber ©efc^id^te
faft gan$ berbannt. ©ine plöfcliche rabifale Desorientierung' ber
äfthetifchen Afjente fprengt bie (Sinfjeit unb Form ber Dichtung.
Die angefponnenen f^aben toerben teils fallen gelaffen, teils not*
bürftig unb toiflfürlich oerfnüpft. Die neue ©eftalt ber F r °n
©eneralin tritt fremb unb befrembenb in ben ©orbergrunb, ohne
tiefere Anteilnahme getoinnen ju föitnen, bie längft oergeben ift.
Der Dnfel toirb aus einer Nebenfigur jur $auptperfon, auch bieS
ohne abfehbare Nottoenbigfeit. Das Poggenpuhtneft in ber ©rofj*
görfchenftrafje, Äern unb ßenirutn SßerfeS, toirb an bie
Peripherie gefchoben, faum baff Seo mit SNanon eine fpürtidje
Äorrefponbenj führt unb bie SNajorin mit ihren Döchtern jum
^Begräbnis beS DnfelS fomrnt. ©ein Dob gibt ben Abfchlufj ber
©efcf)i<hte, bie bann aufhört, ohne ein rechtes ©nbe ju hoben.
©S geht nicht an, biefeS fchtnerjliche Verjagen ber ©eftattungS*
fraft — auch formal toirb ber Nijj burch baS Abbrechen ber ©r*
jählung unb bie legere Fortführung in ©riefen beuttich —, biefe
ptöpliche Untuft am eigenen SEBerf, biefeS AuSfepen beS richtigen
FnftinfteS geftiffentftch ju überfehen, bie „PoggenpufjtS'' toegett beS
föftticfjen erften DeilS retten ju tooHen. Das ift auf bie Dauer
hoch ein üergeblidjeS ©emühen. Die ßeit fistet unbeirrbar burch
perföntidje ©orliebe unb Na<hfi<ht, nur baS ©eift* unb Formftarfe
bleibt. Auch h fl t Fontane ein gutes Nedjt auf ben gleichen hohen
StRajsftab für jebeS feiner SEBerfe. SBir tootten bie ftrenge Sachlich*
feit ber ^Betrachtung, ganj im ©inne beS Dichters, nirgenbS burch
eine toohlfeile ipermeneutif trüben, bie hoch nur bie feinere @hr*
furcht öor bem ©dhaffenben oerlefct, in beren Dienft fie ju ftehe.n
meint. Fontane hat baS ©erfehlte ber „PoggenpuhtS" bei ber Über*
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300
Vierter Steil. $>ie epi[c£)eu Spätraerfe
fenbung beS 25u<heS an ©pielhagen fetbft jugeftanben, wenn er
fidfj auch über bie magren Urfadjen hinwegtäufchte ober ^imoeg»
iäufchen wollte. 3)ie ©egrünbung, bajj eS „bei etwas gaitj Äurjern
bleiben foßte", t)ält nicht ftanb. $)aS 2öerf ift nicht gan$ fur$ ge*
blieben unb t)ätte anbrerfeitS ben jefcigen Umfang nicht über*
fdjreiten braunen, wenn eS nach feinen immanenten ^orberungen
$u ©nbe geführt worben wäre.
3)aS epifdhe ©Raffen ftetjt in feiner ©inghaftigfeit ber Sßatur
am nädhften. gontaneS ©ntwicflung liegt mit ebenfolcher Sftatur
unb $onfequen$ baS ©tarfe unb Sleibenbe in einer mittleren $eit,
bie üon einer ^eriobe unficf)er taftenben 2lnfängertumS eingeleitet
unb oon einem furjen, fchneßen Verfaß ber Kräfte gefolgt ift. @S
fann nid(jt barauf anfommen, etwas 2)ramatifcf)eS, ein fteteS 33or=
wärtS unb $öl)er ju fonftruieren, bie 35inge $u feljen, wie fie am
fdjönften gewefen wären, fonbern wie fie wirtlich gewefen finb unb
bem unbefangenen SBlicf fid) heute barfteßen.
CVnt „©tedjlin" fanb Montane noch einmal bie rechte epifche
O ©ebulb. $ein 23ruch, fein ftörenber (Sigenwiße hemmt baS
üoße SluSreifen biefeS lebten unb umfangreidhften ber berliner
Romane. Slber baS SSerfagen ber ©eftaltungSfraft fommt bodh
beutlidh jum StuSbrucf, nur anberS als in ben „ißoggenpuhlS". 3h rc
OoHe 5lnf<haulichfeit, bie flare ißlaftif beS ©egenftänbtichen, beutet
barauf, ba| eS mehr an mangelnbem ^Bitten als bidhterifchem
Unoermögen lag, wenn baS üerheifjungSöoß begonnene jum
matten @nbe führte. $)er „©tedhlin" ift wohl eine (Einheit in $in*
fidht beS ©tilS unb barin ben „SßoggenpuhlS" weit überlegen,
aber nun oerblaffen bie färben, berfdhwimmen bie Konturen. @S
wiß bem dichter nicht mehr gelingen, baS rechte, treffenbe Sßort
ju finben, bie äftenfcfjettwelt beS „©tedhlin" bleibt nebuloS. $on*
taneS ©efprädfjStechnif oerfagt, genauer, fie öerfelbftänbigt fiel),
©ie hatte bisher als bewährtefteS Mittel feiner epifdjen $unft immer
im 3)ienft einer fünftlerifdhen Sbee geftanben, nun wirb fie aus
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3. 25ie ’SJSoggettpuljls. £er Stcdjliu
301
einem ÜDfittel gum ©elbftgweci $)ag entfcßeibet bicßterifch über Slrt
unb Söert beg „©tecßlin".
©efpräcße finb ber eigentliche 3nt>alt beg Söerfeg, bie ttften»
fd^en haben feinen ©igenroert mehr, finb nicht mehr bie feetifd^en
Äernpunfte, um bie ficf> äße Sftebe fcßicßtet, fonbern äußere £>alte,
oon benen bie Äonöerfation mehr ober weniger unabhängig bleibt.
3n „Errungen, Sßirritngen", „@ffi trieft", „^rau 3ennt) treibet"
märe eg unmöglich, einen fRoIIentaufch oorguneßmen unb ben einen
fagen gu taffen, mag ber anbere fagt, fo feft ift bie 2)igfuffion ben
©ßarafteren oerhaftet, nur um ber ÜDtenfcßen mitten erfunben, nur
ttftobettierung ber üftenfcßen. 3m „©tecßlin" fönnte fotd^er Xaujcß
burch bie gange 3lugbeßnung beg Sucheg ftattfinben, liefen fich
bie meitgehenbften Umftettungen oornehmen, ohne baß ein wefent-
lieber ©«habe angerichtet mürbe. Stießt eineg biefer feeßgunboiergig
Äapitel ift aufg eigentlich ©pifeße, dingliche, Slnfcßaulicße, ißlaftifcße
geftettt, man menbet ©eiten um ©eiten, ohue etmag anbereg alg
Siebe unb ©egenrebe, $rage unb Antwort gu oernehmen, bie furgen
ßwifcßenfäfce mirfen fo fe^r alg bloße Stegieanmerfung, baß lange
©treefen fich in bramatifche SDrucfanorbnung umrebigieren ließen —,
aber nirgenbg mehr erftefjen aug bem ©efpräcß leibhafte ©eftalten,
fftebemeife unb Inhalt ber Siebe finfen ing Unbifferengierte gurücf,
ber ©toff, menn auch geiftiger Slrt, menn auch nocß 1° reichhaltig,
mitt fich & em befonberen ©efep einer fünftlerifcßen Sßirfunggeinßeit
nicht mehr fügen. 3m gleichmäßigen $luß eineg rußigen Slnbante
reißt fidß ein ©efpräcß ang anbere, Montane üergießtet oft gang
barauf, auch nur mit einem furgen SBinf angumerfen, mer eigent-
ließ fprießt unb mer antwortet, ©o nebenfäcßlidh finb bie SJien-
feßen geworben. SJian rebet mieber oßne ©eftuftßeit wie in „Sor
bem ©türm".
SDie ©rinnerung an bag ©rftlinggroerf wirb attentßalben laut,
gontane feßrt mit bem „©techlin" in bie ÜDtarf ßeim, aug -ber
feine SÜcßtung ßeroorgeroaeßfen mar. 3n bie ©eburtglanbfcßaft,
bie ©raffeßaft Siuppin, finft mit £ob unb Segräbnig beg alten
5)ubglao bag ©nbe feineg epifdßen ©cßaffeng gurücf. SBieber ent-
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302 Vierter 2 eil. $ie cpijcl)cn Spötioerfc
fpricf|t einem ooluminöfen Umfang, einer breiteften 9lu«füf)rung
eine fürjefte ©panne 3 e ^ in ber ba« ©anje fid} jutrögt. SBieber
gibt eS jaljlreid)e $af)rten burd) bie ÜDßarf, obtigate Äirdjen- unb
©djlofwifitationen, ^iftorifd^e ©jfurfe, ßunftgefprädje, ©inlagen
unb 9lnefboten bie güfle. Unb bi« in« einjelne gefjt bie ftofflicty-
formale Parallelität. SGBir werben bei ©tedjtin unb Älofter S85ufc
an |>oljen»©iefc unb ©ujow, beim alten S)ub«laö unb ber Xante
Xomina an ©ernbt unb Amelie erinnert unb benten fdjon im
Umgang, bem fRitt SBotbemar« non ©erlin auf ben oäterlid)en
©tammfifc, an bie $aljrt Seoin«, mit ber ,,©or bem ©türm" an*
Ijebt. Uber ebenfo wirb in biefem unwißfürlid>en ©ebenfen be¬
wußt, in wie Ijofjem ÜKafje ber „©tedjlin" au« ber ©bene bid>-
terifefjer ©tjeugniffe fjerauSrüdt. ,,©or bem ©türm" fjatte ja ber
formalen ©djwädjen genug, aber welche güße ber fjfarben, welcher
oerfdjwenberifdje IReidjtum ber ©cfytlberung war bort au«geftreut,
welker finnlicf}* Sltem unb ©rbgerudj! 2)er „©tedjlin" fdjeint ba¬
neben ba« SEBerf eine« $l«!eten, ba« „©eienbe“ im ©oetfjifdjen
SBortocrftanb ift auf ein Minimum rebujiert, mefjr ©orau«-
fefcung al« Seiftung. ©djlofj unb Xorf ©tedjlin lebt nidjt mefjr
wie $oljen»©ie&, SBufj nietjt wie ©ufow, bie Serliner ©tabtroofjnung
ber ©arbp« nidjt wie bie ber ßabalin«fi« — all biefe ©djaupläfce
finb mefjr befohlen al« befcfjrooren, mefjr fummarifdj einleitende
©cfjilberung in ber $lrt ber jdjwädjeren SEBanberungen, meljr auf¬
genommene« 3noentar al« fräftige bidjterifdje ©ergegenwärtigung.
Unb bie ©efjanblung ber epifdjen ©ituationen jeigt ba« gleite
Phänomen. ,,©or bem ©türm" ift nidjt nur bie Slftion be«
^ranffurter Überfall«, audj blofje ©egebenfjeiten wie ba« SEBeifj»
nadjt«feft, ber Xfjeaterabenb ber ©räfin, bie $ludjt ßeoin« non
©ertin, fo fefjr Montane fdjon auf Sflenfdjen tenbiert, bodj fo weit
finnfäßig umriffen, al« bie SRomanform, bie unlö«lidj an ba«
©eienbe, ©egenftänblidje geknüpfte, erforbert. 3nt ^©tec^lin"
bleiben bie wenigen epifdjen ©orgänge, bie gegen ben äße« fiber-
flutenben ©efprädj«ftrom fidj behaupten, bie SBafjlfi&ung im 2>orf,
ber ©Jafjltag in 9tfjein«berg, bie #odj$eit«feier in ©erlin, fernen-
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3. 53ie ^oggenpu^lS. 2)er ©tedjltu
303
paft unb beiläufig, blofje 25urcfjgang3punfte, mtliebfame Hemmungen,
über bie Montane jo fdfjneß als möglich t)imoegeiIt.
SUcht SSißfür läfjt unä beim SBergletdh mit „$or bem ©türm"
beharren, um bie Dualitäten be$ ,,©tecf)lin" ju charafterifieren.
©in 83lidf auf bie üfteifterwerfe würbe beu Stbftanb nur derftärfen.
äftan palte einmal bie Äafiriofzene in „Srrungen, SSirrungen" mit
ber be§ „©tedplin" ($ap. 21) jufammen. S3eibe haben eine ähnliche
gunftion im ©efüge. Slber bie eine ift trofc be§ fcpeinbar Gspi*
fobifdpen bem 93au feft eingegliebert, freilich auch aufs ©efprädf)
gefteßt, bod) burd) biefeS nur bem Fortgang ber ^»anblung unb
ber äJtenfdhenfchilberung bienenb; bie anbere nicht nur fcfjeinbar,
fonbern recht eigentlich epifobifdj. &a§ ©tecplingefpräch brauchte
Weber im Äafino, jiofy don ben Offizieren geführt, fönnte eben*
fogut am Äronprinjenufer bei ben 33arbp3 angefiebelt fein. 3n
„Sprüngen, Sßirrungen" eine Üteipe neuer Figuren, bie audh für
ben Fortgang wichtig bleiben, ber gefeflfchaftlich militärifche Um*
gang SBotpog in ftärffter SSerfür^ung gefepen, aber greifbar unb
wirf (ich; im „©tecplin" bie gleiche ^tbficfjt, aber ohne baff fich
mit ben neuen tarnen bie SSorfteßung don ihren Prägern der*
bänbe: bie ©teße lebt don einer Slnefbote au§ ©nglanb, gleich*
gültig, wer fie erzählt, wenn fie nur als Slnelbote gut herauSfommt.
@3 ift ber burdjgreifenbe Unterfdhieb beS „©tedhlin" don ben
früheren SBerfen, bafj bie @efpräcf)k dicht mehr bie Slrbeit tun,
bie Montane ihnen fonft zumuten burfte: bie £anblung in glufj
ZU hatten unb feinen 2Jtenfcf)en ßebenSobem zu derleihen. Söenn
Montane fonft auf £anblung dergid^tete, in „grau Sennp treibet"
unb ben „^ßoggenpuhlS", trat ba§ Üßtilieu als SBirfungSfaftor an
ihre ©teße unb baS ©efprädjhafte würbe nur immer intenfider in
ben 2)ienft beS SeitfafceS gefteßt: Slßem dorauf ber SDtenfch! 2)em
„©techlin" mangelt mit ber ^anbtung, bem zeitlichen Verlauf einer
beftimmten ©efcpichte, zwar auch jebe 5lftioität, aber opne baß bie
bauenbe Äraft eines 2KitieuS bafür @rfa| böte. Unb audh ber
lange $ug oon ©eftalten, mit jeber Dichtung aufs neue unb un*
derwedhfelbar dermehrt, gewinnt feinen wefentliehen ^uwacpS.
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304
Vierter Jcil. I'ie epifdjen Spätwerfe
SBcr gontaneS Romane einmal in geitlidjer golge an fidp dor*
über gleiten läjjt, wirb aud) bei Veginn ber Seftüre beS „(Stettin"
bie ©eftalten aus „Vor bem ©türm" nod) gegenwärtig Ijaben.
Mag baS ©rlebniS beS SBertcS nodj fo weit gurüdliegen — Vernbt,
Sedin, SlgneS, Senate, Äatpinfa nidjt nur, aud) bie weniger im
Vorbergrunb placierten giguren begatten beuttidje Umriffe. Varon
Vamrne, bie ©djorlemmer, bie |mlen, ^oppeitmariefen dom gorft-
ader, fie haften feft in ber (Erinnerung traft beä einprägfamen
35id)terworte$, was aud) ingwifepen unfere Sßpantafie an neuen
©eftalten ber fontanifdjen SRomanwelt aufgenommen fjaben mag.
Vermittelt nun bie Velanntfdjaft mit ben Menfdjen beS „©tedjlin"
gteidp ftarfe unb bteibenbe Smpreffionen? Äommt e$ nidjt erft
fyinterper, erft ber nadjredjnenben Sftefleyion gum Vewufjtfein, bajj
Montane pier eine güüe don ©eftalten aufgeboten fjat, wie feit
„Vor bem ©türm" nicf)t mepr? @3 gilt eben don itynen, waS
don ben Vorgängen gilt: Montane gibt weniger Menfd)en, als
?tnweifungen auf fotefje. ©ewifj, bie eine ober anbere einbrudfS»
dolle ©ebärbe bleibt, ber alte „@tecf)Iin" wirb fid) nodj am elften
neben bem alten Vernbt palten fönnen, aber was ift SEBolbemar
neben ßeoin, 9lbelpeib neben Slmelie, was bie VarbpS neben ben
SabalinSfiS! äßer don Montane nicptS gelefen pat unb feine erfte
Vefanntfcpaft burep ben „©tecplin" madjt, mufj notwenbig ben ©in«
brudf einer wopl reichen Sßerfönlicpfeit empfangen, ber aber bie
©abe ber ©eftaltung, ba£ $in*fteHen einer SGßelt don Menfcpen
unb Gingen feplt unb bie biefen Mangel burep tiebenSwürbigeS
Sßlaubern über all unb jebeS gu erfepen fuept.
©ie alte ©epaffnerin ber „ißoggenpuplS" pat noep bie dolle Sßlaftif
beS runben, wirf fiepen 2)afein§, bie 9iebenperfonen beS „©tecplin"
werben gum guten Xeit auf blofje Seitmotide geftettt, wa§ immer
eine Verarmung, einen Mangel an waprpafter ßebenSfüße der*
rät. Unfe pat aHe§ „gweibeutig" gu finben, SBrftpowip für
„Äritit" gu fdjwärmen, bie pringlidpe Oberförfterin auf „^ßflicpt"
gu poepen, wie bie gbfenfepe Marionette, grau ©olnefj, aber opne
bafj über biefe ©prucpgettel pinau$ ba§ waprpaft belebenbe SBort
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l
3. Die ^oggettpuljlä. ®cr Stettin
305
ihrem Ütttunbe entftrömte. 2Ba8 ift nicht bcr ölte Vrieft, felbft wenn man
i£)ttt feine SiebtingSrebenSart oorn „weiten gelb" neunten wollte!
Studfj bte ^auptgeftatten bleiben fdjemenffaft. Sie Verlobung
SBolbemarS mit Äomteffe Strmgarb ift fo unmotioiert wie ber
überrafdjenbe ©etbftmorb ©djachS, nicht mehr bie wirfungSootte
©parfamfeit, ba§ fprecfjenbe Verfdhweigen beS -ifteifterS, fonbern
ein (Srlafjmen, wie eS einft Beiden beS noch nicht erftorften Sin*
fängerS war. SBolbemar fönnte ebenfogut bie ©räfin ©hiberti
freien, ohne ba| man e§ als zufälliger empfänbe. SBir wiffen in
feinem ber brei 2Kenfcl)en Vefdjeib, fo oiel fie auch reben, unb
eben barum nicht, .weit fie nur nod) ^unftionen, nur noch ber
©efprädfje falber ba finb, weil Soutane auf baS ©igenredht feiner
©eftatten nicht mehr Vebacfjt nimmt. Sie grofje SluSeinanber-
fefcung ber „Qsffi Vrieft" zWifd^en Snnftetten unb SßütterSborf ift
nur zwif^en biefen beiben möglich, waS ben abfoluten ©eljalt
nid^t beeinträchtigt, fonbern förbert. Ser „©tecf)lin" führt in einem
ähnlichen Äerngefpräch (®ap. 29) SMufine als Partnerin beS
SßaftorS Sorenzen ein, unb bie SBirfung wirb lahmgelegt, weit bie
Sittersweisheit SontaneS fiel) gar zu fettfam unb unwahrfcfjeinlich
im üttimtbe biefer liebenSwürbigen ©efettfdhaftsbame auSnimmt.
Unb fo ift eS allenthalben. SeS Söertootten im „©techlin"
oermag fidh erft ber zu bemächtigen, ber mit ben ftofftidhen Vor¬
gängen unb Vorwänben beS VudffeS befannt ift unb nun Witt-
lürlidh auf ein beliebiges Kapitel zurüdfgreifen fann, um eS loS-
gelöft, in reinem gürfidjfein, zut genießen. Sann tritt ber aufjer-
bidhterifdhe ©eholt erft ganz on§ Sidht. gontaneS „©techlin" lebt
— wiffentlidh ober nidht — oom StuSfpredhen tebigtidh gebadeter
Inhalte. Sn ihm finbet fidh bie einzige, ©teile unter ben Saufenben
oon ©eiten, bie Soutane fdhrieb, wo bie $ßh anto fi c ' baS bichterifdh
©ntfdheibenbe, auSfe|t unb irrt. Srn fechSunbbreifjigften Kapitel
hämmert zweimal, im Slbftanb oieler ©tunben, ber Sßinterabenb —
ein Äuriofum in biefer fonft fo ftaren tttomanwelt, bas pur er¬
wähnt fein fott, weit eS für baS ©harafteriftifche beS SßerfeS fehr
bezeidhnenb ift.
SBanbtety, gontatte 20
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306
Vierter Xcit. 3)ie epifdjen ©pättucife
^}ebiglich gebaute Snljatte. $)amit finb wir auf bie geiftige ^ßer*
^ fönlichfeit zurüefoerwiefen, als bereit ©manationen bte Vornan*
reibe üon „SBor bem ©türm" bis jum „©techlin" ju betrauten
toar, bie an biefen Dichtungen erft in ihrem objeftioen Seftanb,
ihrer ilberperfönfic^en ©ettung fic^ bofumentiert. Der „©techlin"
wirb für ben fjontanefenner jum ^ontanebreoier, baS freilidh
feinem ben ganzen Umfang feines Sehenswertes erfepen fann, aus
bem aber allenthalben bie üertraute ©eftalt öernehmlid) rebet,
nichts SteueS unb Unerwartetes, aber baS Sitte beftärfenb, baS oft
©efagte in prächtiger ©pructjweisf>eit befräftigenb.
Sticht nur ber atte DubSlaö ©tedhtin fpridljt fontanifdhe Sin*
fidhten aus, wenn audh in ihm ber fpe$ififdfje ©ehalt futminiert.
über baS ganze S3udh hw Jtnb oiet ftuge unb gute üEBorte oer*
ftreut, bie als foldfje, als fontanifche SlphoriSmen genommen fein
wollen. Da| bie Sßole feines SBefenS, baS 2Mrfifch*.fpeimatliche
unb baS $ranzÖfifch*2Öettmännifche in ben ©eftalten DubSlaüS
unb beS ©rafen Sarbp auSeinanberträten, ftimmt nidht recht. Sn
beiben ftnb beibe (Elemente feiner Statur oerfangen. DubSlaö ift
trop feines ©infiebtertumS fein bloßer ntärfifcher Sunfer, übt
fräftige ^eimatsfritif unb hat zeitweilig ben ßug in bie $rembe,
unb IBarbp, ber ehemalige Sonboner SotfdhaftSrat, lebt oiet jurücf*
gezogener, ift mit feinem „Keinen ÄreiS" oiet ejflufioer unb fon*
ferüatioer, als er mit feiner Vorliebe für englifche Freiheit unb %
gefeUfdhaftlidhe Snfzenierung beS SebenS SBort haben möchte. ©oUte
mit ben beiben ©eftalten wirflich em ©egenfafc beabfichtigt gewefen
fein, fo wäre er nidht recht h^rauSgefommen, wie mandhe anbere
bidjterifche Sntention beS SBerfeS üon bem burdhgehenben perfön*
lidhen Strang nach SöefenntniS oerwifcht worben.
Unb ber „©techlin" ift audh Wn potitifd^er Stoman, wie ihn
gontane einmal brieflich bezeichnet. @r ift unpolitifdfj wie DubSlaü,
wie fja^tane felbft, oon beiben gilt bie SJteinung SBolbemarS über
feinen SSater, bafj er „wohl baS ßeug habe, mit oiel gutem
SJtenfchenoerftanb unb noch wehr ©ulenfpiegetei feine SJteinung
über aßerhanb politifdhe Dinge jum beften ju geben; aber im
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3. ©ie üßoggenpuf)l3. ©er ©tecfyliu 307
SReidjStage factj= unb factjgemäfe ju fprectfen, bag tonnt’ er nicf)t
unb wollt’ et aud^ nicf)t\ 2)ubgtaü nimmt feine 92iebertage bei
ber 2Baf)I in 9tljeingberg*2Bup fo rnenig tragifctj, wie eg nur ein
unpotitifdjer 9Jtenfc^ fann, er ift innerlich frei, bog ßiberate bei
if)m |)augatmofpf)äre, aber er tactft über ben Sßarteitiberatigmug.
„Sch bin nicht für bie patentierte Freiheit ber ißarteitiberaten,
aber ich bin bodf) für ein beftimmteg SDiafe oon fjrci^eit über*
Ijaupt." Sowenig fictj ber Sitte mit feiner ©djwefter Stbetheib,
biefer „Gelange oon Königin (Stifabett) unb Äaffeefctjwefter" oer*
trägt, barin ftimmen beibe überein, bafe fie bie patentierte Freiheit
nicht hoch anfcf)lagen. „Freiheit ift gar nidf)tg; Freiheit ift, wenn
fie fidf) üerfammetn unb Sier trinfen unb ein Statt grünben" —
biefer Slugfprucf) Slbelf)eibg fönnte auch oon 2)ubgtao fein.
Stber an ber fjrei^eit, bie Sßaftor Sorenjen oertritt, täfet er
nicht rütteln, wag auch bie bornierte ÜJättetmärferin gegen ihn
oorbringen mag. „$rei, aber nicht frech", ift fein ©ap, unb ba
ber atg fojiatbemotratifch öerfctjrieene Sßaftor wie eine Serförpe*
rung biefeg ©afceg oor ihm wanbett, f)at ihm SDubgtaü nicht nur
bie (Srjiehung feineg ©oljneg übertaffen, fonbern bleibt auch oott
menfd^tic^en Sertraueng gegen ben ©eetenfjirten feiner tteinen
©techtingemeinbe, wo er nicht metjr oerftef)t. SGBotbemar weife an
ßorenjen nidtjtg Seffereg ju rühmen, atg bafe er „reinen §erjeng"
ift. Son biefem menfd^tic^en Äern aug Witt Montane bie Stnfict)ten
beg ^ßaftorg betrautet wiffen, bie eben oiet mehr atg Stnfichten
ftnb, tiefe, in einem reifen unb langen Seben gereifte (Erfahrung
eineg gütigen SEBettweifen, ber eg mit bem Überfommenen tjätt
fotange wie möglich unb mit bem Sfteuen nur foweit eg fein rnufe.
„Scf) refpeftiere bag Gegebene, daneben aber freilich audf) bag
SGBerbenbe, benn eben bieg Söerbenbe wirb über fur$ ober tang
abermalg ein ©egebeneg fein. Sttteg Sitte, foweit eg Stnfprudf)
barauf t>at, fotten wir lieben, aber für bag 9?eue fotten Wir recht
eigentlich leben." ®iefer tebenbigen unb überpolitifcfjen SEBeigfeeit
ift jeber Äaftengeift fremb, jeher aufgefteifte Sßatriotigmug oerfeafet.
©ie oerfällt ebenfowenig ber „naiüen Neigung ber Oberfpfeäre,
20 *
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308 Vierter £eil. Sie epifd)en Spätioerfe
alleg ^ßreufjifche für eine Ijötjere Äulturform ju Raiten", noch bem
genfer, mit ben jungen unb Süngften burdj bief unb bünn ju
gehen. 2)ag toeife ©owohkalgauclj, bag wir für bie geiftige Sßer**
fönlidhfeit gontaneg alg ültorm erfannten, ift ber unauggefprodhene,
ober allenthalben wirffante Seit^a^ auch i ra „©techlin". SDubglao**
Montane befennt: „3<h bin fein gronbeur. fffronbe mir gräflich
unb paßt nicht für ung. 33lofj mitunter, ba pafjt fie üielleicht
boch-" Ober:« ,,©g tjei^t immer, ber Slbet gehöre auf feine Scholle,
unb je mehr er mit ber oerwachfe, befto beffer fei eg. 3)ag ift
auch rostig. Slber etwag ganj Nichtiges gibt eg nicht."
Unb hoch ift auch ber alte ©tedjlin fein Sftelatioift, im
„©tedhlin" nirgenbg einer geiftigen ©aloppheit bag SBort gerebet.
Montane oergi§t nicht, ben auggefprodjenen Drbnunggfinn 2)ubglaög
ju betonen, unb läfjt ihm fpäter feine eigene unb oft befolgte
ßebenSmajime: fortiter in re, suaviter in modo nadhfagen. @g
füllt 25ub3laü fchtoer, bie IRefpeftgperfon gu fpielen, unb er braucht
eg auch nicht* weil er refpeftiert Wirb, ©t ift oertraut ohne 33er=
traulichfeit mit feinem treuen Wiener ©ngelfe, gern in guter ©e*
feßfehaft, aber ohne rechteg $reunbfdhaftgbebürfntg, ba er als
marfante ^erfönlidjfeit bie ©cijwächen ber anberen ju fchneU bur<h=*
fdhaut. Smmer wieber fühlt man fich über 2)ub§lao ju Montane
jurüefoerwiefen unb jpürt, wag er alg SBefentlicheg, ©harafte*
riftifcheg, Sßertüofleg empfanb unb empfinben burfte. S3eibe finb
geinbe jeber Überheblichfeit, reflejio genug, um ftetg bie Äehr-
feite ber 3Rebaiüe ju fehen, wofür ®ubglao ben 9lugbtucf „ge**
mifdhte ©efühle" gebraust, beibe finb- ©aufenre unb hören eg nicht
ungern, wenn man fie ©aufeure nennt, finb manchmal ein bifjdfjen
„ungenierter im Slugbrucf, alg man oielleicf)t fein fottte", aber nie
frioot, preifen, jeber Äopfhängerei abholb, ©üte unb ^eiterfeit alg
beg Sebeng S3efteg unb hätten überhaupt wenig an ber lieben
©ewohnheit beg 2)afeing augjufe|en, wenn „bag oerbammte ©elb"
nicht Wäre. 3)ieg fonnte Montane 2)ubglao nicht erfparen, bajj auch
er „oon fdhwad^en Mitteln" ift. ©g hot. bie gleichen ©aben unb
SSorjüge im ©efolge, bie nun auch $ubglao jugute fommen, auch
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3. $ie ^oggenpufjte. $er 3ted)lin
309
biefer als Vorzüge empfinbet, ooran bie Keinen ^reuben be8 M»
tag8. SBie bcr greife gontane auf bie grage, ob ihm „in biefer
SGBelt überhaupt noch wa8 gefällt?" lächelttb antwortete: „Sieber
3freunb, mir gefällt noch allerlei" unb unter anberm auf ba8 erfte
Xiergartengriin unb etwa einen „Vacffifch mit einem 2Wo$artjopf"
hinwieg, fo überbenft ber alte 2)ub8lao im Vorfrühling feineg
©arteng mit ftiHem Vehagen, wie manche greube bag ßeben hoch
noch immer habe; bie $arfbäunte unb ben Vudjfinf, ber fo ohne
©cheu auf feinen Xifch flattert, unb bie Heine Hgneg mit bem
roten ©tricfftrumpf, bie immer um ihn ift. .
$ubg(ao unb Montane ftnb auggefprochene 9lnefbotenIiebhaber,
treten gern für8 kleine, Rebenfäcf>liche ein unb für ben rechten
* SWittelweg. „Sch h°& c mal gehört, unfer märfifdfjeg Sanb fei bag
Sanb, -brin eg nie ^eilige gegeben, brin man aber auch feine
Äe|er oerbrannt habe, ©ieh, bag ift bag, worauf eg anfommt,
aJlitteljuftanb, — barauf baut fich bag ©lücf auf." Stber audh
bag ©rofje unb UnaCtäglic^e, bag $elbifcf)e fommt im „©techlin"
$u feinem fRecht. 2)ub8laD*S<mtane blicft $u $riebrich bem ©rofeen
bewunbemb auf, beruft fich nicht nur bei ben Vefehrunggoerfuchen
ber Dberförfterin unb beg ©uperintenbenten energifch auf ben
SUten oon ©angfouci, ber eg auch mit feinem „nach eigener gaffon
felig werben" richtig getroffen habe, fonbern will felbft feinem
lieben $aftor Sorenjen ernftlich böfe werben, alg biefer gegen bag
§elbifche ju polemifieren fcfjeint. (Sr hat jwar felbft gelegentlich
mit gontane caufiert: „gelbentum ift Slu8nahme$uftanb unb meift
Sßrobuft einer ßmangglage", aber nun befennt er ebenfo fentanifch:
„Sch fpiele mich perfönlich nicht auf $elbentum au8, Renommieren
ift ein elenbeg £>anbroerf; aber bag barf ich fagen: ich liebe bag
^elbifche. Unb ©ott fei 2)anf fommt begleichen immer noch nor."
©g ift aber nur ein fdjeinbarer ©egenfap, ber fich in biefem
widjtigften ©efprächgftücf beg „©techlin" jwifchen 3)ub8lao unb
Sorenjen auftut.- Veibe oereinigen unb Dergleichen fich, at8 ber
Ißaftor bie fdjönfte aller Don fjontane erzählten Slnefboten, Dom
Rorbpolfahrer ©reelep, berichtet hat, unb bamit $um ©precher
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/
310 SBierter 2eil. ®ie cpt|'d)en Spättuerfe
eines füllen |>eIbentumS gemorben ift, baS im 35ienft eines aller*
eigenften, aflerfc^roerften, bem getriebenen ©efefj miberfprechenben
©ntfdjluffeS herangereift ift. Montanes SnbiöibualiSmuS unb all*
gemeine SDtenfchenliebe haben ba noch eine lefcte 3)urchbringung,
ein oolIfommeneS Symbol gefunben.
Schon in „SSor bem Sturm" ging allem oorauf ber SJtenfch.
Unb boch mürben in Sernbt nerne^mlidje ßroeifel laut, bafj ber
SJtenfcf) baS ÜJtafj ber 2)inge fei. 3m „ Stedjlin" burfte auch biefe
?llternatiüe nicht fehlen. $)em Ijöchften SßreiS beS 3nbioibueHen
folgt bie oergleic^enbe ©infidjt: „$>aS ,3cf)‘ ift nichts — bamit
müfj man fi<h burdjbringen. ©in emig ©efefclicheS öoUjieht’ fi<h,
meiter nichts, unb biefer 93oll$ug, aucf> menn er ,$ob‘ fyeifjt, barf
uns nicht fchrecfen. 3n baS ©efepliche fich ruf)ig fchicfen, baS
macht ben fittlichen SJtenfdjen unb hebt ihn." Staturgebot unb
gefeUfchaftliche Äonfequenjen, baS 3<h unb bie Orbnung, baS
SnbioibueHe unb baS ©efefcliche finb in ben lebten ©efprächen beS
fterbenben Stettin noch einmal auf bie cf>aralteriftifd|e fontanifche
formet gebraut, einen fruchtbaren Söiberftreit, einen ehrenüollen,
taügen Trieben feinbticher SJiächte.
Montane burfte am ©nbe in ®ubSlao, ber füll unb fcf)tner$*
loS baS Zeitliche fegnet, feinen eigenen frönen Job oorauSahnen
unb — hoffen. SMe ©rabrebe SorenjenS auf feinen alten ißatronatS-
herrn ift fchon bei ber ^Berliner Totenfeier mit Stecht oon ©rieh
Schmibt für bie SJtanen beS Richters in Änfpruch genommen
morben. „Sah man ihn, fo fdjien er ein SUter, auch in bem, mie
er $eU unb Seben anfah; aber für bie, bie fein mahreS SSBefen
fannten, mar er fein SUter, freilich auch fein Steuer... ®r mar
recht eigentlich frei. SBufjt' eS auch, menn er’S auch oft beftritt.
2)aS golbene $alb anbeten, mar nicht feine Sache. Taher fam eS
auch, bafj er öor bem, maS baS ßeben fo oieler anbrer oerbirbt
unb unglücflicfj macht, bemalet blieb, oor Steib unb böfem Seu»
munb. @r hatte feine fjeinbe, meil er felber feines SJtenfdjen fjeinb
mar ... ©r hatte bie Siebe. StichtS ÜJtenfchlidjeS mar ihm fremb,
meil er fich felbft als SJtenfdj empfanb unb fich einer menfehlichen
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3. $ie '.ßoggenpuf)!*. 'ler otcdjlin
311
Sdjwödje jcbcrjeit bewußt war.(Sr war bag SBefte, wag mir
fein fönnen, ein SRann unb ein Äinb."
SIBer wir wollen bodj nidjt biefe ©rabrebe bag Sefcte fein
laffen, nidjt feierlich werben, wo eg ben Slbfdjieb oon einem fo
ganz Sdjlidjten unb Unfeierlidjen gilt. SBenben wir lieber ben
©litf noc§ einmal zum lebenben 2)ubglao jurüd, bem ßorenjen
feinen lebten Äranfenbefudj maefjt. $a fagt ber $Ilte fdjalfljaft:
„(Snblid). SBo bleiben Sie? Sterben unb oerberben !ann man.
Unb bag fjeifjt bann Seelforge." Unb Sorenzen, wie wef) eg iljm
audj umg $erz ift, antwortet in gleichem Xon, aber aug innerfter
SBaljrljeit unb Überzeugung: „£>err oon Stettin, Sfjre Seele madjt
mir, trofc biefer meiner 33ernad)läffigung, feine Sorge, benn fie
Zäljlt ju benen, bie jeber Spezialempfefylung entbehren fönnen.
Saffen Sie mUf) feljr menfdjlidj, ja für einen Pfarrer beinah läfter*
tidj, fpredjen. 2lber id) mufj eg. 3dj lebe nämlidj ber Überzeugung,
ber liebe ©ott, wenn eg mal fo weit ift, freut fic^, Sie wieber-
jufe^en."
2Ser wollte zweifeln, bafj bag gleiche 2Bol>lgefaflen im fiimntel
war, alg ftef) bag Urbilb beg alten 2)ubglao Sterfjlin z« glctd^er
SBanberung anfdjicfte?
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günfifer Seil
Sas fefunfeäre ©c^affctt
i. Sie epifc^ett S^eBentoerfe
ontaneS toefentlidje Sßerfe, bon feinem fpejififdhen ©ein unb
Seben geformt, mögen fie nun Sn* unb Sbftieg ober ©ipfel*
punfte feines Schaffens bebeuten, grenzen fi<h als @inf)eit nach
aufjen hin gegen einen ÄreiS oon epifchen ißrobuften ab, bie aus
oerfdhiebenen Urfad^en belanglos geblieben ober mißraten ftnb.
S^re ftarfen ÜJtänget treten heute auffälliger fjerüor, als ihre
fd^toacfien Dualitäten, ©ie bebeuten Mieten, tote fünfte ber ^ßro*
buftion, tote eS beren bei jebem fruchtbaren Äünftler gibt. 9ßer
nicht mit fpärli<hen Kräften unb ©toffen ängftlich §auS holte«
unb bie möglidhfte BoHfommenheit jebeS einzelnen ©ebilbeS unter
allen Umftänben anftreben mu| — Zünftler mehr beS angefpannten
SBiUenS als ber inneren güHe — ift reich genug» um nicht aufjer*
halb beS Schaffens, fonbem im Schaffen felbft auSruhn gu fönnen.
®ie Ütefultate folcher Stagnation pflegen als felbftänbige Sßerfe minber*
toertig, oft mertloS unb erft in ihrer Beziehung jum Berfaffer recht
begreiflich $u fein. SDaS ift bann freilich eine lebiglich prioate Sltot*
menbigfeit, aber fie mirft ein toillfommeneS, fchärfereS Sicht auf bie in
fidh abgerunbeten Schöpfungen, bie eigentlichen Dbjefte ber 2)ichtungS=
gefehlte nicht nur, fönbetat auch ber monographifdfjen Betrachtung.
ontaneS erfteS 3ufalISprobuft biefer Srt ift ber SBiener @h Cs
roman „©rafBetöfh", Sommer 1880 begonnen, 83 meiter*
geführt unb öoltenbet. 2)ie zeitliche üßadhbarfdhaft beS „Schach oon
SGButhenom" totrb ftar! fühlbar, nach rücfroärts führen gäben ju
„S’Sbultera", nadh oortoärtS $u „Steile".
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1. $ie epifc£>en 9Zebentoer!e
313
Zweierlei läfjt ben „$etöfp", ber nur beS gepflegten Stiles
willen ju rühmen Wäre, mißlingen: ber SKangel ber etljnograpf)tfcf)en
SöaftS unb ber 51uSgang üom Problem, ftott oom erlebten äRenfdjen;
beibeS ftefjt in ©egenfafc ju gontaneS üblichem ScfjaffenSprojefj.
2Bie in „S’Slbultera" gibt ein berliner ©efeltfaftSereigniS
ben Slnftofj unb Stoff. Sine beliebte jugenblidje Äünftlerin beS
$önigli<$en ScfjaufptelljaufeS jog fiel) oon ber ©üljne jurücf unb
heiratete' einen ungarifcfjen ©rafen in beträdjtlidj oorgerücften
Sohren. Sei eS nun, baf$ bie Sd^aufpielerin als Sßerfönlicfjfeit
Montane nid^t intereffierte (als Sfjeaterfritifer fannte er fie feljr
wofjl), fei eS, bafj ber ungarifdfje greife freier feinem Smpfinben
ferner ftonb als etwa ber ©erfiner Äommerjienrot oon ber Strooten,
jebenfaUS t)at feine ber beiben ©eftalten feine bicfjterifdjen Kräfte
§ur 9fnfpannung gebraut. Ser SluSgangSpunft beim „^ßetöfp" ift
äf|nlicf> mie beim „Scijadfj": baS Problem intereffiert Montane meljr
als feine menfdfflidjen Präger, oon ifjm gef)t er aus, ber nadf)
Sauren fo ungleichen Beirat, unb fonftruiert aus bem oorliegenben
$aftum gebanflicf) bie Urfacfjen unb folgen. SaS SRefultat ift
ein Stücf Sßroblemliteratur im bebenf licken Sinn: bie aufgeworfenen
fragen werben nicht gelöft burch ©eftaftung, fonbern berebet, ja
gerrebet burch ÜDtenfchenmafdhinen.
Sie pfpcf)ofogifdje Stjarafteriftif bleibt burdfjweg auf bem
ÜRiüeau beS üblichen UnterhaltungSromanS. Montane macht für
feine SurdhfcljnittSfiguren ftarfe Slnleihen bei ber epifcfjen fRequifiten*
fammer. Ser ÜRangel an Snbioibualität, bie fonoentionette ©er*
blafenffeit tritt beutlich ^eroor, wenn man nur einen ülugenbticf
bie Sienerin unb greunbin g-ranjiSfaS, §anna|, neben bie SRoSwitha
ber „Sffi ©rieft", Sßljemi, bie ©efäljrtin ber Sommerfrifdje, neben
bie Ütätin ßwidfer, Sgon neben ©orbon, Slbam neben oan ber
Straaten, 3ubitf) neben bie Sante Somina aus bem „Stettin"
benft (9RenfdE)en ber ©erliner Romane, bie an ihrer Stelle äf)n=
liehe SSirfungen auS^ulöfen £)aben). Sen ißetöfpgeftalten fehlt ber
geheime ßebenSmittelpunft, fie finb teils abgeleitet, teils fonftruiert,
Seemen ohne SigenwiHen unb Sigenwadfjstum, mit unb aus benen
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314
fünfter ieil'. $ag fefunbäre Schaffen
fich ba« Sßiberfprüchlichfte folgern läfjt. Sine ©eftalt toie Sßfjemi
ift nur gunftion; ätoeef^aft in« Vulgäre ^ihabftitifiert, fott fic
granji«fa beben, für bie §lbel«welt möglich machen. 3b r „©eift“
fönnte auch öon «n*w gefd^ieften Siteraten berühren, toie ber*
gleichen genug in Berlin unb Sßien Romane getrieben haben
unb noch fchwiben.
granji«fa ift nun freilich oom Stutor al« ©egenbilb ber faloppen
unb unbebenflicben 5h catcr *°^gin gefliffentlich h era u«geftrichen,
aber fetbft blofje 2)ame, oom 2Renf<hentum ju gefchtoeigen, ift
fte nicht, fonbern will unb fott auch ft* »»ur fein. Montane jeigt
wohl bie ©lemente auf: ©eift, ©harnte, jßifanterie, Klugheit, fühle
Berechnung nach aufjen hin unb im Bewufjtfein, latente Seiben*
fchaft im Unbewußten, — aber er bleibt ben ßufamntenfchluß jur
menfchlichen ©inheit fcbulbig. Unb auch © ra f Slbant ift nur gewollt,
nicht gefehen, toirb mie Schach in ber SReflejion ber anberen oiel=
fach sefpiegett unb oon gontane aufgelegt, ohne baß ein 2Ba§
üorhanben toäre, ba« aufgelegt unb gesiegelt toerben fönnte. ©r
ift errechnet al« bloßer Bebeutung«wert be« gebachten Problem«.
$>er Bergleich mit „Schach" läfjt fich noch weiter führen,
ohne baß bem befonberen ©harafter be« „jßetöfß" $wang gefd^ähe.
2)ie 9tetortenmenfchen werben allenthalben jure^tgerüeft, bem
Problem entfprechenb umgebogen. 9Jiögen e« nun nachträgliche
Schlechtbefferungen fein, mit benen Montane nach ber erften lieber*
fdfjrift auffteigenbe Zweifel an ber ©laubhaftigfeit ber ©ntwidflung
$u befeitigen fuchte, wa« au« brieflichen ßeugniffen ju fließen
wäre (an feine grau am 15. guni unb 13. Sluguft 83) unb ba«
SBahrfdfjeinlichere ift, fo wie biefe Stellen fich al« SMdfer
unb pfpchologifdhe SBegweifer au« ber fließenben jßrofa tyxaui*
heben, — mögen fie fchon in ber burdfj unb burch refleftierten
Einlage be« SBerfe« enthalten fein: bie leibenfcfjaftliche SBallung
ber gran$i«fa, ihre ßonöerfion, ber Selbftmorb ©raf 21bam«
bleiben flo«felhaft ohne bie ©rhärtung ber bi<hterif<hen gorm, wie
bie Äonoerfion ber Bictoire unb ber Selbftmorb in ber Schach*
9ioüeHe. S)a« hat gontane felbft gefühlt, al« er in gebanflidhen
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I
1. $)ie cpifdjeri SZebemoerfe
315
33ormegmotioierungen baS Spätere anflingen liefe. 3)aS über*
prononjierte Selbftmorbgefpräcfe im 3. Kapitel ift ein gefelgriff,
ber eine bicfeterifcfee ©ntmidftung, märe fie möglidfe gemefen, oon oorn*
feerein unter6unben feätte, bie Söemegung beS ©anjen zentrifugal, na<fe
einem tenbenjiöfen $iel fein einfteCCt. 2)ie nücfeterne Älarfeeit, bie
^errfcfeaft beS SßerftanbeS ftatt ber lünftlerifcfeen Sinnlidfefeit, burcfe*
bringt oon biefent entfcfeeibenben Stuftaft aus baS ganze SGBerf,
mag nun Slbam*3ubitfe ($ap. 10), Stbant*5ran$iSfa ($ap. 11),
$ran$iSfa*£annafe (Äap. 12) ober gontane felbft jum Problem
reben. fefett bie menfcfelicfee Subftanj, bie baS Sieben bicfeterifcfe
erft finnooß macfete.
