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Full text of "Wie man Psychologe wird"

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1 



THEODOR REIK 

WIE MAN 
PSYCHOLOGE WIRD 




INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 



DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 







1 

1 




WIE MAN 






PSYCHOLOGE 






WIRD 






VON 






THEODOR REIK 






19 »7 






INTERNATIONALER 

PSYCHOANALYTISCHER VERLAG 

LEIPZIG / "WIEN / ZÜRICH 








• 



ALLE RECHTE, 

INSBESONDERE DIE DER ÜBERSETZUNG, 

VORBEHALTEN 



COPYRIGHT 1927 

BY „INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER 

VERLAG, GES. M.B.H.", WIEN 



DRUCK: CHRISTOPH REISSER'S SÖHNE, WIEN V 



iVf einer Fr a u 
in Liebe und 
DanKoarkeit 



TVie man Psychologe wird 

Vortrag, gelialten auf iem IX. Internationalen Psyckoanalytiscnen 
Kongreß in Homturg v. <J. H. am 5. Septemter igaS 

Meine Damen und Herren! Die Bemerkungen, die icli 
Iknen vorlege, wollen einen Beitrag zu der Frage, wolier 
das psycliologisclie Interesse stammt, geten. jSie teeiehen 
sicli also auck auf eines der Motive, die tms kier zu ge- 
meinsamer Arteit zusammenkommen liefen. Oolcke Frage- 
stellung, seltst von psyckologiscker Art und auf die Psycko- 
logie als Ganzes sick teziekend, gekört einem Kapitel an, 
das man Prolegomena zur iSeelenkunde nennen mü^te. 
iSie rükrt an Dinge, die iSie vergeiens in den Kompendien 
und Lekrkückern der Psyckologie sucken würden. 'Wenn 
Sie es nur reckt versteken wollen, fällt sie mit der Frage, 
wie man Psyckologe wird, zusammen. Diese soll uns kier 
nickt im Sinne der Berufseignungsprüfungen und der teck- 
niscken Begakungsuntersuckungen kesckäftigen. Es kandelt 
sick uns ükerkaupt nickt um einen Beruf , ein Metier, sondern 
um eine ganz kestimmte und genau kesckreikkare psyckiscke 
Einstellung. Also nickt Bildungsgang oder sonstige äußere 
Momente werden uns kesckäftigen; unsere Aufmerksamkeit 



gilt vielmenr den seeliscken Voraussetzungen, Motiven und 
Zielen des Psychologen. Bei jedem von Ilinen entspringt 
das psycnologisclie Interesse innerer Notwendigkeit und 
nicnt äußeren Antrieten. VVürde jemand, nur äußeren 
Gründen folgend, Psyckologe, er würde niclit Psychologe 
mehr. Unsere Fragestellung ist also im iSinne ISTietzscLes 
zu verstenen: w^ie man wird, was man ist. 

Aber auch zur Lösung dieses Protlems werden liier nur 
vereinzelte Bausteine nerbeigetragen werden. Es -wird nicIit 
allseitig ietrachtet, sondern bewußt einseitig, in konsequenter 
Verfolgung früherer Gedanltenzüge. Das will tesagen, daij 
die Momente, die ick Ihnen vorlegen will, niclit die ein- 
zigen und nicht die einzig ausschlaggebenden sein tonnen, 
da^ nock andere, kier nickt erörterte wesentlicke Faktoren 
einspielen. Ein iStück der ^ST^irltlickkeit darzustellen ist ja 
nickt gleickkedeutend mit Ausscklieijung oder Untersckät- 
zung eines anderen Teiles. Manckmal möckte man die' 
Frage, die wir im Alltag sckerzkaft gekraucken, auck auf 
w^issensckaftlickem Gekiete stellen : warum denn so einfack, 
w^enn es auck kompliziert gekt? 

Alle wissensckaftlicke Psyckologie, soweit sie als an- 
erkannte Disziplin gilt, gekt davon aus, da^ ikre erste und 
vornekmste Erkenntnisquelle die direkte innere ^V^akr- 
nekmung sei, deren Resultate unmittelbar gegeken und 
evident sind. Nock ist der Standpunkt Wundts und der 
meisten BewuJgtseinspsyckologen in Geltung, der die Psy- 
ckologie von den Naturwissensckaften akgrenzt; diese, ke- 
kauptet man, beruke auf mittelkarer, jene auf unmittel- 
barer Erfakrung. Der iSatz von der unmittelbaren 5elbst- 

8 



gewiJgneit des iSeelischen Stent in jedem ernst zu nenmenden 
LelirLucne der Psycnologie an erster /Stelle. Er genört 
zu den iSeltstverständlicnteiten, die jedem Gebildeten 
sogleicn einleucliten und Iteinem Z-weilel unterworfen 
sind. »Sie können ilin geradezu als eine der konstituieren- 
den XJnnclitigkeiten der ■wissenscnaftlicnen Psycnologie 
tezeicnnen. Es liegt im VV esen einer solclien fundamen- 
talen falscnen Anscliauung, da^ ihre üterzeugungskraft 
von keiner VV anrlieit erreicnt -wird und daJj sie an das 
Gefünl der Enrfurclit vor inrem Alter appellieren kann. 
Es ist aucn durckaus z-weifemaft, ob eine \\^issenscnaft, 
■wenn sie auf diesen Namen Anspruck erneben darf, onne 
solcne grundlegende Irrtümer bestenen kann. Es fenlt uns 
bisner jede Erfahrung in dieser Richtung. 

iSie -«rerden zugestehen, da^ der berühmte och'wellen- 
spruch zu Delphi angesichts der unmittelbaren Evidenz 
der inneren ^\^ahrnehmung jede beunruhigende Dunkel- 
heit verliert. Er wird zur leicht fa^lioien und gewi^ 
beherzigenswerten M.ahnung zur Aufmerksamkeit, deren 
5inn so evident und unmittelbar gegeben ist w^ie das inner- 
lich VV ahrgenommene selbst. Das schöne VV ort reiht sich 
so jenen Sprüchlein ein, die wie »»Schmücke dein Heim!« 
oder »Eig'ner Herd ist Goldes wert«, des deutschen Bürgers 
»Stube schmücken; es w^ird zur Devise der Psychologie für 
den w^issenschaftlichen Hausgebrauch. Der Sohn des Zeus 
vrulqte, w^as not tut. 

VV ir zweifeln heute daran, ob solche banale Aufforde- 
rung dem delphischen Gotte bei jenem Ausspruche vor- 
schw^ebte. Vielleicht hatte die Tempelinschrift nur für die 



iScliulpsycIiologen der Antike eine so Landgreifliclie und 
seltstverständliclie Bedeutung. Dem Gotte, dessen Oratel 
wegen ikrer Duntelneit so terücntigt sind, wäre es zuzu- 
trauen, da^ sein Tempelsprucn nocn einen tieferen, esoteri- 
scLen Sinn tatte. Er tonnte den W^eisen nicnt veriorgen 
tleiten. »Erkenne dicli selbst!«: nier war eine der schwer- 
sten Aufgaben, der etw^as im "Wiesen der Menscnen seltst 
-i*riderstreljt und in deren Bew^ältigung ungewönnliclie Hin- 
dernisse zu überwinden waren. 

Von Descartes iis ^Vundt galt die oelbstgew^i^neit 
der inneren ^W^alirnenmung als ein Axiom, das anzuzweifeln 
fast frevelnaft erscliien. Sie wissen alle, da^ uns die Psyclio- 
analyse gezeigt nat, wie w^enig evident die Resultate der 
inneren \V^aIirnelimung sind und da^ sich das Psycho- 
logische nicht von seihst versteht wie das Moralische. Nicht 
darum handelt es sich, da^ sich der Eine mehr, der Andere 
w^eniger in der von Apollo geforderten iSelhsterkenntnis 
täuscht; nicht das AusmaJg dieser oeltsttäuschungen steht 
zur Diskussion. \S^ir alle müssen uns gesetzmäßig täu- 
schen, denn das seelische Ich ist in seinem wesentlichsten 
Anteil weder unmitteltar gegehen noch evident. Es ist 
an sich untewuJ|t und starke ^Mächte in uns seihst sind 
am ^Verke, um es vor dem Erkanntwerden zu schützen. 
Die Analyse hat uns verstehen lassen, daß erst dort, wo 
man an die unmittelhare 5elhstgewißheit der inneren 
\V^ahrnehmung nicht mehr glaubt, die Psychologie als in 
die Tiefen reichende W^issenschaft heginnt. Erst mit diesem 
^■weifel w^ird oeelenkunde m ihren w^esentlichen Teilen 
möglich: incipit psycnologia. 



Mit dem iSprucne des delpniscnen Gottes ist nickt der 
Ausgangspunkt, sondern das Ziel der psycnologisclien r or- 
scnung gekennzeicknet. Das Fvcöi^L aeavxbv kann auck nickt 
als metkodiscke Anweisung gelten. Es wird ja als Postulat 
aufgestellt, und das wäre unnötig, w^enn damit nur der 
naturgegekene ^VSTeg gewiesen würde. Die Psyckologie ke- 
ginnt auck nickt als direkte oelkstkeokacktung. Dock nekmen 
w^ir für einen Augenklick an, es sei so, so steken w^jr gleick 
am Beginne unserer Forsckertätigkeit einer ikrer w^icktigen 
Fragen unvorkereitet gegenüker. Jede vV^issensckaft setzt 
ein Okjekt und ein iSukjekt voraus, einen zu erkennenden 
Gegenstand und ein erkennendes Ick. Die Erfakrungs- 
gruppe des Psyckiscken kekt sick nun aus den anderen 
merkkar ak. Das Okjekt der ükrigen Erfakrungsgruppen 
sind Tatsacken und Verknüpfungen der Au^enw^elt, das 
jSukjekt ist das Ick. Im Gekiete der Psyckologie aker 
wäre das Okjekt die Innenwelt, das oukjekt das Ick. 
Hier ist also eine Identität von Okjekt und oukjekt, die 
auf den ersten Blick frappiert. Dieser singulare Oackverkalt, 
da^ das Ick sick selkst keokackten kann, stellt eine pri- 
märe Bedingung der iSeelenkunde dar; sie ist aker zu- 
gleick eines ikrer ersten Prokieme, oie w^ar so rätselkaft, 
da^ es sick empfakl, sie als selkstverständlick zu kekan- 
deln und okne w^eiteres Nackdenken vorauszusetzen. VV enn 
es wakr ist, was Aristoteles kekauptete, daJ^ das iStaunen 
den Anfang der Forsckung kildet, so werden oie zuge- 
steken, da.| sick die Psyckologen in ikrer Mekrzakl von 
einem so ükerflüssigen und w^enig verständigen Affekt ke- 
merkenswert lange Zeit frei zu kalten wußten. 



Gestatten 5ie mir, die grundlegende Tatsache, die un- 
sere Verwunderung erregt, mit den Ausdrücken des ameri- 
tanisclien Psycliologen ^V^illiam James zu beschreiben: 
er bestimmt sie daliin, da^ das I das Me beobachtet. Die 
Lösung des Rätsels, wie das Icn das MicL. beobacnten kann, 
ist teinesfalls schwierig. Es ist vielmehr klar, daJ^ die 
Prämisse dieser Möglicliteit, das eigene (Seelenleben gegen- 
ständlicn zu fassen, die Ichspaltung sein mu^. Die Icli- 
spaltungist es, -welcne Psychologie ermögliclit; sie ist es aber 
aucli, die Psycliologie notwendig macnt. \V äre das Icn unge- 
teilt, könnte es sicn niclit beobacnten; es braucnte sicli aber 
aucn nicnt zu beobacnten. Die befremdende Tatsacne, da^ 
das Icn sicn selbst beobacnten kann, wird verständlicner, w^enn 
sie auf zw^ei andere zurückgeführt wird. Es gab nämlicn eine 
Zeit, da das Icn nocn scnw^acb, abliängig und unentw^ickelt 
war. Damals ^^ar es dem Kinde am nalieliegendsten, die un- 
bewußte endopsycniscne VV akrnenmung von Lust und Un- 
lust naai außen zu projizieren. Die nacn außen gerimtete 
Aufmerksamkeit ging also der oelbstbeobacntung voraus. 
Audi im reiferen Alter w^ird sich die Oelbstbeobacntung 
erst aus der Fremdbeobacntung entw^ickeln, eine Tatsacne, 
die Nietzscne knapp in dem oatze »Das Du ist älter 
als das Icli« formulierte. Freud hat gezeigt, daß der ver- 
scnärften iSeltstbeobacntung m der ocnizopnrenie eine 
Regression der Aufmerksamteit auf die innere M^alir- 
nenmung entspricht. 

Allein von liier aus fünrt kein direkter W^eg zur in- 
trospektiven Psycnologie, wenn man niclit eine Zwisclien- 
stufe zwischen Fremdbeobacntung und oelbstbeobacntung 



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Iialtet. In jener Zeit der frühesten Iclientwicklung 
4te das Kind temerten, dai^ die Umgetung es teot- 
ktet, da^ es Beotacttungsgegenstand von Seiten der 
Pflegepersonen ist. Mit anderen Worten : das / tann das 
Me teotacliten, weil TJtey — She oder He — einmal das Me 
teotaclitet taten. Die Aufmerksamkeit der Außenwelt 
für das Kind setzt sick — auf dem Wege der Introjek- 
tion — in der Aufmerksamkeit ies Kindes für sich selbst fort. 
Diese Atkunft der iSelfcstkeotacktung aus dem Beot- 
acktetwerden stellt also eine Umsetzung eines passiven 
Erletens in ein reflexives dar. Es ist dies ein seeliscker 
Vorgang, der für die Voraussetzungen und das vVesen 
der Psyckologie von großer Bedeutung werden wird. Der 
Beweis für die Entwicklung der jSeltstteotacktung aus 
dem Beotacktetwerden ist unsckwer zu liefern. Er wird 
dort gekolt werden müssen, wo aus patkologiscken Gründen 
die Persönlickkeit wieder in großem Ausmaße zerfällt, 
z. B. in der Symptomatologie der psyckotiscken Erkran- 
kungen. Dort verwandelt sick oft das Gefükl des Beot- 
acktetwerdens in Beotacktungswakn. In anderer Art zeigen 
die Pkänomene der Depersonalisation mit ikrer ausgepräg- 
ten iSeltstkeokacktung eine partielle Regression zur Pkase 
des Beotacktetwerdens. Aker es müssen nickt patkologi- 
scke Fälle sein, an denen man die Herkunft der iSelbst- 
fceotacktung studieren kann. ITekmen Sie an, ick werde 
mir in diesem Augentlicke, da ick zu Iknen sprecke, der 
Besonderkeiten meiner Stimme, der Art meiner Bewegun- 
gen, gewisser Eigentümlickkeiten meiner Spreck- und Aus- 
drucksweise tewu^t, so wird dieser psyckiscke Vorgang 



E 



kaum von der Frage unabliängig sein, welchen Eindruck 
mein oprecnen oder das Gesprocliene seltst auf jSie aus- 
übt. Die Engländer katen für die tesckrietene Gefükls- 
erscneinung einen senr oezeicknenden Ausdruck: to get 
self-conscious. ^u.n gescliielit es gewi^ nickt ausscklie^lick 
dann, -wenn eine andere oder mekrere Personen anwresend 
sind, da^ man self-conscious wird, aker dies ist dock der 
käufigste Fall, und der andere, weitaus seltenere, da^ diese 
Gefüklsreaktion in der Einsamkeit auftritt, ist sckon ein 
atgeleiteter und sekundärer. \7^it könnten sagen: to get 
self-conscious, das meint einfack: vorkewu^t erkennen, was 
für einen Eindruck man auf Andere mackt. 

Die Ickerfakrung des Kindes, das sogenannte Persön- 
lickkeitsgefükl oder 5ell)stkewu^tsein des Kindes, ist uns 
in seiner Genese nock wenig durcksicktig; es entwickelt 
sick, wie »Sie wissen, sekr spät. Lipps, \S^undt und 
andere Forscker kaken mit Reckt darauf kingewiesen, da^ 
der späte Gekrauck des ^Wortes Ick kein Beweis für das 
Auftreten der Ickgefükle ist. Es sckeint uns wirklick, da^ 
die Ickgefükle vor dem Getraucke des Ickwortes auftreten. 
VV enn iSie mir nun gestatten, gewissermaßen in Verkürzung 
zu sprecken, würde ick sagen : das Ickkew^ußtsein des Kindes 
ist von dem Bewußtsein akkängig, daß die Außenwelt, 
die Eltern, die Pllegepersonen es teokackten, es als ein 
Ick ketrackten. Ick wiederkole also : die iSelkstkeokacktung 
ist kein genuines Pkänomen; sie leitet ikre Herkunft aus 
dem Gefükl des Beokacktetw^erdens ak. ^V^ir würden ver- 
muten, daß die Untersckiede in der Art und in der In- 
tensität des Beokacktens für die Entwicklung des Gefükls 



^4 




des Beotacntefwerdens und somit für die des künftigen 
psycliologisclien Interesses nicnt bedeutungslos sein können. 

Es ist verständlicn, da^ das Gefünl des Beooacntet- 
werdens unter dem Einflüsse der narzi^tiscken Besetzung 
zustande kom.mt und sie ■tvieder rückwrirkend verstärkt. Das 
Gefülil des Beotacntetwerdens ist dem des Beacktet- und 
Geliettwerdens nalie verwandt. Hier ist also eine der 
früliesten narzi^tiscnen vV^urzeln der Psycliologie, die später 
namentlicn in der Introspektion erkennbar wird. 

Auf der anderen Seite fünrt von nier aus ein vV eg 
zur FremdLeotaclitung. Das Gefülil des Beobaclitetwerdens 
würde oline eine primitive, auf die Personen der Um- 
getung gericlitete Aufmerksamkeit niclit zustande kommen. 
Das Gefükl des Beotaclitetwerdens w^ird so den Ansatz 
zur litidinösen Objektbesetzung bereits verraten; das be- 
otaclitete Kind darf die Befriedigung seiner Bedürfnisse 
von den beobaclitenden Personen erwarten. Auen ein 
weiterer Antriet zum Übergang zur Objektlibido ist im 
Bew^u^tsein des Beobacntetw^erdens entlialten: das fremde 
Otjekt w^ird geliebt werden wie das Ion sich von inm 
geliett fünlt. Jene Zwiscnenstufe des NarziJgmus, aus der 
die Umsetzung narzi^tiscner Libido in Objektlibido er- 
folgt, ist nocli nicnt genügend erforscnt. Icn würde vor- 
scnlagen, sie als reflexiven Narzißmus vom primären zu 
unterscneiden. iSie ist nicnt menr durcli die naive Icn- 
tesetzung des Kindes gekennzeicnnet. Die Selbstgenüg- 
samkeit der narzi^tisclien Besetzung ist tereits ein Otück 
w^eit im iScnw^inden und es bedarf der von au^en kommen- 
den Liete, um die Icnlitido zu verstärken. Die dem Icn. 



ge-widmete Liele der Au^en-«relt verändert den Cnaratter 
des primären Narzißmus und bildet gleicnzeitig die Brücke 
zur ersten Otjekttesetzung. Lassen oie micn nur mit 
einem ^W^ort darauf nin'weisen, daJg die Bedeutsamkeit 
dieser, der reflexiven Pliase des Narzißmus, die bereits 
ein Objekt voraussetzt, aucn in der Genese der Homo- 
sexualität, des Masocliismus und des Exnibitionismus, in 
der Oelbstbe'wunderung und im Selbstmitleid so"wie in 
bestimmten Zügen des normalen Ijiebeslebens nocn nicnt 
genügend erforscnt ist. 

Die Eltern oder Pflegepersonen beobacnten das Kind 
in erster Linie, um seine vitalen Bedürfnisse zu befriedi- 
gen, aber diese Beobacntung gescnient nicnt affektlos. Die 
Bewegungen, das AVeinen, Oclireien oder Lacken des 
Baby lösen in den Eltern bestimmte Gefünle aus, für 
deren Anzeicken das Kind bald eine ziemlick gro^e Emp- 
fänglicnkeit zeigen wird. Es bleiben ikm Erinnerungs- 
spuren von den Anzeicken der Freude oder des Ärgers, 
des Ergötzens oder der Mißbilligung der Pflegepersonen er- 
kalten und es lernt frük, den Eindruck dieser Reaktionen 
mit seinen eigenen Ausdrucksbewegungen zu verknüpfen. 
Ja, man könnte glauben, das Gefükl des Beobacktetwerdens 
würde okne solcke Reaktion der Umgebung gar nickt 
entsteken und es sei bereits der Reflex eines gewissen, 
nocli unklaren V erständnisses des Baby für das Verkalten 
der umgebenden Personen. 

Beziekt sick so das Gefükl des Beobacktetwerdens auf 
bestimmte Reaktionen der Außenwelt, so werden iSie es 
gewiß würdigen, daß das Kind nur ikm lustvolle Re- 



16 




attionen zu erzielen -wünscnt und umustoringenoe zu ver- 
meiden traclitet. Die Reaktionen der zweiten Art werden 
nun für die w^eitere EntAvicItlung des Oelbstgefünles be- 
sonders w^iclitig. Das Kind lernte sagten w^ir, solche Re- 
aktionen der Umgeoung zu vermeiden, w^elclie als Mi^- 
tilligung, Ärger, Bösew^erden ersclieinen, ja unter Um- 
ständen Strafe nacli sicn zielien. Diese Abliängigteit von 
der XJmgetung w^ird f olgenscliwer : das Beotacntetwerden 
und später die iSelostDeODaclitung w^erden nie melir völlig 
die Verknüpfung der Icligefünle mit der Kritik der Außen- 
welt verlieren: sie wird sicn als iSelostkritik fortsetzen. 
^V^enn das Kind nun später geneigt ist, eine Bewegung 
zu macnen, zu scnreien usw^. und sicn damit die E-rinne- 
rungsspur verknüpft, daJ} diese bestimmte Aktion eine un- 
willige Reaktion der Umgebung, d. n. einen Lieoesverlust 
kervorruft, so wird es durcn diese Erinnerungsspur ge- 
kemmt. iSie seken kier klar die Bedeutsamkeit der frülien 
Otjektintröjektion für die Genese der iSelostoeotacktung. 
Die Psyckologie lekrt uns immer w^ieder, daß oelbst- 
Leotacktung zur oelostkritik fülirt und w^ir kaoen das 
alle am eigenen Leite, besser gesagt am eigenen oeelen- 
leken, nackzuprüfen Gelegenkeit gekabt. Vv as w^ir kinzu- 
erfakren, ist, daß die Oelbstoeooacktung bereits Resultat 
der iSeltstkritik ist und diese iSelbStkritik durck Otjekt- 
intröjektion entstanden ist. Diese tildet in VV akrkeit die 
unerläßlicke Prämisse für die Möglickkeit der iSeltst- 
teotacktung, genetisck gesprocken: für die Umwandlung 
des Gefükles des Beotacktetw^erdens in den Antriet zur 
iSeltstteotacktung. Der Kreislauf ist also folgender: un- 

Reik. 2 17 



tewu^te innere W^akrnelimung von Lust und Unlust 
wird in die Außenwelt projiziert, so entsteht eine primi- 
tive Fremdieoiaclitung, eigentlich auf die Außenwelt ge- 
richtete AufmerLsamteit. Diese ermöglicht das Bewu^t- 
■werden des Beotaclitetwerdens, das sich durch Oojekt- 
introjektion in iSeltstteotachtung verwandeln kann. V on 
liier aus tommt es w^ieder zur Beotachtung der äußeren 
Oijette, wotei die untewu-§te innere ^V^alirnehmung zu 
Vergleichszwecken oenützt wird. 

iSie liaten gelxört, da^ die Psychologen sich darüher 
gewundert naten, — und viele haben sich nicht einmal 
darüter gewundert, — da^ das Ich sich seihst heobacnten 
kann. ALer wir wissen jetzt, wer dieses heohachtende Ich 
ist: das ins Icli aufgenommene Otjett, die Mutter, der 
Vater, die Nurse, die teotaclitende Person der Kinder- 
zeit. Die Zweiteilung der inneren AV^alirnenmung wird 
so verständlich. 5ie erklärt sich durch die Introjektion 
der »Aufsichtsperson« ins Ichj das beobachtende Ich ist 
das jSurvival der teotaclitenden Mutter oder des V aters. 
iSiclierlicli denken iSie jetzt in Fortsetzung dieses Ge- 
dankenganges an die Genese des religiösen Glaubens von 
der AUwissenkeit Gottes, an unsere Kindermeinung, daij 
Gott alles sehe. 

Hier knüpft auch die zweite, von uns hervorgehobene 
Tatsacke an: diese jSeltstteotacktung stellt frük unter 
dem 2^eiclien einer primitiven iSeltstkri'tik, ja, sie nimmt 
von dort ikren Ausgang und diese Selbstkritik ist die 
Fortsetzung der Kritik der anderen. Freud hat einmal 
ausgefülirt, da^ die TrietLeotaclitung, d. Ii. die introspek- 



F 



tive "W^ahrnenmung der eigenen TriettenJenzen scUie^- 
licli in Triebliemmung mündet. Ater wir möcliten hin- 
zufügen, oa^ solche Triebbeotaclitung seltst scKon das 
Resultat einer frühen Triethemmung ist. iSie -würde niclit 
existieren, -wenn es keine Erinnerungsspuren daran gete, 
da^ die Umgebung auf testimmte, von ilir teotaclitete 
Trietäu^erungen mit Unwillen oder Ärger, mit Lietes- 
entzug reagierte. Lassen oie mick zu unserem Itontreten 
Beispiel zurüctkeliren : -wenn icL mir in diesem Augen- 
blicke in bestimmter Art meiner Be-wegungen und meiner 
Stimme bewußt werde, also das werde, was man engliscli 
self-conscious nennt, und dieses Gefülil eine testimmte 
Intensität annimmt, so würde sick diese Reaktion der der 
V erlegenlieit oder Befangenheit sehr rasch nähern; ich 
würde zu stottern heginnen, sonstige iSprechstörungen 
würden eintreten und es könnte hei andauernd gleicher 
Intensität sich die für jSie wohltätige W^irkung einstellen, 
da^ ich überhaupt aufhören mü^te, zu sprechen. Dies 
aher würde, wie gesagt, damit zusammenhängen, da^ ich 
den Eindruck empfange, meine Ausführungen würden 
von Ihnen nicht wohlwollend, sondern ahlehnend auf- 
genommen, hei Ihnen auf eine negative Kritik stoßen. 
Sie sehen, wie das Ichhewu^tsein eigentlich ein Bewußt- 
sein der Einstellung der Anderen zum Ich ist, hesser 
gesagt, ein Vorhewußtwerden dieser Einstellung und daß 
es hesonders dann hervortritt, wenn die Kritik der Anderen 
vorhewußt wird. "W^enn es wirklich dazu käme, daß ein 
solches Ichhewußtsein eine /Störung der Rede zur Folge 
hätte, müßten jSie aus solchem Effekt schließen, daß Ihre 



19 



scWeIgen(3e Kritik tei mir an ein tiefer tegründetes jScIjuU- 
gefütl gerülirt liat un<3 icL. mick jetzt für irgendeine ütel- 
tat, die mit der gegenwärtigen meines Vortrages vielleicht 
nur lose verknüpft ist, durck die Redestörung testrafe. 
Ick kake kier ketont, da^ die Selkstkeokacktung deut- 
lick unter dem Zeicken der 5elkstkritik stekt, jener iSelkst- 
kritik, die eine Fortsetzung der ins Ick aufgenommenen 
Kritik der Anderen ist. Ja, man könnte sagen, die (Selkst- 
keokacktung vertrete selkst zu einem großen Teile die 
iSelkstkritik und zeige ikre Akkunft aus der Kritik der 
Anderen gerade dadurck, da^ sie dann auftritt, wenn man 
meint, den Anderen (Stoff zur Kritik gegeken zu kaken. 
Ick will dies an einem anderen, kanalen Beispiel erläutern: 
nekmen iSie an, eine junge Dame ketritt in großer Akend- 
toilette einen iSaal, in dem einige ältere Damen, soge- 
nannte Respektspersonen, sitzen, die in diesem Augen- 
klick ikr Lorgnon an die Augen fükren und die ein- 
tretende junge Dame mit jener Aufmerksamkeit ketrackten, 
die alte Damen eken für junge, einen Ballsaal ketretende 
Gescklecktsgenossinnen kaken. Ick glauke, da^ der Neu- 
ankömmling in diesem Momente self-conscious wird, ick- 
kewu^t, weil sie sick im Bannkreise der kritiscken — fast 
kätte ick gesagt: feindlicken — Lorgnons kefindet. Viel- 
leickt fragt sie sick, ok ikr Kleid nickt zu auffällig oder 
nickt zu tief dekolletiert ist, ok die Frisur ordentlick 
kalt usw. Die Beokacktung durck die Anderen, kesser 
das Bewußtsein des Beokacktetwerdens kat kier sofort zur 
Selkstkeokacktung gefükrt. »Was sckaut sie mick so an? 
Hake ick vielleickt ein Lock im 5eidenstrumpf ?« das ist 




eine so allgemeine weitliclie Reaktionsform, daj^ man sie 
fast einen Automatismus nennen könnte. 

Sie könnten einen Einwand gegen meine Tkeorie, <Ja^ 
die (Seltstteoiacktung sick aus der kritiscken Beotachtung 
der anderen atleitet, leickt formulieren und mir zu meinem 
f rükeren Beispiele etwa sagen : es wäre dock möglick, da^ 
Ikre Ausfükrungen kier keifällig aufgenommen werden, 
Sie das vorkewu^t erkennen und dadurck tesser sprecken, 
zur Fortsetzung Ikres Vortrages ermuntert werden. Ick 
will ganz von der XJnwakrsckeinlickkeit dieser Annakme 
akseken und nur kervorkeken, da^ nickt einmal diese 
pkantastiscke Möglickkeit eine sickere Gewäkr für die 
kelekende und aufmunternde Wirkung auf mick kieten 
würde, sie also jene Hypotkese nickt widerlegt. Gewi-| 
ist eine solcke Wirkung möglick, sie ist aus der narzi^- 
tiscken Ickkesetzung leickt verständlick. Aker erwägen jSie 
auck den anderen möglicken Fall : da^ nämlick gerade die 
keifällige Aufnakme mick kemmt, mick verlegen mackt 
und stottern lä^t, da^ ick mir Ikre Zustimmung und Ikren 
Beifall nickt gönne — z. B. wenn mein unkewuJ^tes iStraf- 
kedürfnis durck die langjäkrige Ausükung des Analytiker- 
kerufes nickt genügend kefriedigt wäre. 

Wir kaken kier eine der ersten Voraussetzungen des 
psyckologiscken Interesses gewürdigt; es gikt aker andere, 
die sick aus der psyckiscken Weiterentwicklung des Kindes 
ergeken. 5ie wissen, wie sick das Ick durck die Intro- 
jektion der Eltern kereickert und wie sick jene kritiscke, 
ükerlekensgro^e Persönlickteit des Vaters in der Instanz 
des Üker-Icks verewigt. Erst kier wird Psyckologie mög- 




Hell. Die primäre Trietteotaditung stand am Anfang; es 
gat da etwas, was sick in Interessengegensatz zu den 
Wünsclien der Umgebung setzte und das teotacLtet, kon- 
trolliert und telierrsclit werden mu^te, ater es war tetannt, 
was das war, und es w^ar Bekannt, w^as die motonscne 
Durchsetzung der Trietregung verhindern wollte. Jetzt 
afcer werden sowolil die iStretungen als auch die verbieten- 
den Instanzen in einem großen AusmaJ|e untetannt, durch, 
die Verdrängung dem Bewußtsein entzogen. iSie wissen, 
daß die Verdrängung gewisser Triettendenzen und Triet- 
ziele mit dem Untergang des Odipus-Komplexes zusammen- 
hängt und welcLen Beitrag das AV^irlien des Üter-Ichs zur 
Aufrecliterlialtung der Verdrängung liefert. 

