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ZEITSCHRIFT
DES
AACHENER GESCHICHTSVEREINS.
IM AUFTRAG DES WISSENSCHAFTLICHEN AUSSCHUSSES
HERAUSGEGEBEN
VON
Di*. MARTIN SCHEINS,
GYMNASIALDIREKTOR.
SIEBENUND DREISSIGSTER BAND.
AACHEN, 1915.
VERLAG DBS AACHENER GE8CHICHT8YERBIN8.
Fllr den Bachhandel in Kommission bei der Cremer'schen Buchhandlung (C. Cazin).
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Inhaltsverzeichnis.
I. Abhandlungen.
Seite
1. Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franziisiseben
Zeit. Von Dr. Heinrich Lichius f.
I. Entstehung und Bedeutung des Marienstiftes . . . . 1 —14
II. Die Würdenträger des Stifts: der Propst, der Dechant
und der Kantor. 14—51
III. Die Hauptoffiziaten: der Scholaster, der Erzpriester und
der Vizepropst.51 — 68
IV. Die Kanoniker und die Kapitelssitzuugen.68—105
V. Der deutsche König als Kanoniker und die königlichen
Vikare.105 — 111
VI. Die Vikare, die Kapläne und die niederen Oftiziaten . . 111 —123
Schluß.123—125
Anlage I: Vertrag zwischen Propst und Kapitel (1432) . . 126—133
Anlage II: Päpstliche Bulle von 1576 . 133—139
Anlage III: Kosten der Übernahme eines Kanouikats ... 140
2. Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen. Von
Professor Dr. Eduard. Teichmann.
A. Die Ergebnisse der Ausgrabungen.
1. Der Verlauf derselben.142—143
2. Das Fundament der Kirche.143 — 145
3. Der Standort des karolingischen Marienaltars .... 145-146
4. Die Lage des ersten Grabes Ottos III.146 — 147
5. Die bisherigen Vermutungen hinsichtlich der einstigen
Grabstätte Karls des Großen.147 -153
B. Die Geschichte des Erdgrabes.
1. Karl allein im Grabe (814—1002). 154— 163
2. Karl und Otto III. in demselben Grabe (1002 — 1165) . 163—169
3. Die Gebeine Karls im Schrein. (Seit 1165)
a. Die Heiligsprechung. (1165).169—171
b. Der Karlsschreiu über Ottos Grab. (1165 1— 1414) . 171 — 188
c. Der Karlsschrein seit 1414.188—190
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Inhaltsverzeichnis.
Seite
4. Der Proserpinasarg.190—198
5. Die Fabel von dem Thron in der Gruft. 198 202
3. Der ehemalige Marienaltar des Aachener Münsters in den Ka¬
pitelsprotokollen des Marienstifts. Von Kegierungshaumeister
-F. Kurl Becker in Hnnnov. Münden . . .*. 203—231
4. Mereurius Susurrio. Von Provinzialschnlrat Dr. Franz Gramer
in Münster i. W. 232 — 241
5. Zum Andenken an Rechnungsrat Matthias Schollen. Von Straf¬
anstaltspfarrer a. D. Heinrich Schnack .. 242 — 249
6. Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie. Von
Professor Dr. Eduard Teichmann.
1. Wie ist aus der Juncheitsinttble eine Juukersmühle geworden:* 250—259
2. Suylis. 259—263
3. Fuusehel. 263-265
4. Kolrum. 265—267
5. Kozzebat. 267—270
6. Bendelstraße. 270—273
7. Geschichtliche Erinnerungen au Aachen in Feindesland. Von
Archivdirektor Richard Fick.
Einleitendes. 274—276
1. Antwerpen. 276—285
2. Dinant. 285—290
3. Löwen. 290—297
4. Lüttich.,, 297—306
5. Reims. 306—312
6. Paris.312—318
8. Zur Erinnerung an P. Stephan Beissel S. J. Von F. Joseph
Brunn S. J .319-336
9. Frühchristliches aus Aachen und Umgegend. Von Professor
Dr. Klinkenberg . 337—350
10. Zur Geschichte der Stadt Heinsberg. Von Landgerichtspräsident
Geh. Ober-Justizrat Ludwig Schmitz . 351—370
II. Kleinere Beitrüge.
1. Ist der im Chor des Aachener Münsters 1910 ausgegrabeue
Rotsandstein-Sarkophag der Sarg Karls des Großen '<
Von Archivdirektor Richard Fick . 371—378
2. Der Einzug des Herzogs Johann Wilhelm von Jiilich-
Berg in Aachen am 15. Mai 1680. Von demselben . . 379 — 381
3. Die größeren Brände Heinsbergs. Von Landgerichts¬
präsident Geh. Ober-Justizrat Ludwig Schmitz . . . 381 — 384
4. Aachener Unternehmer gründen im Jahre 1778 eine Tuch¬
fabrik in Wandsbeck. Von Gymnasialdirektor Dr. Martin
Scheins
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501516
. . . 384—386
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Inhaltsverzeichnis.
Seite
5. Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
Nachtrag und Berichtigungen. Von Prof. Dr. Eduard
Teichmann . 386
III. Literatur.
1. Julius Menadier, Die Aachener Münzen. Angezeigt
von Professor Dr. S chu( . 387—397
2. [Verf. ungenannt.| Aachen unter der Herrschaft Na¬
poleons. Augezeigt von demselben .397—-102
3. Hubert Daverkosen, Die wirtschaftliche Lage der.
Reichsabtei Cornelirattnster. Angezeigt von Archiv¬
assistent Dr. Wilhelm Mummenhoff . 402 — 404
4. Otto Kolshorn, Der Plan einer Vermählung des Pfalz-
grafeu Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg und der
Tochter des Kurfürsten Johann Sigismund von Branden¬
burg Markgräfin Anna Sophia (1598 — 1659). Angezeigt
von Archivassistent Dr. Karl Schumacher f (Düsseldorf) 404 — 406
IV. Die Hauptversammlung; dazu Jahresbericht
a. des Hauptvereins, von dem Vorsitzenden Dr. Martin
Scheins . 407—426
b. des Dürener Zweigvereins, von Prof. Dr. Auyust Schoop 427
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis
zur französischen Zeit.
Von Heinrich Lichius.
I. Entstehung und Bedeutung des Marienstiftes.
Als Karl der Große nach tatenreichem Leben sich immer
mehr zu den angenehmen Rädern des Ortes Aachen hingezogen
fühlte und hier seiner Herrschaft über die Welt und Schutz¬
herrschaft über die Kirche einen Mittelpunkt gab, gründete er
nahe beieinander die. Königspfalz und die Pfalzkapelle. An
diesem Heiligtume verrichtete den Gottesdienst eine Schar von
Geistlichen, die bekanntlich ein Kollegiat bildete. Diesen
Charakter besaß aber die dortige Geistlichkeit nicht von Anfang
an, sondern sie scheint ihn erst allmählich unter verschiedenen
Einwirkungen angenommen zu haben.
An dem merowingischen Königshofe genoß die cappa des
h. Martin große Verehrung. Sie war neben anderen Reliquien
das Heiligtum, das den königlichen Hof auf den Kriegszügen
und im Frieden begleitete. Zu ihrem Dienste war eine Ver¬
einigung von Geistlichen angestellt, die von der capclfa den
Namen capeüani erhielten. Der Kreis ihrer Amtstätigkeit ist *
nicht genau umschrieben überliefert; jedoch scheinen sie eine
nicht geringe Bedeutung am Hofe gehabt zu haben. Als nun
andere Reliquien um die Wende des 7. und 8. Jahrhunderts
an den Hof kamen, begann allmählich die Verehrung des h.
Martin zurückzutreten hinter die des h. Dionysius. Die zur
Fürsorge der Reliquien angestellten Geistlichen wurden zu
einem selbständigen Hofklerus, an dessen Spitze ein oberster
Kapellan stand. Diese festgeschlossene Gemeinschaft von Geist¬
lichen, der Pfalzklerus, befand sich in eiuem gewissen Gegensätze zu
den übrigen Geistlichen des Reiches. Sie unterstanden nicht
der bischöflichen Gewalt, sondern nur dem obersten capellanus.
Ihr Kreis war nicht durch eine bestimmte Zahl begrenzt,
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2
Heinrich Lichius
sondern scheint alle dauernd am Hofe weilenden Geistlichen
umfaßt zu haben. Die Bezeichnung Kapelle war aber nicht
auf die Geistlichkeit beschränkt. Sie bestand auch für das
Heiligtum am Hofe. Diese Pfalzkapelle war anfangs nicht mit
einem bestimmten Orte des Reiches verbunden, sondern wech¬
selte mit dem Aufenthaltsorte des Königs, so daß also für die
Zeit, während der der König auf einer Villa weilte, das Heilig¬
tum dort als die Kapelle bezeichnet wurde 1 . Soweit war die
Entwicklung in der ersten Regierungszeit Karls des Großen
gediehen.
Wie die älteste Aachener Geschichte überhaupt, so sind
auch die kirchlichen Verhältnisse der Stadt wenig ge¬
klärt. Urkunden für diese älteste Zeit fehlen vollständig. Ge¬
schichtliche Beschreibungen beginnen eist mit der Erbauung
der Pfalzkapelle durch Karl den Großen. Da aber schon vor
der Erbauung der Pfalzkapelle christliche Fürsten in Aachen
kirchliche Feste feierten, so z. B. Pippin im Jahre 765 Weih¬
nachten und Ostern 2 , Karl der Große 769 Weihnachten 3 und
789 Weihnachten und Ostern 4 , steht es außer allem Zweifel,
daß sich vorher in dem Dorfe Aachen eine christliche Kultstätte
befand, die wohl auch den Bewohnern als Gotteshaus diente.
Die Aldegundiskapelle, deren Gründung um 700—750 anzu¬
nehmen ist, war eine von der Pfarrkirche unabhängige herr¬
schaftliche Kapelle der Benediktinerabtei Stablo 5 . Sie konnte
also für die Seelsorge der Gemeinde nicht in Betracht kommen.
In längeren Ausführungen hat Pick wahrscheinlich gemacht,
daß die alte Kultstätte für die christliche Gemeinde in Aachen
an der Stelle oder in der Nähe des heutigen Münsters gelegen
habe und der neuzuerbauenden Pfalzkapelle habe weichen müssen.
Diese Annahme wurde durch die jüngsten Ausgrabungen vollauf
bestätigt. Quer über einer römischen Anlage, die von Nordost
') Vgl. hierzu und zum übernächsten Abschnitte die Abhandlung von Aug.
Prost: Aix-la-Chapclle, Etüde sur le nom de cette ville, besonders die
Untersuchung über die Bedeutungen des Wortes capelitt und die zusammen¬
fassenden Bemerkungen in § 32 in den Mömoircs de la Societü nationale
des antiquaires de France Bd. 51, S. 253—357, Paris 1891.
*) G. H. Pertzii Annales llegni Francorum. 22. Ilannoverae 1895.—
Böhmer-Mühlbacher, Reg. Imp. I* 52, Innsbruck 1908.
3 ) Böhmer-Miihlhacher, S. «1. — 4 ) Ebenda, S. 124 und 127.
4 ) Pick, Aus Aachens Vergangenheit S. 7.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit.
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nach Siidwest sich unter dem Münster herzieht, ist später, in
merowingischer Zeit, eine dreischiffige Basilika erbaut worden.
Vielleicht dürfen wir in dieser Basilika ein Heiligtum annehmen,
das gleich anderen vorübergehend als Pfalzkapelle benutzt
wurde. Nun zwingt aber die Tatsache, daß in Aachen eine
Basilika und auch eine christliche Gemeinde bestand, zu dem
Schlüsse, daß an dieser Kirche auch Geistliche zur Ausübung
der Seelsorge angestellt waren.
Auf immer festeren Grundlagen hatte der große Karl sein
Reich errichtet. Bei der Zentralisation der Verwaltung lag es
nahe, dem Reiche auch einen Mittelpunkt zu geben. Aachen,
der Lieblingsort des alternden Kaisers, war dazu ausersehen.
Schon stand die königliche Pfalz vollendet da, und in ihrer
Nähe sollte, gleichsam die Verbindung des Staates mit der
kirchlichen Idee verkörpernd, ein würdiges Gotteshaus errichtet
werden — die Pfalzkapelle. Ihre Bestimmung war vielseitig.
Sie diente dem Kaiser und dem ganzen Hofe als Gotteshaus,
vereinigte an den kirchlichen Festtagen die Großen des Reiches
und bot zugleich der Hofkapelle einen ständigen Sitz 1 . Die
kostbaren Beutestücke und Unterpfänder der unterworfenen
Länder dienten ihr zum Schmucke. Für die christliche Ge¬
meinde Aachens aber war sie die Pfarrkirche. Sie war ja auf
der Stelle der alten Pfarrkirche erbaut worden und hatte diese
ersetzt. Deshalb sah sich Karl gezwungen, sie für den Gottes¬
dienst der Gemeinde freizugeben. Dieser Umstand aber, daß
in demselben Gotteshause Pfalzkapelle und Pfarrkirche
vereinigt waren, ist für die Entwicklung zum Stifte von großer
Bedeutung gewesen. Wir dürfen, da eine bestimmte Nachricht
fehlt, vielleicht annehmen, daß die an dem Gotteshause ange-
stellten Geistlichen sich nach der verschiedenen Amtstätigkeit
in die Geistlichkeit der königlichen Kapelle und die Pfarrgeist-
lichkeit schieden. Ob nun die an der alten Pfarrkirche angestellte
Geistlichkeit auch für die der neuen Kirche übernommen oder
die Zahl der älteren Seelsorger vermehrt wurde, darüber läßt
sich eine bestimmte Vermutung kaum aufstellen. Denkbar
wäre ja auch, daß schon sofort mit der Einweihung der neu
erbauten Pfalzkapelle eine Verschmelzung der Kapellane und
des Pfarrklerus vollzogen wurde. In diesem Falle wäre dann
') Luders, Capelia. Die Hofkapelle der Karolinger bis zur Mitte des
9. Jahrhunderts (Archiv für Urkundenforsclmntr, Rd. II, 1909), S. 52.
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Heinrich Lichius
den Kapellanen oder einem Teile von ihnen die Verpflichtung
zugewiesen worden, die Pfarrseelsorge auszuüben.
Nun nahm aber die Geistlichkeit an der Pfalzkapelle in
Aachen und an den übrigen im kirchlichen Leben eine Sonder¬
stellung ein. Sie lebte weder regulariter, wie die Mitglieder von
Mönchsklöstern, noch canonice, wie eine Stiftsgeistlichkeit, sondern
als Geistlichkeit an Eigenkirchen incanonice. Sie unterstand
also nicht der Gewalt eines Bischofs, sondern nur der ihres
obersten capellanus. Ihr Verhältnis zum Könige war nicht un¬
ähnlich dem der weltlichen Vasallen 1 . Unter dem starken und
vorsichtigen Karl dem Großen war eine mißbräuchliche Aus¬
nutzung dieser Sonderstellung ausgeschlossen. Die Regierungs¬
zeit des schwachen Ludwig des Frommen aber gab dem obersten
capellanus und den übrigen Gelegenheit genug zur Vermehrung
ihres Einflusses. Dieser wurde so stark, daß eine Rückwirkung
auf den übrigen Klerus nicht ausblieb. Als Hauptanklagepunkt
wurde das Streben nach weltlichem Besitz und kirchlichen Ehren¬
stellen angeführt. Die allgemeine Stimmung, der schon 822
Ardo in der Lebensbeschreibung des Benedikt von Aniane Aus¬
druck gegeben hatte 8 , verdichtete sich zu einer offenen Anklage
auf der Aachener Versammlung im Jahre 828 und im folgenden
Jahre auf der Pariser Synode. Vergebens. Ein Brief des Abtes
Odo von Ferneres wiederholte im Jahre 840 dieselben Vor¬
würfe 3 . Welche Rolle insbesondere die Aachener Marienkirche
dabei spielte, ist nicht erkennbar, da nur von den Kapellanen
in ihrer Gesamtheit, also auch den an anderen königlichen
Eigenkirchen, die Rede ist. Zog nun aber der ausgedehnte
Wirkungskreis den obersten capellanus mehr von der kirchlichen
Seite nach der Beschäftigung in der Kanzlei hin, so verlangte
ferner die Verwaltung des Vermögens einen besonderen Vor¬
steher. Durch Lothar II. erhielt die Marienkirche die Neunten
von 43 königlichen Villen. Diese Schenkung, die uns in einer
Urkunde Arnulfs vom Jahre 888 inhaltlich überliefert wird, ist
nach unserer Kenntnis die erste und legte den Grund zu dem
Vermögen der Geistlichkeit. Der Besitz des Stifts in späterer
Zeit weist keine bedeutenderen Güter auf, die schon vor dieser
') Stutz U., Geschichte des kirchlichen Benefizialwescns, S. 284,
Anm. 90. — Lüdcrs a. a. 0., S. 54.
*) MG. SS. XV. I. 217. — LUders, S. 61.
») Lüders, S. 60—64, 83—87.
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Die Verfassung des Marieustiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit.
5
Schenkung der Geistlichkeit zugehört haben könnten. Mit dieser
Güterzuweisung ist aber auch eine Änderung des Charakters
der früheren Pfalzgeistlichkeit ausgedrückt. Diese nahm an
der allgemeinen Entwicklung teil, die die Pfalzkapellen im 9.
Jahrhundert durchmachten: ihr Verhältnis zum obersten capellanus
wurde immer lockerer 1 , wodurch eine mehr selbständige Ver¬
waltung und Verfassung möglich und nötig wurde. An Vor¬
bildern dafür fehlte es ja nicht bei den Stiftern, an denen man
ein kanonisches Leben führte. Es liegt also die Vermutung
sehr nahe, daß schon vor der Güterschenkuug Lothars II. die
Umwandlung der Pfalzgeistlichkeit zur Stiftsgeistlichkeit voll¬
endet war. Nun diente bereits drei Jahre vor dem Regierungs¬
antritte Lothars II. die Aachener Marienkirche als Muster
für die neu zu errichtende königliche Kapelle in Frankfurt im
Jahre 852. Und hier war von Anfang an eine Stiftsgeistlich¬
keit. Mithin war in Aachen die Entwicklung zum Stifte schon
zur Zeit Lothars I. zu einem gewissen Abschlüsse gekommen.
Die Quellen zur Regierungszeit Ludwigs des Frommen bieten
keinen Anhalt für die Verfassung der Geistlichkeit an der
Marienkirche. Daher wird die Regierungszeit Lothars I. wohl
als Begrenzung für den Abschluß der Entwicklung zu betrachten
sein. Die gleichzeitig nebeneinander einwirkenden Kräfte, die
Erweiterung des Geschäftskreises des obersten Kapellans unter
dem schwachen Ludwig, die eine Abwendung von der niederen
Pfalzgeistlichkeit zur Folge hatte, der Kampf der Geistlichkeit
und der Bischöfe gegen den unbotmäßigen Pfalzklerus, der sich
auch dem Leben nach der kanonischen Regel unterwerfen sollte,
und die Eigenschaft der Marienkirche als Pfarrkirche waren
woid imstande, schnell eine Umwandlung herbeizuführen.
Auf dieser Grundlage setzte sich die Weiterbildung des
Stifts fort, das ja im ganzen Mittelalter und bis in die neuere
Zeit sich einer hohen Bedeutung erfreute. Unstreitig hat das
Stift einen wesentlichen Einfluß auf das Emporblühen der Stadt
gehabt, und geschichtliche Ereignisse, die sich hauptsächlich in
seinem Bereich abspielten, gaben dem Namen Aachen seinen
ehrwürdigen Klang. Hier fand neben den Gebeinen des Kaisers
Karl Otto III. nach einem an zerstörten Hoffnungen reichen
Leben seine Ruhe. Und über den Grüften empfingen neue
Könige die Krone des Reiches, um Deutschlands Geschicke zu
') Ltiders, S. 72.
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Heinrich Lichius
lenken. Das hohe karolingische Oktogon ward infolge des
wachsenden kirchlichen Lebens mit reichen Altären geschmückt
und mit einem Kranze von Kapellen umgeben. Ging auch die
Zeit nicht spurlos an ihm vorüber und richteten auch manche
Feuersbrünste großen Schaden an, immer wieder erstand es in
neuer Pracht. Gleichwie die Kirche war auch das Stift, seine
Insassen und Güter, sein Verhältnis zu Stadt und Reich man¬
chem Wechsel unterworfen. Es sei gestattet, einige Gesichts¬
punkte hervorzuheben, aus denen die Bedeutung des Stifts sich
ergibt.
Von ganz hervorragender Wichtigkeit für das Stift war
ein Schatz an Reliquien, der die Marienkirche über alle
anderen ihrer Art hervorhob. Welches Gotteshaus hätte sich
eines solchen Reichtumes an Reliquien des Herrn, der Gottes¬
gebärerin Maria, der Apostel und so vieler Heiligen rühmen
können! Immer weiter drang die Kunde von dieser Gnaden¬
stätte in die Lande und rief große Pilgerzüge gläubiger Ver¬
ehrer herbei. Alle sieben Jahre fand unter großer Prunkent¬
faltung 14 Tage lang eine öffentliche Zeigung vom Verbindungs¬
gang der Domtürme aus statt, und wenn bei jedem neuen Stücke
der Verkündiger mit lauter Stimme begann „Man wird euch
zeigen“, dann sank die Menge ins Knie. Erzählungen von
vielen wunderbaren Heilungen trugen den Ruhm der Reliquien
und der Kirche weiter und weiter. Von der Weichsel und der
Donau, aus Böhmen und aus Ungarn strömten die Gläubigen
herbei, manchmal so zahlreich, daß sie in der Stadt keine Her¬
berge bekommen konnten und vor den Mauern in Zelten lagerten.
Natürlich flössen auch die Opfergaben sehr reichlich. Diese
Aachenfahrten hatten selbstverständlich großen Einfluß auf das
wirtschaftliche Leben Aachens. Daher erkämpfte sich der Stadt¬
rat mit vieler Mühe das Recht, an der Bewahrung der Heilig¬
tümer teilzunehmen. Im 18. und 19. Jahrhundert sank die
Zahl der Verehrer zur Bedeutungslosigkeit herab; aber in den
letzten Jahrzehnten zieht die Verehrung der Heiligtümer wieder
weitere Kreise.
Von der Bedeutung und dem Einflüsse, den das Stift das
ganze Mittelalter hindurch in wirtschaftlicher Beziehung hatte,
zeugt der umfangreiche Güterbesitz, den es hauptsächlich
der Gunst der deutschen Könige verdankte. Tm „Reich von
Aachen“, im Herzogtume Jülich und in dem fruchtbaren Liin-
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit.
7
burg lagen seine kornspendenden Güter; viele Rebenhügel an
Mosel und Rhein füllten mit ihrem Segen den Herrenkeller zu
Aachen. Die Besitzungen erfuhren, nachdem sie einmal in den
einzelnen Gegenden abgerundet waren, keine wesentlichen Ver¬
änderungen. Der bekannte Wechsel zwischen Eigenbewirt¬
schaftung und Verleihung auf Zeit- und Erbpacht ist auch hier
zu beobachten. Die außerordentlich große Fülle der noch er¬
haltenen Nachrichten und Aufzeichnungen über das Güterwesen
läßt auf eine durchweg sorgfältige Bewirtschaftung schließen,
die allerdings manche Verluste, wie sie das Stift besonders im
13. Jahrhundert und um die Wende des 15. und 16. Jahr¬
hunderts erlitt, nicht verhüten konnte.
Dazu kam eine umfangreiche Freiheit von Abgaben für
die Erträgnisse. So waren die Güter im Herzogtum Jülich
gänzlich Steuer- und schatzfrei. Im Jahre 1473 wurde dieses
alte Vorrecht durch Gerhard Herzog von Jülich-Berg und seine
Gemahlin Sophie Herzogin von Sachsen für die Höfe Ameln,
Upherten, Höngen, Bettendorf und Ödtweiler erneuert *.
Die gleichen Freiheiten, die die Besitzungen in Brabant
genossen, wurden am 14. April 1474 durch Herzog Karl von
Burgund bestätigt. Trotzdem hatten Gouverneur und Beamte
von Übermaas verschiedene Abgaben, besonders von Gütern,
die zum Lehnhofe Dalhem gehörten, erhoben. Daher wandte
sich das Stift beschwerdeführend an König Karl V. von Kastilien
und erreichte es, daß dieser am 31. März 1516 eine im Sinne
des Kapitels gehaltene Weisung an Kanzler und Rat von Brabant,
den Seneschall von Limburg und die Beamten der Gegend
erließ*.
Das Stift war auch bei den Landständen des Herzogtums
Limburg vertreten 3 , deren Sitzungen in Henri Chapelle (Hein-
rici capella) stattfanden. Gewöhnlich war der Dechant Abge¬
sandter des Stifts; jedoch konnten auch andere Kanoniker
damit beauftragt werden. Über die Verhandlungen pflegte im
Kapitel Bericht erstattet zu werden; aber der Inhalt der Be¬
ratungen fand in den Kapitelsprotokollen keine Aufnahme, außer
wenn sie das Stift selbst betrafen. Die Stellung des Stifts zu den
') Staatsarchiv Düsseldorf, Urk. Nr. 322, 1473 Aug. 19.
'*) Ebenda, Urk. Nr. 359, 1516 März 31.
*) Qu ix, Münsterkirche, S. 64.
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Heinrich Lichius
Landständen bildete besonders im Jahre 178G den Gegenstand
von Verhandlungen der Ständeversammlung. Nach dem Berichte
des Kanonikus Korneli und des Vizescholasters vom 29. Juli
waren in der letzten Sitzung verschiedene Meinungen laut ge¬
worden, wonach die Vertreter des Marienstifts nur beratende,
nicht beschließende Stimme hätten. Demgegenüber wandte
sich das Kapitel zur Wahrung seines Rechtes an die Verwal¬
tung in Brüssel, die durch den Bevollmächtigten des Stifts die
Kläger bescheiden ließ, die Angelegenheit sei den General¬
ständen übergeben. Die Verhandlungen in Henri Chapelle am
5. Dezember führten, besonders durch die Vorstellungen des
Ministers Graf von Barbiano und Belgiojoso beeinflußt, zu einem
dem Marienstifte günstigen Ergebnisse *.
Die reichen Einkünfte an Wein und Getreide von den
Gütern an der oberen und unteren Mosel waren ebenfalls keinem
Zoll unterworfen 2 . Als aber in der zweiten Hälfte des 15. Jahr¬
hunderts auf dem Erzstifte Trier eine große Schuldenlast ruhte,
erwirkte Erzbischof Johann vom päpstlichen Stuhle das Recht,
auch von den geistlichen Korporationen bis zur Tilgung der
Schulden in seinem Gebiete Zölle zu erheben. Das mußte
natürlich das Marienstift empfindlich treffen. Als es sich des¬
halb an den Papst Sixtus IV. wandte, wurde ihm im Jahre
1474 weiterhin Zollfreiheit zugestanden 8 . Eine gleiche Ver¬
fügung traf im folgenden Jahre Kaiser Friedrich III., der noch
dazu jeden Versuch, diese Freiheit zu beeinträchtigen, mit einer
Strafe von 50 Mark Gold bedrohte 4 . Da aber das Stift wohl
für den Bestand dieses Privilegs fürchten zu müssen glaubte,
ließ es sich schon im Jahre 1505 von Erzbischof Jakob von
Trier für dessen Lebensdauer Zollfreiheit auf Rhein und Mosel
und zu Lande für die Weine aus Boppard, Lahnstein, Kessel¬
heim, Traben und Winningen zugestehen 5 , und im Jahre 1730
') St.-A. DUsscld., Akten 11 d d fol. 288 f. und 822. „. . . Nous de-
clarous au surplus que le d6put6 du chapitre de notre daine d’Aix la Cha-
pelle doit avoir coinuie les autres iuembres ou individus de l’Etat ccclesias-
tique un suffrage döliberatif. . . .“
*) Lacomblet, Urkundenbuch II. 824, 930. — Ltinig, Reichs-Archiv
XVIII 879.
s ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 316, 1474 Nov. 8.
*) Ebenda, Urk. Nr. 317, 1475 Sept. 9.
*) Ebenda, Urk. Nr. 350, 1505 Juli 1.
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Die Verfassung des Harieustiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit.
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mußte es diesen Vorzug mit 100 Gulden (= 200 Reichstalern)
vom Trierer Erzbischof Franz Georg erkaufen *.
Der Angelpunkt für das Verhältnis zwischen Stift und
städtischen Behörden war Jahrhunderte lang die Immunität
mit den ihr anhangenden Rechten. Zur Immunität gehörten
das Münster, das Domkloster, die Klostergasse, der Klosterplatz,
der Kirchhof und der (das) Parvisch 2 . Jedoch war die Grenze
an einzelnen Stellen nicht genau festgelegt, und es bestanden
daher mehrere Jahrhunderte hindurch Streitigkeiten zwischen
Stadt und Stift, die trotz der verschiedensten Entscheidungen
päpstlicher Nunzien und des Reichsgerichts zu Wetzlar erst mit
dem Untergange des Stifts zu Ende gelangten.
Mit der steigenden Ausbildung der städtischen Verfassung
und dem sich mehrenden Bürgersinn entstanden allgemein
Gegensätze zwischen der Geistlichkeit und den städtischen Ver¬
waltungskörpern, die besonders in rechtlichen und wirtschaft¬
lichen Fragen begründet waren. Die Ausnahmestellung der
geistlichen Genossenschaften und ihrer Hintersassen gegenüber
der Gerichtsbarkeit und die Freiheit an Steuern und Lasten
wurde von den Städten unangenehm empfunden, zumal da sie
weder von Konzilien noch vom deutschen Königtume eine Unter¬
stützung erhielten 3 . Auch in Aachen war es nicht anders.
Darum wurde im Jahre 1209 von Otto IV. der Stadt Aachen
gegenüber ausdrücklich die Steuerfreiheit der Diener, Glöckner,
Bäcker, Köche, Brauer, Fenestrare und Klaustrare des Marien¬
stifts festgestellt 4 . Ja im Jahre 1232 fühlte sich das Kapitel
nicht mehr sicher in der Stadt, so daß König Heinrich VII. mit
allem Nachdrucke die Kanoniker gegen die Bürgerschaft in
Schutz nehmen mußte 5 . Am Anfänge des 14. Jahrhunderts
trat dieser Gegensatz wiederum so stark zutage, daß sich das
Kapitel genötigt sah, in einem besonderen Statute dazu Stellung
zu nehmen. Nicht einmal vor Geistlichen mit Priesterrang
machten die Laien Halt. Darum hielt das Kapitel mit dem
Dechanten Gottfried auf einstimmigen Beschluß hin einen Ver¬
kehr mit den Bürgern der Stadt für unvereinbar mit dem geist-
') Ebenda, Urk. Nr. 407, 1730 Jan. 20.
’) Echo der Gegenwart 1862, Nr. 107.
’) Wcrmiughoff, Geschichte der Kirchenverfassnng Deutschlands im
Mittelalter, I S. 278 ff.
4 ) Lacomblet II, Nr. 26. — 5 ) Ebenda, Nr. 182.
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10
Heinrich Liehius
liehen Berufe und verbot jedem Stiftsmitgliede, außerhalb der
Immunität in irgend einer Form Bürgschaft zu leisten, es
sei denn zum Nutzen des Stifts oder für Verwandte eines
Kanonikers
Da nun der Steuerfreiheit bloß die Früchte und Weine
sich erfreuten, die nicht zu Handelszwecken, sondern nur zum
persönlichen Gebrauche der Stiftsinsassen dienten, manche Stifts¬
insassen es aber mit einer Scheidung nicht so genau nahmen
und öfters unbesteuerte Weine an Privatleute verkauften, führten
Bürgermeister und Rat über dieses Gebaren ernstlich Klage.
Daher wurde durch ein Statut des Kapitels bestimmt, daß
niemand auf der Immunität Weinhandel treiben dürfe, ohne
dies vorher den dazu beorderten Kanonikern mitgeteilt zu haben.
Besonders galt dieses Verbot für die Zeit, während der das
Kapitel selbst die Weine aus dem gemeinsamen Keller ver¬
kaufte. Jeder Kanoniker wurde im Übertretungsfalle mit der
Entziehung des Stimmrechtes im Kapitel und der Pfründen¬
einkünfte für ein halbes Jahr bestraft.
Da eine Bestätigungsurkunde für die Freiheit der Stifts¬
weine von Steuer oder TJngelt in der Regel von jedem neuen
deutschen Könige erbeten wurde, kam es schon vor, daß man
von seiten der Stadt sich beim Könige um entgegengesetzte
Bestimmungen bemühte. Als z. B. nach dem Tode Karls V.
dessen Bruder Ferdinand die deutsche Königskrone erhielt,
glaubte das Kapitel des Marienstifts Grund zu der Annahme
zu haben, die Stadt wolle einer Bestätigung dieser Stifts¬
privilegien zuvorkommen. Es wandte sich daher an seinen
Propst, um durch ihn die Einfügung entsprechender Klauseln
in die erbetene Urkunde zu erwirken 2 .
Was die Stadt nicht erreichen konnte, das bewirkte die
Not des Reiches. Von den im Prager Frieden und im Jahre
') St-A. Düsseld. Urk. Nr. 130, 1308 Dez. 17 . . . considerantes attente,
quod clericos maxime illos, qui sacro sunt caraetcre insigniti, inter laieos
conversari plerumquc non convenit, cum laici clericis oppidi sint infesti. . . .
■■*) Kricf des Vizepropstes Franco Barcheinius an den Propst vom 4. März
1559 . . dan cs ist der Stat Aach Syndicus für etlichen tagen sehonn
hinutT gereyst, und besorgen meine Herrn auß allerley Ursachen, das er umb
contraritt privilegia oder indulta, sonderlich soviel Inlegung meiner Herrn
eigener Weyne in iren kelleren belangt, davon man gern accys haben wol,
mit allem flyß anhalten werd. . . .“ Stifts-Archiv I 1. A Nr. 17.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 11
1636 dem Kaiser Ferdinand bewilligten Reichskriegssteuern
entfiel auf die durch Einquartierungen und Schatzungen aller
Art verarmte Stadt Aachen die Summe von 36000 Reichstalern.
Der Stadtrat versuchte diese Lasten zum Teil durch Erhebung
von Maltergeld zu beschaffen, wodurch auch der Gesamtklerus
betroffen wurde. Da dieser sich auf seine Privilegien stützte,
nahm der Stadtrat seine Zuflucht zu strengen Maßregeln. Die
Verhandlungen zwischen Stadtrat und Marienstift, das erst 1638
in den Streit hineingezogen wurde, fanden am 17. September
1639 einen Abschluß durch einen Vertrag, wonach das Stift
500 Reichstaler zahlen mußte, für seine alten Besitzungen
dauernde Steuerfreiheit zugesichert erhielt, aber Neuer¬
werbungen den üblichen Abgaben unterwarf. Dieses Überein¬
kommen wurde am 10. März 1640 vom Cölner Erzbischof ge¬
nehmigt '.
Noch ein anderer mit der Immunität zusammenhängender
Punkt verdient hier Erwähnung, das Asylrecht des Stifts.
Wenn das Stift seine Prozessionen hielt, z. B. in der Bitt- oder
Kreuzwoche, auf St. Markus, Christi Himmelfahrt, Fronleich¬
nam, und eine solche Prozession an den Gefängnissen der Stadt
vorbeikam, mußten nach altem Brauch die Türen geöffnet und
die Gefangenen ohne Fesseln sein. Die Stadt hatte wohl das
Recht, eine Wache vor die Türe zu stellen. Wenn es nun
einem Gefangenen gelang, die Wache zu durchbrechen, in die
Prozession zu gelangen und dort die Fahne oder das Kreuz zu
berühren, so durfte er ungehindert mit zum Münster ziehen,
wo ihm Gelegenheit zu entkommen schon geboten wurde. Es
ist leicht zu verstehen, daß diese Verhältnisse den Widerspruch
des Vogtmeiers oder des Stadtrats hervorriefen. Wenn nun die
Gefängnisse nicht geöffnet waren, so hielt die Prozession so
lange, bis dem alten Brauche Genüge geschehen war. Das Stift
scheute selbst vor Gewaltmaßregeln nicht zurück. Da nun
beide Parteien von ihrem Standpunkte nicht abgehen wollten,
kam es manchmal vor, daß der Stadt rat bei der Einladung des
Stifts am Vorabende der Prozession einfach seine Teilnahme
versagte. Das Stift hinwiederum veranstaltete öfters eine Pro¬
zession ganz sang- und klanglos auf der Immunität. Das be-
') Stiftsarchiv VII 10 Nr. 15. — Rey, Geschichte der Windsheimcr
Chorherren iu Aachen: ZdAGV 32, S. 84 ff. 97 f.
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12
Heinrich Lichius
hagte nun den Bürgern (lieht, besonders den Zünften, die bei
dieser Gelegenheit alle Pracht entfalteten. Daher kam man von
seiten der Stadt auf den Ausweg, eine Prozession mit den
Pfarreien und Klöstern ohne das Marienstift zu halten 1 . Da
die Klöster nun zum größten Teile unter der Jurisdiktion des
Dechanten und Kapitels standen, wußte das Kapitel ein päpst¬
liches Verbot für deren Teilnahme zu erwirken. So traf der
päpstliche Stuhl am 29. Februar 1760 in dem Streite zwischen
dem Kapitel und den Regulierklöstern der Stadt, namentlich
den Minoriten, die Entscheidung, daß sie an der vom Kapitel
allein zu veranstaltenden Fronleichnamsprozession teilzunehmen
hätten 2 . Man sieht, mit welcher Hartnäckigkeit beide Teile
ihren Standpunkt vertraten. Die Bedeutung, die das Kapitel
diesem Asylrecht beimaß, geht auch aus dem Umstande hervor,
daß es jede visitatio carcerum in die Protokolle eintragen ließ. —
Zur Beleuchtung des Asylrechts möge hier ein besonderer Fall
Erwähnung finden ans dem Jahre 1515, der in einer Klage¬
schrift des Kapitels vom 26. Mai an den Propst Heinrich, Pfalz¬
grafen bei Rhein, dargestellt wird 3 . Der Vogtmeier in Aachen
hatte zwei Bürger der Stadt in einem Privathause eingesperrt.
Die Prozession hielt an dem Hause, und die Stiftsgeistlichkeit
forderte von den Wächtern unverzügliche Freigabe der Ge¬
fangenen. Die Wächter aber setzten sich dem Verlangen ent¬
gegen. Da streckte der Kreuzträger das Kreuz zu einem
Fenster an der Seite des Hauses hinein, damit die Gefangenen
es zum Zeichen der Erlösung berührten. In diesem Augen¬
blicke kam der Vogtmeier selbst hinzu, riß die beiden gewalt¬
sam zurück und ließ sie durch seine Wächter abführen. Die
Prozession aber verfolgte sie unter dem Zureden der teilneh¬
menden Bürger, befreite die Gefangenen und führte sie ins
Münster. Am folgenden Tage waren alle Tore der Stadt ge¬
schlossen, „daß kein Stiftsmitglied hinaus gehe“. Zu den am
dritten Tage nachher im Hause des Dechanten versammelten
Abgesandten des Stifts kamen Bürgermeister und die Deputierten
des Stadtrats und verlangten mit drohenden Mienen die Heraus¬
gabe der Gefangenen und sofort eine entscheidende Antwort.
Da aber der Vizepropst unmittelbar nach dem Vorfall in der
') v. Ftirtli, Beiträge III 41 zum Jahre 1722.
J ) Stiftsarchiv VII 1, Nr. 14. — *) Ebenda, VI 1 Immunität, Nr. 2.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 13
Prozession sich zum Herzog von Jülich zur Berichterstattung
begeben hatte, erwirkten die Abgesandten des Stifts einen Auf¬
schub der Angelegenheit bis zu dessen Rückkehr. Eine Nach¬
richt über den weiteren Verlauf liegt nicht vor. Übrigens
waren Vorfälle ähnlicher Art keineswegs selten.
Eine ziemlich selbständige Stellung nahm das Stift in der
Diözese Lüttich ein. Zu welchem Diözesanverbande Aachen
vor dem 10. Jahrhundert gehörte, ob zu Cöln oder Lüttich, ist
noch eine strittige Frage. Man neigt zu der Ansicht, daß
Aachen zur Zeit Karls des Großen zur Cölner Diözese gehört
habe. In dem Streite über das Recht der Krönung zwischen
dem Trierer und Cölner Erzbischöfe begründete der letztere
sein Recht damit, daß Aachen zu seiner Diözese gehöre, wie
Widukind und der sächsische Annalist berichten 1 . Auch Pick
bringt dafür einen Beweis 2 . Sicher ist jedenfalls, daß es vom
Ende des 10. Jahrhunderts ab im Bereiche des Lütticher
Diözesansprengels lag. Die Abhängigkeit vom Lütticher Bi¬
schöfe zeigt sich hauptsächlich darin, daß der Dechant von
dort seine Bestätigung erhielt. Auch wandte sich das Kapitel
öfters um Bestätigung seiner Statuten nach Lüttich. Die Fir¬
mung wurde ebenfalls von dort aus gespendet. Der Erzpriester
als Seelsorger der städtischen Bevölkerung hatte sich um Be¬
stätigung seines Amtes an den Archidiakon von Hasbanien zu
wenden. Im übrigen war es selbständig in der Ausübung der
Gerichtsbarkeit und Disziplinargewalt. Diese Exemtion wurde
am 11. August 1512 von Papst Julius II. für alle Kollegiat-
stifter in Stadt und Diözese Lüttich bestätigt und schloß auch
alle Kanoniker ein, die als Pfarrer Seelsorge ausübten 3 . Das
Stift stand unmittelbar unter dem Papste. Das Kapitel ver¬
kündigte selbst, nicht durch die Haud des Lütticher Bischofs,
päpstliche Erlasse, ordnete kirchliche Feste an, regelte das
40 ständige Gebet usw., wie sich aus den Kapitelsprotokollen
hinreichend ergibt. Alle Güter des Stifts standen unter päpst-
«) MG. SS. III 438 uud VI 599.
*) Pick, Aus Aachens Vergangenheit 19 f. — Bock Fr. (Rheinlands
Baudenkmale des Mittelalters III Lfg. 14: Hubertus-und Karlskapelle, Köln
und Neuß 1869 — 72) nimmt an, daß das Stift, „über 1000 Jahre hindurch
von der Karolingerzeit bis zum Schlüsse des vorigen Jahrhunderts im Diö¬
zesanverbande mit dem alten Hochstifte Lüttich“ stand.
3 ) St.-A. Düsseid. ürk. Nr. 353, 1512 Aug. 11.
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14
Heinrich Lichius
liebem Schutze, der sehr oft erneuert und bekräftigt wurde.
Als Anerkennung dafür hatte das Stift, gleichwie es auch
anderswo üblich war, jährlich eine Summe zu stellen, die in der
Bulle Gregors V. vom Jahre 997 auf eiu Pfund des besten
Goldes festgesetzt wurde 1 . Ohne ausdrückliche Erwähnung
einer Bulle des Papstes Innocenz IV. vom 6. Juli 1248 konnte
das Stift nicht gezwungen werden, jemandem eine Pfründe oder
ein Beneflzium zu übertragen 2 , wie es ebenfalls nach einer
Bulle Innocenz IV. vom 20. August 1249 nur auf besonderen
päpstlichen Erlaß exkommuniziert, suspendiert oder interdiziert
werden konnte. Mit der Handhabung wurde im folgenden Jahre
der päpstliche Kanzler und Dechant von St. Gereon in Cöln
beauftragt 3 . Von der Gunst der Kurie zeugt auch die Gewäh¬
rung eines Tragaltares 4 und das Recht der Wahl eines Beicht¬
vaters, der den Kanonikern bei drohendem Tode volle Absolution
zu erteilen berechtigt war. Der Genugtuungspflicht waren auch
die Erben der Kanoniker unterworfen. Die Stiftsherren wurden
aber ausdrücklich vor einer vermessenen Ausnutzung dieses Vor¬
rechtes gewarnt 6 .