S)ie Debatten bilben nicfet an ben äßenfcfeen, mobeßieren fie
nidfet. fJontaneS bominierenbeS ©eftaltungSmittel, bie ©efpräcfee,
oerfagt, fie ifolieren ficfe, aber ni(fet mie beim fpäten Stecfelin*
Montane ju mertooßen Sefenntniffen beS SDicfeterS, fonbern zu
Klaubereien eines beliebigen ©eiftreicfelerS. @S ift gleicfegültig, ob
bie ©eftalten leblos bleiben, meil bie ©efpräcfee uncfearafteriftifdfe
finb, ober ob bie ©efpräcfee toerfagen, meil baS ©eftaltenerlebniS
im „Ketöffe" fefett. ®aS eine märe mefer ein tecfenif<fe*äftfeetifcfeer,
baS anbre ein mefer feelifcfe*gefealtlidfeer SluSfaß. 2ftan fpridfet über
aß unb jebeS, mandfeeS beliebte Xfeema, baS in anbren Romanen
OfontaneS formfräftig auSgenufet mirb, bleibt im „Ketöfp" biofeer
ßtofeftoff (©raf Slbam, um ein Seifpiel zu nennen, fpridfet nur über
ßola, meil ifen Montane jufäßig als Seftüre in bie Sommerfrifcfee
mitgenommen featte). $)er ©efafer, ficfe ju oerplaubern, bie bem
©aufeur immer nafee lag, mag er im „Ketöffe" nodfe burcfe einen
befonbern Umftanb, bie ftunftion ber granjiSfa als UnterfealtungS*
gattin beS ©rafen Slbam, oerfaßen fein.
üßur bie norbbeutfdfeen Sminemünber ©inlagen (Äap. 9 unb 22)
taffen einen faft förperlicfeen 2)uft oon SBirfticfefeit einftrömen. Sie
fprengen ben SRafemen beS SSerfeS, feeben fidfe ju iferem Vorteil unb
jum ßiacfeteil beS ßtomanS feerauS, meifen, menn aucfe gebanllicfe moti*
oiert, burcfe ifer blofeeS SDafein mit ftörenber ®eutli<fe!eit ben üftäfer»
grunb oon Montanes Stärfe unb bie Urfadfee ber Scfemäcfelicfeleit
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316 ^fünfter Steif. ®aä fef unbär e ©djaffen
beg „Sßetöfp": bie etffnograpfjifdfje Söafig norbifdfien Sobeng, oljne
ben Montane nid£)t rnefjr Montane ift unb feine bidffterifdfje Äraft
oerfiert. üftidjt nur bie üEtenfdjen bleiben febfog im ,,$etöft}", audfj
bie gewählten fernen @<f)aupfä|e finb bidf)terif<3j nidfjt bedungen,
^ontaneg SBien ift fo wenig wienerifefj, wie fein ©cfjfofj am
Strpofee famt feinen Snfaffen etwag mit bem wirffidffen Ungarn
$u tun f>at. (Sr War wof)I um Sofaffoforit bemüht, aber bie paar
©trafjennamen, bie ©orge um fteirifcfje ©pejiaEjeifige, bie $tn*
rufung ßenaug bleiben ein fpärlidjer SBe^felf. 2)ie grofje 2fbenb*
gefeEfdfjaft beg ©rafen in Söien unb ber 33efudj ber mtgarifdffen
Slbetigen auf ©df)tof$ Slrpa werben mit gutem ©runb nur ermähnt,
in ber epifefjen $)arfteEung überfprungen, wäf)renb fofdfje 2)iner*,
©efeEfdf)aftg» unb Sefud&gfjenen fonft jum ehernen 93eftanb feiner
SRomanwelt gehören. gontaneg Unoermögen, fidj in ein ifjm gän^
lidlj frentbeg SDlitieu unb äRenfcijentum ^ineinjuoerfe|en, liefe feinen
Snftinft ridfjtig »erfahren, wenn audf) bie negatioe Sugenb beg
Sßegfaffeng nodf feinen pofitiben ©ewinn für ben Vornan bebeutet.
$)iefe SüdCen reben eine üerräterifdje ©pradfje.
SDer ERangef an lebenbiger Sttmofpfeäre unb ©jenerie wirb
im ungarifdfjen Seif noefj ftärfer fühlbar, weif ba baS eigentliche
Xfjerna, bag ©geprobtem, auf weite ©treefen üerabfdfjiebet wirb.
2Sie weifj Montane in ber nadf) bem „^ßetöfp" ooEenbeten „(Steile"
unterirbifdfj oorjurüdfen, ben fdjilbernben Scaler Steil, für bie
pfpdjologifdffe $üf|rung ju nufcen! 3m „Sßetöftf ift nicht nur
Ögfau in £)inficf)t ber bidfjterifdjen Sßergegenwärtigung fein Staate,
offne fjerienftimmung unb ©ommerfrifdjenfuft, bie bo<h offenbar
gegeben werben foEte, audf bie menfd(jIicfj=probIematif($e Ausbeute
ganzer Kapitel bleibt oerfdffwinbenb gering, wirb erbrüdft burct)
eine Äufiffenweft mit äufeerlith romantifdjem Efufpufj. (Srft afg eg
jum (Snbe geht, wirb bag Problem wieber aufgenommen, erinnert
ft<h Montane an ben ßweef feiner Figuren unb föft bie fogifefje
Etecfjnung reinlich offne SReft auf. 2)ag SRefuftat entfpridft bem
unfünftferifdfjen Urfprung beg SBerfeg, bag einem abftraften ©e-=
banfen, feiner bic^terifdffen Intuition feine (Sntfteffung berbanfte.
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1. 2)ie epijcfjen 9?ebemoerfe
317
CVm Dttober/ÜRobember 1884 f)at Montane eine kriminalnooelle
,0 „Unterm ©irnbaum" getrieben, of>ne befonberen fdjrift«
ftellerifchen ©tjrgeij, technifdh leger unb gebjaltlic^ ohne tiefere Sin«
fprüche. 3>n ben erften ÜRonaten 1885 mar fie für ben 3)rucf fertig«
gefteUt. Bie mürbe Montane ju ber anrüchigen ©attung geführt
unb mie hot er fid) mit i^r auSeinanber gefegt?
„Unterm ©irnbaunt" liegt jmifchen bem „^etöfp" unb „Quitt",
Berten, bie mehr ntechanifch gemacht als organifch gemorben, mehr
jmecthaft beftimmt als aus bem Spiel freier Kräfte heraus ge*
machfen finb. kriminelle Literatur aber ift fchon ber ©attung
nach jmecfhaft, tenbenjiös, auf (Spannung gefteUt nicht nur in bem
allgemeinften, bpnamifchen ©inn, in bem jebeS kunftmerf bei ber
3te$eption ©pannung unb ßöfung erzeugt, fonbern im befonbern
©inn beS ©enfationellen unb ftofflkh ©ingegrenjten. 2)aS Befen
unb bie Birfung folcher Siteraturprobufte liegt immer im ©toff
unb ber URache, nie in ©eljatt unb ©eftalt. ©ie tenbieren nur
auf bie „ßöfung" unb oerlieren mit ihr ßeben unb Steij.
9iun fagt gmar ©ttlinger in feinem gontanebudj: „kriminat*
ftoffe merben bei uns gerne mit SRaferümpfen betrachtet unb auf
bie Hintertreppe ber Siteratur Oermiefen; unb bodj h a ben erflärte
©röjjen ber Beltliteratur — mie 3)icfenS, ©aljac, $)oftojemsfi,
3ola — fich ihrer bebient unb h°* neueftenS ©erharb Hauptmann
eine Slnjahl feiner S)ramen auf kriminalfälle gefteUt." Slber foldhe
Berte finb eben bann aus blofjem literarifdhen ©efcfjicf ober
öitalen ©chmung entftanben. Benn fie ftärfere bidjterifche Berte
bergen, bleibt baS kriminelle immer Slnlajj ober ©erüft. 3ft eS
nur Slntaf, fo tann man üon eigentlichen kriminalgefRichten nicht
reben, benn nur ©eh&t unb gornt entfcheiben über ben ©attungS*
cf>aratter. Sft eS auch ©erüft, fjormfaftor, fo mirb, unb mit
fteigenbem Bert um fo mehr, ein äRifjoerhältniS eintreten jmifchen
bem eigentlichen bichterifchen ©ehalt unb feiner BirfungSform.
^ontaneS ÜRooette ftetjt jmifchen beiben ©pielarten in ber SWitte.
©ine 2Rorbgefd)ichte gibt ben ftofftidjen Slnlafj aber auch bie
technifche ©infleibung als ©panttungSgefRichte, unb baS Sntereffante
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318
fünfter letl. 3)a3 fcfuitbärc Straffen
babei ift bic SReaftion gontaneS au f ben oorgefunbenen ©toff.
Srojjbem er itjn als Äriminalfatt verarbeitet, ift bod) alles ©enfatio*
neUe unterbrüdft ober öielmef)r nid)t auSgefaltet worben. gontaneS
fdjriftfteßerifdfje Strt gab bie lauten SBirfungen nid^t Ijer. (Sr über*
geljt ben Stnfdjlag uub bie ©ottfüfjrung beS SRorbeS, begnügt fidj
mit furjen ^inmeifen ofjne auSfüfjrlidjeS Sietail unb gibt Weber
ein ©erfjör nodj eine ©eridf)tSüerf)anbtung mit wirfungSooßen
©laiboperS. (Sr berjidfjtet auf baS geftmaljl beS Äriminatfdf)rift*
fteßerS von ^ßrofeffion, ja nodj ntef)r: bie ©efd)id)te oerfdjmäljt oon
Anfang an bie ©pannungSfomponente: wer l)at ben üßtorb begangen?
2Jian weif}, eS finb ^rabfcfjedf nnb feine grau, weif} audj halb,
wer eigentlich im SEBagen ftatt ©$ulSfiS fortgefafjren ift nnb wo
bie Seidje liegt. Montane fteßt baS ©an$e auf bie grage: fommt
ber SDtorb überhaupt unb wie fommt er an ben Sag? Stuf biefen
einen ©unft wirb bie (SrWartung jentriert, was fdf)on bie urfprüng*
tief) geplanten Sitel „gein ©efpinfi, fein ©ewinft" unb „(SS ift
nidfjtS fo fein gefponnen" |eroort)eben foflten.
Äriminalgefdfjichte atfo bleibt „Unterm ©irnbaum", wenn auef)
bie eigentlich frimineßen ©enfationen $um größten Seit megfaßen.
Stber merfwürbigerweife gibt nun gontane auch bie (Sntlarbung
#rabfdhccfs, ben ^öfjepunft beS SßerfeS, faft lautlos, ohne jeben
(Sffeft. 2Sie baS ©terben ber grau unter bem ©efichtSwinfet ber
(Sntbedfung faum recht auSgenu|t ift, fo wirb $rabfdf)ecf tot auf*
gefunben, ohne baf} man auch nur bie Urfadfje feines SobeS er*
fährt. $at er fidf), in ber gatte gefangen, fetbft entleibt, ober ift
er einem ©ctjlaganfaß ertegen? gontane begnügt fid), nachbem er
fdfjon auf bie ©eftrafung ber Sebenbeu vernichtet ^at, mit bem
blofjen 9tn*ben*Sag*fommen beS ©erbredf)enS. Samit ift ber Suftij
genug gefefje^en.
Unb fiefjt man näher $u, fo war biefe Söfung vielleicht aud)
bie ber ©efdfjichte angemeffenfte. ©ie geht freilich auf Äoften ber
urfprüngtid^en Anlage, taufet ein wenig bie Erwartung eines
wirfungSoofl infjenierten Strafgerichtes, falls man bieS überhaupt
öon gontane erwarten mochte. Stber anbrerfeitS: traut man #rab*
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1. $ie ep't|d)cu Slcbemucvfe
319
fcljedf, wie er in ber ©efdjicfjte ge^eic^rtet ift, ben ÜJiorb überhaupt
ju? ©in tieberlid^er oerfcljulbefer ©aftwirt ift er, aber ein äÄörber?
2Ran glaubt gontane feinen Verbrecher nicht recht, baju ift er jn
fehr Vonoioant unb f)at guoiel oon beg SßerfafferS angeborenem
2Bof)ltt>otIen mitbefommen. SBag alg raffinierte Verkeilung wirten
foH, bie ben Verbacht ber £äterfc|aft oon if)tn ablenft, feine ©ut*
mätigfeit unb 9tu^e, wirft gegen ^ontaneg SBiHen alg Slugbrutf
oon SSefen. Montane war unfähig, einen mit allen SBaffern ge*
wafcljenen ^atunfen ju geid^nen, wag feinem bürgerlichen äßenfdjen*
tum $ur @h re gereicht, aber feine ÄriminatnooeUe beeinträchtigt,
©ie fdjeitert an bem oorne^men ©dhriftfteller, ber ben lauten
SBirfungen aug bem Sßege geht, unb an bem bifeiplinierten, wohl*
anftänbigen Sttenfcßen.
Sag Sttilieu ift ntühelog unb oortrefflicf) bef)errfcl)t, eine Strt
tanbfchaftüch*=fulturellen Äomplementeg jum f)iftorifc^ gerichteten
„Obertaub" ber „ÜEßanberungen", aber einen ßnwad^g oon ©eftalten
bringt ber „Birnbaum" nicht. Sßie fie einmal technißh benußt
finb, alg bloße gaftoren ber Äriminalgefcf)icf)te, bie bann fo un*
frimineU fidj entwicfelt unb oerläuft, bleiben fie fjontaneg feelifcßer
SOfttte fern. Sag SBort beg ©chuljen SBoptafch „$ircf)enorbnung
ift gut, aber ber äKenfdj oerlangt aud) feine Orbnung" ftreift nur
bie Oberfläche, in bie ©eftaltung ift baoon wenig eingefloffen.
3m einzelnen wirb man mancfjeg ©harafteriftifdhe finben. ©jnlgfi
etwa, jum „21nef boten* unb ©efdjichtenerjähler oon $adh" erhoben,
fnnftioniert in biefer (Sigenfcfjaft alg Verid)terftatter ber polnifcßen
Snfurreftion, ber bie Vorliebe beg Knaben Montane in ©wine?
münbe galt. 3m ©anjen aber haben wir eg auch mit einem
mißlungenen ^ßrobuft ju tun. „Unterm Birnbaum" ift Weber eine
in fich runbe Äriminalgefdhichte (Sie 2Rotioierung ßapert manch*
mal bebenflidfj. 3Kuß ©julgfi gerabe bei fcfjlechteftem SBetter fort*
fahren? SSag wäre fonft aug bem Sßlan ber £rabfdhecfg geworben?—
©inb bie Vehörben in Preußen wirtlich fo läffig wie ber ^riebricßg*
auer Slmtgrat im achten Kapitel? — Sßarunt geht man bei ber
Unterfudhung bem (Srbfdhaftgfdhwinbel nicht nadh, ber ben 9Korb
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320
günfter Seil. Sa# fehmbäre Schaffen
fogleic^ an ben Jag bringen mürbe?), noch fagt fie über ben
Ser f aff er ettoaS aug, bag ftd) nid^t anbergmo einbringlicher be*
' funbete.
arud) oon bem fdjfeftffyamerifanifdjen Senbengroman „Duitt"
rsX (Sntmurf (Sommer 1885, 9fäeberfcf>rift Sommer 86, Äorreftur
@nbe 88 big Anfang 89) mirb man bag fagen müffen. @r erinnert
oielfath an ben „@raf ^ßetöft»bie Urfadjen beg fUiijstingeng liegen,
ähnlich mie bei bem SBiener Sfjeroman, im Slufjermärfifchen
ber Sgene, bie im erften Seil nach bem fRiefengebirggborf SSolfg-
hau bei Ärummf)übel, im gmeiten big nad) ber SDiennonitenfolonie
9iogat*@hre in ben Uniteb Stateg füJjrt, unb in ber Senbeng, bie,
biegmal auggefprodjen moraliftifd), bie ©efd^i^te „mie ein Sechen-
ejempet, gang ohne Srud)" aufgeljen läfjt, mag Montane felbft
fpater einem Äritifer gegenüber atö fehler gugeftanb.
Sag Sujet fanb fich an Ort unb Stelle. $tm 3. Suni 85
melbet ein Brief aug Ärummhübel, bafj „ber Sdjulmeifter ben
SRooeHenftoff in aller Seelenruhe oortrug". Sann hrifit eg öont
Sntmurf, bafj „noch überall bag SWaterial fehlt. Son ber erften
|>älfte gilt bieg h a lf>, oon ber gmeiten, bie bei ben ÜRennoniten
in Hmerifa fpielt, gang. Natürlich fann ich mir noch QÜcg er*
finben unb bie gange ©efdjidhte aug bem pjantafiebrunnen h erau f*
holen, aber beffer ift beffer. 3d) h°^ c nicht bie ftrecfjhrit, brauf
log gu fchreiben, ohne Sorge barum, ob eg ftimmt ober nicht."
Montane mar ein großer Beobachter, fein $ßh a ntafiemenfch, ein
Sealift unb ginber, fein ©rfinber. Ser Sh fl ntafiebrunnen ift eg
recht eigentlich, oon bem fein SBort gilt, eg „brippelt nur fo".
Sie Äenntnig Stmerifag fehlte ihm gänglicf), liefe fi<h auch nicht
burih Seftüre erfepen, unb fo ift ber gmeite Seil oon „Ouitt"
bag Scfjmächfte an Seranfcpaulichung gemorben, mag mir neben
bem SEBien unb Ungarn beg „Betöfp" oom (Spifer Montane befipen.
Sn ber Sdhilberung ber SRennonitengemeinbe finb nur bie preufeifch*
norbbeutfchen Partien mit Seben gefättigt. SBieber fucpt Montane
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1. $>ie epifdjen 9te6entt)erfe
321
bie Unmöglichfeit, bie $rembe ju üergegenwärtigen, mit Eignem
unb ©igenftem $u fompenfieren. Sehr unamertfantfch wirb auf
$ßogat*@hre öon ©raf gieren in SCBuftrau, öon ^rbettin, Preußen*
tum unb bcm ©egen militärifchen 3)ienfte«, öon kuppet unb ^ßro*
prete gefprodjen. Dbabja, ber ©emeinbeältefte, ftammt au« ber
S33ei<hfelgegenb unb fjat fidj troß oier^igjährigen Aufenthalte« in
Amerifa einen , r attEjeimatlid^en Sinn, ganj befonber« aber einen
Sinn für prooinjietle Sitten unb 93orfommniffe bewahrt". 3)em
angeblichen Seftierer unb ameritanifchen Farmer gucft ber
märfifdje SGBanberer über bie Schulter. 3)er „SBoHblutmärter"
ßaulbar« ift bie gelungenfte ©eftalt ber ©efchichte. 35ie preußifdjen
©infchläge fprengen burdh ityt SGBefenheit bie au« bem ißhuntafie*
brunnen h^raufgeholte amertfanifche, wie bie Swinemünber ©r*
innerungen bie SGBiener Scheinwelt be« „ißetöfp". 35er ^Berliner Sörief
öon Äaulbar«’ Schwefter 3ba, ber im achtunbjwanjigften Äapitel
jur SSorlefung gelangt, gibt einen HKaßftab realiftifcher 35iftion
unb fJüHe, ben ber Vornan burdjau« nicht berträgt.
3)en ©eficht«pun!t, bon bem au« Montane ben Stoff geftaltete,
ja ber bie Anregung jum ©an^en gegeben h°& cn bürfte, enthält
ein S3rief oom 16. Suni 85: „Auf bem 35en!mal, ba« bie görfter
be« ©rafen ihrem burch einen SGBilbbieb erfdjoffenen Äameraben
gefept §ahm, fteht: ,@rmorbet burd). einen SGBilbbieb. 4 S<h finbe
bie« ju ftar!. $örfter unb SGBilbbieb leben in einem Äarnpf unb
ftehen fich bewaffnet, HKann gegen 9Kann, gegenüber; ber gange
Unterfchieb ift, baß ber eine auf bem SBoben be« ©efefce« fteht,
ber anbre nicht. Aber bafür wirb ber eine beftraft, ber anbre be*
lohnt; öon ,9ttorb‘ lann in einem ebenbürtigen Kampfe nidht bie
IRebe fein." 3)er ©egenfap öon fjörfter unb SGBilbbieb erfdjeint
Montane unter ber Sßerfpeftiüe öon 3<h unb Drbnung, Freiheit
unb ^erlommen, feinem weltanfdjaulichen ©runbproblem. Aber
bie Stoffmaffe be« „Quitt" ift bocp nicht gleichmäßig öon ihm
burchbrungen worben. g° ntane war nicht öoH ergriffen öon ben
©eftalten be« fjörfter Dpip unb Sehnert Süienj. Opifc ift ihm
fogar ftarf unfpmpathifch, er rücft fein ®erecf)tigleit«gefühl hw unb
©aitbtetj, grontanc 21
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322
fünfter Seil. 2>a§ fefunbäre Schaffen
ba merftich jurecht, wenn bie Antipathie überEjanb nehmen totfl.
ßehnert J)at fein SBohtwoflen, aber SEöitbbieb, ber einen görfter
abfcljiefjt, bleibt er tropbem, eg tonnte fid) für gontaneg Drbnungg*
gefügt nur um eine pfpdjotogifche (Srflörung fjanbeln. Sie ©eftalt
ßehnertg ift empfunben, aber nur f>otb, weit feine ^Rechtfertigung
au? bem |)irn ftammt, ftatt au? bem §er$en. Äonftift unb Sßer*
fonen werben — ba? burcfjtaufenbe ßennjeic^en ber geringeren
Sßerfe gontaneg — mehr befprodfeit atg geftattet, mehr bebaut
als erlebt.
Saft ba? bolle ©rgriffenfein fehtt, befunben bie hoppelten An*
fisten, bie Montane bon ein unb berfetben Sache unb Situation
gibt, bie bielfachen Spiegelungen, bie wir au? bem „Schach"
fennen unb einen ^Reichtum bortäufchen möchten, ber btofte giet*
unb SBafillofigfeit ift. Schon bie teifen ironifdjen Untermatungen
unb Verzeichnungen im erften Seil (ßehnertg SKutter im Äretfcfjam),
bie manchmal bis jur ßarifatur gehen (Qpifc in ber Saube), ge*’
hören bat)in. 3rontaneg Wettiner SBip ift Sanne feiner 9JJenfcf)en
ober Verftärfung ber gegebenen Stimmung. Sie Ironien in
„Quitt" finb Verutfnng, Vrechung ber Stimmung, ßwiefpatt
jwifc^en Sichter unb Sarfteltung, eine berbächtige Siftan$. Sie
ganze Sdjilberung beg Seftiererwefeng im amerifanifepen Seit,
Qbabjag bor allem, f)at ihren bauernben SBiberpart in S'^ermite.
Sie ffurrile Äornif ber kettle-druäis ift nidjt jum tleinften Seit
bon ber Suggeftwn mitbeftimmt, baft eg fief) um Vorgänge ^an-
bett, bie um ihrer fetbft Witten eine Scfjilberung nic^t tonnten.
Suftig ift fie gewift, aber bie 83efet>rung ßehnertg im ^eitgarmee*
ftit, bag 4§egräbnig bon $reunb ©unpouber*$ace im Snbianer*
borf mit ß'^jermite atg fteHbertretenbem ißaufenfe^täger beg ju
et)renben Soten unb anbreg mehr zeigen bo<h auch, baft Montane
eine ftofftidfje Vortage, bie er epifcf) nicht bezwingen fonnte, ing
Spieterifdhe berfteinerte. Seine unepif^e Gattung neigt in „Quitt"
jur „romantifdEjen Sronie", für bie er in fruchtbareren feiten um
fo weniger übrig hott«/ je objeftioer er ohne fatfehe Freiheit feinen
Stoffen gegenübertrat.
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1. 2)ie eptjcfjen Sieben«) erfe
323
Xte eigentliche Xenbenj, t on im Xitel entsaften, greift erft
im jmeiten XAl medjanifdh in ben ©ang ber ©efdfjtte ein. 3m
erften bleibt baS Schidffal noch ben ©harafteren oerbunben. ffon*
tane bereitet in ben ausführlichen ©efpräcf)3e£pofitionen uitb ben
folgenben Kapiteln ben Slnfdjtgg SehnertS ^f^d^ologifdh forgfam
oor, er jeigt, wie bie Sfjaraftere ber beiben Unüerfötjnlidfjen §afi
unb IRache bebingen. freilich wirb auch babei fd£)on ein weit*
geljenber ÄultuS mit bem ßufaÜ getrieben (£et)nert miU bem
©cf)icffal, Kapitel 11, ben 3luSgang antjeimftetten), aber biefe
©teilen, fo auffällig fie tjingefept finb, taffen ft bodh noch als
Unfd^lüffigfeit, als menfd^ü^e ©harafteriftif beuten. ©rft in ber
überaus be$eidt)nenben Xueßfeene, bie in ftraffer ßiir^e mit rafft*
nierter ^Berechnung ein falfc^eS ©leidhgeroicht ^erjuftellen roeifj,
wirb eS ttm^rfdheinli<h, bafj bem ©chicffal, baS oon aufjen ftöjjt,
in biefem SBerf mehr Sftaunt unb ©etoalt gegönnt fein bürfte, als
fonft bei Montane. 0pi| ift ber Stggreffiüe, aber er hat baS „?Recht"
auf feiner ©eite. SBenn er auch etwas fd^neU loSbrüctt — ber
Drbnung ift genug gefchehen mit ber breimaligen Stufforberung
„©ewehr weg". SSor bem getriebenen ®efe| ift er fcfiulbloS.
Stber Montane läfjt baS ©chicffal, bem £ef)nert ben 5luSgang
anheimgefteßt l)at, gegen Dpifc eingreifen. ©ein ©chufi oerfagt.
9tun erft glaubt Sefjnert ft berechtigt, ben Angriff ju erwibern.
$lber nun ift eS fein Äampf mehr ÜRann gegen 9Rann, wie noch
oor wenigen 9lugenblicfen, nur noch bie ©rfdhiefjung eines SSBehr*
lofen; freilich feines geinbeS, ber ihn juerft erfdhiefeen woßte, aber
in feiner ©igenfehaft als fjörfter auch erfdhie^en mufcte unb burfte.
X)ie latente Xialeftif ber furzen ©jene gibt ben ©dhlüffet jum
SBerf. ©S ift entftanben unb leibet an ber jwiefpältigen Stellung
gontaneS jum Sehnert/Dpifc*$onflift. £>ie flare ©eftaltung er*
forberte ein @ntweber*Dber, eine einbeutige Parteinahme, ^ontaneS
weifeS Sowohl» atSauch war hiw nicht am pia|. X)ie Drbnung,
burch ben antipathifchen Dpip oertreten, bleibt in „Quitt" blofje
©a|ung (Snnftetten), baS fpmpathit e Sch SeljnertS fteht gegen
bie Drbnung an, ohne fie fpäter als innerfte SebenSbafiS feiner
21 *
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324 fünfter $eil, 2)a§ (efuitbarc Schaffen
felbft ju begreifen (ßene unb 93otfjo). 2)iefe Rügung, burd) bie
unglüdliche ©toffmahl mitoeranlafjt, reijjt 3<f> unb Drbnung, bie
fonft bon einer feelifchen SJiitte gehaltenen unb gebunbenen Sßola»
ritäten feiner ethifdHojialen Sßelt ju unoerföhnlichen, blinben
SEBiberfprüchen auSeinanber. 9luS ber befeelten Orbnung mirb ein
frembeS, leblofeS ©efefc, aus bent in ©elbftbeftimmung unb =be*
fchränlung freien 3<h mirb ein ungezügeltes Xriebmefen, baS bem
blinben ©chidfal machtlos anheimgegeben ift. SBenn Montane bie
^Belehrung ßehnertS unb baS ^eilstüm beS Qbabja burch ß'^ermite
unb ©unpomber*$me gloffiert, fo toirb biefe ©eftaltung inftinftio
auch baburdh oerantafjt toorben fein, bafj baS ©chiral hoch ant
©nbe gegen ßehnett oerhangnisooll einzugreifen beftimmt mar,
bie mennonitifdhe (Srleucfjtung alfo eine füUenbe ©pifobe im Vornan,
ohne Anteil an ber inneren fjorm, bleiben foHte. SBäre ßehnertS
„©djulb" burch 9teue unb tätiges ßeben gefüljnt — ein SluSgang,
ber fich fehr toohl im Vornan unb als 3öunfcf)bilb beS Richters
beulen liefce —, bann märe nicht nur ber jefcige ©d)luf} ftnnloS,
fonbern ber gefamte ©djidjals* unb ßufaHSapparat. Montane
mollte aber nicht an bie 2Köglichleit einer oollen ©ühne glauben,
tro^bem er für ©rfchiejjung ftatt ÜDtorb plaibiert hatt^ unb fo
rnufjte ber Apparat mit ber moralifdjen ©chlufjtenbenz „Quitt"
in Söirtung treten. $)er £ob ßehnertS unb bie Sluffinbung ber
ßeidje mirb bis in (Einzelheiten bem Opifc-^all im erften ü£eil
nadjgebilbet. 2lnbrerfeitS mollte aber Montane mieberum nicht bem
ßufall unb ©djicffal all unb jebeS anheimfteüen, bte Sötenfchen zu
SDtarionetten erniebrigen. ©o fept er benn eine innere ßäuterung
ßehnertS ins SEßerl, bie nun ebenfalls im falben fteden bleibt,
meil fie burch bie ©egentenbenz gehemmt mirb.
$um ßmiefpalt ber inneren gorm gefeilt fich ber flaffenbe
©rudj ber äußeren. ©on ber fd^lefifc^en ©ebirgSmelt, bie gontane
als langjähriger ©efudjer lannte unb leiblich abfdfjilberte, führt
lein 2Beg nadh SRogat= (Ettre, menn auch ber Übergang burch mehr»
fache SBorermähnung gefudjt mirb. S)enn ßehnert 2ttenz ift nicht
ßentrum, oerbürgt nicht bie ©inheit beS SBerleS mie ©ffi ©rieft.
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1. $ic epifcpen ÜRebentüerfe
325
SDie ©dhicffalSüerwenbung in „Duitt" läfjt eine Sf)arafterenttüi(flung
nicht auflommen. Iftohftoff bleibt faft alles, was im amerifanijcfyen
©eit beS IRomanS oorgefü^rt wirb.
''T^vaS weitaus bebeutenbfte ber epifdjen SRebenwerfe gontaneS ift
r<*J bet Vornan *Unwieberbringlich" (erfteSRieberfcfjrift in ben lebten
äRonaten 1887, beenbet ©pätfommer 90). @r fanb ju beS ©icfjterS
greube ben üollen ©eifall unb bie ©ewunberung (Sonrab gerbinanb
2ReperS, nnb ^etene $errmann möchte il)n fogar in unmittelbare
SRa<hbarf<haft ber „@ffi ©rieft" ftetten. 9?un finb gewifj äReperS
SBorte nicf)t ju poch gegriffen: ,„Unwieberbrin glich 1 ift wopl baS
©or^üglicpfte, waS bie ©eutfdje SRunbfchau in ber reinen Äunft*
form beS SRomanS je gebracht t)at. geine ^fpcpotogie, fefte Um*
riffe, pöthfl lebenswahre ©haraftere unb über alles hoch ein ge*
Wiffer poetifdjer ^auch-" $lber trofc biefer ©orjüge, bie baS Sßerf
weit über ben „©etöfp" unb „Duitt" tyben, ift bodj bie lepte
©ntwidlung, ber SluSgang ber ©efdjidjte, auf ben in ber über*
lieferten gäbet ber ©chwerpunft fällt unb ber auch Montane erft
jur ©eftaltung reifte, ohne ©taubwürbigfeit geblieben. 3h n kannte
9Reper nodh nid^t, als er fein günftigeS Urteil über ben laufenben
Vornan ber ©eutfchen SRunbfchau abgab. ©r mißlingt aus ben*
felben ©rünben wie bie anbren in biefem ßapitel betrachteten SCBetle.
Über ben ©toff berichtet ausführlich ein ©rief gontaneS oom
21. SRooember 88 an Stobenberg. „®raf fßl. auf ©<hlofj 3. in
©trelifc, Äaoalier com me il faut, @h renm ann, lebte feit achtzehn
fahren in einer glücklichen ®h e - ©ie grau fiebenunbbreifjig, noch
jchön, etwas fromm (bie ©treliper tun eS nicht anberS). ®r
Äammerherr. SllS foldher wirb er ju oorübergehenber ©ienftteiftung
an ben ©treibet £>of berufen, $ier macht er bie ©efanntfdjaft
eines jungen pommerfdhen gräuteinS o. ©., eines StuSbunbeS nicht
oon ©chönheit, aber öon ^ßifanterie. ©en SReft brauche ich 3h nen
nicpt ju erhöhten. @r ift bepejt, kehrt nach 3. jnrücf unb fagt
feiner grau: fie müßten fiep trennen, fo unb fo. ©ie grau, töblich
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826
fünfter Seil. Sag fefuubäte Staffen
getroffen, willigt in aßeS unb geht. Tie ©Reibung wirb geriet*
(idj auSgefprodhen. Unb nun fe(jrt ber ®raf noch ©treli| jurüdE
unb wirbt in aller gorm um bie T. Tie (ad£)t ihn aus. ©ie
fteht eben auf bem fünfte, fiel) mit einem ebenfo reichen, aber
unverheirateten $ernt aus ber ©treli|er ©efeßfdfjaft ju verloben.
35er arme Kerl, er hat bie Taube auf bem Tad) gewollt unb hat
nun Weber Taube nodh ©perling. 3(ßeS weg. @r geht ins StuS«
taub, ift ein ungliicdicher, blamierter unb halb bem 9tibi!ü( ver*
fatlener SDtann. Snjwifdjen aber ift bie ältefte Tochter, bie beibe
@(tern g(eidf) fdhwärmerifdh liebt, herangewachfen. @S fpielen aßer=
hanb ©jenen in ber SSerwanbtfdjaft. ©erföhnungSverfuche brängen
fich, unb baS @nbe vom Siebe ift: eS foß aßeS vergeffen fein.
$wei Sahre finb vergangen. Tie grau wifligt ein, unb unter nie
bagewejener Fracht, barin fidh ber 3ube( beS ganjen SanbeS ©trelifc
rnifcht, wirb baS gefdhiebene Sßaar jum jweiten 9Jtale getraut.
3(ßeS fteht Kopf. Ter ^of nimmt teil. Telegramme von ©ott
weif} woher, ÜKufif unb Toafte. $ß(ö|Udh aber ift bie wieber @e*
traute, bie wieber ©trafjlenbe, bie wieber fcheinbar ©UicEIiche von
ber ©eite ihres ßftanneS verfdhwunben, unb a(S man nach i^r
fudht, finbet man fie tot am Teich- Unb auf ihrem ßirnmer einen
Sörief, ber nichts enthält als baS SBort: Unwieberbringlicf).
TieS ungefähr baS, was mir grau 33. in Tamenftil unb
Tamenhanbfdhrift fchrieb. ,3dh fönnte bamit machen, was ich Waffe—
ich hätte eS ju freier Verfügung. 4 Sch bin aber hoch ein fluger
gelbherr gewefen unb habe bie ©efdhidjte nach ©ch(eSwig*|)olftein
unb Kopenhagen hw transponiert, fo bafj fie |e|t nju fteinerem
Teil auf einem ©dEjlofj in ber 9ßäf)e von ©lüefsburg, ju größerem
in Kopenhagen unb auf ber Snfel ©eetanb fpielt. ©o(dt)e Trans*
ponierung ift nicht (eicht. Sch ging fämtliche beutfdfje $5fe burcl).
ßtidhtS pafjte mir. 3l(S ich aber ÜRorbfdjleSwig unb Kopenhagen
gefunben hatte, ,war ich tauS*. 9tur ©treli& felbft wäre vielleicht
nodh beffer gewefen unb hätte meiner ©efdhicfjte ben Ton beS
pofitifdh ©atirifdhen gegeben. SJtun dingt Viel norbifch ütomantifcheS
mit burdh."
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1. 2>ie epifdjcit ÜJtebenroerfc
327
SDie Transponierung beS Stoffes glüdfte Montane oollfommen.
SBenn man eS nicht müfete, mürbe feine Stelle beS fertigen SEBerfeS
oerraten, bafe üftilieu unb ©efcf)ichte nicht miteinanber gegeben
‘ maren, fonbern aufeinanber bezogen mürben. T)aS ScfjIeSmig-
^olfteinfc^e unb Äopenhagenfdje bebeutet benn auch nur eine
©ebietSermeiterung über Berlin unb 9iorbbeutfcf>lanb hinaus, bie
Montanes angeborener Statur unb Dichtung erttfpraef), nicht einen
©egenfafc mie baS Söien unb Ungarn beS „$etöfp", baS Slmerifa
in „Quitt". SSielteid^t finb bie Äopenfjagner Kapitel mit ihrem
Stabtflatfch, ben politifchen Debatten, ben gefdEjichtlidjen unb
ballabeSfen ©jfurfen ju breit auSgefponnen, ba all bieS nur
äufeerlich beftimmenber Sinflufe für jmei ber brei ÜDienfchen
ift, oon beren |jer$enSoerhältniS ber Vornan, als bem eigent-
licken ©egenftanbe, fianbelt. ^tber als Urnmelt fam eS pracfjtootl
heraus unb ift fomofjf im Stäbtifcfeen als im Sanbfcf)aftlichen
feffelnb genug.
SDoch mit bem ethnographifchen Sieg mar baS ©efingen beS
SöerfeS noch nicht oerbürgt. SGßie fteljt eS mit ben ©eftalten, ben
Prägern beS ÄonflifteS? gontane ift auch in biefer |>inficfjt in
„Unmieberbringlidh" glücflicfjer gemefen als beim „Vetöfh", mo er
oom Problem, ats im „Virnbaum", mo er oon ber gegebenen
©efdfjichte, als in „Quitt", mo er Oon ber Tenben^ auSging unb
fidh beftimmen liefe. „Unmieberbrin glich" grünbet im primären
9Kenf<f>enerlebniS, ©bba, |>oIf, Sferiftine finb etmaS für fiel), ohne
bafe man fie auf ein Problem, eine ©efdfjichte, eine Ten ben j ju
begehen brauchte. @rft burdh bie Scf)Iufefapitel mirb ber Organis¬
mus beS SöerfeS jerftört. Montane läfet fich ba oom Sujet be¬
ftimmen, mirb taub gegen bie fjorberungen, bie fein perfönlidf)er
©ehalt unb baS h^tangereifte SEBerf oon fich aug ftcatcn. Studf)
„Unmieberbtlnglich" bleibt fdhliefelidh im Stoff ftedfen, g° ntane§
$raft mar nidht intenfio genug, bem Vornan ben eignen Slbfcfelufe
ju finben unb gegen bie Vorlage'$u erzwingen. (Sr biegt ihn unter
baS Soch nidht gerabe einer Tenbenj, aber eines Vorurteils, einer
Voreingenommenheit jugunften ber überlieferten $abel.
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328
fünfter Seil. 3)a§ fefunbäte ©djaffen
Tie ©eftalten beS ©rafen $olf unb bet ©räfin ©hriftine finb
oorjüglidj geje^en, Montane Stinte fie aus bet (Erinnerung an bie
Äonflifte im elterlichen $auS unb mit (Erfahrungen ber eignen
©he öoß aus bem perfönlichen (Erlebnis fpeifen. Tie Polarität
öon Sch unb Drbnung, bie fidh in „Unwieberbringlich" jum ©egen*
fa$ öon Pflicht* unb TemperamentSmenfchen fpejialifiert, läfjt einen
eigenartigen Äonflift aufwachfen. Ohne bie leidet öulgären Zutaten
ber Berliner SBett, ohne jebe Berlepwtg ber fd^icEtid^en formen,
ohne harte Söorte unb ©jenen tuirb in biefem oornehmen SBerfe
eine (Ehe ganj innerlich, ganj lautlos' jerrieben. (Ebba, bie Sopen*
hagner ^ofbarne, ift nur ber jufdUige Slnlafj junt StuSbrudj beS
latenten ÄonflifteS, wenn auch nicht blofje gunftion beS Problems,
mie ißh em i' im „^ßetöfp", fonbern eine wefenhafte, gleich |>oIf unb
©hriftine in aller ßebenbigfeit nadhgeformte ©eftalt. Shre Steigerung
auf ^olfS Antrag ift ebenfo feft in ihrem ©harafter begrünbet,
wie bie Trennung beS fdjeinbar glücflidjett SßaareS in beren be*
fonberer 9Jtenfcf|lichfeit. ©hriftineS tütjte Tugenb, $olfS naioeS
Temperament, ©bbaS fpielerifcf) nüchterne Sßifanterie führen glaub*
haft auf biejeS (Ergebnis ju. Tie forgfältige Belohnung, bie
geftuften Überleitungen unb !aum merflichen feelifc^en Berfdpebungen,
mit benen Montane fein Sterf auf* unb ber Äataftrophe oorbaut,
fanben mit Sfted^t ben Beifall SJteperS, ber für biefe formenbe
Äraft beS fontanifchen Schaffens ein fompetentefter Beurteiler war.
Urnfo überrafdhenber wirft ber angeflidEte ©chlufj. ©hriftineS
©harafter, gerabe wie gontane ihn jeidjnet, fchliefjt ein (Sinlenfen
nach bem Bruch, ber fie aufs tieffte üerlefct hat, ganj unb gar
aus. Unb ebenfo jufdUig bleibt nach biefem fJeh^Ö^ff natürlich
auch ih r freiwilliger Tob.
gorfdjt man ben ©rünben nach, bie biefe mißliche Stenbung
herbeiführten, fo ift eS immer nur biejer eine: ba| beV überlieferte
©toff ben 3 U 9 enthielt unb fJontaneS Sßlan an ihn anfnüpfte.
Stach bem jitierten Brief, in bem er baS BrouiUon feines SBerfeS
referiert, möchte eS fdjeinen, als ob ber ©chwerpunft ber 2luS*
führung auf ben lebten Teil, bie Stieberoerföhnung unb ben Tob
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1. $te epifd)en Sßebemoerfe
329
bcr ©rafin, als bcn eigentlichen ©mit unb Äern ber 2)id)tung
faßen foflte. Slber er ift blofeeS 91nfjängfel geworben. 2)ie innere
$anblung ift mit bem unfreimißigen 2)on«Duijotetum beS ©rafen
$olf ju ©nbe, waS freitid^ feinen befriebigenben fRomanfdjlufe in
lanbläufigem ©inne ergibt, aber bem ©l>arafter beS ©udjeS unb
bem SEBefen feiner ©eftalten mef)r entfprodjen Ijätte.
911S ein Äritifer ben E£ob ber ©räfin fabelte, weit er $u ftarf
auf |)otf jurüeffaße, ermiberte ffontane: „3u meiner ^Rechtfertigung
fann icf) oielleidjt fagen: eS ift afleS nadj bem Seben gejeidjnet,
bie ©efchichte t)at gerabe fo gefpielt. 3dj Ijabe nur transponiert."
91ber bieS „naef) bem Seben gezeichnet", ein fetjr oager ©egriff,
fann bei wirflicfien Äunftwerfen unb $)icf)tungen immer nur ein
©orfinben gemiffer ftofflidjer SDtotioe unb -IRenfcfjenfiülfen fein, bei
benen aßeS barauf anfommt, wie unb ob überhaupt ein SDicfjter
fie $u nufcen, mit Seben zn füllen oermag, unb bieS ßeben ift
bann fein oorgefunbeneS, fonbern fließt aus bem 2)i<f)ter fetbft.
3)er (Sinfpru<h Spontanes zeigt, neben ber nicht weiter 'beftagend
werten Unbefümmertfieit um ben inneren bicf)terifcf)en Vorgang,
ben ißunft, an bem fein SEBerf formlos blieb, wo er tatfächlich wir
nodj äußerlich nadjjeidjnete, ftatt baS ©egebene burd) Umformung
fich anjuoerwanbeln. SGBäljrenb er bie SBerbung $o!fS unb bie
Steigerung ©bbaS im ©egenfafc ju feiner „Quefle", bie eine biofee
SBerliebtheit unb eine anbre in ?luSficf)t ftefjenbe Partie als ©eweg*
grünbe anfe|t, ganj aus bem SEBefen ber ©fjaraftere entfpringen
läfet, läuft bie ©erfölfnung bem Sljarafter feiner ©räfin juwiber,
mag biefer $ug immerhin in ber ftofflidjen ©orlage gegeben fein,
ßtidjt bafe ber Xob ©IjriftinenS auf |)olf ju ftarf jurücffäBt, ift
als ©inwanb geltenb ju machen — baS UnoerljältniSmäfeige oon
©erfcfjulbung unb ffolge fennt baS ßeben wie bie Äunft unb aud)
ffontane in „@ffi ©rieft" —, fonbern bafe er unorganifh bleibt,
weil fefjon bie ©erföljnung nicht glaubhaft wirft.
2)ie einzige SDtöglidjfeit if)rer SBJotioierung liefe fidj fjontane
fonberbarerweife entgegen, ben $ug ber ©orgefdjidjte: „Snjwifdjen
ift bie EEodjter, bie beibe ©Item gleich fdjwärmerifd) liebt, Ijeran-
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330
fünfter j£eü. fefunbäre Sdjaffett
gewacßfen." 2>iefeg Motio Ejätte auch ju gontaneg Sßriftine, ißrer
2lrt bon Mutterliebe, bie meßr ißflidjigefüljl alg Siebe ift, gut
geftimmt. ©o, wie eg jeßt ift, ftocft mit ber SBerfößnung ber
ßebengftrom, ber ißufe ber SDicßtung, unb eg will wenig besagen,
baß gontone jwifcßen ber jweiten Trauung unb bem Xob, bie in
ber gegebenen gäbet fi<h unmittelbar folgen, einige SEBocßeu oer*
ftreicßen läßt. 3)ag foll ber Motibierung bienen, ift aber nach
bem Sörucß ber ©ßriftine* ©eftalt berlorne Müße, nur gejagt unb
gewollt, mcßt getan unb geformt.
