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1
THEODOR REIK
WIE MAN
PSYCHOLOGE WIRD
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
1
1
WIE MAN
PSYCHOLOGE
WIRD
VON
THEODOR REIK
19 »7
INTERNATIONALER
PSYCHOANALYTISCHER VERLAG
LEIPZIG / "WIEN / ZÜRICH
•
ALLE RECHTE,
INSBESONDERE DIE DER ÜBERSETZUNG,
VORBEHALTEN
COPYRIGHT 1927
BY „INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER
VERLAG, GES. M.B.H.", WIEN
DRUCK: CHRISTOPH REISSER'S SÖHNE, WIEN V
iVf einer Fr a u
in Liebe und
DanKoarkeit
TVie man Psychologe wird
Vortrag, gelialten auf iem IX. Internationalen Psyckoanalytiscnen
Kongreß in Homturg v. <J. H. am 5. Septemter igaS
Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen, die icli
Iknen vorlege, wollen einen Beitrag zu der Frage, wolier
das psycliologisclie Interesse stammt, geten. jSie teeiehen
sicli also auck auf eines der Motive, die tms kier zu ge-
meinsamer Arteit zusammenkommen liefen. Oolcke Frage-
stellung, seltst von psyckologiscker Art und auf die Psycko-
logie als Ganzes sick teziekend, gekört einem Kapitel an,
das man Prolegomena zur iSeelenkunde nennen mü^te.
iSie rükrt an Dinge, die iSie vergeiens in den Kompendien
und Lekrkückern der Psyckologie sucken würden. 'Wenn
Sie es nur reckt versteken wollen, fällt sie mit der Frage,
wie man Psyckologe wird, zusammen. Diese soll uns kier
nickt im Sinne der Berufseignungsprüfungen und der teck-
niscken Begakungsuntersuckungen kesckäftigen. Es kandelt
sick uns ükerkaupt nickt um einen Beruf , ein Metier, sondern
um eine ganz kestimmte und genau kesckreikkare psyckiscke
Einstellung. Also nickt Bildungsgang oder sonstige äußere
Momente werden uns kesckäftigen; unsere Aufmerksamkeit
gilt vielmenr den seeliscken Voraussetzungen, Motiven und
Zielen des Psychologen. Bei jedem von Ilinen entspringt
das psycnologisclie Interesse innerer Notwendigkeit und
nicnt äußeren Antrieten. VVürde jemand, nur äußeren
Gründen folgend, Psyckologe, er würde niclit Psychologe
mehr. Unsere Fragestellung ist also im iSinne ISTietzscLes
zu verstenen: w^ie man wird, was man ist.
Aber auch zur Lösung dieses Protlems werden liier nur
vereinzelte Bausteine nerbeigetragen werden. Es -wird nicIit
allseitig ietrachtet, sondern bewußt einseitig, in konsequenter
Verfolgung früherer Gedanltenzüge. Das will tesagen, daij
die Momente, die ick Ihnen vorlegen will, niclit die ein-
zigen und nicht die einzig ausschlaggebenden sein tonnen,
da^ nock andere, kier nickt erörterte wesentlicke Faktoren
einspielen. Ein iStück der ^ST^irltlickkeit darzustellen ist ja
nickt gleickkedeutend mit Ausscklieijung oder Untersckät-
zung eines anderen Teiles. Manckmal möckte man die'
Frage, die wir im Alltag sckerzkaft gekraucken, auck auf
w^issensckaftlickem Gekiete stellen : warum denn so einfack,
w^enn es auck kompliziert gekt?
Alle wissensckaftlicke Psyckologie, soweit sie als an-
erkannte Disziplin gilt, gekt davon aus, da^ ikre erste und
vornekmste Erkenntnisquelle die direkte innere ^V^akr-
nekmung sei, deren Resultate unmittelbar gegeken und
evident sind. Nock ist der Standpunkt Wundts und der
meisten BewuJgtseinspsyckologen in Geltung, der die Psy-
ckologie von den Naturwissensckaften akgrenzt; diese, ke-
kauptet man, beruke auf mittelkarer, jene auf unmittel-
barer Erfakrung. Der iSatz von der unmittelbaren 5elbst-
8
gewiJgneit des iSeelischen Stent in jedem ernst zu nenmenden
LelirLucne der Psycnologie an erster /Stelle. Er genört
zu den iSeltstverständlicnteiten, die jedem Gebildeten
sogleicn einleucliten und Iteinem Z-weilel unterworfen
sind. »Sie können ilin geradezu als eine der konstituieren-
den XJnnclitigkeiten der ■wissenscnaftlicnen Psycnologie
tezeicnnen. Es liegt im VV esen einer solclien fundamen-
talen falscnen Anscliauung, da^ ihre üterzeugungskraft
von keiner VV anrlieit erreicnt -wird und daJj sie an das
Gefünl der Enrfurclit vor inrem Alter appellieren kann.
Es ist aucn durckaus z-weifemaft, ob eine \\^issenscnaft,
■wenn sie auf diesen Namen Anspruck erneben darf, onne
solcne grundlegende Irrtümer bestenen kann. Es fenlt uns
bisner jede Erfahrung in dieser Richtung.
iSie -«rerden zugestehen, da^ der berühmte och'wellen-
spruch zu Delphi angesichts der unmittelbaren Evidenz
der inneren ^\^ahrnehmung jede beunruhigende Dunkel-
heit verliert. Er wird zur leicht fa^lioien und gewi^
beherzigenswerten M.ahnung zur Aufmerksamkeit, deren
5inn so evident und unmittelbar gegeben ist w^ie das inner-
lich VV ahrgenommene selbst. Das schöne VV ort reiht sich
so jenen Sprüchlein ein, die wie »»Schmücke dein Heim!«
oder »Eig'ner Herd ist Goldes wert«, des deutschen Bürgers
»Stube schmücken; es w^ird zur Devise der Psychologie für
den w^issenschaftlichen Hausgebrauch. Der Sohn des Zeus
vrulqte, w^as not tut.
VV ir zweifeln heute daran, ob solche banale Aufforde-
rung dem delphischen Gotte bei jenem Ausspruche vor-
schw^ebte. Vielleicht hatte die Tempelinschrift nur für die
iScliulpsycIiologen der Antike eine so Landgreifliclie und
seltstverständliclie Bedeutung. Dem Gotte, dessen Oratel
wegen ikrer Duntelneit so terücntigt sind, wäre es zuzu-
trauen, da^ sein Tempelsprucn nocn einen tieferen, esoteri-
scLen Sinn tatte. Er tonnte den W^eisen nicnt veriorgen
tleiten. »Erkenne dicli selbst!«: nier war eine der schwer-
sten Aufgaben, der etw^as im "Wiesen der Menscnen seltst
-i*riderstreljt und in deren Bew^ältigung ungewönnliclie Hin-
dernisse zu überwinden waren.
Von Descartes iis ^Vundt galt die oelbstgew^i^neit
der inneren ^W^alirnenmung als ein Axiom, das anzuzweifeln
fast frevelnaft erscliien. Sie wissen alle, da^ uns die Psyclio-
analyse gezeigt nat, wie w^enig evident die Resultate der
inneren \V^aIirnelimung sind und da^ sich das Psycho-
logische nicht von seihst versteht wie das Moralische. Nicht
darum handelt es sich, da^ sich der Eine mehr, der Andere
w^eniger in der von Apollo geforderten iSelhsterkenntnis
täuscht; nicht das AusmaJg dieser oeltsttäuschungen steht
zur Diskussion. \S^ir alle müssen uns gesetzmäßig täu-
schen, denn das seelische Ich ist in seinem wesentlichsten
Anteil weder unmitteltar gegehen noch evident. Es ist
an sich untewuJ|t und starke ^Mächte in uns seihst sind
am ^Verke, um es vor dem Erkanntwerden zu schützen.
Die Analyse hat uns verstehen lassen, daß erst dort, wo
man an die unmittelhare 5elhstgewißheit der inneren
\V^ahrnehmung nicht mehr glaubt, die Psychologie als in
die Tiefen reichende W^issenschaft heginnt. Erst mit diesem
^■weifel w^ird oeelenkunde m ihren w^esentlichen Teilen
möglich: incipit psycnologia.
Mit dem iSprucne des delpniscnen Gottes ist nickt der
Ausgangspunkt, sondern das Ziel der psycnologisclien r or-
scnung gekennzeicknet. Das Fvcöi^L aeavxbv kann auck nickt
als metkodiscke Anweisung gelten. Es wird ja als Postulat
aufgestellt, und das wäre unnötig, w^enn damit nur der
naturgegekene ^VSTeg gewiesen würde. Die Psyckologie ke-
ginnt auck nickt als direkte oelkstkeokacktung. Dock nekmen
w^ir für einen Augenklick an, es sei so, so steken w^jr gleick
am Beginne unserer Forsckertätigkeit einer ikrer w^icktigen
Fragen unvorkereitet gegenüker. Jede vV^issensckaft setzt
ein Okjekt und ein iSukjekt voraus, einen zu erkennenden
Gegenstand und ein erkennendes Ick. Die Erfakrungs-
gruppe des Psyckiscken kekt sick nun aus den anderen
merkkar ak. Das Okjekt der ükrigen Erfakrungsgruppen
sind Tatsacken und Verknüpfungen der Au^enw^elt, das
jSukjekt ist das Ick. Im Gekiete der Psyckologie aker
wäre das Okjekt die Innenwelt, das oukjekt das Ick.
Hier ist also eine Identität von Okjekt und oukjekt, die
auf den ersten Blick frappiert. Dieser singulare Oackverkalt,
da^ das Ick sick selkst keokackten kann, stellt eine pri-
märe Bedingung der iSeelenkunde dar; sie ist aker zu-
gleick eines ikrer ersten Prokieme, oie w^ar so rätselkaft,
da^ es sick empfakl, sie als selkstverständlick zu kekan-
deln und okne w^eiteres Nackdenken vorauszusetzen. VV enn
es wakr ist, was Aristoteles kekauptete, daJ^ das iStaunen
den Anfang der Forsckung kildet, so werden oie zuge-
steken, da.| sick die Psyckologen in ikrer Mekrzakl von
einem so ükerflüssigen und w^enig verständigen Affekt ke-
merkenswert lange Zeit frei zu kalten wußten.
Gestatten 5ie mir, die grundlegende Tatsache, die un-
sere Verwunderung erregt, mit den Ausdrücken des ameri-
tanisclien Psycliologen ^V^illiam James zu beschreiben:
er bestimmt sie daliin, da^ das I das Me beobachtet. Die
Lösung des Rätsels, wie das Icn das MicL. beobacnten kann,
ist teinesfalls schwierig. Es ist vielmehr klar, daJ^ die
Prämisse dieser Möglicliteit, das eigene (Seelenleben gegen-
ständlicn zu fassen, die Ichspaltung sein mu^. Die Icli-
spaltungist es, -welcne Psychologie ermögliclit; sie ist es aber
aucli, die Psycliologie notwendig macnt. \V äre das Icn unge-
teilt, könnte es sicn niclit beobacnten; es braucnte sicli aber
aucn nicnt zu beobacnten. Die befremdende Tatsacne, da^
das Icn sicn selbst beobacnten kann, wird verständlicner, w^enn
sie auf zw^ei andere zurückgeführt wird. Es gab nämlicn eine
Zeit, da das Icn nocn scnw^acb, abliängig und unentw^ickelt
war. Damals ^^ar es dem Kinde am nalieliegendsten, die un-
bewußte endopsycniscne VV akrnenmung von Lust und Un-
lust naai außen zu projizieren. Die nacn außen gerimtete
Aufmerksamkeit ging also der oelbstbeobacntung voraus.
Audi im reiferen Alter w^ird sich die Oelbstbeobacntung
erst aus der Fremdbeobacntung entw^ickeln, eine Tatsacne,
die Nietzscne knapp in dem oatze »Das Du ist älter
als das Icli« formulierte. Freud hat gezeigt, daß der ver-
scnärften iSeltstbeobacntung m der ocnizopnrenie eine
Regression der Aufmerksamteit auf die innere M^alir-
nenmung entspricht.
Allein von liier aus fünrt kein direkter W^eg zur in-
trospektiven Psycnologie, wenn man niclit eine Zwisclien-
stufe zwischen Fremdbeobacntung und oelbstbeobacntung
exnsc
mu
ac
Iialtet. In jener Zeit der frühesten Iclientwicklung
4te das Kind temerten, dai^ die Umgetung es teot-
ktet, da^ es Beotacttungsgegenstand von Seiten der
Pflegepersonen ist. Mit anderen Worten : das / tann das
Me teotacliten, weil TJtey — She oder He — einmal das Me
teotaclitet taten. Die Aufmerksamkeit der Außenwelt
für das Kind setzt sick — auf dem Wege der Introjek-
tion — in der Aufmerksamkeit ies Kindes für sich selbst fort.
Diese Atkunft der iSelfcstkeotacktung aus dem Beot-
acktetwerden stellt also eine Umsetzung eines passiven
Erletens in ein reflexives dar. Es ist dies ein seeliscker
Vorgang, der für die Voraussetzungen und das vVesen
der Psyckologie von großer Bedeutung werden wird. Der
Beweis für die Entwicklung der jSeltstteotacktung aus
dem Beotacktetwerden ist unsckwer zu liefern. Er wird
dort gekolt werden müssen, wo aus patkologiscken Gründen
die Persönlickkeit wieder in großem Ausmaße zerfällt,
z. B. in der Symptomatologie der psyckotiscken Erkran-
kungen. Dort verwandelt sick oft das Gefükl des Beot-
acktetwerdens in Beotacktungswakn. In anderer Art zeigen
die Pkänomene der Depersonalisation mit ikrer ausgepräg-
ten iSeltstkeokacktung eine partielle Regression zur Pkase
des Beotacktetwerdens. Aker es müssen nickt patkologi-
scke Fälle sein, an denen man die Herkunft der iSelbst-
fceotacktung studieren kann. ITekmen Sie an, ick werde
mir in diesem Augentlicke, da ick zu Iknen sprecke, der
Besonderkeiten meiner Stimme, der Art meiner Bewegun-
gen, gewisser Eigentümlickkeiten meiner Spreck- und Aus-
drucksweise tewu^t, so wird dieser psyckiscke Vorgang
E
kaum von der Frage unabliängig sein, welchen Eindruck
mein oprecnen oder das Gesprocliene seltst auf jSie aus-
übt. Die Engländer katen für die tesckrietene Gefükls-
erscneinung einen senr oezeicknenden Ausdruck: to get
self-conscious. ^u.n gescliielit es gewi^ nickt ausscklie^lick
dann, -wenn eine andere oder mekrere Personen anwresend
sind, da^ man self-conscious wird, aker dies ist dock der
käufigste Fall, und der andere, weitaus seltenere, da^ diese
Gefüklsreaktion in der Einsamkeit auftritt, ist sckon ein
atgeleiteter und sekundärer. \7^it könnten sagen: to get
self-conscious, das meint einfack: vorkewu^t erkennen, was
für einen Eindruck man auf Andere mackt.
Die Ickerfakrung des Kindes, das sogenannte Persön-
lickkeitsgefükl oder 5ell)stkewu^tsein des Kindes, ist uns
in seiner Genese nock wenig durcksicktig; es entwickelt
sick, wie »Sie wissen, sekr spät. Lipps, \S^undt und
andere Forscker kaken mit Reckt darauf kingewiesen, da^
der späte Gekrauck des ^Wortes Ick kein Beweis für das
Auftreten der Ickgefükle ist. Es sckeint uns wirklick, da^
die Ickgefükle vor dem Getraucke des Ickwortes auftreten.
VV enn iSie mir nun gestatten, gewissermaßen in Verkürzung
zu sprecken, würde ick sagen : das Ickkew^ußtsein des Kindes
ist von dem Bewußtsein akkängig, daß die Außenwelt,
die Eltern, die Pllegepersonen es teokackten, es als ein
Ick ketrackten. Ick wiederkole also : die iSelkstkeokacktung
ist kein genuines Pkänomen; sie leitet ikre Herkunft aus
dem Gefükl des Beokacktetw^erdens ak. ^V^ir würden ver-
muten, daß die Untersckiede in der Art und in der In-
tensität des Beokacktens für die Entwicklung des Gefükls
^4
des Beotacntefwerdens und somit für die des künftigen
psycliologisclien Interesses nicnt bedeutungslos sein können.
Es ist verständlicn, da^ das Gefünl des Beooacntet-
werdens unter dem Einflüsse der narzi^tiscken Besetzung
zustande kom.mt und sie ■tvieder rückwrirkend verstärkt. Das
Gefülil des Beotacntetwerdens ist dem des Beacktet- und
Geliettwerdens nalie verwandt. Hier ist also eine der
früliesten narzi^tiscnen vV^urzeln der Psycliologie, die später
namentlicn in der Introspektion erkennbar wird.
Auf der anderen Seite fünrt von nier aus ein vV eg
zur FremdLeotaclitung. Das Gefülil des Beobaclitetwerdens
würde oline eine primitive, auf die Personen der Um-
getung gericlitete Aufmerksamkeit niclit zustande kommen.
Das Gefükl des Beotaclitetwerdens w^ird so den Ansatz
zur litidinösen Objektbesetzung bereits verraten; das be-
otaclitete Kind darf die Befriedigung seiner Bedürfnisse
von den beobaclitenden Personen erwarten. Auen ein
weiterer Antriet zum Übergang zur Objektlibido ist im
Bew^u^tsein des Beobacntetw^erdens entlialten: das fremde
Otjekt w^ird geliebt werden wie das Ion sich von inm
geliett fünlt. Jene Zwiscnenstufe des NarziJgmus, aus der
die Umsetzung narzi^tiscner Libido in Objektlibido er-
folgt, ist nocli nicnt genügend erforscnt. Icn würde vor-
scnlagen, sie als reflexiven Narzißmus vom primären zu
unterscneiden. iSie ist nicnt menr durcli die naive Icn-
tesetzung des Kindes gekennzeicnnet. Die Selbstgenüg-
samkeit der narzi^tisclien Besetzung ist tereits ein Otück
w^eit im iScnw^inden und es bedarf der von au^en kommen-
den Liete, um die Icnlitido zu verstärken. Die dem Icn.
ge-widmete Liele der Au^en-«relt verändert den Cnaratter
des primären Narzißmus und bildet gleicnzeitig die Brücke
zur ersten Otjekttesetzung. Lassen oie micn nur mit
einem ^W^ort darauf nin'weisen, daJg die Bedeutsamkeit
dieser, der reflexiven Pliase des Narzißmus, die bereits
ein Objekt voraussetzt, aucn in der Genese der Homo-
sexualität, des Masocliismus und des Exnibitionismus, in
der Oelbstbe'wunderung und im Selbstmitleid so"wie in
bestimmten Zügen des normalen Ijiebeslebens nocn nicnt
genügend erforscnt ist.
Die Eltern oder Pflegepersonen beobacnten das Kind
in erster Linie, um seine vitalen Bedürfnisse zu befriedi-
gen, aber diese Beobacntung gescnient nicnt affektlos. Die
Bewegungen, das AVeinen, Oclireien oder Lacken des
Baby lösen in den Eltern bestimmte Gefünle aus, für
deren Anzeicken das Kind bald eine ziemlick gro^e Emp-
fänglicnkeit zeigen wird. Es bleiben ikm Erinnerungs-
spuren von den Anzeicken der Freude oder des Ärgers,
des Ergötzens oder der Mißbilligung der Pflegepersonen er-
kalten und es lernt frük, den Eindruck dieser Reaktionen
mit seinen eigenen Ausdrucksbewegungen zu verknüpfen.
Ja, man könnte glauben, das Gefükl des Beobacktetwerdens
würde okne solcke Reaktion der Umgebung gar nickt
entsteken und es sei bereits der Reflex eines gewissen,
nocli unklaren V erständnisses des Baby für das Verkalten
der umgebenden Personen.
Beziekt sick so das Gefükl des Beobacktetwerdens auf
bestimmte Reaktionen der Außenwelt, so werden iSie es
gewiß würdigen, daß das Kind nur ikm lustvolle Re-
16
attionen zu erzielen -wünscnt und umustoringenoe zu ver-
meiden traclitet. Die Reaktionen der zweiten Art werden
nun für die w^eitere EntAvicItlung des Oelbstgefünles be-
sonders w^iclitig. Das Kind lernte sagten w^ir, solche Re-
aktionen der Umgeoung zu vermeiden, w^elclie als Mi^-
tilligung, Ärger, Bösew^erden ersclieinen, ja unter Um-
ständen Strafe nacli sicn zielien. Diese Abliängigteit von
der XJmgetung w^ird f olgenscliwer : das Beotacntetwerden
und später die iSelostDeODaclitung w^erden nie melir völlig
die Verknüpfung der Icligefünle mit der Kritik der Außen-
welt verlieren: sie wird sicn als iSelostkritik fortsetzen.
^V^enn das Kind nun später geneigt ist, eine Bewegung
zu macnen, zu scnreien usw^. und sicn damit die E-rinne-
rungsspur verknüpft, daJ} diese bestimmte Aktion eine un-
willige Reaktion der Umgebung, d. n. einen Lieoesverlust
kervorruft, so wird es durcn diese Erinnerungsspur ge-
kemmt. iSie seken kier klar die Bedeutsamkeit der frülien
Otjektintröjektion für die Genese der iSelostoeotacktung.
Die Psyckologie lekrt uns immer w^ieder, daß oelbst-
Leotacktung zur oelostkritik fülirt und w^ir kaoen das
alle am eigenen Leite, besser gesagt am eigenen oeelen-
leken, nackzuprüfen Gelegenkeit gekabt. Vv as w^ir kinzu-
erfakren, ist, daß die Oelbstoeooacktung bereits Resultat
der iSeltstkritik ist und diese iSelbStkritik durck Otjekt-
intröjektion entstanden ist. Diese tildet in VV akrkeit die
unerläßlicke Prämisse für die Möglickkeit der iSeltst-
teotacktung, genetisck gesprocken: für die Umwandlung
des Gefükles des Beotacktetw^erdens in den Antriet zur
iSeltstteotacktung. Der Kreislauf ist also folgender: un-
Reik. 2 17
tewu^te innere W^akrnelimung von Lust und Unlust
wird in die Außenwelt projiziert, so entsteht eine primi-
tive Fremdieoiaclitung, eigentlich auf die Außenwelt ge-
richtete AufmerLsamteit. Diese ermöglicht das Bewu^t-
■werden des Beotaclitetwerdens, das sich durch Oojekt-
introjektion in iSeltstteotachtung verwandeln kann. V on
liier aus tommt es w^ieder zur Beotachtung der äußeren
Oijette, wotei die untewu-§te innere ^V^alirnehmung zu
Vergleichszwecken oenützt wird.
iSie liaten gelxört, da^ die Psychologen sich darüher
gewundert naten, — und viele haben sich nicht einmal
darüter gewundert, — da^ das Ich sich seihst heobacnten
kann. ALer wir wissen jetzt, wer dieses heohachtende Ich
ist: das ins Icli aufgenommene Otjett, die Mutter, der
Vater, die Nurse, die teotaclitende Person der Kinder-
zeit. Die Zweiteilung der inneren AV^alirnenmung wird
so verständlich. 5ie erklärt sich durch die Introjektion
der »Aufsichtsperson« ins Ichj das beobachtende Ich ist
das jSurvival der teotaclitenden Mutter oder des V aters.
iSiclierlicli denken iSie jetzt in Fortsetzung dieses Ge-
dankenganges an die Genese des religiösen Glaubens von
der AUwissenkeit Gottes, an unsere Kindermeinung, daij
Gott alles sehe.
Hier knüpft auch die zweite, von uns hervorgehobene
Tatsacke an: diese jSeltstteotacktung stellt frük unter
dem 2^eiclien einer primitiven iSeltstkri'tik, ja, sie nimmt
von dort ikren Ausgang und diese Selbstkritik ist die
Fortsetzung der Kritik der anderen. Freud hat einmal
ausgefülirt, da^ die TrietLeotaclitung, d. Ii. die introspek-
F
tive "W^ahrnenmung der eigenen TriettenJenzen scUie^-
licli in Triebliemmung mündet. Ater wir möcliten hin-
zufügen, oa^ solche Triebbeotaclitung seltst scKon das
Resultat einer frühen Triethemmung ist. iSie -würde niclit
existieren, -wenn es keine Erinnerungsspuren daran gete,
da^ die Umgebung auf testimmte, von ilir teotaclitete
Trietäu^erungen mit Unwillen oder Ärger, mit Lietes-
entzug reagierte. Lassen oie mick zu unserem Itontreten
Beispiel zurüctkeliren : -wenn icL mir in diesem Augen-
blicke in bestimmter Art meiner Be-wegungen und meiner
Stimme bewußt werde, also das werde, was man engliscli
self-conscious nennt, und dieses Gefülil eine testimmte
Intensität annimmt, so würde sick diese Reaktion der der
V erlegenlieit oder Befangenheit sehr rasch nähern; ich
würde zu stottern heginnen, sonstige iSprechstörungen
würden eintreten und es könnte hei andauernd gleicher
Intensität sich die für jSie wohltätige W^irkung einstellen,
da^ ich überhaupt aufhören mü^te, zu sprechen. Dies
aher würde, wie gesagt, damit zusammenhängen, da^ ich
den Eindruck empfange, meine Ausführungen würden
von Ihnen nicht wohlwollend, sondern ahlehnend auf-
genommen, hei Ihnen auf eine negative Kritik stoßen.
Sie sehen, wie das Ichhewu^tsein eigentlich ein Bewußt-
sein der Einstellung der Anderen zum Ich ist, hesser
gesagt, ein Vorhewußtwerden dieser Einstellung und daß
es hesonders dann hervortritt, wenn die Kritik der Anderen
vorhewußt wird. "W^enn es wirklich dazu käme, daß ein
solches Ichhewußtsein eine /Störung der Rede zur Folge
hätte, müßten jSie aus solchem Effekt schließen, daß Ihre
19
scWeIgen(3e Kritik tei mir an ein tiefer tegründetes jScIjuU-
gefütl gerülirt liat un<3 icL. mick jetzt für irgendeine ütel-
tat, die mit der gegenwärtigen meines Vortrages vielleicht
nur lose verknüpft ist, durck die Redestörung testrafe.
Ick kake kier ketont, da^ die Selkstkeokacktung deut-
lick unter dem Zeicken der 5elkstkritik stekt, jener iSelkst-
kritik, die eine Fortsetzung der ins Ick aufgenommenen
Kritik der Anderen ist. Ja, man könnte sagen, die (Selkst-
keokacktung vertrete selkst zu einem großen Teile die
iSelkstkritik und zeige ikre Akkunft aus der Kritik der
Anderen gerade dadurck, da^ sie dann auftritt, wenn man
meint, den Anderen (Stoff zur Kritik gegeken zu kaken.
Ick will dies an einem anderen, kanalen Beispiel erläutern:
nekmen iSie an, eine junge Dame ketritt in großer Akend-
toilette einen iSaal, in dem einige ältere Damen, soge-
nannte Respektspersonen, sitzen, die in diesem Augen-
klick ikr Lorgnon an die Augen fükren und die ein-
tretende junge Dame mit jener Aufmerksamkeit ketrackten,
die alte Damen eken für junge, einen Ballsaal ketretende
Gescklecktsgenossinnen kaken. Ick glauke, da^ der Neu-
ankömmling in diesem Momente self-conscious wird, ick-
kewu^t, weil sie sick im Bannkreise der kritiscken — fast
kätte ick gesagt: feindlicken — Lorgnons kefindet. Viel-
leickt fragt sie sick, ok ikr Kleid nickt zu auffällig oder
nickt zu tief dekolletiert ist, ok die Frisur ordentlick
kalt usw. Die Beokacktung durck die Anderen, kesser
das Bewußtsein des Beokacktetwerdens kat kier sofort zur
Selkstkeokacktung gefükrt. »Was sckaut sie mick so an?
Hake ick vielleickt ein Lock im 5eidenstrumpf ?« das ist
eine so allgemeine weitliclie Reaktionsform, daj^ man sie
fast einen Automatismus nennen könnte.
Sie könnten einen Einwand gegen meine Tkeorie, <Ja^
die (Seltstteoiacktung sick aus der kritiscken Beotachtung
der anderen atleitet, leickt formulieren und mir zu meinem
f rükeren Beispiele etwa sagen : es wäre dock möglick, da^
Ikre Ausfükrungen kier keifällig aufgenommen werden,
Sie das vorkewu^t erkennen und dadurck tesser sprecken,
zur Fortsetzung Ikres Vortrages ermuntert werden. Ick
will ganz von der XJnwakrsckeinlickkeit dieser Annakme
akseken und nur kervorkeken, da^ nickt einmal diese
pkantastiscke Möglickkeit eine sickere Gewäkr für die
kelekende und aufmunternde Wirkung auf mick kieten
würde, sie also jene Hypotkese nickt widerlegt. Gewi-|
ist eine solcke Wirkung möglick, sie ist aus der narzi^-
tiscken Ickkesetzung leickt verständlick. Aker erwägen jSie
auck den anderen möglicken Fall : da^ nämlick gerade die
keifällige Aufnakme mick kemmt, mick verlegen mackt
und stottern lä^t, da^ ick mir Ikre Zustimmung und Ikren
Beifall nickt gönne — z. B. wenn mein unkewuJ^tes iStraf-
kedürfnis durck die langjäkrige Ausükung des Analytiker-
kerufes nickt genügend kefriedigt wäre.
Wir kaken kier eine der ersten Voraussetzungen des
psyckologiscken Interesses gewürdigt; es gikt aker andere,
die sick aus der psyckiscken Weiterentwicklung des Kindes
ergeken. 5ie wissen, wie sick das Ick durck die Intro-
jektion der Eltern kereickert und wie sick jene kritiscke,
ükerlekensgro^e Persönlickteit des Vaters in der Instanz
des Üker-Icks verewigt. Erst kier wird Psyckologie mög-
Hell. Die primäre Trietteotaditung stand am Anfang; es
gat da etwas, was sick in Interessengegensatz zu den
Wünsclien der Umgebung setzte und das teotacLtet, kon-
trolliert und telierrsclit werden mu^te, ater es war tetannt,
was das war, und es w^ar Bekannt, w^as die motonscne
Durchsetzung der Trietregung verhindern wollte. Jetzt
afcer werden sowolil die iStretungen als auch die verbieten-
den Instanzen in einem großen AusmaJ|e untetannt, durch,
die Verdrängung dem Bewußtsein entzogen. iSie wissen,
daß die Verdrängung gewisser Triettendenzen und Triet-
ziele mit dem Untergang des Odipus-Komplexes zusammen-
hängt und welcLen Beitrag das AV^irlien des Üter-Ichs zur
Aufrecliterlialtung der Verdrängung liefert.