Die Verehrung der Gottesmutter als der Patronin der
Kirche war im Marienstift natürlich sehr bedeutend. Am Tage
Mariä Verkündigung wurde laut Breve Innocenz III. der
Ambrosianische Lobgesang und das Gloria in excelsis gesungen ß .
Papst Honorius III. erteilte 1221 den Besuchern des Domes an
diesem Feste einen Ablaß von 40 Tagen 7 , den Papst Innocenz IV.
auf das Kirchweihfest und die Vigilien und Feste der h. Jung¬
frau ausdehnte 8 .
II. Die Würdenträger des Stifts: der Propst, der
Dechant und der Kantor.
Wie alle Dom- und Kollegiatkapitel setzte sich das Aachener
Marienstift aus den Kanonikern und den Würdenträgern oder
Dignitären zusammen. Nach außen hin genoß die höchste
‘) Einen besser als bei Quix, Cod. dipl. I Nr. 49, durch Herrn Archiv¬
direktor Pick besorgten Abdruck der Bulle siehe Faymonville, Der Dora
zu Aachen, S. 240 Aura. — *) St.-A. Düsseldorf l T rk. Nr. 1>G.
s ) Quix, Cod. dipl. Nr. 178. — St.-A. Düsseldorf l’rk. Nr. 70, 1250
Aug. 20. — 4 ) St.-A. Düsseid. Urk. Nr. 204, 1379 Sept. 10.
5 ) Ebenda, Nr. 207, 1380 Juni 14.
«) ZdAGV 25, S. 361 f. 1211 Juli 26.
7 ) St.-A. Düsseid. Urk. Nr. 25. 1221 Mürz 1.
') Ebenda, Iiep. u. Hss. 7. f. 1, 1248 Dez. 11.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 15
Ehrenstelle der Propst, der ursprünglich zum Kapitel gehörte,
später aber meist als weltlicher Fürst seine schützende Hand
über das Stift hielt. Im Kapitel selbst wurde die höchste
Stelle durch den Dechanten eingenommen, dem als Würden¬
träger der Kantor im Range nachfolgte. Nicht im Genüsse
besonderer Vorrechte, aber durch ihren Wirkungskreis bedeut¬
sam waren der Scholaster und der Erzpriester. Dazu traten
noch eine Reihe Kapitels- und Stiftsbeamte. Nicht zum Kapitel
gehörten die Vikare und Kapliine; sie waren aber als Mitglieder
des Stifts vou einer gewissen Bedeutung.
Der Propst.
Derselbe Würdenträger, der als Schutz und Schirm nach
außen hin die Rechte des Marienstiftes verteidigte, genoß in
den ersten Jahrhunderten auch das bedeutendste Ansehen im
Kapitel selbst. Als der eigentliche Stiftsvorsteher besaß er
wohl immer einen kirchlichen Weihegrad. Die Urkunden nennen
ihn verschiedentlich redor und provisor capellae. Am gebräuch¬
lichsten war wohl die Bezeichnung abbas , die also nicht auf
die Vorsteher von Mönchsklöstern beschränkt blieb und auch
kein Beweis gegen den stiftischen Charakter der Geistlichkeit
in Aachen ist 1 . Unter Kaiser Otto I. wurde der Titel praepo-
situs üblicher, der sich auch bis zum Ende des Stiftes erhielt.
Deshalb dürfte auch der einmal erwähnten Benennung maior
domus, die nur einen Rückschluß auf seine Tätigkeit als Ver¬
walter des Vermögens zuläßt, keine weitere Bedeutung beizu¬
messen sein 2 .
Diese Vermögensverwaltung scheint ursprünglich eine
der vornehmsten Pflichten des Propstes gewesen zu sein, die
er als Stellvertreter des deutschen Königs, des Obereigentümers
der Marienkirche, ausübte. Deshalb wurde es ihm auch im
Jahre 887 ausdrücklich verboten, irgendwelche Güter weiter
zu verleihen 3 . Überhaupt durfte er nichts von den Gütern als
sein Eigentum betrachten, sondern hatte alle Einkünfte in
gleichem Maße wie die übrigen Geistlichen des Stifts, wie in
*) Ficker, Vom ßeichsfilrstenstande, Innsbruck 1861, S. 365. —
Schäfer, Pfarrkirche und Stift im deutschen Mittelalter (Stutz, Kirchen¬
rechtliche Abhandlungen, Heft 3), S. 125—129.
s ) Historia Waleiodoren9is Monasterii. MG. SS. XIV. 511 unten.
*) Quix, Cod. dipl. Nr. 4. — Lucomblet I. 39 Nr. 74.
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16
Heinrich Lichius
verschiedenen Urkunden Uber Besitzzuwendungen ausdrücklich
gesagt wurde 1 . Die ungetrennte Verwaltung des Vermögens
durch den Vorsteher erscheint als eine wesentliche Bedingung
für das Bestehen des gemeinsamen Lebens 2 . Natürlich mußten
aus dem gemeinsamen Vermögen auch die Kosten für die Er¬
haltung des Münsters, für die Kleidung und die Lichter bestritten
werden. Wenn auch die Urkunden nach dem Jahre 972, durch
die dem Stifte Güter überwiesen wurden, nicht ausdrücklich
eine gleichwertige Verteilung für Propst und Stiftsgeistlichkeit
festsetzen, wird man doch annehmen müssen, daß dieser Zu¬
stand noch längere Zeit hindurch gleichwie an anderen Stiftern,
z. B. an St. Gereon in Cöln 3 , angedauert hat. Dem steht nicht
entgegen, wenn berichtet wird, daß Pröpste den Stiftsgeistlichen
besondere Zuwendungen machten, wie es z. B. Propst Gottschalk
(gest, 1098) tat; denn ein Privatbesitz der Stiftsherren war ja
nicht ausgeschlossen, und eine freie Verfügung darüber konnte
niemand verbieten.
Noch zum Jahre 1138 wird von den Einkünften der Güter
in Harne eine gemeinsame Verteilung zwischen Propst und
Kanonikern erwähnt. Es haben aber die Kanoniker, wie aus¬
drücklich gesagt wird, einen gewissen Anteil an der Verwal¬
tung. Ohne ihre Zustimmung konnte der Propst keine Ver¬
fügungen treffen 4 . Wann die Trennung der propsteiliehen
Güter von dem gemeinsamen Vermögen angeordnet wurde und
damit auch eine getrennte Verwaltung einlrat, läßt sich nicht
mehr bestimmen. Meist wurde die Teilung an den Stiftern im
13. Jahrhundert üblich, ln Aachen jedoch ist sie schon früher
vorgenommen worden. Schon für das Jahr 1165 ist erwiesen,
daß der Propst eigene Güter hatte. Damals war die gedrückte
Lage der Kanoniker verschiedenen Inhabern dieser Würde An¬
laß gewesen, einige Güter der Propstei den Kanonikern zuzu¬
wenden. Dabei war der Fehler gemacht worden, daß mau nicht
die Zustimmung des Königs erbeten hatte, der ja als Lehnsherr
') Z. II. im Jahre 888 (Quix, Cod. dipl. Nr. 5. Lacomhlct I. S. 40
Nr. 75), 966 und 972 (MG. Dipl. I. 437 und 569).
*) Schilfe r a. a. 0. 170 ff.
s ) Kisky, Das frcihcrrliche Stift St. Gereon in Cöln: Aun. d. hist.
V. f. d. Niedcrrh. 82 , S. 18 .
4 ) Quix, Cod. dipl. Nr. 28 .
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 17
allein über Reiclisgüter verfügen konnte; doch wurde sie nach¬
träglich gegeben 1 .
Neben der Vermögensverwaltung hatte der Propst ursprüng¬
lich auch die Seelsorge innerhalb der Stiftsgeistlichkeit
auszuüben, die sich besonders auf die Beobachtung der Chrode-
gangschen Regel richtete. Noch im Jahre 966 wurde von dem
Propste verlangt, daß er ein gottesfiirchtiger Mann sei und die
Geistlichen nach den kanonischen Vorschriften zurechtzuweisen,
zu tadeln, anzufeuern verstehe, könne und Wolle. Die Forde¬
rung Ottos I., daß ein vom Papste und der Mönchsregel unab¬
hängiger Mann der Marienkirche vorstehe, wirft ein bezeich¬
nendes Licht auf die kirchlichen und politischen Verhältnisse
jener Zeit 2 .
Es scheint, daß der Propst auch die Aufgabe zu predigen
hatte, was ja bei seiner Verpflichtung, auf ein geordnetes kirch¬
liches Leben zu achten, nicht auffallend ist. Es findet sich auch
gegen Ende des 11. Jahrhunderts in Aachen ein Propst, der
durch Abfassung von Predigten eine nicht geringe Bedeutung
hat, Gottschalk (gest.. am 24. November 1098). Seine füuf er¬
haltenen Ansprachen sind allerdings in lateinischer Sprache ge¬
schrieben 3 . Aber es war ja eine ständige Klage, daß so wenig
in deutscher Sprache gepredigt wurde. Da die Marienverehrung
in Aachen in hoher Blüte stand, hat die Annahme, daß sein
Sermo de beata Maria im Münster gehalten wurde, etwas für
sich 4 . Auch ein anderer Umstand weist darauf hin, daß die
Sorge für die Predigt in innigster Beziehung zu den Inhabern
der Propstei stand. Als nämlich im Laufe der Zeit die Seel¬
sorgertätigkeit im Stifte auf den Dechanten überging, blieb
trotzdem für den Propst die Verpflichtung, einen Kleriker an¬
zustellen, der vor der „Logia“, d. h. vor dem großen Drachen¬
loch, dem Portal an der Nordseite der Marienkirche 6 , predigen
') Quix, Cod. dipl. Nr. 31. Vgl. Lacomblet I. 283 Nr. 411 und
Schmitz, Die Beziehungen Friedrich Barbarossas zu Aachen: ZdAGV
24, S. 19.
’) MG. Dipl. I. 429 f. — Kelle ter, Urkundenbuch des Stifts Kaisers¬
werth. S. LVI. Anm. 3. Bonn 1904.
-’) Blume und Dreves, Hymnologisehe Beiträge I. Band: Godescalcus
Lintburgcnsis. Leipzig 1897. Siehe unten S. 34.
4 ) Bellesheira, Propst Gottschalk von Aachen: ZdAGV 19, S. 223 ff.
4 ) Quix,Münsterkirche 96.— Fayraonvi Ile, Der Dom zu Aachen, S. 3-18.
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Heinrich Liehius
solle. Allerdings scheint diese Verpflichtung mit der Zeit
erloschen zu sein, da man im Jahre 1449 eine andere Regelung
vor nahm.
Wenn auch durch die sich allmählich entwickelnde Ver¬
fassung des Stiftes die geistlichen Pflichten dem Propste ge¬
nommen und zum größten Teile dem Dechanten übertragen
wurden, so blieb doch eine Menge von Verbindlichkeiten
gegenüber der Kirche übrig, die sich vornehmlich auf die
Instandhaltung des Münsters und die zu kirchlichen Feiern
gebrauchten Gegenstände erstreckten. Dies erklärt sich daraus,
daß der Propst die Stelle des Obereigentümers der Kirche, des
deutschen Königs, vertrat, weshalb er auch die Bezeichnung
Kustos der Kirche trug. Als solcher hatte er für die Instand¬
haltung des Fußbodens in der unteren Kirche und im Hoch¬
münster zu sorgen. Ferner unterstanden seiner Obhut die
Bücher, die Glocken und die Fenster im ganzen Münster.
Auch hatte er auf seine Kosten die Wachslichter zu beschaffen
und vom Osterwachs hundert Pfund zu stellen. Wurde diese
Menge durch das Opfer nicht erreicht, so mußte der Kustos
dieses zu der angegebenen Höhe ergänzen.
Das für das Stift und die Stadt so bedeutungsvolle, alle
sieben Jahre stattfindende vierzehntägige öffentliche Zeigen der
Heiligtümer der Marienkirche 1 zog für den Propst eine Menge
von Verpflichtungen gegenüber den Stiftsinsassen nach sich, die
wohl hauptsächlich als Entschädigung für die Mühen zu betrachten
sind, die die Heiligtumsfeier für die Stiftsherren mit sich brachte*.
In jedem Jahre der Heiligtumsfahrt verkündete der Propst nach
erfolgter Zusage des Kapitels auf seinen Namen allein die Re¬
liquienfeier. Er ließ in späterer Zeit dann eine gedruckte Ein¬
ladung innerhalb und außerhalb der Stadttore und in Burtscheid
anschlagen 3 . Zu den Verpflichtungen gehörte an erster Stelle
die Bestreitung des Unterhaltes für die Kanoniker und deren
Diener während jener vierzehn Tage. Um in dieser Hinsicht
jedem Zwiste vorzubeugen, einigte man sich auf die Sunnne von
') Über die Zeremonien siehe auch St.-A. Düsseid. Akten 11 /. fol.
31—36, 1755 Juli 5; 11 bb fol. 269 f., 1771 Juli 5; fol. 350 ff. 1773 Juli 5:
Ordinationen pro srpteminli ostensione hx. reliquiarum.
*) Meissei, Aachenfahrt, S. 115 — 132. — Kessel, Geschichtliche Mit¬
teilungen über die Heiligtümer der Stiftskirche zu Aachen, S. 177.
s ) Stadtarchiv Aachen, Koll. fol. 84.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 19
400 Gulden. Diese Leistung ließ sich das Kapitel von dem
Propst Wilhelm von Wied am 11. September 1376 und a:n 19.
November 1390 ausdrücklich zusichern 1 . Auch verlangte es
eine Kaution vom Propste oder dessen Stellvertreter, dem Vize¬
propste. Als besondere Vergütung erhielten die Kanoniker,
die auf dem Umgänge zwischen Turm und Dach des Münsters
die Heiligtümer der Menge zeigten und dort Messe lasen, vom
Propste in jedem Jahr der Heiligtumsfahrt fünf Albus, der
Verkündiger dazu noch 25 rheinische Gulden. Da nun die Re¬
liquien während der Zeit auf dem Turme unter Bewachung
zweier Kanoniker verblieben, mußte der Propst ferner einen
würdigen Aufbewahrungsort dort herrichten lassen. Auch hatte
er zum Läuten der großen Marienglocke bei diesen Feierlich¬
keiten zwei Glöckner, zum Schutze des Klosters gegen unehr¬
lich Volk zwei Wächter anzustellen. Die sicherlich reichen
Reste der von ihm zu besorgenden Lichter mußte er den
Dienern des Stifts überlassen. Auch hatte er bei jeder Heilig-
tumszeigung für neue Leinwand zu sorgen, in welche die Reli¬
quien gehüllt wurden. Die bisher benutzte wurde, da man ihr
wegen der nahen Berührung mit den Heiligtümern wunder-
kräftige Wirkung zuschrieb, zerschnitten und Teilnehmern an
der Aachenfahrt verkauft 2 . Der Erlös davon gehörte aber
nicht dem Propste, sondern den Kanonikern und Dienern des
Stifts 8 . So wurde z. B. am 19. Juli 1594 dein Rektor des
Kirchenvermögens vom Kapitel aufgetragen, zur Erneuerung
der zum Einwickeln der Heiligtümer benutzten, dann aber zer¬
schnittenen und ausgeteilten Tücher von mehreren Sorten Seide
je zwei Ellen zu kaufen. Da man nun im Unklaren darüber
war, wer die Kosten zu tragen habe, ließ man eine Unter¬
suchung anstellen, die ergab, daß der Propst diese Verpflich¬
tung nach altem Brauche habe. Da dieser sich aber weigerte,
') ZdAGV 32, S. 289 f. — Staatsarchiv Düsseldorf, Urk. Nr. 202.
a ) Eine Bitte des Stadtschreibers Adam iu Worms um ein solches Tuch
siehe ZdAGV 15, S. 334 Nr. 6.
8 ) Königl. Bibi. Berlin, Mss. boruss. in quarto Nr. 282 (Praepositi
ecclesiae B. M. V. Aquensis. Cod. dipl. 966—1821) enhält eine Liste der
Aachener Pröpste und einige Urkundenabschriften, worunter auch der Ver¬
trag von 1432 ist. Auf fol. 27 und 28: En ad quorum praeslationem tenetur
reverendissimus dominus praepositus in ostensione rehquiarum tempore pas-
sagii. Von Quix’ Hand. Das Original hierzn war nicht aufznfinrlen.
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wurde der Vizepropst für die Kosten verantwortlich gemacht’.
Ebenfalls verlangte das Kapitel im Jahre 1698 in einem Schrei¬
ben an den Propst, in dem es dessen Abgaben an das Stift auf¬
zählt, die Ausgaben für ein neues Leintuch, auf dem die großen
Reliquien gezeigt wurden 2 .
Diesen umfangreichen Abgaben gegenüber erfreute sich
der Propst auch einer entsprechenden Menge von Einkünften,
die ihm aus mannigfachen Gründen und bei vielen Gelegenheiten
zufielen. So beanspruchte er in Erinnerung an die alte Aufsichts¬
gewalt, die ihm im Jahre 966 übertragen worden war, für sich
die Abzüge der mit kirchlicher Suspension belegten Kanoniker
und auch die Strafabgaben, die durch verspätetes Lesen der
Messe verwirkt wurden. Bis zum Jahre 1482 pflegte der
Kustos für den Propst die Strafen für solche Vergehen selb¬
ständig einzuziehen. Da aber die Kanoniker sich hierbei wohl
über Eigenmächtigkeiten zu beklagen hatten, dann aber sicher¬
lich auch, weil das Kapitel eine uneingeschränkte Gerichtsbar¬
keit über seine Mitglieder beanspruchte, traf der Propst Gerhard
von Berg am 1. Mai jenes Jahres mit dem Kapitel das Über¬
einkommen, daß künftig die Pfändung nicht mehr ohne weiteres
eintreten dürfe, sondern daß der Kustos jene Priester vor das
Kapitel laden solle. Lag nach dessen Urteil ein Versäumnis
vor, so war eine Strafe von sechs kleinen Pfund Wachs an den
Propst fällig, der auch die während der Messe gespendeten
Opfer vollständig erhielt 8 .
Ferner scheinen dem Propste ursprünglich auch alle Opfer,
die der Marienkirche von den Gläubigen gespendet wurden,
zugefallen zu sein; hieraus bestritt er die Instandhaltung der
Kirche. Im Laufe der Zeit aber erhielt die Stiftsgeistlichkeit
immer mehr Anteil an diesen Gaben, die zum Teil den einzelnen
Kanonikern übergeben, zum Teil für die Klosterwohnungen und
Wirtschaftsgebäude, die sogenannte Kirchenfabrik, verwendet
wurden. Die erste Nachricht, daß auch die Kanoniker einen
Teil der Opfer beanspruchten, stammt aus dem Jahre 1310\
Anscheinend waren Meinungsverschiedenheiten über die Form
•) St.-A. Düsseldorf, Akten 11 d fol. 304.
*) Ebenda 11 r fol. H9, 1698 Juli 1.
‘) Ebenda, Up. und Hss. Nr. 4 fol. 134, 1432 Mai 1.
4 ) Als erste Nachricht über die Opferverteilung verlangt sie eine ge¬
wisse Beachtung, weshalb sie etwas ausführlicher dargestellt wurde.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen Dis zur franz. Zeit. 21
der Verteilung entstanden, wozu sich nun eine beschränkte An¬
zahl von Stiftsherren in einer Art von Weistum äußern sollten.
Als nun der Dechant Gottfried die Meinungen der einzelnen
erfragte, gal) der Kanoniker Garsilius von Sceitwilre 1 seine
Ansicht dahin kund, daß die am Marienaltar zelebrierenden
Priester, Diakone und Subdiakone alle die Opfer erhalten mußten,
die während der Messe vom Introitus ab bis vor dem Kanon
gespendet würden. Dieser Meinung traten der Diakon Gerhard
von Rodenhem und die Subdiakone Reinart genannt Dunkel*
und Goswin von Haaren 3 bei. Als Stellvertreter des Propstes
nahm Herbert von Hergenrath 4 an den Verhandlungen teil. Er
wollte sich mit der geäußerten Ansicht nicht einverstanden
erklären. Zum Schlüsse gaben der Dechant und der Subdiakon
Johannes von Lemburg 5 ihrer Überzeugung dahin Ausdruck,
daß die Meinung des Garsilius richtig sei mit der Einschrän¬
kung, daß Gold sowie goldene und silberne Bildwerke an die
Kircheufabrik fallen sollten 8 .
Ob eine von diesen Erklärungen als bindend betrachtet
wurde, ist nicht zu erkennen. Jedenfalls scheint man sich in
der Folgezeit noch öfter darüber gestritten zu haben, da man
im Jahre 1432 wiederum diese Frage aufrollte. Der damals
geschlossene Vertrag bestimmte, daß an allen Altären die bis
zur Opferung gespendeten Gaben den Priestern und den dienenden
Diakonen und Subdiakonen gehören, alles Gold, das ungemünzte
Silber, Edelsteine, Perlen, Pferde, Harnische, Waffen und Klei¬
dungsstücke aber der Kircheufabrik zufallen sollten. Seidene
und wollene Tücher, Kasein, Alben und andere „Ornamente“
erhielt die Sakristei (Gerkammer), der Propst nur die geopferte
Leinwand. Noch waren drei Opferstöcke auf der Immunität
angebracht, von denen der eine im Ilochmünster vor dem Kreuz¬
altar, der andere vor dem Parvisch bei der Katharinenkapelle,
der dritte auf dem Kirchhofe am großen Drachenloch stand.
Zu jedem hatte das Kapitel und der Propst je einen Schlüssel.
') Qu ix, Necrol. 52 gibt den 14. September als Todestag an; Lib.
eens. 74. — 2 ) Ebenda S. 68, Todestag 4. Dezember; Lib. ceus. 74.
3 ) Im Necrol. ist zweimal ein Goswin v. H. angeführt, S. 43 zum
26. Juli und S. 48 zum 25. Aug. 1314.
4 ) Qu ix a. a. 0. erwähnt Kommemorationen Hergenrats S. 6, 18, 31,
37, 42, 44, 48, 53, 59, 62, 70. — 8 ) Lib. eens. 74.
«) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 136, 1310 August 30.
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22
Heinrich Lichius
Das bei der Öffnung Vorgefundene Silbergeld floß zur Hälfte
dem Propste zu; die andere Hälfte, alles Gold und Kleinode
irgendwelcher Art gehörten der Kirchenfabrik *. In mehreren
Statutenhandschriften ist noch die Bestimmung überliefert, daß
die Kanoniker die Hälfte der an folgenden Tagen einlaufenden
Opfer erhielten: am Tage der großen Kirchweih (17. Juli), an
der Vigil und am Feste Mariä Heimsuchung (1. und 2. Juli)
und Verkündigung (25. März).
Die Beziehungen zwischen Propst und Stift waren nicht
immer ungetrübt; dafür boten die verschiedenen Verpflichtungen
und Rechte zu viel Gelegenheit zu Streitigkeiten. Wenn man
auch im Jahre 1432 alle Streitpunkte beseitigt zu haben glaubte,
so sah sich das Kapitel in der Folgezeit doch manchmal ge¬
zwungen, nachdrücklich darauf zu sehen, daß die Inhaber der
Propstwürde ihren Verpflichtungen auch nachkamen.
Die außerordentlich große Armut des Stiftes zu Beginn
des 16. Jahrhunderts mag wohl besonders Anlaß dazu geboten
haben, die Abgaben des Propstes gegenüber dem Kapitel noch
einmal genau zu umgrenzen. Zu einem festen Vertrage kam
es am 3. Dezember 1524. Die Verhandlungen wurden einerseits
durch Dechant Schoenrad und Kapitel, anderseits durch Ritter
von Astenstein und den Sekretär Adam Gutmann als Vertreter
des Propstes Heinrich, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog zu
Bayern, gepflogen und betrafen die Vergütung des Propstes an
die Kanoniker bei der verflossenen und folgenden Heiligtums¬
fahrt (je 400 Gulden), die Osterkerze und die übrigen Lichter.
Der Propst hatte aber seit vielen Jahren aus den propst ei liehen
Gütern keine Einkünfte mehr bezogen und war daher auch
seinen Verpflichtungen nicht mehr nachgekommen. Der Vertrag
bestimmte nun, daß in Zukunft alles wieder genau nach dem
Vertrage des Jahres 1432 gehalten werden müsse. Besonders
wurde noch betont, daß die Lichter im Münster an folgenden'
Tagen auf Kosten des Propstes brennen sollten: Weihnachten,
Johannes Baptist, Peter und Paul, Mariä Heimsuchung, Ein¬
weihung des Münsters, Translation Kaiser Karls (27. Juli),
Mariä Himmelfahrt und Geburt, Neujahr, Erscheinung, Karl der
Große (28. Januar), Mariä Reinigung und Verkündigung, Auf-
') Anlage I. — Vgl. Huyskens, Aufenthalt des Landgrafen Ludwig I.
von Hessen in Aachen und Burtscheid 1481: ZdAGV 83, S. 285.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 23
erstehung und Himmelfahrt des Herrn, Pfingsten, Fronleichnam
und Trinitatis. Ebenfalls mußte er fiir ein ständiges Licht in
der Kirche und Sakristei sorgen. Zum Umguß der gesprungenen
großen Marienglocke, deren Erhaltung nur dem Propste oblag,
trug das Kapitel aus freien Stücken 3000 Pfund Kupfer bei,
die einen Wert von 135 Dukaten hatten. In die Kosten des
Gusses teilten sich beide Teile 1 .
Zu einer eingehenden, aber kleinlichen Auseinandersetzung
zwischen Propst und Kapitel kam es erst wieder im Jahre 1711,
als man sich besonders Uber die Instandhaltung des Pflasters
der Kirche, der Bücher und die Schließung der Immunität
einigte z .
Dem Propste standen innerhalb des Stifts wichtige Rechte
zu. Er wählte aus der Mitte der Kanoniker seinen Stellvertreter,
den Vizepropst, und einen Kustos 8 , dessen Amt sehr oft mit dem
des Vizepropstes vereinigt war, ferner zwei Matrikulare oder
Kanzellisten, einen Rutenträger, einen Glöckner, mit Zustimmung
des Rektors der Kirchenfabrik einen Wächter für den Opfer¬
stock im Hochmünster, einen Geistlichen, der vor dem großen
Drachenloch predigte, endlich die Kapläne der Michaeliskapelle
im Münster und der Kapelle in der Propsteiwohnung. Ursprüng¬
lich hatte er auch das Präsentationsrecht zum Scholasteramte
gehabt; doch befand sich dieses seit der Mitte des 17. Jahr¬
hunderts im Besitze des Herzogs von Jülich 4 .
Der Propst übte auf der Immunität die Kriminalgerichts¬
barkeit aus. Bis zum Jahre 1356 soll als Zeichen dafür auf
der Immunität ein hohe Säule gestanden haben. Auch befand
sich dort seit alter Zeit ein Kerker, dessen Wiederherstellung
durch den Vizepropst Öfters vom Kapitel gefordert wurde, wie
die Protokolle verschiedentlich berichten. Aus einer Handschrift
') Kgl- Bibi. Berlin, Mss. boniss. in quarto Nr. 239 (Pracpositi), 2 lose
Blätter fol. 35 und 36. Abschrift von Qu ix. — 2 ) Stiftsarchiv I. 1 B Nr. 1.
3 ) Ara 25. Juli 1512 wurde die Küsterei mit dem Kapitel verbunden.
St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 355.
4 ) St.-A. Düsseldorf, Lehnsprotokolle des Stifts 1394—1514, Akt. 4 a
1 fol. 1: Subscriptae sunt coHationes , qnas habet dominus reverendissimus
rutione praepositurae tarn beneficiorum quam officiorum. Unvollständige Ab¬
schrift hiervon im Stifts-Archiv Aachen I. 1 B Nr. II und I. 5 Vizepropst
Nr. 8.
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24
Heinrich Lichius
des 17. Jahrhunderts 1 geht hervor, daß der Propst die Kriminal-
und Zivilgerichtsbarkeit über fremde Geistliche und Laien be¬
anspruchte, die sich auf der Immunität ein .Vergehen hatten
zuschulden kommen lassen. Ja er durfte hiernach sogar die
Todesstrafe verhängen 2 .
Diese umfangreiche Befugnis erregte natürlich den Wider¬
spruch der Stadt. Wohl würde die oben angeführte Urkunde
allenfalls einem Streite vorgebeugt haben; doch da das Kapitel
kein Original besaß, glaubte die städtische Behörde die Echtheit
dieses Schreibens bestreiten zu sollen 3 . Einen gewissen Um¬
fang der propsteilichen Gerichtsbarkeit muß aber auch der als
städtischer Beamter nicht ganz objektiv urteilende Meyer zu¬
geben, da als Beweis dafür auf dem Klosterplatz ein steinernes
Türmchen stand, an dem mit Ketten eiserne Hals- und Hand¬
krausen befestigt waren. Als Richtstätte betrachtete man den
vor dem Jakobstor gelegenen Philosophienberg, wo der Meier
von Lontzen mit seinen Schützen die Exekution ausführte 4 . Der
Propst übte aber die Gerichtsbarkeit auf der Immunität schon
lange vor dem Jahre 1722 nicht mehr aus. Ja man erinnerte
sich ihrer erst wieder, als man in jenem Jahre in einer Statuten¬
handschrift, die in Händen des Kanonikers Moers sich befand,
in dem Abschnitt De officio dotnini praepositi eine Bemerkung
darüber fand, daß der Propst die Gerichtsbarkeit über alle
Fremde und Übeltäter in der Kirche, in dem Umgang und auf
*) Stiftsarchiv VI. I. Immunität Nr. 1. Angeblich Abschrift einer Ur¬
kunde Kaiser Friedrichs III., wodurch die Klostergasse bis „zo der Geiß“
als Teil der Immunität erklärt wird. Ein Begleitschreiben erwähnt den
Propst Hermann, Landgraf von Hessen, der 1480—1608 Erzbischof von Cöln
war. Papierhandschr. des 17. Jahrhunderts, stellenweise verletzt, später
wiederhergestellt, vernichtete Wörter ergänzt; ein Datum ist nicht angegeben.
*) ... et insuper in ipsa pluteu praepositus ipsius ecclesiae pro tempore
existens per se et quos ad ül pro tempore constituendos duxit officiales
suos plenam et liberum in civil ibus et critninalibus jurisdictionem merumque
et mixtum Imperium tarn in clericos quam in laicos exercere, excessus et
delicta quorumlibet, etiam laicorum, quae in ipm platea pro tempore committi
contigerit, corrigere atque punire. ac delinquentes ipsos detinere et carceribus
mancipare, et pro modo et qualitate delicti multare et poenam infligere et, ubi
id commissi sceleris vel enonnitas vel magnitudo exegerit, etiam Capitali
supplicio damnare et afficere consuevit. — 8 ) Stadtarchiv, Koll. fol. 83.
4 ) Ebenda fol. 83 und 27—31 § 8—14 einige Ausführungen über die
Gerichtsbarkeit des Propstes, im Sinne der Stadt.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 25
der ganzen Immunität ausübe, außer über die Untergebenen
des Kapitels, die nur von diesem eingekerkert und bestraft
werden dürften. Da die Frage jüngst wieder wegen eines
Vorfalles auf dem kleinen Kirchhofe brennend geworden war,
wurde der Vizepropst de Charneux beauftragt, alle Akten
hierüber aus dem propsteilichen Archiv herauszusuchen und dem
Kapitel Bericht zu erstatten 1 . — Ob aber jemals der Propst
eine so umfangreiche, fast landesherrliche Macht wirklich ge¬
habt hatte, darf man füglich bezweifeln. Schon 1602 wurden
seine Befugnisse mit der Einschränkung angegeben, daß er
Übeltäter auf der Immunität zwar einkerkern durfte, sie dann
aber dem geistlichen oder weltlichen Gericht übergeben mußte*.
Nach der völligen Ausbildung der Verfassung des Marien¬
stifts war die Propstei eine Sinekure, weil sie mit keiner Seel¬
sorge verbunden war. Das ist das Ergebnis der Entwicklung
bei fast allen Kollegiatkapiteln gewesen. Durch die Vermögens¬
verwaltung wurde der Propst fast ganz dem inneren geistlichen
Leben der Kanoniker entzogen. Damit wurden aber auch eine
Menge anderer Pflichten, z. B. Residenz, Chorgebet und Priester¬
weihe, überflüssig. Jetzt stand auch nichts mehr im Wege,
daß weltliche Großen die Propstwürde bekleideten; ja sie
konnten wegen des Schutzes, den sie dem Stifte zu leisten in
der Lage waren, nur gewünscht werden 3 .
Wollte der Propst aber eine Ehe eingehen, was z. B. bei
drohendem Aussterben seines Geschlechtes nötig erschien, so
zog dies den Verlust der Würde nach sich. Dieser Fall trat
z. B. bei Propst Philipp von Schwaben, dem späteren König,
und bei Graf Gerhard von Sayn, Propst von 1435 — 1454, ein.
Da der Propst kein geistliches Amt bekleidete, so war Gro߬
jährigkeit nicht unbedingt erforderlich. Vorgeschrieben waren
lediglich für ihn die Jahre der Unterscheidung. Als an Stelle
des Propstes Gerhard von Sayn der Herzog Gerhard von Jiilich-
Berg einen der beiden minderjährigen Söhne Friedrich und
Johann des Grafen Gumpreeht von Neuenahr in Aachen ein-
') St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 v. S. 247 f.: 1722 Fohr. 20.
*) Pauls, Entscheidung des gcistl. Gerichts (Kapitels) des Aachener
Marienstifts in Sachen einer Schuldforderung gegen einen Geistlichen des
Stifts, 1543 Oktober 19: ZdAGV 28, S. 458 ff.
8 ) Hiuschius, Das Kircheurecht der Katholiken und Protestanten in
Deutschland, II 88 ff.
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26
Heinrich Liehius
setzen wollte, erbat er vom Papste Nikolaus Y T . Dispens wegen
der Minderjährigkeit 1 . Ein ähnlicher Fall trat nach dem Tode
des Propstes Philipp Friedrich Ambrosius von Schellardt ein.
Da dessen präsentierter Nachfolger Franz Joseph Graf von
Manderscheid-Blankenheim erst neun Jahre alt war, erhoben
sich im Kapitel Bedenken. Nachdem nun Papst Innocenz XIU.
im Jahre 1721 wegen der Minderjährigkeit Dispens erteilt hatte 2 ,
beschloß das Kapitel, daß der Kanoniker Johann Jakob de
Charneux für ihn den Eid leisten solle 8 . Ebensowenig wie ein
kirchlicher Weihegrad war für den zu Ernennenden der Besitz
eines Kanonikats erforderlich 4 .
Der Propst hatte im Chor an der rechten Seite den Ehren¬
platz; eine Teilnahme an den Kapitelssitzungen war ihm aber
versagt, außer wenn er schon vor seiner Ernennung ein Kano-
nikat besaß.
Nachdem der ursprünglich gemeinsame Güterbesitz zwischen
Propst und Kapitel geteilt worden war, fand auch eine ge¬
trennte Verwaltung statt, wobei der Propst seine Güter der
Obhut des Vizepropstes übertrug. Die hauptsächlichsten Ein¬
künfte aus dem propsteiliehen Besitz waren im 16. Jahrhundert:
in Erkelenz 60 Malter Frucht (Weizen und Roggen), in Langen-
dorf 18 Malter Weizen und ebensoviel Roggen, in Sinzig,
Westum und Cunsdorf ein Drittel des Frucht- und Weinzehnten,
im „Reich von Aachen“ verschiedene Zehnten, die 100 Aachener
Taler einbrachten, ferner noch ein kleiner Zehnte von drei
Miidden Weizen und vier Müdden Roggen 5 . Dazu kamen die Opfer
im Münster. Diese waren sehr beträchtlich. Nach einer alten
Überlieferung des Stifts soll man einmal in den Opferstöcken
die ungeheure Summe von 80000 Rheinischen Gulden gefunden
haben 6 . Als Kollator tritt der Propst zeitweilig auf bei den
') ZdAGV 19, S. 56 f. Nr. 35 und 36. — 3 ) Stiftsarchiv VII. 1 Nr. 11.
3 ) St.-A. Düsseldorf, Akten 11 v. S. 197, 201—221.
*) Die Behauptung, daß dies doch nötig gewesen sei, die Quix Geseh.
der Stadt Aachen im 1. Teil S. 126 aufstellte, hat er selbst im 2. Teile
S. 12 berichtigt.
s ) Stiftsarchiv I. 1 A Nr. 18. Papierhandschr. des 16. Jahrhunderts.
°) Ebenda I. 1 B Nr. 1. 1711. Beisscl, Aachenfahrt, S. 131. — Selbst
wenn man bedenkt, daß die drei Opferstöcke immer erst nach einem Zeit¬
raum von sieben Jahren geöffnet wurden, wird man einige Zweifel an der
Wahrheit jener Nachricht nicht unterdrücken können.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 27
Pfarrstellen in Walhorn, Lontzen, Mesch. Ch6n6e, Wylre,
Laurensberg, Winnigen, Reng, Hermall, Eigelshof, Kesselheim
und Erkelenz. Die Zehnten aus diesen Pfarreien flössen vielfach
ganz oder zum Teil dem Kapitel zu.
Die Schullheiße wurden durch den Propst ernannt in Er¬
kelenz, Sinzig, Westum und Consdorf.
Mit der Aachener Propstei war eine Lehnkammer, auch
Mannkammer genannt, verbunden. Man darf ihren Ursprung
wohl auf Kaiser Heinrich IV. zurückführen. Dieser schenkte
im Jahre 1076 dem Marienstifte die Vogteien über Walhorn,
Lontzen und Manderfeld. Der Propst Konrad und seine Nach¬
folger sollten unter Beirat des Kapitels diese Vogteien nach
Gutdünken vergeben. Diese Schenkung wurde 1098 erneuert,
für Walhorn 1112 durch Heinrich V., 1188 durch Konrad II. 1
Weiterhin finden wir eine Besetzung des Schultheißenamtes von
Traben und Kesselheim im Besitze des Marienstiftes. Diese
gemeinsame Verleihung durch Propst und Kapitel führte aber
zu Streitigkeiten. Sie wurden im Jahre 1174 dahin geschlichtet,
daß dort künftig das Kapitel allein das Besetzungsrecht erhielt.
Die Weinpacht, die der Propst vom Schultheißen bezogen hatte,
wurde von da ab durch das Kapitel entrichtet, während der
Schutz der Güter dem Propste blieb. Ein Zuwiderhandeln des
Propstes gegen diese und noch andere Bestimmungen sollte den
Verlust der Würde nach sich ziehen*.
In der Folge entwickelte sich die Lehn- oder Mannkammer
in Aachen. Ihre Gerichtsbarkeit reichte weit ins Limburgisehe
hinein. So erwirkte der Propst Heinrich von Vlatten am
9. Dezember 1586 von König Philipp II. von Spanien einen
Befehl an alle Untertanen in Walhorn, Lontzen, Gttlpen und
Mergarten, alle Abgaben der Lehngüter an die propsteiliehe
Kammer in Aachen zu entrichten 3 . Den Vorsitz führte der Vize¬
propst; Beisitzer waren zwei Lehnmänner und ein Schreiber 4 .
Bei Urteilssprüchen waren sieben Beisitzer vorhanden. Solche
Lehnsgerichte, die jeder Herr, der mehrere Mannen hatte, ab¬
halten konnte, waren nur zuständig bei Streitigkeiten zwischen
') Quix, Cod. dipl. Nr. 47, 25, 26. 28.— Lacomblet I 146, Nr. 227;
164 f., Nr. 254; 177, Nr. 273; 217, Nr. 327.
*) Quix Nr. 32. — Lacomblet I 317 Nr. 451.
*) Stadtarchiv, Koll. fol. 26 § 6.
4 ) Quix, Münsterkirche, S. 64 Anm.
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28
Heinrich Lichius
Herrn und Mann und zwischen den Mannen untereinander.
Auch fanden hier die Belehnungen statt 1 . Die Berufungen
wurden ursprünglich an den Schöffenstuhl zu Aachen gerichtet.
Nach 1732 konnten die innerhalb des Reiches liegenden Güter
an das Herzoglich Jülich-Bergische Gericht in Düsseldorf, die
übrigen an den Lehnhof in Brüssel Berufung einlegen. Das
propsteiliche Lehen teilte nicht die Entwicklung der andern
fünf Aachener Lehen, deren Oberlehnshoheit vonseiten Jülichs
seit 1765 zwar angestrebt wurde, die aber bei der Stadt ver¬
blieb 2 . Meyer berichtet über einige Streitigkeiten wegen der
Lehnkammer in Lontzen (1772—74), als Propst Joseph Graf
von Manderscheid in Lontzen eine neue Lehnkammer mit eigener
Gerichtsbarkeit über die Güter in Limburg einrichten wollte;
doch blieb es bei dem Versuche 3 .
Wie die Einsetzung des Abtes vor sich ging, läßt sich
für die ältere Zeit nicht bestimmen. Er wird, wie es fast all¬
gemein üblich gewesen zu sein scheint, vom deutschen Könige er¬
nannt worden sein, was bei dem innigen Zusammenhänge des
Stifts mit der königlichen Kapelle nicht auffallend erscheint.
Wohl ist vom Stifte Beromünster die Wahl des Propstes bezeugt;
doch werden auch die Vorsteher des Maastrichter und Goslarer
Stifts vom Könige ernannt 4 . Das Aachener Stift nahm zu
Zeiten eine Mittelstellung ein, wie aus der Urkunde Ottos I.
vom Jahre 966 hervorgeht 6 . Sie bestätigte den Kanonikern
das Recht, aus ihrer Mitte einen Stiftsherrn zum Abte zu
wählen; wenn aber unter den Kanonikern sich kein geeigneter
Mann finden ließ, dann beanspruchte der König das Recht,
einen gottesfürchtigen Mann als Vorsteher des Stifts zu ernennen.
Das Wahlrecht wurde, wenn auch nicht in so ausgeprägter
Form, von demselben Kaiser im Jahre 972 bestätigt. In der
Urkunde, durch welche die Abtei Chövreinont mit dem Stifte
') Schröder, Recht sgeschichte 4 , S. 595 f.
4 ) von Kempen, Streit wegen der Vogtineierei, S. 149 ft'.
3 ) Stadtarchiv, Kol 1. fol. 26 f. — Die Akten der propsteiliehen Mann-
kanimer sind im Staatsarchiv Düsseldorf.
4 ) Ficker, Reichsfürstenstand, S. 865.