Die Psychologie kann wie jede andere \v issenscliaft 
erst teginnen, wenn man erkannt nat, daß man etwas 
niclit weiß, was man wissen möchte, also mit dem Ouclien 
nacli den untekannten Gründen und .Zusammenliängen 
der Phänomene . Die Situation in der Psychologie ist nun 
die folgende: die Verdrängungsmächte ließen eine große 
Anzahl Triehregungen, Gefühle und Gedanken in die 
Versenkung fallen; sie sind verschwunden und nur schwer 
erkennhare Ersatz- und Reaktionstildungen, Verschie- 
hungen, Entstellungen und andere, tewußtseinsfähige 
Spuren sind erhalten gehlieten. So ist die Verdrängung 
die Voraussetzung der Psychologie und es hleiht eine 
groteske Vorstellung von wissenschaftshistonscher Bedeu- 
tung, daß die Psychologie, die erst von der Verdrängung 
an datiert, ihr eigentlich ihre Existenz verdankt, den Ver- 
drängungsprozeß so lange verleugnet. Das heißt: es bliebe 




eine groteste Vorstellung, -wenn sie nicm gerade aus 
psycliologisclien Voraussetzungen ertläriar wäre, wenn 
niclit solclie Verleugnung seiist das Anzeiclien der Wirk- 
samkeit des Verdrängungsprozesses wäre. Das wäre etwa 
so, wie wenn ein MenscL sick eine Maske vornenme 
und sick nun fragte, wer er eigentlick ist. Ater diese Vor- 
stellung ist keineswegs so unsinnig, als sie auf den ersten 
Blick sckeint: wir tragen alle Masken und genen uner- 
kannt von Anderen, unerkannt von uns seiest durcns 
Leten. Unsere Kenntnis von der AuJ^enwelt ist sicker- 
lick reckt tesckränkt, ater unsere Ignoranz üter unser 
Innenleien ist fast unkegrenzt. »Nous mourons tous in- 
connus.« Oder es wäre etwa so, wie wenn jemand mit 
sick seltst Verstecken spielte. Auck das sckeint unsinnig 
und dock tun wir das unatlässig, wie die Analyse uns 
zeigt. Denken iSie z. B. an den Prozeß der Analyse; 
man könnte ikn auck so darstellen: der Patient katte, 
tevor er sick in die Analyse tegak, gewi^ viele Bekannte. 
Jetzt mackt er eine neue Bekanntsckaft. Er wird sick 
nämlick selLst vorgestellt; tei näkerem Verkekr lernt er 
sick kennen, seine Fekler und iSckwäcken etenso wie 
seine Gesckickte, die ikm zu einem wesentlicken Teil 
untekannt war. Die meisten Leute verlieren tei näkerem 
Verkekr. Es wäre nickt untegreiflick, wenn der Patient 
im Laufe seiner analytiscken Bekandlung sick manctmal 
sagte: »Mein Gott, wie oft man sick üter die Leute 
täusckt ! « Ater auck andere, aus dem Verkekr der Menscken 
tekannte Reaktionen werden eintreten : der Kranke wird 
mit sick ungeduldig, teginnt, sick üter sick zu ärgern, 

»5 



sicli mit sicn seltst zu streiten, tis er sich mit sicn ver- 
sSlint und sicn zu niliigerem, toleranterem Zusammen- 
leten mit sicli entscnlie^t. Dazu trägt oas in der Analyse 
erwortene Verständnis dafür tei, daJ^ es eine oclieidung 
von sict etensowenig gitt -wie eine Auflösung einer Ene- 
gemeinscliaft im Katnolizismus. 

Kenren wir zur Genese des XJter-Icns und seiner Be- 
deutung für die iSeltstDeoDacntung zurück; sie wies uns 
darauf nin, woner das U ter-Icli seine strengen, kritiscnen 
Züge Iiat. ISTun erinnere ick jSie an die Anleitung der 
kindlicnen iSelDStoeobacntung aus dem Beobacntetw^erden. 
Diese Entwicklung wird auf der Verdrängungsstufe durcn 
das Beotacntetw^erden durcn die introjieierten Eltern fort- 
gesetzt: das XJter-Icn teoiacntet das Icn. Die Institution 
des Gew^issens wird w^ie ein Denkmal, aere perennius, für 
die Introjettion des Vaters ins Icn Zeugnis atlegen. Jetzt 
erkennen w^ir also eigentlick oesser, w^ie jene ijcneidung 
in / und M.e zustande kam : das Üter-Icli hat eine eigene 
Kontrollstation erricntet, w^elcne die variable Entfrem- 
dung zw^iscnen mm selost und dem Icnrest mi^t. Das 
Üter-Icn ist das eigentliclie Movens unserer psyckologi- 
scken Forscnung. Es kann nickt ricktig sein, w^as einige 
Psychologen uns als primäre peltstsckau — so kei^t "wokl 
das scköne AV^ort? — vorgestellt kaben. Zur Psychologie 
gekoren zw^ei — noch wenn sie Introspektion im einsamen 
(Studierzimmer wäre. Das Üoer-Ick, das ins Ick aufge- 
nommene Vater-Urtild, ist jener Zweite. Freud hat einmal 
geschildert, wie der Gefühlskonflikt heim Tode von ge- 
liehten und doch auch gehabten Personen die psycho- 



M 




logisclie Forscmmg entbunden hat. Z-w'ischen Befriedigung 
und Sclimerz, die inn an der Leicne der geliebten Person 
in seinen Tiefen be"wegten, ersann der Mensen unter dem 
Drucke des Ocnuldgefümes jene bösen Dämonen, Pro- 
jektionen seiner eigenen feindseligen Regungen, vor denen 
er sieb ängstigte. 

Das Ion ist in erster Linie ein Apperzeptionsorgan, das 
^V^alimebmungen f estliält ; es ist ursprünglicb auf die AuJgeu- 
■weit gericntet und zur inneren W^abrnenmung ungeeignet. 
Das XJber-Icb ist als An^valt der Innen-welt dem leb als dem 
der Au^en-welt gegenübergestellt. Es ist der eigentlicbe 
stumme Fremdenfübrer im unterirdischen Reiche des 
Seelenlebens. Es darf uns nicht ver-wundem, daJ3 sich 
unsere Aufmerksamkeit zuerst der befremdenden Land- 
schaft und dann erst, umso viel später dem schweigsamen 
Führer zuwandte. Der Anteil des Über-Ichs an der Ent- 
stehung der Psychologie geht von hier aus; sie steht ur- 
sprünglich m seinem Dienste. JMLan hat gesagt, da^ unsere 
psychologische VV issenschaft eine lange Vergangenheit, 
aber nur eine kurze Geschichte bat. Sie w^issen ja, wie 
wenig geeignet der Mensch ist, Geschichte zu treiben, 
aber soweit w^ir die Geschichte der Psychologie übersehen 
können, stand sie überwiegend unter dem Einflüsse reli- 
giöser und sittlicher Vorstellungen. Psychologie hatte ur- 
sprünglich darüber zu w^achen, da^ keine unerlaubten 
Regungen über die Bew^u^tseinsschwelle kommen. Ihre 
Aufmerksamkeit und ^Wachsamkeit w^aren ursprünglich 
darauf gerichtet, solche endopsychisch erkannte Tendenzen 
und Impulse abzuhalten, nach ati^en zu projizieren und 



zu unterdrücken, die Aufrediterlialtung der Verdrängung 
zu sickern. iSie unterscteidet, klassifiziert, experimentiert 
nock lange im Dienste der Verdrängungsmäclite; ikre 
Erkenntnisse wurden im Dienste der Trietkemmung ge- 
mackt. 5o ist das ursprünglicke Ziel der Psyckologie die 
Unterstützung der Verdrängungsvrirkungen auf wissen- 
sckaftlickem Wege. Diese Herkunft der Psyckologie ist 
nock in unseren psyckologiscken Urteilen unsckwer zu 
erkennen j die 5pracke kat diesen Ursprung verewigt. 
Wie ckarakterisieren wir denn einen Menscken? Wir 
sagen z. B., er sei eigensinnig, trotzig, pedantisck. Hören 
Sie da nickt die Stimme des Üter-Icks in unseren psycko- 
logiscken Feststellungen mitklingen? "Wir wollen gewi^ 
jenseits aller konventionellen Ansckauungen und affekt- 
frei keokackten und konstatieren, aker unsere armselige 
iSpracke zwingt uns, einen Unterton von Mi^killigung 
oder Mindersckätztmg in unsere wissensckaftlicken Fest- 
stellungen zu kringen, den wir gerne vermissen würden. 
Wenn ick so die Gekürt der Psyckologie aus dem 
Geiste des Üker-Icks ketone, will ick damit den Anteil 
der Mäckte des Es keineswegs sckmälern. Wir kalten 
uns ja auck gegenwärtig, da^ das Üker-Ick selkst nur ein 
kesonderes, differenziertes /Stück Ick ist. Sie kennen die 
Mitwirkung der likidinösen Kräfte an der Entstekung 
und Entwicklung der Psyckologie, und es war meine Ak- 
sickt, konsequent nur den einen Faden zu verfolgen. Es 
ist kier aker der Platz dafür, zu ketonen, da^ ja die 
Psyckologie als Reaktionsersckeinung nack einem Gefükls- 
konflikt keginntund da^ das Üker-Ick als Erke des Odipus- 



F 



Komplexes noch immer auf libidinöser Grundlage auf- 
getaut ist. VV ie icn bereits andernorts zu zeigen versucht 
Iiate, Iiat das üLer-Icn eine gelieime Entente cordiale 
mit den Mäcliten des Es gesclilossen, deren Bedeutsamkeit 
innernalo der Psyclioanalyse nocn nickt genügend ge- 
würdigt ersclieint. Diese Entente -wird sxcli besonders nach 
zwei Ricntungen liin als "wirksam er-weisen: das Üter-Icli 
wird oft die Befriedigungen unserer litidinösen und aggres- 
siven Regungen decken und es -wird sie lieimlicli ver- 
stärken. Niemals -w^urden unter dem Antriebe der groi- 
sexuellen und grausamen Regungen der Menscken so viele 
Opfer georaclit als der sogenannten Tugend. Kein Raub- 
tier ist grausamer und blutdürstiger als der Menscb in 
seinem sittlicnen und religiösen VS^ann. Die gelieime Ver- 
bindung zwiscnen Moral und Trieb, von oinnlicnkeit und 
Scbuldgefünl scliaflt Triebverstärkungen, die ieine un- 
gebrochene und elementare omnliclikeit zu verlernen bat. 
Erscliüttert und voll Neid -würde der primitive Mensen vor 
den au^erordentlicn ernSbten Lustmöglicbteiten steben, 
die Eros aus dem V erbot ge-wanii und von denen sieb die 
ungebemmte Leidenscbaft nicbts träumen lie^. iSie -wissen, 
wie zurückhaltend sieb die Menscbbeit gegenüber den 
sittlicben und religiösen Bescbränkungen vernält, deren 
reaktivem EinlluJ^ allein sie die Möglicbkeit der iSteigerung 
des Genusses zur Orgie verdankt. 

oie mabnen micb, zvi unserem Tliema zurückzukebren. 
Das Ziel der Psychologie ist, sagten -wir, ursprünglich die 
Sicherung der Verdräiigungswirkungen, aber es ist ähnlich 
wie in der Entwicklung der Religion : wenn der religiöse 



Zwang zu Start, zu lastend geworden ist, kommt eine 
Reformtewegung, welcte den Zwang gerade von reli- 
giösen Voraussetzungen aus weitgeliend mildert oder völlig 
aufliett. »So entwickelt sicli aucli die Psycliologie zu einer 
■Wissenschaft, deren Ziel die Auflietung der Verdrängung 
wird. Sie tritt datei siclier in den Dienst der entgegen- 
gesetzten Tendenzen äe:s Icks, tleitt ater trotzdem in 
einem gewissen Ausmaße vom Uter-Icli atkängig. Denn 
wie sicli einst das scWaclie Icli die Kraft zur Verdrängungs- 
leistung vom Uter-Icli lieli, so leilit es sicli jetzt, erstar- 
kend, die Kraft zur Aufketung der Verdrängung vom 
Uter-Ick. Sie können in Ikrer analytiscken Praxis täglick 
teotackten, da^ dieselke Kraft, die einst kestimmte Re- 
gungen, Gefükle und Gedanken zur Verdrängung ke- 
stimmte, sick Iknen als "Widerstand entgegenstellt, wenn 
es gilt, das Verdrängte wieder dem kewu^ten Ick zurück- 
zufükren. Dieselke Instanz aker, welcke die Verdrängung 
sckafit, das Üker-Ick, kilft in der Analyse, sie aufzukeken. 
Bei Anatole France sprickt ein geistreicker Akke, Di- 
rektor eines Priesterseminars, einmal die nackdenklicken 
Worte: »So groi^ ist die Mackt der tkeologiscken Er- 
ziekung, da^ sie allein fäkig ist, die großen Ungläukigen 
keranzukilden; ein Ungläukiger, der nickt durck unsere 
Hände gegangen ist, ist okne Kraft und okne Waffen für 
das Böse. In unseren Mauern lernt man alle Wissensckaft, 
selkst jene der Gotteslästerung.« 

Dieselke psyckiscke Kraft also, die einst die Einkeit 
des Icks sprengte, muJ| jetzt dazu keifen, sie wieder auf- 
zukauen. Denn diese Einkeit des Icks wird eken durck 



a8 



die weitgeienJe Auflietung der Verdrängungen — als 
Ziel der Psycliologie — -wiederkergestellt. 

Die Psycliologie tegann so ikre Forschung im Dienste 
der psycliisclien Zensur: die Kontrollstation des Ge- 
wissens prüfte die aus der Verdrängung wiedertelirenden 
Trietimpulse und Regungen. Die Entwicklung führte 
nun daliin, da^ die Psycliologie die Existenz solcner 
verdrängten Tendenzen leugnete. Es wäre nur wenig 
ütertrieten, sie in dieser Enfwicklungspnase als eine 
Art Alititeweis auf seelischem Getiete zu tezeiclmen. 
Die Malmung Fvcödi aeavxbv war notwendig, denn die 
Psycliologie war tald die teste Methode zum iSelbst- 
vertennen geworden. Erst spät nat sie sich wieder auf 
ilire Aufgate, die Auftetung der Verdrängung und 
die Erforschung unerkannter seelischer Zusammenhänge, 
tesonnen. Gehen wir von den latenten Tendenzen der 
psychologischen Forschung aus, so liönnen wir sagen: 
sie setzte als Methode zur Gewissenserforschung unter 
dem Drucke des untewu^ten, aus dem Odipus-Kom- 
plex stammenden iSchuldgefühles ein; sie endet als 
Methode zur Erforschung und Bewältigung dieser Ge- 
w^issensangst. 

Indem wir uns hier mit dem Anteil des Üter-Ichs 
und des Gewissens im Ursprung und in der Entwicklung 
der Psyckologie tesckäftigten, sind wir wieder auf die 
Tatsache gestoben, da^ der Mensch nach zwei »Seiten hin 
gewissermaßen üter seine Verhältnisse, üter seinem (Stan- 
dard lett; in der Verleugnung seiner litidinösen und feind- 
seligen Regungen etenso wie in der Verleugnung des 

39 



Anteils, den die dem Uier-Icli entstammenden Gefühle 
an seinem (Seelenleben haien. 

~W^ollen -wir uns von liier aus einen flüclitigen Blick 
auf eine iestimmte Urteilsreattion gegenüber der Psyclio- 
analyse erlauten? Ste katen es alle erlebt, da^ den 
Analytitern von gewisser Seite vorgeworfen wurde, ikre 
Betonung der W^iclitiglteit der Sexualität im Seelenleben 
sei selbst der Ausflu-g einer unsauberen oder lüsternen 
Gedantenriclitung. ^Vir gellen natürlicli liier nicbt auf 
das \V^esen solclier Kritik ein; aucli nicht auf eine An- 
schauung, die zu verlangen scheint, da^ der Psychologe, 
dem nichts Menschliches fremd sein sollte, von jenem 
Geiste gelenkt werde, der schlicht und einfältig sich 

ausspricht : t i t • 1 1 • 

-*- 9j.cn bin Klein, 

Mein Hers ist rein. 

Darf niemand arm sein 

Als Jesus allein.« 

Aber finden Sie es nicht doch sonderbar, da^ man 
nicht den moralischen JMLut sehen wollte, der zur Tiefen- 
forschung des Seelischen gehörte und der vor so belrem- 
deiiden und den konventionellen Anschauungen so wider- 
sprechenden Befunden nicht zurückschreckte ? \V ir meinen, 
hier sei gerade der Platz, der Rolle des uber-Ichs zu 
gedenken, das in der Unnachsichtlichkeit und Uner- 
schrockenheit der Erforschung gerade jener »gefährlichen« 
Seiten des menschlichen Seelenlebens seine VV irksamkeit 
entfaltete. 

Die vergleichende religionsgeschichtliche Forschung hat 
nachgewiesen, da^ es dieselben Götter w^aren, welche einst 




in der düsteren Unterwelt geherrscht taten, die später 
tocn am Himmel tlironten. ^V^er den Acneron in Be- 
wegung gesetzt hat, liat auct die Götter der Oterwelt 
zur Erde lieraogez-wungen. 

Xm. unserem Tkema zurücktetrend, ist es vielleickt 
notwendig zw betonen : oie Existenz bestimmter Mäctte- 
gruppen anerkennen Iiei^t nictt, sicli ilinen unterwerfen, 
lieiigt niclit ilinen Tribut zollen, sondern nur eine psyclio- 
logisclie Realpolitik, treiten. Es ist Mar, da,^ die analy- 
tische Erkenntnis und Atscliätzung der W^irkungen des 
XJter-Iclis nichts mit den Anscliauungen sogenannter 
anagogischer Riclitungen oder der JungscLen Psyckago- 
gie tvi tun taten. ^Wenn wir toctgemuten Psyctologen 
dieser Art folgen, so können wir gar nictt umtin, u.n.s 
als immer und durctaus moralisct zu seten. Oder, um 
mit Anatole France zu. sprecten: w^ir können der gött- 
licten Güte gar nictt entgeten und kommen alle ins 
Paradies, »es sei denn, es gete kein Paradies, was au^^er- 
ordentlict watrscteinlict ist«. "VS^ir meinen eter, da,^ 
die Psyctoanalyse die Wirkung taten könnte, die 
Menscten tescteidener zu macten und sie erkennen zw 
lassen, da,^ sie ein wenig tesser leten würden, wenn sie 
itre Emanzipation vom rein Animaliscten in itren An- 
sictten nictt ütertreiten wollten und in itren An- 
sprücten an itr Ict toleranter sein könnten. Ict neige 
zu der optimistisctcn Ansctauung, da^ die Menscten 
langsam tegreifen werden, wie wenig und wie unwesent- 
lict sie sict vom Tier unterscteiden. Es fällt mir gewi,§ 
nictt ein, die Untersctiede, welcte scton durct die 



! 



Lüge, Jle Religion und die Mordsuclit gegeten sind, 
völlig leugnen eu wollen. 

Gestatten Sie mir zum Sclilusse, den tiefgehenden und 
prinzipiellen Unterschied, ^v^elclier zwisclien der Ein- 
stellung jener moralisierenden Richtungen und der der 
Psydioanalyse gegenüter den Instanzen des Üter-Icks te- 
stek, durcli eine Ideine Gescliiclite zu illustrieren. 5ie 
liaten gewi^ in den Zeitungen mit großer Spannung die 
Berichte verfolgt, die von dem külinen Unternelimen er- 
zählten, den liöclisten Berg der Erde, den Mount Everest, 
zu ersteigen. Die Titetaner nennen ikn Tscliomo-lungma, 
di& »Göttermutter der Erde«, und tekaupten, die grau- 
same Göttin verfolge alle, die sicli ilir näliern, und stürze 
sie ins Verderten. WirMicli stellen die Kälte, die dünne 
Luft, die Lawinen au^erordentlicli gro^e Gefahren dar, 
denen Bereits einige der tülinen Bergsteiger zum Opfer 
gefallen sind. Den verschiedenen, von der Geograpliiscken 
Gesellscliaft in London ausgerüsteten Expeditionen ist es 
trotz der ungeheuersten Anstrengungen und scWer te- 
sclireittarer Strapazen nocli nickt gelungen, den gefälir- 
liclien Berg zu tezwingen. Als nun der Fülirer der Ex- 
pedition von igaa, General Bruce, dem Lama im Kloster 
des Rongtuktales einen Besuck abstattete, konnte sick 
der Priester nickt genug üker die Expedition verwundern. 
Er verstand nickt, warum so viele lekensgefäkrlicke und 
kostspielige Anstrengungen gemackt werden, um den 
widerspenstigen Berg zu ersteigen. General Bruce war in 
einer Verlegenkeitssituation. AVie sollte er dem keiligen 
Manne die Aksickten der Expedition verständlick 



5» 



i 



maclien? Er fand die folgende schöne Antwort: die Ex- 
pedition sei eigentlicli eine AV^allf alirt j die Religion der 
Königlicnen Geograpliiscnen Gesellscnaft gebiete inren 
Gläubigen, alle unbekannten Gipfel der \V'^elt zu be- 
dien und zu verenren. 



suchen unc 



Reik. 3 



33 



Psychologie und Depersonalisation 

Nacli Vorträgen im Letrmstatut der "Wiener Psyclioanaly tischen 
Vereinigung (Januar — Fetniar 1926) 



Die Depersoiialisationsersclaeinungen liaten für uns ein 
doppeltes Interesse. Es läj|t sicli sclilagwortartig, in der 
durcli Ausdruclcsvertürzung feedingten Vergröterung fest- 
legen : die Psycliologie der Depersonalisationszustände und 
die Bezieliungen zwisclien Psycliologie und Depersonali- 
sation. XJter teide Gegenstände existiert tereits eine aus- 
fütrliclie Literatur. Linerlialt der Analyse liafeen uns die 
Arfeeiten von Nunterg und jScliilder wertvolle Auf- 
iläi-ungen zur Genese und zu den Meclianismen der 
Depersonalisation getraclit. Die folgenden Bemerkungen 
■wrerden zweierlei enthalten: neue Forscliungen zur De- 
personalisation, die feisKer Unfeeaclitetes liervorliefeen (netst 
Korrekturen und Ergänzungen der von den Autoren tis- 
ker gegetenen Auskünfte), und Bemerkungen üter die 
Beziekungen zwisclien Depersonalisation und Psyckologie. 



54 



Der fragmentariscne und einseitige Cnarakter dieses Bei- 
trages sei von vornherein tetont. 

Die Entfremdting, welcke das Icli und die Außenwelt 
in der Depersonalisation erfaliren, -wird allgemein als das 
cliarakteristisclie jMerliiiial dieser Zustände tezeicnnet. 
Entfremdungsgefülile ersclieinen indessen aucli in anderen 
Kranklieitsgruppen. Die Entfremdung der Depersonali- 
sation ist spezilischer Art und prägt sicli in typisclien, 
von allen Beonacntern übereinstimmend tesclirietenen 
Formen aus. TNatürlicn gibt es mnerlialt dieser typisclien 
Bilder individuelle V ariationen, ater -wer viele Fälle von 
Depersonalisation gesellen oder aucli nur die ausfülirliclie 
Kasuistilt studiert liat, kann sicli dem Eindruck der 
Gleicliartigkeit der Hauptsymptome nickt entzielien. Es 
lä^t sicli leiclit uacn-weisen, da^ es verschiedene Grade 
und Nuancen innerlialo der Depersonalisation gitt; die 
leiclite und passagere Entfremdung gekört ebenso liieker 
-wie die sck-were iStörung des oelostgefükles. Durck ge- 
kaufte Beobacktung kann man leickt die Überzeugung er- 
langen, da^ dieselken iSymptome, -welcke in den sck-weren 
Fällen so auffallend den Vordergrund tekerrscken, an- 
deutungs-weise auck in den leickten ersclieinen. Bestimmte 
Züge sckeiden das Bild der Depersonalisation von dem 
nakestekender patkologiscker Zustände. Die Entfremdung 
wird von dem Kranken nickt nur teotacktet, sondern 
ikr krankkafter oder zumindestens atnormaler Ckarakter 
wird erkannt. Die Patienten konstatieren nickt nur, da^ 
sie -weder Lust nock iSckmerz, -weder Lieke nock Ha^ 
verspüren, sondern sie beklagen sick auck dariiker und 

3' 35 



empfinden diesen Ausfall als Manto. An Stelle der Un- 
mitteltartelt und Letliaftigteit der Empfindungen und 
GefüUe ist eine atnorm erLölite und präzisierte Seltst- 
teotaclitung getreten. 

Gellen wir von diesen Zügen aus. /Scliilder wie andere 
Beotacliter taten gezeigt, daf3 die otjektive Untersuctung 
die Intattteit der 'Walirnelimungsleistungen der Kranken 
ergitt. Die natürlichen Affektreattionen in Mimik, Hal- 
tung usw. teweisen, da^ von einem völligen Feklen der 
Empfindungen und Gefülile keine Rede sein kann. Den- 
nocli müssen wir den Kranken Glauten sckenken: sie 
geten mit der Besckreitung ikrer Introspektion etwas 
"Walires, wirklicli Wakrgenommenes wieder. 

Ist es also wirklicli ein Minus an Empfindungen und 
Gefütlen, das wir in der Depersonalisation finden? Ja 
und Nein. Es ist siclierlicli eine Verminderung der Ge- 
fükls-und Affektstärke sowie des letendigen, der Außen- 
welt zugewandten Interesses, soweit das tewußte iSeelen- 
leten in Betrackt kommt. Dock liegt diesen Zuständen 
nickt ein Minus an Affekttesetzung, sondern im Gegen- 
teil ein Plus zugrunde. Die Analyse zeigt die Depersonali- 
sation als einen tesonderen psyckiscken Zustand, in dem 
sick das Ick dem Ansturm und der ütermackt testimmter 
Erleknisse zu entzieken suckt. Es kandelt sick also um 
einen Flucktversuck des Individuums vor Gefüklen und 
Affekten, denen sick das Ick nickt gewacksen füklt. Die 
seeliscke Situation könnte in tezug auf Gefüklsreicktum 
und -armut etwa durck folgenden Vergleick gekennzeick- 
net werden: ein reicker Mann kat sein Geld vergraken 



36 



und teilagt sich nun üter seine Armut und die Not, 
die er zu leiden nat. Fügen wir ninzu, da^ er das v er- 
stect vergessen hat oder da^ es zeit'wreise unzugänglich ist. 
Entspricht seine Klage nun nicht den Tatsachen? Ist der 
Mann nicht ■wirklich arm? Er ist in vV^ahrheit ein armer 
Reicher. 

Der Gegensatz eines he-wu^ten, ausgesprochenen und 
beiJagten Minus an Gefühlsintensität und der unhe-wu^ten 
Erkenntnis des Beobachters, da^ es sich um eine Reak- 
tion auf ein vom Ich nicht bewältigtes Plus an Affekt 
dahinter handelt, erzeugt jenen »schwer zu beschreiben- 
den /Schein des Unechten und Gemachten« (iSchilder), 
den die Depersonalisationserscheinungen hervorrufen. 

Die analytische Erfahrung zeigt, dajg die Depersonali- 
sierung immer auf ein schweres Erlebnis oder einen nicht 
bew^ältigten psychischen Konflikt (äußere oder innere Ver- 
sagung) zurückgeht, also ein ungewöhnliches Ausmaß an 
Affektentwicklung voraussetzt. So stellen sich die Deper- 
sonalisationserscheinungen besonders häufig und typisch 
in einem bestimmten Zwischenstadium des Ambivalenz- 
konfliktes ein. Ein Beispiel: eine junge Frau, die in 
analytischer Behandlung stand und zwischen starken be- 
wußten Haßgefühlen und unbewußten Eiebesregungen 
gegenüber ihrem Gatten schw^ankte, durchlebte in der 
Analyse noch eine Steigerung des Konfliktes. Da sie m 
ihrer Ehe ungew^öhnlich viel Leid erfahren und sich des- 
halb von ihrem Manne getrennt hatte, meinte sie, alle 
Ursache zu haben, mit feindlichen und bitteren Gefühlen 
an ihn zu denken. Aber ihr Unbewußtes hielt die Er- 



3;r 



innerung an die glücltliclie Zeit vor der Heirat und im 
ersten Eliejakr fest; sie lieite iliren Mann nocli immer 
und selinte sick nacL ikm. Bewußt waren nur feindljclie 
oder atwetrende iStretungen gegen ilin und seine Ver- 
wandten, welclxe die Elie erketlicli gestört Latten, vor- 
fanden. Von einander so widerspreclienden GefüLlsrügen 
Ilin- und liergeworfen, liatte sie iliren Gatten bereits 
einige Male verlassen und war wieder su ihm zurück- 
gekelirt und Iiatte sick wieder von ilim getrennt, da ein 
Zusammenleten durcli testimmte Umstände unmöglicli 
sctien. Die in der Analyse tald auftretende Konflikt- 
Steigerung war dadurcli tedingt, da^ die untewu^ten 
Lietesregungen dem Bewußtsein naLegetrackt und alle 
Widerstände gegen iliren Durclitrucli mobilisiert wurden. 
Auf dem Hokepunkt dieser Erregungszustände trat nun 
ein ausgesprockener Depersonalisationszitstand auf, der 
fast alle kliniscken (Symptome dieser Erkrankung zeigte 
und in dessen sickttarem Vordergründe die Klage der 
Patientin üker die Ickentfremdung sowie üker ikre völlige 
Gefükls- und Interesselosigkeit stand. 

In diesen und anderen Depersonalisationszuständen, 
welcke den Ausgang außerordentlick verstärkter Amfci- 
valenzsckwankungen wäkrend der Analyse kildeten, wurde 
es ersicktlick, daß die Psyckogenese der Depersonalisation 
durck die "Wirksamkeit von Versckietungs- und Verall- 
gemeinerungsmeckanismen mitkestimmt wird. Die Zurück- 
ziekung der Likido, welcke Nunkerg mit Reckt als eine 
wesentlicke Bedingung der Depersonalisation ansiekt, katte 
an einem kestimmten Punkte, der Beziekung zu dem 



38 



Gatten, eingesetzt, -war auf andere, damit in ^iisanimen- 
liang stellende Otjette und Relationen allmänlicli ver- 
sclioten worden, tis sie sicli auf alle Lebensgebiete er- 
streckte. Da sie alle Personen und Dinge ringslierum 
untewu^t in Zusammenliang mit inrem Manne tracnte, 
versclioi sicL ilire angetliclie Gefühls- und Interesse- 
losigkeit auf ilire Kinder, iliren Hausnalt, inre Freunde us\^. 
Alles erscliien ilir tald innaltsleer, wesenlos, sie seilst 
konnte -weder Lust nocli ocnmerz empfinden. »SclieinDar 
-war affektlose Seltstteotacktung an die iStelle der frülieren 
letliaften Gefülile getreten. Es ist gut möglich, die psy- 
ckisclie \\^irksamkeit der Verschietungs- und Verall- 
gemeinerungsarteit in jedem Fall von Depersonalisation 
in durcligefülirter Analyse zu studieren. Ein großer Teil 
der psycliologisclien Rätselhaftigkeit der Depersonali- 
sationspnänomene erledigt sich auf solchem VV' ege, durch 
Aufdeckung der Verscliiebungsmechanismen und Reduk- 
tion der Depersonalisation auf ihren Kern, die einzelnen 
Erlefcnisse, von denen sie ursprünglich ausgegangen -war. 
So -werden die assoziativen und affektiven V erknüptungen, 
-welclie in der Verallgemeinerung der Depersonalisation 
aufzeigiar sind, -wichtig. Als ein Motiv solcher Verschie- 
hung lä^t sich das unLe-wu^te Gefühl erkennen: -welches 
Literesse sollte icn an dem oder jenem, an dieser iSache 
oder jener nekmen, -wenn das, -was das wichtigste ist, mich 
nickt interessiert? ^W^ir stoßen hier zum erstenmal auf 
psychologische Gemeinsamkeiten zwischen Depersonali- 
sation und Z-wangsneurose. Die iStörung der Liehesfähig- 
keit fükrt in der Zwangsneurose zur Herrschaft des 



5g 



II!;! 



