Originalarbeiten.
i.
Über Destruktionssymbolik.
Von Dr. Otto Gross, Wien.
Ich leite die folgenden Ausführungen mit drei konkreten Beispielen
ein und bemerke vorher, dass diese nur der Exemplifizierung dienen sollen
und nicht als beweisendes analytisches Material.
1. Herr Dr. Neu mann von der schlesischen Landesirrenanstalt
Troppau erzählt mir folgende Beobachtung:
Ein 6 jähriges Mädchen wird beim Spiel von einem älteren Knaben
plötzlich und unerwartet von rückwärts durch einen Stoss zu Boden ge-
worfen. Sie fällt auf ein Knie und zieht sich eine unbedeutende äussere
Verletzung zu. Im Anschluss daran verbleibt ihr eine Streckkontraktur
im betroffenen Kniegelenk, die sich als eindeutig psychogen erweisen und
suggestiv zur Lösung bringen lässt.
In diesem Falle konnte eine psychoanalytische Untersuchung nicht
vorgenommen werden. Allein der Fall ist von so klassischer Einfachheit,
der Krankheitsaufbau derart übersichtlich und für den Kenner derart selbst-
verständlich, dass eine nähere Besprechung hier wohl nur aus Gründen
des Zusammenhanges stattfinden soll.
Vergegenwärtigen wir uns die psychologischen Tatsachen, die Freud
als „infantile Theorien" von Koitus und Geburt beschrieben hat und die
zurzeit wohl jedem Analytiker als jenseits alles Zweifels gelten müssen,
so ist der innere Sinn des Krankheitsbildes und Krankheitszieles von selbst
gegeben.
Die Lehre Freud's von den „infantilen Sexualtheorien" besagt,
dass der Geschlechtsverkehr in der Vorstellung der Kinder habituell in dem
Bilde einer Vergewaltigung welcher Art immer der Frau durch den Mann,
im Bilde eines wie immer gearteten sadistischen Aktes sich wiederspiegelt,
und dass sich Geburt und Schwangerschaft im infantilen Vorstellungsleben
als Krankheit, Operation, Verwundung oder Tod projizieren. Die Tatsache
dieser infantilen Symbolisierung ist mythologisch von Otto Rank, vor
allem aus Märchenmotiven, auf das Bestimmteste nachgewiesen worden.
Wie diese infantilen Bilder von Sexualität und Geburt entstehen, warum sie
regelmässig geradeso zustande kommen und was aus dieser psychologischen
Tatsache für Schlüsse zu ziehen sind, seil später behandelt werden.
Der Fall, den ich berichtet habe, enthält die unmittelbare Umsetzung
dieser infantilen Sexualauffassung in lebendiges Geschehen. Ein kleiner
Zentrtlblatt fllr Pa yehoioalyte. IV /". 85
J
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
526 W«"- Otto Gross,
Knabe wirft ein kleines Mädchen zu Boden, im Spiel, aus Scherz, aus
einem unvermittelten Impuls heraus. Er handelt aus seinem Bestimmt-
sein vom Unbewussten her, vollführt einen Sexualakt nach seiner Weise,
so wie sein Unbewusstes die Sexualität versteht. Und aus der gleichen
Disposition heraus, im gleichen Sinne, wird was er tut vom Unbewussten
des Mädchens aufgenommen: sie reagiert auf den symbolischen sexuellen
Akt mit einer symbolischen Schwangerschaft.
Dass die geschilderte Krankheitserscheinung des Mädchens tatsäch-
lich nur als Schwangerschaftssymbol betrachtet werden kann, ergibt sich,
aus dem Grundsatz, den wir als psychoanalytisches Axiom behandeln
müssen, dass jedes aus dem Unbewussten rührende Phänomen — Symptom
oder Traum — die Realisierung eines symbolischen Wunschmotivs, ich
möchte sagen eines Tropismus bedeuten muss. Die deterministische Grund-
auffassung gestattet uns nicht, an kausalitätslose, sinnlose, ja nicht ein-
mal an wirklich unzureichend begründete psychische Aktionen zu glauben.
Der sexuelle Tropismus ist im beschriebenen Krankheitsfall in infan-
tiler Art ins Leben umgesetzt: mit infantiler Unklarheit über das Wesen der
Sexualität und infantiler Sicherheit und Reinheit des sexuellen Wünschens.
Es bleibt Problem, wieso die infantile Verkennung der Art des sexuellen
und generativen Geschehens zustande kommt und warum sie gesetzmässig
gerade die Symbolik von Vergewaltigung und Krankheit annimmt, warum
sich hier gesetzmässig die Symbolismen der „Destruktion" im Sinne von
Sabine Spieliein ausbilden müssen.
2. Ein Arzt erzählt mir folgenden Traum:
„Ein weibliches Tier, es ist zunächst eine Hündin. Sie liegt am
Boden, auf der Seite, sie hat ein neugeborenes Junges bei sich. Ich streichle
sie, rede ihr zu und sage ihr, sie soll mich mit ihrem Jungen spielen lassen
und dass ich ihm nichts zuleide tun würde, sie ist aber etwas misstrauisch
gegen mich. Dann später ist es ein weibliches Schwein. Eine Frau steht
daneben, es könnte meine 'Mutter sein, und sagt mir «twa so, man habe-
bei dem Tier zur Erleichterung einen Entspannungsschnitt gemacht. Ich
empfinde dunkel, man habe eine Phlegmone angenommen, es werde aber
wohl eine inveterierte Luxation gewesen sein, es sei ein Kunstfehler, eine
brutale Nachlässigkeit, und ich empfinde Grauen dabei. Ich untersuche
dann die Wunde, es ist eine furchtbare Verletzung in der Leistenbeuge, in
der man den Kopf des Femur sieht, die Wunde ist nicht verbunden, sie
macht den Eindruck wie eingestochen und aufgeschlitzt. Es macht den Ein-
druck wie bei einem geschlachteten Tier."
Von diesem Traum war eine ziemlich weitgehende Analyse möglich.
Das wesentlichste Traummoment, der Ausdruck des Gcburtsrnotivs durch
Destruktionssymbolik, liegt aber ohne weiteres klar- zutage — mit einer
ganz besonderen Beweiskraft, weil das Geburtsmotiv hier Einmal unverhüllt
aus der Realitätskenntnis des Erwachsenen heraus formuliert ist — im
Traumbild von. einem weiblichen Wesen mit einem neugeborenen Jungen —
und Einmal „regressiv" in infantiler Symbolik — im Traumbild vom ver-
wundeten Tier 1 ) — auffallenderweise zuerst in der direkten und dann
in der symbolischen Form. Der infantile Charakter der Destruktionssymbolik
für den Geburtsvorgang ist durch die sekundäre Umarbeitung in medizinische
Anschauungsbilder nur oberflächlich verhüllt.
i) Assoziation zur Wunde, in der man den Femurkopf sieht: der Kopf des
Kindes, der in der Vagina sichtbar wird.
Über Destruktionssymbolik. 527
Problematisch bleiben in diesem Falle zunächst noch zwei Momente :
Das Wesen des treibenden Wunschmotivs und die Bedeutung der Tier-
symbolik, der Darstellung des Prinzipes „Frau" durch die Symbole „Hündin"
und „Schwein". Den Aufschluss gibt ein zweites, späteres, gesondertes
Traumbild derselben Nacht: das Traumbild einer homosexuellen Situation.
Die analytische Untersuchung ergab die Lösung beider Probleme in fol-
gendem unmittelbarem und für den Träumer selbst höchst überraschendem
Einfall : „Weil die Frauen so hündisch und schweinisch sind, dass sie
Kinder bekommen, so wünschte ich, ich wäre homosexuell."
Als tropistisches Kernmotiv des ersten Traumabschnittes ergab sich
dann noch eine Lustmordphantasie, die auf das Festhalten des Unbewussten
an der infantilen Destruktionssymbolik für die sexuellen und generativen
Vorgänge zurückzuführen war. Es ist derselbe Mechanismus des sexuellen
Eingehens vom Unbewussten des Einen auf das Unbewusste des Anderen,
die Wechselwirkung der infantilen Unbewusstseinsformen der Sexualität
von einem Menschen auf den anderen, die hier als Voraussetzung in den
Traummotiven wirksam ist und die im erstbeschriebenen Falle ins Leben
umgesetzt worden war. Die Tatsache, dass dem sexuellen Trieb in seiner
sadistischen Ausdrucksform die stärkste innere Verneinung entgegenwirkt,
erklärt das vorhin unterstrichene auffallende Nacheinander der direkten
und indirekten Traumdarstellung desselben Motivs s der sexuelle Tropismus
setzt sich schwerer und deshalb später in seiner sadistisch-symbolisierten
Gestalt als in der realitätsgemäss korrigierten direkten durch. Der eigent-
liche Traumwunsch wäre nach diesem Ergebnis exakt zu übersetzen : „Noch
lieber als in der durch Destruktionsphantasien belasteten Heterosexualität
zu leben, möchte ich homosexuell sein." In dieser Endformulierung erweist
sich der angeführte assoziative Einfall, der erst als eine brutale Paradoxie
erscheinen musste, als unmittelbarer Ausdruck des tiefen Konfliktes
zwischen der ethischen Gesamteinstellung und den im Unbewussten wirk-
samen verbildeten Triebgestalten der Sexualität.
3. Im Roman „Kameraden!" von Franz Jung fasst eine Frau das
Wesen ihres Leidens an sich selbst in die Worte zusammen: „Ich hasse
alle Frauen'. Ich möchte ein Mann und homosexuell sein." Ich bin in
der Lage beizufügen, dass diese Worte, wie überhaupt die Geschichte der
Neurose in diesem Meisterwerk des psychologischen Realismus, dem Leben
unmittelbar entnommen sind. —
Die Äusserung, von welcher jetzt die Rede ist, führt uns direkt an
das grosse Problem heran, das Alfred Adler unter dem Stichwort vom
„männlichen Proteste" aufgerollt hat. Worum es sich dabei handelt, soll
mit den Worten angedeutet werden, in welchen I. Birstein 1 ) das
Grundprinzip des Ad ler sehen Gedankens ausdrückt: „Als traurige Folge
des sozialen Vorurteiles von der Überlegenheit des männlichen Elementes
entsteht folgende schematische, gefühlsmässige Gegensatzfassung: das
Minderwertige, Weibliche, Schwache, ,unten' sich Befindende und, auf
der anderen Seite, das Vollwertige, Männliche, Starke, ,oben' Befindliche."
Als Konsequenz dieser unbewusst herrschenden Gefühlseinstellung ergibt
sich bei der Frau die Endeinstellung: „Männlicher Protest — der Wunsch
ein Mann zu sein" x ).
An sich, dass eine Frau ein Mann sein möchte, ist zweifelsfrei
aus dem „sozialen Vorurteil von der Überlegenheit des männlichen Ele-
i) Zentralblatt für Psychoanalyse IV, 7/8.
85*
528 Dr. Otto Gross,
mentes" zu erklären — wir kommen auf diese grundlegend wichtige Tat-
sache noch später zu sprechen. Allein die Worte der Frau in Jung's
Roman, auf die wir uns beziehen, enthalten noch einen zweiten Wunsch,
der kompliziertere Mechanismen voraussetzt und sich nicht ohne weiteres
nur aus der „Sicherungstendenz" im Sinne Adler's erklären lässt, das
ist also aus der „Selbstverteidigung der Persönlichkeit, d. h. dem Entgegen-
wirken gegen das Eindringen des Minderwertigkeitsgefühles in das Be-
wusstsein" 1 ). Das Problematische liegt im zweiten Teil des Satzes : „Ich
möchte ein Mann und homosexuell sein".
Es ist wohl ohne weiteres zweifellos, dass dieser zweite Wunsch
nicht aus dem Minderwertigkeitsgefühl der Frau um ihrer Weiblichkeit
willen und der Tendenz zur Überkompensation dieses Minderwertigkeits-
gefühles erklärt werden kann. Aus jenen rein egoistischen Strebungen
nach dem Durchsetzen des eigenen Ich um jeden Preis, das Adler und seine
Schule als das einzig wirksame Prinzip in der Genese von allen Unter-
bcwusstseinsäusserungen ansetzen, könnte in einer Frau wohl nur der
Wunsch entstehen, ein Mann im gewöhnlichen Begriffe der „Männlichkeit",
das ist ein Vergewaltiger der Frauen zu sein.
Die kompliziertere Motivierung wird verständlich, wenn wir das
letzte Beispiel mit dem zuvor erzählten Traum vergleichen. Gemeinsam
ist beiden Fällen, also einem Mann und einer Frau, das Wunschmoment,
ein homosexueller Mann zu sein. Diesem gemeinsamen Wunschmoment
muss augenscheinlich eine gemeinsame, für Mann und Weib in gleicher
Weise mögliche Motivierung zugrunde liegen. Und dies Motiv ist zwar im
Fall der Frau nicht ausgesprochen, im Fall des Männertraumes aber als
analytisches Ergebnis klar zutage liegend und kann wohl zwanglos in die
psychologische Konstruktion des letzten Falles herübergenommen %verden.
Wir haben die Formel für dieses Motiv bereits zusammengefasst: es ist
der Wunsch von der im Unbewussten mit infantilem Material belasteten
Heterosexualität, das ist von den die Heterosexualität belastenden Tropismen
der Destruktionssymbolik freizukommen. —
Wir überschauen nun, was sich aus den drei Fällen ergeben hat
und was wir erschliessen konnten. Zugrunde liegt jedesmal — teils
analytisch erweisbar, teils eindeutig zu erschliessen — das Festhalten des
Unbewussten an der destruktionssymbolischen Formulierung für die Vor-
stellungen von Sexualität und Geburt, als deren wesentliches Prinzip im
Unbewussten die Vergewaltigung des Mannes durch die Frau und deren
Folgen als Krankheit und Leiden figurieren. Im ersten Fall, dem Fall des
Kindes, setzt sich die Sexualität in dieser Form ins Leben um : im Kindes-
alter überwiegt die Vitalität des unmittelbaren Wünschens die Kraft der
Hemmungen. In den zwei anderen Fällen, welche Erwachsene betreffen,
überwiegt die Hemmung: es ist das Widerstreben gegen die Destruktions-
tropismen, das sich in diesen beiden Fällen als Wunsch des Unbewussten
manifestiert. Wir sind in diesen beiden Fällen, beim Mann wie bei der
Frau, zur Rekonstruktion des Wunschmotivs gelangt, mit der Frau nichts
Sexuelles zu tun haben zu wollen, weil die Sexualität mit der Frau eine
Vergewaltigung der Frau bedeute. Und dieses Wunschmotiv ist seiner
psychologischen Natur nach ein ethisches.
Die psychoanalytische Literatur hat uns vertraut gemacht mit der
Bedeutung des moralischen Motivs als Komponente der inneren Konflikte.
i) Zentralblatt für Psychoanalyse IV, 7/8.
Über DeBtruktionsBymbolik. 529
W. S t e k e 1 hat die konflikterregende Wirkung der religiös-moralischen
Motive an den Tag gebracht und I. Marcinowski hat den Charakter
der krankheitschaffenden inneren Konflikte als Folge des unlösbaren Wider-
spruchs der menschlichen Natur mit den bestehenden moralischen Wert-
urteilen mit unübertreffbarer Deutlichkeit klargelegt. Allein die ethische
Grundtendenz, von welcher hier die Rede ist, hat nichts zu tun mit den
moralischen Werturteilen, von denen Marcinowski sagt: „Moral ist
Furcht vor rächenden Dämonen" und welche ich selbst als „die Summe
aller fremden Suggestionen, die wir Erziehung nennen", bezeichnet habe.
Es handelt sich vielmehr um einen kongenitalen, den Menschen artgemässen
Urinstinkt, der auf die Erhaltung der eigenen Individualität und die liebend-
ethische Beziehung zur Individualität der Anderen zugleich gerichtet
ist, für dessen Wesen man die konkrete Fassung gebrauchen kann: das
Streben, sich selbst nicht vergewaltigen zu lassen und
Andere nicht zu vergewaltigen.
An dieser Stelle soll diese Fassung nur die Bedeutung eines heuristi-
schen Prinzipes haben; ich habe eine grössere Arbeit darüber in Vor-
bereitung. Hier soll zum Zwecke dieser Ausführungen hervorgehoben
werden: der ethische Grundinstinkt, von dem die Rede ist, ergibt zusammen
mit der Destruktionssymbolik der Sexualität im Unbewussten den Kon-
flikt von zwei Antagonistenpaaren : sich nicht vergewaltigen lassen und
nicht vergewaltigen wollen auf der Einen Seite und auf der Anderen die
Gefühlsfestsetzung des unüberwindlichsten Triebes als Vergewaltigen und
Vergewaltigtwerden.
*
Bei meiner Beschäftigung mit sexuellen Problemen hat mich eine
Frage "besonders interessiert: warum dieser mächtigste Trieb, der Fort-
pflanzungstrieb, neben den a priori zu erwartenden Gefühlen negative
wie Angst, Ekel in sich beherbergt, welch' letztere eigentlich überwunden
werden müssen, damit man zur positiven Betätigung gelangen kann." Mit
dieser Problemstellung beginnt die gedankenreiche Untersuchung von
Sabine Spielrein über „Die Destruktion als Ursache des Werdens" 1 ).
Mit diesen Worten ist die tiefste Frage angeschnitten, mit der sich die
moderne Psychologie zu beschäftigen hat, und diese Frage ist in ihrer
menschheitumfassenden Allgemeinheit aufgerollt. Ich schliesse an, was ich
dereinst geschrieben habe: „Die Klinik des Psychoanalytikers
umfasstdas ganze Leiden derMenschheit ansich selbs t."
Wir finden in der Tiefe des menschlichen Inneren einen Konflikt, der
die seelische Einheit zerreisst, wir finden, dass dieser Konflikt in jedem
Menschen ist, dass diese seelische Zerrissenheit die ganze Menschheit
durchzieht, und diese Erkenntnis führt in die Versuchung, das Leiden an
sich selbst als unvermeidbar, den inneren Konflikt als etwas „Normales"
zu sehen. Doch unser naturwissenschaftliches Erkennen muss es ab-
lehnen, etwas so Unzweckmässiges für einen angelegten Artcharakter,
für etwas artgemäss dem Menschen Angeborenes zu halten.
Diese Erwägung führt zu einer soziologischen Problemstellung in
der Psychologie der inneren Konflikte. Ich habe einer solchen Anschau-
ung in meiner Arbeit „Über psychopathische Minderwertigkeiten" *) Aus-
1) Jahrbuch für payehoanalyt. etc. Forschungen 1911, IV. Band, I. Hälfte,
pag. 465.
2) BraumttUer 1909.
530 Dr. Otto Gross,
druck gegeben: „Der Sexualkonflikt scheint in seiner ungeheueren Bedeutung
gerade nur als Ausdruck einer allgemeinsten sozialen und psychischen
Gegebenheit verständlich. Die typischen Erziehungs- und Milieuverhältnisse
des Kindes in der Familie bedingen die exogene, die hohe Suggestions-
empfänglichkeit der Kindheitsphase die endogene Ätiologie der ideogenen
Alterationen. Die eingeborenen individuellen eigenen und die von früh
auf suggerierten fremden Entwickelungs- und Assimilatioustendenzen sind
eigentlich die souveränen Gegenströmungen im pathogenen Konflikt. Die
Frühsuggestionen der Erziehungstendenz und des Nachahmungszwanges
im Familienmilieu fixieren die fremden Impulse, die mit der Individualtät
im unlösbaren Gegensatze stehen und so die pathogenen Dauerkonflikte
bedingen. Die wirklich trennenden Kontraste in der zerrissenen Psyche
sind nur als Gegensatz des Eigenen und Fremden möglich. Ich glaube
darum auch sagen zu können : Die psychoanalytische Heilung
der ideogenen Zerrissenheit ist die Befreiung der in-
dividuell präformierten Zweckmässigkeit vom sug-
gestiv fixierten fremden Willen der infantilen Um-
gebung."
Das Kind in der bestehenden Familie erlebt zugleich mit dem Be-
ginnen des Erlebenkünnens, dass seine angeborene Wesensart, sein an-
geborenes Wollen zu sich selbst, sein Wollen, so wie es ihm angeboren ist
zu lieben, nicht verstanden und von niemanden gewollt wird. Dass keine
Antwort kommt auf die Erlösungsforderung: die eigene Persönlichkeit be-
halten und nach den eigenen angeborenen Gesetzen lieben können. Auf
diese Forderung gibt niemand Antwort als das eigene Erkennen, verschmäht
und wehrlos unterdrückt zu sein, das eigene Erkennen der allausfüllend
weiten Einsamkeit ringsum. Und auf die grenzenlose Angst des Kindes in
der Einsamkeit hat die Familie, wie sie jetzt besteht, die eine Antwort:
Sei einsam oder werde, wie wir sind.
Kein Mensch vermag bereits als Kind auf Liebe zu verzichten: Das
ist unmöglich, weil der Trieb zum Anschluss an die Anderen so arterhaltend
wie das Streben zum Bewahren des angeborenen eigenen Wesens ist. Das
Kind in der bestehenden Familie muss werden wie die anderen, die es
umgeben, sind : mehr oder minder gänzlich, wenn es zu den Meisten, zum
Teil nur, wenn es zu den Wenigen gehört, die ihre angeborene Wesensart
und eine innere Notwendigkeit, danach zu streben, nie ganz verlieren
können.
Die Angst der Einsamkeit, der Trieb zum Anschluss zwingt das Kind,
sich anzupassen: die Suggestion von fremdem Willen, welche man Er-
ziehung nennt, wird in das eigene Wollen aufgenommen. Und so bestehen
die Meisten geradezu allein aus fremdem Willen, den sie aufgenommen,
aus fremder Art, der sie sich angepasst, aus fremdem Sein, das ihnen völlig
als die eigene Persönlichkeit erscheint. Sie sind in ihrem Wesen im grossen
ganzen einheitlich geworden, weil aller fremde Wille, aus welchem sie in
Wirklichkeit bestehen, in seinem tiefsten Wesen und seinen letzten Zielen
einheitlich gerichtet ist. Sie haben sich das innere Zerrissensein erspart,
sie sind den Dingen wie sie liegen angepasst. Sie sind die Allermeisten.
Allein wenn auch kein einziger, so wie die Dinge liegen, es vermag,
das aufgedrängte Fremde völlig von sich fern zu halten : es gibt auch Solche,
welche auch das Wesenseigene nie. ganz verlieren können. Das Schick-
sal dieser Menschen ist der innere Konflikt des Eigenen und Fremden, die
Über Destruktionssymbolik. 531
innere Zerrissenheit, das Leiden an sich selbst. Es ist die Menschenart,
mit deren unverlierbar führenden Motiven es unvereinbar bleibt, dass sie
den ersten grossen Kompromiss geschlossen haben.
Die Angst der Einsamkeit, welche das erste innere Erleben des
Kindes ist, wird durch den Kontrast der angeborenen eigenen Wesensart
mit der Umgebung bedingt, und diese Angst enthält den Zwang, sich an
die Anderen anzupassen. Nur die Tendenz, zu werden wie die Anderen
sind, eröffnet für das Kind den Ausblick auf Befriedigung des Anschluss-
triebes, und sie allein enthält zugleich' die Möglichkeit, zwar nicht die
eigene Wesensart bewahren, jedoch das eigene Ich in angepasster Form
den Anderen gegenüber zur Geltung bringen zu können. Die Angst der
Einsamkeit des Kindes ist der erste, ursprüngliche und entscheidende Zwang
zur Umwandlung des Willens zur Erhaltung der Individualität in den „Willen
zur Macht", von dessen unabsehbarer Bedeutung in den inneren Konflikten
uns die geniale Forschung Alfred Adler's überzeugt hat.
Mit dieser Umwandlung des Willens zur Erhaltung der Individualität
in Willen zur Macht ist eine vollkommene Dissoziierung und Gegensatz-
stellung der beiden ursprünglich harmonisch einheitlichen Triebkomponenten
gegeben, für welche wir früher die Formulierung gefunden haben: sieb
selbst nicht vergewaltigen lassen und andere nicht vergewaltigen wollen.
Und diese sekundäre, erworbene Gegensatzstellung der egoistischen und
altruistischen Tropismen erst ergibt das Antagonistenpaar des inneren
Konfliktes, welcher im Selbsterhaltungskampf im Sinne Alfred Adlers
zur unzweckmässigen Äusserung kommt.
Es ist die Konsequenz der Gegensatzstellung, der gegenseitigen Rei-
bung im inneren Konflikt, dass beide antagonistisch geordneten Trieb-
komponenten durch Überkompensation immer mehr entstellt und hyper-
trophisch werden. Infolgedessen äussert sich das Kräftespiel des Nicht-
vergewaltigtwerdenwollens und Nichtvergewaltigenwollens in modifizierter
Form der beiden Impulse als innerer Konflikt von Willen zur Macht und
Selbstaufhebung.
Die Frage der Selbstaufhebungstendenzen ist das Problem, das A.
Adler's Forschung zu keiner voll befriedigenden Lösung gebracht hat.
Die Selbstaufhebung als Ausdruck des durch Uberbelastung hypertrophisch
verbildeten Grundinstinktes des Nichtvergewaltigenwollens aufzufassen,
scheint mir ihr eigentliches Wesen verständlicher zu machen.
Es ist im vorigen angedeutet worden, dass die Erhaltungsfähigkeit
der angeborenen Wesensart und ihrer Grundinstinkte von grösster indivi-
dueller Verschiedenheit ist. Es ist gesagt worden, dass es nur wenige
sind, in denen sich das angeboren artgemässe Wesen und seine Grund-
instinkte noch wirksam geltend erhalten können. Und damit unterliegt
auch die ethische Komponente der kongenitalen Instinkte — das, was wir
als Nichtvergewaltigenwollen bezeichnet haben — so grossen individuellen
Schwankungen, dass sie gerade nur bei einigen, und zwar bei einer Minder-
zahl von Individuen sich noch als nachweisbare Komponente der inneren
Konflikte manifestieren wird. Es ist darum ohne weiteres zuzugeben,
dass für die Mehrzahl der Fälle das Schema A d 1 e r's vom inneren Kon-
flikt zwischen den rein egozentrisch orientierten Antagonisten der persön-
lichen Minderwertigkeitsangst auf der Einen Seite und des überkompen-
sierenden Bestrebens sich durchzusetzen auf der Anderen von praktisch
uneingeschränkter Geltung sein dürfte. Allein ich wiederhole, dass dieses
532 Dr. Otto Gross,
Schema allein in allen jenen Fällen sich als unzureichend erweist, in
denen das Moment der Selbstaufhebung in die Erscheinung tritt. Als das
Moment, das Adler's Erklärungen am meisten problematisch gelassen
haben, erscheint mir das Phänomen des Masochismus im weitesten Sinne
des Wortes. Wir werden uns mit diesen Fragen nunmehr noch weiter zu
befassen haben. Wir kommen damit zu dem Problem zurück, von dem wir
ausgegangen sind: zur Destruktionssymbolik in der Sexualität. Der sa-
distisch-masochistische Erscheinungskomplex ist nur die höchst gesteigerte
klinische Ausdrucksform der sexuellen Destruktionssymbolik überhaupt.
Für diese aber können wir jetzt die allgemeine Formulierung geben: die
sexuelle Destruktionssymbolik ist das Verschmelzungsresultat der Sexualität
mit den erworbenen Endeinstellungen Willen zur Macht und Selbstaufhebung.
Dies ist nicht mehr als die Definition für eine im Grunde fast
selbstverständliche Tatsache. Für uns kommt jetzt die Frage in Betracht,
wie diese Verschmelzung der Triebe zustande kommt. Wir können dabei
von vorhinein die Voraussetzung machen, dass die zur Destruktions-
symbolik in Beziehung stehenden physiologischen Momente des Sexual-
und Generativgebietes, die Momente der Defloration und Geburt, für das
Zustandekommen der Destruktionssymbolik nicht mehr Bedeutung haben
als die von inhaltlieferndem Material. Tatsachen der Natur, auf welche
eine einfache und selbstverständliche Reaktion von selbst gegeben ist,
sind nie der Grund und eigentliche Kern von inneren Konflikten und
konfliktenthaltender Symbolik. Die ungelösten Konflikte des Unbewussten,
die sich in den Symbolerscheinungen nach aussen projizieren, entstehen als
Reaktion aus Tatsachen, auf welche zweckmässig zu reagieren dem Men-
schen zu schwer geworden ist: auf Tatsachen, die man zu ändern nicht
imstande ist und doch auch !nie auf eine letzte Sehnsucht sie zu ändern ganz
verzichten kann. Das heisst, die ungelösten inneren Konflikte und die
Konfliktsymbolik, die als ihr Ausdruck aus dem Unbewussten kommt,
entstehen durch den Druck von übermächtigen und unerträglichen Tatsachen
der umgebenden Gesellschafts- und Faniilienordnung.
Ich habe vorhin die resümierende Äusserung Birstein's nach
Adler erwähnt, dass die inneren Konflikte und ihre Folgeerscheinungen
„die traurige Konsequenz des sozialen Vorurteiles von der Überlegenheit
des männlichen Elementes" sind. Genauer gesagt, die traurige Konsequenz
aus der bestehenden Stellung der Frau in der Gesell-
schaft und im besonderen in der Familienordnung. Wenn
ich vorhin gesagt habe, dass der Sexualkonflikt „in seiner ungeheueren
Bedeutung gerade nur als Ausdruck einer allgemeinsten sozialen und
psychischen Gegebenheit verständlich scheint", so ist dies, wenn wir auf
den tiefsten Grund zurückgehen, dahin auszuführen, dass wir sagen: das
Entstehen der bestehenden Stellung der Frau in der Gesellschafts- und
Familienordnung ist das menschheitsgeschichtliche menschheitumfassende
Trauma gewesen, von welchem das innere Leiden der Menschheit an sieb
selber stammt.
Es ist nach den Ergebnissen der Anthropologie wohl nicht mehr
zweifelhaft, dass die bestehende Familienordnung, die Vaterrechtsfamilie
keine solche ist, die mit der Menschheitsentwickelung von Anbeginn her
sich mitentwickelt hätte, dass sie vielmehr das Ergebnis einer Umwälzung,
vorherbestandener andersartiger Verhältnisse darstellt. Als uranfängliche
Institution erkennt die moderne Anthropologie das freie Mutterrecht, das.
Über DeBtruktionBBjmbolik. 533
sogenannte Mutterrecht der Urzeithorde. Das Wesen der mutterrechtlichen
Institution besteht darin, dass die materielle Vorsorge für die Mutter-
schaftsmöglichkeit der Frau von Allen Männern der Gesellschaftsgruppe —
hier also des ganzen Stammes — gewährleistet wird. Das Mutterrecht
gewährt der Frau die wirtschaftliche und damit die sexuelle und mensch-
liche Unabhängigkeit vom einzelnen Mann und stellt die Frau als Mutter
in ein Verhältnis der direkten Verantwortlichkeit der Gesellschaft gegen-
über, die als die Trägerin des Interesses an der Zukunft eintritt. Die
Mythologie aller Völker bewahrt die Erinnerung an den prähistorischen
Zustand des freien Mutterrechts in der Idee von einem gerechten goldenen
Zeitalter und Paradies der Urzeit, und dass die Hoffnung auf eine bessere
Menschheitszukunft auf eine Wiederkehr des freien Mutterrechtes gerichtet
sein muss, wird nach den Arbeiten Caspar Schmidt's wohl nicht mehr
lange zweifelhaft sein.
Erwägungen über das, was sein sollte, gehören in unser spezielles
Gebiet, nach Mar ci no wski's hochherziger Lehre, dass wir Psycho-
analytiker berufen sind, denen, die unsere Hilfe suchen, befreiende
Weltanschauung finden zu helfen. Und auch aus Gründen der Erkenntnis
heraus: denn nur das Sichhineinversetzen in eine vorausgedachte positive
Ordnung der Dinge macht es uns möglich, in der bestehenden das Negative
sehen zu lernen, das was traumatisch wirkt.
Über den Übergangsvorgang vom alten Mutterrecht zur jetzt be-
stehenden Familienordnung besteht zurzeit die sehr plausible Vermutung,
dass. die bestehende Form der Ehe als sogenannte llaubehe ihren Ursprung
genommen hat, dass also die Grundlage der bestehenden Vaterrechts-
familie aus dem Gebrauch von kriegsgefangenen Sklavinnen hervorgegangen
ist. Es wäre damit gesagt, dass die Assoziation der Sexualität mit Ver-
gewaltigungsmotiven, die sexuelle Vergewaltigungssymbolik, welche die
Menschheit durchzieht, auf einen universalen sexuellen Vergewaltigungs-
vorgang als ihre menschheitumfassende Ätiologie zurückgeht. Sei dem
wie immer, auf jeden Fall müssen wir erkennen, dass die bestehende
Familienordnung auf den Verzicht auf Freiheit der Frau gestellt ist, und
dass diese Tatsache im inneren sexuellen Konflikt, genauer gesagt, in der
sexuellen Vergewaltigungs- und Destruktionssymbolik ihren notwendigen
psychologischen Ausdruck findet.
Das Grundprinzip jeder Gesellschaftsordnung ist die materielle Für-
sorge für die Frau zur Ermöglichung der Mutterschaft. In der bestehenden
Gesellschaftsordnung, der Ordnung des Vaterrechtes, wird die Ermöglichung
der Mutterschaft der einzelnen Frau vom einzelnen Manne geboten, und
dies bedeutet die materielle und damit die universelle Abhängigkeit der
Frau vom Manne um der Mutterschaft willen.
Der Trieb zum Muttersein in der Frau ist zweifelloser als irgend
ein anderer ein angeborener und unveräusserlicher Grundinstinkt, und
die bestehende Gesellschaftsordnung erzeugt mit der der Frau gestellten
Alternative zwischen dem Verzicht auf das Muttersein und dem Verzicht
auf die freie Selbstbetätigung die Gegensatzstellung und Konfliktbildung
zwischen den beiden essentiellen Grundinstinkten in der Frau: des spe-
zifisch weiblichen Triebes zum Mutterwerden und des allgemein mensch-
lichen zur Aufrechterhaltung der eigenen unabhängigen Individualität.
Der Mutterinstinkt gehört so sehr zum Wesen der Weiblichkeit, dass
sich die innere Gegensatzstellung zu diesem Instinkt nur als Verneinung .
534 Dr. Otto Gross, Über Destruktionssymbolik.
der eigenen Weiblichkeit selbst, als Wunsch nach Männlichkeit psycho-
logisch manifestieren kann. Und das bedeutet, dass aller Willen zur eigenen
individuellen Selbständigkeit, zur Freiheit und zum Sichbetätigen sich
in der Frau mit der Verneinung der eigenen Weiblichkeit selbst, mit einer
Art von homosexueller Endeinstellung assoziieren muss. Und ebenso er-
gibt es sich aus der der Frau gestellten Notwendigkeit, auf ihre individuelle
Selbständigkeit zu verzichten, wenn sie Mutter werden will, dass sich
der Trieb zum Mutterwerden und damit das Weibseinwollen überhaupt
an sich mit einer menschlich und sexuell passiven Endeinstellung, mit
einer masochistischen Triebkomponente verknüpfen muss.
Es ist nach dem früher Gesagten selbstverständlich, dass der Kon-
flikt zwischen diesen beiden Endeinstellungen, dieser tiefste innere Kon-
flikt der Frau nur dort erhalten bleibt, wo sich ein unverlierbarer Willen
zum Festhalten an der eigenen Individualität und ihrer Freiheit, ein
Willen, sich nicht vergewaltigen zu lassen, erhalten kann. Das heisst also
in den Allerwenigsten. Die ungeheure Mehrzahl der Frauen finden ihr
inneres Gleichgewicht und ihre innere Einheit in dem Verzicht auf eigene
Individualität, in menschlicher wie sexueller Passivität. Allein in Allen
Frauen erhält sich, sei es bewusst oder unbewusst, sei es mit innerlichem
Ja oder Nein, das innere Gefühl, dass sie mit ihrer Sexualität und Mutter-
schaft sich vergewaltigen lassen: die Vergewaltigungs- und Destruktions-
symbolik für Sexualität und Mutterschaft. Gleichwie in allen Männern, sei
es bewusst oder unbewusst, sei es mit innerlichem Ja oder Nein, sich
unverlierbar ein Gefühl erhält, dass ihre sexuellen Beziehungen zur Frau
im Grunde Vergewaltigung sind.
II.
Das erotische Moment in den unbewussten Talent-
äusserungen der sogenannten Medien.
Von Hans Freimark, Berlin-Friedenau.
Ist schon beim bewussten künstlerischen Schaffen die erotische
Motivation mehr oder minder deutlich nachweisbar, um wieviel mehr
muss dies der Fall sein bei Erzeugnissen, die der bewussten Hemmungen,
bald in grösserem, bald in geringerem Grade entbehren. Zwar die Art
des Auftauchens der künstlerischen Idee, die Besitzergreifung des Fühlens
und Wollens durch die Idee vollzieht sich beim Künstler nicht wesentlich
anders als bei dem in seinen Trancezuständen sich künstlerisch betätigenden
Medium. Nur die Form, in der der Künstler die Idee der Allgemeinheit über-
mittelt, unterscheidet sich beträchtlich von dem, was durch das Medium
Form wird. Dem Künstler beeinflussen die Form Bedenken und Erwägungen
ästhetischer, sozialer, ja selbst ethischer Natur, das Medium hat solche
Rücksichten nicht, weil es nicht wie der Künstler das Bestreben hat, die
Idee im Stoff zu meistern, sondern weil es sich widerstandslos dem
Strömen hingibt. dns aus ihm quillt. Auf dieser Hingabe, die auf jegliche
^ircrleßune und B&dachtsnmlcoit vci'uiw cl i J ~ ruht e *. wo *» 1 . a ? ch - da5S die
maienden Medien, es sind vielfach Frauen, anstandslos iMßuuuugtu YV r "
weisen, die von sexueller Symbolik wimmeln. Sie sehen darin freilich nur
„Jenseitsblumen" oder „Blumen der Sphären-. Albin dieser Umstand
zeigt bereits, wie sehr in den unbewussten Taientäusserungen das Gebiet
der erotischen Wünsche der Beobachtung blossliegt. Die uubewusste»
Talentäusserungen verhalten sich zu dem bewussten künstlerischen Schaffen
wie das Märchen zur Mythe. Durch die neuere Sagenforschung, besonders
durch Ricklins geistvolle Erhellungen, wissen wir, dass der Grundton
der Märchen der erotische Wunsch ist. Kaum verhüllt, nur in dramatischer
Bewegtheit stellt er sich dar. Eine Traumerzählung, Kunst des Unbewussten.
Die Mythe dagegen bringt Deutung. In der Mythe setzt das Denken ein,
das dem einfachen natürlichen Wunsch weitere und tiefere Beziehungen
gibt. Die Mythe ist gegenüber dem Märchen die bewusste künstlerische
Formung des nämlichen Urstoffs. Das ist das Verhältnis in einen Satz
gebracht. Dass es nicht so einfach ist wie dieser, dass auch in die Mythe
neu erwachte Strebungen des Unbewussten mitgestaltend hineinspielen,
ist uns bekannt. Doch worauf es ankam, die entwickelungsgeschichtliche
Parallele zu dem individuellen Vorgang zu bieten, das konnte mit dieser
kurzen Gegenüberstellung geschehen. Sie war notwendig, weil sie den
weiteren Ausblick von den Einzelbeobachtungen eröffnet und im individuellen
Beispiel das Typische erkennen lässL
536 Hans Freimark,
Genau wie im Märchen nimmt auch in den Erzählungen der Medien,
mit denen sie sich die Entstehung ihres Talentes erklären, der fremde
Prinz oder die fremde Prinzessin den Hauptplatz ein. Prinz und Prinzessin
dürfen hier freilich nur als Gradmesser der Wichtigkeit der betreffenden
Figuren verstanden werden. Diese selber werden meist bescheidener be-
nannt. Zwar Helene Smith hat in ihren somnambulen und halb-
somnambulen Zuständen mit dem indischen Fürsten Sivrouka, dem marsi-
schen Zauberer Kanga zu tun, und die intelligible Freundin, mit der ein
junger schlesischer Dichter als Medium in Verbindung zu sein meinte,
gab sich als indische Prinzessin aus. Doch für gewöhnlich greift heutzutage
die Phantasie nicht mehr so hoch. Frieda Gentes begnügt sich, einen
Arzt und Maler Conrad Ramsavi alias Berlamotte in den Mittelpunkt
ihrer Träume zu stellen, und Frau E. Sp. nennt sich ihr „Kontrollgeist"
Ulrich von Meregny. Und Clara Eysell-Kilburger's Dichtergeist
ist ein ganz gewöhnlicher Otto Dalberg. Es sind nicht allemal ersonnene
Figuren, unbewusst ersonnene, die als Urheber der Begabung bezeichnet
werden. Zuweilen werden ehemalige Bekannte zum Range des Führers
erhoben, wie im Falle der Frau Textor, die ihre Zeichengabe auf den
Einfluss eines geistigen Lehrers ihrer Jugend, eines als Magnctopathen
tätig gewesenen Dekorationsmalers zurückführt. Oder es werden berühmte
Namen aus der Geistesgeschichte gewählt, wje bei dem D. sehen Ehepaare
und bei dem früheren Gerber August Machner. Durch die einen
teilten sich Goethe, Schiller, Shakespeare und andere Dichtergrössen mit,
des andern Hand lenkten Michelangelo und Menzel. Bei der Wahl dieser
Namen spricht die Eitelkeit ein gut Teil mit, denn selbstverständlich gibt
der bedeutende Name des angeblichen Inspirators den Produkten der Be-
gabung in den Augen der Umgebung des Mediums einen grösseren Wert,
als die Erzeugnisse eines unbekannten Geistes, die eher darauf angewiesen
sind, durch sich selber zu wirken.
Allerdings der Schein des Wunderbaren und Seltsamen umwittert
auch sie zur Genüge und verleiht ihnen nicht nur in den Augen gläubiger
Spiritisten, sondern leider auch in denen mancher im übrigen kritischen
Kunstbetrachter eine Bedeutung, die ihnen tatsächlich nicht innewohnt.
Besonders ereignet sich dies gegenüber den mediumistischen Malereien,
sobald sie nur mit einigem Geschick und Geschmack gefertigt sind. Die
seltsamen bizarren Motive, die von keiner Regel beengte Entwickelung
der Formen einerseits, die starke Farbengebung und die mühselige tech-
nische Durcharbeitung mancher Einzelheiten verwirren die Beurteiler der-
massen, dass selbst angesehene Kunstschulleiter erklären, derartige Zeich-
nungen könne ein Künstler bewusst beim besten Willen nicht zuwege
bringen, er besitze nicht die Treffsicherheit der medialen Zeichnerinnen.
Oft wird auch behauptet, er würde dreimal soviel Zeit brauchen zur Her-
stellung der Malereien wie die Medien. Wird in Betracht der Zeitdauer
die Übung ausser Rechnung gelassen, die die Medien sich allmählich an-
eignen, wird vor allen Dingen völlig der anormale Zustand vergessen,
in dem sie sich bei der Ausführung der Malereien befinden und der ihnen
die Herstellung sehr erleichtert, so wird in bezug auf die bestaunte Treff-
sicherheit übersehen, dass das Medium gar nicht „trifft", sondern lediglich
jeden Strich stehen lässt, wie er kommt. Ebenso wie das dichtende Medium
jede Verszeile stehen lässt, wie sie ihm aus der Feder fliesst. Daher denn
auch das Überwiegen der freien Rythmen bei den medialen Dichtungen und
Das erotische Moment i. d. unbewassten Taient&usseruogen d. sog. Medien. 537
der unregelmässigen Verse. Bei den Malereien die phantastisch ins Grenzen-
lose wuchernden Blumenmotive.
Die künstlerische mediale Betätigung tritt keineswegs nur bei an-
scheinend Unbegabten und künstlerisch Ungebildeten auf, wenngleich diese
Fälle überwiegen. Sie macht sich auch neben dem bewussten künst-
lerischen Schaffen geltend. Oft auf dem gleichen Gebiet, nur in anderer
Richtung, zuweilen jedoch auch auf einem andern. So zeichnete S a r d o u
auf mediale Weise Landschaften vom Jupiter, die deshalb sehr reizvoll
sind, weil sich an einzelnen von ihnen die irdische Herkunft der Vorbilder
leicht nachweisen lässt. Aus Blumen machte Sardou's Hand Bäume, des-
gleichen aus Notenschlüsseln. Das Ganze wurde mit zierlichen Ranken
durchschlungen, gehörnte und geschwänzte Menschtiere dazwischen ge-
setzt, die sich mühen, aufrecht stehende spitze Kegel mit kugeligen Bechern
zu bedecken, und — der Garten Zoroasters auf dem Jupiter war fertig. Das
Kegelspiel und manches in dem Blumenbeiwerk deutet durchaus auf eine
erotische Beimischung dieser spielerischen Laune Sardou's. Die Laune
selbst knüpfte, wie Flammarion in den „Unbekannten Naturkräften*'
berichtet, daran an, dass der Kreis, zu dem Sardou und Flammarion damals
gehörten, annahm, der Jupiter sei von einer höheren Rasse bewohnt. Ging
im Falle Sardou's der erste Anstoss von einer abstrakten Annahme aus,
so ist es für gewöhnlich gerade umgekehrt eine gewisse Unbefriedigtheit,
die bewusst künstlerisch Schaffende zu medialer künstlerischer Betätigung
drängt. Der Pariser Graveur Fernand Desmoulins, ein Freund
Zolas, lebte bis zum Jahre 1900 nur seinem bewussten Schaffen. Im
Sommer dieses Jahres wurde er mit dem Spiritismus bekannt und begann
bald für sich selbst eine Kommunikation mit dem vermeintlichen Jen-
seitigen zu suchen. Die von ihm erwarteten Botschaften wurden ihm
jedoch nicht. Dagegen bekam er konvulsivische Zuckungen in den Armen,
die Hand, die den Bleistift schreibbereit gehalten hatte, sprang von einem
Ende des' Papiers zum andern und zog grosse mächtige, aber wirre Linien.
Von Versuch zu Versuch wurde das Liniengewirre klarer, es entstanden in
kurzer Zeit Porträts, symbolische Fächermotive und — ihm selber das
Erstaunlichste — Landschaften. Alles leicht, bewegt, voll Schwung und
Schmiss, während er sonst ein ängstlicher und genauer Arbeiter war !und
zumal als Landschafter nur Stümperhaftes zuwege gebracht hatte. Bei
diesen medialen Sitzungen kam er nicht gerade in Trance, aber es stellte
sich stets eine leichte Bewusstseinstrübung ein, und er konnte sie nur in
der Dämmerung abhalten. In diesem Falle war die Medialität nicht viel
mehr als eine Maskerade, die dazu diente, dem Künstler die bewusst be-
stehenden Hemmungen: mangelndes Zutrauen zu der eigenen Begabung,
Überwindung der durch den Beruf gewöhnten peinlich-kleinlichen Arbeits-
weise, zu beseitigen. Die Steigerung der Arbeitskraft, die sich auch (bei
Desmoulins zeigte, ist eine gewöhnliche Begleiterscheinung des medialen
Zustandes. Frau Assmann berichtet, dass selbst hauswirtschaftliche
Arbeiten ihr fast um das Dreifache rascher von der Hand gehen, wenn
sie sie im Anschluss an eine ihrer medialen Malsitzungen vornimmt. Dieser
schnellere Ablauf des Lebens ist eine Folge der hohen Erregung der Nerven,
in die sie durch die tranceartigen Zustände versetzt w.erden. Diese Erregung,
die von den Erlebenden durchaus als eine Erhöhung des Lebensgefühls
empfunden wird, wird von ihnen selber häufig der Empfindung beim
Orgasmus gleichgestellt. So gestand das Malmedium E. Sp. ohne Um-
538 Hans Freimark,
schweife zu, dass es bei seinen Malsitzungen nicht nur seelische, sondern
auch sinnliche Entzückung geniesse. Wie stark das sinnliche Moment
mitspricht, illustriert auch trefflich die Beschreibung, die Nietzsche
von seinen Schaffungsekstasen gibt, in denen ihn der „Zarathustra über-
fiel", schon dieser Ausdruck ist bezeichnend, und „wo man ihn hätte
tanzen sehen können". Und zugleich erklärt er, dass nur „mit dem geringsten
Rest von Aberglauben in sich man in der Tat die Vorstellung, bloss In-
karnation, bloss Mundstück, bloss Medium übermächtiger Gewalten zu
sein, kaum abzuweisen wissen würde".
Was Nietzsche, trotz der Gewalt, mit der ihn die innerlichen Ein-
drücke überstürmten, durchschaute, durchschauen weniger kritische Naturen
nicht. Wobei gern zuzugeben ist, dass das Durchschauen nicht immer leicht
ist. Denn die neuen Persönlichkeiten sind oft derart verschieden von dem
gewöhnlichen Ichbewusstsein, dass es diesem schwerfällt, sie als Teil-
erscheinungen seines Selbst anzuerkennen. Dazu kommt, dass diese Teil-
Iche die Fähigkeiten haben, sich zu entwickeln, sobald man ihnen nur den
geringsten Spielraum lässt. Sehr gut hat S tauden maier i) diesen Vor-
gang experimentell an sich selber beobachtet. Und was er willkürlich
sich vollziehen liess, das sieht man im spiritistischen Milieu alle Tage
sich abrollen. Die sogenannten Kontrollgeister gewinnen um so rascher
eine selbständige Stellung gegenüber dem Medium, je mehr dieses von ihrer
besonderen Existenz überzeugt ist. Sie bleiben Traumgestalten, sobald
sie als solche behandelt werden. De Rochas erwähnt in einem Bericht
der „Annales des Sciences psychiques", dass „John" der Kontrollgeist der
Eusapia Paladino, der in spiritistischen Zirkeln sich als Geist eines
Verstorbenen behandein lässt, in kritischer Umgebung diesen Anspruch
nicht erhebt und von seinem Medium einfach questa forca genannt wird.
Tritt, wie dies vielfach der Fall ist, gar noch ein Geschlechtswechsel ein,
so kann es nicht verwundern, wenn selbst gebildete Medien die ganz
andersartige Individualität ihres Kontrollgeistes nicht als ein psychisches'
Gebilde von ihnen anerkennen wollen. Weist doch gerade auf diesen Gegen-
satz Clara Eysell-Kilburger in dem Vorwort zu ihren „Klängen
aus einem Jenseits" hin, um ihre Ansicht zu bekräftigen, dass sie nicht
der Autor dieser Gedichte sei. „Eine durchweg männliche Individualität
kommt in dem Buche zur Geltung, kaum ein Ton, der weiblichen Klang
hat." Dabei ist sich Eysell-Kilburger sehr wohl des Einflusses bewusst,
den sie bei der Formung und Entstehung der Dichtungen hatte. In diesen
Dichtungen lebt sich das männliche Element der Verfasserin in der Gestalt
des Otto Dalberg, ihres Kontrollgeistes, aus. Was die Frau nie zu sagen
gewagt, was sie kaum je sich eingestanden hätte, das nennt Otto keck beim
Namen. Interessant ist dabei auch der Umstand, dass die Vertauschung
der Charaktere sich sogar bis auf die Schrift erstreckt. Die stark männ-
lichen Schriftzüge Eysell-Kilburger's nehmen, wenn Otto dichtet, einen
zarten weiblichen Duktus an. Otto's Gedichte sind in der Hauptsache
Liebesgedichte und zwar vielfach seinem Medium gewidmete Liebesgedichte.
Er lebt nur, indem er seinem Medium lebt.
„. . . Ich bin vom Erdenleben so betört,
Dass aller Glanz der Himmelssphären
i) Die Magie als experimentelle Naturwissenschaft, Leipzig, 1912.
Das erotische Moment i. d. unbewussten Talentansserungen d. sog. Medien. 53S>
Mir dunkel scheint und gänzlich blass,
Wenn nicht das blaue Auge meines Mediums
Mir leuchtet."
Ja, er gibt unumwunden zu, dass er gewissermassen überhaupt nur
durch das Medium zu Wahrnehmungen gelange, soweit es die Umwelt
zu erfassen gilt. In Clara Eysell-Kilburger ist eben, trotz allen Spintismusses,
doch immer noch ein starkes Gefühl dafür lebendig, dass ihr Kontrollgeist
eigentlich nur ein Teil von ihr ist. Das hindert freilich nicht, dass in andern
Gedichten von Otto's früherem Vorleben gesprochen wird, und dass Schil-
derungen, allerdings sehr unspiritistische, aus dem. Jenseits gegeben werden.
Der Hauptton aber ist, wie gesagt, der der Liebesleidenschait. Und diese
Leidenschaft bleibt keineswegs auf Otto beschränkt. Auch seinem Medium
rät er, die „Glut seiner Wangen und seines Herzens zu kühlen". Ein ander-
mal wieder peitschte er es auf. mit dem Hinweis, es habe das Beste seines
Lebens nicht gelebt, als Leiche liege es im Sarge. Zwischen Otto und
seinem Medium entwickelte sich schliesslich ein richtiges Liebesverhältnis.
Victor Blüthgen, der Gatte der Dichterin, hat in seinem Roman
„Die Spiritisten" dieses Verhältnis ziemlich ausführlich geschildert. Wie
er selbst in der Einleitung betont, entspricht die Darstellung im Roman,
soweit sie sich um rein spiritistische Dinge dreht, genau seinen persönlichen
Erlebnissen. Diese sind das alte Lied vom Incubus in neuer Fassung.
Die Wunschverkörperungen, die das Incubus- oder Succubus-Erlebnis
für den Menschen bedeuten, haben mit dem Aufkommen des Spiritismus
wieder an Verbreitung gewonnen. Die Aufklärung, die mit den Geistern
des Altertums und Mittelalters aufzuräumen versuchte, beschränkte der-
artige Empfindungen auf ausgesprochen geistig Erkrankte. In den spiri-
tistischen Kreisen sind aber diese Erscheinungen ziemlich alltäglich, ohne
dass die von ihnen heimgesuchten Individuen in stärkerem Grade Anomalien
aufweisen. Nicht immer kommt es zu vermeintlicher Vornahme sexueller
Akte. Vielfach treten nur auditative Halluzinationen auf in Form von zu-
gerufenen Liebesworten oder, in schlimmeren Fällen, von Obszönitäten. Bei
anderen kommt es zu Visionen symbolischer Art. So sieht ein Medium
seinen Schutzgeist Feuerkugeln aus der Nase schnellen, die er ihm zuwirft.
Helene Smith, Flournoy's Medium, über das er in der wertvollen
Studie „Des Indes ä la Planete Mars" ausführlich berichtet, hatte in ihren
halbsomnambulen Zuständen wiederholt die Vision einer Blumenvase, in
die sich eine Schlange verkroch. Flournoy weist an dieser Stelle ausdrück-
lich auf die Freud'sche Traumdeutung hin. Leider erwähnt er diese
Visionen nur sehr kurz, und doch liegt in ihnen wohl ein Schlüssel zu
manchen unverständlich gebliebenen Einzelheiten der somnambulen Dar-
stellungen seines Mediums. Einen solchen Schlüssel bietet z. B. in aus-
gezeichneter Weise die vermeintlich inspirativ verfasste Erklärung der
mediumistischen Zeichenbegabung der Frau Textor. Diese jetzt 71 jährige
Frau litt in jungen Jahren an nervösen Krämpfen, die ein in ihrem Ort
ansässiger Dekorationsmaler durch magnetische Behandlung beseitigte.
Ohne hier über das wirksame Moment bei diesem Verfahren in eine Aus-
einandersetzung einzutreten, sei nur festgestellt, dass, wie die magne-
tistische Literatur des 18. Jahrhunderts lehrt und wie ebenso heute die
Beobachtung ergibt, dem Rapport, in dem Magnetiseur und Magnetisierte
stehen müssen, stets eine starke erotische Beimischung eigen ist. Auch
zwischen Frau Textor und dem Heiler bestand solch ein Rapport, und er ist
540 Hans Freimark,
in ihrem Innern noch heute vorhanden, und diese Empfindung behebt ihr
jetzt wie einst ihre Nöte. Sobald ihr Leiden sie befällt, nimmt sie ihre
Zuflucht zur „Strichelkunst", wie sie ihr Zeichnen nennt, die sie an
den „teuren Freund" erinnert und zugleich ,,mit dem göttlichen Geiste ver-
bindet". Der Bleistift ist ihr ihr „Mosesstab" geworden und mit seiner Hilfe
,,kann sie sich selbst ihren Jammer vertreiben" 1 ). Das im späten Alter
sich ausbildende Zeichentalent dieser Frau, dessen Produkte an Plafond-
zierrat gemahnen, ist ein zarteres und schöneres Erinnern an den Jugend-
freund, als es einer Geisteskranken blieb, die Jung 2 ) beobachtete, und
die in ihrem umdüsterten Hirn nur noch eine mechanische Bewegung
bewahrt hatte, die sie unaufhörlich übte. Der Geliebte war Schuhmacher
gewesen, und sie strich beständig mit der Rechten über das rechte Knie,
al»-zöge sie Pechdraht durch Schuhsohlen.
Einen sehr breiten Raum nimmt die Erotik in der Mediumschaft der
Frau E. Sp. ein. Bei Frau Sp. war das Erotische durch die Lebensumstände
völlig in das über-, oder wie es besser zu nennen ist, Innersinnliche ge-
drängt worden, wo es lange Jahre als unerfüllte Sehnsucht sein Dasein
hat fristen müssen. Durch die Bekanntschaft mit dem Spiritismus wurden
die verschlossenen Tore aufgeriegelt und nun gewann auf seltsame Weise
ein Leben Leben, das eigentlich als Leben versäumt worden war. — Frau
Sp. ist ein Landkind. A r on der Mutter her, die in ihrer Jugend sich wieder-
holt dichterisch betätigt hatte, mit Storm verwandt, war sie durch den
Vater, einen Westfalen, einer mystisch vertieften Betrachtung der Lebens-
geschehnisse geneigt gemacht worden. Als Kind wild und ausgelassen,
von leidenschaftlicher Naturliebe erfüllt, schloss sie sich mit zunehmenden
Jahren immer enger an den Vater an. Mit ihm, der neben seinem tier-
ärztlichen Berufe eine grosse Kunstliebe besass, unternahm sie weite Amts-
fahrten, auf denen sie sich mit den Bauern ihrer friesischen Heimat an-
freundete und von ihnen allerhand Seltsames über Anzeichen und Ahnungen,
Vorspuk und zweites Gesiebt erfuhr. Konnte sie den Vater einmal nicht
begleiten, so verzehrte sie sich in Sehnsucht nach ihm. Aus dieser Sehn-
sucht heraus kam es wiederholt zu Vorspuk, einmal auch zu einer Todes-
vision. Der Vorspuk beschränkte sich in der Regel auf Gehörstäuschungen :
sie glaubte das Rollen des Wagens, den Schritt des Vaters zu vernehmen.