•') Lacomblet I. 63. — MG. Dipl. 1. 429 f. — Der bei Lacomblet
sich findende Druckfehler, der das Jahr 996 angibt* ist hier und da über¬
nommen worden, /,. B. Schäfer, Pfarrkirche und Stift, S. 125 Anm. 4, S. 128
Aum. 6; Liiders, Capelia, S. 75 Anm. 1.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 29
vereinigt wurde, heißt es darüber: „Wir bekräftigen, daß der
jenem Orte vorstehende Abt aus der königlichen oder kaiser¬
lichen Kapelle gewählt wird.“
Ob die Wahl jemals v^n den Stiftsherren ausgeübt wurde,
läßt sich wohl kaum feststellen. Jedenfalls erscheint in der
Folgezeit der deutsche König als Kollator der Aachener Prop¬
stei 1 . So hatte z. B. Friedrich II. die Verleihung dieser Würde
dem Papste Innocenz III. übertragen. Dessen Nachfolger,
Honorius III., stellte sie ihm am 1. Februar 1218 wieder an¬
heim mit der Bitte, sie dem Subdiakon und apostolischen Kaplan
von Alatri zu geben 2 . Als Zeichen besonderer Gunst oder
infolge eines Vertrages wurde auch zuweilen für einzelne Fälle
das Recht der Verleihung der Propstei an irgend einen be¬
deutenden Würdenträger vergeben. So war unter den Vor¬
rechten, die Erzbischof Heinrich II. von Cöln mit Herzog
Leopold von Österreich am 9. Mai 1314 festsetzte, wenn er
Friedrich, den Bruder Leopolds, zum Könige wählen und krönen
werde, auch die Vergebung der Aachener Propstei auf Lebens¬
zeit aufgezählt 3 . Im Jahre 1348 aber verpfändete Kaiser
Karl IV. das Recht der Besetzung verschiedener Benefizien,
Prälaturen und Schuhheißenämter für die Gesamtsumme von
223900 Gulden dem Markgrafen Wilhelm von Jülich. Unter
den Prälaturen sind besonders aufgeführt die Propsteien zu
Aachen, Kerpen und Kaiserswerth 4 . Die Jiilicher Herzoge
blieben Kollatoren der Propstei, bis sie mit dem Tode Wilhelms
') Ein Wahlrecht der Kanoniker nimmt E. Teichmann noch für das
Jahr 1223 au (Aachen in Philipp Mouskets Reimchrouik: ZdAGV 26, S. 22 f.).
Damals war nämlich zwischen Propst Otto von Eberstein und dem Kapitel
über den Bezug der Einkünfte eines suspendierten Kanonikers ein Streit
ausgebrochen. Der Propst verlangte sie in jedem Falle für 40 Tage; das
Kapitel gestand sie ihm aber nur zu bei der Suspension des Kanonikers in
einer Kriminalsache. Otto nahm den Standpunkt des Kapitals an, verlangte
aber dafür, daß alle seine Nachfolger, quos de fratrum electione in eadem
ecclesia praebendam habere contigerit, diese Pfründe auch nach Erlangung
der Propstwürde weiter beziehen dürften, was bisher keineswegs ge¬
schehen war.
’) Annalen des hist. Vereins f. d. Niederrhein, Heft 9/10 S. 251.
®) Lacomblet III. 97 f. Nr. 131.
4 ) Ebenda III. 364 f. Nr. 454 und 482 f. Nr. 575.
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Heinrich Lichius
1 «09 ausstarben *. Das Erbe wurde, wie bekannt, von Kur¬
brandenburg und Pfalz-Neuburg beansprucht.
In den kurz nachher folgenden Wirren kam eine endgültige
Verständigung noch nicht zustande. Nun hatte Lothar, Erz¬
bischof und Kurfürst zu Trier, die beiden Erben Wolfgang
Wilhelm, Pfalzgraf bei Rhein, und den Markgrafen Johann
Sigismund von Brandenburg gebeten, die Aachener Propstei
wenn sie durch Absterben, Resignation, Privation, Koadjutoria
des Propstes Johann von Vlatten frei wei den sollte, dem Frei¬
herrn Karl von Metternich, Domherrn zu 'Frier, zu übertragen.
Die beiden Erben, die bis zu gütlichem oder rechtlichem Ent¬
scheid in der Erbschaftsfrage sich in dem gemeinsamen Besitz
der Verwaltung befanden, willfahrten dieser Bitte, Johann Sigis¬
mund am 12. März 1613 von Kölln an der Spree und Wolf¬
gang Wilhelm am 29. September desselben Jahres von Regens¬
burg aus*.
Zu einem festen Vertrage kam es jedoch erst 1631. In
einem Briefe vom 14. Mai dieses Jahres teilten sie aus Diissel-
dorf dem Aachener Kapitel mit, daß nach dem abgeschlossenen
Vertrage die geistlichen Prälaturen, Präbenden, Benefizien und
Vikarien in Kollegien und Stiftern von ihnen abwechselnd verliehen
werden sollten und zwar so, daß in allen ungeraden Monaten dieses
Recht Kurbrandenburg und in den geraden Pfalz-Neuburg aus¬
üben solle. Wenn aber das ausgestorbene Jülicher Haus nur
sechs Monate das Besetzungsrecht gehabt habe, dann solle Georg
Wilhelm es für Januar, Mai und September, Wolfgang Wilhelm
für März, Juli und November erhalten 3 . In Aachen kamen
hierbei besonders in Betracht die Propstei, die Scholasterei und
die königliche Vikarie. Dieses Abkommen blieb bis zum Ende
des Stifts in Wirksamkeit.
Die Einführung eines neuen Propstes geschah folgender¬
maßen. Nachdem der Propst die Beglaubigungsurkunde des
') Ebenda III. 482 f. Nr. 575. — Hangen, Geschichte Aachens,
I. 248, 258, 294. — Auch die Jülicher Herzöge erlaubten aus besonderer
Gunst zuweilen einem anderen, die Aachener Propstei zu verleihen z. B. im
Jahre 1429: ZdAGV 19, 2. Teil, S. 47 Nr. 21.
’■*) Stiftsarchiv I. 1. A Nr. 25, 26.
8 ) Abschrift des Briefes in den Kapitelsprotokollen: Staatsarchiv Düssel¬
dorf Akt. 11 i fol. 3 f. Kapitelssitzung vom 28. Mai 1631. — Stadtarchiv
Koll. fol. 26 § 4.
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Die Verfassung iles Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 31
Patrons dem Kapitel vorgelegt hatte, kam er an einem fest¬
gesetzten Tage in das Kapitel, das sich im Sakrarium ver¬
sammelt hatte. Dort leistete er kniend dem Dechanten, der
auf einem Sessel Platz genommen hatte, den Eid. Dann wurde
er zum Marienaltar, wo er nach kurzem Gebete einen Gold¬
gulden opferte, und von dort zu seinem Platze im Chorgestühl
geführt. Unterdes ertönte unter dem Klang der großen Glocke
und der Orgel der Ambrosianische Lobgesang. Dann wurde
der Propst inmitten des Dechanten und des Seniors zur Tür
des Münsters geleitet. Hier reichte der Kanzlist dem Dechanten
die Schlüssel der Kirche. Der gab sie dem Propste, der sie
wieder dem Kanzlisten zureichte. Dieser ötfnete die Tür.
Darauf schritt man zur Propstei, wo ebenfalls die Schlüssel¬
überreichung stattfand L
Da die Marienkirche auf Reichsgut erbaut war, so entsprach
ihre Stellung zum Reiche den allgemeinen Rechten und Pflichten
der Eigenkirchen. Über diese war der König Lehnsherr und
hatte daher auch die Investitur 2 . Das Marienstift stand also
unmittelbar unter dem Reiche, was noch im Jahre 1435 durch
Kaiser Sigismund ausdrücklich betont wurde 3 . Dieser Umstand
wirkte mit der Eigenschaft der Marienkirche als königlicher
Kapelle auch auf die Stellung des Propstes in soweit ein,
als sie ihn in den Stand der Reichsfürsten erhob. Der Reichs¬
fürstenstand umfaßte von Weltlichen alle bis hinab zu den
Grafen, von Geistlichen die Bischöfe und die Vorsteher der
Reichsklöster. Zwar gehörten die Pröpste von Kollegiatkirehen
im allgemeinen nie zu den Reichsfürsten, jedoch nahm der
Aachener Propst diese Ausnahmestellung ein 4 . Dies ist wohl
auf den ursprünglichen Charakter der Marienkirche zurückzu¬
führen. öfters ist er unter den Fürsten aufgezählt, zuweilen
auch da, wo sich nur Reichsfürsten finden 6 . Nachdem nun die
geistlichen Reichsfürsten zum Teil in den Reichslehnsverband
aufgenommen worden waren und die Investitur mit den Rega¬
lien zu vollem Lehnrecht vom Reiche empfingen, schieden viele,
*) Kgl. Bibi. Berlin, Quixscker Nachlaß: Mss. boruss. in folio Nr. 822,
fol. 125 f.
*) Wcrminghoff, Geschichte der Kirchenverfassung Deutschlands im
Mittelalter, I S. 179 lf. — 3 ) Haagen a. a. 0. II, S. 42 f.
*) Schröder, Rechtsgeschichte S. 504.
6 ) Ficker, Reichsfürstenstand S. 70.
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92
Heinrich Lichius
die nicht unter Lehnrecht standen und die Investitur ohne
Mannschaft erhielten, aus der Reihe der Reichsfürsten aus.
Ein ähnlicher Wandel vollzog sich hei den Weltlichen. So
kam es denn besonders während der Regierungszeit Fried¬
richs I., daß der Begriff Reichsfürst immer enger gefaßt wurde,
wodurch eine ganze Reihe aus dem Stande ausgeschlossen
wurde. Diese Bewegung war gegen 1180 vollendet 1 . Auch
die Stellung des Aachener Propstes wurde so gemindert, daß
er nicht mehr zu den Reichsfürsten zählte. Wann diese Aus¬
scheidung vor sich ging, dafür läßt sich kein genauer Zeitpunkt
feststellen 2 .
Auch noch in anderer Richtung verdient die Aachener
Propstwüirde eine Beachtung, nämlich durch die Beziehungen
zur königlichen Kapelle und Reichskanzlei. Eines der
einflußreichsten und angesehensten Ämter des fränkischen Hofes
bekleidete der Vorsteher der königlichen Kapelle, der erste,
oberste oder Erzkapellan, dessen Bedeutung und Ansehen sich
noch naturgemäß steigern mußte, nachdem durch Karl den
Großen die königliche Kapelle einen festen Sitz in Aachen er¬
halten hatte. Er bildete gleichsam im Frankenreiche die
oberste geistliche Behörde für die Mitglieder der königlichen
Kapelle 3 .
Die Tätigkeit der capellavi war wohl nicht auf den Gottes¬
dienst beschränkt, sondern erstreckte sich auch auf den Dienst
in der Kanzlei. Früher nahm man an, in der Kanzlei seien
besondere Beamte angestellt gewesen 4 ; doch ist es wahrschein¬
licher, daß diese Dienste von den Kaplänen verrichtet wurden 5 .
Daher lag die Aufsicht auch hier bei dem obersten Kaplan, der
durch einen besonderen Kanzlei Vorsteher unterstützt wurde fi .
Der Leiter der Kanzlei führte den Titel Erzkanzler. Das
Amt des Erzkapellans war seit dem Jahre 870 zuweilen und
seit 953 dauernd mit dem erzbischöflichen Stuhle von Mainz
') Schröder, a. a. 0. — *) Ficker, a. a. 0., S. 366.
3 ) Liidors, Capella S. 34 -38. — B ruß lau, ürkundenlehre * S. 406 f.
4 ) Die Ansicht geht auf Sickel zurück. Vgl. Böhme r-Mühlbachor,
Regesten der Karolinger. Eiul. XCIX. Innsbruck 1908. — Breßlau, Ur¬
kundenlehre '. S. 296 f.
5 ) Tangl, Das Testament Fulrads von Saint-Denis: Neues Archiv XXII,
8. 184 f. — Luders, S. 38 ff. — Breßlau», S. 407 ff.
Luders, S. 36 ff. — Breßlau, S. 408 ff.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 33
vereinigt 1 . Da dieser Umstand eine Trennung zwischen dem
obersten Vorsteher der Kanzlei und dieser selbst herbeiführte,
bekam das Erzkanzleramt den Charakter eines Ehrenamtes*,
während die Geschäfte mit einigen Unterbrechungen durch den
Kanzler weitergeführt wurden.
Ungefähr bis zum Jahre 1044 trug der Inhaber des Mainzer
Stuhles die Titel des Erzkanzlers und Erzkaplans. Seit der
Zeit aber blieb dem Mainzer Erzbischof nur das Erzkanzler¬
amt, während das Erzkapellanat an Theoderich, den Kanzler
Heinrichs III., übertragen wurde. Somit wurde der Erzkaplan
oder, wie es seit Heinrich III. heißt, der Kapellar oder Kapel-
lanar wieder besonderer Hofbeamter, der auch sehr oft zu gleicher
Zeit das Amt eines Kanzlers ausübte 3 .
Diese beiden Ämter und Titel finden sich häufig mit der
Aachener Propstei vereinigt, was ja, da die Geistlichkeit an
der Aachener Marienkirche die königliche Kapelle darstellte,
ganz natürlich erscheint. Leider geben die Quellen bis in die
erste Hälfte des 11. Jahrhunderts gar keinen Aufschluß über
die Beziehungen des Kanzleipersonals zu der Aachener Marien¬
kirche. Erst von dieser Zeit ab mehren sich die Nachrichten.
Eine kurze Zusammenstellung von Aachener Pröpsten unter
besonderer Berücksichtigung ihrer Tätigkeit als Hofkapläne und
in der Kanzlei dürfte daher wohl angebracht sein 4 .
Über den zum Jahre 887 erwähnten Abt Folcharius 3 , den
966 ausdrücklich als Propst bezeichneten Brun 6 und den um
1000 anzunehmenden Propst Thietmar 7 ist nichts überliefert, w r as
auf eine Tätigkeit in der Kanzlei Bezug hat.
Erst Theoderich, Propst zu Aachen, war Erzkapellan und
erscheint zugleich als Kanzler in der deutschen Kanzlei Hein¬
richs III. vom 24. August 1044 bis 10. September 1046. Er
wurde Ende Dezember 1046 oder Anfang Januar 1047 Bischof
von Konstanz, w r o er schon vorher Domherr w r ar 8 .
') Breßlau’, S. 428. — s ) Ebenda, S. 412 f. — 8 ) Ebenda, S. 449 ff.
4 ) Hierbei stütze ich mich hauptsächlich auf die Untersuchungen von
H. Breßlau.
s ) Hartzheim, Concil. Germ. II. 365. —Quix, Geschichte der Stadt
Aachen, S. 29, 75.
') Quix a. a. 0., S. 75. Cod. Nr. 14.—L acomblet I. 107. — T ) Quix a. a.O.
s ) Ebenda. — Steindorff, Jahrbücher des deutschen Reiches unter
Heinrich III., I, S. 349 f. — Breßlau, S. 473.
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34
Heinrich Lichius
Nach ihm war der Westfale Altmann, Domscholaster in
Paderborn, Inhaber der Aachener Propstei. Als Kanzleibeamter
ist er nicht erwähnt, wohl aber war er Kaplan Heinrichs III.
Von 1065 bis 1091 verwaltete er das Bistum Passau 1 .
Ob Propst Wezelo, Domherr von Halberstadt, schon als
Aachener Propst in der Kanzlei tätig war, ist nicht mehr zu
erkennen. Daß er als Mainzer Erzbischof zugleich Erzkanzler
der deutschen Kanzlei Heinrichs IV. nachweisbar 1084—1088
war, kann für die vorhergehende Zeit nicht als Beweis ange¬
führt werden. Auch ist nicht zu erkennen, ob er königlicher
Kaplan war. Er starb am 6. August 1088 2 .
Über Propst Ruopert ist nichts bestimmtes bekannt 3 .
Als Kaplan Heinrichs IV. erscheint der Propst Konrad;
als Kanzleibeamter ist er aber nicht erwähnt 4 .
Eine vielumstrittene Persönlichkeit ist der Propst Gott¬
schalk. Er war nicht nur Dichter von Sequenzen und Ver¬
fasser umfangreicher Predigten, von denen noch fünf erhalten
sind, sondern genoß sogar eine Zeitlang auch den Ruhm, von
einzelnen als Verfasser der prächtigen Vita Heinrici IV. impe-
ratoris und des Carmen de bello Saxonico betrachtet zu werden.
Er soll auch in der Kanzlei Heinrichs IV. das Amt eines
Diktators ausgeübt haben. Jedoch findet er sich nicht aus¬
drücklich als Kanzleibeamter erwähnt. Er war königlicher
Kaplan 5 .
Dagegen ist über das Verhältnis des Propstes Adalbert
aus dem Hause der Grafen von Saargau, der zugleich die
Propstei von St. Servaz in Maastricht und von St. Cyriakus
zu Neuhausen verwaltete, zu der königlichen Kapelle nichts be¬
kannt. Wohl war er Kanzler in der deutschen Kanzlei Hein¬
richs V. von 1106 bis 1111. Seit 1110 schon italienischer
') Vita Altmanni Episcopi Pataviensis: MG. SS. XII 226—243, bes. 22#
unten. — Steindorff, S. 382, 359.
J ) Meyer von Knonau, Jahrbücher Heinrichs IV. und V., III S. 578
und Anin. 67. — Breßlau, S. 476. — *) Lucomblet 1. 215.
4 ) Steindorff a. a. 0., I. S. 350. Quix, Necrol. 18 Anm. 2.
6 ) Gundlach. Ein Diktator aus der Kanzlei Kaiser Heinrichs IV. Inns¬
bruck 1884. — Dreyes, Gottschalk Mönch von Limburg an der Hardt und
Propst von Aachen, ein Prosator des XI. Jahrhunderts. Leipzig 1897. —
Vita Heinrici IV. imperatoris: SS. rer. Germ, in us. schob Hannover und
Leipzig 1899 3 ; Einleitung mit reicher Literaturangabe von W. Eberhard.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur frauz. Zeit. 35
Erzkanzler, erhielt er nach seiner Weihe zum Mainzer Erz¬
bischof (15. August 1111) zugleich das deutsche Erzkanzler¬
amt, das er mit einer kurzen Unterbrechung unter Heinrich V.
und Lothar bis 11516 innehatte 1 .
Sein Nachfolger als Propst von Aachen war Arnold, capel-
larius, aber nicht auch zugleich Kanzler. Er war nur Unter¬
beamter in der burgundischen Kanzlei Heinrichs V., nachweis¬
bar Rekognoszent in italienischen und deutschen Urkunden vom
26. März bis 16. Oktober 1112 und 30. November 1114*.
Von Propst Hugo, Graf von Sponheim, Domdechant und
seit 1137 Erzbischof von Cöln, ist nichts über eine Tätigkeit
als Kanzleibeamter und in der Kapelle bekannt 3 .
Königlicher rapellarius und Kanzler zugleich war unter
Konrad III. und Friedrich I. vom 23. November 1151 bis
14. Juni 1153 mit kurzer Unterbrechung der Propst Arnold
vou Selehofen, der ferner noch in Aschaffenburg und an St. Peter
in Mainz Propst war. Als Erzbischof von Mainz war er unter
Friedrich I. Erzkanzler. Er starb am 24. Juni 1160 4 .
Konrads III. Halbbruder Adalbert (Albert) war seit 1139
Kapellan und Notar unter Konrad III. und Friedrich I. Auch
er war Propst in Aachen'.
Über eine Tätigkeit des Propstes Otto, eines Vetters Fried¬
richs I., in der Kanzlei ist nichts bekannt 6 .
Propst Gottfried von Helfenstein dagegen, zugleich Dom¬
propst und später Bischof von Würzburg, war Kanzler unter
Friedrich I. von 1172—1186 7 .
Das Amt eines Notars vom 9. August 1186 bis 17. Sep¬
tember 1187 und vom 25. März 1190 bis 3. November 1191
das eines Protonotars Heinrichs VI. vereinigte der Propst
Magister Heinrich von Maastricht, scholusticus zu Utrecht, mit
dem Amteeines Kapellans. Von 1193—95 hatte er den bischöf¬
lichen Stuhl zu Worms inne 8 .
Die folgenden Pröpste Philipp von Schwaben, der später
König wurde, Konrad, Wilhelm, Bruno von Sayn, Engelbert
*) Breßlau, S. 479, 502. — *) Ebenda, S. 480 f.
a ) Qu ix a. a. 0. — 4 ) Breßlau 505, 507, 508.
4 ) Quix, a. a. 0. — Bernhardi, Jahrbücher Konrads III. Bd. I. 121.
— Breßlau 506, 510. — a ) Quix a. a. 0.
7 ) Prutz, Kaiser Friedrich I. Bd. II. 308 ff., 316. Danzig 1871. —
Breßlau 508 f. — *) Breßlau 511 f.
3*
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36
Heinrich Lichius
von Berg, Otto haben anscheinend keine Tätigkeit in Kanzlei
und Kapelle ausgeübt 1 .
Nach längerer Unterbrechung fand wieder ein Aachener
Propst Beschäftigung in der Kanzlei, Heinrich von Klinkenberg,
der von 1283—1291 Pronotar unter Rudolf von Habsburg war.
Er wurde 1293 Bischof von Konstanz 2 .
Wenn auch nach dieser Zusammenstellung die Verbindung
der Aachener Propstei mit der königlichen Kapelle und der
Kanzlei besonders im 11. Jahrhundert ziemlich eng war, so ist
sie doch anscheinend keine unbedingte Notwendigkeit gewesen.
Es ist vielleicht eher anzunehmen, daß die deutschen Könige
die Verleihung jener Würde als eine Belohnung für treue Dienste
betrachteten. Und daß die Einkünfte der Propstei nicht gering
waren, dafür zeugt der umfangreiche Güterbesitz des Stifts und
auch die Tatsache, daß von manchen Pröpsten in jener Zeit
den Kanonikern besondere Stiftungen gemacht wurden. Da es
auch fraglich ist, ob die Kanzleibeamten für ihren Dienst feste
Einkünfte bezogen, lag es nahe, diesen hohen Beamten reich
bepfründete Ämter zu verschaffen. Aus dem Grunde ist die
Vermutung wohl nicht unberechtigt, daß nicht die Aachener
Propstwürde als solche die Vorstufe zum Eintritt in die Kanzlei¬
laufbahn bildete, sondern umgekehrt der Dienst als Kaplan des
Königs und als Kanzleibeamter jene Würde nach sich zog, wo¬
bei die Eigenschaft der Marienkirche als der Sitz der könig¬
lichen Kapelle fördernd mitwirkte. Die Häufung kirchlicher
Würden bei den angeführten Pröpsten kann diese Ansicht nur
unterstützen. Leider ist der Lebensgang dieser Würdenträger
bei dem Schweigen der Quellen nicht mehr so genau festzu¬
stellen, daß man im einzelnen nachweisen könnte, ob ihre Er¬
nennung zu Pröpsten in Aachen, die ja dort durch den deutschen
König geschah, dem Dienste in Kanzlei und Kapelle vorauf-
’) Quix a. a. 0. I. 76 und II. 94. — Dali der von Quix II. 95 und
Brei’dau 564 f., 566, 56S erwähnte Heinrich, Münch von Bilversheim, nicht
Propst von Aachen gewesen ist, hat E. Teichmann nachgewiesen: ZdAGV
26, S. 9 f. Siehe dort auch die Bemerkungen über die Zuverlässigkeit der
Quix’schcn Propstliste. Es wäre zu wünschen, daß eine möglichst vollstän¬
dige Zusammenstellung der Dignitäre des Marienstiftes einmal unternommen
würde.
*) Breßlau 570. — Cartellieri, Heinrich von Klingeuberg, Propst
von Aachen 1291 — 1293: ZdAGV 27, S. 74 ff.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 37
ging oder nachfolgte. Wenn ferner die Aachener Pröpste als
solche ein Anrecht auf jene Ämter gehabt hätten, dann würden
sie sich doch sicher nicht in jener an Tradition so fest halten¬
den Zeit ohne Widerspruch dieses Vorrechtes begeben haben.
Derartiges ist aber nicht überliefert. Zu der geäußerten An¬
sicht steht anscheinend die Überlieferung im Gegensatz, wonach
durch Heinrich IV. das Kanzleramt mit der Propstei von St.
Servatius in Maastricht dauernd vereinigt worden sei. Die
Echtheit dieses Privilegs ist aber nicht unbestritten, und als
erster Kanzler mit jener Würde erscheint erst unter Hein¬
rich V. Adalbert, der aber zugleich auch Propst von St. Marien
in Aachen war 1 . Das 13. Jahrhundert sah vornehmlich Bi¬
schöfe mit dem Kanzleramte betraut. Und als im Jahre 1348
die Verleihung der Aachener Propstei dem Jülicher Hause ver¬
pfändet wurde, kamen besonders dieser Dynastie nahestehende
Personen in den Besitz jener Würde, wodurch offenbar jeder
Zusammenhang zwischen Kanzlei, königlicher Kapelle und der
Propstei zu Aachen unterbunden wurde.
Der Dechant.
Bei dem wachsenden Vermögen des Stifts, bei der besseren
Ausbildung der Verwaltung und der dadurch notwendigen Ver¬
größerung der Dienerschaft erschien eine Teilung der Ver-
waltungsgeschäfte unbedingt erforderlich. Während nun in den
ersten Zeiten des Stifts die hervorragendste Bedeutung auch
innerhalb des Kapitels der Propst besaß, ging späterhin ein
großer Teil der Rechte auf den Dechanten über. Dieses Amt,
das auf die klösterliche Organisation der Stifter zurückging
und auch schon in der Benediktiner-, aber nicht in der Chrode-
gangschen Regel erwähnt wird, finden wir bei fast allen Stifts¬
kapiteln 2 . In Aachen wird es zuerst im Jahre 1108 genannt,
wo Hezzelo als Dechant erscheint 3 . Aus nicht mehr erkenn¬
baren Gründen vertrieb ihn das Kapitel um 1110. Da nun
dem Lütticher Bischöfe, der die Aufsicht über das Stift bean¬
spruchte, die Absicht des Kapitels nicht mitgeteilt worden war,
forderte das Domkapitel von St. Lambert in Lüttich das Aachener
Stift auf, den Vertriebenen wieder aufzunehmen 4 . Derselbe
l ) Bretllau a. a. 0., S. 453 und Anin. 2.
s ) Hinschius a. a. 0. II. 92 f. — ■ , ) Quix, Cod. dipl. Nr. 85.
4 ) Haageu, Gesch. Aachens I. 111. — Vgl. ZdAGV 16, S. 195.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 39
anf alle Kanoniker, Vikare, Benefiziaten, Vikariolen des Stifts,
auch wenn diese irgendwo in der Stadt wohnten. Gewöhnlich
aber ließ er solche Amtshandlungen, wie Spendung der Sakra¬
mente usw., durch einen Vikar der Kirche ausiiben. An¬
scheinend wurden auch die Laienbedienten des Stifts von dort
aus pastorisiert. Jedoch verlangten mit der Zeit der Erz¬
priester als Hauptpfarrer der Stadt immer mehr Pfarrersrechte
über sie, und als man schließlich entstandene Meinungsver¬
schiedenheiten im Jahre 1781 regelte, wurde durch einen Ver¬
trag zwischen Dechanten und Erzpriester bestimmt, daß alle
Laienbediente des Stifts, auch die ihm eidlich verpflichteten
Handwerker, nur der Seelsorge des Erzpriesters oder seines
Vizekuraten und der übrigen Rektoren der Stadt, in deren Amts¬
bereich sie wohnten, unterworfen seien. Ausgenommen von
dieser Bestimmung war nur die Vollziehung der Ehe, die nach
der in der Lütticher Diözese üblichen Form abgeschlossen
werden sollte 1 .
Von hervorragender Bedeutung war ferner die Gerichts¬
barkeit des Dechanten, die er zum großen Teile mit der Zu¬
stimmung des Kapitels ausiibte. Sie erstreckte sich nicht nur
auf die Vergehen kirchlicher, sondern auch krimineller Art.
Nach dem Vertrage vom Jahre 1432 waren dieser Gerichts¬
barkeit sowohl geistliche und weltliche Stiftsinsassen wie auch
die ganze Aachener Welt- und Ordensgeistlichkeit unter¬
worfen *. Zu schwereren Strafen war die Zustimmung des Ka¬
pitels nötig; Tadel, Rüge und Ermahnung konnte der Dechant
selbständig erteilen. In allen Generalkapiteln, in denen über
den ehrenhaften Lebenswandel der Stiftsmitglieder verhandelt
wurde, machte der Dechant auf die Schäden und Mißbräuche,
die er bei den Stiftsinsassen bemerkt hatte, aufmerksam. Er
ließ es an dem nötigen Tadel nicht fehlen, wofür die Kapitels¬
protokolle manchen Beweis bringen. Noch aus dem letzten
Jahrhundert des Bestehens überliefern uns die Stiftsprotokolle
Verfügungen für den Aachener Klerus, die auf dessen Leben
‘1 Ebenda, Akt. 11 ee, 1789 Nov. 20.
*) Anlage I. — Rceck, Aquisgranum 39. — Hangen II. 41. — Nach
Meyr führte der Dechant den Titel chri et populi Aquensis nec non Leo-
diensis conservator apostolicus : Stadtarchiv, Koll. fol. 34. Für den Dechanten
Cardoli ist die Bezeichnung privihgiorum populi et chri Aquensis et cleri
secundarii Leodiensis conservator apostolicus erwähnt: ZdAGV 28. S. 221.
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40
Heinrich Lichius
ein bezeichnendes Licht werfen. So wurde am 20. September
1776 eine Verordnung erlassen, die zuerst den Domizellaren
des Stifts, dann den königlichen Vikaren und Benefiziaten vor¬
gelesen, dann aber dem übrigen Klerus der Stadt bekannt ge¬
macht wurde. Hierin führte das Kapitel darüber Klage, daß
in Aachen seit vielen Jahren verschiedene Übelstände ein¬
gerissen seien, wonach einige Weltgeistliche ihre eigene Würde
und die Priesterehre so gering achteten, daß sie sich mit
violetten, blauen, roten und weißen Kleidern, grauen Schuhen,
schwarzem Kollar und Mäntelchen bekleideten und durch diese
ungewöhnliche Kleidertracht bei Einheimischen und Fremden
Ärgernis hervorriefen. Ferner wurde gerügt, daß manche keine
Tonsur trügen und Wirtschaften, Konzerte, Theaterstücke und
Lokale, im Volksmunde „Caife und Billard“ genannt, besuchten 1 .
Auch die weltlichen Diener des Stifts waren für alle Vergehen
dem Dechanten und Kapitel verantwortlich, durch die sie be¬
straft und in einem besonderen Kerker auf der Immunität ein¬
gesperrt werden konnten.
Einen beständigen Zankapfel zwischen Dechant und Erz¬
priester bildete die Gerichtsbarkeit und Seelsorge auf dem Be¬
ginen- oder St. Stephanshofe. Wenn auch im Jahre 1338 in
einem Streite zwischen dem Dechanten und dem Erzpriester
Johann von Lughen über die Jurisdiktion des St. Stephans¬
oder Beginenhofes nach der Entscheidung des Kantors Gerhard
von Schönau und Gottschalks, des Aachener Kanonikers und
Dechanten des Muttergottesstiftes in Maastricht, festgestellt
wurde, daß der Dechant des Kapitels von jeher Richter und
Beschützer des St. Stephanshofes gewesen und nicht der Erz¬
priester, sondern der Dechant allein Pfarrer auf dem Hofe sei *,
so gaben doch späterhin wiederholt Streitigkeiten den Anlaß,
die Befugnisse des Dechanten auf dem Beginenhofe festzulegen.
Diese Rechte wurden auch wirklich von einigen Dechanten, die
„Patron, Beschirmer und Richter des Hofes“ genannt wurden,
ausgeübt 3 . Noch im Jahre 1789 war die Seelsorge auf dem
') Staatsarch. Düsseid. Akt. 11 cc fol. 116 ff. Eine ähnliche Bestim¬
mung wurde ain dritten Tage des öeueralkapitels vom 2. Juni 1783 erlassen;
ebenda, 11 dd fol. 84. — *) Aus Aachens Vorzeit V 35 f.
s ) Quix, Beiträge zur Geschichte der Stadt und des Reichs von Aachen
I 141 ff., 41 f. — Pick, Aus Aachens Vergangenheit 611, 618,
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 41
Stephanshofe Gegenstand eines Streites zwischen dem Dechanten
Cardoll und dem Erzpriester Georg Freiherrn Mylius. Der
Streit fand am 20. November durch einen Beschluß seine Er¬
ledigung, wonach die Leute auf diesem Hofe durch den De¬
chanten oder seinen Stellvertreter die Sakramente erhalten
sollten ! .
Die umfangreichen Aufgaben, die der Dechant zu erfüllen
hatte, machten es unbedingt nötig, daß er sich nur ausnahms¬
weise von Aachen entfernte. Deshalb mußte er sich bei Über¬
nahme seines Amtes auch eidlich zu ständiger Residenz ver¬
pflichten, und das Kapitel machte eine Abwesenheit von seiner
Zustimmung abhängig. Als z. B. der Dechant Peter von Er¬
kelenz durch eine allzu häufige Abwesenheit den Unwillen des
Kapitels hervorrief, mußte er sich im Jahre 1490 verpflichten,
für jede Abwesenheit, die ununterbrochen acht Tage dauerte,
den Kapitelsmitgliedern einen rheinischen Gulden zu geben 2 .
Eine ähnliche Bestimmung setzte gemäß einem Vertrage des
Dechanten Imbermont fest, daß bei der Abwesenheit eines De¬
chanten über acht Tage hinaus verschiedene Einkünfte des
Landgutes Hausen und des Hergenrather Zehnten als Strafe
verfielen 3 .
Jeder Dechant wurde aus dem Schoße des Kapitels ge¬
wählt. Zum Amte des Dechanten konnte, gleichwie zur Kan¬
torei und Scholasterei, nur einer zugelassen werden, der schon
vorher im Marienstifte ein Kanonikat besaß. Diesen alten
Brauch versuchte man in der ersten Hälfte des 15. Jahr¬
hunderts zu durchbrechen. Höchst wahrscheinlich gingen die
Bemühungen dazu von einer dem Stifte fernstehenden Seite
aus, die es auf die reichen Dechaneipfründen abgesehen hatte.
Deshalb bestätigte der päpstliche Legat und Kardinalpriester
Nikolaus von Cusa jenes Statut auf Bitten des Kapitels am
12. März 1452 von Koblenz ans für alle Zeiten und hob aus¬
drücklich hervor, daß entgegen dieser Bestimmung das Kapitel
oder Stiftsmitglieder von keiner Seite auf irgend welche Art
und Weise gezwungen werden dürften, einen aufgedrängten
Dechanten anzunehmen 4 . War die Würde erledigt, so bestimmte
') Staatsarch. Düssehl., Akt. 11 ee.
*) Königl. Bibliothek Berlin, Mss. boruss. in quarto Nr. 282 (Decani) fol. 5.
3 ) Staatsarch. Düsseid., Akt. 11 h fol. 273/74, Art. Nr. 14, 1626 März 5.
4 ) Ebenda, Urk. Nr. 291.
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42
Heinrich Lichius
das Kapitel unter Leitung des Seniors einen Tag zur Wahl.
Das Kapitel entwarf dann öfters eine Wahlkapitulation, die
manchmal recht bemerkenswerte Schlüsse auf die Amtsführung
des Vorgängers und die Forderungen der Stiftsherren zuläßt.
Der Wichtigkeit und dem Einflüsse des Amtes angemessen ging
der Wahl immer ein feierliches Amt de spiritu sancto vorauf.
Wie bei allen Abstimmungen im Kapitel entschied einfache
Stimmenmehrheit. Daß die Wahlen nicht immer ganz glatt
verliefen, ist bei der Bedeutung des Amtes leicht erklärlich.
Im Jahre 1232 wurden in einer Urkunde über die Pfarre Rütten
besondere Bestimmungen getroffen, wenn zur Zeit der Pfarr-
vakanz auch das Dekanat erledigt sei et capitulum beatae Mariae
in decano eligendo concordare non poterit '. In dieser Beziehung
ist uns ein interessantes Beispiel in den Kapitelsprotokollen
überliefert. Nach dem Tode des Dechanten Wilhelm von
Wylre schritt man zur Wahlhandlung am 9. April 1739. Die
Stimmen waren gleich geteilt. Sie fielen auf Johann Jakob
Wilhelm von Schlick und Heinrich Lambert Massart, Lizentiat
beider Rechte, der zwar Priester war, aber noch nicht zum
Kapitel gehörte. Da nun darüber eine Erörterung entstand, so
glaubte man eine neue Wahl vornehmen zu müssen und be¬
stimmte dafür den 16. April. Wiederum war das Ergebnis
Stimmengleichheit für die beiden. Am folgenden Tage wurde
zur Neuwahl der 24. bestimmt. Am 22. aber trat das Kapitel
zusammen, um zu entscheiden, ob man nicht zur Vermeidung
der Meinungsverschiedenheiten die sonst öffentliche Wahl durch
schriftliche Abstimmung vornehmen sollte. Bei der öffentlichen
Abstimmung entschieden sich 8 für geheime, 10 für öffentliche
Stimmenabgabe. Bei der endgültigen Wahl ließ nun die eine
Partei ihren Kandidaten fallen und wählte mit 9 Stimmen
Ludwig Johann Albert Graf von Schellart, Kapitularkanoniker
und Scholaster, während sich für von Schrick 8 entschieden.
Hierauf entstand wieder ein Erörterung, ob die Wahl kanonisch
sei. Bei einigen Stimmenenthaltungen erklärten 10 die Wahl
für kanonisch. Da von Schellart bei der Wahl nicht zugegen
war, wurde er in den Kapitelsaal gerufen und erklärte sich
zur Übernahme des Amtes bereit, 2 .
*) ZdAGV t, S. 134.
*) Staatsarcb. Düsseid., Akt. 11 x, S. 332—340.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 43
Auch die bei Wahlen öfters übliche Form des Kompromisses
finden wir in Aachen erwähnt und zwar zum Jahre 1282. Die
durch Ableben des Wolfram erledigte Dechantenstelle besetzte
das Kapitel nicht selbst, sondern es bestimmte am 18. Dezember
sieben namentlich benannte Kanoniker, die die Wahl vornehmen
sollten l .
Da das Marienstift zur Lütticher Diözese gehörte, lag die.
Bestätigung des neugewählten Dechanten in den Händen des
Lütticher Bischofs 2 . Nach erfolgter Bestätigung wurde an
einem vorher festgesetzten Tage die feierliche Einsetzung in
das Amt vorgenommen. Der Kantor und der Senior führten
den neuen Dechanten zum Kapitelsaal, wo ihn einer von beiden
fragte, was er begehre. Darauf antwortete er, indem er zu¬
gleich das Schreiben übergab, er wünsche auf Grund des Lüt¬
ticher Bestätigungsschreibens in den Besitz des Dekanates zu
gelangen. Nach Verlesung der Wahlkapitulation leistete er
kniend in die Hand des Kantors oder Seniors den Eid. Bei
der allgemeinen Beglückwünschung lud er dann die Kanoniker
zum Gastmahl ein 3 . Man ging hierauf zum Marienaltar, wo
der neue Würdenträger nach Verrichtung eines Gebetes und
Opferung eines Goldguldens zu dem Platze im Chorgestühl ge¬
führt wurde. Nachdem der Ambrosianische Lobgesang gesungen
worden war, ging man durch die Wolfstür zur Dechanei. Der
Dechant selbst öffnete die Tür und wurde zur Küche geführt,
wo er den Herdkessel berührte. Dann ging man zum Kapitel-
■) ZdAGV 1, S. 150.
s ) Siehe z. B. ZdAGV 1, S. 137, 1244 Mai 11. — Stiftsarchiv Aachen
I. 8 Erzpr. Nr. 12: Abschrift einer Urkuude aus Lüttich vom 20 Jan. 1696,
worin Erzbischof Job. Clemens von Cöln bekundet, daß er in seiner Eigen¬
schaft als Bischof von Lüttich nach einem seit, alten Zeiten bestehenden
Rechte in Aachen die Pontifikalien ausübe, die Firmung spende, Klöster
errichte und visitiere und daß der Dechant der Stiftskirche durch ihn seine
Bestätigung erhalte.
3 ) Ein neuer Dechant pflegte drei Oastmiihlcr zu geben. Am ersten
nahmen teil die Bürgermeister, der Stadtrat und die Kanoniker, am zweiten
die Mitglieder der Aachener Klöster und am dritten das Stiftspersonal und
die Halbwinner. Wie Propst Claeßen in seinen Aufzeichnungen im Stifts¬
archiv überliefert, wurden bei der Einführung des letzten Dcchanteu Cardoll
(1787 Mai 7) nach der Erzählung des Hausgeistlichen sieben Fuder Wein
geihinken.
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44
Heinrich Lichius
saal, wo mit der förmlichen Einnahme des Dechantensitzes die
Feierlichkeit beschlossen wurde 1 . Die Gebühren für die Besitz¬
ergreifung des Dekanates betrugen 100 Kronentaler im Werte
von 150 Reichstalern oder Pattakonen Davon erhielt der Se¬
kretär 6, die Rutenträger und der Busifer 6; die übrigen 88
wurden zur Hälfte der Sakristei und der Kirchenfabrik überwiesen 2 .
Das Einkommen des Dechanten scheint anfangs nicht
allzu umfangreich gewesen zu sein, wie aus der Bemerkung
über das Dekanat als „überaus mager und arm“ in einer Urkunde
vom 24. September 1224 hervorgeht 3 ; daher beschloß Propst
Otto von Aachen und Maastricht, die durch die Resignation des
Dechanten Gottfried von St. Aposteln zu Cöln erledigte Pfarr¬
stelle zu Jupille bei Lüttich, deren Neunten das Marienstift
seit dem 13. Juni 888 bezog 4 , mit der Aachener Dechanei für
alle Zeiten zu vereinigen, damit der Dechant um so reichlicher
und nützlicher die Marienkirche verwalten und fördern könne.
Diese Einverleibung wurde am 9. April 1225 vom Papst Hono-
rius III. bestätigt 6 .
Das Lehen zu Bastogne im Ardennergau, das durch die
Gunst Kaiser Karls des Dicken kurze Zeit nach den Einfällen
und Verwüstungen der Normannen dem Marienstifte im Jahre
887 geschenkt worden war 6 , finden wir später ebenfalls mit dem
Dekanat vereinigt. Dort verlieh auch der Dechant das Schult¬
heißenamt. So belehnte am 18. Juli 1419 Dechant Heinrich
von Imbermont in Gegenwart des Ritters Wilhelm von Harsey
und Aachen auf dem Turme der Marienkirche bei der Ausstel¬
lung der Reliquien den Ritter Gerhard mit dem Schultheißen¬
amt von Bastogne 7 . Bei jeder Königskrönung in Aachen mußte
dieser Lehnsträger mit seinen Knappen den Dechanten gegen
den Andrang der Menge schützen. Wenn er selbst nicht Ritter
war, mußte er einen solchen auf seine Kosten stellen 8 .
') St.-A. Düsseldorf. Ak. 11 e e fol. 4. — Kgl. Bibi. Berlin, Quix’scher
Nachlaß, Mss. boruss. in folio Nr. 822 fol. 125 ff.
2 ) St.-A. Düsseldorf, Akt. 110, S. 98.
8 ) Teichraanu in ZdAGV 26, 8. 107 Nr. 3. — 4 ) Lacomblet I. 39 Nr. 75.