Z-weifels, der sicli sclilieJ^licIa auf alles versckiett, in der 
Depersonalisation zur Zurüctsiekung der Lioiaobesetzung, 
Jie sicli am Ende auf alle Personen und Beziekungen 
erstreckt/ 

Die erste Depersonalisationspkase Lei unserer Patientin 
— sie katte im Laufe der Psyckoanalyse mekrere — trat 
plötzlick, für sie selbst unerwartet ein;, nackdem der 

i) Es scLeint mir, Ja^ diese enge V erwanatscnalt oisner nicnt 
cewiirdigt -wuroe. Unser psycnologiscnes v erstänanis der Depersonali- 
sation ist auJ^erordentkck unsiclier und Lescliränkt, ikre Abgrenzung 
gegen andere ^Neurosen nocn Keineswegs geglückt. \Vir nahen nicnt 
einmal gute, d. li. in die Einsellieiten genende Deskriptionen der 
Depersonalisationsersclieinungen, so aufscnlu^reicn auch die in der 
Kasuistik ersclieinenden Falle von ScLilder, NunLerg, Oster- 
reick usw. sem mögen. 

Die Älinkckkeiten der latenten Bedeutung einzelner ^wangs- 
symptome und Depersonalisationssyniptome gelien olt djs in die Details. 
Ein Verständnis der immanenten, unoewuJ^ten Logik, die Leiden psy- 
cliiscken Produktionen gemeinsam ist, kann onne analytische Unter- 
suckung nickt erreickt werden. Man vergleicke et^va Aulbau und 
gedanklicken Inkak der folgenden Sätze, die den latenten unbewußten 
Sinn einer J^wangssymptomengruppe und einer Gruppe von Deper- 
sonalisation sersckeinungen umsckreioen: i) ick kann dock nickt sicker 
sein, ok keute Dienstag oder Älittwock ist, das Geld eckt oder lalsck, 
das Essen gut oder sckleckt ist, wenn ick nickt weiß, ok ick meine 
Frau lieken kann, s) Ick kann dock kein Literesse dafür kaken, ok 
heute Dienstag oder Mittwock ist, das Geld eckt oder falsck, das 
Essen gut oder sckleckt ist, wenn ick mick nickt einmal für meine 
Frau interessieren kann. Die immer wiederkolte Bekauptung eines 
intimen psyckologiscken ^usammenkanges zwiscken der Depersonali- 
sation und der Hysterie gekört zu jenen gekeiligten, unergründlicken 
und unricktigen Traditionen der psyckiatriscken Lekrkücker, die uns 
immer wieder mit tiefer Ekrfurckt vor dem mäcktigen konservativen 
Geiste Äer W^issensckaft erfüllen. 



40 



Höliepunkt des AmbivalenzkonflilLtes erreicnt war. Es 
■«rar, ■wie -wenn dieser Zustand die Peripetie der Erregungs- 
rustände ieeeicnnete. iSie oetlagte sich über den Alangel 
aller Gefünle und Interessen, über ihre Gleicngültigkeit, 
über das Fremd-wrerden und Fernerrücken inrer Umgebung. 
Eine scnarfe, scbeinbar gefünlsleere iSelbstbeobacntung 
stand im psycniscnen Alittelpunkte. Es war, wie wenn 
sie sicn in eine psycnologiscbe Beobacntungsstation ver- 
wandelt nätte. V on nier lä^t sicn die aflektdynamiscne 
und aflektökonomisclie Bedeutung der Depersonalisations- 
zustände erlassen: sie sind eine Art geneimer VS^affen- 
stillstand in dem Konflikt einander widersprecnender, 
starker psycmsclier Kräfte, w^elcne einander scnlie^licn 
annänemd die AV^age kalten. In der Fortfünrung und 
W^iedernolung des Ambivalenzkonfliktes in der Über- 
tragung kam es später wieder zu einer Depersonalisation. 
Die anscbeinende Interesse- und Gefünllosigkeit gegen- 
über der Analyse sow^ie dem Analytiker bildete jetzt 
den Ausgangspunkt. Die Patientin, w^elclie durcn viele 
W^ocnen zwiscnen positiver und negativer Übertragung 
gescnwankt natte, erklärte plötzlicn, sie verspüre weder 
Liebe noch Ha^, w^eder Achtung noch Mißtrauen mir 
gegenüber, ich sei ihr völlig gleichgültig. Die Analyse- 
stunde begann sie, indem sie mit gelangweilter otimme 
sagte: »Mir ist alles' gleichgültig, alles scheint mir ohne 
Interesse. Ich könnte Ihnen jetzt sagen, da^ ich Sie liebe 
oder hasse. Es ist ganz gleich, es ist so, wie wenn es 
mich nichts anginge.« Ebenso gleichgültig stehe sie jeder 
Beschäftigung, jeder Unterhaltung, ja, ihrem eigenen Leiden 



41 



gegenüter. jSie sehe allem zu, am meisten sich seihst. Die 
Patientin -wunderte sich seihst, wie das möglich sei, da 
sie noch kurz vorher von so heftigen Gefühlen hewegt 
war. Ein anderer Depersonalisationszustand trat ein, als 
die Hoffnung auf AV^iedervereinigung mit dem Gatten 
durch ein unerwartetes, unüherwmdhares Hindernis zu- 
nichte -wurde. Vorher -svar sie voll von Plänen gewesen, 
hatte sehnsüchtig dem vN^iedersehen entgegengesehen, ihre 
^-weifel heiseite zu schiehen ge-wuJgt. Als sie die Nachricht 
erreichte, daJj eine Vv ledervereinigung für lange Zeit aus- 
geschlossen schien, schlug ihre otimmung jäh in Deper- 
sonalisation um. Der oben heschriehene Aiechanismus der 
Verschiebung und Verallgemeinerung trat wieder in M^irk- 
samkeit. Otwohl hier ein äußeres, von ihrem vN^ollen 
unabhängiges Hindernis den vVeg ihrer Gefühle kreuzte, 
wäre es doch kaum zur Depersonalisation gekommen, 
w^enn die äußere Versagung nicht Anschluß an die noch 
immer w^irksame unhe-wuJjte Feindseligkeit gegen den M^anii 
gefunden hätte. Die Beobachtung läJ^t uns zu dem Ochlusse 
kommen, dalj im allgemeinen nähere Beziehungen z-wi- 
schen Ambivalenz und Depersonalisation bestehen, dalj 
eine in erster Linie konstitutionell gegebene und durch 
infantile E-rlebnisse verstärkte Ambivalenzneigung den 
günstigsten Nährboden für Depersonalisationszustände 
schaffe. Die Ambivalenz ist natürlich nicht die einzige 
psychologische Voraussetzung der Depersonalisation.^ Die 

i) Der affektive Brucn mit der eigenen v ergangenneit so-svie der 
A.D-welirvorga«g oei der Aniiäuerung au sie oder Elemente von inr 
ergeoen günstige psycLologiscne V oraussetzungen für die Depersonali- 



4» 



)^'W^idersprocIienlieit« der Erletiiisse, die iScliilder der 
Depersonalisation als -wesennaft ziisclireitt, reduziert 
sicli tei eingellenderer Beooacntung auf den Gegensatz, 



sation. Em Patient geriet m einen depersonalisierten Zustand, sobalcl 
er ein Stück Icn aus oer V ergangenlieit anerkennen sollte. So oft er 
an Äie eigene Kindneit oacnte, kam es zu einer Gefünlssperre, m der 
er sJcli sagte, dieses Icn sei ein anderer Mensen, oder es sei nicnt 
jn5glicli, Ja^ er derselbe sei. Eine Patientin, die nacn dem Tode einer 
Schwester eine tiefgehende Cnarakterveränderung diircLniacnte, zeigte 
in der Analyse, wenn die Erinnerung an jene ^eit der Kindneit auf- 
taucLte, Depersonalisationszüge. Sie stand dieser Z-eit fremd gegen- 
üLer und oenauptete, diese v ergangenkeit genöre nickt zu ikr. Eine 
andere Kranke, die sick nacn einem testimmteu Manne seknte, so- 
lance er anwesend war, und ikn m ikre sexuellen Pkantasien verwoo, 
zeigte eine partielle Depersonalisation, sobald der Erseknte anwesend 
war. Oas Gefükl der Gefükls- und Interesselosigkeit bekerrscnte sie 
in dieser Situation völlig, daneben trat eine präzise Selbstbeobacktung 
auf. Die Depersonalisation ersckien hier, da etwas nur in der Pnan- 
tasie erlaubt, in der Realität versagt war, als Ausweg. Äknlicli ist 
der Fall einer anierikaniscken Patientin, die in der Ivircke stunden- 
lang in Depersonalisation verfiel. Als balbwücksiges JMädcnen ge- 
körte sie einer jener saklreicken Sekten an, die ikr Heil vom Eintritt 
der Gnade erwarten, Sie wollte gerne gläubig sein, aber ikre Zweifel 
waren su stark. vV enn sie stundenlang in der K.jrcke aul das Herab- 
konrmen der »grace« vergebens gewartet katte, trat ein Depersonali- 
sationssustand mit Autoskopie ein. Den psyckiscken ^usamiuenkaug 
mit der Ambivalenz zeigt wieder klar der Fall einer Patientin, die 
wäkrend der Todeskrankkeit der JMiitter oft neben dem Krankenbette 
saJ^. Wenn das etwa dreizebnjäbrige Mädcken am Bette der Mutter 
sitzen durfte, sollte sie dies als Privileg betracbten, aber sie kam bald 
darauf, daj^ sie diese ^eit nicbt liebte und da^ sie die Stunden, welcke 
sie da zubracnte, zämte. Als sie diese Gefükle in sieb bemerkte, kam 
ein tiefes Ersckrecken über sie, weil sie solcke Gedanken kegen konnte. 
Wenn immer sie später zur Mutter kam, trat ein ausgeprägter passa- 
, gferer Dcpersonalisationszustand auf, der laugsam wied[er abklang. 

45 



den eine Trietregung diircli andere oder durch äui^ere 
Hemmungen erfäkrt. Die Gegensätze auf dem Walir- 
nelimungs- oder intellektuellem Felde sind von sekun- 
därer Art. Es scteint demnacli, als würde unter noch 
nicit nälier tetannten Umständen die Depersonalisation 
dann eintreten, wenn ein Konflikt zwischen annähernd 
gleicli starten Trieiregungen eine iestimmte Stärke er- 
reicht liat oder eine testimmte Zeit angedauert nat. 
Die Uniestimmtlieit dieser Aussagen entspricht dem 
gegenwärtigen Stande unserer analytischen Kenntnisse. 
W^ir liaten vielleickt Ursaclie, uns der Bescliränktheit 
unseres AVissens zu scliämeii, aier kein Recht, sie zu ver- 
sclileiern. Sogar Sckilder gitt zu, daj^ die Momente, 
welcke dazu füLren, da^ eine Neurose vom Zustandsbild 
der Depersonalisation telierrscht wird, unoekannt sind:^ 
»Die Arteiten von Atrakam und Nunterg, welche 
die Litidoumstellung teleucLten, geten üter diesen Punkt 
etensowenig Auskunft wie meine eigenen Beoiachtungen.« 
Nekmen wir an, da^ ein aktueller Amtivalenzkonflikt 
, ■ eine der psycniscnen Grundsituationen darstellt, aus denen 
die Depersonalisation erwächst, so stellt sicli die Deper- 
sonalisation als passagerer Interferenezustand von zwei 
einander w^iderstreitenden, annänernd gleicnstarken seeli- 
scLen Stretungen dar. Es wäre nicnt unpassend, diesen 
Zustand in Anleknung an einen anderen Ausdruck der 
Psycliopatliologie als »unfreies Intervall« zu lezeicnnen. 



i) Scliil(iei': Entwurf zu einer Psycniatrie auf psycuoanalytischer 
Grundlage. 1936. S. ^3. 



44 



Der in ihm empfunclene JMangel an Gefülilen ist als 
Reaktionserscheinung auf einen Höcnstaufw^ana aix un- 
tewu^ten Affekten zu verstenen. Ein Vergleich bietet 
sich hier dar: nehmen w^ir an, ein Staat hahe lehhaften 
Appetit auf ein iStück überseeischen Landes, das er seinem 
Kolonialbereich einverleihen -will. AS^enn andere stärkere 
jMächte voraussichtlich jede Aktion, die zur Einverleibung 
des Landes führt, verhieten oder -wenn die innere Lage 
eine solche unmöglich macht, "wird es häufig vorkommen, 
da^ der hetreffende Staat sein Desinteressement an der 
Frage erklärt. Aher kein Politiker ist so unerfahren, dies 
als ernsthaftes Aufgehen des Planes anzusehen} jedermann 
wei^, da^ es sich nur um einen zeitweiligen Verzicht 
unter Vorbehalt handelt. Die Depersonalisierung stellt 
eine Art zeit-weiliger Anästhetisierung des oeelenlebens dar. 
Aber eine solche Anästhesie wird nur dort gehraucht, wo 
es gilt, den Schmerz zu verhindern oder zu mildern.^ 
Dieser Präventiv- und Reaktionscharakter der Deperso- 
nalisation liefert Aufklärungen nach verschiedenen Rich- 
tungen hin. 

n 

Es ist zu betonen, aa^ die Depersonalisierten nicnt nur 
qualitative, sondern auca manniglaclie quantitative v er- 
änderungen inres Oeelenleoens oemerten und teklagen. 

t ) Dieser V erglexcn trifft oesonaers mit Hinolick aul jene Jje- 
personalisationssustänoe zu, ■welcne mancue M.enscnen gerade m den 
wicntigsten und scLicksalsoedeut enden Situationen inres Lebens ver- 
spüren. 

45 



'i 



1 



Es lassen sicli zwei Hauptformeii deutlicli untersclieiden, 
die durcli zalilreiclie ütergänge vertunden sind. Die 
Kranken sagen, sie seien manchmal lustig oder traurig, 
ater es sei niclit die riclitige Lustigkeit, die Trauer sei 
nickt tief, ikr Ärger kätte etwas Äui^erlickes, ikre Gefükle 
seien kla^ oder nickt real us^k^. In anderen Fällen wird 
nur die Klage darüker laut, da| jedes auftauckende Ge- 
fükl der jSelkstkeokacktung unterliege und so seinen ele- 
mentaren Ckarakter verliere.' Andere Patienten ketonen 
wieder, da^ das Aktlvitätsgefükl, das wir gewöknlick mit 
unseren Regungen und Gedanken verkinden, verloren- 
gegangen sei. Es denke in iknen; es wird gefüklt oder 
gewünsckt, aker die Innere Antellnakme fekle. Die zweite 
Hauptform ist durck den sukjektlv empfundenen, völligen 
Mangel an Gefüklen, Trlekregungen und Interessen ckarak- 
terisiert. Die Kranken kekaupten, weder Trauer nock Ver- 
gnügen zu verspüren, alles sei iknen gleickgültig usw. 
Es wäre verlockend anzunekmen, da^ in diesen keiden 



i) Eine älinlklie Einstellung ist tei Frauen mit AnästLesie ttn<l 
liei Männern mit Potenzstörungen manclimal mit Jem Sexualverkelir 
vertunJen. So tericket eine frigije Frau, Ja^ sie wälirenJ des Koitus 
völlig teilnalimslos sei und sict auf Seltstteotaclitung tonzentriere. 
Manclimal müsse sie an völlig belanglose Dinge, etwa an ilire Kom- 
missionen usw. denken. Als männlictes Gegenstüct sei der Fall 
eines Patienten erwätnt, der im Sexualvertelir nur sctwacLe Emp- 
findungen und GefüUe tatte, die er sctarf fceotacLtete ; er verliielt 
sicli im Koitus passiv und maclite keinerlei Bewegungen; auch zeigte 
er keine Anzeiclien irgendeiner psyctiscLen|TeiInakme. Er fcericktet 
in der Analyse, eine Prostituierte, mit der er in London in dieser 
Art verkekrte, kake ikn wäkrend des Aktes sarkastisck gefragt: „Do 
you want a neivspnper?" 

46 



Formen die Abscli-wächung der Affekte die empfundene 
Affettlosigkeit einleite, da^ sie sicL wie Initialstadium 
und spätere völlige Ausprägung desselten Zustandes ver- 
halten. Tatsäclilicli ist in einer ganzen Reilie von Fällen 
diese Abfolge zu konstatieren. Das Beotaclitungsmaterial 
erweist sich aber der AUgemeingültigkeit einer solclien 
Annakme als ungünstig. Man mu^ vor allem darauf Iiin- 
weisen, da^ viele Fälle nur eine der beiden Formen seigen, 
es bleibt etwa bei der Abscbwäcbung der Affekte oder 
die völlige Affekt- und Interesselosigkeit setzt scbeinbar 
unvermittelt plötzlicb ein. Die psycbologiscben Differenzen 
der beiden Formen sind ebenso klar wie ibre Gemein- 
samkeiten. Die Neurologen zeigten bisber wenig Interesse 
für solcbe Nuancierung. Die Kranken, deren gutes Reckt, 
sieb für ibre eigenen seeliscben Zustände zu interessieren, 
scbwer bestreitbar ist, zeigen indessen ein ausgezeicbnetes 
Verständnis der Differenzen der zwei psyckiscben iSitua- 
tionen. E-in Depersonalisierter aus meiner Beobacbtung, 
der beide Zustände an sieb kennen gelernt Iiatte, kielt 
sie aucb in der Bescbreibung auseinander; er nannte jene 
Form, welcke durcb Gefüblsentfremdung und Gefübls- 
unecbtbeit mit Autoskopie cbarakterisiert wird, den Zu- 
stand des »oickselbstzuscliauens« oder weit treffender der 
»Entpersönlicliung der Gefüble«; die andere Form völliger 
Gefübls- und Interesselosigkeit batte er als «Gefflbls- 
starre« bezeicbnet. E-s empfieblt sick tatsäcklicb aus dia- 
gnostiscben und prognostiscben Gründen, die beiden Zu- 
stände auck in der Namensgebung zu untersckeiden. Es 
sei vorgescblagen, die erste mildere Form als Detaclie- 



47 



ment {des Affektes, des Interesses) zu tezeictnen, den 
Namen Depersonalisation im engeren iSinne für den 
Zustand der zweiten Art vorzutekalten. Die Notwendig- 
keit aus dem großen iSymptomenkomplex der Deper- 
sonalisation den typiscken Zustand des Detackements at- 
zugrenzen, ergitt sick auck daraus, da^ diese Art der Ein- 
stellung den ükergang zwiscken patkologiscken und nor- 
malen psyckiscken iSituationen kilden kann. 

Im Sinne unserer Auffassung der Depersonalisation 
als Akwekrersckeinung lassen sick keide Formen unge- 
zwungen erklären und ikre Differenzen auf Versckieden- 
keiten der vorangekenden psyckiscken Situation zurück- 
fükren. Anders ausgedrückt: das Ausmaß der Reaktion 
wird sick in der Differenzierung dieser Formen Ausdruck 
versckaflen. Die Likidoentziekung wird sick z. B. als 
Reaktion auf ein Höckstausma^ von Likidokesetzung 
unter dem Einflüsse einer äuj^eren Versagung durcksetzen. 
In diesem Falle wird sick sckeinkar plötzlick und un- 
vermittelt jene Form der völligen Interesselosigkeit ein- 
stellen. Der oken kesckriekene Fall meiner Patientin, 
welcker das Zusammenleken mit ikrem Manne unmöglick 
ersckeinen lie^, gekört z. B. in das Gekiet der Deper- 
sonalisation im engeren Sinne. Der Zustand entsprack 
vergleicksweise der Heftigkeit eines Sturzes aus großer 
Höke, der eine sckwerere Störung kringt als ein solcker 
aus mäßiger Entfernung. Aker auck die Reaktion aus 
einer gesteigerten Amkivalenzspannung kann zu solcker 
Depersonalisationsform fükren. Die äußere Form, die der 
Gefüklsaksckwäckung des Detackiertseins, wird sick dann 



^ 



48 



durchsetzen, -wenn die Litidoentzienung niclit plötelicli 
oder nicnt in demselten Ausmaße erfolgt. Auct die üter- 
gänge von der einen Form zur anderen werden von nier 
aus verständlicn. vVenn die ^urüctzienung der Litido- 
tesetzung bis zu einem gewissen Ausmaße erfolgt ist, tann 
es zum V ersuch der neuerlichen Litidotesetzung tommen, 
gegen den sich nun intrapsychische oder äußerliche Hin- 
dernisse erhehen. Die dadurch tedingte reaktiv verstärkte 
Ahwehr wird schließlich zu einer Ausdehnung und Inten- 
sivierung der Depersonalisation führen. Die Atmilderung 
oder Einschränkung der Depersonalisationserscheinungen 
wird zum deichen der neuerlichen Otjekthesetzung. 

Der Ahwehrcharakter der Depersonalisation läßt sich 
in der analytischen Aufklärung ihrer Genese auf allen 
Gehieten erfassen: der Kranke, der sich durch lange Zeit 
mit aller verfügbaren Energie gegen quälende Gedanken 
zur VV ehr gesetzt hat, steht ihnen nun aflektlos gegen- 
üter. Den ursprünglich üterhetonten Gedanken ist ihre 
Auektoetonung entzogen.^ Der Kranke hört sich gleich- 
sam denken und sein Denken läuft jetzt automatisch ah, 
wie eine interne Grammophonplatte. Man hat sich offen- 
bar um das Verständnis der psychischen Mechanismen 
solcher hesonderer Gedankentätigkeit gehracht, wenn man 
sie als Ideenflucht im ütlichen iSinne hezeichnet. Unter 
einem hestimmten Gesichtspunkte wäre freilich gegen diese 
Bezeichnung nichts einzuwenden. Man müßte es nämlich 

i) Die AlinlicLkeit dieser psycliiscliea Haltung gegenüter Jen 
eigenen Gedanken uni der AffektläLmung <Jer Zwangsneurotiker 
ist klar. 



Reik. 4 



49 



wagen, unter Ideenfluclit gerade das Gegenteil dessen zu 
verstellen, was unsere Psychiater darunter meinen: die 
Fluclit vor einer oder melireren Ideen. 

In testimmten Fällen tommt es zu einer Denkhemmung, 
in der die Kranken klagen, da^ sie niclit denken können. 
Die Bezieliung dieses iSymptoms zu den analogen Störun- 
gen der 2^-wangsneurose ist Mar. Eine Patientin, die in 
einer Depersonalisation inre Interesselosigkeit aucli in 
dieser Unfäliigteit zu denten temerkte, gab selLst die 
Erklärung, indem sie sagte: »Icli will lieter nicht denken, 
weil ick sonst zuviel denken mü^te.« Diese Kranke, von 
der vorlier tereits die Rede war, stellte eines Tages, 
naclidem itre Gedanken durcli viele Monate um ikren 
Mann gelireist Latten, üterrasclit fest, da^ sie gar nickt 
melir an ikn denlte. Ikre Depersonalisation setzte damit 
ein, und versckok sicli scklie^lick so weit, da^ sie später 
erklärte, sie denke ükerkaupt nickt und »an nickts«.' 
Einmal erklärte die Patientin in jenem ükergangsstadium, 
das von der Depersonalisation zur neuerlicken Okjekt- 
tesetzung fükrt, seltst, da^ sie sick üker ikre Affekt- und 
Interesselosigkeit nickt mekr wundere, da sie in letzter 
Zeit so vieles Sdimerzlicke erlekt kake. Mit dem jenen 
Kranken eigenen und eigenartigen psyckologiscken Ver- 
ständnis setzte sie kinzu: »Gar nickts mekr füklen, so 
ist es gut.« Die Wirksamkeit der Versckiekungs- und 
Verallgemeinerungstendenzen in diesem Falle war be- 
sonders leickt zu keokackten. Ein Patient, dessen sckarl 



l) Die analytiscli nacliweistaren Durclitrücke dieses Nichtdenkens 
tcKOgen sick alle auf Jen Alann. 



60 



ausgeprägte Depersonalisation kurz nacL Erhalt der Nacn- 
riclit einer scliw^eren Erkrankung des Vaters eingetreten 
■«rar, zeigte neben völliger Interesselosigkeit und au^er- 
ordentlicJier iSelLstLeooacntung, die sicn bis auf die un- 
wesentliclisten Details seines Tuns bezog, jene cnarakte- 
ristiscne Denkliemmung, die ilan anscneinend binderte, 
irgend etwas zu denken. Er erklärte immer -wieder, dajj 
er -weder in der Analyse, in der er sieb fast apatbiscb 
zeigte, nocb au^erbalb der iStunde et-was denke. Meine 
Erklärungen, die ibm den ^usammenbang zwiscben seiner 
aktuellen Haltung, jener Nacbricbt und der Übertragungs- 
einstellung nabebracnten, borte er böflicb, aber völlig 
unbeteiligt an. Endlicb gelang der Durcbbrucb, als er 
meinem Drängen m einer bestimmten Ivicntung nacligab. 
leb scblug ibm, einem Rate Freuds folgend, vor, er solle 
das sagen, -was zu denken ibm am fernsten liege, das Un- 
möglicbste und Vv eitbergebolte. Die nacb einer Augen- 
blickspause gegebene Antw^ort -war: »Der 2usammenbrucli 
des cbinesiscben Reicbes.« Er meinte -wobl, da^ diese 
fernliegende Assoziation mir nun deutlicn die Eäcberlicb- 
keit meines Versucbes be-weisen 'würde. Allein icli konnte 
ibn daran erinnern, da^ er mir selbst einmal erzäblt natte, 
daJ^ sieb sein Vater als junger Arzt lange Zelt in Cbina 
aufgebalten babe und dort die ersten Anzeicben der 
späteren ernstliaften Erkrankung aufgetreten -iv^aren. Die 
Depersonalisation klang dann in der analytiscben Durcn- 
arbeitung der aktuell gesteigerten Ambivalenz rasen ab. 
Der Zusammenbang der Depersonalisation mit ^-wangs- 
ersclieinungen -wird aucli in anderer \v eise in der Ana- 



4* 



lyse der Klagen der Depersonalisierten auffällig. Eine 
Patientin iScliilders fiikrt als Beweis ikrer GefüliUosig- 
keit unter anderen Dingen an, sie würde in ilirem jetzigen 
Zustande keinerlei Eifersuck verspüren, aucli wenn ilir 
Mann vor ikr liundert Frauen attü^te. Naclidem man 
die Verwunderung üter solclie Seltstverleugnung, die 
lietenden Gattinnen im allgemeinen nickt eigen ist, üter- 
wunden Iiatte, wäre es leiclit zu erraten gewesen, daJ^ der 
Atwekr eifersüchtiger Regungen in der Genese der De- 
personalisation eine tedeutsame Rolle zugefallen sein mur3. 
Wie in der Analyse der Zwangskranken wird auck in 
der der Depersonalisierten erkenntar, da^ eine solcke, 
unter anderen oder keiläufig angefükrte Klage oder Kon- 
statierung den eigentlick wesentlicken Gedanken entkält, 
der zur Erklärung der Krankkeitsursacken und -motive 
fükren mu^. 

III 

Es mackt einige 5ckwierigkeiten, Depersonalisations- 
ersckeinungen gegen andere, äknlicke Zustände akzu- 
grenzen. iSo zeigt z. B. die patkologiscke, ja sogar die 
normale Trauer in kestimmten Pkasen ikres Aklaufes 
einzelne Zustandskilder, die man als Depersonalisation 
kezeicknen mu^ Die der Trauer zugrunde liegende Am- 
kivalenzspannung erklärt die Äknlickkeit dieser Pkasen 
mit denen der Depersonalisation. Indessen sind die typi- 
scken Züge der Depersonalisation nickt gleickmä^ig in 
diesen psyckiscken Zuständen vertreten. Einmal tritt das 
Entfremdungsgefükl zurück, das andere Mal wird der 



i 



Mangel an Gefühlen und Empfindungen nictt tetlagt, 
■wieder ein anderes Mal tritt die »Seltstteotaclitung nickt 
auffällig nervor. Dennocli ist der ^usanxmennang mit den 
Depersonalisationserscneinungen unverkenntar. Die psy- 
cliologiscke Verwandtsckaft der Depersonalisationspliäno- 
mene mit den zwangsneurotiscken und den manisck- 
depressiven Erkrankungen ist schwer zu üfcerselien, so 
gro^ auch die Differenz der iSymptomtildungen sein mag. 
Bestimmte Fälle von 2-wangszuständen zeigen dieselte an- 
sckeinende Gefühllosigkeit, die atnorm erkökte Äeltst- 
teooacntung, dieselbe Denknemmung. Dort erscheint auck 
das Gefükl der Ickspaltung, des "Wegfalles des Aktivi- 
tätsindexes der iStrekungen und Gefükle. Hier wie in 
der Psyckologie der manisck-depressiven Prozesse lä^t 
sick der Amkivalenzkonflikt als der psyckologiscke Ort 
erkennen, von dem^ die so kefremdenden Ersckeinungen 
ausstraklen. In anderen Fällen wieder gikt es eine An- 
zakl der Depersonalisation äknlicke Züge, die sick dock 
in der einen oder anderen Ricktung von ikr unter- 

' sckeiden und trotz weitgekender Ukereinstimmung die 
psyckologiscke Differenzierung erkennen lassen. Nun 

! lä^t sick okneweiters annekmen, da^ mancke Ersckei- 
nungen selkst der Depersonalisation zuzurecknen sind 
und nur innerkalk des Gefüges der Neurose Platz finden. 
Man mu^ allgemein anerkennen, da^ sick Depersonali- 
sationszüge in den meisten Neurosen eingesprengt finden, 
in vielen sick mit anderen jSymptomengruppen verlöten 
und versckmelzen, so daJ^ die reinlicke Akgrenzung nur 
ein Ziel, aufs innigste zu wünscken, kleikt. Es ist üker- 



55 



taupt temertenswert, wie wenig Entgegenkommen die 
Natur den Itlassifitatorisclien Bestretungen der Ge- 
lelirten entgegentringt. 

Man tat mit Reclit darauf tingewiesen, da^ die Affekt- 
losigkeit und Interesselosigkeit der Depersonalisation keine 
vollkommene ist und da^ die Kranken alle Merkmale 
ectter "Wakrnelimungen und Affekte zeigen. Man kat, wie 
mir sckeint, zu wenig "Wert auf zwei andere Züge gelegt. 
Die Klage üter den Mangel an Gefüklen ist ja seltst 
Ausdruck eines Gefükles. Wie immer man üter das 
Ausmaß und die Natur der erkalten getlieLenen Affekte 
denken mag, es kann nickt testritten werden, da^ die 
Entfremdung des Icks und der AuJ^enwelt, der Gegensatz 
zur frükeren Einstellung von den Kranken letkaft ge- 
füklt wird. Es ist klar, da^ die Kranken die Differen- 
zierung zu ikrem frükeren Gefüklsleten beUagen und sick 
gegen ikre gegenwärtige psyckiscke Situation sträuten. Die 
Veränderung, die sie in sick und in ikren Relationen zur 
Außenwelt iemerken, wird keinesfalls rein sacklick re- 
gistriert, wie es dem oterfläcklicksten Blick sckeinen mag, 
sie wird als sckmerzlick empfunden. So weist die Klage 
der Depersonalisierten auf ein iStück Gefükls kin; nickt 
minder der in den meisten Fällen erkalten getlietene 
Wunsck, letkafte Gefükle wie früker zu verspüren. Hört 
man den Reden der Kranken zu, so empfängt man den 
Eindruck, sie wünsckten nur zu füklen, welcker Art 
immer die Gefükle auck wären, oder sie wünsckten nur 
die Stärke und Letkaftigkeit ikrer frükeren Gefükle 
zurück. Die analytiscke Beotacktung der Depersonali- 

54 



sation vermag leicht zu zeigen, daJ^ die Kranken zuerst 
und vor allem Liieoe lünlen wollen und oa^ die anderen 
Regungen nur soweit als w^ünscnenswert erscheinen, als 
sie unmittelbar oder mittelbar mit der W^iedererlangung 
der IfietesfäLigteit verknüpft sind. Aucli tier drängt sicli 
dem analytiscken Beobackter die Äknlickkeit mit den 
psyckiscken -Meckanismen der ^w^angsneurose auf. 