Die Psychologie kann wie jede andere \v issenscliaft
erst teginnen, wenn man erkannt nat, daß man etwas
niclit weiß, was man wissen möchte, also mit dem Ouclien
nacli den untekannten Gründen und .Zusammenliängen
der Phänomene . Die Situation in der Psychologie ist nun
die folgende: die Verdrängungsmächte ließen eine große
Anzahl Triehregungen, Gefühle und Gedanken in die
Versenkung fallen; sie sind verschwunden und nur schwer
erkennhare Ersatz- und Reaktionstildungen, Verschie-
hungen, Entstellungen und andere, tewußtseinsfähige
Spuren sind erhalten gehlieten. So ist die Verdrängung
die Voraussetzung der Psychologie und es hleiht eine
groteske Vorstellung von wissenschaftshistonscher Bedeu-
tung, daß die Psychologie, die erst von der Verdrängung
an datiert, ihr eigentlich ihre Existenz verdankt, den Ver-
drängungsprozeß so lange verleugnet. Das heißt: es bliebe
eine groteste Vorstellung, -wenn sie nicm gerade aus
psycliologisclien Voraussetzungen ertläriar wäre, wenn
niclit solclie Verleugnung seiist das Anzeiclien der Wirk-
samkeit des Verdrängungsprozesses wäre. Das wäre etwa
so, wie wenn ein MenscL sick eine Maske vornenme
und sick nun fragte, wer er eigentlick ist. Ater diese Vor-
stellung ist keineswegs so unsinnig, als sie auf den ersten
Blick sckeint: wir tragen alle Masken und genen uner-
kannt von Anderen, unerkannt von uns seiest durcns
Leten. Unsere Kenntnis von der AuJ^enwelt ist sicker-
lick reckt tesckränkt, ater unsere Ignoranz üter unser
Innenleien ist fast unkegrenzt. »Nous mourons tous in-
connus.« Oder es wäre etwa so, wie wenn jemand mit
sick seltst Verstecken spielte. Auck das sckeint unsinnig
und dock tun wir das unatlässig, wie die Analyse uns
zeigt. Denken iSie z. B. an den Prozeß der Analyse;
man könnte ikn auck so darstellen: der Patient katte,
tevor er sick in die Analyse tegak, gewi^ viele Bekannte.
Jetzt mackt er eine neue Bekanntsckaft. Er wird sick
nämlick selLst vorgestellt; tei näkerem Verkekr lernt er
sick kennen, seine Fekler und iSckwäcken etenso wie
seine Gesckickte, die ikm zu einem wesentlicken Teil
untekannt war. Die meisten Leute verlieren tei näkerem
Verkekr. Es wäre nickt untegreiflick, wenn der Patient
im Laufe seiner analytiscken Bekandlung sick manctmal
sagte: »Mein Gott, wie oft man sick üter die Leute
täusckt ! « Ater auck andere, aus dem Verkekr der Menscken
tekannte Reaktionen werden eintreten : der Kranke wird
mit sick ungeduldig, teginnt, sick üter sick zu ärgern,
»5
sicli mit sicn seltst zu streiten, tis er sich mit sicn ver-
sSlint und sicn zu niliigerem, toleranterem Zusammen-
leten mit sicli entscnlie^t. Dazu trägt oas in der Analyse
erwortene Verständnis dafür tei, daJ^ es eine oclieidung
von sict etensowenig gitt -wie eine Auflösung einer Ene-
gemeinscliaft im Katnolizismus.
Kenren wir zur Genese des XJter-Icns und seiner Be-
deutung für die iSeltstDeoDacntung zurück; sie wies uns
darauf nin, woner das U ter-Icli seine strengen, kritiscnen
Züge Iiat. ISTun erinnere ick jSie an die Anleitung der
kindlicnen iSelDStoeobacntung aus dem Beobacntetw^erden.
Diese Entwicklung wird auf der Verdrängungsstufe durcn
das Beotacntetw^erden durcn die introjieierten Eltern fort-
gesetzt: das XJter-Icn teoiacntet das Icn. Die Institution
des Gew^issens wird w^ie ein Denkmal, aere perennius, für
die Introjettion des Vaters ins Icn Zeugnis atlegen. Jetzt
erkennen w^ir also eigentlick oesser, w^ie jene ijcneidung
in / und M.e zustande kam : das Üter-Icli hat eine eigene
Kontrollstation erricntet, w^elcne die variable Entfrem-
dung zw^iscnen mm selost und dem Icnrest mi^t. Das
Üter-Icn ist das eigentliclie Movens unserer psyckologi-
scken Forscnung. Es kann nickt ricktig sein, w^as einige
Psychologen uns als primäre peltstsckau — so kei^t "wokl
das scköne AV^ort? — vorgestellt kaben. Zur Psychologie
gekoren zw^ei — noch wenn sie Introspektion im einsamen
(Studierzimmer wäre. Das Üoer-Ick, das ins Ick aufge-
nommene Vater-Urtild, ist jener Zweite. Freud hat einmal
geschildert, wie der Gefühlskonflikt heim Tode von ge-
liehten und doch auch gehabten Personen die psycho-
M
logisclie Forscmmg entbunden hat. Z-w'ischen Befriedigung
und Sclimerz, die inn an der Leicne der geliebten Person
in seinen Tiefen be"wegten, ersann der Mensen unter dem
Drucke des Ocnuldgefümes jene bösen Dämonen, Pro-
jektionen seiner eigenen feindseligen Regungen, vor denen
er sieb ängstigte.
Das Ion ist in erster Linie ein Apperzeptionsorgan, das
^V^alimebmungen f estliält ; es ist ursprünglicb auf die AuJgeu-
■weit gericntet und zur inneren W^abrnenmung ungeeignet.
Das XJber-Icb ist als An^valt der Innen-welt dem leb als dem
der Au^en-welt gegenübergestellt. Es ist der eigentlicbe
stumme Fremdenfübrer im unterirdischen Reiche des
Seelenlebens. Es darf uns nicht ver-wundem, daJ3 sich
unsere Aufmerksamkeit zuerst der befremdenden Land-
schaft und dann erst, umso viel später dem schweigsamen
Führer zuwandte. Der Anteil des Über-Ichs an der Ent-
stehung der Psychologie geht von hier aus; sie steht ur-
sprünglich m seinem Dienste. JMLan hat gesagt, da^ unsere
psychologische VV issenschaft eine lange Vergangenheit,
aber nur eine kurze Geschichte bat. Sie w^issen ja, wie
wenig geeignet der Mensch ist, Geschichte zu treiben,
aber soweit w^ir die Geschichte der Psychologie übersehen
können, stand sie überwiegend unter dem Einflüsse reli-
giöser und sittlicher Vorstellungen. Psychologie hatte ur-
sprünglich darüber zu w^achen, da^ keine unerlaubten
Regungen über die Bew^u^tseinsschwelle kommen. Ihre
Aufmerksamkeit und ^Wachsamkeit w^aren ursprünglich
darauf gerichtet, solche endopsychisch erkannte Tendenzen
und Impulse abzuhalten, nach ati^en zu projizieren und
zu unterdrücken, die Aufrediterlialtung der Verdrängung
zu sickern. iSie unterscteidet, klassifiziert, experimentiert
nock lange im Dienste der Verdrängungsmäclite; ikre
Erkenntnisse wurden im Dienste der Trietkemmung ge-
mackt. 5o ist das ursprünglicke Ziel der Psyckologie die
Unterstützung der Verdrängungsvrirkungen auf wissen-
sckaftlickem Wege. Diese Herkunft der Psyckologie ist
nock in unseren psyckologiscken Urteilen unsckwer zu
erkennen j die 5pracke kat diesen Ursprung verewigt.
Wie ckarakterisieren wir denn einen Menscken? Wir
sagen z. B., er sei eigensinnig, trotzig, pedantisck. Hören
Sie da nickt die Stimme des Üter-Icks in unseren psycko-
logiscken Feststellungen mitklingen? "Wir wollen gewi^
jenseits aller konventionellen Ansckauungen und affekt-
frei keokackten und konstatieren, aker unsere armselige
iSpracke zwingt uns, einen Unterton von Mi^killigung
oder Mindersckätztmg in unsere wissensckaftlicken Fest-
stellungen zu kringen, den wir gerne vermissen würden.
Wenn ick so die Gekürt der Psyckologie aus dem
Geiste des Üker-Icks ketone, will ick damit den Anteil
der Mäckte des Es keineswegs sckmälern. Wir kalten
uns ja auck gegenwärtig, da^ das Üker-Ick selkst nur ein
kesonderes, differenziertes /Stück Ick ist. Sie kennen die
Mitwirkung der likidinösen Kräfte an der Entstekung
und Entwicklung der Psyckologie, und es war meine Ak-
sickt, konsequent nur den einen Faden zu verfolgen. Es
ist kier aker der Platz dafür, zu ketonen, da^ ja die
Psyckologie als Reaktionsersckeinung nack einem Gefükls-
konflikt keginntund da^ das Üker-Ick als Erke des Odipus-
F
Komplexes noch immer auf libidinöser Grundlage auf-
getaut ist. VV ie icn bereits andernorts zu zeigen versucht
Iiate, Iiat das üLer-Icn eine gelieime Entente cordiale
mit den Mäcliten des Es gesclilossen, deren Bedeutsamkeit
innernalo der Psyclioanalyse nocn nickt genügend ge-
würdigt ersclieint. Diese Entente -wird sxcli besonders nach
zwei Ricntungen liin als "wirksam er-weisen: das Üter-Icli
wird oft die Befriedigungen unserer litidinösen und aggres-
siven Regungen decken und es -wird sie lieimlicli ver-
stärken. Niemals -w^urden unter dem Antriebe der groi-
sexuellen und grausamen Regungen der Menscken so viele
Opfer georaclit als der sogenannten Tugend. Kein Raub-
tier ist grausamer und blutdürstiger als der Menscb in
seinem sittlicnen und religiösen VS^ann. Die gelieime Ver-
bindung zwiscnen Moral und Trieb, von oinnlicnkeit und
Scbuldgefünl scliaflt Triebverstärkungen, die ieine un-
gebrochene und elementare omnliclikeit zu verlernen bat.
Erscliüttert und voll Neid -würde der primitive Mensen vor
den au^erordentlicn ernSbten Lustmöglicbteiten steben,
die Eros aus dem V erbot ge-wanii und von denen sieb die
ungebemmte Leidenscbaft nicbts träumen lie^. iSie -wissen,
wie zurückhaltend sieb die Menscbbeit gegenüber den
sittlicben und religiösen Bescbränkungen vernält, deren
reaktivem EinlluJ^ allein sie die Möglicbkeit der iSteigerung
des Genusses zur Orgie verdankt.
oie mabnen micb, zvi unserem Tliema zurückzukebren.
Das Ziel der Psychologie ist, sagten -wir, ursprünglich die
Sicherung der Verdräiigungswirkungen, aber es ist ähnlich
wie in der Entwicklung der Religion : wenn der religiöse
Zwang zu Start, zu lastend geworden ist, kommt eine
Reformtewegung, welcte den Zwang gerade von reli-
giösen Voraussetzungen aus weitgeliend mildert oder völlig
aufliett. »So entwickelt sicli aucli die Psycliologie zu einer
■Wissenschaft, deren Ziel die Auflietung der Verdrängung
wird. Sie tritt datei siclier in den Dienst der entgegen-
gesetzten Tendenzen äe:s Icks, tleitt ater trotzdem in
einem gewissen Ausmaße vom Uter-Icli atkängig. Denn
wie sicli einst das scWaclie Icli die Kraft zur Verdrängungs-
leistung vom Uter-Icli lieli, so leilit es sicli jetzt, erstar-
kend, die Kraft zur Aufketung der Verdrängung vom
Uter-Ick. Sie können in Ikrer analytiscken Praxis täglick
teotackten, da^ dieselke Kraft, die einst kestimmte Re-
gungen, Gefükle und Gedanken zur Verdrängung ke-
stimmte, sick Iknen als "Widerstand entgegenstellt, wenn
es gilt, das Verdrängte wieder dem kewu^ten Ick zurück-
zufükren. Dieselke Instanz aker, welcke die Verdrängung
sckafit, das Üker-Ick, kilft in der Analyse, sie aufzukeken.
Bei Anatole France sprickt ein geistreicker Akke, Di-
rektor eines Priesterseminars, einmal die nackdenklicken
Worte: »So groi^ ist die Mackt der tkeologiscken Er-
ziekung, da^ sie allein fäkig ist, die großen Ungläukigen
keranzukilden; ein Ungläukiger, der nickt durck unsere
Hände gegangen ist, ist okne Kraft und okne Waffen für
das Böse. In unseren Mauern lernt man alle Wissensckaft,
selkst jene der Gotteslästerung.«
Dieselke psyckiscke Kraft also, die einst die Einkeit
des Icks sprengte, muJ| jetzt dazu keifen, sie wieder auf-
zukauen. Denn diese Einkeit des Icks wird eken durck
a8
die weitgeienJe Auflietung der Verdrängungen — als
Ziel der Psycliologie — -wiederkergestellt.
Die Psycliologie tegann so ikre Forschung im Dienste
der psycliisclien Zensur: die Kontrollstation des Ge-
wissens prüfte die aus der Verdrängung wiedertelirenden
Trietimpulse und Regungen. Die Entwicklung führte
nun daliin, da^ die Psycliologie die Existenz solcner
verdrängten Tendenzen leugnete. Es wäre nur wenig
ütertrieten, sie in dieser Enfwicklungspnase als eine
Art Alititeweis auf seelischem Getiete zu tezeiclmen.
Die Malmung Fvcödi aeavxbv war notwendig, denn die
Psycliologie war tald die teste Methode zum iSelbst-
vertennen geworden. Erst spät nat sie sich wieder auf
ilire Aufgate, die Auftetung der Verdrängung und
die Erforschung unerkannter seelischer Zusammenhänge,
tesonnen. Gehen wir von den latenten Tendenzen der
psychologischen Forschung aus, so liönnen wir sagen:
sie setzte als Methode zur Gewissenserforschung unter
dem Drucke des untewu^ten, aus dem Odipus-Kom-
plex stammenden iSchuldgefühles ein; sie endet als
Methode zur Erforschung und Bewältigung dieser Ge-
w^issensangst.
Indem wir uns hier mit dem Anteil des Üter-Ichs
und des Gewissens im Ursprung und in der Entwicklung
der Psyckologie tesckäftigten, sind wir wieder auf die
Tatsache gestoben, da^ der Mensch nach zwei »Seiten hin
gewissermaßen üter seine Verhältnisse, üter seinem (Stan-
dard lett; in der Verleugnung seiner litidinösen und feind-
seligen Regungen etenso wie in der Verleugnung des
39
Anteils, den die dem Uier-Icli entstammenden Gefühle
an seinem (Seelenleben haien.
~W^ollen -wir uns von liier aus einen flüclitigen Blick
auf eine iestimmte Urteilsreattion gegenüber der Psyclio-
analyse erlauten? Ste katen es alle erlebt, da^ den
Analytitern von gewisser Seite vorgeworfen wurde, ikre
Betonung der W^iclitiglteit der Sexualität im Seelenleben
sei selbst der Ausflu-g einer unsauberen oder lüsternen
Gedantenriclitung. ^Vir gellen natürlicli liier nicbt auf
das \V^esen solclier Kritik ein; aucli nicht auf eine An-
schauung, die zu verlangen scheint, da^ der Psychologe,
dem nichts Menschliches fremd sein sollte, von jenem
Geiste gelenkt werde, der schlicht und einfältig sich
ausspricht : t i t • 1 1 •
-*- 9j.cn bin Klein,
Mein Hers ist rein.
Darf niemand arm sein
Als Jesus allein.«
Aber finden Sie es nicht doch sonderbar, da^ man
nicht den moralischen JMLut sehen wollte, der zur Tiefen-
forschung des Seelischen gehörte und der vor so belrem-
deiiden und den konventionellen Anschauungen so wider-
sprechenden Befunden nicht zurückschreckte ? \V ir meinen,
hier sei gerade der Platz, der Rolle des uber-Ichs zu
gedenken, das in der Unnachsichtlichkeit und Uner-
schrockenheit der Erforschung gerade jener »gefährlichen«
Seiten des menschlichen Seelenlebens seine VV irksamkeit
entfaltete.
Die vergleichende religionsgeschichtliche Forschung hat
nachgewiesen, da^ es dieselben Götter w^aren, welche einst
in der düsteren Unterwelt geherrscht taten, die später
tocn am Himmel tlironten. ^V^er den Acneron in Be-
wegung gesetzt hat, liat auct die Götter der Oterwelt
zur Erde lieraogez-wungen.
Xm. unserem Tkema zurücktetrend, ist es vielleickt
notwendig zw betonen : oie Existenz bestimmter Mäctte-
gruppen anerkennen Iiei^t nictt, sicli ilinen unterwerfen,
lieiigt niclit ilinen Tribut zollen, sondern nur eine psyclio-
logisclie Realpolitik, treiten. Es ist Mar, da,^ die analy-
tische Erkenntnis und Atscliätzung der W^irkungen des
XJter-Iclis nichts mit den Anscliauungen sogenannter
anagogischer Riclitungen oder der JungscLen Psyckago-
gie tvi tun taten. ^Wenn wir toctgemuten Psyctologen
dieser Art folgen, so können wir gar nictt umtin, u.n.s
als immer und durctaus moralisct zu seten. Oder, um
mit Anatole France zu. sprecten: w^ir können der gött-
licten Güte gar nictt entgeten und kommen alle ins
Paradies, »es sei denn, es gete kein Paradies, was au^^er-
ordentlict watrscteinlict ist«. "VS^ir meinen eter, da,^
die Psyctoanalyse die Wirkung taten könnte, die
Menscten tescteidener zu macten und sie erkennen zw
lassen, da,^ sie ein wenig tesser leten würden, wenn sie
itre Emanzipation vom rein Animaliscten in itren An-
sictten nictt ütertreiten wollten und in itren An-
sprücten an itr Ict toleranter sein könnten. Ict neige
zu der optimistisctcn Ansctauung, da^ die Menscten
langsam tegreifen werden, wie wenig und wie unwesent-
lict sie sict vom Tier unterscteiden. Es fällt mir gewi,§
nictt ein, die Untersctiede, welcte scton durct die
!
Lüge, Jle Religion und die Mordsuclit gegeten sind,
völlig leugnen eu wollen.
Gestatten Sie mir zum Sclilusse, den tiefgehenden und
prinzipiellen Unterschied, ^v^elclier zwisclien der Ein-
stellung jener moralisierenden Richtungen und der der
Psydioanalyse gegenüter den Instanzen des Üter-Icks te-
stek, durcli eine Ideine Gescliiclite zu illustrieren. 5ie
liaten gewi^ in den Zeitungen mit großer Spannung die
Berichte verfolgt, die von dem külinen Unternelimen er-
zählten, den liöclisten Berg der Erde, den Mount Everest,
zu ersteigen. Die Titetaner nennen ikn Tscliomo-lungma,
di& »Göttermutter der Erde«, und tekaupten, die grau-
same Göttin verfolge alle, die sicli ilir näliern, und stürze
sie ins Verderten. WirMicli stellen die Kälte, die dünne
Luft, die Lawinen au^erordentlicli gro^e Gefahren dar,
denen Bereits einige der tülinen Bergsteiger zum Opfer
gefallen sind. Den verschiedenen, von der Geograpliiscken
Gesellscliaft in London ausgerüsteten Expeditionen ist es
trotz der ungeheuersten Anstrengungen und scWer te-
sclireittarer Strapazen nocli nickt gelungen, den gefälir-
liclien Berg zu tezwingen. Als nun der Fülirer der Ex-
pedition von igaa, General Bruce, dem Lama im Kloster
des Rongtuktales einen Besuck abstattete, konnte sick
der Priester nickt genug üker die Expedition verwundern.
Er verstand nickt, warum so viele lekensgefäkrlicke und
kostspielige Anstrengungen gemackt werden, um den
widerspenstigen Berg zu ersteigen. General Bruce war in
einer Verlegenkeitssituation. AVie sollte er dem keiligen
Manne die Aksickten der Expedition verständlick
5»
i
maclien? Er fand die folgende schöne Antwort: die Ex-
pedition sei eigentlicli eine AV^allf alirt j die Religion der
Königlicnen Geograpliiscnen Gesellscnaft gebiete inren
Gläubigen, alle unbekannten Gipfel der \V'^elt zu be-
dien und zu verenren.
suchen unc
Reik. 3
33
Psychologie und Depersonalisation
Nacli Vorträgen im Letrmstatut der "Wiener Psyclioanaly tischen
Vereinigung (Januar — Fetniar 1926)
Die Depersoiialisationsersclaeinungen liaten für uns ein
doppeltes Interesse. Es läj|t sicli sclilagwortartig, in der
durcli Ausdruclcsvertürzung feedingten Vergröterung fest-
legen : die Psycliologie der Depersonalisationszustände und
die Bezieliungen zwisclien Psycliologie und Depersonali-
sation. XJter teide Gegenstände existiert tereits eine aus-
fütrliclie Literatur. Linerlialt der Analyse liafeen uns die
Arfeeiten von Nunterg und jScliilder wertvolle Auf-
iläi-ungen zur Genese und zu den Meclianismen der
Depersonalisation getraclit. Die folgenden Bemerkungen
■wrerden zweierlei enthalten: neue Forscliungen zur De-
personalisation, die feisKer Unfeeaclitetes liervorliefeen (netst
Korrekturen und Ergänzungen der von den Autoren tis-
ker gegetenen Auskünfte), und Bemerkungen üter die
Beziekungen zwisclien Depersonalisation und Psyckologie.
54
Der fragmentariscne und einseitige Cnarakter dieses Bei-
trages sei von vornherein tetont.
Die Entfremdting, welcke das Icli und die Außenwelt
in der Depersonalisation erfaliren, -wird allgemein als das
cliarakteristisclie jMerliiiial dieser Zustände tezeicnnet.
Entfremdungsgefülile ersclieinen indessen aucli in anderen
Kranklieitsgruppen. Die Entfremdung der Depersonali-
sation ist spezilischer Art und prägt sicli in typisclien,
von allen Beonacntern übereinstimmend tesclirietenen
Formen aus. TNatürlicn gibt es mnerlialt dieser typisclien
Bilder individuelle V ariationen, ater -wer viele Fälle von
Depersonalisation gesellen oder aucli nur die ausfülirliclie
Kasuistilt studiert liat, kann sicli dem Eindruck der
Gleicliartigkeit der Hauptsymptome nickt entzielien. Es
lä^t sicli leiclit uacn-weisen, da^ es verschiedene Grade
und Nuancen innerlialo der Depersonalisation gitt; die
leiclite und passagere Entfremdung gekört ebenso liieker
-wie die sck-were iStörung des oelostgefükles. Durck ge-
kaufte Beobacktung kann man leickt die Überzeugung er-
langen, da^ dieselken iSymptome, -welcke in den sck-weren
Fällen so auffallend den Vordergrund tekerrscken, an-
deutungs-weise auck in den leickten ersclieinen. Bestimmte
Züge sckeiden das Bild der Depersonalisation von dem
nakestekender patkologiscker Zustände. Die Entfremdung
wird von dem Kranken nickt nur teotacktet, sondern
ikr krankkafter oder zumindestens atnormaler Ckarakter
wird erkannt. Die Patienten konstatieren nickt nur, da^
sie -weder Lust nock iSckmerz, -weder Lieke nock Ha^
verspüren, sondern sie beklagen sick auck dariiker und
3' 35
empfinden diesen Ausfall als Manto. An Stelle der Un-
mitteltartelt und Letliaftigteit der Empfindungen und
GefüUe ist eine atnorm erLölite und präzisierte Seltst-
teotaclitung getreten.
Gellen wir von diesen Zügen aus. /Scliilder wie andere
Beotacliter taten gezeigt, daf3 die otjektive Untersuctung
die Intattteit der 'Walirnelimungsleistungen der Kranken
ergitt. Die natürlichen Affektreattionen in Mimik, Hal-
tung usw. teweisen, da^ von einem völligen Feklen der
Empfindungen und Gefülile keine Rede sein kann. Den-
nocli müssen wir den Kranken Glauten sckenken: sie
geten mit der Besckreitung ikrer Introspektion etwas
"Walires, wirklicli Wakrgenommenes wieder.
Ist es also wirklicli ein Minus an Empfindungen und
Gefütlen, das wir in der Depersonalisation finden? Ja
und Nein. Es ist siclierlicli eine Verminderung der Ge-
fükls-und Affektstärke sowie des letendigen, der Außen-
welt zugewandten Interesses, soweit das tewußte iSeelen-
leten in Betrackt kommt. Dock liegt diesen Zuständen
nickt ein Minus an Affekttesetzung, sondern im Gegen-
teil ein Plus zugrunde. Die Analyse zeigt die Depersonali-
sation als einen tesonderen psyckiscken Zustand, in dem
sick das Ick dem Ansturm und der ütermackt testimmter
Erleknisse zu entzieken suckt. Es kandelt sick also um
einen Flucktversuck des Individuums vor Gefüklen und
Affekten, denen sick das Ick nickt gewacksen füklt. Die
seeliscke Situation könnte in tezug auf Gefüklsreicktum
und -armut etwa durck folgenden Vergleick gekennzeick-
net werden: ein reicker Mann kat sein Geld vergraken
36
und teilagt sich nun üter seine Armut und die Not,
die er zu leiden nat. Fügen wir ninzu, da^ er das v er-
stect vergessen hat oder da^ es zeit'wreise unzugänglich ist.
Entspricht seine Klage nun nicht den Tatsachen? Ist der
Mann nicht ■wirklich arm? Er ist in vV^ahrheit ein armer
Reicher.
Der Gegensatz eines he-wu^ten, ausgesprochenen und
beiJagten Minus an Gefühlsintensität und der unhe-wu^ten
Erkenntnis des Beobachters, da^ es sich um eine Reak-
tion auf ein vom Ich nicht bewältigtes Plus an Affekt
dahinter handelt, erzeugt jenen »schwer zu beschreiben-
den /Schein des Unechten und Gemachten« (iSchilder),
den die Depersonalisationserscheinungen hervorrufen.
Die analytische Erfahrung zeigt, dajg die Depersonali-
sierung immer auf ein schweres Erlebnis oder einen nicht
bew^ältigten psychischen Konflikt (äußere oder innere Ver-
sagung) zurückgeht, also ein ungewöhnliches Ausmaß an
Affektentwicklung voraussetzt. So stellen sich die Deper-
sonalisationserscheinungen besonders häufig und typisch
in einem bestimmten Zwischenstadium des Ambivalenz-
konfliktes ein. Ein Beispiel: eine junge Frau, die in
analytischer Behandlung stand und zwischen starken be-
wußten Haßgefühlen und unbewußten Eiebesregungen
gegenüber ihrem Gatten schw^ankte, durchlebte in der
Analyse noch eine Steigerung des Konfliktes. Da sie m
ihrer Ehe ungew^öhnlich viel Leid erfahren und sich des-
halb von ihrem Manne getrennt hatte, meinte sie, alle
Ursache zu haben, mit feindlichen und bitteren Gefühlen
an ihn zu denken. Aber ihr Unbewußtes hielt die Er-
3;r
innerung an die glücltliclie Zeit vor der Heirat und im
ersten Eliejakr fest; sie lieite iliren Mann nocli immer
und selinte sick nacL ikm. Bewußt waren nur feindljclie
oder atwetrende iStretungen gegen ilin und seine Ver-
wandten, welclxe die Elie erketlicli gestört Latten, vor-
fanden. Von einander so widerspreclienden GefüLlsrügen
Ilin- und liergeworfen, liatte sie iliren Gatten bereits
einige Male verlassen und war wieder su ihm zurück-
gekelirt und Iiatte sick wieder von ilim getrennt, da ein
Zusammenleten durcli testimmte Umstände unmöglicli
sctien. Die in der Analyse tald auftretende Konflikt-
Steigerung war dadurcli tedingt, da^ die untewu^ten
Lietesregungen dem Bewußtsein naLegetrackt und alle
Widerstände gegen iliren Durclitrucli mobilisiert wurden.
Auf dem Hokepunkt dieser Erregungszustände trat nun
ein ausgesprockener Depersonalisationszitstand auf, der
fast alle kliniscken (Symptome dieser Erkrankung zeigte
und in dessen sickttarem Vordergründe die Klage der
Patientin üker die Ickentfremdung sowie üker ikre völlige
Gefükls- und Interesselosigkeit stand.
In diesen und anderen Depersonalisationszuständen,
welcke den Ausgang außerordentlick verstärkter Amfci-
valenzsckwankungen wäkrend der Analyse kildeten, wurde
es ersicktlick, daß die Psyckogenese der Depersonalisation
durck die "Wirksamkeit von Versckietungs- und Verall-
gemeinerungsmeckanismen mitkestimmt wird. Die Zurück-
ziekung der Likido, welcke Nunkerg mit Reckt als eine
wesentlicke Bedingung der Depersonalisation ansiekt, katte
an einem kestimmten Punkte, der Beziekung zu dem
38
Gatten, eingesetzt, -war auf andere, damit in ^iisanimen-
liang stellende Otjette und Relationen allmänlicli ver-
sclioten worden, tis sie sicli auf alle Lebensgebiete er-
streckte. Da sie alle Personen und Dinge ringslierum
untewu^t in Zusammenliang mit inrem Manne tracnte,
versclioi sicL ilire angetliclie Gefühls- und Interesse-
losigkeit auf ilire Kinder, iliren Hausnalt, inre Freunde us\^.
Alles erscliien ilir tald innaltsleer, wesenlos, sie seilst
konnte -weder Lust nocli ocnmerz empfinden. »SclieinDar
-war affektlose Seltstteotacktung an die iStelle der frülieren
letliaften Gefülile getreten. Es ist gut möglich, die psy-
ckisclie \\^irksamkeit der Verschietungs- und Verall-
gemeinerungsarteit in jedem Fall von Depersonalisation
in durcligefülirter Analyse zu studieren. Ein großer Teil
der psycliologisclien Rätselhaftigkeit der Depersonali-
sationspnänomene erledigt sich auf solchem VV' ege, durch
Aufdeckung der Verscliiebungsmechanismen und Reduk-
tion der Depersonalisation auf ihren Kern, die einzelnen
Erlefcnisse, von denen sie ursprünglich ausgegangen -war.
So -werden die assoziativen und affektiven V erknüptungen,
-welclie in der Verallgemeinerung der Depersonalisation
aufzeigiar sind, -wichtig. Als ein Motiv solcher Verschie-
hung lä^t sich das unLe-wu^te Gefühl erkennen: -welches
Literesse sollte icn an dem oder jenem, an dieser iSache
oder jener nekmen, -wenn das, -was das wichtigste ist, mich
nickt interessiert? ^W^ir stoßen hier zum erstenmal auf
psychologische Gemeinsamkeiten zwischen Depersonali-
sation und Z-wangsneurose. Die iStörung der Liehesfähig-
keit fükrt in der Zwangsneurose zur Herrschaft des
5g
II!;!