Möglicherweise sprach hierbei etwas Gedankenübertragung mit. Denn da
«auch der Vater ihr sehr zugetan war, so eilten seine Gedanken von seiner
Berufstätigkeit oft zu ihr. Die Todesvision, bei der sie ihren Vater im
Sarge liegend erblickte, während sie im Hause einer Freundin weilte, ist
ein offenbares Wunschgebilde. Die Familie der Freundin kannte ihre
Neigung zu Ahnungen und Gesichter. Stellte sich also ein derart bedroh-
liches Anzeichen ein, so war es selbstverständlich, dass man den Gast, den
man gern im Hause hatte, ziehen liess. Der Gast aber sehnte sich un-
bändig nach seinem Vater. Schliesslich wurden die Sehnsuchtsgefühle
schmerzhaft, was flugs in Beängstigungen umgedeutet wurde. Beängsti-
gungen um den Vater konnten jedoch nur ihre Ursache in etwas Üblem
haben, das ihm zugestossen war: Krankheit oder Tod. Schon schob sich
der Sarg vor den inneren Blick. Der Beweggrund zur Abreise war ge-
geben, zugleich war das Gefühl, Waise geworden zu sein, den geliebten
i) »Wahres Leben*, Leipzig 1908, Nr. 1 v. 1. Okt.
2) „Der Inhalt der Psychosen*, Schriften zur angew. Seelenkande, Leipzig u.
Wien 1908, Heft 3.
Das erotische Moment i. d. unbewussten Talentäuasernngen d. sog. Medien. 541
Vater unter Tränenströmen betrauern zu können, von einem entzückenden
romantischen Reiz. Dieser Gedanke überwog auf der Heimfahrt. Zu Hause
angekommen stellte sich die völlige Nichtigkeit der Vision heraus. Aber
ihr Zweck war erreicht.
Der romantische Zug, der durch dieses Erlebnis geht, ist Frau Sp.
auch jetzt noch eigentümlich, und in ihrer Erziehung ist nichts dazu
getan worden, diese Neigung einzudämmen. Eher wurde sie verstärkt.
Einen regelmässigen Schulunterricht genoss sie nur kurze Zeit, später
hatte sie mit einigen anderen Kindern von den benachbarten Gutshofen
Privatunterricht in den Elementarfächern. Im 7. oder 8. Jahre erhielt sie
einige Zeichenstunden durch einen Geistlichen. Der alte Landpastor liebte
merkwürdige Aufgaben. Er Hess sie ein Profil zeichnen, das sie weiterhin
in eine Landschaft zu verwandeln hatte. Von diesem Unterricht her dürfte
ihre Manier stammen, die von ihr gezeichneten „Geisterköpfe" mit Flecken
und Malen zu versehen, die Miniatur-Köpfe sind. Verstärkt wird diese
Manier durch den Umstand, dass die Häufung der Motive überhaupt etwas
der mediumistischen Kunstbetätigung Eigentümliches ist. Die Korrektur
durch das Bewusstsein fehlt, oder wird geflissentlich ausgeschaltet und
nur rein formale Grenzen gebieten Einhalt. In ihren Rahmen aber wird
gedrängt, was nur hineingeht. Und die spiritistischen Bewunderer der
„mediumistischen Kunst" sehen in dieser Überladung eine weitere Be-
währung für den „jenseitigen" Ursprung der Erzeugnisse. Für ihre Geister
lassen sie das Goethe 'sehe Wort von der Beschränkung, die erst den
Meister zeigt, nicht gelten. — Abgesehen von dem unterhaltsamen Zeichen-
unterricht bei dem Landpastor, der dem jungen Mädchen eine grosse
Künstlerschaft prophezeite, will Frau Sp. bis zu ihrem vor einigen Jahren
auftretenden medialen Zeichnen keinen Bleistift mehr angerührt haben.
Dagegen berichtet sie, dass sie sich einmal von einem bei ihren Eltern
zum Besuch weilenden Bildhauer Ton erbeten haben, den sie spielend in
den Händen herumknetete, um schliesslich erstaunt zu gewahren, dass sie
einem Räuberkopf mit geschulterter .Keule geformt hatte. Erschreckt ver-
schloss sie das Gebilde. Dieses Erschrecken unterstreicht das Symbol,
das der Räuber mit der Keule ist. Eine ähnliche Symbolik sprach sich
auch in den ersten medialen Zeichnungen aus, die ihr entstanden. Es
waren Kastanien- und Palmenblätter. Die Kastanienblätter sind die zeich-
nerische Entsprechung für den Duft der blühenden Kastanie, dessen
Charakter als Erotikum ziemlich allgemein bekannt ist. Und die Palmen-
blätter dürften eine Anspielung an das Paradies, in diesem Falle freilich
weniger an ein verlorenes als an ein kaum je besessenes, sein. Bald
wurde die Symbolik noch deutlicher. In die Blätter wurde ein Männerkopf
eingezeichnet, ein süsslicher, etwas spanisch anmutender Männerkopf:
Ulrich von Meregny, der Führergeist. Räuberromantik.
Diese Räuberromantik bildet den Grundbestandteil ihrer Zeichen-
kunst. Die Schutzgeisterbilder, die sie für die verschiedensten Menschen
zeichnet — sie sind übrigens zeichnerisch recht wertlos — , erzählen ihr
nach Fertigstellung allemal die Geschichte ihres Lebens. Es sind hoch-
romantische Geschichten. Am häufigsten kehren die wieder, worin Damen
aus altadeligem Geschlecht ihr Geschick beklagen, das sie unglaublichen
Kriegswirren und Unglücksfällen aller Art aussetzte und über das sie nur
eines tröstet: nämlich, dass sie trotz aller durchlittenen Fährnisse sich
ihre reine und edle Gesinnung bewahrt haben. Diese Geschichten sind
ZentrtlbUtt «r P«ycho»n»ly»8. IV»/"- 36
542 • HaiiB Freimaik,
die immer neu abgewandelten Auflagen der Gedanken, die Frau Sp. über
ihr eigenes Dasein hegt. Oder eine andere Reihe von Erzählungen, wo der
betreffende „Schutzgeist" aus niederen Sphären zu höheren sich durchringt.
Zu den höheren gesellschaftlichen, ins Reale übertragen, die sich Frau
Sp. mit ihrer Verheiratung verschlossen. Die gesellschaftliche Abschliessung,
die infolge ungünstiger Gestaltung der materiellen Lage bald nach Ein-
gehung der Ehe zu völliger Vereinsamung führte, ist der Angelpunkt ihrer
Mediali tat geworden. Die Ehe ist zwar nicht unglücklich, aber sie beruht
nur auf der einseitigen Zuneigung des Mannes, die von Frau Sp. nicht
erwidert wird, da der Mann in keiner Weise ihrem erträumten Ideal ent-
spricht und auch wirtschaftlich keine Position sich hat schaffen können.
Was sie zur Ehe bewog, war das romantische Mitleid mit dem Menschen,
der sie für seinen einzigen Halt erklärte. Kinder blieben dem Paare ver-
sagt. In alle diese Ungenügendheiten trat eines Tages der Spiritismus
mit "der offenen Hand der Erfüllung. Durch ihre Stundenfrau erfuhr sie von
einer russischen Familie, die mit ihren Kindern obdachlos geworden war.
Sie liess sich bereit finden, die beiden Knaben für einige Zeit aufzunehmen.
Während der älteste bald anderweitig untergebracht wurde, blieb der
jüngere, Guido, einige Wochen bei ihr. Durch ihn hörte sie vom Spiritis-
mus. Seine Schwester war Medium und zeichnete als solches die Wesen
anderer Welten, die sie im Traume besuchte. ;,Das muss ich auch lernen!"
Der Gedanke, die brach liegenden inneren Kräfte, wenn sie schon künst-
lerisch umgewertet werden sollten, in ernster Ausbildung zu entwickeln,
kommt ihr gar nicht. Gleich einer Sturmflut bricht der lange gehemmte
Drang über die Dämme, um sich endlich strömen zu lassen. Mit dem zwölf-
jährigen Knaben, der über sein Alter gereift war, hält sie abendliche
Sitzungen ab. Ihre Muttersehnsucht entzündete sich an diesem Kinde.
Noch heute spricht sie mit einer Leidenschaft von ihm, dass leise Zweifel
aufsteigen, ob es nur Muttergefühle waren, die sie dem Knaben gegenüber
empfand. In einer dieser .Sitzungen entsteht durch wilde Striche ihrer
bebenden Hand die erste Zeichnung. .Weitere folgen. Als bald darauf der
Knabe das Haus verliess, blieb ihr die Gewohnheit des medialen Zeichnens.
Die Bilder werden begonnen, ohne dass sie eine Ahnung hat, was
entstehen soll. Ebenso weiss sie nie, wenn ein Bild beendet ist. Oft hält
sie die Zeichnung für fertig und stellt sie beiseite. Nach einiger Zeit
aber fühlt sie sich gedrungen, sie wieder vorzunehmen und aufs neue
daran zu arbeiten. Mitunter werden dann ganze Teile überzeichnet oder
müssen ausradiert werden und werden durch anderes ersetzt. Der Trieb
zum Zeichnen wird ihr vielfach als von aussen ertönender Befehl deutlich,
auch während des Zeichnens hört sie Stimmen, die ihr Anweisungen über
die Haltung des Stiftes geben. Sehr interessant ist dabei, wie diese Stimmen
trefflich den beiderseitigen Anteil an der Arbeit abzugrenzen wissen, wenn
sie ihr sagen: „wir geben dir die Kraft, du musst die Kunst geben". Es
ist überhaupt erstaunlich, wie in allen medialen Erlebnissen durch die
Geistermaskerade doch immer wieder zeitweilig das Wissen bricht, dass
das Ich selber der Inspirator dieses Spukes ist. Nur sind die meisten
Medien und mehr noch ihre Umgebung derart von der Geistertheorie ver-
blendet, dass dergleichen blitzartige Aufschlüsse von ihnen gar nicht
in ihrer Bedeutung erfasst werden. Auch Frau Sp. wertet die Stimmen
nur rein spiritistisch. Willenlos gibt sie sich während des Zeichnens den
führenden Anweisungen hin. Sie fällt während des Zeichnens nicht in
Das erotische Moment i. d. unbewussten Talentäusserangen d. sog. Medien. 543
Tieftrance, doch tritt eine leichte Bewusstseinstrübung ein, ein Zustand
sinnlich wohlig betonter Konzentration auf das Zeichnen. Zuerst werden
bei einem Bilde die Umrisse angelegt, darauf beginnt die Ausarbeitung
der Details, doch ohne jedes System, bald ein Auge, dann das Kinn, dann
etwa ein Stück der Kopfbedeckung oder der Kleidung. Ähnlich systemlos
malt auch Helene Smith ihre medialen Gemälde des Lebens Christi.
Meist arbeitet Frau Sp. nachts und arbeitet oft über ihre Kräfte. Dabei
gibt sie zu, dass persönliche Anlage sehr viel zur Sache tut, kann sich aber
zu deren regelrechter Ausbildung nicht entschliessen. Als Grund nennt
sie: zum Lernen sei sie schon zu alt, aber nicht dazu, sich einfach dem
Zeichentrieb hinzugeben. Vor allem aber fürchtet sie, und sicher mit
Recht, dass ein gründliches zeichnerisches Studium ihr die medialen
Einfälle ihres Zeichnens, die seltsamen Schleier, die eigentümlichen Male
der Köpfe, verleiden würde. Und das will sie nicht. An diesen Spielereien
hängt ihr Herz, weil sie gewissermassen die „Siegel des Jenseits" unter
die Abenteuer sind, die sie bei ihrer Beschäftigung erlebt.
Diese Abenteuer sind von mancherlei Art. Eines der wichtigsten ist
das mit dem Kontrollgeist Ulrich von Meregny. Frau Sp. fühlte sich von
Ulrich bedrängt, und als er sich ihr endlich in einem zweiten grösseren Bilde
gezeichnet hatte — ein süsslich-fades Gesicht mit Henri-quatre, dünnen Lippen
und grossen schmachtenden. Augen — empfand sie sich völlig unter seinem
Bann. Wie sie berichtet, sollen Besucherinnen, die keine Ahnung von
dem Geheimnis des Bildes hatten, sich bei ihr über den dämonischen Blick
des Kopfes beklagt haben. Ulrich wurde zu ihr jedenfalls immer zudring-
licher. Von Ausgängen heimkehrend hörte sie sich von dem Bilde als
seinen Gruss entgegenschallen: du meine Heissgeliebte ! Sie meinte auch,
dass er mit noch zwei anderen Malergeistern, der eine davon soll Rembrandt
gewesen sein, um ihren Besitz kämpfte. Ulrich siegte und wurde in seinen
Liebesbeteuerungen immer heftiger. Seit dieser Zeit datiert auch ihre
Angst vor Visionen. Sie will keine Visionen haben, weil sie fürchtet,
„Grässliches" zu sehen. Dieses „Grässliches" wäre, das geht aus ihren
Andeutungen hervor, das visuelle Gebilde dessen, was Ulrich ihr sagte, und
„was sie nicht gewohnt war zu hören". Sie verbat sich schliesslich Ulrichs
Liebesbefceuerungen, hiess ihn schweigen. Und er schwieg. Malte ihr aber
bald darauf das Bild der „kleinen Ingeborg", das nun in ihrem Schlafzimmer
hängt. Jetzt hat sie Ruhe vor seinem Glühen, selbstverständlich. Denn
die „kleine Ingeborg" ist da, die gemalte Erfüllung ihrer Muttersehnsucht.
Um dieses Bild hören ihr die Wunder nicht auf. Sie sieht daran und darum,
auf der benachbarten Tapete, Veränderungen sich vollziehen. Dazu muss
man freilich wissen, dass sie in jeden Fleck einen Kopf hineingeheimnist.
Diese Neigung teilt sie mit noch anderen weiblichen Malmedien, die
überall, in Tapetenmustern, auf Photographien, auf bunten Drucken, in
zufälligen Unsauberkeiten einer Decke Köpfe entdecken, als deren Haupt-
bestandteil sie die grossen „starrenden Augen" ansprechen. Was darin
sich ausdrückt, bedarf kaum noch einer Erläuterung. Frau Sp. aber gibt
sie, sie sieht nicht nur Köpfe um das Bild der „kleinen Ingeborg" ent-
stehen, sie hört auch von ihm Musik hertönen, die wehend herankommt
und an ihr vorüberstreicht. Man kann getrost ergänzen: gleich einem
Zephyr. Sie brauchte diesen Ausdruck nicht, doch ihre Schilderung liess
kaum einen Zweifel, dass sie diese Metapher und ihre Fortführung zu dem
Kuss des Windes im Sinne hatte. Die Musik hört sie als ein Gemisch
36*
544 BiDH Freimark,
von Posaunen und Kinderstimmen. — Betrogene Sehnsucht bildet sich in
diesen Phantasien ihr Leben. Vielleicht würde diese Frau, wenn sie Mutter
geworden wäre, kein Medium geworden sein. Die Welt hätte nichts daran
verloren. Nun ist nur die Einsicht zu gewinnen, dass die medialen Ent-
zückungen ein Tröstungs mittel mehr für erotisches Unbefriedigt- oder
Sondersein sind. Ein Ersatz freilich, der nur selteg, wie der der Kunst,
Leistungen bewirkt, die zum Anlass werden können, ihn als wertvollen
Daseinsfaktor in Rechnung zu ziehen.
Äussert sich bei der Frau Sp. der Einfluss des erotischen Momentes
vorzugsweise in der Art der Einkleidung ihrer medialen Talentäusserungen,
so bei dem Medium Assma-nn in der Gesamttönung seiner medialen
Kunst und in seiner Lebensbetrachtung im allgemeinen. Frau Sp. stellt
gewissermassen den Typus der Medialität dar, der erotischer Unbefriedigt-
heit entwächst. Frau Assmann ist der Typ der sexuell Frigiden, die von
Hause aus zu dem gewöhnlichen sexuellen Verkehr keine Neigung hat und
deren Erotik andere Weisen der Auslösung braucht. Schon in dem Kinde
machte sich die Besonderheit geltend. Es suchte nie Umgang mit Alters-
genossinnen, schloss sich vielmehr von ihnen ab und war am liebsten
allein. In einem thüringischen Dorfe in der Nähe von Halle aufgewachsen,
suchte es, sobald die Schule aus war, die es ungern besuchte, in den
Wald zu entwischen. In seiner Einsamkeit gab es sich mit grossem Ver 7
gnügen immer wieder dem nämlichen Traum hin: eine vornehme Dame zu
sein. Es ging mit gebeugten Knien, damit sein Kleid schleppte, schmückte
sich mit Blumen und hielt an sich selber ehrfurchtsvolle Ansprachen. Die
Neigung, sich selber für etwas Besseres zu halten als die Umgebung, ist bei
vielen Medien anzutreffen. Von Helene Smith berichtet Flournoy,
dass sie als Kind ihre Eltern, Leute aus dem Mittelstande, häufig mit
der dringlichen Frage kränkte, ob die Eltern auch sicher seien, dass sie
ihr Kind wäre und ob es nicht sein könne, dass sie bei einem Ausgange
ihnen vertauscht worden wäre. Sie liess sich auch durch die abweisenden
Antworten der Ehern nicht beirren und hing noch jahrelang dem Ge-
danken nach, dass sie ein Kind vornehmerer Leute sei, und dass diese eines
Tages kommen würden, sie zu sich zu holen. Auch der schon erwähnte
junge schlesische Dichter, der auf dem Umwege über eine sich bei ihm
entwickelnde Medialität seine dichterische Begabung entdeckte, lebte als
Kind der Meinung, dass er nicht der Sohn seiner Eltern, sondern fürstlichen
Herkommens sei. Und August Machner, der ehemalige Gerber und
Matrose, sucht heute noch, in den Fünfzigern stehend, seinen vermeint-
lichen hochgeborenen Erzeuger, den er in Visionen in einem Schloss am
Meer sieht, weil er sich nicht damit begnügen mag, der Sohn eines Hafen-
arbeiters zu sein. Die Annahme von dem höheren Ursprung gründet sich
bei all diesen Individuen auf der mangelnden Übereinstimmung, in der
sie sich mit ihrer Umgebung befinden, und die vornehmlich von ihrer an-
geborenen grösseren Sensibilität, ihrer gesteigerten Reizempfindlichkeit ver-
anlasst wird. Dieser gesteigerten Eindrucksfähigkeit entspricht das Ver-
langen nach verstärktem Ausdruck. Das Kind baut sich eine eigene Welt
um sich. In diese Welt möchte es auch die andern führen, es spricht den
andern von ihr und begegnet Spott, Schelten, zum mindesten gleichgültiger
verständnisloser Abwehr. Es erlebt: die andern haben keinen Teil an dem,
was es entzückt, ängstigt, beschäftigt, also, der Schluss liegt nahe, kann
es nicht das Kind oder die Schwester, der Bruder dieser andern sein.
Das erotische Moment i. d. unbewussten Talent Äusserungen d. sog. Medien. 545
Bei allen derartigen Persönlichkeiten findet sich bereits in frühester Kind-
heit ein stark ausgesprochener Hang zum Wachträumen, zum Sinnen
und Grübeln. Bei den einen vollzieht sich der Vorgang getrennt: hier
Sinnen, hier Träumen, bei den andern läuft er zusammen, das Sinnen wird
Darstellung. Dies war bei Wilhelmine Assmann der Fall, ebenso bei
Machner. Wilhelmine «Assmann sah, sobald sie allein in einem geschlossenen
Raum war und vollends nach Einbruch der Dunkelheit, allerlei seltsame
menschliche und tierische Gestalten. Das „Sehen" hatte bereits der Vater
gehabt, wie sie später erfuhr, nur dass er dem „Sehen" niemals nach-
gegeben und es, abgesehen von einer Ankündigung des Ablebens seiner
Mutter, als Phantastereien gewertet hatte. Erst die spiritistische Auf-
klärung durch die Tochter änderte diese vernünftige Ansicht. Der Tochter
blieb das „Sehen" bis gegen die Zeit ihrer Einsegnung, dann machte es
einem „Hören" Platz. Fremde Stimmen sprachen in fremden Lauten.
Stets nach dem Auftreten der Stimmen kam es zu Ohnmächten. Die Stimmen
sind die Personifizierungen der Blutwallungen, die das in der Reife be-
findliche Mädchen heimsuchten. Noch bleiben all diese Personifizierungen
im allgemeinen und Gestaltlosem stecken. Es fehlt noch der Richtung
gebende Anstose. Den sollte sie erst um ihr 40. Jahr erleben.
Von der Pubertät bis zu diesem wichtigen Lebensabschnitt blieben
Frau Assmann, auch nach ihrer Verheiratung, andauernd quälende Kopf-
schmerzen. Es blieb ihr auch die Neigung zur Einsamkeit. Sie ging nicht
gleich anderen Mädchen an den dienstfreien Sonntagen zum Tanz, nicht
einmal spazieren ging sie. Stets sass sie für sich allein. Die Stunden
kürzten ihr weder Lektüre noch Handarbeit, sondern einzig ihr Grübeln
und Träumen. Kirchlich religiös ist sie gar nicht; den kirchlichen An-
schauungen völlig abgeneigt, machte sie sich ihre eigene Lebensauffassung
zurecht. Deren Quintessenz besteht darin, dass das Leben, wie es aie
meisten Menschen, besonders in geschlechtlicher Hinsicht, führen, ver-
kehrt und schädlich ist. Die Frau wird vom Manne als Objekt zur Be-
friedigung seiner Lüste gebraucht, und das soll nicht sein. Nur einmal soll
sie empfangen und gebären. Ihre fernere Aufgabe besteht dann in der
Erziehung des Kindes, der Mann ist für sie erledigt. Frau Assmann hatte
nur ein Kind. Dieses starb früh. Ihm folgte bald eine ihrer Schwestern.
Die beiden Todesfälle brachten sie völlig aus dem seelischen Gleich-
gewicht. Sie hatte für nichts mehr Sinn, Haushalt und Geschäft begannen
unter ihrer Verstörtheit zu leiden. Sie vergrübelte weinend Stunden und
Tage über den Sinn des Lebens. In seiner Not und um ihr einen seelischen
Halt zu schaffen, ging ihr Mann mit ihr zu den Apostolikern, den Baptisten,
der Heilsarmee. Nichts verfing. Schliesslich gerieten sie in einen spiri-
tistischen Zirkel. Schon in der ersten Sitzung, der sie beiwohnte, fing
sie an, automatisch zu schreiben. Sie hielt von nun ab sehr häufig Schreib-
sitzungen. Die Niederschriften schlössen meist mit Schnörkeln, die ge-
legentlich die Form kleiner Blumen bekamen und von denen sie sagte, sie
sollten diese oder jene Farbe haben. Daraufhin riet einer der Teilnehmer, ein
russischer Student, zur Benützung von Buntstiften. Frau Assmann folgte
dem Rate; die erste bunte Zeichnung, unbeholfen, zitternd in der Linien-
führung, matt und schüchtern in den Farben, entstand, und rasch bildete
sich ihr Können aus. Sie arbeitete vorwiegend nachts. Bevor es zum
eigentlichen Zeichnen kommt, befällt sie peinigende Unruhe, nach etwa
einer halben Stunde ebbt die Empfindung des Umgetriebenseins ab, aus
54G Hans Freimark.
der Magengrube steigt ein flaues Gefühl in ihr auf, ihr ist, als ob ihr Ge-
sichtskreis sich verdunkle, als ob Schleier sie einhüllten, sie hört und
sieht nicht mehr, was um sie her vorgeht, oder doch nur völlig fern und
schattenhaft, das Zeichnen beginnt. Im Anfange ihrer Maltätigkeit währte
das Zeichnen nächtlich 7 Stunden. Doch dauerte es danach noch etwa
eine Stunde, bis sich die nervöse Erregung gelegt h^tte. Mit dem Beginn
der Zeichenperiode entzog sie sich jeder Gemeinschaft mit ihrem Gatten.
Zugleich endete aber auch das nervöse Kopfweh, an dem sie jahrelang
gelitten hatte. Sie erzählt, ihre „geistigen Freunde" hätten ihr gesagt,
sie würde wahnsinnig geworden sein, wenn sie nicht zum Zeichnen ge-
kommen wäre. Diese Erklärung fusst auf dem richtigen Gefühl, dass
Zeichnen und Malen ihr eine zufriedenstellende Auslösung ihrer inneren
Bedürfnisse sind. Wenn sie sich ihrem Maltrieb hingibt, ist sie glück-
lich. Gleich einem Künstler vergisst sie bei seiner Ausübung alle Pein-
lichkeiten ihrer materiellen Lage. Aus den Schwierigkeiten des Daseins
flüchtet sie in die blühenden Gärten der Phantasie.
Ihre Pastellmalereien zeigen hauptsächlich pflanzliche Motive, erst
vor ein paar Jahren zog sie auch Tiere in den Kreis ihrer Darstellung.
Die Form ihrer Malereien ist stilisierend. Perspektiven Vermag sie nicht
zu geben, weshalb denn auch ihre Tiergestalten durchweg steif wirken
und lediglich gleich einem heraldischen Schmuck, nicht aber als plastische
Wiedergabe irgend eines natürlichen Vorbildes. Dennoch sind die Ur-
typen der Umwelt entnommen, Pfau und Wiedehopf haben Modell gestanden,
Und Frau Assmanns Phantasie hat sich von diesen Vorbildern weniger
entfernt, als es die Phantasie manches Malers tut. Anders bei ihren
Pflanzengebilden. Die sind in der Tat seltsam, und der erste Eindruck lässt
sofort an orientalische Kunst denken. Ein unerschöpflicher Formenreich-
tum zeigt sich; nicht ein Motiv gleicht dem andern. Es scheint unmöglich,
den Ursprung dieser Motive nachzuweisen. Und dann bietet er sich wie
von selbst. Eine Schwester von Frau Assmann ist durch diese ebenfalls
zum medialen Zeichnen gekommen, und eine ihrer ersten Malereien setzt
sich aus vielen sich allmählich verbreiternden Streifen von Blumenmustern
zusammen. Diese Muster sind eine teilweise genaue, teilweise vergrösserte
und abgewandelte Wiedergabe von solchen, wie sie Bauerngeschirr und
bessere bäuerische Kleiderstoffe verzieren und die die beiden Frauen,
in ihrer Jugend oft vor Augen hatten. Die Blumen dieser Muster, die durch
die Schwester noch fast original nachgebildet werden, haben in der Phan-
tasie der Frau Assmann gewuchert und sich zu den seltsamsten Formen
entfaltet. Warum gerade diese künstlichen Schöpfungen sie beeindruckten
und nicht das Leben in Wald und Feld, das sie als Kind täglich um sich
hatte ? Eben weil es das Tägliche, das Alltägliche war. Nur das Besondere,
das Seltene zieht an, erst recht dieses Kind, das die andern Kinder mied
und sich selbst als Besseres träumte. Diese Neigung zur Besonderheit ist
ihr geblieben. Dem Exotischen gehört ihre Vorliebe. Sie hüllt sich gern
in Kimonos und ihre Wohnung ist angefüllt mit japanisierendem Kleinkram.
Aus dieser Vorliebe für das Fremdartige erklärt sich zum Teil auch ihr
Verhalten gegenüber dem jungen Russen, der ihr als erster zur Benutzung
von Buntstiften riet. Als Frau Assmann den jungen Mann zum eisten Male
im spiritistischen Verein erblickte, erstarrte sie förmlich. Und nachher lud
sie, die damals nie fremde Menschen zu sich bat, ihn zu sich ein. Ihr
Gatte denkt heute noch mit eifersüchtigen Regungen an Ilja Michaelowitsch.
Das erotische Moment i. d. unbewussten Talentäusserungen d. Bog. Medien. 547
Unberechtigt in einer Hinsicht, berechtigt in der anderen. Denn wie stark
der Eindruck war, den Ilja Michaelowitsch auf die sensible Frau machte,
geht daraus hervor, dass sein Vorname zu dem Namen Helize, des sich
bald darauf einstellenden Kontrollgeistes der Frau Assmann, Pate gestanden
hat. Wie Ilja behauptete Helize russischer Geburt und jüdischer Ab-
stammung zu sein. Und kürzlich reklamierte sie einen Berliner Grosskauf-
mann jüdischer Rasse als ihren ehemaligen Gatten zur Zeit ihrer ägyptische»
Existenz. Beachtenswert ist auch, dass Frau Assmann, ohne anfänglich
um diese zu wissen, an den hohen jüdischen Feiertagen nicht in Trance
zu fallen vermag, wenn es eine Zeichensitzung gilt. Dem bewussten
Nichtwissen dieser Daten dürfte freilich ein unbewusstes Wissen gegen-
überstehen, das ja bei jeder, selbst der flüchtigsten Betrachtung eines
Kalenders zu erlangen ist. Aber dass ein solches unbewusstes Wissen
sich derart äussert, gibt zu denken. Zumal, wenn man es mit der Tat-
sache zusammenhält, dass Ilja religiös sehr streng gewesen sein soll,
und dass Helize das gleiche von sich angibt. Oh diese Momente einfach mit
der unbezweifelbar starken erotischen Anziehung erklärt sind, die der
junge Russe auf Frau Assmann ausübte oder ob ererbte Faktoren mit-
sprechen? Soweit sich Frau Assmann 's Stammbaum zurückverfolgen lässt,
ist allerdings kein Anhaltspunkt für artfremde Blutbeimischung gegeben.
Man muss es also einstweilen bei der Feststellung ihrer Neigung zum
Besonderen, Fremdartigen und Exotischen bewenden lassen. Erklärt wäre
diese, weil sich die Phantasie in den reichen üppigen Gefilden orientalisch
anmutender Seelengebilde heimischer fühlt als in der schlichteren Um-
welt ihrer Geburtsstätte. Flüchtet doch sogar Helene Smith aus der ge-
wiss nicht nüchternen Schönheit Genfs in ihre indischen und in ihre
chinesisch-japanisch aufgeputzten Marsträume. Und ähnlich fühlte sich
Kerner's Seherin am wohlsten, wenn sie in das bewegte Leben des „inneren
Ringes", wie sie diesen Zustand treffend bezeichnete, eintreten konnte.
Dem Leben des „inneren Ringes", dem reichen Leben des Un-
bewussten, dem Drängen seiner Vielfältigkeit, verfallen begreiflicherweise
künstlerisch gestimmte Naturen stärker als Durchschnittsmenschen. Was
bei den letzteren ein kaum empfundener Vorgang während des Schlafes
bleibt, ringt sich bei jenen zu grösserer Deutlichkeit durch und greift,
wenn nur ein wenig Nachgiebigkeit geübt wird, in das Tagleben ein. Die
künstlerische Gestimmtheit ist jedoch keineswegs gleichbedeutend mit künst-
lerischer Bemeisterung der Triebe und Dränge. Daher begegnet man denn
auch in den Talentäusserungen der Medien deutlicheren erotischen Ge-
bilden um so mehr, je weniger das künstlerische Element zum Durchbruch
gelaugt ist. Bei Machner, dem künstlerisch bedeutendsten Medium,
dessen Medialität im Grunde nur noch eine lose, ihm liebe Verkleidung
seiner ihm mehr und mehr bewusst gewordenen Begabung ist, stösst man
kaum auf ein Stück erotischen Charakters, selbst dann nicht, wenn man
die Grenzen dieser Art Symbolik ziemlich weit setzt. Das gleiche gilt
von Frau A s s m a n n , deren Leistungen künstlerisch zwar vielfach über-
schätzt werden, der aber in der Einheitlichkeit ihres Stilgefühls doch
ein gewisser künstlerischer Zug eigen ist. Bei ihrer weniger begabten
Imitatorin, dem Medium Frieda Gentes, dagegen mischt sich erotische
Symbolik schon recht beträchtlich ein. In ihren medial-künstlerischen Pro-
duktionen ist das Muschelmotiv sehr häufig und wird oft durch Blüten-
rispen ergänzt, die sich gegen die vaginaartigen Blumenmuscheln neigen
548 H* n| B Freiinark,
oder über sie aufrichten. Bei der Frau Sp. kommt, wie erwähnt, die
erotische Symbolik weniger in den Zeichnungen als in den zu diesen ge-
hörigen Erzählungen zum Ausdruck. So erklärte sie einem jungen Manne
im Trance das ihm gezeichnete Schutzgeistbildnis „Esther Gordon," : „Esther
gibt dir, was du brauchst im Leben, Zufriedenheit und Glück, wie es dir
noch nicht beschieden war; und wie es dich grüsst noch in der Ferne,
so schön wird dich Esthers Auge scherzend, grüssend be-
glücken, erregen und wandeln." Und in einer anderen Sitzung
erklärte die Personifikation „Esther" ihrem Schützling : „Ich bin und bleibe
dein treuer Begleiter bis am Wege der Scheide, dann bist du ganz
mein, dann drängt die Wucht der Massen dich nicht mehr, befreit suchst
du zum Lichte zu ringen, zum weiteren Werden." Sehr richtig schätzt
der junge Mann, dem diese Worte galten, sie als „Zeichen inniger Zuneigung
und Sympathie" ein, nur macht er sich nicht klar, wieviel irdische Sinn-
lichkeit in dieser übersinnlich verkleideten Freundschaft liegt. Es ist
überhaupt erstaunlich, wie blind die spiritistischen Kreise gegenüber der-
artigen Anspielungen sind. Die Übersinnlichkeiten, in denen sie sich zu
bewegen glauben, entrücken sie völlig dem Sinnlichen, obwohl gerade
dieses es ist, das den Wesensgrund des vermeintlich Übersinnlichen aus-
macht. Interessant waren in dieser Hinsicht Geistgestalten, die ein Wies-
badener Medium gezeichnet hatte, über das leider nichts Näheres in Er-
fahrung zu bringen war. Die künstlerisch völlig wertlosen Köpfe und Ge-
stalten wirkten seltsam und unirdisch nur durch ihren eigentümlichen.
Kopfputz und ihre Bekleidung. Bei genauerem Zusehen zeigte sich sowohl
Kopfputz wie Bekleidung aus zahllosen phallischen Symbolen gebildet.
Diese Symbolik steckt auch in den Illustrationen zu dem Kalender auf
das Jahr 1912/13, der in Dr. Steiners Sinne in den Logen der Theosophisch-
anthroposophischen Gesellschaft zum Zwecke der „intuitiven Betrachtung"
der Bilder verbreitet wird. Die Illustrationen gleichen völlig medialen,
Zeichnungen. Da jedoch über ihre Entstehung nichts Näheres bekannt ist,
bleibt die Möglichkeit offen, dass ihre Symbolik keine unbewusste, sondern
eine absichtlich gewählte ist Sehr häufig ist die Darstellung zueinander-
strebender Zellkerne, und neben einer modernen Variation der Danae findet
sich die merkwürdige Zeichnung eines Marienbildes mit dem Kinde, das
zugleich ein genaues Abbild des weiblichen Genitals ist.
Recht deutlich ist auch die Wunschverkörperung in den medialen
Malereien einer bekannten Schriftstellerin. Liniengekritzel, das ihre Hand
nächtlicherweile, vielfach auch bei Tage, vollführt, vollendet sie zu anderen
Stunden zu Gesichtern. Vorwiegend zu männlichen. Und aus diesen männ-
lichen Gesichtern hebt sich der Typus eines kräftigen bebarteten Mannes
auffallend heraus. Dieser Kopf und die entsprechende Gestalt kehren weiter-
hin gesondert wieder. Dann trägt die Gestalt einen Blumenstrauss und
daneben, auf demselben Blatte, ist ein Ring und ein Blütenstiel gezeichnet,
der an Myrthe erinnert. Der Text dazu: er kommt zu dirl Oder nur die
männliche Gestalt mit dem Text ; er ist auf dem Wege zu dir ! er ist dir
nah! — Auf dem Wege über den „geistigen Freund und Beschützer" beginnt
die Gestalt allmählich mit dem „Einen", dem himmlischen Geliebten der
Religiösen, identisch zu werden. Und damit auch die Erfüllung im Bilde
nicht fehle, erscheinen bunte Zeichnungen unter der erregten Hand, Wickel-
kinder von farbigen Streifen umbunden. Bei dieser Dame ist auch gut die
Entstehung fremder Schrift, die sich wiederholt auf ihren Blättern findet,
Das erotische Moment i. d. unbewussten Talentäusaerungen d. sog. Medien. 549
zu beobachten. Sie hat ein Blatt, das dreierlei Schrift enthält. Die erste
in der Hauptsache aus musikalischen Vorzeichen bestehend, die letzte
stenographischen Zeichen ähnelnd. Die mittelste bildet den Übergang und
zeigt, wie aus den der musikalisch gebildeten Dame geläufigen Notenzeichen
durch Umbildung die vermeintliche „fremde Schrift" sich entwickelte. Was
diese Schrift sagen will, ist in der Regel nicht erläutert. Nur einige Male
wird es durch Noten und Übersetzung ergänzt, und dann ist es ein Gesang
an die , .liebe Ulla". U. N. empfindet denn auch ihre künstlerisch-mediale'
Betätigung als Auslösung und Ersatz. Wie sie sich ausdrückt, als Mittel,
um sie vor einer Infamie zu retten. Die Talentäusserung setzte auch
bei ihr, wie bei Frau Assmann, in den kritischen Jahren ein. Das dst
übrigens fast durchgängig der Fall. Die Blütezeiten der Medialität fallen
mit dem Erwachen und dem Erlöschen des Geschlechtstriebes zusammen.
Diese Beobachtungen haben nicht erst die Spiritisten, oft sehr zu ihrem Leid-
wesen, machen müssen. Schon die Magnetisten und Pneumatologen des
18. Jahrhunderts hatten sie an ihren Somnambulen gemacht, und das
Mittelalter sowie die Antike waren sich, wie ich in meiner Studie „Okkul-
tismus und Sexualität" 1 ) nachweisen konnte, über den innigen Zusammen-
hang von Geschlechtsleben und magischem Wirken, d. i. Wirken aus dem
Unterbewussten heraus, ebenso im klaren, wie sich die meisten Natur-
völker darüber im klaren sind. Die Tendenz zur Gestaltung, die sich einer-
seits des Geschlechtstriebes zur sinnlichen Befriedigung und Verwirklichung
bedient, verwendet andererseits die brachliegende Kraft für seelische Ge-
staltungen. Weil beides demselben Grunde entstammt, ist es so innig mit-
einander verknüpft.
Dass diese Verknüpfung noch vielfach geleugnet, ja bestritten wird,
ist weniger bedauerlich wegen der betrof fenen Einzelnen — diese fühle»
sich ja in ihrem Glauben durchaus glücklich — als wegen der kulturellen
Möglichkeilen, die durch solche Verschleierung in der Entwicklung ge-
hemmt oder in falsche Bahnen gelenkt werden. Zahllose Talente werden
vergeudet, weil die Gefühlsseligkeit ihrer Besitzer sie lieber einem ata-
vistischen Schamanismus als Schaugepräge eingefügt, denn dass sie ihre'
Ausbildung zu allgemeinen Zwecken zugibt. Und selbst da, wo die Medialität
zu keinem Talent reichte, vermöchte vernünftige Einsicht in die gestaltende
Tendenz des Unbewussten wenigstens, wie ich in meiner im Erscheinen
begriffenen Arbeit über „Mediumistische Kunst" 2 ) darlegte, jene beklagens-
werten Missbräuche zu verhindern, die teils in gutem Glauben, teils aber
auch in bewusster Spekulation mit den Seelen- und Herzensbedürfnissen
vieler getrieben werden. Aber es scheint: Antike und Mittelalter sind auch
in der jetzigen Menschheit noch recht lebendig, wenigstens in verschiedenen
sehr ausgebreiteten Gruppen, und das Bewusstsein bewegt sich immer
noch nicht völlig in den Bahnen reinen Denkens, sondern haftet wie in
alter Zeit am Bilde. Vielleicht ist ja das unüberwindbares menschliches
Erbteil. Dennoch wäre es für das Allgemeine dienlicher, die Menschen
würden nach dem Wesen der Dinge trachten und nicht nach ihrer Gestalt.
Noch aber ist den meisten die Gestalt das Wichtige und zwar die ihnen er-
wünschte und von ihnen erwünschte Gestalt.
1) Leipzig 1909.
2) Beitrage zor Geschichte der neueren Mystik und Magie, 2. Heft.
III.
Fortschritte der Traumdeutung.
(Kritisches, Polemisches und Neues.)
Von Dr. Wilhelm Stekel, Wien.
Anderweitig beschäftigt, konnte ich leider mein Versprechen nicht
halten und die „Fortschritte der Traumdeutung" nur in kleinen Beiträgen
erledigen. Ich sehe mich aber genötigt, noch einmal das Thema der
Traumdeutung hier aufzurollen und einige kritische Fragen ausführlich
zu besprechen. Zuerst möchte ich mich mit Maed er auseinandersetzen,
der soeben eine grössere Arbeit über das Traumproblem publiziert hat 1 ).
Es ist dies ein hochinteressanter, sehr instruktiver Vortrag, den
der Autor auf dem letzten psychoanalytischen Kongresse in München ge-
halten hat, um seine Abweichungen (und die der Züricher Schule) von der
orthodoxen Freudschule zu begründen und festzustellen. Es wird aus-
geführt, dass mit der Funktion des Traumes als Wunscherfüllung das Wesen
des Traumes nicht restlos geklärt sei. Der Traum wurde nach Maeder
bisher von der Freudschule zu wenig klinisch untersucht und zu sehr als ein
Symptom für sich angesehen. Die Sexualdeutung des Traumes sei nur eine
erste Stufe, vielleicht nur eine Vorstufe der Traumwissenschaft. Die „Wiener
Deuterei" ohne Kenntnis des Kranken sei zu verwerfen, die Auflösung
eines Traumes durch die Symbole sei nur eine oberflächliche. Der Traum
zeige ein Gesicht in die Vergangenheit, das entspräche seiner retro-
spektiven Tendenz und eines in die Zukunft, das entspräche seiner
prospektiven Tendenz. Man habe bisher den manifesten Trauminhalt
vernachlässigt und zu sehr auf den latenten geachtet. Die Kenntnis der
Lebensgeschichte des Träumers zeige den Traum in einer Funktion als Ver-
kündet- kommender Zeiten, als Warner und Vorbereiter von wichtigen
Entscheidungen. Em dies zu beweisen, werden eine Reihe nicht sehr glück-
lich gewählter Beispiele mit sehr willkürlichen Deutungen angeführt,
Deutungen, die ich durch alle bestreiten und durch andere ersetzen könnte.
Man wird mir zugeben, dass ich in Traumdeutungen einiges Geschick
habe. Aber ich habe mich zu der Erkenntnis durchgerungen, dass wir bei
der Traumdeutung sehr leicht Täuschungen unterliegen und zu Verall-
gemeinerungen kommen, die sehr gefährlich sind. Dem Traum deuter
entgeht meistens der wichtigste Teil des Trau min halte s,
der sich auf das Verhältnis des Patienten zum Arzte
bezieht. Besonders verdächtig für die Zwecke der Wissenschaft sind die
Träume, die von dem Arzte bestellt wurden. De# grosse von Maeder
i) Maeder: Üeber das Traumproblem. (Jahrbtca für psychoanalytische
Forschungen. Band V. 1914. Verlag J. F. Deuticke. Leipzig und Wien.)
Dr. Wilhelm Stekel, Fortachritte der Traumdeutung. 551
analysierte Traum ist so ein Produkt. Der Kranke hatte Bleistift und Papier
unter dem Kopfkissen, er träumte sehr selten und erwartete gespannt einen
Traum. Er teilte auch dem Arzte mit, dass er sich über den Traum sehr
gefreut habe, beim Erwachen ärgerlich war. nichts geträumt zu haben. . . .
Solche Träume sind schon arg entstellt und enthalten sicherlich eine
Tendenz, die sich über den Arzt lustig macht und ihn verspottet. In den
Assoziationen des von Mae der Analysierten fällt auch das unmotivierte
Sprunghafte auf. Es sind sicher Lücken da, die das Wichtigste verschweigen.
So lachte der Kranke, wie er von der blauen Farbe eines Pferdes spricht.
„Affen können solche Farben am Gesäss oder im Gesichte haben. ... Es
war so schön. . . ." Die Tendenz, den Arzt zu verlachen, dringt durch
den manifesten und latenten Trauminhalt durch, der Arzt wird herabgesetzt;
der Patient fühlt sich unverstanden, er ist nur eine Nummer, der Arzt ist
ein Süddeutscher (Schweizer), was in seinen Augen eine Minderwertig-
keit bedeutet. Er mag den Schweizerdialekt nicht. Er produziert auch
Hass gegen seine Lehrer, worunter er natürlich den Arzt meint. Er will
sich gegen den Analytiker wehren und machte sogar eine Abwehrbewegung
mit der Hand. Mae der bemerkt dazu: „Der Jüngling machte eine kleine
Abwehrbewegung mit der Hand, bis er merkte, dass es sich um einen rein
intrapsychischen Vorgang handelt." Proteste gegen einen Professor kommen
vor, Anschuldigungen gegen Dr. D. Er wendet sich direkt gegen die
Psychoanalyse und sagt: „Ich habe in letzter Zeit ein besonderes Gefühl
in mir, etwas was schneidet, wie wenn ich etwas in der Lunge hätte, an
einem wichtigen Teil, wie wenn mir etwas abgeschnitten worden wäre
in der Brust, wie wenn eine Axt selbständig in mir schneiden würde.
Was soll ich ändern? Wie tun.?" .... Ferner: „Jetzt bin ich besser,
aber was soll ich tun, wenn ein Rückfall kommt?'" Mae der aber fasst
dieses Brustleiden auf: „Ein ernstes Leiden, das lebenswichtige Organ in
seiner Brust, welches angegriffen ist, d. h. die E i n s i c h t d iL m m e r t
dem Träumer auf". Ja dämmert Mae der nicht die Einsicht, dass
der Träumer die psychische Kur schildert, dass Mae der die Axt ist,
die in seiner Brust sägt und dass er das ändern will? Merkt er nicht,
dass die Drohungen eines Rückfalls nicht nur Zweifel andeuten, sondern
auch ein Memento für den Arzt sind?!
Mae der jedoch sieht in dem Traume eine Stufe der Entwickelung
der Patienten zur Heilung und den Ausdruck der „Sehnsucht nach Domesti-
zierung seiner Libido".
Ich meine also: Wenn Maeder auch im wesentlichen Recht hat,
seine Beispiele sind nicht überzeugend und seine Deutungen sind sicher
sehr einseitig und durch die Züricher Brille gesehen. Er hätte noch an
manchem Traume wichtige Einsichten zu lernen. So sieht er es als einen
Fortschritt in der Entwickelung des Kranken an, wenn der Patient folgenden
Traum hat. Doch lassen wir Maeder selbst das Wort:
„Einige Wochen früher, während einer starken Widerstandsperiode,
hatte der Analysand von Menschen geträumt, welche durch
einen Kanal schwimmen. In einem kleinen Bote steht
ein starker Mensch, welcher mit einer Harpune die Vor-
beischwimmenden erlegt. Er selbst (der Träumer) sieht
zu, empfindet aber mächtige Empörung und Hass gegen
den grausamen .Fischer'.
„Die Analyse ergab, dass durch den Fischer das Jüngste Gericht
symbolisiert war, ein Problem, welches den Jüngling damals im geheimen
552 Dr. Wilhelm Stekel,
beschäftigte und quälte. Eine der Hauptassoziationen dazu war das
Gedicht : Prometheus von Goethe, in welchem bekanntlich der Pro-
test gegen Gott den Vater verherrlicht wird. Ein blinder und
ohnmächtiger Hass gegen das Schicksal klingt aus diesem
Traume. Der Analysand stand noch auf dieser primitiven Stufe der
Einsicht, nach welcher alles Übel von aussen kommt, demgegenüber
man ohnmächtig ist, über welches man aber schimpft. Die Reaktion ist
noch nicht gegen das eigene Ich als Ursache des Übels gerichtet. Die Ein-
sicht gegen sich selbst gefehlt zu haben, ist noch nicht vorhanden. Es
wird Zeit brauchen, bis der Reifungsprozess so weit ist, dass der Analysand
versteht, der Hass richte sich eigentlich gegen ihn selbst; etwas in ihm,
die archaische Libido (nach Jungs trefflichem Ausdrucke) muss sterben,
geopfert, aufgegeben werden. Wenn dies ihm gelungen sein wird, hat das
•Jüngste Gericht seinen quälenden Charakter verloren. Zwischen den zwei
mitgeteilten Träumen hat wie ersichtlich eine gewaltige innere Verarbeitung
stattgefunden, welche sich auch äusserlich durch die grossen Fortschritte
in der Anpassung an die Realität dokumentierte. In der Zwischenzeit kam
ein Traum vor, aus dem ich wie beim vorigen nur einzelne Daten mit-
teilen will. Eine Figur trat dort auf, welche unter die Gestalt eines Mit-
gliedes der Familie die Personifikation der schlechten Instinkte des Träumers
und seiner Neigung zur Last und Bequemlichkeit darstellte. Mitten in
einer Schnellzugfahrt ging die betreffende Person aus
dem Kupee heraus, ohne dass der Zug gehalten hätte,
schrittaufeinHauszu, kletterte ander Leitung des Blitz-
ableiters bis zur Spitze desselben, worauf sie in die
Luft verschwand. Dies war das ganze Opfer, dessen der Träumer
zurzeit fähig war. Wenn mein Doppelich, das feindselige, sich verflüchtigen
kann, ohne mich arg zu stören (der Zug braucht nicht einmal zu halten),
bin ich damit einverstanden. Der Jüngling wünscht sich die Befreiung auf
dem Wege des Zaubers; er setzt also seine Kräfte selbst noch nicht ein."
Auch hier erkennt Maeder das Wichtigste nicht. Der grausame
Fischer ist M a e d e r. Durch einen engen Kanal (ein wunderbares Bild
für die Zensur des Bewusstseins!) schwimmen Menschen, hier die Symbole
der Gedanken, und der Arzt fängt alle diese Gedanken auf. Der erste
Einfall des Träumers ist das Jüngste Gericht, hier wirklich das jüngste im
Doppelsinn. Der Kranke stellt sich gegen die Trias Arzt, Vater, Gott mit
Hass und Empörung ein. Eine weitere Bedeutung erhellt aus der Bedeutung
der Menschen als Spermatozoen und zeigt die tiefe Unzufriedenheit mit dem
Leben, die retrospektive Tendenz bis zur Zeugung, den Wunsch, noch
einmal auf die Welt zu kommen Ich sehe keine „archaische
Libido" (J u n g), die geopfert werden muss, ich sehe nur Wünsche, Wünsche,
Wünsche Auch der zweite Traum ist ein Spermatozoentraum und
schildert ausserdem wie ein Gedanke laus dem Hirn des Analysierten kommt,
und an dem Kopfe des Arztes vorbei in der Luft verschwindet. Also auch
ein Widerstandstraum ersten Ranges! Die Deutung von Maeder: „Der
Jüngling wünscht sich die Befreiung auf dem Wege des Zaubers", ist bei
den Haaren herbeigezogen und übertrifft die berüchtigten Wiener Deutungen
an Willkür. Man könnte höchstens sagen: Der Jüngling wünscht sich die
Befreiung von seinem Arzte, er wünscht, ihm nichts mehr sagen zu müssen.
Damit will ich nicht ausführen, dass Maeder im Unrechte ist,
wenn er sich den Anschauungen A d 1 e r's über die Funktion des Traumes
Fortschritte der Traumdeutung. 553
als Warner anschliesst. Fraglich ist freilich, ob die Warnung nicht eine
Wunscherfüllung des moralischen Ich bedeutet. . . .
Wenn ich aber nun einige persönliche Worte zu dem Thema sage,
so werden es mir alle jene Kollegen nicht verübeln, welche meine intensiven
Bemühungen kennen, das Wesen des Traumes zu erhellen. Ich habe also
ein Recht, zu diesem Thema zu sprechen und möchte — das letztemal in
dieser Sache — mich in die mir immer peinlichen Fragen der Priorität
verlieren
In dieser ganzen Arbeit von Maeder kommt mein Name an einer
einzigen Stelle vor, nämlich, wo von den ..ersten Träumen" die Rede ist,
auf deren Bedeutung ich besonders aufmerksam gemacht habe. Aber ich
möchte Maeder aufmerksam machen, dass sein Ausspruch: „Der Traum
ist vielleicht das primitive Kunstwerk", eine Variation der Ausführungen
ist, die sich in meinem Aufsatze „Dichtung und Neurose" findet und zwar
gleich auf der ersten Seite (1909 erschienen!). .,Jeder Träumer ist ein
Dichter" heisst es dort und ich weise nach, dass es sich um eine alte
Binsenwahrheit handelt. Aber schliesslich habe ich das Thema in meinem
Buche „Die Träume der Dichter" ausführlich behandelt. Sollte der Traum-
forscher Maeder dies Buch nicht kennen, so mache ich ihn darauf auf-
merksam. Er wird dort manche Wahrheit finden, die er in seinen Arbeiten
nachher ausgesprochen hat. Denn esgibtnureine Wahrheit und
schliesslich müssen verschiedene Menschen darauf
kommen. . . . . Der Traum kommt dort wiederholt in der Funktion
des Warnens und Vordenkens vor und besonders der von Maeder ange-
führte Traum von Rosegger findet dort eine eingehende Deutung, die noch
weit über die von Maeder hinausgeht. Den Traum als Warner und Künder
der Zukunft behandle ich schon in der ersten Auflage der „Nervösen
Angstzustände", S. 182 (erschienen 1908!). Dort sage ich wörtlich:
„Der Schluss des Traumes enthüllt den Vorsatz, seinen
Beruf nicht mehr so schwer zu nehmen und ohne Ge-
wissensbisse den Leuten etwas vorzuheucheln. Er
will — — — — usw."
Ich zeige also deutlich die proskektive Tendenz des Traumes auf. Zahl-
los sind aber die Beispiele, die sich in meinem Werke „Die Sprache des
Traumes" finden. Ich führe daselbst Warnungsträume an, z. B. auf S. 345,
welche die Überschrift trägt „Das Schicksal des Vaters als Warnung", ich
zeige eine prospektive Tendenz, die bis in die andere Welt geht (Christus-
neurose) ..... Warnungen und Mementos enthält der Traum 266 und
viele andere. Sind ferner Maeder meine Arbeiten aus den letzten Jahren
nicht bekannt, die ich systematisch in diesem Blatte veröffentlichte, in denen
ich gegen die monosexuellen Deutungen Stellung nahm ? Und habe ich nicht
in der Sprache des Traumes unter Protest der ganzen Züricher Schule
auf die Bedeutung des manifesten Trauminhaltes aufmerksam gemacht?
Habe ich nicht in diesem Buche alle Deutungen immer im Zusammen-
hange mit der Krankengeschichte gebracht? Wenn Wexberg in seiner
Arbeit „Zur Verwertung der Traumdeutung in der Psychotherapie" (Zeit-
schrift für Individualpsychologie, Heft 1, Bd. 1) sagt: ,,Was diese Art von
Traumdeutung — nämlich die von Adler — von der Freud sehen Methode
unterscheidet, ist die grössere Sicherheit der Schlussfolgerungen, die von
erzwungenen Einfällen des Patienten unabhängig, einzig auf der Kennt-
nis der Persönlichkeit beruhen" — so hat er sich eben meine Methode
554 Dr. Wilhelm Stekel,
angeeignet, den Traum ohne Einfall des Träumers zu dechiffrieren, eine
Methode, die ich ja besonders in meinem Buche ,,Die Träume der Dichter"
an zahlreichen Beispielen klargelegt habe. Auch in der Sprache des
Traumes findet sich immer der Zusammenhang mit dem Lehen und Denken
des Kranken und in vielen Fällen seine Zielsetzung, so in allen Fällen
von Christusneurose, welche ja die „Gottähnlichkeit" Adlers deutlich
antizipiert.
Die Zielsetzung des Traumes findet sich im Beispiel 4 der Sprache
des Traumes. Ich erkläre einen prophetischen Traum, den Artemidoros
veröffentlicht: „Es träumte jemand, er wäre mit einer Kette an das
Postament des Poseidon am Isthmos gefesselt. Er wurde Poseidons-
priester " Dazu sage ich: „Dieser Blick in die Zukunft ist ebenso
wohlfeil als die nächste Prophezeiung des Artemidoros, die ich bald mitteilen
werde. Es wird keiner Priester, der es nicht vorher lebhaft wünschte. ..."
Und solcher Blicke in die Zukunft und Zielsetzungen, solcher Vor-
sätze und Warnungen habe ich genügend publiziert. Ist das aber genügend,
um eine neue Ära der Traumdeutung zu inaugurieren und die Methode von
Freud zum alten Eisen zu werfen? Erstens gebe ich zu bedenken, dass
auch diese Warnungsträume Wunscherfüllungen eines Partial-Ich sind,
des moralischen religiösen, das um jeden Preis, selbst um den Preis eines
Unglücks seinen ethischen Besitzstand erhalten will, weil es nach höheren
Zielen strebt als sie auf dieser Welt erreichbar sind. Wer mit dem Himmel
Beziehungen hat, kann auf die Freuden und Wünsche irdischer Art ver-
zichten und je mehr er bei Tag seinem Erdenleben und Erdenwünschen
gerecht wird, desto tiefer kann er sich bei Nacht in das Moralisch-Religiöse
verlieren. . . . Und welcher lächerliche Vorwurf von Mae der, die Wiener
Schule sollte den Traum mehr im Zusammenhange mit der Kranken-
geschichte betrachten und nicht Symbole dechiffrieren! Ich verweise nur
auf die berühmte Analyse von Freud in der „Dora", wo dieser Zu-
sammenhang in plastischer Weise dargestellt ist, ich verweise auf meine
Angstzustände, auf die „Sprache des Traumes".