Der zweite, zu wenig teacktete und erforsckte Faktor 
ist die besondere Rolle der jSelkstkeotacktung, sowie 
deren Verkältnis zum Triek- und Affektleken in der De- 
personalisation. Diese iSelkstkeokacktung dient in erster 
Linie dazu, den eigenen Mangel an jStrekungen und 
Affekten festzustellen, sow^ie die XJntersckiede zu regi- 
strieren, die zwiscken der jetzigen und der frükeren 
psyckiscken Situation kesteken. Das Besondere an ikr 
ist, da^ sie an die Stelle der Affekte getreten zu sein 
sckeint oder zumindestens einen großen Teil der psycki- 
scken Energie, die vorker den tewu^ten Regungen und 
Gefüklen eignete, an sick gerissen kat. Sie war früker 
in keinem nennenswerten oder aknormen Ausmaße vor- 
kanden, keanspruckt jetzt die Hauptrolle im Seelenleken 
und sckeint die Affekte aufgezekrt zu kaken.' ^Venn 
aker die iSelkstkeokacktung an die Stelle der Triekregun- 
gen und Affekte getreten ist, mu^ sie selkst Spuren, ent- 

l) Wie klar die Dejpersonalisierten seltst üter Jiese dynanjisclien 
Verkältnisse urteilen, seigt z. B. die Aussage Ka's (tei Osterreicli, 
S. 393): »Meine normale Persöiiliclikeit rückte metr und meLr surüct. 
Das hei%t, alle psycluscke Energie flieJ^t der Seltstteotacktting su, 
sie saugt allmänlicli me anderen Prosesse, die sie ursprünglicli nur 
oeooacuten sollte, auf.« 



55 



stellte Kennzeichen der ursprünglichen depossedierten 
Tendenzen aufweisen. Nacn analytiscnen Grundsätzen 
ist das Vertretende in testimmter Ricktung die Fort- 
setzung des UrsprünglicLen. Die Zwangkaftigkeit, das 
dem eigenen Willen Entzogene, sowie andere Züge ver- 
raten wirtlicli die Atkunft der jSelfcstteotachtung aus 
dem Trietleten. 'W^ir werden später, von anderen Ge- 
sicktspuntten aus, eine tisker unverstandene Bedeutung 
der Selfcstkeotacktung in der Dynamik der Depersonali- 
sation diskutieren. 

üter die likidinöse Bedeutung der jSelkstteokacktung, 
ikren narziJ^tiscken Ckarakter sowie die Zurückziekung 
der Litido ins Ick, die in ikr kervortritt, kaken (Sckilder 
und Nunterg ausgezeicknete Auskünfte gegeken. Die 
likidinöse Ickkesetzung mackt die Zurückziekung des 
Interesses auf das eigene iSeelenleken verständlick, so wie 
die narzi^tiscke Ickkesetzung in der Hypockondrie die 
Aufmerksamkeit auf die eigenen Körperorgane lenkt. 
iSckarfsinnig setzt iSckilder die Depersonalisation in Be- 
ziekung mit den kypockondriscken Pkänomenen. Die 
Depersonalisation ersckeint wirklick wie eine auf die 
Vorgänge des eigenen iSeelenlekens gericktete Hypockon- 
drie. Auf der anderen /Seite ist gerade in jenen Deper- 
sonalisationszuständen, die sick okneweiters als Z^wiscken- 
stadien des Amkivalenzkonfliktes erkennen lassen, klar, 
daJ^ die Ha^regungen von der Außenwelt akgelenkt wurden 
und sick gegen das Ick gekekrt kaken. oo ist die Likido, 
die vom Okjekt akgezogen wurde, ekenso auf das Ick 
gericktet, wie die dem Okjekt geltenden Aggressions- 



SG 



[j^eigungen, die ja zum groJgen Teile seiest litidinöser 
I Natur sind. Das unte-wu^te Prädominieren des einen 
' oder des anderen Anteiles der Amtivalenzspannung wird 
' nun für den Cliarakter der iSeltstteotachtung in der 
Depersonalisation entscneidend. ^VS^o die Lieoesregungen 
untewu^t waren, wird die iSeltstteonacntung weniger 
Scliärfe und Unnacügietigkeit, melir narzi^tiscnen als 
KontroUcliarakter katen. Die unkewu^ten Aggressions- 
neigungen treten in der unausgesetzten, fast quäleriscken 
Art der iSeltstkeofcacktung hervor. Ater in allen Fällen 
der Depersonalisation kat die Selkstteokacktung als solcke 
einen auf das Ick gerickteten jSadismus freigemackt, sie 
kat masockistiscken Ckarakter.' Die Vermutung liegt nake, 
da-^ tei der ^urüctziekung der Likido von den Okjekten 
eine partielle Triekentmisckung vor sick gegangen ist, 
welcke die destruktiven Komponenten des Trieblebens 
stärker kervortreten lie^. Der Anteil der ^V\^irksamkeit 
der Todestriete fükrt wieder auf den ^usammenkang, 
der die Depersonalisation mit den Zwangsneurosen und 
Melanckolien vertindet. Das iSckuldgefükl des Zwangs- 
neurotikers, die Insuffizienzgefükle der Melanckoliker 
stellen dem Gefükl der Gefükllosigkeit in der Deper- 
sonalisation psyckologisck nake. Dies wird besonders in 
der Analyse von Grenzfällen klar, die nur eine partielle 
Depersonalisation zeigen und die sick in kestimmten Situa- 
tionen kei vielen Menscken ergeken. Ick wäkle folgendes 
Beispiel aus der Analyse einer psyckologisck kesonders 

l) Im Sinne Pascals: »Z^e Afoi est haissahUv. 



5y 



tegatten Patientin: sie katte die leidensckaftliclien \^er- 
bungen eines jungen Mannes zurückgewiesen und, da er 
sicli als einer ruliigen Freundsckaft unfähig erwies, ilm 
dazu veranlagt, ins Ausland zu gehen. Plötzlich erscliien 
der Unglücltliclie in ikrer AV^olinung und verüfcte sozu- 
sagen unter ikren Augen iSeltstmord. W^änrend dieser 
jSzene, des telephoniscnen Anrufes teim Arzte, aller jener 
kleiner Aktionen, die in solcher Situation notwendig 
waren, des Transportes des iSterbenden in das iSpital, den 
sie mitmackte, verspürte sie keinerlei oew^u^te Gefükle 
als die Verwunderung darüber, da^ sie keinerlei Affekt 
katte und eine genaue iSelkstkeokacktung. Darin misckten 
sick ansckeinend auektlose Gedanken, die Monologform 
annakmen, wie etwa: »Du wolltest ja immer etwas Aben- 
teuerlickes, besonders Erregendes erleben. Da ist es ja. 
W^arum spürst du denn gar nickts?« Andere Gedanken 
zeigten etwa eine Art aflektlosen iSelbstbesckimpfens, 
wenn man dies so nennen darf. Im übrigen füklte sie sick 
in der für die Depersonalisation typiscken Art als Automat, 
verricktete meckaniscli, aber präzise und zweckentspreckend 
alles, was die nickt alltäglicke »Situation erforderte und 
verblieb lange in dieser Art psyckiscker Erstarrung. Es 
ist keineswegs selten, da^ sick Menscken gerade in den 
besonders entsckeidenden und für ikr oeelenleben be- 
deutungsvollsten »Stunden in dieser oder äknlicker Art 
verkalten. Aber jene abgesckwäckte Depersonalisation, 
die wir als Detackement bezeickneten, wird auck iSitua- 
tionen bekerrscken, welcke keineswegs die tragiscke VV uckt 
der oben besckriebenen katten: so erlebte eine Patientin 



58 



ähnliclie jStimmungen wälirend des Examens. Nichts von 
der Prüfungsangst und der Erregung, ater aucli nichts 
von den sonstigen Affekten, die sonst den Geprüften be- 
wegen, wurde von ikr verspürt. Das einzige Gefülil war 
das, irgendwie »nickt teteiligt«, »nicht dabei« zu sein; 
ilire Antworten erfolgten rein meclianiscli, nur begleitet 
von dem Gefülil des iSicli-^uscliauens. Hörte sie z. B. die 
Frage des Prüfenden, so katte sie den Gedanken: »Das 
wirst du Blödian wieder nickt wissen«, nack ikrer Ant- 
wort: »Das war wieder eine dumme Antwort.« Dabei 
ärgerte sie sick aker nickt, auck füklte sie sick nickt 
tesckämt; alles, was sie füklte, war ansckeinend in oelkst- 
keokacktung aufgegangen. Dakei war die auf die Außen- 
welt gericktete Aufmerksamkeit in keiner Art gestört, 
übrigens ist die Aufmerksamkeit keineswegs immer beein- 
träcktigt. Ja. sie kann sogar manckmal analog der Introspek- 
tion kesonders gesckärft und von ausgeprägter iSacklickkeit 
und Präzision sein. Ikr kesonderes Kennzeicken wird eben 
der Ausfall des bewußten Interesses, das Felilen der inneren 
Anteilnakme an den Vorgängen der Außenweit sein. Man 
darf die Kranken, welcke kekaupten, die Personen ikrer 
Umgekung vag, wie durck einen iSckleier oder als Ockatten 
zu seken, nickt mißversteken. Diese Angaken sind nickt 
als Zeicken akgesckwäckter AV^akrnekmung aufzufassen. 
Ekensowenig sind sie freilick als Einkildung oder jSimu- 
lation keiseite zu sckieken. Sie kaken ikren guten iSinn: 
sie sind als Ausdruck einer kestimmten, unbewußten Äff ekt- 
kaltung gegenüker der Umgebung zu versteken und zu. 
werten, wie wir kald seken werden. 

59 



IV 

Innertalt der Depersonalisation beansprucnen Ge- 
danken, die mancütnal in unbestimmter Form auftaucnen, 
manclimal ganz unzusammenhängend, ja sinnlos erscheinen, 
ein beträclitliclies tneoretiscltes und praktisches Interesse. 
Oft sind sie von der Natur der ^wangsgedanken, die 
■wie Versprengte von einer entfernten Front das Gefüge 
der Depersonalisation durcnbrecnen. Inre analytiscne Ver- 
folgung fülirt jedesmal in den ätiologiscnen Kern der 
Depersonalisation. Kin Patient, der sicn in einem aus- 
geprägten Depersonalisationszustande befand und eine be- 
sondere Affekt- und Interesselosigkeit zeigte, hatte einen 
solchen anscheinend unsinnigen Gedanken. Jedesmal, wenn 
er morgens auf-wacnte, dacnte er drei Vv orte, über die 
er sicn verwunderte: »Kopf — Ocnu^ — Ocnlu^.« Er sagte 
diese drei VVorte vor sicn bin, ohne zu "wissen, was sie 
bedeuteten. iSie kamen inm nur sinnlos und sonderbar 
vor, wenn er sicn selbst sie sagen nörte. Aber die Deper- 
sonalisation war einige ^VS^ocnen, nackdem er sich von 
der Untreue seiner Frau überzeugt hatte, eingetreten. 
Er meinte, da^ er sie längst nickt mekr liebe, und jenes 
Ereignis sckien ikn in keiner Art zu beunrukigen. Die 
Analyse der unsinnigen vV^orte, die er vor sick bin sagte, 
bew^ies, da^ er unbew^u^te oelbstmordgedanken katte, die 
mit der Enttäusckung an der nock immer geliebten und 
gekaJgten Frau verknüpft w^aren. 

Eine Patientin mit ausgeprägter Depersonalisation zeigte 
in der Analyse eine Besonderkeit, die gerade bei der ver- 

60 



sclilossenen, verkaltenen Art dieser Frau auffalleiad war. 
iSie spracli in den Depersonalisationszuständen, in denen 
sie immer wrieder üoer inre Gefünlsleere klagte, atgerissene 
jSätze vor sich Ixin, die inr seltst Verwunderung einflöJ^ten 
und von denen sie nicnt zu sagen -wu^te, was sie tedeu- 

' teten. Datei w^ar sie teineswegs in Aisencestimmung; die 
Sätze taucnten einfacn fertig in ihr auf, entsprangen ihrem 

F Denken scheinbar ohne Zusammenhang und Vorhereitung 
wie Pallas Athene dem Kopf des Zeus. Sie war immer 
wieder überrascht darüber, was da zum Ausdruck kam, 
id stand diesen Sätzen, die sie ja nicht sagen w^oUte, 
ohne irgendein anderes Gefühl als das des Staunens und 
der Fremdheit gegenüher. Das völlige Passivitätsgefühl 
diesen ihren Gedanken gegenüber, ihre alfektlose Auf- 
nahme, die Verwunderung üher sie sow^ie die sie teglei- 

I tende Selhstteotachtung w^urden von ihr hervorgehoben. 

! Sie verglich seihst diese Gedanken mit den Zeichen auf 
den Telegraphenstreifen, die mechanisch abrollen. Der 
Vergleich ist ausgezeichnet. Er w^eist auch auf die Ent- 
fernung von jenem Stück unhewu^ten Ichs hin, aus 
dessen JMitte die Gedanken auftauchten. Sie hezeichnete 
die Sätze, die sie sowohl in der Analysestunde als auch 
au^erhalh mit völlig ausdrucksloser Stimme, gleichsam 
registrierend vor sich hinsagte, als »lächerliche, sinnlose 
Sätze« oder sprach von ihnen als von »diesen verrückten, 
unzusammenhängenden VV orten«. ^ In jener Zeit, die dem 



l) Man darf immer mt^trauiscn werden, wenn die jMenscnen, die 
t ja im allgemeinen sur ü oerscliätzung inrer gedanklicnen Äußerungen 



6x 



stärksten Ausdruck der Amtivalenzspannung gegenüter 
ilirem Manne folgte und die zu einer Depersonalisation 
fülirte, sagte sie etwa vor sicli kin: »Aber ick fükle das 
gar nickt, was ick da sage. Es ist so, wie wenn ick es 
von einem Blatte Papier kerunterlese.« In solcken oätzen 
kam auck immer wieder die Amkivalenz, auf deren Grunde 
sick die Depersonalisation erkok, zum Durckkruck: es 
waren sozusagen zweizeitige iSätze, deren einer die Liekes- 
regung, der andere die Ha^tendenzen kefriedigten. So sagte 
sie okne irgendeinen Gefüklston nackeinander: »J love 
him, I hate him; I want to go to the devil, I want to le 
helped; I want to cry, I do not want to cry; I do want 
to feel something, I do not want to feel anytking.« Jedem 
solcker unmotioneller registrierender Sätze folgte inkalt- 
lick das kontradiktoriscke Gegenteil. Dakei füklte sie sick 
leer, gefükllos »wie eine Puppe«.' 



iliren intellektuellen Le 



eilt 



neigen, so geringscLätiis von ihren intellektuellen L,eistungen sprechen. 
In einem Vortrag in der Wiener analytisclien Vereinigung seigte 
Dr. Feige 11 taum (NewYork), <JaJ^ nocli in Jen Eknosien, tlem at- 
sicktlicLen Unsinnsprecken (etwa teim Kartenspiel usw.), sick ein 
unkewu^ter Zusammenkang und ein latenter Sinn nackweisen lasse. 
Professor Freud kemeitte in der nachfolgenden Diskussion, da^ es 
üterkaupt sckwer sei, tewu^t Unsinn zu sagen, wäkrend die Bücker 
vieler Gelekrten voll von «nkewu^tem Unsinn seien. 

l) Diese »sinnlosen« Sätse tauclien gewi^ nickt nur in den De- 
personalisationssuständen auf. Einer meiner Patienten körte sick, als er, 
als Dreiaekujäkriger tei seinem Onkel zu Tisck geladen, gefragt wurde, 
ok er nock von einer Speise wünscke, zu seiner Bestürzung laut ant- 
worten: »Vater unser, der du kist im Himmel, vergik uns unsere 
Sckuld.« Erst viele Jakre später erfukr er in der Analyse, was diese 
"Worte tei solcker Gelegenkeit kedeuteten und warum er sie gerade 
in dieser Situation sagen raupte. Die Verkindung solcker unkewu^t 



Dem Pliänomen der affelttlos gesproclienen und geliörten 
Worte stellt ein anderes nalie, dessen psycliisclie Besie- 
liungen zur Depersonalisation völlig Uar zutage liegen: 
es ist dies das Gefühl, sicn seltst zuzuliören und zuzu- 
selien, während man spriclit. Die vorLer erwälmte Pa- 
tientin machte z.B. während einer Depersonalisation einen 
Besucli tei einer Freundin. Wälirend sie mit ilir spracli, 
körte sie sick seltst zu, fand, da^ sie keinerlei Gefükl 
jikatte, sie nickts interessiere, weder das, was die andere 
■ nocli, was sie selkst sagte. Sie fülilte nur das »feeling of 
looking on«, wie sie das nannte. Ikre Worte kamen ikr 
j nack einiger Zeit unricktig vor, ikr Tonfall falsck, ikre 
I Haltung liünstlick und ikre Bewegungen unnatürlick. Bei 
anderen Gelegenkeiten war die Kritik des eigenen Icks 
.nickt so vordringlick; dafür das Gefükl der Gefükllosig- 
I ieit, des Interessenmangels sowie eine minutiöse jSelkst- 
teokacktung, der kein Detail des eigenen Handelns und 
Denkens entging. Einer meiner Patienten, der zu seinem 
Sterkenden Vater gerufen wurde, verspürte auf dem langen 
Wege dakin, den er in aller Eile zurücklegte, eine ke- 
sondere Art völliger Gefükisleere, gepaart mit 5elkst- 
keokacktung, üker die er sick gerade in dieser (Situation 
wunderte. Wäkrend des Laufens sprack er manckmal 
akgerissene "Worte vor sick kin, wie: »;Sckrecklick« oder 
»Mein Gott«; er füklte aker dakei, wie er versickerte, gar 
nickts und wunderte sick darüker, warum er das sage. 

gesprockener Worte «nj Sätze mit Jen von mir als Gestänjnisswang 
tezeicLneteten seelisclien Tendenzen sowie mit den Vorgängen der 
Wiederkelir des Verdrängten ist klar. 

63 



Ein Stadium Jer partiellen Depersonalisation geliört, 
wie tereits temertt, melir oder minder zum regelmäJ^igen 
Atlauf der Trauerarteit. In ausgeprägten Fällen telierrsclit 
diese Art der psycliisclien Erstarrung sogar den größten 
Teil der Trauerzeit. Sie wird dadurct ckaraLterisiert, da^ 
im Gegensatz zu den starken Gefünlen, die man nact 
einem ersckütternden Ereignis erwarten sollte, eine völlige 
Gefülilsleere oder- kälte empfunden wird. Die Differenz 
zwisclien der zumindestens bewuj^t verspürten Gefülils- 
erstarrung und der erwarteten, ja geforderten Gefühls- 
steigerung wird von dem Einzelnen als peinlicn emp- 
funden. ^N^ätrend in den meisten Fällen nur eine Ver- 
wunderung darüter platzgreift, steigert sich das Gefüld 
üter solcli eigene Affektlosigteit in anderen bis zum 
schwer Ertragtaren, ja tis zur Verzweiflung. Die Be- 
schreitiing, welche diese Personen von ihren psychischen 
Vorgängen gehen, lä^t keinen Zweifel daran, da^ es sich 
um Depersonalisationserscheinungen verschiedener Arten 
handelt.^ Sie werden verständlich, w^enn man sich Genese 
und psychische Mechanismen der Trauerarheit, w^ie sie 
uns tesonders durch Freud hekannt geworden sind, vor 
Augen hält. Die Trauerarheit geht vom Verlust des Liebes- 
ohjettes aus und steht im wesentlichen unter dem Ein- 
flüsse des Amhivalenzkonfliktes und der unbewußten 
Selhstvorwürfe der trauernden Personen. Von hier aus 



i) Das ausgezeiclmete Beispiel einer scnarfen, für die Depersonali- 
sationseinstellung ckarakteristiscLen ScIiiUerung solcter Zustände nacll 
dem Tode einer naLesteLenden Person in Tolstois selostDiograpliiscliem 
Bticlie sKincJIieit, JtigenJ« sei tesonders terrorgetoben. 



G4 



ist die Differenz zwiscnen dem erwarteten Gefünlsaufwand 
und der -walirgenoinmenen GefüliUosigkeit zu erklären. 
Diese Einstellung ist so näufig und typisch, da^ man sicn 
getrauen könnte, von einer Trauerdepersonalisation 
zu sprecnen. In ^V^irklicnkeit nandelt es sich natürlich 
nicht um Gefühllosigkeit, — so-wenig "wie in anderen Formen 
der Depersonalisation, — ^ sondern um den Ablauf eines kom- 
plizierten psychischen Prozesses. In diesen hafcen die beim 
Gedanken an den Verstorbenen auftauchenden /Schmerz- 
und Trauergelühle solange mit den ihnen -widerstrebenden 
Regungen der Befriedigung und Genugtuung über den Tod 
zu ringen, bis sie einander annähernd paralysieren, ein 
schwer beschreibbares Kräftespiel, das nur scheinbar m 
' die seelische Gleichgewichtslage ausläuft. Der Unterschied 
-wird klar, wenn w^ir die Lage eines Körpers, der von zwei 
annähernd gleichstarken, physikalischen Kräften nach ent- 
gegengesetzten Richtungen hin bewegt w^ird, mit der eines 
Objektes in Ruhelage vergleichen. 

Die fast ununterbrochene Introspektion des iSeelen- 
lebens der eigenen ^NTahrnehmungen und Empfindungen, 
die an (Stelle der unmittelbaren Gefühlsäußerungen ge- 
treten ist, hat in solchen Fällen oft einen auch bewußt als 
quälend und zwanghaft empfundenen Unterton. Diesem 
Zug gesellt sich meistens ein anderer, der kaum w-eniger 
! störend w^irkt: es ist dies das Gefühl, daJg die Umgebung 
[von uns laute oder zumindestens sichtbare deichen des 
iSchmerzes oder der Trauer erwartet und eine Art v or- 
wurf, daß man diese Gefühle nicht verspüren und noch 
weniger zeigen könnte. Jeder v ersuch, solche Gefühle 



ISrHrik- 5 



G5 



eu zeigen, lä^t sie sogleicli als unecht oder nur auf äuijere 
W^irtung terecnnet erkennen. Es -wircl vom analytiscken 
Standpunkte aus leickt verständlich, in welcher Art und 
nach -welcher Richtung das üher-Ich diese psychische 
Situation entscheidend heeinflu^t. Es ist in der oelhst- 
heohachtung als kritische Instanz \vrirksam und hat einen 
gewichtigen Anteil sow^ohl an der Genese der Allekt- 
unfähigkeit, als auch an den damit veroundenen pein- 
lichen Gefühlen. iSchlieJglich lä^t es die unhew^u^ten 
oelhstvorwürfe auf Grund der eigenen verdrängten Feind- 
lichkeit gegen den Verstorhenen entstellt und in einer 
Projettion auf die kritische Beobachtung und Haltung 
der Umgebung wiederauftauchen. Dieses letztere Phänomen 
hat sekundären Charakter, da es eine introspektiv w^alir- 
genommene Dillerenz unter die Gesichtspunkte der so- 
zialen Beurteilung rückt, auf die antizipierte Anschau- 
ung der Umgebung verschiebt. VV ir w^issen aus der analy- 
tischen Lehre von der Genese der kritischen Instanz, da^ 
es sich in diesem Ablauf eigentlich um eine partielle Re- 
gression auf ein noch früheres Stadium der Ichentwick- 
lung handelt. Indessen ist auch bei dieser Projektion 
eu konstatieren, da^ ein Stück seelischer Erleichterung mit 
ihr verknüpft ist.' In der Fortentwicklung der Ambivalenz- 

i) Das Ursprtinglicne, von aem die Projektionen ausgenen, sind ja 
unoewu^te Seiostvorwürfe wegen der Feindsehgkeit gegen d&n Toten. 
In eigenartiger Form und Verkleidung taiicnen Selostvorwiirfe aucli 
in der Trauerdepersonalisation auf. So erklärte ein Depersonalisierter 
Lei solcLer Gelegenneit: »Icn fünle, icn sollte jetst senr, senr traurig 
sein. Ater icL fcin nickt traurig, natürlicli bin ich auch nicnt lustig, 

6Q 



r 



Spannung sowie in Reaktion auf die (wirtliclie oder plian- 
tasierte) Einstellung der Umwelt zu der Gefülilskälte der 
trauernden Person kann es zu einer Trietentmisckung 
kommen, m der sicli der Hintertlietene gegen diese Art 
der Beurteilung seitens der Umwelt aufleimt und sick des 
wirklicken Ckarakters seiner Gefülile gegenüter dem Ver- 
stortenen teilweise tewu^t wird. Hier kommt es also zum 
Durcktruck der latenten Gefükle, ja in dieser Aufleknung 
wird nock kinter der äu^erlick zur iSckau getragenen, 
als uneclit empfundenen Trauer die ursprünglicke Lietes- 
regung gefüklt. (»Was wissen denn die anderen davon, 
was ick fükle!«) Anderseits können der Ha^anteil der 
Amtivalenz und Vorwürfe gegen den Verstorbenen sowie 
das Gefükl der Befriedigung üfcer dessen Tod durck die 



enl 



icL filkle niclits, atsolut nicttä. Es ist, wie wenn icL ein iStüct Hols 
wäre.« Von einer anderen Gelegenlieit tericLtet er älinlicli : sicli fütlte, 
icL sollte jetst einen sclireclcliclien Zorn taten, es ist wie eine Pflictt, 
wie ein Sollen, ater ict fütite nictts und das war quälend, e Älin- 
licli wie in der Zwangsneurose ist auct in der partiellen Depersonali- 
sation eine Versctietung auf ein Detail tonstatiertar, das sict der te- 
treffenden Person aufdrängt und von itr als unpassend, atsolut deplaciert 
oder störend empfunden wird. Wätrend der ersten Stunden nact di 
Tode des Vaters tesctäftigte sict ein Patient mit der Frage, welcti 
Krawatte er jetst tiagen solle; daneten empfand er nur Verwunderung, 
warum er keinerlei Sctmers fütle, und eine starke Seltstteotacttung. 
Er mu^te auct denken, daJ^ er wieder sctwarse Kleidung tragen 
mü|te, wenn im näctsten Jatr die Mutter stürte. Die Identität mit 
der Zwangsneurose im Vorgang der Wiederketr des Verdrängten 
wird in dem Gedankensug klar, den ein Depersonalisierter nact di 
Tode eines naten Verwandten tatte. Er verwunderte sict üter 
Gefütllosigkeit und dactte: »Ot ict auct nictts fütlen würde, 
meine Mutter stürte oder mein Kind gefätrlict krank würde.« 



b7 



em 
seine 
■wenn 



Trletentmlscliuns zum BewuJ^tseln JurcUreclien. In 
manclien Fällen zeigt slcli später aucli im Gegensatz 
zu der Depersonalisation und dem damit vertundenen 
Felilen starlter GefüUe, da^ eine Affektverscliietung statt- 
gefunden liat. Diese lä^t den dem Anla| angemessenen 
Affekt tei irgendeiner anderen, sclieintar gleickgültigen 
Gelegenlieit zum Durclitrucli tommen.^ 

In den meisten Fällen dieser Trauerdepersonalisation 
ist ütrigens eine iSteigerung der nacli au^en gerichteten 
Aufmerksamkeit zu konstatieren. Es ist indessen auf- 
fällig, wie selir die sonst latente Iclitezogenlieit der 
äußeren Eindrücke datei liervortritt. In diesem Zuge zeigt 
sicli die Verbindung der tesonderen Natur der nacli au^en 
gericliteten Aufmerksamkeit der Depersonalisierten mit 
ilirer Seltstteotacktung. Die Landscliaft wird nickt sack- 
lick oder ästketisck tetracktet, sondern ikr Bild wird nur 
mit den eigenen Erinnerungen oder Affekten verknüpft; 
das Benekmen der Menscken ringsum wird nur zum Ver- 
gleick mit der eigenen Haltung und den eigenen Gefüklen 
kerangezogen. Das iStückcken Sckeinotjektivität, das wir 
uns müksam erworten katen, fällt at. UnverküUt liegt 
das Egozentriscke, grot Icktezogene, welckes der un 
veränderlickste Teil von uns ist, zutage. 



i 



i) Ein gutes Beispiel solcker Trauerverscliletung tei Freud, Die 
Gescliicke einer infantilen Neurose. (Ges. Sctriften BJ. VIII): die 
Trauer des Patienten üter den Tod seiner Scliwester. 



68 



V 



Die Depersonalisation mündet, falls sie nicht stationär 
fcleitt, in einen Trietclurcntrucli und zeigt nocli so m 
ilirem Ausgang iliren trietnaften Unterbau. Die Neurose 
o der Psycliose, der die Depersonalisation so oft als ein Vor- 
stadiunx entspricht, zeigt, von -welcher Art die unbewußten 
seelischen Mächte tvaren, die von der Depersonalisation 
in ihrem v ordringen gehemmt werden sollten. Das Ver- 
drängte kehrt in der N eurose und Psychose in entstellter 
Form w^ieder, nachdem es das Bollwerk der Depersonali- 
sation überwunden hat. Der psychische Charakter soAv^ie 
dieser beschriebene Ausgang der Depersonalisation legt 
Zeugnis dafür ab, daß in ihr selbst der Konflikt zw^ischen 
den Triebregungen und den Abwehrtendenzen sozusagen 
hinter den Kulissen weitergeführt wird und sie seihst eine 
Kompromißbildung zwischen diesen beiden darstellt. 

Die libidinösen Krankheitsgew^mne der Depersonali- 
sation sind von iSchilder und Nunberg bereits hervor- 
gehoben worden. Beide Autoren haben es indessen ver- 
säumt, auf die Befriedigung des unbewußten Masochismus, 
der in der Depersonalisation bemerkbar wird, hinzuweisen. 
Die Depersonalisation ist, wie schon ihr Name andeutet, 
eine bew^ußt gefühlte Einbuße des ^Wertvollsten und 
Lebendigsten der Persönlichkeit, ihrer Empfindungen, 
Gefühle und Triebstrebungen oder zumindestens des Ak- 
tivitätsgefühles, welches diese psychischen Akte in nor- 
malem Zustande begleitet. Man kann dies konstatieren, 
ohne weiter darauf einzugehen, daß das Aktivitätsgefühl 



seltst <Jer Ausdruck einer unserer hartnäckigsten Illusio- 
nen ist. Es scteint, da^ gerade der Ausfall dieser Illusion 
für jene andere Illusion, die Gesclilossenneit der Persön- 
liclikeit, eine tesondere Bedeutung hat. NunLerg tat 
riclitig teofcaclitet, da^ er unie-wuj^t als Kastration emp- 
funden und gewertet wird.^ Die feminine iSeite der 
niasocnistiscnen TrieDoefriedigung wird so aucli in der 
Depersonalisation ersiclitlicn. DaJg das Bewußtsein, der 
letendig gefülilten Aktivität des Psycliiscnen berautt zu 
sein, ein iStück unLew^ußter oelbstoestrafung darstellt, 
ergitt jede genauere analytisclie Beobaclitung der Kranken. 
Die Affektlälimung der Depersonalisation entnält eten- 
falls ein Stück iSeltsttestrafung. In manclien Fällen 
könnte man den Eindruck gewinnen, daß es bereits eine 
seelisclie Erleicliterung tedeuten würde, wenn sicli die 
Kranken unglücklicli fünlten. Dies kann nicht riclitig 
sein, entliält ater einen ricntigen Kern. Es nandelt sicIi 
nämlicli darum, daß eine psychische Entlastung eintritt, 
wenn es gelingt, die vorliandenen Unlustgefülile zum 
Bewußtsein und zum Ausdruck zu Lringen. In einzelnen 
Fällen w^ird es dem Analytiker klar, daß die Kranken 
aucli durcli ilir tiefes, untewußtes ocliuldgefülil daran 
gekindert werden, iliren Sclimerz tewußt zu verspüren 
und zu äußern. Die psycnologisclie Beobachtungsgabe 
Dostojewskis liat gelegentKcn ein otück dieses sce- 

l) Es ist temerltenswert, da^ sicli sogar die eigenen psycliiscueti 
Phänomene unter dem Bild Jer Kastration repräsentieren können. 
Ein Patient tesctreitt seinen Zustaiui Jer IcLspaltung und sagt, er 
fünle sicn »wie eutsweigescnnitteue. 