5 ) Quix, Cod. dipl. Nr. 141. — St.-A. Düsseldorf, Rep. und Hss. 5 fol.
36: 1288 Okt. 5. — a ) Lacomblet I. 39 Nr. 74.
7 ) St.-A. Düsseldorf, Rep. und Hss. 4 fol. 19.
") Interessantisteine Notiz, von Quix (Geschichte der Stadt Aachen,
S. 28 Anm. 2) erwähnt, die der oben angeführten Urkunde beigefügt wurde:
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 45
Auch in der Nähe von Aachen besaß der Dechant seit
1263 das Gut Hausen in der Soers, nordwestlich vom Lousberg.
Dieses Gut wurde vor der Neuwahl mit der Dekanei besichtigt 1 .
Ferner finden wir noch den Dechantenzehnten in Moresnet,
Hergenrath und Saive*. Als Lehnsherr von Jupille war der
Dechant auch zugleich dort Pfarrer. Die Seelsorge ließ er durch
einen vicarius perpetuus ausüben. Auch in Moresnet, Saive
und Riitten ernannte er den Pfarrer. Er war Propst des Kolle-
giatstiftes St. Martin in Riitten und hatte dort die Kollation
der Kanonikate und Pfründen, ein Recht, das er später mit der
Äebtissin von Burtscheid ausübte 3 . Er war Rektor der St.
Oswaldkapelle in der Dechanei 4 und Kollator des Andreasaltares
in der St. Salvatorkapelle 6 .
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts waren die Einkünfte
des Dekanates durch Kriegswirren und andere Unglücksfälle
derart verringert, daß es dem zeitigen Dechanten nicht möglich
war, notwendige Erneuerungen an Gebäuden vorzunehmen.
Auf die Vorstellungen des Dechanten Peter Wimars aus
Erkelenz beauftragte daher Papst Paul IE. im März 1468
den Bischof von Lüttich mit der Untersuchung der Verhältnisse
des Dekanates und gegebenenfalls mit der Inkorporation der
außerhalb der Stadt Aachen gelegenen Salvatorkapelle mit dem
Dekanat 6 .
In der Münsterkirche selbst war der Dechant Kollator der
St. Katharinenkapelle und des Lambertialtares in der Nikolaus¬
kapelle. Dieser Altar brachte jährlich vier Müdden Roggen
Notandum est, quod qtiandocunque villicus Bastoyniensin relevat feodum
suum a decano Aquensi , extunc ipse villicus tenetur dare eidem decano ma-
ioretn vel tneliorem piscem, qui eotunc in urbe Aquensi venalis reperitur. —
Item prout ab antiquo observatum asseritur, qtiandocunque Romanorum rex
Aquis coronatur, extunc praefatus villicus, si miles fuerit, tenetur cum suis
satellitibus et familiaribus transire ad latus eiusdem decani ipsum ab impetu
et strepitu vulyanum sequentium custodiendo. Si vero miles non fuerit, ex¬
tunc tenetur constituere unum militem loco sui ad huiusmodi actum exercendi
suis custibus et expensis. — Vgl. dazu Beeck, Aquisgr. 127.
’) Haagen I. 142 Anm. — St.-A. Düsseldorf Urk. No. 88:1263 Aug. 24.
*) St.-A. Düsseldorf Akt. llv S. 236.
3 ) Quix, Münsterkirche 64. — ZdAGV 1, S. 133—136 und 14, S. 214
No. 3. — 4 ) Haagen I. 142. — 5 ) ZdAGV 5, S. 142.
•) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 308 b : Abschrift aus dein 17. Jrhdt. durch
den öffentlichen Notar Cornelius Haen.
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46
Heinrich Lichius
ein. Am 5. März 1626 wurde im Kapitel beschlossen, dem
Dechanten dafür eine entsprechende andere Kollation zu geben
Von der Bedeutung der Aachener Dechanten legen spre¬
chendes Zeugnis ab die von hohen weltlichen oder geistlichen
Würdenträgern an ihn gerichteten Aufträge. So soll am 21.
September 1157 dem Dechanten vom Papst Hadrian IV. die
Gewalt übertragen worden sein, alle, die das Stift und dessen
Güter befehdeten, nach dreimaliger vergeblicher Aufforderung
mit dem Kirchenbann zu strafen 2 . — Einen Streitfall, den das
Adalbertstift zu Aachen mit dem Grafen Wilhelm von Jülich
im Jahre 1228 hatte, entschied der Kaiser von Wetzlar aus
zu Gunsten des Stifts und lieb durch den Dechanten des
Marienstifts und den Aachener Vogt den Bedrücker zur Abstel¬
lung seiner Feindseligkeiten aulfordern 3 . — Weil Utrechter
Kleriker das Gebot des päpstlichen Legaten Petrus wegen Ent¬
lassung der Konkubinen nicht befolgt hatten, waren sie der
Strafe des Kirchenbannes verfallen. Auf Bitten des Königs
Wilhelm beauftragte Papst Innocenz IV. am 31. Dezember 1248
den Dechanten zu Aachen, diese Geistlichen unter angegebenen
Bedingungen von der Strafe zu lösen 4 . — Am 20. August 1249
bestätigte derselbe Innocenz die Freiheiten und Privilegien der
Stadt Aachen und beauftragte mit der Bestätigung den Dechan¬
ten 6 , ebenso mit der des päpstlichen Legaten Petrus von St.
Georg für die Abtei Burtscheid am 23. Dezember 1255 6 . —
Im Jahre 1444 bestätigte der Dechant alle geistlichen und
weltlichen Privilegien der Stadt Aachen im Aufiragedes Papstes
Eugen IV. 7 — Da im Mittelalter selbst die Kirche von Gewalt¬
tätigkeiten nicht frei blieb, so kam öfters auch eine Entwei¬
hung der Heiligtümer vor. Auch für Aachen sind uns verschie¬
dene Fälle überliefert. Da nach einer Entweihung des Münsters
der Gottesdienst ausgesetzt wurde und eine Entsühnung durch
') St.-A. Düsseldorf, Akt 11h fol. 273 Nr. 2.
*) Qu ix, Cod. Dipl. I. 31. Vgl. aber hierüber Rauschen, Legende
Kurls des Gr. 140f. und Disseinkötter, Aachens Heiligtümer und ihre
geschichtliche Beglaubigung, Bonn 1909, S. 60.
s ) ZdAGV 11, S. 101.
*) MG. Ep. Pont. II. 448. — Bölnncr, Reg.-Nr. * 8073.
4 ) St.-A. Düsseldorf, Rep. und Hss.
°) Quix, Reichsabtei Burtscheid, 249.
T ) Meyer, Aachenscho Geschichten I, 391.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 47
den Lütticher Bischof immer einige Zeit in Anspruch nahm, so
dehnte Papst Paul II. das Rokonziliationsrecht des Dechanten
und Vizedechanten, das von Martin V. am 22. Juni 1428 nur
auf fünf Jahre übertragen worden war, am 29. Mai 1467 auf
alle Zeiten aus 1 . War durch irgend eine Gewalttat der Kirch¬
hof entweiht worden, so nahm der Dechant in feierlicher Weise
mit der gesamten Stiftsgeistlichkeit die Entsühnung vor*.
Das Siegel der Stadt Aachen befand sich in dem Gewahr¬
sam des Dechanten, wie nach einem Ausspruche auf dem Für¬
stentage zu Frankfurt am 6. Januar 1221 durch den Bischof
von Metz und Speier beurkundet wurde 3 . Mit der wachsen¬
den Bedeutung des Rates wird selbstverständlich eine Ände¬
rung dieses Abhängigkeitsverhältnisses angestrebt und durch¬
geführt worden sein 4 .
War der Dechant durch Krankheit oder sonstwie an der
regelmäßigen Verwaltung gehindert oder starb er, so führte
der Vizedechant oder der Kapitelssenior die Kapitels¬
geschäfte weiter. Diese Vertretung scheint schon früh gehand-
habt worden zu sein, wie aus einem Weistume des Aachener
Schöffenkollegiums vom 31. Dezember 1313 hervorgeht. Danach
konnte der Senior mit dem Kapitel alles anordnen, was Kapitel,
Mitglieder des Stifts und Kirche berührte. Er erhielt als ojfi-
ciatus oder procurator vom Kapitel einen bestimmten Auftrag 6 . Der
Umstand, daß man überhaupt die Frage aufwerfen konnte, ob
das Kapitel ohne Dechanten irgend etwas verordnen könne, be¬
weist, welch großen Einfluß man dem Dechanten zuschrieb. Ein
solcher Fall der Vertretung ist zum Jahre 1337 überliefert,
wo bei der Neuwahl eines Kantors an Stelle des Dechanten der
Vizedechant Tilmann von Lupenauen den Vorsitz führte 6 . Auch
in verschiedenen Bestimmungen, die ein neu erwählter Dechant
*) St.-A. Düsseldorf, Itep. und Hss. Nr. 6 fol. 106 und 11. — Beeck
38. — Pauls, die Entsühnungen des Aachener Münsters in den Jahren 1428
und 1467: ZdAGV 22, S. 188—197.
*) Ausführliche Beschreibung im St.-A. Düsseldorf, Akt. lly fol. 202
f: 1746 Mai 13. und 14.
3 ) Lacomblet II. 50 Nr. 92.
4 ) Ilgen, Sphragistik* S. 29 f. in Meisters Grundriß.
s ) Quix, Petcrspfarrkirche 127 Nr. 11. — Loersch, Rechtsdenkmäler
97. — ZdAGV 16, S. 55.
6 ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 169: 1337 Juni 21.
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48
Heinrich Lichius
vor seiner Einführung beschwören mußte, wird öfters diese
Stellvertretung erwähnt, die sich nicht nur auf die Kapitels¬
sitzungen, sondern auch auf den Gottesdienst erstreckte. Die
in zwei Überlieferungen der Statuten enthaltenen Bemerkungen
de officio senioris vice decani sind anscheinend nicht auf Kapitels¬
beschlüsse zurückzuführen, sondern nur selbständige Eintra¬
gungen der Abschreiber.
Der Kantor.
Seiner Bedeutung nach stand im Kapitel dem Dechanten
am nächsten der Kantor. Das Amt des Kantors hat sich
sicherlich aus dem in der Chrodegangschen Kegel angeführten
Primizerius entwickelt, der vielfach die Befugnisse des Archi-
diakons gegenüber der niederen Stiftsgeistlichkeit hatte. Der
Sänger an den Dom- und Kollegiatkirchen führte besonders
Aufsicht über den kirchlichen Ritus, die Liturgie und den Chor¬
gesang’. Ob die Kantorei in Aachen von Anfang an eine Di¬
gnität oder ein bloßes Offizium war, läßt sich nicht bestimmt
entscheiden. Im Jahre 1197 wird das Amt nur als officium
cantoris bezeichnet. Jedenfalls aber wurde der Kantor im
späteren Mittelalter als ein Dignitär betrachtet. Auch in der
Bulle vom Jahre 1576 wird unter den Würdenträgern der Kan¬
tor angeführt 2 . Das Ansehen, das er genoß, geht hervor aus
einer Bemerkung des Kanonikers Beeck: Es lebt diese Kirche
in den drei gleichsam von einer einzigen Seele ausgehenden
Mächte oder drei lebenspendenden Gliedern: dem Propst, dem
Dechanten und dem Kantor 3 . Auch Meyer sagt von der Kan¬
torei ... „sie stellet ... eine Würde vor, die sie auch wirk¬
lich ist“ 4 .
Für die Wahl zum Kantor war unbedingt der Besitz
eines Kanonikats erforderlich. Der Kantor wurde vom Kapitel
mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt. Doch findet sich am
24. Januar 1329 eine Provision durch Papst Johann XXII. an
den Lütticher Kanoniker Guillermus de Stochern erwähnt 5 . Die
Gebühren, die der Neuerwählte zu erlegen hatte, betrugen nach
einer Berechnung aus dem letzten Jahrhundert 100 Goldgulden,
l ) Hinschius II 97 ff. — *) Anlage II.
s ) Aquisgranuin S. 27: Animatur bnxUica haec tribus veluti unius animae
potent iis seu tribus vitalibus mrmbris, praeposito videlicet, decano ac cantorc.
*) Stadtarchiv, Koll. fol. 35 § 20. — *) ZdAGV 14, S. 223 Nr. 36.
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50
Heinrich Lichius
Bodela (Bude!) gehörige Kirche dem Kantoramte inkorporiert.
Allerdings mußte davon jeder Kantor als jährliche Abgabe zu
Martini acht Lütticher Pfund, zum Anniversar Kaiser Hein¬
richs II. 15 cölnische Solidi, in der Oktave nach Mariä Him¬
melfahrt fünf, um Johannes ebensoviel und 17 Solidi Weide¬
geld an das Gesamt vermögen abgeben l .
Der Hof zu Budel wurde später dem Konvente zu Roer¬
mond in Erbpacht gegeben, am 26. September 1307 aber durch
den Dechanten Gottfried zurückerworben 2 . Der Gesamtzehnte
in Budel belief sich auf ungefähr 600 Pattakonen. Die Ein¬
künfte des Kantors davon wurden auf ein Drittel des großen
und kleinen Zehnten festgesetzt. Er setzte den vom Archi-
diakon der Gegend zu präsentierenden Pfarrer oder vicarius
perpetuus von Budel ein und besoldete ihn aus seinen Bezügen 3 .
Auch Kosten der Visitationen sowie die den Hof und die Kirche
zu Budel treffenden Schäden fielen dem Kantor gemäß seinen
Einkünften zur Last. Nach Einführung der Reformation in den
Staaten Hollands wurden nun die katholischen Pfarrer als über¬
flüssig abgeschafft; die kirchlichen Güter und Zehnten blieben
aber weiterhin Eigentum der früheren Inhaber. Da nun seit
1660 von diesen Besitzungen Abgaben erhoben wurden, ent¬
standen zwischen Kantor und Kapitel Streitigkeiten, wer diese
Abgaben zu zahlen habe; doch blieben die Kantoren im unge¬
schmälerten Genuß ihrer Einkünfte. Diese waren manchen
Schwankungen unterworfen. Sie beliefen sich 1753 jährlich auf
132 Pattakonen drei Solidi und 13 Quadranten 4 . Aus dem
Winninger Zehnten erhielt der Kantor jährlich ein Ohm Wein 3 .
Wie in Budel, so hing auch die Kollation der Vizekuratstelle
in Werth im Roermonder Bezirk von dem Kantoramte ab. Aus
den Zehnten dieses Hofes erhielten die Kantoren jährlich un¬
gefähr acht Pattakonen; jedoch pflegten sie diese Summe dem
dortigen Pfarrer als Unterstützung zuzuwenden.
Seit dem 8. Juni 1629 besaß das Stift einen durch Depu¬
tierte des Kapitels eingerichteten Musikchor, der zur Verschö¬
nerung der kirchlichen Feierlichkeiten beitragen sollte. Der
') St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 12. — ä ) Ebenda, Urk. Nr. 128.
») Ebenda, Akt. 11g fol. 485: 1620 Mai 6.
4 ) Ebenda, Akt. lly fol. 440.
®) Über den Winninger Zehnten vergl. Neues Archiv IX. 630, Urkunde
Innocenz III. 1204.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 51
Chor setzte sich aus 12 Kaplänen zusammen, die als Gehalt
jährlich je 52 Aachener Taler und an Naturalien zu Weih¬
nachten und zu Johannes je eine Müdde Roggen erhielten.
Doch waren sie verpflichtet, das Brot aus der Brudermühle zu
beziehen. Sie mußten am Chorgebet teilnehmen; versäumten sie
aber ihre Pflicht, so mußten sie sich einen Abzug von den
Präsenzgeldern gefallen lassen. Auch sie unterstanden dem
Kantor und wurden von ihm auf Weihnachten, Ostern, Pfingsten
und Allerheiligen zum Mittagessen eingeladen 1 .
Als im Jahre 1753 die Kantorstelle frei wurde, schritt
das Kapitel zu einer Untersuchung der Rechte und Lasten des
Kantors. Es fand, daß die Einkünfte des Kantors zu hoch
seien, und beschloß daher, den Zehnten zu Budel zu den Ein¬
künften des Stifts zu schlagen. Doch erhielt der Kantor die
Summe von 132 Pattakonen weiter und ferner fünf Müdden
Weizen. Anstatt des Ohms Wein aus dem Winninger Zehnten
sollte er fürderhin 12 Reichstaler erhalten 2 . Nachdem iu dieser
Weise das Einkommen des Kantors neu geregelt worden war,
wurde am 17. Dezember 1753 Johann Jakob Wilhelm von
Schrick zum Kantor gewählt.
III. Die Hauptoffiziaten: der Scholaster, der Erz¬
priester und der Vizepropst.
Der Scholaster.
Ein anderes wichtiges Amt bekleidete der Scholaster. Er
war der Vorsteher der Dom- und Stiftsschule, in der die jungen
Stiftsherren zum geistlichen Berufe vorbereitet wurden. Dieses
Amt, dessen schon die Chrodegangsche Regel Erwähnung tut
uud dessen Befugnisse in der Aachener Regel begrenzt wurden,
fand sich an allen Kollegiatstiftern. Sein Inhaber unterrichtete
selbst die Domizellaren in der Theologie und im kanonischen
Rechte 8 . Daneben hatte er in Aachen noch die Aufgabe, alle
eingehenden Schreiben und Urkunden im Kapitel vorzulesen,
die wichtigen abzusendenden Briefe und die Beschlüsse in eine
dem gültigen Rechte entsprechende Form zu bringen und mit
•) Diese Naturalabgabe wurde zur Zeit des Dechanten von Draeck
(gest. 1715 Juli 26) in eine Geldentschädigung umgewandelt. — Zum Vor¬
hergehenden vergl. Stiftsarchiv I 3 (Kantoren) uud IV 8 (Orchester) Nr. 1.
*) St.-A. Düsseldorf, Akt. lly fol. 440 ff. — 3 ) Hinschius II.
4*
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52
Heinrich Lichius
dem Kapitelssiegel zu versehen. Es scheint also, daß der Scho-
laster ursprünglich mit der Bewahrung des Kapitelssiegels auch
die Verwaltung des Archivs hatte. Aus diesen Verpflichtungen
ergab sich die Notwendigkeit, immer einen Mann als Scholaster
zu nehmen, der reif im Urteil, redegewandt und rechtskundig
war. Ja sogar durch die Aufnahme in die Statuten war diese
Forderung für immer festgelegt. Diese Tätigkeit trug ihm die
ehrende Bezeichnung „Mund und Herold des Kapitels“ ein. In
den letzten Jahrhunderten aber wurden mit der Erledigung der
umfangreichen schriftlichen Geschäfte ein Syndikus und ein Se¬
kretär betraut. Da mit dem Entstehen der Universitäten die
Bedeutung der Stiftsschulen nachließ, verlor auch das Amt des
Scholasters an Umfang und Inhalt, so daß es ein simplex offi¬
cium wurde 1 .
Auch für die Bekleidung des Scholasteramtes war der Be¬
sitz eines Kanonikats erforderlich. Es findet sich diese Bestim¬
mung schon in einer Urkunde des Propstes Otto vom März 1233,
worin es heißt,: „Wir bestätigen, daß ich und meine Nachfolger
dieses Scholasteramt nur einem in der Aachener Kirche resi¬
dierenden Kanoniker übertragen dürfen, der es wirklich verdient,
da dieser Scholaster nach seinem Amte immer der Mund und
das Auge der Kirche sein soll“ 2 . Von neuem wurde diese Be¬
stimmung festgelegt in einem Indulte des päpstlichen Legaten
und Kardinalpriesters Nikolaus vom 12. März 1452 3 . Als später
die Kollation der Seholasterei bei Brandenburg und Pfalz-Neuburg
lag, kam es zuweilen vor, daß ein Stiftsmitglied zu dem Amte
ernannt wurde, das noch nicht alle Vorbedingungen erfüllt hatte,
wie z. B. im Jahre 1681, wo Johann Franz Graf von Stratmann,
und 1719, wo Ludwig Johann Albert Graf von Sehellardt zu
Gürzenich präsentiert wurde. In beiden Fällen wurde der
Ausweg gefunden, daß der Ernannte, der schon längere Zeit
im Besitze eines Kanonikats war und auch seine erste Residenz
wirklich abgehalten hatte, als Scholaster zugelassen werden
solle, solange er aber nicht Sitz und Stimme im Kapitel habe,
sein Amt durch einen vom Kapitel zu erwählenden Kapitular-
kanoniker verwalten zu lassen habe 4 . Wie peinlich das Kapitel
*) St.-A. Düsseldorf, Akt. llq fol. 187.
s ) Teich mann ZdAGV 26, S. 108 Nr. 5. — Haugeu I. 142.
3 ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 291.
*) St.-A. Düsseldorf, Akt. llu fol. 289 ff: 1719 Okt. 31.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 53
darüber wachte, daß nur Kanoniker des Stifts zu Scholastern
gewählt wurden, geht aus den Verhandlungen hervor, die am
30. April 1626 im Kapitel wegen Besetzung des Amtes ge¬
pflogen wurden l . Damals wollte nämlich der Kurfürst von Pfalz-
Neuburg die erledigte Seliolasterei dem Domherrn Freiherrn
von Eynatten, der nicht Kanoniker war, übergeben. Das Ka¬
pitel wies in einem Briefe darauf hin, daß es an dem Stifte
von altersher jederzeit gehalten worden sei, daß keiner zur
Seliolasterei zugelassen werde noch deren Zehnten genieße, der
nicht wirklich Kanoniker sei, und bat ihn als des Stifts Pa¬
tron und Konservator, die Seliolasterei einem Stiftsherrn zu
übertragen. Daraufhin wurde am 7. Mai Johannes von Gold¬
stein mit dem Amte betraut.
Eine Vereinigung der Seliolasterei mit einer anderen Würde
war wohl nicht ausgeschlossen. Als das Dekanat am 21. No¬
vember 1738 vakant geworden war, wurde nach mehreren er¬
gebnislosen Wahlen die Würde dem Scholaster von Schellardt
übertragen. Dieser wollte sein Scholasteramt nebenbei behalten
und erhielt wegen Verbindung beider Würden Dispens vom
Papste Klemens XII. am 27. August 1739. Da aber der Kol-
lator des Scholasteramtes dieses schon dem Kanoniker Graf
von Hoensbroich übertragen hatte, so kam es zu einem Prozeß,
der zuletzt in Rom anhängig gemacht wurde. Am 12. Juli 1740
entschied die Kurie dahin, daß ein apostolisches Dekret die
Erlaubnis zur Verwaltung beider Ämter durch von Schellardt
erteilt habe, mithin von Hoensbroich keinen Anspruch auf die
Seliolasterei habe. Da sich Hoensbroich, wie es scheint, dem
Urteil nicht unterwarf, dauerten die Streitigkeiten noch weiter¬
hin bis zum Jahre 1745 fort, ohne daß sich ein wesentlich an¬
deres Ergebnis erkennen ließe 2 .
Die Präsentation zur S cholasterei fand anfangs durch
den Propst des Marienstiftes statt; doch wurde ihm dieses Recht
schon 1325 von päpstlicher Seite bestritten 3 . Mit dem Jahre
1357 ging das Besetzungsrecht an die Herzoge von Jülich über 4 .
Jedoch auch später noch beanspruchte der Propst dieses Recht.
Gegen den Herzog Gerhard von Jülich-Berg erhob sich der
•) Ebenda 11h fol. 279f.
*) Stiftsarchiv V. 4 (Scholaster) Nr. 2.
*) ZdAGV 14, S. 219 f. Nr. 13 und 226 Nr. 52.
4 ) Lacomblet HI. 482 Nr. 575.
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Propst Gerhard Graf zu Sayn 1438 und 1439 mit der Behaup¬
tung, das Präsentationsrecht sei durch einen Herzog Wilhelm
von Jülich und Geldern (IT. oder III.?) seinem Amtsvorgänger
in der Propstei, Wilhelm Grafen von Wied (1364—1410 als
Propst nachweisbar), und dessen Nachfolgern übertragen worden *.
Schließlich erlangte aber doch der vom Herzoge präsentierte
Johann Bauw, Propst von St. Georg in Cöln, das Amt 2 , und
es blieb das Präsentationsrecht bei dem Hause Jülich bis zu
dessen Aussterben. Nach der Teilung der jülich-klevischen Lande
wurde das Präsentationsrecht zur Scholasterei abwechselnd von
den Brandenburgern und Pfalz-Neuburgern ausgeübt.
Das Einkommen des Scholasters scheint höher als das
des Kantors gewesen zu sein. Durch Kaiser Otto I. war dem
Stifte die Kirche in Düren geschenkt worden, deren Gefälle der
Propstei zuflossen. Als aber in der ersten Hälfte des 13. Jahr¬
hunderts die mit der Scholasterei verbundenen Einkünfte sehr
gesunken waren, vereinigte Otto Propst von Aachen und Maas¬
tricht im März 1233 die Diirener Einkünfte mit der Schola¬
sterei 3 . Diese trugen 40 Müdden Roggen und ebensoviel Hafer
ein. Außerdem besaß der Scholaster den Zehnten zu Gymnich
und zu Orsbach 4 . Bei ihm lag auch die Besetzung der Pfarr¬
stelle zu Gymnich®. Da er nach dem Beschlüsse des vierten
Laterankonzils kein Schulgeld fordern durfte, floß ihm aus der
Schule des Stifts nichts zu; im Gegenteil, er mußte den für die
Schule angestellten Lehrer selbst besolden, was ihm jährlich
6 Müdden Roggen kostete 6 .
Die Befugnisse des Scholasters waren aber nicht auf die
Domschule beschränkt. Er beanspruchte auch ein Beaufsichti-
') Nach Rcdlichs Feststellung ist eine Urkunde dieses Inhaltes nicht
überliefert: ZdAGV 19, S. 51 Anin. 1.
*) Über den weiteren Verlauf des Streites siehe Redlich: ZdAGV 19,
S. 18—71, bes. 26 f. und 50—54.
8 ) Lacomblet II. 98 Nr. 183 Anm. — Hangen I. 142. — Teichraann:
ZdAGV 26, S. 108 Nr. 5.
4 ) St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 u fol. 275.
*) Ebenda llv fol. 18.
®) Dieser Lehrer trug, wenn er Geistlicher war, in Aachen die Bezeich¬
nung Magister Johannes. Er las die dritte Lektion in der Messe und hatte
eine den Vikaren gleiche Chorprasenz. Die Schule befand sich im Kreuz¬
gange des Stifts, wo die Chorschüler und andere Jünglinge der Stadt in
Deutsch und Lateinisch unterrichtet wurden: Stadtarchiv, Koll. fol. 33 § 23.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 55
gungsrecht über alle Schulen der Stadt. Es brachte ihn dies
natürlich öfters mit den städtischen Behörden in Streit. Als z.
B. im Jahre 1602 die geistliche und weltliche Gerichtsbarkeit
in Aachen gemäß den alten Gebräuchen aufgezeichnet wurde,
erkannte man, daß die Vorsorge und Aufsicht der Schulen von
der Scholasterei abhingenDie Zwistigkeiten, die wegen der
Schule zwischen Stadtrat und Scholaster entstanden, führten
im Jahre 1773 zu neuen Verhandlungen. Aus der rechtlichen
Darstellung des Kapitels ist hervorzuheben, daß der Scholaster
„von Urzeiten her“ die Oberaufsicht über die städtischen Schulen
geführt habe. Nur zu der Stadtschule auf dem Katschhofe
bestelle der Magistrat den Schulmeister, während sonst niemand
in der Stadt ohne Erlaubnis des Scholasters Schule halten
dürfe. Als die Jesuiten nach Aachen gekommen seien, habe
der Magistrat die Erlaubnis des Scholasters Stravius zur Grün¬
dung einer Schule durch die Jesuiten nachgesucht 2 . Auch
hätten die Scholaster die Aachener Schulen ohne Unterschied
von Zeit zu Zeit untersucht und Mißstände abgeschafft. Be¬
sonders aber seien die ohne ihre Erlaubnis eingeführten Schulen
von ihnen verboten worden. Doch hätten einige Bürgermeister
wider alles Recht sich angemaßt, Erlaubnis zur Schulhaltung
zu erteilen z. B. in den Jahren 1768, 1769 und 1771.
Der Rat gab in seinem Schreiben selbst zu, daß der Scho¬
laster das Recht habe, nicht nur die Schulbücher daraufhin zu
prüfen, ob etwas darin enthalten sei, was gegen Religion und
gute Sitten verstoße, sondern auch die Schulen selbst. Die
Anstellung neuer Lehrer beanspruche jedoch der Magistrat
für sich. Das Stift hingegen konnte auf einige Verordnungen
aus früheren Zeiten (17. September 1644, 20. September 1689,
29. August 1691) hin weisen, die sich im Scholasterarchiv be¬
fanden. Daraus ging klar hervor, daß die Einsetzung und die
Erteilung der Lehrerlaubnis nur dem Scholaster zustand. Auch
war das Stift in der Lage, mehrere gegen unbefugte Lehr¬
tätigkeit gerichtete Verbote von Juli und August 1693 beizu¬
bringen. Nur für die Schule auf dem Katschhofe beanspruchte
der Scholaster keine Jurisdiktion 3 . Nun hatte aber, wie Meyer
') von Fürth, Beiträge und Materialien, II. 22.
*) Fritz, Das Aachener Jesuitemrymnasiuin: ZdAGV 28, S. 22f.
8 ) Stiftsarchiv, Scholaster Nr. 4.
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56
Heinrich Lichius
berichtet 1 , der Rat öfters Lehrer angestellt und Schulen und
Buchläden visitieren lassen (z. B. 1680, 82, 89, 95, 96, 1715 und
und 16), wogegen vom Scholaster nicht immer Einspruch er¬
hoben worden war 2 . Die Entscheidung des Streites wurde
schließlich einer kaiserlichen Kommission übertragen. Diese
brachte einen Ausgleich dahin zustande, daß den Bürgermeistern
und dem Rat der Stadt Aachen die Errichtung der Schulen
und Bezahlung der Schulmeister überlassen bleiben, dem Scho-
larchen hingegen die Aufsicht über die Schulmeister wegen
deren Lehre und Bücher zustehen solle.
Der Erzpriester.
Wie wir oben sahen, bestand schon vor Erbauung der ka¬
rolingischen Pfalzkapelle ein Gotteshaus für die Einwohner des
Dorfes Aachen. Wir haben also anzunehmen, daß schon in
jener Zeit eine Pfarrgeistlichkeit vorhanden und vielleicht
einem ihrer Mitglieder die Seelsorge besonders übertragen war.
Nach der Erbauung der Pfalzkapelle blieb deren unterer Teil
der Pfalzgeistlichkeit allein Vorbehalten, während der Erlöser¬
altar im Hochmünster als der Pfarraltar betrachtet wurde*.
Durch die Stiftsgeistlichkeit und besonders durch einen Stifts¬
herrn wurde dieser Altar fortan bedient, und es waren mit
dieser Würde auch besondere Einkünfte verbünden.
Neben der Marienkirche soll nun schon früh eine Kapelle
gestanden haben, an deren Stelle um 1190 die St. Foillans-
kirche errichtet wurde. An dieser war in späterer Zeit vor¬
nehmlich der Erzpriester, der Hauptpfarrer der Stadt, tätig.
Man glaubte früher, die Erbauung der St. Foillanskirche sei
durch die Vermehrung der Einwohnerzahl und den seit der Kano-
nisation Karls des Großen (1165) erweiterten Gottesdienst
notwendig geworden. Auch das Bestreben der Stiftsherren,
die Münsterkirche für sich allein zu benutzen, wird als Grund
zum Bau der neuen Kirche angegeben 4 . Das Marienstift
') Stadtarchiv, Koll. fol. 36 § 23.
*) St.-A. Düsseldorf, Akt. 11t fol. 288, 1684 Jan. 14: der Scholaster
berichtet im Kapitel, daß er alle Schulen der Stadt nullo iutrodicente visitiert,
alle Bücher eingesehen und nichts gegen den katholischen Glauben gefunden
habe.
3 ) Pick, Aus Aachens Vergangenheit, 21—29.
4 ) Ebenda S. 33 f.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 57
sei daher mit der Verlegung des Gottesdienstes und der
Seelsorge vermutlich freudig einverstanden gewesen. Ein
so schneller Verzicht auf ein altes Recht ist jedoch nicht
gut anzunehmen. Wenn ferner das Stift auch mit der
steigenden Verehrung der Reliquien und der wachsenden Pil¬
gerzahl eine Vermehrung der Opfergaben hätte erwarten können,
so würde es doch nicht gern auf die ständigen Opfer und einen
Teil der Stolgebühren der Aachener Bevölkerung verzichtet
haben. Diese Gaben wären ja fortan zum größten Teile der
Pfarrkirche zugeflossen. Wie streng aber das Stift auf seinem
Pfarrkirchenrechte beharrte, zeigt der Umstand, daß es 1260
einer Bitte vonseiten der Stadt an den Papst bedurfte, um für
die vor den Stadtmauern gelegenen Kapellen das Recht der
Spendung der Sterbesakramente in dringenden Fällen zu er¬
wirken.
Daß aber sofort nach Erbauung der Foillanskirche dort
Pfarrgottesdienst stattgefunden hat, dafür ist bis jetzt kein Be¬
weis erbracht worden. Noch ein Jahrhundert später (1295) wird
die Marienkirche ausdrücklich als Pfarrkirche bezeichnet 1 . Und
wenn am 31. März 1269 auf Wunsch des Vogtes, der Schult¬
heißen, des Meiers, der Schöffen und Bürger der Stadt das
Sendgericht in einem Weistume vom Erzpriester und seinen
Kaplänen Priesterweihe und ständige Residenz fordert 2 , so
dürfte das keineswegs ein Beweis dafür sein, daß das Stift auf
seine Pfarrersrechte verzichtet hatte. Auch im Jahre 1311 war
der Pleban noch bei dem Gottesdienste der Marienkirche tätig.
Damals war nämlich zwischen dem Pleban Johannes und dem
Vizedominus und Stiftsherrn Heribert von Hergenrath, dem
Vertreter des Propstes Gerhard von Nassau, ein Streit wegen
des Beichthörens und der Bedeckung der Altäre beim Messe¬
lesen ausgebrochen. Dechant Gottfried und das Kapitel sprachen
dem Pleban und seinen Kaplänen das Recht zu, allen, die zu
ihm kämen, die Beichte abzunehmen und die Kommunion zu
reichen. Nur an den zw'ei Kirchweihfesten, in der Fasten- und
Adventszeit und an den höheren Festen wurde es ihm gestattet,
bei vorhandenem Bedürfnis auch andere Priester zur Aushülfe
zu nehmen. Mit der Bedeckung der Altäre durften der Pleban
’) Quix, Peterspfarrkirche, 126f.
*) Loersch, Rechtsdenkmäler, 33f. — Pick, a. a. 0. 27.
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58
Heinrich Liehius
und die Altarpriester schon während der Friihlaudes beginnen
und sofort nach deren Schluß mit der Zelebration anfangen.
Die Opfer, die bis zur ersten Höre gespendet wurden, erhielten
die Priester. Der Pleban bekam auch die vor seinem Altäre
gespendeten Gaben. Er durfte ferner an hohen Festen wegen
der Menge des Volkes Messen singen und Sakramente spenden,
während im Chor die Laudes gesungen wurden l .
Die Annahme, die St. Foillanskirche sei besonders für den
Pfarrgottesdienst von Anfang an bestimmt gewesen, ist daher
unbegründet. Diese Tatsache ergibt, die Notwendigkeit, die
engen Beziehungen des Erzpriesters zu der Foillanskirche auf
einem andern Gebiete zu suchen. Nun erscheint die Kirche
schon ganz früh als Ort für die Abhaltung des Sendgerichts.
Hier wurden die Urteile verkündigt und die Akten, Testamente
usw. verwahrt. Als Vorsitzender des Sendgerichts hat der
Erzpriester hier seinen Wirkungskreis a . Da nun das Sendge¬
richt und die Pfarrseelsorge durch eine und dieselbe Person
verkörpert wurden, so konnte leicht in der allgemeinen An¬
schauung mit der St. Foillanskirche auch der Begriff der Haupt¬
pfarrkirche zusammenfallen. Die Erzpriester werden es an
einer Begünstigung dieser Anschauung, die ihnen ein höheres
Ansehen und eine größere Selbständigkeit sicherte, nicht haben
fehlen lassen.
Es bedarf hier noch einiger Bemerkungen über das Ver¬
hältnis des Stifts zu den übrigen Kirchen der Stadt,
obwohl das noch keineswegs völlig geklärt werden kann. Erst
eine eingehende Abhandlung über die einzelnen Kirchen dürfte
volles Licht in dieses Dunkel bringen.
Mit der wachsenden Bevölkerung, die sich vor den Mauern
der Stadt ansiedelte, entstand auch die Notwendigkeit, für deren
religiöse Bedürfnisse zu sorgen. Diesem Zwecke dienten
drei Kapellen vor der Stadt. Sie hatten im späteren Mittel¬
altereinen bestimmten Bezirk, in dem ihre Rektoren die Seelsorge
ausübten. Wenn auch die Eingesessenen im Jahre 1260 die
Bezeichnung parochiani erfahren, so folgt daraus noch nicht,
daß diese Kapellen eigentliche Pfarrkirchen waren. Vielmehr
') St.-A. Düsseldorf, (Jrk. Nr. 137: 1311 Juni 23.
*) Vielleicht kann diese Annahme, verbunden mit der Tatsache, dal! der
deutsche König anfangs wenigstens den Erzpricstcr zu erwählen hatte, einen
Rückschluß auf den Gründer der St. Foillanskirche zulassen.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 59
waren sie, wie ausdrücklich gesagt wurde, vom Marienstift ab¬
hängig. Die Geistlichen an ihnen waren also gleichsam nur
Geholfen oder n'carii perpetui oder rectores. Diese Abhängig¬
keit trat auch nach außen hin dadurch zu Tage, daß die Ma¬
rienkirche sich die Spendung der Taufe und der h. Ölung vor¬
behielt. Da dieser Vorbehalt aber in gewissen Fällen z. B. bei
drohender Todesgefahr in der Nachtzeit, wo die Tore der Stadt
geschlossen waren, zu Unzuträglichkeiten führte, so bat die
Aachener Bürgerschaft den Papst Alexander IV. um eine ent¬
sprechende Erlaubnis für die Verwalter jener Kapellen. Mit
der Untersuchung wurde Markuald, Archidiakon von Lüttich,
betraut K Inwieweit die Verfügung des Archidiakons den Bitten
der Bürgerschaft entsprach, ist nicht mehr zu erkennen. Da
aber, wie wir unten noch sehen werden, das Taufrecht bei der
Marienkirche verblieb, so wird wohl nur die Spendung der h.
Ölung freigegeben worden sein 2 . Derselbe Papst gestattete
übrigens zur selben Zeit, daß die Bewohner durch die Rektoren
dieser Kapellen auch ihre Sterbesakramente und die österliche
Kommunion empfingen 3 . Noch 1295 erscheint die Marienkirche
als einzige Pfarrkirche der Stadt 4 . Wenn vielleicht auch im
Laufe der Zeit, aus praktischen Gründen verschiedene Rechte,
die der Hauptpfarrkirche zukamen, an die Filialkirchen über¬
gingen, wie z. B. das Begräbnisrecht, so scheint das Münster
doch das Vorrecht als matrix ecclesia beibehalten zu haben. Dies
geht besonders aus dem Taufrecht hervor, das die Marienkirche
bis zur Aufhebung des Stifts beanspruchte. Die Taufe wurde
vorgenommen teils auf dem Hochmünster, teils in der eigens
dazu bestimmten Taufkapelle in der Nähe des Münsters, die,
wie allgemein üblich, dem h. Johannes dem Täufer geweiht war.
In der Zeit von Ostern bis Pfingsten wurden die Taufen im
Hochmünster an einem Taufsteine, der sich hinter dem Künigs-
stuhle befand, gespendet 5 . Jährlich am Osterabend begab sich
die gesamte Stiftsgeistlichkeit prozessionsweise zur Emporkirche,
sodann am Pfingstabend zu der St. Johannes-Kapelle. An beiden
’) Quix, Peterspfarrkirche, 123 Nr. 7: 1260 Juni 22.
’) Auch Meyer kennt keine Verleihung des Taufrechts: Stadtarchiv,
Koll. fol. 17 f.
*) Quix, Peterspfarrkirche 124. — Hangen I. 177 (im 22., nicht23. Juni).
*) Quix, Peterspfarrkirche 126 Nr. 10. — Hangen I. 213.
5 ) Beeck 229. — Stadtarchiv, Koll. fol. 17
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60
Heinrich Liehius
Orten wurden alsdann die Taufbecken durch den zeitigen De¬
chant eingesegnet \
Während der übrigen Zeit des Jahres wurde die Tauf¬
kapelle benutzt, die zum ersten Mal im Jahre '215 erwähnt
wird *. Der Erzpriester präsentierte den Rektor dieser Kapelle
dem Kapitel. Dieser Rektor war zugleich Mitglied des Send¬
gerichts 3 . Als „universae ecclesiae parochiales Aquenses“ werden
die Kirchen 1331 bezeichnet. Dieser Titel als Pfarrkirchen ist
aber unberechtigt, da ihnen ein wesentliches Recht, das Tauf¬
recht, fehlte 4 . Auch werden ihre Verwalter nur rectores genannt 6 .
Ob die Kirchen damals schon das Begräbnisrecht hatten, ist
noch nicht erwiesen. Dies scheint sich erst im 14. Jahrhundert
entwickelt zu haben 6 .
Das Taufrecht blieb nicht immer unbestrittenes Vorrecht
der Marienkirche, sondern wurde auch von den Erzpriestern
beansprucht, deren Bemühungen, die Taufen in der St. Foillans-
kirche vorzunehmen, öfters zu heftigen Zwistigkeiten mit dem
Kapitel führten. Diese erreichten ihren Höhepunkt um die
Wende des 17. und 18. Jahrhunderts. Um das Jahr 1687 waren
die Ansprüche des Erzpriesters Konstantin Werner Freiherrn
von Gymnich auf die Taufen Gegenstand eines Prozesses bei
dem päpstlichen Nuntius Sebastian Anton Tatiara, Erzbischof
von Damaskus. Dieser sprach am 7. November dem Kapitel
jenes Recht zu. Auf Grund dieser Entscheidung übertrug das
Kapitel die Vornahme der Taufspendung dein Stiftsvikar und
Sigrist Johannes Bens. Gegen diese Tätigkeit erhob aber der
Stellvertreter des Erzpriesters an der St. Foillanskirche, Vikar
Franz Schmitz, nachdrücklich Einspruch und wandte sich seiner¬
seits auch an das Nuutiaturgericht. Sonderbarerweise erhielt
auch er am 13. Dezember 1688 eine ähnliche Entscheidung,
wie das Kapitel sie für sich erwirkt hatte. In dem dadurch
entstandenen Wirrwar wurde ein Prozeßverfahren bei der Kurie
*) Stadtarchiv a. a. 0.
*) Geschichtliche Bemerkungen Uber diese Kapelle bei Pick a. a. 0.,
S. 17 und Faymonvillc, Der Dom zu Aachen, 853—358.
s ) Stadtarchiv, Koll. fol. 18, § 32.
4 ) Schäfer, Pfarrkirche und Stift, S. 9f.
s ) Ebenda, S. 58 — 62.