Sicherlich I Die Traumdeutung hat grosse Fortschritte gemacht und
gerade in den letzten Jahren aber alle diese Fortschritte knüpfen sich
an Wiener Namen, an Freud, Stekel, Silberer und Adler. Was
die Schweiz für die Traumdeutung geleistet hat, soll nicht gering geschätzt
werden, aber es gibt noch nicht die Berechtigung, von einer neuen Ära
der Traumdeutung zu sprechen, weil unsere Arbeiten dieses Thema nach
allen Seiten hin auch nach der Schweizer Seite vollkommen erschöpfen,
und wir alle jetzt mit Fleiss und Ausdauer die neuen Wege gehen, ohne
erst auf die Anregungen von Jung und seinen Schülern gewartet zu
haben
Aber ich weiss es — und es wird immer wieder mitgeteilt — , dass
es schon zum Gesetz geworden ist, sich über die Art meiner Traum-
deutung lustig zu machen, und die jungen Schüler vor dem bösen Traum-
wolf Stekel zu warnen. Dabei werden aber meine Bücher von den
Herren fleissig studiert, weil sie eben daraus sehr viel lernen können.
Ich schäme mich meiner symbolischen Forschungen gar nicht, obwohl ich
heute schon über sie hinaus gekommen bin. Ich brauche auch kein Wort
zurückzunehmen von den Deutungen, die ich in der Sprache des Traumes
und meinen anderen Büchern gegeben habe. Ich habe nur gelernt, tiefer
zu blicken, und es gelüstet mich manchmal, an meinen Träumen, an der
Fortschritte der Traumdeutung. 555
Traumdeutung von Freud, an den Träumen, die Jung und Adler
publiziert haben, zu zeigen, wie vieles sich noch aus einem solchen
Traume herausholen Hesse, was der Analyse würdig wäre. Ich tue es nicht.
Ich arbeite nicht, um etwas zuerst zu sagen, etwa einen Monat früher als
ein anderer Analytiker, sondern aus einem inneren Drange. Ich arbeite,
was ich eben arbeiten muss, und kann mir die Arbeitsthemen nicht
suchen oder von einem Lehrer diktieren lassen. Ich werde sicherlich
einmal noch einen zweiten Band für „die Sprache des Traumes" schreiben,
und da soll alles Neue kommen, was ich gefunden habe und was der Publi-
zierung harrt.
Ich habe es im Dechiffrieren der Träume zu einer grossen Virtuosität
gebracht. Aber ich würde nie so weit gehen wie Adler und W e x b e r g
und auch Mae der und Jung gehen und auf die Einfälle des Träumers
vollkommen verzichten. Ich habe dies an meinem Musterbeispiele „Die
Technik der Traumdeutung" klargelegt (Die Sprache des Traumes). Ich
glaube auch noch heute, dass es viele Träume gibt, welche wir ohne Hilfe
des Träumers und sein Material, ohne genaue Kenntnis seines Lebens
nicht deuten können. Wie aber beweisen, dass eine Traumdeutung richtig
ist? Der Traum ist ein Rätsel, und jeder behauptet, die richtige Lösung
zu haben. Welche ist die richtige? Wie leicht kann man Täuschungen
unterliegen! Ich will nur ein Beispiel anführen. Maeder publiziert einen
Traum, den er als Ausdruck einer klar erfassten augenblicklichen Situation
anspricht, als Ausdruck eines Heilungsvorganges. Lassen wir Maeder
das Wort:
.Eine Dame, welche sich seit vier Tagen in kurzer psychotherapeutischer Be-
handlung befindet (es handelt sich mehr um eine Orientierung als um eine eigentliche
Behandlung), erzählte mir spontan folgenden Traum, dem sie selbst eine grosse Be-
deutung beimisst. (Es sei ausdrücklich bemerkt, dass ich mit ihr kein Wort über die
Verwertung oder Bedeutung der Träume in einer psychischen Kur gesprochen habe) :
Ich bin bei einer (schon längst verstorbenen) Tante, im Land-
haus der Eltern. Ich sitze bei ihr; eine andere Verwandte ist dabei.
Sie sagt mir, in ihrer liebenswürdigen, immer aufmunternden und
dezidierten Art: Stehe auf, gehe zu Karl (der Ehemann der Träumerin)
und den Kindern . . Aber ziehe das Rosakleid an.
Die Dame erwacht und ist über ihren Traum sehr glücklich. Sie achtet nie
auf Träume, hat sonst kaum plastische, klare Träume. Sie sieht in ihm eine
klare Angabe des zu befolgenden Weges. — Die psychische Situation der
Dame ist folgende: Sie ist 40 Jahre alt, verheiratet, Mutter von drei Kindern, welche
ihr neulich grosse Sorgen verursacht haben (ErziehuEgsschwierigkeiten). Den Mann
liebt sie, sie verehrt ihn sehr, sie steht ihm aber doch nicht nahe; sie hat Angst
vor ihm, wagt nicht, sich neben ihm zu behaupten; er ist ein bedeutender Geist
von herrscherischer Veranlagung. Die Dame hatte eine sehr sonnige Kindheit und
Jugend, wuchs in einer grossen Familie auf. Die Heimat hat sie mit der Verheiratung
verlassen. Das Leben hat ihr seitdem viele Schwierigkeiten bereitet, sie hat sich
immer noch nicht an das neue Milieu angepasst, sehnt sich nach dem Elternhause
oder nach dem Tode. Sie hat verschiedene Depressionen durchgemacht, leidet
unter gewissen Phobien. Seit anderthalb Jahren hat sie durch eine geheilte Ver-
wandte von psychischen Kuren gehört und hoffte, im Stillen, eine solche durchzu-
machen. Endlich ist es ihr nach langem Sehnen gelungen, sich für einige Tage frei
zu machen, am Referenten zu sprechen und ihn um Rat für ihre Lebensführung zu
fragen. Sie ist eine tief angelegte Natur, welche aber entfernt iat, den für Bie-
556 Dr. Wilhelm Stekel,
möglichen Urad psychischer Entwickelung errreicht zu haben (sie ist schon 40 jährig!).
Sie hat schon viel über ihre Lage nachgedacht. Ihr Eigensinn sogt ihr, sie solle sich
beim Arzt Kraft holen, um gegen ihren Mann vorgehen zu können, sie fühlt aber
auch, das9 dieser Weg nicht verspricht, fruchtbar zu werden. In den drei Besprechungen,
welche dem Traum vorangegangen sind, konnte ich ihr ihre infantile, unadäquate
Einstellung zum Mann und deren Beziehungen zur Elternkonstellation zeigen. Sie
hatte verstanden, dass ihre Todessehnsucht einen bildlichen Ausdruck ihres
ZurUckkrebsens vor ihrer Lebensaufgabe bedeutete, nämlich ihrem Manne ein reifes
Weib, ihren Kindern eine liebende nnd entschlossene Mutter zu sein. Die Dame hatte
immer von ihrem Manne die gleiche Überreiche Anerkennung erwartet, welche ihre
ganze Familie ihr in der Jugend gezollt hatte. Sie ärgert sich immer noch, dass die
Art des Gatten eine andere sei. Am Tage nach der dritten Besprechung kam der
Traum, welcher ihr sagte : .Gehe zu deinem Mann und zu deinen Kindern, und zwar
mit dem Rosakleid*. Dieses Kleid ist ein Kleid der Jugendzeit, welches
sie bei feierlichen Anlässen trug. Mit Tränen in den Augen sitzt sie sonst in ihrem
Hause, sie soll jetzt das Rosakleid trugen. Nicht gegen ihren Mann soll sie losziehen,
sondern zu ihm zurück, aber sie soll in richtigerer Weise vor ihm stehen wie zuvor,
nicht in der infantilen Stellung der ewig Erwartenden, sondern in derjenigen der
Gebenden (Mutter und Gattin). Was ihr bevorsteht, ist gerade dies Stück Nach-
«ntwickelung. Von der Tante berichtet sie, sie sei eine bedeutende Erzieherin
gewesen (Leiterin eines grossen Hauses) und die einzige, welche verstanden habe,
ihr als Kind das Unangenehmste (Vorw lirfe) in einer Weise zu sagen,
dass das eigensinnige Mädchen es annehmen musste und der Tante dankbar dafür
war, Sie ist also eine Personifizierung einer Tendenz der Mutterimago. Das Land-
haus ist der Geburtsort der Mutter unserer Träumerin und zugleich das Paradies ihrer
Kinderzeit. Der Traum ermahnt die Dame, dieses Paradies zu verlassen (ihre Mutter-
übertragung zu überwinden), um in ihr eigenes Heim zu ziehen. Die Beziehung zum
Arzt ist die gleiche, wie diejenige zur erwähnten Erzieherin und Tante.
Für denjenigen, welcher die Konstellation des Traumes kennt, erscheint er
*ehr durchsichtig; er bedeutet den ersten entschiedenen Schritt zur Lösung der bo
lange pendent gebliebenen Aufgabe der Dame. Er ist nicht nur der erste Schritt
nach einer neuen Richtung, sondern das Glied einer langen Kette von Erscheinungen,
das selbst durch eine lange Elaboration vorbereitet ist, welche mit den Gesprächen
der geheilten Verwandten (ebenfalls Patientin des Referenten) eine besonders aktive
Phase begonnen hat. Dies Beispiel gibt wieder eine lllustrierung der in dieser Arbeit
hervorgehobenen Notwendigkeit, den Traum in einem grossen Zusammenhang zu
•betrachten.
Lesen wir diese Traumanalyse, die ja richtig sein kann und deren
Auffassung ich nicht bestreiten will, so fällt uns ein merkwürdiger Gegen-
satz in der Darstellung von Maeder auf. Die Träumerin soll mit einem
Rosakleid zu ihrem Manne gehen. Wie der Autor sagt: „mit dem Kleide
der Jugendzeit", also als Kind. Maeder interpretiert aber dies weiter:
„In der Stellung der Gebenden, der Mutter und Gattin." Wie kommt er
zu diesen gegensätzlichen Schlüssen? Sagt der Traum nicht vielmehr:
Gehe zu deinem Manne, aber behalte deine bisherige infantile Einstellung
bei!? Darüber ist sie offenbar glücklich, dass sich nichts in ihrer Ein-
stellung ändern soll, dass sie die Träume der Kindheit beibehalten soll.
Ich finde, dass Maeder seinen Kranken noch zu viel traut, alles
wörtlich nimmt, was sie ihm sagen. Die Kranke sieht in diesem Traume
eine gute Vorbedeutung, eine klare Angabe des zu befolgenden Weges. Dieses
Glücksgefühl nach einer kurzen Besprechung mit dem Arzte ist verdächtig
Fortschritte der Traumdeutung. 557
und wir können mit Recht annehmen, dass der Traum mehr verschweigt,
als M a e d e r ahnt, und dass das Glücksgefühl einer ganz anderen Quelle
entspringt.
Ich will nun zeigen, dass wir diesen Traum ganz anders auffassen
können, ja sogar anders auffassen müssen, wenn wir die Psyche der Kranken
genau kennen. Mae der misst seiner orientierenden Besprechung zu viel
Wert bei. rio rasch ändern sich die Einstellungen der Kranken nicht! Sie
macht sich Vorsätze . . .; aber wie oft hatte sie sich vorher schon vor-
genommen, das Leben auf eine andere Basis zu stellen?
Im Mittelpunkte der Krankengeschichte steht das Verhältnis der
Frau zu ihrem Manne. Wir erfahren, dass er ihr überlegen ist, dass sie
vor ihm Angst empfindet; sie will sich beim Arzte Kraft holen, um gegen
(wohlgemerkt gegen!) ihren Mann vorgehen zu können. Dieser Mann
drückt ihr Persönlichkeitsgefühl, er macht sie zur Null und sie . . . liebt ihn
nicht. Sie sagt es wohl, dass sie ihn liebe und verehre! Aber wie oft
habe ich solche Aussprüche in den ersten Stunden gehört? — Und dann
kam der Pferdefuss zutage : Der Hass und die Abneigung gegen den Mann !
Eine wirkliche Liebe überwindet alles ! Sie unterwirft sich, sie anerkennt
die Grösse des Mannes, sie überschützt sie und kommt seinem Herzen nahe.
Diese Frau aber leidet an Depressionen, an Phobien und Todessehnsucht
und hat Selbstmordideen. Ich habe wiederholt betont: Der Selbstmord
ist die Poena talionis für Todeswünsche, die man gegen andere hegte.
(Siehe die Diskussion über den Selbstmord. Heft 1. Verlag von J. F. Berg-
mann, Wiesbaden.) Diese Frau leidet unter ihrem Manne und wünscht ihm
den Tod. Nur sein Tod könnte diese Ehe lösen und sie selbständig machen,
sie einer ihr unbekannten, nur dunkel geahnten Zukunft zuführen. Hätte
Maeder vorsichtig weiter geforscht, so wären die Beseitigungsideen dieser
Frau, ihre unglückliche Liebe schon zutage getreten. Nun zur Traum-
deutung. Wir wissen, dass die Anwesenheit von Toten im Traume immer
eine besondere Bedeutung hat. Sie sind Todesboten, wie ich in der
Sprache des Traumes wiederholt nachgewiesen habe. Die Toten im Traume
künden den Tod. Nun könnte man glauben, dieso.iTote künde ihr ihren
eigenen Tod und erfülle so ihre Todessehnsucht. **Dem widerspricht der
manifeste Trauminhalt. Es ist auch nicht der Sinn des Traumes. Ich würde
den Traum so analysieren:
„Meine Tante erschien mir im Traume und prophezeite mir den
baldigen Tod meines Mannes. Sie sagte es mir bestimmt (dezidiert) vorher
und sprach mir liebenswürdig und aufmunternd Trost zu: Du brauchst
diesen Tod nicht so schwer zu nehmen. Du brauchst keine Trauer-
kleider, nimm dein Rosakleid, werde wieder frei und
unabhängig.
Das ist die Tragödie der Frau, welche einen Mann hat, der eine
Herrschernatur ist. Sie wünscht sich von diesem Manne zu befreien und
der Tod ist der Erlöser. Das Glücksgefühl, das verdächtige Glücksgefühl
stammt also aus einer ganz anderen Quelle:
Du brauchst dir aus den Reden und Ermahnungen
des Arztes nichts zu machen. Du bist dieser Aufgabe
nicht gewachsen, aber der Tod deines Mannes wird dich
von dieser Aufgabe befreien!
Ich wäre mit der Analyse dieses kleinen Traumes zu Ende: Ich habe
sie • nur ausgeführt, um zu beweisen, dass Traumanalysen a lä M a e d.e -r
Zentralblatt fUr Psychoanalyse. IV ,l /»*. 37
558 ^r. Wilhelm Stekel,
gar nichts beweisen. Ich habe zeigen wollen, dass jeder aus dem Traume
lesen kann, was er kann und was er will. Es fragt sich, ob die innere-
Wahrscheinlichkeit für die eine oder andere Deutung spricht. Ich glaube nun,
dass die innere Wahrscheinlichkeit in dieser letzten Traumanalyse für
mich spricht.
Auf solche Deutungen kann man noch keine neue Theorie des Traumes
stützen. Die Herren machen jetzt das, was sie mir immer vorgeworfen haben.
Sie tragen ihren eigenen Geist in die Analyse hinein!
Ich meine, die alten Symbolforschungen bestehen zu recht und auch
die Art der Analyse, die Einfälle des Träumers zu befragen, hat ihre Be-
deutung nicht verloren, wenn sie kritisch angewendet wird. Alles was ich
in der Sprache des Traumes über die Sexualsymbole gesagt habe, behält
seine Richtigkeit. Wenn meine neuen Traumanalysen nicht das gleiche
Material enthalten, so kommt das daher, dass mich jetzt die funktionale
Deutung mehr interessiert als die materiale (um mit unserem trefflichen
Silberer zu reden), der ja in seinen Arbeiten selber zugibt, dass ich
viele Träume funktional gedeutet habe, ehe seine Arbeiten erschienen
sind, einfach aus meinem Instinkt für das Wesen des Traumes heraus.
Es ist daher lächerlich, wenn mir Kritiker das vorwerfen, was eben meinen
Fortschritt ausmacht. So sagt Bruno Saaler in einer Kritik (Zeitschrift
für Sexualwissenschaft) über meine Arbeit über den Fetischismus. „Bisher
her war mau gewohnt, dass die Psychoanalyse mitunter harmlosen Dingen
einen sexuellen Sinn unterschob; jetzt liest mans umgekehrt." Das be-
weist mir, dass Saaler noch nicht den Sinn meiner Arbeit erfasst hat.
Wenn ein Patient 14 Monate lang analysiert wird und täglich seine Träume
erzählen muss, dann macht es ihm eine grosse innere Freude und ver-
schafft ihm einen Triumph, sich über den Arzt lustig zu machen. Er
kann ihm dann Sexualsymbole auftischen, die keine sind, sondern nur
der Tendenz dienen, den Arzt zu entwerten und herabzusetzen, die eigene
Überlegenheit ins rechte Licht zu setzen. Und zweitens ist eben alles in
der Neurose doppelt geartet. Früher haben mich die Sexualsymbole inter-
essiert. Jetzt gehen meine Interessen in der entgegengesetzten Richtung.
Ich suchte früher das Unmoralische hinter dem Moralischen, jetzt suche
ich das Moralische hinter dem Unmoralischen. Und das muss ich näher
begründen.
Wir engeren Freudschüler waren gewohnt, die Ursachen der Neurose
immer in der unterdrückten Sexualität zu suchen. Ich habe diese Ansicht
bald verlassen und schon in meiner ersten Arbeit über Psychoanalyse der
kleinen Broschüre „Die Ursachen der Nervosität" (Verlag Paul Knepler,
1907) mich dahin geäussert, die Ursachen der Neurose seien in drei Punkten
zu suchen: 1. der grossen Empfindlichkeit der Neurotiker, 2. in der Ver-
drängung, 3. in einem psychischen Konflikte, der meist ein Konflikt zwischen
Trieb und Hemmung sei.
Dieser weiten Fassung kann ich auch heute nichts hinzufügen. Ich
glaube nicht an die Minderwertigkeit, auf die Adler so grossen Wert
legt, ich glaube nur an ein überstarkes Triebleben (Rückschlagserscheinung)
als disponierendes Moment für die Neurose.
Während ich ursprünglich die Fälle herausfand, in denen die Sexu-
alität verdrängt wurde, wurde es mir sehr bald möglich, einen anderen
Typus herauszufinden : den amoralischen, scheinbar amorali-
Fortschritte der Traumdeutung. 559
sehen, areligiösen Menschen, der seine Moral und seine
Frömmigkeit verdrängt.
Es ist genau der entgegengesetzte Typus, wie ihn Freud beschreibt.
Man sieht, das Wichtigste bleibt erhalten: die Verdrängung, der
Konflikt zwischen Trieb und Hemmung.
Dieser Typus interessierte mich viel mehr, weil er der interessantere,
verstecktere und seltenere ist. Zuerst gelang mir der lückenlose Nachweis
der verdrängten Religiosität an den Fällen von Fetischismus, die ich zu
untersuchen Gelegenheit hatte *). Später lernte ich eine Menge von solchen
Neurotikern kennen. Naturgemäss hat mich diese Art von Traumanalyse
mehr interessiert. Deshalb sehe ich jetzt das verdrängte Religiöse und
Moralische, während ich früher das Sexuelle gesehen habe. Das heisst, ich
sehe auch jetzt das Sexuelle und mehr als alle anderen Kollegen, weil
mir ein überreiches Material von Neurotikern aller Kategorien zuströmt,
aber ich publiziere diese Dinge nicht mehr. Schliesslich wird die Wissen-
schaft durch die Aufdeckung einiger neuer Phallussymbole nicht weiter
gebracht, während die Kenntnis der verdrängten Religiosi-
tät, während die Aufdeckung von Widerstandsträumen
uns um ein tüchtiges Stück vorwärts rückt.
Das an die Adresse des Kollegen S a a 1 e r und vieler anderen
Kollegen, welche mich nicht mehr zur Psychoanalyse rechnen, wie z. B.
Theodor Reick, weil ich nicht die ausgetretenen Pfade wandle und
weil "ich nicht alle Aussprüche Freud's als unumstössliche Wahrheilen
ansehe
Es gibt aber auch Mischtypen. Menschen, welche zugleich das
Religiöse und das Sexuelle verdrängt haben, und echte Kompromissnaturen
von beiden Strömungen, welche nur einen Teil ins Bewusstsein fliessen
lassen. Diese werden Träume von beiden Typen geben, und zu diesem
Typus zählt das Gros der Neurotiker. Doch der andere Typus kommt auch
vor und sogar in Reinkultur. Oft in einer von einem Psychoanalytiker ge-
züchteten Reinkultur. So behandle ich jetzt eine Dame, welche an Platz-
angst leidet, von Schwindel und Erbrechen lebensunfähig gemacht wird.
Sie hat sich durch eine Reihe von Männern durchgeliebt und macht sich
scheinbar kein Gewissen daraus, den Mann und den Geliebten zu betrügen.
Sie lebt ihre sexuellen Triebe in jeder Hinsicht aus. Und trotzdem die
Phobie? Was fürchtet sie, wenn nicht die Sünde? Ich habe schon in der
II. Auflage meiner Angstzustände in dem Kapitel „Die Psychologie der
Furcht" ausgeführt, dass alle Menschen die Strafe Gottes fürchten. Auch
diese Kranke fürchtet die Strafe Gottes. Kollegen könnten sagen: Sie
lebt sich doch nicht aus. Sie verdrängt die Homosexualität. Nein, diese
Frau ist sich auch ihrer Homosexualität bewusst und hatte schon einige
homosexuelle Verhältnisse. Sie verdrängt die Religiosität, und das will ich
bald an einigen Träumen demonstrieren.
Oder ein anderer Fall! Ein Mann, der unzählige Mädchen verführt
hat, der eine ganze Anzahl von Frauen als Geliebter zugleich besitzt,
der' auch homosexuelle Verhältnisse hat. Er ist sehr schön, ein Weltmann
von gewandten Manieren, sehr reich, alle Frauen fliegen ihm zu. Er hat
schon ein halbes Dutzend Mädchen defloriert. Woher seine Schlaflosig-
keit, seine Angst, seine Unfähigkeit zur Arbeit. Ist er fromm? Er kann
l) .Zur Psychologie und Therapie dea Fetischmua'. Dieser Jahrgang dieses
Blattes.
37*
560 Dr. Wilhelm Stekol,
es doch nicht sein, denn er erzählte mir während der Behandlung, er habe
in einer Kirche eine Kohabitation vollzogen. Der Rückschlag bleibt auch
nicht aus. Nach einer solchen frechen Tat, mit der er sich seine religiöse
Unabhängigkeit beweisen will, folgt ein neurotischer Katzenjammer, der
das Gegenteil beweist. Seine Träume zeigen den bekannten Prüfungs-
charakter, zeigen ihn immer als Frömmling, der die Strafe Gottes fürchtet.
Seine Neurose ist die selbst diktierte Strafe. . . .
Er träumt:
„IchsollinReligiongeprüftwerdenundbingarnicht
vorbereitet. Der Lehrer hält ein dickes grosses Buch,
in dem alle meine schlechten Noten eingetragen sind.
Ich erwache mit Angst und Herzklopfen."
Ebenso tritt die Angst bei Gewitter ein und ein trüber Tag bringt
ihn zur Verzweiflung. Die Hypochondrie, die Angst vor verschiedenen
Krankheiten, vor Operationen zeichnet diesen Typus aus. Jede Krankheit
ist eine Gefahr, in der ihn Gott in der Hand hat und ihn bestrafen kann.
Solche Menschen sind feig und vermeiden Gefahren, als wollten sie es
nicht darauf ankommen lassen, die höheren Mächte herauszufordern. Dass
sie abergläubisch sind, ist selbstverständlich.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf die grosse Bedeutung von
längeren Krankheiten für das Zustandekommen der Neurose resp. für deren
Ausbruch sprechen. Ich werde dieses Thema einmal ausführlich behandeln.
Aber eines möchte ich schon heute sagen. Während der Krankheit haben
Menschen, die sich sonst sehr viel beschäftigen und ablenken, sehr viel
Zeit, über sich und ihr Leben nachzudenken. Es steigen ihnen Probleme
auf und es werden Gedanken bewusst, klar bewusst, die früher im Nebel
des Traumlandes nicht greifbar waren, ihnen immer undeutlich ver-
schwammen. Andererseits gilt die Krankheit als eine Probe. Besonders
Operationen sind solche Proben, in denen man dem Tode ins Auge sieht,
und die Idee einer Verantwortung vor einem höchsten Richter plastisch
vor Augen tritt. Und wie 'oft hört man freisinnige Kranke erzählen, dass
sie vor einer Operation gebetet oder ein Gelübde getan haben, wenn sie in
schwerer Krankheit waren. Not lehrt beten und glauben und macht so,
dass die Konflikte wieder lebendig und aktuell weiden. Auch unser Kranker
wurde erst nach einer Blinddarmoperation so krank, dass er seine Ab-
normitäten und Besonderheiten als Krankheit empfand. .....
Doch kehren wir zur Doppelnatur des Menschen zurück. Die Tendenz,
seine Natur zu verbergen, entweder die fromme oder die sexuelle, muss
im Traume zum Ausdruck kommen. Ich verweise auf den Traum vom
Schaf im Wolfspelze, den ich in meiner Arbeit über den Fetischismus
publiziert habe (S. 151).
Ich will jetzt einige solcher Träume hier anführen. Erst ein solcher
Traum, der uns diese Tendenz mehrfach zeigt.
Die erwähnte Dame, welche eine Messalina war und innerlich fromm,
hat ein Kind zu Hause, an das sie bei Tage niemals denkt. Sie schreibt
nie, was das Kind macht; das Kind ist ihr gleichgültig. Sie will sich
von ihrem Manne scheiden lassen und ihm das Kind gerne überlassen. Sie
ist in der Nähe des Kindes kränker und fühlt sich am wohlsten, wenn sie
recht weit weg von dem Kinde ist, das nach ihrem Ausspruche ein sehr
liebes Kind ist. Sie kränkte sich nie darüber, dass sie das Kind nicht liebt.
Sie dachte, es müsse so sein, weil sie den Mann nicht liebe. Sie hatte den
Fortschritte der Traumdeutung. 561
Mann ohne Liebe geheiratet, ja obgleich er ihr physisch ekelhaft war, weil
es ihr ein Psychoanalytiker Dr. St. geraten hatte, der glaubte, nur die
sexuelle Befriedigung werde sie heilen. Er sagte ihr damals: Und wenn
sie ihr Mann nicht befriedigt, so nehmen sie sich halt einen Liebhaber oder
mehrere Liebhaber! (Solche Analytiker gibt es leider auch!) Nun erlebte
sie das Elend einer solchen Ehe, sie war anästhetisch und setzte alle
Hoffnung auf das Kind. Bald kam das Kind und sie liebte es nicht; im
Gegenteil — sie hassle es. Sie träumt aber in der Behandlung jede Nacht
von dem Kinde :
„Ich sah mein Kind, es sah blassund abgehärmt aus
und faltete beide Hände und sagte: Mein liebes Mutti
komm zu mir!"
In der Nacht erwacht die moralische Natur und zeigt ihr ihre Ver-
worfenheit. Und solcher Träume hatte sie Dutzende. In der Analyse kamen
nun die Hassgedanken gegen das Kind zutage, und wir sprachen gerade
über ihre kriminellen Impulse. Sie wollte dem Kinde etwas antun. Sie
konnte mit dem Kinde nicht allein bleiben, konnte kein Messer ansehen.
Wenn sie das Kind liebkoste, durchzuckte sie der Gedanke: Das kleine
Wesen ist in deine Hand gegeben, du könntest es erdrücken. Ein Druck
um den zarten Hals, und das Kind ist hin. Sie wollte mit ihm nicht im
Bette liegen aus Angst, sie könnte das. Kind erdrücken. Sie dachte beim
Trinken des Kindes: Es sollta — nein es könnte jetzt ersticken, du bist
frei und lässt dich von deinem Manne scheiden. Die Folge dieser Gedanken
waren Atemnot, ein Erstickungsg^fühl, ein Knödel im Halse. Dieser Globus
hystericus wurde von S a d g e r als der Phallus gedeutet, als eine Phantasie
einer Fellatio und Freud hat diese Deutung akzeptiert. Es mag ja manch-
mal so sein. Ich habe immer wieder konstatiert, dass die Hysterischen
diesen Globus produzieren, wenn sie einen „bösen" Gedanken nicht be-
wältigen können. Ein Kranker sagte mir über einen solchen Gedanken :
Der Knödel sass mir einige Monate im Halse, dann habe ich ihn doch
hinuntergewiirgt.
Der Globus ist der hysterische (symbolische) Aus-
druck, dass es den Kranken nicht gelingen will, einen
bestimmten Wunsch zu unterdrücken, eine bestimmte
peinliche Vorstellung zu verdrängen!
Diese Kranke träumt in der Analyse während der ihr sehr pein-
lichen Auseinandersetzungen über die Beseitigungsideen dem Kinde
gegenüber :
„Im Walde habe ich ein Tier getötet. Als ich den
Jäger sah, fürchtete ich mich vor ihm sehr. Ich zog
schnell dem Tiere das Fell ab und wollte es in die Erde
begraben. Ich konnte aber nicht so schnell eine Grube
scharren. Da fiel mir ein, das Fell einfach umzukehren
und die andere Seite zu verwenden. Ich tat es auch und
zog mir den Mantel an, es war ein schöner weicher Her-
melin. Der Jäger merkte dann nicht, was ich getan habe. . .
An diesem Tage wollte sie mir in der Analyse plötzlich weis-
machen, dass sie das Kind schrecklich geliebt habe. Der Traum sagt aber,
wenn man den nach der Wahrheit suchenden Arzt als Jäger auffasst:
Ich habe ein wildes Tier in mir, ich wollte es überwinden und meine
Kriminalität verdrängen, das gelang mir nicht, also spiele ich die un-
562 Dr. Wilhelm Stekel,
schuldige und liebende Mutter. (Der Mantel als Symbol der Hülle und der
Liebe I) Ich will dem Arzte nicht gestehen, dass ich ein Tier in mir trage.
Ich habe es getötet Der Traum zeigt auch die prospektive Tendenz,
von der Maeder spricht: Ich will das Tier überwinden, dem Kinde eine
gute Mutter werden. Wenn der Tod kommt (der Jäger als Symbol des Todes
und Richters!) und ich mich zu verantworten habe, will ich rein dastehen.
Der Traum nimmt aber diese Zukunft als Gegenwart an. Man kann der
Dame schon heute sagen, nach Kenntnis ihrer moralischen Tendenzen,
dass die Neurose nie heilen wird, wenn sie das Kind verlässt und ihre
Mutterpflichten nicht erfüllt.
Zwei andere Träume derselben Kranken lauten:
„Ein blühender Apfelbaum, wo jemand recht wild
Äste heruntergerissen hat, ohne zu denken, dass aus
den Blüten Obst werden kann. Ich habe mir auch zwei
Stämme davon abgerissen und habe überall geschaut,
ob nicht ein Wachmann kommt, der mich dabei erwischt.
Denn es stand eine Tafel: Das ist verboten! Ich nahm
die zwei Blüten, warf sie jemanden, derdort sass, in den
Schoss und bedeckte sie mit einem schmutzig.en stinken-
den Fetzen (ein Abwaschtuch). Wenn der Wachmann
kommt, so fällt die Schuld nicht -auf mich und er sieht
es vielleicht nicht."
„Dann ass ich von einem Kirschenbaum. Es war eine
einzige Kirsche oben. Ich dehnte mich, um die eine zu
erwischen und ass sie auf. Da kam ein sehr dicker Mann,
breit und rot, wie die Weinbergsarbeiter, und sagte: Ich
bin der Besitzer, was haben Sie gemacht? Ich hob die
Hände auf undbat:Ichbittetun Sie mit nichts. Er hatte
schon die Hand ausgeholt und wollte mir eine tüchtige
Ohrfeige geben. Wie er mich bitten gesehen hatte, er-
barmte er sich und streichelte mich."
Nachtrag :„EigentlichhabeichdreiKirschen gestohlen
und den Besitzer des Weinberges betrogen. Ich hatte
drei Kerne in der Hand und zeigte ihm nur einen Kern,
so dass er bald versöhnt war. Meine Sünde aber war viel
grösserl"
Sic ist eine wilde lebenslustige Frau, die gar keine Hemmungen
kennt. So hat sie schon zweimal einen Abortus an sich vollziehen lassen.
Als die Menstruation einige Tage ausblieb, sagte sie mir: Ach, aus dem
mache ich mir nichts ! Ich lasse mir wieder eine Auskratzung machen !
Doch der Traum zeigt wieder ihr moralisches Gewissen. Es gibt ein Auge,
das uns bewacht und alles sieht. Der Wachmann ein Symbol der. Ge-
rechtigkeit und Gottes! Es gibt Tafeln, die sagen: Es ist verboten. Sie
hat es trotzdem getan und will sogar Gott betrügen. Sie deckt (ganz ver-
kehrt wie in dem vorigen Traume) die weissen Blüten mit einem schmutzigen
Tuche zu. Sie ist scheinbar schmutzig, ein verworfenes Weib,
aber innerlich rein und fromm und weiss. Sie schreibt die Ver-
antwortung für den Vorfall einem anderen Weibe, ihrer Schwester zu,
die sie zu diesem Lebenswandel gebracht hat. Die Schwester ist der
schmutzige Fetzen, der ihre Sünden decken soll. Die zwei Blüten — die
Symbole für die Embryonen!
J
Fortschritte der Traumdeutung. 563
Im dritten Traume jedoch will sie nur die Sünde an dem einen
Kinde zugeben. (Eine Kirsche!) Die beiden anderen Kerne (die beiden
Abortusse) will sie verbergen. Die Strafe wird sich in eine Liebkosung
verwandeln. Es gelang ihr oft, den zürnenden Gatten und den jäh-
zornigen Geliebten so zu besänftigen, dass die erwartete Strafe sich in
eine Liebkosung verwandelte. Sollte es ihr nicht gelingen, den obersten
Richter milder zu stimmen? Weitere Bedeutungen, die sich auf den Arzt
und den Vater beziehen, will ich übergehen.
Es zeigt sich in allen diesen Träumen die spielerische Tendenz, um
die Schuld herumzukommen und sie mit der Hilfe der Neurose zu mildern.
Ich habe schon an anderer Stelle ausgeführt, dass die naive Logik dieser
Kranken lautet: Lieber Gott, ich habe so viel gelitten und war so schwer
krank. Du wirst mich doch nicht strafen wollen ! Deshalb leiden diese
Kranken an der Angst vor der Freude, es darf ihnen nicht gut gehen, sonst
wird Gott sie sofort bestrafen. Sie sind Sünder und müssen leiden, oder
zum mindesten den Leidenden spielen. Die Neurose dient dazu, ihre
Überlegenheit über Gott zu beweisen
Alle diese Träume zeigen aber die Tendenz, vor dem Arzte etwas
zu verbergen. Denn der Arzt ist der Jäger, der Wachmann, der Weinbergs-
besitzer. Er verfolgt die Gedanken wie ein Wild, er behütet die Frau wie
ein Wachmann und forscht nach ihren Verbrechen, er macht ihr Vorwürfe,
sie hätte Verbotenes getan. Wir wissen, wie oft der Arzt die Rolle des
Vaters spielen muss, wie ihm in der Übertragung die sonderbarsten
Stellungen übergeben werden. Seine Familie kommt in den Kreis der Be-
trachtungen der Kranken, und die verbotenen Früchte holt sich die Kranke
auch in meinem Hause. Es ist mein Sohn, der es ihr angetan hat und mit
dem sie sich für die Kälte des Vaters rächt.
Ich komme immer mehr und mehr zur Überzeugung, dass es für uns
das Wichtigste ist, nach den Beziehungen des Traumes zur
Analyse zu forschen. Wie stellt sich der Träumer zum Arzte?
Das ist die erste Frage. Diese entscheidet über vieles. . . .
Ich beschäftige mich jetzt therapeutisch mit einem Falle von Zyklo-
thymie. Ich stelle die Prognose sehr schlecht, weil die Kranke jede Nacht
träumt, dass sie noch krank ist und dies der Mutter mitteilt. Ja sie träumt
sogar, dass es schon einige Monate nach der Behandlung ist, und dass
sie trotzdem krank ist und dies der Mutter mitteilt. Hier sehen wir deutlich
die Tendenz, die Krankheit festzuhalten gegen die Beeinflussung des Arztes.
Die Neurose äussert sich in einem heftigen Magenschmerz, während dessen
die sehr lebenslustige übermütige Kranke, die sonst immer verliebt ist
und nur von der Liebe spricht, den Sinn für die Liebe ganz verliert. Sie
kann nur an die Krankheit denken. Wir sehen, die Krankheit hat eine
wichtige ' Funktion, die Tugend zu schützen. Sie erfüllt einen Wunsch
der Mutter, welche dem Mädchen immer predigte, sie solle diese verliebten
dummen Gedanken lassen, es wäre eine Sünde. Nun folgt sie der Mutter.
Während des Magenschmerzes, der wie so häufig die Sprache des bösen
Gewissens darstellt, macht sie sich Vorwürfe wegen ihrer erotischen Ge-
danken, glaubt, dass es eine Sünde War und will sich das Leben nehmen.
Ich rede ihr freundlich zu; eine Psychoanalyse ist unmöglich, weil sie kein
Eindringen auf die hinter den Kulissen des Bewusstseins agierenden Kräfte
zulässt. Aber sie wird besser, nimmt sich vor, sich zu beherrschen und
zu überwinden. Allein jede Nacht erzählt sie einen anderen Traum, der sie
564 Dr. Wilhelm Stek-el,
in der Situation der ungeheilten Krankheit nach der Kur zeigt. Sie gesteht
dann, dass sie einmal gebetet habe: Lieber Gott, gib mir die Kraft,
die Krankheit zu überwinden und wieder gesund zu sein. Aber nur ein
einziges Mall
Sonst betet sie täglich : Lieber Gottl Gib mir die Kraft, die
Krankheit weiter zu ertrage nl
Diese Kranke weinte in der ersten Ordinationsstunde und flehte um
Befreiung von ihrem Leiden. Schon der erste Traum orientierte mich über
die unüberwindlichen Widerstände 1 ), Sie straft mit dem Leiden sich und
die Mutter. Um diese Widerstände des Analysierten zu erkennen, muss
man" das Wesen der funktionellen Symbole ausserordentlich fein diagnosti-
zieren können. Hier versagt der Einfall des Kranken und es triumphiert
der Scharfsinn des Arztes.
Ich habe in den letzten Arbeiten eine Menge Hei träge zur Symboli-
sierung der Seele und zur Darstellung der Kur und des Widerstandes ge-
geben. Ich will noch einige Beispiele anführen.
Sehr wichtig ist die Kenntnis des Wassers als Symbol der Seele 2 ).
Eine ganze Reihe funktionaler Symbole befassen sich mit den ver-
schiedenen Strömungen in der Brust und dem Unterschiede zwischen he-
wusstem und unterbewusstem Denken. So träumt eine Dame:
„Ich sehe einen breiten Strom mit verschiedenen
Strömungen. Die eine geht hinauf, die andere hinunter.
Ich glaube, es ist noch eine dritte Strömung da. An der
Oberfläche sieht man nur ein Wasser."
Es sind die verschiedenen Strömungen in ihrer Brust, die sie so
symbolisiert. (Ähnliche Beispiele: „Die Sprache des Traumes".)
Ein an einer Depression leidender Student träumt:
„Ich befinde m ich in einem merk würdigen doppelten
T u r n z i m m e r. Während oben vorgetragen wird, wird
untengeturnt. IchsucheeinPlätzchen, woiehdem Vor-
trag ruhig folgen kann u s w."
Während das Bewusstsein allerlei gute Lehren in der Analyse ver-
nimmt und den Ausführungen des Arztes lauscht, führen die neben-
bewussten Gedanken einen ganzen Reigen auf. Die erotische Bedeutung
des Traumes ist durchsichtig und entspricht einer Überdeterminierung.
Hier haben wir das Verhältnis „Oben" und „Unten" als Bewusstsein
und Unterbewusstsein.
Es kommen aber auch andere Relationen und Lokalisationen vor.
So träumt ein Student in der Kur:
„Ich befinde mich im Gespräche mit einem Herrn,
ichglaube, esisteinProfessor. Wirsprechen ineiner Art
Glasveranda, die wie ein Anbau zu einem grossen Salon
konstruiert ist. Ich denke: Warum halten wir uns hier
draussen auf und gehen nicht in das Innere des Salons
hinein. Aha dachte ich: Die Glasveranda ist hell be-
beleuchtet, der Salon ist dunkel "
i) Unterdessen ist es mir doch gelungen, tiefer zu kommen und einige
wichtige innere Zusammenhange aufzudecken. . . . Aber nach einem ganz neuen
Verfahren.
2) Vergleiche meine Arbeit »Fortschritte der Traumdeutung". Dieses Zentral
blatt 1913.
Fortschritte der Traumdeutung. 565
Wir sprechen über Dinge, die ihm bekannt und bewusst sind. Neben-
her gibt es noch andere Fragen zu besprechen, auf die wir nicht kommen.
Wir sind noch immer im Vorzimmer des Komplexes. Ich sehe nur das, was
durchsichtig ist (Glasveranda), das was im Dunkel liegt, das sehe ich nicht.
Wir sehen hier wie im vorigen Traume nur Beziehungen zum Arzte, die
sich auf die Psychoanalyse beziehen. Wir sehen, dass hier die Relation
oben und unten nicht im Sinne Adlers aufgefasst werden kann. Sie
kann noch einen sexuellen Sinn haben, der ja den meisten Träumen eigen ist.
Die Aufgabe der Analyse ist es aber, zuerst den Traum in den Beziehungen
zum Arzt zu werten. Der erste Traum wirft dem Arzt vor, dass er ober-
flächlich ist, der zweite gesteht, dass die Gedanken turnen (sich in anderer
Richtung bewegen), während der Arzt vorträgt, und der dritte sagt klipp
und klar: Du weisst noch das Wichtigste nicht.
Nun wenden wir uns zu einem anderen Traum:
„In einem Museum treffe ich meinen früheren Lehrer
Prof. v. Niesson, der gerade das Modell des Frahm sehen
Schlingertanks (sehr rasch) in Bewegung setzt. Ich er-
innere mich, dass ich kürzlich bei einem Glase Wasser
beobachtet habe, wie bei raschen Hin- und Herbeweg-
ungen plötzlich doch eine Pause in der Bewegung des
Wassers eintritt. Fürchte also ein Versagen bei kurzen
Wellen. Dann fällt mir ein, dass Wellenbewegung und
Schiffsbewegung doch zweierlei sind, analog den Ein-
drücken und ihrer Einwirkung auf die Psyche."
Dieser Traum wäre kaum zu erklären, wenn man keine Kenntnis
von der funktionellen Darstellung der Neurose im Traume hätte. Ferner
wird der Traum durch die Vorfälle des Vortages und die Krankengeschichte
erschöpfend erklärt. Dieser Kranke leidet an nächtlichen Anfällen, in
denen er von einem Einbrecher überfallen wird und sich gegen ihn voll
Wut zur Wehre setzt. Also ein Pavor nocturnus, der von den meisten (seiner
Ärzte als ein epileptisches Äquivalent oder als reine Epilepsie aufgefasst
wurde. Der Träumer wacht auf und träumt mit offenen Augen weiter. Oder
er hat eine Halluzination mit offenen Augen. Er sieht in Türrahmen oder
vor seinem Bette einen Mann, der ihn bedroht, auf ihm kniet oder nach
ihm stechen will. Dann haut er mit der Faust nach diesem Manne, schlägt
gegen die Wand oder gegen das Bett (sprang sogar schon aus dem Fenster 1).
Er fürchtet auch, dieser Mann könnte seine Mutter bedrohen, und begibt
sich manchmal im Anfall in das Zimmer der Mutter, die er im Traume
auch bedroht haben soll.
Er befindet sich einen halben Monat in meiner Behandlung und hält
an dem Glauben fest, er würde ganz gesund werden können, wenn er nur
mit einem Mädchen sexuell verkehren könnte. Der 23 jährige, sehr kräftige
Mann lebt bis auf spärliche Onanieakte abstinent. Alle Versuche, mit
einem Mädchen zu einem Verhältnis zu kommen, misslangen. Das heisst,
er .arrangierte" die Beziehungen so, dass sie misslingen mussten. Er
benahm sich so tölpelhaft, obwohl er ein sehr kluger Kopf ist, dass die
Mädchen ihm abschrieben, oder seine Aggressionen waren so lahm, dass
sie auf die obligaten Widersprüche der Mädchen bald in j^ich zusammen-
fielen. Es verriet sich die Tendenz, keusch zu bleiben und allen Gefahren
des Lebens auszuweichen. Er berechnete bei jedem eVsten Schritte alle
Möglichkeiten und sah nur die schlimmsten. Er sah sich als Vater eines
56G Dr. Wilhelm Stekel,
Kindes in Alimentationsprozesse verwickelt, er sah sich infiziert, sterbens-
krank, rückenmarksleidend, enterbt, er sab sich verliebt und in der Gewalt
eines leichtsinnigen ungebildeten Mädchens, das er heiraten musste. Kurz
er hatte alle Ursache, sich gegen diese schrecklichen Folgen zu , .sichern"
und seine vermeintliche Impotenz war die beste Sicherung gegen alle zu
erwartenden Niederlagen. Deshalb konnte er kein Verhältnis finden. Er
wich dem Verhältnis aus.
Dieser Kranke überraschte mich mit der Mitteilung, dass er heute ein
Rendezvous verabredet hätte. Ich hatte ihm abgeraten, während der Be-
handlung irgendwelche Schritte zu tun. Aber wir kennen ja die Tendenz der
Neurotiker, durch Aktualitäten sich von der historischen und präsenten
Betrachtungsweise der Neurose abzulenken, sich am Arzte durch eine
anderweitige Liebe zu rächen und sich nach einem bestimmten Plane,
der vom Plane des Arztes abweicht, zu rächen.
„Ich kann Ihnen schon prophezeien, dass dies Rendezvous nicht
zustande kommen wird."
„Warum denn? Das Mädchen versprach bestimmt zu kommen."
„Ja — aber Sie werden schon irgend etwas machen, so dass das
Rendezvous nicht zustande kommt."
„Wie macht man das?"
„Sehr einfach. Man irrt sich bezüglich- der Zeit und des Ortes. Man
kommt an einem anderen Tage oder zu einer anderen Stunde. Sie wissen
ja, wie trügerisch das Gedächtnis ist. Ich könnte jede Wette eingehen,
dass Sie nicht die Adresse des Mädchens kennen, im Falle das Rendezvous
nicht zustande kommt."
„Ich habe einen Moment lang daran gedacht, den Namen und die
Adresse des Mädchens, das mir sehr gut gefiel, zu erfragen. Aber ich
dachte mir: sie kommt ganz sicher und meiner war ich auch sicher."
„Haben Sie die Stunde und den Tag notiert?"
„Ich bin zwar sehr zerstreut, aber ich war meiner Sache sicher."
„Nun, ich glaube, dass Sie schon nicht mehr den Tag und die Stunde
genau wissen, dass sie an einem falschen Orte warten werden."
„Ausgeschlossen" meinte der Kranke.
Ich konnte diese Behauptung aus Erfahrung aussprechen. Denn ich
kannte ähnliche Fälle, in denen kein Rendezvous zustande kam oder das
Verhältnis ging — .noch ehe es begonnen wurde — in Brüche. Plötzlich
entdeckt der Patient in dem Objekte seines Begehrens einen verdächtigen
Ausschlag, oder einen unangenehmen Geruch, er erfindet Hemmungen, um
sich sagen zu können, er wollte, aber er hätte Pech gehabt. Wieder einmal
nur Pech
Unser Jüngling wartet auch bei seinem Rendezvous vergeblich auf
seine Schöne, ist dann so wütend, dass er sich oder anderen etwas antun
könnte, und träumt dann zu Hause den vorstehenden Traum.
Zu dem Traume fällt ihm folgendes Material ein : Am Vortage spielte
er mit einem Glase Wasser, das nur halbgefüllt war. Er Hess die künst-
lich erzeugten Wellen hin und herfliessen und bemerkte, dass dann plötz-
lich ein Moment kam, in dem sich das Wasser beruhigte und scheinbar still
stand. Der Professor v. N. war sein liebster Lehrer. Er hatte für ihn grosse
Sympathie und lernte für ihn so gerne, dass er in seinen Fächern sogar
belobt wurde, obwohl er sonst kein sehr guter Schüler war. Ein Schlinger-
tank ist ein Apparat, der dazu dient, die schnellen schaukelnden Be-
Fortschritte der Traumdeutung. 567
wegungen des Schiffes zu hindern und eine gewisse Sicherheit des
Ganges zu gewährleisten. Dieser Apparat verhindert die See-
krankheit. Er besteht aus einem System von kommunizierenden Röhren,
die mit Wasser gefüllt sind. Beugt sich das Schiff auf die linke Seite, so
läuft das Wasser nach rechts und stellt so das Gleichgewicht des Schiffes
wieder her. Solche Apparate wurden ihm demonstriert und er sah auch
ein Schiff, dem dieser Schlingertank eingebaut wurde. Der nächste Ein-
fall war sehr merkwürdig: Es kränkt mich, dass ich eigentlich so wenig
von Weberei verstehe. Man müsste eigentlich wissen, wie das zugeht."
Nun gibt es in der Weberei auch ein Schiffchen, das hin- und her-
geht und das Gewebe spinnt. Ich erkenne sofort, dass es sich um das Ge-
webe der Neurose und der Gedanken handelt, und so kommen wir auf die
funktionale Deutung dieses Traumes, die ohne Hilfe des Arztes niemals
möglich wäre
Das Museum ist ein sehr häufiges Symbol des Gehirnes,
der Seele, das wie ein Museum alte Erinnerungen aufbewahrt. Der Museums-
wächter ist dann das Bewusstsein. Ich werde bald einen ähnlichen Traum
erklären. Er hat in seiner Psyche einen Sicherheitsapparat ein-
gebaut, der die zu grossen Schwankungen der Psyche und seines Ich ver-
hindert. Eigentlich die Schwankungen des Körpers, denn das Schiff sym-
bolisiert hier den Körper, die Physis, das Triebleben, das Materielle.
Ich bin der Lehrer, der seine ganze Psyche in Aufregung bringt und (der
Lehrer des Traumes unterrichtete Geschichte) durch die retrospektive Be-
trachtung seines Lebens Triebe entfessele, die bisher gebändigt waren. Der
Schlingertank funktioniert nicht mehr so exakt, er kann die raschen
Schwingungen seiner Affekte nicht mitmachen. Die Stabilität seiner Seele
ist gefährdet, gefährdet durch das Verlangen seines Körpers, sich mit dem
Mädchen einzulassen. Er fürchtet, seineSicherungenkönnten
nicht genügen. Er könnte einen Moment lang nachgeben und wäre
dann verloren. So stand ja auch das Wasser im Glase eine Sekunde lang
still. Wenn der Schlingertank nicht funktioniert, legt sich das Schiff auf
die Seite, die Bewegungen werden stark; d. h. er könnte dann koitieren,
was durch die Schaukelbewegungen des Schiffes wunderbar symbolisiert
wird. Er fürchtet ein Versagen bei kurzen Wellen. Das heisst, die Schwin-
gungen seiner Psyche gehen sehr weit. Er denkt das Schlimmste voraus,
würde er nicht so weit gehen in seinem Vorherdenken, würde der
Sicherheitsapparat einen Moment lang langsamer funktionieren, so wäre
er verloren Dann fällt ihm auf, dass die Wellenbewegung
und Schiffsbewegung doch zweierlei sind, analog den Eindrücken und den
Einwirkungen auf die Psyche. Das erklärt den letzten dunklen Rest des
Traumes. Es ist ein unglückliches Doppelwesen. Sein Körper (das Schiff)
und seine Seele (die Wellen — eigentlich sein Denken und Fühlen) wirken
ganz verschieden ein. Der Körper verlangt Betätigung der
Triebe, die Psyche begehrt, ja fordert sogar Keuschheit.
Die wichtigste Ursache der Neurose erfahren wir aus folgender Tat-
sache. Er hat einen älteren Bruder, der entgleiste, mit den Gesetzen in
Konflikt kam und der nach Amerika auswanderte. Er ist verschollen. . . .
Aber dieser Bruder wirkte auf ihn wie ein Memento. Er hatte sich in der
Jugend zugeschworen, nicht so zu werden wie der Bruder. Er wollte
nicht vom rechten Wege abweichen. (Dieser Kranke beschwert sich, dass
in Wien die Leute nicht richtig gingen. Sie wollten alle links gehen,
568 Dr. Wilhelm Stekel,
und das Gefühl sage einem, dass man rechts gehen müsste.) Er wollte
ein rechtschaffener Mensch werden. Das war seine „Leitlinie" und jede
Ablenkung von dieser „ Le i 1 1 i n i e" betrachtete er als eine eminente
Gefahr. Er fühlte sich zu schwach, den Kampf mit der Gefahr zu bestehen,
er wählte Schleichwege, arrangierte unglückselig ausgehende Versuche,
um einer Niederlage auszuweichen.
Man sieht, wie glänzend dieser Fall die von Adler hervorgehobenen
Mechanismen bestätigt und illustriert. Man könnte noch hinzufügen, dass
der Fall des älteren Bruders auf ihn als eine Mene Tekel (Memento im Sinne
Adlers) wirkte, das seinem Leben die Richtung wies. Es würde auch
wie eine Bestätigung aussehen, dass dieser Mann das ausgesprochene Ge-
fühl der Minderwertigkeit hatte \md diese Minderwertigkeit auffallend
betonte.
Hier weichen meine Ansichten von denen Adlers bedeutend ab.
Seine Neurosenlehre baut sich auf der Lehre von der Minderwertigkeit auf.
Der Neurotiker fühle sich minderwertig, weil er irgend eine körperliche
Minderwertigkeit als Mangel empfindet, und seine Neurose kompensiert
dann dieses „sentiment d'incomplettudide'*. Ich kann mich dieser An-
nahme nicht anschliessen. Mir ist die Minderwertigkeit der symbolische
Ausdruck der endopsychischen Erkenntnis des uberstarken eigenen Trieb-
lebens. Der Neurotiker fühlt sich als schlechter, minderwertiger Mensch
im moralischen Sinne und überträgt diese Minderwertigkeit ins Somatische.
Er benützt die somatische Minderwertigkeit, um sich
zu sichern und er konstruiert sich diese Minderwertig-
keit, wo sie nicht existiert (was auch Adler in seinem Buche zugibt,
womit die Lehre von der Organminderwertigkeit in sich zusammenfällt).
Unser Kranker hat keine Spur von Minderwertigkeit. Er ist ein hoch-
gewachsener, kräftiger hübscher Mensch von sehr einnehmendem Äussern.
Aber er kommt sich hässlich vor, er hat angeblich einen kleinen Penis (was
auch den Tatsachen nicht entspricht). Er entschuldigt damit seine Nieder-
lage bei den Frauen, er sichert sich damit noch stärker gegen die Ver-
suchungen der Sexualität. Und er hat eine Entschuldigung, warum er
es zu nichts gebracht. Er fühlt auch die grosse historische Mission und
sagt sich : Ja, wenn du nicht minderwertige Nerven und ein minderwertiges
Gehirn hättest, wenn die Anfälle nicht wären, so hättest du es sehr weit,
gebracht. So dient ihm die Minderwertigkeit als Entschuldigung und als
Hilfsmittel im Kampfe um sein Ziel: Keuschheit und Tugend in jeder Form.
Wunderschön zeigt sich die Bipolarität in seinem Denken. Er ist ein
psychischer Anarchist und verübt sogar in seinen Phantasien Attentate.
Sogar Attentate auf den Kaiser Wilhelm aus Zorn, weil er in einer Königs-
berger Rede sich „König von Gottes Gnaden" nannte. Da er unter dem
Zwange der Gesetze und der Moral so leidet, dass er in die Neurose flüchten
musste, müssen auch die Befreiungs- und Genesungstendenzen die
äusserste Amplitude erreichen. Sein seelischer Pendel schwingt wie das
Wasser im Glase so weit als möglich nach rechts und links. Er ist zu-
gleich ein königstreuer Bourgois und ein vollkommener Anarchist. Seine
grösste Angst ist, er könnte den Verstand verlieren. Das Wasser könnte
stille stehen und dann käme die unselige Tat, die aber eine kolossale
herostratische wäre. „Die historische Mission" des Ver-
brechers ist der Anarchismus. Alle Zeitungen bringen Bilder,
man kommt in die Geschichte, man ist berühmt, und aus der grossen Masse
Fortschritte der Traumdeutung. 569
der gewöhnlichen Sterblichen herausgehoben. Für so ein Ziel kann man
auch sterben.
Das Museum als Symbol des Gehirnes, das die Erinnerung bewahrt,
oder schlechtweg als ein Symbol der Erinnerung, bringt auch der nächste
Traum. Er wurde von einem Mädchen geträumt, welche vor der Hochzeit
mit einem von ihr gegen den Willen der Mutter erkürten Mann allerlei
hysterische Symptome produziert, um die Hochzeit hinauszuschieben, immer
wieder beteuert sie ihrem Bräutigam: Ich heirate sofort, wie ich gesund
bin. Aber sie wird nie gesund, weil sie ihre Mutter nicht verlassen will.