70 




lisclien Mechanismus erfassen können. iSo erklärt Jet ver- 
kommene Beamte Marmeladoff in »Radion Raskol- 
nikoU«, er trinke nickt etwa der Fröklickkeit wegen, 
er betrinke sicli vielmekr, um seinen Kummer zu füklen 
und um weinen zu können. Das will keinen, um die 
Gefüklsstockung zu üLerwinden und den 5ckmerz, der 
I latent in ihm ist, tewu^t zu verspüren und sick durck 
"W^einen davon zu kefreien. Audi die als peinlick emp- 
fundene iSelkstbeokacktung, die zwangkaften Ckarakter 
kat, gekört in den Rakmen der unbewußten 5elkst- 
bestrafung. Die Zensur des Uber-Icks ist zwar in der 
Depersonalisation nickt in ikrer ^Strenge w^ie in der 
Zwangsneurose, wokl aber in ikrer Sckärfe gesteigert. 
Sie kat auck ikr Bereick außerordentlick ausgedeknt, da 
ikr alle Akte unterliegen.' Die iSelbstquälerei, die in 
solcker kontinuierlicker oelbstkontrolle liegt, dient eben 
der Befriedigung eines narzißtiscken Masockismus. Der 
Ckarakter dieses Masockismus als eines gegen das Ick 
rückgewendeten Sadismus wird in der.Psyckogenese der 
Depersonalisation klar: es siekt so aus, als wäre die Trieb- 
verwandlung mit der partiellen Ablösung der Libido von 

i) Nunterg temertt (S. 3a), Ja^ im Gegensats zur Melanctolie, 
«1 der das Ich gegenüter tjetn Ickideal unterliegt, in Jer Depersonali- 
sation nur beklagt und registriert wird, Ja^ das Ict die AnsprücLe 
des Ideals niclit erfüllt, okne jedocli zu weiteren Reaktionen wie tei 
anderen Krankheitsfornien zu lütren. Diese Beliauptung darf nictt 
unwidersproclieu bleiben : die Klage und das Registrieren ist ja tereits 
ein Anseicnen der BemüLung, einer inneren Störung Herr zu werden. 
Die Oelbstteobacntung aber beweist, da^ dem IcL eiji ungewolintes 
Ma^ kritisclier Aufmerksamkeit angewendet ist. Man kann sagen, da^ 



71 



1 



(Jer Au^^enwelt uni iiiren Objekten verknüpft. Es ist so, 
als wäre die Konzentration auf das Icn nicht restlos ge- 
glückt und dieses MiJ^glücken fände auch in der Triet- 
umwandlung in den !Masocliismus Ausdruck. Eine Patien- 
tin litt in ilirer Puiertät unter passageren Depersonali- 
sationen, die in masocnistiscne Aktionen ausliefen. iSo 
konnte sie, als ihr Bruder einen FuJg brach und heftige 
iSchmerzen hatte, in sich keinerlei Gefühle -wahrnehmen 
und beschrieb ihren Zustand als »aumh, numh, feeling- 
less«. Sie konnte diese seelische oituation nur eine gew^isse 
Zelt aushalten. Inr Zustand -wurde ihr immer quälender, 
so daJg sie sich schließlich mit iSladeln ins Fleisch stach, 
um irgend etwas zu fühlen. Ist so die Depersonalisation 
von dem dem Ich zuge-wandten oadismus beherrscht, so 
fehlt es keines-wegs an Versuchen, diese Einstellung durch 
sadistische Durchorüche nach außen zu lockern. In diesen 
Zügen -wird nicht nur die Abkunft des Masochismus 
regressiv erkennbar, sondern aucn ein iStück der erhalten 
gebliebenen Triebregung ersichtlich. Bedenken -wir, daß 
die Depersonalisation immer nur einen Teil der Persön- 
lichkeit ergriffen hat. Es gibt nur eine partielle De- 
in der Depersonalisation das Icn aeni ÜDer-Icli zu unterliegen arolit. 
In diesem Sinne dai-f man die Depersonalisation als den anarzji^tisclien 
PsycLoneuroseuft nahestenend Leseicnnen. Der Cnarakter der iSelost- 
Deooacntung stellt dem der ibelostauklagen der Alelancnoliker keines- 
wegs lerne: die Klagen sind eigentlicn Selbstanklagen. Der Libido- 
niangel -wird von den Depersonalisierten unoewuijt als ocnnld emp- 
funden. Es -wurde oben nacndrücklicn daratu nmgewiesen, dajg die 
mit s-waiignafter Stärke auftretende SelDStbeobaclitung den moraliscnen 
^asocnismus befriedigt. 



personalisation; zumindestens auj^erlialo der kliniscnen 
Lelirtüclier. Es ersclieint mertwüroig, oa^ die sadistiscken 
Trietzeiclien, -welclie in der iSymptomatologie der De- 
personalisation allerdings verhüllt auftreten, bisner keine 
Beaclitung gefunden haten. Und doch sind sie in der 
Bescnreitung, -welcne die Kranken von inren Eindrücken 
aus der Außenwelt geben, nickt zu überseken. In der 
Kasuistik finden v^ir bei Heymans, GeiJgler, Oster- 
reicli, Ball, ja bei allen Autoren zalilreicke Angaben, 
die gebieteriscn in diese Riclitung -weisen. Gottfried 
spricht davon, er könne die Personen seiner Umgebung 
erschlagen "wie Holzpuppen. Ka. sah einmal zwei bis 
drei Minuten lang die Menschen um sich herum als 
Maschinen. Balls Kranker nennt die Personen seiner 
Umgebung wenig liebenswürdig »Dinge«. Ein Kranker 
meiner Beobachtung sah alle Menschen als iSchatten 
und verglich sie mit den Gestalten der Unterw^elt; 
einem anderen erschienen sie als irgendwie plattgedrückt. 
Die Menschen erscheinen w^ie Figuren eines Traumes 
(Krishaber), wie Phantome (Deny), wie Marionetten 
(Hesnard), wie Sachen {»cJioses«, Ball). Nun ist kein 
Zweifel daran, da^ -wir alle nicht mehr sind wie Ocnatten 
und da^ die Nichtigkeit und sinnlose Vergänglichkeit 
des Menschenlebens in den Beschreibungen der Deper- 
sonalisierten einen guten Ausdruck finden. Manchmal 
möchte man sogar meinen, da^ Bezeichnungen, wie Puppen, 
Marionetten oder Sachen, auf w^irkliche Personen ange- 
w^andt, eine niedrige Schmeichelei darstellen. Aber der 
W^ahrheitsgehalt der Angaben steht nicht zur Diskussion. 

73 



1 



us- 
en 



Die Narren iStatespeares, denen der Dictter die tiefsten 
Weisheiten in den Mund gelegt tat, tleiten dennoct 
Narren von tesonderer spa^kaft-titterer Art. Wir Iiaten 
liier nur Iiervorzulieten, da^ das Gemeinsame der Ein- 
drücke in der Depersonalisation das Zurücttreten der 
Lethaftiglceit — liier im iSinne der Letendigteit — ist. 
Wenn die Depersonalisierten sagen, da^ ilinen die Per- 
sonen und Dinge der AuJ^enwelt wie Puppen erscheinen, 
•wie Ockatten, wie von iSckleiern umgeben, undeutlicL 
und wenig oder gar niclit lebendig, so bedarf es scbon 
einiger Übung im überselien, um nickt in diesen A 
drücken dasDurckbrecken von unbewußten Todeswünsck- 

und feindseligen Regungen zu erkennen. 5o meint iS c k i 1 d e r 
(Mediziniscke Psyckologie, iS. a58), die Änderungen im 
Wakrnekmungsbilde beruken darauf, daß die Patienten 
ikre Erlebnisse nickt anerkennen, »es sind widersprockene 
Wakrnekmungen.« Er beruft sick auck auf das Flackseken, 
über das solcke Patienten oft klagen. Aber diese Auf- 
fassung «Sckilders könnte leickt den Eindruck erwecken, 
es kandle sick lediglick um Vorgänge der Realitätsfunk- 
tion. Indessen wird die unbewußte Feindseligkeit gegen 
die Außenwelt, welcke die Depersonalisierten in ikren 
kier unbestimmten, ziemlick vagen Aussagen verbergen, 
in der Analyse erkennbar. Das Flackseken der äußeren 
Objekte ist so unbewußt ein Vernicktungsäquivalent; die 
Personen werden sozusagen an die W^and gedrückt. Der 
Eindruck der Entfernung und Entfremdung der äußeren 
Welt liegt psyckologisck auf einer Linie, an deren End- 
punkt die Wcltuntergangspkantasie der «Sckizopk 



irenie zu 



7A 



finden ist. Nickt nur die Atziekung der Litido, sondern 
aucli die uutewul^te Feindseligi.eit nat in diesen 5ym- 
ptomen iliren Ausdruck gefunden.' 

Es verstellt sick, da^ es sicli nicht fclo^ um die Aus- 
wirkung einer sadistiscnen Herabsetzungstendenz liandelt, 
wenn die Depersonalisierten die Personen rings um sie 
als Puppen, Mascliinen, Ocnatten bezeiclmen. Es mu]3 
vielmehr aucli so sein, da^ sie das Empfinden der eigenen 
Affektlälimung und UnleLendigkeit auf die anderen Per- 
sonen untewu^t projizieren. iSie leinen ihnen sozusagen 
Qualitäten, die sie untewu^t in sich wahrnehmen. VVir 
stoj^en so indirekt auf feindselige Regungen und Todeswün- 
sclie gegen das eigene Ick. Dieser Zug drängt sicli dem ana- 
lytisck gesckulten Beobackter in der ^V^ortwakl der typi- 
scken Besckreibungen, welcke die Depersonalisierten von 
ikren psyckiscken Zuständen geben, auf: »Ick bin nickt 
ganz da«, »Ick fiikle micli nickt lebendig«, »Ick komme 
mir selbst wie eineSacke vor«usw. Ein Patient Krisk ab ers 
sagt, es sei, wie wenn er nickt existierte, eine Patientin För- 
sters bemerkt: »Ick bin nickt mekr, es ist alles aus.« Ein 
Depersonalisierter aus meiner Beobacktung klagt immer 
wieder: »Es ist, wie wenn ick nur kalb existierte« und 
sprickt von seinem seeliscken Zustande als von einer 



i) Das Jieser Einstellung entspreckenje unbewußte SckulJgefilhl 
wii'J sicli dann in jenem Gefülil des Allein- oder V erlassenseins, des 
^isohmeiit cosmi^uc«^ üLer das ein Depersonalisierter klagt, äußern. 
Die Es-Dnr-ALkoide des Maklerscken Liedes: sick tin der Welt 
akkanden gekommen« (mollo lenlo c rüenlito), geken vielleickt diese 
Depersonalisationsstimmiing wieder. 



75 



»Gefülilsletliargie«. Die oft geixörte Klage des AVie-tot- 
seins tind des GefüLles der Automatenliaftigteit wird so 
nadidrücklicli erLoten, da^ man mit diesen Aussagen 
psyckologiscli Ernst maclien mu^. 

Die analytische Erforschung der Depersonalisation 
ihrer Psycliogenese sowie iLrer JMeclianismen zeigt, dat 
die (Störung der Lietesfäliigteit im Mittelpunkte der 
Klagen üter die GefüLUosiglteit stellt und wie selir die 
Todeswünsche gegen das Ick mit diesem Zuge zusammen- 
hängen, ^er Lieie niclit füklt, ist niclit letendig, ist 
ein Automat.^ Liete niclit füLlen iönnen, ist untewu^t 
mit Totsein identisch.^ Es mu^ aucli Iiervorgeliofcen werden, 
da^ die "Wiederkerstellung der LieLesfäkigteit zur Auf- 
hetung der Depersonalisation fükrt. jSo fügt sick aucli 
der seelische Partialtod der Depersonalisation den in 
diesem Zustsrnd untewu^t wirtsamen iSeltsttestrafungs- 
tendenzen ein.' 

^ir Iiaten anzunehmen, da^ in der Depersonalisation 
eine teilweise Regression auf die sadistiscli-anale Pliase 



1 



l) Man Jente etwa an die Enttäusctung Hoffmaum in Offeu- 
bacLs »Hoflinauus ErsäUungeuo:: Olympia ist ein Automat. 

3) sWer nJcLt mekr lieLt und uicLt meLr irrt, der lasse sicli tc- 
graten« (Goette). 

3) Manclimal gelingt es den Kranken seltst, die Rüctwenduug 
sadistischer Trietimpulse gegen das IcL dem Bewußtsein naliezutringen. 
So sagte eine Patientin in iLrer Depersonalisation: »I fcel liJcc a stone, 
likc a stonc on anyhoJys necl.e Ein anderes Mal tonnte sie nacliträg- 
Lch den psycliisclien 2usammenliang rekonstruieren, der in der Deper- 
sonalisation wirksam war; sie erklärte: islnstcad of Jcnowing that you 
want to Kill someone elac, you wijpe yourself ouH. 

76 



der Litidoentwicldung stattfindet. Die Gelühlszurück- 
taltung, als "^v^elcne -wir die angeolicne Gelülillosigkeit 
der Depersonalisation auffassen müssen, gekört trietpsy- 
cliologiscli der Analerotilt an, die OelostteoDaclitung sowie 
die von uns erscnlossenen Todeswünscne dem gegen das 
Icli rückgewendeten oadismus/ Die Regression auf die 
primitiv narzißtische Einstellung etenso wie der VV ortlaut 
der Klagen der Kranken lassen erkennen, daß in der 
Depersonalisation ein tieferer, aus der Kinderzeit stammen- 
der W^unscn wieder nacli Erfüllung strebt: der VV unscli 
der Rückkenr in den Mutterleib. 

VI 

^V^ir sind f rüner zu einer Unterscneidung zweier Haupt- 
formen der Depersonalisation gelangt: in der ersteren 
dumpferen — man könnte sagen unbewuljteren — steht 
das Gefühl der Interesselosiglieit und der Gefühlsstockung 
im Mittelpunkte. Die Kranhen machen den Eindruck 
einer fast gewollten Resignation; ihre Klagen haben einen 
leisen, doch spürbaren Charakter der Vvehmut. Die iSelbst- 
beobachtung ist bereits vorhanden, doch hat sie noch nicht 
die ausschließliche Herrschaft über das bew^ußte oeelen- 
leben an sich gerissen. Die zw^eite Form ist durch be- 
sondere iSchärfe der iSelbstbeobachtung sowie durch das 
gesteigerte jSträuben gegen die eigene Affektleere und 

i) W^ir verweisen Lier wieder auf die nanesteuenae Auektiou der 
Zwangsneurose, in der sadistiscne und analerotiscne Trieoregungen 
eine so prävalente Rolle spielen. 



77 



^ 



Interesselosiglteit gekennzeiclmet. Es -wird für den analyti- 
schen Beoiacliter erltenntar, da,^ es sicli In dieser Form 
nicht nur um eine At-welirersclieinung tändelt, sondern 
da^ sie bereits einen Genesungsversuck darstellt. Es ist 
diejenige Form oder Phase, die entweder wirklicli zum 
Durcnbruch und damit zur Realanpassung fülirt, oder 
durch ütermächtigwerden des Ahgewehrten in die T^eu- 
rose oder Psychose überleitet. 

Die Frage, wie sich die Depersonalisationsphänomene 
unter den Gesichtspuntten der Verdrängungstheorie ver- 
stehen lassen, ist keineswegs so einfach, wie sie sich ein- 
zelnen analytischen Autoren darstellt. Folgen wir Ntin- 
oerg, so sind die Fremdheitsgefühle der Ausdruck der 
einleitenden Verdrängungsphase. Diese Behauptung scheint 
mir SU weitgehend zu sein. Es ist vielmehr so, da^ die 
Depersonalisation nicht im deichen des speziellen Ver- 
drängungsmechanismus, sondern in dem der allgemeinen 
Abwehr steht.' In den meisten Fällen der Depersonali- 
sation handelt es sich um die Atwehr gegen einen Trieh- 
anspruch, der vom Ich ausgeht. Manchmal kann man in 
der Depersonalisation eine Ahw^ehr gegen ein Wieder- 
auftauchen des Verdrängten erkennen. Die Fremdheits- 
gefühle sind sonach eher Ausdruck der Atwehr gegen 
ein iStück unerwünschter Realität oder ein wiederaiif- 
tauchendes Verdrängtes, ater nicht das 2^eichen eintreten- 
der Verdrängung. Die »Selbstbeobachtung der Depersonali- 



l) über den Unterschied von Verdrängung und Atwelir siehe 
Fretid, Hemmung, Symjtom und Angst. 1926. S. 1S2 f. 



78 



sation erklärt sick nicht nur aus einem Rüclifluten der 
Libido ins Ich, sondern aucli aus der iSckutzrealttion des 
Iclis auf eine TrieLverstärkung, der sie im Dienste der 
Zensur entgegenwirkt. iSie soll das Auftauchen unlieb- 
samer Walirnelimungen, Vorstellungen und Gefülile ver- 
hindern. Die Abwehr der \V^iederkehr des Verdrängten 
in der Depersonalisation erfolgt so auf zweierlei Arten : 
durch erhöhte Wachsamkeit sowie durch Entzug der 
Libido, der sich dann mittels der Mechanismen der Ver- 
schiebung und Verallgemeinerung über das ganze Seelen- 
leben ausbreitet. Bei der Unanschaulichkeit der Bezie- 
hungen, die wir zu erfassen haben, wird uns vielleicht 
ein Vergleich gute Dienste leisten. Die Rolle der Libido- 
entziehung und die der ^Selbstbeobachtung ist den Maß- 
regeln vergleichfcar, welche eine Abteilung beim Heran- 
rücken einer ühermächtigen, feindlichen Armee ergreift. 
Die bedrohte Abteilung zieht sich auf eine gesicherte 
Position zurück, in der sie keinen üLerraschenden, feind- 
lichen Angriffen ausgesetzt ist, und das Vorgeläiide wird 
durch »Scheinwerfer, Patrouillen usw. beständig abgesucht, 
um jedes Anrücken des Gegners frühzeitig zu bemerken. 
Aus der dargestellten psychischen Dynamik wird es ver- 
ständlich, welche »Stellung die Entfremdungsgefühle in der 
Depersonalisation einnehmen und wie sie zur Neurose 
und Psychose üherleiten. Die Entfremdung der Außen- 
welt entspricht der Abwehr eines peinlichen »Stückes 
äußerer Realität, dem man sich zu entziehen sucht, die 
Entfremdung des Ichs entspricht einer Abwehrreaktion 
gegenüber einem peinlich empfundenen, unbewußten »Stück 

79 




der Persönlicliteit, das zum Bewuj^tsein drängt. Das ist 
freilicli nur im GröLsten richtig, da durck die ^V^irksam- 
Iteit der Projektionsmecnanismen ein inneres Gesclielien 
in die Umwelt versetzt wird und so eine Entfremdung der 
Außenwelt oft nur eine (Spiegelung der Icnentfremdung 
darstellt. 

Die Entfremdungsgefütle, die sick in der Depersonali- 
sation gegenüLer dem Icli und der Au^en'welt geltend 
maclien, sind psycnologisch nicnt gleichwertig, wie selir 
sie sich auch im oymptomenoild vermengen. Die v ei-- 
scliiedenkeit des Ausganges zeigt die \V^ichtigkeit dieser 
Differenzierung: wo die Entfremdung der Außenwelt 
üterwiegt, liann es zur Psychose kommen; wo die des 
Iclis vorlierrsckend ist, liegt die Neurose näher. Ver- 
suchen wir die Verschiedenheit der Entfremdung m eine 
Formel eu fassen, so empfiehlt sich die folgende: Das 
ist nickt die Umgekung, die ick kenne und: Das 
ist nickt das Ick, das ick kenne. ^ Dock wir tun 
kesser, diese Formel in die Frageform zu kleiden, die dem 
psyckologiscken Ckarakter der Depersonalisation soviel 
gemäßer ist. iSie kei^t dann:^V^o kin ick? und W^er kin 
ick? Halten wir daran fest, da^ die Depersonalisations- 

i) Die partielle, auf einen Körperteil gericntete Depersonalisation 
entzieht sick <lieser Formel nicnt: einer Patientin erscnien oft ilire 
eigene Hand plötalicL entfremdet, als nicLt sum Ick geLörig. Die 
Analyse zeigte, Ja^ dieses Gefütl von der Verwunderung ausging, 
■welclie die Kranke füklte, wenn sie wakrend des rsäkens oder Sckreikens 
auf ikre Hand klickte. Es war so, wie wenn sie sick sagte : diese Hand, 
welcke jetzt näkt, kann nickt dieselfce sein, die onanierte und andere 
kä^licke sexuelle Dtnge ausfükrte. 



80 



I 

^^V zustände sich als Reaktionen auf ein scliweres Erletnis 
^^H wie etwa auf eine W^unscnversagung erweisen, so werden 
l^^f wir der Entfremdung der Außenwelt die primäre Be- 
deutung nicht absprechen liönnen, die sie rein Iiistorisch 
schon hat. Ist dies zweifelsfrei anzuerkennen, so erliett 
sicli doch die Frage, oli eine solclie Entfremdung der 
Außenwelt, wie sie die Depersonalisierten zeigen, oline 
vorangehende Iclientfremdung möglicli ist. Unsere Be- 
ziehung zur AuJ^enwelt wird durcli die Realitätsprüfung 
in erster Linie Lestimmt. Die Realitätsprüfung gekört siclier, 
wie Freud ertlärt, dem Ick an, aber dieses Icli ist nocli i 

zur ^eit der Ausbildung der Realitätsfunttion keineswegs 
einheitlich und stabil. jSie wird aucli in Zukunit von zwei 
iSeiten her eine Bedrohung erfakren tonnen. \\^ir wissen, 
wie die Mächte des Es unsere ^Vakrnekmungen fälscken. 
W ir seken, kören, riecken, was unsere Triekregungen uns 
wünscken lassen. Unsere Akkängiglteit von unserer unak- 
änderlicken tieriscken Konstitution wird nock unsere 
Realitätsfunktion stören und ikre Entwicklung in mannig- 
faclien Ricktungen keirren können. Unser Ick stand aker 
lange Zeit auck im Banne älterer, geackteter und ge- 
liekter Personen, denen es die Realitätsentsckeidung üker- 

[lie^. Die primäre Realitätsfunktion gerät deskalk auck 
unter die Kontrolle des Üker-Icks, das anerkennend oder 
zurückweisend, ergänzend oder verändernd die Resultate 
der W^akmekmungen revidieren kann. 

riJun ist es armselig genug, wenn unser Bild der Außen- 
welt von der jSckärfe unserer jSinneswakrnekmungen — 
unsicherer und plumper Aknungen — und der unseres 



l 



Relk. 6 81 



Verstandes — dem eines etwas tlügeren Schimpansen — 
atliängt. Der Mensct, dieses ertärmlichste Haustier Gottes, 
entscteidet ater aucli darüter, ot etwas wirtlicli ist oder 
niciit, je naclidem er es wiinsclit oder nicnt. Und oft 
genug leugnet er oder lügt er die "W^irkliclikeit um, weil 
er es sick niclit erlauten darf, sie für wirldicli zu kalten, 
auck wenn er es wünsckte. Aus diesen E-igensckaften fol- 
gern die Pkilosopken offenkar, daJ^ der Mensck kerufeu 
sei, die Rätsel dieser AV^elt mit untrüglicker iSickerkeit 
au lösen und AV^akres von Falsckem zu untersckeiden. 
In der Entfremdung von der AuJ3enwelt in der Deper- 
sonalisation werden keide Einflüsse, die des Es und die 
des Üker-Tcks, die Realitätsfunttion keeinflussen.^ 



1 



i) Gewii^ wird dies in verscLiedenem Ausmaße gesclielien und der 
Einfluß unserer Trietregungen, die Vermeidung der Unlust wird in 
den meisten Fällen die Hauptrolle spielen. — In der Literatur sind 
tislier kaum Fälle von Depersonalisation Bei Kindern verzeichnet 
worden, ater es unterliegt teinem Zweifel, da^ solche in mehr oder 
minder großem Ausmaße vorkommen, namentlicn bei Kindern, die zur 
Zwangsneurose neigen. Aus der Analyse eines Erwachsenen stammt 
eine Erinnerung aus dem sechsten Jatr, die unzweideutig Deper- 
sonalisationszustände zeigt. Es gab damals eine Zeit, in welcner 
die Interesselosigkeit ies Kindes, der Mangel an Anteilnahme sogar 
den Eltern aufgefallen war. Der kleine Junge verwunderte sicL üter 
sicL selbst; er bescLäftigte sieb in jener Zeit viel mit der Frage, wer 
er eigentlick sei und was er füUe. Die Erinnerung aeigt ilin, wie er 
viele Nactmittage auf dem Sofa liege und sieb selbst leise beim 
Namen ruft: »Felix, Felix!«, sick wunderte, da^ er der Felix sei und 
wissen möckte, ot und was er wirklich fühle. — Ein anderer Patient 
entwickelte als Siebenjäkriger eine auj^erordentlicb gesteigerte Selbst- 
teotacktung, die er als quälerisck empfand und über die er sick bei 
seinem fransösiscken Eetrer keklagte. Er nannte diesen Zwang, das 



8a 



^ 




vn 

Die früker aufgestellte Formel für die Depersonali- 
sation »Wer tin idi?« — im jSinne der psydiologisdien 
Erfassung des eigenen Idis — fülirt uns zu unserem eigent- 
Iidien Ttema: den Bezieliungen zwisdien Depersonali- 
sation und Psydiologie. Sie ist im iSinne jener Mahnung 
des delpliisdien Gottes die Frage, der alle psydiologisdie 
Forsdiung untewu^t zustreLt. 

Nun sind diese Bezieliungen oft liervorgelioten worden, 
sie wurden melirfadx Gegenstand der Untersudiung. Wir 
gelangen liier offentar auf ein gefälirlidies Getiet: das 
der Psydiologie der Psydiologie. Audi liier wird die 
Untersudiung von Psydiologen gefülirt und sie tetrifft 
die psydiologisdien Voraussetzungen und die seelisdien 
Motive des psydiologisdien Arteiters. Darf man leise 
daran zweifeln, dajj soldie Untersudiung von persönlidien 
und sdiwer tontroUiertaren Vorurteilen und Gefülils- 
momenten unljeeinflu|t tleifcen wird? Nein, der Zweifel 
ist ülierliaupt eine ungeliörige Eigensdiaft für den Psydio- 
logen. Er verträgt sidi nidit mit dem exakten Ctaraltter 
einer Vv issensdiaft. 

odiilder, der sidi besonders eindringlidi und öfters 
sdiarfsinnig mit unserem Tliema tesdiäftigt Iiat, tetont, 
man könne introspektive Psydiologie treuen, olme de- 

Icli zu teotacLten, damals setr cLarakteristJsct : Ja manie des deux 
personnes". — Die Rolle des üter-IcLs m der Depersonalisation lä^t 
es verstellen, warum diese Zustände erst von einem testimniten Alter 
an bei Kindern vorkommen können. 



83 



personalisiert zu sein.' Wi würcJe mieJi getrauen, diesem 
Satze, Jer uns ins Innerste unseres Protlems führt, zu 
widersprecJien.^ NotJi in Jer introspektiven Psydiologie 
ist ein 5tii<i jener Depersonalisation entlialten, die wir 
mit der Idispaltung und -entfremduhg, mit Aflett- 
surüAtreten und der Entpersönlidiung der Gefülale ver- 
liinden. 5diwerer als der Felder in dieser Beliauptung 
wiegt das, was felilt. Es ist leidit zu ergänzen, wenn man 
eine Vertalform ändert. Es ersdieint melir als fragwürdig, 
ot man introspektive Psydiologie treiten kann, oline in 
einem gewissen Ausmaße depersonalisiert zu sein. Gewi^ 
ater kann man nidit introspektive Psydiologie treiten, 
olme depersonalisiert gewesen zu sein. Felilt m iSdiilders 
Beliauptung nur das eine Moment? Nein, es giLt nodi 
ein anderes. Man mu^ liinzufügen: man kann nur dann 
introspektive Psydiologie treiben, wenn man die Deper- 
sonalisation in einem gewissen Ausmaße ükerwunden hat. 
"W^ir gehen also nadi zwei Seiten üter Sdiilders An- 
sidit hinaus. 

Nadi Sdiilder ist es für die Depersonalisation diarak- 
teristisdi, dafj die Tendenz des Beohaditens mit der Ge- 
füklstendenz ringe. Man könne sagen, wälirend des Fülilens 
wolle der Depersonalisierte heotaditen und wäkrend des 



1) Selbsttewu^tsem und Persönlidikeitstewu^tseln. Monogiapliie 
nus dem GesamtgetJete der Neurologie und PsydiiatrJe. Heft 9. 19l4' 

2) Mit Genugtuung stelle idi naditr-Hglldi fest, dalj Herr Professor 
Sdiilder, dem idi meinen Einwand vorlegte, freimütig erklärte, er 
würde diese Beliauptung heute nidit melir vertreten. Er wies mit Redit 
auf die sMi.fdiungsverliältnisse« bin, die Kier eiitsdieidend sind. 



8^ 



Beobamtens wolle er voll erleben. Dies ist 2'%veifelIos in 
einem gewissen Ausmaße der rall und die Besoireibung 
mit inrem stilistisca reizvollen Gegensatz -wirkt besteaiend. 
Allein ein prägnanter, bisher übersehener Zug im Oym- 
ptomenbilde der Depersonalisation ist, daJg diese Kranken 
neben inrer sonstigen Interesselosigkeit keinerlei Beniülien 
zeigen, ilir oeelenlebeii mit den E-rklärungen inrer neuro- 
logisdien Beobaditer in Übereinstimmung zu bringen. Tat- 
säoilidi ist die iSaailage "weit komplizierter: der Deperso- 
nalisierte will erleben und fülilen, aber er kann es nioit, 
■weil die Art seiner Erlebnisse und Affekte iiim niait die 
-»vünsaienswerte ist. Die Beobaaitung aber ist zwangnaft; 
sie bat die Tendenz, die Unmöglioikeit des Fünlens und Er- 
lebens zu über-winden: sie entspridit also einem Heilungs- 
versuai. Gleidizeitig gibt sie ■wirklidi den Ersatz des Er- 
lebens und Fülilens — eben in der sozusagen verdünnten 
Form der Introspektion. Die Erklärung Oaiilders stimmt 
also nur in einem geringen AusmaJje. vVer beobamten 
will, kann nidit gleidizeitig naiv erleben, das ist riditig. 
Aber die iStörung im Erleben mul3 vorausgehen, sonst 
käme es gar niait zum Beobaditenw ollen. Beobaditen- 
w^oUen und Erlebenwollen w^iderspredien einander nur 
für den oberlläailidisten Blios:; im Tielsteji verlaufen sie 
in derselben Riditung. Es -wäre viel riöitiger zu sagen: 
der Depersonalisierte kann nidit füIilen und muJj desnalb 
beobaditen. Man bat einem Kinde die iSoiokoladetorte 
verweigert und zum Ersatz dafür Bonbons angeboten; 
während es die Bonbons iljt, liört es doai nidit auf, die 
Torte zu verlangen. 