Z-weifels, der sicli sclilieJ^licIa auf alles versckiett, in der
Depersonalisation zur Zurüctsiekung der Lioiaobesetzung,
Jie sicli am Ende auf alle Personen und Beziekungen
erstreckt/
Die erste Depersonalisationspkase Lei unserer Patientin
— sie katte im Laufe der Psyckoanalyse mekrere — trat
plötzlick, für sie selbst unerwartet ein;, nackdem der
i) Es scLeint mir, Ja^ diese enge V erwanatscnalt oisner nicnt
cewiirdigt -wuroe. Unser psycnologiscnes v erstänanis der Depersonali-
sation ist auJ^erordentkck unsiclier und Lescliränkt, ikre Abgrenzung
gegen andere ^Neurosen nocn Keineswegs geglückt. \Vir nahen nicnt
einmal gute, d. li. in die Einsellieiten genende Deskriptionen der
Depersonalisationsersclieinungen, so aufscnlu^reicn auch die in der
Kasuistik ersclieinenden Falle von ScLilder, NunLerg, Oster-
reick usw. sem mögen.
Die Älinkckkeiten der latenten Bedeutung einzelner ^wangs-
symptome und Depersonalisationssyniptome gelien olt djs in die Details.
Ein Verständnis der immanenten, unoewuJ^ten Logik, die Leiden psy-
cliiscken Produktionen gemeinsam ist, kann onne analytische Unter-
suckung nickt erreickt werden. Man vergleicke et^va Aulbau und
gedanklicken Inkak der folgenden Sätze, die den latenten unbewußten
Sinn einer J^wangssymptomengruppe und einer Gruppe von Deper-
sonalisation sersckeinungen umsckreioen: i) ick kann dock nickt sicker
sein, ok keute Dienstag oder Älittwock ist, das Geld eckt oder lalsck,
das Essen gut oder sckleckt ist, wenn ick nickt weiß, ok ick meine
Frau lieken kann, s) Ick kann dock kein Literesse dafür kaken, ok
heute Dienstag oder Mittwock ist, das Geld eckt oder falsck, das
Essen gut oder sckleckt ist, wenn ick mick nickt einmal für meine
Frau interessieren kann. Die immer wiederkolte Bekauptung eines
intimen psyckologiscken ^usammenkanges zwiscken der Depersonali-
sation und der Hysterie gekört zu jenen gekeiligten, unergründlicken
und unricktigen Traditionen der psyckiatriscken Lekrkücker, die uns
immer wieder mit tiefer Ekrfurckt vor dem mäcktigen konservativen
Geiste Äer W^issensckaft erfüllen.
40
Höliepunkt des AmbivalenzkonflilLtes erreicnt war. Es
■«rar, ■wie -wenn dieser Zustand die Peripetie der Erregungs-
rustände ieeeicnnete. iSie oetlagte sich über den Alangel
aller Gefünle und Interessen, über ihre Gleicngültigkeit,
über das Fremd-wrerden und Fernerrücken inrer Umgebung.
Eine scnarfe, scbeinbar gefünlsleere iSelbstbeobacntung
stand im psycniscnen Alittelpunkte. Es war, wie wenn
sie sicn in eine psycnologiscbe Beobacntungsstation ver-
wandelt nätte. V on nier lä^t sicn die aflektdynamiscne
und aflektökonomisclie Bedeutung der Depersonalisations-
zustände erlassen: sie sind eine Art geneimer VS^affen-
stillstand in dem Konflikt einander widersprecnender,
starker psycmsclier Kräfte, w^elcne einander scnlie^licn
annänemd die AV^age kalten. In der Fortfünrung und
W^iedernolung des Ambivalenzkonfliktes in der Über-
tragung kam es später wieder zu einer Depersonalisation.
Die anscbeinende Interesse- und Gefünllosigkeit gegen-
über der Analyse sow^ie dem Analytiker bildete jetzt
den Ausgangspunkt. Die Patientin, w^elclie durcn viele
W^ocnen zwiscnen positiver und negativer Übertragung
gescnwankt natte, erklärte plötzlicn, sie verspüre weder
Liebe noch Ha^, w^eder Achtung noch Mißtrauen mir
gegenüber, ich sei ihr völlig gleichgültig. Die Analyse-
stunde begann sie, indem sie mit gelangweilter otimme
sagte: »Mir ist alles' gleichgültig, alles scheint mir ohne
Interesse. Ich könnte Ihnen jetzt sagen, da^ ich Sie liebe
oder hasse. Es ist ganz gleich, es ist so, wie wenn es
mich nichts anginge.« Ebenso gleichgültig stehe sie jeder
Beschäftigung, jeder Unterhaltung, ja, ihrem eigenen Leiden
41
gegenüter. jSie sehe allem zu, am meisten sich seihst. Die
Patientin -wunderte sich seihst, wie das möglich sei, da
sie noch kurz vorher von so heftigen Gefühlen hewegt
war. Ein anderer Depersonalisationszustand trat ein, als
die Hoffnung auf AV^iedervereinigung mit dem Gatten
durch ein unerwartetes, unüherwmdhares Hindernis zu-
nichte -wurde. Vorher -svar sie voll von Plänen gewesen,
hatte sehnsüchtig dem vN^iedersehen entgegengesehen, ihre
^-weifel heiseite zu schiehen ge-wuJgt. Als sie die Nachricht
erreichte, daJj eine Vv ledervereinigung für lange Zeit aus-
geschlossen schien, schlug ihre otimmung jäh in Deper-
sonalisation um. Der oben heschriehene Aiechanismus der
Verschiebung und Verallgemeinerung trat wieder in M^irk-
samkeit. Otwohl hier ein äußeres, von ihrem vN^ollen
unabhängiges Hindernis den vVeg ihrer Gefühle kreuzte,
wäre es doch kaum zur Depersonalisation gekommen,
w^enn die äußere Versagung nicht Anschluß an die noch
immer w^irksame unhe-wuJjte Feindseligkeit gegen den M^anii
gefunden hätte. Die Beobachtung läJ^t uns zu dem Ochlusse
kommen, dalj im allgemeinen nähere Beziehungen z-wi-
schen Ambivalenz und Depersonalisation bestehen, dalj
eine in erster Linie konstitutionell gegebene und durch
infantile E-rlebnisse verstärkte Ambivalenzneigung den
günstigsten Nährboden für Depersonalisationszustände
schaffe. Die Ambivalenz ist natürlich nicht die einzige
psychologische Voraussetzung der Depersonalisation.^ Die
i) Der affektive Brucn mit der eigenen v ergangenneit so-svie der
A.D-welirvorga«g oei der Aniiäuerung au sie oder Elemente von inr
ergeoen günstige psycLologiscne V oraussetzungen für die Depersonali-
4»
)^'W^idersprocIienlieit« der Erletiiisse, die iScliilder der
Depersonalisation als -wesennaft ziisclireitt, reduziert
sicli tei eingellenderer Beooacntung auf den Gegensatz,
sation. Em Patient geriet m einen depersonalisierten Zustand, sobalcl
er ein Stück Icn aus oer V ergangenlieit anerkennen sollte. So oft er
an Äie eigene Kindneit oacnte, kam es zu einer Gefünlssperre, m der
er sJcli sagte, dieses Icn sei ein anderer Mensen, oder es sei nicnt
jn5glicli, Ja^ er derselbe sei. Eine Patientin, die nacn dem Tode einer
Schwester eine tiefgehende Cnarakterveränderung diircLniacnte, zeigte
in der Analyse, wenn die Erinnerung an jene ^eit der Kindneit auf-
taucLte, Depersonalisationszüge. Sie stand dieser Z-eit fremd gegen-
üLer und oenauptete, diese v ergangenkeit genöre nickt zu ikr. Eine
andere Kranke, die sick nacn einem testimmteu Manne seknte, so-
lance er anwesend war, und ikn m ikre sexuellen Pkantasien verwoo,
zeigte eine partielle Depersonalisation, sobald der Erseknte anwesend
war. Oas Gefükl der Gefükls- und Interesselosigkeit bekerrscnte sie
in dieser Situation völlig, daneben trat eine präzise Selbstbeobacktung
auf. Die Depersonalisation ersckien hier, da etwas nur in der Pnan-
tasie erlaubt, in der Realität versagt war, als Ausweg. Äknlicli ist
der Fall einer anierikaniscken Patientin, die in der Ivircke stunden-
lang in Depersonalisation verfiel. Als balbwücksiges JMädcnen ge-
körte sie einer jener saklreicken Sekten an, die ikr Heil vom Eintritt
der Gnade erwarten, Sie wollte gerne gläubig sein, aber ikre Zweifel
waren su stark. vV enn sie stundenlang in der K.jrcke aul das Herab-
konrmen der »grace« vergebens gewartet katte, trat ein Depersonali-
sationssustand mit Autoskopie ein. Den psyckiscken ^usamiuenkaug
mit der Ambivalenz zeigt wieder klar der Fall einer Patientin, die
wäkrend der Todeskrankkeit der JMiitter oft neben dem Krankenbette
saJ^. Wenn das etwa dreizebnjäbrige Mädcken am Bette der Mutter
sitzen durfte, sollte sie dies als Privileg betracbten, aber sie kam bald
darauf, daj^ sie diese ^eit nicbt liebte und da^ sie die Stunden, welcke
sie da zubracnte, zämte. Als sie diese Gefükle in sieb bemerkte, kam
ein tiefes Ersckrecken über sie, weil sie solcke Gedanken kegen konnte.
Wenn immer sie später zur Mutter kam, trat ein ausgeprägter passa-
, gferer Dcpersonalisationszustand auf, der laugsam wied[er abklang.
45
den eine Trietregung diircli andere oder durch äui^ere
Hemmungen erfäkrt. Die Gegensätze auf dem Walir-
nelimungs- oder intellektuellem Felde sind von sekun-
därer Art. Es scteint demnacli, als würde unter noch
nicit nälier tetannten Umständen die Depersonalisation
dann eintreten, wenn ein Konflikt zwischen annähernd
gleicli starten Trieiregungen eine iestimmte Stärke er-
reicht liat oder eine testimmte Zeit angedauert nat.
Die Uniestimmtlieit dieser Aussagen entspricht dem
gegenwärtigen Stande unserer analytischen Kenntnisse.
W^ir liaten vielleickt Ursaclie, uns der Bescliränktheit
unseres AVissens zu scliämeii, aier kein Recht, sie zu ver-
sclileiern. Sogar Sckilder gitt zu, daj^ die Momente,
welcke dazu füLren, da^ eine Neurose vom Zustandsbild
der Depersonalisation telierrscht wird, unoekannt sind:^
»Die Arteiten von Atrakam und Nunterg, welche
die Litidoumstellung teleucLten, geten üter diesen Punkt
etensowenig Auskunft wie meine eigenen Beoiachtungen.«
Nekmen wir an, da^ ein aktueller Amtivalenzkonflikt
, ■ eine der psycniscnen Grundsituationen darstellt, aus denen
die Depersonalisation erwächst, so stellt sicli die Deper-
sonalisation als passagerer Interferenezustand von zwei
einander w^iderstreitenden, annänernd gleicnstarken seeli-
scLen Stretungen dar. Es wäre nicnt unpassend, diesen
Zustand in Anleknung an einen anderen Ausdruck der
Psycliopatliologie als »unfreies Intervall« zu lezeicnnen.
i) Scliil(iei': Entwurf zu einer Psycniatrie auf psycuoanalytischer
Grundlage. 1936. S. ^3.
44
Der in ihm empfunclene JMangel an Gefülilen ist als
Reaktionserscheinung auf einen Höcnstaufw^ana aix un-
tewu^ten Affekten zu verstenen. Ein Vergleich bietet
sich hier dar: nehmen w^ir an, ein Staat hahe lehhaften
Appetit auf ein iStück überseeischen Landes, das er seinem
Kolonialbereich einverleihen -will. AS^enn andere stärkere
jMächte voraussichtlich jede Aktion, die zur Einverleibung
des Landes führt, verhieten oder -wenn die innere Lage
eine solche unmöglich macht, "wird es häufig vorkommen,
da^ der hetreffende Staat sein Desinteressement an der
Frage erklärt. Aher kein Politiker ist so unerfahren, dies
als ernsthaftes Aufgehen des Planes anzusehen} jedermann
wei^, da^ es sich nur um einen zeitweiligen Verzicht
unter Vorbehalt handelt. Die Depersonalisierung stellt
eine Art zeit-weiliger Anästhetisierung des oeelenlebens dar.
Aber eine solche Anästhesie wird nur dort gehraucht, wo
es gilt, den Schmerz zu verhindern oder zu mildern.^
Dieser Präventiv- und Reaktionscharakter der Deperso-
nalisation liefert Aufklärungen nach verschiedenen Rich-
tungen hin.
n
Es ist zu betonen, aa^ die Depersonalisierten nicnt nur
qualitative, sondern auca manniglaclie quantitative v er-
änderungen inres Oeelenleoens oemerten und teklagen.
t ) Dieser V erglexcn trifft oesonaers mit Hinolick aul jene Jje-
personalisationssustänoe zu, ■welcne mancue M.enscnen gerade m den
wicntigsten und scLicksalsoedeut enden Situationen inres Lebens ver-
spüren.
45
'i
1
Es lassen sicli zwei Hauptformeii deutlicli untersclieiden,
die durcli zalilreiclie ütergänge vertunden sind. Die
Kranken sagen, sie seien manchmal lustig oder traurig,
ater es sei niclit die riclitige Lustigkeit, die Trauer sei
nickt tief, ikr Ärger kätte etwas Äui^erlickes, ikre Gefükle
seien kla^ oder nickt real us^k^. In anderen Fällen wird
nur die Klage darüker laut, da| jedes auftauckende Ge-
fükl der jSelkstkeokacktung unterliege und so seinen ele-
mentaren Ckarakter verliere.' Andere Patienten ketonen
wieder, da^ das Aktlvitätsgefükl, das wir gewöknlick mit
unseren Regungen und Gedanken verkinden, verloren-
gegangen sei. Es denke in iknen; es wird gefüklt oder
gewünsckt, aker die Innere Antellnakme fekle. Die zweite
Hauptform ist durck den sukjektlv empfundenen, völligen
Mangel an Gefüklen, Trlekregungen und Interessen ckarak-
terisiert. Die Kranken kekaupten, weder Trauer nock Ver-
gnügen zu verspüren, alles sei iknen gleickgültig usw.
Es wäre verlockend anzunekmen, da^ in diesen keiden
i) Eine älinlklie Einstellung ist tei Frauen mit AnästLesie ttn<l
liei Männern mit Potenzstörungen manclimal mit Jem Sexualverkelir
vertunJen. So tericket eine frigije Frau, Ja^ sie wälirenJ des Koitus
völlig teilnalimslos sei und sict auf Seltstteotaclitung tonzentriere.
Manclimal müsse sie an völlig belanglose Dinge, etwa an ilire Kom-
missionen usw. denken. Als männlictes Gegenstüct sei der Fall
eines Patienten erwätnt, der im Sexualvertelir nur sctwacLe Emp-
findungen und GefüUe tatte, die er sctarf fceotacLtete ; er verliielt
sicli im Koitus passiv und maclite keinerlei Bewegungen; auch zeigte
er keine Anzeiclien irgendeiner psyctiscLen|TeiInakme. Er fcericktet
in der Analyse, eine Prostituierte, mit der er in London in dieser
Art verkekrte, kake ikn wäkrend des Aktes sarkastisck gefragt: „Do
you want a neivspnper?"
46
Formen die Abscli-wächung der Affekte die empfundene
Affettlosigkeit einleite, da^ sie sicL wie Initialstadium
und spätere völlige Ausprägung desselten Zustandes ver-
halten. Tatsäclilicli ist in einer ganzen Reilie von Fällen
diese Abfolge zu konstatieren. Das Beotaclitungsmaterial
erweist sich aber der AUgemeingültigkeit einer solclien
Annakme als ungünstig. Man mu^ vor allem darauf Iiin-
weisen, da^ viele Fälle nur eine der beiden Formen seigen,
es bleibt etwa bei der Abscbwäcbung der Affekte oder
die völlige Affekt- und Interesselosigkeit setzt scbeinbar
unvermittelt plötzlicb ein. Die psycbologiscben Differenzen
der beiden Formen sind ebenso klar wie ibre Gemein-
samkeiten. Die Neurologen zeigten bisber wenig Interesse
für solcbe Nuancierung. Die Kranken, deren gutes Reckt,
sieb für ibre eigenen seeliscben Zustände zu interessieren,
scbwer bestreitbar ist, zeigen indessen ein ausgezeicbnetes
Verständnis der Differenzen der zwei psyckiscben iSitua-
tionen. E-in Depersonalisierter aus meiner Beobacbtung,
der beide Zustände an sieb kennen gelernt Iiatte, kielt
sie aucb in der Bescbreibung auseinander; er nannte jene
Form, welcke durcb Gefüblsentfremdung und Gefübls-
unecbtbeit mit Autoskopie cbarakterisiert wird, den Zu-
stand des »oickselbstzuscliauens« oder weit treffender der
»Entpersönlicliung der Gefüble«; die andere Form völliger
Gefübls- und Interesselosigkeit batte er als «Gefflbls-
starre« bezeicbnet. E-s empfieblt sick tatsäcklicb aus dia-
gnostiscben und prognostiscben Gründen, die beiden Zu-
stände auck in der Namensgebung zu untersckeiden. Es
sei vorgescblagen, die erste mildere Form als Detaclie-
47
ment {des Affektes, des Interesses) zu tezeictnen, den
Namen Depersonalisation im engeren iSinne für den
Zustand der zweiten Art vorzutekalten. Die Notwendig-
keit aus dem großen iSymptomenkomplex der Deper-
sonalisation den typiscken Zustand des Detackements at-
zugrenzen, ergitt sick auck daraus, da^ diese Art der Ein-
stellung den ükergang zwiscken patkologiscken und nor-
malen psyckiscken iSituationen kilden kann.
Im Sinne unserer Auffassung der Depersonalisation
als Akwekrersckeinung lassen sick keide Formen unge-
zwungen erklären und ikre Differenzen auf Versckieden-
keiten der vorangekenden psyckiscken Situation zurück-
fükren. Anders ausgedrückt: das Ausmaß der Reaktion
wird sick in der Differenzierung dieser Formen Ausdruck
versckaflen. Die Likidoentziekung wird sick z. B. als
Reaktion auf ein Höckstausma^ von Likidokesetzung
unter dem Einflüsse einer äuj^eren Versagung durcksetzen.
In diesem Falle wird sick sckeinkar plötzlick und un-
vermittelt jene Form der völligen Interesselosigkeit ein-
stellen. Der oken kesckriekene Fall meiner Patientin,
welcker das Zusammenleken mit ikrem Manne unmöglick
ersckeinen lie^, gekört z. B. in das Gekiet der Deper-
sonalisation im engeren Sinne. Der Zustand entsprack
vergleicksweise der Heftigkeit eines Sturzes aus großer
Höke, der eine sckwerere Störung kringt als ein solcker
aus mäßiger Entfernung. Aker auck die Reaktion aus
einer gesteigerten Amkivalenzspannung kann zu solcker
Depersonalisationsform fükren. Die äußere Form, die der
Gefüklsaksckwäckung des Detackiertseins, wird sick dann
^
48
durchsetzen, -wenn die Litidoentzienung niclit plötelicli
oder nicnt in demselten Ausmaße erfolgt. Auct die üter-
gänge von der einen Form zur anderen werden von nier
aus verständlicn. vVenn die ^urüctzienung der Litido-
tesetzung bis zu einem gewissen Ausmaße erfolgt ist, tann
es zum V ersuch der neuerlichen Litidotesetzung tommen,
gegen den sich nun intrapsychische oder äußerliche Hin-
dernisse erhehen. Die dadurch tedingte reaktiv verstärkte
Ahwehr wird schließlich zu einer Ausdehnung und Inten-
sivierung der Depersonalisation führen. Die Atmilderung
oder Einschränkung der Depersonalisationserscheinungen
wird zum deichen der neuerlichen Otjekthesetzung.
Der Ahwehrcharakter der Depersonalisation läßt sich
in der analytischen Aufklärung ihrer Genese auf allen
Gehieten erfassen: der Kranke, der sich durch lange Zeit
mit aller verfügbaren Energie gegen quälende Gedanken
zur VV ehr gesetzt hat, steht ihnen nun aflektlos gegen-
üter. Den ursprünglich üterhetonten Gedanken ist ihre
Auektoetonung entzogen.^ Der Kranke hört sich gleich-
sam denken und sein Denken läuft jetzt automatisch ah,
wie eine interne Grammophonplatte. Man hat sich offen-
bar um das Verständnis der psychischen Mechanismen
solcher hesonderer Gedankentätigkeit gehracht, wenn man
sie als Ideenflucht im ütlichen iSinne hezeichnet. Unter
einem hestimmten Gesichtspunkte wäre freilich gegen diese
Bezeichnung nichts einzuwenden. Man müßte es nämlich
i) Die AlinlicLkeit dieser psycliiscliea Haltung gegenüter Jen
eigenen Gedanken uni der AffektläLmung <Jer Zwangsneurotiker
ist klar.
Reik. 4
49
wagen, unter Ideenfluclit gerade das Gegenteil dessen zu
verstellen, was unsere Psychiater darunter meinen: die
Fluclit vor einer oder melireren Ideen.
In testimmten Fällen tommt es zu einer Denkhemmung,
in der die Kranken klagen, da^ sie niclit denken können.
Die Bezieliung dieses iSymptoms zu den analogen Störun-
gen der 2^-wangsneurose ist Mar. Eine Patientin, die in
einer Depersonalisation inre Interesselosigkeit aucli in
dieser Unfäliigteit zu denten temerkte, gab selLst die
Erklärung, indem sie sagte: »Icli will lieter nicht denken,
weil ick sonst zuviel denken mü^te.« Diese Kranke, von
der vorlier tereits die Rede war, stellte eines Tages,
naclidem itre Gedanken durcli viele Monate um ikren
Mann gelireist Latten, üterrasclit fest, da^ sie gar nickt
melir an ikn denlte. Ikre Depersonalisation setzte damit
ein, und versckok sicli scklie^lick so weit, da^ sie später
erklärte, sie denke ükerkaupt nickt und »an nickts«.'
Einmal erklärte die Patientin in jenem ükergangsstadium,
das von der Depersonalisation zur neuerlicken Okjekt-
tesetzung fükrt, seltst, da^ sie sick üker ikre Affekt- und
Interesselosigkeit nickt mekr wundere, da sie in letzter
Zeit so vieles Sdimerzlicke erlekt kake. Mit dem jenen
Kranken eigenen und eigenartigen psyckologiscken Ver-
ständnis setzte sie kinzu: »Gar nickts mekr füklen, so
ist es gut.« Die Wirksamkeit der Versckiekungs- und
Verallgemeinerungstendenzen in diesem Falle war be-
sonders leickt zu keokackten. Ein Patient, dessen sckarl
l) Die analytiscli nacliweistaren Durclitrücke dieses Nichtdenkens
tcKOgen sick alle auf Jen Alann.
60
ausgeprägte Depersonalisation kurz nacL Erhalt der Nacn-
riclit einer scliw^eren Erkrankung des Vaters eingetreten
■«rar, zeigte neben völliger Interesselosigkeit und au^er-
ordentlicJier iSelLstLeooacntung, die sicn bis auf die un-
wesentliclisten Details seines Tuns bezog, jene cnarakte-
ristiscne Denkliemmung, die ilan anscneinend binderte,
irgend etwas zu denken. Er erklärte immer -wieder, dajj
er -weder in der Analyse, in der er sieb fast apatbiscb
zeigte, nocb au^erbalb der iStunde et-was denke. Meine
Erklärungen, die ibm den ^usammenbang zwiscben seiner
aktuellen Haltung, jener Nacbricbt und der Übertragungs-
einstellung nabebracnten, borte er böflicb, aber völlig
unbeteiligt an. Endlicb gelang der Durcbbrucb, als er
meinem Drängen m einer bestimmten Ivicntung nacligab.
leb scblug ibm, einem Rate Freuds folgend, vor, er solle
das sagen, -was zu denken ibm am fernsten liege, das Un-
möglicbste und Vv eitbergebolte. Die nacb einer Augen-
blickspause gegebene Antw^ort -war: »Der 2usammenbrucli
des cbinesiscben Reicbes.« Er meinte -wobl, da^ diese
fernliegende Assoziation mir nun deutlicn die Eäcberlicb-
keit meines Versucbes be-weisen 'würde. Allein icli konnte
ibn daran erinnern, da^ er mir selbst einmal erzäblt natte,
daJ^ sieb sein Vater als junger Arzt lange Zelt in Cbina
aufgebalten babe und dort die ersten Anzeicben der
späteren ernstliaften Erkrankung aufgetreten -iv^aren. Die
Depersonalisation klang dann in der analytiscben Durcn-
arbeitung der aktuell gesteigerten Ambivalenz rasen ab.
Der Zusammenbang der Depersonalisation mit ^-wangs-
ersclieinungen -wird aucli in anderer \v eise in der Ana-
4*
lyse der Klagen der Depersonalisierten auffällig. Eine
Patientin iScliilders fiikrt als Beweis ikrer GefüliUosig-
keit unter anderen Dingen an, sie würde in ilirem jetzigen
Zustande keinerlei Eifersuck verspüren, aucli wenn ilir
Mann vor ikr liundert Frauen attü^te. Naclidem man
die Verwunderung üter solclie Seltstverleugnung, die
lietenden Gattinnen im allgemeinen nickt eigen ist, üter-
wunden Iiatte, wäre es leiclit zu erraten gewesen, daJ^ der
Atwekr eifersüchtiger Regungen in der Genese der De-
personalisation eine tedeutsame Rolle zugefallen sein mur3.
Wie in der Analyse der Zwangskranken wird auck in
der der Depersonalisierten erkenntar, da^ eine solcke,
unter anderen oder keiläufig angefükrte Klage oder Kon-
statierung den eigentlick wesentlicken Gedanken entkält,
der zur Erklärung der Krankkeitsursacken und -motive
fükren mu^.
III
Es mackt einige 5ckwierigkeiten, Depersonalisations-
ersckeinungen gegen andere, äknlicke Zustände akzu-
grenzen. iSo zeigt z. B. die patkologiscke, ja sogar die
normale Trauer in kestimmten Pkasen ikres Aklaufes
einzelne Zustandskilder, die man als Depersonalisation
kezeicknen mu^ Die der Trauer zugrunde liegende Am-
kivalenzspannung erklärt die Äknlickkeit dieser Pkasen
mit denen der Depersonalisation. Indessen sind die typi-
scken Züge der Depersonalisation nickt gleickmä^ig in
diesen psyckiscken Zuständen vertreten. Einmal tritt das
Entfremdungsgefükl zurück, das andere Mal wird der
i
Mangel an Gefühlen und Empfindungen nictt tetlagt,
■wieder ein anderes Mal tritt die »Seltstteotaclitung nickt
auffällig nervor. Dennocli ist der ^usanxmennang mit den
Depersonalisationserscneinungen unverkenntar. Die psy-
cliologiscke Verwandtsckaft der Depersonalisationspliäno-
mene mit den zwangsneurotiscken und den manisck-
depressiven Erkrankungen ist schwer zu üfcerselien, so
gro^ auch die Differenz der iSymptomtildungen sein mag.
Bestimmte Fälle von 2-wangszuständen zeigen dieselte an-
sckeinende Gefühllosigkeit, die atnorm erkökte Äeltst-
teooacntung, dieselbe Denknemmung. Dort erscheint auck
das Gefükl der Ickspaltung, des "Wegfalles des Aktivi-
tätsindexes der iStrekungen und Gefükle. Hier wie in
der Psyckologie der manisck-depressiven Prozesse lä^t
sick der Amkivalenzkonflikt als der psyckologiscke Ort
erkennen, von dem^ die so kefremdenden Ersckeinungen
ausstraklen. In anderen Fällen wieder gikt es eine An-
zakl der Depersonalisation äknlicke Züge, die sick dock
in der einen oder anderen Ricktung von ikr unter-
' sckeiden und trotz weitgekender Ukereinstimmung die
psyckologiscke Differenzierung erkennen lassen. Nun
! lä^t sick okneweiters annekmen, da^ mancke Ersckei-
nungen selkst der Depersonalisation zuzurecknen sind
und nur innerkalk des Gefüges der Neurose Platz finden.
Man mu^ allgemein anerkennen, da^ sick Depersonali-
sationszüge in den meisten Neurosen eingesprengt finden,
in vielen sick mit anderen jSymptomengruppen verlöten
und versckmelzen, so daJ^ die reinlicke Akgrenzung nur
ein Ziel, aufs innigste zu wünscken, kleikt. Es ist üker-
55
taupt temertenswert, wie wenig Entgegenkommen die
Natur den Itlassifitatorisclien Bestretungen der Ge-
lelirten entgegentringt.
Man tat mit Reclit darauf tingewiesen, da^ die Affekt-
losigkeit und Interesselosigkeit der Depersonalisation keine
vollkommene ist und da^ die Kranken alle Merkmale
ectter "Wakrnelimungen und Affekte zeigen. Man kat, wie
mir sckeint, zu wenig "Wert auf zwei andere Züge gelegt.
Die Klage üter den Mangel an Gefüklen ist ja seltst
Ausdruck eines Gefükles. Wie immer man üter das
Ausmaß und die Natur der erkalten getlieLenen Affekte
denken mag, es kann nickt testritten werden, da^ die
Entfremdung des Icks und der AuJ^enwelt, der Gegensatz
zur frükeren Einstellung von den Kranken letkaft ge-
füklt wird. Es ist klar, da^ die Kranken die Differen-
zierung zu ikrem frükeren Gefüklsleten beUagen und sick
gegen ikre gegenwärtige psyckiscke Situation sträuten. Die
Veränderung, die sie in sick und in ikren Relationen zur
Außenwelt iemerken, wird keinesfalls rein sacklick re-
gistriert, wie es dem oterfläcklicksten Blick sckeinen mag,
sie wird als sckmerzlick empfunden. So weist die Klage
der Depersonalisierten auf ein iStück Gefükls kin; nickt
minder der in den meisten Fällen erkalten getlietene
Wunsck, letkafte Gefükle wie früker zu verspüren. Hört
man den Reden der Kranken zu, so empfängt man den
Eindruck, sie wünsckten nur zu füklen, welcker Art
immer die Gefükle auck wären, oder sie wünsckten nur
die Stärke und Letkaftigkeit ikrer frükeren Gefükle
zurück. Die analytiscke Beotacktung der Depersonali-
54
sation vermag leicht zu zeigen, daJ^ die Kranken zuerst
und vor allem Liieoe lünlen wollen und oa^ die anderen
Regungen nur soweit als w^ünscnenswert erscheinen, als
sie unmittelbar oder mittelbar mit der W^iedererlangung
der IfietesfäLigteit verknüpft sind. Aucli tier drängt sicli
dem analytiscken Beobackter die Äknlickkeit mit den
psyckiscken -Meckanismen der ^w^angsneurose auf.