°) Loersch, Die Katharinenkapelle beim Aachener Münster: ZdAGV
10, S. 133.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 61
angestrengt, und beide Teile ließen es an Appellationen nicht
fehlen. Die Sache blieb anscheinend sehr lange in der Schwebe,
und die Taufen sollten während der Zeit vonseiten des Kapitels
gespendet werden. Aber es kam anders. Die Hebammen der
Stadt waren nach altem Brauche verpflichtet, dem Erzpriester
als Vorsitzenden des Sendgerichts genaue Angabe zu machen
über die neugeborenen Kinder der Stadt und deren Taufe l .
Diesen Umstand machte sich der Vikar Schmitz von St. Foillan
zu nutze, indem er es so einzurichten wußte, daß die Hebam¬
men alle Kinder nach St. Foillan brachten. Dort hatte er in
einer Kapelle hinter dem Altar ein Becken herrichten lassen,
wo er die Taufe vornahm; ja er ließ endlich sogar einen voll¬
ständigen Taufstein aufstellen. Daher brach der Streit mit
einer Vorladung vom 27. November 1704 beim folgenden Nun¬
tius Julius mit erneuter Heftigkeit aus und dauerte bis zum
14. August 1709. An diesem Tage verordnete der Nuntius
Johann Baptist Bussi, daß der Taufstein in St. Foillan nieder¬
gelegt und die Taufen in Zukunft durch den Rektor von St.
Foillan in der St. Johanneskapelle vorgenommen werden sollten,
außer zur österlichen Zeit, während der das Becken im Hoch¬
münster benutzt werden müsse. Da nun im Jahre 1709 die
Johanneskapelle eine Umänderung erfuhr, sollten während der
Zeit alle Taufen auf dem Hochmünster stattfinden. Nur die
Kinder der Kapitularbedienten wurden durch einen vom Kapitel
bestimmten Geistlichen getauft. Zwar wurde der Taufstein in
St. Foillan niedergelegt, aber im Laufe der Zeit gelang es doch
wieder, dort ein Becken zu errichten und auch einzelne Taufen
vorzunehmen. Dieser Zustand wurde anscheinend vom Kapitel
ohne Widerspruch gelassen 2 .
Das Abhängigkeitsverhältnis des Aachener Klerus vom
Marienstifte geht ferner daraus hervor, daß Dechant und Kapitel
zuweilen ihr Aufsichtsamt über den Stadtklerus in Erlassen
Kundgaben, die besonders das äußere Auftreten betrafen 3 .
') Noppius, Aucher Chronik, S. 125.
2 ) Stadtarchiv, Koll. fol. 15 u. 18 § 32. — Stiftsarchiv VIII. 1. Nr. 14
und VII. 2. Nr. 4. — Rhoen, Geschichte der St. Foillanskirche zu Aachen,
S. 53.
*) Ein Streit zwischen Kapitel und Sendgericht (um 1764) über die Ge¬
richtsbarkeit über den Aachener Stadtklerus scheint unentschieden geblieben
zu sein oder einen für das Kapitel günstigen Verlauf genommen zu haben
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62
Heinrich Lichius
Der Erzpriester ging stets aus dem Kapitel hervor. Als
Hauptpfarrer der Stadt hatte er einen großen Einfluß auf die
Einsetzung der Rektoren von St. Peter, St. Jakob und St.
Adalbert. Er ernannte den Rektor von St. Adalbert und hatte
die von St. Peter und St. Jakob einzuführon ‘. Auch die Auf¬
sicht dieser Kirchen war ihm übertragen 2 . Von der Stadt er¬
hielt er eine Zulage zu seinen Einkünften, ebenso wie die
übrigen Rektoren von der Stadt besoldet wurden 3 . Die St.
Foillanskirche ließ er durch einen Vizekuraten verwalten. Er
w'ar Kollator der Pfarrstelle zu Haaren und präsentierte dem
Stiftskapitel den Rektor der St. Johannes- oder Taufkapellc.
Im Stifte selbst genoß er sonst keine besonderen Vorrechte,
sondern verwaltete die Seelsorge als bloßes Offizium. Sein Amt
wurde noch 1720 vom Stift als rectoria bezeichnet. Nur die Ge¬
richtsbarkeit, die er als Vorsitzender des Sendgerichts über die
Laien in kirchlichen Dingen ausübte, gab ihm sein Ansehen
beim Volke 4 .
Da nun der Erzpriester stets aus dem Kapitel des Marien¬
stifts hervorging und die Bestätigungsurkunde zuerst im Münster
verleseu wurde, das Marienstift für die Stadt besondere Feste
(40ständiges Gebet, Fronleichnamsprozession usw.) verordnete
und die geistliche Gerichtsbarkeit über den Aachener Klerus
hatte, ferner das Taufrecht für die ganze Stadt (wenn auch
später mit Einschränkungen) besaß und die Exequien für Stadt¬
ratsmitglieder im Münster gehalten wurden, so haben wir Be¬
weise genug, daß das Münster vom Stifte als die Hauptpfarr¬
kirche Aachens betrachtet wurde.
(Stadtarchiv, Koll. fol. 46 § 40), da wir das Kapitel nachher im ungeschmä¬
lerten Besitz dieses Rechtes finden.
') Noppius S. 80 — 87. — Haagen II. 57. — Locrsch: ZdAGV 10,
S. 130.
a ) von Fürth, Beiträge II. 22.
3 ) Planker, Zur Besoldung der Aachener katholischen Pfarrer im 17.
Jahrhundert: ZdAGV 7. S. 288—295.
*) Stiftsarchiv I 8. (Erzpriester) Nr. 32. — St.-A, Düsseldorf, Akt. 11 v
zwischen S. 51 und 52, Brief des Kapitels an den Erzpriester vom 20. Dez.
1720: . ... ex eo qnod secundum privilegium apostolicum satictisaimae me¬
mo riae Innocentii VIII. laici coram ipso de. iustitia respondere habennt ) hie
archipresbyter propter jurisdictionem fori contentiosi obtinet digni totem in
populo.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 63
Die Einsetzung in das Erzpriesteramt geschah anfangs
durch den deutschen König, was auf den Charakter der Aachener
Kirche als Eigenkirche zurückzuführen ist: der Grundherr war
Vermögens- und staatsrechtlich Besitzer der Kirche. Auch viele
Tauf- und Pfarrkirchen gehörten unter diese Klasse ’. Seit
1348 bzw. 1357 aber lag dieses Recht in den Händen des
Herzogs von Jülich *. Als nun 1609 mit Johann Wilhelm das
Jülicher Haus ausstarb, teilten sich nach langen Verhandlungen
im Jahre 1631 die Erben Brandenburg und Pfalz-Neuburg in
die Kollation der Prälaturen, Pfründen usw. Da mit dem Erz-
priesteramt aber Seelsorge verbunden war, so erhielt das katho¬
lische Pfalz-Neuburg allein das Recht, diese Stelle zu besetzen 3 .
So präsentierte am 26. Juli 1726 Karl Philipp Pfalzgraf bei
Rhein und Herzog von Jülich nach dem Tode des Erzpriesters
Nikolaus Feibus den Priester Johann Peter Freialdenhoven
als neuen Inhaber der Stelle 4 , und am 26. Oktober 1726 be¬
zeugen Dechant und Kapitel, daß das Jülicher Haus das Präsen¬
tationsrecht zum Aachener Presbyterat besitze 5 .
Mit dem Präsentationsbriefe wandte sich der neue Erz¬
priester an den Archidiakon von Hasbanien, zu dessen Sprengel
der Aachener Bezirk gehörte, um seine Bestätigung zu erlangen®.
Darnach bat er den Aachener Dechanten um Einführung in sein
neues Amt. An einem vorher festgesetzten Tage wurden diese
Urkunden dem versammelten Kapitel vorgelesen. Sodann begab
man sich in die Wohnung des Erzpriesters, wo sich auch die
Sendschöffen mit dem Sekretär eingefunden hatten. Auf ein
gegebenes Zeichen wurde die große Glocke geläutet, unter
deren Klang man in feierlicher Prozession durch die Wolfstür
in das Münster ging, der Erzpriester geleitet von dem Dechanten
und dem Kantor, denen die Stiftsherren und das ganze Send¬
schöffenkollegium folgten. Das Münster war festlich geschmückt
') Stutz, Eigenkirehe 16 — 19.
2 ) Lacomblet III. Nr. 454 und 575.
3 ) St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 i fol 3 f.: Abschrift des Briefes vom
14. Mai 1631. — Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 27 und Anm.
4 ) Stiftsarchiv VII 9, Nr. 3.
& ) Ebenda, Nr. 2. — Qu ix, Münsterkirche, S. 46.
•) Quix, Peterspfarrkirche S. 124, Bulle vom 22. Juni 1260 an den
Archidiakon der Lütticher Diözese, in der es zum Schlüsse heißt: tu, ud
quem institutio rectoris in dicta ecclesia pertinere dicitur.
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64
Heinrich Lichius
und erstrahlte in reichem Kerzenglanze. Während nun Erz¬
priester, Dechant und Kantor auf drei unter der Lichterkrone
aufgestellten Sesseln Platz nahmen, wurden die Bestätigungs¬
urkunden öffentlich verlesen. Nach kurzem Gebete begab man
sich wie vorher in die St. Eoillanskirche, wo der Dechant an
der Evangelienseite den Eid des Erzpriesters entgegennahm.
Nachdem der Dechant dem Erzpriester das Birret aufgesetzt
hatte, nahm dieser durch Berührung der Ornamente, des Kelches,
der Altarflügel, der Glockenseile und der Kirchentür von der
Kirche Besitz. Zum Altar zurückkehrend empfing er den Eid
der Sendschöffen, worauf der Ambrosianische Lobgesang ange¬
stimmt wurde. Unter dessen feierlichen Klängen erhielt er
vom Synodus den Schlüssel des Archivs und wurde dann zu
seiner Wohnung begleitet 1 .
Die Vertretung des Propstes.
Wenn der Propst manchmal wegen der Verwaltung des
Stifts oder als höherer weltlicher oder kirchlicher Würdenträger
abwesend war oder wenn er keinen geistlichen Weihegrad be¬
saß, mußte er für einen Vertreter sorgen, der seine Obliegen¬
heiten in Aachen erfüllte. Dies geschah teils durch den Vize¬
propst (Vizedominus oder Vitzthum), teils durch den Kustos.
Der Vizepropst mußte Mitglied des Stifts und Priester sein.
Seine Ernennung geschah durch den Propst, der für ihn auch
ein Benefizium auszulegen hatte. Er war zu ständiger Residenz
verpflichtet und mußte über die gewissenhafte Verwaltung
seines Amtes dem Kapitel Rechenschaft ablegen. Im Falle der
Vernachlässigung konnte er wegen Ungehorsams vordem Kapitel
angeklagt werden. Bis zum Ersatz der durch ihn verschuldeten
Beeinträchtigungen von Recht, und Besitz des Stifts war er des
Amtes und der Einkünfte enthoben. Seiner Amtstätigkeit waren
besonders anvertraut die Kirchenschätze, die Gewänder, das Ge¬
bäude der Kirche und die Verwaltung der propsteiliehen Güter.
Während der Märkte, die besonders zur Zeit der Heilig¬
tumsfahrt sein- lebhaft waren, wurden in dem Umgänge auf
der Immunität Plätze an Kaufleute zur Aufstellung von Kram-
') Eine ausführliche Beschreibung der Einführungszeremonie im Staats¬
archiv Düsseldorf, Akt. II v. S. 98—102: Einführung des Erzpriesters von
Freialdenhoven 1720 Nov. 4. — Kiiuigl. Bihlioth. Berlin, Quix’scher Nach¬
laß, Mss. boruss. in folio Nr. 822, fol. 125 ff.
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bilden vermietet, deren Erlös das Kapitel bezog. Der Vize¬
propst, der manchmal auch rector fabricae war, nahm in dieser
Eigenschaft die Zuteilung vor 1 . Auch andere Offizien, z. B.
das Archipresbyterat, konnte der Vizepropst zugleich verwalten*.
') St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 i fol. 179: 1632 Juni 3.— Quix, Necro-
logimu, S. 3. — ZdAGV 1, S. 166 f.
*) Ein Meinoriale für den im Jahre 1586 neu angestellten Vizepropst
Dietrich von Wusteurat (Stiftsarchiv 1 1 A Nr. 21) zählt die wichtigsten Pflich¬
ten des Vizopropstcs auf. Die Papierhandschrift ist in der Falte durch¬
gebrochen, wodurch einzelne Wortteile ausgefallen und mehrere Buchstaben
undeutlich geworden sind: „Meuiorial-Verzeichnus der Gebrechen, so der
jetzige new ahngenohmener Vitzthumb Herr Diederich Wuestenraidt tragen¬
den Ambts und beschchener Ahnlobungh nach fleißig zu versehen von den
Ehrw. Herrn Dechandt und Capitull dieses Kayserlichen Stiffts freuudtlich
erinnert wirt. — Anfenglich zweifelt ein Ehrw. Cap. nit, obbestimpter Herr
Vitzthumb werde obligonde[r p]flicht nach der Probsteyen Leheugüttem in
guttom Esse halten und dae etwaß verlcußtigh worden, bestes Fleiß recu-
perirn. — Zum andern das die groeße Insolentien, so heutigestags in der
Kirchen llmiigangh, Cloister und Kirchhoff ougenscheiulich beschehen, mit
sonderlichem Ernst und Fleiß verpotten und abgeschafft werden. — Zum 3 teil
das die Freyhnit und Emuniteit dieses Stiffts nit allein von obgemelten In¬
solentien, sonder auch von allen andern Violeutien und Gewaltthaedten, so
etwae daruff vurfallen inuegen, mit sonderlichem Ernst gehandthabtt, be¬
schützt und verthediugt werde. — Und weill sulchs schwierlieh beschehen
khan, eß seic dan daß der Herr Vitzthumb mit einer Wohnplatzen uf dem
Cloister und Freyheit, auch darzu gehoerigen Hilffcren eirstes Taghs und
geuugsamb versehen wehre, wie der Herr bey sich selbst vernunfftiglich ab¬
messen khan, so stellt ein Ehrw. Capitull in geine Zweibell, ihre W. die
werden sich in dem mit der Zeit ahm besten zu richten wissen. — Gleich¬
falls willt ein Ehrw. Cap. den Herrn Vitzthumben freuudtlich erinnert und
reifnirirt haben, das seine W. fleißige Uffsieht uf [die Klö]ckhener und
Wechter der Kirchen dragen wolle, [daß dieselben sampttlich ihre wacht
dem alten Prauch und obligendefr pfl]licht nach, insonderheit in diesen hoich-
verdechtigen geschworen] Leuffen, ohne einiche Excusatiou (die wehre dan
auß K[ranjkheit) mit Wachen, uff und zuthuen zeitlich, ffeißigh und
w[ohl vjersorgen. — Das auch mehrgemelter Herr Vitzthumb ein besonder
und ernstlichs insehens dragen wolle, das des Rätths Diener alhie, wie nhuu
eine kleine Weill biß hero beschehen, uf dem Cloister in Marktaghen sich
geiues Gepotts und Verpotts bey gepürlicher Straff unternehmen, sonder dae
derwegen der Verkeuffer und gemeinen Nutz halber ein Insehens uötigh,
das sulchs durch seine W. oder dero Diener und geine andere Weltliche be¬
schehen muege, damit des Ehrwurdigheu Herrn Probstens und dieses Stiffts
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Während der Vizepropst hauptsächlich die Verwaltung der
propsteilichen Güter versorgte und das Stift nach außen hin
in seinen Rechten vertrat, lag dem Kustos mehr die Ausübung
der Verpflichtungen des Propstes gegenüber dem Stifte in den
kirchlichen Angelegenheiten ob. Pie Amtshandlungen beider
wurden aber sehr oft durch dieselbe Person ausgeübt, weshalb
sich auch die einzelnen Verpflichtungen nicht genau trennen
lassen.
Für die Abhaltung des geistlichen Dienstes war von be¬
sonderer Bedeutung der Kustos. Amt, Name und Befugnisse
im allgemeinen haben im Laufe der Jahrhunderte große Ver¬
änderungen erlitten. Hohe kirchliche Würdenträger wie Erz¬
bischöfe, Bischöfe, Äbte benutzten diese ehrenvolle Bezeichnung.
Freyheit und Jurisdiction erhalten pleibc. — Das auch die Kreniereyen vff
dem Cloister uff Fest- und Sontaghen verpotten und abgeschafft werde. —
Das ingleichen uff Marckh- und anderen Regentaghen durch des Herrn
Vitzthumbs Ahnordnungh die Vorsehungh geschehen muege, das der Auß-
und Ingangk des Cloisters und Drachenlochs, sovill umbher inueglich ge¬
schehen klian, freygehalten werde, damit der Herr Probst in seiner Ehrw.
Residentz und alle andere Herrn frey muegen auß- und ingehen. — Das
auch der Herr Vitzthurab die Paviinent und Vinstercn in der Kirchen in
Zeit und ehrlich versehe, wie von alters liero preuchlich gewesen und nödig
ist. — Das glciehfals iuehrgedachter Herr Vitzthumb in statt seines Ehrw.
Herrn eirstestags darahn sein wolle, das die Alven Leeßroeckh der . . nd
.rliche altair Kleider ingestallt und verneuwert w[erdcn] wie auch
derselben Wachßungh und Reiniguugh hin[vuroj ohne Zuthucn der Sacristyen
versehen werden. — Das auch in Zeit der Heiligthumbsfarth, want der
Stock eröffnet wirt, die Herrn Boumeisters des Stiffts, wie von altershero
preuchlich gewesen, dairbey geroiffen, damit auß der Theilungh gein Verdacht
entspringen muege. — Eß will gleichfalls dem Herrn Vitzthumb obligcn,
gutt Insehens und Achtungh zu dragen, das daß Geleucht, so ein Ehr¬
würdiger Herr Probst zu besondern Zeiten und Festtagen zu leisten pfleget,
mit Hilff seiner Ehrw. Dienern und Vicarien alhie gepurlich, wie dan auch
Insehens zu haben, das daß Geleutts in der Kirchen mit Gewohnlieheit in
solennitatibus, in suramis, mediis et duplicibus festis ac alias, wie von alters
gehalten werden. — In diesen und allen anderen Puncten, so dem Herrn
Vitzthumben zu ver[richt]en obligen, verhofft ein Ehrw. Cap., seine W. werden
[sich] darinueu bestes Fleiß wissen zu halten. Actum Aich [die] 7“* Martii
etc. 86.“ — Auf der Rückseite: „Memoriale für den itz uffs neuwe ange-
nobmenen Herrn Vitzthumben Herrn Dioderichen von Wuestenraidt. Ex data
7. Martii Anno 86.“
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 6t
In den Stiftskirchen, bei denen schon die Chrodegangsche Regel
custodes erwähnt, führte diesen Titel der mit der Aufsicht des
geistlichen Dienstes und des Kircheninventars betraute Kanoniker 1 .
Bei den Kollegiatkirchen stand das Amt des Kustos ursprüng¬
lich in engster Beziehung zu den Pflichten des Propstes. Die
Einkünfte der Küsterei scheinen nicht unbedeutend gewesen zu
sein, da schon vor 1166 vier Librae der Küsterei für Kantor und
Kapitelstisch, ferner 15 Solidi und an den Festen der neun
Lektionen für jeden Kanoniker eine Wachskerze von der Länge
einer Elle durch Otto bestimmt worden waren 2 . Auch in den
ältesten Statuten wird der Propst custos in ecclesia genannt und
der Umfang seines Aufsichtskreises genau festgelegt. Diese
Verpflichtungen wurden wohl meistens einem Geistlichen auf¬
erlegt. !So wurde am 19. Januar 1486 durch den Domkanoniker
und Propst Friedrich von Neuenahr dem Kapitel zu der erledigten
Küsterei der Pastor Leo Bolve präsentiert. Um dieses Präsen¬
tationsrechts willen wurde der Propst der dominus des Kustos
genannt. Er nahm selbst oder durch seinen Stellvertreter den
Eid entgegen. Dann erst leistete der Neuernannte den Treueid
dem Dechanten und dem Domkapitel.
Die Einkünfte der Küsterei wurden am 25. Juni 1512
durch den Kaiser Maximilian von Brüssel aus auf Bitten des
Kapitels, das durch Raub, Brand und Krieg manche Einbuße
erlitten hatte, unter Voraussetzung der Zustimmung des Propstes
zur Hebung der Kantorei und des Gottesdienstes mit den all¬
gemeinen Einkünften inkorporiert 3 . Diese Einverleibung wurde
durch Johann Herzog von Jülich und Berg bestätigt, sobald
die Propstei durch den Tod des Propstes Heinrich, Pfalzgraf
bei Rhein und Herzog in Bayern, erledigt sein werde 4 . Das
Präsentationsrecht scheint allerdings bei der Propstei verblieben
zu sein, da am 14. Oktober 1579 durch den Propst Heinrich
von Vlatten die durch den Tod des Priesters Simon von Angeli
erledigte Küsterei mit dem Priester Johann Frankot besetzt wurde 5 .
Der Kustos hatte im einzelnen die Aufsicht über die für
die Kirchenfabrik bestimmten Opfergaben in Gold, Silber und
*) Schaefer in den Annalen des hist. V. f. d. Niederrbein, Heft 74,
S. 163—178. — *) Lacomblet I 283, Nr. 411.
3 ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 352.
4 ) Ebda. Urk. Nr. 355: 1513 Febr. 18. — 5 ) Stiftsarchiv VI. 3, Nr. 5.
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5 *
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(>8
Heinrich Lichius
Edelsteinen und die Obhut der Kostbarkeiten des Münsters,
der Kleinode, Bücher und Gewänder. Kam etwas abhanden,
so war er zum Ersatz verpflichtet. Für Weihrauch, Thymian
und Myrrhe mußte er sorgen. Wann und wieviel Leuchter er
an einzelnen Altären aufzustellen hatte, war ihm genau vorge¬
schrieben. Dem Sakristan gab er jährlich für seine Bemühungen
2 Mark. Im Münster hatte er eine Schlafstelle. — All diese
Verpflichtungen lagen später den beiden Kanzellisten ob, die
vom Propste präsentiert und mit 60 Reichstalern besoldet
wurden. Auch sie schliefen im Münster, der eine in der großen
Sakristei, der andere unter dem Bogen über dem Eingangstor
aus der St. Nikolauskapelle in die Kirche. Wenn einer ge¬
storben war, setzte das Kapitel einen zweiten ein, bis der neue
präsentiert und zugelassen war 1 . — Daneben werden' in spä¬
terer Zeit noch erwähnt der Kustos der größeren und der
kleineren Sakristei. Sie wurden vom Kapitel angestellt und
erhielten 25 und 18 Reichstaler. Sie waren Laien und hatten
wohl die niedrigen Dienste, z. B. das Reinigen, zu besorgen 2 .
Wie nötig eine Bewachung der Münsterkirche war, beweisen
verschiedene Verhandlungen über Diebstähle an Opferstöcken
und Ornamenten (z. B. 1607 Februar 1, 1622 Mai 28, 1649
Dezember 1, 1733 Dezember ll) 3 .
IV. Die Kanoniker und die Kapitelssitzungen.
Die Kanoniker.
Die allgemeine Entwicklung der Kollegiat- und Domstifter
in Deutschland hat schon im frühen Mittelalter eingesetzt 4 . Sie
beginnt mit dem kanonischen Leben der Geistlichen an den
einzelnen Pfarrkirchen. Diese vita canonica bestand in dem
gemeinsamen Wohnen, Beten, Essen und Schlafen. Der Name
’) Stiftsarchiv 1 9. A (Canonici) Nr. 42: CnnceUistix incumbebat cura
cereorum, oblationum nee non thmauri custodia, quapropter in templo per-
noctare tenebantur. St.-A. Düsseldorf, Akt. 11t fol. 191. — Von der Stadt
war noch ein besonderer Nachtwächter auf dem Turme des Münsters auge¬
stellt, den der Magistrat präsentierte und der dem Kapitel einen Eid zu
leisten hatte: ebenda 11c fol. 49 (1574). — *) Stiftsarchiv a. a. 0.
*) Ebenda, Verschiedene Akteufaszikel: VI 1 (Immunität) Nr. 5.
4 ) Vgl. zum Folgenden: Hinschius II 49 ff. — lloltzondorff und
Köhler, Encyklopüdic der Rechtswissenschaft, Leipzig und Berlin 1904,
II 833. — Schäfer, Pfarrkirche und Stift.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 69
ist wohl auf canon im Sinne eines Lebens nach der kano¬
nischen Vorschrift zurückzuführen. Eine andere Form für das
Leben der Geistlichen war das regulariter vivere in den Mönchs¬
klöstern. Fand dieses seine Regelung- in den strengen Bestim¬
mungen des Benedikt von Nursia und ihrer teilweisen Umge¬
staltung durch Abt Benedikt von Aniane, so führte tim das
Jahr 760 der Bischof Chrodegang von Metz für die vita com¬
munis des Pfarrklerus eine bestimmte Verfassung ein. Sie fand
eine endgültige Regelung auf der Synode zu Aachen im Jahre
816 L Eine dritte Form für das Leben der Geistlichen, wenn
man von einer Form sprechen kann, war das incanonice vivere
der capellani an den Eigenkirchen, das auch den Widerspruch
des übrigen Klerus auf den Synoden von 828 zu Aachen und
829 zu Worms hervorrief 2 .
Durch die kanonische Regel wurde der Klerus einer strengen
kirchlichen Zucht unterworfen. Er hatte täglich seine gemeinsamen
Chorstunden, widmete sich der Heranbildung der Jugend und schuf
so eine Pflanzschule für den geistlichen Nachwuchs. Der Kirchen¬
dienst der Kanoniker wurde im Chor des Münsters abgehalten.
Die Einkünfte der Kirche flössen in eiu gemeinsames Ver¬
mögen, aus dem der Unterhalt bestritten wurde 3 . Ihren eigent¬
lichen Zweck erfüllten die Kollegiatkirchen durch Ausführung
der Pfarrseelsorge.
An den meisten Stiftskirchen stand nun die Aufsicht über
Pfarrseelsorge und Stiftsgeistlichkeit ursprünglich dem Propste
zu, an dessen Stelle allmählich fast allgemein der Dechant auf-
riiekte. War nun schon die oberste Behörde für die königlichen
capellani der oberste capellanus gewesen, so hatte auch der Abt
oder Propst zu Aachen in der ersten Zeit nach der Entwicklung
zum Stift über die Stiftsgeistlichen ein Beaufsichtigungsrecht.
Das wurde noch besonders in der Urkunde von 966 ausgedrückt,
wodurch der Propst fast archidiakonale Gewalt erhielt. Wer
aber war zu Aachen der Seelsorger der christlichen Gemeinde?
Unterstand diese hier auch dem Propste? In dem Falle hätte
sicher die Entwicklung dazu geführt, daß der aus späterer Zeit
*) MG. LL. LII Conc. II 1 . Teil 307-466.
*) MG. LL. I. 340. Cap. 211, 39. — Simson, Ludwig der Fromme
I. 303, 318. — Dummler, Gescb. des ostfr. Reiches I. 46, 49.
Vgl. Sehnock: Aus Aachens Vorzeit 9, S. 35—40. — Werminglioff:
Neues Archiv d. Ges. f. alt. Geschichtsk. 27, S. 623 ff.
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70
Heinrich Lichius
erwähnte Erzpriester seine Anstellung durch den Propst er¬
halten hätte, als dessen Stellvertreter er dann aufgetreten wäre.
Nun wurde aber dieser Erzpriester, dessen Amtsbereich auf
dem Hochmünster— der Pfarrkirche — lag, durch den deutschen
König ernannt. Offenbar ist dies im germanischen Eigentums¬
recht begründet, wonach der Grundherr, in diesem Falle der
König, den Geistlichen an der Eigenkirche einsetzte 1 .
Zahlreiche Bemerkungen in den Urkunden weisen auf das
Bestehen des kanonischen Lebens in Aachen hin. Schon aus der
Stiftungsurkunde von 852 für die Frankfurter Pfalzkapelle, die
von Anfang an Stift war, geht hervor, daß die Kapelle nach
dem Muster der Aachener Kirche eingerichtet wurde. Im Vertrag
zu Mersen 870 erscheint die Marienkirche als abbatia de Aquis.
In einer Urkunde Karls des Kahlen für Compiegne vom Jahre
877 heißt es, daß Karl der Große in der Pfalzkapelle zu Aachen
Geistliche zum Kirchendienste eingesetzt habe 2 . Die erste 3
bedeutende uns überlieferte Schenkung an die Marienkirche er¬
folgte durch Lothar II. Die Urkunde selbst ist nicht erhalten,
sondern nur inhaltlich in einer Bestätigungsurkunde Arnulfs
aus dem Jahre 888 wiedergegeben. Danach erhielt die Marien¬
kirche den zweiten Zehnten von 43 königlichen Villen, die
namentlich aufgeführt werden 4 . Sie bildeten den Grundstock
des Vermögens der Kirche. Da die Entwicklung der Pfalz¬
kapelle zum Stift wohl erst kurze Zeit vorher zum Abschlüsse
gekommen war, ergab sich die Notwendigkeit, ihrer Selbstän¬
digkeit durch ein eigenes Vermögen eine sichere Grundlage
zu geben 5 . Einige Zeit nachher, im Jahre 881, hatte die Kirche
durch die Einfälle der Normannen schwer zu leiden. Deshalb
sah sich Karl der Dicke 887 veranlaßt, der Pfalzkapelle durch
Schenkung der Villa Bastonica eine Zuwendung zu machen für
den Lebensunterhalt und die Bekleidung „der doit weilenden
und Gott dienenden Brüder“ 6 . Der Vorsteher der in der Mer-
‘) Stutz, die Eigenkirche als Element des mittelalterlich-germanischen
Kirchenrechts, S. 23. Berlin 1895.
*) Luders im Arch. f. Urkundeufurschuug II S. 73 u. Aum. 2.
•’) Die Schenkungsurkunde der Kapelle des h. Petrus bei dem Reichs¬
hofe zu Sinzig durch Lothar I. 855, von der eine Abschrift im St.-A. Düsseldorf
(Urk. Nr. 3) beruht, ist Fälschung: Böhmer-Mühlbacher 1170.
4 ) Lacomblct I 39 f. Nr. 75. — 5 ) Luders a. a. 0., S. 75.
") Lacomblct I. 39 Nr. 74.
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Die Verfassung dos Mnricnstiftcs zu Aachen bis zur franz. Zeit.. 71
sener Teilung als abbatia bezeichneten Kirche wird hier zum
ersten Male als Abt bezeichnet. Am 13. Juli des folgenden
Jahres bestätigte König Arnulf diese Schenkungen. Der Vor¬
steher wird hier als Rektor und Provisor der Kapelle, die
Geistlichen als Brüder bezeichnet. Die Bezeichnung canonici
findet sich erst in einer Urkunde des Jahres 930. König Heinrich I.
bestätigte nämlich damals den in jener Kapelle Gott dienenden
Kanonikern die Schenkung Karls und Lothars und Arnulfs und
fügte noch die Neunten von drei Villen hinzu 1 . Als Otto I.
am 17. Januar 966 die früheren Besitzungen und einige Besitz¬
veränderungen bestätigte und die Kirche in Düren noch dazu
schenkte, gab er den Kanonikern dreimal die Bezeichnung
„Brüder, die dort Gott dienen“. In derselben Urkunde erscheinen
sie noch als „Kanoniker“. Als Vorsteher wird Brun, der „ver¬
ehrungswürdige Kanoniker“, genannt. Auch sollen „die Kanoniker,
die dort unserm Erlöser und Herrn Jesus Christus und seiner
Mutter Maria dienen“,‘die Freiheit haben, unter sich einen
Kanoniker zu wählen zum „Abt, den wir jetzt Propst nennen“,
der sie nach der „kanonischen Regel“ leiten solle 2 .
Für das Bestehen des gemeinsamen Lebens dient weiter
als Beweis das noch in späterer Zeit vorhandene dormitorium
oder Dormiter 8 . Propst Philipp von Schwaben (1187 —1193),
der spätere König, hatte aus seinen Einkünften das Kloster und
das Dormitorium wieder errichten lassen 4 . Ob dieser Umstand
aber als Beweis für ein damals noch bestehendes gemeinsames
Leben dienen kann, ist fraglich. Vielleicht hat damals schon
das Dormitorium demselben Zwecke wie später gedient, nämlich
als Raum für die Kapitelsverhandlungen. Ob der im Jahre 1310
erwähnte, ausdrücklich als magnum dormitorium bezeichnete
Raum das Vorhandensein eines parvum dormitorium vielleicht für die
Scholaren andeuten kann, wage ich nicht zu entscheiden 5 . Auch
die Brudermühle sowie die Ausdrücke Klosterplatz, Klostergasse,
Kloster weisen auf gemeinsames Wohnen hin.
') Ebenda I. 49 f. Nr. 89.
*) Lacomblet I 63. — Quix Cod. Dipl. I Nr. 14. — MO. Dipl. I 429.
Neben der Diirener Kirche und den Neunten verschiedener Villen schenkte
Otto I. dem Marienstifte die Abtei Chövreinont, was ihm den Titel eines
zweiten Gründers des Stifts einbrachte.
3 ) Beeck S. 19. — Schäfer, Pfarrk. und Stift 170 f.
*) Haagen I 144. — s ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 136: 1310 Aug. 30.
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72
Heinrich Lirhins
In welchen Formen sicli das gemeinsame Leben bewegte,
zeigen die ersten Statuten. Nach diesen herrschte eine überaus
strenge Zucht. Wer eines Vergehens überführt wurde, mußte
sich mit ausgestreckten Gliedern mit dem Haupte zu Füßen
des Dechanten legen Ungehorsam zog vierzigtägige Kinkerkerung
nach sich. Beeck kannte noch Gebete, die bei der Aufnahme
durch den Abt gesprochen wurden, und Segenssprüche für die
reisenden Brüder bei der Übergabe der Pilgertasche und des
Stabes *.
Wie lange sich die Gemeinsamkeit des Lebens erhielt,
läßt sich nicht bestimmen. Allgemein verfiel sie im 13. Jahr¬
hundert. Als ein sicheres Anzeichen dafür ist jedoch der Besitz
eines eigenen Vermögens bei Kanonikern nicht anzusehen 2 .
Wenn wir vom Propste absehen, der schon vor 1165 besondere
Einkünfte hatte, so finden wir im Jahre 1238 Eigenbesitz eines
Kanonikers erwähnt. Der Umstand freilich, daß bei den nicht
gerade spärlich fließenden Quellen jener Zeit Eigenbesitz hier
zum ersten Male erwähnt wird, verlangt eine gewisse Be¬
achtung. Dieser Kanoniker, Heidenricus von Tuneburg, schenkte
an die Burtscheider Abtei einen Weinberg am Rhein 3 . Im fol¬
genden Jahre kaufte er einen Zins 4 . Ein anderer, Magister
Ricolphus Normanus, schenkte 1240 dem Stifte jährliche Wein¬
zinsen aus zwei Gütern bei Sinzig 6 . Wir dürfen also für diese
Zeit eine größere Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit der
einzelnen Kanoniker annehmen. Vom Privatbesitz aber zur Privat¬
wohnung und zu eigenem Hausstand war nur ein Schritt. Im
Lütticher Domkapitel waren schon in der zweiten Hälfte des
12. Jahrhunderts Bestrebungen zur Auflösung des gemeinsamen
Lebens zutage getreten. Diese wurden zwar zeitweilig unter¬
drückt, gelangten aber doch im Anfänge des 13. Jahrhunderts
zum Durchbruch und zur Anerkennung. Wegen der engen Be¬
ziehungen unseres Marienstiftes zum Lütticher ist eine Rück¬
wirkung auf die Aachener Verhältnisse nicht ausgeschlossen e .
Freilich dürfen wir nicht für alle Stiftsinsassen Eigenwohnung
anuehmen, da wohl die Zahl der Gebäude hierzu nicht aus-
') Beeck, Aquisgrauum 19. — *) Schäfer a. a. 0., S. 168 ff.
3 ) Quix, Reichsabtei Burtscheid, S. 232 Nr. 29.
4 ) Quix, Peterspfarrkirche, S. 122 Nr. 5.
5 ) Quix, Cod. Dipl. Nr. 159. — Im Necrologium ist S. 19 als Todestag
der 30. März angegeben. — ") Meyer I 262 f.
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Die Verfassung des M.iriciisliftes v.n Aachen l»ts zur franz. Zeit.
7:t
reichte. Noch im 15. Jahrhundert finden wir mehrere Kano¬
niker in einer Wohnung, was für die jungen Scholaren sogar
Pflicht war.
Nach Auflösung des gemeinsamen Lehens blieb mit dem
Begriff der Residenz doch die Verpflichtung, auf der Immunität
zu wohnen, bestehen. Sie war nicht auf die erste sogenannte
strikte Residenz beschränkt. Eine eigeno Wohnung war in der
Pfründe mit einbegriffen. Es konnten aber auch, da wohl nicht
eine hinreichende Zahl von Wohnungen vorhanden war, mehrere
Kanoniker zusammen wohnen. Eine eigene ehrenhafte und ge¬
ziemende Haushaltung eines einzelnen oder mehrerer Kanoniker
tat, wie ausdrücklich festgestellt wurde, dem Begriff der Re¬
sidenz keinen Abbruch. Dieser Zustand dauerte rechtlich bis
um das Jahr 1347. Doch wird man schon für die vorhergehende
Zeit annehmen müssen, daß einige Kanoniker zu ihrer größeren
Bequemlichkeit ein Haus außerhalb der Immunität in der Stadt
bezogen. Dies war aber ohne Verlust der Pfründe nur mit be¬
sonderer Zustimmung des Kapitels möglich. Damit diese An¬
nehmlichkeit nun nicht ausgebentet. wurde, waren die Kanoniker,
die diesen Vorzug genossen, zu einer jährlichen Altgabe zum
Nutzen der Kirche an den Kellner verpflichtet, die nach der
in Aachen geläufigen Münze 12 Mark betrug. Zogen sie wieder
nach der Immunität, so wurde ihnen diese Rente erlassen.
Starb aber einer außerhalb der Immunität oder ließ er sich
erst nach eingetretener Krankheit in eine Klosterwohnung
bringen, so wurde ihm dennoch die Abgabe abgezogen, die,
wenn seine Einkünfte nicht die festgesetzte Höhe erreichten,
aus seinen nachgelassenen Gütern ergänzt wurde 1 . Die Rente
von 12 Mark wurde 1389 auf drei Goldgulden Rheinisch fest¬
gesetzt. Die gleiche Summe war auch aus der Erbmasse zu
entrichten 8 . Die Wohnungen auf der Immunität konnten von
den Kanonikern gekauft oder gepachtet werden. Kauf- oder
Pachtsumme setzte das Kapitel fest. War ein Haus frei ge¬
worden, so mußte der älteste der Kanoniker, die die erste Re¬
sidenz übten, es vom folgenden Johannisfeste (24. Juni) an,
später vom 1. Juli ab, bewohnen. War aber ein solcher nicht vor¬
handen und wurde auch nicht von mehreren zugleich ein Haus
') St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 175: 1547 Felir. IS. Die Urkunde ist
doppelt ausgefertigt. — *) Ebenda, Akt 11 a toi. 190.
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74
Heinrich Lichius
bewohnt, so konnte ein in der Stadt wohnender Kanoniker ge¬
zwungen werden, dieses freie Haus zu beziehen. Die Erben
eines Kanonikers durften die Klosterwohnung eines Erblassers
nicht behalten, sondern mußten sie wieder innerhalb eines Jahres
nach dessen Tode an einen Kanoniker verkaufen. Kam eine
Einigung über die Kaufsumme nicht zustande, so bestimmte
das Kapitel den Preis.
Eine Wohnung durfte mit einem Zins oder Erbzins nur dann
beschwert werden, wenn es zu Gunsten des Kapitels oder allen¬
falls für einen Priester der Johannisbruderschaft, einen Vikar
oder ein sonstiges Mitglied des Stifts geschah. Einen solchen
Zins konnte aber der Nachfolger durch Zahlung einer ent¬
sprechenden Summe ablüsen. Gleichfalls hatte das Kapitel es in
der Hand, einen gleichwertigen Zins auf ein anderes Gut in
der Stadt Aachen zu übertragen und so die Klosterwohnung
zu befreien. Die Einlösungssumme betrug das Siebzehnfache
des Zinses, seit dem 18. Dezember 1500 das Zwanzigfache. Die
vorher ausgeführten Bestimmungen wurden 1389 getroffen.
Einmal in jedem Jahre wurden die Güter des Stiftes in Aachen
und besonders die Wohnungen auf der Immunität durch den
Dechanten und zwei Kanoniker, die Rektoren der Kirchenfabrik,
und drei eidlich verpflichtete Handwerker genau untersucht.
Nötige Ausbesserungen wurden sofort auf Kosten des Kanonikers
oder Benefiziaten vorgenommen.
Der gemeinsame Tisch rief wohl noch längere Zeit
nachher, als mehrere Eigenwohnungen schon vorhanden waren,
die Stiftsherren zusammen. Eine Urkunde Ottos IV. vom Jahre
1209, wodurch die Steuerfreiheit der Stiftsinsassen gegenüber
der Stadt erklärt wurde, erwähnt auch ausdrücklich Bäcker,
Koch und Brauer 1 . Das Vorhandensein derartiger Diener spricht
deutlich genug dafür, daß die Stiftsgeistlichkeit sich noch immer
regelmäßig zur gemeinsamen Mahlzeit versammelte, und wenn
diese Ämter später nicht mehr erwähnt werden, so erklärt sich
das einfach aus der nicht lange nachher erfolgten Aufhebung
des gemeinsamen Tisches. Daß er 1218 noch bestand, getit aus einer
Urkunde des Cölner Erzbischofs Engelbert I. hervor. Dieser
hatte als Propst die Einkünfte der Pfarreien Herstall und
Laurensberg „zum gemeinsamen Gebrauch der Mahlzeit der
') Lacomblet II. Nr. 26.
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Oie Verfassung des Mnrienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit.
75
Brüder“ bestimmt *. Statutenmäßig: gebilligt wurde eine eigene
Haushaltung auch für die Kanoniker der ersten Residenz erst
1347 2 . Sie erhielten auch täglich ihren Anteil an den gemein¬
samen Naturalien. Damit scheint man auch völlig den gemein¬
samen Tisch aufgehoben zu haben, da, wie ausdrücklich gesagt
wird, eine eigene Haushaltung dem Begriffe der Residenz nicht
entgegenstehe. Nur noch bei besonderen Gelegenheiten (con-
vivium episcopale, Heiligtumsfahrt, Einführung eines neuen De¬
chanten, Jubiläum usw.) erinnerte ein allgemeines Mahl an den
früher gemeinsamen Tisch.
Die Aufnahme zu einer Pfründe war mit einer Feier ver¬
bunden. an der alle Stiftsinsassen teilnahmen. Die Kosten für
das Mahl fielen dem Neuaufgenommenen zur Last. Der Brauch
war anscheinend sehr alt, da schon im Jahre 1309 auf sein
langes Bestehen hingewiesen wurde. Ursprünglich waren zur
Veranstaltung dieses Mahles nur die Kanoniker verpflichtet,
die nicht die Priesterweihe empfangen hatten. Der Name epi-
scopatus scolarium et expensue ad lioc consuetae, später kurz
convivitim episcopale genannt, deutet anscheinend auf die
Verpflichtung hin. eine Zeit lang die Scholaren zu beaufsichtigen.