85 



AV^ir stoßen liier auf den Punkt, an dem klar -werden 
mw4, -wie' \lesen und Ursprung der Psyoiologie der 
Depersonalisation nanestelit. \Vir -waren früner geneigt, 
5(}iilders Satz daliin umzulornien, man könne nur intro- 
spektive Psydiologie treiben, -wenn man in einem ge-ivissen 
Ausmaße depersonalisiert ge-wesen sei. Dodi -war dies ge-wi^ 
nidit im oinne einer Krankkeitsersdieinung, sondern in 
dem einer bestimmten Einstellung zum Idi gemeint. Es 
ist daliin zu verstellen, dai3 es einer ge-wissen partiellen 
Depersonalisation bedarf, um überliaupt zur -wissensdiaft- 
lidien Introspektion zu gelangen. Der naive, instinkt- 
ungebroaiene Mensdi fünlt keinerlei Bedürfnisse nadi 
introspektiver Erkenntnis; sein eigenes Oeelenleben inter- 
essiert iliii nioit. Er bat seine Libido der Au^eii-welt zU' 
ge-wendet und die unbe-wu^te Projektion seiner seelisoien 
Leistungen auf die Umwelt ist ilim der natürlioie VV eg 
des ^V^elterkennens. Er suoit ein iStüoi Realität der greif- 
baren Art zu erobern; man mömte sagen, er sei mit jener 
Art vergängliaier Illusionen, w^eldie -wir die Vv irklioikeit 
nennen, zufrieden und es gelüstet inn nadi keiner anderen. 
Das Reiai des Psydiologen aber ist nidit von dieser VVelt, 
der AV^elt der materiellen Realität. iSTatürliaiei-weise ist 
die ^V^alirnenmung nadi au^en gericbtet und die vVen- 
dung der Aufmerksamkeit zur inneren vV^abrnebmung ist 
bereits Zeidien einer iStörung im Libidobausnalte.^ 

i) JMoebiiis tat dies oereits ausgeseidinet formuliert: »Es ist 
uns sozusagen natürliai, den Blidt auf die AuJ^en-welt zu rioiten; es 
ist unnatürlioi, den BlicK nadi innen su rimten. VV ir können uns 
einem Alensmen vergleiaien, der von einem dunklen Zimmer aus durck 



86 



f 

^^M Erst der Konlliltt z-wiscLen den verdrängten Trieb- 

P^K träften und den JM-äoiten des lois maait übernaupt das 
l ■ Problem der Introspektion aktuell. vV^ie gesagt, reibt sioi 

I in diesen Konüiit jener V ersum der Anästnetisierung des 

K Seelenlebens, den wir in den X)epersonalisationszuständen 
! m besaireiben, ein. 

■ ^V^enn dies so ist, erbebt sidi aber aufs neue die Frage 

I naoi der Rolle und Bedeutung der iSelbstbeobaditung 

innerlialb der Depersonalisation. »Sollten -wir ilire wirk- 
lioie otellung nioit erkannt liaben? Dies smeint mir nun 
tatsäailidi so zu sein. Die iSelbstbeobaditung ist nidit 
primär mit der Depersonalisation verknüpft; sie ist ein 
sekundäres Pnänomen. VVir wollen o milder nimt zu- 
gestelien, da^ das erste keimen der Depersonalisation 
»quälender iSelbstbeobamtungszw^ang« ist; nooi weniger 
Osterreioi, da^ der E-intntt der Depersonalisation teil- 
w^eise, »wonl direkt auf der XJberwumening der öelbst- 
beobaaitungsfunktionen« berune. Primär ist die Imspaltung 
und -entfremdung. Die iSelbstbeobaditung mag oft zuerst 
auffällig in Ersmeinung treten, aber das bedeutet nidit, 
da^ sie zuerst da war. iSie ist scnon als ein Anzeiaien 

ein kleines Fenster die sonnenbesaiienene v\^elt tetraditet: drauJ^en ist 
alles leimt untersdieicioar, telirt er sim aoer wni, so finaet er sim 
stiiwer in seiner dituMen Beiiatisuiig sxtreoit.ft (Die Hollnungslosigkeit 
aller PsyAoIogie. 1907. S. la.) Der gute Vergleich lükrt weiter; er 
ist auoi geeignet, tioer die Motive der psymologismen Einstellung etwas 
aussusagen. Die Aufmerksamkeit, die ursprüngliai auf die »sonnen- 
besmienene vVelte gerimtet war, wird sioi der »dunklen Benausung« 
nur dann zuwenden, wenn draußen etwas XJnerfreuliaies gesoiient oder 
ein ^Ereignis im zJimmer selbst die W^endung erswingt, 

87 



des Ankämpfens gegen die dumpfen Gefüme der Idi 
entfremdung anzusenen; sie ist Bereits ein erster und un- 
zulänglimer Onentierungsversuoi im Idi. Der IdLido- 
entzug von der Au^en'welt sowie ilire Rüttzienung ins 
Im ist zwar eine v orbedingung der aeltstLeotaditune, 
aber diese Prozesse müssen nidit untedihgt zur jSeltst- 
teotaditungfüliren. Dieselten Vortedingungen treffen für 
bestimmte Psyaiosen zu, aber das psyaiisdie Resultat ist 
ein völlig versaiiedenes. Die Tatsadie, daJg die iSeltst- 
beobaaitung in der Depersonalisation auftaudit, zeigt an 
sim nidit, welaic otellung ilir innernall) der Ersdieinun- 
gen zukommt. 

VV ie naoen wir die oelbstbeobaditung zu fassen, weldie 
Funktion haben w^ir inr innerhalb der Depersonalisation 
einzuräumen? W^ir sagten tereits, sie sei der Ersatz der 
durdi die intrapsydiisdic Hemmung gestauten Affette. 
Aus dieser iStellung sowie aus anderen Erwägungen ergitt 
sioi, daJj das, was uns vom W^erte eines patliologisdien 
iSymptoms an der gesteigerten und typisdien iSelLst- 
teoLaditung der Depersonalisation erscheint, wirklidi eher 
Oymptom eines Heilungsversudies ist. ^^ir glauhen ertannt 
zu hahen, da^ die Oeltstheohaditung der Depersonali- 
sation selbst gewissermaßen an heiden Reidien Anteil hat : 
sie taudit in den Krankheitsrayon ein und sie weist 
den VV eg zur Genesung. Dieser hisher ütcrsehenen, 
aweiten Funktion dient sie, indem sie die Untersdiiede 
zwisaien der früheren und der jetzigen seelisdien (Situa- 
tion aufzeigt und untewu^t den verhorgenen Motiven der 
Veränderung der Einstellung nahekommt, gleidisam das 

88 



1 



seeliscae Terrain sondiert. Die oelbstbeobadxtung ist also 
zugleim Symptom der E-rki-anlsuns ^vie Zeidien der Ge- 
nestingstendene, so wie aas Fieber die Erkrankung eines 
Organismus und zugleiai Atisdrui der Ab-wenrkämpfe 
des Organismus gegen den Kranklicitserreger bildet. In 
diesem Sinn ergibt sidi zwar die Selbstbeobaditung aus 
der Depersonalisation, aber sie stellt zugleim einen Ver- 
suai dar, die Depersonalisation zu überwinden, ist bereits 
Ausdruck für eine Strebung zur Bewältigung der patlio- 
genen Einflüsse. Es ist erkennbar, da^ die Selbstbeob- 
aditung im Grunde mit der Selbstkritik zusammenfällt. 
Freud bemerkt, da^ dieselbe Tätigkeit, weldie die Funk- 
tion des Gewissens übernommen hat, in den Dienst der 
Innenforsoiung gestellt wird. 

Von liier aus wird es uns leidit, den Rüatweg zu 
unserem Problem, den Beziehungen zwisdien Psydio- 
logie und Depersonalisation, zu linden. Niemand leugnet 
die Verwandtsdiaft der Selbstbeobaditung in der De- 
personalisation und der introspektiven Psydiologie als 
einer wissensoiaftlidien Metnode. Aber diese Bezieliungen 
sind nidit einfadi und unsere Ungeduld, die uns immer 
wieder zu simplen oder eleganten Problemlösungen drängen 
will, ist nidit das beste Mittel, die Aufgabe sadigemäij 
EU lösen. Jeder, der die bezügliaie Literatur kennt, weiJg, 
da^ die Autoren der "wissensdiaftlioien Psydiologie sidi 
immer wieder mit der Frage besdiäftigen, w^ie sidi die 
Introspektion mit der Editlieit und Lebendigkeit der 
Affekte vereinbare. Es ist auoi bekannt, dalj die Gc- 
lenrten die Veränderungen konstatieren, w^eldie die der 

89 



oelbstbeobaditung tmterworfenen, seelisdien Pliänomene 
eben durdi die Introspektion erleiden. JMan Iiat darauf 
ningewiesen, -wie die oelbstbeobaditung sogar das Auf- 
taudien starker Affekte verbindere und Gefüblsintensitäten 
absdiAvädie. Greifen wir auf das zurück, was wir über 
die Oelbstbeobaditung in der Depersonalisation gesagt 
Laben. "VV^ir haben der Ansidit der Neurologen, da^ die 
5elbstbeobaditung dem Füblen nidit günstig sei, nidit ibre 
Bereditigung abgesprodien. Aber wir betaupten zugleidi, 
daJj die Oelbstbeobaditung nidit primär zur Depersonali- 
sation gebore, zu ibr liinzutrete und einen Versudi zu 
ihrer Überwindung darstelle.* Ist es erlaubt, die Sadilage 
durdi einen Vergleiai nane zu bringen? 

rs ebmen wir an, ein Beamter arbeite eine gewisse An- 
zalil von (Stunden täglidi an seinem iSdireibtisdie. An 
einer \V and nabe dem iSdireibtisdie sei ein »Spiegel an- 
gebradit. Dieser sonst besonders pflidittreue und fleißige 
Beamte fülile nun eines Nadimittags, zur gewobnten 
»Stunde an seinem ooireibtisdie sitzend, teine Lust zur 



1 



i) VV le weit sidi die Lier vertretene AnäJiauung von der tisLerigea 
entfernt, lä^t sidi erkennen, wenn man etwa Lei Sdiiljer (Entwurf 
zu emer Psydiiatrie auf psydioanalytistJier Grundlage, S. 3g) liest; 
»Anders ausgedrücfct, die SelLstteotatlitung vertritt den inneren Witler- 
sprudj.K In Wirtliditeit war Jer innere Wiclersprudi früLer da als 
die Oelbstbeobaditung, aber <Jiese ist keineswegs nur sein AusdruA, 
sondern audi ein Versudi, iliii su üterwinjen. Die untewu^te enjo- 
psydiisdie WaLrnelinlung, deren Bedeutung für die Idientfremdung 
und das Gefükl der Entpersönlidiung klar ist, ist natürlidi primär, 
aber sie liegt auf einer anderen psydiisdien Etene als die tewu^fe 
Seltstbeobaaitung in der Depersonalisation. 



90 



Arbeit. Statt seinen begonnenen Akt lortzusetsen, be- 
siältige er sidi mit seinem Spiegel, unterziehe sein Ge- 
siÄit einer sehr aufmerksamen und eingehenden Prüfung, 
telire naoi einem vergeblidien Versuoie, sioi auf seine 
Arbeit zu tonzentrieren, immer -wieder zu seinem Spiegel- 
bilde zurüdt. Die Beobaditer unseres Beamten behaupten 
nun, die Besoiäftigung mit dem eigenen Bilde, die Selbst- 
bespiegelung, lasse den Mann nidit zur Arbeit Itommen. 
Sie störe seine Aufmerksamkeit und lenke seine Ge- 
danken von den geheiligten Angelegenheiten des Staates 
ab. vVenn w^ir uns auf den früher zitierten Satz eines 
iieurologisQien Beobaditers berufen, wäre die Sadilage 
emfadi diese : wenn der Beamte arbeiten w^olle, sehe er 
in den Spiegel und, wenn er in den Spiegel sehe, w^oUe 
er arbeiten. W^as könnte ridxtiger und präziser sein als 
diese Besdireibung seines z^wiespältigen Zustandes, der 
»\V idersprodienheit« seiner Absiditen, in der sidi die ganze 
Vergeblidikeit und Inkongruenz des mensoiliaien Daseins 
spiegelt? Aber ist die Besdireibung audi ausreidiend, 
deoit sie den wesentlidien seelisdien Saai verhalt? Idi 
wage es, dies zu bezw^eifeln. Der Spiegel war immer da, 
er hing da seit Jahr und Tag, aber der Beamte, mit 
seinen Akten intensiv besaiäftigt, gönnte seinem Spiegel- 
bild früher kaum je einen flüditigen Blidt. Der Spiegel 
stört ibii jetzt; ganz redit. Aber w^aruni hat er ibn früher 
nidit gestört? ^V^oher die plötzlidie Aufmerksamkeit? Ist 
es nidit zu oberflädilidi, anzunenmen, der Spiegel selbst 
sei an der Arbeitsstörung sdiuld? Gew^i^, man kann niait 
zu gleidier Zeit arbeiten und in den Spiegel senen. Aber 



91 



t 



1 



darin ist nidit das \S^esentlicae der tesdirietenen iSituation 
enthalten. Es saieint mir weit aufsailu^reioier su ergrün- 
den, was unseren, frülier so fleij|igen Beamten, der sidi 
selbst so oft über seinen Akten vergaß, itrsprünglidi J^ 
der Arbeit störte und ibn so zu ungeivonntem, eitlem 
Tun drängte. Vielleidit hatte er private iSorgen, die sidi 
ihm in die Arbeit eindrängten, vielleidat sind beute Ge- 
danken in ihm aufgestiegen, die sein den Akten zu- 
gewandtes Interesse in befremdender Art ablenkten. Viel- 
leidit Iiatte er gerade eine empfindlidie Kränkung seiner 
Eitelkeit erlitten oder iSorgen wegen Kranklieit oder Alter 
hatten ibn bedrüdtt. Nidit der ^Spiegel wäre dann das 
(Störende ; die Störung war früIier da und dieses Inden- 
spiegelseben ist bereits ibre Folge, nidit ilir Motiv. iSidier- 
lidi, die Arbeitsstörung hält an, wäbrend unser Beamte 
in den iSpiegel siebt, aber seine iSelbstbeobacbtung ist 
nidit ilire Ursadie. Nelimen wir wirklidi einen Augen- 
blldt lang an, ein Erlebnis babe ibn beute in seiner 
Eitelkeit getroffen und nun wolle er sidi überzeugen, 
da^ er nodi ganz ansebnlidi und bübsdi aussebe. Ist da 
die Beobaditung im (Spiegel nidit eber ein Versudi, die 
Arbeitsliemmung zu überwinden, mag er nun glüien 
oder nidit? Derjenige, der erkennt, da^ er sidi in einer 
fremden Gegend verirrt bat und sidi nun zu orientieren 
versudit, wird sidi eber zureditfinden als einer, der dumpf 
seinen VV eg fortsetzt. 

Keliren wir zu unserer Fragestellung zurüi : wir leugnen 
die Veränderung psydiisdier Akte durdi die iSelbstbeob- 
aditung nidit; ja wir sind geneigt, einige wesentlidie Ver- 



9» 



ändeningen anzunelimen. Jenen die Psydiologie nodi nidit 
einmal ilir Augenmerk zugewendet kat.^ Ater, -wie uns 
sdieint, liat der Eifer, diese Veränderung festzustellen 
und sie auf die Introspektion zurüdczufünren, die Psydio- 
logen Anderes, "W^iditiges üterseken lassen. Es sind dies 
jene Veränderungen, weldie vorher stattlinden und die 
zur iSelkstkeotaditung fükren. Es sind deninadi zwei ge- 
sonderte Prozesse zu konstatieren: der eine fükrt zu einer 
veränderten psydiisdien Situation und drängt zur iSelbst- 
keotaditung; der zweite, die iSeltstkeotaditung seifest, 
läfjt wieder die eigenen psydiisdien Akte in veränderter 
Art empfinden. Die Versudiung liegt nalie, Veränderun- 
gen, die dem ersten, zum größten Teil unfeewu^ten Pro- 
zesse zuzusdireifeen sind, auf das Konto des zweiten, fee- 
wu^tseinsfäkigen zu setzen. 



VIII 

Wir liafeen feekauptet, die jSelfestfeeofeaditung der De- 
personalisation sei bereits der Ausdrude eines Heilungs- 
vetsudies, einer Anstrengung zur Bewältigung der patlio- 
genen Einflüsse. Ilir latentes Ziel sei die Zurüdcfükrung 
des iSeelenlefeens auf den Status quo ante. Von liier aus 
zur introspektiven Psydiologie ist nur ein iSdiritt. Die 
introspektive Psydiologie liegt in der Fortsetzung der 
Linie, an deren Anfang die nodi dumpfe iSeltstbeob- 

i) So taten Jie PsycJiologeu gewi^ noji wenig teraeikt, daij die 
Hemmung Jer psyitiäcten Akte atiit Jurdi Jie atif Jer Seltstteot- 
.iditung tasierende, tintewu^te Seltsttritik tewirkt wird. 

93 



aitung der Depersonalisation mit ilirer Konstatierun? 
der zwei lie, mit iliren Klagen üter die Idiveränderun- 
gen stellt. Die Selfcstteotaditung der Depersonalisation 
ist nodi nidit Psydiologie als Wissensdiaft; sie ist sozu- 
sagen ilir Larvenzustand, eine Präexistenzform der psydio- 
logisdien Forsdiung. Das sadilidie Interesse an den eigenen 
seelisdien PLänomenen zeigt, da| in der introspektiven 
Psychologie die Heilungstendenz weitere Fortsdiritte ge- 
madit hat und die Depersonalisation weitgellend üter- 
wunden hat. ILre Restersdieinungen sind nodi in der 
wissensdiaftlidien Introspettion zu Itonstatieren. 

So tann man, wenn man will, die wissensdiaftlidie 
Psyckologie seltst als üterrest, als »survivah eines Krant- 
Iieitssymptoms anseilen, es sei denn, was gleidi riditig 
ist, da^ man sie als Heilungsversudi wertet. jSie ist eines 
der Zeidien der Erreidiung einer testimmten Kulturstufe 
und zeigt die patkogenen Einflüsse dieser Kultur; zu- 
gleidi ist sie dodi ein iStüi Kulturtorrettiv. Die Be- 
sdiäftigung mit introspektiver Psydiologie geliSrt gewi| 
nidit an den Anfang der Kultur. Psydiologie ist in ^alir- 
Iieit die jüngste der Wissensdiaften und nur durdi At- 
zieliung der Litido von der Außenwelt ermSglidit. Alle 
anderen Wissensdiaften stellen sidi als Bewältigungsver- 
sudie äußerer Nöte, vitaler Notwendigkeiten des Mensdien 
m einer feindlidien oder zumindestens gleidigültigen Um- 
welt dar. Die Psydiologie dient unstreitig der Besdiwidi- 
tigung, Bewältigung jener inneren Mädite, die man frülier 
draußen sali und deren man durdi Magie und Getet 
Herr werden wollte. Der primitive Mensdi ist wie das 

94 



Kind ursprünglidi geneigt, ilm störende endopsydiisdi 
wanrgenommene Trietregungen -wie ein 5tück Aii-§en-welt 
zu tenandeln, sie naai au^en zn projizieren. Die Psyoio- 
logie fülirt diese projizierten JMädite wieder in das eigene 
oeelenleten zurüdc. Kulturgescliiditlidi gesellen, ist alle 
Psydiologie Metapsydiologie. jSo wird sie fällig, die TSTöte 
des Innenlebens, die sidi letzten Endes aus den Konflitten 
der Anforderungen der Außenwelt und den Triettedürf- 
nissen entw^iatelt naten, einigermaßen zu erkennen, -WTomit 
ein Stüac Bewältigung oder Atmilderung vertunden ist. 
Es kann liier nioit dargestellt w^erden, wie siai noai 
in der introspektiven Psydiologie narzißtisdie und maso- 
diistisoie Momente aus der Litidorüdcwendung ins Idi 
ergeten. Ebensowenig, w^ie dieser Zweig der W^issensoiaft 
noai iSpuren jener Anästnetisierung des Seelenletens, die 
wir in der Depersonalisation fanden, zeigt. Vielleidit ist 
es der Eitelkeit der Psyoiologen nidit angenelim, dag siai 
ilire VVissensaiaft ilirem Ursprünge und ilirem AV^esen 
nadi so intim mit krankliaften Ersaieinungen terüurt. 
Ater wir sehen keinen ^V^eg, diese narzißtisdie Empfind- 
lidikeit zu sdionen. Es ist nidit einzuselien, w^arum die 
Psyoiologen nidit ebenso unter den inneren odiwierig- 
keiten gelitten naLen sollten wie die anderen JVtensdien, 
von denen sie sioi oft nur durdi ein liödist ungeredit- 
fertigtes Gefühl der XJLerlegenlieit untersdieiden.^ 

i) Diese mensailicneni Leid entsprungene, patlxogone Natur der 
Psyctiologie s Jiemt so stolse Gelülile der Psyoiologen nioit ausÄUsdilie- 
^en. Auoi Lier -wird aus der psyansmen INot eine Tugend gemamt. 
iJies ist ja der Ursprung aller unserer sogenannten Tugenden. 



95 



1 



Die direkte, tewii-^te Introspektion tat Jer Psydiologle 
bisner nur wenige tma wenig beoeutungsvolle Resultate 
geliefert. Die unLewuljte endopsydaisdie \S^aIirne}imun" 
ist dagegen als die w^iditigste Voraussetzung der psydiolo- 
gisdxen Erkenntnis anzuspredien. ^V^ir ^^rürc^en die psydxi- 
sdien Vorgänge bei Anderen mdit verstenen können, liätten 
wir nidit in dieser unbewußten, endopsydiisdien \S^alir- 
nehmung eine VergleidismöglitJikeit mit den eigenen seeli- 
saien Prozessen. Hier ist ein unbewußter Kreislauf be- 
fremdender Art: wir verstehen den Anderen, indem er sidi 
in uns spiegelt, und uns selbst im »Spiegel des Anderen. 

Die narzißtisdie oeite der iSelbstbeobaditung ist so 
häufig und mit soldiem Nadidrudc nervorgenoben \vorden, 
daß es ungereditfertigt wäre, eine andere zu. vernadi- 
lässigen. Die Äelbstbeobaditung ist Ja audi ein Versudi, 
das eigene Idi xu objektivieren, es gegenständlidi zu seilen 
und nähert es so der Außenwelt, der gegenüber die Idi- 
grenzen einst in frülier Kinderzeit versdiwammen. Es ist 
nodi kaum bemerkt worden, daß in der iSelbstbeobaditung 
wieder eine immanente Tendenz zur Fremdbeobaditung, 
die ihr Iiistorisdi vorausgellt, liegt. Die RücLwendung in 
die Außenwelt aber bedeutet wieder eine Libidobesetzung 
der äußeren Objekte und damit ein iStüdt psydiisdier 
Entlastung. Erst jetzt wird wissensdiaftlidie Psydiologie 
möglidi : ihre Voraussetzung ist also Rüdiverwandlung 
des sekundären Narzißmus in Objektbesetzung. 

Grob gesprodien, handelt es sidi in der Psydiologie um 
eine Fludit aus einem milden Depersonalisationszustande 
In die W^issensdiaft. AS^ie weit mit soldier Rüdtwendung 



lii die AuJ3en-welt Avieder sadistisdie Triebimpulse und 
Bejnäaitigtingsteiidenzen , — knowleage is power — frei 
weroen, bedarf der nälieren Untersudiung. Es ist auai 
nidit zu überselieii, da^ noai in der Psyaiologle ein Stück 
naiven Erlebens verlorengeht, daJ3 sidi noai in dieser 
vV issensdiaft ein Rest jener Gefiinlsentfremdung gegen- 
über den eigenen Erlebnissen erhalten hat, weloie die 
Depersonalisation benerrsdit. 

Man könnte hier einwenden, da^ jede wissensdiaftlidie 
Forsdiung das individuelle Gefülil möglidist aiissdialtet 
und die Beobaditiing der Tatsadien als erste und -wicn- 
tigste Forderung postuliert. Allein es ist jedermann klar, 
daJ} die seelisaien Phänomene als lainäner empfunden 
werden als die der äuJjeren VV alirnenmung Eugänglidnen 
Fakten. Jene partielle Entpersönlidiung des Aflektlebens, 
die wir als eine Form der Depersonalisation kennenge- 
lernt haben, ist als psydiisdie Voraussetzung der w^issen- 
schaftlidien Psydiologie unbestreitbar. Aber diese selbst 
bedeutet einen \^eg, die Idientfremdung und die Ent- 
fremdung der Au^en-welt w^eitgenend zu überwinden. 
An otelle der Fluoit vor dem w^iederkenrenden Ver- 
drängten setzt die Psydiologie — besser: die Tiefen- 
psydiologie der Analyse — die Auseinandersetzung mit 
den unbew^uljten Regungen und führt so w^ieder zu einer 
Annäherung an die Einheit der Persönlidikeit. Es wird 
hier klar, da^ die Psydiologie so nodi ohne ihren AV^illen 
psydiotlierapeutisdie Aufgaben bewältigt. Der latente 
Zusammenhang ewisdien iSelbstbeobaditung und psydii- 
schen VV iederherstellungstenden^en wird gerade in der 



P..elk. 7 



97 



Temnilt der Psydioanalyse einleuditend. \V^enn die Ana- 
lyse darnadi traditet, die Idispaltung des Neurotilters auf- 
zuneoen, so ist dies lieineswegs mit einem Versudi, sie zu 
versdileiern und zu dämpfen, identisdi. Der Nervöse wird 
im Gegenteil tald nadi Beginn der Behandlung in die 
Lage kommen, die Verfeindung zweier Parteien im Iclt 
kennen zu lernen und die seelisdie Bedeutung seiner Idi- 
entfremdung zu verstellen. Es wäre unriditig, zu teliaupten, 
der Analytiker stelle artifiziell eine Depersonalisation laer; 
er dedct sie nur auf. E-rst auf Grund des tewu^ten Ver- 
ständnisses der Verfeindung im Idi kann es dem Kranken 
gelingen, audi das Idientfremdete als ein iStüdt der eigenen 
Persönlidikeit, das atgespalten wurde, zu erkennen und 
anzuerkennen. Der Analysand lernt es allmätlidi, in sidi 
hinein zu sdxauen und sidi zu teotaditen. Dies gesdiielit 
zu einem beträditlidien Teile dadurdi, da^ der Patient, 
dem Betspiele des Analytikers folgend, sein eigenes jSeelen- 
leben in immer weiterem Ausmaße und mit steigendem 
Interesse als gegenständlidi erfaßt, seine psydiisdien Vor- 
gänge als Otjekt sielit. Der Analytiker induziert oder 
verstärkt zumindestens den Prozeß der iSeltstteotaditung, 
weldie in der Depersonalisation so auffallend kervortritt. 
Es mu^ einer Auffassung, weltJie die iSelistteokaditung 
z. B. in der Depersonalisation nur als Krankkeitssym- 
ptom anerkennt, sdiwer werden, soldie atsonderlidie 
tkerapeutisdie ^ege zu würdigen.' Man kann audi nidtts 



i) Man vergleitäie s. B. die Ansidit Janets üter die Seltst- 
beobaAtung der Depersonalisierteu : «Celle aptitude ci l'introspecHon 



98 



Ernstliaftes dagegen einwenclen, wenn die geistig iSdxIidi- 
teren unter den Psydiologen die W^irliung dieser analy- 
tisdien Beotaditung »Entliarmlostmg« nennen. Audi die 
Amputierten klagen nodi üter iSdimerzen, die sie in den 
nidit melir vorkandenen Gliedern verspüren. 

Die Depersonalisation eröffnet den Eintlidt in eine 
psydiisdie Situation, die nur auf einer testimmten Kultur- 
s^tufe, d. li. also nur unter testimmten Verdrängungs- 
liedingungen, möglidi ersdieint. Ja, man darf — von ver- 
einzelten krassen Grenzfällen atgeselien — füglidi daran 
zweifeln, ot sie üterliaupt als spezielle Krantlieit an- 
zuspredxen ist oder nidit vielmehr als Kulturersdieinung, 
die siai unter gewissen sozialen Verliältnissen entwidcelt. 
Die Bedeutung der Depersonalisation als einer tesonderen 
Art der psydiisdien Einstellung und Haltung, itre Aus- 
wirkungen in den versdiiedenen Formen des individuellen 
und kollektiven Lebens w^ürde einer ausfünrlidien geson- 
clerten Erörterung bedürfen und sie verdienen. 

Unsere Kulturbedingungen vorausgesetzt, w^erden wir 
wonl das Ausmaß unserer tlierapeutisdien Leistungen auf 
dem Gebiete der Depersonalisation kaum zu übersdiätzen 
geneigt sein. Man kann die Psyckoanalyse als die bisber 
tiefgreifendste Tlierapie der Neurosen anerkennen und 
dodi einem sanften Skeptizismus in Bezug auf die Tberapie 
der Neurosen überhaupt zuneigen. Idi wei^ wobl, da^ die 
Skepsis böse, den versdiiedenen Standes- und Staatsinter- 



psydiologique me paratt stmpleinenl une consequence dt la faihlesse de leur 
tsprit.T, (Les otisessioiis et la psyciasttenie. Paris igiS. BJ. I. S. 485.) 



7* 



99 



1 



essen verlia^t und ein Greuel vor Gott und den Mensdien 
ist. Aber der tlierapeutisdie Terrorismus ist deshalb um 
nidits gereditfertigter ; das fanatisdie Erzwingen des fremden 
»Heiles« liat vermutlidi melir Elend ülier die Mensdien 
getradit als das runige GeA*rälirenlassen. Es hat audi im 
Tiefsten nidxts verändert. Die zivilisierte Gesellsaialt wird 
immer auf der triebliaften Konstitution und auf der Er- 
tärmlidikeit, Dummlteit und Kurssiditiglteit ihrer Mit- 
glieder terulien, also auf unersdiütterlidien Grundlagen. 



loo 



Uie jjsyaio Logische Jßedeutung des 
Saiweigens 

rvam einem Vortrage in Jcr Wiener Psyaioaaalytisaicii Vereinigung 
am 9. Januar I9s() 



Die folgenden Bcmerktiugen nelimen eine Einsclftagc 
der analytisdien Teainik zum Ausgangspunkte, streben 
inaessen nadi einem anclereu Ziele. JVlan möge es mir 
clesliall) sttgiite lialten, ■wenn lai hier der Erörterung eines 
tedinisdien Problems aus\veidie, und es verseilien, wenn 
iai ein soldies denuooi gezwungenermaßen streife. 

In einer iStunde, die dtirdi gesteigerte ^V^iderstände gc- 
kcnnzcidinet war und auf die w^ir nodi eingehen werden, 
erklärte ein Patient erbittert, die Analyse sei an sidi 
»eine unmöglidie Situation«. Die Aufriditigkeit würde 
gebieten zu sagen : er bat reait im iSinne aller gesellsdiaft- 
lidien Konventionen. Es ist saiwer mögliai, einem fremden 
JVlensdien intimste Tatsadien des eigenen Lebens, die man 



Lisher sorgsam geliciingelialten. liat, zu erzählen, ihm Ge- 
danken und Gefühle mitzuteilen, die man kaum sidx scllist 
einzugestehen gewagt hat. VVir -wissen audi, -w^as die iSdiwic- 
rigkeit der Situation nooi steigert: die Ubertragungsvor- 
gänge werden selbst zum Gegenstand der Mitteilung und 
AuJgerung -werden müssen. Bleihen -wir beim banalsten 
Bcis2>iel: der Mann, der in der Analyse heiaiten soll, 
welaie feindseligen und despektierlidien Gedanken er 
gegen den Arzt in sidi heohaditet, die Frau, die dem 
Analytiker grohsexuelle \S^ünsdie und Phantasien, die 
sidi gerade auf ihn heziehen, mitteilen soll — man -wird 
zugestehen, es sind hier unge-wöhnlidie Aufgahen zu be- 
wältigen. Der Versuai, den Kranken in rationeller Art 
davon zu üherzeugen, dal5 gerade das Mögliaiinadien 
dessen, -\vas ihm uninögliai saieint, das vV esentlioic und 
cigentlidi \v irksame der analytisoven Prozesse ausmadit, 
hat gegenüber dem allektiven VV iderstrehen wenig Aus- 
siait auf Erfolg. Es -würde audi nur in hesoiränktem 
Ausmal3e helfen, wollte man an seine narziJjtisdien Ge- 
fühle appellieren und ihm etwa sagen, man wisse, daij 
man iSdiweres von ihm erwarte, sei aher üherseitgt, er 
werde die not-s*rendige Energie und den moralisdien Mut 
aufbringen, -wenn es die ^V^iederherstellung seiner Gesund- 
heit und seiner Leistungsfähigkeit gelte. Man könnte fort- 
setzen : gerade die Erwartung, er werde sidi so soiw^ierigen 
Aufgaben gewadisen fühlen, stelle ja ein Vertrauensvotum 
für ihn dar. ^siemand werde etwa von Herkules er-warten, 
er solle einen otuhl einen halhen Meter hodi vom Boden 
aufhehen us-w. Es ist weit hesser, den Patienten die un- 



oe-wufyeii Grundlagen seiner übertragungswiderstände er- 
kennen zu lassen und zu warten, tis er seltst die »un- 
möglidie« Situation in eine möglidie verwandelt. 