Mag alfo „Unwieberbringlidj" öor bem „Ketöfß" unb „Quitt"
nod) jo oiete Qualitäten boraugßaben, jcßließlicß ftört bocß wieber
bie „©efcßicßte" bie objeftioen, non ben Menjcßen beg SBerfeg oor*
gejei^neten Äurben. Man fann öermuten, baß ein bejonberer
Umftanb gontane gerabe am Sßarafter ber (Gräfin jcßeitern ließ,
©ie oertritt bie ißflic^t unb Qrbnung in jenem äußerlichen ©inn
ber Dpiß unb gnnftetten, benen er merflicß unjpmpatßifcß gegenüber*
fteßl. Slucß jeiner Gßriftine merft man bieje ©ereijtßeit an. @r
mag bieje ©eftalt nicht jo oöttig miterlebt haben wie £olf unb
©bba, unb jo tonnten an ißr am eßeften ficß jene ftofflichen Über*
griffe burdjfeßen, bie bag Sßerf alg ©anseg jum ©Reitern bringen.
ur wenig bleibt über bie Klaubereien unb ©efcßicßtcßett beg
©ucßeg „$Bon bor unb nach ber SReife" ju jagen. @g um*
faßt 13 ©tüde, bie fich über bie gaßre 1873—92 oerteilen,
fleine unb fleinfte beiläufige Arbeiten, bie jo anfprucßglog auf*
genommen jein wollen wie fie gefcßrieben finb. gontane tonnte
fie nachträglich oßne Stugnaßme auf bag £ßema Steife unb SReifen
beließen, eg gibt eine Slrt Seitmotio für bie oom geuiUeton über
bie ©fijse jur ©rsäßlung, oom unoerbinblicßen ©eplauber über bie
bloße ©toffrelation sur$)arftellung ficß erßebenbe©ammelpublifation.
ÜRacß einem K r olog über bag Steifen im allgemeinen jießen bie*
©ommerfrifcßen gontaneg, teilg alg ©cßauplaß, teilg alg SRaßinen
oerwenbet, oorbei: Thüringen, ^ er SRorbernep, Äijfingen,
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1. Sie epifdjcit Diebciuoertc 331
i
bag Iftiefengebirge. Berlin ift @nb* unb 9lugganggpunft unb bleibt
einmal, in „2öof)in", auch ßiel ber SReife.
2)er $euilletonptauberei beg Anfangs am n äfften [tef)t ber
Spaziergang am berliner ftanal, „Stuf ber @ufe". gontane
manbert burcl) ©ertin mie burf bie ÜRarf unb meifj bag §Ut*
befannte nnb SRäfftliegenbe zu einer Keinen ©ntbecfunggfaljrt ju
nufcen, aus einem fdfjeinbaren SRidfjtg mit feiner beweglichen Sprach*
funft eine reizbolle Unterhaltung für ben 9lugenblicf ju machen.
9luch in ton beiben ©fizzen „SRadh ber ©ommerfrifdhe“ unb
„SBieber 3)aheim", bie eigne SReifeerfahrungen berarbeiten, perfönlid^e
Schwächen in humoiwofler ©elbfterfenntnig gutmütig berfpotten,
fchmtngt bie fpezififdt) fontanifche Üßote bernehmlif mit. Dbjjeftiber
gerichtet, wenn audh nicht biel mehr alg notierte Sthemen,*finb ber
„Äarrenffieber bon ©riffelgbrunn" nnb „3m ßoupe", ein rnenig
auggeführter bie bon einem glüdflichen SRotio getragene, in ©timmung
unb ©infleibung an „ß’ülbultera" erinnernbe, mit reiflichem
$euitletonwf auggeftattete ©lauberei „Sßohin" unb ber „fiepte
Saborant", ein lebenbigeg Sharafterbilb aug bem fftefiffen ©e*
birge, im Stil ber zahlreichen Sßorträtg ber „SBanberungen". ©on
ben fdjlefiffen ©fizzen „©erettet", „$er alte SBifetm", „(Sine
Stacht auf ber $oppe" werben bie beiben erften zur ffriftftetterifchen
Stbrunbung auf Pointen gefteHt, ein Verfahren, bag in ber „fixem
in meinen fahren" bie an fich ergiebige 3bee ju einer SRooellette
noch ftärfer beeinträchtigt alg bag unbearbeitete naturatiftiff« 1
fjeniffe Seiwerf.
2)ie einzige toirflife ©rjählung ber Sammlung ift „Onfel
2)obo". ©on frifchefter Sanne getragen, wirb bag $h ema
gibt niftg ©freeftifereg alg bie 2Renffheitgbeglücfer par force"
leibhaft in einer plaftiffen ©eftalt, bie man alg humoriftiffeg
©egenbilb ju fjontaneg fanitärer Sebengart unb ©ewohnheit mit
feften Umriffen im ©ebäftnig behält, ©ie ift ber bleibenbe ©e=
minn biefer Sammlung, bie fonft nur Späne unb 0tefte ber 28erf*
ftatt jufammenträgt.
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2 . $rteg0&üdjer* 2lutofciograpfyif(f)e0* $rifi£
Wölf Fahre lang, oon 1864—76, f)at Montane faft „nur in
berßeit* unb KriegSgefdjichte gelebt". 3)te „SBanbermtgenburch
- bie üftar! Söranbenburg" tagen mit ihren erften beiben 93änben oor,
als ber f<hleSwig*holfteinif<he Konflift bie große t)iftorifd^e (Spotte
2)eutf<hlanbS ^erauffü^rte. Montane half erft als Kriegsbericht*
erftatter ben EageSbebatf (Kreu^eitung, berliner ^rembenbtatt,
SSofftfc^e Leitung u. a.) beeten unb bereifte bann mehrfach bie
KriegSfcßaupläße. (SS entftanben nach unb nach, oon manchem
©toßfeufeer begleitet, in umfangreicher, mühfetig fompilatorifcher
Arbeit aus ben eignen Berichten unb (Sinbrücfen einerfeitS, mannig*
fachen ^rioaterinnerungen, Anefboten, ^etbpoftbriefen, Anfpradjen,
ißroflamationen, Armeebefehlen, ^ublifationen ber ©eneralftäbe,
militärifdhen Fachleute unb ßeitfehriften anbrerfeitS bie breieinhalb*
taufenb ©eiten Sejifonformat, in benen bie friegerifdjen SBorgänge
oon 64, 66 unb 70—71 für ein breiteres gebilbeteS Sßublifum
befchrieben finb.
Montane ift biefer S3ef<häftigung unb ihrer fRefultate nie recht
froh gemorben. F re ili<h liegen auch manche Äußerungen in biefem
©inne oor, unb eS ift ganj natürlich, baß er fidj bis ju einem
gewtffen ©rabe Suft unb freien SBillen ju ber Fronarbeit ber
Kriegsbücher öortäufchen mußte, menn er überhaupt frifdj bleiben
unb bei bem weitläufigen Unternehmen burchhalten wollte, tiefer
bauernbe, burch jwölf Fahre erftreefte geheime Kteinfampf jwifchen
KriegSfchreiber unb werbenbem dichter, (SrwerbSjwang unb freier
©elbftbeftimmung, wirb nicht baS fleinfte äJlühfal bei ber £er*
ftellung ber biefen Sßäljer gemefen fein. Aber entfdjeibenber unb
mit beutlichem 93ejug auf feine bidhterifche ÜDUffion öorgebradjt,
toirlen hoch bie öefenntniffe entgegengefeßter Art. (SinS baoon,
baS wichtigfte, ift an SBilhelm §erß gerichtet, ber für ben bamatS
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2. ftriegSbücfjer. 2lutobiograpf)ifcf)e§. ftritif 333
noch im weiten liegenben Vornan „93or bcm ©türm" als Verleget
gewonnen mar unb burdf) bie AuSficht auf ein neues ÄriegSbudf)
^ontaneS über ben fjelbjug i» Öfterreich bie Arbeit an jenem in
weite ßufunft gerüeft, wenn nicht für immer aufgegeben glaubte.
Sodf) Montane erwibert (11. Auguft 66): „Sdj wünfdje baS Kriegs«
buch zu fdjreiben, einmal weil id| baS ©d)Ie3Wig*§oIftein*SBudt) baburch
erft ju einem redeten Abfchlub bringe; zweitens weil ich eine ßuft
unb ein gewiffeS Talent für folcf)e Arbeiten, brittenS weit ich einen
erheblichen pefuniären Vorteil baoon höbe, aber bie Sache ift mir
feine ^erzenSfadje. SBirb baS Such getrieben — gut; wirb
eS nicht gefchrieben — auch gut. @S geht ber Sßett baburch öon
meinem ©igenften-, oon meiner ÜRatur (wohl ober übel) nichts üer=
toren; ber Vornan aber barf nicht ungefdf)rieben' bleiben. Sie SBelt
würbe eS freilich öerfcf)merken fönnen, aber ich tiicfjt. So liegt
bie Sache. 3cfj möchte baS ÄriegSbudf) fchreiben, weit ber 0toman,
wenn ©ott mich leben läbt, hoch unter alten Umftänben gef Trieben
wirb."
Sie $riegSbü<her oerbanfen ihre ©ntftehung änderen, ju=
fälligen Umftänben, in erfter Sinie bem günftigen Angebot ber
$trma Sedfer, in bereu Auftrag Montane arbeitet. ©r entlebigte
fid) ber übernommenen Aufgabe gewiffenhaft, mit ©efehief unb
Umficht, aber baS eigentliche fieben lieh fi<h nicht erzwingen; bie
SBüdfjer finb baS ißrobuft eines groben $leibeS, bringen Orbnung
unb Überficf)t in eine dfjaotifche Stoffmaffe, aber ohne fie mit
tieferer Anteilnahme ju burchbringen. Sie waren „feine ^erjenS*
fadf)e" für Montane wie bie SRomane, wie felbft bie märfifdfjen
SBanberungen mit ihrem gefdf)ichtlichen $letnfram. Schlachtberichte,
fdhon in biefen ber fterbliche Seil, weil beS äRenfdfjtichen entbehrenb,
baS allein feine tiefere Anteilnahme erweefen fonnte, werben in
ben ÄriegSbüdfjern jur groben ^auptfadfje. Ser bei bem hölb*
offiziellen ©harafter ber SBerfe (baS britte ift bem alten Äaifer
gewibmet) notgebrungne ©erzieht auf feine fubjeftiö*gemütliche Sar=
ftellungSweife mag eS mitoerfchulbet höben, bab ^öötane über baS
ftoffliche Referat faum hinauSfommt. ©eine Objeftioität in historicis
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334
fünfter Ücil. iefitiibiirc Sdjaffcit
t
ober, o^ne Slnefbotenwürje, war für ipn gleidjbebeutenb mit Sange-
weile. Unb ein gehobner ©tif, ber biefen Ausfall fjätte mettmadjen,
baS einige Einerlei ber ©efed)tfd)ilberungen patljetifd) beleben
fönnen, oerbot ftd) bem ©egner ber ^eierlic^teit unb be$ patrio*
tifdjen ^raraS oon felbft.
©o fel)r er als äßanberungSfdjriftfteller im Stecht mar, bie ge*
fpreijte 5)ürftigfeit, ben wiffenfdjaftlidjen Hodjmut ber ©pejial*
fjiftorifer jurüdroeifen, eben toeil er ©igneS unb SteueS in eigner,
neuer $orm 8 U Ö^ben fjatte, bei ben ÄriegSbücfjern ift #f>nlid)eS
bodj nur angeftrebt, bie Stefultate blieben fompilatorifd) unb un*
originell, ©r jagt ba mof)l: „2)aS blofj Sitten mäßige ift immer
langweilig" — aber maS referieren bie ÄitegSbüc^er im Orunbe
anbreS als Sitten, wenn aud) nidjt alle unb wenn aud) in guter
8foswal)l? Ober bei einer ^weiten ©tubienreife nad) ^ranfreidj,
Oftern 71: „©oldje Steifen madjt man, weil man fte, mit Stedjt
ober Unrecht, für nötig Ijält, unb bafür tyalte icf) fie noch- 2)aS
8üd>ermadjen aus Süd)ern ift nie meine ©adje." $)ann aber ging
bie SluSbeute biefer Steife wefentlid) in bie „£age ber Offupation"
ein, unb baS |>auptwerf über 70—71 würbe eben bodj ein Sud)
aus Süd)ern.
©elbft bie allgemeinen Sorjüge ber ßaienfdjaft, größere Ofreifjeit
unb unbefangeneres Snredinungftetlen aufjermilitärifdjer ^aftoren,
Orbnen» unb Stuf bauen* fönnen, würbe Montane fpäter für feine
ÄriegSbücf)er nidjt met>r in bem SJtafje in Slnfpruc^ genommen
Ijaben wie jur 3 c 't ^ rcr Äbfaffung. 5)aS Slnfjermilitärifdie ift
feljr targ bemeffen unb baS Uufbauen*fönnen barf nur gdnj äufter*
tief) oerftanben werben, wirb meljr burd) oorangeftellte 2)iSpofitionen
unb bergleidjen praftifdje Hilfsmittel erreicht als burdj innere
©infdjnitte unb ©Hieberungen, bie eben nur ein gewadjfeneS SBerf
f)aben fönnte. Sei bem lepten unb fompenbiöfeften ber ÄriegS*
büdjer foHte fief) gerabe baS ©egenteil oon bem erfüllen, was
Montane beabfid)tigte unb erhoffte: „2)ie 2)inge t)aben fid) fo ge*
ftaltet, ber ©toff ift fo überreidj, bafj wie oon felbft ein ÜEBerf
entfielen wirb, baS mit ben beiben oor^erge^enben wenig Sifynlidj*
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2. Ätiegäbiidjer. 2lutübiograpt)ifd)e§. Äritil
335
feit ^aben wirb. @g muf} ftcf» tefen tote ein Vornan. @g mufi
feffefn, Sntereffe erweden wie eine 9täubergefcf|icf)te." Sn SBirflicf)*
feit blieb Montane in ber ©toffüße fteden wie webet bei bent 66er
nocfj bei bent 64er ßtieggbud). 5)ort gibt nodff f)ie unb ba bie
ßanb* unb ßeutefdjifberung ein wenig 9fnfcfjaulicf)feit unb 5 ar & e -
3)a§ 70er 23ud) erfticft bergleidjen in enbfofen militärifd)*betaißierten
iöericfjten; $u Unredjt, weif $ontahe nid>t mit ber ftrengen, ent*
ffaltfamen ©acfßidjfeit ber ©enerafftabgwerfe fonfurrieren Wüßte
unb fonnte.
®g ift nidjt gu oerwunbern, bafj ber (Srfolg am @nbe aug*
blieb, ßtur bag 66er 33ud) erlebte eine jweite Sluffage, bag 64er
fiel „total in ben SBrunnen", bag 70er „ging fpurfog oorüber".
Montane f)at bie Urfa^en bafür am falfdjen Ort gefucf)t, über
Unbanf unb Unfegen feiner Strbeit geffagt. ©ie fagen in ber ßeb*
lofigfeit unb Unoriginalität ber ÜEßerfe fefbft, bie wof)f ßefer finben
fonnten, fofange if)r ©egenftanb, bie Ärieggoorgänge, ein aftueßeg
Sntereffe bedielten, barüber fpnaug aber feine felbftänbigen Ouafi*
täten befafjen, in ifjrem ©igenwert nic^t jureidfjten. $)ag würbe
audfj Montane bei fpäterem erneuten (Sinbfid unfdfjwer erfannt
Ijaben. ßlber bie Ärieggbüdjer würben ifjtn, weif jebeS per*
fönlidfjen unb fünftferifdfen ©efjafteg bar, gan$ gleichgültig, er
beffieft für fie nicfjt bie immer wieber einmal befunbete, in ifjrer
©igenfdjaft als üßäfjrgrunb unb SBorftufe feiner epifcfjen ißrobuftion
grünbenbe Vorliebe wie für bie „SBanberungen". 2Der Stuto*
biograpf) erflärt am ßebenSenbe: „®er SBert ober Unwert beffen,
wag id) über unfere Kriege gefdfjrteben f)abe, bebeutet. mir nidfjt
oief mef)t."
O ptberg ftefjt eg mit ben ffeinen beiläufigen ißublifationen biefer
(vt ßeit, „Äriegggefangen" unb „Slug ben Sagen ber
Offupation". Sag oief zitierte unb beftätigte föonmot beg 9Ucf)t*
fadfjmamteg Montane: „Sn aßen efjrfid^en ßeit» unb Ärieggberidfjten
ift immer ntefir oon Seeffteafg unb ßiotwein afg oon SSaterfanb
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336 - fünfter $eil. fefuitbäre ©Raffen
unb ©dfjtacbtentob bic IRebe" fommt fcbriftftetterifcb er ft ^ier gu
feinem ttteebt. SBäbrenb bie grofjen Ärieggbücber nur gang Oer-
eingelt an ben SBanberer bur<h bie 2Rar! ©ranbenburg ge*
mahnen, ftnb fie recht eigentlich auf feine Rechnung gu fefcen,
©treifgüge unb ^a^rten burdb ^ranfreic^, bie eine freimittig, bie
anbre unfreimittig, aber beibe mit jener moblbefannten, djarafte-
riftifchen ttRifcfjung üon ©efcbicbtlicbem unb 3bt)ttifd)em, |jumo*
riftift^em unb ©rnftern, 58ef«haulic^em unb SBefdjreibenbem, $er*
fönlidbem unb ©üblichem, mit ber obligaten Sefidjtigung üon
Äirdben, ©cblöffern, 2)enfmälern unb ©djlacbtfelbera, bem gmang-
lofen ©eplauber über Sanb unb S&olt, bem unbefangenen, oft
launigen 9$lidf auf 3ioil, Beamte unb SKilitär, bie mir aus ben
„Sßanberungen" fennen.
®er fftabmen ift anberg gefüllt, aber bie 9lrt, mie Montane
bie „ber Sßeltgefdbicbte oorgeftettten 2)inge" abbanbett, ift gang
biefelbe mie bei ben ber üfteljrgaf)! nach ber Sßeltgef Richte nicht
oorgeftettten ©ingen ber ^eimatprooing: eine ftete ttteferüe auch
oor ben großen ©egenftünben, fei eg nun Sßotgbam-^reufjen ober
bie gotifdjen Äatbebralen ^ranfreich^. Montane ift immer fc^au*
unb lernfreubig bei ber ©ache, mag im eignen Sanb bie an*
geftammte Siebe tut, bemirft im fremben bie frifd^e fReifeluft, bet
ßauber beg SReuen, ber bereite SCBitte, bag ©ute anguerfennen, ja
al§ SRufter aufguftetten, aber immer gefdjieljt eg, mie feinergeit in
Sonboit-Snglanb, mit 3Rafj unb Äritif. 2)iefe aug Äritit unb
Sßoblmotten gemifdjte Rottung, bie in ben $eimat3bü<hern ben
©inbruef eineg mabrbaften, murgelfeften ^atriotigmug oermittelt,
öerleibt ben mannigfachen Slper^ug ber frangöfifdben Sßanberungen
eine über ihre tatfä^lidbe ©ültigfeit binau£rei<henbe eigentümliche
©icherbeit, man fühlt hinter ihnen bie oorurteilglofe Sßerfönlicbfeit
beg SBerfafferg.
@r macht menig SlufbebenS oon fich, übergebt in „Äriegg*
gefangen" bag §arte ber ©efangenfebaft, bie mannigfachen Un*
bilben, bie er ertragen muffte, unb führt lieber bie „Keinen" @r-
lebniffe oor, über bie leichter unb ladbenber gu berichten ift. 2)a§
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2. SlricgSbüdjer. 9lutobiogtapI)iid)e£. ftritif
337
Buch, in bcm man eine „haarfträubenbe fRäubergefd)ichte mit
$ungerturm nnb Äettengeraffel" ermartete, mirb itjm unter ber
fjeber jum Sbpfl, bie menigen bunflen fünfte oerfchminben im
gellen Sicht einer beftänbigen Seelenheiterfeit unb »gerechtigfeit,
mie fie in ähnlich prefärer Situation mol)! nur ein fontanifdjeS
©ernüt bewahren tonnte.’ Um biefer liebenStoerten menf deichen
©igenfchaften, bie bie'SRomanmerfe ju fefter epimer ©eftalt oer*
bitten unb bie f)ier aus ber lofen Stneinanberreihung oon ©rieb*
niffen unb Betrachtungen eines BeifetagebucheS jpredjen, ift „Kriegs*
gefangen" heut noch lejenSmert, nicht um ber ftoffliehen Senfation
mißen, bie bem Butf) oor ben „lagen ber Offupation" einen
größeren SeferfreiS oerfchaffte. Unb hoch finb biefe oon noch
reiferem ©ehalt, [treuen in leicht fliefjenbem behaglichen Blauber*
ton eine noch größere $üße treffenber unb mipiger Slper^uS,
Bilber unb Svenen aus. ©ine ungeorbnete, jroangtofe, burch feine
äJiitte gebunbne fjrüße miß, mie ber $ufaß fie heranträgt, apho*
riftifdj genoffen fein. Sie ift ber Beia, baS noch frifcf) ©ebliebene
'biefer Bücher. $11$ getegentlid^e, fchneß hiuQelthrieöue Beife*
auf^eichnungen eines prächtigen 9ttenf<hen oon Saune unb ©igen*
art beftätigen fie baS Bilb ber Betfönlichfeit unb beS SBanberungS*
fchriftfteflerS fjontane, ohne eS $u bereichern unb ju oertiefen.
CVn ben autobiographifchen Slufjeichnungen „SReine Äinber*
.O jahre" unb „Bon gmanjig bis ©reifjig" bleibt bie
Berfon beS SHcfjterS nicht blofceS ÜRebium, burch öa$ ein Stoff,
ein Stiicf SBelt gefpiegett mirb, fonbern fie gehört jum Stoff felbft,
ben bie ®arfteßung ergreift. $>ie fReifebücher finb nur lebenbig,
mo Montane perfönlich jur Sache fpri^t, unb ba bie abgeljattbelten
©egenftänbe oft größeres ©emicht haben als baS SBefen gontaneS,
baS gelegentlich ihrer jur $Iu$mirfung fommt, meil fie recht mof)I
ohne ^ontaneS Betrachtung etmaS gelten unb beftehen fönnen,
mirb man felbft biefer relatio lebenbigen Steßen nicht gan$ froh,
©egenftanb unb 3<h moßen nicht immer recht jufantntenpaffen.
fBanbreg, Soutane 22
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338 fünfter £eil. 3)aS fefunbäre Sdjaffett
Sei ber autobiographifchen ©inftellung fiel eine Nötigung oon
aufcen, burch bie mannigfache Sßelt, bie ber ßufall herantrug unb
bie als foldje berücffichtigt mürbe, mochte fie nun bem Sfteifenbeit
abäquat fein obep nicht, oon oornherein meg. Montane brauchte
fich nicht mehr in Beziehung ju allerlei SDingen, 9ftenf<hen, 33e*
gebenheiten ju fepen, bie feiner Statur tjeils oerroanbt, teils gleich*
gültig ober,gar fremb maren, er fonnte fich^alS SDiittelpunft fepen,
oon bem aus bie SBelt, gefliffentlich als bie feine, betrachtet mirb.
2)er Zufall fchetbet aus, bie Spannung zroifetjen J<h unb ©egen*
ftanb, fomeit fie( in ben 3teifebü<hern ein $inbernis bebeutet unb
ZU Zersplitterung unb AphoriftÜ führt, ift aufgehoben. Sropbent
fich fjontane nirgenbS üorbrdngt, oielmehr auch als Autobiograpb
bie Sefcheibenheit mährt, bie Überheblichfeit unb allen fallen An*
fprudj meibet, ift hoch f<hon burch bie rein formalen Voraus*
fefcungen beS Autobiographien für bie „Kinberjahre" ein gu*
fammenfehluf} gegeben, ben „ Kriegs gefangen" felbft bei größerer in*
haltlicher Ausgeglichenheit nie hätte erreichen fönnen. 2öäf)renb bort
ber Vlicf am Spähen unb 9Jä<hften haftet, einen SeilauSfchnitt, ja eine
blofje ©pijobe fefthält, fällt er hier auf ben fernften SebenSabfdjnitt,
bie Kinbljeit gurüd, bie fchon als ©toffmaffe baS Zufällige unb
Sßebenfächliche burd) bie Sßirfung unb ben gauber ber zeitlichen
Jerne auSgefdjieben hat. 3)ie Jugenb mirb mie für jeben Auto*
biographen fo auch für Montane ber banfbarfte unb mirfungS*
ficherfte Abfchni# ber SebenSgef<hi<hte, meil bie Zeit felbft für ben
dichter gebietet, bie Arbeit beS Siemens unb ßufammenfaffenS
fchon halb unb halb geleiftet hat.
9£ur aus biefen ßufammenhängen heraus ift eS oerftänblich,
bafj bie „Kinberjahre", obgleich eine fpätefte Konzeption Montanes,
hoch ein einheitliches ©ebilbe gemorben finb, mährenb „Von
ßmanzig bis ©reinig" im gormlofen zerfliegt mie ber „©techlin".
$)ie ©chilberungSluft mar gebunben burch eine fleine ßeitjpanne
unb ein beftimmteS Sofal. SBei ben Späteren Jahrzehnten rnufjte
ber ©djauplap oielfach medjfeln, bie ©elegenheit z u beftänbigen
Abfchmeifungen in Vergangenheit unb 3ufunft bot fich fjon*
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2. ftriegSbüdjer. 2lutobiograpfjifd)e3. ftritit 339
taneS ©intritt in bie SEBelt, bem Sertaffen ber ©winemünber
ÄinbheitSumfriebung üiel öfter, unb ber Stufgabe, alt bieS in eilt
funftmäfjigeS ©anzeS jufamntenjufc^auen, mar gontaneS ®raft nicht
mehr gewachfen. ©er «Stoff ber Äinberjaljre, eine runbe SDtaffe
offne ftarfe ©lieberung unb fcljarfe ©infdhnitte, entfpradh aufs gfücf*
tiefte ber SttterSftufe feines fc^riftfteUerifc^en Vermögens. ©iefe
Sugenbgefchichte gibt feine ©ntwidflung, fonbern ßuftänblichfett, ein
ÜDtit* unb SRebeneinanber, fein Stacljeinanber. ©ie ©cfitlberung beS
alltäglichen Sebent einer fteinen battifcljen Stabt aus bem erften
©rittet beS neunzehnten SaffrffunbertS unb beS alltäglichen SebenS
eines norbbeutfdjen jungen aus berfetben @pocf)e, ein ßeifc» unb
Äutturbilb im engften Nahmen ( ift beabfic^tigt unb jur StuSfüljrung
gefommen. ©afj aus biefem jungen ber fpätere ©icfjter ©fjeobor
Montane mirb, baöon weift baS Such faum etwas. @S liegt nicf)t
nur in ben ©röftenoerhältniffen, fonbern in einer prinzipiell anbren
Slnlage, wenn baS Sßrophetifdfje unb Stt)nungSüotte fehlt, baS aus
bem erften ©eit oon ©idhtung unb SGBahrheit fpridht. ©oethe gibt
ein SBerben, gontane einen ßuftanb, ein ©ein.
Montane ift hier Wirftidh ein beliebiger Sftenfdh, eS fontmt
nidhtS barauf an, baft eS gerabe feine Äinbheit unb ber ©chau*
pta| feiner Sugenb finb, bie zur Stbfdhitberung gelangen. ©aS
Sucf) fteht unb fallt mit ber puren ©cf)ilberung felbft unb Witt
feinen Sorteit aus bem Umftanb ziehen, baft biefer norbbeutfdhe
Änabe unb baS üDtilieu feiner Sugenb audh außerhalb ihrer nodh
eine Sebeutung für uns behalten. ©S felbft freilidh ift fo fehr
ein SBerf beS ©idfjterS Montane, baft ber Untertitel eines auto»
biographifdhen StomanS mit Stecht auf eine befonbre ©efinnung
beS Stutobiographen hinweifen burfte. @r h fl t ih n jugefept, weit
er nicht oon Überlebenben jener $eit auf bie ©dhtheitSfrage hin
interpelliert fein wollte, ©en Nörglern unb rationaliftifdhen iße»
banten, benen bie SBahrheit gteidhbebeutenb mit ber Stichtigfeit ift,
fotlte fchon auf bem ©itelblatt entgegnet werben. Montane behielt
jidh baS Stecht oor, bie bidhterifdhe, bie höhere SBirflidhfeit zu geben
unb bie empirifchen ©inzelffeiten, bie nüchterne ©atfachenfeftftellung
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340
fünfter Üeil. fefunbäre Schaffen
in fie ju bermeben, ja $U| bermanbeln. ©emiß hat ber recht burefj*
f<hnittlicße Slpotßefergfoßn bie baltifcße ßleinftabtmelt nicht jo tppifdß
unb berflärt erlebt, mie ber fpätere mdtfeßauenbe 2)kßter bon aus*
geprägter ©igenart fie gefeßen ßat. üttian muß immer jmifdhen
bem ©toff unb ber 2)arftettung ber Äinberjaßre unterfeßeiben,
jmifeßen bem, mag Sllterginterpretation ber eignen Sugenb unb
mag, unter ben mitgeteilten (Sßarafterjügen, Vorfällen, ©inflüffen,
für ben Knaben mefentlidß mar, ju feiner ©runbberanlagung ge*
ßörte ober biefe mobifijierenb traf. $)ie „Äinberjaßre" finb feine
Duette, fein ©toffarfenal, mie in bieler §inficßt „$Bon ßmanjig
big dreißig", fonbem eine gehobne realiftifche 5)arftettung, beten
393ert an fünftterifdjen Stttaßftäben, nicht an ber SRidßtigfeit ab*
gemeffen fein miß. ®ie ©eftaltung, bag ßeißt bei gontane
äßenfcßenerlebnig, entfReibet. Sßenn bie. Äinberjaßre fidf) feinen
bleibenben SEBerfen anreißen, fo oerbanfen fie bag meßt ißrem anef*
botifdßen ©eßalt, ben Sluffcßlüffen über bag Sßribatleben im ©Kern*
ßaug, fonbem ber ©eftalt beg SSaterg, bie bie eigentliche ©eele
beg 93ucßeg ift, oom SD i d^ter Montane gefeßaffen, mag auch bie
liebeoott feßonenbe Eingabe beg pietätbotten ©oßneg noeß fo großen
Anteil an ihr höben.
3n ber E£at, biefer ßouig |jenri gontane ift ber mahre |jelb
beg autobiograpßifcßen tttomang, unb barum fprengt fein menfdh*
lieh ergreifenbfteg Äapitel, bie. ©inlage „Sßterjig Saßre fpäter",
mohl ben äußeren tttaßmen, aber meßt bie innere gorrn. Montane
hatte moßl ein inftinftioeg ©efüßl bafür, baß fein SBater bie be-
lebenbe Äraft in biefen Stufjeidßnungen augfpmbe, unb mir ber*
banfen biefer ©infi<ßt jeneg Kapitel, bag nun auch ißm» bem ©oßne,
jugute fommt, feine geiftige ^ßerfönlicßfeit, aß bag, mag ben
ttlamen Montane ju einem guten, mittfommenen Älang in ber
beutfeßen 2)icßtung madßt, nodß einmal in gleich friftattner ttteinßeit
jurücfftraßlt, mie ber ©ipfelpunft ber ©rjäßlung bon $8otßo unb
ßene unb bie fpäte ©prudßbidßtung: eine unlöglicße $ur<ßbringung
bon fritifdßer ©rfenntnig unb pietätbotter SBereßrung, ffeptifeßer |>ett*
fidßt unb unbermüftlicßer Sebengfreube, bie um fo einbringlicßer fidß
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2. ®rieg§büd)er. 9lutobiograpIjifcf)e3. ftritif 341
befunbet, je weiter bie ^ßole auSeinanberliegen, über bie fid) ber
frieblid^e Sogen ber fontanifchen äöelt* unb äKenfdjeneinfidjt unb
=>einfüf)tting wölbt.
Sie „SHnberjafyre" würben fchon bei' ©rfcheinen mehr um
SouiS ^enri als um ^eobor gontaneS wißen getefen unb gelobt.
9Kon erflärte bem Sichter, auch in feiner eignen Familie, bafj
aßeS, wa§ jenfeitS ber Schilbermtg feiner ©Item liege, nicht recht
wirte: eine richtige geftftetlung, aber als ©inwanb gegen bas
SBerf ganz unberechtigt. Senn wenn bie ausführliche Scf>ilberung
beS ©winemünber ÜJtilieuS, fo frifch manches ift, neben ber fuggeftioen
Sraft ber tragenben ©eftalt beS ApotheterS unb feiner gölte, grau
©mitte, fich nicht felbftänbig behaupten fann, fo wirb nur bem
©efefc beS fontanifchen Schaffens entfprochen, bem auch tiefes auto*
biographifche SBert unterworfen blieb, in bem bie erfte unb ent«
fcheibenbe SBirfung oom äftenfdjen auSgeht, auf ben Autobiographen
fowofß wie auf ben £der ber Autobiographie. Auch im ßeben
beS Knaben war ber Suter ber ftärffte gaftor, neben bem bie
anbren mannigfachen finnlidjen unb geiftigen ©inflüffe nicht biel
befagen woßen. So wirb auch Wahrheit ber Sarfteßung unter
bem fünftlerifchen gormgefep, baS bie „$inberjahre" noch einmal
erfüßen, nicht gelitten fyafotn.
^Hontane hot urfprünglich feine ßebenSbefchreibung auf bie Äinb*
O h e ^t befdfjränfen woßen. Siefer ißlan würbe umgeftofsen. ©in
zweiter autobiographifcher Sanb trug einen gröfjen Seit beS übrigen
SebenSftoffeS jufammen, foweit er nicht in bie Romane eingegangen
war. 2öaS in ben reichen Speichern feiner 2öeltfcf)au unb äftenfehen*
beobadjtung ungenupt jurücfgeblieben war, würbe noch einmal einer
testen üßtufterung unterzogen, für ein lepteS Sßerf gefistet, baS oon
oornherein auf ben Anfprudj fompofitioneßer ©efchloffenljeit oerjichtet,
ben Stoff als Stoff gibt unb gleichzeitig bie ©eftatt beS Autors, baS
SBerf feines SebenS unb feinen geiftigen IXmfreiS erläutert, längft ©e«
fagteS nochmals beftätigt, in neuer gaffung wieberljolt unb oerftärft.
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r r t+r
342 fünfter Seil. $a§ fefunbäre ©Raffen
®er Untertitel „StutobiographifcfjeS" beutet mot)I bie tofe gornt,
aber ben Snhatt beS Buches „Bon ßmanjig bis Xreifjig" nur
unbottfommen an. £)ie Xenbenj gu fefter ©eftattung, bie in ben
„Äinberjafjren" gemattet Ejatte, meidet einem jmangtofen 9ltte§=
fagen=motten, einem Sßtauberton aufs ©rabemohl, bei bem bie
häufigen Benterfungen, mit benen fi<h fjontane öon feinem Stbirren
auf ben Sßfaben behaglich eingeftreuter Sebensmeisheit unb eines
umfänglichen menfdhlichen 3ntereffeS jurücfruft, nicht recht emft
gemeint finb. ©igentliclj ift nur nebenbei bpn ihm unb feinem
Seben bie 0tebe, mir hören mot|I non ber Xätigfeit beS 5lpotf)efer*
tehrtingS unb »probifotS in Berlin, Seip^tg unb XreSben, bom
9Rititäriahr, bon potitif^en, literarifchen unb bicf)terifctjen Be=
ftrebungen, aber gontane fprid^t bon feinem Set) bo<h nur, um
fogteidh auf bie Ummett, genauer bie äßenfdjenummett, äberju»
gleiten, bei ber er ausführlich unb liebebotl bermeitt. Xarin tut
fidfj gemifj auch bie fpe^ififche ©efinnuncubeS ©piterS funb, bem
jumeift bie eigne Sßerfon unb iEjr ©chicffcu als baS am menigften
Sntereffante unb Stufjeid^nungSmürbige erfd^eint, aber bie befonbre
$lrt, mie in biefen ÜRemoiren baS Stoffliche fid) einer beftimmten,
bom SBerfe fetbft intenbierten Normung entgeht, ift hoch mehr
noch ein S^arafteriftifum beS f)ödjftdn Otters unb ber fintenben
Äraft, bie bie eigne güße beS ©efdjauten nid^t mehr gu meiftem
bermag, fonbern bon ihr betjerrfdfjt mirb, mie im gleichzeitigen
„ (Stettin" baS ©efprächhafte nicht ^unttion ber ÜRenfd^en mehr
bteibt, fonbern bie SDtenfchen jurn btoften ÜRittet fjerabfinfen, bamit
Montane fpre^en taffen ?ann.
Unb noch ein Umftanb bermeljrt bie S^aotif beS BudheS: maS
Montane bom eignen Seben einfliefjen täfjt — unb eS ift menig
genug neben ben umfänglichen fachlichen Betrachtungen unb ber
bermitrenben fetbftänbiger ^ßorträtfti^en —, greift über bie
SebenSfpanne bon „ßmanjig bis ©reinig", bie ber Xitel ab grenzt,
nicht nur hinaus, nadh rücfmärts in bie Sücfe bon acht Satiren,
bie ben 5tnf<hlufj an bie Äinberjat)re bermittett, nadh bormärtS
über bie $eirat bon 1850 in bie ßeit beS Sonboner Äorrefponbenten
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2. ®rieg3bücf)er. 2Iutobiograpf>ifd)e§. ßritif
343
ifttb bcS ^Berliner Äreu^eitungSrebafteurS hinein, fonbern bieje
furjen Hinweife, ba§ eigentlich StutobiograpCjijc^e, ba§ fc^on $u
blofjen ©injchüben juriicfgebrängt ift, wirb nnn noch, W* Schwer-
fäUigleit unb Unüberfi<htli<hfeit berftärfenb, <hronologif<h burcf)-
einanbergefdjoben, wir hören etwa juerft oon bem britten, längften,
nachwirfenbften Aufenthalt in ffinglanb, gelegentlich ber Sßorträt-
ffijje 3fuliu§ gaucherä, bie gelegentlich ber (Erwähnung ßenau-
oereinS gegeben wirb, biet fpäter erft oon ber Steife beS ©injährigen
„Sei ,Äaifer granj 1 ", wo nun wieber biefer ©infdjub ben Haupt¬
inhalt be§ ganzen £eil$, beffen $h ema beSaoouierenb, beftreitet.
Um fo intereffanter ift e§, bafj ba8 eigentlich fonftituierenbe
©lement be§ SßerfeS, nach bem ber Stoff ficf) mit einer fojufagen
gefeilteren SBiflfür gruppiert, nun hoch ber tiefften Stenbenj beS
fontanifchen SBefenS entfpricht, mag auch nichts ©anjeS unb ©pn-
thetif<he§ mehr juftanbe gefommen fein. 3)a8 primäre ÜDtenfchen*
intereffe (wenn auch nicht mehr -erlebniS) behauptet fidj immer
noch, nicht mehr in bem ©inn, bafj wie in ben großen Stomanen
unb Stooellen fi<h um ben Äern einer ober weniger felbftänbiger
©eftalten ein organifctjeS ©ebilbe, eine oon ihnen burdjbrungene
SCBett legt, nicht mehr fo, wie noch in ben „Äinberjafjren",, bie
burch bie ©eftalt ßouiä Henri Spontanes, faft gegen ben SBitten
beS Autobiographen jufammengehalten werben, fonbern berart, bafj
— wieber in parallele jum „Stettin" — ein fontanifchen S3er-
mögen, feine ©chauart unb bie au§ ihr refultierenbe ÄompofitionS-
weife fich fo rücffichtSloS oerfelbftänbigt, bafj in langem, fchier
uniiberfebbaren $ug bie Sefannten feiner ßebenSreife, Stahe unb
fferne, begabte unb Unbegabte, Sbealiften unb Sßraftifer, SBeltleute
unb ©infiebler, ©eiehrte unb Äünftler, SJtüitärn unb ©chaufpieler,
mehr ober weniger filhouettiert oorbeibefilieren, — üüienfchen, bie
alle ju Stomanmitten ober ju füüenben ©eftalten in Äunftwerfen
hätten werben fönnen, ohne bafj en in biefem ©ammelwer! hoch
ju mehr afö bloßen Anfäpen färne. Smplijite tragen alle bie
SKöglichfeit in fich, ifontane8 epifche SQSelt ju beleben unb ju er¬
weitern unb an mancher ©teile be8 93ud)e$ finb biefe ©eftalten
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344
fünfter Seil. fefmibcite (Staffen
noch fo gebaut, tote eg nur ber Ticf)ter*9iealift, ntc£)t ber blofje
©iograph oermotf)te, aber ber ©dja| bleibt ungehoben, toenn er auch
oon fern gezeigt toirb. ©elbft bie flüchtigen, entfernteren ©efannten
toerben gern in ihre ßulunft, ja big ang ßebengenbe begleitet, mögen
fie auch fpäter ben 2ßeg beg Tidjterg nid^t mehr getrennt hoben.
Tiefe Anteilnahme offenbart ihren eigentlichen ©harafter al§
objeftioe äJienfchenfchau noch beutlicher, toenn man fidj baran er*
innert, bafj Montane Sreunbe in tieferem SBortfintt nie gehabt hat,
einfam unb ohne Partei burchg Seben gegangen unb nie burch bie
üolle Eingabe an einen anbren äRenfchen beftimmt ober gar oer*
toanbelt toorben ift. Aber biefe perfönliche ©inbufje hat eg ihnt
auch erft möglich gemacht, bie oerfchiebenften 3Wenf<hen fei eg mit
bem bidjterifchen SBort ber Romane ju geftalten, fei eg mit bent
mehr biographifch gerichteten, literarifchen Sßort ber „Söanberungen"
unb „Son ßtoan^ig big Treifjig" ju berftehen unb ju beurteilen.
333aS bie „ÜBanberungett" für bie ißerfönlidjfeiten ber weiten
hiftorifchen Söelt, ba§ leiftet ber jweite 93anb ber Autobiographie
für bie $erfönli<hfeiten feineg engeren ßebengfreifeg. Suttner finb
biefe (£h orQ fterbilber unb »ffijjen felbftänbig, in fi<h ruhenb, mag
bie Auffaffung im einzelnen bann noch fo fubjeftiö augfallen.
Auch ia biefem perfönlichen ©epräge, bem unoerfennbar fontanifchen
Stempel, wirb ber bidjterifche ©infchlag beg Söudjeg offenbar. Tie
föftliche 93efcf)reibung Tljeobor ©torrng bebarf gewifj ber ©rgänjung
unb Äorreftur, fie barf nicht literarhiftorifch genommen toerben,
unb niemanb hat bag beffer gewußt alg Montane felbft, aber eg
ift eben ber TIjeobor ©torrn gontaneg, gefehen burch ™ bichterifcheg
Temperament nnb oon beffen Söahrljeit getragen unb beglaubigt,
bie nach ber $Ri<htigfeit ebenfowenig fragt, wie bie ©eftalt beg
SSaterg in ben „Äinberjahren".
Cjrm augführlichften oerweilt $ontane beim Tunnel. Tag ihm
<vi gcwibmete Kapitel ift mit feinen nahezu 200 ©eiten fchon
mehr eine felbftänbige ©tubie. ©eftalt reiht fich an ©eftalt, jebe
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2. Ä'riegSbüdjcr. 3lutobiograp^ifd)e§. ftrittf 345
ein fritifdjeä Porträt für fidf), nur in lofetn Vejug ju Montane
felbft, ber weniger barfteflt, wie bag (iterarifcfje ßeben ber bierjiger
unb fündiger Saljreanf if>n gewirft fjßt, alg wag eg für fidj, alg
Äulturerfdfjeinung bebeutete. Xropbem fehlt bie beherrfd&enbe Sßerfön*
lictjfeit beg Xunnelg: ©cherenberg. gontane hatte ihm fdjon früher
eine eigne ©tubie, bie neben bent epifchen ©Raffen herlief, gewibmet,
unb *>ber @>ammelcharafter ber neuen 31ufeeirf)nungen, ifjre Un*
berbinblicf)feit, jwang if)n nicht baju, bag ©efagte hier noch ein*
mal ju wiebert)ofen. HJian fann biefen (f SJ)riftian ^riebridj
©Merenberg" (1883—84) alg eine Vorftufe beg „91utobiographi*
fcfjen", in ©onber^eit beg Xunnelfapitelg auffaffen, ju beffen Um*
fang ber urfprüngüd) (1881) geplante Stuffafc burdfj bie güfle beg
jufammengetragenen ÜKaterialg fdfjliefjlich anwuc^g.
SBag gontane geigt, ift ber üftenfcf) unb ß^arafter, nicf)t ber
dichter ©cherenberg, alg (Srfdjeinmtg unb Xppug einer beftimmten
$eit interefftert er if>n, nicht alg Äünftler, eg wirb mehr bie
Umwelt ©djerenbergg gefchübert, alg bie ßeiftung beg gefeierten
£unnelbid)terg beurteilt, bag Vudj ift mehr Vefcljreibung alg
tritif^e Sßertung, mefjr ©rjeughig ber biographifchen alg ber aug*
gefprochen fritifchen £ätigfeit ^ontaneg.
®afi eg fo fam, lag weniger in $ofltaneg Slbfid^t unb 93er*
mögen alg in ben Umftänben unb ber Hlatur beg ©egenftanbeg.
3llg er an bie Arbeit ging, hatte er ben Tunnel unb fein äftljetifcheg
Hiibeau längft Ijinter fich gelaffen, bie bidjterifche fieiftung beg
ßreifeg war it)m fufpeft geworben, ©eljr bejeicljnenb ift gegen bag
©nbe ber ©tubie, wo nun bocfj öon ben poetifdjen Verbienften
©djerenbergg bie Hiebe fein ntufj unb fiel) gontane biefer Aufgabe
mit oerbädjtiger ©dfjneßigfeit entlebigt, bon ber tiefgreifenben ©e*
fd^madgberwanblung bie Hiebe, bie ben l)of)en Hiu^m ©ctjerenbergg
mit überrafd^enber ©chneßigleit berwehen lief?. fjreptagg ,,©oß
unb $aben", „welker Hioman fo recht eigentlich ben ©riff ing
bolle üßienfdfjenleben für ung bebeutete, war ber entfdjeibenbe ©cfyritt.
HJian woßte ©egenwart, nicht Vergangenheit, SBirfüchfeit, nicht
©chein, ^rofa, nicht 93erg. 31m wenigften aber woßte man
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346
♦
fünfter Seil. Saä fefuttbäre Staffen
Si^ctorif. Sftit anberen SSorten, eS üottjog ftd^ ber grofce Um*
fdhmung, ber bem ^Realismus jum ©iege oerhalf."