Diese Aufsichtspflicht hat sicher nicht allzulange bestanden, da
ja besondere Kanoniker und Vikare dafür angestellt wurden;
aber das Festmahl war geblieben. Zu seiner dauernden Er¬
haltung bestimmten Dechant Gottfried und das Kapitel am
9. Mai 1309 einstimmig, daß diese Verpflichtung auch auf die
Kanoniker mit Priesterweihe ausgedehnt, werden solle 3 . Vielleicht
läßt sich die Bezeichnung auch mit den Feierlichkeiten der
Weihe in Zusammenhang bringen, zu der wohl der Lütticher
Bischof oder ein Weihbischof (episcopiis) nach Aachen kam.
Damit würde sich dann auch der Umstand erklären lassen, daß
bis zum Jahre 1309 zur Festmahlsgabe nicht verpflichtet war,
wer die Priesterweihe schon empfangen hatte. Zu einem großen
Festmahle versammelte übrigens auch jeder Kanoniker die Mit¬
glieder des Stifts während oder nach seinem ersten, strengen
Residenzjahre. Da bei der großen Zahl der Eingeladenen —
in den ältesten Statuten werden die Kanoniker und alle Offi-
') Quix, Cod. dipl. Nr. 127 und Gesell. d. St. Aachen, II. S. 12.
*) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 175: 1347 Fehr. IS.
3 ) Ebenda, Urk. Nr. 131.
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76
Heinrich Li-hius
ziuten, Geistliche und Laien, und ztmi Jahre 1560 in dem Dorsal-
vermerk einer Urkunde angeführt: die drei Prälaten der Kirche,
Scholaster, Siegler, Weinmeister, Rektor des Vermögens, Fabrik¬
meister, zwei königliche Vikare, alle Vikare und Sänger der
Kirche, Notar, Klaustrar, der Kellner, der Organist, die Glöckner,
der Rutenträger, der Müller, der Brauer und die übrigen Hand¬
werker des Stifts — die Kosten sicher eine beträchtliche Höhe
erreichten, so wurde 1389 das Statut dahin geändert, daß es
jedem Kanoniker freistand, das Mahl zu geben oder anstatt
dessen dem Rektor des Kirchenvermögens zum Nutzen der
Kirche 16 Rheinische Gulden zu zahlen 1 .
Das Festmahl blieb noch länger bestehen. Da es aber
von Auswüchsen nicht frei gehalten wurde, so beschloß man
seine dauernde Umwandlung in die Geldspende von 16 Rhei¬
nischen Goldgulden.
Wir haben es hier offenbar mit einer Art jener weitver¬
breiteten Feste zu tun, die ihren Ursprung und ihre größte
Verbreitung in Frankreich fanden. An gewissen Tagen pflegten
die ausgelassenen jugendlichen Geistlichen sich in umgekehrter
Weltordnung aufzuspielen und mit allerlei Schmausereien,
Tänzen und Affung kirchlicher Zeremonien einmal nach Herzens¬
lust zu vergnügen. Diese Feste, die in ihrer etwas derben Art
eine Beurteilung aus dem Geiste des Mittelalters verlangen,
fanden zwar öfters die Mißbilligung und Verurteilung der Kirche;
aber das so oft erfolgte Einschreiten beweist, mit welcher
Zähigkeit man an diesem Faschingsbetrieb festhielt *.
Welchen Umfang das „Fest der Subdiakonen“ 3 in Aachen
angenommen hat und in welchen Formen es sich, abgesehen
von dem Festmahle, bewegte, darüber war nichts Bestimmtes
zu finden. Es hat sich aber unter der jungen Stiftsgeistlichkeit
besonderer Beliebtheit erfreut. Trotzdem man von Kapitelswogen
') Ebenda, Akt. II a fol. 187.
") Drovves, Geschichte der fete des fous (Stimmen aus Maria-I.aaeh,
17 S. 571). Über die Entwicklung dieses Brauches in der Deiner Diözese
siehe Schrörs in den Annalen d. hist. V'. f. d. Nicderrh., Heft 81, S. H9 186,
mit Angabe der Literatur.
:l ) Statut von 1809: Teiirtur dominis nosfris Hart camtnexsationem ittfra
ainiiim siinr irsidentiae; ximili modo etiam facirt, quam primum fuerit ordi-
h nt ns in xiihdinron um; ebenso in der ältesten .Statutenhandschrift: vatione
ordinis sii i xubdiacoiHitus.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 77
dagegen einschritt und trotz der Erleichterung, die die Um¬
wandlung in eine Geldabgabe mit sich brachte, blieb es weiter
bis zum Jahre 1 r>60 bestehen. Ob sich in der vorhergehenden
Zeit diese Eheste in immer gröberen Formen bewegten oder ob
der Zeitgeschmack mehr geläutert war — das Kapitel wollte
sie in der Ausdehnung nicht länger mehr dulden. Diese Gast-
mähler, so sagt es, die früher zur Förderung der Bildung und
Freundschaft eingesetzt worden seien, hätten sich zu Schmause¬
reien und unnützen Ausgaben entwickelt, die dem christlichen
Volke zum Ärgernisse dienten und dem geistlichen Stande üble
Nachrede brächten 1 . Damit aber nicht die üblichen feierlichen
Zeremonien in Zukunft untergingen, sollte das Festmahl allein
auf die Scholaren beschränkt werden. Ferner mußte der Fest¬
geber 16 Goldgulden der Sakristei für Ornamente liefern und
am Feste der unschuldigen Kinder den Prälaten zwei Viertel
Wein, den diensttuenden Kanonikern ein Viertel, jedem der
Kapläne, Vikare, Sänger und Handwerker des Stifts eine Flasche
Wein. An demselben Tage übergab er in Gegenwart des De¬
chanten oder Vizedechanten, des Notars und verschiedenerzeugen
im Chor oder in der Sakristei das Episkopat seinem Nachfolger
durch die Überreichung eines Diadems und mehrerer Ringe
(serti et annulorum episcopalium). Zugleich opferte er für die
Sakristei 20 Aachener Gulden, sein Nachfolger anstatt des
bisher üblichen Symbols zwei Goldgulden. Übrigens wurde es
nicht vollständig verboten, nach altem Brauch die E'eier vor¬
zunehmen; nur gegen die Auswüchse w r ollte das Kapitel ein-
schreiten 2 . Erst im Jahre 1687 scheint man vollständig ein Ende
damit gemacht zu haben. Man beschloß, daß nach dem convivium
des Herrn von Klocker alle neugewiihlten Stiftsherren anstatt der
beiden Gastmähler je 100 Dukaten zum Nutzen der Kirche und
zur Vermeidung von Unzuträglichkeiten zahlen sollten 3 .
Wie viel Geistliche den Dienst an der Pfalzkapelle
versahen, läßt sich nicht mehr feststellen. Die von Aachener
Geschichtsschreibern früher angenommene Zahl von 20 Geist-
l ) Nunc plerumque in commessationes et inutiles sumptus abeunt, unde
niultas suboriri insolentias videmus, quae christianam vitam professos et
meurime viros ecclesiasticos minime decent etc in plurimorum scandalum ver-
guttl praehentque communi populo occasionem clero obloquendi.
*) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 384 c (aus der Quix’sehen Sammlung).
3 ) Ebenda, Akt. 11 p. fol. 482: 1687 Sept. 18.
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78
Heinrich Lichius
liehen, die Karl der Große aus Sinzig nacli Aachen berufen
haben soll, ist unbegründet. Peter von ßeeck und andere be¬
richten, das durch die Schenkungen Kaiser Ottos I. im Jahre 941
und 972 schon ziemlich reich gewordene Stift habe im Jahre
980 durch die Einverleibung der geschleiften Abtei Ohevremont
eine Vermehrung um 12 Kanoniker erfahren, so daß damit die
durch die Einfälle der Normannen auf 12 verringerte Anzahl
wieder auf 24 gestiegen sei. Diese habe Bischof Notker von
Lüttich aus eigenen Gütern um 16 Kanoniker vermehrt. Seit
dieser Zeit sei eine Anzahl von 40 Kanonikern in Aachen ge¬
wesen l . Die Annahme, daß die Einverleibung der Abtei Che-
vremont mit ihren umfangreichen Gütern auch die Zahl der
Geistlichen im Marienstifte vermehrt habe, ist wohl kaum zu
bestreiten, wenngleich die Schenkungsurkunde darüber nichts
erwähnt. Daß aber von der angeblichen großen Zuwendung
Notkers keine Spur von Überlieferung im Marienstifte erhalten
ist, erregt doch erhebliche Bedenken an der Zuverlässigkeit
dieser Nachricht. Größere Beachtung verdient jedenfalls die in
der Bulle Gregors V. vom Jahre 997 überlieferte Siebenzahl
der Priester. Ebensoviele Kardinalpriester finden wir in den
Domkirchen zu Cöln und Trier. Auch bei anderen Stiftern ist
eine Zahl von sieben Kanonikern überliefert, die wohl auf die sieben
Gaben des h. Geistes, die sieben Diakone in der Apostelgeschichte
oder die sieben Planeten der Sonne hinweist 2 . Allerdings wird bald
mit den sich mehrenden Güterschenkungen auch eine Ver¬
mehrung der Kanoniker eingetreten sein. Es läßt sich nun
vielfach an den Stiftern die Beobachtung machen, daß die Zahl
der Stiftsherren anfangs nicht genau bestimmt war. Jenachdem
im Laufe der Zeit die Erträge der Güter reicher oder geringer
waren, änderte sich auch die Möglichkeit, mehr oder weniger
Mitglieder zu unterhalten. Daher wird man auch die später
bestehende geschlossene Zahl nicht auf einen bestimmten Beschluß
zurückführen können, sondern als die Festlegung eines allmählich
') Beeck 22 und 24. Die Bemerkung in Galliiv ebristiana 11£ 933,
Kaiser Otto III. und Notker hätten das Münster in Aachen wiederhergestellt
und anstatt der 20 Itcgulargeistlichen (Mönchen) 28 Weltgeistliche (Kano¬
niker) eingesetzt, lallt sich vielleicht auf die Bulle vom Jahre 997 zurück¬
führen: dort werden ja 7 Kardinalpriester und 7 Kardinaldiukone genannt;
was lag näher als auch 7 Suhdiakonc und 7 Scholaren anzunehmen?
*) Schäfer aa. U., S. 162 f.
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Pie Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 79
entwickelten Brauches betrachten müssen. Aus dem Grunde
erklärt es sich auch, warum wir in Aachen keinen genauen
Zeitpunkt festlegen können, wann die Zahl von 40 Kanonikat-
pfründen zuerst auftrat.
Ein Umstand aber berechtigt zu dem Schlüsse, daß schon
in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine fest abgegrenzte
Anzahl von Pfründen in Aachen war, wenn auch die Zahl selbst
nicht angegeben ist. Am 12. August 1240 ließ sich nämlich das
Kapitel durch Papst Innocenz sein Statut bestätigen, daß nur
zu einer irgendwie erledigten Pfründe ein neuer Stiftsherr auf¬
genommen werden könne 1 . Hiernach muß also eine genau fest¬
gelegte Anzahl von Kanonikaten vorausgesetzt werden. Man
geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß auch damals schon
die später erscheinenden 40 Kanonikatpfriinden bestanden; an¬
dernfalls würde eine so tief einschneidende Änderung in irgend
einer Form überliefert sein. Die älteste Überlieferung der Sta¬
tuten zählt unter v De vicariis regiis u die Stiftsmitglieder auf: von
den Kanonikern sollen zehn Priester, zehn Diakone, zehnSubdiakone
und zehn Scholaren sein. Die nächste genauere Erwähnung
der Kanonikal- und Vikarialpfründen fällt in das Jahr 1576.
Die Stadt war damals durch den Aufstand der Niederlande
gegen Spanien in Mitleidenschaft gezogen worden. Im Jahre
1568 stand der Prinz Wilhelm von Oranien mit einem Heere
bei Giilpen und suchte von der Stadt Aachen eine Anleihe von
50000 Talern zu erpressen. Durch Unterhandlungen wurde die
Forderung auf 26000 Taler ermäßigt. Hiervon sollte das Stift
drei Viertel bezahlen 2 . Das so hart getroffene Stift wandte sich
an Papst Gregor XIII. und setzte seine Lage ausführlich aus¬
einander. Der Prinz von Oranien habe mit seinen aus Irrgläubigen
gesammelten Horden auf seinem Feldzuge die Stadt belagert
und von dem Stifte, das einen Raub der kirchlichen Kostbar¬
keiten und vollständige Verwüstung habe verhüten wollen, die
Summe von 9000 Brabantischen Gulden oder 4500 Dukaten
erhalten. Zur Deckung dieser Schulden habe es viele seiner
Güter verpfänden müssen. Auch seine benachbarten Güter und
Pfarrkirchen seien vollständig verwüstet worden. An Kriegs-
') St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 71.
2 ) Vgl. hierüber Hansen, Kriegsdraugsale Aachens in der 2. Hälfte
des 16. Jrhdts.: ZdAGV 7, S. 65—104.
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Heinrich Lichius
Schatzungen habe es im ganzen 40000 Gulden bezahlen und
zur Wiederherstellung der zerstörten Kirchen 23000 Gulden
aufwenden müssen. Die Zahl der Benefiziaten und Kapellane,
deren es früher GO gegeben habe und die durch die freiwilligen
Almosen der Gläubigen unterhalten worden seien, sei auf 8
gesunken. Dabei lasse sich kaum jemand finden, der den geist¬
lichen Beruf ergreife, sondern die Aachener Jugend weile an
verschiedenen Universitäten, verfalle der ketzerischen Religion
und verbreite sie nach der Rückkehr unter den Bewohnern
der Stadt.
Auf die Vorstellungen und Bitten des Kapitels unterdrückte
der Papst die zuerst frei werdenden 8 Kanonikate von den
40, die bisher außer Propst, Dechant, Kantor, Scholaster und
Erzpriester dort bestanden hatten. Die Pfründen dieser 8 Ka¬
nonikate, die auf je 24 Dukaten geschätzt wurden, sollten zum
Teil für einen Laienprediger bestimmt sein, der an Sonn- und
Feiertagen und in der Fastenzeit zur Erhaltung und Vermehrung
des Glaubens in der Stadt und zur Bekehrung Abgefallener
predigen sollte. Damit wurde eine Forderung erfüllt, die schon
der mit der Ausführung der Dekrete des Tridentinums betraute,
äußerst tüchtige und eifrige päpstliche Nuntius Kaspar Gropper
gestellt hatte. Dieser veranlaßte den Lütticher Bischof Gerhard,
beim Marienstifte die Anstellung eines Dompredigers zu er¬
wirken '. Ferner bestritt man aus den Pfründen der unterdrückten
Kanonikate die Kosten für ein an der Kirche zu errichtendes
Gymnasium, für die Tilgung der Schulden, die Wiederherstellung
der Kirchen und endlich für die Unterhaltung von 20 neu an¬
zustellenden Benefiziaten. Wir haben also von der Zeit ab nach
dem Freiwerden der Kanonikate als Stiftsmitglieder außer den
Dignitäten Propst, Dechant und Kantor und den Hauptoffiziaten
Scholaster und Erzpriester 32 Kanoniker und 28 Kapellane
anzunehmen 2 .
Die Kanonikalpfründen waren auch jetzt wieder so geteilt,
daß acht davon durch Kleriker mit den niederen Weihen (Domi-
zellaren), acht durch Subdiakone, acht durch Diakone und acht
durch Pricsterkannnikor besetzt waren. Zu den Priesterkammikaten
') 15oI los hei in bringt in seinen Beiträgen zur Geschichte Aachens im
16. Jrhdt. (Z4AGV 21, 8. 122 ff.) Auszüge aus den Nuntiaiurberichlcn.
*) Anlage II. und St.-A. Düsseldorf, Akt. Ile fol. 418.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 81
gehörten die sieben Kardinalpriester; das achte war geteilt
unter die königlichen Vikare 1 .
Die Aufnahme zum Kanoniker war nach einem alten
Statut des Stifts, das es sich mit Unterstützung des Königs
Wilhelm von Holland im Jahre 1249 von Papst Innocenz IV.
wiederholt bestätigen ließ, nur möglich, wenn eine Pfründe frei
geworden war*. Die Besetzung von freigewordenen Pfründen
geschah, wie auch bei andern Kapiteln, nach einer bestimmten
Reihenfolge. Wie dieser Brauch sich entwickelt hat, wissen
wir nicht. Eine Ordnung dafür wurde 1316 durch das Kapitel
festgelegt. Man wollte hierdurch alle entgegengesetzten Meinungen
über die Kollation ein- für allemal beseitigen. Daher wurden
die verschiedensten Fälle, die einer regelmäßigen Anwendung
der Reihenfolge hindernd in den Weg treten konnten (z. B. Ex¬
kommunikation, Suspension oder Interdikt des zur Ernennung
berechtigten Kanonikers), berücksichtigt. War ein Kanonikat
frei, so hatte das Recht der Neubesetzung im Namen des
Kapitels der Senior (nach dem Eintritte gerechnet), von dem
das Recht au die dem Alter nach folgenden Kanoniker über¬
ging. Hiernach war also in Aachen der sogenannte turnus fixus
üblich 3 . War einem das Recht durch irgend eine kirchliche
Strafe genommen, so mußte er innerhalb fünf Monate die Abso¬
lution erwirken; sonst ging die Befugnis für die folgenden 14
Tage an den nächsten über. Ließ auch dieser die Zeit ver¬
streichen, so erhielt das Kapitel die Kollation. Sobald einer
sich aber von den kirchlichen Strafen befreit hatte, trat er
wieder in sein altes Recht ein. War der kollationsberechtigte
Kanoniker durch Studium, Reise oder Gefangenschaft von Aachen
abwesend, so konnte er seine Befugnis einem andern Kapitular-
kanoniker übertragen. Mit dem Tode eines Kollationsberechtigten
ging das Besetzungsrecht auch für seinen Stellvertreter, falls
er schon einen bestimmt hatte, verloren. Vertauschungen von
Kanonikaten und Pfründen hatten keinen Einfluß auf die be¬
schlossene Folge. Bewarb sich jemand ohne Berechtigung um
ein Kanonikat, so wollte sich das Kapitel in Zukunft solchen
*) Beeck 26 f.
*) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 71: 124 9 Aug. 29. Auf der Rückseite
Henricns de Aldenhoven impetravit. Ähnlich Nr. 74 (1249 Sept. 12), wodurch
der Dechant von St. Adalbert zu Aachen mit der Haudhabung beauftragt
wurde. — 3 ) Hinschius II. 139.
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Heinrich Lichius
Bemühungen entgegenstellen und die Kosten des Rechtsstreites
aus den gemeinsamen Einkünften der Stiftsherren nehmen. Zur
größereu Sicherheit dieses wichtigen Statuts wurde eine Be¬
stätigung vom Lütticher Bischof Adolf erbeten L Ein ähnlicher
Beschluß wurde 1334 für die Besetzung der freigewordenen
Altar- oder Vikarbenefizien gefaßt.
Eine tief in den regelmäßigen Gang der Ernennungsfolge
eingreifende Bestimmung wurde im Jahre 1449 getroffen. Um
diese Zeit scheint es mit der Verkündigung des Wortes Gottes
in Aachen ziemlich schlecht bestellt gewesen zu sein, was gegen¬
über der Würde des Gotteshauses und der Relhiuienverehrung
uns heute ebenso wundernehmen muß wie damals den päpst¬
lichen Legaten Johannes, Kardinaldiakon von St. Angeli. Dieser
bestimmte, daß die ersten fünf erledigten Kanonikate an Ma¬
gister der Theologie oder Doktoren oder Lizentiaten des kano¬
nischen oder bürgerlichen Rechts verliehen würden. Diese be¬
zogen nach der Verordnung sofort ihre vollen Pfründen und
hatten, wenn sie Priester waren, unverzüglich Sitz und Stimme
im Kapitel. Bei ihrer Aufnahme verpflichteten sie sich eidlich
zu ständiger Residenz, die nur einmal für ein ganzes Jahr und
dann jährlich in besonders dringenden Fällen für drei Monate
unterbrochen werden konnte, jedoch so, daß immer drei von
ihnen Residenz übten. Ihre Hauptverpflichtung bestand einmal
darin, dem Volke die Buße zu predigen und es zum besseren
Leben zu bringen, dann den Kanonikern in scholastischen Übungen
eine Kenntnis der Wissenschaften zu übermitteln 2 .
Die Bestimmung über die Kollation fand auch Aufnahme
in die Statuten von 1389; jedoch wurde hier als Frist zur
Besetzung nur ein Monat festgesetzt, womit man wohl einer
Verminderung des Gottesdienstes steuern wollte.
') St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 146: 1316 Febr. 9. Das Statut ist doppelt
ausgefertigt, die Bitte um Bestätigung durch den Lütticher Bischof uur in
einer Ausfertigung überliefert.
*) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 290 (1449 Mai 10): Horum doctorum
exercitium ultra aliorum eanonieorum servitia esse debet per vices populo sua
delicta enuntiare et ipsum rerbo doctrinae ad frugem melioris vitae, quantum
in eis est , ronrertcre et omni diligentia ea, quae sunt salutis animarum, pro-
movere, aliis canoniris scolastico excrcitio litterarum peritiam communicare
et ad omnia, quae Christi sunt, diligenlius attendere.
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Die Verfassung des Marieustifles zu Aachen Dis zur franz. Zeit. 83
Das vom päpstlichen Stuhle vornehmlich seit dem 13. Jahr¬
hundert beanspruchte Recht der Vergebung von Kanonikal-
pfründen wurde auch beim Marienstifte ausgeübt, wofür die
Registerbände des vatikanischen Archivs manche Belege ent¬
halten L Diese päpstlichen Provisionen, die ursprünglich nur
eine Bitte enthalten, wurden allmählich zum strengen Befehl,
dessen Nichtbefolgung mit kirchlichen Strafen belegt wurde.
So war die Kurie in der Lage, in geradezu maßloser Weise in
das Besetzungsrecht der geistlichen Würden und Benefiziaten
einzugreifen 2 . Natürlich w r ar eine solche Beeinträchtigung dem
Stifte nicht angenehm. Deshalb ließ das Kapitel im Jahre 1248
durch den erwählten Bischof von Lüttich und seinen Propst
vom päpstlichen Stuhle das Privileg erbitten, daß keine Briefe
vom Papst oder von einem päpstlichen Legaten, die nicht aus¬
drücklich diese Bulle erwähnten, die Kraft haben sollten, die
Provision irgend jemandes mit einer Rente, Pfründe oder einem
Benefiz zu erwirken 3 . Der Thesaurar von St. Gereon in Cöln
wurde mit Handhabung dieses Privilegs beauftragt 4 . Die Kolla¬
tionsbefugnis wurde zwischen Friedrich III. und Nikolaus V.
dahin festgelegt, daß dem Papste in den ungeraden Monaten
das Recht zustehen solle 5 . Durch die Gunst des Papstes Paulus V.
erhielt die theologische Fakultät der Universität Löwen das
Recht, in allen geraden Jahren die im Januar und in ungeraden
die im Januar und November frei werdenden Kanonikate des
Bistums Lüttich, in dessen Bereich auch Aachen fiel, zu be¬
setzen 6 .
Auch die deutschen Könige nahmen seit dem 13. Jahr¬
hundert durch die sogenannten preces primariae oder primitiae
das Recht in Anspruch, die nach ihrer Königs- oder Kaiser¬
krönung zuerst frei werdenden Kanonikate und Benefizien zu
besetzen, zu deren Einhaltung die Dom- und Kollegiatka-
') Hansen in der ZdAGV 14, S. 213—233, Nr. 9, 11, 12, 14-16,
18 — 20, 22, 24, 26, 27, 30—32, 38. 41, 42, 44, 46, 47, 50, 53—55 aus den
Jahren 1317—1365.— *) Hinschins III. 133 ff.
*) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 66: 1248 Juli 6.
4 ) Ebenda, Nr. 67 (nach einem Traussumpt vom 8. Sept. 1372).
*) Ebenda, Nr. 453, Urk. von 1702 Juli 1, in welcher Papst Clemens XI.
sich ausdrücklich auf diesen Vertrag beruft und eine Pfründe vergibt, die
jährlich 24 Dukaten Gold eiuträgt. — Schollen iu der ZdAGV 8, S. 194,
Amn. 23. — G ) Stadtarchiv, Koll. fol. 44 § 88.
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6 *
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84
Heinrich Liehius
pitel verpflichtet waren \ Dieses Recht wurde von den Königen
auch an geistliche Würdenträger verliehen, wie es z. B. Ludwig
der Bayer 1314 an den Erzbischof von Trier ahtrat. Unter den
dort erwähnten Pfründen sind auch die in Aachen genannt*.
Wie streng einerseits dieses Recht verlangt wurde und wie
begehrenswert anderseits eine Pfründe des Marienstifts war,
geht daraus hervor, daß König Albrecht I. in den Jahren
1302—1306 im ganzen sechsmal den Tilman von Landskron
dem Aachener Kapitel präsentierte und endlich für den noch¬
maligen Weigerungsfall mit Drohungen nicht zurückhielt 3 . Eben¬
falls machte Kaiser Ferdinand I. das Recht der ersten Bitten
auf alle geistlichen Würden und Benefizien der Stadt Aachen
für sich geltend, wie aus einem Patent für den Priester Lambert
Reitelmeyer als neu einzusetzenden Kanoniker des Stifts vom
7. Februar 1734 hervorgeht 4 .
Auch fürstliche und adelige Familien suchten manchmal
ihre Mitglieder und Günstlinge in den Stiftern unterzubringen.
Der im Marienstift übliche Turnus blieb, abgesehen von den
päpstlichen und kaiserlichen Rechten, bis zum Jahre 1710 be¬
stehen. Es kam nun aber sehr oft vor, daß die Fürsten der
umliegenden Länder, in denen das Stift begütert war, beim
Freiwerden einer Pfründe sich mit Empfehlungsschreiben an
das Stift wandten. Da diese manchmal in großer Zahl einliefeu
und infolgedessen viele unberücksichtigt bleiben mußten, hatte
das Stift, abgesehen von dem Eingriff in das Kollationsrecht
des einzelnen Kanonikers, auch wohl öfters eine Einschränkung
der Gunstbezeugungen jener Häuser zu beklagen 6 . Um diesen
Unannehmlichkeiten aus dem Wege zu gehen, wurde gelegentlich
der Visitationsreise des päpstlichen Legaten am Rhein und in
Niederdeutschland Johann Baptist Bussi, Erzbischofs von Ancona,
der Turnus nach dem Muster anderer Kollegiatkapitel dahin
geändert, daß er in den dem Kapitel verbliebenen sechs Mo¬
naten nicht, wie früher, nach Monaten, sondern nach Wochen
') Hinschius II 639 ff. — Werminghoff 177 f. und Anm.
*) Werminghoff a. a. 0.
s ) Guden, Cod. Dipl. II. 984, 986, 987, 989. — Haagen I. 222. —
Ein Beispiel ans späterer Zeit (1747 Febr. 16) in den Stiftsprotokollen im
St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 y fol. 225 f. — 4 ) Stifts-Archiv VII 7. Nr. 6.
5 ) Meyer I 688 f.
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Di«! Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 85
unter den berechtigten Stiftsherren wechseln sollte 1 . Wer mit
der neuen Form zu beginnen hatte, sollte durch Los festgestellt
werden. Am 26. November 1710 wurde nach erfolgter Berufung
aller Kapitularkanoniker das Los gezogen: es fiel auf den
Dechanten, der den Robert Freiherrn von Belderbusch prä¬
sentierte *.
Eine andere, auch in Aachen öfters zu beobachtende Form der
Erledigung von Kanonikalpfründen war die Resignation, indem
ein Kanoniker zu Gunsten eines andern auf sein Kanonikat ver¬
zichtete. Reine Wahlpfründen waren die des Dechanten und des
Kantors. Zuweilen begab sich auch ein Kanoniker des ihm zu¬
stehenden Kollationsrechtes, indem er es in die Hände des
Kapitels legte. Das Patronat über die Pfründen des Propstes,
Scholasters, Erzpriesters und der beiden königlichen Vikare
lag anfangs in den Händen des deutschen Königs. Nach 1348
und 1357 war es bei Jülich. Nach dem Aussterben des «Tülicher
Hauses im Jahre 1609 wurden Propstei, Scholasterei und die
königliche Vikarie abwechselnd von Pfalz-Neuburg und Branden¬
burg besetzt; das Besetzungsrecht des Archipresbyterats lag
allein bei Pfalz-Neuburg.
Manche Dom- und Kollegiatkapitel Deutschlands erscheinen
im Mittelalter als ausgesprochene Domänen des Adels. Sie scheiden
sich zum Teil scharf in solche, die nur Freiherren, und solche,
die auch dem niederen Adel und Bürgerlichen zugänglich waren 3 .
Das Aachener Marienstift wurde sehr oft in den Urkunden mit
den schmeichelhaftesten Ausdrücken als der erste Sitz des
Reiches diesseits der Alpen bedacht und genoß auch in Wirk¬
lichkeit manche Vorzüge vor den übrigen Stiftern Deutschlands.
Es kann also nicht verwundern, wenn es selbst durch den
Stand seiner Mitglieder den eigenen Ruhm zu vermehren bemüht
war. Deshalb finden wir besonders am Ende des 14. Jahrhunderts
') Meyer a. a. 0. — Quix, Beschreibung: Aachens 32.
s ) Sifts-Archiv I9B Nr. 6: 1710 Okt. 22. — St.-A. Düsseldorf, Urk.
Nr. 457: 1710 Jan. 13. — Akten 11 t fol. 162.
3 ) Schulte, Das Freiherrliche Kloster Werden: Westd. Zeitschr. 1906.
— Kisky, Die Domkapitel der gcistl. Kurfürsten in ihrer persönl. Zusammen¬
setzung im 14. u 15. Jrhdt.: Quellen u. Studien zur Verf.-Gesch. des Deutschen
Reiches in Mittelalter und Neuzeit, herausg. von Karl Z»umer, I 3. Weimar
1906 — Ders: Das freiherrliche Stift St. Gereon in Köln: Ann. d. hist. V. f. d.
Ndrb. 82 (1907).
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86
Heinrich Lichius
bei der Auswahl seiner Mitglieder eine gewisse Beschränkung,
die es durch Kapitelsbeschlüsse, statutenmäßige Festlegung
und päpstliche Bestätigung für immer zu erhalten bestrebt war.
Einen Generalkapitelsbeschluß über die ständischen Ver¬
hältnisse haben wir erst aus dem Jahre 1402'. Dechant
Gottfried von Vlodorp und das gesamte Kapitel, in dem nach
alten Bestimmungen alle versammelt waren, die erscheinen
konnten und mußten, beklagten, daß das Stift an Rechten und
Gütern und zerstreuten Besitzungen viel Einbuße erfahren habe
und noch täglich Schäden erleide. Als Grund hierfür wird die
Mitgliedschaft geringer und untätiger Leute angegeben: propter
personas mediocres et impotentes in ecclesia nostra praebendatas,
non valentes eam in statu debito utiliter gubernare. Um dem Unglück
zu steuern, gelobten alle auf ihren Eid, daß in Zukunft niemand
mehr zu einer Pfrüude, auf welchem Wege sie auch frei wurde,
aufgenommen und zugelassen werden solle, der nicht vor allem
in rechtmäßiger Ehe geboren und dazu von beiden Eltern ritter¬
licher Abstammung sei oder sich den Grad eines Magisters,
Doktors, Lizentiaten oder Bakkalaureus in den freien Künsten,
in der Medizin, dem kanonischen oder bürgerlichen Recht oder
in der Theologie erworben habe. Seine ritterliche Abstammung
von Vater und Mutter her mußte er hinreichend beweisen und
durch zwei ritterliche Zeugen eidlich erhärten lassen *. Für
seinen wissenschaftlichen Grad diente das Zeugnis der Uni¬
versität als Beweis 3 . Dieses Statut fand am 7. Oktober desselben
Jahres seine Bestätigung durch Papst Bonifatius IX., wobei
noch besonders der Vorrang der Kirche betont wurde, da jeder
römische König Kanoniker des Stiftes sei und die Reliquien
vieler Heiligen und das Grab Karls des Großen, des Gründers
der Kirche, eine ungeheure Menge von Gläubigen herbeiziehe 4 .
Die Aachener Bürgerschaft, die in Karl dem Großen nicht
nur den Gründer des Stifts, sondern einen Begünstiger und
') Die Aufzeichnung der Statuten vom J. 1389 enthält ebenfalls die
Bestimmungen über Stand und Rang der Kanoniker. Da sie aber am Schlüsse
stehen und anscheinend auch von anderer Hand sind, muß man sie wohl als
Nachtrag aus späterer Zeit betrachten.
J t Die Eidesformel dafür ist noch in vielen Abschriften in dem Otto-
nischen Evangelienbuch im Domschatz zu Aachen und in Statutenhandachriften
erhalten.— 8 ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 232: 1402 Mai 26.
4 ) Ebenda, Reg. u. Hss. Nr. 7 fol. 9 11: 1402 Okt. 7.
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Die Verfassen" des Marienstiftes zu Aachen lds zur franz. Zeit. 87
Mehrer auch der Stadt erblickte, wollte sich natürlich eine
solche Zurücksetzung ihrer Söhne nicht gefallen lassen. Ein
wissenschaftlicher Grad konnte ja nur an der Universität erlangt
werden. Da aber ein mehrjähriger Studienaufenthalt in der Fremde
mit Kosten verbunden war, die ein einfacher Bürgersmann für
seinen Sohn so leicht nicht aufbringen konnte, traten Bürger¬
meister und Rat der Stadt an den Papst Johann XXIII. mit
der Bitte heran, jenes Privileg seines Vorgängers außer Kraft
zu setzen, indem sie darauf hinwiesen, daß auch früher geeignete
Kleriker, die nicht die in der Bulle enthaltenen Bedingungen
erfüllt hätten, als Kanoniker aufgenommen worden seien; daher
verursache der Beschluß eine Schädigung der einheimischen
Kleriker. Das Stift habe sich trotz der Vorstellungen ge¬
weigert, von seiner Maßnahme Abstand zu nehmen. Der Papst,
der damals am Konzil zu Konstanz teilnahm, hatte Verständnis
für die Klage der Stadt und betonte in einem Indulte vom
Jahre 1415, daß auch Nichtgraduierte im Weinberge des Herrn
dienen könnten und daß Charakter und Tugend den Menschen
adele. Deshalb sollte fürderhin jeder auswärtige oder einheimische
Geistliche zur Aufnahme in das Stift fähig sein 1 . Da aber dem
Kapitel Stand und Rang seiner Mitglieder sehr am Herzen lag,
wollte es sich hierbei nicht beruhigen. Aber auch der städtische
Rat bestand auf seinem Rechte. Die Verhandlungen, über deren
Verlauf wir nicht unterrichtet sind, gediehen schließlich zu
einer Art Vertrag. Man einigte sich dahin, daß künftig jeder
aus rechtmäßiger Ehe stammende Kleriker zugelassen werden
könnte. Die Nichtgraduierten waren gehalten, sich vom Tage
ihrer Aufnahme ab zum Bakkalaureat vorzubereiten und vor Beginn
des Jahres ihrer ersten, strengen Residenz den vorgeschriebenen
Grad oder wenigstens das Bakkalaureat zu erwerben. Gelang
ihnen dies nicht vor der gestellten Frist, so mußten sie sofort
nach Vollendung der ersten Residenz sich zum dreijährigen
Studium begebeu, um die Bedingungen zu erfüllen. Für diese
Zeit erhielten sie vom Kapitel jährlich 50 Rheinische Gulden.
Hatten sie sich dann der zweiten Residenz unterzogen, besaßen
sie erst das Anrecht auf Sitz und Stimme 2 . Dieses Überein¬
kommen wurde vom Papst Martin von Konstanz aus im Jahre 1418
') Meyer 1.371.— Hangen 11 15.
2 ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 243: 1416 Nov. 29.
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bestätigt 1 . Die Forderung der ehelichen Geburt und der Er¬
langung eines wissenschaftlichen Grades wurde abermals be¬
stätigt im Jahre 1442 durch König Friedrich III.® und im
Jahre 1449 durch den Kardinaldiakon Johannes, der als päpst¬
licher Legat fiir Deutschland von Koblenz aus die Beseitigung
verschiedener Mißstände in der Marienkirche veranlaßte \ Lange
Zeit scheint es hierbei geblieben zu sein. Wenn auch das Stift
durch manche kriegerischen Wirrnisse und Unglücksfälle viel
Einbuße an seinen Gütern erlitt, so zogen doch die immerhin
noch einträglichen Pfründen die Aufmerksamkeit des Adels auf
sich, so daß der Aachener Stadtrat sich im Jahre 1658 wiederum
zu Klagen veranlaßt sah. Am 19. Juli schrieb er an Papst Ale¬
xander VII., daß die Aachener Bürgerssöline von den Pfründen
des Marienstifts, die doch Karl der Große ohne Zweifel gerade
für sie gestiftet habe, vollständig ausgeschlossen würden und
daß die Adeligen, die im Stifte an Zahl und Stimmen den Vorzug
hätten, sich anscheinend zu deren Ausschließung gleichsam ver¬
schworen hätten. Die Löwener Universität, der mehrere von
den päpstlichen Monaten zur Präsentation überlassen worden
waren, würde von andern, die bei der römischen Kurie mehr
Einfluß hätten, leicht zurückgedrängt. Deshalb bat der Stadtrat,
es möge auch ihm der eine oder andere der Fapstmonate zur
Präsentation eingeräumt werden. Die Bitte scheint erfolglos
geblieben zu sein 4 . Durch die Einführung des Turnus im Jahre
1710 wurde diesen Klagen ein Ende gemacht. Wenn also auch
die Besetzung der Kanouikate durch Adelige immer angestrebt
wurde, sei es nun von außen oder von Stiftsmitgliedern selbst,
so hat das Marienstift doch niemals den ausgesprochenen Cha¬
rakter eines freiherrlichen Stifts erlangt.
Von den Mitgliedern der Kollegiatkapitel wurde ein kirch¬
licher Weihegrad gefordert. Nach altem Brauche mußten in
Aachen zehn die Priesterweihe, zehn die Diakonats- und zehn
die Subdiakonatsweihe haben; die übrigen zehn waren Scholaren.
Nach 1576 waren es je acht. Priester sollten regelmäßig die
‘) Beeck 27. - Meyer I 872. — Quix, Münsterkirche, 148—147.
*) Laeomblet IV. Nr. 247. — Hangen II 50.
s ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 290: 1449 Mai 10.
*) Meyer, der (in den Koll. im Aachener Stadtarchiv fol. 44 Anm.)
dieses Bittgesuch überliefert, seufzt zum Schlüsse ganz resigniert: „Ach
hätte doch der Papst hierzu ja gesagt!“
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Die Verfassung des Mnrienstiflos zu Aachen l>is zur franz. Zeit. 89
sieben Kardinalpriester, der Dechant und die beiden königlichen
Vikare sein. Für den Kantor und Scholaster war ein bestimmter
Weihegrad nicht vorgeschrieben. Der volle Genuß einer Pfründe
und die Berechtigung zu Sitz und Stimme im Kapitel trat erst
ein mit der Erlangung der Subdiakonatsweihe und zwar auch
nur in dem Falle, wenn die Zahl der Scholaren wieder vollständig
war. Dieser Umstand bewirkte, daß sich die Kanoniker oft
mit der Subdiakonatsweihe begnügten. Trotzdem rückten sie
in regelmäßigem Aufstieg in den Rang der Diakoue und Priester
ein, ohne aber in Wirklichkeit die Weihen empfangen zu haben.
Um diesem Mißstande abzuhelfen, war gemäß den Bestimmungen
des Tridentinums seit dem Lamberti-Generalkapitel vom Jahre
1506 die Bestimmung getroffen, daß jedem, der nicht in regel¬
mäßigem Aufstieg die Diakonats- oder Priesterweihe empfing,
von den jährlichen Einkünften aller Früchte je zehn Scheffel
abgezogen würden. Dieser Beschluß fand im folgenden Jahre
seine Bestätigung durch den Lütticher Bischof Erhard von der
Mark 1 . Die Höhe dieses Abzuges führte im Jahre 1689 zu dem
Versuch, ihn auf die Hälfte herabzusetzen. Da das aber sicher
eine Verringerung des Altardienstes zur Folge gehabt hätte,
beschloß das Kapitel am 21. September 1692, an der alten
Bestimmung festzuhalten, und erwirkte auch am 14. November 1693
dazu die Bestätigung des päpstlichen Nuntius für Norddeutschland
Johann Antonius, Erzbischofs von Theben und päpstlichen Haus¬
prälaten 2 . Für den Widerstand, den manche der Erlangung
der Priesterweihe entgegensetzten, ist es bezeichnend, daß zu¬
weilen vor der Neuwahl eines Dechanten in die Wahlkapitulation
eine Bestimmung aufgenommen wurde, durch die sich der Dechant
verpflichtete, auf die Kan miker keinen Zwang zum Erwerb des
Priestergrades auszuüben. So versicherte der Dechant Heinrich
Strauven im Jahre 1612 u. a.: „Was das Statut über die Er¬
langung der Priesterweihe angeht, darf niemand gezwungen
werden 3 ,“ und 1626 Theobald von Eynatten: „Hinsichtlich des
Statuts über die Weihen bleibt es bei dem jetzt bestehenden
Brauch 4 .“
Ein besonderes Vorrecht im Marienstift genossen die sieben
Kardinalpriester, auch kurz Siebenpriester genannt. Titel
') Beeck 26. — ’) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 452. — Beeck a. u. 0.
’) St.-A. Düsseldorf. Akt. 11 g fol. 15: 1612 März 22.
4 ) Ebenda, Akt. 11h fol. 274: 1626 Mürz 5.
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und Rang erhielten sie im .Talire 997 durch Papst Gregor V.
Zugleich wurde ihnen das besondere Recht, gegeben, am Marien¬
altar im Münster das Meßopfer darzubringen. Denselben Vorzug
genossen nur noch der Erzbischof von Cöln und der Bischof
von Lüttich. An diesem Altar wurde also der Hauptgottesdienst
für Stift und Stadt gehalten. Hier wurde die Königskrönung
vorgenommen; hier fanden die Einsetzungen der Würdenträger
des Stifts statt; hier geschah der feierliche Gottesdienst an
Festtagen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich nun der Brauch,
daß Titel und Rechte eines Kardinalpriesters immer bei den
ältesten Kapitularkanonikern verblieben. Da sich die Kanoniker
aber sehr oft nur mit der Subdiakonats- oder Diakonatsweihe
begnügten, so führten viele den Titel Kardinalpriester, ohne in
Wirklichkeit jemals die Weihe erhalten zu haben. Eine strenge
Verpflichtung, die Priesterweihe zu erwerben, bestand also unter
denen, die am Marienaltar Messe zu lesen berechtigt waren,
nur für den Dechanten und die beiden königlichen Vikare. Die
Folge davon w-ar, daß der Marienaltar, der eigentlich Tag für
Tag den Mittelpunkt des Gottesdienstes hätte bilden sollen,
öfters veroinsamt dastand. Das Kapitel konnte sich der Er¬
kenntnis, daß dieser Zustand unhaltbar war, nicht verschließen
und bemühte sich daher auch zuweilen, eine Änderung herbei¬
zuführen. Jedoch war man nicht gesonnen, die Heilung des
Übels von der Wurzel aus vorzunehmen, indem man einfach
die Forderung der Priesterweihe bei jedem Kanonikatsinhaher
streng durchführte, sondern man begnügte sich mit unzuläng¬
lichen Mitteln. Dazu gehört die im Jahre 1818 erfolgte Teilung
der königlichen Vikarie unter zwei Vikare, wodurch man einen
Priester des Marienaltares mehr gewann.