Der zweite, zu wenig teacktete und erforsckte Faktor
ist die besondere Rolle der jSelkstkeotacktung, sowie
deren Verkältnis zum Triek- und Affektleken in der De-
personalisation. Diese iSelkstkeokacktung dient in erster
Linie dazu, den eigenen Mangel an jStrekungen und
Affekten festzustellen, sow^ie die XJntersckiede zu regi-
strieren, die zwiscken der jetzigen und der frükeren
psyckiscken Situation kesteken. Das Besondere an ikr
ist, da^ sie an die Stelle der Affekte getreten zu sein
sckeint oder zumindestens einen großen Teil der psycki-
scken Energie, die vorker den tewu^ten Regungen und
Gefüklen eignete, an sick gerissen kat. Sie war früker
in keinem nennenswerten oder aknormen Ausmaße vor-
kanden, keanspruckt jetzt die Hauptrolle im Seelenleken
und sckeint die Affekte aufgezekrt zu kaken.' ^Venn
aker die iSelkstkeokacktung an die Stelle der Triekregun-
gen und Affekte getreten ist, mu^ sie selkst Spuren, ent-
l) Wie klar die Dejpersonalisierten seltst üter Jiese dynanjisclien
Verkältnisse urteilen, seigt z. B. die Aussage Ka's (tei Osterreicli,
S. 393): »Meine normale Persöiiliclikeit rückte metr und meLr surüct.
Das hei%t, alle psycluscke Energie flieJ^t der Seltstteotacktting su,
sie saugt allmänlicli me anderen Prosesse, die sie ursprünglicli nur
oeooacuten sollte, auf.«
55
stellte Kennzeichen der ursprünglichen depossedierten
Tendenzen aufweisen. Nacn analytiscnen Grundsätzen
ist das Vertretende in testimmter Ricktung die Fort-
setzung des UrsprünglicLen. Die Zwangkaftigkeit, das
dem eigenen Willen Entzogene, sowie andere Züge ver-
raten wirtlicli die Atkunft der jSelfcstteotachtung aus
dem Trietleten. 'W^ir werden später, von anderen Ge-
sicktspuntten aus, eine tisker unverstandene Bedeutung
der Selfcstkeotacktung in der Dynamik der Depersonali-
sation diskutieren.
üter die likidinöse Bedeutung der jSelkstteokacktung,
ikren narziJ^tiscken Ckarakter sowie die Zurückziekung
der Litido ins Ick, die in ikr kervortritt, kaken (Sckilder
und Nunterg ausgezeicknete Auskünfte gegeken. Die
likidinöse Ickkesetzung mackt die Zurückziekung des
Interesses auf das eigene iSeelenleken verständlick, so wie
die narzi^tiscke Ickkesetzung in der Hypockondrie die
Aufmerksamkeit auf die eigenen Körperorgane lenkt.
iSckarfsinnig setzt iSckilder die Depersonalisation in Be-
ziekung mit den kypockondriscken Pkänomenen. Die
Depersonalisation ersckeint wirklick wie eine auf die
Vorgänge des eigenen iSeelenlekens gericktete Hypockon-
drie. Auf der anderen /Seite ist gerade in jenen Deper-
sonalisationszuständen, die sick okneweiters als Z^wiscken-
stadien des Amkivalenzkonfliktes erkennen lassen, klar,
daJ^ die Ha^regungen von der Außenwelt akgelenkt wurden
und sick gegen das Ick gekekrt kaken. oo ist die Likido,
die vom Okjekt akgezogen wurde, ekenso auf das Ick
gericktet, wie die dem Okjekt geltenden Aggressions-
SG
[j^eigungen, die ja zum groJgen Teile seiest litidinöser
I Natur sind. Das unte-wu^te Prädominieren des einen
' oder des anderen Anteiles der Amtivalenzspannung wird
' nun für den Cliarakter der iSeltstteotachtung in der
Depersonalisation entscneidend. ^VS^o die Lieoesregungen
untewu^t waren, wird die iSeltstteonacntung weniger
Scliärfe und Unnacügietigkeit, melir narzi^tiscnen als
KontroUcliarakter katen. Die unkewu^ten Aggressions-
neigungen treten in der unausgesetzten, fast quäleriscken
Art der iSeltstkeofcacktung hervor. Ater in allen Fällen
der Depersonalisation kat die Selkstteokacktung als solcke
einen auf das Ick gerickteten jSadismus freigemackt, sie
kat masockistiscken Ckarakter.' Die Vermutung liegt nake,
da-^ tei der ^urüctziekung der Likido von den Okjekten
eine partielle Triekentmisckung vor sick gegangen ist,
welcke die destruktiven Komponenten des Trieblebens
stärker kervortreten lie^. Der Anteil der ^V\^irksamkeit
der Todestriete fükrt wieder auf den ^usammenkang,
der die Depersonalisation mit den Zwangsneurosen und
Melanckolien vertindet. Das iSckuldgefükl des Zwangs-
neurotikers, die Insuffizienzgefükle der Melanckoliker
stellen dem Gefükl der Gefükllosigkeit in der Deper-
sonalisation psyckologisck nake. Dies wird besonders in
der Analyse von Grenzfällen klar, die nur eine partielle
Depersonalisation zeigen und die sick in kestimmten Situa-
tionen kei vielen Menscken ergeken. Ick wäkle folgendes
Beispiel aus der Analyse einer psyckologisck kesonders
l) Im Sinne Pascals: »Z^e Afoi est haissahUv.
5y
tegatten Patientin: sie katte die leidensckaftliclien \^er-
bungen eines jungen Mannes zurückgewiesen und, da er
sicli als einer ruliigen Freundsckaft unfähig erwies, ilm
dazu veranlagt, ins Ausland zu gehen. Plötzlich erscliien
der Unglücltliclie in ikrer AV^olinung und verüfcte sozu-
sagen unter ikren Augen iSeltstmord. W^änrend dieser
jSzene, des telephoniscnen Anrufes teim Arzte, aller jener
kleiner Aktionen, die in solcher Situation notwendig
waren, des Transportes des iSterbenden in das iSpital, den
sie mitmackte, verspürte sie keinerlei oew^u^te Gefükle
als die Verwunderung darüber, da^ sie keinerlei Affekt
katte und eine genaue iSelkstkeokacktung. Darin misckten
sick ansckeinend auektlose Gedanken, die Monologform
annakmen, wie etwa: »Du wolltest ja immer etwas Aben-
teuerlickes, besonders Erregendes erleben. Da ist es ja.
W^arum spürst du denn gar nickts?« Andere Gedanken
zeigten etwa eine Art aflektlosen iSelbstbesckimpfens,
wenn man dies so nennen darf. Im übrigen füklte sie sick
in der für die Depersonalisation typiscken Art als Automat,
verricktete meckaniscli, aber präzise und zweckentspreckend
alles, was die nickt alltäglicke »Situation erforderte und
verblieb lange in dieser Art psyckiscker Erstarrung. Es
ist keineswegs selten, da^ sick Menscken gerade in den
besonders entsckeidenden und für ikr oeelenleben be-
deutungsvollsten »Stunden in dieser oder äknlicker Art
verkalten. Aber jene abgesckwäckte Depersonalisation,
die wir als Detackement bezeickneten, wird auck iSitua-
tionen bekerrscken, welcke keineswegs die tragiscke VV uckt
der oben besckriebenen katten: so erlebte eine Patientin
58
ähnliclie jStimmungen wälirend des Examens. Nichts von
der Prüfungsangst und der Erregung, ater aucli nichts
von den sonstigen Affekten, die sonst den Geprüften be-
wegen, wurde von ikr verspürt. Das einzige Gefülil war
das, irgendwie »nickt teteiligt«, »nicht dabei« zu sein;
ilire Antworten erfolgten rein meclianiscli, nur begleitet
von dem Gefülil des iSicli-^uscliauens. Hörte sie z. B. die
Frage des Prüfenden, so katte sie den Gedanken: »Das
wirst du Blödian wieder nickt wissen«, nack ikrer Ant-
wort: »Das war wieder eine dumme Antwort.« Dabei
ärgerte sie sick aker nickt, auck füklte sie sick nickt
tesckämt; alles, was sie füklte, war ansckeinend in oelkst-
keokacktung aufgegangen. Dakei war die auf die Außen-
welt gericktete Aufmerksamkeit in keiner Art gestört,
übrigens ist die Aufmerksamkeit keineswegs immer beein-
träcktigt. Ja. sie kann sogar manckmal analog der Introspek-
tion kesonders gesckärft und von ausgeprägter iSacklickkeit
und Präzision sein. Ikr kesonderes Kennzeicken wird eben
der Ausfall des bewußten Interesses, das Felilen der inneren
Anteilnakme an den Vorgängen der Außenweit sein. Man
darf die Kranken, welcke kekaupten, die Personen ikrer
Umgekung vag, wie durck einen iSckleier oder als Ockatten
zu seken, nickt mißversteken. Diese Angaken sind nickt
als Zeicken akgesckwäckter AV^akrnekmung aufzufassen.
Ekensowenig sind sie freilick als Einkildung oder jSimu-
lation keiseite zu sckieken. Sie kaken ikren guten iSinn:
sie sind als Ausdruck einer kestimmten, unbewußten Äff ekt-
kaltung gegenüker der Umgebung zu versteken und zu.
werten, wie wir kald seken werden.
59
IV
Innertalt der Depersonalisation beansprucnen Ge-
danken, die mancütnal in unbestimmter Form auftaucnen,
manclimal ganz unzusammenhängend, ja sinnlos erscheinen,
ein beträclitliclies tneoretiscltes und praktisches Interesse.
Oft sind sie von der Natur der ^wangsgedanken, die
■wie Versprengte von einer entfernten Front das Gefüge
der Depersonalisation durcnbrecnen. Inre analytiscne Ver-
folgung fülirt jedesmal in den ätiologiscnen Kern der
Depersonalisation. Kin Patient, der sicn in einem aus-
geprägten Depersonalisationszustande befand und eine be-
sondere Affekt- und Interesselosigkeit zeigte, hatte einen
solchen anscheinend unsinnigen Gedanken. Jedesmal, wenn
er morgens auf-wacnte, dacnte er drei Vv orte, über die
er sicn verwunderte: »Kopf — Ocnu^ — Ocnlu^.« Er sagte
diese drei VVorte vor sicn bin, ohne zu "wissen, was sie
bedeuteten. iSie kamen inm nur sinnlos und sonderbar
vor, wenn er sicn selbst sie sagen nörte. Aber die Deper-
sonalisation war einige ^VS^ocnen, nackdem er sich von
der Untreue seiner Frau überzeugt hatte, eingetreten.
Er meinte, da^ er sie längst nickt mekr liebe, und jenes
Ereignis sckien ikn in keiner Art zu beunrukigen. Die
Analyse der unsinnigen vV^orte, die er vor sick bin sagte,
bew^ies, da^ er unbew^u^te oelbstmordgedanken katte, die
mit der Enttäusckung an der nock immer geliebten und
gekaJgten Frau verknüpft w^aren.
Eine Patientin mit ausgeprägter Depersonalisation zeigte
in der Analyse eine Besonderkeit, die gerade bei der ver-
60
sclilossenen, verkaltenen Art dieser Frau auffalleiad war.
iSie spracli in den Depersonalisationszuständen, in denen
sie immer wrieder üoer inre Gefünlsleere klagte, atgerissene
jSätze vor sich Ixin, die inr seltst Verwunderung einflöJ^ten
und von denen sie nicnt zu sagen -wu^te, was sie tedeu-
' teten. Datei w^ar sie teineswegs in Aisencestimmung; die
Sätze taucnten einfacn fertig in ihr auf, entsprangen ihrem
F Denken scheinbar ohne Zusammenhang und Vorhereitung
wie Pallas Athene dem Kopf des Zeus. Sie war immer
wieder überrascht darüber, was da zum Ausdruck kam,
id stand diesen Sätzen, die sie ja nicht sagen w^oUte,
ohne irgendein anderes Gefühl als das des Staunens und
der Fremdheit gegenüher. Das völlige Passivitätsgefühl
diesen ihren Gedanken gegenüber, ihre alfektlose Auf-
nahme, die Verwunderung üher sie sow^ie die sie teglei-
I tende Selhstteotachtung w^urden von ihr hervorgehoben.
! Sie verglich seihst diese Gedanken mit den Zeichen auf
den Telegraphenstreifen, die mechanisch abrollen. Der
Vergleich ist ausgezeichnet. Er w^eist auch auf die Ent-
fernung von jenem Stück unhewu^ten Ichs hin, aus
dessen JMitte die Gedanken auftauchten. Sie hezeichnete
die Sätze, die sie sowohl in der Analysestunde als auch
au^erhalh mit völlig ausdrucksloser Stimme, gleichsam
registrierend vor sich hinsagte, als »lächerliche, sinnlose
Sätze« oder sprach von ihnen als von »diesen verrückten,
unzusammenhängenden VV orten«. ^ In jener Zeit, die dem
l) Man darf immer mt^trauiscn werden, wenn die jMenscnen, die
t ja im allgemeinen sur ü oerscliätzung inrer gedanklicnen Äußerungen
6x
stärksten Ausdruck der Amtivalenzspannung gegenüter
ilirem Manne folgte und die zu einer Depersonalisation
fülirte, sagte sie etwa vor sicli kin: »Aber ick fükle das
gar nickt, was ick da sage. Es ist so, wie wenn ick es
von einem Blatte Papier kerunterlese.« In solcken oätzen
kam auck immer wieder die Amkivalenz, auf deren Grunde
sick die Depersonalisation erkok, zum Durckkruck: es
waren sozusagen zweizeitige iSätze, deren einer die Liekes-
regung, der andere die Ha^tendenzen kefriedigten. So sagte
sie okne irgendeinen Gefüklston nackeinander: »J love
him, I hate him; I want to go to the devil, I want to le
helped; I want to cry, I do not want to cry; I do want
to feel something, I do not want to feel anytking.« Jedem
solcker unmotioneller registrierender Sätze folgte inkalt-
lick das kontradiktoriscke Gegenteil. Dakei füklte sie sick
leer, gefükllos »wie eine Puppe«.'
iliren intellektuellen Le
eilt
neigen, so geringscLätiis von ihren intellektuellen L,eistungen sprechen.
In einem Vortrag in der Wiener analytisclien Vereinigung seigte
Dr. Feige 11 taum (NewYork), <JaJ^ nocli in Jen Eknosien, tlem at-
sicktlicLen Unsinnsprecken (etwa teim Kartenspiel usw.), sick ein
unkewu^ter Zusammenkang und ein latenter Sinn nackweisen lasse.
Professor Freud kemeitte in der nachfolgenden Diskussion, da^ es
üterkaupt sckwer sei, tewu^t Unsinn zu sagen, wäkrend die Bücker
vieler Gelekrten voll von «nkewu^tem Unsinn seien.
l) Diese »sinnlosen« Sätse tauclien gewi^ nickt nur in den De-
personalisationssuständen auf. Einer meiner Patienten körte sick, als er,
als Dreiaekujäkriger tei seinem Onkel zu Tisck geladen, gefragt wurde,
ok er nock von einer Speise wünscke, zu seiner Bestürzung laut ant-
worten: »Vater unser, der du kist im Himmel, vergik uns unsere
Sckuld.« Erst viele Jakre später erfukr er in der Analyse, was diese
"Worte tei solcker Gelegenkeit kedeuteten und warum er sie gerade
in dieser Situation sagen raupte. Die Verkindung solcker unkewu^t
Dem Pliänomen der affelttlos gesproclienen und geliörten
Worte stellt ein anderes nalie, dessen psycliisclie Besie-
liungen zur Depersonalisation völlig Uar zutage liegen:
es ist dies das Gefühl, sicn seltst zuzuliören und zuzu-
selien, während man spriclit. Die vorLer erwälmte Pa-
tientin machte z.B. während einer Depersonalisation einen
Besucli tei einer Freundin. Wälirend sie mit ilir spracli,
körte sie sick seltst zu, fand, da^ sie keinerlei Gefükl
jikatte, sie nickts interessiere, weder das, was die andere
■ nocli, was sie selkst sagte. Sie fülilte nur das »feeling of
looking on«, wie sie das nannte. Ikre Worte kamen ikr
j nack einiger Zeit unricktig vor, ikr Tonfall falsck, ikre
I Haltung liünstlick und ikre Bewegungen unnatürlick. Bei
anderen Gelegenkeiten war die Kritik des eigenen Icks
.nickt so vordringlick; dafür das Gefükl der Gefükllosig-
I ieit, des Interessenmangels sowie eine minutiöse jSelkst-
teokacktung, der kein Detail des eigenen Handelns und
Denkens entging. Einer meiner Patienten, der zu seinem
Sterkenden Vater gerufen wurde, verspürte auf dem langen
Wege dakin, den er in aller Eile zurücklegte, eine ke-
sondere Art völliger Gefükisleere, gepaart mit 5elkst-
keokacktung, üker die er sick gerade in dieser (Situation
wunderte. Wäkrend des Laufens sprack er manckmal
akgerissene "Worte vor sick kin, wie: »;Sckrecklick« oder
»Mein Gott«; er füklte aker dakei, wie er versickerte, gar
nickts und wunderte sick darüker, warum er das sage.
gesprockener Worte «nj Sätze mit Jen von mir als Gestänjnisswang
tezeicLneteten seelisclien Tendenzen sowie mit den Vorgängen der
Wiederkelir des Verdrängten ist klar.
63
Ein Stadium Jer partiellen Depersonalisation geliört,
wie tereits temertt, melir oder minder zum regelmäJ^igen
Atlauf der Trauerarteit. In ausgeprägten Fällen telierrsclit
diese Art der psycliisclien Erstarrung sogar den größten
Teil der Trauerzeit. Sie wird dadurct ckaraLterisiert, da^
im Gegensatz zu den starken Gefünlen, die man nact
einem ersckütternden Ereignis erwarten sollte, eine völlige
Gefülilsleere oder- kälte empfunden wird. Die Differenz
zwisclien der zumindestens bewuj^t verspürten Gefülils-
erstarrung und der erwarteten, ja geforderten Gefühls-
steigerung wird von dem Einzelnen als peinlicn emp-
funden. ^N^ätrend in den meisten Fällen nur eine Ver-
wunderung darüter platzgreift, steigert sich das Gefüld
üter solcli eigene Affektlosigteit in anderen bis zum
schwer Ertragtaren, ja tis zur Verzweiflung. Die Be-
schreitiing, welche diese Personen von ihren psychischen
Vorgängen gehen, lä^t keinen Zweifel daran, da^ es sich
um Depersonalisationserscheinungen verschiedener Arten
handelt.^ Sie werden verständlich, w^enn man sich Genese
und psychische Mechanismen der Trauerarheit, w^ie sie
uns tesonders durch Freud hekannt geworden sind, vor
Augen hält. Die Trauerarheit geht vom Verlust des Liebes-
ohjettes aus und steht im wesentlichen unter dem Ein-
flüsse des Amhivalenzkonfliktes und der unbewußten
Selhstvorwürfe der trauernden Personen. Von hier aus
i) Das ausgezeiclmete Beispiel einer scnarfen, für die Depersonali-
sationseinstellung ckarakteristiscLen ScIiiUerung solcter Zustände nacll
dem Tode einer naLesteLenden Person in Tolstois selostDiograpliiscliem
Bticlie sKincJIieit, JtigenJ« sei tesonders terrorgetoben.
G4
ist die Differenz zwiscnen dem erwarteten Gefünlsaufwand
und der -walirgenoinmenen GefüliUosigkeit zu erklären.
Diese Einstellung ist so näufig und typisch, da^ man sicn
getrauen könnte, von einer Trauerdepersonalisation
zu sprecnen. In ^V^irklicnkeit nandelt es sich natürlich
nicht um Gefühllosigkeit, — so-wenig "wie in anderen Formen
der Depersonalisation, — ^ sondern um den Ablauf eines kom-
plizierten psychischen Prozesses. In diesen hafcen die beim
Gedanken an den Verstorbenen auftauchenden /Schmerz-
und Trauergelühle solange mit den ihnen -widerstrebenden
Regungen der Befriedigung und Genugtuung über den Tod
zu ringen, bis sie einander annähernd paralysieren, ein
schwer beschreibbares Kräftespiel, das nur scheinbar m
' die seelische Gleichgewichtslage ausläuft. Der Unterschied
-wird klar, wenn w^ir die Lage eines Körpers, der von zwei
annähernd gleichstarken, physikalischen Kräften nach ent-
gegengesetzten Richtungen hin bewegt w^ird, mit der eines
Objektes in Ruhelage vergleichen.
Die fast ununterbrochene Introspektion des iSeelen-
lebens der eigenen ^NTahrnehmungen und Empfindungen,
die an (Stelle der unmittelbaren Gefühlsäußerungen ge-
treten ist, hat in solchen Fällen oft einen auch bewußt als
quälend und zwanghaft empfundenen Unterton. Diesem
Zug gesellt sich meistens ein anderer, der kaum w-eniger
! störend w^irkt: es ist dies das Gefühl, daJg die Umgebung
[von uns laute oder zumindestens sichtbare deichen des
iSchmerzes oder der Trauer erwartet und eine Art v or-
wurf, daß man diese Gefühle nicht verspüren und noch
weniger zeigen könnte. Jeder v ersuch, solche Gefühle
ISrHrik- 5
G5
eu zeigen, lä^t sie sogleicli als unecht oder nur auf äuijere
W^irtung terecnnet erkennen. Es -wircl vom analytiscken
Standpunkte aus leickt verständlich, in welcher Art und
nach -welcher Richtung das üher-Ich diese psychische
Situation entscheidend heeinflu^t. Es ist in der oelhst-
heohachtung als kritische Instanz \vrirksam und hat einen
gewichtigen Anteil sow^ohl an der Genese der Allekt-
unfähigkeit, als auch an den damit veroundenen pein-
lichen Gefühlen. iSchlieJglich lä^t es die unhew^u^ten
oelhstvorwürfe auf Grund der eigenen verdrängten Feind-
lichkeit gegen den Verstorhenen entstellt und in einer
Projettion auf die kritische Beobachtung und Haltung
der Umgebung wiederauftauchen. Dieses letztere Phänomen
hat sekundären Charakter, da es eine introspektiv w^alir-
genommene Dillerenz unter die Gesichtspunkte der so-
zialen Beurteilung rückt, auf die antizipierte Anschau-
ung der Umgebung verschiebt. VV ir w^issen aus der analy-
tischen Lehre von der Genese der kritischen Instanz, da^
es sich in diesem Ablauf eigentlich um eine partielle Re-
gression auf ein noch früheres Stadium der Ichentwick-
lung handelt. Indessen ist auch bei dieser Projektion
eu konstatieren, da^ ein Stück seelischer Erleichterung mit
ihr verknüpft ist.' In der Fortentwicklung der Ambivalenz-
i) Das Ursprtinglicne, von aem die Projektionen ausgenen, sind ja
unoewu^te Seiostvorwürfe wegen der Feindsehgkeit gegen d&n Toten.
In eigenartiger Form und Verkleidung taiicnen Selostvorwiirfe aucli
in der Trauerdepersonalisation auf. So erklärte ein Depersonalisierter
Lei solcLer Gelegenneit: »Icn fünle, icn sollte jetst senr, senr traurig
sein. Ater icL fcin nickt traurig, natürlicli bin ich auch nicnt lustig,
6Q
r
Spannung sowie in Reaktion auf die (wirtliclie oder plian-
tasierte) Einstellung der Umwelt zu der Gefülilskälte der
trauernden Person kann es zu einer Trietentmisckung
kommen, m der sicli der Hintertlietene gegen diese Art
der Beurteilung seitens der Umwelt aufleimt und sick des
wirklicken Ckarakters seiner Gefülile gegenüter dem Ver-
stortenen teilweise tewu^t wird. Hier kommt es also zum
Durcktruck der latenten Gefükle, ja in dieser Aufleknung
wird nock kinter der äu^erlick zur iSckau getragenen,
als uneclit empfundenen Trauer die ursprünglicke Lietes-
regung gefüklt. (»Was wissen denn die anderen davon,
was ick fükle!«) Anderseits können der Ha^anteil der
Amtivalenz und Vorwürfe gegen den Verstorbenen sowie
das Gefükl der Befriedigung üfcer dessen Tod durck die
enl
icL filkle niclits, atsolut nicttä. Es ist, wie wenn icL ein iStüct Hols
wäre.« Von einer anderen Gelegenlieit tericLtet er älinlicli : sicli fütlte,
icL sollte jetst einen sclireclcliclien Zorn taten, es ist wie eine Pflictt,
wie ein Sollen, ater ict fütite nictts und das war quälend, e Älin-
licli wie in der Zwangsneurose ist auct in der partiellen Depersonali-
sation eine Versctietung auf ein Detail tonstatiertar, das sict der te-
treffenden Person aufdrängt und von itr als unpassend, atsolut deplaciert
oder störend empfunden wird. Wätrend der ersten Stunden nact di
Tode des Vaters tesctäftigte sict ein Patient mit der Frage, welcti
Krawatte er jetst tiagen solle; daneten empfand er nur Verwunderung,
warum er keinerlei Sctmers fütle, und eine starke Seltstteotacttung.
Er mu^te auct denken, daJ^ er wieder sctwarse Kleidung tragen
mü|te, wenn im näctsten Jatr die Mutter stürte. Die Identität mit
der Zwangsneurose im Vorgang der Wiederketr des Verdrängten
wird in dem Gedankensug klar, den ein Depersonalisierter nact di
Tode eines naten Verwandten tatte. Er verwunderte sict üter
Gefütllosigkeit und dactte: »Ot ict auct nictts fütlen würde,
meine Mutter stürte oder mein Kind gefätrlict krank würde.«
b7
em
seine
■wenn
Trletentmlscliuns zum BewuJ^tseln JurcUreclien. In
manclien Fällen zeigt slcli später aucli im Gegensatz
zu der Depersonalisation und dem damit vertundenen
Felilen starlter GefüUe, da^ eine Affektverscliietung statt-
gefunden liat. Diese lä^t den dem Anla| angemessenen
Affekt tei irgendeiner anderen, sclieintar gleickgültigen
Gelegenlieit zum Durclitrucli tommen.^
In den meisten Fällen dieser Trauerdepersonalisation
ist ütrigens eine iSteigerung der nacli au^en gerichteten
Aufmerksamkeit zu konstatieren. Es ist indessen auf-
fällig, wie selir die sonst latente Iclitezogenlieit der
äußeren Eindrücke datei liervortritt. In diesem Zuge zeigt
sicli die Verbindung der tesonderen Natur der nacli au^en
gericliteten Aufmerksamkeit der Depersonalisierten mit
ilirer Seltstteotacktung. Die Landscliaft wird nickt sack-
lick oder ästketisck tetracktet, sondern ikr Bild wird nur
mit den eigenen Erinnerungen oder Affekten verknüpft;
das Benekmen der Menscken ringsum wird nur zum Ver-
gleick mit der eigenen Haltung und den eigenen Gefüklen
kerangezogen. Das iStückcken Sckeinotjektivität, das wir
uns müksam erworten katen, fällt at. UnverküUt liegt
das Egozentriscke, grot Icktezogene, welckes der un
veränderlickste Teil von uns ist, zutage.
i
i) Ein gutes Beispiel solcker Trauerverscliletung tei Freud, Die
Gescliicke einer infantilen Neurose. (Ges. Sctriften BJ. VIII): die
Trauer des Patienten üter den Tod seiner Scliwester.
68
V
Die Depersonalisation mündet, falls sie nicht stationär
fcleitt, in einen Trietclurcntrucli und zeigt nocli so m
ilirem Ausgang iliren trietnaften Unterbau. Die Neurose
o der Psycliose, der die Depersonalisation so oft als ein Vor-
stadiunx entspricht, zeigt, von -welcher Art die unbewußten
seelischen Mächte tvaren, die von der Depersonalisation
in ihrem v ordringen gehemmt werden sollten. Das Ver-
drängte kehrt in der N eurose und Psychose in entstellter
Form w^ieder, nachdem es das Bollwerk der Depersonali-
sation überwunden hat. Der psychische Charakter soAv^ie
dieser beschriebene Ausgang der Depersonalisation legt
Zeugnis dafür ab, daß in ihr selbst der Konflikt zw^ischen
den Triebregungen und den Abwehrtendenzen sozusagen
hinter den Kulissen weitergeführt wird und sie seihst eine
Kompromißbildung zwischen diesen beiden darstellt.
Die libidinösen Krankheitsgew^mne der Depersonali-
sation sind von iSchilder und Nunberg bereits hervor-
gehoben worden. Beide Autoren haben es indessen ver-
säumt, auf die Befriedigung des unbewußten Masochismus,
der in der Depersonalisation bemerkbar wird, hinzuweisen.
Die Depersonalisation ist, wie schon ihr Name andeutet,
eine bew^ußt gefühlte Einbuße des ^Wertvollsten und
Lebendigsten der Persönlichkeit, ihrer Empfindungen,
Gefühle und Triebstrebungen oder zumindestens des Ak-
tivitätsgefühles, welches diese psychischen Akte in nor-
malem Zustande begleitet. Man kann dies konstatieren,
ohne weiter darauf einzugehen, daß das Aktivitätsgefühl
seltst <Jer Ausdruck einer unserer hartnäckigsten Illusio-
nen ist. Es scteint, da^ gerade der Ausfall dieser Illusion
für jene andere Illusion, die Gesclilossenneit der Persön-
liclikeit, eine tesondere Bedeutung hat. NunLerg tat
riclitig teofcaclitet, da^ er unie-wuj^t als Kastration emp-
funden und gewertet wird.^ Die feminine iSeite der
niasocnistiscnen TrieDoefriedigung wird so aucli in der
Depersonalisation ersiclitlicn. DaJg das Bewußtsein, der
letendig gefülilten Aktivität des Psycliiscnen berautt zu
sein, ein iStück unLew^ußter oelbstoestrafung darstellt,
ergitt jede genauere analytisclie Beobaclitung der Kranken.
Die Affektlälimung der Depersonalisation entnält eten-
falls ein Stück iSeltsttestrafung. In manclien Fällen
könnte man den Eindruck gewinnen, daß es bereits eine
seelisclie Erleicliterung tedeuten würde, wenn sicli die
Kranken unglücklicli fünlten. Dies kann nicht riclitig
sein, entliält ater einen ricntigen Kern. Es nandelt sicIi
nämlicli darum, daß eine psychische Entlastung eintritt,
wenn es gelingt, die vorliandenen Unlustgefülile zum
Bewußtsein und zum Ausdruck zu Lringen. In einzelnen
Fällen w^ird es dem Analytiker klar, daß die Kranken
aucli durcli ilir tiefes, untewußtes ocliuldgefülil daran
gekindert werden, iliren Sclimerz tewußt zu verspüren
und zu äußern. Die psycnologisclie Beobachtungsgabe
Dostojewskis liat gelegentKcn ein otück dieses sce-
l) Es ist temerltenswert, da^ sicli sogar die eigenen psycliiscueti
Phänomene unter dem Bild Jer Kastration repräsentieren können.
Ein Patient tesctreitt seinen Zustaiui Jer IcLspaltung und sagt, er
fünle sicn »wie eutsweigescnnitteue.