Sie ist der schönste Beweis gegen die Behauptung von Adler, dass die
Inzestwünsche des Neurotikers nur arrangiert sind, um sich zu schrecken
und die Grösse der eigenen Sexualität vor Augen zu führen, nur ein
„modus dicendi". Ich stehe gewiss den Forschungen von Adler voll-
kommen objektiv gegenüber. Aber alle Krankengeschichten der individual-
psychologischen Schule zeigen ein krampfhaftes Bestreben, den Inzest zu
umgehen oder, wie die Züricher Schule, zu umschreiben. Mir zeigt meine
Erfahrung das Gegenteil. Ich bin weit davon entfernt, das Inzestproblem
als das Kornproblem der Neurosenforschung zu betrachten, ich kenne
viele Fälle, in denen der Inzest gar nicht in Betracht kommt, aber ich kenne
zahllose, welche keine andere Lösung zulassen, wenn man offene Augen
hat. Nun zu dem Traume :
„Ich komme in ein Museum, wo sehr viele schöne
a 1 1 e "b i 1 d e r sind. Ich suche nach einem Bilde meines
Bräutigams und finde es nicht. Ich sehe aber im letzten
Zimmer ein grosses Bild, das die Aufschrift trägt:
Mutterliebe."
Hier sehen wir einen retrospektiven Traum, da die Träumerin das
Museum ihrer infantilen Erinnerungen besucht. Er ist auch prospektiv,
denn er sagt: Ich werde in der Ehe unglücklich sein, weil mein Bräutigam
mir meine Mutter nie ersetzen Avird.
Der nächste Traum ist auch ein Museumstraum, der von mir früher
nicht verstanden und rein materiell gedeutet wurde. Ich gedenke eine
Nachkritik meines Buches die Sprache des Traumes zu schreiben. Dort
finden sich viele Beispiele von Analysen, in denen schon funktionale
Deutungen benützt wurden. In anderen habe ich die funktionale Be-
deutung glatt übersehen. So in dem Traum Nr. 75, von dem ich hier
nur einen Auszug wiedergebe :
Mein Bruder sollte fortreisen von Wien. Er hatte
schon einpacken lassen. Ich ging in die Zimmer im I. und
II. Stock, wo Gepäck und alte Möbel waren. Der II. Stock
glich einem Boden. Ich ging mit einem alten Wächter,
der wie ein Museumsdiener aussah und einen Schlüssel-
bund trug. Er erklärte mir vieles Am Boden gabs
alte Bretter und Möbel wie bei einem Antiqua r."
Nur so viel bringe ich aus dem grossen Traume, um das „Museum"
als das Museum der Erinnerungen zu illustrieren. Der Wächter ist wohl
die Erinnerung selbst oder das Bewusstsein. Wir sehen, wie
dieser Kranke seine Analyse im Traum allein zu Ende führt und wie das
Gehirn als II. Stock und Boden symbolisiert wird. Aber der Diener
trägt die Schlüssel und kann alles erklären. Dieser Traum höhnt den
Analvtiker und zeigt die Tendenz, alle wichtigen Erinnerungen für sieb
570 Dr. Wilhelm Stekel,
zu behalten. Der Bruder sollte abreisen, heisst natürlich: Meine Neurose 1 )
soll mich verlassen. Aber ich lasse das nicht zu. Ich trage als Wächter
die Schlüssel zu meinem alten Kram und ich führe nur mich im Reiche
der Träume durch diese Räume
Und nun wollen wir uns zu einem grossen Traum wenden, den ein
Patient in den ersten Tagen der Behandlung geträumt hat. Er weiss noch
gar nichts von den Gesetzen der Traumdeutung und hat noch keine
Ahnung, dass das Inzestproblem in der Analyse zur Sprache kommen
wird. Er ist in keiner Weise vorgebildet und beeinflusst. Es handelt sieb
um drei Träume, die in einer Nacht geträumt wurden. Ich will versuchen,
die verschiedenen Formen und Arten der Traumdeutung an diesem Beispiele
zu demonstrieren. Wir beginnen mit der Mitteilung des Traumes.
„Ich stand vor dem Eingang eines Hauses in meinem
Geburtsorte und betrachtete die nahe Gebirgsland-
schaft. Dieses stattliche einstöckige Haus gehört
meinem Vetter, einem Postmeister, der nebenbei Gast-
hausbesitzer und Landwirt ist. Der Hauseingang führt
in einen Flur, durch den man zum Gastzimmer, Post-
kan zleiundStiegenhausgelangt. Wir wohnten indiesem
Hause während meiner Kindheit, bis zu meinem neunten
Lebensjahre.
Während ich so in Betrachtung versunken war, kam
gerade mein Vetter, der aushilfsweise an dem Tage die
Feldarbeiten selbst besorgte, nach Hause gefahren und
hielt, bevor er zum grossen Tore fuhr, bei mir an. Er
machte zu mir einige scherzhafte Bemerkungen; unter
anderem: es wäre für dich wohl gesünder, wenn du auch
ein wenig ackern würdest, anstatt zu faulenzen.
Ich wies auf die zwei, einer Egge vorgespannten
Pferde, die ja g anz. p räc h ti g waren, und erwiderte im
Scherze: ja, sehr gerne sogar, aber nicht mit einem so
elenden Gespann. Die zwei gehören schon längst in die
Wurst, besonders der linke da gebärdet sich gar so stolz
und ist doch nur ein alter Krampen (Mähre).
Kaum dass ich zu Ende gesprochen, bäumte sich
wütend dieses Pferd, riss die Zugstränge entzwei, um
sich dann auf mich zu stürzen.
Ich ergriff die Flucht, lief in den ersten Stock hin-
auf, sprang in die Küche und schlug die Türe zu. Das
Pferd setzte mir nach und stiess die Türe ein. Ich lief
in ein zweites Zimmer und verbarrikadierte die Türe
mit allerlei Möbelstücken. Allein das Pferd war schon
auch an dieser Türe, stampfte drauf los, bis es ihm ge-
lang, auch in dieses Zimmer einzudringen.
Mittlerweile war ich in ein anderes Zimmer geeilt,
verrammte wieder auf dieselbe Art die Türe, erkannte
jedoch, dass auch dieser Widerstand nicht wirksamsein
wird. Ich sah mich nun rasch im Zimmer nach einem
i) Siebe die Darstellung der Neurose im Traume. Dieses Blatt Jahrgang
Bd. III.
Fortschritte der Traumdeutung.
571
andern Hilfsmittel um und gewahrte zu meiner Über-
raschung meine Schwester hinter mir.
Das Pferd hatte die Türe schon soweit demoliert,
dass es den Kopf hindurch drängen konnteund schnaubte
wütend aus den geweiteten Nüstern.
Die Schwester schob mir einen kleinen runden
Ofen zu, indem sie mir zurief, mich mit den Ofenringen
zur Wehre zu setzen, mit diesen werde ich schon den
Gegner bewältigen können.
Das Pferd wollte schon hereinstürzen, da schleu-
derte ich ihm die Ringe wuchtig entgegen und schliess-
lich den ganzen Ofen. Im letzten kritischen Augen-
blicke gewahrte ich eine andere Türe, huschte rasch
hinlaus, rannte zur Treppe und — erwachte.
Ich ging den ganzen Traum noch einmal in Gedanken
durch, vergewisserte mich auf diese Art, ihn meinem
Arzte lückenlos wiedergeben zu können. Bald verfiel
ich in einen leichten Schlummer und träumte ich wäre
bei dem mich behandelnden Arzte.
Dieser bewohnte ein geräumiges Haus mit grossen
Treppen anlagen. Auf einer Galerie traf ich mit ihm zu-
sammen, er hatte in einem Schranke zu schaffen. Ich
nahm abseits von ihm Platz und erzählte ihm den vor-
gehend geschilderten Traum.
Er entfernte sich auf eine Weile, um Dringendes
noch zu besorgen, da er in einer halben Stunde abzu-
reisenhatte. Errief michdannzusichhinunter, schnürte
sich gerade die Schuhe und forderte mich auf, in meiner
Erzählung fortzufahren.
Nachdem ich geendet hatte, entfernte ich mich und
ging auf eine seitlich gelegene Türe zu und begegnete
dort meiner Mutter. Ich wechselte einige Worte mit ihr,
öffnete die Türe, die in eine mit Glas gedeckte Halle
führte, und sah eine Lokomotive oberhalb eines offenen
Feuers gelagert.
Der Zugsführer (Maschinist) rüttelte an verschie-
denen Maschinenteilen vergebens, es wollte ihm nicht,
gelingen, die Maschine in Gang zu setzen. Während-
dessen kam der Arzt hinzu, schaute auf die Uhr und b e -
merkteunruhig,dassesschonhochanderZeitsei. Plötz-
lich kam ein Dienstmädchen die Treppe herunterge-
laufen, und brachte drei zugeschnürte, mit Papier-
abfällen gefüllte Pakete.
Um die arbeitsfähige Dampfspannung zu erreichen,
war es notwendig, rasch nachzuheizen. Der Arzt wollte
es selbst versuchen und schleuderte ein Paket ins
Feuer. Es verbrannte rasch, war jedoch wirkungslos.
Da deutete die Mutter an eine andere Stelle, dort
müssees unbedingt gehen, nahm ein zweitesPaket, warf
es an die Stelle, erzielte jedoch dasselbe Resultat wie
der Arzt.
572 Dr. Wilhelm Stekel,
Mit den Worten: das muss anders gemacht werden,
seilt so, fasste ich das dritte Paket, schwang mich auf
einen vorspringenden, von Flammen bestrichenen Ma-
schinenteil und legte das Paket an die höchste Stelle
der Feuerung. Die Flammen loderten hoch auf, das
Sicherheitsventil begann zu zischen, es ertönte ein
Pfeifen und die Maschine setzte sich langsam in Be-
wegung.
Der Arzt sprang auf, reichte mir noch flugs die
Hand, ich hatte gerade noch Zeit zu fragen, wohin er
fährt. Nach Brunn, bekam ich zur Antwort. Kurze Ver-
wunderung — ich war wieder erwacht.
Nachdem ich wieder eingeschlummert bin, hatte ich
«inen, dem ersten Fall ähnlichen Traum. Ich befand
mich in einer vornehm eingerichteten Wohnung.
Es wurde die Türe geöffnet und trat eine junge,
hübsche Dame ein. Sie blickte mich längere Zeit an und
lächelte dann boshaft. Ich verlor meine ruhige Fassung
nicht. und sagte etwas zu ihr. Sie wurde immer erregter,
erhob ihren Arm, in dem sie eine Waffe hielt, und machte
Miene, sich auf m ich zu stürzen. '
Ich sah sie gefasst an. als dürfte sie mir nichts an-
h a 1b c n können. D a r au f stürzte sie sich auf mich. Ich
sprang in ein Nebenzimmer, sie lief mir nach und so
ging die tolle Jagd durch mehrere Räume.
Gerade wollte ich wieder eine Türe aufklinken, da.
in demselben Augenblicke, erschien sie hinter mir, in
der Hand ein perolinspritzenartiges Instrument hal-
tend. Sie spritzte daraus eine weisse, seifenwasser-
ähn liehe Flüssigkeit. Sie spritzte einigemal, ohne mich
zu treffen, nur auf die Kleider waren einige Tropfen
gefallen. Ich dachte, es sei eine ätzende Flüssigkeit
und wollte weiter flüchten.
Als sie wieder zu einer neuen Attacke ausholen
wollte, schlug ich rasch die Türe zu, es klemmte sich
dabei die Spritze zwischen Türe und Türrahmen.
Ich entwand ihr die Spritze und schleuderte selbe
zur Seite, fasste die Frau am Halse und wollte sie zu
Boden werfen. Sie aber umschlang meinen Hals, küsste
mich heiss und fiel auf ein Sofa, mich mitziehend. Ich
hielt sie mit der linken Hand umschlungen, während
ich mit der rechten sie zwischen den Beinen an fasste.
Ich empfand ein wohliges Gefühl; während wir uns un-
verwandt in die Augen blickten, glitten wir nieder.
Sie sagte, sie wollte mir ja nichts Böses tun,
lächelte herzlich, zog mich an sich, ihr Gesicht begann
sich plötzlichzu verändern, es lächelte michjetztmeine
Schwesteran.
Von Liebe ermannt wo Ute ich sie stürmisch an mich
drücken — da ging plötzlich die Türe auf und herein-
Fortschritte der Traumdeutung. 573
gestürmt kam eine ältere Frau. Ich erschrak, erwachte
— Pollution."
Nun möchte ich zum besseren Verständnis des Traumes die Kranken-
geschichte des Träumers mitteilen lassen, die wir den Patienten selbst
erzählen lassen.
Meine Krankengeschichte, zugleich meine Biographie.
„Ich war bis zu meinem 4. Lebensjahre im Elternhause und kam
dann auf ein Jahr zu den Eltern meiner Mutter in Pflege.
Der Beruf meines Vaters brachte es mit sich, dass er monatelang,
mitunter ein ganzes Jahr seiner Familie fernbleiben musste.
Ich wurde von den Grosseltern liebevoll behandelt, und da sie fromm
waren, war auch meine Erziehung danach geartet.
Sie wohnten in einem schön gelegenen D-orfe, einem alten, beliebten
Wallfahrtsorte. Der um den Ort führende Fluss war der Tummelplatz für
uns Kinder. Wegen der damit verbundenen Ertrinkungsgefahr bildete ich
die ständige Sorge meiner Grosseltern, so dass sie mich nach Möglichkeit
in ihrer Nähe hielten.
Ich ging täglich mit ihnen in die Kirche, machte mit ihnen Be-
suche, in der ftegel bei alten Leuten, wo man fast ausschliesslich fromme
Gespräche führte und mir bei jeder Gelegenheit eingeschärft wurde, ja
recht fleissig zu beten und brav zu sein, unter Androhung erdenklichster
Schreckmittel.
Einmal verkleidete sich ein altes hässliches Weib als Hexe und wollte
mich betsäumigen, ungebärdigen Jungen mitnehmen. Das jagte mir derart
grosse Angst ein, dass ich sehr lange unter diesem Eindruck stand.
Es wurden mir eine Unmenge schauriger Begebnisse und Wunder-
wirkungen, die sich an die dortige Mutter Gottes knüpften, erzählt und
die Stellen gezeigt, wo sich das zugetragen.
Ich kam dann wieder zu der Mutter zurück und nach kurzer Zeit
übersiedelten wir nach Slavonien. Das Unternehmen, wo mein Vater
beschäftigt war, ging zugrunde, und wir mussten wieder zurückkehren.
Bald darauf kam ich in die Schule. Von der Schwester lernte ich schon
vorzeitig in der Fibel lesen und konnte bald in meinem Lieblingsbuche,
einer alten, grossen Bibel selbst lesen, wo ich früher aufs Fragen ange-
wiesen war.
Ich habe gar oft anderen Spielen entsagt und mich lieber mit dieser
Bibel in eine stille Ecke zurückgezogen. Es ist auf dem Lande üblich,
alle */» Jahre in der Kirche eine öffentliche Religionsprüfung abzuhalten.
Zu dieser hatte sich meine um 2 1 / 2 Jahre ältere Schwester längere Zeit
vorbereitet, da sie nicht ganz leicht lernte. Ich folgte diesem mit grossem
Interesse und hatte es auch mit auswendig gelernt.
In der Kirche wurde dann geprüft und auf eine Frage wusste niemand
Bescheid. Ich Knirps hatte es mir gemerkt, weil es die Schwester gelernt
hatte, gab Zeichen, der Vikar fragte mich, und zu aller Staunen wusste ich
die Antwort. Es war das Gebet „Vater unser". Die Leute haben mich nach-
her sehr belobt und beschenkt und sagten, Knabe aus dir wird ein geist-
licher Herr werden. Dieser Vorsatz fasste tiefe Wurzel bei mir.
In einem Alter von ca. 7 1 / 2 Jahren hat mich ein 12 jähriges Mädchen
zu einem unzüchtigen Spiel verleitet, wir spielten uns gegenseitig mit
den Geschlechtsorganen, ich musste auf ihr herumbalgen usw. Dies wieder-
holte sich sehr häufig. Ich fand daran grossen Gefallen und stand stets
Zeiitralblstt fQr Psychoanalyse IV ",'*. 38
574 D'. Wilhelm Stekel,
unter dem Eindrucke dieses Erlebnisses. Ich hatte dann grossen Drang,
es auch mit anderen Mädchen zu praktizieren, Als nach einem Jahr die
Schwester meiner Mutter bei uns zu Besuche weilte und mich sehr lieb-
koste, hatte ich ganz andere Gefühle dabei, und konnte mich nur schwer
zurückhalten sie aufzufordern, dass sie ähnliches Spiel mit mir treibe
wie das erste Mädchen.
Beim Beginn des 3. Schuljahres bekamen wir einen neuen Lehrer.
Dieser wurde bald auf mich aufmerksam, da ich gut lernte, und ich wurde
sein Lieblingsschüler. Dieser Lehrer hatte die unsaubere Gewohnheit,
mich zu seinem Tische zu rufen, wo er, mit mir sprechend, mich beim
Glied hielt und solange damit spielte, bis es steif ward. Ich grübelte viel
darüber nach, was es für eine Bedeutung haben sollte, jemanden etwas
zu sagen, wagte ich jedoch nicht.
Am Ende des Schuljahres übersiedelten wir nach Wien, um hier
ständig Wohnsitz zu nehmen. Ich kannte kein Wort deutsch und wurde
nur mit Rücksicht auf den guten Ausweis in die 2. Klasse eingereiht, so dass-
ich trotzdem um zwei Jahre zurück war. Ich hatte unsägliches Heim-
weh; die Zurücksetzung, die mir überall widerfuhr, hat mir den Wiener
Aufenthalt gänzlich verleidet, und ich trug mich heimlich mit dem Vorsatz,
lieber Hungers zu sterben, als hier zu bleiben. Es wurde mir gedroht,
wenn ich sitzen bleibe, dass ich nicht mehr- aufs Landheim fahren dürfe
und dass ich in eine Besserungsanstalt komme; mit letzterer hatten sie mich
besonders erschreckt, als sie mir, allerdings falsche, Schriftstücke vor-
wiesen, wonach meine Aufnahme dorthin schon beschlossen wäre. Dieses
und die beständige Angst in der Schule, wo wir einen rabiaten Lehrer
hatte, der die Kinder sehr misshandelte, dazu kannte ich kein Wort
deutsch, das alles zusammen hat mein Gemüt stark zerrüttet; es übertrug
sich denn auch auf den körperlichen Zustand, ich magerte sehr ab und lebte
in einer Art Taumel dahin. Im Stillen schuf ich mir oft Erleichterung durch
Tränen.
Auch das wurde überwunden und nach zwei Jahren wurde ich
auch hier einer der ersten Schüler. Ich hatte einen Schulkameraden,
dessen 16 jähriger Bruder krankheitshalber ein Jahr zu Hause war und
mit dem wir uns spielten. Von den beiden wurde ich ziemlich gründlich
in die „Schweinerei" eingeweiht. Diese Brüder schliefen zusammen in
einem Bette, das hinter jenen der Eltern stand, und hatten oft Gelegen-
heit, die Eltern beim Beischlaf zu beobachten. Sie schilderten mir das
immer und zeigten mir auch das befleckte Hemd ihrer Mutter. Dies übte
grosse Wirkung auf mich und ich begann dann auch meine Eltern zu
beobachten. Ich hatte bis zu meinem 12. Lebensjahr mit der Schwester
zusammen geschlafen. Dann schlief ich in dem Bette neben meiner
Mutter, da der Vater grösstenteils abwesend war.
Meine Phantasie nahm derart ungesunde Dimensionen an, dass ich
den bei uns wohnenden Onkel, einen Bruder der Mutter, in Verdacht
hatte, er unterhielte ein strafbares Verhältnis mit meiner Mutter. Ich
beruhigte mich langsam, da ich trotz meiner scharfen Beobachtung nichts
wahrnehmen konnte.
Mit ca. 13 Jahren lernte ich von anderen Schulgefährten onanieren.
Ich habe es nicht sehr häufig betrieben aus Furcht vor der Sünde und
stand im ständigen Konflikt zwischen beiden. Ich hatte dann einmal ein
Buch zur Hand bekommen, wo über die Onanie mit ihren schrecklichen
Fortschritte der Traumdeutung. 575
Folgeerscheinungen geschrieben wurde. Dieses war geeignet, mich jetzt
ganz davon abzuwenden, und als sicheren Schutz schwur ich dann mit
ca. 14*/* Jahren an dem Grabe meines Grossvaters, dass ich bis zu meinem
20. Lebensjahre keinen, wie immer gearteten, geschlechtlichen Verkehr
führen werde. Ich hatte bei meinem starken Bedürfnis nach Befriedigung
darunter sehr zu leiden. Den Schwur habt ich so ziemlich gehalten.
Mit 14 Jahren kam ich an eine technische Lehranstalt. Ich hatte
unter meinen Mitschülern die geringste Vorbildung und es wurde mir von
einem Professor bedeutet, dass ich mich nicht lange des Daseins an der
Anstalt werde freuen können. Dies war eine schwere Sorge für mich. Es
war mir sehr bange zu mute bei dem Gedanken, dass mir die Möglichkeit
zu einem gewählten Berufe auf diese Art gefährdet wird.
Als bei der ersten Zensur bloss ich und ein zweiter Mitschüler durch-
gekommen waren, so betrachtete ich es als eine Fügung Gottes, um so mehr,
als meine mich sehr liebende Grossmutter stets eifrig für mich betete.
Man Hess mich unter der Bedingung studieren, dass ich von der Ent-
richtung des nicht unbeträchtlichen Schuldgeldes befreit werde. Die gänz-
liche Befreiung bedingt Vorzugsschüler zu sein. Ich führte mich verhält-
nismässig bald in die Lehrfächer ein, die ungenügende Vorbildung wett-
machend.
Mein häuslicher Fleiss liess viel zu wünschen übrig. Ich hatte
stets grosses Vertrauen auf den Beistand Gottes, und nicht zuletzt eigene
Fähigkeit hatten mir das vorgesteckte Ziel — Vorzugsschüler — nach
zwei Jahren erreichen lassen.
Während dieser Zeit, trat jenes Mädchen, das mich als Kind zur
Unzucht verleitet hatte, wieder in meine Nähe. Durch ihr verleitendes
Gebaren hat sie mich vollständig aus der Ruhe gebracht.
Ich hatte mit l'Va Jahren „unschuldige" Liebschaften mit anderen
Mädchen unterhalten und bei den sich gar oft bietenden Gelegenheiten
zum Koitus dieselben nicht benützt, Beweggrund: „unmoralisches Handeln".
Ich schlief mit meiner Schwester und einer Kusine in einem Zimmer.
Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf die Kusine. Die sich bietenden
verlockenden Gelegenheiten hielten mich beständig in Erregung, um so
mehr als ich wahrnehmen konnte, dass die Kusine selbst ihre Zuneigung
und Wünsche nur mühsam unterdrückte.
Gegen Ende des letzten Studienjahres lernte ich ein Mädchen näher
kennen das schon lange vorher meine Aufmerksamkeit geweckt hatte.
Wir fassten grosse Zuneigung, konnten aber leider nur sehr selten zu-
sammentreffen, und das nur unter schwierigen Umständen. Wir waren
gezwungen, uns schliesslich zu trennen; da ich das Mädchen aufrichtig
liebte litt' ich darunter sehr. Bei dem verstohlenen Zusammentreffen
hatte sich immer vorher eine mir unerklärliche Aufregung bemächtigt, die
sich auf den Magen übertrug; ass ich dabei, so reizte es mich zum Erbrechen.
Nach Beendigung der Studien kam ich zu einer hiesigen Firma
in Stellung. Ich knüpfte die Bekanntschaft mit einem anderen Mädchen
an und wir hatten sonderbarerweise auch grosse Schwierigkeiten zu über-
winden, um zusammentreffen zu können. Als wir nach ca. einem Jahre un-
gehindert verkehren konnten, erfasste mich nach kurzer Zeit eine grosse
Gleichgültigkeit für dieses Verhältnis, und ich hatte nur den einen Wunsch,
von solchen tollen Liebschaften nichts wissen zu müssen.
38*
576 Dr. Wilhelm Stekel,
Hatte mich früher vor dem Koitus mit einem anständigen Mädchen
der Gedanke, es sei unwürdiges, unehrenhaftes Handeln, zurückgehalten,
so trat jetzt eine sonderbare Erscheinung auf, ein vom Magen herrührendes
Unbehagen, sogar Brechreiz, das aber immer vor dem Zusammentreffen.
War ich einmal in der Gesellschaft des Mädchens, so verschwand die
Geschichte.
Also immer vor dem Stelldichein und bei den Gedanken an dieses.
Ich Hess von jedem Verhältnis ab, aber mein Zustand verschlechterte
sich immer mehr und mehr. .h musste täglich mehrmals erbrechen,
nicht einmal eine Semmel konnte ich verzehren, selbst reine Suppe konnte
ich nur mit grosser Schwierigkeit essen. Bei jedem Bissen reizte es mich
zum Erbrechen, und trinken konnte ich auch nichts. Ausserdem
litt ich an Schlaflosigkeit und heftigen neurasthenischen Schmerzen.
Schliesslich musste ich ein volles Jahr ausspannen und nahm während
dieser Zeit vier xMonate Landaufenthalt, ohne dass sich mein Zustand
merklich gebessert hätte.
Es kostete mich viel Anstrengung, meinen starken sexuellen Drang fcvj
unterdrücken. Der Verkehr mit einem Freudenmädchen mutete mich schänd-
lich an, jener mit Anständigen war teils durch meine moralischen An-
sichten, teils durch ungünstige örtliche Verhältnisse unmöglich.
Seit dem Auftreten der Krankheit war. das Hindernis von selbst ge-
geben. Erst auf Anraten eines Arztes entschloss ich mich, mit Freuden-
mädchen zu verkehren."
Nun, da wir die Krankengeschichte des Falles kennen, wollen wir an die
Analyse dieses Traumes gehen und ihn von verschiedenen Gesichtspunkten
aus betrachten. Dabei wird es vorteilhaft sein, die drei Träume getrennt
zu analysieren und dann erst einen Überblick über das ganze Traumgebilde
zu werfen.
Das erste Traumstück beginnt in seinem Geburtsorte und seinem
Geburtshause. Wir kennen aus unseren früheren Analysen die Deutung,
und ein Freudschüler strenger Observanz wird nicht verlegen sein, diesen
Geburtsort als Symbor%er Mutter anzusprechen. Wir erfahren, dass der
Postmeister ein Bruder des Vaters ist, ihm sehr ähnlich ist, und srhliessen,
dass er im Traume für den Vater steht. Der Redekampf zwischen dem
Onkel und ihm ist die Wiederholung alter Vorwürfe. Er war ja längere
Zeit ganz arbeitsunfähig und ist heute auch noch nicht imstande, seinem
Vater im Geschäfte zu helfen. Er begründet das mit seiner Krankheit.
Die inzestuöse Einstellung zur Mutter ist ziemlich durchsichtig. Die Hem-
mungen, welche bestehen, so dass er dem Vater nicht im Geschäfte helfen
kann, rühren von einer Hasseinstellung als Rivalen her. Am Vortage
des Traumes hatte er mit dem Vater einen kleinen Disput, avcü der Vater
in einer Rechnung einen Fehler gemacht hatte, den er nicht einsehen
wollte. Im Traume rächt er sich für den Vorwurf des „Nichtackernwollens"
(ackern für koitieren) durch eine Anspielung auf das Alter des Vaters, er
sei nicht mehr recht für die Ehe tauglich. Das Elternpaar ist schon alt,
es lebt viel zu lange („Die zwei gehören schon in die Wurst'!), und der
Linke (der Vater) wäre ein alter Krampen. Dann kommt allerdings die
Rache des geschmähten Vaters als Verfolgung durch das Pferd. Es ist
nicht schwer, in diesem Traum eine Mutterleibsphantasie zu erblicken,
und es spricht manches für diese Deutung. Der Träumer erzählt, dass er
sichseinerlnzestgedankenaufdieMutterundSchwester
Fortechritte der Traumdeutung. 577
voll bewusst gewesen ist undnur geglaubthabe, es wäre
das alles schon vorbei. Er träume aber noch jetzt hie und 'da von
einem Verkehre mit der Mutter und besonders häufig mit der Schwester.
Er habe aber geglaubt, dass diese Träume nichts zu bedeuten hätten "und
nur der Nachklang einer überwundenen Periode wären.
Wir erkennen aber die bipolare Einstellung gegen den Vater. Sein
Leiden muss auch mit einer nicht überwältigten Homosexualität zusammen-
hängen. Nun erzählt uns seine Krankengeschichte eine Begebenheit der
Kindheit, die ihn tief beeindruckt hat. Gerade in diesem Geburtsorte gab
es in der Schule einen Lehrer, der die guten Schüler auf sehr merkwürdige,
einzig dastehende Art belohnte. Wenn einer sehr gut entsprach und der
Lehrer sehr zufrieden war, so sprach er, gut mein Sohnl Du sollst belohnt
werden 1 — und gab ihm den erigierten Penis in die Hand, den der Knabe
bis zur Ejakulation behalten durfte. Das geschah öffentlich vor der ganzen
Klasse I Dieser Lehrer konnte sein Laster bis vor fünf Jahren ungeniert
weiter treiben, und da musste er erst über eine Anzeige den Ort ver-
lassen, ohne mit dem Gerichte in Berührung zu kommen. Ihm, der ein
besonderer Liebling des Lehrers war, wurde diese Ehre sehr oft zu teil
und er war der am häufigsten Auserkorene. Er soll auch der Schönst©
unter allen Knaben gewesen sein. Von diesem Erlebnisse an ziehen sich
homosexuelle Szenen bis zum 17. Lebensjahre, in dem sie plötzlich ab-
brechen. Jetzt weiss er nicht, dass diese Szenen Zeichen von Homo-
sexualität waren und behauptet nur, dass er „vor allen diesen homosexuellen
Sachen" einen fürchterlichen Ekel hat. Der Kranke hat offenbar auf den
Vater Tendenzen, die verlangen, dass er das gleiche machen soll, wie
der Herr Lehrer. So ein Beispiel fordert ja zu dieser Art Belohnung heraus.
Wir merken aber die erste Wirkung der Übertragung gerade an diesem
Einfall des Träumers. Jetzt bin ich sein Lehrer, und er hofft, dass ich
die gleiche Art der Belohnung vornehmen werde, wie er es in der Schule
gewohnt war
Er wird von homosexuellen Gedanken verfolgt. (Das
linke Pferd!) Wir kommen jetzt zur funktionalen Bedeutung des Traumes.
Er stellt eine Verfolgung dar. Die Beziehung zum Arzte ist klar. Er
wird jetzt vom Arzte durch alle seine Erinnerungen (die Flucht von
Zimmern!) verfolgt. Diese Flucht von Zimmern wird von Freud gewöhn-
lich als eine Flucht von Frauenzimmern (Lupanar) aufgefasst. Ich habe
schon wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass es sich um die Kammern
der Seele handelt, dass die Verfolgung durch alle Gemächer des Kopfes
(Hirn gleich dem obersten Stocke . . . dem Oberstübchen .... Vergleiche
die Bedensart: Der Mann ist im Oberstübchen nicht ganz richtig). Wir
sehen, wie. ihn ein bestimmter Gedanke durch alle seine Barrieren und
Hindernisse verfolgt, wie er sich dieses versuchenden Gedankens nicht
erwehren kann. Die Hilfe kommt ihm von der Schwester. Sie schiebt
ihm einen kleinen Ofen zu, der ihn vor dem Pferde rettet. Der Ofen und
die Ringe symbolisieren die Weiblichkeit der Schwester. . . . Der Traum
sagt: Vor der homosexuellen Einstellung zum Vater kann dich nur die
Schwester, kann dich nur eine Frau retten. Der Traum zeigt auch die
prospektive Tendenz: Er wirft die Schwester dem Vater hin und rettet
sich durch eine andere Türe. Er wird seine Komplexe überwinden. Die
Beziehung zum Arzte ist auch klar: Er wird meiner weiteren Verfolgung
dadurch entgehen, dass er mir die Inzestwünsche auf die Schwester, nach
578 Dr. Wilhelm Stekel,
denen ich ihn nicht gefragt habe, eingestehen wird. Der Traum drückt
den Vorsatz aus, mir seine Phantasien und Erlebnisse mit der Schwester
mitzuteilen. Aber dadurch hofft er einer weiteren Untersuchung seiner
Begehrungsvorstellungen zu entgehen und mir die Einstellung zu Vater
und Mutter verschweigen zu dürfen.
Nun schläft der Träumer wieder ein, wiederholt den Traum, um
ihn erzählen zu können. Wir können annehmen, dass der Traum schon
bei dieser ersten Wiederholung redigiert und verändert wird. Wir be-
kommen dann nur einen Auszug, der das Wesentliche verschweigt. . . .
Er erzählt mir im nächsten Traume den Traum. Solche Träume erhält
man sehr selten. Wenn eine Dame träumt, sie hätte ihren Traum dem
Arzt erzählt, so hat sie das Peinliche schon im Traume erledigt und die
Erinnerung für den Traum verschwindet, ebenso wie in den Fällen, da
die Kranken erzählen: Heute habe ich etwas Wichtiges geträumt. Ich
sagte mir noch im Traume oder Halbschlaf, das musst du dem Doktor St.
erzählen. Ich weiss es nicht mehr. Aber es war sehr wichtig. Damit
wird der Arzt zum Besten gehalten, der Widerstand wird im Traume über-
wunden, der Wunsch, es zu erzählen, wird im Traume erfüllt, der Wunsch,
es zu verschweigen, ist der Stärkere; so setzen sich beim Träumer beide
Strömungen durch. Unser Patient hofft offenbar, ich werde die Tätigkeit
des alten Lehrers fortsetzen.
Der nächste Traum : Wieder eine Darstellung der Analyse. Ich stehe
in dem oberen Stockwerke vor einem Schranke, der sein Gehirn sym-
bolisiert, oder seine verschlossene Seele. Aber die Analyse wird nicht
lange dauern. Die wilde Jagd nach seinen Geheimnissen und Schätzen
wird bald aufhören. Der Arzt muss verreisen (sterben I). Hier tritt der
Arzt das Erbe des Vaters an. Der Traum zeigt die deul liehe Übertragung
vom Vater auf den Arzt. Im ersten Traum erscheint die Verfolgung
durch den Vater, im zweiten und dritten ist der Vater schon ganz ausge-
schaltet. Seine Name ist -im Traume überhaupt nicht genannt, er ist ja
das Geheimnis, von dem nicht gesprochen werden darf. ... Der Arzt
schnürt die Schuhe; das ist ebenfalls ein bekanntes Todessymbol und
der deutliche Wunsch, die Behandlung los zu werden.
Nun soll eine Maschine in Gang gesetzt werden. Er ist Maschinen-
ingenieur und hat täglich mit Maschinen zu tun. Die Maschine ist ein
Symbol seiner Seele, die so schlecht funktioniert, ein Symbol für ihn
selbst, für alles Kräftige und Treibende in ihm. Was dem Arzte und der
Mutter nicht gelingt, das gelingt ihm aus eigenen Kräften. Zuerst ver-
suche ich, die Maschine in Gang zu bringen. Ich nehme den mysteriösen
Papierballen, dessen Bedeutung nicht recht aufgeklärt werden konnte (die
Dreizahl!) und lege ihn ganz vorne; die Mutter besorgt die Feuerung in
der Mitte. Er aber schwingt sich in die Höhe und besorgt die Feuerung
oben 1 ). Er ist der Höchste, er triumphiert über mich und meine Unfähig-
keit, ihn zu heilen. Ich fahre dann nach Brunn. Dazu fällt ihm ein
Schüler ein, der immer nach Brunn nach Hause fuhr. Er erinnert sich
einer Situation, in der er Lehrer war. Ich bin biso ein Schüler, ich
soll bei ihm lernen, wie man eine Maschine in Gang bringt. Wenn ich
auch etwas von kranken Seelen verstehe, von seinem Fache (er ist
Maschineningenieur!) habe ich keine Ahnung, da ist er der Meister und
>) Nachträgliche Ergänzung.
Fortschritte der Traumdeutung. 579
ich der Ignorant. Dieser Trostgedanke dient dazu, um sein Selbstbewusst-
sein zu stärken und kein Gefühl der Minderwertigkeit mir gegenüber auf-
kommen zu lassen. Dabei finden sich eine Menge Schmähungen auf den
impotenten Vater und den ebenso unfähigen Arzt. Er ist täglich bei
mir eine halbe Stunde. Er merkte schon, dass ich auf die Uhr blicke, ob
seine Zeit vorüber ist. Im Traume kommt die halbe Stunde vor und das
Blicken auf die Uhr. Er zeigte einen Tag vorher seinem Vater, wie eine
Aufgabe technischer Natur gelöst werden müsse. In diesem Traume zeigt
er mir auch, dass die Sache anders gemacht werden müsse.
Wir sehen, wie die Beziehungen zum Arzte, als dem Repräsentanten
des Vaters, den ganzen Traum durchsetzen. Damit wäre aber die Bedeutung
des Traumes nicht erschöpft. Denn er ist ein Pollutionstraum. Es ist
interessant zu beobachten, wie der onanistische Akt, der dann als Pollution
(Lust ohne Schuld!) aufgefasst wird, in den drei Traumstücken vorbereitet
wird. Im ersten Traumstück flieht er vor der Homosexualität, wobei deutlich
die Beziehungen der Homosexualität zum Mutterkomplexe zutage treten.
Im zweiten Traumstücke heisst es, die Maschine der Sexualität in Gang
bringen. Es gelingt dies weder dem Vater (dem Maschinenführer, der an
der Maschine herummanipuliert), noch der Mutter, noch dem Arzte. Er
allein ist das imstande. Hier verrät sich der geheime Stolz des Onanisten,
die Genugtuung des Autoerotikers. (Der von Flammen bestrichene Vor-
sprung ein phallisches Symbol 1 .) Die Onanie erweist sich als Sicherung
gegen alle sexuellen Gefahren, Das Sicherheitsventil zischt und entlädt
sich ein Vorbild der bald folgenden Pollution
Doch die Angst vor der Onanie, die grossen Affekte, die Angst vor
Homosexualität und dem Inzeste wecken ihn aus dem Schlafe. Das Be-
wusstscin (der Maschinenführer) versucht immer wieder sich der Ge-
danken zu bemächtigen und die Gespenster der Nacht zu bannen. Die Ge-
danken an einen Mann und an die Schwester werden unterbrochen, und er
schläft wieder ein. Dreimal muss er verschiedene Situationen träumen,
bis die Angst sich in Verlangen gewandelt hat. Erst floh er vor dem Pferde
und der Schwester, dann verliess er den Arzt und die Mutter und endlich
kommt die Erlösung. Er konnte der Homosexualität standhalten, er konnte
die heterosexuellen Inzestwünsche abwehren. Jetzt aber spielt der Trieb
seinen höchsten und stärksten Trumpf aus, um die letzten Hemmungen
zu überwinden: die Bisexualität. Das Mädchen mit dem Phallus, seine
Schwester erscheint . . . und verfolgt ihn. Es verfolgen ihn offenbar
die Gedanken : gib nach und onaniere. Er wehrt sich, er flieht vor diesem
Gedanken. Er ist es ja, den er im Traum sieht. Er sieht das Weibliche
in sich, das Weib mit dem Phallus und dieser Gedanke lässt ihm keine
Ruhe durch die Flucht der nächtlichen Stunden. Er stürzt sich auf die
weibliche Person und will sie würgen: So kämpft er mit seinem
Triebe, so wehrt er sich gegen den Autoerotismus. Der
Trieb aber merkt die Schwäche seines Widerstandes und gibt ihm zu be-
denken, dass er nur sein Gutes wolle. Er greift mit der Rechten an seine
Genitalien und mit der Linken markiert er eine Umarmung. Da kommt der
Orgasmus (die Schwester lächelt ihn an!) und währt nicht lange. Denn
eine alte Frau erscheint. Die Tür geht auf, d. h. die Tore des Bewusstseins
öffnen sich 2 ) und die Reue bemächtigt sich seiner Seele. Er wacht auf
i) Nachträgliche Ergänzung.
'-') Die Schwellensymbolik Silberers.
L
580 Dr - Wilhelm Stekel,
und ärgert sich über die Pollution. Die alte Frau kann auch das Symbol
der Mutter sein. Dafür habe ich ja keine Anhaltspunkte, weil der Patient
sie ganz anders beschreibt.
Wie verhält sich dieser Traum in bezug auf seinen Inhalt? Ist er
eine Wunscherfüllung, ist er eine Warnung, ist er eine Prophezeiung ? Sicher
werden in diesem Traume sehr viele Wünsche erfüllt. Er ist standhaft gegen
so viele Versuchungen, er umarmt seine Schwester, er triumphiert über
den Vater und den Arzt. Doch das Wichtigste ist, dass dieser Traum die
Pollution als Sicherung gegen alle Gefahren der Sexualität einleitet und
gegen alle inneren Hindernisse durchführt.
Eine andere Bedeutung des Traumes muss noch hervorgehoben
werden. Seine Neurose muss doch in dem Traume in iigend einer Person
oder einem Gegenstande symbolisiert sein. Der Patient sagte auf die
Frage, was ihm zu der Maschine einfalle: meine Krankheit. Die mit Glas
gedeckte Halle, das Durchsichtige seiner Krankheit, die Maschine seine
Neurose. Nun vergleicht der Kranke immer seinen Körper mit einer Dampf-
maschine und besonders seinen Magen. Er hat ja allerlei Hungerprozeduren
hinter sich. Er konnte nicht essen und magerte fürchterlich ab, sieht wie
ein Skelett aus, "weil er seinen Sexualtrieb aushungern und sich für seine
sündigen Regungen bestrafen wollte. Dieser Mann hat sich mit
seiner Neurose ein wunderbares Sicherheitsventil ein-
gerichtet. Will er zu einem Mädchen gehen, so erkrankt er an so
heftigen Magenschmerzen, so dass ein Rendezvous unmöglich ist. Diese
Magenschmerzen produziert er aber dadurch, dass er schon vorher vor
Aufregung und Brechreiz nicht essen kann. Wir merken, wie schlau diese
Inszenierung seiner Magenstörung ist. Erst wird der Ekel und der Brech-
reiz produziert, um die Nahrungsaufnahme zu verhindern. Dann aber
bohrt der Hunger, und dieser Hunger wird als Magenkrampf aufgefasst und
wird so stark, dass der Hunger die Liebe ertötet. Die Begierde nach
Nahrung ist dann stärker als die Begierde nach dem
Weibe. Nach solchen Attacken überfällt ihn ein Heisshunger.
Jetzt fällt ihm ein, dass er schon nachdem ersten
Traume mit einem fürchterlichen Hunger erwachte.
Dieser Hunger steigerte sich im zweiten Erwachen, um
nach der Pollution vollkommen zu verschwinden.
Was ich von den „nervösen Angstzuständen" behauptet habe, näm-
lich, dass der Hunger die sexuelle Libido vertreten kann, wird hier klar
ausgeführt und illustriert. Jetzt verstehen wir auch die Heizung der
Maschine mit Papier. Der Kalorienwert des Papieres ist ebenso gering,
wie der Kalorienwert der Nahrung, welche er in sexuellen Gefahren zu
sich nimmt. Er hat also in seinem Magen ein ganz wunderbares Sicher-
heitsventil gefunden. Er hungert sich aus und die Befriedigung des Essens
•ersetzt ihm die sexuelle Befriedigung. Er erzählt eine Unmenge von Er-
lebnissen, die alle beweisen, wie geschickt er seine Neurose verwendet.
Ihn reizt jedes Mädchen und er bringt es so weit, dass sie ihm ein Rendez-
vous gibt, in seine Wohnung kommt, oder ins Hotel mit ihm geht, aber
nie ist es zu einem Verkehr gekommen
Für die Analyse ergeben sich schlechte Aussichten. Er will auf sein
Sicherheitsventil, die Neurose, nicht verzichten, er will die Art seiner
Heizung fortsetzen und wünscht den Arzt über alle Berge. Ja er will
Fortachritte der Traumdeutung. 581
sich lieber zur Onanie bekehren, will die Reue und die eigenen Vorwürfe
erdulden, doch auf seine Sicherung nicht verzichten.
Dieser Traum zeigt uns alle Komplexe, auf die Freud ein solches
Gewicht legt. Wir erfahren auch, dass der Inzest bei ihm eine über-
ragende Rolle neben der Homosexualität spielt. Wir sehen aber keinen
„männlichen Protest". Wir sehen wohl einen grossen Ehrgeiz, einen Willen
zur Macht, aber eine entschiedene weibliche Einstellung, ein Auftreten
des Orgasmus, wie *• r sich als W T eib fühlt. Und die höchste Lust
ist immer an die stärksten Strömungen des Innern ge-
bunden. Er flieht die Weiber nicht, weil er eine Niederlage fürchtet,
denn er hat seine Potenz bei Dirnen so kräftig erwiesen und ist ihrer so
sicher, dass er sie überall verwenden kann, wo keine moralischen Hem-
mungen vorliegen. Bei anständigen Mädchen erscheint die Assoziation
zur Schwester, bei Frauen die zur Mutter. Die Homosexualität ist durch
die Beziehungen zum Vater verbarrikadiert. Und hinter allen Hemmungen
steckt eine übergrosse Religiosität, 'die bei ihm jahrelange manifest dauerte
und nun scheinbar überwunden 'ist. Er wollte Geistlicher werden und gab
diesen Plan erst mit 14 Jahren auf. Es ist sehr wahrscheinlich, dass alle
seine Störungen in einer Ehe verschwinden werden, wenn es gelingt, ihn
von seinem Elternhause zu lösen. . . .
Ich möchte noch einige Worte über die religiöse Bedeutung des
Traumes sagen. Es ist merkwürdig, wie von allen Traumdeutern die nahe-
liegende religiöse Bedeutung der Träume übersehen wird, obgleich sie
doch die Bedeutung der Religion für das Seelenleben kennen und bedenken
sollten, dass eine solche gewaltige Kraft sich auch im Traume ausdrücken
muss. So übersieht Maeder in der im Jahrbuche mitgeteilten Traum-
analyse, wo ein grüner Reiter auf einem blauen Pferde über eine Brücke
reitet und ihm den linken Vorderfuss des Pferdes zeigt, dass der Teufel
einen linken Pferdefuss hat und auch hinkt. Tatsächlich gibt, der Patient
als eine der ersten Assoziationen zum blauen Pferde an, dass sie ein
Pferd zu Hause haben, das am linken Vorderbein lahm ist. Auch in dem
Traume ist hier die Beziehung zum Teufel ausgesprochen, der einen ver-
führt; zum Trinken, zum Huren, kurz zur Sünde. Die homosexuelle Begung
wird als Teufelswerk betrachtet, wie man besonders aus den Mitteilungen
Luthers erkennen kann, dem der Teufel so oft auf dem Abort erschien und
ihm seinen Hinterteil zeigte. . . .
j a — es ist erstaunlich, wie wenig die moderne Traumforschung die
religiösen Regungen des Traumes berücksichtigt. Allerdings gehört ein
gewisser Spürsinn dazu, die religiösen Symbole aufzufinden. Ich habe
in meinem Buche „Die Träume der Dichter"' und auch in der letzten Arbeit
über den Fetischismus instruktive Beispiele gegeben. Ich will nun auch
an diesem Traumbeispiele die Bedeutung der Religiosität für die Dynamik
der Neurose aufweisen. Zu bemerken ist, dass für die Religionssymbolik die
gebräuchliche Assoziationsmethode von Freud versagt. Die Einfälle sind
selbst maskiert und bedürfen einer Deutung, was gerade aus der Analyse
von Maeder deutlich hervorgeht. (Siehe den Einfall vom lahmen Pferde 1)
Unser Patient ist ein Atheist und Freigeist, der früher sehr fromm war.
Er musste seiner Mutter schwören, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen,
was er mit 20 Jahren aufgab. Die Mutter protestierte erst dagegen und
war sehr unglücklich und fügte sich erst, als ihr Sohn sie von seinem voll-
kommenen Unglauben überzeugte. Sie sagt ihm aber wiederholt: Ich
5S2 Dr. Wilhelm Stekel,
glaube bestimmt, dass Gott dich erleuchten wird, und du eines Tages wieder
fromm sein wirst. Darüber lacht er nur und ist überzeugt, dass diese Zeit
nie kommen wird, Noch frömmer war seine Grossmutter, bei der er
jeden Sommer zu Gast war. Ein Traum der letzten Nacht während dieser
Niederschrift lautet:
„Ich bin bei meiner Grossmutter. Sie geht früh
morgens in die Kirche und fordert mich auf mitzugehen.
Ich weigere mich. Am nächsten Morgen wiederholt sie
dieAuff orderung. Ichbekomme heftige Magen sc hm erzen
und sage: Ich werde ein Sonnenbad nehmen. Das ist-
dasselbe "
Wir sehen, wie die Imperative der Kindheit in der Mahnung der Gross-
mutter im Traume lebendig werden. Wir konstatieren einen Zusammen-
hang zwischen der Weigerung in die Kirche zu gehen und den Magen-
schmerzen, und lernen, dass die Sonnenbäder des Patienten eine Ersatz-
religion sind, wie ich das wiederholt betont habe 1 ). Wir forschen nach
und hören, dass der Kranke jeden Abend mit der Versuchung kämpft, ein
„Vater unser" zu sagen, dass er das abwehrt und sich gesteht: Das ist
doch ein Unsinn! Du glaubst ja diese Sachen nicht mehr. Trotzdem
passiert es ihm im Halbschlafe, dass er einige Sätze aus dem „Vater
unser" betet, weil er sich wieder ein Kind fühlt. Er trägt zwei kleine
Marienmünzen immer bei sich, die er in einem Wallfahrtsorte erhalten
hatte. „Es ist so mehr ein Aberglauben. Ich trage sie immer in meiner
Börse, weil ich glaube, dass sie mir Glück bringen." Er hat sein Gebet-
buch der jüngeren Schwester geschenkt, wo er es dann immer wieder
sehen und in die Hand nehmen kann. Er besucht Kirchen, weil er sich
für Kirchenmusik interessiert.
Und nun zu seinem Traume. Der Teufel erscheint ihm in der Gestalt
des Pferdes und will ihn durch seine Teufclskünstc verführen. Deshalb
kommt das Pferd durch alle Türen und über alle Hindernisse. Er glaubte
eine Zeitlang fest an den Teufel. Er ging in eine Kirche, wo der Pfarrer
sehr viel vom Teufel sprach, auch behauptete, es gäbe lebende Zeugen,
die einen Teufel gesehen hätten. Sein Grossvater war ganz empört, weil
der Pfarrer den Gläubigen so dumme Geschichten erzähle und weigerte
sich in die Kirche zu gehen. Er wurde aber immer mit der Angst vor
dem Teufel erzogen. War er schlimm, so hiess es, der Teufel werde ihn
holen. Wollte er nicht beten, so Hess man im Nebenzimmer klappern
und der Teufel wurde angesagt. Demselben Erziehungszweckc diente die
Hexe. Eine alte hässliche Frau kam einmal als Hexe in sein Zimmer
und schreckte ihn und die anderen Kinder so furchtbar, dass sie noch viele
Jahre an diese furchtbar schreckliche Erscheinung denken mussten. Im
Traume wird er vom Teufel verfolgt, vor dem er sich rettet. Im zweiten
Traumstücke ist er selbst der Teufel und kann zaubern. Dies war die
stärkste Sehnsucht seiner Jugend und er hätte sich gerne dem Teufel
verschrieben, um zaubern zu können. Nur durch Teufelskünste bringt
er die höllische Maschine in Bewegung. In seiner Kindheit war es auch
sein heisser Wunsch, sich eine Lokomotive durch Zaubern zu erbauen
und mit ihr zu fahren, wohin er wollte.
Die Magd, die ihm drei Papierknäuel bringt (Anspielung auf die
heilige Dreieinigkeit?), das Dienstmädchen ist wie in vielen Träumen ein
i) Vergl. „Masken der Religiosität*. Dieses Blatt Band IV.
Fortschritte der Traumdeutung. 583
Symbol der Himmelsmagd, wofür ich viele Beweise erbringen könnte.
Er war ein schwärmerischer Marienverehrer. Er muss erst diesen Kult
aufgeben, um zaubern zu können. Doch der Traum ist ein Kompromiss aus
beiden Regungen und drückt auch eine polare Strömung aus ; Er heizt
mit himmlischem Feuer, mit dem Glauben, der ihn schützt und sein
Leben auf die richtige Bahn bringt. Er wünscht mich zum Teufel, um seine
geheime Religion weiter führen zu können. Doch der alte Kinderwunsch,
Zauberer zu sein, geht am deutlichsten hervor. (Der Traum stellt eben
nicht einen Wunsch dar. sondern das Konglomerat von Wünschen, die
im wirren Durcheinander durch die Seele ziehen.) Im Traume, der sich
anschliesst, ist der Zauber ebenso durchsichtig. Die religiöse Bedeutung
des Anspritzens (mit Weihwasser .... Perolin reinigt und desinfiziert
die Luft!) ist leicht zu erkennen, ebenso wie die Vermengung von religiösen
und sexuellen Motiven, die in der Neurose und Psychose eine so über-
ragende Rolle spielt. Er erliegt der Versuchung, er wird von einer Teufeline
verführt. Das alte Weib am Schlüsse ist die Hexe seiner Kindheit, die
erscheint, um den Sünder zu bestrafen. (Er gibt auch eine starke Geron-
tophilie zu und hat sich einmal in eine GO jährige Dame verliebt.)
Die Bibel, die Evangelien, seine Gebetsbücher, seine Beichtzettel,
sie befinden sich alle in den Papierknäueln, die er verbrennen muss, um
sich von allen religiösen Hemmungen zu befreien.
Der Traum zeigt also eine prospektive Tendenz, die Hemmungen
der Religion, die Angst vor Hölle und Teufel, die Angst vor Hexen zu über-
winden und sich den Trioben hinzugeben. Er wird sein Leben in die
Hand nehmen, wird seine Maschine selbst heizen, wird sich Frauen hin-
geben, die alle das Bild seiner Schwester tragen werden. Deutlich drückt
auch der Traum aus, dass die Homosexualität auf die Weise fixiert wird,
dass alle Frauen Affektwerte der Mutter und Schwester erhalten. Er
befindet sich auf einer sexuellen Leitlinie, die vom Weibe weg zum
Manne führt. Diese will er verlassen und alle Hemmungen überwindend
ein normaler Mensch werden. Er benotigt nicht mehr die Sicherungen seiner
Neurose, er ist sein eigener Herr, empört sich gegen die religiösen Im-
perative, wird selbst zum Zauberer und Gotte und tut hemmungslos,
wozu es ihn treibt.
Hat dieser Traum nicht die Funktion eines Warners? Selbstverständ-
lich. Er sagt ihm, so wird es dir gehen, wenn du die Sicherungen auf-
gibst und deinen Trieben folgst. Vor dir steht drohend der Inzest und
die furchtbare Reue. . . .
Und trotzdem ! Ist denn dieses innere Warnen, dieses
Abwägen der Zukunft kein Wünschen? Ist nicht jeder
Wunsch ein Gestalter der Zukunft? Wir müssen Freud,
dem genialen Bahnbrecher der modernen Traumdeutung, die Konzession
machen, dass sich bei einigem guten Willen jeder Traum — mit Ausnahme
der telepathischen Träume — auf einen Wunsch zurückführen lässt. Die
Warnung ist ein Wunsch des moralischen Ich, ist das Bestreben des
Edelmenschen, sich trotz aller Regungen der Triebe durchzusetzen und
das Ich einer höheren Entwickelung zuzuführen. Der Höhendrang des
Menschen, an den ich fest glaube, die Umwandlung zum Edelmenschen
setzt sich in diesen Warnungen und in dem Vorhalten der moralisch-
ethischen Imperative durch. Das lehrt uns jede Traumanalyse, die sich
bemüht, bis auf einander widerstrebende Wünsche zu kommen. Denn
u
584 Dr. Wilhelm Stekel,
jede Seele ist ein Durcheinander von Wünschen und Strebungen, die mit-
einander im Kampfe stehen. Ich habe lange gebraucht, bis ich die Kampf-
träume verstanden habe. Jetzt weiss ich, was alle die Schlachten, die
Hingkämpfe, die Verfolgungen bedeuten, von denen die Menschen träumen.
Armeen marschieren auf, Türken kämpfen mit Deutschen, Franzosen mit
Engländern, und jeder einzelne Soldat bedeutet einen Wunsch, eine Regung
unseres Innern. Die Türken sind die Vertreter der Polygamie, die Eng-
länder die Vertreter der religiösen Gedanken, um nur eine Lösung aus
einer Traumanalyse anzuführen. Ein anderes Mal mögen sie etwas anderes
bedeuten. Es gibt eigentlich keine allgemein gültigen
Symbole. Ihre Kenntnis kann uns in der Traumdeutung unterstützen,
aber wehe dem Trauindeuter, der sich nur auf sein Traumlexikon verlässt.
Es gibt ein soziales und ein individuelles Traumlexikon und beide müssen
nicht übereinstimmen 1 ).
Wir haben bisher geglaubt, dass uns der Traum wichtige Aufschlüsse
über die Vergangenheit bringen kann und ein Wegweiser in der Psycho-
analyse wird. Ich habe schon wiederholt darauf hingewiesen, dass man
die Träume von Patienten, die lange in Behandlung stehen, mit grosser
Skepsis verwerten muss und sich immer zuerst die Frage vorlegen muss:
Was will der Träumer dem Arzte mit diesem Traume sagen? Oder mit
anderen Worten: Wie stellt er sich zur Psychoanalyse und zum Arzte.
Der Traum ist das wertvollste Hilfsmittel zur Entdeckung der Widerstände.
Freilich muss man die Sprache des Traumes verstehen und die geheimen
Beziehungen zum Arzte aufdecken können.