Ungefähr ein Jahrhundert später, im Jahre 1424, machte
man einen weiteren Versuch. Damals baten nämlich Dechant
Heinrich von Imbermont und das Kapitel mit der Begründung,
daß wegen Alters, Krankheit und Abwesenheit der Priester des
Marienaltares der Gottesdienst sehr oft versäumt werde, den
Papst Martin V., zur Durchführung des Gottesdienstes am Marien¬
altar die zunächst freiwerdende Pfründe in zwei Teile zu teilen.
Diese Halbpfründen sollten an zwei Priester verliehen werden,
die, ohne dem Kapitel anzugehören, wie Vikare den Altar mit-
bedienen und ihre Anstellung durch das Kapitel erhalten sollten.
Der Papst willfahrte dem Wunsche des Kapitels und übertrug
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Die Verfassung des Mariensl iftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 91
am 23. Dezember 1424 die Ausführung dem Dechanten von
St. Servatius in Maastricht, jedoch mit der ausdrücklichen Be¬
merkung, daß die Verpflichtungen der vorher schon Berechtigten
nicht vermindert werden sollten 1 . Diese Einschränkung mußte
natürlich sehr ungelegen kommen, da hierdurch der tiefere
Grund zur Bitte des Kapitels wegfiel. Daher scheint denn auch
die Ausführung dieser Bulle nicht vorgenommen worden zu sein.
Nirgends finden wir diese Halbpfründen mehr erwähnt, und auch
bei der Visitationsreise des päpstlichen Legaten Johann Baptist
Bussi in den Jahren 1708—10 werden sie nicht genannt. Daher
hat wohl eine in den jüngeren Statutenhandschriften bei der
Abschrift dieser Bulle angefügte Bemerkung, sie sei nicht zur
Ausführung gekommen, volle Berechtigung 3 .
Bei der erwähnten Visitationsreise kam auch das Recht, in
die Reihe der Marienaltarpriester aufzurücken 3 , zur Sprache.
In der Kapitelssitzung vom 18. Juli 1709, an der der Nuntius
persönlich teilnahm, wurden 17 Bestimmungen vorgelesen, von
denen 10 den Marienaltar betrafen. Der Legat beklagte, daß
es im Stift manche Kanoniker gebe, die wohl zur Zahl der
Priester gehörten, aber nichtsdestoweniger sich nicht bemühten,
den Priesterrang zu erwerben, so daß selten am Marienaltar
die Messe gelesen werde. Er verordnete deshalb, daß Senioren-
kanoniker, die trotz ihrer Verpflichtung nicht Priester seien,
sich in drei Monaten Weihen geben lassen sollten; andernfalls
sollten andere Kanoniker, die Priester seien oder werden wollten,
in Chor und Kapitel den Rang vor ihnen bekommen. Das Ka¬
pitel nahm zu den neuen Verordnungen am 8. Oktober Stellung.
Laut Beschluß sollten drei Sprecher dem Nuntius auseinander-
setzen, daß es nicht acht Priesterkanoniker gebe, sondern mit.
dem Dechanten sieben, denen die zwei königlichen Vikare bei¬
gefügt seien. Nach der neuen Bestimmung stehe es einem
Diakon oder Subdiakon nun frei, nach eigenem Gutdünken den
Vorrang der Kardinalpriester zu erwerben, wodurch ältere Ka-
') Ausfertigung im Stiftsarcbiv I 9 A Nr. 1.
*) Kgl. Bibi. Berlin, Quixscher Nachlaß, Mss. boruss. in folio Nr. 822
zwischen S. 90 und 91: eingelegtes Blatt mit Bemerkungen über die Bulle,
gehört, zu S. 119.
*) Iu den Quellen wird dies mit dem Ausdrucke aacensus ad altare
D. M. V. bezeichnet.
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noniker hinter jüngeren zurückstehen müßten. Das ergebe aber
nach der Verfassung des Stifts manche Schwierigkeiten. Auch
wolle das Kapitel nicht gern von dem seit unvordenklicher Zeit
bestehenden Brauche abweichen. Dechant und Kapitel ver¬
sprachen, um einer Verminderung des Gottesdienstes am Marien¬
altar vorzubeugen, fürderhin eifrig dafür zu sorgen, daß die
Kanoniker die Priesterweihe erwürben, und baten den Nuntius,
er möge die einzelnen Rangklassen ohne irgend eine Vermischung
bestehen lassen. Der Nuntius kam dem Wunsche des Kapitels
durch ein Schreiben aus Cöln vom 22. Oktober soweit nach,
daß er seinen Beschluß für die augenblicklich den Namen, aber
nicht den Rang der Priester besitzenden Kanoniker aufhob. Es
sollten aber in Zukunft auch die ältesten der Diakone bei
eintretendem Mangel zum Dienste am Marienaltar zugelassen
werden \
War nun ein Kanoniker gestorben, so wurden nach altem
Brauch seinen Erben die Einkünfte noch zwei Jahre lang zu¬
gewiesen (anni gratiae ), wogegen diese die Verpflichtungen des
Verstorbenen durch einen Kanoniker oder königlichen Vikar
erfüllen lassen mußten 2 . Damit aber beim Tode eines Priester¬
kanonikers des Marienaltars der Nachfolger nicht zwei Jahre
lang auf die Einsetzung in den wirklichen Rang warten müsse,
beschloß das Kapitel am 4. Oktober 1753, daß unbeschadet der
Rechte der Erben ein Nachfolger sofort in die Würde eines
Kardinalpriesters eintreten könne. Das widersprach ja in keiner
Weise dem Dekret des päpstlichen Nuntius vom Jahre 1709.
Aus der Erbmasse flössen aber der Sakristei für die Erfüllung
der Verpflichtungen des Verstorbenen in den Gnadenjahren je
24 Reichstaler zu 3 .
Da nun der Wortlaut der Bestimmungen, die der Nuntius
getroffen hatte, über die Frage, ob auch die Inhaber von Sub¬
diakonatspfründen sofort nach der Priesterweihe die Vorrechte
der Marienaltarpriester genießen könnten, eine verschiedene
Deutung zuließ, gab es fortgesetzt Unstimmigkeiten im Kapitel.
Die Frage wurde im Jahre 1787 durch den Kantor J. Damas
ausführlich untersucht und das Ergebnis dem Kapitel nnter-
') St.-A. Düsseldorf, Akt. 11t toi 7« f. 100—105.
-) Siche unten S. 99.
3 ) Ebenda, Akt. 11 y: Kapitel vom 4. ükt. 1752.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aaeheu bis zur franz. Zeit. 98
breitet. Es wurde bestimmt, daß sogleich nach dem Tode eines
Kardinalpriesters der älteste Diakon in dieses Amt aufrücken,
innerhalb dreier Monate die Priesterweihe erwerben und unter¬
dessen den Wochendienst ausüben lassen solle. Damit die
Diakone um so bereitwilliger dieser Verpflichtung nachkämen,
wurde den Hebdomadaren (Wochenpriestern) an diesem Altäre
vom 17 . Juli 1787 ab eine besondere Zulage von 6 Miidden
Weizen zugebilligt. Wenn sich kein Diakon bereit erklärte,
ging das Recht auf den ältesten Subdiakon über. Fand sich
auch unter diesen keiner, so wurde die Erwerbung der Priester¬
weihe dem ältesten Diakon zur Pflicht gemacht und im Weigerungs¬
fälle ihm abzüglich der Kosten für einen Vertreter eine Strafe
von fünf Müdden Weizen, Hafer und Gerste auferlegt. Bei
Krankheit oder Abwesenheit eines Kardinalpriesters war der
jüngste von ihnen zum Wocheudienst verpflichtet, wofür er vier
Reichstaler erhielt \
Die Residenzpflicht der Kanoniker war je nach dem
Range der Stiftsmitglieder strenger oder leichter. Wenn jemand
ein Kanonikat durch Vertauschung oder Resignation erlangt
hatte, mußte er noch vier Jahre, war dagegen das Kanonikat
durch Tod frei geworden, so mußte er, da das Gnaden -
jahr hinzutrat, noch fünf Jahre warten. Nach Ablauf
dieser Frist konnte er sich zur ersten Residenz melden, wozu
er vom Kapitel die Erlaubnis einholte. Sie war sehr streng.
Der junge Kanoniker war gezwungen, ein volles Jahr hindurch
in der Klosterwohnung auf der Immunität zu verbringen, und
durfte nicht zwei aufeinanderfolgende Nächte außerhalb schlafen.
Geschah dies doch und wurde er dessen überführt, so begann
seine erste Residenz von neuem und alle ihm bisher verabfolgten
Präsenzgefälle wurden zurückverlangt. Täglich mußte er au
den Chorstunden pünktlich teilnehmen.
Hatte der Kanoniker nach Verlauf des ersten, strengen
Residenzjahres noch nicht das Alter von zwanzig Jahren erreicht,
so mußte er, wenn er aus ritterlichem Geschlechte war, noch
drei Jahre zur Universität gehen und dort Vorlesungen hören.
Von ihm wurde ein Examen nicht verlangt. Besaß aber ein
bürgerlicher Kanoniker vor Beginn der strengen Residenz noch
keinen wissenschaftlichen Grad, so mußte er unbedingt ohne
') Ebenda, Akt. II dd Dl. 336 f.: 1787 März 6.
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Rücksicht auf sein vielleicht schon vorgeschrittenes Alter an
einer Universität drei Jahre lang den Studien obliegen und
wenigstens das Bakkalaureat erwerben. Für diese drei Jahre
erhielt der Kanoniker je fünfzig Rheinische Gulden.
Waren diese Bedingungen erfüllt, so schloß sich an die
strenge Residenz entweder sofort oder mit der angeführten Ein¬
schränkung die zweite, weniger strenge Residenz au. Diese
dauerte bei Resignation gewöhnlich nur ein Jahr, bei Freiwerden
des Kanonikats durch Tod zwei Jahre. Sie konnte aber auch,
wenn noch kein Kanonikat frei war und noch nicht zehn (seit
1576 noch nicht acht) jüngere Scholaren vorhanden waren,
noch längere Zeit andauern.
Die Residenz berechtigte natürlich auch die Kanoniker zu
einer Menge von Einkünften. Es war durch ein vom Papst
Innocenz IV. im Jahre 1249 bestätigtes Statut festgesetzt worden,
daß nur ein persönlich residierender Kanoniker den vollen Genuß
seiner Pfründe habe. Wer abwesend war, wurde mit dem voll¬
ständigen oder beschränkten Verluste seiner Pfründe bestraft 1 .
Im Jahre 1304 änderte das Kapitel diese Bestimmung, vorläufig
auf die Dauer von zehn Jahren, dahin, daß jeder wenigstens
ein Jahr lang Residenz üben mußte, ein residierender Kanoniker
jährlich nur sechs bis sieben Wochen abwesend sein durfte und
sich acht Tage vor und nach Johannes ausdrücklich als resi¬
dierend erklärte.
Die auswärtigen Kanoniker erhielten statt der Pfründe
jährlich nur 30 Pfund kleiner Turnosen, die ihnen in gleichen
Teilen am Feste des Apostels Andreas (30. November), zu
Lichtmeß (2. Februar) und am Servatiustage (13. Mai) verabfolgt
wurden. Wer zugleich Mitglied eines auswärtigen Siftes war,
dort Residenz übte und Pfründen bezog, wurde auch als Aus¬
wärtiger betrachtet. Wer nie anwesend war, wurde mit der
Entziehung des Rechtes der Teilname an den Kapitelsverhand¬
lungen bestraft 2 .
Das bei den Stiftsherren vieler Kollegiatkapitel vorhandene
Bestreben, an mehreren Orten zugleich Pfründen zu beziehen,
machte sicli also auch in Aachen geltend. So erhielt der Ma¬
gister Wilhelm Carbono wegen seine) 1 Verdienste durch Papst
*) Ebenda, Urk. Nr. 72: 1249 Aug. 21.
*) Ebenda, Urk. Nr. 124: 1804 Eobr. 7.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 95
Bonifaz VIII. im Jahre 1301 ein Kanonikat zu Lüttich 1 , und
Innocenz IV. erteilte am 20. Februar 1247 dem Kantor Konrad
die Erlaubnis, neben dem Kantorat und der Pfründe noch ein
anderes, auch mit Seelsorge verbundenes Benefiz zu übernehmen 2 .
Die Regel schloß Doppelpfrüuden aus. Allerdings konnte der
Genuß mehrerer Pfründen vom Dechanten und der Mehrheit
des Kapitels gestattet werden, wenn es nötig und nützlich
schien. Handelte es sich aber um einen Gnadenerweis gegen¬
über einem einzeluen Stiftsherrn, so genügte der Einspruch
eines einzigen Kapitularkanonikers, auch wenn dieser abwesend
war, zur Verweigerung. Über diese Bestimmung entstanden
um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts im Kapitel zwischen
Dechant und den meisten Kanonikern einerseits und dem Kantor
Woestenrad, Kanoniker Eynatten und Genossen anderseits Strei¬
tigkeiten. Da keine Einigung zustande kam, rief man die Ent¬
scheidung der Kurie an. Nach dem Berichte einer Kommission,
die sich auä dem Dechanten des Lütticher Domkapitels Theodor
von Leyden, dem Archidiakon von Kampinien Johannes Dullard,
dem Vikar Johannes Chapeauville und dem Beirat Peter Oranus
zusammensetzte, entschied Erzbischof Ernst von Cöln, Bischof
von Lüttich und Pfalzgraf bei Rhein, am 10. Februar 1601,
daß es bei dem alten Brauche verbleiben solle. Das Urteil wurde
in Gegenwart der Wortführer beider Parteien in der Wohnung
des Lütticher Dechanten am selben Tage verkündigt 3 . Seit 1569
durfte kein Kanoniker des St. Adalbertstifts in Aachen ein
Benefiz am Marienstift haben 4 .
Trotz der Bestimmung vom Jahre 1304 nahmen es Ka¬
noniker mit der Residenz gar nicht streng. Sie erschienen nur
kurze Zeit beim Stifte, zogen ihre Pfründen ein und ließen sich
dann wegen Reisen oder studienhalber von der Residenz be¬
freien, ja leugneten sogar jeden Zwang zur Residenz. Hierdurch
entstand eine Benachteiligung der wirklich anwesenden Stifts¬
herren, die mit Recht gegen solche Unzuträglichkeiten Einspruch
erhoben. Um diese Zwistigkeiten aus der Welt zu schaffen,
wies das Kapitel im Jahre 1312 ausdrücklich auf seine früheren
Bestimmungen über die Residenz hin. Da nun im Jahre 1312
') Stiftsarchiv VII 1 Nr. 8. — 2 ) Hansen: ZilAGV 14, S. 216 Nr. 7.
s ) In acht Statutenhandschriften überliefert: Ex libro fragmentorum.
*) St.-A. Düsseldorf, Akt, 11c fol. 172.
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an den bevorstehenden Kirchweihfesten auch eine Zeigung der
Reliquien und Heiligtümer vorgenoinmen werden sollte und bei
dieser Gelegenheit durch die herbeiströmende Menge der Gläu¬
bigen reiche Opfergaben gespendet wurden, über deren Ver¬
teilung zwischen den Stiftsherren und dem Propste Gerhard
von Nassau ein Übereinkommen getroffen worden war, beschloß
das Kapitel am 7. April, damit kein Kanoniker unverdienter¬
weise daran teilhabe, vielleicht auch um die Heiligtumszeigung
durch die Menge der anwesenden Kanoniker prunkvoller zu ge¬
stalten, daß kein Kanoniker etwas von den Opfern erhalten
solle, der nicht vom Johannesfeste ein ganzes Jahr lang volle
Residenz gehalten habe. Unter keinen Umständen solle eine
Ausnahme gemacht werden. Damit keiner nach Empfang seines
Anteils die daran geknüpfte Bedingung vernachlässige, wurde
dem Kellermeister die Vollmacht gegeben, einen dem Anteil
entsprechenden Teil der Pfründen jedes sich entfernenden Ka¬
nonikers einzuziehen und den Einkünften der wirklich residie¬
renden Kanoniker zuzuweisen *.
Späterhin konnten die vollberechtigten Kanoniker in jedem
Jahre einen zusammenhängenden oder geteilten Urlaub von drei
Monaten ohne Verlust der Pfründen erhalten. Blieben sie aber
darüber hinaus von Aachen entfernt, so erlitten sie dafür einen
entsprechenden Abzug an ihren Einkünften. Abwesenheit während
des größten Teiles des Jahres zog den vollständigen Verlust
nach sich und berechtigte Priesterkanoniker nur zum Empfange
von 25, die übrigen von 24 Mark. Solange ein Kanoniker
innerhalb des „Reichs von Aachen“ war, wurde er nach einem
Kapitelsbeschluß vom Jahre 1609 als residierend betrachtet;
ein Aufenthalt in Burtscheid unterbrach gleichfalls nicht die
Residenz *.
Der Entwicklungsgang eines Kanonikers gestaltete
sich ungefähr folgendermaßen. War jemand in kanonischer Form
zugelassen worden, so wurde er zuerst Scholar oder Domizellar.
Als solcher nahm er am Chorgebet teil und wohnte dem Unter¬
richte in der Stiftsschule bei, den in den ersten Zeiten wohl
der Scholaster erteilte; später aber war dafür ein besonderer
Stiftsvikar als Lehrer angestellt, der mit dem succentor in Li-
l ) Ebenda, Urk. Nr. 140: 1312 April 7.
*) Ebenda, Akt. 11 ffol. 263: 1609 Sept. 19.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 9?
turgie, Breviergebet, Gesang, Anstand u. s. w. unterrichtete.
Ferner übte der Scholar die erste oder strikte Residenz. Die
Statuten verbreiten sich ausführlich über Platz und Betragen
im Chor. Eine strenge Zucht war nötig, da die Scholaren meist
noch ziemlich jung (16 Jahre) waren. Nach Abhaltung der ersten
Residenz, die in der letzten Zeit auch gegen eine Summe von
100 Goldgulden abgelöst werden konnte, ging der Domizellar
an eine Universität. War er bürgerlich, so hatte er ein Examen
abzulegen. Für die Universitätszeit erhielt er einen Zuschuß
vom Kapitel. Studienzeugnisse, besonders aus Cöln und Löwen,
sind noch zahlreich erhalten *. Es ist verständlich, daß man im
Jahre 1558 nach den Wirren der Reformation, die auch
eine Scheidung der deutschen Hochschulen herbeiführte, von
jedem die Angabe verlangte, zu welcher Universität er ziehen
wolle. Das Kapitel konnte jenachdem die Erlaubnis erteilen
oder versagen. An die Universitätsjahre schloß sich dann die
zweite, weniger strenge Residenz. Die Zulassung zu den Kapitels¬
sitzungen erfolgte erst nach dem 21. Lebensjahre. Bei der wirk¬
lichen Erlangung des Kanonikats mußte jeder folgende Zeug¬
nisse vorlegen: über Taufe, Tonsur und körperliche Gesundheit,
eigene rechtliche Geburt und die seiner Eltern und Großeltern
und über die Universitätszeit 2 . Nach erfolgter Zulassung durch
das Kapitel leistete er den Eid der Kanoniker, dem seit 1432
noch ein Hinweis auf den Vertrag zwischen Propst und Kapitel
angefügt war. Die Kosten für die Zulassung betrugen 100 Gold¬
gulden, wozu noch eine Menge Ausgaben für Opfer am Marien¬
altar, für den Sekretär, Rutenträger und Busifer, den assistie¬
renden Kaplan, die Zeugen, die Kapitelsboten, den Glöckner
u. s. w. kamen, die zusammen 170 Pattakonen und 6 ‘/a Solidi
ausmachten 8 . Dann erst war man reulis, actualis et corporalis
canonicus. War ein Stiftsherr 50 Jahre lang im Besitze von
Kanonikat und Pfründen gewesen, so pflegte man sein Jubiläum
festlich zu begehen 4 .
’) Im Stadt- uiul Stifts-Archiv zu Aacheu und im St.-A. Düsseldorf.
*) Das Stiftsarchiv enthält noch eine Menge von Faszikeln mit der¬
gleichen Bescheinigungen einzelner Kanoniker.
3 ) Eine Zusammenstellung dieser Gebühren findet sich auf der dritten
Einbandseite des Liber juramentorum im Düsseldorfer Staatsarchiv (Akt. 1 d,
17. Jahrh.). Siehe Anlage HI.
4 ) St.-A. Düsseldorf, Reg. und IIss. Nr. 5 fol. 86.
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Heinrich Lichius
War ein Kanoniker gestorben, so wurde ein feierliches
Begräbnis mit großen Exequien gehalten. Alle kirchlichen
Feiern fanden während der Trauerzeit in der St. Nikolaus¬
kapelle statt. Die bei den Exequien benutzten Leichentücher
kamen in den Kirchenschatz 1 . Dazu waren noch 12 Kerzen aus
gutem, neuem Wachs, je vier große Aachener Pfund schwer,
zu entrichten. Die Stiftsherren pflegten wohl in ihren letzt-
willigen Verfügungen das Stift reichlich zu bedenken. Geschah
das aber nicht, so erhielt das Stift zum Gedächtnis von den
vollpräbendierten Kanonikern eine Summe, die zwölf großen alten
Jahreseinkünften gleichkam; die übrigen und die königlichen
Vikare mußten die Hälfte entrichten. Von den verstorbenen
nicht residierenden Kanonikern erhielt der Kirchenschatz nur,
wenn sie die erste Residenz schon geübt hatten, zehn große
alte Turnosen und zum Gedächtnis sechs große alte Jahres¬
einkünfte, von den übrigen nur die Früchte des Jahres nach
dem Tode. In dem Generalkapitel vom 18. September 1550 wurden
diese Abgaben so umgrenzt, daß Kanoniker mit voller Pfründe
40, die übrigen mit den königlichen Vikaren 25 Goldgulden
Rheinisch zu leisten hatten. Wie allgemein üblich, so fand auch
hier beim Begräbnis ein Leichenschmaus statt. Im Jahre 1787
aber wurde jedes Mahl und jeder Trunk für Kanoniker und
Kapläne abgeschafft. Damals wurden auch die besonderen Ab¬
gaben bei Begräbnissen festgesetzt, die früher schon lange üblich
waren: der Dechant erhielt 18 Gulden, Diakone und Subdiakone
je 4, der Kantor 3, jeder der königlichen Vikare, die den Dienst
des Verstorbenen noch zwei Jahre lang ausübten, 10 Taler zu
26 Mark; Kanoniker, Vikare und Kapläne erhielten als Chor¬
präsenz 1 Gulden, der Succentor 2, die Kanzellisten je 1, der
Sakristan 30, der Subsakristan 4, der Kapitelssekretär 28, die
übrigen Offiziaten je 1 Gulden; das sonst dem Glöckner ge¬
gebene Trinkgeld „Pater-noster-Bier“ wurde verboten 2 .
') Leichentücher und Kerzen gingen bei allen feierlichen Exequien in
den Besitz des Stiftes über. Nur das Leichentuch, das bei dein Begräbnis
eines Aachener Bürgermeisters oder Ratsmitgliedes gebraucht wurde, blieb
für solche Gelegenheiten aufbewahrt. Dies wurde im Jahre 1389 statuten¬
mäßig fcstgelegt: St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 d fol. 446.
*) Ebenda, Akt 11 cc fol. 19: Verordnungen über das Begräbnis und die
Exequien; auch Akt. 11 dd fol. 18 — 22: 1782 Mai 24 und 28.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit.
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Diese nicht unbeträchtlichen Summen hatten schon seit langer
Zeit zur Einführung des Gnadenjahres geführt, einer Ein¬
richtung, die wir an allen Stiftern finden. Wieviel das Gnaden¬
jahr eintrug, läßt sich für die erste Zeit nach der Auflösung
des gemeinsamen Lebens nicht feststellen. Auch die Statuten
von 1389 enthalten nichts darüber. Erst um die Mitte des
15. Jahrhunderts wurden die Bezüge umgrenzt. Es liefen alle
Einkünfte im Gnadenjahre weiter wie zu Lebzeiten des Kano¬
nikers. Ausgenommen waren nur Wachs, Kapaune und einzelne
kleine Präsenzgefälle, die z. B. für die Teilnahme an Kapitels-
sitzungeu, Prozessionen, Chorstunden und aus dem Weinkauf
geleistet wurden. In späterer Zeit gewährte man zwei Gnaden¬
jahre. Die Erben waren gehalten, während der Gnadenzeit alle
dem Erblasser zu Lebzeiten obliegenden Verpflichtungen durch
einen Kanoniker oder königlichen Vikar erfüllen zu lassen, damit
der Gottesdienst keine Verringerung erleide. Die Kosten für
das Begräbnis betrugen in der letzten Zeit 100 Gulden; für
das Jahrgedächtnis flössen 100 Pattakonen der Kirchenfabrik
zu '. Die höhere Stiftsgeistlichkeit fand anfangs vor, später in
der Nikolaus- oder Kreuzkapelle ihre letzte Ruhestätte 2 . Hier
wurden auch die Exequien und die Jahrgedächtnisse abgehalten.
An jedem Tage fand dort eine Totenmesse für die Kanoniker
statt. Im 15. Jahrhundert aber waren die Einkünfte des Priesters
der Nikolauskapelle so gering geworden, daß das Kapitel beschloß,
von jedem Kanoniker eine halbe Mark reinen Silbers zu erheben,
die entweder bei Lebzeiten gezahlt oder aus der Erbmasse ent¬
nommen wurde.
Von den Mönchen unterschieden sich die Stiftsgeistlichen
äußerlich durch ihre linnene Kleidung; gemeinsam mit ihuen
hatten sie die Tonsur 3 . In den ältesten Statuten wurde die
Forderung der Tonsur und der priesterliehen Kleidung ausdrück¬
lich gestellt. Wer sich der letzteren nicht bediente, hatte auch
keinen Anspruch auf die Vorrechte der Geistlichkeit. Öfter sah
sich das Kapitel gezwungen, gegen die weltliche Kleidertracht
seiner Mitglieder vorzugehen. Besonders gegen ritterliche Tracht
mußte das Kapitel immer wieder Verbote erlassen. Zwar konnte
') Quix, Beschreibung der Stadt Aachen, S. 32.
*) Keller iiu „Echo der Gegenwart“ 1860 Nr. 266.— Faymouville,
Der Dom zu Aachen, S. 302 tf. — 3 ) Wenning ho ff S. 77.
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man im Mittelalter, wo auch die Kirche nicht von den Greueln
des Faustrechts frei blieb, den Kanonikern das Tragen von
Wehr und Waffen nicht verbieten, doch wurde vor Gewalttaten
auf der Immunität ausdrücklich gewarnt. Daß dies nötig war,
dafür liegen manche Beweise vor. So wurde der erste bekannte
Dechant, Hezzelo, von den Stiftsherren veitrieben. Von einem
andern, Arnold von Seleuhoven, heißt es: ab invidis occisus
24. Junii 1168 *. Konrad von Querfurt, Dechant des Marienstifts
und Propst von St. Adalbert, wurde 1220 ermordet. Deshalb
wird wohl die Bestimmung getroffen worden sein, daß keiner vor
dem Dechanten bewaffnet erscheinen durfte. Übertretungen dieses
Gebotes wurden vom Kapitel mit 40 Tagen Kerkerhaft bestraft.
Für die spätere Zeit mehrten sich die Verordnungen über
die Kleidertracht. Wie es in einer päpstlichen Bulle vom Jahre
1778 heißt, war in den letzten Jahrhunderten nur ein einfacher
schwarzer Talar üblich; aber man hielt sich wenig an diesem
Brauch. Die farbenprächtige Kleidung des 16. Jahrhunderts
stach auch manchem Geistlichen in die Augen. Man trug durch¬
brochene Stiefel mit untergelegten farbigen Stoffen, ließ sich die
Haare scheren, pflegte den Bart und trug kurze Kleider nach
Ritterart. Das Kapitel vom 7. Juli 1557 verbot diese Tracht
und bestrafte Übertretung mit Abzug an den Einkünften. Das
zweite Generalkapitel vom Jahre 1569 setzte die Strafe be¬
stimmter fest: der erste Übertretungsfall wurde mit einem, der
zweite mit zwei, der dritte mit drei und der vierte mit vier
Goldgulden geahndet 2 . Ungefähr hundert Jahre später sah sich
das Kapitel wiederum gezwungen, gegen Mißbräuche im äußeren
Auftreten vorzugehen. Es war ihm zu Ohren gekommen, daß
manche Kanoniker und Benefiziaten des Stifts so sehr ihres
Standes vergaßen, daß sie zum allgemeinen Ärgernis unter
Nichtbeachtung privater Ermahnungen mit Degen bewaffnet
durch die Stadt gingen. Um Abhilfe zu schaffen, bestrafte das
Kapitel jede Verletzung des Beschlusses mit dreimonatigem
Verlust der Einkünfte. Ein hartnäckiger Übeltäter unterlag den
Bestimmungen des Tridentinums. Damit keiner Unkenntnis vor¬
schützen könne, mußte der Kapitelssekretär jedem dieses Verbot
mitteilen 3 .
') Kgl. Bibi. Berlin, Quix’scher Nachlaß: Mss. boniss. in quarto Nr.
282 fol. 1 . — *) St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 c.
■’) Ebenda, Akt 11 o fol. 120: 16G8 April 12.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 101
Doch trug man auch in der Folgezeit der herrschenden
Mode Rechnung. Die Kanoniker pflegten auch die damals üb¬
lichen Perücken zu tragen; sogar während der Messe legte man
sie nicht ab. Der päpstliche Legat Bussi, der in den Jahren
1708—1710 das Stift visitierte, verbot dieses streng und über¬
trug dem Dechanten die Vollmacht, eine Übertretung dieser
Verordnung während der Messe mit der Suspension vom Gottes¬
dienste zu ahnden '. Damals wurde auch der Gebrauch des
Birrets eingeführt. Das Kapitel sträubte sich dagegen, da dies
bei den weltlichen Klerikern der Diözese Lüttich und ganz
Deutschlands nicht üblich sei • vielmehr seien die Kanoniker im
Chor unbedeckten Hauptes. Es bat daher, den Gebrauch des
Birrets auf Zu- und Abgang vom Altäre beschränken zu dürfen;
dies wurde auch gestattet 2 .
Je mehr das Stift an Bedeutung im letzten Jahrhundert
seines Bestehens verlor, desto mehr Wert legten die Kanoniker
auf Auszeichnung ihrer Kleidung. Am 2. November 1773 er¬
hielten die Dignitäre, die Kapitularkanoniker und der älteste
königliche Vikar vom Kaiser Franz Joseph II. die Erlaubnis
zum ständigen Tragen eines goldenen Kapitularkreuzes an blauem
Baude. Jeder mußte den Wert des Kreuzes, der sich auf 7 '/ a
Pistolen oder 9 Louisdor belief, dem Sekretär übergeben. Das
Kreuz eines verstorbenen Kanonikers erhielt der Nachfolger,
der den Erben den Wert ersetzte 3 . Am 23. Mai 1774 wurden
die Kapitularkreuze vom Dechanten geweiht und am folgenden
Tage den einzelnen mit diesen Worten übergeben: Ecce crucem
auream signum gratiae et protedionis Caesareae, prae se ferens
ex toia parle divam virginem ucceptantem iti munus isthanc ecclesiam
a divo Curolo Magno, et ex parle inversa insignia nostri capituli.
Memores itaque originis et siutus nostri cultuni divinum praemove-
arnus, ecclesiae nostrae decori et nitori studeamus, caritate in deum
et proximum ceterisque virtutibus praefulgeamus, ut ita sit vinculum
caritatis signuwque salutis aeternae nobis isthaec crux aurea. Fiat!,
worauf alle antworteten: Amen*. Auch die bisher üblichen ein¬
fachen schwarzen Talare genügten nicht mehr. Darum erbaten
') Ebenda, Akt. 11t fol. 76: 1709 Juli 18. Artikel 3.
*) Ebenda, Akt. 11 t fol. 76 Nr. 6; fol. 100 f. Nr. 2; fol. 104 Nr. 2.
3 ) Ebenda, Akt. 11 cc fol. 1 : 1774 Jan. 18. — Quix, Münsterkircbe,
S. 64 f. Anm. Nr. 57. — 4 ) St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 cc fol. 13.
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102
Heinrich Lichius
und erhielten die Kanoniker 1778 vom Papste Pius VI. die
Erlaubnis, eine prächtigere Kleidung besonders im Chor, bei
Prozessionen und allen Gelegenheiten, bei denen das Kapitel
öffentlich auftrat, zu tragen. Alle vom Propste bis zum Domi-
zellar schritten dann in violetten Talaren einher, auch die
Kardinalpriester, die früher bei solchen Anlässen Gewänder von
Scharlach und Purpur getragen hatten. Sie und die drei Dig-
nitäre trugen daran rote Zierate und rote Überwürfe, die mit
Hermelin verbräunt waren; die folgenden sieben hatten ebenfalls
rote Überwürfe, aber ohne Zierate, die übrigen einfache weiße —
eine Kleidung, die zur größeren Prunkentfaltung beizutragen
wohl geeignet war 1 .
Bei den Kapitelssitzungen unterschied man drei Arten:
Generalkapitel (capitulum generale), gewöhnliches Kapitel (capi¬
tulum ordinarium ) und einberufenes Kapitel (capitulum ad hoc
indictum). Ursprünglich wurde in jedem Jahre nur ein Geueral-
kapitel abgehalten und zwar am Tage nach Fronleichnam. Dies
war noch im Jahre 1402 üblich 2 . Später hatte man jährlich
zwei Generalkapitel, im Frühling und im Herbste. Das erste
fand ursprünglich am Tage nach Fronleichnam, das zweite am
Tage nach Lamberti (17. September) statt. Späterhin verlegte
man das erste auf den Tag nach Christi Himmelfahrt, wie aus
den jüngeren Statuten, Handschriften und Kapitelsprotokollen
hervorgeht. Während man anfangs mit einem Tage für die Er¬
ledigung der Geschäfte auskam, mußte man in den letzten Jahr¬
hunderten drei aufeinanderfolgende Tage dafür in Anspruch nehmen.
Am ersten Tage wurde verhandelt De augmentatione cultus
divini. Es wurde hierbei untersucht und gegebenenfalls gerügt,
ob die Messen zur rechten Zeit gehalten wurden, ob die kirch¬
lichen Ornamente alle in Ordnung seien und die Plätze im Chor
ordnungsgemäß eingenommen würden u. s. w. Dann sollte auch
darauf gesehen werden, daß die den kirchlichen Zeiten und
Festtagen entsprechenden Gewänder angelegt wurden. Auch
auf Bestimmungen über Fasten und Vigilien wurde durch das
Kapitel geachtet. Die Verhältnisse der dem Stifte inkorporierten
auswärtigen Kirchen wurden bei dieser Gelegenheit untersucht.
') Ebenda, llrk. Nr. 48. r >: 1778 Juni 26. — Ähnlich wurde neuerdings
wieder bei der Feier des Karlsjubiläums am 28. Januar 1914 den Mitgliedern
des heutigen Kollegiatkapitels das Hecht verliehen, Violett in der Amtstracht
zu benutzen. — 2 ) Ebenda, Urk. Nr. 232: 1402 Mai 26.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen Ins zur franz. Zeit. 103
Die Beratungen des zweiten Tages handelten De honestate
personarum. Hier wurden durch den Dechanten die Kanoniker
allgemein und besonders ermahnt, einen dem Stand und der
Würde angemessenen Lebenswandel zu führen, sich nur priester-
licher Kleidung zu bedienen u. s. w. Auch die auswärtigen
Geistlichen des Stiftes (viearii perpetui) untersuchte man auf
ihre Lebensführung und Erfüllung der Amtspflichten hin.
Erörterungen De utilitate ecclesiae bildeten den Mittelpunkt
der Beratungen des dritten Tages. Hier wurden die sogenannten
officia ecclesiae besetzt, nämlich 3 sigilli/eri, 1 rector peculii, 1
rector seu administrator fabricae, 2 vini magistri , 1 rector sacris-
tiae. Es konnten mehrere Oflizien in einer Hand vereinigt werden.
Wiederwahl war statthaft. Die Kapläne und Diener wurden
zum würdigen Betragen bei den Messen ermahnt. Sie sollten
nicht durch das Chor laufen, sich des Schlafens und Lachens
im Chor enthalten und durch würdige Aufführung den gemeinen
Leutenein gutes Beispiel geben. Auch für den Stadtklerus wurden
hier Bestimmungen getroffen. Ferner verhandelte man über
Verpachtuug, Veräußerung oder Ankauf von Besitzungen, Bitt¬
schriften u. s. w.
In den gewöhnlichen Kapitelssitzungen, die in der Regel
wöchentlich und zwar Freitags abgehalten wurden *, erledigte
man die laufenden Geschäfte, z. B. Zulassung zur Residenz,
Absenzbewilligungen, Streitigkeiten von Stiftsmitgliedern, Vor¬
bereitungen zu Festen, Prozessionen, Heiligtumsfahrt, Schreiben
von Pächtern, Verteilung der Zehnten, Testamentsvollstreckungen,
Bittschriften u. a. m. — Bei dringenden Anlässen wurde das
Kapitel auch außer der Zeit einberufen. Standen besonders
wichtige Sachen zur Verhandlung, so waren die Kapitularka-
noniker auf ihren Eid hin (in vim juramenti praestiti) zur Teil¬
nahme verpflichtet.
Der Ort der Verhandlungen war der Kapitelssaal, zuweilen
auch die Sakristei, wenn nur einzelne kleinere Angelegenheiten
zu erledigen waren.
Den Vorsitz führte der Dechant, im Verhinderungsfälle der
Senior oder der Vizedechant 2 . Es wurde nur über die schon
') Ebenen, Akt. 11 u fol. 58 f und 72 f.
*) Ebenda, Urk. Nr. 169: 1837 Juni 21. Bei der Wahl eines neuen
Kantors führte der Vizedechant Tilinaun von Lupenaueu den Vorsitz. —
Akt. 11 u fol. 73 Nr. 24.
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101
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vorher bekannt gemachten Punkte der Tagesordnung verhandelt.
Diese mußte ausführlich sein; nur bei ganz geheim zu haltenden
Verhandlungen war Vorsicht zu gebrauchen. Es stand dem Leiter
zu, die einzelnen Punkte zu erläutern und entsprechende Vor¬
schläge zu machen 1 . Jeder hatte Redefreiheit; Zwischenrufe
und sonstige Störungen mußte der Leiter ahnden. Bei Abstim¬
mungen entschied einfache Mehrheit. Bei Stimmengleichheit gab
der Senior den Ausschlag. Das Kapitel war immer beschlu߬
fähig, auch wenn es nicht vollzählig war. Verletzung des
Kapitelsgeheimnisses, zu dessen Wahrung sich jeder Kanoniker
bei seiner Aufnahme eidlich verpflichtete, wurde streng bestraft.
Im ersten Übertretungsfalle zog sie die Entziehung der Kapitels¬
rechte für ein Jahr nach sich, im Wiederholungsfälle für immer,
wobei sich das Kapitel noch strengere Bestrafung vorbehielt.
Protokollführer war der zu strengstem Schweigen verpflichtete
Sekretär, dem der Syndikus zur Seite stand.
Im letzten Jahrhundert des Bestehens war es üblich ge¬
worden, auf jedem Generalkapitel die Statuten zu verlesen. Da
manche aber im Laufe der Zeit nicht mehr beachtet worden
waren, so wollte man 1752 eine Erneuerung vornehmen. Jeder
Kapitularkanoniker wurde ersucht, seine Meinung darüber dem
Dechanten mitzuteilen. Dies führte aber zu keinem Ziele 2 . Am
27. Mai 1754 faßte ir.an einen ähnlichen Beschluß; jedoch sollte
die Meinung schriftlich niedergelegt werden 3 . Mit der Zeit
scheinen aber diese Bestrebungen eingeschlafen zu sein, da
nichts Bemerkenswertes überliefert ist und auch die erhaltenen
Statutenhandschriften keine wesentlichen Änderungen anführen.
Ebenso wie der Propst hatte auch das Kapitel bei mehreren
Gütern das Patronat der Pfarrstelle. Dieses Recht wechselte
in den ersten Jahrhunderten zuweilen. So besaß das Kapitel
von 1259 bis 1485 das Patronat in Clienee, das vorher und
später der Propst ausübte, ferner in Herstall, Laurensberg,
Traben, Muncheheim, Sinzig, Montzen, Biugelrath.
Die Gerichtsbarkeit und die Einsetzung der Schultheißen
und Schöffen geschah durch das Kapitel in Fleron, Budel, Mor-
tiers, Richelle, Bombay, Dahlem, auf dem Hofe zu Meer, auf
') Dec-anus (lebet se super punctix proponendis diligenter informare
atque dilucidam et pertinentem propositionem fucere: St.-A. Düsseldorf, Akt.
11 li fol. 278 f. Nr. 22.
*) Ebenda, Akt. 11 y fol. 374. — 3 ) Ebenda fol. 46(3.
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Die Verfassung «les Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit,. 105
«lein Landgute Tiliz in der Pfarre Herstall, in Traben und
Kessellieim. Es besetzte die Vogteien zu Kontzen, Walhorn und
Manderfeld.
V. Der deutsche König als Kanoniker
und die königlichen Vikare.
Ein Umstand gab dem Stifte eine große Bedeutung: kein
geringerer als der deutsche König war Stiftsherr. Leider können
wir nicht mit Bestimmtheit angeben, wie und wann dieser
Brauch entstanden ist. Wenn Einhard berichtet, daß Karl der
Große am Chorgebet im Münster zu Aachen regelmäßig teil-
genommen habe 1 , so lag wohl der Schluß nahe, die Mitglied¬
schaft des deutschen Königs darauf zurückzuführen 2 . Nirgends
aber finden wir einen Boweis für dieses Verhältnis in jener und
späterer Zeit, und sicherlich würde doch die Geistlichkeit des
Stifts in irgend einer Form dieses Vorrecht überliefert haben.
Die Formel des Eides, den der König als Kanoniker zu leisten
pflegte, gehört erst dem 13. Jahrhundert an 3 . Nun haben wir
um die Wende des 12. und 13. Jahrhunderts einen deutschen
König, der in innigster Beziehung zum Marienstifte stand,
Philipp von Schwaben, der 1169— 1193 Propst zu Aachen war.
Mit diesem Zeitpunkte lassen sich auch verschiedene Ausdrücke
der Eidesformel gut vereinbaren, wenn z. B von decanusetcapitiilum,
statuta u. s. w. die Rede ist. Eine so bestimmt ausgeprägte
Form der Kapitelsverfassung ist doch erst im Laufe des 11. Jahr¬
hunderts anzunehmen. Allerdings brauchte diese Formel nicht
das Bestehen einer andern, älteren auszuschließen. Sicherlich
aber würde man diese in dasselbe Evangelienbuch eingetragen
haben, in dem auch die übrigen Eidesformeln für den Propst
und Dechanten aufgezeichnet sind und auf das der Eid geleistet
zu werden pflegte. Allein hier ist nur auf Seite 33 die auch
sonst überlieferte Form aufgez^ichnet 4 .