Siefe ©äfce, entfcheibenb für Montane unb feine bicljterifche
©enbung, ertlären auch feine ©tettung jum Tunnel unb jur
Sumtelprobuftion. ©o fe^r er, fdjon als einftigeS ttftitglieb ber
Sidjtergefettfchaft unb greunb ©dfjerenbergS, mehr noch als ton»
jiliante Statur, bie fich auch im fjiftorifc^en ©erlaufe gern* ber
©tetigteit, ber Übergänge bemufjt bleibt, einfeitigen ©tettung=
nahmen, abfoluten ©erbitten aus bem SBege ging, er mar bo<h
auch unb eben als Sfteafift unb fjü^rer beS bidhterifdhen ©ea=
liSmuS eine ju auSgefprochene Künftlerperfönlichteit unb als foldfje,
mochte er motten ober nicht, 31 t beftimmten Ablehnungen unb
Annahmen gebrängt, als bafj ihn nicht bie Aufgabe, ©djeren*
berg ein Sentmal ju fepen, in einen ßmiefpalt gebracht hätte,
ber nun audh in ber ©tubie felbft fich beutlidh abfpiegelt. ©ie ift
üortrefflidf) unb ein mertootteS Sofument, fomeit eS fich um bie
blojje SKilieufcljilberung hobelt, bie finnlidfje unb geiftige Ummelt'
beS literarifdfjen ©erlinS oon 1840—60; fie ift fdhmach, ja fdhief,
fomie Montane fich anfdhidft, bie ißrobuttion, bie biefeS SJiitieu
jeitigte (oon dichtem ift nicht gut ju reben, ba eben alle Urfprüng*
lichfeit, baS mit bem 2J&nf<hen gefegte, einmalig Unoermechfelbare
fehlt, baS erft ba fein müfjte, ehe ©inflüffe barauf mirten tonnen),
unter äftljetifchen Kategorien ju betradhten, bie nun einmal, mo
Sichtung als Sichtung gefajjt merben unb nicht blofjeS hiftorifdljeS
(SrjeugniS neben anbren anbrer @einS= unb ©rlebniSfdhidhten bleiben
fott, als unoermeibliche AnfdhauungSformen fich bafbieten unb auch
für Montane unumgänglidh maren. Ütttan mertt fein fdhledhteS ©e*
miffen, baS Silemma, in bem er fich befinbet, menn er etma
(@nbe beS 4. Kapitels) ben fahrigen SBortfdhatt beS ©dfjerenberg«
fdhen „©erlornen ©of)neS", in bem ©Ritters h°h et rhetorifcher
$lug nun gänzlich oerbürgerlicht, ins glatte unb felbftgefäflig
©eiftreiche herabgebrüdt unb oergröbert ift, nicht nur bem Sefer,
fonbern fidh felbft einjuloben, mit oergeblidhen ©uperlatioen auf*
jureben oerfucht. Ser Autor ber leeren, gef chm öligen ©flachten*
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2. Ärieg3büd)er. SlutobiogmpfüfdjeS. Ärittf
347
befchreibung war preisgegeben worben, nun foUte ber Sprifer
WenigftenS gerettet werben, bantit baS 58ucf) nicht gar ju fet)r aus
. einem 93uch über, ein 93uch gelegentlich Scherenbergs würbe, ßtber
wenn wenigftenS bie $itate fehlten, mit benen Montane feine ©logen
felbft Sügen ftraft!
3Bie er eigentlich h n (SdjerenbetgS Dichtungen ftanb, belennt
fpäter (3. Auguft 89) ein SBtief mit wünfdjenSwerter Offenheit:
„Dafj <Sie bot Scherenbergs Söerfen bewahrt geblieben finb, ift
ein ©lücf. Sch h Q be mein fleineS Such über ihn mit großer Siebe
unb aufrichtiger Verehrung gefchrieben, aber alles auS ber
* ©rinnerung. ©ine innere Stimme fagte mir: ,8ieft bu baS alles noch
mal burd), fo bift bu berloren unb er erft red>t.‘ Stls baS Sucf>
fertig war, h Q be ich bann noch mal fcf)eu in feine Dichtungen
hineingegudt. 9licf)t ju lefen. Sn graufamer Sßeife läfjt er einen
nach brei Seiten hin im Stich- ÜTCichtS hot $orm (trop meift feb»r
guter kompofition). Sprifcher Don bafat unb ©efepmaef erft recht."
Dafj Montane baS Scperenbergbuch trop biefer inftinftioen ©inficht
fchrieb, baff er ben fritifdjen ©infepfag feines SSefenS, ber in ben
Ütomanwerfen als pofitibe, latente ©efeßfepaftsfritif wirft, unter«
brüefen wollte, macht bie Arbeit, bei aller Sorjügticpfeit ber
•äftilieufcpilberung, ju einem wiberfprucpSboUen, fjalb unb palb ber«
fehlten ^ßrobuft. ©rft bie Dätigfeit beS Dpeaterreferenten läfjt —
wenn man bon ben mannigfachen, oft fehr ausführlichen Urteilen
über lebenbe unb tote dichter, bie bie Briefe enthalten, unb
pribaten Stubien, bie nicht, ober wenigftenS nicht in erfter ßinie
für bie Öffentlichfeit beftimmt waren, abfiept — fein ftarfeS
fritifcheS Talent ins bolle Sicht treten.
''Triefe kritifen ber Aufführungen beS königlichen Scpaufpiel«
paufeS für bie Soffifcpe Leitung hoben bie wecpfelnbfte Se«
urteitung erfahren, ©inft bon einem berliner SBipting (©laSbrenner),
ber bie ©piffre Dp. 5- olS „Dheater*grembling" beutete, berfpottet,
werben fte fept • allenthalben gelobt unb bon Dpeaterentpufiaften
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348 fünfter Seil. fefuttbäre ©Raffen
woht gar über bie Montane gefteflt. 3Scr unbefangen an bie gute
StuSwaljt ^erantrüt, bie ©djtenther üeranftattet ^at, toirb toeber
ju einer abfdjäfcigen Meinung noch ju übertriebenen ßobfprücfjen
Berantaffung fetten. Sie gtiebern fi<h zwanglos bem ©efamtwerf
ein, finb eine praftifche Slntoenbung fontanifdher Sngenben unb
©igenfdjjaften, bie in ben Bomanen if)te jtoedtfreie ©eftattung finben,
ein Berfudfj, aus bent 2Befen reatiftifcher ßebenS* unb $unftauf=
faffung einen fritifcf>en SBertmafjftab für bie Siteratur ju gewinnen
unb auSzuproben. $a£s biefer Berfudfj fo überrafc^enb geglüdft ift,
fann nicht wunbernehmen. 35ie ÜRotwenbigteit unb ©egrünbetheit
einer reatiftifchen Äunftbetrac^tung ergibt fid) aus bent reatiftifchen
©Raffen ats natürliche Äonfeqnenj.
gontaneS fritifdhe SßrajiS täfjt auch bie Äunftwerfe in ihren
natürlichen Bezügen. @r will nicht abfotute ©dhönheitSregeln auf*
ftetten, nach benen bie ^ßrobuftion fich ein für allemal jn rieten
hat, feinen flaffifcljen Äanon, fonbern bie mit bem 2Bect)feI ber
feiten ftetS anberS gerichtete unb anbren ©inflüffen auSgefepte
Dichtung foU aus fidf> fettft-heraus ihr ©efep erftehen taffen unb
mit ihm ein 2Kafj, baS ihr ©igentümfidheS, nur ihr ©ehörigeS
in feiner inbioibuellen ©onberheit gegen anbre ©pochen abgrenzt.
^ontaneS Betrachtung ift hiftorifdh, infofern ihm auch öor bem
^öchften ein btofjeS Inmtetjmen, ein „©tarren utib ©taunen" nidht
genügt, eS foß bergigen, geprüft, unterfchieben unb babei „offen
unb ehrlich auf ber einen, bemutsooß auf ber anbren ©eite" oer*
fahren werben.
freilich — unb bieS ift ju unterftreidhen, weit eS auf ben
Sßunft hinweift, ber Montanes fritifche $ufjerungen oom meiften
unterfdheibet, was an wiffenfdhafttidher ßunftbetrachtung, jumat
titerarifdher, langhin üblich war unb ©ettung hatte — bie ber
realiftifchen fo nah oerwanbte t)iftorifc^=fritifc^e Betrachtungsweife
war ihm nicht gteidfjbebeutenb mit Bereicht auf eignes Urteil unb
BreiSgabe ber eignen Sßerfon, Dbjeftioität war ihm nie gleich*
bebeutenb mit Unperföntidhfeit, fo feljr er anbrerfeitS eine gefchicfjtS*
tofe, auf bie engfte ©egenwart eingegrenzte fritifdhe Sßotemif, mit ber
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2. Sirieg$büd)er. ^lutobiograpfyifdjeS. ftritif 349
bie Sftaturaliften geräufchooll heroortraten, ablehnte. Die Siteratur-
betradjtung ©<hererf<her ©d)ule unb 9ticf)tung, ihre „bie ©adt)e
aufs 9ßf)ifotogifdfje hin anfefienbe ©eredjtigung" erfdjien ihm gmcifct*
haft, unb er tjätt biefe ÜÄeinung auch beut fjreunbe ©rahm gegen¬
über aufrecht (©rief oom 29. Oftober 82). Das gleiche Dherna
ftreift ein ©rief an ben ßiteraturtjiftorifer SRorifc SRecfer: „SächtolbS
ÄeHerbudj", fchreibt gontane, „bei alleni SRefpeft oor beut tSrnft
unb gleif} ift langweilig unb faum oerbienftlid). Dies f>arte Urteil
trifft aber weniger ben 9ftann, als wie bie entfpredjenbe mobile
Stiftung, bie, jurn Deil wenigftenS, biefe ©reittreterei, biefe Sßapier-
unb ßeitoergeubung, ju was Roherem oon ©e^anblung ergeben
möchte. SBentt. fich ÄeHerS biefe gönn oon SebenSbefdjreibung bei
©ädjtolb eigens befteHt hat, fo tun mir brei leib: Äetter als Auf¬
traggeber, ©ödjtolb unb baS Publifum."
Sttan wirb l)eut in einem fotzen Urteil nicht mehr ben Di¬
lettanten betakeln fönnen. gontaneS ®inwänbe finb nun auch
innerhalb ber Siteraturwiffenjcfjaft felbft erhoben worben unb hoben
ju einer fruchtbaren AuSeinanberfe|ung ber einft mobifchen mit
einer im Auffteigen begriffenen Dichtung geführt, beren Programm
jum guten Deil mit fjontaneS praftifcher Aftljetif jufammenfäHt.
SBaS er ab lehnt ift baS ßufammentragen immer neuen ©toffeS
über unb gelegentlich ber SBerfe, falls man aus biefen „Duellen"
eine (SrfenntniS unb (Srflärung gewinnen will, bie nur aus ben
SBerfen felbft fich ergeben fann. SBaS er abtehnt, ift ber üergeb-
liche ©erfuch beS AuSlöfdjenS ber eignen Perfon als einer ur-
teilenben unb wertenben. SRoch eh« bie neuere ßogif ben UrteilS-
charafter aller ©efdjichtswiffenfchaft aufgeigte, ahnte gontane, bah
bie ©ehanblung eines hiftorifchen (SegenftanbeS unb nun gar eines
fünftlerifdjen, einer Dichtung, nach Analogie eines naturwiffen-
fchaftlidjen Präparates $u Srrtümern führen müffe, bah beften-
fallS „baS eigentliche SBort, baS SBort auf baS eS anfommt, nicht
gefprochen wirb". SBaS Montane ablehnt ift bie Pfeubofadhlidjfeit,
jene ©erwechSlung oon Dbjeftioität unb Unperfönlidjfeit, weil fie
feinem gefunben ©efüljt feine pofitioe wiffenfchaftliche Dugenb be-
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beutete, ionbern einen p roter* orcnbaften fionffift ber Schwäch* an»
geigte. Unb tdjlieBlidj wollte Romane über ben ^ fl testen gegen bie
Vergangenem, Pietät nnb Xrabition, nicht bie Gegenwart oergejfen
wiffen, freilich nicht bie mobiitbe, mit bem lag wecfiielnbe, ionbern bie
waffT^m (ebenbige, bie ber Schoß beT 3nfunTt ttt. Seine ©etracbtnng
birtori’tbeT Xt<btung laßt nie bie ^rage oermiiien, was bebentet bieS
für uns, tann es uns Stufe nnb ©auftein fein? Unb nicht nur
für ben probuttioen SJtenicben, für fid) unb feinesgleicben, nahm
er bi res jRedjt bes Äuswählens unb ©erwerfens in Sniprad), er
forbert auch oom ©etrad)ter unb foricbenben Seifte bie zeigtet!,
bas Sertoolle unb Sertloie untericbeiben, bas Sichtige oom ©e*
langlofen trennen unb gebübrenb berausfteHen :u tonnen. SaS
ib«n in ber ©eiebiebte möglich unb nötig festen unb er felbft in
ben w Säuberungen“ geübt ^atte, bie Sammlung, ©efebreibung
unb Xeutung bes SRaterials als etwas, bem nberwiegenb ber
(Sbarafter bes ©ewefenen anbafte, foflte in ber Shntft* unb
£iteraturbetracfjtung jurüeftreten hinter ber Xeutung bei ©ewefenen
als eines noch Öebenbigen ober bem begrünbeten Urteil, bafj
etwas nicht ober nicht mehr lebenbig fei, fyorberungen, bie Mon¬
tane feiner befonbren tbeoretiieben ©rhärtung bebürftig fchienen,
weil fte mit bem Sinn ber Serie, bie baS Material ber Shinft-
betraebtung bilben, gefe|t ftnb. ©ine Xicfjtung war ihm eine in
fid) gefchloffene lebenbige ©inbeit, bie nur oom ganzen lebenbigen
SRenfcben erfaßt werben fönne unb erft einmal erfaßt fein müffe,
ehe bie richtige, bie oom ©egenftanb felbft geforberte Xeutung,
bas eigentliche „Sort, auf ba§ eS anfommt", gefproeben werben tann.
©ewig ftnb manche Urteile Montanes nicht mehr bie unfrigen,
aber weniger, weil er geirrt hätte, als weil baS geiftige ©efamt*
nioeau ein anbreS geworben ift. Xaff aber in biefen Segrenjungen
beS §orijontes, beS ©efamtgeifteS einer ßeit, auch bie Siffenfdjaft
oerfangen blieb, bie hoch glaubte objeftioer, einfichtiger, abfoluter
ju fein, jeigt bie fiorrefponbenj ber flachen ©oetheauffaffung Mon¬
tanes unb ber philologifcb^pofitioiftifcben 2iteraturwiffenf<baft ber
3eit, fowie fie einen jaghaften Schritt oon ihrem eigenften unb
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2. $trieg#büd)er. s 2lutobiograpf)t}cf)e3. ftritif 351
gemifj nötigen unÖ unt>eräcf)tüd}en ©ebiet, ber Ste^tfritif unb (Stoff;
gefegte, auf äfttyetifdjen ©oben magte. @3 ift ba§ ©etjeimniS
tebenbiger gorm, bafj fie fidt> immer meiter enimicfelt unb jeber
neuen ßulturepodfie etma§ üfteueS p jagen fjat. @3 fann immer
nur bie Aufgabe einer $unftbetracf)tung, bie fidj richtig oerftefjt,
unb meljr al§ ©titgeftf)icE)te geben miü, fein, i£(t Sitb beS fyftorifdj
©emorbenen, 9ßotf)4ebenbigen empfangen, fonft muf fie ficf) auf
ba§ Stote, ba§ 9hn>gemefene beftfjränfen, auf 2)inge alfo, bie au8
bem ftrengen Söegriff ber Äunft unb 2>ic£)tung fjerauäfaUen, fie
rnufj iJjren eigenttid^en unb bornefjmften ©egenftanb preisgeben
ober irren unb ef>rfurctjtsfo$ merben, menn fie meint, ein mirf=
lid)e§ Äunftmerf, baS atS ein organifdtjeS ®an§e unteilbar unb
mannigfaltig ift, öerftanbeSmäfjig meiftern unb erlebigen p tönnen,
fo mie bie Sßaturttiffenfdjaft eine ©rfdjeinung ertebigt §at, menn
baS ©efe|, bie formet gefunben ift, unter bie fie fällt.
gontaneS fritifcfje Sätigfeit mar oon biefer ©efinnung getragen
unb barin ruf)t, mie üieleS mir auct) f>eute anberS fetjen mögen,
if)re SSorbilblid^feit unb anregenbe Äraft. 2)a3 ©injehte burcf)3
©nge p fieben ift fo menig nötig mie bei ben ÄriegSbücfjern unb
autobiograpfyifcfjen SBerfen. $§eaterfrembling mar $f)eobor jjon*
tone öietleid^t, infofern ifjm ba§ Xljpter als Snftitut menig be«
beutete. Slber bie ßunft mar ifjm heilig. Stuclj im 3)rama fiet)t
er metjr bie 3)icf)tung als baS SBerf einer beftimmten ©attung.
©eine Urteile über SDidjtung gehören, als äuferfte @df)icf)ten, p
feinem Sßerf unb feiner ißerfönlict>feit, bie Söefpredjungen bon
©djaufpielern unb 5tuffüljrungen gehören in bie £f)eatergefc£)i<i)te,
finb. eine pfäHige Stätigfeit, mie fein SournatiSmuS unb feine
ÄriegSbücljer.
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3. Sie (gebiete
^fcontaneS epifd^er 2Beg geht oom $iftorif<hen jur ©egentoart,
U 0Dm ®toff[i(f»en unb breit SluSgefponnenen jur bur^brungetten
$orm unb fparfamen Äürje, oom Abhängigen, Unpersönlichen gum
(Eignen, ©^arafteriftifc^en. 2)en gleiten 2Beg nimmt feine SerS*
funft, bie toie bie 2öanberungSf<hrift|Merei wof)l jeitweilig in ben
|>intergrunb gebrängt wirb, aber immer wieber einmal auflebt, bie
Sa^n feiner SntwicEIung in oerjüngter Äuroe beutlicf) werben lä^t.
Sm ßegenbenlanb, am Sftitterbronnen,
9Kit ißerctj unb SouglaS fyab' idt) begonnen;
®anu f)ab’ irf) in feiner ©djnmbroiten SJHtten
Unter ©egblifc bie großen s 2tttacfeii geritten
Unb bann bei ©eban bie ftaJjne gcfdjtoenft
Unb oor jtoei Ä'aifern fic mieber gefenft.
S« ber Sugenb ift man eben breifter,
SEJtag nicJ^t bie 3unft ber ftanbjoerfermeifter;
Sefct ift mir ber SlQtag an3 £>erj gemadjfen,
Unb idj Ijalt e3 mit Stofenptüt unb $an3 ©ad)fen.
»
„Auch ein Stoffwechfel" — fp nter biefen anfpruchslofen Serfen
au? Später geit fteb»t baS banfbare Sewufjtfein eineS' reichen unb
erfüllten ßebenS, baS auf allen (Stufen <harafteriftif<h fruchtbar
werben burfte.
CVVon ÄinbeSbeinen an war Montane bie ausgeprägte Vorliebe
''vJ für bie $iftorie eigen unb würbe oom Sater genährt.
Napoleon unb bie äftarfchäHe, bie SBelt griebrichS beS ©rofjen,
englifche ©eS<hicf)te unb fc£)ottif<he «Sage beftimmen bie ©ebanfen
unb Arbeiten beS SRuppiner ©pmnafiaften unb Serliner ©ewerbe*
fchülerS. SUiit fünfzehn 3af)ren Schreibt er, angeregt burch ©hamiffoS
„SalaS p ©omej", fein erfteS ©ebicht, eine „Schlacht oon £och*
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3. 2>ie ©ebidjte
353
fircp" in Ser$inen, mit fiebjepn leimt er ein Keines SpoS „|>einricp IY.",
jujammen. Slucp bie anempfunbenen baKabeSfen üttacpwerfe beS
SlpotpeferleprlingS, bie ber „Verliner $igaro" abbrueft („Sie Ver¬
geltung", „^ßijarroS Sob", „Simfon im Sernpel ber ißpilifter" unb
iÜpnlicpeS), bas @poS „Vurg an ber 3ple" unb bie unreifen fjrücpte
ber Seipjiger greipeitSbegeifterung, mit benen fein bicpterifcpeS Ve-
ftreben jeitweilig inS Sßolitifcpe umfeplägt, ftnb noep belanglofe
Sßuerilia.
@rft mit bem Eintritt in ben Sunnel, 1844, finbet er fiep jum
regten SCBegpunft jurütf, bie erfte englifepe fReife, im feiben 3apr
1844, entfepeibet enbgültig über feine Stiftung, neben bie oater-
Iänbifcp*branbenburgijcpe, fpejieÖ fribericianifcpe, tritt, erft eben¬
bürtig, bann lange $eit übermiegenb, bie englifep-fepottifepe Stoff*
»eit unb wirb in Vallabe unb Vilb mit waepfenbem ©efepief
auSgemünjt. „Ser Sowerbranb", bie fjelbperrnlieber oom alten
Serfflinger unb 3^^ erregen im Tunnel berechtigtes Sluffepen.
1848 lommen ihm ißercpS „Reliques of the ancient English
poetry“, ein wenig fpöter Sßatter "Scotts „Minstrelsy of the
Seottish border* in bie £>änbe, jwei ©üeper, bie auf 3apre hin
eine eifrige überfepertätigfeit anregen unb bie eigne ^ßtobuftion
entfeheibenb beeinfluffen.
Schon 1847 patte Sotta im SKorgenblatt bie fteben „Sßreufji-
fepen gelbperrn" (Serfflinger, Seffauer, 3ieten, Sepblip, Äeitp,
Schwerin, Scpifl) gebracht. 3ept erfepeint 1850 an gleicher Stelle
ber VomanjenjpKuS „Von ber fepönen Vofamunbe". ©S finben
fiep „ein paar mutige SDtänner", naep bem fcperjpaften Sob beS
Slutobiograppen, „bie niept blop biefe oorgenannten Sacpen, fonbern
auep noep anbere Keine Sicptungen als Vucp perauSjugeben ge-
baepten", jum niept geringen Stolj beS jungen VräutigamS, ber
nun bie fepönen Sage oon $lranjue$ angebroepen glaubt: $a|,
ein Keiner Verlag in Seffau, bringt bie „Vofamunbe" als ©olb-
fepnittbänbepen in rotem Seinen, bie bann noep jwei Sonberauf-
iagen erlebt, St. SB. $apn-Ver!in bie um baS ©ebiept „Sin ben
©rafen unb SDtärjminifter Scpwerin" bermeprten ftelbperrnlieber
SBaubretj, Soittanc 23
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354 (Viinf.tcv £cit. 2)a$ fcfunbäve Schaffen
unter bem jtitel „SJtänner unb gelben. Acht Sßreujjen^Sieber",
beibeS 1850. 2)ie „anberen {(einen Dichtungen" folgen 1851 in
ÜKiniaturauggabe bei (Sari 9teimarug=BerIin.
Der finanjieHe ©rfolg entfprac^ ben optimiftifchen ©Wartungen
$ontaneg nicht. SEÖie ber bamalg auf feiner Berlegerhöhe ftehenbe
Ijapn ihm bie befcheibene $onorarforberung oon ad^t Souigbor
gleich auf bie |>älfte f>erunterbrücft, all er rnerft, bafj ber Ber*
faffer nicht fonberlich gut fituiert ift unb bringenb (Selb benötigt,
wirb im fpäten Kücfblidf ber Autobiographie („Bon 3wan$ig bi§
Dreißig", Äap. 15) nicht ohne £>umor geftreift. Den jungen Schrift*
fteöer mit feiner permanenten Brebouille traf e§ bitter genug.
•Koch 1879, nad) & em britten Ärieggbuch unb „Bor bem Sturm",
fdjreibt Montane an feine $rau, er höbe immer „©lüdE gehabt unb
hoch aud) tnieber gar fein ©IM Unb bieg $ieht fi<h burch meine
ganje titerarifche Sauf6 ahn oon Anfang an. Denfe an meine
,9Jtänner anb $elben‘, bie mich auf einen Schlag ju einer flehten
Berühmtheit machten: an brei, oier Stellen würben fie ju gleicher
3eit gebrueft, ber Dunnel hotte gejubelt, in Theatern uub öffent®
liehen Sofalen tourben fie gelungen, unb ©. Schwab bebauerte in
einer Borrebe, ,ba| er bie Befanntfchaft biefer Sieber im SKorgen*
blatt ju fpät gemacht höbe, um fie noch in feine Sammlung auf*
nehmen $u fönnen 4 . Seitbem finb fie oolfstümlicf) geworben, unb
bie Sieber üom alten 3‘Uen unb Derfflinger fteljen in allen
Anthologien. Unb nun üergleidje bamit, mag icf) baoon gehabt
habe."
Auch „©ebidjte" finben nicht ben günftigen Abfafc, ben
Montane unb fein Berleger, festerer toohl nach falfdhent Analogie*
fchlujs auf bie SCBirfung ber „dünner unb gelben", erhofften. Sie
werben ba unb bort begrübt, bie Äritif oerfährt überaug glimpf*
lieh, aber man rebet faft nur oom Überfeper unb Kadjbilbnet
Kicht ohne ©runb. Denn eg ftanb mit bem ©ignen nodh färglich
genug. Montane felbft urteilt mit ber Dbjeftiüität, bie ihm eigen
ift, fdhon im ©rfcheinunggjahr über fein Buch: „Sch laboriere an
einer gewiffen ©infeitigfeit, unb wäre nicht bag Dufcenb Sprüche
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3. $ie ©ebicpte
355
ba, fo toürbe jene nodp mepr perbortreten. SBie biete gelber pat
bie Ißoefie, unb wie wenige bebau' idp! ©predp' idp bom gormellenr
fo finben Sie feine ^>efameter, feine Oben* unb §pmnenftroppe,
feine Sonette, Serjtnen unb Ottaben, feine fpanifdpen Xrocpöen,
feine ©pafelen, feine Sftafamen, unb punbert anberer Spielereien
(SRitornell, £riolett, ÜDialaifdpeS ufw.) ju gefdpweigen. 2)aS gepten
biefer gornten ift Weber waS ßufätligeS nocp was ©leidpgültigeS
— mit biefen gornten fehlen gleidp^eitig beftimmte SDidptungSarten,
benen jene gormen eben jugepören, gleidpfam angewadpfen finb.
©ie finben in meinen ©acpen feine gbplle, feine gäbet, feine
Segenbe, fein ftiH befcpreibenbeS, fein Seprgebidpt. (SS feptt bie
3)itpprambe, eS fetjlt baS Sftaibe unb drollige unb bor altem:
eS festen — bie Sieber, baS Sprifcpe überhaupt. 2BaS ber Slrt fidp
finbet, ift teils bem SBert, teils ber gapt nadp unbebeutenb." Äeine
Spielereien in 9tücfertfdper Sanier, feine originelle Sprif, Stnfäpe
ju eigner ©prudpbidptung, auSgefprodpene Neigung jur alten eng*
lifdpen unb fcpottifdpen Satlabe — bamit ift in ber $at bie erfte
Ausgabe ber fontanifcpen ©ebidpte in iprem SBert unb SBefen um*
fdprieben, aus ber fidp atlmäplicp in fteter SBeränberung bon Stuf*
tage ju Auflage bie enbgültige fünfte Ausgabe bom XobeSjapr
1898, eines ber poputärften ©erSbücper in beutfdper ©pradpe,
peranbilbet.
. „SBenn eS ju einer ^weiten Auflage fommt unb mein 93udp*
pänbler entfdpliept fidp, einiges ’rauSjuwerfen, unb bie ,ffto|amunbe‘
fowie ,9Känner unb gelben 1 an bie ©teile treten ju taffen, fo
glaub' icp, bafj eS bann ein 93anb ift, nidpt gerabe fdptedpter als
bie befferen ber lepten jwanjig gapre. (SinigeS üßeue finbet fidp
wopl pinju." (3. ganuar 51.) gontane erpofft biefe jweite Stuf*
tage bis fpäteftenS ^urn ^erbft 53. „gcp weip nämlidp fepr wopl,
bafj in meiner ©ammluifg mancpeS anberS i. e. beffer fein fönnte;
bodp glaub idp jept, baS erforbertidpe SKaterial in $änben ju
paben, um bemnäcfyft etwas entfliehen ©uteS in bie SGBett fdpidfen
ju fönnen." (4. 5)ejember 52.) @r will über bie Iprifdpen unb
©elegenpeitSgebicpte „furcptbar wie ®arl ÜKoor SKufterung patten".
23*
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356
fünfter Seil. 2)aä fefunbäre ©Raffen
Slbcr eS »ergeben über jroct SaljrzSnte, efje bie Neuauflage ju=
ftanbe fommt. 3)ajtoif(^en fd^teben fiS bie „Satlaben" öon 1861
(28. $erfc*23ertin) mit ben ©tanzftüden be$ „2trSibatb 35ougta3",
beS „$ag3 öon £emmingftebt" unb ber regen Überfefcertätigfeit
ber fünfziger Saf)re. @rft 1875 »erben bie „Nofamunbe", bic
„SNänner unb gelben" unb bie „23aHaben" mit ber gefisteten
SNiniaturnuSgabe öon 1851 öereinigt jur jmeiten Auflage ber „®e*
biS*e\ bie nun bem Vertag öon £erfc bei fiebjeiten gfontaneS
oerbleiben.
2)ie Stimmung ift bei biefer (Sbition öon 1875 feljr öiet toeniger
juöerfiSttiS/ 5 ontane betrachtet fie lebigtich afö einen greunb=
fSaftSbienft beS Verlegers ber Saltaben, an ben er öorafynenb
1861 gefSrieben hatte: „SS münfSe fetjnliSft, bafj Sie niSt mit
einem zitronengelben Gtjimboraffo fontanefSer SaHaben für äße
©roigfeit fifcen bleiben." Nun mar es boS «ine f)atbe @mig!eit
gemorben unb bis jur britten Auflage foHten mieber genau öier*
Zetyn Safjre öergefjert 2BaS fie an Neuem entsaft, entftammt bem
Sommer öon 1885 unb bem @rfSeinung«jatjr 1889.
2lm 4. Suni 85 metbet Montane aus ßrumnSübet: „Seit
anbertf)alb 2BoSen arbeite iS fleißig ... 2lber immer nur Nerfe.
$)ajj es mir noS 'mal oergönnt fein mürbe, ju ben ©öttern ober
$ämmetn meiner Sitgenb zurücfzutefjren, t)ätt' iS mir nicht träumen
taffen. @3 f)anbett ftS babei um ein ganzes 35u|enb Naüaben."
2lm 16.: „SS fmjjle täglich an ©ebiSten, beren iS gleiSjeitig
Zetjn, zö)ötf auf bem Stmbofj ober unter ber t)ßbe. 3)er
Ning, ber fiS fSü^t." 2tm 18. 2luguft: „Sn ben erften feS$
2BoSen t)ab’ iS nur SSerfe gefStieben, Sieber unb 25aöaben, fo
bafj iS mit fünfunbfeSsig mieber bei fünfunbzmanzig unb beinah
bei fünfzehn angetangt bin. S)ie SStonge, bie fiS in ben SSmanz
beijst; ber Ning, ber fiS ^&er baS SSenigfte („®ut=
branbSbat" unb bie praStöotte „grofje Äartljaufe öor Sßapft Sßaul")
mirb ganz, baS meifte nur hatb fertig. S)ie.2trbeit an „Secite"
öerbrängt bie Nattaben unb Nitber. ©3 »ergeben zmei Satire.
1887 fSreibt Montane an ^er| (15. Sfyril): „2UImäf|liS 9 e ^i
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3. SÜe ©cbidjtc
357
roieber auf bcn Sommer log, beit idf biegmal, roenn eg fein fann,
an bie SBottenbutig oieter fjalb* unb breioiertelfertiger öaüaben
unb ©ebidjte fe|en möchte. ,SBenn eg fein famt‘, bag Reifet, menn
ftd) SB. $erfc entfdfliefjen förnite, fei'g ju SBeipadften 87 ober 88
(oon 89 mag id) fdjon gar nidjt mef>r ju fpredjen), eine britte
Stuflage ber ©ebidfte oon $lf. Montane $u bringen. 3ft baju feine
Stugfidjt, fo merbe idf ntief) fjüten ... $)id>tergelb mirb nur nodf
an Sutiug SBotff augge$af)lt, bem idf eg gönne. 2)a bod) lieber
nid)!" @g ift begreiftid), baf) ber ©pifer b<.c eben ooltenbeten
„Errungen, SBirrungen" nid)t für ben 9tad)lafj fRaffen wollte.
Sin bag Stugfunftgmittet eineg ^weiten 93anbeg „Steuer ®ebid)te"
war nid)t ju benfen, benn „fo üiete finb eg erftlid) nidft, unb .
jweiteng muff man im Sitter fein ©efdjreibfet jufammenfaffen, aber
eg ni<$t in neuen Strafften augjufdjicfen fiteren". ©rft im Sommer
89, atg bie SReuauggabe in Sidjt ift, fonjentriert fid) feine Xätig*
feit ganj auf bie ©ebidfjte. „SJor mittagg: Olaf Äragebeen, Soen
©abelbart unb $erluf Jrofleg S3egräbnig, breHöaHaben, an benen
id) nun — etwa wie ber alte S9etow brei ©üepr ju gleicher $eit
tag — abwedfjfelnb unb beftänbig oon einem $um anbern über*
geljenb, feit brei SBodfen arbeite. Stadfjmittagg bann Büffeleien."
(8. ÜRai.) ©nbe 89 erfepint ber um ein htappeg drittel neuer
Stüde oermepte S3anb, barunter bie erften dfarafteriftifdjen Spritcf)*
gebiete beg alten gontane: „Sebengwege", „SBag mir fef)lt",
„SBag mir gefällt", bie ftärfften SSergbidftungen beg fReatiften,
ebenbürtig ben „Errungen, SBirrungen" unb ber „Stine":
„^rifc Äa^fufj", bag SBigmardgebidjt jum fiebjigften ©eburtgtag
beg gürften: „3eug in SWiffton", „$ubert io $of", bie 9Ren$el-
Slpotlicofe „Stuf ber kreppe oon Sangfouci", bie ©ebicfjte auf
ßaifer grriebrid) unb, last not least, „£>err oon fltibbed auf SRibbed
im $aoetlanb", festere brei oon fjontane felbft atg Treffer
empfunben.
SRun ift bag ©ig gebroden. 35ie „©ebidjte" erobern fidf) einen
feften ßeferfreig. Sd)on im Stprit 91 wirb eine oierte Sluflage
notwenbig. 35a in ben ßwipenjapen nidjtg Steueg entftanben
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358
fünfter $ci(. 3)a3 fcfunbätc Staffen
ift, foH fie erft nur burefj ein einziges, unbebeutenbeS ©ebidjt oer*
rne^rt »erben, einen „fleinen RMfc", um bie „bierte Auflage bon
ber britten aud) inljaltlidfj.ju unter Reiben“ (14. StpriX 91). 316er
am 20. finbet fic^ „nodj ein anbereS «eines ©ebiefjt", unb un-
berfetyenS fomrnt gontane bei biefern ©udjen unb Surdf)feilen bic
Suft, „bie fcljon gebrueften SpriEa be^ie^ungStueijie Reimereien"
nod) »eiter ju bereitem. 3tm 23. fcf)icEt er bie „beiben «einen
Sachen, aber nid)t als festes Aufgebot, fonbern, faft mit Rer*
legen^eit ju fagen, nur als Sloantgarbe. Sei) bin nämlidj bei betn
Ruffeln »ieber ,inS Siebten 4 EpneingeEontmen, unb fo »erben bie
j»ei Rorläufer wof)t nodj etliche Rad^Iäufer Ijaben, unb j»ar in
wenigen Sagen, benn alle finb breibiertel fertig." 3lm 26. »irb
ber nette Reftanb bon jefyn ©ebid^ten („Ser edjte Sinter", „Unfere
,beutfcf)e 3rau‘", „Rrunnenpromenabe", „Äönig Äart ber3»eitc bon
©ngellanb", „Contenti estote", „In memoriam Nicolai", „Rer*
jeifjt", „3faruS“, „3a, baS möct)t’ idj nod) erleben", „Sretyunbert*
mal") in bie „Sieber unb ©prüdje" eingereifjt.
Sie lefcte Surdjfidjt ber „©ebidjte", für bie fünfte Auflage
(1898), ftammt bom ©ommer 97. 3» »efentlid^en bleibt alles
beim alten. Rur bie Abteilung „Sieber unb ©prüdje" »irb »ieber*
um oermef)rt, bieSmal um bierjeljn ©tüdfe („Sie ©efdjidjte bom
«einen ®i" bis „3lrm unb reief)" ber gütigen Ausgabe). 3lm
31. 3uli 98, bem Sage nad) RiSmardES Sob, fdjreibt ftontane,
im 3nnerften erfdjüttert burd) bie Shutbe bom £>infd)eiben beS
ÄanjlerS, nodj einmal Rerfe, feine festen, ©ie finb fpäter als
einziges Robum ber fed)ften Auflage bem „3ung*RiSmard" nac§*
gereift »orben.
CYVVit Rercp unb SougtaS f>ab id) begonnen." Sen englifdj*
>'tJ Ä C fdjottifcpen Ret)e6üdjern, bie juben „SSanberungen burep
bie SRarE Rranbenburg" fjinüberleiten, läuft bie eifrige Sätigfeit
beS ÜberfeperS, bie Rearbeitung englifd)= fdjottifdjer ©agen unb
©efdpidE)tSftoffe parallel, unb »ie bem ©pifer bringt aud) ber RerS*
ty Google
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3. 2)ie ©ebidjtc
359
funft $ontane« erft bic SBenbung jurn üaterlänbijdjen Stoffgebiet
bie innere Befreiung ber ^erfönlic^en unb bid^terifd^en Kräfte.
Er fjat mopl gelegentlich eine! ©taue« jur Sonberebition ber
Überjepungen, ber bann fcfjeiterte, geurteilt: „ E« rnujj mal bie
ßeit fommen, mo man ben ffleifj (üon ©ejcf|idf ju jdjmeigen)
mürbigt, bie idj an biefe Arbeit gefegt pabe." Unb ber Stutobiograpl)
tagt üon ben „ßieberu unb ©aÖaben, frei nacf) bem Englijdjen",
ber lebten Abteilung ber „©ebidjte": „SUielir al§ ber mir au«
ihnen geworbene literarifd^e unb faft möchte icf) jagen ßeben«gemimt,
gilt mir ber unmittelbare ©enujj, ben idj üon ihnen gehabt habe.
Sachen finb barunter, tote jum ©eijpiel „SDer Slufftanb in
Sftortljumberlanb" — jrnei längere ©allaben au« berßeit ber Königin
(Slifabeth —, bie midfj nodp heute mit Entjüdfen erfüllen, toorin
fich freilich immer eine leife 9Jä|ftimmung barüber mijdjt, bajj idfj
über bieje, meiner ©ebicptjammlung angefügten perrlidjen Sacfjen
niemal« audj nur ein fie blofj furj ermäljnenbe« SBort gehört habe,
rna« fie bodh am Enbe üerbienen. 4 ' Slber ein unbefangene« Urteil über
bie Dualität ber eignen ßeiftung, tüie e« fid) jonft bei iJjnt einju*
fteßen pflegte, toirb man in biejen Stujjerungen Montane« nicht erblicfen
bürfen. Üftur ganj furjorifcp finben fid) in ben ©riefen äftpetijcfie
Einfidfjten, bie, auf bie ©er«übertragungen augefoanbt, bem ©erfaffer
ihre äftänget hätten erhellen fönnen, unb e« fpielt aud) ju niete«
mit, toa« bieje fruchtbare Folgerung pemrnte. jfontane glaubte bie
alten 3)id)tungen in $ßercp unb Scott $u lieben, mäprenb e« bodh
nur bie Stoffmelt biejer $>icl)tungen mar, bie ipn anjog unb
im ©ann hielt. SDer ättangel einer üoUlommenen Spntpeje üon
©ormurf unb ©earbeitung, in aller ßunft gefährlich, menn feine
rechte ßonjeption jugrunbe liegt, mirb bem Überjeper Iprifdper
unb batlabe«fer ©erSbidjtung jur tobbringenben Klippe, menn über
ba§ ftofflidhe Engagement t)inau« bie ©abe ber Intuition, ba«
üoUe SidO=l)inein*üerjefcen in ©fjptfjmu«, $uft unb jeetijdje Sphäre
be« Original« fehlt. Sille Slrbeit unb SJtüpe im einzelnen, alle
©emanbtljeit unb STedpnif bleibt bann üergeblidp. Unb ffontane
mar eine üiet ju einbeutig beftimmte Sfünftlerperjönlidjfeit, üiet ju
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360
fünfter Seil. ®aä jefunbare Sdjaffen
fehr auf bie Ißrobuftion realiftifdjen Stils geftellt, als bah er bie
paffibe ©abe ber jfteprobuftion einer rontantifchen SEBelt hätte be*
fifcen fönnen. Selbft wenn man bie ©infcfiränfung „frei" in boflem
Umfang berücffichtigt, wirb man bon eigentlichen „Überfettungen"
nid^t mehr reben fönnen, eS fei benn, bah ber faloppe Söegriff
beibe^aflen werben foH, bem in ber zweiten £älfte ÖeS neunzehnten
3af)rf)unbertS eine ebenfo legere unb flache SßrajiS ber Übertragung
entfprach- Aber welche Sftotabeln man auch z u Unrecht für eine
berlorene Sache aufrufen mag, eif ift burch bie rhpthmifch geborene
nnb fprachhhöpferifche ©erS* unb ©inbeutfchungSfunft ber jüngften
3eit jum toten öeftanb ber $iftorie berwiefen. Die Übertragungen
ber ©eorge, ©unbolf, Sftilfe, Scfjröber, $itbebranbt hoben fidf) z«r
ftrengen SBerbinblidjfeit unb äfthetifdjen f?öhe Berbers nnb ber
Stomantifer zurücfgefunben. |jätte Montane auf bem ©ebiet beS
SSerfeS bie gleiche Sicherheit befeffen, bie ihn in epifdjen Gingen
faft nie irren lieh, eS Würbe ihm nicht nur gelegentlich unb bei
einzelnen Stücfen feiner „SaboratoriumSarbeit", wie eS einmal
genannt wirb, ber ^weifet über baS ßureidjenbe biefer SBefcfjäftigung
gefommen fein. „3$ bin immer in Sorge, bah i<h mich aulefct
(wie baS faft immer gefehlt) in biefe Antiquitäten oerlieben unb
baS freie Urteil über fie oerlieren fönnte. üftir fchweben grauen*
hafte ©eifpiele bor. Süßer fidj fünf Sahre lang mit SRofenplüt be*
fchäftigt, fchwört barauf, bah er gtofjer gewefen fei."
Aber eS lag eben nicht an ben Dichtungen fetbft, bereu fafzinierenbe
Äraft gewichtige Bürgen unb Attoorberen ihm betätigen fonnten,
fonbern an ber Grinbeutfchung, bie auf feine eigne ^Rechnung fam.
Montane hätte eine Trennung oon ©eljatt unb fform im ©ntftehungS*
prozeh eines jßrofaepoS nie zugegeben, wie fie bod) bie jßrajiS
feiner SaHaben* unb ßieberübertragung borauSfefct. @r fah nicht,
bah biefe Dinge aufhören, fie felbft zu fein, wenn man ihnen ihre
©eftalt nimmt, bah ber befonbere ©eift bem befonberen Sprach*
leib unlösbar berljaftet ift, eine freie jßaraphrafe in ber leicht
fliehenben, undjarafteriftifchett Sßoetenfpradje ber ÄonbentioneHen
bie hohen nnb fernen SBorbilber zu ©fernen entfeette. gontane
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3. ®ie ©ebidjte
361
tonnte bie ©cfjtoierigfeit nicht übertoinben ober faf fie bielleidht
gor alg Vorteil, baf für fotc^e bailabegten Vemühungen eine feit
ber Romantit geprägte unb bann ftetig bertoöfferte beutfcfe ©pradh-
fonbention bereitftanb, bie fidf) bei einigem latent erlernen lief.
Siefe äufere ©efdhicElidhteit befaf gontone getoif in t)ofern
ÜJtaf. (Sr toeif fid) beg Virtuofen, beg ballabegf ©pradjlichen
mächtig: „9tm innerlichen mag eg gelegentlich fehlen, bag $uf er¬
liefe fab’ idt) in ber ©etoaft." ®ie Xedjnif mirb zum $ebel beg
Äunftprobutteg. (Sine fo auggefprocfen romantifcfe Vegabung toie
Stl^or ©torm lief fidh benn auch nicht täufdjen; „foliber gabrif-
ftempel" lautet bag abfällige, aber gerechte Urteil beg greunbeg.
gontane meint bann toohl, eg läge am Rtangel befonberer Sc¬
honten, befonberer ©efüflgtiefe, plaibiert t)artnäc6ig für feine ge¬
liebten Vallaben: „2Benn eg einerfeitg audh wahr ift, baf nur ,jum
^erjen geht, mag oom ^erjen tommt‘, fo gibt tg hoch auch Qlücf=
liefe (Sinfätle, gute ©riffe unb SEBürfe, auf.benen man ein ©otb-
ftüct getoinnt, audh wenn ber ^erjengeinfah leinen Äupferbreier
SBert fntte." Slber mie' manefeg Richtige biefe Rechtfertigung audh
enthält, toenn eg auch gntrifft, baf ein ©tuet „Äuliffenmalerei“
aller blofen Vatlabentunft immer anhaften mirb, baf begleichen
fefr toohl „mit einem grofen Pnfel heruntergeftridhen toerben"
tönne, — ber (Sinroanb ©tormg bleibt boef in ©eltung, er im¬
pliziert, baf auch blofe „©toffe" ihre beftimmten gorberungen
unb ©efefe in fidj tragen, nicht toilltütlich z u beliebigem ßtoeef
unb beliebiger ßeit zur Verfügung .ftefn. ©torm fühlte bie tiefe
Äluft, bie bag $erbe unb Verhaltene ber'alten ©ebilbe oon bem
getoanbten, geglätteten ©prachfluf ber fertigen Varben trennte,
er lefnte fidh auf gegen bie RibeHierung ber Äurben, bie bequem
entgegentommenbe Verftänblicfteit moberner überfefunggtünftler.
gontane fat fidh *rft au f ^cimotüc^em Voben über biefe ®on-
öention erhoben, feine „Sieber unb Vallaben frei nach bem (Sng-
lifcfen" unb bie jmeite Abteilung ber eignen Vilber unb Vallaben,
„@nglifch*©chottifdheg", geigen ihn ganz m ihr befangen. ®ag
Iprifch ©etönte, Raioe (gatobitenlieber) ift am fdhtoädhften geraten,
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> '%L*
362 3'iuifter $cil. fcfutibärc Schaffen
bodfj audj bic fdf)ilbernben ©tüdfe of)ne originellen anefbotifdjen
Vorgang („VertramS $otenge[ang") fornmen über bie tedjnifdfje ©e*
fdhidEfkfjfeit nidjt ^inauS. SRur loenn biefer an fidj fcßon etwas ift
(„Äonig SleonorenS Seichte", „$ercpS £ob") gewinnen bie SSerfe ein
wenig Seben, baS aber bann eben mefjr im «Stofflichen ftedft, at§
in ber beutfdjen SRebaftion gontaneS. 3)aS 91nefbotifcf)e war in
mannen fällen fo Wirffam unb ftarf, baß eS aucfj ben abgegriffenen,
Welfen ©pratfjformen beS beutfdjen VaflabenflifdjeeS ju tro|en t>er=
mocfjte. SBie öiel aber Pon ber $raft unb Originalität ber Vor*
bitber berloren ging, fann audfj jeber ber Urfpracße nicht 2Räcf)tige
an $erber8 Verbeutfdjung ber „VoIfS lieber" abmeffen.