70
lisclien Mechanismus erfassen können. iSo erklärt Jet ver-
kommene Beamte Marmeladoff in »Radion Raskol-
nikoU«, er trinke nickt etwa der Fröklickkeit wegen,
er betrinke sicli vielmekr, um seinen Kummer zu füklen
und um weinen zu können. Das will keinen, um die
Gefüklsstockung zu üLerwinden und den 5ckmerz, der
I latent in ihm ist, tewu^t zu verspüren und sick durck
"W^einen davon zu kefreien. Audi die als peinlick emp-
fundene iSelkstbeokacktung, die zwangkaften Ckarakter
kat, gekört in den Rakmen der unbewußten 5elkst-
bestrafung. Die Zensur des Uber-Icks ist zwar in der
Depersonalisation nickt in ikrer ^Strenge w^ie in der
Zwangsneurose, wokl aber in ikrer Sckärfe gesteigert.
Sie kat auck ikr Bereick außerordentlick ausgedeknt, da
ikr alle Akte unterliegen.' Die iSelbstquälerei, die in
solcker kontinuierlicker oelbstkontrolle liegt, dient eben
der Befriedigung eines narzißtiscken Masockismus. Der
Ckarakter dieses Masockismus als eines gegen das Ick
rückgewendeten Sadismus wird in der.Psyckogenese der
Depersonalisation klar: es siekt so aus, als wäre die Trieb-
verwandlung mit der partiellen Ablösung der Libido von
i) Nunterg temertt (S. 3a), Ja^ im Gegensats zur Melanctolie,
«1 der das Ich gegenüter tjetn Ickideal unterliegt, in Jer Depersonali-
sation nur beklagt und registriert wird, Ja^ das Ict die AnsprücLe
des Ideals niclit erfüllt, okne jedocli zu weiteren Reaktionen wie tei
anderen Krankheitsfornien zu lütren. Diese Beliauptung darf nictt
unwidersproclieu bleiben : die Klage und das Registrieren ist ja tereits
ein Anseicnen der BemüLung, einer inneren Störung Herr zu werden.
Die Oelbstteobacntung aber beweist, da^ dem IcL eiji ungewolintes
Ma^ kritisclier Aufmerksamkeit angewendet ist. Man kann sagen, da^
71
1
(Jer Au^^enwelt uni iiiren Objekten verknüpft. Es ist so,
als wäre die Konzentration auf das Icn nicht restlos ge-
glückt und dieses MiJ^glücken fände auch in der Triet-
umwandlung in den !Masocliismus Ausdruck. Eine Patien-
tin litt in ilirer Puiertät unter passageren Depersonali-
sationen, die in masocnistiscne Aktionen ausliefen. iSo
konnte sie, als ihr Bruder einen FuJg brach und heftige
iSchmerzen hatte, in sich keinerlei Gefühle -wahrnehmen
und beschrieb ihren Zustand als »aumh, numh, feeling-
less«. Sie konnte diese seelische oituation nur eine gew^isse
Zelt aushalten. Inr Zustand -wurde ihr immer quälender,
so daJg sie sich schließlich mit iSladeln ins Fleisch stach,
um irgend etwas zu fühlen. Ist so die Depersonalisation
von dem dem Ich zuge-wandten oadismus beherrscht, so
fehlt es keines-wegs an Versuchen, diese Einstellung durch
sadistische Durchorüche nach außen zu lockern. In diesen
Zügen -wird nicht nur die Abkunft des Masochismus
regressiv erkennbar, sondern aucn ein iStück der erhalten
gebliebenen Triebregung ersichtlich. Bedenken -wir, daß
die Depersonalisation immer nur einen Teil der Persön-
lichkeit ergriffen hat. Es gibt nur eine partielle De-
in der Depersonalisation das Icn aeni ÜDer-Icli zu unterliegen arolit.
In diesem Sinne dai-f man die Depersonalisation als den anarzji^tisclien
PsycLoneuroseuft nahestenend Leseicnnen. Der Cnarakter der iSelost-
Deooacntung stellt dem der ibelostauklagen der Alelancnoliker keines-
wegs lerne: die Klagen sind eigentlicn Selbstanklagen. Der Libido-
niangel -wird von den Depersonalisierten unoewuijt als ocnnld emp-
funden. Es -wurde oben nacndrücklicn daratu nmgewiesen, dajg die
mit s-waiignafter Stärke auftretende SelDStbeobaclitung den moraliscnen
^asocnismus befriedigt.
personalisation; zumindestens auj^erlialo der kliniscnen
Lelirtüclier. Es ersclieint mertwüroig, oa^ die sadistiscken
Trietzeiclien, -welclie in der iSymptomatologie der De-
personalisation allerdings verhüllt auftreten, bisner keine
Beaclitung gefunden haten. Und doch sind sie in der
Bescnreitung, -welcne die Kranken von inren Eindrücken
aus der Außenwelt geben, nickt zu überseken. In der
Kasuistik finden v^ir bei Heymans, GeiJgler, Oster-
reicli, Ball, ja bei allen Autoren zalilreicke Angaben,
die gebieteriscn in diese Riclitung -weisen. Gottfried
spricht davon, er könne die Personen seiner Umgebung
erschlagen "wie Holzpuppen. Ka. sah einmal zwei bis
drei Minuten lang die Menschen um sich herum als
Maschinen. Balls Kranker nennt die Personen seiner
Umgebung wenig liebenswürdig »Dinge«. Ein Kranker
meiner Beobachtung sah alle Menschen als iSchatten
und verglich sie mit den Gestalten der Unterw^elt;
einem anderen erschienen sie als irgendwie plattgedrückt.
Die Menschen erscheinen w^ie Figuren eines Traumes
(Krishaber), wie Phantome (Deny), wie Marionetten
(Hesnard), wie Sachen {»cJioses«, Ball). Nun ist kein
Zweifel daran, da^ -wir alle nicht mehr sind wie Ocnatten
und da^ die Nichtigkeit und sinnlose Vergänglichkeit
des Menschenlebens in den Beschreibungen der Deper-
sonalisierten einen guten Ausdruck finden. Manchmal
möchte man sogar meinen, da^ Bezeichnungen, wie Puppen,
Marionetten oder Sachen, auf w^irkliche Personen ange-
w^andt, eine niedrige Schmeichelei darstellen. Aber der
W^ahrheitsgehalt der Angaben steht nicht zur Diskussion.
73
1
us-
en
Die Narren iStatespeares, denen der Dictter die tiefsten
Weisheiten in den Mund gelegt tat, tleiten dennoct
Narren von tesonderer spa^kaft-titterer Art. Wir Iiaten
liier nur Iiervorzulieten, da^ das Gemeinsame der Ein-
drücke in der Depersonalisation das Zurücttreten der
Lethaftiglceit — liier im iSinne der Letendigteit — ist.
Wenn die Depersonalisierten sagen, da^ ilinen die Per-
sonen und Dinge der AuJ^enwelt wie Puppen erscheinen,
•wie Ockatten, wie von iSckleiern umgeben, undeutlicL
und wenig oder gar niclit lebendig, so bedarf es scbon
einiger Übung im überselien, um nickt in diesen A
drücken dasDurckbrecken von unbewußten Todeswünsck-
und feindseligen Regungen zu erkennen. 5o meint iS c k i 1 d e r
(Mediziniscke Psyckologie, iS. a58), die Änderungen im
Wakrnekmungsbilde beruken darauf, daß die Patienten
ikre Erlebnisse nickt anerkennen, »es sind widersprockene
Wakrnekmungen.« Er beruft sick auck auf das Flackseken,
über das solcke Patienten oft klagen. Aber diese Auf-
fassung «Sckilders könnte leickt den Eindruck erwecken,
es kandle sick lediglick um Vorgänge der Realitätsfunk-
tion. Indessen wird die unbewußte Feindseligkeit gegen
die Außenwelt, welcke die Depersonalisierten in ikren
kier unbestimmten, ziemlick vagen Aussagen verbergen,
in der Analyse erkennbar. Das Flackseken der äußeren
Objekte ist so unbewußt ein Vernicktungsäquivalent; die
Personen werden sozusagen an die W^and gedrückt. Der
Eindruck der Entfernung und Entfremdung der äußeren
Welt liegt psyckologisck auf einer Linie, an deren End-
punkt die Wcltuntergangspkantasie der «Sckizopk
irenie zu
7A
finden ist. Nickt nur die Atziekung der Litido, sondern
aucli die uutewul^te Feindseligi.eit nat in diesen 5ym-
ptomen iliren Ausdruck gefunden.'
Es verstellt sick, da^ es sicli nicht fclo^ um die Aus-
wirkung einer sadistiscnen Herabsetzungstendenz liandelt,
wenn die Depersonalisierten die Personen rings um sie
als Puppen, Mascliinen, Ocnatten bezeiclmen. Es mu]3
vielmehr aucli so sein, da^ sie das Empfinden der eigenen
Affektlälimung und UnleLendigkeit auf die anderen Per-
sonen untewu^t projizieren. iSie leinen ihnen sozusagen
Qualitäten, die sie untewu^t in sich wahrnehmen. VVir
stoj^en so indirekt auf feindselige Regungen und Todeswün-
sclie gegen das eigene Ick. Dieser Zug drängt sicli dem ana-
lytisck gesckulten Beobackter in der ^V^ortwakl der typi-
scken Besckreibungen, welcke die Depersonalisierten von
ikren psyckiscken Zuständen geben, auf: »Ick bin nickt
ganz da«, »Ick fiikle micli nickt lebendig«, »Ick komme
mir selbst wie eineSacke vor«usw. Ein Patient Krisk ab ers
sagt, es sei, wie wenn er nickt existierte, eine Patientin För-
sters bemerkt: »Ick bin nickt mekr, es ist alles aus.« Ein
Depersonalisierter aus meiner Beobacktung klagt immer
wieder: »Es ist, wie wenn ick nur kalb existierte« und
sprickt von seinem seeliscken Zustande als von einer
i) Das Jieser Einstellung entspreckenje unbewußte SckulJgefilhl
wii'J sicli dann in jenem Gefülil des Allein- oder V erlassenseins, des
^isohmeiit cosmi^uc«^ üLer das ein Depersonalisierter klagt, äußern.
Die Es-Dnr-ALkoide des Maklerscken Liedes: sick tin der Welt
akkanden gekommen« (mollo lenlo c rüenlito), geken vielleickt diese
Depersonalisationsstimmiing wieder.
75
»Gefülilsletliargie«. Die oft geixörte Klage des AVie-tot-
seins tind des GefüLles der Automatenliaftigteit wird so
nadidrücklicli erLoten, da^ man mit diesen Aussagen
psyckologiscli Ernst maclien mu^.
Die analytische Erforschung der Depersonalisation
ihrer Psycliogenese sowie iLrer JMeclianismen zeigt, dat
die (Störung der Lietesfäliigteit im Mittelpunkte der
Klagen üter die GefüLUosiglteit stellt und wie selir die
Todeswünsche gegen das Ick mit diesem Zuge zusammen-
hängen, ^er Lieie niclit füklt, ist niclit letendig, ist
ein Automat.^ Liete niclit füLlen iönnen, ist untewu^t
mit Totsein identisch.^ Es mu^ aucli Iiervorgeliofcen werden,
da^ die "Wiederkerstellung der LieLesfäkigteit zur Auf-
hetung der Depersonalisation fükrt. jSo fügt sick aucli
der seelische Partialtod der Depersonalisation den in
diesem Zustsrnd untewu^t wirtsamen iSeltsttestrafungs-
tendenzen ein.'
^ir Iiaten anzunehmen, da^ in der Depersonalisation
eine teilweise Regression auf die sadistiscli-anale Pliase
1
l) Man Jente etwa an die Enttäusctung Hoffmaum in Offeu-
bacLs »Hoflinauus ErsäUungeuo:: Olympia ist ein Automat.
3) sWer nJcLt mekr lieLt und uicLt meLr irrt, der lasse sicli tc-
graten« (Goette).
3) Manclimal gelingt es den Kranken seltst, die Rüctwenduug
sadistischer Trietimpulse gegen das IcL dem Bewußtsein naliezutringen.
So sagte eine Patientin in iLrer Depersonalisation: »I fcel liJcc a stone,
likc a stonc on anyhoJys necl.e Ein anderes Mal tonnte sie nacliträg-
Lch den psycliisclien 2usammenliang rekonstruieren, der in der Deper-
sonalisation wirksam war; sie erklärte: islnstcad of Jcnowing that you
want to Kill someone elac, you wijpe yourself ouH.
76
der Litidoentwicldung stattfindet. Die Gelühlszurück-
taltung, als "^v^elcne -wir die angeolicne Gelülillosigkeit
der Depersonalisation auffassen müssen, gekört trietpsy-
cliologiscli der Analerotilt an, die OelostteoDaclitung sowie
die von uns erscnlossenen Todeswünscne dem gegen das
Icli rückgewendeten oadismus/ Die Regression auf die
primitiv narzißtische Einstellung etenso wie der VV ortlaut
der Klagen der Kranken lassen erkennen, daß in der
Depersonalisation ein tieferer, aus der Kinderzeit stammen-
der W^unscn wieder nacli Erfüllung strebt: der VV unscli
der Rückkenr in den Mutterleib.
VI
^V^ir sind f rüner zu einer Unterscneidung zweier Haupt-
formen der Depersonalisation gelangt: in der ersteren
dumpferen — man könnte sagen unbewuljteren — steht
das Gefühl der Interesselosiglieit und der Gefühlsstockung
im Mittelpunkte. Die Kranhen machen den Eindruck
einer fast gewollten Resignation; ihre Klagen haben einen
leisen, doch spürbaren Charakter der Vvehmut. Die iSelbst-
beobachtung ist bereits vorhanden, doch hat sie noch nicht
die ausschließliche Herrschaft über das bew^ußte oeelen-
leben an sich gerissen. Die zw^eite Form ist durch be-
sondere iSchärfe der iSelbstbeobachtung sowie durch das
gesteigerte jSträuben gegen die eigene Affektleere und
i) W^ir verweisen Lier wieder auf die nanesteuenae Auektiou der
Zwangsneurose, in der sadistiscne und analerotiscne Trieoregungen
eine so prävalente Rolle spielen.
77
^
Interesselosiglteit gekennzeiclmet. Es -wird für den analyti-
schen Beoiacliter erltenntar, da,^ es sicli In dieser Form
nicht nur um eine At-welirersclieinung tändelt, sondern
da^ sie bereits einen Genesungsversuck darstellt. Es ist
diejenige Form oder Phase, die entweder wirklicli zum
Durcnbruch und damit zur Realanpassung fülirt, oder
durch ütermächtigwerden des Ahgewehrten in die T^eu-
rose oder Psychose überleitet.
Die Frage, wie sich die Depersonalisationsphänomene
unter den Gesichtspuntten der Verdrängungstheorie ver-
stehen lassen, ist keineswegs so einfach, wie sie sich ein-
zelnen analytischen Autoren darstellt. Folgen wir Ntin-
oerg, so sind die Fremdheitsgefühle der Ausdruck der
einleitenden Verdrängungsphase. Diese Behauptung scheint
mir SU weitgehend zu sein. Es ist vielmehr so, da^ die
Depersonalisation nicht im deichen des speziellen Ver-
drängungsmechanismus, sondern in dem der allgemeinen
Abwehr steht.' In den meisten Fällen der Depersonali-
sation handelt es sich um die Atwehr gegen einen Trieh-
anspruch, der vom Ich ausgeht. Manchmal kann man in
der Depersonalisation eine Ahw^ehr gegen ein Wieder-
auftauchen des Verdrängten erkennen. Die Fremdheits-
gefühle sind sonach eher Ausdruck der Atwehr gegen
ein iStück unerwünschter Realität oder ein wiederaiif-
tauchendes Verdrängtes, ater nicht das 2^eichen eintreten-
der Verdrängung. Die »Selbstbeobachtung der Depersonali-
l) über den Unterschied von Verdrängung und Atwelir siehe
Fretid, Hemmung, Symjtom und Angst. 1926. S. 1S2 f.
78
sation erklärt sick nicht nur aus einem Rüclifluten der
Libido ins Ich, sondern aucli aus der iSckutzrealttion des
Iclis auf eine TrieLverstärkung, der sie im Dienste der
Zensur entgegenwirkt. iSie soll das Auftauchen unlieb-
samer Walirnelimungen, Vorstellungen und Gefülile ver-
hindern. Die Abwehr der \V^iederkehr des Verdrängten
in der Depersonalisation erfolgt so auf zweierlei Arten :
durch erhöhte Wachsamkeit sowie durch Entzug der
Libido, der sich dann mittels der Mechanismen der Ver-
schiebung und Verallgemeinerung über das ganze Seelen-
leben ausbreitet. Bei der Unanschaulichkeit der Bezie-
hungen, die wir zu erfassen haben, wird uns vielleicht
ein Vergleich gute Dienste leisten. Die Rolle der Libido-
entziehung und die der ^Selbstbeobachtung ist den Maß-
regeln vergleichfcar, welche eine Abteilung beim Heran-
rücken einer ühermächtigen, feindlichen Armee ergreift.
Die bedrohte Abteilung zieht sich auf eine gesicherte
Position zurück, in der sie keinen üLerraschenden, feind-
lichen Angriffen ausgesetzt ist, und das Vorgeläiide wird
durch »Scheinwerfer, Patrouillen usw. beständig abgesucht,
um jedes Anrücken des Gegners frühzeitig zu bemerken.
Aus der dargestellten psychischen Dynamik wird es ver-
ständlich, welche »Stellung die Entfremdungsgefühle in der
Depersonalisation einnehmen und wie sie zur Neurose
und Psychose üherleiten. Die Entfremdung der Außen-
welt entspricht der Abwehr eines peinlichen »Stückes
äußerer Realität, dem man sich zu entziehen sucht, die
Entfremdung des Ichs entspricht einer Abwehrreaktion
gegenüber einem peinlich empfundenen, unbewußten »Stück
79
der Persönlicliteit, das zum Bewuj^tsein drängt. Das ist
freilicli nur im GröLsten richtig, da durck die ^V^irksam-
Iteit der Projektionsmecnanismen ein inneres Gesclielien
in die Umwelt versetzt wird und so eine Entfremdung der
Außenwelt oft nur eine (Spiegelung der Icnentfremdung
darstellt.
Die Entfremdungsgefütle, die sick in der Depersonali-
sation gegenüLer dem Icli und der Au^en'welt geltend
maclien, sind psycnologisch nicnt gleichwertig, wie selir
sie sich auch im oymptomenoild vermengen. Die v ei--
scliiedenkeit des Ausganges zeigt die \V^ichtigkeit dieser
Differenzierung: wo die Entfremdung der Außenwelt
üterwiegt, liann es zur Psychose kommen; wo die des
Iclis vorlierrsckend ist, liegt die Neurose näher. Ver-
suchen wir die Verschiedenheit der Entfremdung m eine
Formel eu fassen, so empfiehlt sich die folgende: Das
ist nickt die Umgekung, die ick kenne und: Das
ist nickt das Ick, das ick kenne. ^ Dock wir tun
kesser, diese Formel in die Frageform zu kleiden, die dem
psyckologiscken Ckarakter der Depersonalisation soviel
gemäßer ist. iSie kei^t dann:^V^o kin ick? und W^er kin
ick? Halten wir daran fest, da^ die Depersonalisations-
i) Die partielle, auf einen Körperteil gericntete Depersonalisation
entzieht sick <lieser Formel nicnt: einer Patientin erscnien oft ilire
eigene Hand plötalicL entfremdet, als nicLt sum Ick geLörig. Die
Analyse zeigte, Ja^ dieses Gefütl von der Verwunderung ausging,
■welclie die Kranke füklte, wenn sie wakrend des rsäkens oder Sckreikens
auf ikre Hand klickte. Es war so, wie wenn sie sick sagte : diese Hand,
welcke jetzt näkt, kann nickt dieselfce sein, die onanierte und andere
kä^licke sexuelle Dtnge ausfükrte.
80
I
^^V zustände sich als Reaktionen auf ein scliweres Erletnis
^^H wie etwa auf eine W^unscnversagung erweisen, so werden
l^^f wir der Entfremdung der Außenwelt die primäre Be-
deutung nicht absprechen liönnen, die sie rein Iiistorisch
schon hat. Ist dies zweifelsfrei anzuerkennen, so erliett
sicli doch die Frage, oli eine solclie Entfremdung der
Außenwelt, wie sie die Depersonalisierten zeigen, oline
vorangehende Iclientfremdung möglicli ist. Unsere Be-
ziehung zur AuJ^enwelt wird durcli die Realitätsprüfung
in erster Linie Lestimmt. Die Realitätsprüfung gekört siclier,
wie Freud ertlärt, dem Ick an, aber dieses Icli ist nocli i
zur ^eit der Ausbildung der Realitätsfunttion keineswegs
einheitlich und stabil. jSie wird aucli in Zukunit von zwei
iSeiten her eine Bedrohung erfakren tonnen. \\^ir wissen,
wie die Mächte des Es unsere ^Vakrnekmungen fälscken.
W ir seken, kören, riecken, was unsere Triekregungen uns
wünscken lassen. Unsere Akkängiglteit von unserer unak-
änderlicken tieriscken Konstitution wird nock unsere
Realitätsfunktion stören und ikre Entwicklung in mannig-
faclien Ricktungen keirren können. Unser Ick stand aker
lange Zeit auck im Banne älterer, geackteter und ge-
liekter Personen, denen es die Realitätsentsckeidung üker-
[lie^. Die primäre Realitätsfunktion gerät deskalk auck
unter die Kontrolle des Üker-Icks, das anerkennend oder
zurückweisend, ergänzend oder verändernd die Resultate
der W^akmekmungen revidieren kann.
riJun ist es armselig genug, wenn unser Bild der Außen-
welt von der jSckärfe unserer jSinneswakrnekmungen —
unsicherer und plumper Aknungen — und der unseres
l
Relk. 6 81
Verstandes — dem eines etwas tlügeren Schimpansen —
atliängt. Der Mensct, dieses ertärmlichste Haustier Gottes,
entscteidet ater aucli darüter, ot etwas wirtlicli ist oder
niciit, je naclidem er es wiinsclit oder nicnt. Und oft
genug leugnet er oder lügt er die "W^irkliclikeit um, weil
er es sick niclit erlauten darf, sie für wirldicli zu kalten,
auck wenn er es wünsckte. Aus diesen E-igensckaften fol-
gern die Pkilosopken offenkar, daJ^ der Mensck kerufeu
sei, die Rätsel dieser AV^elt mit untrüglicker iSickerkeit
au lösen und AV^akres von Falsckem zu untersckeiden.
In der Entfremdung von der AuJ3enwelt in der Deper-
sonalisation werden keide Einflüsse, die des Es und die
des Üker-Tcks, die Realitätsfunttion keeinflussen.^
1
i) Gewii^ wird dies in verscLiedenem Ausmaße gesclielien und der
Einfluß unserer Trietregungen, die Vermeidung der Unlust wird in
den meisten Fällen die Hauptrolle spielen. — In der Literatur sind
tislier kaum Fälle von Depersonalisation Bei Kindern verzeichnet
worden, ater es unterliegt teinem Zweifel, da^ solche in mehr oder
minder großem Ausmaße vorkommen, namentlicn bei Kindern, die zur
Zwangsneurose neigen. Aus der Analyse eines Erwachsenen stammt
eine Erinnerung aus dem sechsten Jatr, die unzweideutig Deper-
sonalisationszustände zeigt. Es gab damals eine Zeit, in welcner
die Interesselosigkeit ies Kindes, der Mangel an Anteilnahme sogar
den Eltern aufgefallen war. Der kleine Junge verwunderte sicL üter
sicL selbst; er bescLäftigte sieb in jener Zeit viel mit der Frage, wer
er eigentlick sei und was er füUe. Die Erinnerung aeigt ilin, wie er
viele Nactmittage auf dem Sofa liege und sieb selbst leise beim
Namen ruft: »Felix, Felix!«, sick wunderte, da^ er der Felix sei und
wissen möckte, ot und was er wirklich fühle. — Ein anderer Patient
entwickelte als Siebenjäkriger eine auj^erordentlicb gesteigerte Selbst-
teotacktung, die er als quälerisck empfand und über die er sick bei
seinem fransösiscken Eetrer keklagte. Er nannte diesen Zwang, das
8a
^
vn
Die früker aufgestellte Formel für die Depersonali-
sation »Wer tin idi?« — im jSinne der psydiologisdien
Erfassung des eigenen Idis — fülirt uns zu unserem eigent-
Iidien Ttema: den Bezieliungen zwisdien Depersonali-
sation und Psydiologie. Sie ist im iSinne jener Mahnung
des delpliisdien Gottes die Frage, der alle psydiologisdie
Forsdiung untewu^t zustreLt.
Nun sind diese Bezieliungen oft liervorgelioten worden,
sie wurden melirfadx Gegenstand der Untersudiung. Wir
gelangen liier offentar auf ein gefälirlidies Getiet: das
der Psydiologie der Psydiologie. Audi liier wird die
Untersudiung von Psydiologen gefülirt und sie tetrifft
die psydiologisdien Voraussetzungen und die seelisdien
Motive des psydiologisdien Arteiters. Darf man leise
daran zweifeln, dajj soldie Untersudiung von persönlidien
und sdiwer tontroUiertaren Vorurteilen und Gefülils-
momenten unljeeinflu|t tleifcen wird? Nein, der Zweifel
ist ülierliaupt eine ungeliörige Eigensdiaft für den Psydio-
logen. Er verträgt sidi nidit mit dem exakten Ctaraltter
einer Vv issensdiaft.
odiilder, der sidi besonders eindringlidi und öfters
sdiarfsinnig mit unserem Tliema tesdiäftigt Iiat, tetont,
man könne introspektive Psydiologie treuen, olme de-
Icli zu teotacLten, damals setr cLarakteristJsct : Ja manie des deux
personnes". — Die Rolle des üter-IcLs m der Depersonalisation lä^t
es verstellen, warum diese Zustände erst von einem testimniten Alter
an bei Kindern vorkommen können.
83
personalisiert zu sein.' Wi würcJe mieJi getrauen, diesem
Satze, Jer uns ins Innerste unseres Protlems führt, zu
widersprecJien.^ NotJi in Jer introspektiven Psydiologie
ist ein 5tii<i jener Depersonalisation entlialten, die wir
mit der Idispaltung und -entfremduhg, mit Aflett-
surüAtreten und der Entpersönlidiung der Gefülale ver-
liinden. 5diwerer als der Felder in dieser Beliauptung
wiegt das, was felilt. Es ist leidit zu ergänzen, wenn man
eine Vertalform ändert. Es ersdieint melir als fragwürdig,
ot man introspektive Psydiologie treiten kann, oline in
einem gewissen Ausmaße depersonalisiert zu sein. Gewi^
ater kann man nidit introspektive Psydiologie treiten,
olme depersonalisiert gewesen zu sein. Felilt m iSdiilders
Beliauptung nur das eine Moment? Nein, es giLt nodi
ein anderes. Man mu^ liinzufügen: man kann nur dann
introspektive Psydiologie treiben, wenn man die Deper-
sonalisation in einem gewissen Ausmaße ükerwunden hat.
"W^ir gehen also nadi zwei Seiten üter Sdiilders An-
sidit hinaus.
Nadi Sdiilder ist es für die Depersonalisation diarak-
teristisdi, dafj die Tendenz des Beohaditens mit der Ge-
füklstendenz ringe. Man könne sagen, wälirend des Fülilens
wolle der Depersonalisierte heotaditen und wäkrend des
1) Selbsttewu^tsem und Persönlidikeitstewu^tseln. Monogiapliie
nus dem GesamtgetJete der Neurologie und PsydiiatrJe. Heft 9. 19l4'
2) Mit Genugtuung stelle idi naditr-Hglldi fest, dalj Herr Professor
Sdiilder, dem idi meinen Einwand vorlegte, freimütig erklärte, er
würde diese Beliauptung heute nidit melir vertreten. Er wies mit Redit
auf die sMi.fdiungsverliältnisse« bin, die Kier eiitsdieidend sind.
8^
Beobamtens wolle er voll erleben. Dies ist 2'%veifelIos in
einem gewissen Ausmaße der rall und die Besoireibung
mit inrem stilistisca reizvollen Gegensatz -wirkt besteaiend.
Allein ein prägnanter, bisher übersehener Zug im Oym-
ptomenbilde der Depersonalisation ist, daJg diese Kranken
neben inrer sonstigen Interesselosigkeit keinerlei Beniülien
zeigen, ilir oeelenlebeii mit den E-rklärungen inrer neuro-
logisdien Beobaditer in Übereinstimmung zu bringen. Tat-
säoilidi ist die iSaailage "weit komplizierter: der Deperso-
nalisierte will erleben und fülilen, aber er kann es nioit,
■weil die Art seiner Erlebnisse und Affekte iiim niait die
-»vünsaienswerte ist. Die Beobaaitung aber ist zwangnaft;
sie bat die Tendenz, die Unmöglioikeit des Fünlens und Er-
lebens zu über-winden: sie entspridit also einem Heilungs-
versuai. Gleidizeitig gibt sie ■wirklidi den Ersatz des Er-
lebens und Fülilens — eben in der sozusagen verdünnten
Form der Introspektion. Die Erklärung Oaiilders stimmt
also nur in einem geringen AusmaJje. vVer beobamten
will, kann nidit gleidizeitig naiv erleben, das ist riditig.
Aber die iStörung im Erleben mul3 vorausgehen, sonst
käme es gar niait zum Beobaditenw ollen. Beobaditen-
w^oUen und Erlebenwollen w^iderspredien einander nur
für den oberlläailidisten Blios:; im Tielsteji verlaufen sie
in derselben Riditung. Es -wäre viel riöitiger zu sagen:
der Depersonalisierte kann nidit füIilen und muJj desnalb
beobaditen. Man bat einem Kinde die iSoiokoladetorte
verweigert und zum Ersatz dafür Bonbons angeboten;
während es die Bonbons iljt, liört es doai nidit auf, die
Torte zu verlangen.
85
AV^ir stoßen liier auf den Punkt, an dem klar -werden
mw4, -wie' \lesen und Ursprung der Psyoiologie der
Depersonalisation nanestelit. \Vir -waren früner geneigt,
5(}iilders Satz daliin umzulornien, man könne nur intro-
spektive Psydiologie treiben, -wenn man in einem ge-ivissen
Ausmaße depersonalisiert ge-wesen sei. Dodi -war dies ge-wi^
nidit im oinne einer Krankkeitsersdieinung, sondern in
dem einer bestimmten Einstellung zum Idi gemeint. Es
ist daliin zu verstellen, dai3 es einer ge-wissen partiellen
Depersonalisation bedarf, um überliaupt zur -wissensdiaft-
lidien Introspektion zu gelangen. Der naive, instinkt-
ungebroaiene Mensdi fünlt keinerlei Bedürfnisse nadi
introspektiver Erkenntnis; sein eigenes Oeelenleben inter-
essiert iliii nioit. Er bat seine Libido der Au^eii-welt zU'
ge-wendet und die unbe-wu^te Projektion seiner seelisoien
Leistungen auf die Umwelt ist ilim der natürlioie VV eg
des ^V^elterkennens. Er suoit ein iStüoi Realität der greif-
baren Art zu erobern; man mömte sagen, er sei mit jener
Art vergängliaier Illusionen, w^eldie -wir die Vv irklioikeit
nennen, zufrieden und es gelüstet inn nadi keiner anderen.