Ich will das an zwei Beispielen zeigen. Eine Dame, die in meiner
Behandlung steht und sehr willig ist, scheinbar gar keinen Widerstand
produziert, ist sehr genial im Erfinden von Aktualitäten, welche den
Einfall durch den Vorfall ersetzen. Sie erlebt immer etwas, was
ungeheuer wichtig ist, verliebt sich, setzt sich Gefahren aus, arrangiert
Konflikte, nur um die Stunde auszufüllen und die retrospektiven Tendenzen
zu verhindern. Diese Dame träumt:
„Ich bin einen Tag nicht in die Malschule gekommen
und fürchtete mich vor der Frau Professor und er wartete
eine Rüge. Ich sah sie schon von weitem kommen und
wollte mich schnell verstecken. Doch sie erblickte mich
gleich und frug mich um meine Arbeit. Ich habe sie an-
gelogen und sagte, dass ich in der Kirche gemalt habe,
und dass meine Arbeit drinnen steht. Ich hatte schreck-
liche Angst, dass sie mir auf die Lüge drauf kommt. Mit
dem Fusse hielt ich die Kirchentüre zu, mit der Hand
täuschte ich ihr vor, dass die Schnalle nicht aufging
und dass die Kirche versperrt sei. Sie war schon nahe
daran, selbst die Türe zu versuchen, doch zum Glücke
tat sie es nicht."
Ein Teil des Traumes entspricht den Tatsachen. Sie hatte einen
Tag nicht gemalt und sich vor der Frau Professor gefürchtet. Viel wichtiger
ist die Beziehung zu mir. Ich bin die Frau Professor, werde zur Frau ent-
wertet, weil ich ihre Liebeswerbungen abweise. Ihr Inneres wird hier als
>) Vergleiche meine Ausführungen in dem kleinen Aufsätze , Individuelle
Traumsymhole". (Dieses Blatt IV. Band Heft V/VI.)
Fortschritte der Traumdeutung.
Kirche, als Kapelle dargestellt. Sie beteuert immer ihre Aufrichtigkeit.
Der Traum verrät dieses Doppelspiel. Sie sperrt mit dem Fusse die Türe
ab und versucht scheinbar willig die Schnalle, um die Türe zu öffnen.
Kennt man die Beziehungen zum Arzt und die Symbolisierung der
Neurose, wie ich sie dargestellt habe, so wird mancher dunkle Traum
durchsichtig und wir ersparen uns manche Täuschung. Als Beweis will
ich eine Traumdeutung anführen, die sich Sa dg er in seiner Arbeit
„Analyse eines Falles von Autoerotismus" (Jahrbuch V. Band) geleistet
hat. Der Traum lautet;
„Es ist ein Zimmer, in dem ausser mir noch andere
Personen anwesend sind. Eine alte Frau, deren Tage
gezählt zu sein scheinen, geht aus dem Zimmer in ein
Nebengemach und alle Anwesenden verabschieden sich
von ihr. Ich tue dies als letzterund bemühe mich, etwas
besonders Herzliches zu sagen, wünsche auch wohl
gute Besserung. Ein ungläubiges müdes Lächeln zeigt
die Frau nach meinen Worten. Ich sehe meine Mutter
mit verweinten Augen und empfinde unendliches Mit-
leid mit ihr. Aus diesem Gefühle heraus habe ich ihr
die Ehe versprochen. Als sie nicht mehrso von Schmerz
gepeinigt erscheint und mein Mitleid infolgedessen
geringer wird, bereue ich mein Ehe versprechen f a s t e i n
wenig, da ich fürchte, bei ihrer Launenhaftigkeit wird
die Ehe nicht besonders angenehm werden."
Ich entnehme die Traumanalyse dem Jahrbuch für psychoanalytische
und psychopathologisclie Forschungen (SL 480).
Sadger Bagt: „Ich gebe die Traumdeutung nur, soweit sie zu unserem Thema
gehört".
„Zunächst sieht der Traum so aus, als ob ich beim Tode der Grossmutter da-
bei gewesen wäre, doch weiss ich nichts davon. Übrigens ist es im Tranm nicht
unmittelbar das Sterben, sondern kurz vorher. Dass sie aus dem Zimmer ins Neben-
gemach geht, heisst wohl: Sie ist im Begriffe zu sterben. Möglich, dass sie die Kinder
noch einmal sehen wollte."
„Es ist sehr bezeichnend, dass sie das Mitleid nicht mit der Grossmutter, sondern
mit der weinenden Mutter haben.''
„Und das ganze Versprechen heisst vielleicht: Ich will meine Liebe von der
Grossmutter auf die Mutter übertragen."
„Und kann anknüpfen an ein wirkliches Ehe versprechen des Kindes, zumal
Kinder auf solche Art sehr häufig ihre Liebe dokumentieren. Das heisst dann nichts
anderes als: Ich möchte mit dir zusammenschlafen, wie der Vater, der mit dir ver-
heiratet ist. Und sie bereuten das vielleicht nachträglich, nachdem sie Bähen, dass
ihre Mutter weniger auf ihre Liebe reflektierte, als auf die des Bruders."
„Ja was sollte es anders? Der Traum ist so durchsichtig, dass
kaum'ein ZweiTel bestehen kann, dass ich beim Sterben der Grossmutter war.
Und dass ich ihr etwas besonderes Herzliches sagen will, beweist meine besonders
grosse Liebe zu ihr."
„Das Wesentliche des Traumes besteht darin, dasssie ihre
Liebe auf die Mutter übertragen wollten und da eine grosse Ent-
täusch ung erl ebten."
A.
586 Dr. Wilhelm Stekel,
,,.Ta. Man kann sagen, bis dahin war ich mit der Grossmutter verheiratet,
wir schliefen zusammen und jetzt wollte ich mit der Mutter schlafen. "
„Und endlich beweist der Traum, was wir schon aus anderen Dingen
erschlossen, dass die Launenhaftigkeit der Mutter die frühe grosse Enttäuschung
setzte, auf Grund deren sie sich auf den Autoerotismus zurückzogen."
„Gerade in der Zeit des ersten grossen sexuellen Vorschubs mit 2*/« Jahren
ward ihm das Glück, die gesamte Liebe der Mntter auf sich zu ziehen durch seine
lebensgefährliche Erkrankung und die ihr folgende Entfernung der Geschwister aus
dem Hause. Bisher nämlich hatte er die Liebe der Mutter mit jenen nicht nur teilen
müssen, das wäre ja der natürliche Fall, sondern war von ihr den beiden älteren
und hübscheren Geschwistern allzeit arg hintangesetzt worden. Nun besass er zum
erstenmal eine Mutter, mit der er zusammen schlafen durfte und die ihn mit Sorg-
falt und Treue pflegte. Wie stark er sie damals geliebt haben muss, erweist uns
ein von den Eltern berichteter, unscheinbarer Zug, der aber für den Analerotiker
durchaus bezeichnend ist. Patient, der wiederholt darauf zurückkommt, erzählt dies
so : „Ich hatte Diarrhöe und habe die Wand am Kopfende des Bettes auf ganz un-
erklärliche Weise beschmutzt. Ob diese, ich muss schon sagen: Liebkosung am
Kopfende nicht den Eltern zugedacht war? Was macht sonst der Kot an der Wand?
Ich muss ganz besondere Veranstaltungen getroffen haben, sonst wäre es ja unmöglich,
dass es am Kopfende geschah. Es war nicht bloss mit den Fingern hingeschmiert,
sondern ich muss direkt hingemacht haben, denn Mutter schrieb: Auf ganz uner-
klärliche Weise, und mit den Fingern wäre es ja nicht unerklärlich."
„Es kann wohl nicht anders gewesen sein, als dass ich einen erotischen Sinn
damit verband. Es muss einen Sexual akt mit meiner Mutter dargestellt
haben".
Damit beschliesse ich die Probe aus dem Schatzküstlein von Weis-
heiten, welche uns die letzte Arbeit von Sadger erschliesst. Das soll
eine Wissenschaft und das soll Traumdeutung sein! Sadger lenkt die
Einfälle nach seinem ßelieben in die Mutterkomplexe „es muss schon so
sein" . . . „so wird es gewesen sein" . . . „es kann nicht anders sein". —
Nun möchte ich dem Kollegen Sadger doch zeigen, dass es anders
sein kann, und dass der publizierte Traum eine ganz andere Bedeutung
hat und höchstens einen Beweis liefert, dass Dr. Sadger in Traum-
deutungen seinen Patienten furchtbar hereinfällt. Ein Traum, in der
An alyse geträumt, beweist an und für sich gar nichts,
und ein Patient endlos oft nach infantilen Traumen gefragt, so träumt
er die schönsten Träume. Doch in diesem Falle ist nur eine ungeheuere
Verhöhnung des Analytikers herauszulesen.
Zuerst. . . Wer ist die Grossmutter des Traumes? Niemand anderer
als Dr. Sadger. Wer es nicht glaubt, halte sich an Sadger, der auf
beite 479 folgende Worte des Patienten (aus seinem stenographischen Pro-
tokoll) berichtet. Man muss nämlich wissen: Sadger stenographiert
hinter dem Patienten sitzend alle Aussprüche und auch seine eigenen
Fragen. So kommt das enorme kostbare Material zustande. Nun der
Patient sagt zu Sadger:
„Sie, Herr Doktor, sind in Wirklichkeit auch immer
eine schlechte Grossmutter gewesen und haben mir nie
geholfen. Darum sind meine Träume so eigentümlich
und setzen voraus, dass ich ungeheilt bin und dass es
mir schlecht geht wie damals. Wozu noch der Wunsch
kommt, Sie — — — — respektive die Grossmutter.. ."
Fortschritte der Traomdeutung. 587
Wir sehen, diese Deutung ist nicht schwer. Sadger ist die Gross-
mutter. Er mag diese Identifizierung als Kompliment auffassen und
nun die Liebe der Grossmutter beanspruchen. Sie enthält auch eine
Schmähung und entwertet den Arzt; sie macht zu einem alten Weibe.
Der Anfang des Traumes heisst also: Ich bin im Ordinationszimmer
von Sadger, wo ausser mir noch andere Patienten in Behandlung stehen.
Seine Tage sind gezählt. Ich werde die Kur bald abbrechen. Nicht nur
ich allein. Alle anderen Patienten werden diese Kur aufgeben, ich werde
sogar als letzter ihm den Abschied geben und meine Unhöflichkeit mit
ein paar herzlichen Worten drapieren.
Auch für diese Deutung findet sich auf Seite 479 in einer Anmerkung
die Erklärung. Der Patient leistete sich mehrere Male während der Be-
handlung den „Scherz", ihm einen Abschiedsbrief zu schreiben. Sad-
ger erkannte sofort, dass der Patient nur auf die Aufforderung wartete,
um zurückzukommen. Er baute ihm dann immer „eine Brücke". Das
heisst, er forderte ihn mit dem Versprechen der Heilung auf, die Behand-
lung fortzusetzen *).
Doch setzen wir die Analyse fort. Wer ist die Mutter des Traumes?
Diese Figur ist ein sehr durchsichtiges Symbol für die Neurose selbst. Seine
Krankheit sträubt sich gegen das Gesundwerden und er sieht sie mit ver-
weinten Augen. Die Neurotiker erzählen uns solche Dinge in der Behand-
lung, wenn wir sie danach fragen und auch ohne Befragen. So gestand
mir ein Zwangsneurotiker, dass er seine Krankheit seufzen höre : Lass
mich leben, lass mich leben I ,.Der Kranke hat seiner Neurose die Ehe
versprochen", d. h. er ist unlöslich mit seiner Krankheit verbunden, auf
die er sehr stolz ist. Er bereut dies Versprechen, weil er fürchtet, dass
i) Ich mochte über diesen Vorgang einige Worte sagen. Wie soll sich der
Arzt verhalten, wenn der Kranke mit der Drohung kommt, dass er aus diesem oder
jenem nichtigen Grunde die Behandlung abbrechen wolle? Ich ziehe in einem solchen
Falle sofort alle Konsequenzen und breche die Behandlung ab, lasse mich vom
Patienten bitten, sie fortzusetzen und dann kommt diese Drohung nie mehr vor.
Bricht aber der Patient die Behandlung ab, dann ist der Widerstand so gross, dass
jede Analyse illusorisch und überflüssig wird. Ich muss aber gestehen, dass diese
Eventualität bei mir sehr selten ist. Ich mache es dem Patienten immer begreiflich,
dass ich mir das Recht vorbehalte die Behandlung abzubrechen, wenn ich merke,
dass die Aussichten einer Heilung schlechte und die Widerstände zu grosso sind und
mache unter Umständen von der Drohung ausgiebigen Gebrauch, ja ich schrecke nicht
davor zurück, die Behandlung in der Tat abzubrechen. Der Patient darf nie das
Gefühl haben, dass der Arzt auf ihn augewiesen ist, dass er um ihn steht, sonst ist
achon die ganze Analyse zum Teufel. Die Drohungen des Patienten dienen dazu,
um den Arzt zu demütigen und über ihn zu triumphieren. Man muss es den Kranken
begreiflich machen, dass ein Misserfolg sie trifft und nicht den Arzt. Gegen Sadger
hatte der Kranke schon wegen der Konfession die grössten Widerstände, wie er mir
gestand. Das war der Grund, weshalb ich den Kranken nach lnehrwöchentlicher
Analyse fortschickte. Vielleicht bezieht sich auf diesen Gegensatz der Ausdruck
des Traumes „ungläubiges" Lächeln. Nie darf der Analytiker dem Krankeu eine
Brücke bauen, nie darf er ihn mit Bücksicht auf den Erfolg ersuchen, zu bleiben,
ihm Versprechungen machen. ... Ich habe einen Patienten behandelt, der sechs Jahre
über den Arzt triumphierte, der ihn immer wieder ersuchte zu bleiben. Nach sechs
Jahren kam er zu mir und wurde in einigen Wochen gesund.
588 Dr. Wilhelm Stekel,
die Ehe bei ihrer Launenhaftigkeit nicht besonders angenehm sein wird."
Die Krankheit ist ja kein Vergnügen und stört ihn empfindlich im Lebens-
genuss.
Aus diesem Traume ist aber ersichtlich, dass ein geheimes Gelübde
den Kranken an die Krankheit bindet. Hier stossen wir auf das ,,J u n k t i m"
Adler's oder auf den „neurotischen Konditionalsatz", wie ich
dieses Symptom nenne. Solange er krank ist, wird der Vater leben ....
oder so ähnlich lauten die Gelübde, welche sich solche Kranke geben.
Ich habe schon vor vielen Jahren auf diese Todesklausel bei der Zwangs-
neurose aufmerksam gemacht. Der Fetischismus ist nur eine bestimmte
Form der Zwangsneurose und enthält alle Mechanismen der Zwangs-
neurose. ....
Jetzt lese man aber die Analyse Sadgers, die Analyse dieses
„hochbedeutsamen Traumes", wie sich dieser Autor ausdrückt. Er meint,
der Kranke hole den Abschied von der Grossmutter nach, findet eine
Übertragung der Liebe auf die Mutter, beschreibt ausführlich die un-
appetitliche Dreckszene und merkt nicht, dass der Traum besagt: Ich
verlasse dich und will mir meine Krankheit, behalten, auch wenn sie mir
einige Unannehmlichkeiten bereitet.
Der Kranke studierte den ganzen Tag die Freud'sche Traumdeutung.
Bort holte er sich die Waffen, um sich über'seinen Arzt lustig zu machen
und über ihn zu triumphieren. Jede Traumanalyse ein neuer Triumph,
jeder Tag der Analyse mehr eine grössere Demütigung des Arztes.
Analytiker sein, heisst ebendieses feine Zwischen-
spiel erkennen. Diese Leiden sind nur in der Hand des Stümpers
unheilbar. Die Analyse ist ein herrliches Skalpell, mit dem der ge-
schickte Operateur die grössten Neoplasmen operieren kann. In der Hand
des Stümpers wird die Analyse und die Operation zur Farce und ein
neues Trauma.
Gerade die Traumanalyse kann uns ein sicherer Führer sein, ob
wir uns auf dem rechten Wege befinden, kann uns ein Wegweiser sein'
in dem Dunkel der Arbeit
Ich komme häufig in die Lage, Träume zu analysieren, welche andere
Analytiker bereits analysiert haben und staune jedesmal, wie blind die
Kollegen sind. Sie warten auf die Einfälle des Kranken und übersehen
die wichtigste Einstellung, die gegen den Arzt.
So hatte ich jetzt Gelegenheit, einen psychoanalytischen Ahasver
zu untersuchen, der bereits vier Ärzte mit seiner Neurose beschäftigt hatte.
Der erste in München hatte ihn über ein Jahr lang und dann später wieder-
holt analysiert, schickte ihn dann nach Wien, wo er auch viele viele
Monate bei einem erfahrenen Analytiker in Behandlung stand. Man glaube
nicht, dass diese Kranken über die Analytiker immer ungehalten sind. Im
Gegenteil! Sie loben sie über den grünen Klee — aber sie werden
nicht gesund. So kenne ich einen Patienten, der auch in psychoanalytischen
Blättern mitarbeitet und sehr schöne Beiträge liefert, aber er behält trotz
dreijähriger Behandlung seine Platzangst bei und bleibt weiterhin krank.
Mit der Krankheit schmäht und straft er seinen Arzt. Dieser Arzt, einer
der besten seines Faches, erkannte nicht, dass der Patient ihn scheinbar
bewunderte und sich innerlich über ihn lustig machte. So konnte der
Kranke eine Zeitlang seinen Stuhl nur in der Wohnung des Arztes ab-
Fortschritte der Traumdeutung.
setzen und Hess sich sogar des Nachts die Wohnung öffnen, um sein
Bedürfnis zu verrichten und .... das wurde ihm gestattet!
Der Kranke aber, von dem ich jetzt spreche, erklärte sich als
gesund. Er arbeitete nicht, machte keine Prüfung, der Weg zum Weibe blieb
ihm nach wie vor verschlossen, aber die Analyse mehrerer Jahre hatte
sein Persönlichkeitsgefühl gesteigert und die Minderwertigkeitsgefühle in
den Hintergrund gedrangt.
Wie kam das zustande! Nicht durch die Psychoanalyse! Nein,
nur weil die Analytiker ihm nicht geholfen hatten, weil er über vier
kluge Menschen triumphieren konnte, er, der Neurotiker, der Kranke, der
Schüler über seinen Lehrer. Das Misslingen der Analyse hatte
ihn stolz gemacht und er arbeitete nun daran, sich
selbst zu heilen und zu analysieren.- Er analysierte
viele Stunden täglich, blieb so krank wie zuvor und
fühlte sich gesund. ...
Solche Schleichwege geht der Neurotiker und die Ärzte nehmen seine
Worte für bare Münze. Ärzte, die er schätzte, suchte er nicht auf, weil
er sie fürchtete. Er besuchte Freud nur einmal, kannte Adler sehr
genau und fürchtete ihn, wäre auch nicht zu mir gekommen, wenn nicht
ein harmloses Feuilleton aus meiner Feder ihm Mut eingeflösst und die
Gewissheil gegeben hätte, auch mich niederzuringen, über mich zu trium-
phieren und seine Neurose zu behalten. Ich stellte ihm als Aufgabe, zwei
beliebige Träume aus den früheren Behandlungen zu bringen, die nicht
erklärt werden konnten. Ich überliess ihm die Auswahl, weil ich wusste,
dass jeder Traum sein Verhältnis zum Arzte und zur Psychoanalyse be-
handeln werde.
Der erste dieser Träume folgt nun samt den Einfällen des Kranken :
„Mir träumte, ich befände mich in einem Hörsaal
der Universität, in welchem soeben Professor Schick
seine Vorlesung beginnen sollte. Statt seiner erscheint
ein anderer Dozent — : ich bin in einen falschen Hör-
saal geraten. Ich will den Hörsaal verlassen und den
Hörsaal Professor Schick's aufsuchen, um sein mir sehr
wichtiges Kolleg nicht zu versäumen, doch am Aus-
gang des Auditoriums angekommen, fällt mein Blick
auf den Dozenten und ich bleibe in dem falschen Hör-
saal um ihm zuzuhören. Es ist nämlich der berühmte
neue Privatdozent der Germanistik Scherer (NB. ein
Phantasieprodukt). Er hat ein nicht unsympathisches
Äussere, dunklen Tituskopf, goldene Brille, gestutzten
Schnurrbart, und trägt sehr interessant und mit sym-
pathischer Schlichtheit sprachgeschichtliche Pro-
bleme vor. Dabei verwandelt er sich nach und nach in
einen ekelhaften Kerl, mit weichem gepflegtem Kopf-
und Barthaar (Vollbart), zarter Gesichtshaut, mädchen-
haften hellblauen Augen, affektiertem Vortrag. Er be-
handelt plötzlich irgendwelche ästhetische oder litte-
rarische Fragen, wobei eine gekünstelte, süsslich-
sentimentale Auffassung zutage tritt, die sich ihrer
Wirkung auf die anwesenden weiblichen Zuhörer b e -
Zentnüblatt fllr Psychoanalyse. 1Y"/ 1 ». 39
590 Dr- Wilhelm Stekel,
wusst ist. Ich fühle Abscheu gegen diesen femininen
Kerl. Ich nehme immer deutlicher weibliche Züge an
ihm wahr, bis er auf einmal in einem dekolletierten
grünen Kleid auf dem Katheder steht. Ich denke mir:
„Jetzt ist der Kerl doch ein Frauenzimmer und merkt
es nicht." Inzwischen geht wieder eine Metamorphose
vor sich (oder habe ich dies schon vorher geträumt?).
Der Mann steht in einem blauen Saccoanzug auf dem
Katheder; dabei ist sein Hosentürl offen. Zu meinem
Schrecken scheint er plötzlich mein ironisches Lächeln
wahrzunehmen. Doch nein, dies Lächeln ist ihm nicht
nur an mir aufgefallen, sondern am ganzen Auditorium.
Und die Ursache dieser Heiterkeit ist nicht sein femi-
nines Aussehen — denn er hat auf einmal wieder ein
ganz männliches Äussere und trägt einen blauen Sack-
anizüg — , sondern sein Hosentürl ist offen und zwar
einschliesslich des obersten Knopfes, so dass es in
Form eines Dreiecks offen steht, dessen Spitze unten
beim Penis ist. Der Dozent entdeckt den Toiletten-
mangel, zeigt jedoch nicht die Spur von Befangenheit,
sondern beginnt in durchaus, männlich -sachlicher
Weise dem Übelstand abzuhelfen. Die Sache ist aber
merkwürdig umständlich. Sein Penis ist nämlich in
dunkelblaue Stoffbinden gewickelt, die sich gelockert
haben, und die er erst sorgfältig wieder herumwickelt.
Auch ist ein brauner Lederriemen sichtbar, den ich mir
merkwürdigerweise als zu einem Suspensorium gehörig
erkläre. Ein Suspensorium trägt auch mein Freund T. ,
der sich überhaupt auf alle Fragen der Toilette, der
Sexualhygiene besser versteht wie ich, der mit Weibern
sicher umgehen kann, ,weil er seiner nie versagenden
männlichen Kraft sich be wusst ist'."
Einfälle zum Traum:
Falsches Auditorium: Hemmungsmotiv : Ich mache wieder einmal etwas
verkehrt; ich versäume ein Kolleg. Ich versäume ein Kolleg Schicks. Schick gegen-
über habe ich überhaupt ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm immer noch nicht von
einem günstigen Fortgang meiner Spezialarbeit berichten konnte. Der Dozent Scheret
ist eine Verdichtung aus einer Anzahl von Personen.
„Scherer": Ich habe mir neulich Johannes Scherrs Schillerbiographie gekauft.
Wilhelm Scherer ist berühmter Literarhistoriker, einer der Literarhistoriker, die mit
ein Muster und Vorbild sind, die ich beneide. Ein ganzer Kerl. Mir fällt auch der
Name Scheeler ein. Der .Fall Scheeler."
Weiches Haar: Neulich einem alten Schulkameraden begegnet. Sein flaumiges
Haar und kindliches Gesicht stand in komischem Kontrast zu seiner Einjährigen-Uni-
form. Im Seminar ist auch ein junger Mann mit flaumigem Haar und zartem Teint.
Zugleich trägt der Dozent Züge des Privatdozenten Dr. B. und Professor S.
Die etwas gekünstelte, sentimentale und etwas auf Erfolg bei den Damen
spekulierende Ästhetik ist ein Zug, über den ich mich manchmal bei Sieger ärgern
zu müssen glaubte.
In dem Ekel am Femininen verbirgt sich der Ekel vor meinen eigenen femininen
Charakterzügen. Offene Hosentüre ist Hemmungsmotiv? Es ist wieder einmal etwas
Fortschritte der Traumdeutung. 591
bo, wie es nicht sein sollte. Man wird mit dem Objekt und seiner Tücke nicht fertig,
denn man ist verträumt und zerfahren.
Zugleich exhibitionistisches und Voyeur -Motiv. Mir fällt jetzt ein weiteres
Stück des Traumes ein:
Während der Dozent mit dem Ordnen seiner Toilette beschäf-
tigt ist, beobachtet ihn eine Hörerin und macht dabei onanierende
Bewegungen mit den Oberschenkeln.
Dies ist eine Erinnerung an eine Beobachtung, die ich neulich im Kolleg
machte. Vor mir sass eine ziemlich sinnlich (autoerotisch?) aussehende Hörerin,
die sich sichtlich langweilte und dabei wippende Bewegungen mit den Beinen machte.
Ich überlegte mir einen Augenblick ob ich nicht mit einer Bolchen autoerotiechen
Person anbändeln sollte und ob dies nicht viel gegenseitige Befriedigung mit sich
brächte. Doch würde hier die Gefahr liegen, dass ich mich dabei zu stark auf ein
perverses Sexualziel fixierte.
Die Unbefangenheit des Dozenten beim Wahrnehmen des offenen Hosentürla
ist eiüe Wunscherfüllung: So unbefangen möchte man in solcher Situation sein. Der
blaue Anzug: Gestern überlegte ich mir in der Vorlesung: „Hat Seh. einen blauen
Saccoanzug oder einen schwarzen Jackettanzug an?"
Ich hatte selbst ausnahmsweise einen schwarzen Jackettanzug an, da ich vor
dem Kolleg einen Besuch gemacht. Wenn wir nun beide schwarze Röcke anhätten,
würde das Auditorium glauben, wir kämen beide von irgend einer besonderen aka-
demischen Feier, die nur dem Lehrkörper und einigen Bevorzugten zugänglich gewesen
sei, und solch ein Bevorzugter sei ich gewesen. Derartige lächerliche, kindisch-eitle Vor-
stellungen kommen mir oft zwangsartig, d. h. ich weiss, dass sie lächerlich und
kindisch sind und kann ihnen trotzdem nicht widerstehen.
Die blauen Binden sind eine Verdichtung aus den blauen Reformunterhosen,
die mein Mädel trägt, und aus den Monatsbinden, von denen sie neulich einmal sprach.
So weit gehen die Einfälle des Patienten. Der Traum wird sofort
durchsichtig, wenn man für den Professor Schick den Professor Freud
setzt den er aufsuchen wollte und auch später aufsuchte, und für den
Privätdozenten einen seiner Schüler, Dr. X., der ihm immer in dozierendem
Tone Vorträge über die Charakterologie des Neurotikers hielt. Man be-
achte aber die Fülle von Schmähungen, mit denen er seinen Arzt über-
häuft! Er ist in einem falschen Hörsaal, am unrechten Orte, der Arzt,
anfangs sympathisch, wird ein ekelhafter Kerl, der sich über Litteratur
und sprachgeschichtliche Probleme unterhält, er ist ein femininer Kerl,
gegen den er Abscheu empfindet, er merkt nicht, dass er sich über ihn
lustig macht (das ironische Lächeln). Die ganze Analyse ist nichts als
eine Art geistiger Onanie, der Arzt exhibitioniert selbst, wobei die Wunsch-
erfüllung nach einer praktischen sexuellen Kur mächtig durchbricht.
Jetzt vergleiche man mit dieser Deutung die Einfälle des Träumers
und lerne, wie schlaue Patienten die geistreiche Methode Freud's ad
absurdum führen können.
Nun betrachten wir den zweiten Traum, der bei dem Wiener Psycho-
analytiker geträumt wurde.
„Ich träume, ich gehe mit Freunden, darunter
Leutnant 0., in den westlichen Stadtteilen von Wien
(oder ist es München?). Auf einmal stehen wir vor einem
Gebäude, das an das R eic hs tagsgebäude erinnert, zu-
gleich aber auch ans Burgtheater. Wir gehen hinei-n,
denn drinnen soll eine Sitzung des neuen Redevereins
39*
592 Dr. Wilhelm Stekel,
sein — oder es wird durch klassische Philologen, unter
Leitung meines früheren Münchener Gymnasialrektors,
eine Tragödie des Sophokles aufgeführt. Wir gehen in
den Gängen des Theaters und treffen dort überall auf
Mitwirkende — des Dramas — oder sind es am Ende die
Redner des Rede Vereines? Wir treffen zwei Leute in
einer Loge, jedoch vom übrigen Zuschauerraum durch
eine Glastüre getrennt. Sie haben gut geschnittene,
etwas antik anmutende Gesichter, schauen aber doch
auch wieder ziem 1» ich philologenhaft aus. Sie haben es
entsetzlich wichtig und gestikulieren auf die Bühne
hinunter, die sich, wie im antiken Theater, dort befindet,
wo bei uns sonst die Parkettsitze sind. Eben scheint
ein Akt vorüber zu sein; auf der Bühne bewegen sich
noch allerhand Leute, ich glaube, eine sehr nette
antike Choristin zu sehen — doch nein, das Mädchen
trägt ja moderne Kleider, grün mit rot. Nun verwandelt
sich die Sache auf einmal in eine Art Ballsaal — eine
ungemein elegante und erlesene Gesellschaft, mein
erster Wiener Ball. Die Sache ist mir etwas ungemüt-
lich — — , denn ich habe schlecht sitzende Frack hosen
anundfühlemichziemlichalsoutsider. DasParkettdes
Bodens verwandelt sich nun auf einmal in Kunsteis und
ich habe Schlittschuhe an den Füssen. Ich spreche mit
ein paar Freunden und sage, man hätte den Eisplatz doch
nicht so uneben anlegen sollen, es sind ja ganze Hänge
•da, das reinste Skiterrain. Meine Freunde sagen, das
sei ja gerade das schöne und neue. Ich komme mir däm-
lich vor. Nun versuche ich aber doch das Laufen, und
es geht ausgezeichnet, abwärts und aufwärts, nun auf
ein erGruppe Mädchenzu.mitdenenichm ichunter halte,
dann geht's wieder weiter, steil abwärts, dann kommen
Treppen; ich bin so im Schuss, dass ich nicht anhalten
kann, aber siehe, ich gleite auch die Treppen anstands-
los hinunter und habe eine grosse Freude, ein so guter
Schlittschuhläufer zu sein."
Nachtrag: „Während der Theatervorstellung trägt
sich etwas ganz Grausiges auf der Bühne zu; ich weiss
nicht was. Der ganze Zuschauerraum fängt an, mastur-
ba torische Bewegungen zu machen; ich sehe eine Dame,
die über ihrem Rock masturbatorische Bewegungen an-
deutet, und es ist, als habe sie unter ihrem Rock ein
erigiertes männliches Glied. Ich blicke noch einmal im
ganzen Zuschauerraum herum. Ich befinde mich auf
einerArt Galerie, wo die Zuschauermerkwürdigerweise
seitlich sitzen, das heisst, nicht mit dem Gesicht gegen
dieBühne. DieSitzesindgrüngepolstertwiedie II. Klasse
derbayerischen Bahnen. Und nun sehe ich, es sind keine
masturbatori sehen Bewegungen, was die Leute machen,
sondern die Sitze bewegen sich unter ihnen, so dass
die Leute in seltsamer Weise geschaukelt werden. Ich
Fortschritte der Traumdeutung. 593
selbst sitze auf so einem merkwürdigen Sitz. Er ist
zweigeteilt, hat einen merkwürdigen Spalt, und die
beiden Teile bewegen sich abwechselnd auf und ab, ein-
ander entgegengesetz t."
Ich will ja nicht bestreiten, dass der Traum sehr wichtige Deter-
minationen enthält, die ich nicht sehe. Ich will nur die Stellung gegen
den Psychoanalytiker hervorheben. Die Analyse ist ein Theater, der psycho-
analytische Verein ist ein Redeverein; die Philologen und die Antiken ver-
bergen die Schmähung, dass es sich meistens um Juden handelt; die
Tragödie des Sophokles ist der berüchtigte Ödipuskomplex; die Loge scheint
mir auf Freimaurerei zu gehen. Wie offen bricht die antisemitische Ver-
höhnung in dem Satze durch: „Sie haben es entsetzlich wichtig und
gestikulieren auf der Bühne, die sich wie im antiken Theater dort be-
findet, wo bei uns die Parkettsitze sind." Das heisst mit anderen Worten:
Die Analytiker bilden sich ein, wichtige Dinge zu verhandeln und . . .
Die Deutung ist ja. klar genug. Der Triumph des Kranken bricht durch
das Traumbild. Er ist oben auf der Bühne und der Analytiker unten
im Parkett. Eigentlich spielt er, der Zuhörer, seinem Lehrer die Komödie
vor. Wieder wird der Lehrer entwertet und zum Weibe gemacht, wieder
wird die Analyse als eine geistige Onanie erklärt, weil man immer von
sexuellen Komplexen sprechen müsse. Die ganze Analyse ist dem Träumer
ungemütlich, er passt in diese Gesellschaft nicht hinein. Aber er lernt
auch das. Er bewegt sich auf dem schlüpfrigen Terrain der Analyse (Eis!)
mit grosser Geschicklichkeit, nimmt alle Hindernisse. ... Die Analyse
macht ihm ein grausiges Vergnügen, weil er über erotische Themen
sprechen kann. Er ist das Mädchen mit dem Penis, der während der
Stunde onaniert Die Bipolarität seiner Seelenströmungen dem Ana-
lytiker gegenüber (Liebe und Hass — Bewunderung und Verachtung) kommt
La dem merkwürdigen Sitz zum Ausdruck, der zweigeteilt ist. Es ist sein
Standpunkt, der bipolare Standpunkt des Neurotikers.
Und nun beschliesse ich diese kleine Auswahl. Ich hoffe, dass sie
meinen Kollegen, die Psychoanalyse treiben, einigen Nutzen gewähren
wird. Sie wird sie jedenfalls belehren, dass wir in der Deutung der Träume
sehr vorsichtig sein müssen. Wir tragen alle — ich kann mich nicht
ausnehmen — unseren Geist in die Träume der Kranken hinein. Aber
diese Gefahr ist noch geringer, als wenn wir uns ohne Kritik dem Geiste
des Träumers überlassen. Der Einfall des Träumers muss ebenfalls kritisch
betrachtet werden. Darum erfordert die Traumdeutung eine Art künst-
lerischen Erfassens. Sie lässt sich nicht erlernen, sie ist eine Kunst,
und über alle Regeln steht die Intuition des Deuters.
Hat er die Gabe der Einfühlung und die Ruhe des Eindenkens, dann wird
ihm die richtige Deutung einfallen. Niemals kann er etwas „erraten",
wie viele Kollegen mir vorwerfen. Ich errate nichts. Ich finde, was ich
sehe. Ich sehe aber sehr viel, was die anderen nicht sehen. Das macht
es mir möglich, Traumdeutungen zu geben, die unwahrscheinlich scheinen.
Ich lasse mich aber von dem Gesetze der inneren Wahrheit leiten. Gegen
dieses habe ich nie gesündigt und eine spätere Zeit wird das erst erweisen,
was ich für die Traumdeutung geleistet habe. Freud hat mir die Bahn
eröffnet und ich will ihm immer dafür dankbar sein. Das verpflichtet
mich aber nicht, nur in seinem Stollen zu schürfen. Wir sollen alle
unsere Wege gehen, die irgendwo zusammentreffen müssen, wenn ÖS
richtige Wege sind
Wien, im Juni 1914.
L
IV.
Die Objektwahl in der Liebe.
Von weiland stud. med. Ernst Marcus, Wien.
Freud hat uns gelehrt, dass es im Seelenleben nichts Zufälliges
gibt. Was bei oberflächlicher Betrachtung zufällig, unbegründet erscheint,
ist in Wirklichkeit sehr genau bestimmt, determiniert, meist sogar bedeutend
überdeterminiert durch Vorgänge, die unbewusst bleiben, sich also der
direkten Beobachtung entziehen, so wie oft das Handeln eines andern
unvernünftig und unbegründet erscheint, weil wir seine Beweggründe nicht
kennen. Wir haben gelernt, dass Allgemeingefühle, Stimmungen nichts
anderes sind als Spiegelungen unbewusster Urteile, dass uns etwas Lust-
oder Unlustvolles bevorsteht; dass Sympathie, Gefühle, Vorurteile, die
wir einer Person oder einer Sache entgegenbringen, auf unbewussten Ur-
teilen beruhen, wir hätten von dieser Person Lust oder Unlust zu erwarten.
Es sind dies Urteile, die meist wieder auf unbewusste Erinnerungen an
eine andere Person oder Sache zurückgehen, die mit der vorliegenden irgend
einen Zusammenhang hat — und mag er auch nur auf einer ganz ober-
flächlichen, unlogischen Assoziation beruhen — und an die sich eine
lust- oder unlustvolle Erinnerung knüpft. Kurz, was im Seelenleben unbe-
gründet und zufällig erscheint, hat doch eine Begründung, die nur unbe-
wusst bleibt, teils wegen ihrer geringen Bedeutung und Oberflächlichkeit,
teils — und dieser Fall ist der wichtigere — aus anderen Gründen (Ver-
drängung). Freud hat so das Kausalitätsprinzip, das bisher
nur in der Physik galt, auf die Psychologie ausgedehnt.
Diese Erkenntnis, die aus Beobachtungen und Analysen an Kranken,
später an Träumen und Fehlhandlungen Gesunder gewonnen wurde, ist
dazu angetan, unsere ganze Psychologie einer Revision zu unterwerfen.
Was bisher als letztes, nicht mehr analysierbares Element gegolten hat,
wird zum Resultat vieler kleiner und kleinster Faktoren und Summanden,
und so erscheint es auch nicht mehr aussichtslos, den Vorgang einer
Analyse zu unterwerfen, der bisher immer als der geheimnisvollste, wahl-
loseste gegolten hat, dem mit Vernunft und Analyse beikommen zu wollen,
ein aussichtsloses Unterfangen schien : ich meine die Liebe oder, prä-
ziser ausgedrückt, die Objekt wähl in der Liebe. Es galt bisher als
sinn- und aussichtslos zu fragen, warum sich ein Mensch gerade in diesen
und keinen andern Menschen verliebt. „Ich liebe dich, weil ich dich
lieben muss — ich liebe dich, weil ich nicht anders kann — ich liebe dich
durch einen Himmelsschluss — ich liebe dich durch einen Zauberbann —
ich. lieb' dich, wie die Rose ihren Strauch — ich lieb' dich, wie die
Sonne ihren Schein — ich lieb' dich, weil du bist mein Lebenshauch —
Ernst Marcus, Die Objekt wähl in der Liebe. 595
ich lieb' dich, weil dich lieben ist mein Sein" singt Rückert und gesteht
mit all den vielen Worten nur seine Ratlosigkeit dem Problem gegenüber
ein. Und wenn man einen beliebigen Verliebten fragt, warum, so bekommt
man die stereotype Antwort, „ich weiss nicht, ich hab' ihn (sie) eben lieb".
Nun, mit Vergleichen, wie Rückert sie bringt, ist uns nicht geholfen
und einen „Himmelschluss" oder „Zauberbann" kann die Psychologie
nicht brauchen. Wir wollen daher zu unserer obigen Annahme zurück-
kehren, dass jedes scheinbar unbegründete psychische Geschehen, also
auch jede Liebe auf viele Gründe zurückgeht, die unbewusst
bleiben, und wollen weiter versuchen, diese Gründe zu finden. Zu-
nächst wollen wir noch bei einer Analogie verweilen. Freud hat gezeigt,
dass die Psychoneurosen ebenfalls auf viele unbewusste Gründe zurück-
gehen und da niuss uns wieder auffallen, dass die Liebe vielfach mit einem
Wahn verglichen worden ist. Der Volksmund tut es und Dichter und
Philosophen tun es auch. So hat zum Beispiel Schopenhauer 1 ) ver-
sucht, diesen Wahn biologisch zu erklären. Wir werden darauf noch
zurückkommen.
Freud hat gezeigt, dass die letzten Ursachen der Neurosen bis
in die früheste Kindheit zurückgehen. Und auch für die Objektwahl hat
er uns einen höchst bedeutsamen Fingerzeig gegeben; er hat nämlich
gezeigt, dass speziell bei späteren Neurotikern, aber auch bei Individuen,
die gesund bleiben, die erste infantile Libido ihr Sexualobjekt in den
Eltern, vornehmlich der Mutter, und anderen Personen, mit denen das
Kind in Berührung kommt, wie Ammen u. dgl., sucht und findet und dass
die spätere Objektwahl hierdurch beeinflusst wird, indem das infantile
Sexualobjekt wiedergesucht und in geeigneten Personen wiedergefunden
wird. Er hat auch darauf hingewiesen — allerdings handelt es sich hier
nicht um das erste Sexualobjekt — , dass die Erziehung von Knaben durch
männliche Personen Entstehung von Homosexualität begünstigt (Erziehung
durch Sklaven im klassischen Altertum, durch Hofmeister in Adels-
häusern 2 )). C. G. Jung (Zürich) hat in einer interessanten Abhandlung
die eminente Bedeutung des Vaters für die spätere Objektwahl gezeigt 3 ).
Somit haben wir ein Moment gefunden, das für die spätere Objekt-
wahl ungemein wichtig ist: die infantile Konstellation. Der Ein-
wand, dass das nur für spätere Neurotiker gelte, ist nicht stichhaltig;
denn es hat sich gezeigt, dass es zwischen Neurotikern und Gesunden
überhaupt keine festliegende Grenze gibt, dass dieselben Umstände,
die bei späteren Neurotikern krankheitbildend wirken, auch bei Menschen
wirken, die gesund bleiben. Neurotisch werden eben die, bei denen diese
Umstände ungünstig waren. In den von Jung mitgeteilten Fällen handelt
es sich auch durchwegs um ganz leichte Fälle, um Menschen, bei denen
die Erkrankung spät aufgetreten und von kurzer Dauer war und von der
Umgebung wahrscheinlich kaum als solche erkannt wurde. Die krank-
i) Die Welt als Wille und Vorstellung, II. Band, Ergänzungen zum 4. Buch,
Kapitel 44, Metaphysik der Geschlechtsliebe.
2) Freud, 8 Abhandlungen zur Sexualtheorie. Deuticke, Wien und Leipzig
J905. 2. Auflage 1910. p. 76.
8) C. G. Jung, Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des einzelnen.
Jahrbuch für psycho-analytische und psycho-pathologische Forschungen, IL Band;
Sonderabdruck Deuticke 1909.
1
596 Ernst Marcos,
haften Symptome waren nichts weiter als Depression, nächtliche Angst,
ängstliche Träume, schlechter Schlaf, leichte nervöse Zuckungen, „Ner-
vosität". Die Analyse gelegentlich der Behandlung dieser fast gesunden
Personen hat dann die eminente Bedeutung der infantilen Kon-
stellation, speziell des Vaters gezeigt. Es ist daher anzunehmen,
dass sich auch bei ganz gesunden Personen die Bedeutung dieses Faktors
zeigen müsste, wenn eben eine Analyse vorgenommen würde, allerdings
kaum so scharf ausgeprägt, da eben die scharf ausgeprägte und ungünstige
infantile Konstellation in diesen Fällen eine unzweckmässige Objektwahl
erzwungen und im weiteren Verlauf — die Patienten standen im Alter
von 34, 36 und 55 Jahren, vorher hatten sich keine krankhaften Symptome
gezeigt — die krankhaften Zustände hervorgebracht hat. An dieser Stelle
sei auch bemerkt, dass es voraussichtlich kaum je dazu kommen wird,
die Richtigkeit der weiteren Angaben dieser Arbeit au einer vollständigen
Analyse der Liebe eines Gesunden zu erweisen. Denn die Psychoanalyse
dringt in die geheimsten Regungen des Analysanden ein, deckt Wünsche
auf, die er vor sich selbst verheimlicht, und niemand wird sich daher
ohne Zwang dieser Entblössung unterwerfen wollen. Ausserdem bewirkt
die Aufdeckung der Gründe eines Wahns dessen Aufhebung — dies ist die
therapeutische Wirkung der Psychoanalyse bei Neurotikem und ihre eigent-
liche Bedeutung — und kein Liebender wird seinen Wahn, den er mit vollem
Recht für sein höchstes und heiligstes Gut ansieht, der Wissenschaft opfern
wollen. Es sei denn, dass ein unglücklich Liebender seine Lage so schwer
empfindet, dass er sich entschliesst, für seine Erlösung die tiefsten Geheim-
nisse seiner Seele preiszugeben, Aber eine schwere unglückliche Liebe
erzeugt wieder immer mehr oder minder schwere oder leichte neurotische
Symptome, so dass denjenigen, die von vornherein nicht glauben wollen,
wieder die Ausrede bleiben wird, es habe sich in dem analysierten Fall
um einen Neurotiker gehandelt. Auf eine vollständige Analyse eines Ge-
sunden werden wir also wohl wahrscheinlich verzichten müssen. Es
bleiben uns nur die Analysen an Neurotikern und die Beobachtungen, die
man gelegentlich an Gesunden machen kann. Audi die Literatur kann
uns helfen. Ich will diejenigen Beobachtungen, die mir momentan zur
Verfügung stehen, an dieser Stelle wiedergeben.
I. Der häufig vorkommende Fall, dass die Liebe von dem ursprüng-
lichen (tatsächlichen oder erwünschten) Sexualobjekt auf eine demselben
ähnliche oder nahestehende Person übertragen wird (besonders wenn das
ursprüngliche Objekt unerreichbar oder nicht mehr erreichbar scheint),
wie z. B. auf Geschwister, Freunde, Personen in gleicher Lebensstellung,
in gleichem Beruf.
II. Ein junger Mann verliebt sich in ein Mädchen mit folgenden
Eigenschaften: 1. Sie hat denselben Vornamen wie seine „erste" Liebe.
Sie wird zwar mit einer anderen Abkürzung gerufen, aber auch bei der
Ersten wurde hie und da die Abkürzung der Zweiten gebraucht. 2. Ihr
Zuname ist dem Vornamen eines Mädchens, für das er sich kurz vorher
interessiert hatte, fast gleichlautend. Der Betreffende will sich erinnern,
die beiden Namen tatsächlich manchmal verwechselt zu haben. 3. Sie
wohnt in derselben Gegend der Stadt, wie die beiden oben Erwähnten.
4. Ihr Vorname ist dem Vornamen seines besten, langjährigen Freundes,
dem er gerade damals sehr grossen Dank schuldig war,, fast gleichlautend.
5. Sie sieht angeblich einem Mädchen ähnlich, das ihn unmittelbar vorher
Die Objektwabl in der Liebe. 597
ganz ausserordentlich interessiert hat. (Dieser letzte Punkt hat nicht
dieselbe Bedeutung, wie die früheren; vielleicht ist die Sache umgekehrt zu
nehmen; er hatte sich für das Mädchen schon interessiert, bevor er die
Letztgenannte kennen lernte; die Liebesstunden, die er mit dieser ver-
lebte, mögen dann, als das zu Ende sein musste, wieder verstärkend auf
die Neigung zur andern gewirkt haben.)
III. Ein Mädchen verliebt sich im Verlauf zweier Jahre in vier
Männer, von denen sie behauptet, dass sie einander alle gcwissermassen
ähnlich sehen, dass sie „denselben Typus" haben. Weder ich selbst, noch
andere, die ich danach gefragt habe, konnten eine Ähnlichkeit konstatieren,
sie selbst kann nicht angeben, worin diese Ähnlichkeit besteht (das tertium
comperationis ist eben ein Moment, das nur für sie persönlich Bedeutung
hat und ihr selbst unbewusst).
IV. Ein Mädchen erklärt von Kindheit an einen bestimmten männ-
lichen Vornamen für seinen Lieblingsnamen und verliebt sich dann auch
tatsächlich in einen Träger dieses Namens. Dass in diesem Falle der Vorname
tatsächlich von Bedeutung war, geht aus folgendem Vorfall hervor: Sie
ruft einen andern, für den sie sich später leicht interessierte, in einem
Augenblick plötzlicher Gefahr mit dem ominösen Namen; allerdings hatte
der Name des Betreffenden grosse Ähnlichkeit mit dem gerufenen. Der-
selbe Vorgang wiederholte sich noch denselben Tag mit einem Dritten,
der einen grundverschiedenen Namen trug.
Die Lehren, die wir aus diesen Beobachtungen sowie aus der Analogie
mit der oben besprochenen infantilen Konstellation ziehen, wollen wir
später besprechen. Zunächst wollen wir trachten, der Frage theoretisch
näher zu kommen.
Wir müssen hierzu wieder auf die Arbeiten Freuds und seiner
Schule zurückgreifen. Freud selbst hat gezeigt, dass das Kind
„polymorph pervers" veranlagt ist 1 ), d. h. dass die Anlage zu allen
Perversionen zur Zeit der infantilen Sexualität in jedem Menschen vor-
handen sind und erst während der „Latenzperiode" 2 ) grösstenteils
verdrängt werden, also auchdiePer Versionen, diedasSexual-
objekt betreffen. Für uns kommt hier nur der Gegensatz „hetero-
sexuelle Liebe — homosexuelle Liebe" in Betracht. Aber seine Analysen
und die seiner Schüler haben, noch mehr gezeigt. Wir haben nicht nur die
Möglichkeit, uns in jeder Richtung zu verlieben, sondern überhaupt in
jeden einzelnen Menschen, wenn er nur der einmal fixierten Richtung
angehört. Bei vielen Menschen, bei denen eine derartige Fixierung nicht
stattgefunden hat, den Bisexuellen, fällt auch diese Beschränkung weg.
Bei genügender Aufrichtigkeit gegen sich selbst kann jeder sehn, dass er zu
fast jedem Weib resp. Mann seiner näheren oder sogar ferneren Bekannt-
schaft sexuelle Phantasien gehabt hat. Mit überzeugender Beweiskraft
lehren das die Analysen, aber bei genügender Selbsterkenntnis kann es
jeder selbst erkennen. Schon dem prüfenden Blick, mit dem wir jede Person
des andern Geschlechts ansehn, die wir kennen lernen, und unserem
Urteil über ihre Schönheit liegen sexuelle Beweggründe zugrunde. Stekel
hat dies zum erstenmal präzis ausgesprochen : „E s g i b t z w i s c h e n z w e i
i) Freud, 1. c. p. 49.
2) Freud, 1. c. p. 32 ff.
598 Erost MarcuB,
Menschen keine andere Beziehung als die erotische 1 )."
Auf Stekel's bedeutsame Ausführungen über die Entstehung der Liebe
aus Hass brauchen wir hier nicht eingehen, weil wir uns nicht mit der
Psychologie der Liebe, sondern nur mit der Psychologie der Objektwahl
beschäftigen.
Die Seele des Kindes ist ein unbeschriebenes Blatt. Sie allein
hat noch die oben angeführte Eigenschaft, die Libido auf jedes beliebige
Objekt fixieren zu können, im vollen Umfang. Sie fixiert sie also auf
das erste beste Objekt, das sich ihr bietet — ein Vorgang, dem
wir noch einmal begegnen werden — also auf die tägliche Umgebung des
Kindes, Eltern, Geschwister (vorzugsweise ältere), Wartepersonen. Die
auf die Zeit der infantilen Sexualität folgende Latenzperiode
kann diese wirkliche erste Liebe oft nicht ganz unterdrücken 2 ). Diese
Latenzperiode hat eine eminente Bedeutung für die spätere Objektwabl ;
denn in dieser Zeit stürmen ungezählte Eindrücke und Erfahrungen auf
den jungen Menschen ein. Das Kind lernt die Begriffe „schön" und „häss-
lich", die ja zum grösste'n Teil auf Konvention beruhen — allerdings
haben sie auch eine biologische Bedeutung für die geschlechtliche Zucht-
wahl und sind vielleicht anderseits auch funktionell zu erklären; doch
das gehört nicht hierher. — Und auch abgesehen von der körperlichen
Schönheit hört das Kind von vielem, dass es schön, gut, erstrebenswert ist.
Und es glaubt alles; jeder ältere ist ihm ja "Autorität, da es noch keine
Erfahrungen hat, die ihm sagen könnten, dass die Autorität auch irren
kann. Und auch Dinge, die das Kind von glcichalterigen oder jüngeren
hört, sind wahr; denn der andere kann sie ja auch nur von einem „Grossen*'
wissen. Mit der Zeit kommen dann allerdings auch Widersprüche — die
Unglaubwürdigkeit der Storchfabel mag oft eine Rolle spielen — , und
wenn schlechte Erfahrungen sich häufen, so kann eine gerade gegen-
teilige Einstellung das Resultat sein, eine „Trotzeinstellung", der zufolge
gerade all das als schlecht erscheint, was die ehemalige Autorität als
gut erklärt hat und was bisher als gut gegolten hat, und umgekehrt. Wir
wollen diese vollständige Umwertung aller Werte in ihr Gegenteil „Kon-
tra ri atio n" nennen. Eine vollständige Konlrariation mag beim Kinde
selten sein. Wir werden die Kontraration übrigens an anderer Stelle
wiederfinden, wo sie von ungleich grösserer Bedeutung ist. Es bleibt
übrigens für den Gang der weiteren Entwickelung gleichgültig, ob sie ein-
tritt oder nicht, ob Autoritätseinstellung oder Trotzeinstellung herrscht.
Jedenfalls wird eine Menge von Vorstellungen von Eigenschaften und Merk-
malen als „gut" akzeptiert und eine Menge als „schlecht" Dieser Vor-
stellungsschatz ist berufen, später bei der Objektwahl eine bedeutende
Rolle zu spielen.
Von Bedeutung ist auch, dass das Kind durch die Frage nach
seiner Herkunft, durch ..infantile Sexualtheorien" 3 ) und Belehrung älterer.
Kinder oder Erwachsener auf das Sexuelle hingewiesen wird, ferner, dass
es von Liebe. Verlobungen und Heiraten hört. Das erscheint dann als
i) Dr. Wilhelm Stekcl, Die Sprache des Traumes. J. F. Bergmann, Wies-
baden 1911 p. 539
2) Freud, I. c. p 37 ff.
3) Freud, Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, 2. Folge, Deuticke,
Leipzig und Wien 1909, p. 159 ff.
Die Objektwabl in der Liebe. 599
etwas besonders Gutes und Erstrebenswertes. Die Kinder spielen „Vater
und Mutter", „Mutter und Kind". Wird die Vorstellung „Liebe und Ehe"
nicht als „gut" gebucht, etwa wenn das Kind sieht, dass die Eltern in
schlechter Ehe leben, oder wenn es von schlechten Ehen anderer hört,
besonders bei älteren Mädchen auch, wenn die Schmerzen der Geburt
übermässig dargestellt werden (infantile Sexualtheorie von Bauchauf-
schlitzen u. dgl.) — , so kann partielle Kontrariation eintreten. Homo-
sexualität oder schwere Abwehrneurosen können die Folge sein, falls
die Kontrariation nicht in der Pubertät — eventuell auch in den auf
sie folgenden Jahren, in diesem Falle aber nur unter schweren Kämpfen —
wieder aufgehoben wird.
Es folgt die riesenhafte Umwälzung der Pubertät. Die Ablösung
von der Autorität 1 ), die Aufrichtung der Inzestschranke 2 ) sind bedeutende
Ereignisse. Das bedeutsamste Moment ist aber, dass das Mädchen und
der Jüngling zur Einsicht kommt, jetzt ist die Zieit da, die Spiele der
Kindheit in Wirklichkeit umzusetzen. Allerdings geschieht dies nicht sofort
in dw Tat. „Die Objektwahl wird aber zunächst in der Vorstellung voll-
zogen und das Geschlechtsleben (der eben reifenden Jugend hat keinen
anderen Spielraum, als sich in Phantasien, d. h. in nicht zur Ausführung
bestimmten Vorstellungen zu ergehen" 3 ). Ich möchte hier übrigens dem
Wortlaut des Freu d'schen Zitats widersprechen. Die Phantasien sind
zur Ausführung bestimmte Wünsche, wenigstens zum grössten Teil, nur
fehlt dem jungen Menschen der Mut, die Energie, die Durchführung bei
sich selbst durchzusetzen. Übrigens sind solche Phantasien bei vielen
Erwachsenen fast ebenso häufig (Tagträume), nur nicht so nahezu aus-
schliesslich wie während der Pubertät.
Der Inhalt dieser Phantasien ist natürlich durch die bis-
herigen Erfahrungen des Individuums bestimmt. Die phantasierten
Sexualobjekte müssen entweder als Wiederholung der infantilen erscheinen
und mit ihnen eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen oder sie müssen den
während der Latenzperiode aufgebauten Idealen entsprechen oder wenigstens
zu entsprechen scheinen. Das Idealobjekt wäre eins, das beide Forderungen
befriedigt. Meist dürften verschiedene Objekte gleichzeitig oder nachein-
ander angeschwärmt werden. Freud 4 ) weist darauf hin, dass sich die
erste Schwärmerei meist an ältere Personen richtet. Mir ist ein Fall be-
kannt, in dem die Bedeutung des Mutterkomplexes noch auffälliger war:
das Objekt der ersten Schwärmerei war eine gravide Frau 5 ). Hierher ge-
>) Freud, Die Abhandlungen 7. Sexualtheorie p. 73.
2) Diese erfolgt teilweise schon während der Latenzperiode, Freud 1. c. p. 77 ff.
3) Freud, 1. c. p. 73.
*> Freud, 1. c. p. 74 f.