3n ber „Sübin", bei Montane eins ber üerbtafenften ©tüdfe, baS
aus ben fpäteren Auflagen fortblieb, wirb ber großartige IRealiSmuS
Sie legt’ ifjit auf ein Sd)tad)tbrett Ijin,
Sd)Iad)t’t’ i£)tt, ein ßljriftenfdpoein,
Sptad) ladjenb: „©et) unb fpiete nun ba
ßJUt aßen ©efpielett bein!"
($erber, „$ie 3ubtntodjter'\)
ängftlidh getilgt, ffontane läßt bie ©tropße weg; ber Verfaffer ber
„©tine" als Anwalt ber 3}e^enj. 3n ,,©cßön*9Rargret unb Sorb
SBiKiam" improoifiert er, abfd^wäd^enb unb fonöentionefl:
Qd) fat) jtoei rote Stofen,
Unb bie eine liebt’ idj tjeifj,
Unb al§ td) bradj bie anbre,
®a mürbe bie eine — meifj.
Vergißmeinnicht unb ©olbfcfinitt, wäßrenb Berber wörtlich bie finn*
Iicl)e ©ewalt beS wilbgewachfenen VolfSliebS gibt:
3d) träumt’ ein’it £raum, mein liebes Sßeib,
So träum’n ift nimmer gut;
3d) träumt’ mein §au3 oolt rotem SSiet),
$a3 SBrautbett boß bon S9tut.
(„SBilljelm unb Margret".)
SUIenthalben muß baS SDerbe bem ©ehelichen, baS Äarge, Selige,
£)unfle ber breiten Verftänblichfeit weichen, wirb bie ®iftan$ ge*
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3. $ie ©ebidfjtc
363
tilgt, bie Montane als etmaS ^tu^erlicfjeg, als zufällige $orm eine«
frei jdE>mebenben ©ehalteS empfinbet unb behcmbelt, unb bie bodj
feft angemachfene ^aut biefer tebenftropenben alten Serfe ift, bie
man nid^t abjieljen fann, ofjne ihr Seben unb ben ©eift mit ju
öernicf)ten. „ßorb ÜKurrap" mirb miWürlich parapljrafiert unb tjat
mit bem fd^ottifctjen ßieb nicht öiet mehr als ben tarnen gemein, in
„Sir ^ßatricf ©penS" unb „Sung*SEBalter" (gerbet: „35er ©Ziffer",
„35er eiferfücfjtige Äönig") mirb bie feelifcfje ©toßfraft erheblich ab-
gefchmächt, baS IRau^e humanifiert, baS Srutale gemilbert. Über
bie „©het>p«©hafe", unter ben ritterlich romantifchen Satlaben nach
bem ©ngfifcheit noch eine ber farbig belebteren, fjat ftontaneS fpäte
©inficht felbft abgeurteilt: „2öaS ift ber gauber ber altenglifchen
Sallaben? 3h re Simplizität- Sclj entfinne mich noch, &nß i<h bor
fünfzig Saljren tue ,©h eö h*®h a fc‘ üeffer °I3 $«ber überfein mollte
unb mir auch einbilbete, eS fei mir gelungen. Sept bin ich f e h r für
Berber unb erfchrede oor meinen famofen SoKreimen." desgleichen
über ben „©bmarb": „Sch h a & als ich 9 0lt 5 jung war, über-
fefct unb mollte bamalS bem alten Berber jeigen, maS 'ne $arfe
fei... ©rft fpäter ift mir bie ©rfenntniS gefommen, baß meine
damtamüberfepung neben ber großartigen Sdfjlid^tfjeit beS alten
©eneralfuperintenbenten nicf>t beftehen fönne."
SiHige SBortfülle an ©teile ber Simplizität, ©d^einprunf für bie
fubftanjieHe Schlichtheit — an biefem ©runbmangel leiben auch
bie englifch'fchottifdhen SaHabett, bei benen Montane auf einen alten
©toff jurüdEgeht, nicht mehr umformt, fonbern felbftänbiger tätig
ift. 3)er Unterfdjieb bleibt geringfügig. 35ie Überfettungen finb fo
„frei", baß fie mit faurn minberm Dftec^t als bie „eignen" Silber
nnb SaUaben ber jmeiten Abteilung für Montanes ©ut erllärt
merben fönnen. 35ie Stoffe in ben Überlieferungen ber alten
©hronifen unb ©efdljichtsbücher maren fo meit anefbotifc^ üorgeformt,
baß auch h* er nicht oiel mehr ju tun übrig blieb als eine gefehlte
fRebaftion, bei ber bie ftereolßpe SaHabentedhni! unb »fprache für
ben diäter hübet unb benft. Se mühelofer fi<h Montane in bie
gegebene ßonbention hinejnfinbet, um fo breiter unb h^mmungS-
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364 fünfter £eil. $a3 fefunbäre ©djajfrn
tofer flicht bcr SSortftrom. 2)ie früfjften tiefer Serfifitationen
(„fltofamunbe", „STomerbranb", „SEBatter fRateig^") ftnb mir auf
bie tönenbe ptfrafe geftetlt, tttfjetorit unb Äutiffe, mit tängft -er*
probten Pointen unb Mitteln aug jmeiter $anb äurectftgeftufct.
3Kand)e, and) ber anbren Abteilungen, finb um einiger ©tropfen
mitten fpäter atg Fragment in bie ©ebidffte aufgenommen morben
(„£>afon Sorfenbart", „Sabp ©ffej", „Sßangetine oon Surggborf").
Son itjnen allen, unb befonberg bem 9ftofamunbe=8pflug, fann gelten,
mag ein Siteraturgefprädf) in „Sor bem ©türm" (Äap. 17) über
Raufen ©rett^ontaneg „&afon Sorfenbart" befinbet: „Dr.©af}ni|
Ijob mit ttted)t peroor, baff unfer bereiter ©aft fein großes 2)ar=»
ftettunggoermögen an einen ©egenftanb gefegt f)abe, bem mit einem
geringeren Äraftaufmanb met>r gebient gemefen märe. 2)a3 ©an^e
fei, mie er felber bemerft pabe, ein Sütärcljenftoff. ©in fotd^er ntüffe
aber in ber ©dt)Iict)ttjeit, bie feinen 9teij bitte, nicf>t burd) Pracht
beg AugbrudEg geftört merben. 2)a§ ©ebid^t fei gu lang."
3)ag trifft auf bie meiften älteren ©tücfe ju, bie fpäteren finb
bie befferen unb förderen. 3m „Sieb beg 3ameg üttonmoutlj" Elingt
jum erftenmat burcf) bag arrangierte Alfregfo ber Sftitter* unb
^elbenftaffage ein leifer ©eetenton. „3opanna ©rap" unb „$)er
te^te §)or!" peben fidp mopl aug ber ttKaffe peraug, leben aber
auep rnepr oon ber ©tärfe beg anefbotifdpen Sorgangg, ber Se=
megtpeit ber äußeren ^anbtung, äpnticp ben überfepten Sattaben
beg „Aufftanbg in tttortpumbertanb". 3)ie ©abe ber Anfcpauung
oerfagt ba ebenfomenig, mie in ben renaiffancemäfjig foftümierten
Sattaben unb Sittern ©onrab $erbinanb ttlteperg. Sei beiben ein
ebenfo fidpereg mie feelifcp unbeteitigteg ttiadpfapren ber gegebenen
$üge, eine Segeifterung mepr beg antiquarifepen Siebpabetg alg
beg inneren ©rtebniffeg, mit bem SRefuttat ber ppotograppie ftatt
beg ©emätbeg, beg Panoptifumg ftatt ber ptaftif. 3m „Arcpibatb
S)ougtag", ber feine grofje Popularität ben gleiten ©igenfdpaften
oerbanft, bie ©dpillerg berüpmtefte Sattaben augjeidpnen: bem
rpetorifdpen ©cpmung, bem mirtfamen Arrangement, ber ebten ©e=
finnung, bie eine $rage nacp ben bicpterifdpen Dualitäten gar niept
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I
3. $ie QJebidjte 365
erft auffomraen (affen, möchte man bann, wie bie Steife „Senfeit
beg Xmeeb" ben 5ßtan ber „Säuberungen" enthält, in ben Werfen: •
©er ift in tieffter (Seele treu,
28er bie Heimat liebt wie bu
eine Art prophetifcher ©ernähr finben, baß fjontaneg Vergfunft
nidht im Virtuofen unb Nadjempfunbenen berfanben foHte, baß eg
-ißm beftimmt mar, auch auf biefem ©ebiet unb ebenfo fpät eine
charafteriftif<f}e unb mertooHe ^ßrobuftion ju zeitigen.
U " ber |>ugo oon ©lomberg, feinen „aöerfpe$ietlften Nebenbuhler"
auf bem Gebiet ber Söattabe, fdjreibt $ ont ane im £unnetteil
ber Autobiographie: „®r lag aUerhanb alte Vüdf)er, fanb einen
gerichtlichen unb anefbotifd^en Hergang, ber ihm gefiel, unb brachte
biefen Hergang in Verfe. @r oerfuhr babei mit großer äußerlicher
Äunft, ädeg mar oorjüglicfj aufgebaut, fnapp unb Har im Aug*
brudf, aber tro|bem bfieb eg eine gereimte ©efdhidhte. 2)ag ift, mie
mir jefct feftftef)t, ein SNanget. @g muß burdhaug noch mag ißer*
föntidheg hi n ä u f°mmen, öor adern ein eigener ©tif, an bem man
fofort erfennt: ,Ah, bag ift ber* ... 3)ie Sachen hatten fein
©igenfeben." gontane h ot ^ er unmiffentlieh auch feine eignen
englifdh^fchottifchen Vadaben dharafterifiert, bie auch feinen eigene
liehen ©til haben, tro| oorjügtichem Aufbau unb großer äußer*
lieber Äunft bloße ©efcfjichten reimen. SCBag bei ihm alg Sßerfön*
lid^eg hin^ufommen mußte ober oietmeßr biefeg ißerfbnfiche erft
befreite unb bießterifdh fruchtbar machte, mar bag oaterlänbifch
2)eutfche. $)ie „Nofamunbe" fönnte auch ^Blomberg in feinen
glüdflicheren ©tunben jufammengereimt haben, bie „ÜNämter uub
gelben" fönnen nur oon gontane fein. ®a tritt jum tedhnifd^en
©efcfjidf anefbotifdher Verarbeitung bie perfönliche Note, an ber man
fofort erfennt: Ah, bag ift gontane. ©rft mo bag Vranbenburgifctj-
Sßreußifdje, in meiterem Umfreig Norbbeutfche unb ©fanbinaüifcf)*
Norbifche bie Vafig bitbet, gebietet er über Kräfte, bie ihm fonft fremb
finb, erft auf heimatlicher ©rbe mirb ihm bie Seele mieber ftarf.
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366
fünfter Üeil. $as fcfuubärc Schaffen
9lut biefe bobenftänbige SSertraut^eit mit einem ©toff, ber
bocf) auch nur ein ©tücf alter Gf)ronit ift, ^ebt ben „Jag üon
#emmingftebt" in§ J)ichterifdhe. @8 ift burcfjauä bemerfenSmert,
bajj Montane, fonft bei ben SaUaben aufs SSirtuofe allein fid)
ju berufen liebt, ben ©ittmanb |>epfe8 unb einer fctjmachen Junnel«
minorität jurüdfroeift, bie „bei ttberfcf)äpung be$ 2J?acf)»erf$ (be£
Jechnifchen, $orme0eu) ben Äern unb Sutjatt unterfdhäpen". @r
fcfjeint fef)r beuttich gefüllt ju haben, baft ber „Jag oon Demming«
ftebt" mehr mar, als bie meifter^afte ©ehanbtung eines mirfungS®
t>oQen ©toffeS, mie fte i|m audj fonft $u getingen pflegte. üRan
fühlt ben innerlichen unter ^ em &a3 umfangreiche ©ebictjt
entftanben ift, eS ftra|tt eine Sßärme aus, bie alte battabeSfe
©prachfunft als btofceS üKittel erfd^einen, einen finnlicfyen Sttem,
ben nur baS mirftidfje ©rgriffenfein ber fprac^tic^en StuSformung
entftrömen täfjt. 2Säf>renb £ebbet8 öatertänbifdje SRotnange ben
gleichen ©toff mit ftarfen Slntittjefen, SRebe unb ©egenrebe, ins
Jramatifche fteigert, aber babei hoch in einzelne (Situationen jer*
fptittert, gibt Montane nur, freilich mit ftärlfter ©djilberungSfraft,
ben ruhigen epifctjen Verlauf in einer breiteften ©trophenform,
ohne Sängen, ohne mortreiche ©efchmäfcigfeit, mie ausführlich auch
immer. J)ie grage nach fang o& et furj mitb gar nicht mehr ge«
fteltt, nun ein lebenbiger Äeirn jurn ©ebidfjt ausmächft, mie er mitt
unb nutfj, ftatt bafj ber ißoet über ein glüdEUcheS ©ujet refteftiert.
J)ie ^elbljerrenlieber finb. nicht meniger gelungen, obgleich
fpradhti^=technifch in polarem ©egenfafc ju ber bithmarfifchen IRo*
man je ftehen. Stuch in ihnen triumphiert ber „Äern unb ©ehatt“,
bie marfige freier branbenburgifd^preufiifchen ^etbentumeS. J5ie
Jechnif bteibt freilich mistig genug, aber fte ift uun ganj 2luS*
brucf beffen, maS Montane an ©ignetn ju geben h a t Jechnif in
höherem ©inn, öergeiftigt unb perföntich, nicht mehr baS Sern*
unb ÜRefjbare, fie ift nur mehr Jechnif Montanes, bie bei jebem
Nachahmer mieber jum btofj ^anbrnerflidjen herabfänfe, mie bie
engtifd)*fchottifchen Imitationen Montanes baöabeSfeS £>anbmerf
bleiben.
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3. I'ic (Mebidjte
367
l
Jie Saftiliafifcung in „$or bem Sturm" (®ap. 43) bringt
ben „©eneral Sepblih" mit anfdpefeenber Äritif. @3 tjeijjt bo:
„Jer 0teij beS ©ebichteS liegt auSfdjliefelich in feinem Jon unb
feiner öehanblung; es ift fecf gegriffen unb fecf burcfegeführt. Slber
jebeS ®unftwerf rnufe aus fict) heraus oerftanben toerben fönnen.
Jiefen Slnfpruch fet)’ ich in biefem ©ebicht nic^t erfüllt. ©S ift
eminent gelegenJieittid^ unb auf einen engen ober engften ÄreiS
beregnet, ©s h ot bie 58efanntfcf)aft mit einem falben Jufcenb
Set)blih«Slneft>oten jur 93orauSfe|ung, unb icf) glaube faum ju*
oiel ju fagen, toenn ich behaupte, baff eS nur üon einem preufeifcljen
ßuhörer oerftanben toerben !ann." Jem toirb im 9toman fofort
unb mit 9ted)t toiberfprodf)en. Jenn fo fe^r bie SBirfung üom
fecfen Jon auSgeht, er toiirbe eben blofee SBirtuofität bleiben, toenn
baS fchwungüoUe Sieb nicht üon einer inneren ©efinnung unb
Sicherheit getragen toäre, bie mit bem $anbtoerflid)en «och nichts
$u tun bot, um fo mehr mit ©rlebniS, äfthetifdf) gefprodfjen, mit
ber fünftlerifcfjen Intuition, bie baS Sntern*$ßreufeifcheinS Sillgemein*
oerftänblidie, baS Stne!botif<he ins Spmboiifche ju toanbeln oer*
mochte. Jie f^elb^errenlieber finb fein preufetfcfeeS Sfteferüat, fon*
bem ©emeingut aller bid^terifd^ ©mpfänglichen. Sh* Rotier Söert
liegt in bem glüdflicfjen ©elingen beS 23olfSliebmäfetgen, baS nicht
nachgeahmt, fonbern recht eigentlich toiebergeboren roirb, auf neuer,
moberner, inbioibueller SöafiS, aber ebenfalls umfaffenb unb tppifdj.
Sn getoiffem Sinn bleibt aud) Montane in biefen Siebern nur
©jponent beS großen @an$en, beS ©otfeS, fagt toaS alle betoegt,
gleich ben unbefannten Jichtern oon einft. ©ttoaS toie ber „alte
Jerfflinger" läfet ftcf) nicht machen, fonbern ift baS h°h c ©efchenf
einer infpirierteften Stunbe.
Glicht alle ^etbherrenlieber finb gleich üollfommen. „Sch liefe
biefem ,alten J)erfflinger‘ eine Üfteifee oertoanbter patriotifdher Jidh*
tungen im SSolfSliebton folgen unb erhielte mit einem berfelben,
bem ,alten ßieten 4 , eine ßuftimmung — auch i m Sßubtifum —, bie
toeit über bie bis bahin gehabten ©rfolge hin auSging. Sdh glaube
aber bodf), bafe ber ,alte Jerfflinger 4 , ber ben Zeigen eröffnete,
t
)
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368
fünfter Xeil. fefunbäre (Staffen
gelungener ift als ber ,alte Rieten 1 uub all bie' übrigen. Der erfte
SSurf ift immer ber befte." fpr ben mobernen Dichter liegt* ja
bie ©efahr nahe, eine einmal entbedfte unb bemährte ©igenart gut
blojjen Nuance ju oerflüchtigen, in einem falfdjen ®ult beS 3nbi=
üibuetten bie eignen ehemaligen $unbe ju ardjaifieren. gontane
mar nun toohl reich genug, um biefe Verfuchung ju überminben,
bie fjetbherrenlieber finb nur eine Heine ©pejialität ber „©ebidhte",
aber bie SBertunterfdhiebe im einzelnen bleiben hoch erheblich genug.
„DaS fprungmeife Vorgehen" — fagt ©raf SninSfi („Vor beut
©türm") oorn VoIlSlieb — „gehört ju ben Äemtjeichen unb ©dfjön*
heiten biefer Dichtungsgattung. Die Sh anta fi c mojj nur ben ridfj*
tigen Anftofi empfangen; ift bieS geglüdtt, fo barf man fühn be=
haupten: 3c meniger gefagt mirb, /befto beffer." 3n ben fpäteren
^elbherrenliebern ift bie Sßhantafie nicht immer burdh einen bidj*
terifchen ©infall berart gebunben ober er ift nidht fruchtbar genug,
um ba$ Anelbotifclje, jebeS Detail ber Ausführung mit biefent
SDtittelpunlt in organifdher Verbinbung $u halten. 3m ,,$eitf)"
mirb ber Vergleich beS |>elbenlebenS mit einer Sühnenlaufbahn
ein menig überanftrengt, er oermag nicht recht baS ganje Sieb ju
tragen; ber „©Ernenn" ift nur äußerlich liebhaft, bleibt epifdj*
baUabeSf, meil nur eine ©pifobe im Beben beS Alten ben ©taff
jum ©ebicht gibt; ber in ©rfinbung unb Don fo frifctje „ißrinj
SouiS ^erbinanb" jerfäHt in jmei unöerbunbene Deile. Dagegen
oerharrt im „©epblip" baS ©injelne in bloßer Anbeutung, unb
unbefchmert fann ficf> in flüchtigem $ug Vilb au Vilb reihen,
$err ©et)bli| auf bem $<Aben fegt burdh a ^ e h^ ur ^ nrit
cronfdhem Draufgängertum, bie bidhterifchc Anfdhauung bleibt ge*
bunbeu burdh bie eine Vorftellung beS fdhneibigen Leiters. „|jei
©alcar, baS ift ©porn" — oier Variationen über ein Dh<ma,
üier lebenbige, felbftänbige ©trophen, aber aus einem bidhterifchen
ÜKotio heraus geboren. Ähnlidh tönt im „alten ßieten" ber SßreiS
ber einen ©igenfdhaft träftigften gufaffenS, fteter Sßadhfamfeit als
Beitmotio burdh a ^ e Vermanblungen ber fedjs Verfe. Die zentrale
Vorftellung bes „alten Derfflinger" — ein ©djneibergefetl, ber jum
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3. ©ic ©ebicl)te
369
6eriiljmtetL$elbf)errn auffteigt *— ift, in if)rem Äontraftgefjalt ebenfo
frudjtbar wie junt Präger eine? redeten $otföliebe§ geraffen, weil fjict
ba§ Soll, bie einfache £üd)tig!eit, ben gelben erfteljett läfjt. wirb
fein 3ufaH fein; bafj Montane audf) mit feinem beften Sieb eine 33er*
flärung unreben3artlicf|en, grabgewad^fenen 9J?enfcf)entume3 fcfjuf; e£
griifjt ju „ Errungen, SQSirr ungen", bem reifen @po§ berEftitte herüber:
es haben a ^e Stänbe
©o it)ren Gegenwert,
Unb felbft in ©d)neiberi)änbe
Äam einft baS fjelbenfchmert;
©rum jeber, ber ba künftig
SDlit -Kabel unb mit ©eher',
©er mache je|t unb Künftig
SBor ©erffling fein ^onneut.
gn feinen jungen ©agen
2Bat baS ein ©chneiberblut,
©och mod)t’ thm nicht behagen
©o gmirn mie gingerljut,
Unb wenn er als ©efelle
©o fab unb fabelt’ ein,
©d)ien ihm bie ©djneiberhölle
©ie §öt(e felbft ju fein.
©inft, al§ baS -Kabelhalten
ghm fester ans Seben ging,
©ad)t' er: ,,©aS ©djcibelfpalten
gft hoch ein anber ©ing!"
gort toarf er SDtafj unb ©He
SBoß ftriegSluft an bie SBanb
Unb nahm an Nabels ©teile
©en ©äbel in bie fjanb.
©onft fodjt er ftiH unb frieblich
Sftach fjanbmerfSburfchenrecht,
geht mar er mtermüblich
35eim gelten im ©efedjt;
es mar ber ftinfe ©chneiber
gurn ©tedjen mohl gefcfyidt,
Oft hat er an bie Kleiber
©em geinbe roaS geflidt.
SBanbrei), gontane 24
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370
fünfter Steif. Sag fefuitböre ©cpaffen
@r ftieg ju pof)en ©pren,
gelbmatfcfjalf mar et gar,
@3 mocf)t’ ifjn wenig feeren,
Safj einft er ©cfjneiber mar;
9tur, fanb er einen Spötter,
SSerftunb er feinen ©pa|
Unb brummte: „giir $unb§fötter
3ft f)ier mein ©Henmafj."
ftranf log in feinem Schlöffe
Ser greife gelbmorf^ott,
$ein§ feiner £iebfiitg§roffe
$am miefjernb au3 bem ©taff;
©r fprad;: „2U3 alter ©cpneiber
Sei| id) feit langer Seit:
Sflan medffelt feine Äleiber —
3ludj fjab’ id) be3 nid)t fleib.
fef)ft ber alten Jpülle
3n SBreite fcpon unb £äng’,
Ser ©eift tritt in bie gälte,
Ser £eib wirb if)m ju eng;
©efegnet fei bein Sitte,
§err ©ott, in fester Sttot!"
@r fpracp’S unb mürbe ftitte —
Ser alte $elb war tot.
SSorn STunnelfreunb Äugter berietet gontane, er fei ber SReinung
geroefen, „bafj fich au§ einem patriotifchen ©toff immer was
machen taffe, wenn nicht was ©uteS, fo bo<h wa8 2Rittetgute3,
unb unter ollen Umftänben ein @twa§, bas, fdjon um beS ©tücfc*
d)en3 Daterlänbijdjer ©efctfichte Witten, oor im übrigen gleichwertigen
Arbeiten beit S3or$ug oerbiene. SßorauS [ich bann in weiterer
$otge wie oon felbft ergibt, bafj auch ber patriotische 2)ielfter oor
bem nichtpatriotifdjen immer einen $ßa3 üorauS fyabe. 2)urch ben
©toff getragen, finbet er oon oorntjerein offenere $erjen. 3)iefe
weitoerbreitete Meinung ift aber meiner ©rfahrung nach gntnb-
fatfeh- ®on manch anberem, wa3 fich gegen patriotifche ©toffc
jagen täfjt, gan$ abgefehen, ift audh oom perfönlich * egoiftifchm
2)ichterftanbpunfte aus nichts gefährlicher $u behanbetn atS ba£
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3. $ie ©ebidjte
371
,Sßatriotifche‘. ©lüctt e§, nun fo gibt e§ einen großen ©cfolg,
gemifj, gliicft eg aber nicht, mag hoch immer bie 9Ke^r§eit ber
Säfle bleibt, jo ift ber ©turj auch gleich tlaftertief. 2)enn ber
Unglüdticfje toirb nun nicht blojj um feiner bichterifchen SJtängel,
fonbern recht eigentlich auch UOT f«ner patriotifdjen ©toffroahl mißen
angeffagt, meil ein ißubtitum, menn'g fetjlfchtägt, hinter all begleichen
immer nur ©treberei, Siebebienerei, ©eroiligmug, im günfiigften f^aHe
Söequemlichteit oermutet." Montane mochte bei biejem Sefenntnig an
manche ©rfahrungen jurüctbenfen, bie er alg SCBanberunggfchriftfteller
gemacht hatte. Stuf bem ©ebiet beg SSerfeg mar bie ©efahr falscher
$Berbä<htigung gemifj noch jehmerer jn oermeiben. 93ei ben Sdbherren»
liebem „glüctte eg", eg gab einen „großen ©rfolg". Slber bag maren
unaftueße ©toffe, einer freieren Normung zugänglich, gegenmärtigen
Slnfprüchen unb ßufammenhängen entrüeft. Sc näher Montane ber
eigenen ßeit tommt, eine um fo höhere bichterifche Äraft erforberte
eg, bag SBleibenbe oom ßufälligen $u trennen, über bag blofje ©e=
legenheitSgebicht hinaugzufommen. Unb tatfächlich ift oieleg im britten,
märfif<h*beutfd^en Seil ber ©ebidjte blofjeg „©elegenhcitggebicht" ge»*
blieben, mährenb anbrerfeitg bie fo benannte folgenbe Abteilung ©tücfe
enthält, bie über ben äufjeren Slnlafj, bem fie ihre ©ntftehung oer*
bauten, zu felbftänbigem, fünftlerifchen Seben gebieten finb.
2)ie „eilten Srifc s ©renabiere" leiten zur jüngeren* ßeit über:
HJtomentbilber beg SBorteg, oon teefem IRealigmug unb fräftigem
©tempel, bie eg mit Sttenzelg berühmtem SHuftrationSmerf auf*
nehmen tonnen. 2)iefe |>öhe hält bann nur noch bie „©iegeg*
botfehaft", beren berben Änüppeloerfen eine aufjerorbentliche Äraft
finnlich^impreffioniftifcher SBergegenmärtigung innemohnt, mährenb
bie SBerfe oon 1866 unb 70/71 unb bie brei (SinjugSgebichte unter
einem geroiffen ©i<h*surecht*rücfen, einer liebengmürbigen, aber
„neroöfen Sorfchete" leiben, „bie bem ©inbruef ooHer, reiner Äunft
nicht günftig ift", mie Soutane, fich felbft tritifierenb, gelegentlich
an Siliencron fchtieb. „©elbft bei ben ©achen, bie ihrer Statur
nach auf biefen Xon geftellt finb unb big auf einen gemiffen ©rab
4 mit ihm ftehn unb fallen, ntufj man immernoch öorfichtig fein."
24*
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372
fünfter Seil. ©a§ jefunbare Schaffen
*>
@3 toirb wof)l bie „Sßljrafe üermieben, wa§ bei patriotifc^en ©toffen
immer ferner, aber auef) mistig ift", aber bie $)iftan$, bie fid^
jwifdjen bie $od)ftimmung biefer ®in$üge uitb bie heutige ©egen*
wart gelegt fyat, läfjt bodf» ba§ lebiglid) Smprooifierte beutlidj füljt*
bar werben. Sie in fidj rufjenb wirft baneben ber „Stlte grifc"
jur @nt^üflung§feier be<S $riebridj*2)enfmals im Sluguft 1851,
wie wenig gelegenljeitlicf)! äftan fpürt ben wärmeren £>er$ensflang,
ein feelifdjeS 2Nitfcf)Wingen, ba8 audj ben Äaifer 3*riebricf)*®ebicf)ten
„fiepte ga^rl" unb „ßepte Begegnung" erft ifyre fd^licfjte, er*
fdjütternbe Seif)e gibt. Sie oft f>at Montane ba§ ftiUe ^»elbentum
gepriefen, in ©riefen unb fftomanen. Seim £obe be$ geliebten
ÄaiferS oermod^te er Sorte ju finben, bie um fo tiefer greifen, je
feltner er fein ©efüljl frei auäftrömen liefe, je forglidjer er e§ für ben
Alltag oerbarg. SDiefe ©efinnung gipfelt fünftlerifd), nad) ber ©orftufe
beS „Äaifer ©lanefjebart", in ben ©erfen „So ©iSmarcf liegen foll 44 .
@8 fann nidjt genug bewunbert werben, wie ba unter bem^wang einer
wafyrljaft grofjen ©terbeftunbe einem 2>id)ter, ber ba$ $eierlid)e fonft
ängftlid) mieb, bie ßraft be$ rliptljmifdj gehobenen ©agenS plöplidj
in8 äRonumentale wädift, ba8 ben nalien ©egenftanb fogleid) ins
2Jtytt)ifd)e entrüdt, jum ewigen ©pmbol beutfdjen SefeuS wanbett.
Jiidjt in ©om ober gürftengruft,
@r rulj' in ©otteä freier Suft
©rauben auf 93erg unb £albe,
9tod) beffer: tief, tief im SBatbe;
SSibufinb labt iljn ju ftd) ein:
„@in ©adfjfe mar er, brum ift er mein,
^m ©adjfenmalb fott er begraben fein."
©er ßeib verfällt, ber ©fein jerfällt,
Slber ber ©atfifenmatb, ber Ijält;
Unb fommen naef) breitaufenb 3af)ren
grembe t)ier be§ Söegeä gefahren
Unb feiert, geborgen borm 2icf)t ber ©oitnen,
©en SBalbgrunb in @feu tief eingefpomtett
Unb ftaunen ber ©d)önf|eit unb fauchen frof),
@o gebietet einer: „ßärmt nidjt fo! —
§ier untjjn liegt 93i3marcE irgenbmo."
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3. 'J'ie ©ebidjte
373
Aber nicpt nur bei biefen größten Antäffen gelingt Montane
bag bteibenbe ©ebidfjt. ^CucE» weniger eingreifenbe Begebenheiten
töfen eg aug, wenn fein inbibibueüeg SebenSgefüfjt ihnen h®>
monifdh antwortet. SDie fieb^igjährigen Subitare oon 1885, 3J?enjeI
unb BigmardE, werben im „ßeug in ÜUtiffion" unb ber „kreppe
bon ©angfouci" nicht nur mit bem üblichen $eftf armen gefeiert,
eg entftehen, mürbig ber greifbaren Üftachfotge bon „SJtiebingg $ob"
unb „$ang ©achfeng poetifdper ©enbung", jwei SSerfe, bie, bon
origineller ©rfinbung getragen, eine gälte tebenbigfter Äteinjüge,
einen anfcpaulichen SReidptum auffpriefjen taffen, wie er im rea*
tiftifchen ßeitatter nur noch bei ©ottfrieb Kelter an^utreffen ift.
3m „Hubert in £>of", einer fontanifcpen ^eimatgfeier eigenfter Art,
bem britten biefer SKeifterwerfe quettenbfter SBirftidhEeitgEunft, gibt
Montane bag TOieu eineg überfüllten SBartefaateg im SCBinter,
bag tolle 2)ur<heinanber für Auge, ü?afe unb Dpr, mit fotdp finn*
tiefer Äraft unb auf fo Keinem fpradptichen 9taum jufammen*
gebrängt, bafj bor biefer imponierenben bichterifcpen Vitalität bie
englifch=fchottifchen ©ebiepte $u $)u|enben afe gefpenftifepe SRagEerabe
aufftiegen. S)er Sftealift, ber ©epitberer beg Storchfcpnitttichen, trium»
phiert über bie ftofftich*romantifcpe Befangenheit bon einft. Suben*
petje, baprifepe SBürfte unb ^arfeniftinnen tragen über bie teeren
Sßanjer, bie fonbentionetten ©aftereien, ben gefteiften Siebegfang
ber 3)ouglag unb ^ßerep einen botten ©ieg babon.
( ^ > vie einjetnen Abteilungen ber „©ebiepte" greifen ineinanber
über. Auch er fi^ bie eigentlich ben „Siebern unb
@prücpen" borbehatten ift, enthält noch jwei epifepe ^racptftücfe
(2)ie „©efepidpte bom Keinen @i" unb ben „gtip Äapfujj"), neben
ben „Siebern unb Battaben frei nadh bem ©ngtifepen" finben fiep
btofje Überfettungen („BannodEburn" nach Robert Burng, „©enerat
©ir Sohn ÜtRooreg Begräbnig" nach ®P«feÄ SMfe, „BataEtawa"
nadh Xennpfon, „äRarie £>ucpatel" nadh ©cott) im „engtifdp*
fcpottifdjen" SCeit, unter ben „märfifcthpreujjifchen" Battaben bie
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374
fünfter $etl. $a3 fefunbäre Schaffen
5elbf)errenlieber, unter ben „©elegenßeitSgebichten" bie „Sreppe
öon SanSfouci", „ßeuS in ÜRiffion", „Hubert in $of\ Strenger
ttnrb bie dhronotogifdfje $otge eingehalten. ©ie füt»rt jtoeintal öon
frühen 3a§rt)unberten bis in bie jüngfte ©egentoart, bis jur
theatralifchen „93rütfe orn $£ap", bie eine auSficßtSlofe Äonfurrenj
mit ©hafefpeareS „ÜDtacbeth" aufnimmt, bis jur mobern baflabeSfen
SBerherrtidjung beS braöen Steuermannes „Sohn äWapnarb", bie
unter ben Siebern unb ©prüfen fid} fjeimifdjer auSnähme, fo eng
ift fie $ontaneS perfönlichem ©ntpfinben öerbunben, ©prnbol beS
fetben füllen |>eIbentumeS, baS bie Äaifer ftriebridh*©ebichte non
^o^er SEBarte oerförpern.
Montane fanb nur feiten ©elegenheit, fein fubjeftiöeS ©efüljt
im fremben Gegenüber fo rein unb unmittelbar aufjufangen. 2>ie
frühen bilettantifdhen SBerfucße ber Slrt finb fpäter unterbrächt
morben. „25aS Sprifdje" —fdfjreibt er 1854— „ift fidjerlidj meine
fdhtoädhfte ©eite, befonberS bann, wenn ich aus mir felber unb
nicht aus einer öon mir gefdjaffenen ^ßerfon heraus bieS unb baS
$u fagen öerfudfje. 25iefe Schwache ift fo groß, baß einjetne. meiner
frü^ften Söallaben (,©cf>ön*9lnne‘, ,©raf fjoljenftein 4 ) unb einige
anbre nichts anbreS finb als ins Sattabifdbe transponierte Iprifdje
©ebidjte." ©rft auf ber StlterSftufe finbet Qfontane für baS mangelnbe
Sprifche ein mertöoHeS iüquiöalent, fn ber fubjeftiö burdptoärmten
2)ibaftif feiner ©prudfjbicptung, gibt er an ©teile äußerlicher
SranSpofitionen, fünftUcper ©infleibungen bie lebenbige ©pntpefe
öon 3dp unb Stoff.
25er ®apfuß" ift ganj fein ©igentum, obgleich er an
eine UloöeHe ber £>elene SSöplau anfchließt, bie 25urchbringung
fdjafft aus ber Stnleßnung einen eigenften S5efi|, eben meit ber
„fommerfproffige Sabenbengel, ber, mäßrenb er geringe öerfauft, bie
ganje SBelt, feine ißrinjipalität unb öor allem auch baS Sßublifum,
bie hübfehen 25ienftmäbchen an ber ©piße, öon oben perab be*
panbelt, unb baS alles bloß, meil er brei ©ebidhtbüdjer hat unb
aus bem erften Seil beS ,$auft 4 — beffen Sefejeichen, fjöd^ft
dharafteriftifch, eine SöurftpeUe ift — lange ©teilen auSwenbig
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3. $>te ®ebid)te
375
meif 3 , bic er nun jebeämat fetig bor fid^ Ijinbeftamiert, wenn er
in ben ÄeHer mu|, um bie ©irup?fanne neu ju füllen", audfj bei
itjrn ber „^erjenggute 3unge" bleibt, ber
. .. wie’3 audj brofyn unb bonnerwettern modjte,
3a, fetbft wenn Söltjj unb «Schlag jufammenfielen,
... nie maulte, greinte, wütenb würbe.
Montane geftetjt, bafj gerobe um biefe? 3uge? mitten bie Sßobelte
ber Söljlau „feinerjeit einen großen ©inbruct" auf it>n gemalt
t)abe, bafs er fidfj „in bem Sabenfdfjmenget miebererfannte. Sitte?,
ma? bor fünfzig Sauren in ber fRofefc^en Stpotljefe um mich Ijer
mar, at? itf) Äamittentüten breite, mürbe bon mir mie Äaff be*
^anbelt; nein, nicf)t betjanbett, fonbern btofj angefefjn. 3m ©egen*
teil, id) befjanbette jeben artig, gütig, poorfommenb, unb ba?
rettete mict) unb f)at rnief) fdjtiefjticfj ba? merben taffen, ma? ictj
jept bin. ftefjlte mir aber bamat? ba? ^eitere ©teidjmaf} ber
feelifctjen Prüfte, fpiette ictj bie Jpod&mut?* unb 3öict)tigfeit?rotte
oljne begteitenben $umor, unb idfj barf Ijinjufepen, ofjne begteitenbe
Sefctjeibentjeit burdj, fo mar idf) bertoren."
2)iefe felbe roofjttemperierte Stimmung, au? ber ber „$ri| Äa$*
fufi" entftanben ift, hübet aud) ben Äern ber fontanifcfyen ©prudt)*
bid)tung. ©r tritt, mie ber eignen Sugenb, fp bem ©anjen feine?
ßeben? objeftib gegenüber, erfennt mit ber Steife be? Sitter?, ba?
au? bem ©pejififd&en iu? Stttgemeine $urücftritt, bie gtüdUctje
pfpctjifdje Äonftetlation, bie iljn bermod^te, immer mieber „ben
feinbtidjen 3Rädjten einen etyrenbollen ^rieben abjugmingen". ©r
ertebt nun fo t^pifcf), feine ©rfatjruug mirb fo umfaffenb, feine
perföntidt)en Slnfprüdfje fefcen fidj mit ben fadtjtidfjen formen fo
in? ©inbernetjmen, bafj biefe ©prudtjmetötjeit, mie fontanifdfj auch
immer, bodj bibaftifefj im beften Sinn, ßeben?Iet)re für alte ift,
of)ne biefen Stnfprucf) bon fidj au? ju ergeben. Montane jmar
fdtjienen biefe „Äleinigf eiten", Qfrüdjte, bie er müfyelo? fdjüttette,
gegenüber bem bidjterifdjen Stufgebot, ber bemühten unb angeftrengten
Slrbeit an ben Saflaben gering. Slber mie bei „Errungen, SBir*
rungen" unb „@ffi Srieft" ift ba? ÜDtütjetofe jugteidt) ba? Sott*
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376
fünfter $cil. 3)aS fefunbäre Schaffen
tommene geworben. 2)ie öoltStümlicf)en Änüppetöerfe, bereu fräftige,
ungeglättete ©prache bem praftifd^en 3 nhatt glüdlidj entgegentommt,
haben ben ganzen f$onb feiner ^erfönlichfeit jur SBorauSfefcung.
2BaS t»ier fo fdjlicht unb fcheinbar nüchtern ftd) auSfpri<f|t, ift nie
billiger $)oltrinariSmuS ober gor eine brao bürgerliche SebenS*
philofophif, fonbern mit oielem ©djmerz, ©ntbehrung unb ©nt*
täufdjung befahlt. ÜJiur weil ben SBerfuchungen 51 t bouernbem Xrüb*
finn ebenfoüiele öerfchwiegene ©iege folgten, tonnte bie (Erfahrung
unb Überzeugung eine? längften unb tapferften ßebenS, als fie
am ©nbe zu unmittelbar fubjeftiüer AuSfprache brängte, auf alles
SßatljoS ber Autorität öerzichten. ©ie ift umfpielt üon einer lächetnben
©tepfiS, ber baS SRegatioe, $erfepenbe fehlt, was für gewöhnlich
fi(h mit ber ffeptifdhen ©efte oerbinbet. ©ie wädjft aus einer ge*
fühlten Orüfle, einem feften eignen Sefip, nicht aus bem 93ewuf$t*
fein eines üftangetS. 2 )er ©erzieht, ber aus biefen ©ebidjten fpriefft,
ift nicht bie mübe IRefignation beS ©eftranbeten, fonbern ber
<hara!teriftifche SBiHe, fich non ben Aufjenwerfen beS SebenS zurücf*
Zuziehen, auch & aS BufäHige unb Alltägliche auf feine SBurzelung
in ben feften ©Richten einer beftimmten feelifd)*fitttichen ©entern*
fchaft hi« z u empfinben unb zu werten. 9to<h einmal treten ba
bie Konturen feiner geiftigen fßerfönlichfeit h^roor, unb eS ift be*
Zeichnenb für ben ©tab, in bem biefe fi<h objeftiöierte, aus bett
empirifefjen ßufammenhängen ftetig in bie fachlichen formen unb
formen ber geit hinüberftrebte, bafj gür unb SGBiber biefer ©prudj*
gebiete, bie eigentlich pro domo gemeint finb, nun bodj ex cathedra
Wirten. 2ftag gontane in beftimmten Ablehnungen unb Annahmen
bie @h c » & a 3 ^h^ifterium, bie SBourgeoifie, bie $unft, baS Sßubtifum
ober bie ©efetlfchaft ftreifen, nie bleiben feine SReftejionen im 3 «*
fülligen, nie auch im rein Sßfpchologifchen ftecten, eS ift ftetS ber
ganze SOtenfch, ber zur ©ad)e fpricht, wie unaufheblid) audh immer,
aber eben ein ÜDtenfch folgen ÄaliberS, bafj bie fubjettioe SDibaftif
fid) wie felbftoerftänblich in ajiomatifche ©ewifiheit wanbett, ©etbft
bort, wo er nur non fich, feiner prioaten ^ßerfon zu reben fdjeint
(„Aber wir taffen eS anbere machen", „3a, baS möcht’ ich noch
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3. 3)ie ©ebidjte
377 /
erleben") ift ber fombolifdje ©infchlag nicht ju üerfettnen, Montane
ergebt ftdj ju einer $öh e ber ^Betrachtung, bie nun auch ben
SBedjfel ber feiten, ihrer Sftenfchen unb Orbnungen, als ein ©efefc*
mäßiges unb SßotmenbigeS anerfennt („£)ie SUten unb bie Sunget\").
2)ie fragil ber „@ffi ©rieft", bie ©rfchütterung ber DrbnungS*
meit, ift in ber ©pruchbichtung ber lebten 3eit übertounben, meil
nun auch biefe ©rfchütterung als „in ber Orbnung" empfunben
mirb, Montane toeifs fie als anberen $ol feines auf Orbnung ge*
ftellten S33eltgefüf)tS ju begreifen, baS Sftegatiüe in einer höhnen
Einheit pofitio ju überbauen. Sind) in biefer lebten unb fchmerften
©etoährung liegt bie ©ennfjheit feiner fortmirfenben Äraft. 3h re
SRpthe ift in ber ebenfo einfachen mie munberöoHen Vertiefung
ber ntärfifchen ©age bont „£errn öon SRibbed auf SRibbecf im
£at>ellanb" geftaltet.
tperr öon SRibbecf auf fRibbecf im jfjaöeltanb,
©in Birnbaum iu feinem ©arten ftanb,
Unb fam bie golbene ^erbfie^jeit
Unb bie Simen leuchteten meit unb breit,
2)a ftopfte, menn'3 SRittag öom Sturme fcfjotl,
®er öon fRibbecf fid) beibe £afd)en üott,
Unb tarn in Saatinen ein Sunge bat)er,
©o rief er: „Sange, mifte 'ne Seer?"
Unb fam ein SRäbet, fo rief er: „Sfitt Stirn,
fturnnt man rötoer, id ^ebb 'ne Sirn."
©o ging e§ öiel Saljre, lobefam
2>er öon SRibbecf auf fRibbecf ju fterben fam.
@r fühlte fein ©nbe. ’ä mar |>erbfte3jeit,
SSieber lachten bie Simen meit unb breit;
2)a fagte öon SRibbecf: „S<h ft^eibe nun ab.
2egt trfit eine Sirae mit in§ ©rab."
Unb brei Jage brauf, aus bem S5)oppetbad)hau3,
trugen öon fRibbecf fie hinauf,
Sitte Säuern unb Sübner mit T^eicrgefic^t
©angen „Sefuä meine $uüerficht",
Unb bie Äinber ftagten, ba§ §erje fchmer:
„$e i§ bob nu. 2Ber gimt uns nu 'ne Seer?"
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378
s
fünfter £eil. $a$ fefunbäre ©Raffen
©o Hagtcn bie Äinber. 5)a$ war nicf)t red)t —
2ld), fie fannten ben alten SRibbecf fdblecßt;
$er neue freilid», bet fnaujert unb fpart,
jpält ©arf unb ©irnbaum ftrenge Dermalst.
9lber bet alte, ooraljncnb feßon,
Unb ooU SRifjtraun gegen ben eigenen ©oljn,
$er wußte genau, wa$ bamalö er tat,
911$ um eine ©im’ in$ ©rab er bat,
Ünb im britten ;galjr au$ bem ftiden .§au$
©in ©irnbaumfprößling fproßt IjerauS.
Unb bie Qaßre geßen woßl auf unb ab,
flängft wölbt fidj ein ©irnbaum über bem ©rab,
Unb in ber golbenen $erbfte$jeit
£eud)tet'$ wieber weit unb breit.