Das Reiai des Psydiologen aber ist nidit von dieser VVelt,
der AV^elt der materiellen Realität. iSTatürliaiei-weise ist
die ^V^alirnenmung nadi au^en gericbtet und die vVen-
dung der Aufmerksamkeit zur inneren vV^abrnebmung ist
bereits Zeidien einer iStörung im Libidobausnalte.^
i) JMoebiiis tat dies oereits ausgeseidinet formuliert: »Es ist
uns sozusagen natürliai, den Blidt auf die AuJ^en-welt zu rioiten; es
ist unnatürlioi, den BlicK nadi innen su rimten. VV ir können uns
einem Alensmen vergleiaien, der von einem dunklen Zimmer aus durck
86
f
^^M Erst der Konlliltt z-wiscLen den verdrängten Trieb-
P^K träften und den JM-äoiten des lois maait übernaupt das
l ■ Problem der Introspektion aktuell. vV^ie gesagt, reibt sioi
I in diesen Konüiit jener V ersum der Anästnetisierung des
K Seelenlebens, den wir in den X)epersonalisationszuständen
! m besaireiben, ein.
■ ^V^enn dies so ist, erbebt sidi aber aufs neue die Frage
I naoi der Rolle und Bedeutung der iSelbstbeobaditung
innerlialb der Depersonalisation. »Sollten -wir ilire wirk-
lioie otellung nioit erkannt liaben? Dies smeint mir nun
tatsäailidi so zu sein. Die iSelbstbeobaditung ist nidit
primär mit der Depersonalisation verknüpft; sie ist ein
sekundäres Pnänomen. VVir wollen o milder nimt zu-
gestelien, da^ das erste keimen der Depersonalisation
»quälender iSelbstbeobamtungszw^ang« ist; nooi weniger
Osterreioi, da^ der E-intntt der Depersonalisation teil-
w^eise, »wonl direkt auf der XJberwumening der öelbst-
beobaaitungsfunktionen« berune. Primär ist die Imspaltung
und -entfremdung. Die iSelbstbeobaditung mag oft zuerst
auffällig in Ersmeinung treten, aber das bedeutet nidit,
da^ sie zuerst da war. iSie ist scnon als ein Anzeiaien
ein kleines Fenster die sonnenbesaiienene v\^elt tetraditet: drauJ^en ist
alles leimt untersdieicioar, telirt er sim aoer wni, so finaet er sim
stiiwer in seiner dituMen Beiiatisuiig sxtreoit.ft (Die Hollnungslosigkeit
aller PsyAoIogie. 1907. S. la.) Der gute Vergleich lükrt weiter; er
ist auoi geeignet, tioer die Motive der psymologismen Einstellung etwas
aussusagen. Die Aufmerksamkeit, die ursprüngliai auf die »sonnen-
besmienene vVelte gerimtet war, wird sioi der »dunklen Benausung«
nur dann zuwenden, wenn draußen etwas XJnerfreuliaies gesoiient oder
ein ^Ereignis im zJimmer selbst die W^endung erswingt,
87
des Ankämpfens gegen die dumpfen Gefüme der Idi
entfremdung anzusenen; sie ist Bereits ein erster und un-
zulänglimer Onentierungsversuoi im Idi. Der IdLido-
entzug von der Au^en'welt sowie ilire Rüttzienung ins
Im ist zwar eine v orbedingung der aeltstLeotaditune,
aber diese Prozesse müssen nidit untedihgt zur jSeltst-
teotaditungfüliren. Dieselten Vortedingungen treffen für
bestimmte Psyaiosen zu, aber das psyaiisdie Resultat ist
ein völlig versaiiedenes. Die Tatsadie, daJg die iSeltst-
beobaaitung in der Depersonalisation auftaudit, zeigt an
sim nidit, welaic otellung ilir innernall) der Ersdieinun-
gen zukommt.
VV ie naoen wir die oelbstbeobaditung zu fassen, weldie
Funktion haben w^ir inr innerhalb der Depersonalisation
einzuräumen? W^ir sagten tereits, sie sei der Ersatz der
durdi die intrapsydiisdic Hemmung gestauten Affette.
Aus dieser iStellung sowie aus anderen Erwägungen ergitt
sioi, daJj das, was uns vom W^erte eines patliologisdien
iSymptoms an der gesteigerten und typisdien iSelLst-
teoLaditung der Depersonalisation erscheint, wirklidi eher
Oymptom eines Heilungsversudies ist. ^^ir glauhen ertannt
zu hahen, da^ die Oeltstheohaditung der Depersonali-
sation selbst gewissermaßen an heiden Reidien Anteil hat :
sie taudit in den Krankheitsrayon ein und sie weist
den VV eg zur Genesung. Dieser hisher ütcrsehenen,
aweiten Funktion dient sie, indem sie die Untersdiiede
zwisaien der früheren und der jetzigen seelisdien (Situa-
tion aufzeigt und untewu^t den verhorgenen Motiven der
Veränderung der Einstellung nahekommt, gleidisam das
88
1
seeliscae Terrain sondiert. Die oelbstbeobadxtung ist also
zugleim Symptom der E-rki-anlsuns ^vie Zeidien der Ge-
nestingstendene, so wie aas Fieber die Erkrankung eines
Organismus und zugleiai Atisdrui der Ab-wenrkämpfe
des Organismus gegen den Kranklicitserreger bildet. In
diesem Sinn ergibt sidi zwar die Selbstbeobaditung aus
der Depersonalisation, aber sie stellt zugleim einen Ver-
suai dar, die Depersonalisation zu überwinden, ist bereits
Ausdruck für eine Strebung zur Bewältigung der patlio-
genen Einflüsse. Es ist erkennbar, da^ die Selbstbeob-
aditung im Grunde mit der Selbstkritik zusammenfällt.
Freud bemerkt, da^ dieselbe Tätigkeit, weldie die Funk-
tion des Gewissens übernommen hat, in den Dienst der
Innenforsoiung gestellt wird.
Von liier aus wird es uns leidit, den Rüatweg zu
unserem Problem, den Beziehungen zwisdien Psydio-
logie und Depersonalisation, zu linden. Niemand leugnet
die Verwandtsdiaft der Selbstbeobaditung in der De-
personalisation und der introspektiven Psydiologie als
einer wissensoiaftlidien Metnode. Aber diese Bezieliungen
sind nidit einfadi und unsere Ungeduld, die uns immer
wieder zu simplen oder eleganten Problemlösungen drängen
will, ist nidit das beste Mittel, die Aufgabe sadigemäij
EU lösen. Jeder, der die bezügliaie Literatur kennt, weiJg,
da^ die Autoren der "wissensdiaftlioien Psydiologie sidi
immer wieder mit der Frage besdiäftigen, w^ie sidi die
Introspektion mit der Editlieit und Lebendigkeit der
Affekte vereinbare. Es ist auoi bekannt, dalj die Gc-
lenrten die Veränderungen konstatieren, w^eldie die der
89
oelbstbeobaditung tmterworfenen, seelisdien Pliänomene
eben durdi die Introspektion erleiden. JMan Iiat darauf
ningewiesen, -wie die oelbstbeobaditung sogar das Auf-
taudien starker Affekte verbindere und Gefüblsintensitäten
absdiAvädie. Greifen wir auf das zurück, was wir über
die Oelbstbeobaditung in der Depersonalisation gesagt
Laben. "VV^ir haben der Ansidit der Neurologen, da^ die
5elbstbeobaditung dem Füblen nidit günstig sei, nidit ibre
Bereditigung abgesprodien. Aber wir betaupten zugleidi,
daJj die Oelbstbeobaditung nidit primär zur Depersonali-
sation gebore, zu ibr liinzutrete und einen Versudi zu
ihrer Überwindung darstelle.* Ist es erlaubt, die Sadilage
durdi einen Vergleiai nane zu bringen?
rs ebmen wir an, ein Beamter arbeite eine gewisse An-
zalil von (Stunden täglidi an seinem iSdireibtisdie. An
einer \V and nabe dem iSdireibtisdie sei ein »Spiegel an-
gebradit. Dieser sonst besonders pflidittreue und fleißige
Beamte fülile nun eines Nadimittags, zur gewobnten
»Stunde an seinem ooireibtisdie sitzend, teine Lust zur
1
i) VV le weit sidi die Lier vertretene AnäJiauung von der tisLerigea
entfernt, lä^t sidi erkennen, wenn man etwa Lei Sdiiljer (Entwurf
zu emer Psydiiatrie auf psydioanalytistJier Grundlage, S. 3g) liest;
»Anders ausgedrücfct, die SelLstteotatlitung vertritt den inneren Witler-
sprudj.K In Wirtliditeit war Jer innere Wiclersprudi früLer da als
die Oelbstbeobaditung, aber <Jiese ist keineswegs nur sein AusdruA,
sondern audi ein Versudi, iliii su üterwinjen. Die untewu^te enjo-
psydiisdie WaLrnelinlung, deren Bedeutung für die Idientfremdung
und das Gefükl der Entpersönlidiung klar ist, ist natürlidi primär,
aber sie liegt auf einer anderen psydiisdien Etene als die tewu^fe
Seltstbeobaaitung in der Depersonalisation.
90
Arbeit. Statt seinen begonnenen Akt lortzusetsen, be-
siältige er sidi mit seinem Spiegel, unterziehe sein Ge-
siÄit einer sehr aufmerksamen und eingehenden Prüfung,
telire naoi einem vergeblidien Versuoie, sioi auf seine
Arbeit zu tonzentrieren, immer -wieder zu seinem Spiegel-
bilde zurüdt. Die Beobaditer unseres Beamten behaupten
nun, die Besoiäftigung mit dem eigenen Bilde, die Selbst-
bespiegelung, lasse den Mann nidit zur Arbeit Itommen.
Sie störe seine Aufmerksamkeit und lenke seine Ge-
danken von den geheiligten Angelegenheiten des Staates
ab. vVenn w^ir uns auf den früher zitierten Satz eines
iieurologisQien Beobaditers berufen, wäre die Sadilage
emfadi diese : wenn der Beamte arbeiten w^olle, sehe er
in den Spiegel und, wenn er in den Spiegel sehe, w^oUe
er arbeiten. W^as könnte ridxtiger und präziser sein als
diese Besdireibung seines z^wiespältigen Zustandes, der
»\V idersprodienheit« seiner Absiditen, in der sidi die ganze
Vergeblidikeit und Inkongruenz des mensoiliaien Daseins
spiegelt? Aber ist die Besdireibung audi ausreidiend,
deoit sie den wesentlidien seelisdien Saai verhalt? Idi
wage es, dies zu bezw^eifeln. Der Spiegel war immer da,
er hing da seit Jahr und Tag, aber der Beamte, mit
seinen Akten intensiv besaiäftigt, gönnte seinem Spiegel-
bild früher kaum je einen flüditigen Blidt. Der Spiegel
stört ibii jetzt; ganz redit. Aber w^aruni hat er ibn früher
nidit gestört? ^V^oher die plötzlidie Aufmerksamkeit? Ist
es nidit zu oberflädilidi, anzunenmen, der Spiegel selbst
sei an der Arbeitsstörung sdiuld? Gew^i^, man kann niait
zu gleidier Zeit arbeiten und in den Spiegel senen. Aber
91
t
1
darin ist nidit das \S^esentlicae der tesdirietenen iSituation
enthalten. Es saieint mir weit aufsailu^reioier su ergrün-
den, was unseren, frülier so fleij|igen Beamten, der sidi
selbst so oft über seinen Akten vergaß, itrsprünglidi J^
der Arbeit störte und ibn so zu ungeivonntem, eitlem
Tun drängte. Vielleidit hatte er private iSorgen, die sidi
ihm in die Arbeit eindrängten, vielleidat sind beute Ge-
danken in ihm aufgestiegen, die sein den Akten zu-
gewandtes Interesse in befremdender Art ablenkten. Viel-
leidit Iiatte er gerade eine empfindlidie Kränkung seiner
Eitelkeit erlitten oder iSorgen wegen Kranklieit oder Alter
hatten ibn bedrüdtt. Nidit der ^Spiegel wäre dann das
(Störende ; die Störung war früIier da und dieses Inden-
spiegelseben ist bereits ibre Folge, nidit ilir Motiv. iSidier-
lidi, die Arbeitsstörung hält an, wäbrend unser Beamte
in den iSpiegel siebt, aber seine iSelbstbeobacbtung ist
nidit ilire Ursadie. Nelimen wir wirklidi einen Augen-
blldt lang an, ein Erlebnis babe ibn beute in seiner
Eitelkeit getroffen und nun wolle er sidi überzeugen,
da^ er nodi ganz ansebnlidi und bübsdi aussebe. Ist da
die Beobaditung im (Spiegel nidit eber ein Versudi, die
Arbeitsliemmung zu überwinden, mag er nun glüien
oder nidit? Derjenige, der erkennt, da^ er sidi in einer
fremden Gegend verirrt bat und sidi nun zu orientieren
versudit, wird sidi eber zureditfinden als einer, der dumpf
seinen VV eg fortsetzt.
Keliren wir zu unserer Fragestellung zurüi : wir leugnen
die Veränderung psydiisdier Akte durdi die iSelbstbeob-
aditung nidit; ja wir sind geneigt, einige wesentlidie Ver-
9»
ändeningen anzunelimen. Jenen die Psydiologie nodi nidit
einmal ilir Augenmerk zugewendet kat.^ Ater, -wie uns
sdieint, liat der Eifer, diese Veränderung festzustellen
und sie auf die Introspektion zurüdczufünren, die Psydio-
logen Anderes, "W^iditiges üterseken lassen. Es sind dies
jene Veränderungen, weldie vorher stattlinden und die
zur iSelkstkeotaditung fükren. Es sind deninadi zwei ge-
sonderte Prozesse zu konstatieren: der eine fükrt zu einer
veränderten psydiisdien Situation und drängt zur iSelbst-
keotaditung; der zweite, die iSeltstkeotaditung seifest,
läfjt wieder die eigenen psydiisdien Akte in veränderter
Art empfinden. Die Versudiung liegt nalie, Veränderun-
gen, die dem ersten, zum größten Teil unfeewu^ten Pro-
zesse zuzusdireifeen sind, auf das Konto des zweiten, fee-
wu^tseinsfäkigen zu setzen.
VIII
Wir liafeen feekauptet, die jSelfestfeeofeaditung der De-
personalisation sei bereits der Ausdrude eines Heilungs-
vetsudies, einer Anstrengung zur Bewältigung der patlio-
genen Einflüsse. Ilir latentes Ziel sei die Zurüdcfükrung
des iSeelenlefeens auf den Status quo ante. Von liier aus
zur introspektiven Psydiologie ist nur ein iSdiritt. Die
introspektive Psydiologie liegt in der Fortsetzung der
Linie, an deren Anfang die nodi dumpfe iSeltstbeob-
i) So taten Jie PsycJiologeu gewi^ noji wenig teraeikt, daij die
Hemmung Jer psyitiäcten Akte atiit Jurdi Jie atif Jer Seltstteot-
.iditung tasierende, tintewu^te Seltsttritik tewirkt wird.
93
aitung der Depersonalisation mit ilirer Konstatierun?
der zwei lie, mit iliren Klagen üter die Idiveränderun-
gen stellt. Die Selfcstteotaditung der Depersonalisation
ist nodi nidit Psydiologie als Wissensdiaft; sie ist sozu-
sagen ilir Larvenzustand, eine Präexistenzform der psydio-
logisdien Forsdiung. Das sadilidie Interesse an den eigenen
seelisdien PLänomenen zeigt, da| in der introspektiven
Psychologie die Heilungstendenz weitere Fortsdiritte ge-
madit hat und die Depersonalisation weitgellend üter-
wunden hat. ILre Restersdieinungen sind nodi in der
wissensdiaftlidien Introspettion zu Itonstatieren.
So tann man, wenn man will, die wissensdiaftlidie
Psyckologie seltst als üterrest, als »survivah eines Krant-
Iieitssymptoms anseilen, es sei denn, was gleidi riditig
ist, da^ man sie als Heilungsversudi wertet. jSie ist eines
der Zeidien der Erreidiung einer testimmten Kulturstufe
und zeigt die patkogenen Einflüsse dieser Kultur; zu-
gleidi ist sie dodi ein iStüi Kulturtorrettiv. Die Be-
sdiäftigung mit introspektiver Psydiologie geliSrt gewi|
nidit an den Anfang der Kultur. Psydiologie ist in ^alir-
Iieit die jüngste der Wissensdiaften und nur durdi At-
zieliung der Litido von der Außenwelt ermSglidit. Alle
anderen Wissensdiaften stellen sidi als Bewältigungsver-
sudie äußerer Nöte, vitaler Notwendigkeiten des Mensdien
m einer feindlidien oder zumindestens gleidigültigen Um-
welt dar. Die Psydiologie dient unstreitig der Besdiwidi-
tigung, Bewältigung jener inneren Mädite, die man frülier
draußen sali und deren man durdi Magie und Getet
Herr werden wollte. Der primitive Mensdi ist wie das
94
Kind ursprünglidi geneigt, ilm störende endopsydiisdi
wanrgenommene Trietregungen -wie ein 5tück Aii-§en-welt
zu tenandeln, sie naai au^en zn projizieren. Die Psyoio-
logie fülirt diese projizierten JMädite wieder in das eigene
oeelenleten zurüdc. Kulturgescliiditlidi gesellen, ist alle
Psydiologie Metapsydiologie. jSo wird sie fällig, die TSTöte
des Innenlebens, die sidi letzten Endes aus den Konflitten
der Anforderungen der Außenwelt und den Triettedürf-
nissen entw^iatelt naten, einigermaßen zu erkennen, -WTomit
ein Stüac Bewältigung oder Atmilderung vertunden ist.
Es kann liier nioit dargestellt w^erden, wie siai noai
in der introspektiven Psydiologie narzißtisdie und maso-
diistisoie Momente aus der Litidorüdcwendung ins Idi
ergeten. Ebensowenig, w^ie dieser Zweig der W^issensoiaft
noai iSpuren jener Anästnetisierung des Seelenletens, die
wir in der Depersonalisation fanden, zeigt. Vielleidit ist
es der Eitelkeit der Psyoiologen nidit angenelim, dag siai
ilire VVissensaiaft ilirem Ursprünge und ilirem AV^esen
nadi so intim mit krankliaften Ersaieinungen terüurt.
Ater wir sehen keinen ^V^eg, diese narzißtisdie Empfind-
lidikeit zu sdionen. Es ist nidit einzuselien, w^arum die
Psyoiologen nidit ebenso unter den inneren odiwierig-
keiten gelitten naLen sollten wie die anderen JVtensdien,
von denen sie sioi oft nur durdi ein liödist ungeredit-
fertigtes Gefühl der XJLerlegenlieit untersdieiden.^
i) Diese mensailicneni Leid entsprungene, patlxogone Natur der
Psyctiologie s Jiemt so stolse Gelülile der Psyoiologen nioit ausÄUsdilie-
^en. Auoi Lier -wird aus der psyansmen INot eine Tugend gemamt.
iJies ist ja der Ursprung aller unserer sogenannten Tugenden.
95
1
Die direkte, tewii-^te Introspektion tat Jer Psydiologle
bisner nur wenige tma wenig beoeutungsvolle Resultate
geliefert. Die unLewuljte endopsydaisdie \S^aIirne}imun"
ist dagegen als die w^iditigste Voraussetzung der psydiolo-
gisdxen Erkenntnis anzuspredien. ^V^ir ^^rürc^en die psydxi-
sdien Vorgänge bei Anderen mdit verstenen können, liätten
wir nidit in dieser unbewußten, endopsydiisdien \S^alir-
nehmung eine VergleidismöglitJikeit mit den eigenen seeli-
saien Prozessen. Hier ist ein unbewußter Kreislauf be-
fremdender Art: wir verstehen den Anderen, indem er sidi
in uns spiegelt, und uns selbst im »Spiegel des Anderen.
Die narzißtisdie oeite der iSelbstbeobaditung ist so
häufig und mit soldiem Nadidrudc nervorgenoben \vorden,
daß es ungereditfertigt wäre, eine andere zu. vernadi-
lässigen. Die Äelbstbeobaditung ist Ja audi ein Versudi,
das eigene Idi xu objektivieren, es gegenständlidi zu seilen
und nähert es so der Außenwelt, der gegenüber die Idi-
grenzen einst in frülier Kinderzeit versdiwammen. Es ist
nodi kaum bemerkt worden, daß in der iSelbstbeobaditung
wieder eine immanente Tendenz zur Fremdbeobaditung,
die ihr Iiistorisdi vorausgellt, liegt. Die RücLwendung in
die Außenwelt aber bedeutet wieder eine Libidobesetzung
der äußeren Objekte und damit ein iStüdt psydiisdier
Entlastung. Erst jetzt wird wissensdiaftlidie Psydiologie
möglidi : ihre Voraussetzung ist also Rüdiverwandlung
des sekundären Narzißmus in Objektbesetzung.
Grob gesprodien, handelt es sidi in der Psydiologie um
eine Fludit aus einem milden Depersonalisationszustande
In die W^issensdiaft. AS^ie weit mit soldier Rüdtwendung
lii die AuJ3en-welt Avieder sadistisdie Triebimpulse und
Bejnäaitigtingsteiidenzen , — knowleage is power — frei
weroen, bedarf der nälieren Untersudiung. Es ist auai
nidit zu überselieii, da^ noai in der Psyaiologle ein Stück
naiven Erlebens verlorengeht, daJ3 sidi noai in dieser
vV issensdiaft ein Rest jener Gefiinlsentfremdung gegen-
über den eigenen Erlebnissen erhalten hat, weloie die
Depersonalisation benerrsdit.
Man könnte hier einwenden, da^ jede wissensdiaftlidie
Forsdiung das individuelle Gefülil möglidist aiissdialtet
und die Beobaditiing der Tatsadien als erste und -wicn-
tigste Forderung postuliert. Allein es ist jedermann klar,
daJ} die seelisaien Phänomene als lainäner empfunden
werden als die der äuJjeren VV alirnenmung Eugänglidnen
Fakten. Jene partielle Entpersönlidiung des Aflektlebens,
die wir als eine Form der Depersonalisation kennenge-
lernt haben, ist als psydiisdie Voraussetzung der w^issen-
schaftlidien Psydiologie unbestreitbar. Aber diese selbst
bedeutet einen \^eg, die Idientfremdung und die Ent-
fremdung der Au^en-welt w^eitgenend zu überwinden.
An otelle der Fluoit vor dem w^iederkenrenden Ver-
drängten setzt die Psydiologie — besser: die Tiefen-
psydiologie der Analyse — die Auseinandersetzung mit
den unbew^uljten Regungen und führt so w^ieder zu einer
Annäherung an die Einheit der Persönlidikeit. Es wird
hier klar, da^ die Psydiologie so nodi ohne ihren AV^illen
psydiotlierapeutisdie Aufgaben bewältigt. Der latente
Zusammenhang ewisdien iSelbstbeobaditung und psydii-
schen VV iederherstellungstenden^en wird gerade in der
P..elk. 7
97
Temnilt der Psydioanalyse einleuditend. \V^enn die Ana-
lyse darnadi traditet, die Idispaltung des Neurotilters auf-
zuneoen, so ist dies lieineswegs mit einem Versudi, sie zu
versdileiern und zu dämpfen, identisdi. Der Nervöse wird
im Gegenteil tald nadi Beginn der Behandlung in die
Lage kommen, die Verfeindung zweier Parteien im Iclt
kennen zu lernen und die seelisdie Bedeutung seiner Idi-
entfremdung zu verstellen. Es wäre unriditig, zu teliaupten,
der Analytiker stelle artifiziell eine Depersonalisation laer;
er dedct sie nur auf. E-rst auf Grund des tewu^ten Ver-
ständnisses der Verfeindung im Idi kann es dem Kranken
gelingen, audi das Idientfremdete als ein iStüdt der eigenen
Persönlidikeit, das atgespalten wurde, zu erkennen und
anzuerkennen. Der Analysand lernt es allmätlidi, in sidi
hinein zu sdxauen und sidi zu teotaditen. Dies gesdiielit
zu einem beträditlidien Teile dadurdi, da^ der Patient,
dem Betspiele des Analytikers folgend, sein eigenes jSeelen-
leben in immer weiterem Ausmaße und mit steigendem
Interesse als gegenständlidi erfaßt, seine psydiisdien Vor-
gänge als Otjekt sielit. Der Analytiker induziert oder
verstärkt zumindestens den Prozeß der iSeltstteotaditung,
weldie in der Depersonalisation so auffallend kervortritt.
Es mu^ einer Auffassung, weltJie die iSelistteokaditung
z. B. in der Depersonalisation nur als Krankkeitssym-
ptom anerkennt, sdiwer werden, soldie atsonderlidie
tkerapeutisdie ^ege zu würdigen.' Man kann audi nidtts
i) Man vergleitäie s. B. die Ansidit Janets üter die Seltst-
beobaAtung der Depersonalisierteu : «Celle aptitude ci l'introspecHon
98
Ernstliaftes dagegen einwenclen, wenn die geistig iSdxIidi-
teren unter den Psydiologen die W^irliung dieser analy-
tisdien Beotaditung »Entliarmlostmg« nennen. Audi die
Amputierten klagen nodi üter iSdimerzen, die sie in den
nidit melir vorkandenen Gliedern verspüren.
Die Depersonalisation eröffnet den Eintlidt in eine
psydiisdie Situation, die nur auf einer testimmten Kultur-
s^tufe, d. li. also nur unter testimmten Verdrängungs-
liedingungen, möglidi ersdieint. Ja, man darf — von ver-
einzelten krassen Grenzfällen atgeselien — füglidi daran
zweifeln, ot sie üterliaupt als spezielle Krantlieit an-
zuspredxen ist oder nidit vielmehr als Kulturersdieinung,
die siai unter gewissen sozialen Verliältnissen entwidcelt.
Die Bedeutung der Depersonalisation als einer tesonderen
Art der psydiisdien Einstellung und Haltung, itre Aus-
wirkungen in den versdiiedenen Formen des individuellen
und kollektiven Lebens w^ürde einer ausfünrlidien geson-
clerten Erörterung bedürfen und sie verdienen.
Unsere Kulturbedingungen vorausgesetzt, w^erden wir
wonl das Ausmaß unserer tlierapeutisdien Leistungen auf
dem Gebiete der Depersonalisation kaum zu übersdiätzen
geneigt sein. Man kann die Psyckoanalyse als die bisber
tiefgreifendste Tlierapie der Neurosen anerkennen und
dodi einem sanften Skeptizismus in Bezug auf die Tberapie
der Neurosen überhaupt zuneigen. Idi wei^ wobl, da^ die
Skepsis böse, den versdiiedenen Standes- und Staatsinter-
psydiologique me paratt stmpleinenl une consequence dt la faihlesse de leur
tsprit.T, (Les otisessioiis et la psyciasttenie. Paris igiS. BJ. I. S. 485.)
7*
99
1
essen verlia^t und ein Greuel vor Gott und den Mensdien
ist. Aber der tlierapeutisdie Terrorismus ist deshalb um
nidits gereditfertigter ; das fanatisdie Erzwingen des fremden
»Heiles« liat vermutlidi melir Elend ülier die Mensdien
getradit als das runige GeA*rälirenlassen. Es hat audi im
Tiefsten nidxts verändert. Die zivilisierte Gesellsaialt wird
immer auf der triebliaften Konstitution und auf der Er-
tärmlidikeit, Dummlteit und Kurssiditiglteit ihrer Mit-
glieder terulien, also auf unersdiütterlidien Grundlagen.
loo
Uie jjsyaio Logische Jßedeutung des
Saiweigens
rvam einem Vortrage in Jcr Wiener Psyaioaaalytisaicii Vereinigung
am 9. Januar I9s()
Die folgenden Bcmerktiugen nelimen eine Einsclftagc
der analytisdien Teainik zum Ausgangspunkte, streben
inaessen nadi einem anclereu Ziele. JVlan möge es mir
clesliall) sttgiite lialten, ■wenn lai hier der Erörterung eines
tedinisdien Problems aus\veidie, und es verseilien, wenn
iai ein soldies denuooi gezwungenermaßen streife.
In einer iStunde, die dtirdi gesteigerte ^V^iderstände gc-
kcnnzcidinet war und auf die w^ir nodi eingehen werden,
erklärte ein Patient erbittert, die Analyse sei an sidi
»eine unmöglidie Situation«. Die Aufriditigkeit würde
gebieten zu sagen : er bat reait im iSinne aller gesellsdiaft-
lidien Konventionen. Es ist saiwer mögliai, einem fremden
JVlensdien intimste Tatsadien des eigenen Lebens, die man
Lisher sorgsam geliciingelialten. liat, zu erzählen, ihm Ge-
danken und Gefühle mitzuteilen, die man kaum sidx scllist
einzugestehen gewagt hat. VVir -wissen audi, -w^as die iSdiwic-
rigkeit der Situation nooi steigert: die Ubertragungsvor-
gänge werden selbst zum Gegenstand der Mitteilung und
AuJgerung -werden müssen. Bleihen -wir beim banalsten
Bcis2>iel: der Mann, der in der Analyse heiaiten soll,
welaie feindseligen und despektierlidien Gedanken er
gegen den Arzt in sidi heohaditet, die Frau, die dem
Analytiker grohsexuelle \S^ünsdie und Phantasien, die
sidi gerade auf ihn heziehen, mitteilen soll — man -wird
zugestehen, es sind hier unge-wöhnlidie Aufgahen zu be-
wältigen. Der Versuai, den Kranken in rationeller Art
davon zu üherzeugen, dal5 gerade das Mögliaiinadien
dessen, -\vas ihm uninögliai saieint, das vV esentlioic und
cigentlidi \v irksame der analytisoven Prozesse ausmadit,
hat gegenüber dem allektiven VV iderstrehen wenig Aus-
siait auf Erfolg. Es -würde audi nur in hesoiränktem
Ausmal3e helfen, wollte man an seine narziJjtisdien Ge-
fühle appellieren und ihm etwa sagen, man wisse, daij
man iSdiweres von ihm erwarte, sei aher üherseitgt, er
werde die not-s*rendige Energie und den moralisdien Mut
aufbringen, -wenn es die ^V^iederherstellung seiner Gesund-
heit und seiner Leistungsfähigkeit gelte. Man könnte fort-
setzen : gerade die Erwartung, er werde sidi so soiw^ierigen
Aufgaben gewadisen fühlen, stelle ja ein Vertrauensvotum
für ihn dar. ^siemand werde etwa von Herkules er-warten,
er solle einen otuhl einen halhen Meter hodi vom Boden
aufhehen us-w. Es ist weit hesser, den Patienten die un-
oe-wufyeii Grundlagen seiner übertragungswiderstände er-
kennen zu lassen und zu warten, tis er seltst die »un-
möglidie« Situation in eine möglidie verwandelt.