Diese sow^ie andere odiwierigkeiten der Psydioanalyse 
sind mit dem Spredien, dem \\^orte, verknüpft. Das 
iSpredien stellt üierkaupt im Mittelpunkt der Analyse. 
"VV^ir alle liaten das Argument gekört, das man so viel- 
fadi gegen die Analyse ins Treffen gefülirt Iiat: es sei 
dodi unmöglidi, da^ eine ernstkafte, kysterisdie Ersdiei- 
nung, ein sdiweres .Zwangssymptom, eine lelienseinsdirän- 
kende Pliobie »nur durdi AV^orte« zum Versdiw^inden 
gcbradit werden könnte. Dieser Einwand wurde gewiJ^ 
von denselben JViensoien gemadit, die als Kinder keinen 
Augenblidt daran gezweifelt liaben, da^ sidi ein Berg 
durdi das Zauberwort »iSesani« öffnet, ein Mensdi durdi 
das Ausspreaien von »M.utabor« sicli in ein Tier ver- 
wandelt, einige Laute kilfreidie oder verdertlidie Geister 
2ur otelle bringen. Dieselben JMensdien füklen sidi später 
von der politisdien Rede eines Fülirers begeistert, von 
derlragödie eines Diditers erscküttert, durdi die Beidite 
vor dem Priester berukigt und entsüknt. Es sind dodi 
dieselben Mensdien, die nidit daran zweifeln, — die 
Gesdiiaite der Völker und die des eigenen Letens 
spredien liier zu deutlidi, — wieviel Glüdt und Elend 
VV orte bewirken können und wie oft die groj^en Ent- 
SQieidungen im Dasein des Einzelnen und der Nationen 
von VV orten abningen. 

W^ir erinnern uns, da^ die erste Patientin die Psydio- 
analyse eine »talking-cure« genannt liat. 5o tezeidmend 



io3 



dieser Ausdrui audi sein mag, es -«rare dodi nidit riditjc, 
die W^irktiiigen der Analyse aussdilieJ3lidi auf das AV^ort 
surüatzufüliren. \V^ie idi glaube, wäre es Jtorrektcr, ru 
sagen, die Psydioanalyse zeige die JVÜadit des W^ortcs 
und die Madit des odi-weigens. 

Es wurde soviel titer das Ausspredien in der Analyse 
gesprodien, dalj man die seelisdie W^irkung des 5diweigens 
tast völlig üterselien Iiat. Fiel ater gelegentlidi eine flüdi- 
tige Bemerkung über das iSdiweigen, so galt sie nur den 
Pausen, die der Patient in seinem iSpredien madit. AV^ir 
vermeiden hier atsiditlidi alle jene Fragen, die sidi auf 
das iSdiweigen des Anaiysanden liezielien, und wälilen 
einen weit sdiwierigeren, selten Letretenen AV^eg: wir 
wollen über das odiweigen des Analytikers spredien, 
seine besondere Bedeutung in der analytisdien iSituatioji, 
seine aflektive Einsdiätzung seitens des Patienten und 
seinen latenten Sinn. Es ist mir nidit gelungen, irgend- 
eine bemerkenswerte ÄuJ3erung üter dieses Tkema in der 
analytisdien Literatur aufzufinden. Es ist nur eine Aus- 
nalime von dieser allgemeinen Vernadilässigung des Lc- 
deutsamen Gegenstandes liervorzulieLen: es sind dies einige 
wenige, aber sdiwerwiegende Sätze, die R. de Saussurc 
innerlialb seiner kurzen »Remarques sur la Tedinique de 
la Psydioanalyse Freudienne« veröffentlidit liat.' Es sei 
liier ausdrüdilidi auf diese ausgezeidinete Arteit vcr- 



l) In »L'evolutioti psyciiiatriquec. Paris 1<)36. 



10/( 



II 

Es unterliegt keinem Zweifel, da^ aum das iSaiweigen 
des Analytikers zu den sogenannten »Unmögliaikcitcn« ge- 
Iiört, weltiie für die analytisdie iSititation diarakteristisdi 
sind. In der ge-wölinliaien Konversation pflegen die Teil- 
nelimer eines Gesprädaes abwedxselnd zu spredien. vV cnn 
die eine Person etwas gesagt oder erzälilt Iiat, folgt von 
Seiten des oder der 2unörer eine Bemerkung, eine Frage, 
ein Ausruf, ein spradilidies Zeidien der Anteilnaume. 
Viclleidit liat jetzt audi der Ztiliörer etwas su beridxten, 
es entwidtelt sidi ein Gedanken- oder Meinungsaustausdi. 
Man sudit sogar längeres odiw^eigen in Gesellsdiaft su ver- 
meiden; liat der eine nidits zu sagen, wird der andere das 
^V^ort ergreifen. Das von diescnj Verlialten so völlig ab- 
wcidiende Benelimen des Analytikers stellt sidi wirklidi 
als »unmöglidi« im konventionellen iSmne dar. Der Ana- 
lytiker fürditet sidi nidit vor dem iSdiweigen. Der vVert 
sdiweigender Aufmerksamkeit ist gewiij von der klassisdicn 
Psydiiatrie sow^ie von der angewandten Psydiologie immer 
gcsdiätzt worden. Aber man mu^ nur an die Fragenmetlio- 
dcn dieser W^issensdiaften denken, um den Untersdiied 
zwisdien dieser und der Aietnode der Psydioanalyse zu 
würdigen. W^ie iSaussure mit Redit liervorliebt, liat man 
niemals vor Freud den unzusammenliängenden Monolog 
einerseits vmd das fast absolute 5aiweigen des Arztes ander- 
seits als metnodisdies Prinzip aufgestellt.^ 

l) s. . . ccpendantj je crois, quii serait fatix de dii-e qu on avait, 
avant Freiid^ eiige en principe^ d'tmc paH Ic monologuc dccotisu die 



loS 



Gellen wir von derWirkung, welJie das iSdiweigeu des 
Analytilters auf den Patienten ausüLt, aus, so meinen -wir 
seinen latenten Sinn am testen erraten zu können, W^lr 
Laten liier sogleidi eine Gelegenheit zur iSelfestkorrelttur, 
wir würden tesser sagen: von den Wirkungen. Denn es 
sind versdiiedenartige, nidit nur in Bezug auf die Mekr- 
lieit der Individuen, die sldi der Analyse untersielicn 
sondern diese W^irkungen sind im Laufe einer und der- 
selben Analyse seltst versdiieden. Im psydiisdien Ijeten 
desselten Patienten tat das 5diweigen des Analytikers 
in dieser und jener Situation einen versdiiedenen Cta- 
rakter, tekommt eine diflerente Bedeutung. 

Es ist vor allem temerkenswert, da^ der Patient diesem 
Sdiweigen üterliaupt eine testimmte gefülilsmä^ige Be- 
deutung zusdireitt: er würde sidi nidit dazu verstellen, 
susugeten, daJ3 es einfadi das natürlidie und notwendige 
V erkalten des Analytikers sei, der sdiweigen mu^, um 
aufmerksam zuzuliören. In der üterwiegenden MelirsaLI 
der Fälle tat das Sdiweigen des Analytikers tesondcrs 
am Anfang eine wotltuende, teriiliigende Wirkung. Ge- 
wi^, der Patient deutet es vortewu^t als JZeidien einer 
rutigen Aufmerksamkeit, ater diese seltst sdieint itm 
ein Beweis der Sympattie. Wir sagen ja: »jemandem 
eine Aufmerksamkeit erweisen« und meinen damit: ein 
2^eidieii unseres W^olilgefallens, unserer Sdiätzung. Es ist 
nidit zu verkennen, da^ dieses Sdiweigen als soldies dem 



patient, d aittre partj le silence presque ahsolu du m^Jeciit. ff SaKssure, 
sRemarques sur la Tectnique de la Psydioanalyse Freudieiine«. LVvo- 
lution psyctliatrüjue. iS. ^o- 

xo6 



Patienten Vertrauen einflößt und ilin aufzufordern sdieinf, 
sidi einmal frei auszuspredien. Die analytisdie iSituation 
ist ja dadurdi geltennzeidinet, daJ3 sie das konventionelle 
Element in den mensdilidien Bezieliungen für die Analyse- 
stunde in einem weitgelienden Ausmaße suspendiert. Dieses 
einfüLrende iSdiweigen des Analytikers ist ater nidit nur 
die notwendige Bedingung dafür, da^ er aufneLmen Itann, 
was der Patient sagt. Der Analytiker Iiört ja doppelt, 
was jener spridit, liöi-t die untewu^ten Stimmen mit- 
klingen, die itm durdi die eigenen Einfälle vermittelt 
werden. Es ist kaum nodi temerkt worden, da^ sidi 
dieser Wirkung eine andere für den Patienten vertindet, 
weldie in der partiellen Atlialtung von der Außenwelt 
bestellt. jSie ist jener VS^irkung vergleiditar, die ein Lampen- 
sdiirm diirdi Atsdiattung eines allzugrellen Lidites aus- 
übt. Die drängende Näne der Realität tritt zurüdi. Dieses 
odiweigen des Analytikers gewälirleistet bereits den Be- 
ginn einer runigeren, objektivierenden Betraditungsweise. 
Nun wäre es natürlidi verfehlt, wollte man annelimen, 
dag mit dem Beginn der Analyse das bislierige Leben 
des Patienten versinkt und ein anderes einsetzt. Er kommt 
aus einer opliäre bestimmter Begriffe und Vv ertungen, 
festgesetzter Auffassungen und starrer Konventionen und 
hält diese nodi lange und zälie fest. Der Patient kommt 
m die in unserer Kulturwelt einzigartige »Situation des 
freien Aussprediens über seine intimsten Angelegenheiten 
aus dem iSaiweigen. Er nat üter bestimmte Erlebnisse 
und Gefülile gesaiwiegen — nodi w^enn er der Ge- 
sprädiigste, ja Gesdiwätzigste gewesen wäre. Das mll 



iiidit sagen, da^ er über sidi und seine Angelegenlieiten 
nidit gesproaien hätte, aber er kat nidit üter jenes 5tütit 
lai gesprooien, aas in der Analyse aiiftaudit. Alan wäre 
aiidi titer eine soldie unzeitgemäße Aufriditiglteit er- 
staunt, ja entrüstet gewesen; er Latte auf Afcweisung und 
Unterbreaiung gefaßt sein müssen. Aus einer \\^elt, in 
der nur Kinder und Narren die Walirlieit sagen und 
sogar diese daran gehindert werden, kommt er in eine 
völlig anders geartete Welt, in der Aufriditiglteit der 
einzige W^ert ist. iSo gewährt das 5cJiweigen dem Analy- 
tiker die beste Möglidikeit zur Herstellung der Über- 
tragung. Die oituation erinnert an die erste Kinderzeit, 
da das Kind seine Gefüble und Regungen nodi unge- 
kindert ausdrüdfcn konnte, gleidigültig weldier Art sie 
waren. Kein /Sx^rttdilein in der Art »CJiildren should he 
Seen and not Jieard« Iiat damals den elementaren Äußc- 
rungsdrang des kleinen Wesens gestört. Freilidi liätte die 
W^eislieit soldier Anstandsregel damals audi nidit das 
gebührende Verständnis des Erzieliungsobjektes gefunden. 
Das iSdiweigen wird in dieser Pliase unbewußt als iSym- 
patbiekundgebung gewertet und der Patient reagiert darauf, 
indem er seinerseits sjjridit. iSdion liier ist es unverkenn- 
bar, daß dieses odiweigen, das passiv sdieint, in "VV^alirlicit 
einen aktiven Charakter bat und wir werden Sau ssiirc 
rcdit geben, wenn er von einer *valeur tkerapeutique^^ des 
iSdiweigens spridit. 

VV o sidi also odiweigen und Zögern des Patienten in 
dieser Pbase zeigen, wird es sidi gewöbnlidi — es gibt 
gCAviß Ausnabnien — um ein Zeidien der oberflädilidistcn 

108 



^N^Iderstäutle lianclelii, tue dadiirdi gegeben sind, daJ} sidi 
der Patieixt in die iingewölinlioie und befremdende iSitwa- 
tloii einfinden niu^- Aber diese AV^iderstände sind -widitig 
genug; sie sind dem fernen Donner zu vergleidien, weldier 
das Herannalien eines Gewitters anzeigt. Jene ersten 
\V^iderstände, weldie die der Gesellsdiaft gleidisam im 
Individuum iniiorporiert zeigen, sind gewölinlidi rasai 
imerwunden und bald zeigen sidi die darunter lagernden, 
widitigeren odiiditen. 

Langsam ändert das iSaiweigen des Analytikers für den 
Patienten seine Bedeutung. Dem Kranken ist etwas ein- 
gefallen, das er nidit sagen will oder das zu sagen iliui 
sdiwer fällt. Er spridit weiter über andere Dinge, aber 
jenes Unterdrüdtte drängt sidi vor, läljt inn nur soiwer 
über Anderes reden; nun sdxw^eigt er -wie der Analytiker. 
Es ist so, als liätte das 5aiweigen des Analytikers auf ihn 
übergegriffen, als wäre er davon infiziert worden. Die 
/Situation bat zwar nodi nidit ilire angeblidie Unmöglidi- 
keit, aber zum erstenmal ilire Ungemütlidikeit gezeigt. 
Das iSdiweigen dauert an. Der Patient, der gewöbnt ist, 
Gesprädispausen als peinlidi zu vermeiden, beginnt wieder 
SU spredien, er beinübt slai. Anderes zu reden. Belang- 
loses, Ungefälirlidies. Aber jenes unterdrüdtte iStüdt, jener 
beiseite gesdiobene Gedanke kelirt ^vieder. Es ist so, als 
wolle er ausgedrüdtt werden oder überhaupt iSdiweigen 
erzwingen, da es sidi in jeden abweidienden oder anders- 
gearteten Gedankengang störend einmengt. Es würde ja 
das Nädistliegende sein, beim Analytiker Hilfe zu siidien, 
aber der soiweigt, als wäre dies in einer solaien Situation 



xog 



Jas einzig Natürlidie und als ginge ihn die gro^c Welt da 
draußen, die soldies verlegenlieitproduzierendes iSdxweigen 
verpönt, wenig an. Die geniale Wiener Sdiauspielerin 
Josefine Gallmeyer soll einmal einem TisdiLerrn, der 
mehr als eine halte »Stunde völlig stumm neten ilir ge- 
sessen liatte, gesagt Iiaten: »Reden wir einmal üter etwas 
Anderes!« Man könnte die analytisdie /Situation in diesem 
Augenblick jener vergleidven, in weldier diese witzige 
Bemerkung fiel. Der Patient mödite gerne üter etwas 
Anderes reden, wenn ihm etwas Anderes einfiele; er 
möcnte sogar üoer etwas Anderes sdiweigen, wenn er nur 
könnte. Eine Patientin, weldie in der zweiten Analyse- 
.stunde etwa zelin Minuten gesdiwiegen liatte, sagte plötz- 
lidi halt vor sidi hin: »iSpredxen wir nidit nielir darüter!« 
oo natte sie seltst verraten, dalj sie etwas so gedadit 
hatte, als wäre es ausgesprodien worden und mu^te jetzt 
wolil oder ütel wirklidi sagen, was ilir eingefallen war. 
Es ist nidit nur der spezielle eigene Gedanke und die 
VV iderstände, die sidi gegen dessen Ausspredien erlieten, 
es ist audi das »Sdiweigen des Analytikers, das in dem 
seelisdien Kräftespiel jetzt wirkt. Dieses 5diweigen ist 
es, weldies das Vorteireden zu vertieten sdieint, das Be- 
merken üter das sdiöne Wetter, den Büdiersdirank und 
die Uhr im Zimmer tald verstummen läj^t. Der Patient 
tegreift durdi dieses iSdiweigen, da^ die analytisdie 
Situation für jene Art von Gesprädien, weldie die Eng- 
länder so tezeidinend »small talk* nennen, selir wenig 
geeignet ist. Hier nun zeigt sidi die aktive Madit des 
odiweigens zum zweiten Male. iSie tat eine weiter- 



1 



siekende Kraft, treitt den Patienten vorwärts, drängt itn 
in tieferen Bereidi, als er ursprünglidi teatsiditigt Iiatte. 
Es ist eine erstaunlidie und kaum temerltte Tatsadie, 
da^ das eigene Wort, das ausgesi^rodien wird, psydiisdi 
anders gewertet wird, als jenes, das wir in 'Wortvorstel- 
lungen denken. Das ausgesprodiene Wort liat eine reaktive 
Wirkung; der Patient ist oft üterrasdit üter das, was er 
sagt, und sagt mandimal Dinge, die er sidi einzugesteken 
nickt gewagt kat. Das iSdiweigen des Analytikers ver- 
stärkt diese reaktive Wirkung des Wortes; es dient als 
sein Resonanztoden. Hier wirkt also das iSdiweigen stärker 
als es Worte vermöditen. Der Untersdiied des iSdiweigens, 
das der Analytiker früker zeigte und jenes, das sidi jetzt 
dem Patienten aufdrängt, ist leidit erkennbar. Der Pa- 
tient wird sidi erst jetzt dessen tewuJjt, da^ der Analy- 
tiker sdiweigt. Idi koffe, da^ diese Aussage nidit miß- 
verstanden wird: gewiß kat der Patient es bereits früker 
bemerkt, aber er nimmt es jetzt erst zur Kenntnis, sdireifct 
ikm jetzt erst kewuJjt eine Bedeutung zu. Mit anderen 
Worten: er wird sidi des iSdiweigens des Analytikers als 
eines seelisdien Ausdnidces erst LewuJijt, wenn der erste 
ernstkafte Widerstand in ikm selkst aufgetaudit ist. Die 
Bedeutung, weldie das iSdiweigen des Analytikers in der 
Auffassung des Patienten gewinnt, stellt so deutlidi genug 
das Resultat eines Projektionsvorganges dar, der die psy- 
diiscke (Situation des Patienten widerspiegelt. Dieses 
iSdiweigen ist ikm jetzt nidit mekr das iStillesein des 
mkig ^ukörenden, es keißt nun iStummkleifcen. Anders 
ausgedrückt: das iSdiweigen früker bekundete dem Ein.- 



1 



drucke nadi den AV^illen zum Zuhören, jetzt den Wollten 
zum ISTiditspredaen. \V^ar das iSaiweigen des Analytiliers 
in der ersten Pliase -wie etwas seiDstverständliai Ent- 
gegengenommenes;, so wirkt das odiweigen der zweiten 
Art Ijeunruliigend. Der psydiisdie Alizent ersaieint ver- 
legt: es tedeutet iStummsein eines Mensdien, dem Stimme 
gegeten ist, und der, oLwonI man etwas von iJim hören 
will, nidit spridit.' 

Bedeutete das opredien des Patienten Irülier ein melir 
oder minder leidites Eingelien auf die Situation, so nuilj 
es jetzt untewu^t die Netentedeutung des Vv erbens be- 
kommen. Denn das Sdiweigen des Analytikers saieint zu 
sagen: w^illst du, da^ idi spredie, so mul3t du didi über- 
winden und muljt der analytisdien Grundregel audi liier 
folgen, wo es dir sdiw^er wird, wo es gut, sdiw^er oag- 
tarem Ausdrudt zu geten. Der Kranke, der erstaunt ist, 
dag das Zutrauen, das er durdi seine Beridite, durdi die 
Klagen üter seine Leiden gezeigt liat, den Analytiker su 
keiner Gegenäuljerung, keinen Sympatniebeweis, keinem 
2^eidien der Anteilnahme gehradit hat, spürt eine leise 
Regung der Ungeduld gegen den Arzt. Diese Ungedidd 

l) Alan wird es tlem Beiniilieti naöi Klarheit siigute Kalten, wenn 
idi den Untersdiied der Leiden Sdiweij^en diirdi einen jener psyaio- 
loglsdx tiefgenenden Jndejiwitze dentliai zn niadien versiidie: Morit; 
geriit in Gegenwart. seuies Kompagnons mit einem rreniden m Oti'eit. 
\\^imrend der ZaniL immer neftiger wird, nleibt der Kompagnon stumm 
itnd giot keinerlei Z^eicnen von Anteilnanme. Entrüstet ruft Morits: 
dem Freimde sii: »Und <lu stellst dabei nnd sdiweigst dasufe Dieser 
antwortet: »Sckweig im denn? Idi red' ja nur nioits.e YVirkhcn, es 
gitt einen üntcrsaiied 3wismeu l^urniaitsreden und Soiweigen. 



IXS 



treibt ihn vorwärts, lieiJgt ilin iiielir über sein Leiden, 
seine Symptome und Eigenneiteii, seine Gesaiidite, sagen; 
neue Erinnerungen lallen ilim ein. Dodi der Analytiter 
soi^veigt weiter und die Ungeduld, der Arger des Patien- 
ten steigern sioi. Er '«rei^, da^ von ilim Aufriditigkeit 
erwartet w^urde; aber ^var er niait aufrioitig, bat er nidit 
alles gesagt? "W^enn das Sdiweigen anbält, wird der Pa- 
tient siQi erinnern, daJj er einiges vergessen bat, da^ er 
mandie Einzelheiten entstellt oder unvollständig beriditet 
hat, er korrigiert und ergänzt seine Darstellung. Die 
Zensursdiranke m ihm. versdiiebt sidi : er sagt jetzt an- 
gesioxts des hartnätiigen oai"wreigens des Analytikers bisher 
vorbewu^gt Zurüdcgehaltenes, w^agt es, bisher als anstö^gig 
oder unmoralisdi Betraoitetes zu beriditen. Dooi das 
jSoiweigen dauert an und es wirkt jetzt im oinne einer 
V ersagung, da es gegenüber so vielen Geständnissen nioit 
weidien will. 

Es kann so bei fortgesetztem iSdiweigen des Analy- 
tikers zu einer starken iSteigerung der Gereiztheit des 
Patienten kommen. Das iSdiweigen wird zum Anzeimen 
des drohenden oder bereits eingetretenen Liebesverlustes 
und löst eine vV irkung aus, die wir nur als Gewissens- 
oder Kastrationsangst erlassen können. Es wäre riaitiger 
SU sagen: im Patienten ist eine dunkle Angst, die ihn 
dieses oaiweigen so auftassen lä^gt. Das odiw^eigen des 
Arztes bekommt unbewu^gt den Charakter der Bestrafung. 
In bestimmten (Situationen kann es, wenn sidi dieser 
Emdru« verstärkt, w^ie drängende Frage, wie eine dunkle 
Drohung wirken, ja bis zum Eindrucke unheimlidier An- 



Relk. 8 



klage wadiseii. E-s ist so, als werde dadurdi an das stumme 
oaiulagefünl in dem Patienten appelliert und dies in einer 
Form, die stärker und unmittelbarer wirkt als es alle 
JMensmenspradie sonst vermödite. W^ir verstellen, wieso 
es zu soldien Gefiinlen kommen kann. Die Gereiztlieit 
des Patienten Iiat sidi durdi Erinnerungen an friikere 
Versagungen verstärkt, gesteigert; seine Gefülile der Re- 
bellion und Entrüstung über den Mangel an Gefülil 
auf Seiten des Analytikers sind bis zu Regungen starker 
Feindseligkeiten gewadisen. Die unbewuljte Fortsetzung 
dieser aggressiven und erbitterten Tendenzen aber bat zu 
Todeswünsdien gegen den stummen Partner gefübrt. Die 
zwisdien materieller und psydiisdier Realität sdiwebende 
analytisdie Situation begünstigt liier in mandien Fällen das 
Aultaudien eines Eindrudtes, der sidi dem vernünftigen 
Einsprudie des Idis widersetzen kann: des Gedankens, der 
Analytiker könne tot sein. Ein Patient drüdite dies gewölin- 
Ixdi so aus, da^ er in soldien /Situationen den Analytiker 
als in weiter Ferne befindlidi fülilte. Das Sdiweigen ist ja, 
wie aus der Traumanalyse, der Deutung von Mytlien 
und Märdien bekannt wurde, eines der diarakteristisdien 
Kennzeidien des Totseins für das unbewußte Seelenleben. 
Audi hier ist die unbewußte \V'^irkung des Projektions- 
meaianismus deutlidi, da sidi diese Angst iii den be- 
sdiriebenen Fällen als Reaktion auf starke unbewußte 
Todeswünsdie gegen den Analytiker gebildet bat. In 
einigen Fällen kann der Eindnids dieses Sdiweigens so 
stark werden, da^ der Patient den Analytiker ersudit: 
»Bitte, .sagen Sie dodi etwas!« oder »Bitte, spredien Sie 



iii^ 



zu mir«. Wir Iiaten liier nur üLer Jen Eindmi des 
Ädiweigens auf den Patienten zu teriditen, nitlit darüfeer, 
weldie tedinisdie Maßregel der Analytiker in diesen 
Ätuationen anwenden wird.' Als repräsentatives Beispiel 
für die psydiisdie Wirkung dieses iSdiweigens will idi 
folgendes anfüliren : ein etwa dreiljigjäliriger Patient, 
dessen Seelenleten vorwiegend von masodiistisdien und 
femininen Pliantasien Lelierrsdit wird, lelite seit der 
Putertät in einem erbitterten Konflikt mit dem Vater. 
h,r war nun bereits zwei Jalire von Zuliaiise weggewesen 
und liatte nur spärlidi Nadiriditen üter den Vater er- 
Iialten, dem er voll HaJj gegenüberstand. Der Patient 
gehörte jenem englisdien Typus an, dem die Tendenc 
eignet, so wenig als möglidi Gefühle zu zeigen; er triel) 
die »Antidemonstvativness* Lis zu den äuJjersteii Kon- 
sequenzen. Eine Lestimmte Analysestunde verlief nun 
(olgenderma^en: er sdiwieg etwa sedis Minuten, sagte 
dann, er Labe einen Brief von der Mutter erlialten. 
Neues iSdiweigen. Dann : die Mutter sdireibt, des Vaters 
Arteriosklerose sei selir weit vorgesdiritten, ein iSdilag- 
anfall werde von den Ärzten daliin gedeutet, dalj das 
Ende bald zu erwarten sei. Neues langes <Sdiweigen. Dann 
fällt jenes Wort, die Analyse sei eine »impossible Situation«, 



I 



i) Es niiilj tetout werden, cla^ liier nirgends tecknisAe Regeln 
gegeten werden sollen, sondern nur die psydiisdie Wirkung des 
SAweigens tesdirieten wird. Die interessanten Fragen, in weldien 
Situationen und weldien nevirotisdien Typen gegenüter sidi das 
sdiweigende Verlialten des Analytikers verliefet und wo es angeieigt 
ersdieint, fallen au^erlialL de.s Lier gesteckten Ralmiens. 



ctas idi am Anfang angefülirt liabe. Es lolgt eine sehr 
aifällige Bemerltting üter die Analyse, kurz, wie at- 
geliackt, vorgetradit. Er erwartet siaitlim eine Reaktion 
von meiner 5eite. jSie Lleitt natürlicii aus. Er fragt: »Ist 
es oft so, da^ Ilire Patienten gar nidits sagen können?« 
Keine Antwort. Nadi einigen Minuten sagt er einen 
kurzen Satz üter das Problem der \V^illensfreilieit, an 
die er nidit glaute. Seine Hände sind geballt, er saiiebt 
den Kopf auf die andere Seite des Polsters. Nadi län- 
gerer Pause setzt er liinzu: »/ could not Help heing so.«. 
Die Stimme klingt geprejjt, die Hände lösen sida, zupfen 
wiederliolt am Kragen, keliren in die Rulielage zurück, 
tedecken die Stirne, dann die Augen. Das Atmen gelit 
rasdi. Neues langes Sdiweigen. Plötzlidi wirft er sidi 
terum, da^ idi sein Gesidit nidit seten kann und tridit 
in fassungsloses Sdiludizen aus. Gegen Ende der Stunde 
terutigt er sidi und sagt üterrasdit: »I don't know, what 
tJie hell I cried ahout.« Von meiner Seite ^w&r ein vV ort 
weder notwendig nodi wünsdiensw^ert; es liätte die lange 
vorausgesetene Reaktion des Patienten, die sidi auf sein 
Verliältnis zum Vater tesog, nur geliemmt. Die Stunde 
hatte nur einige kurze Sätze getradit und tedeutete dodi 
einen der \S^endepunkte dieser Analyse. 

Die Reaktionen des Patienten auf das fortgesetzte 
Sdiweigen des Analytikers sind versdiiedenartige; wir 
lieten die zwei widitigsten liervor. Der gewötnlidie Fall 
ist es, da^ sidi der Patient gegen die in diesem Sdiweigen 
angetlidi zutage tretende GefüliUosigkeit des Analytikers 
auflehnt und gegen diesen oder gegen die Analyse aggressiv 



HD 



■vvird. jSelir selten -wird der Patient in diesem ötadiiim die 
Rcserviertlieit des Analytikers als Grund seiner Feind- 
seligkeit erkennen, er %vird andere Gründe sudien und 
finden. Diese Reaktion, die Lis zum ^Vutaustruai oder 
Silin Gedanken, die Analyse zu verlassen, gellen kann, 
-wird sidi meistens in geliässigen Bemerkungen gegen den 
Analytiker oder die Analyse wenden. Der andere Fall 
ist der, daij der Patient auf das dunkle Sdiuldgefülil, 
Avelaies das oaiweigen iii ilim erregt, durai ein neues 
Bekenntnis einer Triebregung reagiert; ein tisner ihm 
ünuew^ul^tes iStüdi seiner psydiiscaien »Streuungen tritt an 
die Oberfläoie. 

Verfolgen -wir die Reaktionen des Analysiei-ten auf 
das iSoiweigen des Analytikers von Anfang an, so lä^t 
sidi deutliai erkennen, dalj siai in ihrem Aolauf eine 
abgekürzte vV iedernolung eines alten Erlebens spiegelt. 
Es ist so, -wie -wenn liier Gefülile wrederkelirten, die in 
seinen Bezieliungen zu einem alten Liebesonjekt eine 
wiaitige Rolle spielten: von der ursprünglidien Zärtlidi- 
keit bis zur Erbitterung über eine pliantasierte oder -wirk- 
liaie V ersagung. Der Übergang von der einen Bedeutung 
des iSmweigeiis zur anderen ist keineswegs so einschnei- 
dend, als es auf den ersten Blick sdieineii mag. Er ist 
aufs innigste mit der unbewußten Ambivalenzeinstellung 
des Patienten verknüpft. 

M' ir -wollen liervorlieben, daij liier keines-wegs eine 
soiematisaie ooiilderung des Anfangs der Analyse ge- 
geben -werden soll, der ja je uadi dem individuellen Fall 
versdiiedeii verläuft. Es soll auoi niait auf alle jene Fälle 



eingegangen iverdcn, die von Beginn an atweidiend re- 
agieren, wie 2. B. aut jenen, der dem iSaiweigen des Ana- 
lytikers das eigene iSdi-weigen entgegensetst. Audi die 
tedinisdien Fragen, weldie das Verhalten des Analytikers 
den versdiiedenen Reaktionen des Patienten gegenüter Le- 
trcflen, sind liier nodi zu erörtern. W^ir wollen ja etwas 
über den latenten Sinn des iSdi-weigens üLerliatipt er- 
faliren; die teoinisdien Probleme stellen nidit im JMittcI- 
punkte unseres Interesses. Die Aufkläi-ung, weldie uns die 
Tedinik der Psydioanalyse liefert, wollen wir beiiütscn, 
wie eine Leiter, weloie in die Tiefe fülirt und die wir 
beiseite stellen, wenn wir dort angelangt sind. 