Unb fommt ein Qung’ übern Äircßßof fjer,
©o flfiftert'S im ©aume: „SBifte ’ne ©eer?"
Unb fommt ein SRabel, fo flüftert’3: „ßütt ®irn,
Shimm man röwer, idt gern' bi ’ne ©im."
©o fpenbet ©egen nodj immer bie $anb
3)e$ Don SRibbedE auf SRibbecl im ^aoellanb.
3lud(j Montane, ber SWärfcr aus SRuppin tut $aüellanb, ließ un§
in feinen SBerfen einen ^rudjtbaum erfteßen, beffen fegenfpenbenbe,
frofje Äraft unb ®üte fonttnenben ©enerationen nie ganj ent*
fdfjnnnben fonn.
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2Cnmerfungen
mtb
2$tHtograpf?te
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Slnmerfmtgen
<5.2 $• H> ö. ü. franjöfifdjen ©efug'iäfamilie: ©gl. g. ©aiitüitle,
Sie 9?acf)!ommen ber franjöfifdjen Üiefugtög uttb Emigranten im heutigen
Seutfdtflanb. ©ebue beg 0fiet»ueö 1. gebruar 1900.
©.5 8-10&-U. bebauert f)ätte: gn bcn „28anberungen" 33b. 1 fyeifjt
eg: ,,gd) ber^orreöjiete bcn ©a$ unb merbe iljn big jum lebten ßebengljaudj
befampfen, baf} ber iJiormalabiturient ober überhaupt ber burd) fieben ©jamina
gegangene 9Renfdf) bie ©lüte uitfereg @efd)led)tg repräsentiere; bag ©efte, mag
mir fyaben, ift oljne biefe borgängige' ©robe geteiftet morben."
©.18 3-3 b. o. feljen'fann: gontane berichtet in granjog’ „©efdjidjte
beg ©rftliuggmerfeg", mie er alg Untertertianer einmal über Sanb ging, um
fid) aller „©djulforgen, unter benen ein beutfdjer 9tuffa|j nadf) felbftgetüäpltem
Sterna boranftanb, ju entflogen". Sine 9taft, angeficfytg oon ®rofj*©eeren,
bringt iljn bann auf ben ©ebanfen: märe bag nidjt ein ©toff? Unb nad)
©erlin jurüdgefe^rt oerfertigt er ein „bljantaftifdjeg ©triptum, bem eg, bie
SBaljrljeit ju gefteljn, an ülnflängen an bie 3^bli^fd^e ,9?äd)ttid)e $eerfdf)au‘
nidjt fehlte... 9lad) ad)t Sagen erhielt idf) aug ben §änben ©^ilipf) SBader»
nagelg, meinet ljod)beret)rten Seljretg, meinen 9luffafj jutüd, nnb mer be-
Schreibt mein ©ntjüden, alg id), ber id) bis bal)in über ein ,vidi 3S.‘ nie
l)inauggefommen mar, jeftt jum erften unb leibet auch einzigen SCRale lag:
.SRedfjt gut. 2B.‘ Safj meine SBanberungen burd) bie 9Äarf ©ranbenburg auf
biefeg ,9Red)tgut‘ jurüdjufüljren feien, miU id) nicpt gerabe behaupten, aber
bafj ber Sluffafj, ber ben formen Sitel: ,2luf bem ©d)ladf)tfelbe oon ©rofj*
©eeren* führte, meine erfte Sßanberung burd) bie Wart ©ranbenburg gemefen
ift, bag ift. richtig."
©.18 8.13 o. u. 9tpotiefer jeit: 3unt Sf)ema Sinter unb 3tfmtl)efer
Ogi. ©. ©ranbeg, gbfen in ©rimmftabt. 3^* 1908 SRr. 2482.
©. 15 3-1 b. u. @df)riftguteg: Stufjer ber ,,©efd)mifterliebe" braute
ber „gigaro" unb aitbre längft öerfcpotleue 3eitfd^riften mie bie „@ifenbal)n"
üiele ©elegcn^eitggebidf»te, aud) poIitifdEjen gnl)altg. ©gl. ,,©on 3ttJöojig big
Sreifjig", ©erlin 1840, Äap. 1. Sort finb aud) bie Sichtungen „.peinridjg IV.
erfte Siebe" (bgl. ©riefe n 1 ©. 106), ber Vornan „Su Ijaft red)t getan" unb
eine Überlegung beg englifdjen Siontang „The money-lender“ Oon SDtrg. ©ore
ermähnt. 8« einer unberöffentUdjten §amletüberfe|ung bgl. £iterarifd)eg
@d)b II ©. 15.
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882
2lnmerfungen
©.18 3-12 o. u. angefchloffen: Sgl. „Son 3n>anjig bis Streitig",
Wtein Seipjig lob ich mir, ftap. 1.
©. 18 3-9 b. u. gezeitigt: Sgl. „Son 3ß>anjig bis Sreifjig", SWein
Seipjig lob id) mir, ftap. 2.
©. 20 3. 10 o. o. S u n n e 1: Sgl. 91. Sloeffer, Sheobor Montane im
Suttnel über ber ©pree. Sofftfd)e 3 e ^* run S 1902 Wr. 195 (HuS ben Tunnel*
protofollen). — Montane ift über ein ^ahrjehnt SDtitglieb. Sann ruft bie
Überfiebelung nad) Sonbon im ©ommer 1855 eine lange Unterbrechung
fjeroor, nach beren Sube, Januar 1859, er fiep bem Sunnel entfrembet
fühlte unb nur feiten noch an feinen ©iftungen teilnahm. — Sine 3weig*
Bereinigung, bas W ü 11 i, öoit franj ftugler 1852 begrünbet, befchreibt
SB. Sübfe in feinen „SebeitSerinnerungen" (Serliu 1893). Sgl. bort ©. 185
bis 88, loo aud) über baS Wiitglieb frmtane gehanbelt ift. Wian fam am
©onnabenb nachmittags junt ftaffee bei ben SWitgliebern abtoechfelnb ju-
fatnmen. ftunft unb Literatur fiitb bie ^auptgegenftänbe ber ©efpräche unb
Sebatten. Wtitglieber: 9W. SajaruS, Sepel, Giertet, Slomberg, SggerS, 3öüner,
Wtenjel, o. b. §epben u. a. — Sin britter 3^!el, in ben Montane 1852 burdj
SggerS gejogen nmrbe, mar bie im gleichen Qahre gegrünbete Sllora. Sgl.
barüber unb über ben Warnen: Otto Woquette, „Siebzig Qahre. ®efd)ichte
meines SebettS" (1894) 93b. 2 ©. 10 f. Sr umfaßte an SWitgliebern aufjer ben
brei (Genannten üübfe, 3öllner, W. Sucae. Wiatt biSlutiertc auch hi er bei See
unb 93utterbrot über ftunft unb Literatur, gontane, ber ben Sßora*Wamen
Woei (nölen — langfam fein) führte, fanb ben herrfdjenben Son „fehr liebenS*
mfirbig, nur nach meinem Safürhalten nicht fdjarf genug. SJtan tft immer
befriebigt."
©. 26 3-5 b. o. $ ochs eit: ®milie gontane entftammte ebenfalls ber
franjöfifchen Kolonie 93erlinS. ©ie mar eine geborene Wouanet, trüg aber
feit ihrem fünften Qahr ben Warnen ihres 9lboptitmaterS, eines WateS Summer
(bgl. „Son 3tbanjig bis Sreifjig", frrift, Stift, bie 93rüc!e fommt, ftap. 1—2).
Sontane lernte fie als jehnjährigeS ftiub im ipaufe feines DnfelS 9luguft
fennen. — ©ie hot ben Satten überlebt. 93iS jum Snbe frifch unb regfam,
um bie Vorbereitung ber ©efammelten SBerfe unb ben brieflichen Wachtafj
bemüht, erlag fie am 18. ffrebruar 1902 einer Sungenent jünbung. Sie Original*
haabfdjriften ju ben gebrudteit Sichtungen gontaneS loaren fchon 1900 burd)
©chenfung ber 9Bitme in ben 93efift beS märfifdjeu SWufeumS ju SerKn ge*
langt. — Sgl. im übrigen 0. fßniomer im Sag 1902 Wr. 85 unb fr Süfel
in ber Seutfchen 3 e 0ung, Serlin 1902 Wr. 43.
©.26 3-11 b. u. gute Saune: 21m 14. 9lugnft 1851, juft im hbchftc«
$ungerftabium, mirb ihm ein ©ohn geboren: ©eorge gontane, ber 1887 als
imuptmann in ©rofjlidjterfelbe ftarb. Son gontaneS fecftS ©öhnen finb nur
brei herangemadjfen. Wubolf (geb. 1852), fßaul (1854) unb Ulrich (1855) ftarben
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Slnmerfungen
383
in früljfter Slinbljeit. Xljeobor Montane jun. (1856), zulefct gntenbant beS
elften SlrmeeforhS in Äaffel, lebt zurzeit in SBitmerSborf-Bertin. SDiattlja
gontane (1860), bie -einzige Sodjter, bie bem Bater befonberS nalje ftanb,
würbe bie grau eines Strdjiteften, ißrofeffor gritfch (geft. 1915) in SBaren-
SJtecflenburg, mit bem fie bie „gamitienbriefe" Verausgab. ©ie ftarb 1917.
®er BerlagSbuchhänbler griebrid) gontane, ber jüngfte ©oljtt (1864), Ijat fid)
nach Steu-Stuppin jurüdgejogen. '
©.31 3-14 b.u. ßonbon über: gtneimal war gontane $u längerem
Urlaub in Berlin gewefen, bon SJiitte Sluguft bis SEditte Dltober 1856 unb
SJtärz—Slpril 1857. $aS erftemal begleitete er ben bon ifjm für bie preufjifche
Bolitif gewonnenen ©igentümer beS „Sdorning Sljronicle" auf einer Steife
nacf» Berlin, bas zweitemal wollte er bie Überfiebelung feiner gamilie nach
ßonbon einleiten unb gefdjäftlidje Stngelegenheiten ins reine bringen, bie fid)
bahin erlebigten, bafj er «ad) bem ©ingehen ber beutf<h-engtif<f)en ftorrefponbenz
weiterhin SOtitarbeiter ber minifteriellen Organe bleibt unb gleichzeitig Bei¬
träge für bie zur preuftifchen Stegierung in Beziehung ftepenben englifdjett
Leitungen liefert, gn ber golgezeit beginnen auch in ber Äreuzzeitung unb
Bofftfdjen geitung Sluffäjje bon ihm zu erfreuten, Berbinbungen, bie noch
bon -Bebeutung für if)n werben foöten.
©.32 g.16 b. u. aufgeben z u ntüffen: ©el)r bezeichnenb für feine
jefcige ©nglanberfenntnis ift gontaneS Brief an bie SreuzzeitungSrebaltion,
in bem er feinen @ntfd)tuf), bie englifd)e Äotrefponbenz aufzugeben, mitteilt:
„es ift ohne irgenbwelches Stufgeben bon ©runbanfchauungen in bezug auf
©nglanb zu mitberen Sluffaffungen bon ghter, 3 U herberen bon meiner
©eite gelommen. SBir hüben uns, bon unferen urfprünglichen ißofitionen auS,
in beinahe entgegen gefegt er Stidjtung fortbewegt, gnbien ift ber befonbere
Bunlt ber SJteinungSberfchiebenheit geworben. ©anz ©nglanb, fowie eS in
Beziehung zu gnbien genannt wirb, efelt mich an. SllS ber Ä’ampf begann,
War ich uoch ein guter ©nglänber, boller ©pmpathien für bie ©ad>e biefeS
ßanbeS. $aS ift längft borüber. ®iefe .rothaarigen Barbaren* mit allen ihren *
großen ©igenfdjaften, bie ich uie be ft reite, finb ein Stäuber-unb ißiraten-
bolf burch unb burd). g<h h a ^ e bie fefte Überzeugung, bajj bie SBetterwolfe
©otteS über biefem Bolle fteljt. Bon einem ©nglanb, baS .Bufje tut in ©ad
unb Stfche* zu fprecpen, ift barer Unfinn. ®ie ®ir cf)tid)leit ift groß in biefem
ßanbe; für bie Steligiofität aber, für feinen ©lauben, foweit er im ©emüt
wurzelt, zahl’ ich leinen ©ijpence. ©o ntiferabel, fo mabig, wie ihre Ste-
formation war, fo ift bie englifche Sürche auch geblieben."
@. 38 3.7 b. 0 . ißuul §epfe: Bgl. baS ©ebidjt „3u gontaneS 70. ©e-
burtStag", ipe^fe, Steue ©ebichte, 2 . Stuft., Berlin 1897, ©. 283—89.
©. 33 3 .15 b. u. zu fremb: §epfe felbft urteilt fpäter in feinen „gugenb-
erittnerungen", bafj eine „Berufung bem eingefleifd)ten SDtärfer auf bie ßänge
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©nmerfungen
fcproerlich besagt paben würbe". ©gl. im übrigen ßiterarifcpe# Ecfjo n
S. 823—27.
S.35 3-9 ü.u. ©iefengebirge: Über gontane im ©iefengebirge panbelt
Sp. Stein in „Scplefien" VI S. 157 ff. unb 213 ff.
0. 40 3.17 ü. o. erfcpeinen mußten: 91m 18. Cftober 1892 fcprieb
gontone an Schlentper: „©eroegt fam meine grau nach £>au§ (au§ einem
©ortrag über Sh- gontane, ben Sdplentper am 17. Cftober in ber greien
lüerarifchen ©efellfd)aft_ gehalten patte. 3SgI. bie ©ibliograppie) unb unter
bem ©ericpte, ben fie mir gab, fielen 911ter unb ft rauf heit auf 91ugenblicfe
üon ihr ab. gn all bem greunblichen, ba3 fie hören burfte, lag fo üiele§,
was fie beim ©üdblicf auf unfer Sieben hatte fühlen taffen: e§ mar hoch gut
fo, roie’S mar. Seien Sie perfid) bebanft für ba§ ©ilb in üerflärenbem
9lbenbfcpein, in baö ju bticfen ju grieben unb ©erföpnung ftimmt unb
manches Schwere leichter tragen macht."
S.45 3-6 ». o. beftimmt waren: Sehr treffenb fchrieb bie „©egen»
matt" (©b. 54 S. 217) nach gontaneS Sob: „Unb mosten ihn bie ©erehrer
auch feiern, er muffte bodj, baff er nicht populär mar, baff feine ©oüetten
unb ©omane nicht,gingen“. So mar benn auch ber Erfolg ber ©efamtauSgabe
feiner Erzählungen leiber nur gering, unb mir haben ©eweife für feine ftlagen
barüber."
S. 45 3-1 ö. u. Ehrungen: gd) nenne üon fpäteren noch bie gontane»
Senfmäler in ©eu»©uppin üon SJtaj SBiefe (ügl. 90t. gacobS, ©erliner Sage»
blatt 1907 ©r. 286—87) unb im ©erliner Siergarten Don 9©aj; ftlein (ügl.
Sernburg, ©erliner Sageblatt 1908 ©r. 480 unb ©urbach, flehe ©ibliographie).
9lbbilbuitgen in ber ©ranbtfdpeu 9©onograppie. — Über gontane»©ilbniffe ügl.
©orbbeutfcpe 9lllgemeine3ritung 1898 ©r.237 unb SiiterarifcpeS Ecpo 18 S.1551.
S. 48 3-1 b. u. ©rab: ©ebäcptnisfeiern mürben üeranftaltet im ©erliner
©atpauS (©ebner Erich Schmibt), üon ber greien ©ühne (©ebner O. ©rahm)
unb ber greien Siterarifcpett ©efettfcpaft (©ebner Sft.Sorenz). ©gl. baju 9©agazin
für Literatur LXVII S. 1006 unb ©ational»3eitung 1898 ©r. 587.
S. 49 3- 7 ü. o. ift biefeS geh?: Eine improüifierte Selbftcparafteriftif,
bie in fcperjpafter gorm manches ©ejetdptenbe birgt, brucfte baS Siterarifcpe
Echo IV S. 430 ab: „9©an fennt bie fogenannten Sorturbüöplein in 9Ilbum»
form, in benen jeber Einfchreibenbe auf alle möglichen gragen ©ebe unb
©ntmort ftehen muh, um fich bamit felber ju dparafterifieren. Ein ©latt biefer
91rt, baS bie Unterfdprift Speobor gontane trägt, mirb uns abfcpriftlidp jur
©erfügutig gefteDt unb fei pier miebergegeben.
,äBeldpe Eigenfcpaft fcpäpen Sie an bem 90tanne? — ©eporfam.
SBeldpe an ber grau? — Eaprice.
SttaS ift 3Pre herüorftecpenbfte Eigenfdpaft? — Qnbifferenj.
3Bie üerftepen Sie baS ©lüdf? — ©ar nicpt.
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Slnmerfungen
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2Bte baS Ungtücf? — 9tucf) ntdfjt recht.
2Bo möchten Sie leben? — $n meinet (Stube.
28a§ wunden Sie anv.fehntichften? — Suft, Sicht.
333er ift in 3h re * n klugen bet erfte Sinter, Sdhaufpieter, äRuftfer, 90tater? —
SBechfett alte fünf Bahre.
Selbes t)iftorifct)e ©teigntS mifcfältt 3h ncn am meiften? — ©ie Sd)tadht
üon ©ronjefl.
SBeldhe gelter finben Sie am üerjeihlichften? — ©ie meinigen.
•Sieben Sie baS $beate ober baS SReate? — ©ie ©iagonale.
2Ba3 ift am fdhmerften ju erteilen? — ©apft ober großes SoS.
38eldhen SRat mürben Sie ber fjfrau geben, bie Sie lieben? — 9Jiidf) mieber
ju lieben.
SBetdheS ift $h re SieblingSbefdhaftigung? — Sdhtafen.
SBeldhe ^otitrfdße Stiftung ift 3h nen am ftjmpat^ifd^ften? — SRedftenburg.
SBie benfen Sie über bie ©lje? — Be nadjbem.
SBeldjeS Vergnügen ift 3h nen ba$ liebfte? — Siehe oben unter SieblingS«
befdhäftigung.
SBeldhe ©turne, metdheS ©etrünf unb toeTdße Barbe jiefjen Sie üor? — SJUr
altes ganj gleich.
©efinieren Sie bie Siebe? — SJiir ju ferner.
©eftnieren Sie bie f^rau? — 9?odt> fernerer.
©ertin, ben 10. SRärj 1891. ©h- gontane. 1 "
S. 60 3-13 o. u. ^ormtofigfeit: ©orjügtidh urteitt ©(jomaS SRann
über ba§ 9tomantifd^e bei Montane: „SBar Montane ein ©omantifer? Sein
©efud) in ©atjreutlj, 1889, mißlingt Ootttommen. Stur auS b^fifd^en ©rfinben:
©egen ©nbe ber ,£)uüerture‘ mirb ihm fc!)Iedfyt unb er gibt gerfengetb. Slber
man barf gtauben, bafc ihm nidtjt f<htect)t gemorben märe, menn ber ,©arfifat‘
ihm etmaS ju fagen gehabt hätte, unb bie amufante 9trt, in ber er üon ber
»Strapa je* erjäljtt, macht beuttict), baff ©embetfunft unb Zeitiges ©heater fein
Baß nicht mar. SBar er ein ©omantifer? Qm beutfdjen Sinn gemif» nicht.
Seine ©ornanti! ift romanifdher $erfunft, eine ©hrano be ©ergerac-SRomantit,
bie unter ©erfen ficht. Sind) fdhauertiche SDtotiüe, auch ©omer unb ©idhtbtodf,
als Sühne für tjeifte ©erfeljlungert, tommen barin üor. Stber ihr ©ntnbmefen
ift Nationalismus, ift Weiterer ©eift unb freie Sinntidhfeit, unb maS üolt*
fontmen fehlt, ift baS ahnbeüott SRuftfatifche, baS brünftig SKetabhhfifth 6 » bie
trübe ©iefe. SBaS fehlt, ift ferner, bei alter Suft am $iftorif<hen, ber reaftionäre
Bug, ber §afi gegen ,biefe Beit'-"
S. 62B-lb. u. auSfbridht: Sehr einfidhtig fritifierte ©. Sifcmann bie
auf ben ©riefen fufcenbe fdhiefe Stuffaffung BontaneS burch Arider, bah &
fidh babei „im mefenttidhen um äußertidhe ©igenljeiten tjaubelt, bie eigentlich
nur für ßontane ben ©ürger in feiner Stellung ju gamiße unb ©efettfdhaft
CSanbteü, Montane 25
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Slnmerfungen
in ^Betracht fommen" unb bat gontane felbft bagegen CEinfprud) erhöben haben
würbe, biefe ptiüaten Läuterungen „jur ©runblage einer (Eharafterftubie matten
ju wollen ohne 93erüdfid)ttgung beffeit, was in ben SBerfen an Sluffcfjlüffert
über feine rein menft^lictje Siatur ftd) finbet... 9iitf)t SaS djarafterifiert
Montane, waS er bei irgenbeinem ärgerlichen GEinjelfatl ht jorniger Stuf*
Wallung nieberfchreibt, fonbern bie Slrt, wie er etwa ben Oberlehrer ©djmibt
ober SubSlaü ©tcdjlin mit fotzen 28iberwärtig!eiten beS Bebens fertig werben
Iä§t... 28er baljer Montane, ben 2)id)ter unb 9)lenfd)en finbeit Witt, loS*
getöft üon aüem Zufälligen, üon öerftimmenben CEinflüffen feiner bürgerlichen
©fiftenj, üon ber ©emohnheit journaliftifcbcr SageSfron, ber tut beffer, ihn
in ben beften feiner SBerfe ju fudjen."
©.57 Z.ll ü. o. Sramatif 28ilbcnbrud|S: Über Montane unb SBilben*
brud) h an belt ©• b. Oraeoenifc im Sag 1909 Sir. 55.
©.58 3-14 ü. o. beftanb: SaS h fl l fdjon ©• &eilborn nachbrüdlidj, iu
wohltuenbem ©egenfafc ju ben gelehrten SJlilie«t^eoretitern, bie an Montane
ein üorjüglicheS Obieft gefunben ju hüben meinten, auSgefprochen: „©obalb
bie eigne ^Serfoit unb eigne SebenSentfd)Iietung iu grage fommt, ift ein gan$
attberer gontane auf bem $lan, ein üon ftopf bis ju gut iu GErj gerüfteter,
ein SRaitn beS fategorifcfjeu gmperatiüS, ber um fo fategorifcher wirb, je mehr
eS gontane felbft foftet. .. Sie Söriefc, bie gontaue fdjreibt, aB eS gilt, bei
bem SJtinifteriumwechfel feine Sonboiter ©tettung preiSjugeben, unb^wieberum,
als er fiih wegen Stieberlegung beS einträglichen SlfabemicamtcS rechtfertigt,
finb ÄriegSerllärungcn in aller gorm — gegeu wen? — gegen ben ffeptifchen
23etrachter in ihm felbft."
©. 68 3-4ü. u. überwuitbenwurbe: Ißniower berichtet üott SSerfuchen
im Sialog unb üielen Keinen Stoüetten unb Sioüettetten, bie fich im 9iad)lat
gontaneS fanben unb lebiglich jur (-Erlernung beS $aitbwer!S gefchrieben waren.
©.06 3-9 ü.u. politifdje Strtücl: ©.ftarpeleS hat (gontaneS politifdje
Slnfänge, 3<ütgeiftl909 Sir. 32) einige biefer politifd)*iournaliftifd)eu ßeiftungcn,
brei Sluffäfce aus ber „berliner Zeitungshalle", bem Organ ber rabifalen
Semofratie, üom 31. VIII., 13. IX. uttb 17. IX. 1848 wieber abgebrudt. ©ie
fmb in ihrem tirabenhaften ©tü, ber einen Untergang beS „ledigen" ißreutenS
wünfdjt unb hofft, ein echtes Zeitbofument, aber ohne jebe tiefere perfönliehe
Stote, ohne — trog ftarpeleS' gegenteiliger SJieinuttg — auch nur eine ©pur
üon bem fünftigen Siebter unb (Xfjarafteriftifer.
©.68 3-8 ü. o. SteuigleitSlrämcr: gahrjeljnte fpäter (2lprill894 an
SJt. Sieder) h a t fid) gontane nnberS über baS (SintagSfeuilleton geäutert, aber
auch ber Sinlat war ein anberer. GES hanbelt fich um 28ien, unb bie „gorm*
Überlegenheit ber SBiener Ißreffe" fdjeint ihm „unbeftreitbar. SJlatt hat in
28ien mehr feines gormgefühl aB hier-" Sie ©teile lautet: „©ie fragen:
Verlohnt eS fo üiel SJlüh, um etwas ju fd)affcn, was mit bem (-Einen Sag •
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Stnmerfungen
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üerfchwinben wirb? 1 Bd) glaube bod), ja. Unb jwar begbatb, weil bic §erjen,
bie bie glüdticbe ©abe haben, fagett wir attbertfjalb SJitttionen SStener einen
Sag lang gerabeju ju entlüden, eine eiet fdjönere unb aud) Ijöijere Aufgabe
töfen atg bie, bie mit gleichem Bleih einen ,©olumbug‘ Treiben unb nichts
erteilen atg eine breimalige Stuffü^rung ttor einem gäbnenben &aufe. Stiach
brei SKonaten ift biefer ,©otumbug‘ noch Diel, tuet oergeffener atg bag ©intagg*
feuifleton. Sag ©intaggfeuitteton bat bodj gewirtt, wag immer eg bebeutet,
eg t>at ben ©efettfchaftgjgftanb, unb Ware eg. aud} nur um ben mittionften
Seil einer §aaregbreite, geförbert unb tierfeinert unb ift nadj tiunbert Bahren
immer nod) ein wunberüotteg SWateriat für einen |>iftorifer wie Saine. Ser
,©otumbug‘ aber, fetbft wenn iljm ber ßiteraturforfdjer irgenbwo begegnet,
bleibt ein (Sdjrecfgefpenft, an bem nod) ber Sapferfte fd)eu tiorfibergebt. Unb
99 /ioo, tnetteicht 999 /iooo bon alter ^robuttion ift mehr ober weniger ,Sotumbug‘."
Bu @. 71—72: Sag Äahitel „Bournäligmug unb 2Banberbüd)er" würbe
bereitg im SBinter 1912/13 getrieben. B<h habe bon ben Bitaten biefer ©eiten
nid)tg geftrtdjen, fetbft auf bie ©efatjr bin, baff Soutane nun für biete alg
fdbrlec^ter tßropbet haftest. 9tber wag einmal bon ©runb aug richtig gefeben
würbe, bteibt richtig, fetbft wenn bie Beittäufte bem ju wiberfprechen fcheinen.
Sie ©ngtanbfritif Bontaneg ift fo wenig überholt wie bie gleichgerichtete,
wenn auch ungleich tiefer fcbürfenbe in ben Strieggbüchern beg genialen iöiaj
©cheter. StKcht bie fritif, fonbcrn btojj ihre ©rbärtung ift unb bteibt eine
blofje „Beitfrage".
©.100 B-12 b. o. Bn ben Briefen: Montane fchreibt: „SBiewobt ich
Bbuen biejenigen ©teilen, bie altenfattg atg bebenftich ober anjügtidj an*
gefeben werben tonnten, fdjon borber borgetefen fjatte, fo haftet an bem
,fcbwarj auf weif? 1 hoch noch wag ganj ©efonbereg, unb bag, wag man alten»
fattg böten tonnte, Witt man nicht berewigt bor fidj feben. ©g freut mich,
baft, wie eg fdjeint, an feiner ©teile gerabeju unangenehme ©mbfinbungen
©ie befchüchen haben, ©ottte bieg aber bennoch b^t unb bort ber galt ge»
wefeti fein, fo haben ©ie biefe ©mpfmbuttgen nicht btofj aug SRüdficht gegen
mich, foubern — wag mir noch b ö h er fteben würbe — aug tünftterifcher
©rfenntnig jurüdgebrängt. ©ie wiffen nämlich genug bon Äunft, um fi<b
ju fagen: ihr Sßefen wurjett in Freiheit. 33ef)tnberung, Unterbrechung, Stb»
fchwäd)ung beg natürlichen ©ebanfengangeg fitib ihr Sob. gübrt biefer ©ang
an ber einen ober anberen ©teile auch an S3erbriefcli<hfeiten borübet, fo muh
ber Sefer ftd) fagen: aug berfetben Sßurjet, aug ber mir bieg berbriefjtiche
SBort erwud)g, erwuchs auch bag mich erfreuenbe, unb ich würbe unb tönnte
bag tefctere nicht haben, wenn ich nicht auch jeneg batte. Senten ©ie fi<b
ben galt, bah ich Bbren ^apa atg eine reine, geflügelte Seele, weih in weih,
atg einen felbftfuchtglofen, menfcbenbeglüdenben tßeabobb bargeftettt ober aber
gefagt batte: febt, fo ift ber normale 3ftenf<h; gebet bin unb tuet beggteichen.
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Slnmerfungen
Me 3BeIt mürbe gelacßt ßaben, unb ber §ulbigungSartifel wäre ju einem
SaSquiH geworben. 2>ie richtige Verteilung bon Sicßt unb ©Ratten, tüte ©ie
al§ SUtaler wiffen, ift erfteS ©efeß." — Unb an 9Jtatßilbe bon Stoßt: „5<ß
glaube, baß bie gamilien bon ißrem ©tanbpunfte aus ganz redtjt ßa6en, weil
ein ©dtjriftfteHer, ber bie ®inge lebiglidf) als einen ©toff für feine Qtvtdt
anfießt, aud) bei größter Vorficßt unb wirflicßem £aft immer nocß ber 5ßietät
entbehren Wirb, bie im .‘perjeit ber gamilienmitglieber lebt. SJZitunter ift eS
freilief» nießt meßt Ißietät, fonbern eittfadf» eine Sütifcßung bon grenjenlofer
$ummßeit mit ebeufo grenjenlofer Gitelfeit. ©o feßrieb mir ßeute meine
©eßwefter Sife aus Stuppin: alle Slnbcrwanbten beS §aufeS ©enß (-©ott fei
$anf mit MSnaßme ber beiben ©ößnc) feien empört über baS, was icß über
ben alten goßamt Gßriftian ©enß gefeßrieben ßätte. 9taeß meiner aufrichtigen
Meinung müßten fie mir ein $enfmal errießten ober eine .Stiftung* für meine
Äinber inS geben rufen. Mitunter fcßwintrelt einem, 3cß ßab nun aber
fo oft erlebt, baß eS feinen Ginbrud meßr auf mich wacht. Neulich friegte
id) einen ftlagebrief bon einer grau b. SBißleben, geb. b. SJteufebacß, auS
VotSbam, bie fid) bitter befeßwerte über baS, was ich über ißren berftorbenen
Sruber gefeßrieben ßabc (.^abellanb, im Kapitel M«®eltoW). Gr war fcßließ*
ließ abfolut berrüdt. gcß nenne ißn einen SOtann bon ,®enie unb Gjjentrijität*.
®aS ift nun-ber $anf baffir."
@. 117 3-17 b. o. faufe eS niemanb: 9lucß als „Stoman" fattb „Vor
bem ©türm" nur geringen Mfaß, unb feßon bom Vorbrud berießtet ©jcjepattSfi,
Stöbert tönig, ber bamalige, feßr einfeitige, aber aud) feßr ßuge uub gewanbte
Gßefrebafteur beS „$aßeim", ßabe fpäter oft geflagt, wie ißn baS Vublifutn
feines 33IatteS, bon bem man als einem ausgeprägt preußifeßen ein befonbereS
gntereffe für ben Stoman ßätte erwarten müffen, im ©tieß gelaffen ßabe.
@.189 3-17 b. o. ber Ginget Sßißmamt: „®ie ©praeße erfeßeint auf
ben erften Sölicf feineSWegS glänjenb, fie wimmelt bon grembwörtem, bon
neuen unb unfeßönen SBortbilbungen, fie ift babei feßeinbar feßr ungezwungen,
faft naeßläffig unb entbeßrt ganj unb gar ber SMobie, beS mufifalifcßen
©cßmelzeS, in ber bie fübbeutfeßen 2)icßter beit ßerberen norbbeutfeßen woßl
ftetS überlegen bleiben werben. Wber fie ift bis auf baS 2üpfelcßen auf bem i
cßarafteriftifcß, unb man ift erftaunt, wie bie Gigenart jeber einzelnen Ißerfon
im ®ialog gewaßrt ift. gontaneS Dialoge finb woßl unübertroffen." -
Saumgarten: „GS fteßt fein ©aß in ben mobemen Stomanen, ber nidjt
gut gefeßrieben wäre. MeS wirb ganz unb — anfdjeinenb — mit ber fpielenbften
Seicßtigfeit gejagt. StellerS ©tit ift blüßenber unb poetifeßer, G. g. SJteßer präg¬
nanter unb padenber, aber eS gibt woßl feine Stomane in beutfeßer 3unge, in benen
ber ©til fo ausgeglichen gleichmäßig, fo auS einem ©uß wäre, wie bei gontane."
©. 140 3-13 b. u. lofalen Überlieferung: Vniower ßat in SefmannS
„$iftorifcßer Sefcßreibung ber Gßur unb SJtarf Sranbenburg" (Serlin 1751—53)
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Stnmerfungen
389
unb ÄüfterS „Antiquitates Tangermundenses“ (1729), bie ^elmteictjS „ Annales
Tangermundenses“ (1636) unb JRitnerS „Slttmärftfd)eS (Sefd)id)tSbucb" (1651)
wieber abbrudten, bie ftofftitfjen Vorlagen gontaneS nadjgewiefen. Sie geben
für bie SRobette wenig f)er. 3?id^t nur bafj gontaue mit ber bürftigen Über¬
lieferung ttjittfürlid) f chattete, er fjat aud) feine freie (Erfinbung, wenn auch
immer in ben (Srenjen beS Knappen, 93attabeSfen, fpieten taffen.
<3.146 3-14 b.o. nörblichen $erbfteS: SBotjl in (Erinnerung an biefe
Partien fpricfjt (Ebuarb (Engel (SRagajin für Siteratur 1882 5 Rr. 52) in feiner
SRejenfion beS „©cpach boit SButhenow", eine ber eingeljenbften unb beften,
bie ber frühe gontane erfahren Ijat, bon bem überhaupt „unübertrefflichen
Sanbfchafter" gontane, was ebettfo überS Diel tjinauSfdjiejjt wie tR. 3R. -JRetjer,
ber gontane jebeS SRaturgefühl abfpredjen möchte.
<3.163 3-12 b. o. (Elementen erhoffte: (Ein tRejenfent bon „(Eflem-
flipp" (SRagajin für Siteratur, 18. gebruar 1882) fefct fic^ gerabe für biefe
Qualitäten beS SBerfeS ein unb gerät bamit in (Segenfafc ju ber bamalS
freilich» nod) nid)t abfehbaren (Entwidlung unb bem SBefen gontaneS: „(ES
gibt eine anbere Slrt beS (ErjäljlenS, eine realiftifdfjere, bie feine grage offen
läjjt... Slber wir sieben bie in ,(Etlemftipp‘ betätigte als bie weitaus
poetifdjere bor."
©. 163 3- 9 ö- o. nidbt ein!»eitlid^; 2lucf) ©erbaeS beanftanbet bie
„bielleidfjt gar ju fubtil abgewogene ^fodjologie“ unb eine oft „faft über¬
triebene XiSfretion, worunter bie poetifdje Xeutlicpfeit manchmal leibet".
©.170 3-4 b. o. preufjifchen SRenfdhentumS: (Er tjat, wie ©erbaeS
eS bortrefflid» auSbrüdt, „bem preufjifcpen SRenf^entum, baS fo wenige fennen
unb fo biete am tiebften ableugnen möchten, ein gewinnenbeS unb unbergäng»
lidheS Xenfmal gefegt".
@.171 3-16 ö -°- 5®H tRabend: SSgl. ©cjcepanSfi @. 98f. — S3e»
jeichnenb für bie SBanblung, bie fid} in gontaneS ißrobuftion boüjog, ift bie
Slbfage beS SSertegerS ber „SBanberungen", SB. &er|. (Er mod)te bie ÜRobelle
beS „mobernen ©toffeS" wegen nicht übernehmen, was eine borübergehenbe
(Entfrembung beiber jur gotge ^atte.
©.173 3-12 b. o. bteibenben SBerfe: (ES ift nicht ganj abjuweifen,
»»aS ©erbaeS über bie ©teltung beS SBerfeS unter ben S3erliner SRomanen
fagt: „Slrn fonbentionettften mutet fein frütjefter SRoman ,S’9tbultera‘ an, ber
fdjon im Xitel etwas ^epfefdjeS Slber treffenber ift (EtttingerS Urteil:
„$er Siebter hätte baS Unterftreidben beS ©dbidfatSjwangeS gar nidjt nötig
gehabt, um ben Vorgängen innere SBahrfdheintichfeit 51 t geben. §at er bodh
bie beiben (Satten, beren (Ehe gefprengt wirb, fo auSgiebig fdfarf dharafterifiert."
@. 176 3.11 b. o. teitmotibifcher SRifebrauch: ©temfetb („SaS Seit»
motib bei gontane", SSoffifdfe 3ettung 1910 iRr. 343) nimmt ju Unrecht ben
SSegriff beS SeitmotibS gleichbebeutenb mit bem bet SSerjahnung. ©eine SBei»
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390
Slnmerfungen
fpiele finb aßerbingS romantifcße Perjaßnuttgen, nur baß ber Wagnerianer
©ternfelb biefe ftberbleibfet beS älteren StomanflifcßepS Montane als äftßetifcßeS
Plus anrecßneu mödßte. Slucß ift ber „große ©eelenfünber gontane" gewiß
nidßt „immer ber große Stomantifer".
©.204 3-15 o. o. ©mpfänglicßfeit: ©ttliitger: „Wit einer ©dßeu, bie
tiielleitßt gelegentlich nüchtern, faß immer aber als ber SluSbrud einer un*
gemeinen feufcßßeit wirft, wirb alles oermieben unb umgangen, was ,©jene‘
genannt werben fönnte. Wit einer Sunft ber Slnbeutung, bie in Montane
pielleidßt ißren ftärfften Weißer ßat, werben Ärifen unb Peripetien beS ©e*
füßlS bem Sefer niemals erjäßlt ober üorgefpielt; nur erraten unb aßnen
barf man fie." — gilt bie Slnfängerfcßaft im Perlittet Vornan, bie „S’Slbultera",
ift oielleicßt nidjtS bejeicßnenber, als baß ficß ßier, beim Wieberfeßn ber finber,
bie einzige, unb aucß oößig tierungtücfte „©jene" finbet, bie Montane je ge*
fcßrieben ßat.
©.216 3-5 ti.u. unfütlicßen ©cßriftftellerS: „Wenn Montane ben
©ßebrucß unb bie freie Siebe wieberßolt epifcß beßanbelt ßat, fo ßat ißrn bocß
nicßtS ferner gelegen, als etwa berartige Stbweicßungen Oon ber fojial gefügten
Storrn ju preifen ober ju oerteibigen. Slber gerabe weil über feinen feften
moralifdjen ©tanbpunft nicßt ber leifefte 3i° e ifel utöglicß ift, unb weil er
nicht etwa wie ©pielßagen, Paul £>eßfe unb titele anbere mit Sibertinage
unb Süftemßeit liebäugelt, ßat er fiep eine befto ßößere bichterifche greißeit
erworben." (©ertiaeS.)
©.226 3-8 ti. u. ju fein: ©anj ti ortreff ließ finb ©ttlingerS Worte über
Sene: „$>aS ,füße Wäbel 1 , beffen ©ntbecfuug für unfere Siteratur man ab*
wecßfelnb £otiote unb Slrtßur ©cßttißler jufdßreibt, ßat ßier fein flaffifdjeS
unb nodß unübertroffenes Urbilb. 5)iefeS untierborbene, aufreeßte Proletarier*
finb, beffen arbeitfame £ücßtigfeit bie alte Wutter mit ernäßrt unb beffen
Siebe gar feine feigen ober bereeßnenben PerforgmtgSgebanfen fennt, baS
fi<h in feiner 3ugenbblüte bem geliebten Wanne feßenft, obwoßt eS weiß, baß
ißr ©lücf nur einen furjen ©ommer lang wäßren wirb, biefeS ßerjenSfluge,
taftöoße ©efeßöpf, baS einjig feinem ©ewiffen unb feiner Statur ju folgen
ben Wut ßat, ift zweifellos eine größere .fpelbin, als bie meiften, beren gelben*
rolle baS SRampenlicßt ju beftraßlen pflegt, tion einer Steiußeit unb Stlarßeit
beS ©mpfinbenS, bie fie ßoeß über ben $ur<ßfdßnitt ber Wäbcßeit aus ben
befißenben klaffen mit ißrer ßäufig nur anatomifdß tiorßanbenen Qungfräu*
llcßfeit emporßebt." — Slßnlicß fprießt ©ertiaeS tion ber „Steinßeit ber ©mp*
finbuttg, bie baS gefellfdjaftlicß Verpönte mit aßen ©ßrenreeßten mcnfcßlidßer
Segitimität auSftattet unb baS waßre ^erjenSerleben jtoeier bem ©tanbe naeß
getrennter Wenfdjen jur innigften Pereinigung jufatnmengeßöriger Staturen
erßebt. — Wenn aßeS, was bie Perliner 3ugenb jener 3^it aus bem ©ebiete
ber freien Siebe fünftlerifcß ßertiorjußolen oerfueßte, untergegangen fein wirb,
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Slnmerfungett
391
bann wirb fiep bal SSerf biefeö Sitten in unüergänglicper Prägung Kar unb
rein erhalten paben."
©.256 3-14 0. o. g ew aalten SB orte ©ttlinger: „$>ie ®unft gontanel,
feine Ptenfdpen im piauberton fiel» offenbaren gu laffen, fiept in biefem Suche
auf allel beperrfdjenber §öbe."
©.283 3-5 ö. u. weiter gehe: Plan fönnte biefel ©egenftüd gu ,,©ffi
Srieft" in bei E)oIIänbifd)en ©d)riftftetlerl Plaarten Plaartenl Vornan „@oa"
Oermuten, beffcit Sorwort bei Slbenbl gebenft, „an welchem ich £peobor
ffemtanel berühmten Vornan ,©ffi Srieft 1 gu ©nbe lal. 3<h uapin mir bamall
auf ber ©teile in aller Sefdjeibenpeit, aber nach reiflicher Überlegung üor,
benfelben ©ebaitfen, jebocp auf anbre SBeife gu behanbeln. $al ©tgebnil ift
bal oorliegeitbe Such." $od) trofc bei aulbrüdlichen ^inweife! auf gontane
finb bie Seifige unb Sergleicplpunfte, oon ftofflidjen parallelen abgefehen,
recht fpärlich- $al Pioeau bei Plaartenlfcpen Sudbel, einel foliben Unter*
haltunglromaul ohne eignel Profil unb fompofitorifcfjen ©riff, läfjt einen
Sergleicp mit gontaitel $id)tung all unfruchtbar, ja all unmöglich erfreuten.
©I wirb bei ber trägen Sreite, ber epifcpen Serfchwommenpeit unb öagen
Pfpcpotogie ton Plaartenl nicht einmal Kar, welchen ©ebanfen er auf anbre
SBeife behanbeln wollte. $er Plangel einer einbeutig tragenben bidpterifcpen
f ongeption brüdt feinen Poman in bie Sphäre bloßer Siteratur herab.
©.295 3- 12 b. o. Fuhrmann ^enfdjel: „Dmpteba, ber in feinen
grofjen Slbellromanen auf ähnliche SBirfungen aulgeht, braucht immerhin
jeweill gwei ftarfe Sänbe, um ein Plilieu gu etfcpöpfeu, bal hier auf gwölf
©upeub ©eiten unb mit einem beifpiellol geringen Slufwanb an äufjeren
Sorgängeit erfc^loffen wirb." (©ttlinger.)
©.800 3-1 b. o. Überfenbuitg bei Sudhel: Sludp in einem ®anl*
fdhreibeit an ben Pegenfeitten ©dplentper helfet el: „©eien ©ie perglidpft be*
banK für biefe ©onntaglfreube. ©I ift fo wichtig, bafe biel bie erfte Stimme
ift. Puit werben fiep auch attbere finben, bie el funftüoH in feinem Summcl*
ftil finben. Slber optte biefen avis au lecteur (unb hoffentlich auch au critique)
fape el oielleidht winbig bamit aul."
©.301 3- 2 b. o. bei ©tedplin: Üpomal Plamt: „©ein ßaufeurtum
nahm nach .6ffi Srieft 1 in einer bidjterifch wopl eigentlich bebenKidpen SBeife
überpaub. ©I beftept in einer Serflüdptigung bei Stofflichen, bie bil gu bent
©rabe gept, baff fefeliefetidE) faft nicptl übrig bleibt all ein artiftifcpel ©piel
Oon 2on unb ©eift."
©.801 3-6 b.u. Sor bem ©türm: ©epr richtig urteilt fepon Söip*
mann: „$)ie ipanblung tritt gang über ©ebüpr gurüd, bie ^auptperfouen
paben faft nur bie Slufgabe, fdpweigenb bem gugupören, Wal mit ipnen ober
über fie gefprodpen toirb. 3)a! Such ift ein ©eplauber über bie aflerüerfepiebenften
©egenftänbe: ©emälbegaleriett unb 2>ienftbotenfrage, Slltertumlmufeen unb
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392
Anmerfungen
mobertte SJtufi!, ©arbeleutnantS unb ©tiftSbamen, aufgeflärte ©rafinnen uitb
ortnfelige ©auerSfrauen, ©iSmatd unb ©ebel, ©töder, Srpanber, Trommel,
ftögel, Naumann, ®öl)re, alles in bunteftec Steihenfolge. Sfftan fagt ficf) guten
Sßorgen, plaubert ben Vormittag, plaubert ben Stachmittag unb am Abenb
erft redjt, bann fagt man fid} gute Stad}t unb baS 33ud) ift ju ©nbe. ©figent*
lieh aber fönnte man am nädjften Sage wieber weiterplaubem, unb für eins
wenigftenS fönnte man garantieren: ©or Sängern eile ift jeber, ber nicht felbft
ein langweiliger ©eter ift, ftrfjer. Ser ,©ted)lin‘ leiftet baS, was man oon
einem poftljumen SBerfe fo oft oergeblidj erwartet, er ift ein gröfjeS, jufammen*
faffenbeS ©elbftbefenntnis beS Sinters .'.. Ser literarifdje SBert beS StomanS
mag anfechtbar fein, als eine gunbgrnbe gereifter SebenSweiSljeit wirb er
ftets unübertrefflich bleiben."