Diese sow^ie andere odiwierigkeiten der Psydioanalyse
sind mit dem Spredien, dem \\^orte, verknüpft. Das
iSpredien stellt üierkaupt im Mittelpunkt der Analyse.
"VV^ir alle liaten das Argument gekört, das man so viel-
fadi gegen die Analyse ins Treffen gefülirt Iiat: es sei
dodi unmöglidi, da^ eine ernstkafte, kysterisdie Ersdiei-
nung, ein sdiweres .Zwangssymptom, eine lelienseinsdirän-
kende Pliobie »nur durdi AV^orte« zum Versdiw^inden
gcbradit werden könnte. Dieser Einwand wurde gewiJ^
von denselben JViensoien gemadit, die als Kinder keinen
Augenblidt daran gezweifelt liaben, da^ sidi ein Berg
durdi das Zauberwort »iSesani« öffnet, ein Mensdi durdi
das Ausspreaien von »M.utabor« sicli in ein Tier ver-
wandelt, einige Laute kilfreidie oder verdertlidie Geister
2ur otelle bringen. Dieselben JMensdien füklen sidi später
von der politisdien Rede eines Fülirers begeistert, von
derlragödie eines Diditers erscküttert, durdi die Beidite
vor dem Priester berukigt und entsüknt. Es sind dodi
dieselben Mensdien, die nidit daran zweifeln, — die
Gesdiiaite der Völker und die des eigenen Letens
spredien liier zu deutlidi, — wieviel Glüdt und Elend
VV orte bewirken können und wie oft die groj^en Ent-
SQieidungen im Dasein des Einzelnen und der Nationen
von VV orten abningen.
W^ir erinnern uns, da^ die erste Patientin die Psydio-
analyse eine »talking-cure« genannt liat. 5o tezeidmend
io3
dieser Ausdrui audi sein mag, es -«rare dodi nidit riditjc,
die W^irktiiigen der Analyse aussdilieJ3lidi auf das AV^ort
surüatzufüliren. \V^ie idi glaube, wäre es Jtorrektcr, ru
sagen, die Psydioanalyse zeige die JVÜadit des W^ortcs
und die Madit des odi-weigens.
Es wurde soviel titer das Ausspredien in der Analyse
gesprodien, dalj man die seelisdie W^irkung des 5diweigens
tast völlig üterselien Iiat. Fiel ater gelegentlidi eine flüdi-
tige Bemerkung über das iSdiweigen, so galt sie nur den
Pausen, die der Patient in seinem iSpredien madit. AV^ir
vermeiden hier atsiditlidi alle jene Fragen, die sidi auf
das iSdiweigen des Anaiysanden liezielien, und wälilen
einen weit sdiwierigeren, selten Letretenen AV^eg: wir
wollen über das odiweigen des Analytikers spredien,
seine besondere Bedeutung in der analytisdien iSituatioji,
seine aflektive Einsdiätzung seitens des Patienten und
seinen latenten Sinn. Es ist mir nidit gelungen, irgend-
eine bemerkenswerte ÄuJ3erung üter dieses Tkema in der
analytisdien Literatur aufzufinden. Es ist nur eine Aus-
nalime von dieser allgemeinen Vernadilässigung des Lc-
deutsamen Gegenstandes liervorzulieLen: es sind dies einige
wenige, aber sdiwerwiegende Sätze, die R. de Saussurc
innerlialb seiner kurzen »Remarques sur la Tedinique de
la Psydioanalyse Freudienne« veröffentlidit liat.' Es sei
liier ausdrüdilidi auf diese ausgezeidinete Arteit vcr-
l) In »L'evolutioti psyciiiatriquec. Paris 1<)36.
10/(
II
Es unterliegt keinem Zweifel, da^ aum das iSaiweigen
des Analytikers zu den sogenannten »Unmögliaikcitcn« ge-
Iiört, weltiie für die analytisdie iSititation diarakteristisdi
sind. In der ge-wölinliaien Konversation pflegen die Teil-
nelimer eines Gesprädaes abwedxselnd zu spredien. vV cnn
die eine Person etwas gesagt oder erzälilt Iiat, folgt von
Seiten des oder der 2unörer eine Bemerkung, eine Frage,
ein Ausruf, ein spradilidies Zeidien der Anteilnaume.
Viclleidit liat jetzt audi der Ztiliörer etwas su beridxten,
es entwidtelt sidi ein Gedanken- oder Meinungsaustausdi.
Man sudit sogar längeres odiw^eigen in Gesellsdiaft su ver-
meiden; liat der eine nidits zu sagen, wird der andere das
^V^ort ergreifen. Das von diescnj Verlialten so völlig ab-
wcidiende Benelimen des Analytikers stellt sidi wirklidi
als »unmöglidi« im konventionellen iSmne dar. Der Ana-
lytiker fürditet sidi nidit vor dem iSdiweigen. Der vVert
sdiweigender Aufmerksamkeit ist gewiij von der klassisdicn
Psydiiatrie sow^ie von der angewandten Psydiologie immer
gcsdiätzt worden. Aber man mu^ nur an die Fragenmetlio-
dcn dieser W^issensdiaften denken, um den Untersdiied
zwisdien dieser und der Aietnode der Psydioanalyse zu
würdigen. W^ie iSaussure mit Redit liervorliebt, liat man
niemals vor Freud den unzusammenliängenden Monolog
einerseits vmd das fast absolute 5aiweigen des Arztes ander-
seits als metnodisdies Prinzip aufgestellt.^
l) s. . . ccpendantj je crois, quii serait fatix de dii-e qu on avait,
avant Freiid^ eiige en principe^ d'tmc paH Ic monologuc dccotisu die
loS
Gellen wir von derWirkung, welJie das iSdiweigeu des
Analytilters auf den Patienten ausüLt, aus, so meinen -wir
seinen latenten Sinn am testen erraten zu können, W^lr
Laten liier sogleidi eine Gelegenheit zur iSelfestkorrelttur,
wir würden tesser sagen: von den Wirkungen. Denn es
sind versdiiedenartige, nidit nur in Bezug auf die Mekr-
lieit der Individuen, die sldi der Analyse untersielicn
sondern diese W^irkungen sind im Laufe einer und der-
selben Analyse seltst versdiieden. Im psydiisdien Ijeten
desselten Patienten tat das 5diweigen des Analytikers
in dieser und jener Situation einen versdiiedenen Cta-
rakter, tekommt eine diflerente Bedeutung.
Es ist vor allem temerkenswert, da^ der Patient diesem
Sdiweigen üterliaupt eine testimmte gefülilsmä^ige Be-
deutung zusdireitt: er würde sidi nidit dazu verstellen,
susugeten, daJ3 es einfadi das natürlidie und notwendige
V erkalten des Analytikers sei, der sdiweigen mu^, um
aufmerksam zuzuliören. In der üterwiegenden MelirsaLI
der Fälle tat das Sdiweigen des Analytikers tesondcrs
am Anfang eine wotltuende, teriiliigende Wirkung. Ge-
wi^, der Patient deutet es vortewu^t als JZeidien einer
rutigen Aufmerksamkeit, ater diese seltst sdieint itm
ein Beweis der Sympattie. Wir sagen ja: »jemandem
eine Aufmerksamkeit erweisen« und meinen damit: ein
2^eidieii unseres W^olilgefallens, unserer Sdiätzung. Es ist
nidit zu verkennen, da^ dieses Sdiweigen als soldies dem
patient, d aittre partj le silence presque ahsolu du m^Jeciit. ff SaKssure,
sRemarques sur la Tectnique de la Psydioanalyse Freudieiine«. LVvo-
lution psyctliatrüjue. iS. ^o-
xo6
Patienten Vertrauen einflößt und ilin aufzufordern sdieinf,
sidi einmal frei auszuspredien. Die analytisdie iSituation
ist ja dadurdi geltennzeidinet, daJ3 sie das konventionelle
Element in den mensdilidien Bezieliungen für die Analyse-
stunde in einem weitgelienden Ausmaße suspendiert. Dieses
einfüLrende iSdiweigen des Analytikers ist ater nidit nur
die notwendige Bedingung dafür, da^ er aufneLmen Itann,
was der Patient sagt. Der Analytiker Iiört ja doppelt,
was jener spridit, liöi-t die untewu^ten Stimmen mit-
klingen, die itm durdi die eigenen Einfälle vermittelt
werden. Es ist kaum nodi temerkt worden, da^ sidi
dieser Wirkung eine andere für den Patienten vertindet,
weldie in der partiellen Atlialtung von der Außenwelt
bestellt. jSie ist jener VS^irkung vergleiditar, die ein Lampen-
sdiirm diirdi Atsdiattung eines allzugrellen Lidites aus-
übt. Die drängende Näne der Realität tritt zurüdi. Dieses
odiweigen des Analytikers gewälirleistet bereits den Be-
ginn einer runigeren, objektivierenden Betraditungsweise.
Nun wäre es natürlidi verfehlt, wollte man annelimen,
dag mit dem Beginn der Analyse das bislierige Leben
des Patienten versinkt und ein anderes einsetzt. Er kommt
aus einer opliäre bestimmter Begriffe und Vv ertungen,
festgesetzter Auffassungen und starrer Konventionen und
hält diese nodi lange und zälie fest. Der Patient kommt
m die in unserer Kulturwelt einzigartige »Situation des
freien Aussprediens über seine intimsten Angelegenheiten
aus dem iSaiweigen. Er nat üter bestimmte Erlebnisse
und Gefülile gesaiwiegen — nodi w^enn er der Ge-
sprädiigste, ja Gesdiwätzigste gewesen wäre. Das mll
iiidit sagen, da^ er über sidi und seine Angelegenlieiten
nidit gesproaien hätte, aber er kat nidit üter jenes 5tütit
lai gesprooien, aas in der Analyse aiiftaudit. Alan wäre
aiidi titer eine soldie unzeitgemäße Aufriditiglteit er-
staunt, ja entrüstet gewesen; er Latte auf Afcweisung und
Unterbreaiung gefaßt sein müssen. Aus einer \\^elt, in
der nur Kinder und Narren die Walirlieit sagen und
sogar diese daran gehindert werden, kommt er in eine
völlig anders geartete Welt, in der Aufriditiglteit der
einzige W^ert ist. iSo gewährt das 5cJiweigen dem Analy-
tiker die beste Möglidikeit zur Herstellung der Über-
tragung. Die oituation erinnert an die erste Kinderzeit,
da das Kind seine Gefüble und Regungen nodi unge-
kindert ausdrüdfcn konnte, gleidigültig weldier Art sie
waren. Kein /Sx^rttdilein in der Art »CJiildren should he
Seen and not Jieard« Iiat damals den elementaren Äußc-
rungsdrang des kleinen Wesens gestört. Freilidi liätte die
W^eislieit soldier Anstandsregel damals audi nidit das
gebührende Verständnis des Erzieliungsobjektes gefunden.
Das iSdiweigen wird in dieser Pliase unbewußt als iSym-
patbiekundgebung gewertet und der Patient reagiert darauf,
indem er seinerseits sjjridit. iSdion liier ist es unverkenn-
bar, daß dieses odiweigen, das passiv sdieint, in "VV^alirlicit
einen aktiven Charakter bat und wir werden Sau ssiirc
rcdit geben, wenn er von einer *valeur tkerapeutique^^ des
iSdiweigens spridit.
VV o sidi also odiweigen und Zögern des Patienten in
dieser Pbase zeigen, wird es sidi gewöbnlidi — es gibt
gCAviß Ausnabnien — um ein Zeidien der oberflädilidistcn
108
^N^Iderstäutle lianclelii, tue dadiirdi gegeben sind, daJ} sidi
der Patieixt in die iingewölinlioie und befremdende iSitwa-
tloii einfinden niu^- Aber diese AV^iderstände sind -widitig
genug; sie sind dem fernen Donner zu vergleidien, weldier
das Herannalien eines Gewitters anzeigt. Jene ersten
\V^iderstände, weldie die der Gesellsdiaft gleidisam im
Individuum iniiorporiert zeigen, sind gewölinlidi rasai
imerwunden und bald zeigen sidi die darunter lagernden,
widitigeren odiiditen.
Langsam ändert das iSaiweigen des Analytikers für den
Patienten seine Bedeutung. Dem Kranken ist etwas ein-
gefallen, das er nidit sagen will oder das zu sagen iliui
sdiwer fällt. Er spridit weiter über andere Dinge, aber
jenes Unterdrüdtte drängt sidi vor, läljt inn nur soiwer
über Anderes reden; nun sdxw^eigt er -wie der Analytiker.
Es ist so, als liätte das 5aiweigen des Analytikers auf ihn
übergegriffen, als wäre er davon infiziert worden. Die
/Situation bat zwar nodi nidit ilire angeblidie Unmöglidi-
keit, aber zum erstenmal ilire Ungemütlidikeit gezeigt.
Das iSdiweigen dauert an. Der Patient, der gewöbnt ist,
Gesprädispausen als peinlidi zu vermeiden, beginnt wieder
SU spredien, er beinübt slai. Anderes zu reden. Belang-
loses, Ungefälirlidies. Aber jenes unterdrüdtte iStüdt, jener
beiseite gesdiobene Gedanke kelirt ^vieder. Es ist so, als
wolle er ausgedrüdtt werden oder überhaupt iSdiweigen
erzwingen, da es sidi in jeden abweidienden oder anders-
gearteten Gedankengang störend einmengt. Es würde ja
das Nädistliegende sein, beim Analytiker Hilfe zu siidien,
aber der soiweigt, als wäre dies in einer solaien Situation
xog
Jas einzig Natürlidie und als ginge ihn die gro^c Welt da
draußen, die soldies verlegenlieitproduzierendes iSdxweigen
verpönt, wenig an. Die geniale Wiener Sdiauspielerin
Josefine Gallmeyer soll einmal einem TisdiLerrn, der
mehr als eine halte »Stunde völlig stumm neten ilir ge-
sessen liatte, gesagt Iiaten: »Reden wir einmal üter etwas
Anderes!« Man könnte die analytisdie /Situation in diesem
Augenblick jener vergleidven, in weldier diese witzige
Bemerkung fiel. Der Patient mödite gerne üter etwas
Anderes reden, wenn ihm etwas Anderes einfiele; er
möcnte sogar üoer etwas Anderes sdiweigen, wenn er nur
könnte. Eine Patientin, weldie in der zweiten Analyse-
.stunde etwa zelin Minuten gesdiwiegen liatte, sagte plötz-
lidi halt vor sidi hin: »iSpredxen wir nidit nielir darüter!«
oo natte sie seltst verraten, dalj sie etwas so gedadit
hatte, als wäre es ausgesprodien worden und mu^te jetzt
wolil oder ütel wirklidi sagen, was ilir eingefallen war.
Es ist nidit nur der spezielle eigene Gedanke und die
VV iderstände, die sidi gegen dessen Ausspredien erlieten,
es ist audi das »Sdiweigen des Analytikers, das in dem
seelisdien Kräftespiel jetzt wirkt. Dieses 5diweigen ist
es, weldies das Vorteireden zu vertieten sdieint, das Be-
merken üter das sdiöne Wetter, den Büdiersdirank und
die Uhr im Zimmer tald verstummen läj^t. Der Patient
tegreift durdi dieses iSdiweigen, da^ die analytisdie
Situation für jene Art von Gesprädien, weldie die Eng-
länder so tezeidinend »small talk* nennen, selir wenig
geeignet ist. Hier nun zeigt sidi die aktive Madit des
odiweigens zum zweiten Male. iSie tat eine weiter-
1
siekende Kraft, treitt den Patienten vorwärts, drängt itn
in tieferen Bereidi, als er ursprünglidi teatsiditigt Iiatte.
Es ist eine erstaunlidie und kaum temerltte Tatsadie,
da^ das eigene Wort, das ausgesi^rodien wird, psydiisdi
anders gewertet wird, als jenes, das wir in 'Wortvorstel-
lungen denken. Das ausgesprodiene Wort liat eine reaktive
Wirkung; der Patient ist oft üterrasdit üter das, was er
sagt, und sagt mandimal Dinge, die er sidi einzugesteken
nickt gewagt kat. Das iSdiweigen des Analytikers ver-
stärkt diese reaktive Wirkung des Wortes; es dient als
sein Resonanztoden. Hier wirkt also das iSdiweigen stärker
als es Worte vermöditen. Der Untersdiied des iSdiweigens,
das der Analytiker früker zeigte und jenes, das sidi jetzt
dem Patienten aufdrängt, ist leidit erkennbar. Der Pa-
tient wird sidi erst jetzt dessen tewuJjt, da^ der Analy-
tiker sdiweigt. Idi koffe, da^ diese Aussage nidit miß-
verstanden wird: gewiß kat der Patient es bereits früker
bemerkt, aber er nimmt es jetzt erst zur Kenntnis, sdireifct
ikm jetzt erst kewuJjt eine Bedeutung zu. Mit anderen
Worten: er wird sidi des iSdiweigens des Analytikers als
eines seelisdien Ausdnidces erst LewuJijt, wenn der erste
ernstkafte Widerstand in ikm selkst aufgetaudit ist. Die
Bedeutung, weldie das iSdiweigen des Analytikers in der
Auffassung des Patienten gewinnt, stellt so deutlidi genug
das Resultat eines Projektionsvorganges dar, der die psy-
diiscke (Situation des Patienten widerspiegelt. Dieses
iSdiweigen ist ikm jetzt nidit mekr das iStillesein des
mkig ^ukörenden, es keißt nun iStummkleifcen. Anders
ausgedrückt: das iSdiweigen früker bekundete dem Ein.-
1
drucke nadi den AV^illen zum Zuhören, jetzt den Wollten
zum ISTiditspredaen. \V^ar das iSaiweigen des Analytiliers
in der ersten Pliase -wie etwas seiDstverständliai Ent-
gegengenommenes;, so wirkt das odiweigen der zweiten
Art Ijeunruliigend. Der psydiisdie Alizent ersaieint ver-
legt: es tedeutet iStummsein eines Mensdien, dem Stimme
gegeten ist, und der, oLwonI man etwas von iJim hören
will, nidit spridit.'
Bedeutete das opredien des Patienten Irülier ein melir
oder minder leidites Eingelien auf die Situation, so nuilj
es jetzt untewu^t die Netentedeutung des Vv erbens be-
kommen. Denn das Sdiweigen des Analytikers saieint zu
sagen: w^illst du, da^ idi spredie, so mul3t du didi über-
winden und muljt der analytisdien Grundregel audi liier
folgen, wo es dir sdiw^er wird, wo es gut, sdiw^er oag-
tarem Ausdrudt zu geten. Der Kranke, der erstaunt ist,
dag das Zutrauen, das er durdi seine Beridite, durdi die
Klagen üter seine Leiden gezeigt liat, den Analytiker su
keiner Gegenäuljerung, keinen Sympatniebeweis, keinem
2^eidien der Anteilnahme gehradit hat, spürt eine leise
Regung der Ungeduld gegen den Arzt. Diese Ungedidd
l) Alan wird es tlem Beiniilieti naöi Klarheit siigute Kalten, wenn
idi den Untersdiied der Leiden Sdiweij^en diirdi einen jener psyaio-
loglsdx tiefgenenden Jndejiwitze dentliai zn niadien versiidie: Morit;
geriit in Gegenwart. seuies Kompagnons mit einem rreniden m Oti'eit.
\\^imrend der ZaniL immer neftiger wird, nleibt der Kompagnon stumm
itnd giot keinerlei Z^eicnen von Anteilnanme. Entrüstet ruft Morits:
dem Freimde sii: »Und <lu stellst dabei nnd sdiweigst dasufe Dieser
antwortet: »Sckweig im denn? Idi red' ja nur nioits.e YVirkhcn, es
gitt einen üntcrsaiied 3wismeu l^urniaitsreden und Soiweigen.
IXS
treibt ihn vorwärts, lieiJgt ilin iiielir über sein Leiden,
seine Symptome und Eigenneiteii, seine Gesaiidite, sagen;
neue Erinnerungen lallen ilim ein. Dodi der Analytiter
soi^veigt weiter und die Ungeduld, der Arger des Patien-
ten steigern sioi. Er '«rei^, da^ von ilim Aufriditigkeit
erwartet w^urde; aber ^var er niait aufrioitig, bat er nidit
alles gesagt? "W^enn das Sdiweigen anbält, wird der Pa-
tient siQi erinnern, daJj er einiges vergessen bat, da^ er
mandie Einzelheiten entstellt oder unvollständig beriditet
hat, er korrigiert und ergänzt seine Darstellung. Die
Zensursdiranke m ihm. versdiiebt sidi : er sagt jetzt an-
gesioxts des hartnätiigen oai"wreigens des Analytikers bisher
vorbewu^gt Zurüdcgehaltenes, w^agt es, bisher als anstö^gig
oder unmoralisdi Betraoitetes zu beriditen. Dooi das
jSoiweigen dauert an und es wirkt jetzt im oinne einer
V ersagung, da es gegenüber so vielen Geständnissen nioit
weidien will.
Es kann so bei fortgesetztem iSdiweigen des Analy-
tikers zu einer starken iSteigerung der Gereiztheit des
Patienten kommen. Das iSdiweigen wird zum Anzeimen
des drohenden oder bereits eingetretenen Liebesverlustes
und löst eine vV irkung aus, die wir nur als Gewissens-
oder Kastrationsangst erlassen können. Es wäre riaitiger
SU sagen: im Patienten ist eine dunkle Angst, die ihn
dieses oaiweigen so auftassen lä^gt. Das odiw^eigen des
Arztes bekommt unbewu^gt den Charakter der Bestrafung.
In bestimmten (Situationen kann es, wenn sidi dieser
Emdru« verstärkt, w^ie drängende Frage, wie eine dunkle
Drohung wirken, ja bis zum Eindrucke unheimlidier An-
Relk. 8
klage wadiseii. E-s ist so, als werde dadurdi an das stumme
oaiulagefünl in dem Patienten appelliert und dies in einer
Form, die stärker und unmittelbarer wirkt als es alle
JMensmenspradie sonst vermödite. W^ir verstellen, wieso
es zu soldien Gefiinlen kommen kann. Die Gereiztlieit
des Patienten Iiat sidi durdi Erinnerungen an friikere
Versagungen verstärkt, gesteigert; seine Gefülile der Re-
bellion und Entrüstung über den Mangel an Gefülil
auf Seiten des Analytikers sind bis zu Regungen starker
Feindseligkeiten gewadisen. Die unbewuljte Fortsetzung
dieser aggressiven und erbitterten Tendenzen aber bat zu
Todeswünsdien gegen den stummen Partner gefübrt. Die
zwisdien materieller und psydiisdier Realität sdiwebende
analytisdie Situation begünstigt liier in mandien Fällen das
Aultaudien eines Eindrudtes, der sidi dem vernünftigen
Einsprudie des Idis widersetzen kann: des Gedankens, der
Analytiker könne tot sein. Ein Patient drüdite dies gewölin-
Ixdi so aus, da^ er in soldien /Situationen den Analytiker
als in weiter Ferne befindlidi fülilte. Das Sdiweigen ist ja,
wie aus der Traumanalyse, der Deutung von Mytlien
und Märdien bekannt wurde, eines der diarakteristisdien
Kennzeidien des Totseins für das unbewußte Seelenleben.
Audi hier ist die unbewußte \V'^irkung des Projektions-
meaianismus deutlidi, da sidi diese Angst iii den be-
sdiriebenen Fällen als Reaktion auf starke unbewußte
Todeswünsdie gegen den Analytiker gebildet bat. In
einigen Fällen kann der Eindnids dieses Sdiweigens so
stark werden, da^ der Patient den Analytiker ersudit:
»Bitte, .sagen Sie dodi etwas!« oder »Bitte, spredien Sie
iii^
zu mir«. Wir Iiaten liier nur üLer Jen Eindmi des
Ädiweigens auf den Patienten zu teriditen, nitlit darüfeer,
weldie tedinisdie Maßregel der Analytiker in diesen
Ätuationen anwenden wird.' Als repräsentatives Beispiel
für die psydiisdie Wirkung dieses iSdiweigens will idi
folgendes anfüliren : ein etwa dreiljigjäliriger Patient,
dessen Seelenleten vorwiegend von masodiistisdien und
femininen Pliantasien Lelierrsdit wird, lelite seit der
Putertät in einem erbitterten Konflikt mit dem Vater.
h,r war nun bereits zwei Jalire von Zuliaiise weggewesen
und liatte nur spärlidi Nadiriditen üter den Vater er-
Iialten, dem er voll HaJj gegenüberstand. Der Patient
gehörte jenem englisdien Typus an, dem die Tendenc
eignet, so wenig als möglidi Gefühle zu zeigen; er triel)
die »Antidemonstvativness* Lis zu den äuJjersteii Kon-
sequenzen. Eine Lestimmte Analysestunde verlief nun
(olgenderma^en: er sdiwieg etwa sedis Minuten, sagte
dann, er Labe einen Brief von der Mutter erlialten.
Neues iSdiweigen. Dann : die Mutter sdireibt, des Vaters
Arteriosklerose sei selir weit vorgesdiritten, ein iSdilag-
anfall werde von den Ärzten daliin gedeutet, dalj das
Ende bald zu erwarten sei. Neues langes <Sdiweigen. Dann
fällt jenes Wort, die Analyse sei eine »impossible Situation«,
I
i) Es niiilj tetout werden, cla^ liier nirgends tecknisAe Regeln
gegeten werden sollen, sondern nur die psydiisdie Wirkung des
SAweigens tesdirieten wird. Die interessanten Fragen, in weldien
Situationen und weldien nevirotisdien Typen gegenüter sidi das
sdiweigende Verlialten des Analytikers verliefet und wo es angeieigt
ersdieint, fallen au^erlialL de.s Lier gesteckten Ralmiens.
ctas idi am Anfang angefülirt liabe. Es lolgt eine sehr
aifällige Bemerltting üter die Analyse, kurz, wie at-
geliackt, vorgetradit. Er erwartet siaitlim eine Reaktion
von meiner 5eite. jSie Lleitt natürlicii aus. Er fragt: »Ist
es oft so, da^ Ilire Patienten gar nidits sagen können?«
Keine Antwort. Nadi einigen Minuten sagt er einen
kurzen Satz üter das Problem der \V^illensfreilieit, an
die er nidit glaute. Seine Hände sind geballt, er saiiebt
den Kopf auf die andere Seite des Polsters. Nadi län-
gerer Pause setzt er liinzu: »/ could not Help heing so.«.
Die Stimme klingt geprejjt, die Hände lösen sida, zupfen
wiederliolt am Kragen, keliren in die Rulielage zurück,
tedecken die Stirne, dann die Augen. Das Atmen gelit
rasdi. Neues langes Sdiweigen. Plötzlidi wirft er sidi
terum, da^ idi sein Gesidit nidit seten kann und tridit
in fassungsloses Sdiludizen aus. Gegen Ende der Stunde
terutigt er sidi und sagt üterrasdit: »I don't know, what
tJie hell I cried ahout.« Von meiner Seite ^w&r ein vV ort
weder notwendig nodi wünsdiensw^ert; es liätte die lange
vorausgesetene Reaktion des Patienten, die sidi auf sein
Verliältnis zum Vater tesog, nur geliemmt. Die Stunde
hatte nur einige kurze Sätze getradit und tedeutete dodi
einen der \S^endepunkte dieser Analyse.
Die Reaktionen des Patienten auf das fortgesetzte
Sdiweigen des Analytikers sind versdiiedenartige; wir
lieten die zwei widitigsten liervor. Der gewötnlidie Fall
ist es, da^ sidi der Patient gegen die in diesem Sdiweigen
angetlidi zutage tretende GefüliUosigkeit des Analytikers
auflehnt und gegen diesen oder gegen die Analyse aggressiv
HD
■vvird. jSelir selten -wird der Patient in diesem ötadiiim die
Rcserviertlieit des Analytikers als Grund seiner Feind-
seligkeit erkennen, er %vird andere Gründe sudien und
finden. Diese Reaktion, die Lis zum ^Vutaustruai oder
Silin Gedanken, die Analyse zu verlassen, gellen kann,
-wird sidi meistens in geliässigen Bemerkungen gegen den
Analytiker oder die Analyse wenden. Der andere Fall
ist der, daij der Patient auf das dunkle Sdiuldgefülil,
Avelaies das oaiweigen iii ilim erregt, durai ein neues
Bekenntnis einer Triebregung reagiert; ein tisner ihm
ünuew^ul^tes iStüdi seiner psydiiscaien »Streuungen tritt an
die Oberfläoie.
Verfolgen -wir die Reaktionen des Analysiei-ten auf
das iSoiweigen des Analytikers von Anfang an, so lä^t
sidi deutliai erkennen, dalj siai in ihrem Aolauf eine
abgekürzte vV iedernolung eines alten Erlebens spiegelt.
Es ist so, -wie -wenn liier Gefülile wrederkelirten, die in
seinen Bezieliungen zu einem alten Liebesonjekt eine
wiaitige Rolle spielten: von der ursprünglidien Zärtlidi-
keit bis zur Erbitterung über eine pliantasierte oder -wirk-
liaie V ersagung. Der Übergang von der einen Bedeutung
des iSmweigeiis zur anderen ist keineswegs so einschnei-
dend, als es auf den ersten Blick sdieineii mag. Er ist
aufs innigste mit der unbewußten Ambivalenzeinstellung
des Patienten verknüpft.
M' ir -wollen liervorlieben, daij liier keines-wegs eine
soiematisaie ooiilderung des Anfangs der Analyse ge-
geben -werden soll, der ja je uadi dem individuellen Fall
versdiiedeii verläuft. Es soll auoi niait auf alle jene Fälle
eingegangen iverdcn, die von Beginn an atweidiend re-
agieren, wie 2. B. aut jenen, der dem iSaiweigen des Ana-
lytikers das eigene iSdi-weigen entgegensetst. Audi die
tedinisdien Fragen, weldie das Verhalten des Analytikers
den versdiiedenen Reaktionen des Patienten gegenüter Le-
trcflen, sind liier nodi zu erörtern. W^ir wollen ja etwas
über den latenten Sinn des iSdi-weigens üLerliatipt er-
faliren; die teoinisdien Probleme stellen nidit im JMittcI-
punkte unseres Interesses. Die Aufkläi-ung, weldie uns die
Tedinik der Psydioanalyse liefert, wollen wir beiiütscn,
wie eine Leiter, weloie in die Tiefe fülirt und die wir
beiseite stellen, wenn wir dort angelangt sind.