'■>) In diesem Fall handelt es sich allerdings nicht um einen Jüngling in der
Pubertät, sondern um einen 18jährigen, der bis dahin bis auf ganz vereinzelte Aus-
nahmen nur homosexuell empfunden hatte. Die Homosexualität war auf Grund der
phantasierten Sexualobjekle seiner sadistisch-magochistischen Komponente (Bruder,
Kutscher) entstanden. Die Stellung, die er zu seinen Objekten in der Phantasie
einnahm, war die eines väterlichen Freundes oder Erziehers. Es handelte sich
durchwegs um Jüngere. Erst nachdem eine schöne junge gravide Frau auf ihn
grossen Eindruck gemacht hatte, begann er sich für weibliche Sexual-Objekte zu
interessieren, und zwar ausnahmslos. Bei der ersten Neigung spielte die (wähl-
600 Ernst Marcus,
hüren auch die Schwärmereien von Schulmädchen für ihre Lehrer, die
eine Wiederholung des Vaters darstellen. Auf der andern Seite gehören
die Jünglings- und Backfischschwärmereien für bestimmte Gruppen von
.Menschen hierher, wie für Schauspieler und Künstler (Schauspielerinnen,
Künstlerinnen), für Dekadente, für Athleten, vor allem die Leutnants-
schwärrnerei der Mädchen, besonders in bestimmten Gesellschaftsklassen,
für die der Offizier (im weiteren auch der Einjährig-Freiwililge und der
Soldat überhaupt — der Gedanke der Kraft 'mag mitsprechen) ein gewisses
Ideal darstellt. Alles, was bisher im allgemeinen als schön,
gut, erstrebenswert gegolten hat, wird jetzt am er-
träumten Sexualobjekt gesucht, erscheint im sexuellen
Sinne erstrebenswert. Ein schönes Beispiel bringt Hauptmann 's
„Emanuel Quint" 1 ), in dem überhaupt ein erfahrener Analytiker viel
Interessantes finden könnte. Der Held ist als ein fast abstossend hässlicher
Mann geschildert. Aber über ihn geht das Gerücht, er sei Christus, der
wieder gekommen ist, um die Mühseligen und Beladenen zu erlösen. Eine
Reihe von Mädchen wird vorgeführt, deren Erziehung eine vollkommen
religiös-mystische war, deren Kindheitsideale also religiöser Art sind. Und
sie alle verlieben sich regelrecht in den hässlichen Menschen, weil er eben
ihr Ideal tatsächlich zu verkörpern scheint 2 ). Hierher gehört vielleicht
auch das Mädchen, das sich in den Träger seines Lieblingsnamens ver-
liebt (siehe oben Beobachtung IV). Übrigens weiss ich nicht, ob es sich hier
um eine „erste Liebe" handelt; jedenfalls war das Mädchen schon weit
über die Pubertät hinaus (18 Jahre) und ausserdem lässt ihre ganze Kon-
stitution erraten, dass bei ihr die Sexualität recht bald wiedererwacht ist.
Mit Besprechung dieser beiden letzten Fälle (Quint, Beobachtung IV)
sind wir einen Schritt weitergegangen, als wir wollten, wir sind über die
Phantasien hinaus ins Reale gegangen. Aber nicht immer gelangen die
Phantasien zur Ausführung. Die in der Latenzperiode aquirierten Vor-
stellungen von „gut" und ,, schlecht" sowie die infantile Konstellation 1
haben nicht immer die Kraft, sich durchzusetzen, d. h. bestimmend auf
die wirkliche Objektvvahl zu wirken. In vielen Fällen bleibt nur die negative
Seite der Erfahrungen wirksam, so dass nur das von der tatsächlichen
Objektwahl ausgeschlossen bleibt, was als „schlecht" erkannt wurde. Oft
fällt auch diese Beschränkung weg. Alle Zwischenstufen mögen vor-
kommen. Der junge Mensch, der sich vor der Aufgabe sieht, tatsächlich
ein Sexualobjekt zu finden, steht also wieder mehr oder minder 3 ) auf
dem infantilen Standpunkt. Er ist imstande, fast jedes Sexualobjekt zu er-
greifen, das sich ihm bietet. Besonders bei Mädchen ist es häufig, dass
sie sich in den ersten besten verlieben, der ihnen von Liebe spricht. Es
scheinlich unbegründete) Annahme eine Rolle, die Frau werde von ihrem (um 18
Jahre älteren) Manne vernachlässigt. Die Bedeutung des Mutterkomplexes ist un-
verkennbar. Wenn wir hier auch keinen Pubeitätsfall vor uns haben, so gehört et
doch hierher, da es sich um eine .erste Neigung' handelt.
J) Gerhard Hauptmann, Der Narr in Christo Emamjel Quint. S.Fischer,
Berlin 1910, Kapitel 14 f.
2) Vergleiche Pf isters Arbeiten im Zentralblatt für Psychoanalyse, I. Heft
3/4 und 10/11.
3) Das .minder* kann allerdings auch Null sein. In diesem Falle kann mau
aber fast schon von einer neurotischen Einstellung sprechen.
Die Objektwabl in der Liebe. 601
ist ja bekannt, wie leicht sich ganz junge Menschen (und auch ältere)
durch Koketterie einfangen lassen, doch gehören diese Fälle nur zum
Teil in die besprochene Kategorie. Übrigens dürfte das Verlieben in die
erste beste, den ersten besten, oft nur scheinbar sein, und die in der Latenz
periode gewonnenen Vorstellungen sowie die infantile Konstellation dürften
fast immer in einer untergeordneten Rolle mitspielen; wie gesagt, alle
Zwischenstufen sind möglich. Am auffälligsten von den erwähnten Mo-
menten ist wohl die Wirkung der Schönheit und des Berufes, besonders
des bunten Rockes. Offiziere haben ja bekanntlich bei ganz jungen Mäd-
chen das leichteste Spiel.
Ich möchte an dieser Stelle einen neuen Terminus einführen. Als
agapagenes Element möchte ich jede Eigenschaft bezeichnen,
die ein Mensch an seinem Sexualobjekt sucht. Wird ein
agapagenes Element an einer anderen Person gefunden, wird es
wirksam, so wird es zum agapagenen Moment. Ein agapagenes
Moment ist also jene Eigen schaff, die ein Mensch an einem
andern findet und durch die dieser jenem liebenswert
wird. Selbstverständlich, wie schon aus dem bisherigen hervorgeht, gibt
es für jede Person spezifische agapagene Elemente. Zwei Gruppen haben
wir bisher kennen gelernt und wir werden im weiteren Verlaufe nichts
Wesentliches hinzuzufügen haben. Die beiden Gruppen sind:
1. Momente der Identifikation mit dem infantilen Sexualobjekt.
2. Eigenschaften, die allgemein als „gut" akzeptiert wurden.
Zu diesen spezifischen Elementen kommen, wie wir noch sehen
werden, noch allgemeine Momente, die wir übrigens zum Teil schon kennen.
Die Momente der ersten Gruppe werden in fast allen Fällen un-
bewusst wirken, die der zweiten Gruppe zum Teil bewusst sein. Denn die
infantile Sexualität ist während der Latenzperiode verdrängt, vergessen
worden, während die Erfahrungen ganz bewusst gesammelt worden sind
und zum grössten Teil gar kein Grund vorliegt, sie zu verdrängen. Aller-
dings bleibt es unbewusst, dass ein Moment agapagen wirkt, d. h. man weiss
nicht, dass die Eigenschaften, die man gefunden hat, die Liebe zum Teil
bewirkt haben ; ja der Liebende weiss von vielen Eigenschaften des Sexual-
objekts, die agapagen gewirkt haben, gar nicht, dass er sie gefunden hat.
Die erste Liebe geht fast nie ohne schwere Kämpfe zu Ende, die
natürlich mit Verdrängung enden müssen; d. h. um von einer Liebe wirk-
lich los zu kommen, muss man vergessen, dass das Sexualobjekt agapagene
Momente besessen hat. Wie dieser Vorgang eigentlich vor sich geht, ist mir
selbst nicht recht klar, da ja der grösste und vor allem der wirksamste
Teil der agapagenen Momente von vornherein unbewusst war. Aber schliess-
lich steht ja der Vorgang der Aufgabe eines Objektes nur im losen Zu-
sammenhang mit der Objekt wähl. Übrigens werden wir gleich sehen,
dass ein einmal gewähltes Objekt nie ganz aufgegeben
wird. On revient toujours . . . . Jedes phantasierte oder wirk-
liche Objekt wirkt genau so wie seinerzeit das infantile.
In jedem neuen Objekt suchen wir die früheren Objekte
wieder. Dabei, ebenso wie seinerzeit bei der Anlehnung an das infantile
Objekt, wirken die oberflächlichsten Assoziationen. Denn das Bewusst-
sein hat ja das frühere Objekt aufgegeben, verdrängt, das Unbewusste hin-
gegen sucht es wieder und muss, um sein Ziel zu erreichen, das Bewusst-
002 Ernst Marcus,
sein überrumpeln, überlisten, muss ihm das gewünschte Objekt aufdrängen,
ohne dass es merkt, dass das alte Objekt in neuer Form wiedergekehrt ist.
Das Bewusstsein denkt logisch, dem Unbowussten genügen ganz oberfläch-
liche Ähnlichkeiten, um eine Identifikation herzustellen. Dieser Vorgang
ist uns ja von der Symbolik des Traumes, des Witzes sowie der neurotischen
Symptome her wohl bekannt. Ähnlichkeit des Namens, der Gestalt, des
Gesichts, ja der Kleidung, ferner der Denkart, des Berufs; Freundschaft, Ver-
wandtschaft, vieles andere kann der Identifikation dienen. Alles was
nur irgendwie an eine einmal geliebte Person erinnert,
kann als ag apagenes Moment wirken. Hierher gehören die Be-
obachtungen I und II, vielleicht auch III und IV, denn sowohl der „Typus"
als auch der gewisse Vorname dürften auf ein früheres, wahrscheinlich
infantiles Moment zurückgehen. Bei Beobachtung IV ist es allerdings ebenso
leicht möglich, dass der ominöse Name einer Person angehört, die als „gut"
akzeptiert wurde, vielleicht etwa einer Person eines Romans oder eines
Dramas oder auch des wirklichen Lebens; das ist übrigens gleichgültig.
Eine vergangene Liebe kann aber auch im entgegengesetzten Sinne
wirken, im Sinne einer Trotzeinstellung, es kann Kontrariation eintreten.
Hat jemand mit einem Sexualobjekt schwere schlechte
Erfahrungen gemacht, so wird er das Gegenteil suchen.
Was früher „gut" war, wird „schlecht". Nach einer Frau wird ein ganz
junges Mädchen gesucht, nach einer Grossen eine Kleine, nach einer Zarten
eine üppige, nach einer Gescheiten ein Gänschen usf., nach der hetero-
sexuellen Liebe die homosexuelle. Hier streifen wir allerdings wieder das
Pathologische. Mutatis mutandis gilt natürlich dasselbe von der Liebe von
Frauen zu Männern, Die Kontrariation wird sich in erster Linie auf Eigen-
schaften beziehen, die an dem Objekt, mit dem die schlechte Erfahrung
gemacht wurde, neu waren. Diejenigen Elemente, die von früheren Ob-
jekten stammen, mit denen keine schlechten Erfahrungen gemacht wurden,
die schon bei dem früheren Objekt agapagen gewirkt haben, werden zunächst
unberührt bleiben und nur in schwereren Fällen der Kontrariation zum
Opfer fallen. Überdies wird auch in schweren Fällen die Kontrariation
fast nie ganz vollständig sein, die ursprüngliche Liebescinstellung wird
hie und da durchbrechen und die Elemente werden in der ursprünglichen
Form apagen wirken. Wir haben hier wieder die im ganzen Seelenleben
und speziell im Sexualleben so oft beobachtete Erscheinung der Bipo-
larität (Stekel).
Der Kontrariation verwandt dürfte der Vorgang bei einer Reihe von
Fällen scheinbar ungenügender Objektwahl sein, die folgenden typischen
Verlauf nehmen. Um einer aufkeimenden, scheinbar aussichtslosen Neigung
zu entfliehen und sich die daraus zu befürchtenden Kämpfe zu ersparen,
wird das erste beste sich bietende Objekt gewählt, das etwa durch irgend-
welche kleine apagene Momente, die sonst unzureichend wären, hiezu ge-
eignet erscheinen mag (Sicherungstendenzen im Sinne Adle r's). Geht
dieser Vorgang bewusst vor sich, so entstehen Vernunftheiraten oder Ver-
hältnisse, die nur zur Betäubung eingegangen werden, bleibt er unbewusst,
in erster Linie, wenn die ursprüngliche Neigung noch nicht zum Bewusst-
sein gelangt ist, so entstehen Liebschaften (die natürlich auch zur Ehe führen
können), die meist von kurzer Dauer sind und unglücklich enden. Natür-
lich kann es auch vorkommen, dass sich die beiden Teile zueinander finden
und dass die Sache gut ausgeht.
Die Objektwahl in der Liebe. 603
Selbstverständlich kann die Kontrariation auch weiter gehen, als
hier beschrieben wurde. Eine grosse Enttäuschung auf irgend einem,
besonders aber auf sexuellem Gebiete kann die ganze Lebensanschauung
des Betreffenden auf den Kopf stellen. Der Optimist wird Pessimist, was
gut war wird schlecht, was schlecht war wird gut, es findet derselbe Vor-
gang statt, den wir schon beim Kind in bezug auf die Autorität kennen
gelernt haben. Eine entgegengesetzte Änderung der Verhältnisse kann
dann diesen Vorgang wieder ganz oder teilweise aufheben. Die Bedeutung
dieses Faktors für die Objektwahl liegt auf der Hand und braucht nicht
noch einmal auseinandergesetzt zu werden.
Neben diesen spezifischen Elementen verdient noch ein allgemeines
Moment besondere Würdigung, das an drei Stellen, wo ihm besondere Be-
deutung zukommt, bereits besprochen wurde : der Grad der Wahr-
scheinlichkeit, das sexuale Ziel zu erreichen. Wir haben
gesehen, dass sowohl das Kind als auch der junge Mensch, der zum ersten
Male ein reales Objekt sucht, wie endlich der, der einem unerreichbaren
Objekte entfliehen will, das erste beste Objekt wählt, das sich ihm bietet.
Aber auch sonst ist dieses Moment wirksam ; vornehmlich junge Menschen
handeln so, bei denen noch wenig agapagene Elemente entwickelt sind,
besonders bei starker Libido, ebenso Alte mit starker Libido, die wegen
ihres Alters wenig gefallen und wenig Auswahl haben, ebenso Hässliche
und sonst wenig Begehrte, Die Liebe ist dann eine Art Rührung und Dank-
barkeit dafür, dass man Gefallen findet. Bei blasierten und sehr begehrten
Menschen und solchen, die sich einbilden, es zu sein, aus Trotzeinstellung
auch bei wenig Begehrten, kann wieder Kontrariation eintreten: gerade das
schwer Erreichbare, Unerreichbare wird begehrt. In vielen Fällen wird
man da übrigens nicht mehr von Liebe sprechen können.
Ausserdem mag in vielen Fällen noch ein Moment eine gewisse
Bedeutung haben, nämlich der Zeitpunkt des Zusammentreffens mit dem
Sexualobjekt; bei starker Libido ist man weniger wählerisch und so ähnlich.
Wir schreiten zur Zusammenfassung. Wir haben im grossen und
ganzen folgende Momente als agapagen wirksam erkannt (samt ihren
Kontrariationen):
1. Ähnlichkeit mit einem früheren Sexualobjekt.
2. Eigenschaften, die als ,,gut" akzeptiert wurden 1 )-
(1. und 2. spezifische Elemente.)
3. Der Grad der Wahrscheinlichkeit, das Scxualziel zu
erreichen.
Ausserdem haben wir gesehen, dass der Zeitpunkt des Zusammen-
treffens mit dem Sexualobjekt eine Rolle spielt. Diese beiden letzten
Momente sind nicht mehr spezifisch.
Jeder Mensch hat ursprünglich die Fähigkeit,' sich
in jeden beliebigen anderen Menschen verlieben zu
können. Im Laufe der Zeit nimmt er dann eine Reihe von
spezifischen agapagenen Elementen (1, 2) in sich auf,
die er an anderen als agapagene Momente zu finden hofft
(natürlich unbewusst). Theoretisch besteht noch immer die Möglichkeit,
jedes beliebige Objekt zu wählen, nur die Wahrscheinlichkeit wechselt
») Selbstverständlich wurden auch nach dem Ende der Latenzperiode neue Er-
fahrungen gemacht, neue Vorstellungen als .gut" 1 und »schlecht* abgegeben.
gQ^ Ernst Marcus,
von o ( = unendlich klein) bis «*, Die Wahrscheinlichkeit der
Wahl ist um so grösser, je mehr agapagene Momente das
betreffende Objekt in sich vereinigt. Die Wirkung der agapa-
genen Momente ist unbewusst.
Jeder normale erwachsene Mensch vereinigt natürlich eine grosse
Zahl sehr verschiedener agapagener Elemente in sich, da er ja viele und
verschiedenartige Erfahrungen und Erlebnisse hinter sich hat. Ist hin-
gegen nur ein einziges agapagenes Element oder eine eng umschriebene
Gruppe von solchen wirksam (hier ist natürlich nur von spezifischen Ele-
menten die Rede, besonders 2), so kann man von einer neurotischen Ein-
stellung sprechen. Mithin ist auch jede starke Liebe einer kleinen Neurose
ähnlich; nur die agapagenen Elemente, die man an dem aktuellen Sexual-
objekt wieder gefunden hat, die in dem aktuellen Fall als agapagene Momente
gewirkt haben, sowie diejenigen, die mit ihnen in engster assoziativer Ver-
bindung stehen, sind wirksam, sowie diejenigen, die in dem aktuellen Fall
neu hinzugekommen sind und jedesmal verstärkend auf die aktuelle Liebe
wirken; alle anderen sind für die Dauer der Liebe mehr oder weniger unter-
drückt. Die Libido, die sich normalerweise auf jedes Objekt richten kann,
ist auf ein Bestimmtes fixiert, alle anderen Objekte sind ausgeschaltet.
Somit ein vollkommen abnormaler, der Neurose ähnlicher Zustand.
Ich will noch einige Analogie zwischen Liebe und Neurose her-
vorheben. Wir haben gesehen, dass beide Erscheinungen aus dem Un-
bewussten stammen; beide sind durch das Bestehen eines unbewussten
Seelenkbens bedingt. Es liegt geradezu die Versuchung nahe, von einer
„Dispositon zur Liebe" zu sprechen. Sie ist vorhanden, wo ein starkes
(unbewusstes) Innenleben vorhanden ist. Es gibt Menschen, die sich fast
nie richtig verlieben, die mit käuflicher Sinnenlust oder Sexualverkehr ohne
Verliebtheit ihr Leben lang voiiieb nehmen und fast gar kein Verlangen
nach etwas Höherem haben. Von solchen Menschen ist auch nicht zu
befürchten, sie könnten neurotisch werden. Wo kein Liebesverlangen ist,
wo jedes Sexualobjekt promiscue, wahllos, wie es sich eben bietet, akzeptiert
wird — es wirkt höchstens Schönheit oder Moment 3, beide vollkommen
bewusst — da ist eben kein Unbewusstes vorhanden, das eine Wahl treffen,
also auch keine Quelle, aus der Neurose entstehen könnte, da ja die Neurose
also auch keine Quelle, aus der Neurose entstehen könnte, weil ja die
Neurose nur aus dem Unbewussten entspringt.
Ich habe mich in der vorliegenden Abhandlung bemüht, auf dem
Gebiet des Normalen zu bleiben und das ausgesprochen Neurotische nach
Tunlichkeit auszuschalten. Vollkommen lässt sich dies natürlich nicht
durchführen, denn wir haben gesehen, wie fliessend die Übergänge sind.
AVir waren genötigt, mehrmals Grenzgebiete zu beschreiten und da plötz-
lich ^abzubrechen. Ist doch der Zustand nach vollzogener Objektwahl fast
schon so ein Grenzgebiet. In ausgesprochen neurotischen Fällen ergibt
sich natürlich noch eine Reihe von komplizierteren Vorgängen, die sich
der Besprechung im Rahmen dieser Arbeit entziehen, ja zu deren Be-
sprechung ich mich derzeit gar nicht für berufen oder auch nur für be-
fähigt halte.
Es erübrigt noch, die oben versprochene Würdigung der Objektwahl
von biologischer Seite nachzutragen. Schopenhauer's Anschauung, dass sich
immer je zwei Menschen verlieben, die von Natur aus befähigt sind, zu-
sammen die möglichst beste Nachkommenschaft zu erzielen, eine An-
schauung, die sich ja durch Einführung der Selektion als Ursache ihres
Die Objektwahl in der Liebe. 605
metaphysischen Charakters entkleiden lässt, hat sich bekanntlich als un-
richtig herausgestellt. Hingegen liegt eine andere eminente biologische
Bedeutung der Liebe, speziell der „ersten" Liebe, auf der Hand. Sie
allein ist imstande, die während der Latenzzeit aufgebauten Sexualhem-
mungen wie Schani, Ekel, moralische und ästhetische Vorstellungen 1 ) zu
überwinden und somit das Individuum zu befähigen, seiner biologischen
Aufgabe, sich fortzupflanzen, gerecht zu werden. Ferner hilft sie durch
Schaffung neuer agapagener Elemente die Bedeutung des Inzestkomplexes
in den Hintergrund drängen. Sie hat aber insbesondere beim erwachsenen
Mann den biologischen Nachteil, die Libido zu fixieren, während sie bei
mehr extensiver Anwendung mehr Nachkommenschaft erzeugen könnte.
Insbesondere ist Treue während der Schwangerschaft, rein biologisch be-
trachtet, schädlich. Biologisch vorteilhafter, ökonomischer wäre die Viel-
weiberei, wie sie ja bei den Naturvölkern fast durchwegs zu finden ist.
Die Monogamie und die Liebe, wie sie von unserer heutigen hoch-
entwickelten Ethik verlangt wird, ist ein Kulturprodukt und als solches
nicht biologisch zu werten. Und schliesslich ist ja Monogamie, nicht
formell, sondern tatsächlich auch in der heutigen Kulturwelt nicht
eben häufig, da ja nur wenige Menschen auf der geforderten ethischen
Höhe stehen. Wie übrigens jeder Analytiker weiss, sind selbst die Höchst-
stehenden nie ganz vollkommen treu, wenn man nur ihre unbewussten und
geheimen Regungen und Wünsche mit in Erwägung zieht.
Ich gebe mich keiner Täuschung darüber hin, dass diese Arbeit eigent-
lich nicht viel Neues bringt, sondern grösstenteils bereits Bekanntes zu-
sammenfasst und systematisch darstellt. Ich weiss auch, dass diese Zu-
sammenfassung lückenhaft ist und wahrscheinlich auch Irrtümer aufweist.
Ich hoffe, die Veröffentlichung und Diskussion wird mir die Stellen zeigen,
wo ich ausfüllend und verbessernd einzugreifen habe. Jedenfalls glaube
ich, wenigstens etwas Licht auf ein bisher dunkles Gebiet geworfen zu haben.
>) Frend, 1. c. p. 38.
ZentralbUtt für Psycho an aly»e. IV"/". 40
Mitteilungen.
i.
Zur Psychologie des Unbewussteii,
Von Dr. Hinrichscn.
Ich erhielt kürzlich ein Paket, das ich für die Ansichtssendung einer
Buchhandlung nahm. Die Mühe des Wiedereinpackens und Zurücksenden
scheuend, lasse ich solche Sendungen stets uneröffnet und war auch in
diesem Fall schon dazu entschlossen, besann mich aber wieder und erwog
längere Zeit, ob ich das Paket öffnen sollte oder nicht. Ich versuchtet
hineinzusehen, ohne öffnen zu müssen; das ging jedoch nicht. Eine ge-
wisse Neugierde, den Inhalt zu kennen, war da, und ich dachte daran, es
könne in dem Paket ein bestimmtes jüngst erschienenes Buch, welches
mich interessiert, sein. Dies ist aber auch das Einzige, von dem ich
weiss, dass ich es gedacht habe, und weiter weiss ich nur, dass in mir
eine Scheu war, das Paket wie gewohnt uneröffnet zurückzusenden. Die
Aufschrift: „B. Schw. Verlag" hatte ich gelesen, ohne aber in meiner
Überzeugung, dass es sich, um die Ansichtssendung einer Buchhand-
lung (die betreffende Baseler Buchhandlung, an die ich gedacht haben
muss, heisst jedoch ,,Schw. u. W.") handle, erschüttert zu werden.
Endlich, nach längerem Zögern, öffnete ich und fand als Inhalt zu
meiner grössten Überraschung Separatabzüge. Diese hatte ich wohl
erwartet, aber während des Überlogens, ob ich öffnen sollte oder
nicht, an sie nicht im allergeringsten so, dass es mir zum Bewusstsein
gekommen wäre, gedacht. Die Überraschung, als die Separatabzüge zum
\orschein kamen, war für mich eine totale. Jetzt sage ich mir natürlich,
dass das B. Schw. V e r 1 a g auf dem Umschlag mich gewarnt hat, das Paket
uneröffnet zurückzusenden, während ich, solange ich in meinem Entschluss
noch schwankte und auch, als ich öffnete, immer nur an Schw. u. W.
Buchhandlung als Absender gedacht hatte. Ich hatte aber doch mehr
gedacht, als ich klar und bestimmt gedacht hatte, hatte daraus, dass dort
B. Schw. Verlag stand, zwar nicht klar und bestimmt meine Schlüsse ge-
zogen, immerhin aber doch so weit, dass die ausgesprochene Scheu auf-
trat, die Sendung uneröffnet zurückgehen zu lassen, was mir natürlich
nachträglich unangenehm gewesen wäre. Zeigt mein Erlebnis, das sich
natürlich nicht so eindrucksvoll schildern lässt, wie ich es hatte, auch
nicht viel, so immerhin doch, wie Wahrnehmungen (hier mein flüchtiges
Lesen des „B. Schw. Verlag'*) zu Schlüssen verarbeitet werden, ohne dass
wir es recht wissen, wie manches Wissen bei uns besteht, ohne dass es.
Dr. Stefan v. Mäday, Mitteilung über das niederdeutsche Volkslied „Burlala". 607
ein recht gewusstes Wissen ist. Vielleicht auch, wie ganz unbedeutende
Dinge, wie meine Scheu vor der Mühe, ein paar Bücher wieder einzupacken
und zurückzusenden (ich ärgere mich immer, wenn ich Buchhändler-
Ansichtssendungen bekomme, nachdem ich sie mir direkt verbeten habe)
schon auf affektivem Wege zu einer „Denkhemmung" führen können bzw.
den Gedankengang so weit nach einer arideren Richtung hin ablenken
können, dass eine Wahrnehmung wie diejenige der Aufschrift auf dem
Paket zwar noch gemacht, aber aus der festen Vorannahme heraus, dass
es sich um eine ungewünschte, sozusagen verhasste Ansichtssendung
handle, nicht richtig gemacht wird. Hätte es sich nämlich um eine An-
sichtssendung gehandelt, so hätte sie von Schw. u. W. kommen müssen.
Das Schw. hatte ich gelesen, aus B. Schw. Verlag aber wurde mir irrtüm-
lich Schw. u. W. Buchhandlung, und so lange ich noch überlegte, korri-
gierte ich diesen Irrtum, der sofort alles aufgeklärt hätte, nicht und
konnte somit durch den Inhalt, wie ich es tatsächlich wurde, vollkommen
überrascht werden. Wer hier noch tiefer graben will, mag vermuten, dass
mein „Ansichtssendungen-Komplex'* noch tiefere Gründe habe. Als Ein-
fall zu der Sache kann ich nur angeben, obwohl mir nichts dafür spricht,
dass die meisten Menschen wie besonders bei der Druckkorrektur einer
Arbeit so auch bei etwaigem Lesen der Arbeit nach vollendetem Druck
deprimiert gestimmt werden, und dass der erste Impuls, das Paket zurück-
zuschicken, einen Versuch meines „Unbewussten" darstellte, mir diese De-
pression noch eine Weile zu ersparen, in welchem Falle die Beziehung zu
etwas Bedeutenderem als dem blossen Ärger über eine ungewünschte An-
sichtssendung natürlich hergestellt wäre.
II.
Mitteilung über das niederdeutsche Volkslied „Burlala"
(= Peterlein).
Von Dr. Stefan v. Mäday, Prag.
Am 21. Oktober 1913 habe ich einem Konzerte des Liedersängers
Hobert Kothe beigewohnt. Unter den Liedern, deren Text ich mir bereits
vor dem Konzert durchlas, befand sich das niederdeutsche Volkslied
„Burlala", dessen hochdeutsche Übersetzung folgendermassen lautet:
Als Burlala geboren war,
Da war er noch sehr klein.
Seine Mutter nahm ihn wohl auf den Arm
Und legte ihn in die Wiege so warm.
„Deck mich zu!" sagt er,
„Deck mich zul" sagt er,
„Deck mich zu!" sagt Burlala.
Als Burlala zur Schule musste,
Da war er noch so dumm,
40»
606 Dr. Htefau v. Mäday,
Er wusste nichts von warum und wie
Verliess sich ganz auf Hans und Franz.
„Sag mir ein!" sagt er, usw.
Als Burlala erwachsen war,
Ein stattlicher Kerl war er.
Sein Haar war dicht am Kopf abgeschoren,
Der Kragen reichte ihm bis über die Ohren.
„Steht mir gut!" sagt er, usw.
Als Burlala auf Posten stand
Wohl mit seinem geladenen Gewehr,
Da kam ein Kerl aus Frankreich her,
Der wollte gern wissen, wo Deutschland war —
„Ich schiess dich tot!" sagt er, usw.
Als Burlala gestorben war,
Ganz mäuschenstill er lag.
Die Eltern standen an seinem Grab
Und wischten sich die Tränen ab.
„Weint doch nicht!" sagt er, usw.
Als Burlala zum Himmel kam,
Bei Petrus klopfte er an.
„Ach Petrus, lieber Petrus mein,
Ich möcht nun gern im Himmel sein.
Mach mir auf!" sagt er, usw.
Als Burlala im Himmel war,
Der Herrgott, sprach zu ihm:
„Nun, Burlala, wie gefällt es dir
Hier oben in dem Himmel bei mir?"
„Ach, es geht!" sagt er, usw.
Beim Lesen gewann ich den Eindruck, dass dieses Lied ein höchst
unvollkommenes Kunstwerk sei; ich konnte in den Burlala zugeschriebenen
Worten und Taten nichts Einheitliches, für eine bestimmte Menschenart
Charakteristisches entdecken. Der Vortragskünstler indessen belehrte mich
eines Besseren.
In den beiden ersten Strophen mimte er ein ängstliches Kind,
das sich klein macht und die gesamte Umgebung zur Hilfeleistung heran-
zieht; in der Wiege sagt er: „Deck mich zu! Deck mich zu!" und in der
Schule: „Sag mir ein! Sag mir ein!"
In der 3. Strophe begann er sich zu „fühlen", und rief dem Publikum,
mit naiver Protzigkeit auf seinen grossen Kragen deutend, zu: „Steht
mir gut! Steht mir gutl"
In der 4. Strophe droht er dem Feinde mit dem Gewehr: „Ich schiess
dich tot! Ich schiess dich tot!" Dies sprach jedoch der Künstler nicht mit
dem Ernste und der Würde eines mutigen Mannes, auch nicht mit der
Ängstlichkeit eines Feiglings, der sich selbst vor seinem Gewehr fürchtet;
sondern er vereinigte in seinem Spiel diese beiden Charaktere, so dass
Mitteilung über (Ias niederdeutsche Volkslied „Burlala". 609
das Publikum laut auflachen musste. Die Komik lag eben darin, dass es
Kothe gelang, den Feigling, der den Mutigen spielt, darzustellen. Es ist
dies nicht etwa Sublimierung, nein, ganz gemeine Verstellung, die aber
so weit unbewusst bleiben kann, dass das Subjekt seine Feigheit — auch
sich seihst gegenüber — nicht ohne weiteres zugeben würde. Mit seiner
etwas gebückten Haltung, den stechenden Augen, den vorgestreckten Lippen,
den durch den nur wenig geöffneten Mund hastig und schneidend hervor-
gestossenen Worten: ,.Ich schiess dich tot!", wobei das ,,tot" in höherer
Tonlage und stark betont herausklang, wusste der Künstler den Schwäch-
ling, der sich nun dank der Situation — er hat ein Gewehr, sein Gegner
offenbar keines — überlegen fühlt und der diese Überlegenheit
sogar in grausamer Weise auszunützen bereit ist, meister-
haft darzustellen.
In der 5. Strophe tröstet der tote Burlala seine Eltern. Sie stehen
an seinem Grabe und weinen; dies ist eine Situation, in der er, der Tote,
im Mittelpunkt des Interesses und der Verehrung steht. Menschen, denen
es niemals gegönnt war, soziale Erfolge zu erringen — auch Kinder, die
sich zu wenig beachtet fühlen — wünschen deshalb manchmal, ihr eigenes
Leu C h e n h e g ä. n g n i s zu sehen. Die ungewohnte Ehrenbezeugung am
Grabo bringt Burlala in Verlegenheit, d. h. er fürchtet, durch das Zuviel
würde der Ernst der Gefühlsäusserung leiden, und alle Beteiligten — sowohl
die Trauernden als der Betrauertc — würden zum Schluss die a 1 1 z u 1 a n g e
Trauer für unverdient und übertrieben empfinden und die Leider-
Stimmung würde in eine Gottseidank-Stimmung übergehen. So spielt ja
auch die vom Militürbegrübnis zurückkehrende Musikkapelle lustige Märsche,
um das seelische Gleichgewicht der Soldaten wieder herzustellen. Soll
eine traurige Stimmung nachwirken, so darf sie nicht durch allzulange-
Dauer erschöpft werden. Mit diesen Überlegungen will ich dem Dichter
des Burlala, der selbst ein Bauer gewesen sein dürfte, freilich keine
psychologischen Spekulationen zugemutet haben; er vermochte sich aber
jedenfalls als Menschenkenner in den Charakter und die Lage Burlala's
einzufühlen, als dieser sich tief betrauert sieht und sich ihm der Gedanke
aufdrängt: „Nun ist's aber genug, bald wird's schon zu viel", und er von
seiner verklärten Höhe als Toter herablassend seinen Eltern winkt: „Weint
doch nicht! Weint doch nicht!"
In der 6. Strophe bettelt er bei Petrus um die Aufnahme in den
Himmel. In den halb bittend, halb fordernd gesprochenen Worten „Mach
mir auf! Mach mir auf" taucht das Gefühl der Ohnmacht, das in den
beiden ersten Strophen ausgedrückt war, wieder auf; anderseits eine gewisse
Arroganz, die mit der Erfahrung, dass oft dem Frechen früher geöffnet
wird, als dem Bescheidenen, im Einklang steht.
In der letzten Strophe endlich sehen wir Burlala am Ziel seiner
Wünsche. Er ist im Himmel, höher geht's nimmer, und die Sicherheit
ist eino vollkommene. Der Herrgott fragt ihn, wie es ihm da gefalle, und
nun erfolgt nicht etwa eine Antwort yoll Dankbarkeit und Ergebung. Nein;
der Herrgott lässt sich zu ihm herab : das ist eine Gelegenheit, sich sogar
dem Herrgott gegenüber überlegen zu zeigen. „Ach, es geht! Ach, es geht!"
sagt er mit einem Bauernstolz, der sich in jeder für ihn günstigen
Situation zurechtfindet.
Wir haben somit in Burlala einen Typus kennen gelernt, der eine
Abart des Adler'schen „nervösen Charakters" darstellt. Die Leitlinie
610 Dr. Wilhelm Stekel,
seines Lebens ist: Anderen überlegen zu sein. Solange er — als Kind —
seine körperliche und geistige Schwäche weder zu kompensieren noch zu
verdecken vermag, beherrscht er seine Umgebung in der Weise, dass er
seine Schwächen betont und die anderen in seinen Dienst stellt. Sobald
er aber etwas geworden ist, sobald er eine Waffe in der Hand oder ein
imponierendes Kleidungsstück an hat, beginnt er seine Umgebung zu
knechten. Darin, dass er selbst seinem Herrgott gegenüber zugeknöpft ist,
zeigt uns der Dichter die U n e r s ä 1 1 1 i c h ke i t des neurotischen Geltungs-
strebens.
Noch etwas ist für die Äusserungen Burlala's charakteristisch: die
Unaufrichtigkeit, die Verstellung. Jeder Satz hat einen — psycho-
logischen — Doppelsinn; immer ist ein Unterton da, der dem Ton
widerspricht. So bedeutet z. B. „Weint doch nicht!" nicht etwa den auf-
richtigen Wunsch, seine Eltern mögen sich überhaupt nicht um ihn grämen,
sondern es ist eine dankende Bestätigung der seiner Person gezollten'
Achtung; wie wenn die Frau eines Emporkömmlings den Handkuss einer
Dienstperson mit den Worten: „Aber lassen sie das! 1 ' abwehrt, die Hand
jedoch zum Küssen hinhält. Auch das: „Ach, es geht!" der letzten Strophe
ist unaufrichtig; in Wirklichkeit fühlt er sich ausgezeichnet, doch gibt
er"s nicht zu, weil er damit die Überlegenheit des Hausherrn eingestehen
würde. Er benimmt sich wie ein kluger Hotelgast dem Wirt gegenüber, der
sich nach seinem Befinden in seinem Hause erkundigt. Dieser Unaufrichtig-
keit entspricht auch die Wiederholung: im Liede wird jeder Satz Burlala's
dreimal gesungen. Ich denke, dass diese Wiederholung vom Dichter nicht
bloss aus poetisch- oder musikalisch-technischen Gründen angegeben wurde
Durch die Wiederholung sucht vielmehr Burlala die innere Unsicherheit
zu besiegen und die Unwahrheit der Äusserungen vor den anderen zu ver-
decken. Lügen werden — wie man weiss — oft auffallend laut gesprochen
oder öfter wiederholt, damit sie endlich sicher geglaubt werden.
III
Die verschiedenen Formen des Widerstandes in der
Psychoanalyse.
Von Dr. Wilhelm Stekel, Wien
Die gewöhnlichste Form ist wohl die, dass der Patient später kommt
und zu allerlei Entschuldigungen greift. Dann versagen ihm die Einfälle,
er hat schon alles gesagt, er wäre fertig. Doch von diesen Formen will ich
nicht sprechen. Ich möchte nur in gedrängter Kürze auf einige weniger
bekannte Formen des Widerstandes hinweisen. Zuerst auf die Menschen,
die sehr viel reden, bei denen es keine Pause gibt und die sich bemühen,
mit vielen Worten das Wichtigste zu verschweigen, Ein bekannter Kunst-
griff der Kranken dieser Art ist es, den Arzt in literarische Gespräche oder
in theoretische Auseinandersetzungen über die Psychoanalyse zu verwickeln.
Die verschiedenen Spaltungen der Analyse werden betont, es wird um Aus-
Die verschiedenen Formen des Widerstandes in der Psychoanalyse. 611
kunft gefragt, der Kranke will plötzlich wissenschaftliche Beweise über
Verdrängung etc.
Eine sehr raffinierte Form des Widerstandes ist die plötzliche Ge-
nesung. Aus Angst, der Arzt könnte das Innere erkennen, erklären sich
die Kranken mit grosser Begeisterung als gesund. Sie preisen den Arzt,
der ein solches Wunder vollbracht, vergessen nie die Erklärung hinzu-
zufügen, dass sie einen Verwandten hätten, dem sie diese Kur empfehlen
würden, sie betonen mitunter, dass dieser kommende Patient ein sehr
reicher Mann wäre und verschwinden mit ihrer Krankheit, die
nur für einige Tage verschwunden ist. Man sei also sehr vorsichtig gegen
allzu schnelle Heilungen. Es kommt häufig vor, dass die Kranken sich
gesund erklären und in Wirklichkeit die alten sind. Sie haben nur das
Gefühl der Krankheit verloren, aber alle neurotischen Symptome beibehalten.
Eine sehr raffinierte Form des Widerstandes ist das Erfinden von
Aktualitäten. Wo solche nicht vorhanden sind, werden sie vom Kranken
konstruiert. Vielleicht ist die ganze Übertragung auch nur das Bestrehen
des Kranken, durch Aktualitäten die Analyse aufzuhalten und zu ver-
hindern. Unerschöpflich jedoch sind manche Kranke im Auffinden von
wichtigen Ereignissen des Vortrages, die sie erzählen müssen; es wäre
etwas ganz besonders Bedeutsames. Die Briefe vom Hause, das Benehmen
der Pensionsflau, ein zu diesem Zwecke in Szene gesetzter Angstanfall,
akute Erkrankungen werden mit epischer Breite geschildert und die Stunde
so vergäudet. Schon dass diese Kranken immer etwas später kommen und
früher weggehen, verrät ihre geheime Tendenz. Sie erklären immer, sie
hätten so viel zu reden, dass die Zeit nicht ausreichen würde. „So viel
sei vorgefallen." Dann aber gehen sie früher weg und man merkt, dass
man ihnen aufgesessen ist. Man hat keine andere Waffe, als die Kranken
auf die Tendenz aufmerksam zu machen. Den nächsten Tag kommen sie
und sagen : Sie werden wieder behaupten, dass ich mir Aktualitäten kon-
struiere, um die Analyse aufzuhalten. Aber urteilen sie selbst usw. . . .
Eine andere Form des Widerstandes ist die Produktion von ungeheuer
ständen, sind Geldverlegenheiten infolge von Verschwendung, wobei regel-
mässig der Versuch gemacht wird, den Arzt anzupumpen, um sich die
Fiktion einer Behandlung ohne Geld und aus Liebe zu verschaffen, ferner
Streitigkeiten mit der Familie
Eine andere Form des Widerstandes ist die Produktion von ungeheuer
langen Träumen. Schon das Anhören der Träume erfordert eine halbe
Stunde. Man lasse sich nicht durch die Behauptung irre machen, es wären
sehr wichtige Träume und man müsse sie analysieren. Ich verzichte in
solchen Fällen auf die Erzählung der Träume, worüber die Kranken sehr
böse sind. Aber die Widerstände treten dann offen zutage.
Dann kommen die wunderbaren Fälle, in denen der Kranke plötzlich
das Vertrauen verloren hat, weil er von diesem oder jenem Falle gehört,
habe. Man lasse sich in keine Diskussionen ein und stelle dem Kranken
sofort frei, die Behandlung abzubrechen. In solchen Fällen wird die Frage:
Werde ich bestimmt gesund? endlos wiederholt und variiert.
Kurz diese wenigen Beispiele mögen genügen. Der Analytiker sei
auf der Hut. Er denke immer, dass die Kranken nur ein Bestreben haben :
Alles, was wichtig ist, zu verschweigen!
612 Frieda Mallinckrodt, Zur Psychoanalyse der Lady Macbeth.
IV.
Zur Psychoanalyse der Lady Macbeth.
Von Frieda Mallinckrodt, M.-Gladbach.
Zu dem interessanten Artikel von C o r i a t über Lady Macbeth wäre
vielleicht noch folgendes zu ergänzen:
Zunächst drängt sich beim Lesen die Frage auf: Woher die Teilung
in Tapferkeit beim Wachen und Feigheit, Verzagtheit in den Träumen,
in denen das Unterbewusstsein, das Verdrängte, sich Geltung verschafft?
Welches von beiden ist das Primäre? Lady M. ist eine von den Frauen,
deren Natur ein gross Teil männlicher Elemente enthält, eine Geistes-
verwandte von Jeanne d'Arc, Florence Nightingale, Katharina II. und
anderer, deren Namen uns wegen hervorragender Leistungen auf irgend
einem Gebiet von der Geschichte erhalten wurden. Aber sie hat nicht das
Glück gehabt, in einer Zeit zu laben und an einem Platze zu stehen, die
ihr das Ausleben dieser Fähigkeiten ermöglichten, und hat deshalb die
Wünsche und Hoffnungen, die sie für sich seiher nicht verwirklichen
konnte, auf ihren Gemahl übertragen, den Tüchtigkeit über alle anderen
Untertanen des Königs, sogar über diesen sejbst, hinaushebt, den Ehrgeiz
sein Begehren bis zum Königsthron erheben lässt. Sie versteht diesen kaum
geborenen Gedanken sofort mit dem, was ihm in ihrer eigenen Natur ver-
wandt ist, erfasst ihn um so intensiver, als in ihr all die Energie auf-
gespeichert liegt, die Macbeth selber Gelegenheit hatte, in Taten umzusetzen.
Sie hält daran fest und ermutigt ihn, wenn er schwankend werden will,
und hat den Mut selbst zur Sünde, zum Mord, zum niedrigsten Verrat, wenn
anders ihr Ziel nicht erreicht werden kann. Sie will kein Warten, kein
Aufschieben, gleich die erste Gelegenheit soll In-nutzt werden. Diese Hast
ist schon ein Vorbote ihrer Krankheit: doch davon später. Daneben scheint
Lady M. eine starke feindliche Einstellung gegen ihren Vater gehabt zu
haben, wie wir sie sonst vielfach sehr ausgeprägt bei Söhnen finden.
Diesen Hass überträgt sie auf den König, der den Platz einnimmt, den sie
für sich, d. h. ihren Gemahl, mit dem sie sich identifiziert, beansprucht.
Und mit diesem Hass Hand in Hand geht eine Abwehr jeder Autorität, ein
Sichhinwegsetzen über geheiligte Überlieferungen, die ihr die ungeheure
Tat erleichtern. Nun ist aber Lady M. nicht eine durchaus männliche Natur,
die durch einen unglücklichen Zufall in das Körpergewand einer Frau
gekleidet wurde, die weiblichen Elemente in ihr sind ebenso stark. Sie
hat ihre Kinder sehr geliebt und sich jeder Mühe für sie unterzogen; sie
ist durchaus weiblich in der Hingabe an ihren Mann und weiblich in der
Art, wie sie die Folgen ihrer Tat spürt. Ihre Feigheit ist die Vorsicht des
Weibes, die mehr zu hüten hat als sich Beiher, mag sie nun ein Kind
haben oder erwarten, oder auch nur die Fähigkeit zur Mutterschaft in sich
spüren. Sie ist das Minderwertigkeitsgefühl, das gerade in Mädchen mit
einer Doppelnatur wte die der Lady M. sich früh regt, wenn sie sehen
müssen, dass man sie überall zurückstellt — und im Mittelalter war
das noch schlimmer als heute — , dass sie so wenig von dem ausführen
dürfen, wozu ihr starker — auch wieder männlicher — Bewegungs- und
Tätigkeitstrieb sie reizt, dass sie niemals die Leistungen hervorbringen,
die Taten verrichten dürfen, die man in ihrer Umwelt am höchsten wertet.
Referate und Kritiken. 613
Olive Schreiner sagt in ihrem Buch „Die Frau und die Arbeit":
Der Grundunterschied zwischen den Geschlechtern hege in ihrer Stellung
zum Leben, während der Mann sage: Ich fühle mich heute besonders
wohl und frisch, ich will hinausgehen und etwas töten, sei der Gedanke
der Frau : da ist etwas schwach und hilfsbedürftig, da ist Leben, das sieb
allein nicht entwickeln kann; ich will ihm helfen. Beides finden wir in
Lady M Nur dass das letzte zurückgedrängt war, wie der ganze weibliche
Teil ihrer Natur, bis nach vollbrachter Tat. Das männliche Element,
dem die letzte Möglichkeit des Auslebens mit dem Tode ihrer Kinder auf
die sie hätte übertragen können, genommen war, hatte sich in seinen Lebens-
äusserungen in ihr aufgespeichert, wie der Dampf in einer yentillosen
Maschine Die Andeutung von den ehrgeizigen Plänen ihres Mannes er-
öffnet einen Weg, auf den sich die aufgespeicherte Energie mit der Gewalt
einer Naturkraft stürzt, bis sie ihr Ziel erreicht hat - um dann ebenso plötzlich
umzuschlagen Neben dieser Gewaltsamkeit finden wir einen Mangel an
vorweg nehmender Phantasie, der ebenfalls Schuld an der tragischen Ent-
wickelung bei Lady M. trägt. Während ihr Gemahl immer noch zaudert,
überlegt die Scheusslichkeit seines Vorhabens empfindet und verurteilt
und damit das, was ihm schaden könnte, überwindet, wird sie sich all dieser
Dinge gar nicht bewusst; sie bleiben in ihr stecken, wie ein schleichendes
Gift, das dann später ihre Krankheit verursacht.
Für die psychotherapeutische Behandlung eines solchen Falles er-
gäbe sich naturgemäss zunächst die Forderung, die unterbewusst wirkenden
Strömungen ins Bewusstsein zu heben, dann aber auch, den brachliegenden
Kräften ein Feld der Tätigkeit zu schaffen, damit nicht wieder gefahrliche
Energie-Hochspannungen erzeugt werden. Gegebenenfalls muss die Tätig-
keit zugleich eine Sühne sein.
Eine verständige Pädagogik aber wird allen Fähigkeiten des Kindes
zunächst möglichst gleichmässig Spielraum gewähren, und nicht Naturen,
die aus der Schablone herauszufallen scheinen, gewaltsam in dieselbe
zurückzudrängen versuchen. Damit sind schon viele wertvolle Kräfte,
die für die Gesamtheit hätten nutzbar gemacht werden können, zu Schäd-
lichkeilen für den Träger und seine Umgebung geworden.
Im übrigen verweise ich zu diesen Gedanken auf die Arbeit von
S a a 1 e r im April/Mai-Heft des Zentralblattes und auf die Gedanken über
das Einfühlungsvermögen der Frau in Spielrein's Aufsatz über die
Schwiegermutter (Imago IIb).
Referate und Kritiken.
W. Stekel: Das liebe leb. Grundriss einer neuen Diätetik der Seele. Berlin,
Seile 1913.
Das Hebe Ich steht im Mittelpunkt all unseres Fühlens, Denkens und Wollens.
St führt diesen Beweis, der von den meisten ja als sicher geahnt und empfunden
wird in äusserst geistreicher Weise durch. Es bringt interessante Ausführungen übei
das Kind — Enttäuschung-Heranwacbsen-Kinderselbstmorde— , die Liebe, die bis zum
Haas gehenden Entfremdung ganzer Völker gegen einander, über alle der Verdrängung
(514 Referate und Kritiken.
verfallenden Komponentm unseres Ich. In der Liebe und Ehe, dem Kampf der (Je.
schlechter, in den Lebenszielen, in den grossen Zielen der Kinder, die später so oft
zur Unzufriedenheit mit dem Berufe fuhrt und später unweigerlich zur Neurose, iu
allem steckt das liebe Ich. Dann plaudert er weiter über das quälende Schuldbe-
wusstsein desNeurotikers; er gibt den Erziehern der Jugend den wohl zu beherzigenden
Rat: Der Jugend das Verzichten zu lehren. Das Nachäffen der Reicheren durch
die Ärmeien in der Mode, Kunst usw. wird an mehreren Beispielen höchst sinnvoll
erläutert. Er spricht dann über Angst und Zweifel, die das Charakteristikum
jedes Neurotikers sind : Ein Mensch, der an sich glaubt, wird niemals dem Zweifel
verfallen; er erörtert die tiefe Gläubigkeit de3 Neurotikers: Die Wurzeln aller dieser
Dinge reichen bis weit in die Kindheit zurück.
Tagträumer gibt es nach Stekel zwei Arten: Solche, die wissen, dass sie Luft-
schlösser bauen, die sind in der Minderzahl, und solche, die Mehrzahl, welche keine
Ahnung von ihren Träumen haben, die Trödler. Es sind Leute, welche immer Zeit
haben, zerstreut sind, immer zu spät kommen.
Gewisse nervöse Symptome werden überhaupt erst verständlich, wenn sie unter
dem Gesichtswinkel der Wiedervergeltung betrachtet werden: Die hysterische
Handlähmung, die nervöse Dame, die immer fastet und nnr Suppe geniesst etc., all
das repräsentiert das böse Gewissen des Patienten.
In der Angst vor der Freude, im Umgehen mit Geld kommt das liebe, das
nackte Ich zum Vorschein. Sehr richtig ist die Bemerkung, die St. über das Ver-
halten dos Arztes dem Gelde gegenüber sagt: Sie tun immer so, als ob es Ihnen
vollständig gleichgültig wäre; ferner über den Neid, den Lebenskünstler, den
Pechvogel mit. seinen tausenderlei Entschuldigungen, alles dies sind Kapitel, die den
Leser wie gute, alte Bekannte anmuten.
Der Abschnitt über entartete Kinder gipfelt darin: Quält das Kind nicht mit
Eurem Ehrgeiz, Euren Plänen! ein Wort, das verdiente, 99% aller heutigeu Eltern
ins Stammbuch geschrieben zu werden.
Sehr gut ist auch das, was St. über die psychischen Aufregungen sagt: Auf-
regungen sind gesund, sie dienen der Gesundheit, was er mit mehreren Beispielen
sehr hübsch belegt. Wir sehen alles, was wir sehen, nur mit der Brille des Affekts.
Den Schluss des Essays, anders kann man den geistreichen Aufsatz, dass bei
jedem Menschen, ob gesund, ob krank, sich alles nur um das .liebe Ich" dreht, nicht
bezeichnen, bilden Aphorismen unter dem Titel „Rund um die Psychoanalyse."
Ich bin mir wohl bewusst, dass ich in meiner Besprechung im wesentlichen
Kapitelüberschriften gegeben habe; aber ich denke, diese Kapitelüberschriften werden
den Leser zur Lektüre des Buches veranlassen. Neu sind ja die Dingo für jemanden,
der gewöhnt ist, sich mit den Seelen anderer zu beschäftigen, grossenteils nicht, aber
jeder wird sein Vergnügen an der glänzenden Sprache des Autors haben.
Sehr zu begrüssen ist es, wie St. in der Vorrede sagt, dass die Psychoanalyse
nicht in einem peinlichen Ausfragen nach sexuellen Erlebnissen allein besteht:
St. unterschätzt die sexuellen Erlebnisse nicht, aber er überschätzt sie auch
nicht.
Es ist mit Freude zu begrüssen, dass das einmal von einem Hauptvertreter der
Psychoanalyse ausgesprochen wird. Dr. Bloch.
Magnus Horschfeld: Die Homosexualität des Mannes und des WeibeB.
Berlin. 1914. Luis Marcus.
Ein grossangelegtss erschöpfendes Werk über die Homosexualität von ihrem
besten Kenner im Umfange von 67 Druckbogen. Man staunt über den enormen Fleiss
und die grosse Belesenheit des Autors, der keine Arbeit unerwähnt gelassen hat, die über
Referate und Kritiken.
Homosexualität handelt, der auch die schöne Literatur berücksichtigt und der auch
das erstemal eine zusammenfassende historische Darstellung des Themas gibt. Das
Buch ist für jeden Sexualforscher unentbehrlich und als Nachschlagewerk durch sein
gewissenhaft ausgearbeitetes Register doppelt wertvoll. Die Stellung Horschfelds
zu der Frage der Homosexualität ist ja bekannt. Er kämpft seit vielen Jahren für
diese armen Unglücklichen und bemüht sich immer wieder nachzuweisen, dass die
Homosexualität angeboren und nicht erworben ist. Er unterscheidet eine echte und
eine falsche Homosexualität und begründet seine Diagnosen mit grossem Scharfsinn
und eminenter Fachkenntnis. Wenn ich trotzdem anderer Ansicht bin, so ändert das
nichts an dem Wert des Buches. Was wir als Ergänzung des Werkes von Horschfeld
erwarten, ist eine gründliche psychoanalytische Durchforschung des Themas. Ich
stehe nach wie vor auf dem Standpunkt in der Homosexualität eine früh erworbene
Neurose zu erblicken. Der Homosexuelle verdrängt seine Heterosexualität ebenso
wie der Heterosexuelle seine Homosexualität geopfert hat. Ich werde mich mit
Horschfeld ausführlich in meinem Werke „Die psychischen Störungen der Sexual-
funktion" auseinandersetzen. Zweck dieser Zeiieu ist es, alle Kollegen auf das fesselnd
geschriebene, äusserst lehrreiche Werk aufmerksam zu machen und sie anzuregen,
sich durch das Studium desselben in die Materie zu vertiefen. St ekel.
I. Marcinowski: Glossen zur Psychoanalyse. (Zeitschrift für Psychotherapie
und medizinische Psychologie. VI. Band. 1. Heft 1914.)
In seiner temperamentvollen und lebendigen Art schildert uns der Autor die
„Hlusionswelt der Affektübertragungen." Er hat sich aus den Selbsttäuschungen
denen die Leiter von Sanatorien unterliegen müssen, zur klaren Kenntnis der Dynamik
und Bedeutung der Übertragung emporgearbeitet. Er betont mit Recht, dass die
Aufdeckung der Übertragung eine der genialsten Entdeckungen von Freud ist und
zeigt an zahlreichen Beispielen seiner reichen Erfahrungen, wie sich diese Übertragung
vollzieht und wie sie gelöst wird. Mit einem überlegenen Humor und grosser Sach-
kenntnis werden die Illusionen des sich in den Arzt Verliebens geschildert und die
Leiden dieser Übertragungen vorgeführt. Der Psychoanalytiker muss diese Über-
tragungen vollkommen beherrschen können, wenn er einen dauernden Erfolg erzielen
will, das ist die These die Marcinowski in dieser Arbeit beweist. Wir können seine
Ausführungen allen Analytikern aufs wärmste zur Beherzigung empfehlen. Gefreut
hatte es mich, wenn ich auch gelernt hätte, warum die Übertragung zustande kommt
und warum s»e zustande kommen muss, wenn auch der Arzt ein ungenügendes Objekt
für diese Illusionen darstellt. Ich gestehe, dass wir darüber noch gar nichts wissen.