©.887 8-1.0 o.o. ftofflichen©enfation: Montane würbe inSomrdmh,
bem Seanne b’AroSorf, wohin ihn feine htftorifdhe ©affion geführt hotte,
am 5. Oftober 1870 unter bem ©erbacf)t ber ©bionage oerhaftet, oon ©ehörbe
ju ©ehörbe, ba jebe ber höheren bie ©erantwortlichfeit jufdjob, unb fchltejj*
lieh nach ber Qnfel Dlöron transportiert. Am 26. Stooember trifft bort bie
Stachridjt Oon feiner üerfügten greilaffung ein. Ser treue Sunnelfreunb
33. o. Sepel hotte eine Eingabe an baS ftriegSminifterium gemacht, baS fofort
beim Auswärtigen Amt beS Storbbeutfchen ©unbeS oorfteüig würbe. ©iSmard,
was Montane nie erfuhr, fdjrieb eigenhänbig an ben amerifanifchen ©efanbten
SBafhbunte in ©ariS, ber nach Ausbruch beS ÄriegeS ben ©chufc ber feinb*
liehen ©taatSangehörigen übernommen hatte: „9Jtein$err! Stach glaubwürbiger
SRitteilung ift Dr. ftontane, ein preufjifcher Untertan unb moljlbefannter ©e«
fchichtSfchreiber, auf einer wiffenfdjaftlichen Steife in franjöfifchen, bürch beutfcheS
SDtilitär befejjten Siftriften oerhaftet unb nach ©efan^on abgeführt worben,
wo er in SebenSgefaljr ju fein fcheint. SticptS fann ein berartigeS Vorgehen
gegen einen hormlofen ©eiehrten rechtfertigen. bitte ©ie baher, bie ©üte
ju haben, formell feine greilaffung Oon ber franjöfifchen Regierung ju oer»
langen unb auSbrüdlidj ju erflären, baff wir im SBeigerungSfaU eine gewiffe
Anjahl Oon ©erfonen in ähnlicher SebenSfteCung in oerfepiebenen ©täbten
fjranfreichs Oerhaften unb nach Seutfchlanb fchiden unb ihnen bie felbe ©e-
hanblung juteil werben laffen, bie bem Dr. Montane in granfreich belieben
ift. o. ©.iSmard." Sie birefte golge biefeS energifchen *ßrotefte§ .war bie
greilaffung.
©.354 8-2 o.o. fleinen Sichtungen: ©ie enthalten baS Fragment
(erften, Aft = jwei ©jenen im SönigSfcf)lofj unb ber ©ürgertaüerne) eines
fchwerfäüig epifierenben SrauerfptelS „Starl ©tuart". ©in AuSjug barauS ift
bie ©uritanerprebigt ber jefcigen Abteilung ©nglifd)=©<hottifcheS ber ©ebichte.
©.354 8-16 o. u. ©d)Wab: ©in prioateS Urteil beS greifen ©chwab
hat fich in einem ©rief an 2rr. ©ruppe (ogl. 8ettf<hrift für ©fidjerfreunbe,
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Stnmerhmgen
393
Sieue gotge 1 S. 189) ermatten. @r fdjreibt, Stuttgart 30. ©ejember 1849:
„©in ebler ©idjter fd^eint mir &err Montane in Berlin ju fetjn, nacf) ben
Seiträgen im Sltorgenblatt unb einigen Siebern ju fdjliefjen, bie er mir fürj-
lieh gelegentlich mitgeteilt, 3<h weif) fonft gar nichts üon ihm. Qft er ein
SfeubonhmuS?"
S. 866 8.17 o. u. SluSgabe: Sie hat ihren fombetenteften SRejenfenten
in ©heobor Storni gehabt. ©r finbet „mehr ©nfljoufiaSmuS als Qnnigfeit in
ber Statur beS ©ichterS", feine „poetifche Begabung mehr in ber ©arfteHung
als in ber ©mpfinbung". ©eine ©ebanfenboefie fteht „ftetS unter bem ©in»
fluff ber ©mbftnbung ober ift oielmehr auS ihr heroorgegangen".
S.856 3-4 b.o. Überfefcertätigfeit: SBegmann hat bieÜberfejungen
nad) SDlögtichleit genau batiert. gontane entnahm ijßerct)S. „Reliques of Ancient
English Poetry“ (1845) 11, Scotts „Ministrelsy of fche Scottish Border“ 7,
3- ©• SJtooreS „Pictorial Book of Ballads“ (Sonbon 1847) 3 SaUaben, im
gangen 21 Stüde, bie fi<h auf bie Qahre 1849—59 oerteilen unb nach unb
nach in ben ©ebichten oon 1851 (3), ber Slrgo oon 1854 (7) unb 1859 (4)
unb ben SaUaben oon 1861 pm erften Slbbrud gelangen.
S.360 8-16 b. u. gefommen fein: weijj wohl, bafj biefe Se*
Wertung ber herlömmlid>en SJteinung juroib erläuft, fbricht hoch felbft SJtinbe»
Ißouet mit „allerhöchfter Sewunberung" üon ben Saßabenüberfejjungen. Slber
auch falfche dft^etifdEje Urteile werben, burd) ©ewohnljeit geheiligt, übernommen,
erben fid) fort, felbft wenn baS wirtliche ©ntpfiuben fie längft forrigiert hat. —
Sluch Saumgarten, ber tiefbringenbe Slnaltjtifer ber Äunft ©. g. SJteqerS, meint
(granffurter 3 e ttung 1908 Str. 264): „$tan mufj fagen, baf} Montane weber
ben ©on ber SJtufter ganj getroffen, noch einen eigenen ©on gefunben hat.
©aS ©ragifche unb ©ämonifdje ift feiner Statur fremb. Sille biefe Sallaben,
wo eS bröhnt oon ©efecht, üon SJtorb unb großen SBorten, haben etwas oon
ber Äuliffenmalerei, wie baS fdfon ein Qugenbfreunb gontaneS richtig bemerlt
hat. ©S fehlt ihnen baS ißadenbe unb 3uüngenbe. Sluch fie leiben an ber
©oublettentrantheit, bie eben gontane als ©runbübel an ber jeitgenöffifchen
Siteratur erfannt hat."
S. 364 3-1 ü.o. Serfififationen: Montane fchreibt 1896 (20. Sep=
tember an §oüe) über beit 3hfiuS: „©injelne Stellen finb geänbert, aber ich
fürchte, nicht oerbeffert. SBaS mal fd)ief ift, bleibt fc^ief; bie Drthopäbie ift
in ber Äunft noch refultatlofeo als im Seben."
S. 864 3-4 O.u. Strd)ibalb ©ouglaS: Qntereffant ift bie ©ntftehungS»
gefehlte ber berühmten Sallabe. Montane fanb in einer Slnmerfung („bei¬
läufig baS ©tnjige, was ich aus bem ganzen biden Suche laS, baS ich beim Slb*
ftäuben nur jufäßig aufgefchlagen hatte") ju Scotts „Tales of a Grandfather“,
bafc Qacob V. „üiel Streit mit bem Slbel, befonberS ber ©ouglaS-^amilie
hatte. Slrchibalb ©ouglaS würbe fchliefjlid) auf SebenSjeit oerbannt. Stach
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394 Slitmerfuugen
fieben fahren fant er mieber uiib ftellte fid^ bittenb bem könige entgegen.
$et köitig u>ieö il)n aber ab, uitb jo mußte er baS £anb abermals »er*
taffen. @iit euglifdjct kernig, wenn id) nicht irre Heinrich VIII., mißbilligte
bieS unb fprad) ben Sieiinfprud):
A King’s face
Sliould givo grace.
$iefe Heine $ougla3gcfd)id)te marf>te einen großen ©ntbrud auf mid), unb
ba id) ganj ber Slnfidjt ton .ftcinrict) VIII. war, fo möbelte id) ben (Stoff in
bem entfpredjcnbcn Sinne. $ic Jpanptftiide beS ©ebichtS: bic 2lnfpracf>e be§
SouglaS unb bie Antwort bcS königS baranf, fdjrieb id) noch an bemfelbett
2lbenb, unb jrnar auf bem Falten, weißgetündftcu Sorflur beS königlichen
©d)aufpiclhaufeS. $d) holte meine grau ob unb fei) midi) noch fteljn, wie id)
ein Heines Slatt itad) bcin anbertt an ben 28atibpfeiler legte, um mit bem
Sleiftift, ber feilte rechte ©pijjc mel)r hatte, beffer fdjreibeit ober bod) baS
fftötigfte feftl)alten ju fönneit. ©S ift jeßt gcrabe toiergig 3al)re her."
©.872 3-5 t.o. fühlbar werben: ©ejeepausfi erzählt: „3d) eittfinne
mid) bcS fDIorgenS wie heute, als id), ein neunjähriger 3unge, in ber eben
angefommenen kreujjeitung Montanes ©ebid)t ,$er 2ag ton 3)üppel‘ auf*
ftöberte. ®ie lebenbe jüngere Generation wirb fid) faum eine SorftcHung
baton machen Föitnen, welche SBirfuttg baS ©ebid)t bei feiner erfteit Ser*
öffentlidjung wenige Stage nach bem ©turnt auf SMippel auSübte. 28er eS
heute jutn erfteitmal lieft, mag wohl fragen: ,28er war Riefle? 28er mar
Slnfer unb ©cßneiber? 28er war ißrobft unb klinfe?‘ Unb er muß fid) erft
jured)tpuben in ben anefbotifdjeu ©iitjeljügett, bie batnals burd» 3eitungS*
nad)rid)ten jebent kinbe befaunt waren."
©.872 3-15 b.o. 28o SiSntard liegen foll: ©ie fiitb 1901 in ber
§aHe beS SiSmardturmS im ©achfettwalbe, unweit bem SRaufoleum, auf
eiferner $afel in eingebrannter Schrift aitgebrad)t worben, g. Saumgarten
nennt fie mit IRecht „baS einzige ©ebidjt unter ben ltitjähligcn, bie Siöntard
gewibmet finb, baS würbig ift, Stewards Flamen ju tragen". — 3)refd)
(„Le roman social en Allemagne“, IJJariS 1913) gibt eine rhpthmifd) Oöllig
entftellte franjöfifcße Überfehung.
©.874 3-8 b. u. geleite Söhlau: „3)ie alten £cutd)eu" in bem Sttd)
„$er fchöne Salentin", 1886. Schott baS Sriefrcfcrat über bie fftobcllc geigt,
wie Sutower itachgewiefen hat, Spuren ber bid)terifd)eu Umformung, bie jum
$ri|j kafcfuß führt.
©.377 3-12 b. o. Sertiefung: 2>ie Soffifche 3cüung feßreibt 1911 in
9lr. 156: „Slm 20. Februar b. 3S. hut einer ber heftigen ©türme biefer 3eit
ben alten burd) gontaneS ©ebidjt befannt geworbenen Si'rnbattm über ber
28urjel abgebrochen, ©r war fo bicht neben bem ©rabgewölbe, in bem biele
bott fRibbedS ruhen, herborgefproffen, baß bie ©age cntftanb, er fei aus beut
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Stnmerfungen
395
©arge eines alten £errn ». SRibbed b er auSgewacbfen, bet bie Äinber fef>r
liebte unb fie ftetS mit Simen erfreute. 5tlS er ftarb, fo erjagt urfprünglidj
bie ©age, batte man öergeffen, bie Saften feiner Kleiber, in benen man
if)n in ben ©arg legte, na^jufetjen. ©o feien benn Simen mit ins ©rab
gefommen, unb auS biefen ein Birnbaum ^erüorgemac^fen. SRod) im »origen
gabt bat ber uralte Saum, ber wobt fünf ober fed)§ ©efdjledjter in SRibbed
fommen unb geben fab, ptacptboll geblüht. Eine Enfeltn beS UrgrofjüaterS
beS jepigen SefifcetS beS ^Rittergutes fRibbed, grau ö. SBiebebad}, geb. ». SBifc*
leben, bat fcbon, ebe gontane auf feinen SBanberungen fein nun weitbelannteS
©ebi<bt fdfrieb, im gabre 1875 bie alte ©age unb ben alten Saum befungen.
Unb als er fam jum fterben,
man in ben ©arg ibn legt,
benft nidbt an feine Staffen,
barin er Simen trägt.
Unb in bem näcbften grübiabr
mäcbft aus ber SEBattb am Xox,
fprofet auS bem Erbbegräbnis
ein Säumlein grün betöor.
S)er 3llte, ber im Seben
bie Äinber fo geliebt,
nun noch auS feinem ©arge
ben Stübern greube gibt,
gm $erbft »iel Heine Simen
ber Saum ftreut auf ben ©anb,
unb beut’ nod) greift mit gubel
banadb ber Äinber §anb. —
Sie Slbenbfdfatten faulen
bernieber allgemach,
Sa warb in meiner ©eele
bie alte ©age mach.
•Run ift ber alte Saum, ber längft morfd) getoefen war, ben aber armftarle
Eifenftämme fo lange geftüpt batten, babin. gn SRibbed berrfdbte wirHidfe
unb aufridbtige Trauer über ben gaH beS geliebten unb »ielbefucbten Prägers
einet ber bübfcbeften märfifcfjen ©ageu. Sie Trauer wirb aber gemilbert burcb
bie Hoffnung, bie fi(b an jwei ©pröfjlinge fnüpft, bie auS ber alten SBurjel
heimlich hinter bem alten Saum be*&orgematbfen finb."
gn SRibbed an ber Äirdje
ein alter Sirnbaum ftebt,
ber mit ben üppigen gweigen
ber Siirdje Sad) umwebt.
Son bobem Älter jeuget
ber ©tamm, fo mädbtig ftarl,
wäcbft fdbier auS bem ©emäuer,
wie aus ber Äirdje SRarf.
Son biefem alten Sirnbaum
gebt eine ©age $kx,
bie war als ft'inb ju böten
ftetS eine SBonne mir.
Ein alter SRibbed, Reifst eS,
war Sinbem bolb gefinnt.
SEßobl bunbertmal befcbenlte
im Sorf er jebeS Äinb.
gn allen ffileibertafcben
er Simen, 'Äpfel bat,
gab ftetS mit beiben £>änbett,
gab gern, genug unb fatt.
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
2$iBIiograp^if(^e0
, I. (Singelauögafcen*
1850 S3on ber fd)önen SRofamunbe. fRomanäenjtjfluS. Äafc*Xeffau. 111:63
(El)lerraann*Xre3ben).
1850 Süttänner unb gelben. Std)t ^ßreu^enlieber. 21. SB. ^atm^SSerlinf'
1851 ©ebid)te. I (SJiiniaturauSgabe): 6.9leintaru£«33erlin. II (75)—VII (01):
SB. &erfc*93erlin. VIII (03)—XXIII (19): Eotta 9?act)f.—. SluSgemätjlte
S3aüaben in EottaS ipanbbibtiotljef 9ir. 141.1 (07)—III (18). — Sateinifdje
9iad)bilbungen ton ©innfprüdjen bei S9ärnfteiit, Imitata (Seipjig 97).
1852 ®eutfd)eS Xidjteralbum. §g. t. Xi). gontane. D. 3anfe»SBerlin.
IY (termetjrt): 58 (93ad)ntann*93erlin).
1854 Strgo. 33elletriftifd)eS ^aljrbud) für 1854. §g. t. Xi), gontatie unb
gr. Äuglet. Äa|»Xeffau.
1854 Ein Sommer in fionbon. Äajj»Xeffau. (SSgl. unten „2tu§ Engtanb
unb ©djotttanb".) ^n 2tu§roat)t !)g. (1.—9. Xaufenb) als 3. S3anb ber
„©ammtung ton ©djriften jur 3ettgefd)id)te" bei ©. gifd)er*93erUn unter
bent Xitel „Xer engtifdje Straftet, fjeute wie geftem." (1916 u. 18.)
1860 enfeit beS Xtteeb. Q. ©fmnger*93ertin. (93gt. unten „2tu§ Engtanb
unb ©djotttanb".)
1860 2lu3 Engtanb. ©tubien unb S3riefe über Sonbonet Xtjeater, Äunft
unb ißteffe. Ebner & ©eubert=@tuttgart.
1861 S3allaben. SB. £er|*S3erlin.
1862 SBanberungen burd) bie äftarf 93ranbenburg. SB. £erfj*93erlin,
ff)äter Eotta 9iad)f. — SSon 1892 ab motjtfeite StuSgabe. — Erfter 33anb:
Xie ©raffd>aft SRuppht. 1:62. XIX: 19.—3tt>eiterS3anb: Dberlanb. 1:63.
XVI: 19. — Xritter S3anb: §atellanb. I (Dfttiatellanb): 72. Erft feit
ber II. Stuft. (80) lautet ber Xitel, ber SntjattSerweiterung entfprecfyenb,
„ipateltanb". XVI: 19. — SSierter S3anb: ©preelanb. I: 82. XIV: 19. —
©ußplementbanb: fjünf ©djtöffer. I: 89. IV: 19. — §ateltanb mit feit
1870 ergänjenbem -Jiadjtrag unb Qttuftrationen f|g. t. 2r. t. $obelti$.
(1910.) — $tt>ei SluSttmtjlen gibt Serbrott in EottaS ^anbbibliotlje!
9tr. 121 unb 183 (10. bejtt. 5. Xaufenb).
1866 Xer ©djIeStt)ig*§olfteinfd)eÄrieg im,3;aljtel864. Xeder*S3ertin.
* III: 63 ober III (63) bebeutet: btiite Auflage im 3al)t 1863.
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UMIVERSETY OF MICHIGAN
I. (Sinjelau3gaben
397
1870 Ser beutfdje ®rieg bon 1866. ^ttuftratiotten Don S. (Burger,
©rfter (Banb. 2)eder*(8erUn.— 3^tter (Banb: 71. — II (beibe S3änbe):
71 bafelbft.
1871 Ärieg3gefangen. @rlebte3 1870. Seder»S3etlin. 11(92)—YII(06):
g. gontane-SBerlin. — $1(3 wohlfeile £>od)fd)ulau3gabe ebenba in I. Stuft.
(= VIII.) 1910, in britter 1914 (27.-29. Saufenb be3 SBer!e3). —
(ßoßutäre t)iftorifd)e Stü3gabe 1914 ebenba. — Sa3fetbe Ijg. ü. $1.93uffe
* in Sefljagen & &tafing3 beutfd)en ©d)utau3gaben; tjg. b. $1. SBatljeim in
©raefer3 @d)utau3gaben flaffifdjer SBerfe, §eft 83. — 2)a3felbe in
Seutfdje Sugenbbüdjerei (Rr. 67. — 21). be SBtyjema, Souvenirs d’un
prisonnier de guerre allemande en 1870. (ßari3 92. (S3gl. (Berliner
2*geblatt 1892 (Rr. 366.)
1872 91 u 3 b e n S a g e n b e r £) f f u p a t i o n. 3wei 93änbe. Seder->S3erlin. IV (11):
g. 3rontane*93erlin. — ©efürjte 9lu3gabe 1914 bafelbft. — (Bon $1. (Buffe
Ijg. in (Beilagen & Ätafing3 ©ammtnng beutfdjer @<J)uIau3gaben.
1873 Ser Ärieg gegen grantreid) 1870/71. ©rfter (Banb (in $mei §alb*
bänben). Seder«S3ertin. — 3 we ü et (Banb (in gmei Jpalbbänben): 75 unb 76.
1878 (Bor bem ©türm. 4(BSnbe. 3B.$erjj»5Berlin. II (einbänb.(Botf3au3gabe):
98 bafelbft. — XX (19): ©otta (Radjf. — ©eEürjte einbänb.«©d)utau3gabe
mit ffiinl. unb Slnmerf-. Don 3. ^offmann unb 65.. (Banner: 1913 ba*
felbft. —' Sramatifdje (ßerarbeitung bon iß. ©tred (granffurt a/0. 1912
aufgeffiljrt). — (Borbrud: „Saljeim" XTV @.218 ff.
1880 ©rete dRinbe. SB.£>er^S3ertin. II: 88 bafelbft. — VIII (19): (Sotta
(Radjf. — gut @d)utjloede Ijg. o. SB. Skalier. (Rem«?)orf 1911. (SSgl.
Modem Language Notes XXVII ©. 87.) — $n (ß. fjet)fe3 (Reuem
Seutfdjen (Robettenfdjafc (Bb. 5. — 6otta3 |>anbbibliotljet 9h:. 203, 1918
(Stuft. 10000). — (Borbrud: „(Rorb unb ©üb" IX ©. 147 ff.
1881 gltern!lif>f>: SB.$er&*$Berlin. II:99 bafelbft. — VI(19): ©otta(Radjf.—
(Borbrud: „SBeftermann3 9Ronat3I)efte" (8b. 50 @.144 ff.
1882 £’2lbultera: ©. @djotttänber«(8re3lau. 11(91)—IV (02): g. Montane«
Serlin. — (Borbrud: „(Rorb unb ©üb" (8b. 13 u. 14 ($uni—Quli 1880).
1883 ©djad) Oon SButljenotb. SB. ffriebrid)3«£eipäig.— 111(94)—V (05):
$. ffontane*(8erlin. — (Borbrud: SSoffifdje 3eitung 29. ^uli—20. Stuguft
1882.
1884 ©raf (ßetöftj. SB.©teffen3*Sre3ben. 111:85 bafelbft. IV(03): ffontane»
93erlin. — (Borbrud: Seutfdje (Romanbibliotljef ju „Über Sanb unb
dReet" XII2 @. 649 ff.
1884 ©tjr. griebrid) ©Merenberg. SB.$erjj*93erlin.— II (in „©efammelte
SBerfe" II3): 08. — (Borbrud: (Boffifdje ßeitung 26.$uni—19. Qult 1884.
1885 Unterm (Birnbaum. ©rote»(Berlin (al3 23. (Banb ber ©ammlung
oon SBerfen jeitgenöffifdjer ©djriftfteller). III (16)—IV (19), 8. Saufenb,
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
398
89ibliograpf)ifct)e3
mit 3etd)nungen bon $. bon 8EBid)t. — 83orbrud: „©artenlaube" 1885
@. 533 ff.
1887 ©4 eile. @. Sommif»93eTltu. II (92)—IV (06): 3- Montane-Berlin. —
33orbrud: „Uniberfum" 1886.
1888 Errungen, 8Birrungen. 856. Steffenä*Seif)jig. II (91)—XV (10)
(21.—22. Saufettb): 3- 3rontane»83erlin. — SSorbrutf: SSoffifdje $eitung
24. 3uli—23. Stuguft 1887.
1890 ©tine. 3.3ontane*33erltn. II (90)—XV(11) bafelbft. 83orbrud: SEBo'djen*
fdjrift „Seutfd)lcmb" (ljg. b. gr. ajiautfjner) I @. 285 ff.
1891 Quitt. SB. $erp*83erlin. II (02)—IX (19): ©otta 9tad)f. — 83orbrud:
„©artenlaube" 1890 ©. 8 ff.
1892 Untoieberbringlid). SB.#erp-S3ertin. 111:98 bafelbft. — VIII (16):
©otta 9tad)f. — SBorbrud: „Seutfdje Stunbfdjau" 93b. 66 u. 67. — 3it§
Sänifdje überfept bon $e3 Spapfen. ftopenpagen 1894.
1892 3t0U'3 c > tn 92: re ^ e ^ 3.3ontane»83erlin. 111:93.—16.Saufeitb:05.—
Slorbrud: „Seutfcpc Stunbfcpau" 83b. 70 u. 71.
1894 83on bor uttb nad) ber Steife. Klaubereien unb Keine ©efdpkpten.
3.3ontane»S3ertin. 111:08. 83orbrude: „3ur guten ©tunbe" I ©.813,
„Seutftpe Stunbfcpau" 83b. 76. — SluSwapI in ftürfcpner3 93ii<^erfc^o^
9tr. 764 u. 848; in ber „SBeltliteratur" (3Baltper ©. 3- fitrtp, 30tündpen)
1916 Kr. 40.
1894 33teine Stinberjapre. 3- 3ontane*S3erlin. III: 94. — VII (iüuftriert):
11. — 83orbrud geplant in ber „Seutfcpen Stunbfcpau". (8gl. 83riefe 12
@. 282.)
1895 ©ffi 93rieft. 3.3ontane«83erlin. III (95)—XXXIII (15) bafelbft. 34. big
43. Saufenb in ber „9teiten Stomanreipe" ©. 3ifdKt*S3erlin 1919. —
Überfept ittsS 3wnjöfifcpe bon 30t. Selincä, 1903 3- 3 0 btane*83erlin (bgl.
©. ©cpott, SOtündpner 2lHgemeine Leitung, 20. September 1902), juerft im
3euiHeton be3 „Semp3"; in§ Siufftfcpe bon 81. b. Sleinpolbt (erfeptenen
in ber „fRoffija"); ins ©eptoebifepe bon @. Sunbqnift (©todpolm 1902).
SSorbrud: „Seutfcpe Stunbfepau" 83b. 81—82.
1896 Sie Koggenpupl^. 3- 3ontane*S3erlin. IV: 97.—20. Saufenb: 13.—
83orbrud: „33om 3^ jurn SDteer" XV1 @.24 ff.
1898 SSonSmanjigbUSreifüg. ^ Montane*83erlin. III (98)—VII,
iUuftriert (13) bafelbft. — 83orbrnd bon Seiten im „Kon", „$>eutfcpe
SRunbfcpau", „.ßufunft", „©oSmopoliS" u. a. D.
1899 Ser ©tecplin. 3- 3ontane*8erlin. V(99)—XXVI (16) bafelbft. —
27.—36. Saufenb in ber „Oteuen Stomanreipe" @. 3ifcper»S3erlin 1918.—
Korbrud: „Über Sanb nnb 30teer" 83b. 79.
1900 2lu3 ©nglanb unb ©cpottlanb. (Sufammenfaffung ber 33ü<per „®iu
©ommer in Sonbon" unb „Qenfeit be§ Stoeeb".) 3- 3° n tane'83erlin.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
I. ©injetaufgabeu
399
III: 14. — »on 21. »uffe in »elljagen & Slafingf Sammlung beutfcher
Schulaufgaben her auf gegeben.
1904 Sritifdje ©auferien über ©heater. &9-b- »•Schlender. Soutane»
»erlin. III: 04.
1907 2luf bem ÜRachlafj. |>g. o. ©ttlinger. (»tathilbe ÜDlöhring. ©ebid^t*-
9?acf)lefe. Siterarifdje Stubien. unb ©inbrüde. ®ie üülärfer unb baf
»erlincrtum.) S- Sontane»»erlin. YI:08.
*
mirb ber 2lutorfchaft gontanef oft gugefchrieben baf anonpm
erfdjienene SBurf): „©eutfdfe ^nfdfriften an $auf unb ©erät. $ur
epigrammatifchen »oüfpoeifie." (§er|»»erlin 1865.) ©er §eraufgeber
unb »erfaffer bef an ben Sanberungfftil ^ontanef anllingeitben »orwortef
ift, nadt) ber Sifteilung bef früheren »rofuriften bef ^erfcfchen »erlagef,
§errn 2Ilfreb Sauter, ein 2lmtfgerict)tfrat ftord in »erlin, üon bem aud) bie
gleichgerichtete anonyme Sammlung „Saljl» unb Sappenfprüd)e" unb ber
unter bem »feubonput f$all erfchienene „Spruchfchretn" herrührt. — Saf
aufserbem 21. »artelf in ber ^weiten 2luflage feinef juerft 1906 erfd)ienenen
„^anbbuchef jur ©efdfidfte ber beutfchen Siteratur" alf „jweifelhaft" fon»
tanifd} anführt, ift fämttich anberer $er!unft.
®ie „2trgo" (1854), bie baf »efte auf bem ©unnel einer breiteren
£)ffentlid)Ieit befattnt geben wollte (bgl. über ben »tan ber ^eraufgabe unb
bie noch folgenben Jahrgänge bon 1857—60 §. ©affif, „2luf gontanef Serbe»
fahren", »offifdpe Leitung 1908 2ir. 46), bringt oon Soutane bie fpäter nicht
mehr gebrudten »rofabeiträge „©olbene $ochjeit", „©udf unb Sode", „Qamef
Sonmouth".
»on ben beiben Sefeit auf ben „Säuberungen", bie »erbrom herauf»
gegeben unb eingeleitet hat, ift bie erfte bem »tauberer, ^bplltfer unb Sanb»
fchafter Montane gewibmet unb, wenn auch im einzelnen wie febe 2tufwahl
fubjeftiü unb biflutabel, ber jweiten („2Jlärfer. ©ine 2lufwahl btograpl)if<h»
hiftorifther ©arftellungen auf ben Säuberungen burdf bie Sölar! »ranben»
bürg") entfehieben oorjujiehen, bie ben Stoff ohne 9tot „um brei grofje
»länner bef preufjifchen Staatef" gruppiert unb für baf Spejififdje ber
biographif^hrftorifd^en ©arftellungf weife gfontanef nicht genug ©fjaralteriftifchef
beibringt. @f fehlt ba baf »efte: Sarwijj, ©paer, ©enjj. »on ber Satte»
©ragöbie muh ber gezwungenen Stoffeinteilung wegen gerabe bie entfdfeibenbe
unb fo überauf «haralteriftifche Stellungnahme gontanef, „©af 9ied)t unb
baf Schwert", fortbleiben.
*
©eplantef, baf ber ©egt btefef »udjef nicht erwähnt: »olffbucp ©uftao
2lboIf, 1851 (Ogi. »riefe II1 S. 35). — ©pof »arbaroffa in ».erfen, 1851
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UNIVERS1TY OF MICHIGAN
400 ©tbliograpljifdjeä
(ögt. ©riefe II1 S. 30). — ©otfSgeift uttb ©olfStebeit in feinen 3nfd)riften,
1853 (bgl. ©riefe II1 S.87). — ©tan, nicpt nätjer fixiert, ju einem „Sd)itt"
unb einem „SBotfep", 1854 (bgt. ©riefe II1 S. 127). — Unbetitelter Vornan
aug ber ÜJtitte ber fiebgiger gatjre, 1879 (bgl. ©riefe II1 S. 413—15). —
Steonore. 9?obette, 1880 (bgl. ©riefe II2 6.9). — Sibonie boit ©ordte. SZobetle,
1879—81, geplant im Stil ber ©rete ©tinbe unb aug berfetben 3rit (bgl.
©riefe III S. 416 unb II2 S. 54). — Stord) bon Stbebar. SRoöefle, 1881,
im ©tan an Sdjacfj öon SButtjeno» erinnernb unb auf berfetben 3rit (bgl.
©riefe II 2 ©. 46 u. 52). — Sie ßifebeeler (Älaug Störtebefer). ©outan,
1887—95 (bgt. ©riefe II2 S. 136, 343—47, 352 unb Sljomag SDtann, 3 U *
tunft 73 S. 1 ff.).
©roben aug gontaneg SEBerfen in: ©. Saljmg, ©erntania. Seutfcf)e
Sidjter ber ©egennmrt in SBort unb ©itb. ©roben bon 70 mobdmen
beutfdjen Sidjtern, boit biefen felbft auggewätjlt. ©ertin 1891. — Montane'
©rebier, fjg. b. ßtga unb ipetnricf) Spiero. ©ertin 1905.— ßiterarifdje Secfer-
biffen. Sammtung bon Äabinettftüdfen beutfdjer unb auglänbtfdjer ßiteratur.
3meiter ©anb, 1912. — SB. ßetpiljoff, Spiele unb Streiche aug ben Äinbtjeitg*
tagen beutfd)er Siebter unb ÜDleifter. Slug ben Setbfterlebniffen auggen>ät|lt.
ßeipjig 1913. — St. ©urbad), Unfre märfifdje Heimat. Sine Slntljologie für
©ertin unb ©ranbenburg, tjg. b. ©. ©orbljaufen. ßeipjig 1912. — ©. ©title,
Unfere grofjen Siebter unb Scpäfce aug ifjren SBerfen. ©anb 4. 3*®^««
SBett unb Sinfamfeit. 1911.
II. ©efammelfe 2K5erfe
1890—91 ©efammette ©ontane unb Stobelten. 3toölf©anbe. Seutfdjeg
©erlaggffaug*©ertin (g. gontane & So.). — Qntjatt: ß’SIbultera.
©raf ©etöft). Sdjad) bon SButtjenom. Unterm ©imbaum. ©or bem
Sturm, ©rete SDtinbe. Stternflipp. Sfcile. grrungen, SBirrungen.
Stine. Äriegggefattgen.
1905 ©efammette SBerle. I. Serie (SRomane unb hobelten): 10©änbe.
g. gontane*©erlin.— l; ©or bem Sturm. 2: ©or bem Sturm (Sdftfufj).
©rete SRinbe. Stternflipp. 3: ß’Stbuttera. Sdjad) bon SButtjenom.
4: ©raf ©etöfp. Sdcile. 5: Stine. Errungen, SBirrungen. 6: Quitt
Unterm ©imbaum. 7: Untbieberbringlid). 8: grau gennp treibet.
Sie ©oggenputjtg. 9: Sffi ©rieft. 10: Ser Stettin.
1908 ©efammette SBerfe. II. Serie (®ebid)te. J Jlutobiograpl)ifdjeg.
©eifebüc^er. ©riefe, üritifen. Siadtjtafj): 11 ©finbe, bafetbft. —
1: @cbid)te. 2: Sföeine tinberjafjre. ©on 3roanjig big Steifjig.
3: ©on Qtoanjig bigSreifjig (Sd)Iuf}). ffif)r. g. Scperenberg. 4: Slug
Snglanb unb Sdtjotttanb. 5: Äriegggefangen. Stuf ben Sagen ber
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UNIVERSITY OF MICHIGAN J
II. ©efammelte Serie
401
Offubation. 6—7: gamilienbriefe. 8: Äritifd)e (Sauferien über
Realer. Sie ßonboner Sfjeater. 9: 9tu§ bem Stadjlaß. ©on tior
unb nad) ber Steife. 10—11: ©riefe, gmeite (Sammlung.
1911 ©erliner Stomane. Srei ©änbe, bafetbft * — 1: ©tine. Errungen,
Sirrungen. SJtatljitbe SJtölfring. 2: S'SlbuItera. ©edle. 3: grau
gemtt) Sreibet. Sie ©oggeupuljlö.
1908ff. ©ibliottyel geitgenöffifdjer Stomane. ©. 3rifdfjer*©erlin,
I. Qa^rgang, ©anb 1: S'Slbuttera (80. Saufenb). II3: Steile (68.
Saufenb). III1: igttungen, Sirrungen (93, Saufenb). IY l: grau
SenmjSreibel (80. Saufenb). VI5: SatIjilbeSJtöljring (48. Saufenb).
1915 ©efammelte Serie. ©ine 9luömal)t in fünf ©änben. Silit einer
©inleitung tion ©. ©djlentljer. Safelbft.— 1: ©ebicfyte. ©rete SJtinbe.
<&ä)ad) tion Sutljenom. Unterm ©itnbaum. 2: S’SIbultera. ©örile.
Unmieberbtinglidj. 3: ©tine. Errungen, Sirrungen. grau gennt)
Steibel. 4: Sie ©oggenfmlilä. ©ffi ©rieft. 5: Ser ©ted>lin.
*
Sie SluSgabe tion,1890—91 mar eine Totgeburt, ber man tior*
miegenb beöljalb gum Seben tierljalf, um bem Sidjter gum fiebgigften ©e*
burtötage eine greube gu bereiten, ©ie ift nidf)t djronologifd) georbnet unb
gerteilt mandje Serie auf gtoei ©änbe.
^auptauSgabe tion 1905 unb 1908. ©ie enthält nidjt bie „Sanbe*
rungen" unb „ft'rieg3büd)er", tion „9Iu§ ©nglanb" nur ben erften Seil mit bem
©efamttiorroort in gmeite ©erie ©b. 8. @3 fehlen ferner bie 2lrgo*StoüeIlen
unb bie unreifen Anfänge aus ber 91 ^j oefergett. .
Sie Ausgabe ber ©erliner Stomane ift gum größeren Seil etfefj}
bur<$ bie ©ublilationen ber ©ibliotljel geitgenöffifd)er Stomane.
@d)lentl)erö liebetioß eingeleitete Sluämaljl in fünf ©änben bringt
neben ben meiften ©ebid^ten alle StotieHen ber SOiittelgeit unb epifdfien ©bat»
merle tion „S'SlbuItera" bi§ gum „©tedjlin" mit Sluönaljme tion „SJtatliilbe
SJtöljring". ©on ben grüljmerlen fef>It „©or bem ©türm" (auö Umfangö*
rüdficf)ten) unb „©HernUibb", tion ben Stebenmerlen „Quitt", ,,©raf ©etöftj",
„©on tior unb nad) ber Steife", greilid) Ifätte man in biefer ©ollSauggabe
an ©teile tion „©rete SJtinbe", „©djadj", „Unterm ©imbaum" eine fiefe aus
ben „Sanberungen", an ©teile tion „Unmiebetbringlid)" bie „Stinberjaljre"
lieber gefeljen. — ©ine gmeite „Stuömaljt", an bie gmeite ©erie ber ©e*
fammelten Serie tion 1908 anfdfUefjenb, foü mit @. |>eilborn alö $etau§*
gebet bemnäd)ft erfdjeinen.
* Sämtiidje im 8erlag bon S* Sontane*8ertin erjdjtenenen SBerfe unb Ausgaben bon
Xljeobor Soutane, alfo audj bie (BefamtauSgabe in amei «Serien bon 1905 unb 1908, finb 1918
an ben SBetiag S. SifdjLer*8erlin übergegangen.
SBanbretj, Soutane 26
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
402
BibIiograpljifdf)eS
kleinere, nicpt in bie ©efammelten SBerfe aufgenommene Arbeiten:
Bier öergeffene Slrtifel auS bem ftaljt 1848 (Boffifdje 3eitung 1907 SZr. 43). —
$tei Stuffäpe auS ber Berliner 3eitung§fiaHe oon 1848 (ÄarpeleS, gontaneS
politifdfe Anfänge, Beitgeift 1909 SZr. 32). — Unfete Itjrifcpe unb epifdje ißoefie
feit 1848 (Slarl Biebermann, $eutfdf)e Slnnalen, Seipjig 1853). — Sfuffag
über £f)eobor Storm (Sßteufjifdje 3 e üung 17- Suni 1853). Bgl. Briefe II1
S.96. — Sluffajj über SBiöibalb SUejiS (Bagreutf)er glätter 4. 1883). —
©uftao greptagS Soll unb fabelt (Siteraturblatt beS $cutfdjen ^unftblatteS,
Ijg. 0. gr. ©ggerS, 26. 3uli 1855). — SRein ©rftling: $aS Scplacptfelb oon
@ro§»Beeren (in @. gran^oS’ ©efdfjidjte beS ©rftlingStoerfeS). — ©ine Selbft»
djaralteriftif (2itetarifcf)eS ©d^o 4 S. 430). — 5He gefeUfcfiaftlidje Stellung
beS SdfriftfteHerS (anonym im SRagajin für Literatur, 26. Sejember 1891). —
SZante ©trumpf als ©tjieljer (anontjm in 2)eutfd)Ianb, SBodEienfdljrift l)g. o.
f$r. SRautljner, 19. Slpril 1900).
III. 2$riefe
Montanes Briefe an feine ftamilie. Hg. o. 0. ftritfdj. Dam Bänbe. g. fjontane*
Berlin, 1904. YI: 11. (3itiert als Briefe 11 u. 2.)
Briefe, 3weite Sammlung. §g. o. 0. Sßittoroer unb iß. Sdfjtentfjer. 3»ei Bfiitbe.
fcafelbft 1910. IV: 10. (3iert als Briefe II1 u. 2.)
Brieftoedjfel mit SBilljelm SBolffoljn. £g. o. H- SEßolterS. Bonbi*Berlin 1910.
(3uerft in 9?eue SRunbfdjau XXI3.)
0. Sßniotoer, Briefe an 0tto Braljm, Sßaul unb ißauta Sdfjlentljer. SZeue 9hmb»
fdjau XXI4 (1910).
£. SBidfpnann, großes unb ©mfteS aus meinem Seben. Seipjig 1898. (Sin*
Ijang S. 16—41.)
SR. SZeder, Ungebrudfte Briefe üon Xtj. Montane (an ben Herausgeber). SZeue
greie Sßreffe 1905 SR. 14594 S. 34.
Briefe an bie Siebaltion ber ftreujjeitung. 1902 SZ. 377, 378, 381.
*
Bier Briefe an Dr. ©. Äefjner über BiSmard. Sübbeutfdje SRonatSIjefte XII2
(SIpril 1915).
SR. Sßerner, 3wei Briefe gontaneS. SZation XVI S. 71—72.
H- Seiner, ©in paar f$ontane*Briefe. SiterarifdfjeS @d)o I S. 877 f.
§. Berger, ®rei unberöffentlidjte gontanebriefe. SRündfjner Slflgemeine gettung
30. Slpril 1910.
Unüeröffentlidf)te gontanebriefe. Bücfyerfcpau (®üffelborfj III S. 1—4.
SB. Stammler, Blatteten oon ber $anb %t). Montanes. Boffifdfje 3eitmtg 1912,
Sonntagsbeilage 15.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
III. »riefe
403
£. Hirfdjberg, AuS ber »rieftafdt)e bon D. g. ©ruppe. geitfcprift für »üd£)er*
freunbe. 9teue gotge 1 3. 192.
gontane an Sina gufyr. »offifcpe 3eitung.l904 9t. 329.
Gin »rief gontaneS. 3eitfdf)rift für »ücfjerfreunbe. 9teue golge IY <3.307.
»rief gontaneS an g. b. »eer. gafirbucp ber ©efettfdjaft für bilbenbe Äunft
unb baterlänbifdje Altertümer ju Gmben. XIV <3.468.
»rief gontaneS über baS »erliner 2en!matSetenb, bom 28. V. 1873. Sunft*
wart XX 2 <3.405. *
günf »riefe an Otto granj ©enfidfjen, »erliner »örfenjeitung 1916 91.485.
»rief bom 6. IY. 1895 an ben Herausgeber ber ©egenwart über bie »iSmarcf*
Umfrage bom 1. IV. 1895. SiterarifdljeS Gdjo 19 3. 583.
»riefe an bie »rebows. Äreujjeitung 1918 91.536 u. 540.
*
©. grieblänber, gontaneS Sinn für geierlidjfeit (mit einem »rief bon 1884),
»offifdfje Leitung 1907 9t. 401.
3. Horwijj, Zf). gontane. ©in GrinnerungSblatt. 9tation XVI <5.6—7.
». b. fiepet, 40 galjre. »riefe an 21). gontane bon 1843—83. »erlin 1909.
(SBenig ergiebig, »gt. ©renjboten LXIX15.)
*
2ie beiben umfaffenben Sammlungen bon 1904 (376 »riefe) unb
1910 (651 »riefe), bon benen bie erftere teils gefürjt, teils ergänzt in neuer
©eftalt bom »erlag geplant wirb, fjaben bei Grfdjeinen ben weiteren 9tad)*
patt gefunben. 34) erwähne bon biefen »efprecfyungen: ©. »uffe (2)eutfd(je
MonatSfdljrift 8 <3. 81), g. Mauttjner (SiterarifcpeS Gdpo 8 3.157), g. Gtt*
Iinger (Mündpner Allgemeine Leitung 1905 9t. 90), g. »oppenberg (9tation 22
3. 343), A. ©loeffer (»offifcpe Leitung 1904 9t. 605), M. 9tecfer (2>ie Sßage,
SBien, 7 9t. 9), g. 2ernburg (»erliner 2ageblatt 1909 9t. 617), D. »lumentpal
(9teue greie »reffe 1909 9t. 16300), @. »ertram (Mitteilungen ber Siterar*
piftorifdpen ©efeüfcpaft »onn 5 9t. 6), §. Sdpneiber (©renjboten 71, 2 3.83),
2p. Mann (3ufunft 73 3.1—21), G. Heilbom (fiiterarifcpeS Gdpo 12 3.1298
bis 1303). 3ie fudpen gumeift im Anfdptufj an bie »riefe ein Gparatterbilb
gontaneS gu geben. — Über bie ©efidptSpunfte ber AuSwapt in ben beiben
Sammlungen orientieren bie »orworte. — ©ine britte fotl bemnädpft perauS*
fomnten.
»roben brachte juerft baS fiiterarifdpe Gdpo unb bie 9teue ®eutfdpe »unb*
fdpau, teuere audp bon bem wenig ergiebigen »riefwedpfet gontane*
SBotffopn. — „Ginige 9tacpjügler, bie für ben 2>rucf ber Beriten Samm*
lung leiber ju fpät ans 2ageSüdpt traten", gibt £). »niower.
SBidp mann bringt bie neben unb bor ben beiben großen Sammlungen
widptigfte »eröffentlicpung, 29 Stüdte, »riefe unb »oftfarten, bon benen nur
26*
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404
©ibliograptjifdieg
3 in bic $weite (Sammlung aufgenommen finb. (Sine gütle charafteriftifdjer
Äußerungen Aber bag eigne Seben, ©Raffen unb ©trauen, über Seutfdjlanb,
©erlin, gtalien, über ©rieffKt, Slutobibafig, ©erfönlidjfeiten (©.§el)n, 2t. SHenjel)
u. a. m. — ©ef)t intereffant ftnb aud) bie ©riefe an ben öfterreic^ifd^en Siterar*
Ijiftorifer SOI. Werter (»gl. Siterarifcfjeg (Sd)o 7 ©. 1127) unb bie Kreuj-
jeitunggrebaftion »om ^weiten Sonboner Aufenthalt (»gl. Siterarifcßeg
<S(ßo 5 ©. 34).
IV. 23üc^er unb 3)iflVrfafionen
g. ©et»aeg, Sßeobor gontane. Sertin 1900 (im wefentlidjen = „$ie$)idjtung"
Ijg. ». iß. SRemer, ©b. 24. — ©orftufe ba»on im „©an" 1899, 3).
3- (Sttlinger, S^eobor Montane, ©anb 18 ber Sammlung „2)ie Siteratur",
hg. ». ©. ©ranbeg.
(S. ©roner, gontaneg grauengeftalten, ©erlin 1906.
©.». ©jcjepangfi, X^eobor gontane. $effeg ©olfgbücherei 9t.866—67.
9i. ©ranbt, 23jeobor gontane. ©elljagen & Klafingg ©olfgbüdher 9t. 97.
©. SBegmann, Jßeobor gontane alg Überfeßer englifdjer unb fchottifdjer
©attaben. ©iffertation, ÜJtfinfter 1910.
A. © <h u 11, 2)aS grembwort bei SL^eobor gontane. ©iffertation, ©reifg-
toatb 1912.
@. 9Benger, Üfjeobor gontaneg Sprache unb ©tit in feinen mobernen
9tomanen. ©iffertation, ©reifgwalb 1913.
©.Krider, S^eobor gontane. ©on feiner Art unb epifd»en ©edjnif. ©ertin 1911.
(©onner ©iffertation.)