III
JMan mödite meinen, das iSdiweigen könne nur iSdiwei-
gen bedeuten, Stummsein, sonst nidits. Allein die analy-
tisdie Beobaditung widerspridit dieser Vereinfadiung aufs
entsdiiedenste. iSie sdieint uns darüber belehren zu wollen,
da^ es versdiiedene Arten des odiweigens gibt. Ja, man
könnte sogar von Intensitätsgraden des jSdiweigens spre-
dien, XNuancen untersoieiden, wenn man sidi nur getrauen
wollte, psydiologisdi so sdiwer faßbare Ersdieintingen in
Bescidinungen aus unserer sdiwerfälligen und stumpfen
Begriflsspradie festsulialten, /Sogar das unsulänglidie Aus-
di-ucksmittel der mensdilidien Spradie, die sidi nur uii-
wesentlidi von der der Gorillas entfernt hat, versudit
versdiiedene Arten des Sdiweigens zu uiitersdieiden. Wir
spredi?n von einem eisigen, lastenden, bedrüienden und
berunigenden, trotsigen und demütisen, mi^Lilligendeii
und sustimmenden, verurteilenden und entsoiuldigenden
iSaiweigen. In dieser Aufzälilung von Adjektiven, die
, auf Vollständigkeit keinen Ansprudi madit, tritt uns ein
Zug auffällig Iiervor: die gegensätslioien Bedeutungen,
"welaie der Begrill des Oaiweigens zu vereinen sdiexnt.
iSo mag uns autfallen, dal3 odiweigen von uns sowohl
als Äeiaxen der Mißbilligung als der Z^ustimmung gedeutet
werden kann. Es ist, als könne es Leide Bedeutungen
annelinien, sozusagen mit positivem und negativem v or-
zeiaien auftreten. JMan vergleiaie etwa den Inhalt des
lateinisdien Opriaiwortes »Qui tacet consentire viaetur«
mit dem abweisenden oaiweigen, das eine Dame dem
zudringlioien Benehmen eines Herrn entgegensetzt. Die
kontradiktatorisctie Bedeutung des Ooiweigens führt uns
indessen im I,ehen last niemals irre.' AVir wissen trots
seinem immanenten Doppelsinn immer, was der Andere
damit meint, damit »sagen will«. Dieses Janusgesioit des
iSdiweigens trat uns bereits in der Psyoiologie entgegen.
iSo viele diuerente Bedeutungen das iSaiweigen des Ana-
lytikers audi erlangen kann, es weist im wesentlioieit
zwei Bedeutungen auf, deren eine den kontradiktatori-
saien Gegensats der anderen bildet; es wird als Z^eioien
ruhiger »Sympathie oder als Ausdrudt intensiver Feind-
seligkeit gedeutet. Nidit anders im Leben: wir können
mit jemandem sdiw^eigen, wenn wir uns besonders gut
i) Vcrglejdie Jagegen: sBrectien Sie dies rätselhafte SAweigen!«
iStiiiller: Don Carlos, I, i.
ug
mit ihm verstellen oder -wenn jedes Verständnis ausgc-
smlossen ist. Mit jemandem sdi-weigen können kann als
Z'eichen -weitgeliender psyaxisaier Übereinstimmung oder
als Zeiaieti völliger Fremdheit gelten. Diese Doppel-
Bedeutung w^ill uns, ■wie es saieint, darauf liiiiweisen, daJg
das Odiweigen seihst nioit iinabhängig von seiilem Gegen-
satze, dem Reden, betramtet werden kann.' Tatsädilioi
nahen -wir das iSaiweigen hier heliandelt, wie w^enn es
ein Ausdruoismittel wie die Rede w^äre — ohwolil es
doai gerade das Gegenteil des »Spreaiens ist. Aher ist
denn das opremen so eindeutig? M^'^enn eine Person etwas
spriait, sagt sie audi immer etw^as? Dient nidit die iSpraaie
ebensosehr dem Zw^eci, Gedanken zu verhüllen als dem
anderen, sie aussudrücken? In der Analyse lernen wir
Patienten genug kennen, deren unaufliörliaies opreaien
den iSiiin hat, gerade die wiaitigsten Dinge nidit zu
sagen. Ihr opreaien gleidit den Netzen, durdi deren
grote Masdien gerade das \v ertvoUste entweidit. VVenii
dies so ist, dann w^ird es uns niait verwundern, wenn
i) Es mag liier darauf Iiiugewiesen sein, daiy Gesprämigkeit iiiiü
Sdiweigsamkeit atiai in iLrer Bedeutung als Atige öestimmter Frauen-
typen liervortreten. In Freuds Aulsats alJas Alt)tiv der Kästaien-
walilfs {Ges. Sairifteii X) ersaieiiit dies nur angedeutet. Der Alaun
verspürt die Ansienung, die im Plaudern der Frau liegt, ebenso wie
Aen Reis ilirer mädaienliaf ten 9 Unredeiisartigkeite (Fontane, Irrungen,
W^irrungen). Oowolil die alisugro^e Redseligkeit wie die V ersailossen-
lieit der Frau werden oft beklagt. Ijear verstöljt Cordelia, die slicbt
und sdiweigte, aber der surückkenrende Corolianus weiJ^ für sein
W^eiD kein särtlioieres "W^ort als aMy gracioiis silencev^ (II, 1). Es ist
klar, da^ das Spredien in diesem ^usaninienliaiig ursprüngiioi die
freie Rede über Liebesgefüble bedeutet.
auf der anderen jSeite das iSdi'weigen die Atisdrtidts-
funktion übernehmen kann. W^ir werden so dazu gc-
fülirt, ein eigenartiges antinomisaies Vernältnis S"wisaien
opreaien und iSdiweigen anzuerkennen. Die opi-aaie
drüdtt dies mannigladi aus: es gibt ein niditssagendes
Gerede und ein vielsagendes Sdiweigen. AV^ir kennen
durdi die XJntersuaiungen Karl Abels viele Begriffe,
Avelaie solaie antitnetisdie Doppelbedeutung besitzen,
und Freud hat uns darauf hinge-wiesen, dai) die Eigen-
tüinlidikeit alter opraaien, Vv orte mit antithetisaieni
Bedeutungsinhalt zu bilden, mit dem v erhalten des
Traumes und anderer Produktionen des Unbewußten,
Gegensätze zu einer Einheit zusammenzufassen, parallel
llkift. M'^ortformen, Avelche durai plionetisdie Abänderung
eine 5onderung der Gegensätze bewirken, wie clamare
saireien, dam heimlioi, iStimme — stumm, w^eisen in
eine Riditung, die uns beweist, dajj der Gegensatz von
iSpredien und iSaiweigeii ursprünglidi keinesw^egs so soiarf
war, wie er uns jetzt saieint. Die Fragwürdigkeit des
Begriffes jSaiweigen smeint sidi zu vertiefen: wr meinen
zu erkennen, dalj das odiweigen nidits Negatives ist,
sondern etwas Positives. Es gibt w^irklidi kein absolutes
iSdiw^eigen, es gibt nur ein Verstummen der hauptsäailiai
in Ersdieinung tretenden Töne. Es gibt ebensowenig ein
unbewuJgtes adiAveigen als es eine unbewußte v erneinung
gibt. Das kleine Kind kennt eigentlidi kein iSaiweigcn;
ebensowenig das Märdien : auai der Tisdi und die öpiel-
sadien spredien, die Pflanzen ebenso wie die anorganisdie
Natur.
I
Reden und iSdnveigen sind wohl GegensätEe, ater
keine absoluter Art; es fülirt eine Brüie von dem einen
2um anderen; das eine kann nidit oline Vergleidi mit dem
anderen diskutiert werden. 5o weisen nidit nur die ältesten
"Wortwurzeln die Ersdxeinung des antitlietisdien Doppel-
sinnes auf, sondern die Begriffe des 5]3rediens und
iSdiweigens seltst sind Zwillinge, die ursprünglidi nur
miteinander gedadit werden konnten. Diese Antitliese,
die wir als Ausdrude der ursprünglidien Trietamtivalens
erkennen, stand tereits an der "Wiege der iSpradie. Die
opradie als Ganzes war ihr etenso unterworfen wie ikre
einseinen Elemente.
Wir Iiaten gesellen, dalj audi das iSpredien selbst keines-
wegs eindeutig ist. Es reidit gewiJj nidit für alle Mit-
teilungen aus, wie wir ja aus seiner Unterstützung duri.
die Getärdcnspradie und die Mimik erkennen, aLcr es
genügt nidit einmal, um unsere Gefütle und Gedanken
aussudrüdcen.'
Die partielle Entfremdung, weldie das »Spredien von
seiner ursprünglidien Funktion erfaliren liat, ist in der
Tatsadie erkenntar, daij die Mensdien oft reden, weil
SIC das odiweigen nidit ertragen können. Jenes krampf-
lialtc Jvcden, das opredien ä tout prix sdieint uns zu zeigen.
icrc
l) Nodi WilLelm Wunclt liat aul Jie Frage, wartun Jie Ti-
iiidit spredien können, die Autwort aiiit versAmätt : weil sie uitijls
zu sagen iiabeu. (Vorlesungen üter die MensAen- unj Tiersecle.
4. Auflage. 1906. D. 437.) Geten wir zu, dai^ das Protlem der
Ichlenden TierspracLe damit gelöst ist. Dann crLett sidi ater da»
andere: warum last alle Mensdien spredien können.
da^ dem iSdiweigen etwas Unlieimlidics eignen kann, dem
man su entflielien sudit. Es gibt etcnsowolil eine Angst
vor dem odiweigen, als es eine Angst vor dem Reden
gibt. Es gibt Gesprädispausen in der Gesellsdiaft, die so
peinlidi wirken, daJ^ das Banalste, Niditigste gesagt wird,
um nur dem5diweigen zu entrinnen. Beotaditet man sdiarf
genug, so erkennt man, da^ es dieselben Angelegenlieitcn
der Mensdilieit sind, üLer die man ebenso sdiwer spredxcn
wie sdiweigen kann. iSo werden uodi im iSdiweigcn jene
unausgesprodienen Dinge, weldie die mensdilidien Be-
sieliungen im Tiefsten teLerrsdien, liörtar.
"W^ir sind nidit von der Grundbedeutung des Redens
und udiweigens ausgegangen, sondern von den Ersdiei-
nungen, die sidi als Misdibildungen erkennen lassen, von
ibrer Doppelsinnigkeit. Die analytisdie Praxis zeigt, da^
binter der Angst vor dem jSdiweigen die unbewuj^te Angst
vor dem Liebesverlust stellt. \S^ir wissen, da^ im jSdbweigen
die destruktiven Tendenzen, die uns als Todestriebe be-
kannt sind, im iSpredien die Eiebestriebe iliren Ausdrude
gefunden baben. Allen Misdibildungen entgegen bleibt
bestellen, da;g das Opredien vereinigende, das iSdiweigen
trennende Kraft bat.' Mit jemandem spredien bedeutet im
Tiefsten eine Liebesbezeigung, mit jemandem sdiweigen
einen Ausdrudt der Abneigung.'' 5agen wir nidit, wenn
■wir
i) Eine Wiener Redensart lieiJjt: »DurA Reden Jsommen die
Leute zusammen, e
2) In der Diskussion üter diesen Vortrag teniertte Dr. Eduard
Hitsdimann, der ihn einer scLarfeu Kritik unterzog, daJ^ die otigen
Behauptungen nidit zutreffen, weil ja das Wort scltst oft zum Aus-
t
jemandem selir zürnen: »wir wollen iiidit nielir mit ilim
spreaien?« Der Ausanick Totsdiweigen ist eigentlidi ein
Pleonasmtts. Vv enn in einer Gesellsaiaft eine jener län-
geren uiibeliagliaien Pausen eintritt, sagen wir eupliemi-
stisaa: ein Engel gelit ciurais 2immer. Es ist der mildeste
Engel Gottes. Die Angst vor dem odi-weigen ist im
Tiefsten Todes-(Kastrations-) angst, odieinen uns so 5prc~
dien und iSdiweigen spradilidie Ausdrucksformen von
Lebens- und Todestrieten, so wird uns klar, dajj das
iSdiweigen ursprünglidier ist als das Reden, dajj die Rede
dem odiweigen cutstammt wie das Leben dem Tod. Lii
Anfang war das ^V^ort, ater vorher war die groJ^e Stille.'
iSind wir alle hier nur »Tote auf Urlaub«, so ist audi
alles opredien nur eine uüditige Untertrediung des ewigen
iSdiweigens.
druck der leiiidseligkejt iiiici des Hasses werde. Diese — allerdings
uillreiwilllge — Bestätigung kann uns nur ■willkommen sein, da sie
ja die Behauptung der Doppelsinnigkeit von Reden und Sdiweigen
stützt und ilire antitlietisdie W^irkung Lekrältigt. Anderseits sdiwädit
sie das onen Gesagte iiidit an, da es siai auf die Grundnedeutungen
des Redens und Smweigens besieht. Es bedarf wenig analytisdicn
Sdiarfsinns, uin den ansdiemenden \\^idersprudi zu lösen : das Dpredien
ist oereits der Beginn der affektiven Bewältigung von Trieoregungen.
Gerade die \Virkungen der Psyaioanalyse zeigen, dalj das -Ausspreaien
und A-Usdrüateii von Halj und Feindseligkeit den ersten iSairltt zu
inrer psymisdien Erledigung darstellt.
l) äSpeeai is of Time, Stlencc is of Kterjiity.a. (Carlyle, On
Heroes. Lect, IV.)
IV
Im iStillen Ozean, Lei den Race-RocKS, im Getiet der
V ancouverinsel, gibt es eine merkwürdige iStelle, die man
die »Zone des iSoiweigens« nennt. Viele iSaiiiler sind liier
an den Felsen zersoimettert und liegen am Grunde des
Meeres. Kein JNeoelliorn ist laut genug, die oaiifle zu
-warnen: dies ist der Grund der so liäufigen Katastropnen.
Die Kapitäne, "welaie die ÄtraJje von Juan de Fuca
liinunterlunren, gaben an, dai^ sie die mäditigen »Sirenen
von dem Leuaitturni der Race-Roots nidit vernehmen
konnten. iSaaiverstäiidige lialien festgestellt, da^ die V er-
liältnisse von EtLe und Flut sowie bestimmte Vvind-
riditungen zu mandien Zelten Lei den Race-RodvS eine
»Zone des 5aiweigens« saiaflen, in der niait der geringste
Ton von aul3en geliSrt wird. Ein Sdiiff, das siai in dieser
viele Kilometer w^eiten Zone befindet, ist von den Ge-
räusdien der Auljenwelt vollkommen abgesdilossen. Vv ir
glauben, da^ das unbewuljt v erdrängte eine soldie »Zone
des «Sdiweigens« im Seelenleben bildet. In derl^eurose bat
sie sidi erw^eitert, vertieft. Jenes odiweigen, das w^ir nier
meinen, ist nidit Otummlieit saileditbin, es ist vielmelir
.sdiw^er von ungesagten VV orten. Es istderkorrelate Ausdrudi;
der Verdrängung und zeigt alle jene Züge des Kompromisses
zw^isdien Fludit und Verurteilung, die derVerd rängung eigen
sind. Die Psydxoanalyse bedeutet einen ersten Durdibrudi
in diese Zone des odiweigens beim Einzelnen.
Hier ist nun der Platz, einer psydioanalytisdien Theorie
zu gedenken, die eine bisher nidit gewürdigte lendenz
im unbewußten iSeelenleteii zu Leleuditen versudite, der
Tlieorie des Geständniszwanges.' Diese unbewußte Tendenz
Iiatte sidi unter dem Zwange testimmter Kulturfalitoren
aus dein Äu^erungsdrange der untewuJJsten Trieliregungeu
entwidcelt und zeigt alle Anzeidien ilires Ursprunges und
der sie beeinflussenden jjsydiisdien Instanzen. Als ein
Mittelding zwisdien Versdiweigen und Aussjiredien dient
sie dodi einer seelisdien »Strömung, weldie die Mitteilung
der untewu^ten Vorgänge anstrebt. Unsere Erörterungen
über die latente Bedeutung <ies 5diweigens als Zeidien
der Virltsamkeit der Todestriete und des iSprediens als
eines Versudies, diese mit Hilfe der erotisdien Triete zu
überwinden, fügen den psydiologisdien Begründungen des
Geständniszwanges eine weitere, tiologisdie liinzii.
Beethoven temertte einmal: »Das AV^iditigste der
Musik stellt nidit in den Noten.« Audi in der Analyse
ist das Gesprodtene als soldies nidit dasW^iditigste. Wesent-
lidier sdieint es uns, zu ertennen, was das Spredien ver-
sdiweigt und das iSdiweigen sjaridit.
i) Reik: Gestäntlnisswang und StrafLeJürfnis. 1936, (Internationale
PsyAoanalytisiiie BitliotLet, Nr. XVIII.)
INHALTSVERZEICHNIS
Seite
W^ie man PsycJiologe wird y
Vortrag, getalteii auf dem IX. Internationalen PsytJioanalyt!-
stten Kongrefj in Homlinrg v. J. H. am 5. September 1936
Psycfaologie ViwA Depersonalisation Zä
Nadi Vorträgen im Xelirinstittit «JerWiener Psydioanalytisclieii
Vereinigung (Januar — Feliriiar 1926)
Die psyttologiscJie Bedeutung <\ft% Sdiweigens . . . . loi
NaA einem Vortrage in der "Wiener PsydioanalytisJieji Ver-
euiigung am 9. Januar 1936
Von JJr. Ineodor Jxeik ersdiien früker :
xlaubert und seine »Versudiung des Heiligen
XXntOniUS«. Ein Beitrag zur KüustlerpsyAologie. Mit einer
Vorrede von AlfreJ Kerr. Minden i. V. [191a]
Artkur Sclinitzler als Psydiolog. Minden i. W. [igiS]
Probleme der Religionspsydiologie. I.Teil: Das Ritual
(Internationale Psyiioanaly-tisclie Bitliotlielt, Bd. V). Mit einer
Vorrede von Prof. Dr. S i g m. Freud. Leipzig - Wien -
ZüAdi 1919 [Vergriffen]
JJer eigene und der fremde Gott. Zur PsyAoanalyse
der religiösen Entwülung (Imago -Büdier, Bd. III). Leipzig .
>Vien - 2üridi igaS
(jeständniszwang und OtralDedürfnis. Protleme der
Psydioanalyse und der Kriminologie (Internationale Psydioana-
lytisdie Bibliotliek, Bd. XVIII). Leipzig - ^Vien - 2üridi igaÄ
Reik. 9
SIGM. FREUD
DIE FRAGE DER
LAIENANALYSE
UNTERREDUNGEN MIT EINEM
UNPARTEII-SCHEN
GeheftetMy20, Ganzleinen M 4' 8o
Prof. Freud nimmt Stellung zu der durch einen Kurpfuscher-
prozeß in Wien aktuell gewordenen Frage, ob die Hand-
habung des tiefenpsychologischen Heilverfahrens den Ärzten
vorbehalten bleiben soll. Der Schöpfer der Psychoanalyse ver-
wahrt sich temperamentvoll dagegen, daß die Psychoanalyse
„von der Medizin verschluckt werde". In diesem Zusammen-
hang entwirft Freud in knappen Zügen auch ein Bild seiner
ganzen Lehre. Diesmal wendet sich die Darstellung der Psycho-
analyse nicht an ein gelehrtes Publikum, sondern — in Dialog-
form, lehrend, Vorurteile auflösend und diskutierend — gleich-
sam an einen als einflußreich angenommenen Mitbürger, in
dessen Gesichtskreis die Psychoanalyse jetzt als Objekt der
Gesetzgebung und der Gesetzesanwendung gerückt ist. Ins-
besondere die konkreten Vorgänge während der analytischen
Kur werden eingehender verdeutlicht als in früheren
gemeinverstän dlichen Darstellungen
Internationaler Psyaioanalytiscner Verlag
\V^ien VII, Anilreasgasse 3
SIEGFRIED BERNFELD
SISYPHOS
ODER
DIE GRENZEN DER ERZIEHUNG
Geheftet M J' — , Ganzleinen M 6'JO
Seit langem im fragwürdigen Bereich der Pädagogik keine wichtigere
Erscheinung, als diese Schrift. Übrigens auch keine bei allem bitteren
Ernst witzigere und vergnüglichere.
(Gustav Wyneken im Berliner Tageblatt)
Ein geistreicher Beobachter der jungen Brut hat ein Buch heraus-
gebracht, das er mit kühnem Mute „Sisyphos" nennt . . . Bernfeld sieht
die Welt von einer Brücke, deren Köpfe auf Freud gestützt sind und
auf Marx. Die bürgerliche Gesellschaft sieht er als einen Ozean der
Lüge, auf dem die angeblichen Ziele der Erziehung treiben wie ver-
faulte Schiifstrümmer. (Fritz Witteis im Tag)
Die glänzende Programmrede des Unterrichtsministers reicht an Anatole
France heran und könnte in der Insel der Pinguine stehen.
(Die Mutter)
Geistreiche Sachlichkeit und anmutige Ironie.
(Ostseezeitung)
Bernfelds Buch ist natürlich, wesentlich und notwendig . . . Vollzieht in
eigenkräftiger Klarheit die Paarung oder besser: die Durchdringung
Freud-Marx . . . Sezierarbeit am didaktischen Größenwahn.
(Paul Oestreich in Die neue Erziehung)
Selten sind die scheinbar so sicheren Grundlagen der Pädagogik so gründ-
lich unterwühlt worden, wie in dem vorliegenden geistreichen Buche.
(Zeitschr. f. Sexualwissenschaft)
Überaus farbige und temperamentvolle Schrift. Durch den hinter der
Oberschicht einer feinen ironischen Plauderei spürbaren sittlichen Ernst
sympathisch. (P''"/- Storch im Zbl. f. d. ges. Neural, u. Psychiatrie)
Vielleicht der erste Versuch, mit biologischem Rüstzeug das Erziehungs-
problem zu klären. Während bisher die Erziehung eigentlich als Kunst
gewertet war, wird hier der Versuch gemacht, sie exakt wissenschaftlich
zu begründen. (Zeitschrift für Kinderforschung)
internationaler xsycaoanalytisdier Verla
W^ien VII, Aniireasgasse 3
AUGUiST AICHHORN
VERWAHRLOSTE
JUGEND
Geheftet M ^' — , Ganzleinen M II'--
Gel,
eitwort von
Prot. oism. Freud:
„Von allen Anwendungen der Psychoanalyse hat keine so viel Inter-
esse gewonnen, so viel Hoifnungen erweckt und demzufolge so viele
tüchtige Mitarieiter herangezogen wie die auf die Theorie und Praxis
der Kindererziehung. Dies ist leicht zu verstehen. Das Kind ist das haupt-
sächliche Objekt der psychoanalytischen Forschung geworden; es hat in
dieser Bedeutung den Neurotiker abgelöst, an dem sie ihre Arbeit be-
gann. Die Analyse hat im Kranken das wenig verändert fortlebende
Kind aufgezeigt, wie im Träumer und im Künstler, sie hat die Trieb-
kräfte und Tendenzen beleuchtet, die dem kindlichen Wesen sein ihm
eigenes Gepräge geben, und die Entwicklungswege verfolgt, die von
diesem zur Reife des Erwachsenen führen. Kein Wunder also, wenn die
Erwartung entstand, die psychoanalytische Bemülaung um das Kind werde
der erzieherischen Tätigkeit zugute kommen, die das Kind auf seinem
Weg zur Reife leiten, fördern und gegen Irrungen sichern will . . . Mein
persönlicher Anteil an dieser Anwendung der Psychoanalyse ist sehr
geringfügig gewesen. Ich hatte mir frühzeitig das Scherzwort von den
drei unmöglichen Berufen — als da sind: Erziehen, Kurieren, Regieren —
zu eigen gemacht, war auch von der mittleren dieser Aufgaben hinreichend
in Anspruch genommen. Darum verkenne ich aber nicht den hohen sozia-
len Wert, den die Arbeit meiner pädagogischen Freunde beanspruchen
«iarf. — Das vorliegende Buch des Vorstandes A. Aichhorn beschäftigt
sich mit einem Teilstück des großen Problems, mit der erzieherischen
Beeinflussung der jugendlichen Verwahrlosten. Der Verfasser hatte in
amtlicher Stellung als Leiter städtischer Fürsorgeanstalten lange Jahre
gewirkt, ehe er mit der Psychoanalyse bekannt wurde. Sein Verhalten
gegen die Pflegebefohlenen entsprang aus der Quelle einer warmen
Anteilnahme an dem Schicksal dieser Unglücklichen und wurde durch
eine intuitive Einfühlung in deren seelische Bedürfnisse richtig geleitet."
de
Internationaler Psyckoanalytisciier Verla;
W^ien VII, AuJreasgasse 3
s
Jcressestimmen über „A.icnkovn: verwahrloste Jugend
Aichhorns Buch trägt die Bestimmung in sich, an aufklärender Er-
ziehungsarbeit viel beizusteuern. Durch die Bildhaftigkeit seiner Aus-
drucksweise, durch seine geschickte Verbrämung der praktischen Für-
sorgeergebnisse mit den theoretischen Erklärungen hat er diesen zehn
Vorträgen die Spannung von der ersten bis zur letzten Seite erhalten.
(Soziale Arbeit)
Wer sich für die Probleme der Verwahrlosung interessiert, wird an dem
Buche von Aichhorn nicht vorübergehen können und die dort geschilder-
ten Fälle eingehend studieren müssen. (Preußische Lehrerzeitung)
Dieses Buch ist dazu angetan, alle, die in der Erziehungsarbeit stehen,
hellliörig und besinnlich zu machen. (Soziale Berufsarbeit)
Von besonderem Interesse ist die Schilderung der Erziehungsmethoden,
die der Verf. anwendet, und die zweifellos eine glückliche pädagogische
Treffsicherheit in der Erfassung des im gegebenen Mom^ent einer be-
stimmten Individualität gegenüber Angebrachten verraten.
(Leitschrift f. Sexualwissenschaft)
Fragt man nun danach, wo denn in der deutschen Gegenwartspädagogik
der Geist Pestalozzis am lebendigsten vertreten bleibt: ... in der Praxis
der österreichischen Volksschulreform, in dem neuen Verwahrlosten-
Erziehungswesen, über dessen Wiener Ausgestaltirag uns Aichhorn so
schön zu berichten weiß. (Das Deutsche Buch)
Solche Bücher solche Männer möchten wir in reichlicher Anzahl unseren
Massen zuführen und ihnen sagen können: „Seht Ihr's? So geht's auch!"
(Nepszava, Budapest)
Jeder, der jemals erzieherisch tätig war, wird Aichhorn für sein Werk
dankbar sein; und wer hat nicht wenigstens einmal in seinem Leben
vor der Aufgabe gestanden, erziehen zu müssen: und wäre es nur die
eine lebenslängliche erzieherische Tat, — sich selbst zu erziehen.
(Pester Ll(fyd)
Wir begrüßen das Buch in doppelter Hinsicht: einerseits als Lehrbuch und
anderseits als Führerbuch für diese wichtige Fürsorgefrage . . . Dieses
Buch ist auch ein persönliches Dokument und zeigt, wie ein Praktiker
in unermüdlicher und selbstverleugnender Tätigkeit einer wissenschaft-
lichen Theorie, deren Erkenntnisgebiet außerhalb des Greifbaren liegt,
Leben geben kann. (Blätter f. d. Wohlfahrtswesen d. Gemeinde Wien)
THEODOR REIK
DER EIGENE UND
DER FREMDE GOTT
Geheftet M 8';o, Ganzleinen M 10' fO
Ililialt: üoer kollektives Vergessen / Jesus und Maria im TalniuJ / Der
m. Epipnanius versmreitt sidi / Die wiederauferstatidenen Götter / Das
Evangelium des Judas Ismarioth / Psyaioanalytisaie Deutung des Judas-
Proolems / Gott und Teufel / Die Unlieimlidikeit fremder Götter und
Kulte / Das Uiineimlime aus infantilen Komplexen / Die Äquivalenz der
Trieogegensatspaare / üoer Dmerensierung
Der tiefblickendste und scharfsinnigste Religionspsychologe unserer Zeit.
(Schulreform, Bern)
Einer der hellsten Köpfe unter den Psycho-
(Alfred Döblin in der Vossischen Zeitung)
Ein geistreiches Buch
analytikem.
Gut ist die Analyse des Fanatismus . . . Man wird eine Methode, die
so tiefe Sachverhalte aufdecken kann, nicht a limine ablehnen.
(Prof. Titius in der Theologischen Literaturzeitung)
Man muß Reiks wuchtigen Vorstoß anerkennen . . . Rücksichtslos geht
der Weg, zwar oft durch Dunkel und Schrecken und kaltes Grauen.
Aber wer den Mut dazu hat, kann sich getrost der sachkundigen Füh-
rung Reiks anvertrauen. (Bremer Nachrichten)
Das Buch ist unmittelbar erschütternd. Es versäume niemand, dem
psychologischen Zusammenhang zwischen Christus und Judas Ischarioth
unter Reiks sachkundiger Führung nachzusinnen. Der erste Eindruck
mag leicht ähnlich erschreckend wirken, wie die Begegnung mit dem
Hüter der Schwelle; allein auch hier wird sich der Schreck, vom Richti-
gen richtig erlebt, als heilsam erweisen.
(Graf Hermann Keyserling im Weg zur Vollendung)
Manches darin wird starken Anstoß erregen und doch . . . findet man
immer wieder etwas in ein neues Licht gerückt. (Frankfurter Zeitung)
Internationaler Psydioanalytisdier Verlag
Vvien V II, Andreasgasse 3
THEODOR REIK
GESTÄNDNI5^WANG
UND STRAFBEDÜRFNIS
PROBLEME DER PSYCHOANALYSE
UND DER KRIMINOLOGIE
I
Geheftet M 8'—, Ganzleinen M 10'—
Innalt; Der imoewu^te Geständniszwang / VYieaertenr des V erdrängten /
1 iefendimension der Neurose / Der Geständnisswang in der Kriminalistik /
Psytäioanalytjsdie Strafreditstlieorie / Der Geständniszwang in Religion,
MytLtis, Kunst und Spradie / Entstellung des Gewissens / Kinderpsymo-
logie und Pädagogik / Der soziale Geständniszwang
Die hochinteressante Arbeit eines tiefgründigen Denkers und scharfen
Beobachters, deren große Bedeutung für die Weiterentwicklung der
Psychoanalyse die Zukunft zeigen wird. (Osterreichische Richterzeitung)
Kein Leser wird sich dem Ernst entziehen können, mit dem Reik den
seltsamen Kontrast zwischen äußerer Selbstgerechtigkeit des Menschen
(als Einzelnen wie als KoUektivum) und dem inneren Selbstgericht auf-
deckt, der den Leitfaden der echten sittlichen Entwicklung bildet.
(Bücherrundschau)
Vermittelt über die letzten Wurzeln des Geständnis- und Bestrafungs-
triebes bei Neurotikern viele überraschende und originelle, sicher auch
einst fruchtbar werdende Einsichten.
(Zentralhlatt f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie)
Reik versteht es in glänzender Weise, seine Hypothesen vorzutragen.
Ein bewundernswerter Glaube an die Bedeutung der Psychoanalyse läßt
ihn zur höchsten Höhe einer optimistischen Zukunftshoffnung aufsteigen.
(Prof. Friedländer in der Umschau)
Internationaler Psycnoanalytisdier Verlag
W^ien VII, Andreasgasse 3
:]7U£:3£3aiai^n
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T li e o d o r R e i k
Wi
le man
Psyckolc^e wird
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