III 



JMan mödite meinen, das iSdiweigen könne nur iSdiwei- 
gen bedeuten, Stummsein, sonst nidits. Allein die analy- 
tisdie Beobaditung widerspridit dieser Vereinfadiung aufs 
entsdiiedenste. iSie sdieint uns darüber belehren zu wollen, 
da^ es versdiiedene Arten des odiweigens gibt. Ja, man 
könnte sogar von Intensitätsgraden des jSdiweigens spre- 
dien, XNuancen untersoieiden, wenn man sidi nur getrauen 
wollte, psydiologisdi so sdiwer faßbare Ersdieintingen in 
Bescidinungen aus unserer sdiwerfälligen und stumpfen 
Begriflsspradie festsulialten, /Sogar das unsulänglidie Aus- 
di-ucksmittel der mensdilidien Spradie, die sidi nur uii- 
wesentlidi von der der Gorillas entfernt hat, versudit 
versdiiedene Arten des Sdiweigens zu uiitersdieiden. Wir 
spredi?n von einem eisigen, lastenden, bedrüienden und 



berunigenden, trotsigen und demütisen, mi^Lilligendeii 
und sustimmenden, verurteilenden und entsoiuldigenden 
iSaiweigen. In dieser Aufzälilung von Adjektiven, die 
, auf Vollständigkeit keinen Ansprudi madit, tritt uns ein 
Zug auffällig Iiervor: die gegensätslioien Bedeutungen, 
"welaie der Begrill des Oaiweigens zu vereinen sdiexnt. 
iSo mag uns autfallen, dal3 odiweigen von uns sowohl 
als Äeiaxen der Mißbilligung als der Z^ustimmung gedeutet 
werden kann. Es ist, als könne es Leide Bedeutungen 
annelinien, sozusagen mit positivem und negativem v or- 
zeiaien auftreten. JMan vergleiaie etwa den Inhalt des 
lateinisdien Opriaiwortes »Qui tacet consentire viaetur« 
mit dem abweisenden oaiweigen, das eine Dame dem 
zudringlioien Benehmen eines Herrn entgegensetzt. Die 
kontradiktatorisctie Bedeutung des Ooiweigens führt uns 
indessen im I,ehen last niemals irre.' AVir wissen trots 
seinem immanenten Doppelsinn immer, was der Andere 
damit meint, damit »sagen will«. Dieses Janusgesioit des 
iSdiweigens trat uns bereits in der Psyoiologie entgegen. 
iSo viele diuerente Bedeutungen das iSaiweigen des Ana- 
lytikers audi erlangen kann, es weist im wesentlioieit 
zwei Bedeutungen auf, deren eine den kontradiktatori- 
saien Gegensats der anderen bildet; es wird als Z^eioien 
ruhiger »Sympathie oder als Ausdrudt intensiver Feind- 
seligkeit gedeutet. Nidit anders im Leben: wir können 
mit jemandem sdiw^eigen, wenn wir uns besonders gut 



i) Vcrglejdie Jagegen: sBrectien Sie dies rätselhafte SAweigen!« 
iStiiiller: Don Carlos, I, i. 



ug 



mit ihm verstellen oder -wenn jedes Verständnis ausgc- 
smlossen ist. Mit jemandem sdi-weigen können kann als 
Z'eichen -weitgeliender psyaxisaier Übereinstimmung oder 
als Zeiaieti völliger Fremdheit gelten. Diese Doppel- 
Bedeutung w^ill uns, ■wie es saieint, darauf liiiiweisen, daJg 
das Odiweigen seihst nioit iinabhängig von seiilem Gegen- 
satze, dem Reden, betramtet werden kann.' Tatsädilioi 
nahen -wir das iSaiweigen hier heliandelt, wie w^enn es 
ein Ausdruoismittel wie die Rede w^äre — ohwolil es 
doai gerade das Gegenteil des »Spreaiens ist. Aher ist 
denn das opremen so eindeutig? M^'^enn eine Person etwas 
spriait, sagt sie audi immer etw^as? Dient nidit die iSpraaie 
ebensosehr dem Zw^eci, Gedanken zu verhüllen als dem 
anderen, sie aussudrücken? In der Analyse lernen wir 
Patienten genug kennen, deren unaufliörliaies opreaien 
den iSiiin hat, gerade die wiaitigsten Dinge nidit zu 
sagen. Ihr opreaien gleidit den Netzen, durdi deren 
grote Masdien gerade das \v ertvoUste entweidit. VVenii 
dies so ist, dann w^ird es uns niait verwundern, wenn 



i) Es mag liier darauf Iiiugewiesen sein, daiy Gesprämigkeit iiiiü 
Sdiweigsamkeit atiai in iLrer Bedeutung als Atige öestimmter Frauen- 
typen liervortreten. In Freuds Aulsats alJas Alt)tiv der Kästaien- 
walilfs {Ges. Sairifteii X) ersaieiiit dies nur angedeutet. Der Alaun 
verspürt die Ansienung, die im Plaudern der Frau liegt, ebenso wie 
Aen Reis ilirer mädaienliaf ten 9 Unredeiisartigkeite (Fontane, Irrungen, 
W^irrungen). Oowolil die alisugro^e Redseligkeit wie die V ersailossen- 
lieit der Frau werden oft beklagt. Ijear verstöljt Cordelia, die slicbt 
und sdiweigte, aber der surückkenrende Corolianus weiJ^ für sein 
W^eiD kein särtlioieres "W^ort als aMy gracioiis silencev^ (II, 1). Es ist 
klar, da^ das Spredien in diesem ^usaninienliaiig ursprüngiioi die 
freie Rede über Liebesgefüble bedeutet. 



auf der anderen jSeite das iSdi'weigen die Atisdrtidts- 
funktion übernehmen kann. W^ir werden so dazu gc- 
fülirt, ein eigenartiges antinomisaies Vernältnis S"wisaien 
opreaien und iSdiweigen anzuerkennen. Die opi-aaie 
drüdtt dies mannigladi aus: es gibt ein niditssagendes 
Gerede und ein vielsagendes Sdiweigen. AV^ir kennen 
durdi die XJntersuaiungen Karl Abels viele Begriffe, 
Avelaie solaie antitnetisdie Doppelbedeutung besitzen, 
und Freud hat uns darauf hinge-wiesen, dai) die Eigen- 
tüinlidikeit alter opraaien, Vv orte mit antithetisaieni 
Bedeutungsinhalt zu bilden, mit dem v erhalten des 
Traumes und anderer Produktionen des Unbewußten, 
Gegensätze zu einer Einheit zusammenzufassen, parallel 
llkift. M'^ortformen, Avelche durai plionetisdie Abänderung 
eine 5onderung der Gegensätze bewirken, wie clamare 
saireien, dam heimlioi, iStimme — stumm, w^eisen in 
eine Riditung, die uns beweist, dajj der Gegensatz von 
iSpredien und iSaiweigeii ursprünglidi keinesw^egs so soiarf 
war, wie er uns jetzt saieint. Die Fragwürdigkeit des 
Begriffes jSaiweigen smeint sidi zu vertiefen: wr meinen 
zu erkennen, dalj das odiweigen nidits Negatives ist, 
sondern etwas Positives. Es gibt w^irklidi kein absolutes 
iSdiw^eigen, es gibt nur ein Verstummen der hauptsäailiai 
in Ersdieinung tretenden Töne. Es gibt ebensowenig ein 
unbewuJgtes adiAveigen als es eine unbewußte v erneinung 
gibt. Das kleine Kind kennt eigentlidi kein iSaiweigcn; 
ebensowenig das Märdien : auai der Tisdi und die öpiel- 
sadien spredien, die Pflanzen ebenso wie die anorganisdie 
Natur. 



I 



Reden und iSdnveigen sind wohl GegensätEe, ater 
keine absoluter Art; es fülirt eine Brüie von dem einen 
2um anderen; das eine kann nidit oline Vergleidi mit dem 
anderen diskutiert werden. 5o weisen nidit nur die ältesten 
"Wortwurzeln die Ersdxeinung des antitlietisdien Doppel- 
sinnes auf, sondern die Begriffe des 5]3rediens und 
iSdiweigens seltst sind Zwillinge, die ursprünglidi nur 
miteinander gedadit werden konnten. Diese Antitliese, 
die wir als Ausdrude der ursprünglidien Trietamtivalens 
erkennen, stand tereits an der "Wiege der iSpradie. Die 
opradie als Ganzes war ihr etenso unterworfen wie ikre 
einseinen Elemente. 

Wir Iiaten gesellen, dalj audi das iSpredien selbst keines- 
wegs eindeutig ist. Es reidit gewiJj nidit für alle Mit- 
teilungen aus, wie wir ja aus seiner Unterstützung duri. 
die Getärdcnspradie und die Mimik erkennen, aLcr es 
genügt nidit einmal, um unsere Gefütle und Gedanken 
aussudrüdcen.' 

Die partielle Entfremdung, weldie das »Spredien von 
seiner ursprünglidien Funktion erfaliren liat, ist in der 
Tatsadie erkenntar, daij die Mensdien oft reden, weil 
SIC das odiweigen nidit ertragen können. Jenes krampf- 
lialtc Jvcden, das opredien ä tout prix sdieint uns zu zeigen. 



icrc 



l) Nodi WilLelm Wunclt liat aul Jie Frage, wartun Jie Ti- 
iiidit spredien können, die Autwort aiiit versAmätt : weil sie uitijls 
zu sagen iiabeu. (Vorlesungen üter die MensAen- unj Tiersecle. 
4. Auflage. 1906. D. 437.) Geten wir zu, dai^ das Protlem der 
Ichlenden TierspracLe damit gelöst ist. Dann crLett sidi ater da» 
andere: warum last alle Mensdien spredien können. 



da^ dem iSdiweigen etwas Unlieimlidics eignen kann, dem 
man su entflielien sudit. Es gibt etcnsowolil eine Angst 
vor dem odiweigen, als es eine Angst vor dem Reden 
gibt. Es gibt Gesprädispausen in der Gesellsdiaft, die so 
peinlidi wirken, daJ^ das Banalste, Niditigste gesagt wird, 
um nur dem5diweigen zu entrinnen. Beotaditet man sdiarf 
genug, so erkennt man, da^ es dieselben Angelegenlieitcn 
der Mensdilieit sind, üLer die man ebenso sdiwer spredxcn 
wie sdiweigen kann. iSo werden uodi im iSdiweigcn jene 
unausgesprodienen Dinge, weldie die mensdilidien Be- 
sieliungen im Tiefsten teLerrsdien, liörtar. 

"W^ir sind nidit von der Grundbedeutung des Redens 
und udiweigens ausgegangen, sondern von den Ersdiei- 
nungen, die sidi als Misdibildungen erkennen lassen, von 
ibrer Doppelsinnigkeit. Die analytisdie Praxis zeigt, da^ 
binter der Angst vor dem jSdiweigen die unbewuj^te Angst 
vor dem Liebesverlust stellt. \S^ir wissen, da^ im jSdbweigen 
die destruktiven Tendenzen, die uns als Todestriebe be- 
kannt sind, im iSpredien die Eiebestriebe iliren Ausdrude 
gefunden baben. Allen Misdibildungen entgegen bleibt 
bestellen, da;g das Opredien vereinigende, das iSdiweigen 
trennende Kraft bat.' Mit jemandem spredien bedeutet im 
Tiefsten eine Liebesbezeigung, mit jemandem sdiweigen 
einen Ausdrudt der Abneigung.'' 5agen wir nidit, wenn 



■wir 



i) Eine Wiener Redensart lieiJjt: »DurA Reden Jsommen die 
Leute zusammen, e 

2) In der Diskussion üter diesen Vortrag teniertte Dr. Eduard 
Hitsdimann, der ihn einer scLarfeu Kritik unterzog, daJ^ die otigen 
Behauptungen nidit zutreffen, weil ja das Wort scltst oft zum Aus- 



t 



jemandem selir zürnen: »wir wollen iiidit nielir mit ilim 
spreaien?« Der Ausanick Totsdiweigen ist eigentlidi ein 
Pleonasmtts. Vv enn in einer Gesellsaiaft eine jener län- 
geren uiibeliagliaien Pausen eintritt, sagen wir eupliemi- 
stisaa: ein Engel gelit ciurais 2immer. Es ist der mildeste 
Engel Gottes. Die Angst vor dem odi-weigen ist im 
Tiefsten Todes-(Kastrations-) angst, odieinen uns so 5prc~ 
dien und iSdiweigen spradilidie Ausdrucksformen von 
Lebens- und Todestrieten, so wird uns klar, dajj das 
iSdiweigen ursprünglidier ist als das Reden, dajj die Rede 
dem odiweigen cutstammt wie das Leben dem Tod. Lii 
Anfang war das ^V^ort, ater vorher war die groJ^e Stille.' 
iSind wir alle hier nur »Tote auf Urlaub«, so ist audi 
alles opredien nur eine uüditige Untertrediung des ewigen 
iSdiweigens. 



druck der leiiidseligkejt iiiici des Hasses werde. Diese — allerdings 
uillreiwilllge — Bestätigung kann uns nur ■willkommen sein, da sie 
ja die Behauptung der Doppelsinnigkeit von Reden und Sdiweigen 
stützt und ilire antitlietisdie W^irkung Lekrältigt. Anderseits sdiwädit 
sie das onen Gesagte iiidit an, da es siai auf die Grundnedeutungen 
des Redens und Smweigens besieht. Es bedarf wenig analytisdicn 
Sdiarfsinns, uin den ansdiemenden \\^idersprudi zu lösen : das Dpredien 
ist oereits der Beginn der affektiven Bewältigung von Trieoregungen. 
Gerade die \Virkungen der Psyaioanalyse zeigen, dalj das -Ausspreaien 
und A-Usdrüateii von Halj und Feindseligkeit den ersten iSairltt zu 
inrer psymisdien Erledigung darstellt. 

l) äSpeeai is of Time, Stlencc is of Kterjiity.a. (Carlyle, On 
Heroes. Lect, IV.) 



IV 



Im iStillen Ozean, Lei den Race-RocKS, im Getiet der 
V ancouverinsel, gibt es eine merkwürdige iStelle, die man 
die »Zone des iSoiweigens« nennt. Viele iSaiiiler sind liier 
an den Felsen zersoimettert und liegen am Grunde des 
Meeres. Kein JNeoelliorn ist laut genug, die oaiifle zu 
-warnen: dies ist der Grund der so liäufigen Katastropnen. 
Die Kapitäne, "welaie die ÄtraJje von Juan de Fuca 
liinunterlunren, gaben an, dai^ sie die mäditigen »Sirenen 
von dem Leuaitturni der Race-Roots nidit vernehmen 
konnten. iSaaiverstäiidige lialien festgestellt, da^ die V er- 
liältnisse von EtLe und Flut sowie bestimmte Vvind- 
riditungen zu mandien Zelten Lei den Race-RodvS eine 
»Zone des 5aiweigens« saiaflen, in der niait der geringste 
Ton von aul3en geliSrt wird. Ein Sdiiff, das siai in dieser 
viele Kilometer w^eiten Zone befindet, ist von den Ge- 
räusdien der Auljenwelt vollkommen abgesdilossen. Vv ir 
glauben, da^ das unbewuljt v erdrängte eine soldie »Zone 
des «Sdiweigens« im Seelenleben bildet. In derl^eurose bat 
sie sidi erw^eitert, vertieft. Jenes odiweigen, das w^ir nier 
meinen, ist nidit Otummlieit saileditbin, es ist vielmelir 
.sdiw^er von ungesagten VV orten. Es istderkorrelate Ausdrudi; 
der Verdrängung und zeigt alle jene Züge des Kompromisses 
zw^isdien Fludit und Verurteilung, die derVerd rängung eigen 
sind. Die Psydxoanalyse bedeutet einen ersten Durdibrudi 
in diese Zone des odiweigens beim Einzelnen. 

Hier ist nun der Platz, einer psydioanalytisdien Theorie 
zu gedenken, die eine bisher nidit gewürdigte lendenz 



im unbewußten iSeelenleteii zu Leleuditen versudite, der 
Tlieorie des Geständniszwanges.' Diese unbewußte Tendenz 
Iiatte sidi unter dem Zwange testimmter Kulturfalitoren 
aus dein Äu^erungsdrange der untewuJJsten Trieliregungeu 
entwidcelt und zeigt alle Anzeidien ilires Ursprunges und 
der sie beeinflussenden jjsydiisdien Instanzen. Als ein 
Mittelding zwisdien Versdiweigen und Aussjiredien dient 
sie dodi einer seelisdien »Strömung, weldie die Mitteilung 
der untewu^ten Vorgänge anstrebt. Unsere Erörterungen 
über die latente Bedeutung <ies 5diweigens als Zeidien 
der Virltsamkeit der Todestriete und des iSprediens als 
eines Versudies, diese mit Hilfe der erotisdien Triete zu 
überwinden, fügen den psydiologisdien Begründungen des 
Geständniszwanges eine weitere, tiologisdie liinzii. 

Beethoven temertte einmal: »Das AV^iditigste der 
Musik stellt nidit in den Noten.« Audi in der Analyse 
ist das Gesprodtene als soldies nidit dasW^iditigste. Wesent- 
lidier sdieint es uns, zu ertennen, was das Spredien ver- 
sdiweigt und das iSdiweigen sjaridit. 



i) Reik: Gestäntlnisswang und StrafLeJürfnis. 1936, (Internationale 
PsyAoanalytisiiie BitliotLet, Nr. XVIII.) 



INHALTSVERZEICHNIS 

Seite 

W^ie man PsycJiologe wird y 

Vortrag, getalteii auf dem IX. Internationalen PsytJioanalyt!- 
stten Kongrefj in Homlinrg v. J. H. am 5. September 1936 

Psycfaologie ViwA Depersonalisation Zä 

Nadi Vorträgen im Xelirinstittit «JerWiener Psydioanalytisclieii 
Vereinigung (Januar — Feliriiar 1926) 

Die psyttologiscJie Bedeutung <\ft% Sdiweigens . . . . loi 

NaA einem Vortrage in der "Wiener PsydioanalytisJieji Ver- 
euiigung am 9. Januar 1936 



Von JJr. Ineodor Jxeik ersdiien früker : 



xlaubert und seine »Versudiung des Heiligen 

XXntOniUS«. Ein Beitrag zur KüustlerpsyAologie. Mit einer 
Vorrede von AlfreJ Kerr. Minden i. V. [191a] 



Artkur Sclinitzler als Psydiolog. Minden i. W. [igiS] 
Probleme der Religionspsydiologie. I.Teil: Das Ritual 

(Internationale Psyiioanaly-tisclie Bitliotlielt, Bd. V). Mit einer 
Vorrede von Prof. Dr. S i g m. Freud. Leipzig - Wien - 
ZüAdi 1919 [Vergriffen] 



JJer eigene und der fremde Gott. Zur PsyAoanalyse 

der religiösen Entwülung (Imago -Büdier, Bd. III). Leipzig . 
>Vien - 2üridi igaS 

(jeständniszwang und OtralDedürfnis. Protleme der 

Psydioanalyse und der Kriminologie (Internationale Psydioana- 
lytisdie Bibliotliek, Bd. XVIII). Leipzig - ^Vien - 2üridi igaÄ 



Reik. 9 



SIGM. FREUD 

DIE FRAGE DER 
LAIENANALYSE 

UNTERREDUNGEN MIT EINEM 
UNPARTEII-SCHEN 

GeheftetMy20, Ganzleinen M 4' 8o 

Prof. Freud nimmt Stellung zu der durch einen Kurpfuscher- 
prozeß in Wien aktuell gewordenen Frage, ob die Hand- 
habung des tiefenpsychologischen Heilverfahrens den Ärzten 
vorbehalten bleiben soll. Der Schöpfer der Psychoanalyse ver- 
wahrt sich temperamentvoll dagegen, daß die Psychoanalyse 
„von der Medizin verschluckt werde". In diesem Zusammen- 
hang entwirft Freud in knappen Zügen auch ein Bild seiner 
ganzen Lehre. Diesmal wendet sich die Darstellung der Psycho- 
analyse nicht an ein gelehrtes Publikum, sondern — in Dialog- 
form, lehrend, Vorurteile auflösend und diskutierend — gleich- 
sam an einen als einflußreich angenommenen Mitbürger, in 
dessen Gesichtskreis die Psychoanalyse jetzt als Objekt der 
Gesetzgebung und der Gesetzesanwendung gerückt ist. Ins- 
besondere die konkreten Vorgänge während der analytischen 
Kur werden eingehender verdeutlicht als in früheren 
gemeinverstän dlichen Darstellungen 



Internationaler Psyaioanalytiscner Verlag 

\V^ien VII, Anilreasgasse 3 



SIEGFRIED BERNFELD 

SISYPHOS 

ODER 

DIE GRENZEN DER ERZIEHUNG 

Geheftet M J' — , Ganzleinen M 6'JO 

Seit langem im fragwürdigen Bereich der Pädagogik keine wichtigere 
Erscheinung, als diese Schrift. Übrigens auch keine bei allem bitteren 
Ernst witzigere und vergnüglichere. 

(Gustav Wyneken im Berliner Tageblatt) 

Ein geistreicher Beobachter der jungen Brut hat ein Buch heraus- 
gebracht, das er mit kühnem Mute „Sisyphos" nennt . . . Bernfeld sieht 
die Welt von einer Brücke, deren Köpfe auf Freud gestützt sind und 
auf Marx. Die bürgerliche Gesellschaft sieht er als einen Ozean der 
Lüge, auf dem die angeblichen Ziele der Erziehung treiben wie ver- 
faulte Schiifstrümmer. (Fritz Witteis im Tag) 

Die glänzende Programmrede des Unterrichtsministers reicht an Anatole 
France heran und könnte in der Insel der Pinguine stehen. 

(Die Mutter) 



Geistreiche Sachlichkeit und anmutige Ironie. 



(Ostseezeitung) 



Bernfelds Buch ist natürlich, wesentlich und notwendig . . . Vollzieht in 
eigenkräftiger Klarheit die Paarung oder besser: die Durchdringung 
Freud-Marx . . . Sezierarbeit am didaktischen Größenwahn. 

(Paul Oestreich in Die neue Erziehung) 

Selten sind die scheinbar so sicheren Grundlagen der Pädagogik so gründ- 
lich unterwühlt worden, wie in dem vorliegenden geistreichen Buche. 

(Zeitschr. f. Sexualwissenschaft) 

Überaus farbige und temperamentvolle Schrift. Durch den hinter der 
Oberschicht einer feinen ironischen Plauderei spürbaren sittlichen Ernst 
sympathisch. (P''"/- Storch im Zbl. f. d. ges. Neural, u. Psychiatrie) 

Vielleicht der erste Versuch, mit biologischem Rüstzeug das Erziehungs- 
problem zu klären. Während bisher die Erziehung eigentlich als Kunst 
gewertet war, wird hier der Versuch gemacht, sie exakt wissenschaftlich 
zu begründen. (Zeitschrift für Kinderforschung) 



internationaler xsycaoanalytisdier Verla 

W^ien VII, Aniireasgasse 3 



AUGUiST AICHHORN 

VERWAHRLOSTE 
JUGEND 

Geheftet M ^' — , Ganzleinen M II'-- 



Gel, 



eitwort von 



Prot. oism. Freud: 



„Von allen Anwendungen der Psychoanalyse hat keine so viel Inter- 
esse gewonnen, so viel Hoifnungen erweckt und demzufolge so viele 
tüchtige Mitarieiter herangezogen wie die auf die Theorie und Praxis 
der Kindererziehung. Dies ist leicht zu verstehen. Das Kind ist das haupt- 
sächliche Objekt der psychoanalytischen Forschung geworden; es hat in 
dieser Bedeutung den Neurotiker abgelöst, an dem sie ihre Arbeit be- 
gann. Die Analyse hat im Kranken das wenig verändert fortlebende 
Kind aufgezeigt, wie im Träumer und im Künstler, sie hat die Trieb- 
kräfte und Tendenzen beleuchtet, die dem kindlichen Wesen sein ihm 
eigenes Gepräge geben, und die Entwicklungswege verfolgt, die von 
diesem zur Reife des Erwachsenen führen. Kein Wunder also, wenn die 
Erwartung entstand, die psychoanalytische Bemülaung um das Kind werde 
der erzieherischen Tätigkeit zugute kommen, die das Kind auf seinem 
Weg zur Reife leiten, fördern und gegen Irrungen sichern will . . . Mein 
persönlicher Anteil an dieser Anwendung der Psychoanalyse ist sehr 
geringfügig gewesen. Ich hatte mir frühzeitig das Scherzwort von den 
drei unmöglichen Berufen — als da sind: Erziehen, Kurieren, Regieren — 
zu eigen gemacht, war auch von der mittleren dieser Aufgaben hinreichend 
in Anspruch genommen. Darum verkenne ich aber nicht den hohen sozia- 
len Wert, den die Arbeit meiner pädagogischen Freunde beanspruchen 
«iarf. — Das vorliegende Buch des Vorstandes A. Aichhorn beschäftigt 
sich mit einem Teilstück des großen Problems, mit der erzieherischen 
Beeinflussung der jugendlichen Verwahrlosten. Der Verfasser hatte in 
amtlicher Stellung als Leiter städtischer Fürsorgeanstalten lange Jahre 
gewirkt, ehe er mit der Psychoanalyse bekannt wurde. Sein Verhalten 
gegen die Pflegebefohlenen entsprang aus der Quelle einer warmen 
Anteilnahme an dem Schicksal dieser Unglücklichen und wurde durch 
eine intuitive Einfühlung in deren seelische Bedürfnisse richtig geleitet." 



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Internationaler Psyckoanalytisciier Verla; 

W^ien VII, AuJreasgasse 3 



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Jcressestimmen über „A.icnkovn: verwahrloste Jugend 



Aichhorns Buch trägt die Bestimmung in sich, an aufklärender Er- 
ziehungsarbeit viel beizusteuern. Durch die Bildhaftigkeit seiner Aus- 
drucksweise, durch seine geschickte Verbrämung der praktischen Für- 
sorgeergebnisse mit den theoretischen Erklärungen hat er diesen zehn 
Vorträgen die Spannung von der ersten bis zur letzten Seite erhalten. 

(Soziale Arbeit) 

Wer sich für die Probleme der Verwahrlosung interessiert, wird an dem 
Buche von Aichhorn nicht vorübergehen können und die dort geschilder- 
ten Fälle eingehend studieren müssen. (Preußische Lehrerzeitung) 

Dieses Buch ist dazu angetan, alle, die in der Erziehungsarbeit stehen, 
hellliörig und besinnlich zu machen. (Soziale Berufsarbeit) 

Von besonderem Interesse ist die Schilderung der Erziehungsmethoden, 
die der Verf. anwendet, und die zweifellos eine glückliche pädagogische 
Treffsicherheit in der Erfassung des im gegebenen Mom^ent einer be- 
stimmten Individualität gegenüber Angebrachten verraten. 

(Leitschrift f. Sexualwissenschaft) 

Fragt man nun danach, wo denn in der deutschen Gegenwartspädagogik 
der Geist Pestalozzis am lebendigsten vertreten bleibt: ... in der Praxis 
der österreichischen Volksschulreform, in dem neuen Verwahrlosten- 
Erziehungswesen, über dessen Wiener Ausgestaltirag uns Aichhorn so 
schön zu berichten weiß. (Das Deutsche Buch) 

Solche Bücher solche Männer möchten wir in reichlicher Anzahl unseren 
Massen zuführen und ihnen sagen können: „Seht Ihr's? So geht's auch!" 

(Nepszava, Budapest) 

Jeder, der jemals erzieherisch tätig war, wird Aichhorn für sein Werk 
dankbar sein; und wer hat nicht wenigstens einmal in seinem Leben 
vor der Aufgabe gestanden, erziehen zu müssen: und wäre es nur die 
eine lebenslängliche erzieherische Tat, — sich selbst zu erziehen. 

(Pester Ll(fyd) 

Wir begrüßen das Buch in doppelter Hinsicht: einerseits als Lehrbuch und 
anderseits als Führerbuch für diese wichtige Fürsorgefrage . . . Dieses 
Buch ist auch ein persönliches Dokument und zeigt, wie ein Praktiker 
in unermüdlicher und selbstverleugnender Tätigkeit einer wissenschaft- 
lichen Theorie, deren Erkenntnisgebiet außerhalb des Greifbaren liegt, 
Leben geben kann. (Blätter f. d. Wohlfahrtswesen d. Gemeinde Wien) 



THEODOR REIK 

DER EIGENE UND 
DER FREMDE GOTT 

Geheftet M 8';o, Ganzleinen M 10' fO 

Ililialt: üoer kollektives Vergessen / Jesus und Maria im TalniuJ / Der 
m. Epipnanius versmreitt sidi / Die wiederauferstatidenen Götter / Das 
Evangelium des Judas Ismarioth / Psyaioanalytisaie Deutung des Judas- 
Proolems / Gott und Teufel / Die Unlieimlidikeit fremder Götter und 
Kulte / Das Uiineimlime aus infantilen Komplexen / Die Äquivalenz der 
Trieogegensatspaare / üoer Dmerensierung 



Der tiefblickendste und scharfsinnigste Religionspsychologe unserer Zeit. 

(Schulreform, Bern) 

Einer der hellsten Köpfe unter den Psycho- 
(Alfred Döblin in der Vossischen Zeitung) 



Ein geistreiches Buch 
analytikem. 



Gut ist die Analyse des Fanatismus . . . Man wird eine Methode, die 
so tiefe Sachverhalte aufdecken kann, nicht a limine ablehnen. 

(Prof. Titius in der Theologischen Literaturzeitung) 

Man muß Reiks wuchtigen Vorstoß anerkennen . . . Rücksichtslos geht 
der Weg, zwar oft durch Dunkel und Schrecken und kaltes Grauen. 
Aber wer den Mut dazu hat, kann sich getrost der sachkundigen Füh- 
rung Reiks anvertrauen. (Bremer Nachrichten) 

Das Buch ist unmittelbar erschütternd. Es versäume niemand, dem 
psychologischen Zusammenhang zwischen Christus und Judas Ischarioth 
unter Reiks sachkundiger Führung nachzusinnen. Der erste Eindruck 
mag leicht ähnlich erschreckend wirken, wie die Begegnung mit dem 
Hüter der Schwelle; allein auch hier wird sich der Schreck, vom Richti- 
gen richtig erlebt, als heilsam erweisen. 

(Graf Hermann Keyserling im Weg zur Vollendung) 

Manches darin wird starken Anstoß erregen und doch . . . findet man 
immer wieder etwas in ein neues Licht gerückt. (Frankfurter Zeitung) 



Internationaler Psydioanalytisdier Verlag 

Vvien V II, Andreasgasse 3 



THEODOR REIK 

GESTÄNDNI5^WANG 
UND STRAFBEDÜRFNIS 

PROBLEME DER PSYCHOANALYSE 

UND DER KRIMINOLOGIE 
I 

Geheftet M 8'—, Ganzleinen M 10'— 

Innalt; Der imoewu^te Geständniszwang / VYieaertenr des V erdrängten / 
1 iefendimension der Neurose / Der Geständnisswang in der Kriminalistik / 
Psytäioanalytjsdie Strafreditstlieorie / Der Geständniszwang in Religion, 
MytLtis, Kunst und Spradie / Entstellung des Gewissens / Kinderpsymo- 
logie und Pädagogik / Der soziale Geständniszwang 

Die hochinteressante Arbeit eines tiefgründigen Denkers und scharfen 
Beobachters, deren große Bedeutung für die Weiterentwicklung der 
Psychoanalyse die Zukunft zeigen wird. (Osterreichische Richterzeitung) 

Kein Leser wird sich dem Ernst entziehen können, mit dem Reik den 
seltsamen Kontrast zwischen äußerer Selbstgerechtigkeit des Menschen 
(als Einzelnen wie als KoUektivum) und dem inneren Selbstgericht auf- 
deckt, der den Leitfaden der echten sittlichen Entwicklung bildet. 

(Bücherrundschau) 

Vermittelt über die letzten Wurzeln des Geständnis- und Bestrafungs- 
triebes bei Neurotikern viele überraschende und originelle, sicher auch 
einst fruchtbar werdende Einsichten. 

(Zentralhlatt f. d. ges. Neurologie u. Psychiatrie) 

Reik versteht es in glänzender Weise, seine Hypothesen vorzutragen. 
Ein bewundernswerter Glaube an die Bedeutung der Psychoanalyse läßt 
ihn zur höchsten Höhe einer optimistischen Zukunftshoffnung aufsteigen. 

(Prof. Friedländer in der Umschau) 



Internationaler Psycnoanalytisdier Verlag 

W^ien VII, Andreasgasse 3 



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