Es muss sich um eine allgemein gültige- seelische Kraft handeln, die nicht allein den
Arzt, sondern auch den Lehrer und Priester mit souveräner Macht ausstattet. Denn
die stärksten Grade von Übertragung habe ich noch immer bei Kunstachülern beob-
achtet. Die Überschätzung des Meisters nimmt hier lächerliche Grade an. Es scheint,
dass der Wille zur Unterwerfung, die wichtigste Tendenz der Liebe, eine der stärksten
Triebkräfte im Menschen ist. Leider fehlt in der Darstellung von Marcinowski das
polare Gegenstück: Der Wille zur Macht. Wie der Kranke selbst mit seiner Liebe
danach strebt, sich den Arzt zu unterwerfen und dienstbar zu machen, das wäre
einer besonderen Darstellung wert. Vielleicht ist die Übertragung nur der Ausdruck
des Wunsches, den Meister nicht zu hassen und seine Überlegenheit anzuerkennen.
Vielleicht ist das Preisgeben des Inneren eine psychische Exhibition, die einer völligen
Hingabe gleichkommt. Es gibt Frauen, die jeden Widerstand aufgeben, wenn man
sie nackt sieht. (Maupassant hat in seiner Meisternovelle .Die Dorfmagd" eineu
Bolcben Fall klassisch geschildert.) Unsere Kranken fühlen sich uns schutzlos preis-
gegeben, zu schwach, um uns zu hassen und zu beherrschen. Erst die Liebe macht
610 Referate und Kritiken.
es ihnen möglich, sich in dieser Entblössung zu zeigen und die EntblöBsung zwingt
sie, uns zu lieben. Und hinter ihrer Liebe lauert die Erwartung einer Gegenliebe.
Etwa die Krage: Wird er uns noch lieben, wenn er uns kennt? Wird er uns trotz
unserer Fehler lieben? Sie hüben bisher geschwiegen, weil sie fürchteten, Achtung
und Liebe zu verlieren. Nun soll ihnen der Arzt beweisen, dass er sie trotz ihrer
Geständnisse achtet und liebt. Das fragen öie immer wieder und das wollen sie immer
wieder sehen. Ihr Persönlichkeitsgefühl sträubt sich dagegen, nur eine Nummer wie
die vielen anderen zu Bein. Deshalb hören sie die Ausführungen des Arztes Über die
Übertragung ungläubig an und selbst wenn Bie einschen, sagt ihnen eine innere Stimme:
Bei dir ist es nicht so. das ist die echte Liebe.
So kommen alle Heilungen dem Arzte zuliebe zustande» und die Krankheit
bleibt bestehen, um dem Arzt zu zeigen, dass man unbesiegbar ist und ihm trotzen kann.
Die Kunst des Analytikers ist es, seinen Nachen durch die starken Strömungen von
Liebe und Hass dem Ziele zuzuführen und sich von dem Gaukelspiel der Übertragungen
nicht verwirren zu lassen. Stekel.
Sauger: Die Psychoanalyse eines Au toero tikers. (Jahrbuch für psycho-
analytische Forschungen. V. Band. II, Hälfte 1913. Franz Deuticke, Leipzig und
Wien.)
Es ist dafür gesorgt, dass una die Lektüre des Jahrbuches nicht zu eintönig
wird. Sadger füllt seine Seiten mit köstlichen Blüten unfreiwilligen Humors. Blitz-
artig kommen unerwartete Wendungen und neue Erkenntnisse. Wer hat vor Sadger
geahnt, duss der Ehrgeiz ein Produkt der Urethra ist? Niemand. Sadger aber ver-
kündet- „Weitere uretbral-erotische Äusserungen sind die Erektionen, ein sehr leb-
haftes Interesse für Feuer und Heizaulagen, endlich ein brennender
Ehrgeiz." Wer wusste bisher, was die Furcht vor Wanzen bedeutet? Niemand.
Sadger aber fasst sie nicht symbolisch als Angst vor Gewissensbissen, als Angst vor
Schmutz und Infektion auf, sondern orakelt: „Mit der Hauterotik hängt eine excessive
Wanzenfurcht unseres Knaben zusammen". „Die Wanzen als Objekt der Hauterotik«,
das ist wirklich neu und genial.
Ich habe mich immer gewundert, woher Sadger seine profunden Kenntnisse
über die Gesasserotik hernimmt. Ich habe doch auch Kranke, wolche offen und frei-
mütig reden, höre aber sehr selten diese Dinge. Nun lerne ich aus der Arbeit von
Sadger, dass er seine Kranken durch Suggestivfragen immer wieder in seine Gedanken-
kreise zwingt. Der Kranke erzählt von seiner Mutter, sie hätte gerne körperliche
Arbeiten verrichtet, daher stemme wahrscheinlich seine Freude am Sport. Sie hätten
beide immer lest zugegriffen und es so auch bei der Reinigung getan, die Muttor und
"Me Grossmutter.
Sadger fragt sofort: „Also gewissermassen Ihren Hintern gescheuert?" Der
Vater legt sich zu dem Knaben ins Bett und der Knabe legt sich zurecht und fragt
den Vater: Ist es gut so? Der abgerichtete Patient deutet das im Jargon von
Sadger: Liege ich so recht wie die Mutter? Und so wimmelt es von Sadgerismen.
Die Arbeit ist voller Widersprüche. Seite 487 heiest es: Sein Geschlechts-
trieb ist im Verhältnis zn dem anderer Leute seines Alters sehr gering trotz ge-
legentlich stark betriebener Onanie. Dabei onaniert der Patient manchmal sechsmal
hintereinander und gesteht, dass er permanent sexuelle Gedanken habe. Und das nennt
Sadger einen geringen Geschlechtstrieb.
Die ganze Arbeit setzt beim Leser eine fieberhafte Spannung voraus. Sadger
glaubt offenbar, dass man seine Arbeiten, verschlingt. Es ist immer hoch an der
Zeit. Es ist hoch an der Zeit, die Familienverhältnisse des Patienten zu beleuchten,
es ist hoch an der Zeit, den organischen Grundlagen des Sadomaeochismus auf den
Referate und Kritiken. 617
Leib zu rücken. Es wäre aber hoch an der Zeit, dass wir mit Bolchen Kranken-
geschichten, welche die Psychoanalyse diskreditieren, in Ruhe gelassen werden. Ich
kenne den Kranken und habe ihn nach vierwöchentlicher hochinteressanter Analyse
freiwillig fortgeschickt, weil ich mich schämte, dass ein Mann, der schon 14 Monate ohne
Pause analysiert wurde, noch weiter analysiert weiden sollte. Der Kranke wollte
wiederholt von Sadger fortgehen. Ich halte in solchen Fällen keinen Kranken.
Sadger aber ruft ihn immer wieder zurück und verspricht ihm die Heilung. So heisst
es auf Seite 479: „Mehrere Male leistete er sich auch während der Analyse den
Scherz, mir einen Abschiedsbrief zu schreiben. Er könne aus diesem oder jenem
wichtigen Grunde die Behandlung nicht fortsetzen. Da er offensichtlich jedesmal nur
auf meine Aufforderung wartete zurückzukehren, habe ich ihm immer eine
Brücke gebau t." Man baut einem Kranken, der bei un9 nicht bleiben will, keine
Brücke! Man analysiert nicht 14 Monate Träume, wenn man von der Traumanalyse
so wenig versteht! Der Kranke studierte seinen Freund sehr genau und leistet sich
den Scherz, seinen Arzt zum besten zu halten. Ich besitze dieses köstliche Traum-
buch mit allen Deutungen Sadgers. Ich begnüge mich, es als meine humoristische
Privatlektüre zu benutzen. Dabei schafft sich Sadger alle Beweise aus den Träumen.
Seite 498 heisst ee: .Aus einem gut gedeuteten Traume geht hervor, dass er den
Koitus der Eltern belauscht und ihn dahin ausgelegt habe, dass der Vnter der Mutter
Schläge auf das nackte Gesäss gegeben habe." Wie kann ein Traum das beweisen,
worum der Kranke von dem Arzte wiederholt gefragt wurde? In alle Symptome
legt Sadger seine Deutungen hinein. Wenn der Kranke einen heftigen Schweiss-
ausbruch infolge von Angst hat, fragt Sadger (Seile 513) „Sollte das ein Äquivalent
für eine Ejakulation sein?" Der Kranke weicht diesmal auB und erwidert: „Das
weiss ich nicht, eine Ejakulation hatte ich ja auch direkt."
Ich bin aber in der Lage, durch diese Publikation einmal aller Welt zu be-
weisen, wie die Psychoanalyse ä la Sadger arbeitet, wenn sie die Träume analysiert.
Die Herren legen ihren eigenen Geist in die Träume hinein, was ja nicht schlecht
wäre, wenn der Geist etwas Neues zu sagen hätte.
Der Kranke teilt mehrere Träume mit. Er erzählt von einem Traume, in dem
ihn ein schwarzer Pudel lockte, der sich in einen Menschen im schwarzen Mancbester-
anzug verwandelte. Der Traum ist leicht zu deuten. Wir kennen den schwarzen Pudel
schon aus dem Faust als ein Symbol des Bösen, der Sünde. Der Kranke wird von
der Sünde gelockt und verwandelt die Sünde in seinen Fetischismus, der seine ge-
heime Religion ist. (Er ist Manchesterhosenfetischiat.) Man vergleiche übrigens die
Analyse Sadgers mit der meinen, die ich in meiner Arbeit über Fetischismus publi-
ziert habe. Es ist sehr lehrreich Doch zurück zur Traumanalyse. Was sagt
Sadger dem Träumer?
„Vielleicht wollten Sie der Mutter UDter die Röcke kriechen und sie am Gesas*
betasten." ?
Der Kranke: „Es wäre auch möglich, dass meine Mutter tatsächlich *
usw. .. .
Ich habe in meiner Analyse dieses Falle nachgewiesen, wie sich hinter dem
Fetischismus die Religion und Askese versteckt. Der Kranke sagt es dem Arzte
wiederholt: „Ich bin gar nicht der, für den ihr mich nach der minderwertigen Ge-
wandung haltet." (Er ist ja Christus!) „Manchmal neige ich zur Askese und deren
Verherrlichung. Die wahre Glückseligkeit liegt in der höchsten Bedürfnislosigkeit."
Endlich sagt der Kranke doch die tiefste Wahrheit: „So ein Fetisch ist eigentlich
nichts als eine bis in die letzte Konsequenz getriebene Symbolisierung, wo das Sym-
bol tatsächlich an die Stelle der Wirklichkeit tritt." Der Kranke hat sich in
seine Krankeit hineingezwungen. Es macht ihm die höchste Lust, sich zu beherrschen.
018 Referate und Kritiken.
Jede Neurose ist der nach innen gekehrte Wille zur Macht. In der Zwangsneurose,
und der Fetischismus ist ja die reinste Form der Zwangsneurose, kommt dieser Selbst-
beherrschungstrieb in seinen extremsten Formen zur Beobachtung. Ich empfehle noch-
mals die Lektüre meiner Arbeit nach der Lektüre des Aufsatzes von Sadger. Einen
tieferen Blick in die Mühlen der Psychoanalyse kann man selten erhalten... . Sadger
erklärt seinen Misserfolg mit dem Narcisismus des Krankon. Hätte er das zu Beginn
gewusst, dass der NarcsiBismus therapeutisch die Grenze der Analyse bedeute, er
hätte die Kur nicht begonnen oder bald abgebrochen. Aber lieber Kollege Sadger!
Alle Neurotiker sind Narzisisten und erst recht die Fetischisten. Die Pervereion
war nicht unheilbar, weil sie mit dem Narcisismus verknüpft war, sondern weil der
Arzt das Wesen der Krankheit nicht erkannt hatte. Ich will nicht leugnen, dass
die in Gesäss, Muskel, Schleimhaut uud Urethra wühlende Forschungsarbeit man-
ches brauchbare Detail zutage fördert. Es muss auch in der Wissenschaft einen Künstler
und einen Mistbauer geben. Nicht jeder kann ein Freud sein, der diese Dinge
mit einem Strahl der neuen Erkenntnis vergoldet. . Aber von dem geheimen Me-
chanismus der Neurose hat Sadger keine Ahnung. Der Fetischismus ist eine kom-
plizierte Aufgabe, ein Vezierschloss, das man mit den Schlüsseln, welche Sadger zur
Verfügung hat, nicht aufsperren kann.
Wir würden es aber für vorteilhafter halten, wenn derartige Krankengeschichten
in der Lade des Autors bleiben würden. Sie nützon uns Analytikern gar nichts,
bringen uns nicht eine neue Erkenntnis and kiinnen immensen Schaden stiften. Sie
könnten die irrige Ansicht verbreiten helfen, dass jede Analyse eine Sadgerische
Analyse ist. Dagegen möchte ich an dieser Stelle öffentlich protestieren, ehe ich
meine referierende Tätigkeit aufgebe. Meine Leser finden aber in der Traumarbeit
dieses Heftes noch einen Traum analysiert, der der Arbeit von Sadger entnommen
ist. Vielleicht werde ich in dem zweiten Bande meines Buches „Die Sprache des
Traumes", den ich unbedingt einmal schreiben muss, einige Kapitel der ver-
gleichenden Traumforschung widmen.
Und nun nehme ich Abschied von der Gesässerotik für lange lange Zeiten
Sadger soll von mir nicht mehr belästigt werden. Stekel.
Marcinowski : Die Heilung eines schweren Falles von Asthma durch
Psychoanalyse. (Ibidem.)
Es wird an einem akut entstandenen Falle von Asthma die Wirksamkeit der
Psychoanalyse bewiesen. Es handelt sich eigentlich um ein passageres Symptom,
das während der Psychoanalyse aufgetreten ist. Eine Dame erkrankt an schwerem
Asthma aus Sehnsucht, die Analyse fortzusetzen. Dieser Fall wäre an und für sich
nicht beweisend. Es wäre viel lohnender, einen Fall von chronischem, lange dauerndem
schwerem Asthma zu publizieren. Ich habe ja schon vor einigen Jahren auf die
Psychogenese des Asthmas hingewiesen und meine Ausführungen werden durch die
schöne Arbeit von Marcinowski, die sich durch Offenheit und Geschmack auszeichnet,
bestätigt. Die chronischen Fälle von Asthma sind viel komplizierter und setzen der
Heilung grossen Widerstand entgegen. Besonders wenn man Bie von der Familie
trennen will, werden die Asthmatiker wild und verlassen den Arzt nnter irgend einem
Vorwande. Und doch: Es gibt keinen anderen Weg als den der rationellen Psycho-
therapie, als eine psychoanalytische Kür, welche auf die psychopttdagogischen Auf-
gaben nicht vergisat. Stekel.
Heinrich Kahane : Grundzüge der Psychologie für Mediziner. Wiesbaden
1914. J. F. Bergmann.
Eine Kenntnis der gesamten Psychologie ist für jeden Arzt heute unentbehrlich.
Wir stehen im Zeitalter der Psychologie. Die Auffassung der Neurosen uud ihre
Referate und Kritiken. 619
Therapie ist eine psychologische. Das Buch von Kahane will dem Arzte und Stu-
dierenden ein Föhrer in diese schwierige Wissenschaft sein. Konstatieren wir gleich,
dass dieses grossangelegte Werk diesen Zweck nicht erfüllt. Kahane vermeidet dies-
mal alle Angriffe auf andere Schulen und macht nur für seine Anschauungen Propa-
ganda. Wir brauchen aber einen Führer, der alle disparaten Forschungen prüft,
sichtet, schildert und das Beste bietet. Das ist hier nicht der Fall. Von den grossen
Fortschritten, die wir Freud und allen seinen ehemaligen und jetzigen Schülern ver-
danken, findet sich in dem Buche kein Wort. Auch wäre ein solches Werk an Hand
von praktischen Beispielen zu schreiben, sonst wirkt die Lektüre ermüdend und er-
füllt nicht ihren Zweck. Dr. W. B.
A. M. Brill: Piblokto oder Hysterie unter Pearys Eskimos. (The Journ.
of Ny. and Ment. Disease. August 1193.)
In Admiral PearyB Buch interessierte mich besonders eine Beschreibung eines
eigentümlichen Nervenleidens, welches man unter den Eskimos an der Westküste
Grönlands findet — von Cap York bis Etah — welches Bie Piblokto nennen und
welches er eine Form der Hysterie nennt. Peary hat Piblekto nie bei einem Kind
gesehen, aber bei einigen Erwachsenen jeden, oder jeden zweiten Tag einen Anfall.
An einem Tag konstatierte er fünf Fälle. Die direkte Ursache dieses Leidens — sagt
Peary sei schwer zu bestimmen; hie und da (ich zitiere seine Worte) scheint es
die Folge eines Grübelns über abwesende oder verstorbene Verwandte oder eine Furcht
vor der Zukunft zu sein."
Den Anfall schildert er mit folgenden Worten: „Die Patientin, meist sind es»
Frauen, fängt an zu schreien und die Kleider vom Körper zu reissen. Kommt der
Anfall auf dem Schiff, so wird sie schreiend und gestikulierend auf dem Deck auf
und ab laufen, in der Regel nackt, wenn auch der Thermometer 40" Kälte zeigt.
Wird der Anfall schlimmer, springt die Patientin manchmal über das Geländer aufs
Eis und läuft eine halbe Meile. Der Anfall dauert wenige Minuten, eine Stunde
oder länger und einige Kranke werden so wild, dass sie auf dem Eise nackt herum-
laufen würden, bis sie erfrieren, wenn man sie nicht mit Gewalt zurückbringen
würde.
Ist der Anfall im Hause, beobachtet man den Kranken wenig, solange er
kein Messer findet, oder versucht, andere zu verletzen. Der Anfall endet mit heftigem
Weinen; wenn der Patient ruhig wird, sind die Augen blutunterlaufen (bloodshob),
der Puls hoch und der ganze Körper zittert noch etwa eine Stunde lang."
Nun macht Brill sehr interessante Bemerkungen über das Verhältnis der Kon-
versioushysterie zur Angsthysterie. Er sagt:
.Nach meinen Beobachtungen konnte ich keine Konversionshysterie unter den
Eskimos finden. Die Frage mag nahe liegen, warum man nicht auch bei den an
Piblokto Leidenden Symptome von Konversion findet. Um diese Frage zu beantworten,
müssen wir nns das Gesetz und den Mechanismus der Konversion vergegenwärtigen.
Meine Erfahrung mit solchen Hysterischen hat mich gelehrt, dass ich in allen Fällen
von dauernder Konversion (bei Astasia, Abasis, Paralyse, Aphonias etc.) mit Leuten
tu tun hatte mit sehr komplizierter psychischer Organisation, die meist lange litten,
•he die Konversion zum Durchbruch kam. Sozusagen alle diese Leute gehörten zu
den Patienten, die stille leiden, ohne sich jemandem mitzuteilen. Ich entsinne mich
auch sehr vieler Patienten, die gesprächige Menschen waren ; deren Anfälle zeigten
sich in Lachen, Weinen und Schreien. Diese hatten keine so komplizierte geistige
Veranlagung wie die vorher genannten Patienten. Es ist ferner bezeichnend, dass
man Konversionshysterie selten bei Kindern findet. Alle Fälle von Hysterie, die ich
bei Kindern gesehen habe, gehörten zur Angsthysterie. Wenn wir uns in den tieferen.
620 K,eferate und Kritiken.
Mechanismus der Konversion einarbeiten, erfahren wir, dass dss Symptom, wie beim
Traum, ein versteckter Ausdruck eines verdrängten Wunsches ist. Wer die Trauin-
aoalyse kennt, weiss, daes die Träume Erwachsener versteckt symbolische Wünsche
zeigen, die Träume der Kinder hingegen ganz klar sind. Kinder haben es noch nicht
gelernt, zu unterdrücken oder zu verdrängen; sie wünscheu irgend etwas, ohne zu
wissen, dass es unerreichbar ist und weinen, wenn eich der Wunsch nicht erfüllt.
Mit anderen Worten, die Träume, wie auch die hysterischen Ausbrüche unter Kindern
und Erwachsenen geringeren Bildungsgrades sind nicht so kompliziert und versteckt,
wie die intelligenter reifer Menschen. Es gibt keine bestimmte Abgrenzung zwischen
bewusst und unbewusst und die psychische Unrcharbeitung und folgende Reaktion
Bind ganz oberflächlich. Sie können sieb in Weinkrämpfen, Schreikrämpfen, Lach-
krämpfen zeigen oder in anderen einfachen Kundgebungen. Peary 6agt: „Eskimos
sind Kinder in ihrem Schmerz und in ihrer Freude." Ihre Reaktion bei unerfüllbaren
Wünschen ist anch kindlich. Statt eines komplizierten hysterischen Anfalles oder
eines chronischen hysterischen Symptoms, wie Lähmung oder Aphonia, folgt hier
der Ausfall der Kränkung und äussert sich in dem einfachsten Gofühlsausbruch. Es
gibt kaum etwas Kindischeres, als einen Hund oder Vogel nachzuahmen, oder singend
oder weinend in die Berge fortzulaufen."
„Und trotzdem, ist wirklich ein so grosser Unterschied zwischen dem hysterischen
Mechanismus, wie er sich bei Piblokto beweiht und der grossen Hysterie oder anderer
moderner hysterischer Kundgebungen? Wir können ohne Zögern antworten, dass
der Unterschied mehr anscheinend als wirklich ist. Das tiefer Bestimmende ist bei
beiden das Gleiche. Wir dürfen sagen, dass die moderne Dame und die Eskimo-
frau im Grunde die gleichen sind."
Ich kann nach meinen Erfahrungen diese sehr verlockenden Deduktionen nicht
unterstützen. Die Grenzen sind nicht so scharfe zwischen Angst und Konversions-
hysterie, wie die Freudschule annimmt. Beides sind Ausdruckformen einer und der-
selben Kraft und kommen auch in einem Individuum vereint vor. Auch habe ich
ausgesprochene Konversionshysterie bei Kindern gesehen, Lähmungen, Aphonien,
Mutismus. Ich habe nur den Eindruck, dass die Konversionshysterie jetzt viel seltener
geworden ist, ebenso die grosse Hysterie mit dem klassischen hysterischen Anfall.
Der Zeitgeist scheint die Angsthystorie zu bevorzugen. Das Piblokto müaste einer
genauen seelischen Analyse an einem Kranken unterzogen werden, um die Motive
kennen zu lernen, die hinter den Anfällen stecken. Sicher mehr als eine unbefriedigte
Libido! Vielmehr scheint es sich um ein Besessensein zu handeln, in dem wie bei
dem Amok der Malayen Kriminalität und Religion eine ebenso grosse Rolle spielen
wie die Sexualität. Stekel.
Leo Erichsen: An der Grenze des Übersinnlichen. Unser Seelenleben.
Hypnose. Suggestion. Telepathie. Der persönliche Einfluss. Ein
neuer Weg zum Erfolg. 15.— 20. Tausend. Strassburg in E. Verlag von
Josef Singer.
Wie schon der Titel erkennen lässt, spekuliert auch diese Schrift, wie so viele
Bücher, mit denen der Büchermarkt seit Jahren überschwemmt wird, auf die Sen-
sationslast des Publikums. Und wer wollte sich denn heute nicht über .Unser
Seelenleben", die „Hypnose" oder die noch ganz rätselvolle „Telepathie" unterrichten?
Wer aber gar wäre nicht gewillt sich um 2 Mk. ein Rezept anzuschaffen, das seinen
.persönlichen Einfluss" vielleicht ins Fabelhafte zu steigern in Aussicht stellt?!....
Für den Psychologen ist das Büchlein ohne alle Bedeutung — ee ist auch scheinbar
nicht für ihn bestimmt — und dem Laien kann es keine Dienste leisten; ja, es ist
ganz geeignet, ihn nur zu verwirren und irrezuführen. So ist es direkt falsch, wenn
Varia.
der Verfasser z. B p. 36 schreibt: „Der Abbe faria, dessen Reisen weit nach Indien
führten, hatte dort die Hypnotisiermetboden der Fakire kennen gelernt und brachte
diese Metkode gegen Ende des 18. Jahrhunderts nach Europa, wo sie namentlich in
Frankreich grosBe Verbreitung fand. Um dieselbe Zeit entdeckte der Deutsche Mesmer
den sogenannten tierischen Magnetismus. . ." (Es muss allerdings gesagt werden,
dass diese Ansicht in weiteren Kreisen verbreitet ist und so kann es uns nicht wundern,
dass der durchaus unselbständige E. diese Ansicht kritiklos weitergibt.) Die Sache
verhält sich vielmehr so: Jose Custodio de Faria (geb. 1756 in Goa) schiffte sieb,
kaum 15 jahrig. mit seinem Vater nach Lissabon ein und kam 1788 nach Paris.
Hier erst wurde er mit dem 1784 von dem Marquis de Puys6pur entdeckten
Somnambulismus bekannt. Er bekennt auch in der an diesen Marquis de P. gerichteten
Widmung seines Buches, De la cause du sommeil lucide (Paris 1819): „ . . . je re-
connais dans vos sagte avis et dans vos bienveiüantes Instructions le germe de mes
tneditalion." Damit ist erwiesen, dass F., als er mit 15 Jahren Indien für immer
verlassen, keine Ahnung von der (1843 von Braid) mit dem Namen Hypnotismus be-
legten Erscheinungen hatte. Mit Recht sagt denn auch Farias Biograph. Dr. D. G.
Dalpado: „...Aber die Annahme, dass er (Faria) auch den Spiritis-
mus und Fakirismus studiert hat, ist absurd." — Franz Mesmer hin-
gegen hatte schon 1766 seine .Entdeckung" des .animalischen Magnetismus*' be-
kannt gemacht.
Was nun „des Buches zweiten und wichtigsten Teil" betrifft, so sollen zur
Charakteristik nur zwei Stellen daraus angeführt werden. E. ruft seinen Lesern zu:
.Sehen Sie in jedem anderen Menschen Ihren Gegner... Hören Sie
meinen letzten Rat: Stellen Sie die Telepathie in Ihre Dienste!" Es
ist glücklicherweise nicht so einfach den telepathischen Rapport mit irgend einer Person
bewusst herzustellen (wie E. den Leser glauben machen möchte), so dass eventuelle
Versuche zur Bofolgung dieses Rates nur höchst selten eine bedeutende direkte Ge-
fahr nach Bich ziehen können, am ehesten noch für den, der solche Versuche unter-
nimmt. Wilh. Wrchovszky.
Varia.
Alexander von Humboldt an Henriette Herz.
Berlin, den 4. April 1796.
.Wenn alle Traume so süss als mein gestriger wären, so möchte ich mein
ganzos Leben in einen Traum umschaffen. Noch nie ketteten sieb meine Ideen auf
eine so wahre und doch sonderbare, auf eine so sonderbare und doch so angenehme,
auf eine so angenehme und doch so lehrreiche Art aneinander; noch nie. Doch w.-
zu diese Einleitung. Wer wird jetzt wohl noch ein Buch mit einer Vorrede schreibe
oder wenn der Verfasser unmodisch genug ist, es zu tun, wer wird beim Lesen c
Vorrede nicht Überschlagen? Hören Sie gleich den Traum und urteilen Sie selb:
meine Freundin.
Dass unsere Träume sich nach den, leider! noch so wenig entdeckten Rege .
unserer Ideenassoziation richten, darüber sind wir einig. Ich erzähle Ihnen daht ..-
was meinem Traume vorherging. Ich las in einem alten griechischen Weltweisei
— erschrecken Sie nicht über meine Gelehrsamkeit, es war diesmal eine französische
Übersetzung — ich las also die Worte des Alcibiades: .Verstand und Tugend sind
in einem Manne verehrungs-, in einem Weibe anbetungswürdig' 1 . Ich machte mein
•Buch zu, dachte, so gut ich konnte, darüber nach — und meine äusseren Sinne fingen
Zentralblatt für P»johoanalyse. 1V"/». 41
622 Varia -
allmählich an sich zu verschliessen. Da stand auf einmal ein ehrwürdiger Greis
neben mir, der im jugendlichen Alter an Bildung dem schönen Sohne des Klinias
nicht unähnlich gewesen sein könnte. Er drückte mir freundlich die Hand und sagte:
Folge mir, Jüngling, ich will Dir Menschen zeigen. Ich folgte dem Greise und er
führte mich in eine prächtige Stadt mitten unter das Getümmel von Leuten, die alle
grosse Mäntel trugen und das Gesicht verhüllten, so dass man kein Geschlecht von
dem anderen unterscheiden konnte. Als wir über eine Brücke gingen, sah ich zur
Rechten ein Heer purpurner Mäntel und Köpfe, welche mit Kronen geschmückt waren.
Einige sangen Lieder in fremden Zungen, andere machten Epigramme auf die Tugend
ihrer Mitmenschen etc. Hüte dich vor ihnen, sagte mein Führer, denn es sind
Königinnen. Kaum erblickte mich eine, so rief sie zu mir: Ah, Mr. de... Aber es
blieb bei dem bedeutenden von, mein Führer riss mich hinweg und versetzte mich
auf einmal in einen angenehmen Spaziergang. Hier sah ich drei Wesen, welche, so
wenig ich sie kannte, ein sonderbares, sehnsuchtsvolles Gefühl in mir veranlassten.
Der Greis befahl mir, mich ihnen zu nähern, und versprach auf einer nahen Rasen-
bank auf meine Rückkunft zu warten. Unsichtbar schlich ich mich hinter der rätsel-
haften Dreiheit her. Alles, was ich hörte, war so verständig, so männlich schön,
dass ich zu glauben anfing, es wären drei edle Jünglinge, welche die Weisheit ihres
Lehrers wiederholten. Man beschloss endlich auf die Arbeit des Tages eine kleine
Ergötzlichkeit folgen zu lassen. Jedes der Drei schlug eine eigene Art davon vor,
jedes nahm völlig den Vorschlag der anderen an. Man sprach schon von der Aus-
führung, und noch hatte man sich nicht entschlossen. Denn jede der guten Seelen
wollte, was die andere wollte. Ein Zufall entschied, man sah Pomeranzen, man
wollte Pomeranzen kaufen Schon war alles gelagert, schon fing man an, Zubereitungen
zu machen, und — was glauben Sie, meine Freundin? — zwei Mäntel erhoben sich
wieder, lachten über den Vorschlag der anderen und alle eilten unverrichteter Sache
davon. Da lachte ich über mich selbst und über meinen vorigen Irrtum. Ich merkte
wohl, dass ich in Gesellschaft von Damen war, und die drei verständigen Damen
wurden mir jetzt zehnfach interessanter als ea mir vorher die drei verständigen
Jünglinge waren. Ich nahm sie näher in Augenschein und fand, dass die mittlere
gross und majestätisch schön wie Minerva war. Sie hatte einen weissen Mantel
über die Schulter geschlagen und ihr Kopfzeug war, wie soll ich ihn würdiger loben,
als hätle ihn die Natur mit eigenor Hand geordnet. Zur Rechten hatte sie die Dame,
welche das Pomeranzenprojekt zuerst vereitelt hatte, in einem lieblichen, veilchen-
blauen Mantel. Die Dame ging mit geneigtem Haupte und war schwarz gekleidet.
Ich wagte es, ein Stückchen ihres Kleides umzuschlagen, und da fand ich, dass die
innere Seite rosenfarbig war. Eine schöne Seele in einer etwas finsteren Hülle dachte
ich. Wohl ihr, dass sie wie manche andere ihres Geschlechtes den Mantel nicht um-
gekehrt und die innere Seite nicht zur äusseren macht. Ich folgte noch immer diesen
liebenswürdigen Geschöpfen, ich hörte aufmerksam auf ihre Gespräche. Da zog wieder
ein Purpurmantel mit einem Diademe vorüber. Aber in der Gesellschaft solcher Frauen
hielt ich mich auch ohne meinen Führer stark genug, dem Diademe nicht zu folgen.
Einige Schritte vor uns lag ein unglückliches Mädchen am Wege, welches Räuber
gemiashandelt hatten. Sie war halb nackt und mit Wunden bedeckt. Der Purpur-
mantel nahet sich ihr, stösst ein Paar italienische Seufzer o cielo, misera fanciulla
aus und wirft dem Mädchen aus Mitleid ein Paar unnütze Goldstücke in den Schoss.
Indes nahen sich meine drei Mäntel. Der weisse seufzt, der veilchenblaue lacht,
und der schwarze Bieht bekümmert in sich hinein. Sonderbare Ausdrücke des Schreckens,
dachte ich bei mir selbst. Die drei Damen warfen plötzlich ihre Mäntel ab und jede
streitet um den Vorzug, dem Mädchen den ihrigen zu geben. Es war mir, als sähe
ich drei Tugenden in der Seele eines grossen Mannes streiten. Die grösste unter
Varia.
den Damen Biegte, sie stand nun enthüllt vor mir, ich wollte sie anschauen, aber eine
unsichtbare Macht entzog mir den Anblick und ich sass auf einmal neben meinem
alten Führer anf der Rasenbank. „Ich habe Menschen gefunden* 1 , rief ich in dem Taumel
des Entzückens. .Dank, tausendfacher Dank sei Dir, ehrwürdiger Greis", und hier
folgte die Erzählung alles dessen, was ich gesehen. Dann schwiegen wir beide, mein
Führer sah mich traurig an und sagte: Auch ich war einst ihr Vertrauter, aber ein
widriges Schicksal trennte mich von ihnen. Willst Du die Frau von Angesicht kennen,
die ihren Mantel dabin gab, so betrachte dies Bild. Die Natur wollte einen Mann
schaffen, aber sie vergriff sich im Tone und schuf ein Weib. Ich betrachtete das
Bild und erkannte wen? nein, das erfahren Sie nicht meine Beste. Ich blickte wieder
auf und siehe. Der ehrwürdige Greis war in einen schönen Jüngling verwandelt.
Eine Orikel schwebte über seinem Haupte, ich wollte ihn umarmen — aber das
Traumgesicht verschwand. Alexander.
Berlin, im Mai 1796.
Wer nicht mit uns denkt, empfindet und spricht, wird schwer diesen rätsel-
haften Traum erraten. Aber für den war er auch nicht geschrieben. Wie ich Ihnen
und den Ihrigen vorlas, steht er hier. Ich habe kein Wort verändert. Es ist eine
unreife Frucht, deren Sinn vielleicht nicht ganz . . Heben Sie dieses Blatt auf, so
kann es uns nach einer langen Reihe von Jahren vielleicht einmal wieder einen
lustigen Augenblick verschaffen. Den Schlüssel verliere ich nicht, der ist an einem
Orte, aus dem man leider auch das nicht verliert, was man los sein will." H. P.
Ein völkerpsychologischer männlicher Protest.
„Der Staat ist ein grosser Mensch,' 1 sagt derTaoist. Die völkerpsychologischen
Parallelen zur Individualpsychologie sind besonders lehrreich, weil die Völkerpsycho
logie leichter zu untersuchen und das Material für alle zugänglich ist.
Folgende hübsche Illustration des männlichen Protestes ist zu finden im Pro-
gramm einer neuen Halbmonatsschrift: , Der Turmhahn", unter der Redaktion von
Herrn Karl Hans Strobl (Verlag von L. Staackmann, Leipzig) im Heft von 1. Januar
1914, S. 1—8.
Man muss vielleicht Österreicher sein und vielleicht sogar irgendwo von der
Sprachgrenze herkommen, wo die neue Völkerwanderung brandet, um die
überwältigende Grösse Deutschlands wie ein neues Weltgefühl zu erleben. Das
macht den Anfang.
Der sozialpsychologische Begriff des Grenzbewusstseins ist auch in der
Individualpsychologie von methodologischem Wert.
Die Redaktion schildert dann den deutschen Ordnungssinn, wie sie einerseits
entartet in die Albernheiten des Polizeistaates, aber anderseits das deutsche Volk in
Stand setzt, seine Riesehmassen selbst zu beherrschen.
„ Immer wieder aber muss man sagen, mit diesen Eigenschaften haben wir es
zu etwas" gebracht. Die Südländer sind vor lauter Temperament über schöne Redens-
arten und Messerstechereien nicht hinausgekommen, und Italien verdankt seine er-
freuliche Wiedergeburt auch nicht der Camorra Neapels, sondern dem deutschen
Blut in Oberitalien. Wir aber dürfen mit ziemlicher Zuversicht in die Arena treten.
Und die Arena des deutschen Geistes ist die Welt. . . .*
Nur sollten wir uns noch unbefangener und selbstverständlicher zu allen unseren
Eigenschaften bekennen. Wer zweifelnd an eine Aufgabe gebt, hat sich selbst zum
Gegner. Wer an sich glaubt, verhundertfacht seine Kraft.
Er schildert dann, wie durch die Entwickelung der wirtschaftlichen Verhältnisse
im 16. Jahrhundert die deutsche Nation, Bei eB nur als .ein Begriff in wenigen hellen
41*
624
Varia.
Köpfen*, erwachte, bis der grosse Krieg alles zerschlug. Die deutsche Kultur wurde
ein Scherbenhaufen.
Aber aus diesen kleinlichen und armseligen Verhaltnissen wuchs der deutsche
GeiBtin die Welt. Die Gelehrtenstuben Deutschlands io diesem achtzehuten Jahrhundert
dampften vor Fleiss und Begeisterung für grosse Gedanken. Das politisch und wirt-
schaftlich gedemütigte Deutschland wurde die Heimat der Idee, diese Nation ohne
Nationalstolz war die Trägerin des Wunsches einer Verbrüderung aller Völker (p. 4).
Aber das gebrochene Selbstgefühl der Nation war noch immer nicht
erstanden.
Nach dem Siege von 1866 und 1870 aber begann ein stetiger Anstieg des Volks-
wohlstandes, von welchem die Redaktion sehnsüchtig die .Wiederbelebung der nationalen
Empfindung* erwartet. Man sebe nur auf England, dessen letzte Jahrhunderte arm
an begeisternden äusseren Vorgängen, aber reich an wirtschaftlichen Erfolgen sind,
und man vergleiche damit das ständige Anschwellen des britischen Stolze b.
Darin vor allem hätton wir England nachzuahmen, (p. 5.)
Nachdem er im deutschen Geist die Ambivalenz der „AusIandBsklaven* und
der „Schneidigen* erkannt hat, weist er den Weg zwischen diesen Polen.
Ohne die Nachbarn umbringen zu wollen, verlangen wir unseren Platz an der
Sonne, als die tüchtige, grosse Nation, die wir uns nennen dürfen, (p. 8.)
Also der kollektivpsychische Mut zu sich selbst.
Wir ertappen hier die metapsychologische Goburt der Kollektivpsyche
als Folge der, Verlegung auf ein Grosse s*. A. J. Resink.
Die Träume der Kinder.
In den Süddeutschen Monatsheften teilt Carl Spitteler seine frühesten Er-
lebnisse mit, von den wir die Abschnitte über „Die Träume des Kindes" hier publizieren:
„Im Anfang ist der Schlaf, lehrt tausendjährige Beobachtung. Im Anfang war
der Traum, ergänzt meine Erinnerung. Und kein Traum war jemals der erste, selbst
der älteste besann sich auf einen Vorgänger.
Ich spreche, wohlverstanden, vom Traum im Schlafe, von der nämlichen Er-
scheinung, die auch dem Erwachsenen geschieht: Stilles Erwachen der scheuen Seele,
wenn die Aufpasser: der Geist, der Wille, die Sinne ermüdet ruhen, spielerische,
launenhafte Verarbeitung der Themen, die das Auge bei Tage aus der Wirklichkeit
geschöpft hatte, freies Erschaffen und Erdichten von leuchtenden Bildern und Ge-
mälden, unbefugtes Auftauchen unterdrückter Sehnsuchtswunsche unter falschem
Antlitz und Namen.
Der letztere, der verräterische Sehnsüchte- "nd Wehmutstraum, ist Monopol
des Erwachsenen. Die thematische Verarbeitung „,agegen und das Dichten versteht
der Traum des Kindes besser. Tausend kleine Dinge und Vorkommnisse des wachen
Lebens, die den abgestumpften Erwachsenen gänzlich kalt lassen, die er nicht einmal
mehr sieht und, wenn er sie sieht, nicht bemerkt, rühren dem Kinde, weil es noch
frisch fühlt und weil ihm die Erdendinge neu sind, bis in die Seele und erzeugen
Traumspiegelungen im Schlafe. Ich kann aus meiner Erfahrung berichten, dasB mir
ein Eisengitter um ein Haus, ein flüchtiger Blick in ein KellergeBchoss in der darauf-
folgenden Nacht ernste, tiefsinnige Träume verursachten, dass auf grössere Neuig-
keiten, zum Beispiel auf den erstmaligen Anblick strömenden Wassers, ein wahrer
Traumsturm folgte. Und wie golden schon die Landsehaftsbilder in den Träumen
des Erwachstnen leuchten mögen, die Landschaften, die der Traum des Kindes malt,
sind noch viel seliger und süsser. Die Träume meiner zwei ersten Lebensjahre sind
meine schönste Bildersammlung und mein liebstes Poeaiebuch. Niemand wird mir
Varia. 625
zumuten, dass ich sie erzähle; denn Träume lassen sich ja überhaupt nicht erzählen;
ßie zerrinnen, wenn der nüchterne Verstand sie mit Worten anfasst.
Von den Sehnsuchtaträumen kennt das Kind wenigstens den Liebestraum,
jenen Traum, der über eine herzinnige Gegend den Seelenodem eines geliebten
Menschen wie einen Schmelz hinbaucht, während vielleicht die Gestalt des Geliebten
in dem Gemälde gar nicht sichtbar wird. So erging es mir als Kind mit meiner
Ürossmutter. Welche Mäichenlandschafien immer der Traum mir vorzaubern mochte,
unfehlbar schwebte der Geist meines Grossmütterchens darüber.
Die Traumwelt ist ein Reich für sich, mit besonderer Landeshoheit und eigenem
Verkehrswesen. Drahtlose Phantasie entführt auf geheimen Wegen den Träumenden
blitzschnell an die entlegensten Stellen, zum Beispiel in die früheste Kindheit zurück
und lässt ihn dort wieder genau so schauen und fühlen, wie er einst geschaut und
gefühlt hatte. Wenn ich aber im Traum die nämlichen Gefühle und Gesichte er-
lebe, ob ich zweijährig, oder zwanzigjährig oder secbzigjährig bin, wenn ich darauf
beim Erwachen es als eine Überraschung empfinde, dass ich das eine Mal mich als
gesund, ein anderes Mal als leidend verspüre, heute vor der Welt einen Buben
vorstelle, den man massregelt, morgen einen bärtigen Mann, vor dem man den Hut
zieht, so gelingt es mir nicht, nichts dabei zu denken. Folgendes muss ich denken:
Inwendig im Menschen gibt es etwas, nenne man es Seele oder Ich oder wie man
will, meinetwegen X, das von den Wandlungen des Leibes unabhängig ist, das sich
nüht um den Zustand des Gehirns und um die Fassungskraft des Geistes kümmert,
das nicht wächst und sich entwickolt, weil es von Anbeginn fertig da war, etwas,
das schon im Säugling wohnt und sich zeitlebens gleich bleibt. Sogar sprechen kann
das X. Es spricht, wenn ich seinen fremdländischen Dialekt recht verstehe: „Wir
kommen von weitein her.* &te e "
Mitteilung aus Madäch's „Tragödie des Menschen".
Ein grosser Teil der von Vaihinger beschriebenen .Fiktionen« dient dazu,
Herrschaften aufzurichten und zu erhalten. Am deutlichsten ist dies wohl beim
Rechte der Fall. In der Diskussion des Vereins für Individualpsychologie am
5. Juni 1913 (Österr. Ärzteztg., Jg. 10, H. 15, S. 268) wies Alfred Adler auf eine
Art Fiktion hin, die im Weissagen, im Aberglauben und in der Zwangsneurose vor-
kommt und demselben Zwecke dient: „Durch die Aufstellung eines Junktims nach
dem Schema: Wenn das und das geschieht, so wird ein Unglück - ein Gluck —
eintreten, werde aus einem' N ichts etwas Grosses gemacht, um daraus
eine Herrschaft abzuleiten." Denselben Gedanken finde ich in Eraerich
v. Madäch's „Tragödie des Menschen" (ReclamsUniversalbibl. Nr. 2389-90, S. 123)
ausgesprochen, wo er sich wohl hauptsächlich auf Theologie und Ethik bezieht:
„Die Philosophie
Iat nur all' dessen Poesie, wovon
Wir keinen richtigen Begriff noch haben.
Und unter andern hohen Wissenschaften
Ist diese wohl die unschuldigste noch.
Weil sie in ihrer Welt voll Hirngespinsten
Ganz still sich mit sich selber unterhält.
Nun hat sie aber andere Geschwister,
Die in den Sand mit wicht'ger Miene schreiben,
Hier einen Strich als Wirbelschlund bezeichnen,
Dort einen Kreis als Heiligtum. Schon reizt dich's
Hell aufzulachen, doch bald wirst du inne,
626 Lesefrüchte.
Welch' schrecklich ernster Streich das Ganze ist.
Denn während mit gepresater Brust und zitternd
Den Staubfiguren alles sorglich ausweicht,
Sind hie uud du Fussangeln aufgestellt,
Die den Verwegnen, der sie überschreitet,
AuFs Blut verletzen. Solcher Unsinn, siehst du,
Steht immer uns im Wege, jede Macht,
So sie einmal besteht, als Gegenstand
Der Pietät scheinheilig stets beschirmend."
In einer anderen Übereetzung (HendePs Bibl. Nr. 541—2, S. 90) lauten die
drei letzten Zeilen wie folgt:
„So hemmt ein blöder Wahnsinn iinsre Wege
Als heil'ge Ehrfurcht, Pietät verkleidet,
Und schützt, erhält die schon geschaffne Macht."
Dr. Stefan v. Maday (Prag).
Die „himmlische Mnsik".
Die „himmlische Musik* ist bekanntlich ein Phänomen, das unter den ver-
schiedensten Umständen auftritt: bei Regression der Psyche, am Sterbelager, in
schweren psychischen Krisen, in der religiösen Extase (Fra Angelico, Odillon, Redon)
in der künstlerischen Inspiration usw. Tschuang-tse beschreibt einen Fall von
„himmlischer Musik" folgender Art im Beginne des Buches Tsi-Wu Lum (Ann. Mus
Guimet XX. 227).
Tse-tscbi von Nan-Kuo sass gestützt anf einem kleinen Ti,ch und sann, die
Augen gen Himmel gerichtet. Yen-Tscheng-tse-yu nähert sich ihm und fragt ihn,
was er denn tue, ob er in der Ferne schweife und Körper und Seele vertrocknen
lasse. Ist er wirklich in diesem Zustand? Dann wird erzählt:
„Du hast recht, antwortete Tsetschi; denn heute habe ich mich verloren, ich
habe mich selbst vergessen und beerdigt. Verstehst du mich? Vielleicht weisst du
nicht, was die Musik der Erde und die des Himmels ist. Darauf erklärt er ihm,
dass die Musik der Erde entstehe, wenn der Wind in den Löchern and Höhlen bläst.
Was aber die himmlische Musik anlange, so ist sie das Werk der Leiden-
schaften und der Gefühle, die im Herzen toben. Die es Tag und Nacht
schütteln, deren Ursache wir aber nicht zu ergründen vermögen. Sie sind nicht ohne
midi und ich bin nicht ohne sie. Sie müssen ein schaffendes Prinzip haben , einen
stabilen Herrn (Jung's Ich-Komplex?), aber man kann ihre Form nicht sehen."
Die himmlische Musik bietet der theosophischen Geheimlehre Gelegenheit zu
tiefgründigen naturphilosophischen Gedanken (die Vach-Lehre der Indier z. B.) wie sie
auch in der praktischen Magie, z. B. in der Mantsam-Kunst und in der kaballistischen
Batt-Kol, eine Art auditive Autopsie ') eine Rolle spielt. Auch das ästhetische Problem
der Musik und des Musikers hat den Okultismus der himmlischen Musik zum Hinter-
ß rund - Resink.
Lesefrüchte.
Boccacio, der bekanntlich sehr scharf beobachtete, enthält mehrere Beispiele,
die sowohl für die Traumdeutung (Entstehung der Träume, Wunscherfüllung) sowie
') Sil her er 's „autosymbolische Halluzinationen" sind wohl nichts anderes als
die alte Autopsie (vergl. K. H. G. de Yong, das antike Mysterienwesen, 89, 96 usw.).
Lesefrüchte. 627
für die im WachlebeD gebrauchte Symbolisieruug ziemlich interessant erscheinen.
Besonders charakteristisch dürfte das letzte Beispiel (Wunscherfüllung) sein 1 ).
Die sechste Novelle des vierten Tages, betitelt „Die zwei Träume" enthalt
folgende Träume : (ich zitiere in Übersetzung).
„Die junge Dame träumte eines Tages, 8ms sie mit ihrem lieben Gabriel im
Garten sei, dass sie ihn in ihren Armeu halte; dass sie aus dem Körper ihres Ge-
liebten in dieser Lage etwas schwarzes und schreckliches heraustreten sah, dessen
Form sie nicht genau bestimmen konnte; dass dieses „ich-weiss-nicht-was" Gabiiel
ergriffen hatte, und trotz ihres Widerstandes ihn aus ihren Armen gerissen hatte
und dass hierauf diese Art Gespenst verschwunden sei, nachdem es sich eine Zeit-
lang auf der Erde gewälzt hatte." Der Schmerz, den ihr dieser wirklich entsetzliche
Traum verursachte, Hess sie jäh erwachen. Sie hatte alle Mühe, sich von ihrem
Schrecken zu erholen. Obwohl sie den Gebrauch ihrer Sinne wieder erlangt hatte
und sehr froh war, zu sehen, dass es nur ein Traum war, war sie doch unaufhörlich
beunruhigt durch die Furcht, dass dieser Traum sich verwirkliche ». .
Später erzählt sie den Traum ihrem Geliebten, und . . . der junge Mann lachte
viel über ihre Einfalt, bemerkte zu ihr, dass die Traume nichts bedeuten und dass
sie meistens keine andere Ursache haben, als dass man zu viel gegessen habe, oder
zu wenig. „Wenn man dev Träumen glauben sollte, so muss ich gestehen, dass
auch ich einen in der letzten Nacht hatte, der mich verhindert hatte, herzukommen.
Ich habe geträumt, dass ich, als ich in einem schönen und weitgedebnten Walde
jagte, eine ungemein weisse und hübsche Hirschkuh traf, die in überaus kurzer
Zeit mir so zutraulich wurde, dass sie mir überallhin folgte. Geschmeichelt durch
diese Zuneigung, habe ich das hübsche Tierchen sehr liebkost. Ich habe es so lieb-
gewonnen, dass ich, aus Furcht es zu verlieren, ein goldenes Halsband um seinen
Hals legte, von dem eine Kette herabhing, aus dem gleichen Metall, die ich in
der Hand hielt. Nachdem ich eine Zeitlang gegangen bin, lasse ich mich nieder,
um mich auszuruhen und lege den Kopf der Hirschkuh auf meine Knie. Diese schien
mir auch ermüdet. Plötzlich zeigt sich meinen Augen eine schwarze, verhungerte
und fürchterlich aussehende Löwin. Dieses schreckliche Tier wirft sich sogleich auf
mich und zerreisst mir die linke Seite, wie wenn es mir das Herz herausreissen
wollte, ohne dass ich die geringste Bewegung mache, um ihm Widerstand zu leisten.
Die Heftigkeit des Schmerzes, den ich zu empfinden glaubte, hatte mich erweckt,
und meine erste Bewegung war die, meine Hand an die linke Seite zu führen, und
als ich sie ohne Verletzung fand, konnte ich mich nicht enthalten, einen Augenblick
später zu lachen. Dieser Traum", setzte er fort, .bedeutet absolut nichts. Ich habe
hundertmal gleiche gehabt und noch schrecklichere, ohne dass mir je etwas böses
zugestossen wäre. Also, liebe Freundin, lache über Deinen so wie ich über den
meinen. . . .'■
Einige Augenblicke später stirbt der Geliebte plötzlich, sie wird vor den Pode-
stat unter dem Verdachte geführt, ihn getötet zu haben. Sie erzählt ihm alles, was
sich zugetragen hatte, ihre Liebesstunde und das schreckliche Ende.
„Nachdem der Beamte sie über verschiedene Dinge befragt hatte, Hess er den
Toten durch Ärzte untersuchen, um zu sehen, ob er nicht vergiftet, oder auf andere
Weise getötet worden sei. Alle versicherten, dass dies nicht der Fall sei, sondern
dass er von einem Geschwür erstickt worden sei, das er nahe dem Herzen hatte . /
Es ist vielleicht bemerkenswert, wie genau die Szene des zweiten TraumeB
(Hirschkuh) den dem Tode unmittelbar vorangehenden Ereignissen entspricht.
') Contes de Boccace, TraduitB par A. Sabatier de Castros. Garnier Freres
Paris.
628 Lesefrüchte.
Die vierte Novelle des fünften Tages führt den Titel „Die Nachtigall".
Ein junges Mädchen täuscht, am leichter ein nächtliches Rendez-vous mit dem
Geliebten arrangieren zu können, vor, dass es in ihrem Zimmer zu heiss sei, und
dass sie ihr Bett in einer auf den Garten gehenden Galerie haben wolle, wo es
kühler sei und sie des Morgens die Nachtigall singen hören könnte. Sie setzt ihren
Wunsch durch und der Geliebte, Richard, kommt in der Nacht zu ihr. Die Schöne
die natürlich nicht schlief, empfing ihn mit grösster Freude. Sie verbrachten die Nacht
höchst angenehm und liessen die Nachtigall mehrmals singen; aber nicht so oft, ab
sie es beide gewünscht hatten. Dieser Vogel liess, um Atem zu schöpfen, Pausen
zwischen seinem Gesang eintreten, und dieser wurde dadurch nur um so angenehmer,
jedesmal, wenn er wiederbegann. In einer dieser Pausen, die nicht sehr lang waren
wurden unsere Liebenden, sei es von der Hitze, sei es von Müdigkeit übermannt
und schliefen gegen Tagesanbruch ein. Sie lagen ganz nackt auf ihrem Bett und
die Schöne umarmte ihren Liebhaber mit ihrem rechten Arme und hielt mit der
Linken die Nachtigall, die sie hatte singen lassen Der Vater sagt zu sich:
.Ich muss doch sehen, wie die Nachtigall Katharina einschlummern liess."
** «W» ert sich auf Zehenspitzen dem Bett, aus Furcht sie zu erwecken und
öffnet ganz leise die Vorhänge und sieht Richard und seine Tochter in der besagten
Stellung Er sagt kein Wort und geht seine Frau suchen. „Erhebet Euch sofort,
schaut Eure Tochter an; ihr wisst, was für Lust sie nach der Nachtigall hatte; sie
hat heute Nacht so gut aufgepasst, dass sie sie gefangen hat. Kommt schaun, wie
8,6 S ?a v l ält -" Madam ° J»«q««»ine .... sieht, wie ihre Tochter
wirklich die Nachtigall hält, welche sie so sehr singen zu hören wünschte
... ut D i e 8i€bente Erzfihl «"g des neunten Tages führt den Titel „Der verwirk
liebte träum."
Sie handelt von einem Manne, der ein unausstehliches Weib hat. Als er ein-
mal mit ihr in einem Landhause ist. „träumt ihm eines nachts, dass er Margarethe
in einem dem Schlosse nahegelegenen Walde spazieren gehen sehe und dass, nach-
ZJVT\ ™ f "^ ****** war < ein -ge^urer Wo.f sich auf sie
stürze, sie bei der Kehle packe, sie wegtrage, obwohl sie aus Leibeskräften um Hilfe
tZ\lf; m "I ft W ° lf eDd ' ich lieS8 " habe " ihr daB *■"»• ÖesieW und die
ihr iinen T PT fi" **** ^ d ° nn " ine "** ^^hen und teilt
ührtTu sein * TL Abe I aD9ta,t dUCCh diG ZRden Sor « en ■«■ Mannes ge-
Dulstv K W ° v u 816 k °P f3chüttelnd: » W ei- böses will, träumt böses.
in de nem HerT n V^ 1 *«* für -««-Schicksal zu interessieren, aber ich lese
wa 8Dumir "/ J) «»" *'»«»• sind nichts als der Ausdruck dessen,
Gsnuatsn« L W i u" *"' fl ^ Werde 8cbon da8 meine dazu tun - «■" D" «<*«
Uenugtuung weder heute noch jemals haben wirst."
Kerettef "blÜr-f h \" J ^ tÄn,ent " h dM Gehö ' Z ' Wird VOm Wolf überfallen, zwar
gerettet, bleibt aber ihr Lebtag entstellt.
™h,J? e H B ° Ur , d V lle r (Brant6me) in seinem „Leben der galanten Damen"») gibt
mehrere Beispiele für Versprechen, Symbolik, Empfängnistheorien etc. Ich erwähne
die folgenden:
P- * Er 8 P richt »B einer Dame, die ihrem Liebhaber Gold und Geschmeide,
kostbare Steine und Geld opferte. Er setzt fort: ,.Car 1. bourse estant si souveni
revis.tee ne peut demeurer toujours en son enfleure, ni en son estre, comme la
bourse de devant, qui est toujours en son mesme estat, et preste ä y pescher qui
veut, sans y trouvar ä dire les prisonniers qui y sont entr<ia et sortis.
') Vies des Dames Galantes par le Seigneur de Brantöme. Paria, Garnier
freres.
Le8efriichte. 029
p. 67. „Certainement il est bien raison, que puisque 1'homine donne du sien
dans la bourae du devant de la feuirae, quo la femme de inesme donne du sien
aussi dans celle de l'homme niais il faut en cela peser tout; car, tout ainai que l'homme
ne peut tant jetter et donner du sien dans la bourse de la femme comme eile voudrait,
ii faut aussi que l'homme soit si discret de ne tirer de la bourse de la femme tant
comme il voudroit, et faut que la loy en soit egale et mesnrtSe en cela."
p. 149. „Sy ay-je cogneu une tres-belle et honneste dame de par le monde,
qui deviaant avec un honneste gentilhomme de la Com- des affaires de la guerre
durant les civiles, eile lui dit: „J'ay ouy dire que le Roy a fait rompre tous les
c de ce pays — lä." Elle voulait dire les ponts. Pensez que venantde
coucher avec son raary, ou songeant ä son amant eile avait encore ce
nom frais en la bouche: et le gentilhomme s'en eschauffa en amours d'eÜB pour ce mot."
p. 201. .Semblable en cela aux juments qui sont sur les confins de l'Anda-
lousie, lesquelles devenant si chaudes, et ne trouvant leurs estallons pour se faire
saillir, se mettent lenr nature contre le vent qui regne en ce temps-lä, qui leur donne
dedans, et par ce moyen paosent leura ardeurs et s'emplissent de la soit: d'oii viennt
ces chevaux si vistes que nous voyons venir decä, comme retenans la vitesse naturelle
da vent leur pcre."
p. 290. „Cette belle princes9e ne se peut rendre encor, tant eile est belle:
et est bien aiati ä juger que ce beau visage couvre et cache d'autres grandes beautez
et parties en eile que nous ne voyons point ; tout ainsi qu'ä voir le beau et süperbe
front d'un beau bästiment, il est h juger qu'au dedan9 il y a belles cbambres, anti-
chambres, garde-robbes, beaux recoins et cnbinets." Liegt hier nicht eine Verwandt-
schaft vor mit der deutschen Gleichung „Zimmer = Frauenzimmer" und mit dem
bekannten Beispiel des Vergleiches des Körpers mit einem Hause?