©. Krider, S^eobor gontane (mit einem Korreferat »on ®. Sifcmann). SJtit-
teilungen ber Siterar^iftorifdien ©efeflfchaft ©onn IX 1—2.
®ute Heine 9Jtottographien jur ©infüßrung ^aben ©eroaeö unb (Su¬
linger gefdjtieben, befonberg lepterer mit »ortreffticfyen ©emerfungen all¬
gemeiner Art unb ju einzelnen ©Serien, wäljrenb ©roner !aum über eine
gufammenftellung bet in ben 9tomanen »orgefunbenen beffriptioen ßüge
ßinauglommt. gm Anf<hluß an bie Autobiographien entwirft ©jcjepangfi
ein Sebengbilb gontaneg, bcffen populärem gmed bie reid)li(ßen 3üot e unb
gnljaltgangaben entfprei^en. ©ag weniger gelungene ©ranbtfdje §eft ift
mit güuftrationen (gontanebenfmäler, -bilber, -ftätten) gefchmüdt.
Unter ben ©iffertationen ift bie Arbeit SBegntanng wertüotl butdj bag
Surüclgteifen auf bie ©unnetprotofolle, bie teilweife jum Abbrud gelangen
unb eine genauere Datierung »ielet ®ebid)te ermöglichen. ©ag 3^1, bie
„übertragenen ©atlaben »om fünftlerifchen unb Philologien ©tanbpunlt
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UNIVER^Ty OF MICHIGAN
IV. ©üd)er unb Siffertationen. — V. Auffäfce, Sieben, Slejenfionen 405
au§ ju würbigen", ift nur in ^infidjt beS ^£)üoIogifc^en erteilt. SB. meint
aus bet engen Äfthetit beS neunzehnten ^ahrhuiibertS einen abfolut gültigen
SDtahftab für bie alten Sichtungen gewinnen ju tonnen unb betrautet bie
Anbetungen gontaneS a priori als ©efferuitgen. — 33on ben ©reifSmatber
Unterfuchungen ermeift fid) bieSchulfcfche wenig fruchtbar, wätjrenb SBenger
toont ©egriff beS fontanifdjett SteatiSmuS als einer'SOfcifdjung fubjeftiber unb
objeftiber (Elemente aus unb ohne bie bauernbe ®ejiet)ung jum dichter aufjer
ad)t zu taffen, beffen Stil als AuSbtucf bet ©erföntichfeit erforfdEjt unb in
bieten fünften, ^inftcf)tticO beS ©efprächhuften, ber mäßigen unb gemitberten
©erwenbung beS SialefteS, ber ntünblichen UmgangSfprache, beS Antithetifcpen
unb ber franzöfifchen (Einflüffe, beS Gebrauchs bon Zitaten ?c. zu brauchbaren
(Ergebniffen gelangt.
Qn noch höherem SSHa^e ift bieS bei Äri cf er ber 3falt. Stur greift er
in ber Deutung feines reichen unb übersichtlich gruppierten ©eobacptungS*
materialS feht. (Er will bie „toefentliehen mieberfehreitben Kunftmittel auf ihr
pfpchotogifcheS Korrelat" zurüefführen, bie ftiliftif<h*te<hnif<he Unterfuchung auf
bie feelifdje (Eigenart Montanes grünbeit. Aber biefe ©afiS toitb aus ber
Kortefponbenz gontaneS gewonnen unb bamit einer ber häufigften f^ef>ter
inteltettuatiftifcher Siteraturerttärung begangen, bie S3ermechfetung bon ©er*
föntichfeit unb ©ribatperfon beS Autors. KriderS fjontanebilb ift, auf ©runb
einiger ©tiefe bom SDtärz 1888, tbitltürlich ins Schwarze berzeichnet. (Er
fieht wot)I bie Polarität beS fontanifchen SBefenS, aber beren Auffaffung
atS einer „Umbiegung ber zmingeitben ffeptifchen fiellfichtigfeit in ben er*
Iöfenben fataliftifchen Optimismus" bertennt, ganz abgefepen babon, bah h c
baS Sidjterifche Montanes aufheben würbe (ba ein Sichter nie umbiegt, „un*
eigentlich" ft<h auhert, wenn er wirftief) einer ift), auch baS SBefen ber menfd)*
liehen ©erfönlichfeit ftontaneS, baS gerabe auf bem ©leichgewicht feiner ihm
freilich fehr wohl bemühten ©egenfä|li<hfetten C3<h unb Orbnung) beruht.
Kricfer, burch momentane StimmungSäuherungen betführt, will in fjontane
eine „gteichgewicptStofe Seele" finben, bon ber hoch in ber pofitiben, un*
bebingten ©rofabichtung ber bottfommenen Stomane nichts zu fpüren ift. —
Auf ben Irrtum, bah ttare SBitb einer ©erfönlidjfeit erft auS ©riefen
unb bergteichen retatiben Setbftzeugniffen zu gewinnen fei, auf bie methobifdje
©efaht ihrer ©ermertung zu pfpchologifch'literaturmiffenfchaftlidier Arbeit weift
nachbrücftich ©. Sifcmamt im potemifchen Korreferat zu Kricfer hi«-
V. 2Tuf|a§e, Dteben, Dte^enftonen
(E. Atberti, Sh- 3- ©efettfepaft 1889, 4.
©. Amann, unb fein franzöfifcpeS (Erbe. (Euphorion XXI S. 270, 623,
790 ff.
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406
©ibliograpljifchcS
0.©rahm, ftritifdjeSchriften. 1915. 3meito9©mb ©.266-^-79 [= Errungen,
SBirrungen (granlfurter 3eitung, 20. IV. 88); Unmieberbringlich (greie
Söüf^ne, 2. XII. 91); S1). g. f (©eue Seutfche ©unbfdjau, ganuar 1900)].
ft. ©urbach, Sl). g. SRebe bet ber ©ntpttung feines Senfmals in Berlin.
Seutfdje ©unbfdjau 144 ©. 64—72.
ft. grenjel, 5- als ©rja^Ier. Seutfche ©unbfchau 129 @.153—57.
0. grommel, teuere beutfcpe Siebter in ihrer religiösen Stellung. ©erlin
1902. @.145—78.
Dr.phil. ^elene $errntann, Sh-g.3 @ffi ©rieft. Sie ©efc^id»te eines ©omanS.
Sie grau XIX ©. 543, 610, 677 ff.
g. £>ertoig, SI>. g. Über ben Sßaffern V @. 77, 114, 374 ff.
§. £> er 8, ©ifdjofSworte unb feetforgerlic^e ftritil. ©üdbermelt IX ©. 142,201 ff.
g. ftinjel in ß. SBeber: Sie SBiffenfdjaften unb ftünfte ber ©egenmart in
ihrer Stellung junt biblifchen ©fjriftentunt. 1898.
©. ßifjmann, 3 ur ©ntmicflung beS mobenten beutfdjen ©omanS. Seutfdje
©ernte XX 2 (1895).
9©. ß o r e n 8, £1). g. als Sinter unb ftritifer. ©reufjifdje gahrbücper 94
©. 191—205 (= 9©. ß., Sie ßiteratur am gahrhunbertenbe. ©tutt»
gart 1900).
©. 3©. SKeper, Sh-g. Allgemeine beutfdpe ©iograpljie ©b. 48 @.617—24
(= ©eftalten unb ©robleme. 1905. @. 203 ff.).
9SR. SD’Zetjer, Sie beutfcpe ßiteratur beS 19. gahrljunbertS. ©erlitt 1900.
(„3wei 9©eifter".)
tp. ©anteniuS, St). g. ©elljagen &ftlafingS 3©pnatShefte 1893,2 @.648—56.
0. © n i o ro e r, Sichtungen unb Siebter. ©ffapS unb ©tubien. 1912. ©. 286—350
[= Sh- g. (Sag 20. IX. 08); ©rete ©linbe (9©onatSbtätter ber ©efenfepaft
für fpeimatslunbe ber ©robin8 ©ranbenburg 1903); grrungen, SBirrungen
(Seutfche ©unbfchau, Auguft 88); gri| ftapfufj (©eue ©unbfchau, 9©är808)].
g. ©oppenberg, 3w« ©enerationen im ©ornatt. SRagasin für ßiteratur 63
@. 1192—99.
g. ©oppenberg, Sp- g. ©eue Seutfcpe ©unbfdjau EX ©. 1078—84.
©. ©djlentljer, Sp. g. ©ortrag gehalten in ber freien literarifchen ©efett*
fchaft am 17. Oft. 1892 (3©aga8in für ßiteratur 61 ©. 737—40). —
Sh- g. (©eue greie ©reffe 1898 ©. 12247). — Sh- g. (Seutfcher ©efrolog
©b. III @. 296—312), oertoenbet bie beiben erften Arbeiten. — Sh- g. int
Siergarten. 3«r ©ntpüllung feines SenftnalS (©erliner Sageblatt 1910
©. 226).
@. @d)mibt, Sh- g. Seutfdpe ©unbfepau 97 @.270—83 (= ©parafteriftifen,
8tt»eite ©eipe. 1901).
©. ©dpmibt, Sh- g. ©ebe bei ber ©ntpüHung beS 2Biefefcf)en SenfmalS in
©eu*©uppin am 8. VI. 07. Seutfdje ©unbfepau 132 @. 189—93.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Y. Slupfce, Sieben, SRejenfionen
407
g. ©djönemann, 21). §f. SSotfgerjieljer XIV 9.
g. ©cfjönemann, 2t). g. atg SJMrfer. Seüförift für ben beutfdien Unter»
ridjt XXVIH ©. 385—402.
h-©pieto, fermen. @ffat)g unb ©tubien. 1906. ©.1—23. — 2t). $•
«Pro^lden 1913 $ß. 51.
21. ©tern, ©tubien jur Literatur ber ©egenwart. 3. Stuft. 1905. @. 195—223.
38ijjmann, 2$. fr $eutfcfcebangelifd)e «Blätter XXYin ©. 624, 696 ff.
@. b.SBoljogen, ©rinneruttgen an 21). fr 3eü 20 ©.9—11.
%. b. 38t)$ewa, 21). fr Revue politique et littdraire 1891 @. 751—56
(= 38., Ecrivains dtrangers. Deuxi&me sdrie. 5ßarig 1897). SSgl.
38. ißaetow, Sftationaljeitung 1897 9i. 525.
2. b. 381) jeU)a, Un hotnme de lettres allemand. Revue des deux mondes V
©. 934—45.
#
2>ie frmtaneliteratur ift Big tjeute jurn größeren 2eit eine 3^itfTriften*
unb 3eitung§Iiteratur geblieben, bie in breiterem frtuf) mit ber Stnerfennung
gontaneg in weiteren Greifen ©nbe ber 80er igatjre einfe|t unb il)re Qoty
ftut mit bem 70. ©eburtgtage unb ben Siefrotogen bon 1898 erreicht, grei*
tid) fanben fd)on Dörfer einzelne 38erfe tüdjtige ober wenigfteng anertennenbe
Stefpredjungen, aber bag blieb gelegentlich unb ot)ne weiteren 3iad)t)att.
@. ©nget ftmdjt mit Siedet (antä^lidh beg ,,@d)ad) bon SButtjenow" im SDiagajin
für Literatur 1882 91. 52) bön ,,2’Stbultera" atg bem „bietgetefenen unb biel»
bewunberten, aber bon ber fritifd&en 3 un fl totgefd)wiegenen Sioman". Unb
auch bag „biel getefen" ift nur total ju berfteljen. „2)er SBanberljiftorifer ber
SDlart 35ranbenburg war nicht btofj atg Qournatift, fonbern audt) mit feinen
fpejififdf) norbbeutfd)en, ja fo recht eigentlich breufjifdfjen Siomanen unb Sitten*
bübetn auf bag ^ubtifum feiner engeren Heimat befdjränft, beffen ©eete er
freilich nud) wie wenig anbere berftanb. 2)en 3Beg nadl) bem beutfd)en ©üben
unb Öfterreidf) t)at Montane mit feinen autobiografjfjifdjen ©Triften gefunben"
(9Rori$ Nieder). Montane war langhin in feiner SBirtung unb SJebeutung auf
9iorbbeutfd)tanb, ja 33erlin feftgetegt. ©. 9toett)e tonnte bei einer 33efpre<f)ung
bon 3B.2übfeg ßebengerinnerungen (Jahresberichte für neuere beutfdl)e Siteratur*
gefcf|id)te 2, 1891, ©. 77) biefem burdjaug juftimmen, „wenn er urteilt, baf)
ber bebeutenbe 2)id)ter bie bolle 3Bürbigung nod) immer nicht erfahren I)at".
3n @übbeutfdt)tanb war gontane wenig, in Öfterreid) gar nicht betannt. ©rft
bie fpäteren SBerfe, „@ffi 93rieft" bor altem, Ijaben ba SBanbet gefc^affen.
heut ift eg teine bereinjelte Stimme meljr, wenn fr. ©alten (©rfdjeinungen
unb ©eftatten, 1913) frontaneg bicf)terifd|e Äraft greift, „bafj aud) ber Stoben»
frembe, aud) ber aug @übbeutfd)Ianb Äommenbe in 9lorbbeutfd)tanb feine
frrembl)eit fpürt, fich bon bem fütteren haudj, ben biefe 9Renfd)üd)feit atmet,
nicht beftemmenb angewet)t fühlt".
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UNIVERS1TY OF MICHIGAN
408
©ibliograppifcpe?
• £ro| be? relatio popen SRioeau? ber fpäteren Strtilel unb Sluffäfce über
gontone finb fie bodp in ber SReprsapl oon einer tonoention abhängig, bie
fiep rafc^ gebilbet unf> jäp behauptet pat, einem ungeprüften gontanebilb,
beffett ©runbjüge üon ben ©erfaffern meift fdpematifcp in if»re ©efpredpungen,
Sluffäpe, SRefrologe übernommen mürben. Um ftf mepr empfiehlt fidp eine !ur$e
fritifc^e Überfidpt, eine §erau?pebuttg be? in gutem unb fdpledptem ©inn
©emerfen?merteit au? ber bie?bejüglidpen Siteratur.
Sin bie ©pifce gehören bie ©emüpungen ber ©ridp ©dpmibt, $aul
©cplentper, Dtto ©rapm um gontaue, betten, al? ^ur gleichen ©ruppe ge»
pörig, SR. 9K. SReper, fßniomer, ©urbacp, St mann anjureipett finb. ©on
©cpmibt, ber ben Dr. hon. c. bei ber ©erlittet ppilofoppifdpen gafuttät burcp»
fepte, ift neben ber SBürbigung im 2. ©anb ber ©parafteriftifen bie frifcpe unb
ftplagfertig formutierenbe SRebe jur ©ntpfittung be? Dtuppiner Senfmal? nicpt ju
ttergeffett. Scptcutper unb ©rapm finb in fRebe unb fRejenfion unermübticp
für gontane eiugctreten. SRögen mir aucp peute biete? anbei? fepen, ba bie
©etradptung?tpeife biefer Äritifer unb ©eleprten nicpt mepr bie uttfre ift, au?
iprer 3ett uttb bereu (Seift perau? paben fie gotttane, ben e? bamal? erft
burcpsufepen galt, gute Sienfte geleiftet.— ©urbadp pat feinfinnige parallelen
jmifdpen bem Äleinfdpen Stiergarteubenfmal unb bem Spaziergänger gontane
gejogen. SRit fßniomer beginnt bann fcpott bie Setailforfcpung.
©on SReper? Slrbeiten mirb man ba? Kapitel feiner Siteraturgefdpicpte
bem Slbrijj in ber Stttgemeiuen beutfcpen S3iograppie üorjiepen, ber neben bem
©erfucp einer „literarifdpeit ©orgefcpidpte" gontane? (bie freilicp übet ein paar
ftofflicpe ©ejüge ju SUeji?, guliu? bon ©oft, fjeinricp ©mibt, Sl. bon ©tern»
berg, ©. ipefefiel nicpt pinau?fommt) mit Urteilen mie ,,ju einem lebenbigen
©erpältni? an ber mätfifcpen Statur pat e? bie burcpau? ftäbterpafte ©eele
gontane? nie gebradpt" (bgl. bemgegenüber bie beiben erften Äapitel be?
©preelanbe?!) unb ber Sluffaffung feiner Dtomane al? „pfpcpologifcpe fReife»
bilber in SRomanform", ber „grrungett, SBirrungen" gar al? „bi? an bie
äufjerfte ©renje iprer Sepnbarfeit gezerrte gorm be? fReifebilb?" nur ©e»
fremben erregen !ann. — Sltnann fucpt im ©upporion mit umftänblicper
Stfribie bie „möglidpft erfdpöpfenbe Stnalpfe bon gontane? innerer ©tettung
ju beutfdpem unb befonber? franjöfifdpem SBefen" ju geben, ©r miH bie'üb»
licpe Sluffaffung gontane? al? eine? au?gefprocpen norbbeutfdpen SRenfcpen
forrigieren, opne freilidp meber für feilte ©erfönlicpfeit nodp für feine Sidptung
ben ©ernei? eine? Übergemidpte? ober einer primären ©egebenpeit frattj&fifdpen
SBefen? ju erbringen, ba ber Bitatenapparat fiep auf bie ©riefe unb Stuto»
biograppien befdpränft. Sie Unterfudpung leibet, äpnlicp ber trieferfipen, baran,
bafj bie SBerfe eingeftanbenermajjen ben „unmittelbaren" geugniffen ber ©riefe
gegenüber al? „au? ameiter §anb" betradptet merben, eine SRetpobe, bie felbft
bei einem fo ftar! intetteftuetten Sidptec mie gontane ttidpt oerfängt. „Safe
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V. Sluffäjje, Sieben, Siejenfioneu
409
gontaneS ®id)tung," Ijei&t eS am @nbe her umfänglichen Slbljanblung, „bie
hier abficfytlidj !aum als Quelle benuht rourbe, auf Schritt unb ®ritt bie
oben nadjgemiefenen ©igentümlichfeiten erfehnen läfjt, hat nichts ÜberrafchenbeS;
nur finb alle biefe 3üge nad) fünftlerifchen (Gefejjen unb Stotmenbigfeiten
transponiert, alfo gegenüber jenen unmittelbaren $eugniffen aus jtoeiter
Jpanb.“ ©arnit ift nicht nur, mie bei Arider, bie innere Sagerung ber geiftigen
Schichten biefer ^erfönlidjfeit, fonbern aud) baS Sefen beS bidjterifchen ißro»
ZeffeS total berfanut.
33 rahm, in bent gelehrte unb praftifche Steigungen eigentümlich ftritten,
ift für bie Sluffaffung ber Stellung Montanes jum StaturaliSmuS, fomeit man
fie barnals literarifd) feftjulegen fud^te, mistig gemorben. ©eine Stimme ift
bie bernefimlithfte bon benen gemefen, bie gontane einfeitig für bie jüngft-
beutfdje 33emegung in Slnfprad) nehmen mollten, obgleich ber 2llte bie jungen
greunbe über feine nur bebingte Stnertennung beS 9taturaIiSmuS nicht im
©unflen gelaffen hat („99tit flingenbem ©piel in baS Säger ber ,9teuen‘ über»
jugehn, märe Ä'leinigfeit unb mir moralifd) ganz unbebenflich, aber baju
fehlen mir einige Rentner Überzeugung. Qd) felje baS (Gute, aber auch baS
9tid)t*(Gute." SBrief an 33rahnt). @o finb 33rahmS Slrbeiten über gontane
reich an intereffanten SDtitteilungen unb (Sinjelheiten, aber einfeitig unb cum
grano salis ju lefen. — Siecht übel fchneibet baneben Sllberti ab. @S ift
öermunberlid) unb mopl momentane 33rieflaune, menn Montane fpäter ben
2llbertiauffa| v für baS SBefte erflärt (93rief an Sich mann), maS gelegentlich
beS 70. (Geburtstages über ihn gefchrieben morben fei. @S mochte ihm moljl
neben bem, maS ihm fonft oor bie Slugen fam, ben flüchtigen $eitungS»
artifeln, bas Sefte fdjehten, aber biefe plump-jüngftbeutfche, grobe unb ber»
mirrte Sobpreifung (... ein (Gebidjt mie Slrcpibalb ©ouglaS habe fein anbrer
$eutfd)er gefchrieben, nur Silbenbruch, etma im fjejenlieb, ähnliches geleiftet)
bürfte fchmerlid) ben bauemben S3eifall beS unfuperlatibiftifchen, roilbenbrud)»
fremben Montane gefunben haben.—bie gleiche Stiftung einer Sietouchierung
beS gontanebilbeS ins Staturaliftifche meifen bann noch Soljogen, Si|» >
mann unb Schema.
Slbolf ©ternS ©tubie fommt über ben Stoff unb bie -Stäche nirgenbS
jur ©arftettung unb zum tieferen (Gehalt, fie mutet heut recht eng att, be»
funbet Sichtung unb (Gefühl für ben Siang beS ®id)terS, grenzt aber hoch
■fdjon an baS grämliche Slörglertum beS SiomanfchriftfteHerS unb Siteraten
ißanteniuS, bem „Quitt" unb „Unterm Birnbaum" als gontaneS befte
Seiftungen gelten. 33on ba ift eS nicht mehr aüzumeit zu ber lächerlichen
©reiftigfeit, mit ber 0. Schmiß (©ibaSfalia 1896 9t. 180) noch ben ©chöpfer
ber „@ffi 93rieft" abfertigen zu fönnen meinte, ähnlich Schiefes hat nur noch
i n z e 1, mit unfreimiHiger ftomif, tmrgebradjt. ©einer proteftantifch»bogmatifchen
33efd)räuftheit fteftt fich (1898!) ffontaneS 33ilb alfo bar: „@r fteht, feitbem
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410
BibliograpIjifcheS
er, in betn ©tauben an eine notraenbige Stuffrifchung bet ©rjätjlfunft im
mobernften Sinne, bie 38ege ber ttnfittenfchilberung eingefchtagen, bem ©hriften»
tum unb ber auf ißm bafierenben Sittlidhfeit fremb gegenüber. $aS ©egen»
ftänbliche befc^äftigt ißn fo auSfd)tießlt(h, baß er berfdjmät)t, eS in baS Sid^t
eines fitttidjen Urteils ju rüden, non religiöfen ©eftchtspunlten gang ju
fcßweigen. 2)a^er bie innere Unbefriebigung, mit ber man feine mobemen
Stomane aus ber £>anb legt. Sieben bem ütelen Unrat, ber uns in ihnen
entgegentritt, fehlt es an Sicht, neben bem friebtofen Sinnentaumel an f rieben.
Shit an ber 28irftid)feit feiner Säuberungen fott man nicht zweifeln! ®arf
man baS aber nicht, menn er tote in ,@äcile‘ in feine unfaubere Berliner
©efeßfdjaft einen §ofprebiger bringt, ber nächtlichermeife bei mehr als an¬
rüchigen Seuten ben %tt nimmt? ©efc^ie^t baS nicht nur, um ben Schwarzen
etwas anjuljängett?" — Sieben biefeS Mtriofum ber fontaneliteratur, bie
f ormel öom „friebtofen Sinnentaumel" beS ^erbften unb männlidhften beutfdjen
S)i(hterS biefer fahrzeljnte, finb als ©egenftfid bie forgfältigen Beobachtungen
jum ©ßaralterbilb unb ber SBeltanfdfjauung fontaneS ju fteßen, bie SBijj»
mann in ben 5)eutf(h-ebangelifdhen Blättern oom Stanbpunlt eines gemäßigten
BroteftantiSmuS gegeben ßat. Hfyntiä) fudf)t fromme! aus Befemttniffen
fontaneS unb djara!teriftifdt)en $ügen feiner SGßerle bie ©igentümlichfeit feines
SEBeltgefüßlS abzuleiten. — ©ine Slrt fat^olifd^er BötaHele zu SBißmann-Äinjel
gibt §erwig»$erz.
fort frenzelS Sluffaß begrenzt gut fontaneS ted)niJct)»formafen unb
ftofflidhen ÄreiS, menn aud} bie äfthetifcße SBertung nicht überzeugt, bie
fontaneS befonbere Slrt unb Mmft mit fremben unb zufälligen SJtaßftäben
beifommen miß. fruchtbarer fudt)t Spiero ben Sinter als ^ßerfönlid^feit
aus feinem SBerf unb beibe als ©inljeit ju faffen.
Bon ben Siefrologen märe betißoppenbergS herausjuljeben, obgleich er
f ontane, mie baS benn faft aßgemein gang unb gäbe mar, gar ju feßr aufs
Meine unb fbpßifdhe fteßt. 2)aS Befte gab bamals 901. ßorenj, hutfidjtlich
ber ©haralteriftil ber SBeltanfchauung fontaneS unb ber hiftorifdfjen ©infteßung
baS tiortrefflichfte Stüd ber gefamten bisher ermähnten Siteratur. freilich
bleibt aßeS, bem Inappen Siautn enlfpredljenb, in bloßer Slnbeutung berharren
unb entbehrt ber SluSfüßrung ins ©injetne, ber BafiS unb Begrünbung, burdj
bie foldje Stper^uS erft einbringlicß unb oerbinblidt) merben; — Spätere Sluf-
fäße bleiben meift hinter Sorenz jurüd. So Sdhßnemann, ber bie ©rlenntniS
beS alten als beS eigentlichen f ontane auf ben früheren Stanbpunlt einer
einfeitigen Bemunberung ber B*eußenlieber unb Sßanberungen zurüdfdhrauben
möchte, ©r fieht ben wefeutlidjen fontane fdhon in ber erften Sluflage ber
©ebidhte, in ben fpäten Sprudhgebidjten einen Siüdfdt)ritt öom SÄärfer jum
bloßen Berliner, „bitettantifdhe Befignation". fontane 1)abt bie „maßre »er*
ftänbniSüoße Siebe" gefehlt. $ie „frampfhaft" auf bie Berliner Stomane ge-
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Y. Sluffäße, Sieben, Stejenfionen
411
\
ridjtete Slufmerffamfeit fei eine Slngelegenßeit ber „©erliner Solafyatrioten".
Der ©erfaffer ßat atfo wenig Urfadje, gegen 9i. 9Ä. SDteßerS äftßetifdje (Sin*
cßtigfeü §u ßolemifieren.
®aS weitaus ©ebeutenbfte, was bis auf biefen Sag über gontane ge*
|d)rieben worben ift, enthalt bie ©tubie bon §elene §errmann über „(Sffi
SBrieft". ©ie gibt biel meßr, als ber Sitel bermuten läßt, im „©erfucß einer
unbewußten ©orgefdßidßte beS StomanS in ber früheren ©robuttion bon einem
einzelnen ©untt aus einen ©lief über bie Äurbe bort Montanes fd^riftfteUerifdE)em
©Serben". ®aS StuSjeii^nenbe liegt in ber tiefen (Stnftcßt ber ©erfafferin in
bie ©efeßlidfiteit beS Äünftlerifdjen überhaupt. ©ie ßat, gefault an ber (Sr*
neuerung ber beutfdjen ©erSfunft burdß ©eorge unb SUIfe, metßobifdj woßl
aud) an ber burd) griebritß ©unbolf inaugurierten Siteraturbetradßtung, eine
§öße beS äftßetifdjen StibeauS, bie fie ißren ©egenftanb ganj nadß Maßgabe
beS allein ©erbinblidßen, beS bidßterifdßen SBefenS unb SBerteS abßanbeln
läßt. Sroßbem unb gerabe beSßalb muß gefagt werben, was gegen biefe ©e*
tradftung gontaneS einjuwenben ift. ©ie £>errmannfdje ©tubie feßeint aus
äßnlidßen ©ebürfniffen entftanben, wie baS borliegenbe ©ueß, unb eben barum
eine ©uSeinanberfeßung nidßt gut ju umgeben.
(SS ift ein gewiffer gwiefpalt §wifdE>en ber Slnlage ber Slbßanblung unb
bem äftßetifdßen Stüftjeug ber ©erfafferin, ber SBtberfßrucß ßerborruft. ©ewiß,
Montanes Statur enthält biel „SlußerbidßterifdßeS", aber baß bie „©ominante
feines SSefenS baS ©icßterifdße nidE»t war", baß im 9JtifcßungSberßäItniS beS
Mnftlerifdjen unb ;Jhir*2Renfcßlicßen baS Seßtere überwiege, ift eine Äoitjeffion,
bie $. |>ertmann bem burdß ©tefan ©eorge gefeßaffenen neuen fünftlerifdjen
Stibeau madßt, unter beffen (SrlebniS fie woßl ju nacßbrüdltcß fteßt, als baß
nidßt einige Ungeredßtigfeit gegen bie jurüdliegenbe ©tufe ber literarifd)*
bidßterifdßen (Sntwidtlung unfreS ©dßrifttumS ifjre SBertungen beeinflußte. ©ibt
fie bodß angefidßtS ber -Ilteiflerfdßößfungen gontaneS ju, baß aud) er „aus
einer unabgeleiteten inneren SBirflicfjfeit" ßerauS rebe. „gontaneS SRenfcßen*
unb SebenSfdßilberung ßat bie ©adßen felbft, fie bejießt ben SRenfcßen nießt
auf eine ©ßeorie, ein Problem, eine ;3bee außerhalb feiner, wenigftenS auf
!ethS, baS nießt einfadß mit feinem ©afein gegeben wäre." ©roßbem geßt
bie Slbßanblung bom „Sßema" ber (Sßefdßulb aus, baS in „(Sffi ©rieft" feine
reinfte ©erfötperung, in ben früheren ©Serien nur eine unboHfommene Raffung
erfahren ßaben foll. ©amit ift an biefe ein SDtaßftab gelegt, ber ißnen nidßt
geredet werben lann. greiließ meint bie ©erfafferin nidßt „bureß bie SIbbition
beS ©orßanbenen baS neue fo biel oolllommnere ©ebilbe erllären ju tönnen",
fie will „foldßer lebenSwibrtgen, ntedßanifdßen ©orfteKung" auSbiegen. Slber
bie Slrbeit fommt boeß barauf ßinauS. (SS ift nidßt fo, wie §errmann, bie
fieß ba in einen ©Stberfprucß berwidelt, meint: ,,©em geheimen unbunerflär*
ließen StßßtßtnuS beS SebenS naeß^ugeßen, baS bie ÜRenfdßen unmerflidß ©dßritt
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412
$ibliograpBtfd)eg
für-Sdjritt in bie Scpulb bräitgt unb fie bodj nid>t ,entfdjulbigt‘, fonbcrit
fein ©leidfgemicBt Berfteflt big in bie Seelen ber SJienfdjen hinein, lmju
ftpeint if)u Dor aüem bag S^ema ber ®ljefcf)ulb gebracht ju fjaben", fonbern
bie SaufalDerbinbuttg ift gerobe umgefefjrt, unb im ©runbe meint !q. §err-
mann bieg aud). 5 Bag tjätte eg fonft für einen Sinn, Don ber „unabgeleiteten
SBirflicfyfeit" gontaneg 31 t reben? ®ie metBobifdfe Einlage ber Slrbeit, bieg
Stugge^en Dom SJiotiD, dou bein goutane niemalg augging, füBrt bann zu
neuen falfcBeit ftonfequenzcft. gontaneg fReid)tum an Figuren entflammt nidjt
ber „ftunft, einen begrenzten 93efife burd) 31bftufung 3 U bereitem". 2 )ag ift
benn bod) eine mecBaniftifdje SBorftellung unb mitt nicpt 3 U ber „gorm Don
gontau eg 3Dtenfd)enerlebnig" ftimmen, Don ber bod) Dorfier fo -gut gefagt
mirb, baB „biefer ©^arafteriftifer Dor allem Don ber gigur auggeBt, bie
er alg ein ru^enbeg ©ebilbe big in bie fleinften $uBer ungen beg Sltttagg»
lebeng hinein burcBzuorganifieren pflegt". §ier ift ber Slidpunft aufgezeigt,
Don bem aug man allein gontaneg bidjterifc^en SSerfeit beifommen fann,
Don ber einzelnen gigur aug. Sie ift bag primäre, bag ©rlebntg, alleg anbre,
SRotioe, gabel; ©reigniffc bleiben in biefer poetifdjen SBelt fefunbär. Unb fo
aucB nur läjjt fiel) ber 3Bert ber früheren Schöpfungen gontaneg abmeffen,
bie bod) bebeutenber unb bleibenber finb, alg §. §errmanit Don üjrer falfd)en
$roblemftettung aug meint, bie fie nur alg SBorftufen zur „Sffi SBrieft" faßt.
SlbgefeBett Don biefen prinzipiellen (Sinmänben ift bie älb^anbluug toie
gefagt bag SBefte, mag über gontane Don einem ben heutigen SBünfcBen unb
SBirflidjfeiten beg beutfcpen geiftigeu Sebeng offen sugcmanbten unb bod)
objeftiben SRenfdjen gefagt morben ift. SSom ®erf|ältnig gontaneg jum
$eroifd)en auggeBenb, finbet bie SSerfafferin gerabe 3 u enbgültige SSorte für
bie SBebeutung gontaneg in unferer geit: „Sein 3Sert)ältnig zur ©röfje — er
Bat bod) eben nur brum gemußt—, fo fetjr mir Beute bie 2ftöglid)feit eineg
anbereit SSerBältniffeg für ung zu erringen hoffen, ift ung um feiner abfoluten
SBaljrBaftigfeit millen mertDoll, bie lieber nüchtern erfdjeint alg fid) ba mit
©efütften Prüftet, mo man nidjt gureid^t. ©iefe Selbftbemadjung, bieg Seife»
merben aug <$E)rfur(f)t Dor ber 28irflid)feit unb aug ScBeu oor ber lügiterif<hen
JßBwfe unb angemafjter ^ßompofität ift ung Beute fein lefjter 2Bert meBr,
aber alg eine abmartenbe unb Dor läufige Haltung ein beträchtlicher gmif d)en-
mert in unferer etBifdjen Sfala. @g ift bie Haltung, Don ber logzufommen
mir bag SRecht erringen müffen, bie ung aber alg (Erziehung zur Selbftprüfung
unb SBaBrBaftigfeit unerfefcbar mar. — Unb über folclje zeitliche SBebeutung
Beraug bleibt ,in bem gontanef(Ben‘ etmag UnDermüftlicBeg. ®ag fixere Stil*
geffiBl für bie eigene fftatur, bag grenzbemuBte ÜJiidjt meBr fern motten alg
man ift, bag aber aud) ganz unb 9 ar / i n jebem .guge oermirflkBt — biefe
■Jlobleffe einer miffenbett unb leibenben gurüdBaltung ift in fidj ein lebenbiger
2 Bert."
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üBorn gleichen 93erfajf«r ijt im 93erläge oon 3. $)• $ei$, $«i|
n. SKSttbtl Wadtfolger, Straft arg i. ®. erfdjienen:
Stefan ©eorge ^1% w°art° 0rap ^'' 102 Se,,en '
„Der ©erfaßt bes gegenwärtigen ©üchleins ftat es unternommen, eine nach aßen
6 etten geredete SDürbigung ber Schöpfungen Georges 3 U geben, unb es ift ihm
geglQcft, bem C&eulus bis ins fleinfte Detail feines (Entrotdlungsganges 3 U folgen.
3n einer methobifch muftergültigen Hnterfuchung werben bie einzelnen Dichtungen
charaiteriflert, inbem fie bie ihnen gebührenben ©löge im geiftigen SBerbegang
(beorges erhalten." Blätter für ©ücherfreunbe.
93ott ber britten Auflage an erfd)eint im unter 3 eidjneten ©erläge:
Der Untergang &eS Slbenbtanbeö
Umritte einet SOTorphoIogie bet 2ßeltgefdiid)te
Sott Ostoolb Spengler
©rfter Sattb: ©eftalt unb 2Bttflt<f)fett
Dritte, unoeränberte Auflage ffiefjeftet SW 20.—
„SBie bie 3bee ber »SBelt als SBÜle unb ©orfteliung* ein Stper^u oon außerorbent«
lityx Iragfraft ift, fo bebeutet auch Spenglers ,Morphologie ber (befeuchte*, feine
©uffaffung bes SBeltgefchehcns nicht als einer Hnienhaft georbneten {folge oon ®e«
gebenh«iten, fonbem als eines Slebencinanbers oon auffetmenben, blühenben unb
abtoellcnbcn ftulturen oerfchiebenfter 5trt unb hoch organifch gleichmäßiger <5>efeßli<h«
fett, bie (Eingebung einer tief fünftlerifch empfinbenben Statur, oon ber, gerabe tote
bet Schopenhauer, bie ftärfften SBirtungen auf bie ftünftlerfchaft ausgehen werben.
(Es ift nicht möglich, ben gebanflichen Reichtum biefes fßerfes anjubcuten, nur auf
feine außerorbentliche ©ebeutung gerabe für ben fünftlerifch intereffierten fiefer foü
hingetoiefen werben." ©aul ©eder (granffurtcr 3*ltung). — „(Ein außerorbent*
U<hcs 2 Berf, bas in einer fo außcrorbentltchen 3 *Ü unb SBelt erfchienen ift unb
bie fBeltgefchichte felbft als Urphänomen, als 9letl>e geheimnisooll oerelnjelter, auf«
blühenber, fruchttragenber unb abfallenbcr, babel mählich toieber ineinanber über«
gehenber ©efamtwefen — ber ftulturen — anficht, oerbient bie höchftc Hufmerffamfeit.
. . . Das mächtige fDerf ift 3 U groß, umfänglich unb inhaltlich oerftanben, als baß
eine notwenbig fur 3 e 9 ln 3 eige auch nur entfernt feine Sülle unb bc 3 ichungsreichc
ütefe ahnen machen, gefchtoelge benn roiebergeben lönnte. ©leichwohl möchten bie
nachfolgenben Hnbcutungen nicht unterbleiben, toeil 3 u faH unb Ungunft ber 3 «*t
ein © 3 erf nicht unterbrüefen follen, bas einen mcnfchbettltchen ©efiß fammcit unb
erneut, inbem es ihn barftellt, unb 3 toar in einer ber umfaffenbftcn geiftigdünft«
lerifchen fton 3 eptionen, beren eine fonft unter bem Übermaß mcchanif<h*tcchntf<her
3 ioilifationsmittei an fchöpferifchen (Seift benachteiligte 3 *** fett langem unb für
lange fchon nicht mehr f&hid mar . 11 DttoStoeßl (fBiener neue freie ©reffe).
<£. £>. Seifföe Serlagsbud)l)anblung £>sfar Sed 3Jtünd)ett
i
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SUfcrt BielfcbotoSf») / ©oethe
läge. 3® c * Sänbe mit srnei ^pcrträtgraoüren. 3n fieimoanb gebunben
SR 30—, in 5albfran3bonb SR 40.—
«ar( Beraer / Schiller ®' ,n &6en unl ’ |etne ®“"-
■ nul 1 /wwjiuw 9. auf lose: 27. Bie 30. laufenb.
3toci Sänbe mit 3 toei ^otträtgraoören. 3n fieintoanb gebunben
SR 24.—, in $albfran 3 banb SR 36.—
ISalbemar £>ef>lfe / Seffing unb feine Seit
3®ei 93änbe mit 3 toei ißorträtgraoüren. 3n fieintoanb gebunben
SR 27.—. (Soeben erf<$ienen)
Sugen ffflhnemcmn / Berber
graoüre. 3n fieimoanb gebunben SR 8.—*
m 3. ®offf / S&afefpeare
11. bis 13. 2aujenb. 3 roc * Sänbe mit 3 toei ^orträtgraoüren. 3n
fieinojanb gebunben SR 20.— in $jalbfran 3 banb SR 30.—
»im^erjog / Stift
fenb. SRit 3 toei ißorträtgraoüren. 3n fieimoanb gebunben SR 7.50*
©>rl)arb=9tecfer / ©riUparser
unb oermeljrte Auflage. SRit 12 Ißorlräts unb gaffimiles. 3n fiein*
toanb gebunben SR 7.50*
Hartum ISocmcr / ^bfen mUx unb fciw 9Bcrf -
JVUUimi *UHWUItl / 30^6, auf <5runboon3bfens
Stadflafe neu bearbeitete STuf läge. 3t»d Sänbe. 3n fitob. geb. je SR 9.—*
5lnton Bettelheim / Beaumarchais
neu bearbeitete Auflage. SRit einer ^ßorträtgraoüre. 3n fieimoanb
gebunben SR 10.—*
Äuf bie mit * begegneten ©rei[e lommt ein Heuerungsgufölag bes ©erlag« non 25 °A>
%
(£. £>. 23ecf’|c§e Serlagsbudjljanblung Dsfar SBetf SDtündjeit
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9Son berühmten Seitgenoffen
Hrtaria. SRit ätoei SBHbttiffett ber SJerfafferin oon Slnfelm geuerbaä)
unb < 5 fcatt 3 ßetibad). 12 . Auflage, ©ebunben 501 5.50
„(Ein prächtiges Sud) unb oon roirflidiem !ulturgcfd)ltd)cn 28ert.... 9bub wer bie
hier oorfommenben ^ßerfonen gefamtt hat, toirb fie immer ba ober bort oon einer
neuen Seite beleuchtet fehen. Sie gehören ben oerjcf)lebenften ©ebieten oon SBtffen-
fdhaft, ftunft unb Dichtung an. £)b 3iaturfor[d)er unb ©eograph*n rote 3'ttel,
SBagner unb ©afcel oor uns treten, ob ©efpräche mtt Döllinger berichtet toerben,
ob mir oon ipilott), geuerbad), Schtoinb, ßenbach, £)rfo ©reiner, 8 fran 3 oon ßlfgt
hören, ob ©obenftebt, £et)fe, Scheffel, um nur einiges anäubeuten, überall toirb
man jogieich gefeffelt unb folgt bem Sauf ber ©rjöhlung mit ©enug, unb bebauem
toirb man an bem ©ud&e aulefjt nur, bah man es fchon 3 U ©nbe gelefen h^t . 11
ßiterarifches 3 entralblatt.
Smtei Stbetoalien
SBinbegg. SRit brei 5porträttafeIn unb mehreren fXextilluftrationen.
2. Auflage, ©ebunben SR 6 .—
„Der Herausgeber Ijat fid) als ein gorfd)er uon feltenem ifinftierifeben (Sefdjmad
eranefen. Sein Sud) ift eine erfdjöpfenbe (Biographie SJJorig »on Sdjrotnbs, eine
Siograpljie, bie leine Irodenljcit fennt unb bod) fo u)iffenfd)aftUdj ift als irgenb
möglich-... SdjtDinbs golbenen Humor, feine nimmermübe Sdjaffensfreube, feine
»Jreunbfdjaft, feinen (Seift tönnte ieine fjreber in Unteren fjarben bartun.“
Or. SJiartin geuchtroanger (Saale«3eitung).
©ne« mteti Siebe 5S? TÄ 5
SBalttjer ©ggert SBinbegg. 6 . unb 7. 2aujenb. ©ebunben SR 4.50
Jpector fBeriioj’Sebengerinnerungen SSLff üK
Ijerausgegeben oon Dr. §ans <5 <$ 013 . SRit einem SJilbnis. 3n
fieimoanb gebunben SR 6 .—*
&1YI1I ftmttfne SftrnteY fiebensbiIb einer heutigen grau.
ÖTaU ^auiint -Oiaitl % on x ms Sa^er. 23. Sluflage.
SRit 3 toei Silbniifen. ©ebunben SR 5.50
©eutfebeb Siteraturieiifon Ä'Ä
SRotioüberjidjten unb Quellennad)toeifen. 93on £enn. Stnbers Artiger.
3 n fieimoanb gebunben SR 7.50*
Huf bie mit * begeichneten greife lommt ein Seuerungsgufchlag bes ©erlags oon 25%
(£. £>. 33e(F{cfye 93erlagsbucf)Ijcmblung Cslar 93ed SJlündjett
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&
a*<\o+Uo& ©ntftef)ung uttb 3nf>alt erftört oon Cnfiä
oUUfl Iroumamt. I. Sanb: Der SXragöbie erster üeil.^
II. Sanb: Der Xragöbie ätoeiter Heil. 2 Sänbe gebuttben SIR 20.—j
„Unfere Literatur über untere Literatur tft nidjt aUgu retcf> an tollen wahrhaft Ittr
$erg ber Dichtung ffihrenben SBerten." $rof. Dr. 3ofeph fiofmiller (Sübbeutfdje-i£#
ailonatsbcfte). — „SBtr werben an bern SBerf bie ausfiihrli<htte, miffenfdE)aftli<^ gu* ' SL ~
nerl&tfigfte unb grünbltchfte (Erllftrung bes Sauft haben." «päbagogtfdjeSBIätter..
Som IBeltbürgertum jum SRationalgebanfeff,
3mölf Silber aus Sd)illers ßebenslreis unb SBtrlungsberei^. Soll
Äarl Serger. ©ebunben SR 8.50
IC
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QmU @ött/ ©efamtneife ®erfe SC*!
©rfter Sanb: ©ebidjte, Sprühe, Sptjortsmen. SRit btogtapf)ijet)er
©inleitung oon SRotnan SEBoerner unb bem Silbnis bes Dieters. /"■
3toeiter Sanb: Der Sdjtoar-jüinftler (ßuftfpiel), ©belroilb (Drama«»
tif(f)es ©ebidjt). / Dritter Sanb: SIRauferung (ßuftfpiel), Fortunatas
Sifj (Dramatifdjes ©ebidjt). / 3eber Sanb ift eingeln fäuflid). Sank I,>
3. Auflage, geheftet SR 5.—, gebunben SR 7.50, in §albpergameri£
SR 8.50. Sanb II, 3. Sluflage, geheftet SR 5.50, gebunben SR 8.—, iq
§albpergament SIR 9.—. Sanb III, 2. Auflage, geheftet StR 4.—, ge*'
bunben SIR 5.50, in frjalbpergament SIR 6.50
<Smi( ©ött / «riefe unb £agebticf>er < 5TSSS
SEBoerner. Drei Sönbe. ©ebunben je St 4.50*, in §albpetg. je SR 5.50*
<£mi( ® ßttb «riefe an einen greunb
Ijerausgegeben oon ©uftao SRanj. 3n SP a PP& an b gebunben SIR 6.—^ * f
(Soeben erfd)ienen.) v t
SR. @aitfd)ict / Son ber innem SRot '«*
Stusbticf auf Fö«Its tünftigen SEBeg. 2. Auflage, ©ebunben SR4.50 r
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SR. 0aitfcf)icf / 3Sofan unb SriinnWbe tSv
Seele, ©ebunben SIR 4.—, in £albpergament auf Sütten SR 12.—V 1
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Huf bie mit * bejei^neten greife fommt ein Seuerungsäufölag bes Verlags oon 26°/i.
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(£. £j. 23e(f[cf)e ©erlagsbu^anblung Os!ar ©ecf SJlündjett Jr
<E. $. SBed’idje SBud)bruc!erei in SRBrblingen
MAY 18192!
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UNiVERSITY OF MICH
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Original fram
UNIVERSETY OF MICHIGAN