Das Üdipus-Motiv findet sich im Leben einer der geistvollsten Frauen des
17. Jahrhunderts wieder: Bei Ninon de Lenclos 1 ).
„M. de Gersay, eiuer ihrer zahlreichen Liebhaber, hatte einen Sohn von ihr.
(Ich zitiere jetzt in Übersetzung): „M. de Gersay hatte diesen Sohn unter dem Namen
eines „Chevalier de Villiers" erziehen lassen. Obgleich er nicht wollte, dass er seine
Mutter kennen lernte und von ihr auch das Zugeständnis empfangen hatte, dass sie
ihm ihr Geheimnis nicht enthüllen würde, so liess er ihn doch später in ihre Ge-
sellschaft kommen, damit er dort, wie ao viele andere junge Leute sich jenen Schliff
aneigne, den damals nur die Unterhaltung und der Geist Ninona geben konnten.
Der Chevalier de Villiers fühlte all dies mit einer wunderbaren Lebhaftigkeit. Von der
Dankbarkeit, die er Mlle. de Lenclos zu schulden glaubte, gingen seine Gefühle
bald in andere Bahnen, Gefühle, zu denen er sich beglückwünschte, aber die zu ent-
hüllen er nicht wagte. Er liebte lange und mit jener zarten Aufmerksamkeit, die
ein junger Liebhaber für alle Vorzüge der geliebten Person hat. Jeder Augen-
blick bot ihm neue Gründe, noch mehr zu lieben und seine Mutter selbst half ihm
dabei. Die Verschwiegenheit, zu der sie sich verpflichtet hatte, konnte sie nicht
hindern, ihm manchmal eine unfreiwillige Vorliebe zu zeigen," .... „hundert Mal
wusste er nicht, was er von einigen Blicken halten sollte, in denen sich die Zärt-
lichkeit spiegelte. Konnte der Chevalier ihre besondere Art erraten? Er war jung,
lebhaft, verliebt; er täuschte sich und die Seufzer, die er vor ihr nicht verheimlichen
konnte, waren die erste und unschuldige Sprache der fürchterlichsten Leidenschaft.
Ninon, bestürzt über diese Liebe, welche ihr Sohn täglich mit weniger Sorg-
falt verbarg, versuchte gegen ihn alle Mittel: Strenge und seibat Abwesenheit; es
') Lettres de Ninon de Lencloa precödöes de M&noires sur sa vie par A. Biet.
Nom. Edit. Garnier Freies, Paris, p. 72 u. ff.
03Q Lesefrüchte.
war unnütz So ungestüm der Chevalier war, er wusste eich zu beherrschen,
um nicht einer Gunst unwürdig zu erscheinen, die er endlich nach Tränen und Schwüren
erhalten hatte, Schwüre, nicht zu lieben, die seine heftige Liebe beseelte und dik-
tiert*. Ninon ward dadurch getäuscht: Es ist leicht, das zu sein, in allem was diese
sonderbare Leidenschaft tun lässt, die nach Gefallen alle Äusserlichkeiten, alle MaBken
annimmt, deren sie bedarf."
Der Chevalier verliebt sich immer mehr in Ninon, die ihn schliesslich auf ihr
Alter aufmerksam macht: „Erbebt eure Augen, zu dieser Uhr, Verrückter, es sind mehr
als 65 Jahre verflossen, seit ich das Licht der Welt erblickte. Geziemt es mir, eine
Leidenschaft wie die Liebe noch anzuhören '? Kann man in meinem Alter noch liehen
und soll man noch geliebt werden? — " Die Rede Ninons blieb, wie nicht anders zu
erwarten, fruchtlos, der Chevalier wird immer drängender, sie hat noch eine weitere
Unterredung mit ihm, in der sie ihm noch entschiedener jede Hoffnung nimmt.
Schliesslich denkt sie, dass ihr nur der eine Ausweg übrig bleibt, dem Chevalier
ein offenes Geständnis zu machen und sie erhalt hierzu die Zustimmung von M. de
Gersay. Sie gibt ihm ein llendez-vous, der Chevalier glaubt, es handlo sich uro eines
der Liebe.
Aber was für eine Niedergeschlagenheit, welche Traurigkeit gewahrt er in
ihren Augen! Er wirft sich ihr zu Füssen, ergreift ihre Hand und badet sie in seinen
Tränen. „Unglücklicher* — ruft Ninon, Indem sie in seine Arme sinkt, — „es gibt
doch Schicksale ausserhalb des liereiches menschlicher Vorsicht. Was habe ich nicht
versucht, um Euren erregten Sinnen die Hube wiederzugeben? Was für ein Geheimnis
zwingt Ihr mich, Euch zu offen baren'?' — „Ach, Sie wollen mich noch immer täuschen,
unterbrach er, ich sehe in Ihren Augen noch nicht die Liebe, die ich zu erwarten
wagte? An dieser dunklen Sprache erkenne ich Ihre Ungerechtigkeit; Sie glauben
noch immer, mich heilen zu können: Täuschen Sie sich nicht länger, der grausame
Triumph, den sie suchen, liegt ausserhalb des Bereiches Ihrer ganzen Kraft, ausser-
halb jeder Kunst, ausserhalb der Vernunft seihat." Gleichzeitig scheint er nur seinen
Rausch hören zu wollen, und als er die äusseiate Kühnheit sich gestatten will, ruft
Ninon: .Haltet ein, diese schreckliche Liebe geht nicht über die heiligsten Pflichten;
haltet ein, Ungeheuer, und zittert vor Schrecken; kann die Liebe an Orten wohnen,
die Ihr mit Grauen erfüllt? Wiast Ihr, wer ich hin, und wer Ihr seid? Diese Ge-
liebte, die Ihr verfolgt . . ." P Nim", sagte der Chevalier, — „diese Geliebte?* . . . „Ist
Ihre Muttei", antwortet Ninon. „Ihr verdankt mir das Leben, mein Sohn seufzt zu
meinen Füssen, spricht mir von Liebe"
Der Chevalier ist durch dieses Geständnis ganz vernichtet. „Bioich, zitternd,
bewegungslos, vermag er kaum ein-, zweimal das süsse Wort , Mutter* auszusprechen.
Er ist für sich selbst ein Grauen, er fühlt nicht die Sprache der Natur, er brennt
noch im verbrecherischesten Feuer; aber unter der Kälte, die ihn gepackt hat, ver-
birgt er die Bewegungen, die sein Herz erschüttern. Er wirft seinen Blick noch auf
seine Mutter, erschlägt ihn zur Erde nieder, seufzt, erhebt sich, reisst sich vuii ihrer
Brust, und flieht überstürzt. Eiu Garten bietet sich soinem verirrten Blicko: und in
dem Dickicht des ersten GebüscheB, das sich ihm bietet, ergreift er seinen Degen,
betrachtet ihn ohne zu schaudern und fällt, indem er sich in ihn stürzt, in dem Blute, das
seine Wunde verspritzt.
Was für ein furchtbares Schauspiel für Ninon, dio, als sie ihrem Sohn ziemlich
dicht folgte, ihn in den Schatten eines fürchterlichen Todes gehüllt sah. Das grau-
same Schicksal wollte ihrem Unglück noch das Fürchterliche hinzufügen, dass sie
ihn sterben sehen musste. Seine beinahe erloschenen Augen kehrten sich gegen sie
nnd in diesem Augenblicke noch sah sie darin Liebe. Der sterbende Chevalier schien
noch zu ihr sprechen zu wollen, und die Anstrengungen, die er machte, um einige
Lesefrüchte. 631
Worte, vielleicht verbrecherische Worte auszusprechen, beschleunigten seinen letzten
Atemzug."
A. Bret fügt dann noch bei: Le Sage, in seinem Roman, Gil Blas (ITI. Teil)
(soll genauer heissen: 8. Buch) hat diese fürchterliche Katastrophe unter den er-
fundenen Namen der alten Inisilla de Cantarilla, und des jungen Don Valerio de Luna,
erzählt. Der Verfasser hielt es nicht für richtig, fügt er bei, den Ton des Scherzes
nachzuahmen, in dem Le Sage diese traurige Geschichte schliesst: Don Valerio, sagt
er, bestraft sich wie ein anderer Ödipu3, mit diesem Unterschiede jedoch, dass der
Thebaner sich blendete, aus Reue, das Verbrechen begangen zu haben, während im
Gegenteil der Knstillaner sich durchbohrte, aus Schmers, es nicht begehen zu können.
(Ich werde noch bei Erwähnung der Schriften Le Sage's darauf zurückkommen;
mir scheint tatsächlich ein charakteristischer Unterschied gegenüber der Üdipus-
Erz&blung zu liegen, bei sonst vielen einander entsprechenden Umständen.)
Corneille, der unter anderm auch eine ziemlich wenig gekannte Tragödie
„ödipe" schrieb, hat in zweien seiner Stücke, „Horaca" und „Polyeucte" Träume
angewandt, und äussert sich selbst über die Rolle, die er den Träumen auf der Bübne
geben will, in dem „Examen d' Horace" folgendermassen l ) (ich zitiere in Über-
setzung):
„Das Orakel, das zu Beginn des ersten Aktes erwähnt ist, findet seine Lösung
im Endo des iünften. Es erscheint anfangs klar und führt die Einbildungskraft zu
siner gegenteiligen Deutung. Ich habe auf unserem Theater Orakel solcher Art lieber als
Jie gänzlich dunklen, weil die Enthüllung ihrer wirklichen Bedeutung um so über-
raschender und schöner ist. Ich habe Orakel noch in „Andromaque" und „Ödipe" ver-
wendet. Ich sage nicht dasselbe von den Träumen, die noch eine grosse Zierde in der
Protasis bilden können, vorausgesetzt, dass man sich ihrer nicht zu oft bediene. Ich
möchte, dass sie den Uedauken des wirklichen Endes des Stückes enthalten, aber in
einiger Dunkelheit, die ein volles Verständnis zunächst nicht erlaubt. So habe ich mich
ihrer zweimal bedient, hier und in , Polyeucte", aber glänzender und künstlicher in
dem zweiten Werke, wo er alle Einzelheiten des Ereignisses zeigt, als in diesem,
wo er nur eine gänzlich ungefüge Andeutung dessen enthält, was zu Ende des
Stückos eintreffen muss."
Die erwähnten Träume selbst, und die Schilderung des Eindruckes, den sie
auf verschiedene Personen machen, sind nicht ganz uninteressant, obwohl es sich
hier nicht um die Widergabe wirklich erlebter Träume, sondern um im Interesse des
Stückes willkürlich konstruierter handelt, wie es vielleicht ähnlich im Nibelungenlied
der Traum Kriemhilds ist oder andere, in der Literatur bekannte „prophetische
Träume."
Traum aus „Horace*. Acte I. Scene II*).
Camille: „La nuit a dissipe des erreurs si charmantes;
Mille songes affreux, mille images sanglantes.
Ou plütost mille amas de carnage et d'horreur
M'ont arrache" ma joye et rendu ma terreur.
J'ay veu du sang, des morts, et n'ay rien veu de suite,
Un spectre en paroissant prenoit soudain la fuite:
11s s'effacoient Tun l'autre, et, chaque illussion
Redoubloit mon effroy par sa confusion.
Julie: C'est en contraire sens qu'un songe a'interprete.
') Thäatre de P. Corneille, Paris. Librairie des Bibliophiles, E. .Flammarion
successeur. p. 80.
2 ) L. c. Bd. II. p. 10/11.
032 Leaefrücbte.
Camille: Je le doy croire ainsi, quisque je le souhaite,
Mais je nie trouve enfin, malgre" tous mes souhaits,
Au jour d'une bataille et non-pas d'une paix.*
.Polyeucte*, Acte I. Scene 1. ') enthält:
Nearqiie: Quoy! vous voub arre"tez aux songes d'uue femme!
De si foibles sujeta troublent cette grande ame!
Et ce coeur tunt de foia dana la guerre öprouve
s'alarme d'un peril qu'une femme a resve - !
Polyeucte: Je scay ce qu'est un songe, et le pea de croyance
Qu'un homme doit donncr ii son extravagance,
Q i: i d'un amas confus des vapeurs de la nuit
Forme de vaina objets que le röveil detruit.
und in der 3. Szene desselben Aktes:
Stratonice: ,...11 est Armenien, et vous dtes Romaine,
Et voub pouvez scavoir que nos deux nations
N'ont pns sur ce sujet mesines imprcssions.
Un songe en nostre esprit passe pour ridicule,
11 ne nous laisse espoir, ny crainte, ny scrupnle;
Mais il passe dans Raine avec authorite"
Pour fidelle miroir de la fatalite.
Pauline: Quelque peu de credit que cbez vous il obtienne,
Je croy que ta frayeur ögaleroit la mienne
Si de telles horreurs t'avoient frape l'esprit,
Si je t'en avois fais seulement le recit.
Stratonice: A raconter ses maux souvent on les soulage."
Pauline: (gesteht ihrer Vertrauten ihre frühere, ernste Liebe zu Severe ein, nach
dessen vermeintlichem Tode sie Polyeucte heiratete )
Je Tay veu cette nuit, ce malheureux Severe,
La vengeance ä la main, l'oeil ardenl de coltire.
II n'etoit point couvert de ces tristes lambeaux
Qu'une ombre desolee empörte des tornbeaux;
II n'etoit point perce de ces coups pleins de gloire
Qui, retranchant sa vie, asseurent sa memoire;
11 sembloit triomphant, et tel que sur son char,
Victotieux, dans Korne entre nostre Cesar.
Apres un peu d'effroy que m'a dorm« sa veue':
„Porte ii qui tu voudras la favour qui m'est due,
Ingrate, m'a-t-il dit, et, ce jour expire,
Pleure ä loisir l'epoux que tu m'as prefere."
A ces mots j'ay fremy, mon ame s'est troublöe;
En suite, des chretiens une impie assemblee,
Pour avancer reffet de ce discours fatal,
A jette Polyeucte aux pieds de son rival.
Soudain ä son secours, j'ay reclame" mon pere.
Helas: c'est de tont point ce qui me desesptfre,
J'ay veu mon pere mesme, un poignard ä la main,
Entrer, le bras leve, pour luv peruer le sein.
La, ma douleur trop forte a brouillö ces iinages,
Le sang de Polyeucte a satisfäit leurs rages;
') L. c. Bd. II. p. 163 ff.
Lesefrüchte. 633
Je ne scay ny comment ny quand ils l'ont tue,
Mais je scay qu'ä sa rnort tous out contribue,
Voilä quel est mon songe. — *
Stratonice tröstet dann Pauline. Die Handlung des Stückes gibt dann natürlich
eine — bis auf Einzelheiten — genaue Erfüllung des Traumes Paulinens.
Racine bringt in „Athalie" ') ebenfalls einen Kunsttraum, der in dem Stücke
eine bedeutende Rolle spielt. Trotzdem dieser Traum, wie die vorerwähnten Corneilles
künstlich erfunden ist, gibt er doch in manchen Zügen das Bild eines .erlebten"
Traumes wieder und zeigt insbesondere an einigen Stellen die Auffassang, die zur
Zeit des Dichters über Wesen, Entstehung und Bedeutung der Träume herrschten.
Der Traum mit den dazu gehörigen Gesprächen füllt beinahe die ganze 5. Szene
dos II. Aktes. Aus ihr stammen die nachfolgenden Stellen:
.Math an: Grande reine, est-ce icy vostre place?
Quel trouble vous agite, et quel effroy vous glace?
Parmy vos ennemis que venez-vous chereber?
De ce temple profane osez-vous approcher?
Avez-vous d^pouille cette haine si vive? ....
Alhal
ie:
Je jouissois en paix du fruit de ma sagesse.
Mais un trouble importun vient, depuis quelques jour.i,
De me prosperitez interrompre le cours.
Un songe (me devroisje inquieter d'un songe?)
Entretient dans mon coeur un chargin qui le ronge.
Je l'evite par tout, par tont il me poursuit.
C'estoit pendant l'horreur d'une profonde nuit.
Ma mere Jezabel devant muy s'est montree,
Comme au jour de sa mort pompeuseinent paree.
Ses inalheuis n'avoieut point abbatu sa n'erte.
Mdrao eile avoit encor cet öclat emprunte
Dont eile eut soin de peindre et d'orner Bon visage,
Pour reparer des ans l'irreparable outrage.
„Tremble, m'a-telle dit, fille digne de moy.
Le cruel Dieu des Juifs remporte aussi sur toy.
Je te plains de tomber dans ses mains redoutables,
Ma fille." En achevnnt ces mots öpouvantables,
Son ombre vers mon lit a paru se baisser.
Et moy, je luy tendois les mains pour l'embrasser,
Mais jo n'ay plus trouve qu'un horrible melange
D'o8 et de chair meurlris, et trainez dans Ja fange,
Des lambeaux pleins de sang et de membres affreux.
Que des chiens devorans se disputoient entr'eux.
Dans ce desordre ä mes yeux se presente
Un jeune enfant couvert d'une robbe eclatante,
Tels qu'on voit des Hebreux les prestres revetus.
Sa veue a ramme - mes esprits abattus.
Mais, lors que, revenant de mon trouble funeste,
J'admirois sa douceur, son air noble et modeste,
') Thöatre de Jean Racine, Librairie des Bibliophiles, E. Flammarion successeur,
Paris p. 168 ff.
634 Lesefrüchte.
J'ay senti tout ä coup un homicide acier
Que le traistre en mon sein a plonge tout entier.
De tant d'objets divers le bizarre assemblage
Peut-estre du bazaid vous paroist un ouvrage.
Moy-mesme quelque temps, honteuse de ma peur,
Je Tay pris pour reffet d'une sombre vapeur.
Mais de ce Souvenir mon ame possedäe
A deux fois en dormant reveü la mesme ide'e.
Deux fois nies tristes yeux se sont veü retracer
Ce mesme enfant toQjours tout prest ä me percer.
Lasse enfin des horreurs dont j'6tois poursuivie,
J'allois prier Baal de veiller sur ma vie,
Et chercher du repos au pie" de ses autels.
Que ne peut la frayeur sur l'esprit des mortols!
Dans le temple des Juifs un instinct m'a poussee,
Et d'appaiser leur Dieu j'ay conceü la pensöe.
J'ay cru que des presens calmeroient son courroux;
Que ce Dieu, quel qu'il soit, en deviendroit plus doux.
Pontife de Baal, excusez ma foibiesse.
J'entre, Le peuple fuit. Le sacrifice cesse.
Le grand prestre vers moy e'avance ävec fureur.
Pendant qu'il me parloit, Ö surprise! 6 terreur!
J'ay veü ce mesme enfant, dont je suis menacöe,
Tel qu'nn songe effrayant l'a peint ä ma pensee.
Je Tay vefi, son mesme air, son mesme habit de lin,
Sa dömarche, ses yeux, et tuus ses traits enfin.
C'est luy mesme. II marchoit ä coste du grand prestre.
Mais bien-tost ä ma veue" on l'a fait diaparaistre.
Voila quel trouble icy m'oblige ä m'arrester,
Et sur quoy j'ay voulu tous deux vous consulter.
Que presage, Mathan, ce prodige incroyable ?
Mathan: Ce songe et ce rapport, tout me semble effroyable.
Abner: De quel crime un enfant peut-il estre capable?
Mathan: Le Ciel noas le fait voir un poignard ä la mnin.
Le Ciel est juste et sage, et ne fait rien en vain.
Que cuerehez-vous de plus?
Abner: Mais, sur la foy d'un songe,
Dans le sang d'un enfant voulez-vous qu'on se plonge?
Quel est donc ce grand sujet de crainte?
Un songe, nn foible enfant, que vostre oeil prev<nu
Peut-estre sans raison croit avoir reconnu.
Athalie: Je le veux croire, Abner; je puis m'estre trompöe.
Peut-estre nn songe vain m'a trop preoccupäe.
He-bien, il faut revoir cet enfant de plus prea ;
II en faut ä loisir examiner les traits.
LesefrQchte. 635
Den Traum ab Wunscherfüllung zeigt das von La Fontaine geschriebene
Leben Äsops, das die Vorrede zu seinen Werken bildet. Die betreffende Stelle lautet:
(Äsop hat sich gegenüber einigen Wanderern sehr gastfrei gezeigt. Äsop ist
stumm.) „Die guten Leute erhoben die Hände zum Himmel und baten Juppiter d.ese
barmherzige Handlung nicht ohne Belohnung zu lassen. Kaum hatte Äsop sie ver-
lassen, als Hitze und Müdigkeit ihn zwangen, einzuschlafen. Während seines Schlafes
bildete er sich ein, dass die Glücksgöttin vor ihm aufrecht stände und ihm die
Zunge löste und durch dieses Mittel selbst ihm jene Kunst schenkte, deren Urheber
er ist. Erfreut von diesem Abenteuer, wacht er jählings auf -und findet natürlich,
dass sein Traum in Erfüllung gegangen ist, und er sprechen kann.
Dass Vergessen determiniert ist, zeigt die „Joconde« betitelte Erzählung in
Versen La Fontaines.
Sie enthält folgende Stelle:
Le gentil homme part, et va querir Joconde:
C'est le nom que ce frere avoit.
A la campngne il vivoit,
Loin du commerce et du monde:
Marid depuis peu; content, je n'en syais rien.
Sa femine avoit de la jeunesse,
De la beaute. de la delicatesse;
11 ne tenoit qu'a luy qu'il ne s'en trouvast bien.
Sein Bruder überredet ihn schliesslich, seine Frau und deren Land zu verlassen
und m.t ihm an d.n Hof des Königs zu ziehen. Seine Frau nimmt wort- und tränen-
reichen Abschied von ihm und schliesslich
L'accable de baisers, et pour comble luy donne
Un brasselet de facon fort mignonne,
En luy disant: „Ne le pers pas,
Et qu'il soit toüjours ä ton bra»,
Pour te ressouvenir de mon amour extreme:
11 est de mes clieveux, je l'ay tissu moy-meme;
Et voila de plus mon portrait
Que j'attacbe ä ce brasselet."
Jocundo partit donc; roais ayant oublie
Le brasselet et la peinture
Par je ne scuy quelle avanture
Le matin mesme il a'en souvient
Au grand galop sur ses pas revient,
Ne scachant quelle excuse il feroit ä sa femme.
Er ertappt seine Frau in flagranti mit einem Kammerdiener. Vielleicht ist
auch die Art des Geschenkes, und der Umstand, in welcher Gesinnung seine F«U
es ihm schenkt, sowie seine eigene geringe Neigung für seine Frau zu erwähnen.
Auch in Moli eres Lustspielen •) finden sich einige Stellen, die für psycho-
analytische Theorien von Interesse sein mögen, und das ist nicht zu verwundern,
denn Melier« verstand es, wie kein zweiter, die kleinsten Charakter/.üge, die geringsten
Einzelheiten zu beobachten. Einige dieser Stellen sind für die Auffassung, die seine
Zeit von der Bedeutung der Träume hatte, charakteristisch.
*) Thöatre complet de J.-B. Poquelin de Moliere, publiö par D. Jouaust
Librairie des Bibliophiles. E. Flammarion, successeur, Paris.
636 Lesefrüchte.
Aus seinem ersten in authentischer Form auf uns gekommenen Werke
„L'Estourdy* (L'Etourdi) ') zitiere ich:
Akt I. Szene 5.
Anselra:
Lea debtes au'jourd'huy, quelque soin qu'on employe
Sont comme les enfans que l'on concoit en joye,
Et dont avecque peine on fait l'accouchement:
L'argent dans une bource entre agreablement;
Mais le terme venu que nous devons le rendre,
C'est lois que les douleurs commencent ä nous prendre.
Bast!
Und der Fall eines Versprechens, wo der intrigante Mascarille Anaelme, einen
alten Geizhals von einem jungen Mädchen unterhalt, auf das dieser sein Auge ge-
worfen hat;
Mascarille: ,Si bien donc qu'elle est sötte de vous,
Ne vous regarde plus
Anselme: Quoy?
Mascarille: Que comme espoux.
Et vous veut
Anselme: Et me veut?
Mascarille: Et vous veut, quoy qu'il tienne,
Prendre la bource.
Anselme: La ... ?
Mascarille: La bouche avec la sienne.
Anselme: Ah! je t'entcnds u
Im „Depit amoureux" "J findet sich, Akt V. Szene 6 folgende Einschätzung
der Träume:
Mascarille: „Les disgraces souvent sont du Ciel revolees:
J'ay songe cette nuit de perles defilees
Et d'oeufs cassez: Monsieur, un tel songe m'abbat.
Valere: Chien de poltron!*
Und ebenso in dem Stücke: „Le Mariage force" 3 ) Szene 3, wo dem alten
Sganarelle, der ein junges, kokettes Mädchen heiraten will, gewisse Bedenken auf-
steigen. Er äussert sich:
II m'est venu, depuis un moment, de petits scrupules sur le manage.
Avant que de basser plus avant, je voudroia bien agiter k fond cette
matiere et que l'on m'expliquast un songe que j'ay fait cette nuit, et
qui vient tout ä l'heure de me revenir dans l'esprit. Vous scavez que
les songes sont comme des miroirs oii l'on docouvre quelque-fois tout
ce qui nous doit arriver. II me sembloit que j'estoiä dans un vaisseau,
sur une mer bien agitee et que
(jeronimo: Seigneur Sganarelle, j'ay maintenant quelque petite affaire qui m'em-
pesche de vous ouyr. Je n'entens rien du tout aux songes; et, quant
au raisonnement du mariage ....
') Bd. I, p. 16 und 78.
'-) 1. c. Bd. I. p. 206.
:, j ]. c. Bd. III. p. 58.
Lesefrüchte. 637
Schliesslich noch die nachstehende Stelle aus dem „Bourgeois Gentil-
homme"), Akt III. Szene 9.
Cleonte: Je fais voir pour une personne toute l'ardeur et toute la tendresse qu'on
peut imaginer; je n'aime rien au monde qu'elle, et je n'ay qu'elle dans
l'esprit; eile fait tous mes soins, tous mesdesirs, toute majoye.
je ne parle que d'elle, je ne pense qu'ä eile, je ne fais des
songes que d'elle, je ne respire que par eile, mon coeur vit tout
en eile: et voila de tant d'amitie la digne recompenae ! . . .
In LeSages .Historie deGil Blas de Santilalane" findet man ausser der vor-
erwähnten OdipuB-Erzählung noch ein Beispiel für die Determinierung des Vorsprechens
Es steht in Buch I, Kap. 15 2 ).
Der Held unterhandelt mit einem Trödler betreffs des Kaufes einer Edelmanns-
Kleidung.
Er (der Trödler) begrüsste mich ausserordentlich höflich und sagte mir: „Herr
Kavalier, wie seid Ihr doch glücklich, dass Eure Leute sich an mich und nicht an
einen anderen gewendet haben. Ich will hier durchaus nicht meine Kollegen ver-
schreien; wolle Gott verhüten, dass ich ihrem Kufe den mindesten Schaden zufüge!
Aber unter uns, es gibt nicht einen einzigen, der ein Gewissen hat; sie sind alle
ärger als die Juden. Ich bin der einzige Trödler, der Moral besitzt. Ich begnüge
mich mit einem vernünftigen' Nutzen; ich bin zufrieden, wenn ich am Sou eine Lire
verdiene, ich will sagen an der Lire einen Sou. Dem Himmel sei Dank, ich übe
mein Gewerbe anständig aus." — Natürlich verdient der einzelne moralische Trödler,
am Kreuzer einen Gulden und nicht am Gulden einen Kreuzer.
Bernardin d e Saint-Pierre 's Paul und Virginie 3 ), das im ganzen
die Geschichte einer Kinderliebe darstellt und einst ein sehr beliebtes Werk war,
— jetzt ist es wegen seiner Süsslichkeit weniger gelesen — enthält passim
manche Stelle, die ein gewisses Interesse in psychologischer Hinsicht zu haben
scheint. (B. de Saint-Pierre war der Schüler Rousseaus und bemühte sich, in seinem
Leben die Lehrsätze des Meisters anzuwenden, vergl. darüber die „Studie über das
Entstehen von Paul und Virginie" von S. Cambray *.) Ausserdem enthält es eine
Stelle, die deutlich zeigt, an welchen Mängeln sehr oft die von den Dichtern erdachten
Kunstträume leiden. Sie lautet 6 ):
Sie sagte mir: „Oh mein lieber Nachbar! Mir schien es, dass ich diese
Nacht Virginie, weiss gekleidet in der Mitte entzückender Haine und Gärten sah; sie
sprach zu mir: „Ich geniesse ein Glück, würdig des Neides." Hierauf hat sie sich
Paul mit lachendem Antlitz genähert und hat ihn mit sich emporgezogen. Da ich
mich bemühte, meinen Sohn zurückzuhalten, habe ich gefühlt, wie ich selbst die
Erde verliess und dass ich ihm mit einem unaussprechlichem Vergnügen folgte.
Dann wollte ich meiner Freundin Lebwohl sagen, aber alsogleich sah ich sie, die uns
mit Marie und Domingo folgte. Aber was ich noch sonderbarer finde, ist, dass Mme.
de la Tour heute Nacht einen Traum mit denselben Begleitumständen hatte."
Ich erwiderte ihr: „Meine Freundin, ich glaube, dass nichts in der Welt ohne
Gottes Willen geschieht. Die Träume zeigen manchmal die Wahrheit an,"
».) 1. c. Bd. VII. p. 68.
2 ) Ed. Garnier, freies, Paris, p. 54.
s ) Ed. Librairie des Bibliophiles. E. Flamraarion succ, Paris.
*) Vorrede dieser Ausgabe.
6 ) 1. c. p. 185 u. ff.
ZentralbUtt für Psychoanalyse. IV U / U . 42
638
Lesefrüchte.
Mme. de la Tour erzählte mir einen ganz ähnlichen Traum, den sie in der-
selben N«cht gehabt hatte. Ich hatte niemals an diesen zwei Damen einen Hang
zum Aberglauben bemerkt; ich war deshalb von der Übereinstimmung ihrer Träume
betroffen, und zweifelte in mir nicht, dass er sich erfüllen würde. Diese Meinung,
dass die Wahrheit sich manchmal uns während des Schlafes enthüllt, ist bei allen
Völkern der Erde verbreitet. Die grösslen Männer des Altertums haben daran ge-
glaubt, unter anderen Alexander, Cäsar, die Scipionen, die beiden Cato und Brutus,
die keineswegs schwache Geister waren. Das alte und das neue Testament liefern
uns eine Menge Beispiele von Träumen, die sich erfüllt haben. Ich selbst brauche
mich nur auf meine eigene Erfahrung zu berufen, und ich habe gesehen, das3 die
Träume Ankündigungen sind, die uns irgend eine Intelligenz, die sich für uns inter-
essiert, gibt. Dinge, welche das Licht der menschlichen Vernunft übertreffen, mit
Vernunftschlüssen bekämpfen oder verteidigen zu wollen, das ist ganz unmöglich.
Jedoch, wenn die Vernunft des Menschen nur ein Abbild Gottes ist, und nachdem
der Mensch ja die Macht hat. seine Absichten durch geheime und verborgene
Mittel bis ans Ende der Welt gelangen zu lassen, warum soll die Intelligenz, die
das Weltall regiert, nicht ähnliche Mittel zum gleichen Zwecke anwenden? Ein
Freund tröstet seinen Freund durch einen Brief, der eine Menge von Königreichen
durchfliegt, in der Mitte des Hasses der Nationen weiterschreitet und die Freude
und die Hoffnung einem einzigen Menschen zu bringen kommt ; warum soll der
höchste Schützer der Unschuld nicht auf irgend einem geheimen Wege einer tugend-
haften Seele zu Hilfe kommen können, die ihr Vertrauen einzig in ihn setzt? Hat
er es nötig, irgend ein äusseres Mittel zu verwenden, um seinen Willen zu vollbringen,
er, der in allen seinen Werken unaufhörlich durch innerliche Arbeit handelt?
Warum also an den Träumen zweifeln? Das Leben, erfüllt mit so vielen
flüchtigen und eitlen Plänen, ist es etwas anderes als ein Traum?
Wie dem auch sei, der meiner Freundinnen erfüllte sich bald
Diese Theorie Uher das Wesen der Träume, im Zusammenhang mit den ge-
schilderten, bedarf wohl keines Kommentars.
Die Werke Rousseau's (Emile, La Nouvelle Heliose, Les Röveries d'un
promeneur solitaire, und vor allem die „Confessions") enthalten reiches Material für
den Psychologen. Es findet sich aber mehr im Gehalte der ganzon Schrift, als an
besonders charakteristischen Stellen, und ist, meines Wissens, in der Literatur schon
oft angegeben worden.
Sein grosser Gegner Voltaire, der die Klarheit, auch in den Schilderungen
sexueller Szenen über alles stellt — man lese dieserhalb „Candide", „L'Ingenu* oder
zahlreiche Stellen der „Pucelle" und namentlich deren Schlussszene — bringt unter
anderem auch in der „Pucelle" eine Symbolik, die auf die .Verlegung" von unten
nach oben hinweist.
Der 12. Gesang 1 ) enthält die Stelle, wo Chandos die bewusstlose Jungfrau
von Orleans vergewaltigen will:
„Elle est ä moi, la Pncelle de France!
S'ecria-til: contentons ma vengeance.
J'ai gräce au ciel, doublement merite
De mettre ä bas 8 ) cette fiere beaute*.
Que saint Denis me regarde et m'excuse;
Mars et l'amour sont mes droits et j'en use.
*) La Pucelle d'Orlöans. En dix-huit Chants Geneve 1772. p. 159.
*) mettre ä bas hat einen gewissen Doppelsinn.
Lesefrüchte. 63D
Puis se tournant devers son öcuyer:
„Je vois, dit-il, quelle est bors d'elle meme;
J'ai ces deox bras pour combattre et tuer:
Pour la guerir, je prendrais le troisieme." . . .
Später wird dann noch „ce saint pucelage" als
„des Troyens le grand Palladium,
le bouclier sacre de Latiam",
bezeichnet, ebenso als „le gage de la victoire* und „oriflarome*.
Eine überaus deutliche Stelle, die beweist, dass Diderot recht gut die im
Verborgenen des Menschen schlummernden Gedanken erfasst hatte, ist die folgende,
seinem „Le Neveu de Rameau" ') entnommene. Es handelt sich darum, was ein
kleiner Wilder täte, wenn er sich selbst überlassen wäre:
Er- . und ich bin sicher, wenn ich den kleinen Wilden kommen hesse,
ohne ihm' von' irgend etwas zu sagen, so würde er reich gekleidet sein wollen, aus-,
gezeichnet genährt, geschätzt von den Männern und geliebt von den Frauen sein
und um sich alles Glück des Lebens versammeln wollen.
Ich: Wenn der kleine Wilde sich selbst überlassen wäre, wenn
er alle seine Dum mheit behalten würde und zudem biseben Vernun ft
der Kinder in der Wiege die Heftigkeit der Leidenschaften des
Mannes von dreissig Jahren gesellen würde, so würde er seinem
Vater den Hals umdrehen und mit seiner Mutter schlafen.
Balzac's „Contea Drolatiqnes* 5 ) enthalten in der Erzählung „Les Bons
proupos" folgende "stelle'), die eines Kommentars wohl nicht bedarf:
In einem Kloster unterhalten sich junge Schwestern . . . „Puis souvent di-
soyent: Si un gendarme tomboyt icy par ung temps de pluye, oü donc le boute-
rions-nous?
— Chez la sceur Ovide. sa cellule est la plus grant; il pourroyt y entrer
avecques son penache.
— Qu'est-ce ä dire? s'escria la sceur Ovide; hob cellules sont-elles pas toutes
pareilles?
Sur ce, mes filies de rire comme des figures meures. . . .
Folgende Stelle des gleichen Buches zeigt, dass Balzac der Gedanke der
Sublimation durchaus nicht fremd war: Däsespenmce d'amour*). Nach einer langen
Schilderung der Gedanken und Gesinnung eines jungen Mannes, der glaubt, keine
Liebe linden zu können, fährt der Autor folgendermassen fort: „Puys luy parloy
ä l'attendrir, puis, en grant perprinse, la serroyt ä l'estouffer, la v.oloyt ung petit
maulgre son respect, et mordoyt tout en son lict, de raige, quevant ceste dame ab-
aente, plein de couraige ä luy seul, et quinauld lendemain alors qu .1 en pa-soyt une.
Neantmoins, tout flambant de ses amours phantasques, il tapoyt derech.ef sur ses
fisures marmorines et engravoyt de iolis testins ä faire venir l'eaue en la boucne de
ses beaulx fruicts d'amour, sans compter les aultres choses qu'il boraboyt, amenu.zoyt,
caressoyt de son ciseau, purifioyt de sa lime et contoumoyt ä fa.re comprendre
l'usage parfaict de ces chouses ä un coequobin et le decoequebmer dans le jonr . ...
Der gleiche Gedanke findet sich in der Geschichte eines Goldschm.eds im
Kleichen Bande (Perseverance d'amour 5 )) vor: . . . „Si le bon orphebvre avovt en
') Artheme Fayard & Cie., Paris, p. 80.
2 ) Paris, Garnier Freres.
») 1. c. p. 248.
*) I.e. p. 416.
a )l.c. p.486
Ü40 Lesefrüchte.
luy-mesrae de ces phantasques dezirs qui, de cy, de lä, tenaillent ung paouvre homme
seu], quand le diable faict mine de l'emporter sur ung sign« de croix, le Tourangeau
rebattoyt son metail, attiioyt les esperits seditieux k sa cervelle en se bendaut a
faire des delicatessee delicicieuses, mif;nonnes engraveures, figuriiies d'or, belies
formes d'argent avecques lesquelles il rafresclii9soyt ]a choleie de sa Venus." . . .
Weiter findet sich in derselben Erzählung das Beispiel eines Tagtraumes 1 )
und nochmals die Sublimation.
. . . „Aussi Bouvent, en escoutant les gentils proupos des femmes qui vou-
loyent l'embuizer et le mignottoyent pour en obtenir quelque doulceur, bot) Tou-
rangeau s'en retournoyt-il par les rues, resveur comme ung poete, plus desespör©
que ung coucou saus nid, et se disoyt en luy-niesme : le debvroys me munir d'une
femme. Elle balyeroyt le logiz, me tiendroyt les plats cbaulds, ployeroyt les toiles,
me racousteroyt, chanteroyt ioyeulsement dedan6 la maison, me tourmenteroyt pour
me faire faire tout k son goust leans, me diroyt comme elles disent toutes a leurs
marys, quand elles veulent ung ioyuu : „He bien, mon mignon, vois doncques cecy,
n'estpas gentil?" Et ung chascun, do par le quartier, songeroyt k ma femme et
penseroyt de moy: „Voilä ung homme heureux." Puis se marioyt, faisoyt nopces,
dodinoyt mademoiselle l'orphebvre, la vestoyt superbement, luy donnoyt une
chaisne d'or, l'aymoyt de la teste aux pieds, luy quittoyt le parfaict gouvernement
du mesnaige, sauf lespargne, la mettoyt en sa chambre d'en hault, bien verröe, nattöe,
tendue de tapisseries, avecques ung bahut mirificque, dedans ung lict oultre large, k
columnes torses, k rideaulx de cental cytrin; luy acbeptoyt force beaulx mirouöres,
et avoyt tousiours ung dixain d'enfants d'elle et de luy quand il arrivoyt k son logiz.
Ains U, femme et enfans s'evaporoy en t en mar tel aiges; il trans-
figuroytscs imaginations me lan cboli e uses en dessins phantasques,
fassonoyt ses pensiers d'amour en ioyaulx drolaticques qui plai-
soyent moult ä ses achepteurs, lesqnels ignoroyent combien il y
avoyt de femmes et d'enfants perdus dans lespieces d'or phebvrerie
du bonhonime, qui, tant plus avoyt de talent en son art; tant plus
se d esbisf foy t ..."
Schliesslich noch ein Beispiel von Versprechen desselben Autors, im gleichen
Buche (Sur le Moyne Amador 4 ):
„ . . . Mercy Dieu ! ie vous quitte de vous et de vos phantaisies, pour ce que
ie me retireray en ung moustier de religieux
Elle cuydoyt dire de religieuses, mag ce moyue vengeur luy avoyt perverty
la ,ftn S ue -" W. Mautner (Paris).
Mitteilung.
In ihrer Sitzung vom 10. Juli hat die Zürcher Ortsgruppe mit 15 gegen 1 Stimme
beschlossen, aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung auszutreten auf
Grund folgender Erwägung:
In der im Jahrbuch der Psychoanalyse veröffentlichten Kundgebung Freuds
„Zur (Jeschichte der psychoanalytischen Bewegung" ist die Psychoanalyse auf die
Autorität der Lehre eines Einzelnen in unmissverständlicher Weise festgelegt worden.
Die Zürcher Ortsgruppe hält diesen Standpunkt für unvereinbar mit den Prinzipien
der freien Forschung.
Gleichzeitig hat die Ortsgruppe Zürich beschlossen, einen unabhängigen Verein
zu weiterer Arbeitsgemeinschaft zu organisieren.
') 1. c. p. 440.
=) 1. c. p. 481.
Inhaltsverzeichnis und Autorenregister.
(Abkürzungen : = Originalia ; M = Mitteilungen ; R= Referate u. Kritiken; V = Varia ;
Sp = Sprechsaal.)
Adler, Dr. Alfred und Dr. Karl Furtmttller: Heilen und Bilden . (R) 485
Alexander: Alexander von Humboldt an Henriette Her« ..... (V) 621
Arnes, Tbadeus Hoyt: Blindneas as a Wisch . : (R) 307
Appelt, Alfred: Extrakt aus einem Vortrag über „Der nervöse Faktor
in der Gesundheit der Frau" (V) 510
Asnaourow, Felix: Sadismus u. Masochismus in Kultur u. Erziehung (R) 99
AsBatiani, M. M.: Der psychische Mechanismus der Symptome in
einem Fall von hysterischer Psychose (R) 93
Der Begriff der „bedingten Reflexe* in seiner Anwendung
auf die Symptome der Psychoneurosen (R) 94
de Beaurain: Über das Symbol und die psychischen Bedingungen für
sein Entstehen beim Kinde (R) 182
Becker, Oberarzt Dr. Wem. H. : Die sozialärztlichen Aufgaben in der
Irrenlherapie (R) 410
Bergmann, Dr. W. : Selbstbefreiung aus nervösem Leiden (R) 487
Birstein, Dr. J.: Eine kritische Bemerkung ........ (M) 77
Mitteilungen aus der K inderpsy cbologie . . . (M) 81
Ein Traum W. M. Garschins (R) 94
Individualpsychologische Darstellung eines nervösen
Symptoms (0) 864
W. M. Garschin's Traum. Eine nenropsychologische
Studie zur Frage des Selbstmordes (0) 432
Bjeloborodow, L. J.: Psychoanalyse eines Falles von Hysterie. . . (R) 93
Bleuler: Der Sexualwiderstand (jj) ™°
Bloch, E.: Über Intelligenzprüfungen . . . . (H) HTO
Blüher, Hans: Studien über den perversen Charakter (mit be-
sonderer Berücksichtigung der Inversion) ... (0) 10
Bossi : Meine Ansichten über die reflektorischen Pychopathien und
die Notwe idigkeit der Verbesserung des Irrenwesens (R) 509
Brill: The Unconsius Factors in the Neurosis (R) 806
The Conception of Homosexuality ( R ) 806
Brill, A. M.: Piblokto oder Hysterie unter Peary 's Eskimos . . . . (R) 619
Burchard, Dr. ErnBt: Zur Psychologie der Selbstbezichtigung . . . (R) 410
Burrow, Trigant: Die psychische Analyse der sog. Neurasthenie und
verwandter Zustände ( R) 181
Charakter und Neurose (R) 488
v Buttel-Reppen, Prof. Dr. H.: Meine Erfahrungen mit .denkenden'
Pferden (ß) 808
IV Inhaltsverzeichnis und Autorenregister
B. W. Dr.: Frank Wedekind über sexuelle Aufklarung (V) 111
Die Eifersucht der Mutter auf die Tochter (V) m
Zur Kinderpsychologie (V) 233
beitrage zur infantilen Kriminalität (V) 236
Zur Psychologie der Schreibfehler (V) 316
Die Bedeutung der siebenjährigen Periode für das Ver-
brecberproblem (V) 320
Die Verpflichtung des Namens (V) 322
Clericus, Dr. J.: Ein Fall von Gedankenübertragung im Traum ... (V) 106
Mc Comb, Rev. Samuel D. D.: „The New Interpretation of Dreams" (R) 97
Coriat, Isidor, H. : Die Psychoanalyse der Lady Macbeth .... (0) 384
Cornelius, Dr. Renö: Die Autosuggestion (0) 131
Cresta, Max: Ein Beitrag zur Kritik der physiologischen Theorie
der normalen und pathologischen Wahrnehmung (0) 443
Dana, Ch. L.: Die Zukunft der Neurologie /r, 405
Dide, M.: Die Stellung des leidenschaftlichen Idealisten
in der Pathologie qjj 472
Dunlap, Knight Prof.: The pragmatic advantage of Freud'analysis (R) 491
Emerson: The Case of Miss / (i ) 30 g
Erichsen, Leo: An derGronze des Übersinnlichen. Unser Seelenleben.
Hypnose. Suggestion. Telepathie. Der persönliche
Einfluss. Ein neuer Weg zum Erfolg (R) 620
Evers, Hans Heinz: Die Besessenen (R) 308
Fanciulli, Giuseppe: Die Psychologie der Lüge . . . . . . (M) 167
Ferenczi: Zur Ontogenese der Symbole . (R) 182
Fi nck, Dr. Ludwig: Zur Psychologie der Narkose (V) 413
Heury: Epilepsie emotionelle (R) 301
Frank, Ludwig: Affektstörungen. Studien über ihre Ätiologie u. Therapie (R) 172
Frei mark, Hans: Das erotische Moment in den unbewusstcn Ta-
'entäusseningen der sogenannten Medien ... (O) 535
Jrescl.l. Robert: Von Janet zur Individualpsychologie .... (0) 152
* r e u d , S 1 g m. : Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden
und der Neurotiker (Rj 293
Das Motiv der Kastchenwahl (R) 295
Die Dispositionen zur Zwangsneurose (R) 296
. Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre . . . . (R) 300
FtMifc, Dr. H. W.: The Freudian Conception of tbe Psychoneuroses . . (R) 408
b u r t m ü 1 1 e r , Dr. C a r 1 : Schnitzler's Tragikomödie „Das weite Land" (O) 28
*., K. Dr. : Jahresversammlung des „Internationalen Vereins für medi-
zinische Psychologie und Psychotherapie 193
Gerhardt: Die Schule der Altersdorfer Anstalten (R) 303
Golouschew, S. S-: Zur Kasuistik der Psychoanalyse . . . (M) 478
Gross, Dr. Otto: Über Desti-uktionssymbolik (O) 525
Haas. Willi: Über Echtheit und ünechtheit von Gefühlen (V) 417
Habermann, Dr. A. B.: The Psychoanalytic Delusion (R) 410
Hamburger, Franz Prof.: Über psychische Behandluog im Kindesalter (R) 507
Hegst-, Alfred: Zur chinesischen, deutschen, amerikanischen Krimina-
listik. Der Kampf gegen Minderwertigkeit und Ver-
brechen (R) 410
Hinrichsen, Priv.-Doz. Dr. Otto: Über das Abreagieren beim Normalen
und bei den Hysterischen (R) 186
Zur Psychologie des Unbewussten (M) 606
Inhaltsverzeichnis und Autorenregister V
Hirschfeld-Magnus: Die Homosexualität des Mannes u. des Weibes (R) 614
Hirt, Dr. Walter: Das Leben der anorganischen Welt (R) 499
HorBt-Witt: Arthur Symon's Buch „The Symbolist movement in
literature" (V) 512
Itten, W.: Beiträge zur Psychologie der Dementia praecox. . . . (R) 176
.Fekels: Einige Bemerkungen zur Trieblehre (R) 183
Jeliffe, Smith Ely: The Technique of Psychoanalysis (R) 308
Jenichen, Richard: Über den Alptraum in der sächsischen
Sagenwelt (M) 481
Jentsch, Dr. Ernst: Das Pathologische bei Otto Ludwig (R) 84
Jones: Einige Fälle von Zwangsneurose (R) 176
Der Gottmensch-Komplex (R) 180
Hass und Analerotik in der Zwangsneurose (R) 181
Jung, CG.: Versuch einer Darstellung der psychoanalytischen Theorie (R) 86
Kahane, Heinrich: Über Angstzustande (R) 188
Grundzüge der Psychologie für Mediziner (R) 618
Über psychische Depressionen (R) 406
Kammol, Dr. Willibald: Über die erste Einzelerinnerung (R) 185
Kannabich, J.: Die Hystero-Cyklothymio und ihre Kombinationen . . (R) 93
Kaplan, Loo: Über wiederkehrende Traumsymbole . . . . (M) 284
Aus der kindlichen Seele (V) 412
Kaipas, Morris J.: Contribution to the Psythology of the so-called
Dipsomania (R) gg
Die Prinzipien der Freud'schen Psychologie iE] 91
Kassowitz, Prof. Dr.. Max: Unbewusste Seelentätigkeit (R) 95
Kirchhoff, Prof. Dr. Th.: Geschichte der Psychiatrie von A. Gross,
Allgemeine Therapie der Psychosen (R) 92
Koehler, Dr. Egon: Dementia praecox oder reaktive Depression ?
Psycho-analytischc Studie (0) 347
Laubi, Dr. Otto: Über den Wert der Psychoanalyse für Ätiologie
und Therapie des Stottems und verwandter
Sprachstörungen (0) 41
Lese fruchte 515, 626
Lcvy, Dr. Paul-Einile: Die Rolle der Psychotherapie in der Be-
handlung der Ischias (0) 1
Lichnitzky, W.N.: Die Grundlagen der gegenwärtigen rationalistischen *
Psychotherapie (R) 93
Loewenfeld, L. : Bewusstsein und psychisches Geschehen (R) 291
Loquens: Selbstbeobachtungen eines Stotterers (V) 414
Lucka, Emil: Die drei Stufen der Erotik (R) 185
K., L. : Traumdeuterei, Astronomie und Astrologie in China . (V) 103
v. Maday, Dr. Stefan: Psychologie der Berufswahl (R) 304
Mitteilung über das niederdeutsche Volkslied
„Burlala" (M) 607
Mitteilung aus Madach's „Tragödie des Menschen" . . . (V) 625
de Maday -Hentzelt, Mar the: Reflexions sur L'Amour maternel . . (R) 95
Ma'llin c lirodt, Friedr.: Zur Psychoanalyse der Lady Macbeth (M) 612
Maloney, William J. M. A.: Furcht und Atoxie (R) 405
Marcinowski, L. : Glossen zur Psychoanalyse (R) 614
Die Heilung eines schweren Falles von Asthma durch
Psychoanalyse (R) 618
Marcus, Dr. Ernst: Zum ..Lust- und Realitfttaprinzip" (V) 110
VI Inhaltsverzeichnis und Autoren register
Marcus, Dr. Ernst: Diverse Mitteilungen (M) 170
Die Objektwahl in der Liebe (0) 594
Mayer, Willy: Zur Phänomenologie abnormer Glücksgefühle . . . . (R) 493
Meyer, E. : Epileptoide Zustände bei Alkoholintoxikationen (R) 506
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser: Ein autobiographischer Roman. (R) 186
Murtrie, C. Douglas, C. : Grundzüge der Homosexualität und sexuelle
Inversion in das Weibliche (R) 91
Nieder mann, Julius: Der Dichter als Analytiker (V) 102
Der „männliche Protest" im Lichte von Kinder-
analysen (0) 270
Oberndorf, C. P. Dr.: The Scope and Technique of Psychoanalysis . (R) 409
Orten au, Dr.: Sieben Fälle von psychischer Erkrankung nach gynäko-
logischer Behandlung geheilt (R) 508
Ossipow, N. E.: Gedanken und Bedenken über einen Fall von dogenera-
tiver Psychopathie (R) 92
Die , Memoiren eines Wahnsinnigen", ein unvollendetes
Werk L. N. Tolstois (R) 95
Page, J.: Ein Wahrtraum (V) 413
Peretti: Gynäkologie und Psychiatrie (R) 508
Peters, W. Privatdozent: Die Beziehungen der Psychologie zur Modizin
und die Vorbildung der Mediziner (R) 498
Petersen, Margarete: Ein telepathischer'Traum (M) 84
Pfister, Dr. Oskar: Kryptographie, Krytolalie u. unbewu9stes Vexier-
bild beim Normalen (R) 177
Die psychoanalytische Methode (R) 500
Prince, Morton: Die Psychopathologie eines Falles von Phobie . . . (K) 298
P., H.: Die Kastrationsdrohung und ihr Gegenstück (V) 411
Napoleon als — Psychoanalytiker (V) 411
P., M.: Ein Traum von Goethe_ (V) 512
Rank, Otto und Sachs, Hanns: Die Bedeutung der Psychoanalyso
für die Geisteswissenschaften (R) 401
Reddingius, R. A. Dr.: In welcher Richtung die denkenden Pferde
noch geprüft werden müssen (V) 234
Nachtrag zu diesem Aufsatze (V) 323
Resink, A.: Die Philantrophie als sexual-nenrotiaches Ritual .... (V) 412
Ein instruktiver auto-experimenteller Traum (V) 513
Geistiges und psychisches Hellsehen (Vi 514
Ein völkorpsychologischer männlicher Protest .... (V) 623
Ein prophetischer Traum (V) 236
Die „Philosopie" der Verdrängung und der Aufhebung
der Verdrängung (V) 415
Die himmlische Musik (V) 626
Rorschach, Dr. Hermann: Analyse einer skizophrenen Zeichnung (O) 53
Rosen sie i n . Dr. Gaston: Bleulers „Autistiachee Denken". . (M) 70
Saaler, Dr. Bruno: Die Fliess'sche Periodizität sichre nnd ihre
Bedeutung für die Sexualbiologie (O) 827
Sa dg er: Über den sado-masochistischen Komplex (R) 178
Die Psychoanalyse eines Autoerotikers (R) 616
Schmid, Alexander: Hermann Bangs „Hoffnungslose Geschlechter".
Eine Studie znm Problem der Decadence ... (O) 451
Schleich, Prof. Dr. Karl Ludwig: Aphorismen über das Kind . . . (V) 821
Schneider, N. N.: Psychotherapeutische Beobachtungen (R) 98
r
Inhaltsverzeichnis und Autorenregister VII
Schnorr, Hans: Beiträge zur infantilen Sexualität (V) 101
Schrecker, Dr. Paul: Die individualpsychologische Bedeutung der
ersten Kindheitserinnernngen (0) 1-1
Schroedev, Th.: Die gekreuzigte Heilige von Wildisbuch . . . . (0) 464
Schulze, Hedwig: Analyse eines Erlebnisses [2 2
Die Macht erster Kindheitserinnerungen (V) 509
Silberer, Herbert: Zur Frage der Spermatozoenträume (R) 189
Eine piinzipielle Anregung (R) 18.
Zur Symbolbildung Si S
Sopp, Dr. J.: Suggestion und Hypnose (R)
Stärcke, Johann: Neue Traumexperimente im Zusammenhang mit
älteren und neueren Traumtheorien .....•• (R) 178
Stekel, Dr. Wilhelm: Erotische Reizungen als Heilmittel . (M) 59
Eine Aufgabe für Traumdeuter in
Kinderbriefe £5 KI
Zur Psychologie und Therapie des Fetischismus . (0) 113
Der psychoanalytische Ahasvev (M) 165
Das Schaffen im Traume (V) 236
Zur Psychologie und Therapie des Fetischismus . (0) 237
Individuelle Traumsymbole (M) 289
Das nervöse Herz (R) 304
Ein Traumbild des lienvenuto Celtini (V) 322
Zur Psychologie des Referates (V) 323
Die Traume der Dichter, eine vergleichende Untersuchung
der unbewussten Triebkräfte bei Dichtern, Neurotikern
und Verbrechern (R) 402
Die Verpflichtung des Namens (V) 419
Fortschritte der Traumdeutung (0) 550
Dio verschiedenen Formen des Widerstandes
in der Psychoanalyse (M) 610
Das liebe leb (R) 613
Die Träume der Kinder (V) 624
Stier, Ewald: Wandertrieb und pathologisches Fortlaufen bei Kindern (R) 85
Storfer A. Z.: Mariaa jungfräuliche Mutterschaft (R) 496
Tannenbaum, Dr. S. A.: Über eine, durch Psychoanalyse gc-
heilten Fall von Dyspareunie » «Z
Tausk, Dr. Viktor: Zur Psychologie der Kindersexualität (R) j^
Ten ebris, V\: Aus der Kinderstube J j gg
Vogt, H.: .Psychotherapie" ' ' '■ ' ' r Q9
Wagner v. Jauregg, Prof. Dr. J.: Myxödem und Kretinismus . . R »8
Wyrubow f N.A.: Über die Cyklofchymie und ihre Kombinationen . . R *»
Über tyklothymie und ihre Kombinationen . . • (") «"