') Einhard, Vita Caroli c. 25.
*) So Heissei, der Aachener Königsstuhl: ZdAGV 9, S. 23.
3 ) Werininghoff, Reise nach Belgien und Frankreich: Neues Archiv
26 (1901), 33. Anin.
4 ) Die Eidesformel fiir den deutschen König ist iibgedruckt hei Beeck,
Aquisgranuni 160, Quix, Mtinsterkirehc 142, Locrsch, Niederrhein. Jalirb.
für Gesch. I. 96 (Bonn 1813), Hinschius II 77 Anm., v. Fürth, Beiträge
II 19 (unvollständig), Wcrminghoff, Kirchenverfassung I 171 f.
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106
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Eng mit dieser Frage hängt auch die andere zusammen,
seit wann die königliche Vikarie am Stifte bestand. Für diese
finden wir erst 1318 eine Nachricht. Der König hatte den Rang
eines Diakons und las in der Weihnachtsmette das Evangelium
Exiit edictum a Caesare Augusto (Luc. 2, 1). Ob die für ihn be¬
stimmte Pfründe auch eine Diakonalpfriinde war, ist nicht mehr
erkennbar. Beeck spricht nur von einer Kanonikalpfriinde
schlechthin. Die Stellvertreter des Königs mußten die Priester¬
weihe haben.
Die feierliche Aufnahme des Königs in das Stiftsherreu-
kollegium erfolgte nach der Krönung, nachdem der König auf
dem königlichen Stuhle Platz genommen hatte. Wo die Auf¬
nahme geschah und ob noch während oder nach der Messe die
Eidesleistung stattfand, darüber ist keine genaue Nachricht er¬
halten. Auch die eingehende Ritualbeschreibung bei der Krönung
Rudolfs I. am 24. Oktober 1273 fügt als späteren Nachtrag
nur die Bemerkung ein: Hic ducatur Dominus rex superius ad
altare Symonis et Jude in ecclesia Aquensi, wodurch vielleicht der
Ort der Aufnahme angedeutet wird'. Auch Beeck weiß nichts
Näheres darüber zu berichten 2 .
Der König hatte nach seiner Aufnahme alle Rechte der
Kapitularkanoniker, also auch Sitz und Stimme im Kapitel 3 .
Er empfing ebenfalls die Einkünfte einer Tagespfründe bei
seinem Aufenthalt in Aachen 4 .
Ein ähnlicher Brauch wie in Aachen fand bei der Kaiser¬
krönung in der Peterskirche zu Rom statt 6 . Ob dasselbe in
Straßburg der Fall gewesen ist, dürfte zweifelhaft sein, wenn
auch der an diesem Domstift bestehende praebendarius regis oder
vicarius imperatoris das Bestehen eines ähnlichen Verhältnisses
andeuten könnte. Jedoch trugen den Namen praebendae regiae
auch solche Pfründen, deren Präsentation in der Hand des
') MG. LL II 890. — Die von Waitz in den Abhandl. der Kgl. Des.
der Wissenseil. zu Güttingen, Hist.-phil. Klasse, Bd. 18 (Die Formeln der
deutschen Königs- und römischen Kaiserkröuung vom 10. bis zum 12. Jahrh.)
angeführten Formeln gehen ebenfalls keinen Aufschluß darüber.
’) Beeck 160. Noppius 58. — Bcissel, Aachenfahrt 4.
•') Beeck 168.
4 ) Chmel, Regosta Fridcrici IV., 78 u. 607. Wien 1838. — Quix,
Münsterkirche, 142. — ») Wcrmingkoff 172 Anm.
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Die Verfassung des Mariensliftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 107
deutschen Königs lag *. Man wird aber wohl kaum eine so
förmliche Aufnahme, wie sie am Marienstifte in Aachen statt¬
fand, für Straßburg behaupten dürfen 2 . Ein ähnliches Verhältnis
liegt in Utrecht, Lüttich und am Domstifte zu Cöln vor. Auch
in Worms und Speier gab es eine praebenda regia 3 . Die bei
der feierlichen Krönung gebrauchten kostbaren Gewänder und
Teppiche wurden jedesmal dem Kirchenschatze überwiesen.
Nahm die Königin an der Krönung teil, so schenkte sie ihren
Obermantel der Kirche 4 .
Auch die Krönungsinsignien (Krone, Kleider, Wappen, Zepter,
Reichsapfel u. s. w.) befänden sich in der Marienkirche und
sollten nach einer Bestimmung Richards von Cornwallis vom
1. August 1262 immer dort verbleiben 5 .
Den Glanz und die Pracht der Königskrönung sah
Aachen zum letzten Male, als Ferdinand I. im Jahre 1531
gekrönt wurde. Das Münster Karls des Großen trat hernach
seine Rechte an die Bartholomäuskirche in Frankfurt ab. Der
Gedanke aber an den alten Ruhm und das alte Recht lebte
in der Stiftsgeistlichkeit fort. So kam es, daß sie sich späterhin
bei allen Königskrönungen ihr altes Privilegium, das in der
Goldenen Bulle Aufnahme gefunden hatte, immer von neuem
bestätigen ließ. Die Erklärung der Kurfürsten, daß die Ver¬
legung der Krönung den Rechten des Stifts keinen Abbruch
tue, und die Absendung von Gesandten zum Geleit der Krönungs¬
insignien waren ein geringer Trost 6 . Eine solche Erklärung
gab Kaiser Ferdinand I. am 5. Dezember 1562 ab, als sein
Sohn Maximilian, entgegen dem löblichen Brauch, in Frankfurt
gekrönt worden war 7 , und ebenso die Kurfürsten Daniel von
Mainz, Johann von Trier, Friedrich von Cöln, Friedrich Pfalz-
graf bei Rhein, August Herzog von Sachsen und Joachim Mark¬
graf von Brandenburg 8 . Das Jahr 1612 sah ebenfalls in Frankfurt
‘) Hinschius II 76 f. — ’) Deutsche Städtechroniken VIII 427 Aura.
s ) Hliffer, Forschungen auf dem Gebiete des franz. u. rheiu. Kirchen¬
rechts, S. 267 ff. Münster 1868.
') Beeck 162. — L&coinblet IV. Nr. 521. — Beissel: ZdAGV 9,
S. 22 ff. — Ders., Aachenfahrt 143. — Keufien und Scheins, Rechte der
Aachener Münsterkirche hei der Kouigskrönung: ZdAGV 32, S. 845 f.
5 ) Meyer, I. 290. — Q.uix Ood. Dipl. I. 129. — Böhmer-Ficker,
Reg. Nr. 5400. — a ) Beeck 164. — 7 ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 386.
*) Ebenda, Urk. Nr. 388.
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Heinrich Lieh ins
«lie Krönung des Königs Matthias. Wiederum folgte ein Schreiben
der Kurfürsten ähnlichen Inhalts an das Marienstift \ ebenfalls
am 10. September 1619*, am 4. Januar 1712 3 . Am 12. März
1764 wurden Abgesandte des Stifts zur Königswahl erbeten 4 ;
am 7. April folgte das übliche Schreiben des Königs Joseph II. 5 .
am 12. September 1790 wiederum Ankündigung der Königswahl
und Krönung mit der Bitte um die nötigen Insignien, besonders
das Schwert Karls des Großen G , das letzte Schreiben über die
erfolgte Krönung am 14. Juli 1792 7 , und dann brach allmählich
das alte Stift zusammen. Kurz darauf sank auch der morsche
Koloß des römischen Reiches deutscher Nation in Trümmer.
Der alte Brauch, daß die deutschen Könige ihre Krönungs¬
gewänder der Marienkirche vermachten, hatte ein Gegenstück
auf französischer Seite. War ein König in Frankreich gestorben,
so wurde das Leichentuch nach erfolgter Krönung des Nach¬
folgers in Reims nach Aachen gebracht und dort auf dem Grabe
Karls des Großen niedergelegt. Diese Leichentücher wurden
als Schmuckstücke im Münster aufgehängt und später zu kirch¬
lichen Gewändern benutzt. Zuerst wird dieser Brauch unter
Ludwig XI. erwähnt, und noch im Jahre 1775 war er in Kraft 8 .
Die königlichen Vikare.
Da der deutsche König nicht als Kanoniker des Stifts in
Aachen residieren konnte, setzte er einen Stellvertreter ein,
den vicarius regis. Wann dies geschehen ist, darüber ist keine
Nachricht erhalten. Die erste Nachricht ist uns in einer Urkunde
aus dem Jahre 1318 überliefert. Am 25. Juli schrieb König
Ludwig von Ingolstadt aus an den Abt von Cornelimiinster,
daß er durch Dechant und Kapitel des Stifts gebeten worden
sei. die Einkünfte der königlichen Vikarie nach dem Ableben
') Ebenda, Urk. Nr. 410: 1612 Juni 25.
*) Ebenda, Nr. 419. — 3 ) Limit?, Reichs-Archiv, XXIII 893.
4 ) St.-A. Düsseldorf, Urk. Nr. 479. — s ) Ebenda, Nr. 480.
6 ) Ebenda, Nr. 482.
7 ) Ebenda, Nr. 494. — Wegen der Überbringung der Reichsinsignien
nach rankfurt s. Aus Aachens Vorzeit XVII 122 f.
N ) Vergl. Quix, Milnsterkirche S. 116 — 119. — Hnchkrcmcr: ZdADV
22 S. 285. — Ausführlich handelt darüber Peltzer, Die Beziehungen Aachens
zu den franz. Königen: ZdAOV 25, S. 229—288 und die Anlagen. —
BeisseI 104 f.
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Die Verfassung des Marienstittes zu Aachen l>is zur franz. Zeit. 109
des zeitigen königlichen Vikars in zwei Hälften zu teilen und
zwei Vikare anzustellen. Grund zur Bitte des Kapitels war der
Mangel an Priestervikaren *. Da der König keinen genauen
Einblick in die Sachlage hatte, beauftragte er den Abt mit der
Prüfung, ob der Wunsch des Kapitels gerechtfertigt sei. und
übertrug ihm die Entscheidung 2 . Diese fiel auch am 24. August
desselben Jahres dem Ersuchen des Kapitels gemäß aus 3 . Im
folgenden Jahre erhielt die Teilung durch Adolf Bischof von
Lüttich die Bestätigung 4 . Das Besetzungsrecht dieser beiden
Pfründen blieb dem Könige Vorbehalten. Die Kollation ging
zugleich mit den anderen königlichen Vorrechten 1357 an die
Herzoge von Jülich über 6 , die auch später wirklich diese Be¬
fugnis ausübten. So präsentierte am 30. April 1455 Herzog
Gerhard von Jülich-Berg au Stelle des verstorbenen könig¬
lichen Vikars Johann Schanternel den Priester Jodokus Steyns,
Pastor zu Mehlem 6 . Am 23. Dezember 1573 wurde die durch
den Tod des Bartholomäus Mais erledigte Halbpfründe durch
Herzog Wilhelm von Jiilich-Cleve-Berg dem Priester Hermann
Frankot übertragen 7 . Nach Teilung der Jülich-Clevischen Erb¬
schaft wurde das Kollationsrecht von Brandenburg und Pfalz-
Neuburg abwechselnd ausgeübt 8 .
Schon aus dem Wortlaute der Statuten über die könig¬
lichen Vikare scheint hervorzugehen, daß das Stift keine be¬
stimmte Nachricht über den Ursprung dieser Einrichtung hatte.
Diese Vermutung findet ihre Bestätigung in einer kleinen Ab¬
handlung aus dem 18. Jahrhundert, die wahrscheinlich einen
königlichen Vikar zum Verfasser hat 9 . Hieraus geht hervor,
daß man die Errichtung der königlichen Vikarie auf eine päpst¬
liche Bulle zurückführen zu müssen glaubte. Die königlichen
Vikare hatten deshalb auch das Kapitel um eine Abschrift der
Bulle gebeten; eine solche war aber nicht in dessen Besitz.
Deshalb neigte der Schreiber der Abhandlung zu der Ansicht,
') Vergl. oben S. 90. — *) Quix, Cod. Dipl. Nr. 316.
3 ) Ebenda, Nr. 317. — Haagen I 233.
4 ) Stiftsarcbiv (Viearii regii): 1319 Sept. 2.
s ) Lacomblet III Nr. 475.
*) St.-A. Düsseldorf, Reg. und Hss. fol. 142.
T ) Ebenda, Urk. Nr. 395. — 8 ) Quix, Münsterkirche 32.
B ) St.-A. Düsseldorf, Akt. Nr. 6a: Brevis informatio quoatl vicarias
regia s.
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110
Heinrich Lichius
die Bulle sei nicht dem Kapitel, sondern dem Könige aus-
gehändigt worden.
Die Rangstellung der königlichen Vikare im Stifte war
nach den Statuten folgendermaßen begrenzt. Da der König der
eigentliche Kanoniker war und auch das Recht hatte, an den
Kapitelssitzungen teilzunehmen, blieb seinen Stellvertretern
dieses Recht versagt. Während nun der König im Chor seinen
Platz an erster Stelle bei den Diakonen hatte, gehörten die
königlichen Vikare zu den sacerdotes und hatten das Recht, am
Marienaltar die Messe zu lesen. Sie allein waren berechtigt,
beim liturgischen Dienste alle Rangklassen des Stifts zu ver¬
treten: die Priester, die Diakone, die Subdiakone und die
übrigen (Kleriker und Scholaren). Für die Vertretung der Dia¬
konen erhielten sie jährlich 89, für die der Priester 18 Patta-
konen. Beim Tode eines Kanonikers, dessen Dienst sie zu ver¬
sehen hatten, erhielten sie aus der Erbmasse 20 Taler, die sie
gleichmäßig unter sich teilten. Sie verpflichteten sich bei ihrer
Aufnahme eidlich zu ständiger Residenz, deren Unterbrechung
der Genehmigung des Kapitels unterlag 1 .
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts traten Meinungsver¬
schiedenheiten über Rang und Titel der königlichen Vikare auf.
Das Kapitel verbot nämlich 1681 den königlichen Vikaren
Corswarem und Blondel, sich den Titel Kanoniker beizulegen.
Diese klagten nun bei der clevischen Regierung über Zurück¬
weisung von der Teilnahme am Kapitel, über ihren Platz in
Chor und Prozession, über die Verpflichtung zu ständiger Re¬
sidenz u. s. w. Die mit den Verhältnissen nicht vertraute clevische
Regierung bedrohte das Stift mit militärischer Exekution, wenn
den königlichen Vikaren nicht Sitz und Stimme im Kapitel zu¬
gestanden werde. Das Kapitel wandte sich darauf an Kurfürst
Friedrich III. von Preußen als Herzog zu Cleve; dieser befahl
am 30. Juli 1690, alle Zwangsmaßregeln gegenüber dem Stifte
abzustellen, bis der Streit nach dem Herkommeu entschieden
worden sei. Unterdessen rief das Kapitel die Unterstützung
Kaiser Leopolds an. Dieser schickte am 2. Oktober ein ganz
im Sinne des Kapitels gehaltenes Abmahnungsschreiben an die
clevische Regierung. Die königlichen Vikare aber, unzufrieden
') Ebenda, Akt. 6 a: Observationes in materia dominorum rienriorum
regiorum. (29. Artikel, 18. Jahrhdt.)
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 111
mit dem ablehnenden Beschluß vom 16. Oktober 1690, brachten
die Angelegenheit von neuem in Fluß, so daß auf Bitten des
Kapitels von der preußischen Regierung am 25. Juli 1700 die
Verordnungen von 1690 wiederholt und eine endgültige Rege¬
lung durch den Geheimen Regierungsrat von Hymmen und den
Jülicher Kommissar Geheimen Rat von Bingen verordnet wurde.
Fünfzig Jahre später aber begannen die Streitigkeiten von
neuem. Das Stift legte in einem Bericht vom 23. September 1753
seinen Standpunkt in der Frage dar. Auch von dem Aachener
Vogtmeier Freiherrn von Hauzeur wurde 1754 ein Bericht an
die kürfürstliche Regierung in Düsseldorf eingeschickt. Die
Verhandlungen zogen sich bis zum Jahre 1773 hin. Die Beauf¬
tragten von Preußen und Pfalz-Neuburg, die Geheimräte von
Emminghaus und von Knapp, suchten am 25. Oktober 1773
eine Vermittlung anzubahnen, indem sie sechs Vorschläge machten,
durch die den königlichen Vikaren der Titel Kanoniker erteilt,
keine ständige Residenz auferlegt und Gleichstellung mit den
Kardinalpriestern, aber ohne Stimme im Kapitel, gewährt werden
sollte. Das Kapitel wollte sich aber nicht darauf eiulassen. Das
Material wurde an die Höfe gesandt; eine endgültige Ent¬
scheidung liegt aber nicht vor. Die Forderungen der königlichen
Vikare waren jedenfalls nach dem Herkommen unbegründet l .
VI. Die Vikare,
die Kapläne und die niederen Offiziaten.
Die Einrichtung der Vikariate entsprach nicht dem Wunsche,
den Gotterdienst in der Kirche zu vermehren. Für diesen war
ja in der ersten Zeit durch die strenge Forderung der Priester¬
weihe gesorgt worden. Als aber die Kanonikalpfründen sich
immer mehr zu Versorgungsstellen gewisser Kreise und Familien
herausbildeten und der Altardienst und die Residenzpflicht
als lästig empfunden wurden, entstand das Bedürfnis, die mit
den Pfründen verbundenen Verpflichtungen durch Stellvertreter
besorgen zu lassen, während die streitbaren Herren als Ritter
lebten oder die akademische Freiheit genossen. Es fehlte von
kirchlicher Seite nicht an Bestrebungen, diese Übelstände ab-
zuschatfen; doch waren sie ohne Erfolg.
') Die Darstellung ist dem ausführlichen Berichte Meyers entnommen:
Stadt-Archiv Aachen, Koll. fol. 38—40, §§ 28 -32; dazu die Beilagen zu
den Koll. fol. 93 — 111 (ältere Seitenzahl 1—32) uicht von Meyers Hand.
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Wenn man auch in Aachen in manchen Punkten den all¬
gemeinen Verhältnissen Rechnung trug, so sorgte doch eine
gute Überlieferung und die Rücksicht auf die Würde des Gottes¬
hauses dafür, daß der kirchliche Dienst nicht allzuschwer
darunter litt. Von den Vikaren wurde natürlich die Priester¬
weihe verlangt. Sie hatten den Wochendienst für ihre Herren
zu tun und nahmen auch am Chorgebete teil
Neben den Vikaren, die also die Untergebenen eines ein¬
zelnen Kanonikers waren, gab es noch Kapläne. Ihr Amt ent¬
sprach dem Bedürfnis der Vermehrung des Gottesdienstes. Je
mehr man auf die Verschönerung des Gottesdienstes Wert legte,
desto häufiger wurden an verschiedenen Stellen der Kirche Altäre
angebracht, an denen stiftungsgemäß ein Kleriker Dienst tun
sollte. Auch Kapellen wurden an die Kirche angebaut. Ferner
verlangte die immer mehr sich steigernde Zahl der Jahrgedächt¬
nisse auch eine Vergrößerung des geistlichen Personals. Am
mächtigsten aber flutete der Strom der Gläubigen hin zum
Grabe Karls des Großen und den Reliquien zur Zeit der Heilig-
tumszeigung bei den das ganze spätere Mittelalter hindurch
berühmten Aachenfahrten. Weither aus Böhmen und Ungarn
eilten sie herbei, so daß für die Böhmen ein eigener Altar und
für die Ungarn sogar eine besondere Kapelle errichtet wurde.
Der beständige Wechsel, dem diese Altäre und Kapellen im
Laufe der Zeit ausgesetzt waren, führte auch manchmal eine
Veränderung in der Zahl der sie bedienenden Geistlichen herbei.
Der ursprüngliche Unterschied in der Bezeichnung vicarii , capel-
lani, altaristue wurde im späteren Mittelalter nicht mehr streng
empfunden.
Die Besetzung von gestifteten Altären lag natürlich bei
dem Stifter und dessen Familie oder Rechtsnachfolgern; aber
auch das Kapitel hatte eine Menge solcher Benefizien zu ver¬
geben. Nach einem Kapitelsbeschluß vom 1. Juli 1334 erfolgte
die Kollation durch die residierenden Kapitularkanoniker, so
daß der Senior begann und das Besetzungsrecht der Reihe
nach weiter ging bis zum Jüngsten. Es durften nur Priester
angestellt werden oder solche, die innerhalb Jahresfrist die
Weihe empfingen; sonst gingen sie ihres Benefiziums verlustig
und das Besetzungsrecht ging auf den Nächstfolgenden über.
Wenn bisher zwei oder drei Benefizien in einer Hand vereinigt
gewesen waren, so wurden diese nach dem Tode des Inhabers
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit, llä
getrennt und einzeln verteilt. Die bisher vollen Vikarialpfriinden
wurden nach ihrer Erledigung in zwei Hälften geteilt und diese
gesondert verliehen, ein Beweis, daß die Einkünfte nicht gerade
gering waren *. Daneben flössen auch die Opfergaben der Altäre
den Kaplänen zu. Um nun Mißbräuche, die aus diesem Umstande
durch Habgier entstehen konnten, zu verhüten, bestimmte der
päpstliche Legat für Deutschland, Kardinaldiakon Johannes, am
10. Mai 1449, daß alle Opfer, die den Altären zuflossen,
wöchentlich gesammelt und unter die Kapläne nach ihren in
der Zeit ausgeübten kirchlichen Diensten verteilt würden. Wer
dieser Bestimmung entgegeuhandelte, wurde einen Monat lang
vom Betreten der Kirche ausgeschlossen 2 . Hieraus ergibt sich,
daß der Lebensunterhalt der Kapläne zum großen Teile durch
den opferwilligen Sinn der Gläubigen bestritten wurde.
Die Zahl der Kapläne wechselte natürlich sehr oft, da
ihre Anstellung von den Vermögensverhältnissen des Stiftes
oder einzelner Kanoniker abhängig war, ferner die Zahl der
Altäre und Kapellen im Laufe der Zeit wechselte. So zeigt
das Münster im Anfänge nur zwei Altäre; bei der ältesten
Chordienstordnung (1339—1351) werden 16 Altäre aufgezeichnet.
Die jüngere Chordienstordnung, die um 1450 entstand und die
schon eine Altarvermehrung durch die Erbauung des Chores
anzeigt, zählt im Ganzen 24 Altäre 8 , und Noppius spricht gar
von 30 Altären 4 . Ja, wenn wir die Taufkapelle und den in ihr
noch befindlichen St. Georgs-Altar einschließen, kennen wir
aus einer Aufzeichnung des 15. Jahrhunderts 33 Kapellen uud
Altäre 5 . Die Zahl der Vikare und Kapläne betrug zeitweise
sechzig. Als aber besonders die Reformationszeit einen Sinnes¬
umschwung in der Bevölkerung hervorgerufen hatte, flössen
die Gaben lange nicht mehr so reichlich. Auch verhinderte
Mangel an Neigung zum Priesterstande die Aachener Bürgers¬
söhne, nach einem solchen Benefiziutn zu strebeu. So kam es
zu dem erstaunlichen Rückschlag, daß man 1576 nur noch acht
Kapläne am Marienstift zählte. Diesen und noch andern Übel¬
ständen suchte Papst Gregor XIII. dadurch abzuhelfen, daß er
acht Kanonikalpfriinden unterdrückte; ihre Einkünfte sollten
') St.-A. Düsseldorf. Urk. Nr. 164: 1834 Juli 1.
*) Ebenda, Urk. Nr. 290: 1449 Mai 10.
*) Buch kreiner, ZdAGV 29, S. 146 Amu. 1, 147 Aum. 1.
*) Noppius S. 23. — s ) Faymonville S. 358 Anin. 3.
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114
Heinrich Lichius
zur Erhaltung von zwanzig neuanzustellenden Kaplänen und
Vikaren benutzt werden, die mit den übrigen acht gemeinsam
Messe lesen und Gottesdienst halten sollten 1 .
Die Vikare nahmen am Chorgebet teil und bezogen auch
entsprechende Präsenzgelder. Die in St. Foillan und anderswo
zelebrierenden Vikare mußten ebenfalls daran teilnehmen. Die Ver¬
pflichtung zum Chorgebet war wohl regelmäßig mit der Anstellung
verbunden. So bestimmte Dechant Sibodo 1235, als er die Ein¬
künfte des Kaplans der St. Katharinenkapelle aus der Wolfes¬
mühle und aus den Gütern Richterich und Mersen festsetzte,
daß der Inhaber immer am Chorgebete teilnehmen müsse 2 .
Dieselbe Pflicht lag auch dem Kaplan des 1362 gegründeten
Slavenaltars ob 3 . Natürlich standen die Vikare und Kapläne
auch unter der geistlichen Gerichtsbarkeit des Dechanten und
Kapitels 4 . Es wurde dies zwar bei der Stiftung des Katharinen¬
altars nicht ausdrücklich gesagt, doch wurde bei der Stiftung
des Slavenaltars von den Vikaren verlangt, daß sie gegen die
Zuweisung der Chorpräsenz am Chorgebet teilnehmen und der
Beaufsichtigung und den Verpflichtungen wie die übrigen Ka¬
pläne und Altaristen unterstehen sollteu 6 . Über ihren Dienst
und ihre Zucht unterrichten die Statuten und die bei den
Generalkapiteln durch den Dechanten erteilten Ermahnungen.
Öfters wurde Klage darüber geführt, daß sie ihre Messen nicht
zur rechten Zeit lasen und auch den Chordienst vernachlässigten.
Dafür wurden sie mit entsprechendem Abzug an Anwesenheits¬
geldern bestraft. Schwatzen im Chor wurde mit zehn Tagen
Haft bei Wasser und Brot geahndet. Schonende Behandlung
der Choralbücher und Schließen nach Beendigung des Gebets
wurde anbefohlen. Jeder Besuch der Wirtschaften und verdäch¬
tiger Häuser zog Verwarnung und strenge Strafe nach sich 6 .
') Anlage II.
'*’) Lacomblet II. 105 f. Nr. 201 : Erit etiam vicarius ecclesiae per-
petuus de primis et Ultimi* in choro existentibu*.
3 ) Qu ix, Münsterkirche, S. 126 ff. Nr. 5.
4 ) Eine sehr interessante Bemerkung über die Bestrafung des Kaplans
Kosenberg mit Entziehung der Pfründe und über den Anlaß zur Verhandlung
befindet sich im St.-A. Düsseldorf, Heg. u. Hss. Nr. 5 fol. 81.
5 ) Qu ix, a. a. 0.
Ä ) Sehr genaue Bestimmungen in den Kapitelsprotokollen im St.-A.
Düsseldorf, Akt. 11 u fol. 234 — 238 in 20, 11 w 34—40 in 9, 11 x 313 f.
in 9 Punkten verwandten Inhalts.
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f)ie Verfassung des Marieustiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 115
Im Jahre 1753 wurden alle früheren Bestimmungen über die
Chorpräsenzgelder für die Vikare und Kapläne aufgehoben und
bestimmt, daß ihnen die Teilnahme an der Matutin 1, an den
Laudes */„ an der Prim 1 V 2 , an der Vesper */ 2 und an der
Komplet Vs Mark eintragen soll l .
Jenachdem eine Kapelle oder ein Altar vom Kapitel, von ein¬
zelnen Stiftsmitgliedern oder außenstehenden Persönlichkeiten
errichtet worden war, lag natürlich auch die Besetzung in
verschiedenen Händen. Manche Einkünfte verringerten sich aber
im Laufe der Zeit, so daß die Pfründen mehrerer Altäre ver¬
einigt wurden. Manchmal wurden auch bestimmte Altäre mit
besonderen Stiftungen bedacht. Hierauf ist es wohl zurückzu¬
führen, wenn mehrere Personen die Kollation Vornahmen. Ver¬
schiedene Altäre hatten zwei Rektoren, andere einen. Es würde
hier zu weit führen, den wechselvollen Schicksalen der Kapellen
und Altäre, soweit ihre Geschichte nicht schon untersucht ist,
nachzugehen. Ich möchte hier nur ihre Kollation, soweit sie
Kapitel oder Stiftsmitglieder angeht, anführen 2 . Das Kapitel
hatte am Viktor- und Coronaaltar, am Lamberti- und Nikolai¬
altar und am Josephsaltar je zwei Rektoren, am Corneli- und
Cyprianialtar und am Kreuzaltar je einen Rektor anzustellen,
die Antonii- und die Ägidiikapelle zu besetzen und den Rektor
des Simon- und Judäaltares zu präsentieren. Der Propst hatte
die Kollation der Michaelis- und der Karlskapelle bis 1357.
Der Dechant besetzte die Georgii-, die Katharinen- und die
Oswaldkapelle. Der Dechant und die sieben Kardinalpriester
versahen die St. Annakapelle, der Kantor und der Senior den
Maternusaltar mit zwei Rektoren und die beiden ältesten Ka¬
noniker den Allerheiligenaltar im Oktogon mit zwei Rektoren.
Mit dem Stifte war seit 1264 auch das Kapitel der Jo¬
hannisherren verbunden. Diese hatten aber eigene Verfassung
und einen besonderen Propst oder Präses und widmeten sich
hauptsächlich dem Gebete für die Verstorbenen und den Jahr¬
gedächtnisfeiern. Nach ihren Bestimmungen sollten es ständig
24 sein; doch war die Zahl nicht immer vollständig. Sie waren
') Ebenda lly fol. 425—27: 1753 Sept. 19.
*) Zum Folgenden vergl. Stiftsarcliiv I. 3 (Kantor) Ordinatio seit deno-
ininatio aliarium, missurum et pro tempore reetorum sive personarum: 1029
Juni 8. — Qu ix, Müusterkirche, S. 29.
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8 *
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116
Heinrich Lichiu9
nicht zum Chordienst im Münster verpflichtet, konnten aber
ein Benefizium daselbst genießen. In dem Falle war natürlich
Teilnahme am Chorgebet auch für sie vorgeschrieben, wie sie
dann gleichfalls Präsenzgelder bezogen. Die Johannisherren
blieben immer mit dem Stifte verbunden und teilten endlich
mit ihm das Schicksal des Unterganges \
Die niederen Stiftsämter wurden teils durch Kanoniker,
teils durch Kapläne und Laien besetzt, öfters fiuden wir mehrere
Ämter in einer Hand vereinigt.
Das wichtigste Amt hatten die Rektoren der Kirchen¬
fabrik, auch Kuratoren, Präfekten und Administratoren genannt,
die auf den Generalkapiteln aus der Zahl der Kanoniker gewählt
wurden. Ursprünglich scheinen es zwei gewesen zu sein. Später¬
hin aber wurden drei gewählt, denen ein bestimmter Aufsichts¬
kreis zuerteilt wurde und zwar für die laufenden Einnahmen,
für die Gebäude und für die Sakristei. Die Statuten schreiben
den Rektoren besonders eine Untersuchung aller Gebäude des
Stiftes vor, die alljährlich am Tage nach der Osteroktav vor¬
genommen werden mußte.
Über die allgemeine Tätigkeit der drei Siegler ist nichts
Genaueres zu finden. Neben der Bewahrung des Siegels, die
schon der Name ausdrückt, unterstand ihnen wohl das gesamte
Archiv, das sie zu überwachen und zu ordnen hatten, wie ihnen
z. B. am 23. September 1666 besonders aufgetragen wurde 2 .
Das Siegel wurde in einem Schrein mit drei Schlössern auf¬
bewahrt. Jeder Siegler hatte einen Schlüssel. Um einem Mi߬
brauche vorzubeugen, bestimmte in einem Streitfälle, der zwischen
Kapitelsmitgliedern ausgebrochen war, Erzbischof Ernst von
Cöln am 10. Februar 1601, daß zwei Schlüssel in Händen aus¬
wärtig geborener Kanoniker sein sollten und den dritten ein
aus Aachen stammender bewahre.
Für die Beaufsichtigung der Behandlung und Verteilung
der umfangreichen Weinzchnten, die das Stift besonders von
der Mosel her bezog, wurden zwei Kanoniker als Weinmeister
angestellt.
Für die Bedürfnisse der Sakristei sorgte der Sakristan,
der aus den Kaplänen genommen wurde. Vor der Anstellung
*) Quix, Münsterkirche, S. 98—115.
’) St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 u fol. 241.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 117
erklärte er sich eidlich zur Einhaltung einer Reihe von Ver¬
pflichtungen. Vor dein Läuten zum Gottesdienste mußte er iu
der Sakristei sein und im Verhinderungsfälle für eine Vertretung
sorgen, die in der Regel durch seinen geistlichen Subsakristan,
anderenfalls auch durch einen andern Geistlichen des Stifts
ansgeübt wurde, „damit die Sakristei niemals ohne Priester
ist.“ Er hatte den Schlüssel zu dem Aufbewahrungsort der
kleinen Reliquien und anderer Wertstücke, durfte sie aber nur
in Gegenwart eines Kanonikers zeigen. Vom Entgelt für das
Zeigen erhielt er zwei Drittel. Wenn fremde Geistliche zele¬
brieren wollten, mußte er die Zeugnisse zur Einsicht verlangen
und dann alles Nötige gut anordnen. Höhere fremde Geistliche
hatte er in die Sakristei der Kanoniker zu führen. An Sonn-
und Festtagen und Donnerstags gab er den Segen und teilte
die Kommunion aus. Besondere Sorgfalt wurde von ihm bei
der Vorbereitung zu den Prozessionen und zum vierzigstiindigen
Gebet verlangt. Die Anordnung des Wochendienstes schrieb er
auf einen Zettel, den er in der Sakristei aufhängte. Das Stift
hatte, wie auch andere Kirchen, sein eigenes Direktorium, dessen
Abfassung ebenfalls dem Sakristan oblag. Hierfür erhielt er
jährlich 4 Aachener Mark. Am 19. September 1744 wurde im
Kapitel beschlossen, ein Direktorium für die Chorstunden und
die Feier der Messe nach römischem Ritus in Maastricht drucken
zu lassen. Am 19. November legte der Kantor im Kapitel 102
Exemplare vor, von denen jeder Kapitularkanoniker eines erhielt.
Der Sakristan Finkenberg bekam 61 für sich und die anderen
Kapläue. Für die Abfassung wurde dem Sakristan ein Gold-
karolinum gegeben und ein Kronentaler für Anbringung der
Wappen auf diesem Direktorium '. Der Sakristan mußte ferner
wöchentlich sechs Brötchen, im Volksmunde „Micken“ (vom lat.
mica „Krume“) genannt, an die Armen verteilen. Diese waren
eine Stiftung des Kanonikers Peter von Beeck vom Haferzehnten,
den er in der St. Jakobsstraße nahe dem „Grindel“ bezog. Außer
seinem Anteil an dem geweihten Brote am Gründonnerstag,
bei der siebenjährlichen Heiligtumszeigung und 30 Aachener
Gulden bei den Exequien eines Kanonikers bezog er als Gehalt
jährlich 80 Aachener Gulden. Für Schäden, die durch seine
oder seines Angestellten Schuld entstanden, mußte er aufkommen
l ) St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 ce fol. 26, 35, 36.
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118
Heinrich Lichius
und dafür eine Sicherheit stellen ! . — Der ihm unterstellte
Subsakristan hatte für monatliche Reinigung der Kelche zu
sorgen und Teppiche, Gewänder und Kerzen zu verwalten.
Dafür erhielt er außer kleineren besonderen Vergütungen (z. B.
einem Drittel vom Entgelt für eine außergewöhnliche Heilig-
tumszeigung) jährlich 45 Taler und alle zwei Jahre einen Chor¬
rock 2 . Die niedrigen Dienste in der Sakristei besorgte ein Sa¬
kristeifamulus 3 .
Von jeher hatte man im Stifte viel Wert auf eine gute
Musik gelegt. Ein besonderer Musikdirektor wurde vom Ka¬
pitel angestellt und mit 130 Reichstalern jährlich besoldet. —
Der Organist erhielt ebenfalls Anstellung und ein Gehalt von
60 Reichstalern durch das Kapitel. — Der Direktor des
Gesangchors erhielt 32 Taler.
Für die Aufzeichnung der beim Chordienst fehlenden Ka¬
noniker und Kapläne war ein Vikar als Punktator angestellt,
der alle 14 Tage oder monatlich dem Kapitel Bericht erstattete.
Er erhielt dafür 40 Reichstaler 4 .
Zum Unterricht und zur Erziehung der Scholaren war der
in der Regel geistliche Succentor oder Phonaskus angestellt,
der sein Amt mit dem Schulmeister verwaltete. Trotz seiner
etwas kärglichen Besoldung von 12 Talern jährlich war es ihm
bei Strafe der Entlassung verboten, von den Eltern der Schüler
Geld anzunehmen. Er durfte die Schüler nur mit Ruten strafen
und nicht, wie es schon vorgekommen war, mit einem eisernen
Kettchen oder mit einem Stock an den Kopf schlagen '.
Bei der Wichtigkeit, die der Glockenruf zu bestimmten
Tageszeiten und bei außergewöhnlichen Anlässen z. B. bei
Feuers- oder Kriegsnot für die Gemeinde und für das Horen¬
gebet der Kanoniker im besonderen hatte, erschieu auch eine
eigene Wartung der Glocken angemessen. Während der Dienst
der Glocken anfangs den Geistlichen selbst oblag, wurden in
der Folgezeit besondere Personen damit beauftragt fi . Allgemein
hießen sie Katnpanare. In Aachen trugen sie neben diesem Namen
*) Ebenda, Akt. 11 bb fol. 141.
>) Ebenda, Akt. 11z fol. 807, 11 aa fol. 85, Ubb fol. 141 u. 143.
3 ) Ebenda, Akt. 11 z fol. 348, dasselbe 11 aa fol. 69.
4 ) Stiftsarcbiv III (Offizialen) Nr. 21.
4 ) St.-A. Düsseldorf, Akt. II l fol. 246, 251.
°) Anu. des bist. V. f. d. Ndrh., Heft 74, S. 169 f.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 119
durchweg die Bezeichnung Kampanatoren oder Klöcker. Meistens
waren es zwei. Eine Schlafstelle war ihnen im Münster selbst
angewiesen, das sie auch morgens und abends zu öffnen und zu
schließen hatten. Doch waren mit dem Dienst der Glocken
keineswegs ihre Verpflichtungen alle erfüllt. Sie mußten für die
Hostien, den Wein und das Wasser bei der Messe sorgen,
Kerzen anzünden, Meßbücher und Gewänder bereit legen u. s. w.
Sie wiesen die Störer des Gottesdienstes zurecht. Bei den litur¬
gischen Diensten war ihr Platz an den Seiten des Chors, um
bei nötigen Verpflichtungen sofort zur Stelle zu sein; andern¬
falls wurde ihnen die Chorpräsenz entzogen und vom Dechant
Strafe erteilt. Es stand ihnen frei, von Woche zu Woche im
Dienst zu wechseln; jedoch konnte jeder von beiden für Ver¬
fehlungen verantwortlich gemacht werden. Wurden Gegenstände,
die ihrer Obhut anvertraut waren, beschädigt, so mußten sie
dafür aufkommen l . Da die Wartung der Glocken zu den Ver¬
pflichtungen des Propstes gehörte, so stellte er auch einen
Glöckner an. Nach dem Vertrage von 1482 sollten es unver¬
heiratete Kleriker sein 2 ; sobald sie eine Ehe eingingen, waren
sie ihres Amtes enthoben. Sie leisteten dem Dechanten und
Kapitel den Treueid. Als z. B. 1470 das Glöckneramt durch den
Tod Heinrich Kainparts erledigt war, präsentierte Propst Reiner
von Palant dem Kapitel den Kleriker Tilmann Misback 3 . Das
eigentliche Läuten der Glocken wurde in späterer Zeit durch
einen besonderen campanarum pulsator ausgeführt, der Laie
war und zugleich das Amt eines Kirchenpförtners bekleidete.
Seine Anstellung und Besoldung erhielt er jedenfalls vom Propste.
Für das Läuten bei festlichen Gelegenheiten bekam er für sich
und seine Gehülfen noch eine besondere Vergütung 4 .
Verschiedene Offizien wurden auch an Laien vergeben.
Bedeutung hatte der Syndikus und Advokat. Er mußte in
Aachen ansässig sein und durfte ohne Erlaubnis des Kapitels
nicht über zwei Tage hinaus die Stadt verlassen. Er nahm an
') Eine Inventaraufnahme für die Glöckner ans dem 15. Jrhdt. im
St.-A. Düsseldorf, Keg. und Hss. Nr. 5, fol. 09 unter der Überschrift: Haee
sunt clenodia campanatoribus ad custodiendum commissa.
9 ) Vorher anscheinend nicht; wenigstens ist bei Qu ix, Necrologium,
S. 49 Katberiua filia Willelmi campanatoris genannt.
3 ) Ebenda, Reg. u. HoS. Nr. 5, fol. 153.
4 ) Stiftsarchiv III (Ofliziaten) Nr. 10.
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120
Heinrich Lichius
allen Kapitelsverhandlungen teil, diktierte dem Sekretär die
Beschlüsse und verfaßte auch alle übrigen Rechtsschriften des
Kapitels. Er begleitete die in irgend einem Streitverfahren ab-
gesandten Kanoniker und unterstützte sie mit seinem Rate.
Urkunden durfte er nicht aus dem Archiv mitnehmen, ja nicht
einmal Kanonikern ohne Vorwissen des Kapitels aushändigen.
Er war eidlich zu strengstem Stillschweigen verpflichtet und
konnte ohne Angabe einer Begründung einfach entlassen werden.
Sein Gehalt betrug 200 Pattaknnen *. — Ähnlich war das Amt
des Sekretarius. Bei seiner Anstellung versicherte er eidlich,
keinem Kanoniker Geld gegeben zu haben noch zu geben. Die
Kenntnis des Lateinischen, Deutschen, Französischen und Nieder¬
ländischen wurde von ihm verlangt, da er die in diesen Sprachen
ankomraenden und ausgehenden Briefschaften lesen bezw. abfassen
mußte. Eine Entfernung aus der Stadt war von der Genehmigung
des Kapitels oder des Dechanten abhängig. Man erwartete von
ihm eine treue Verwaltung des Archivs und des Siegels. Neben
einzelnen Sondervergütungen, z. B. bei größeren Arbeiten, Bitt¬
schriften der Pächter und Zehnpflichtigen, hatte er ein festes
Gehalt von 60 Reichstalern 2 .
Schon die Benediktinerregel nennt das Amt des Kellners.
Er begegnet uus an allen Kollegiatkirchen. Das Amt war in
Aachen meistens mit dem des Granatarius vereinigt. Der
cellerarius hatte vornehmlich die Beaufsichtigung und Verwaltung
der Fruchtzehnten und Pächte. Nur mit Erlaubnis des Kapitels
durfte er das Getreide, das nach einzelnen Jahren getrennt
aufbewahrt wurde, verkaufen. Bei Verpachtungen der Güter,
Zehnten und Höfe u. s. w. mußte er die Veränderungen in la¬
teinischer Sprache genau aufzeichnen. Überhaupt wurde von
ihm die ständige Führung eines Registers verlangt, worin er
in alphabetischer Reihenfolge die Namen der Güter, Zehnten,
Pächter, den Umfang und Ertrag der Güter eintrug 8 . Die
Rechnungsablage fand auf dem Generalkapitel statt. Den Preis
■) St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 u fol. 58, 59; 11z fol. 122, 128.
*) Stiftsarchiv III (Offiziatcn) Nr. 6. Am 22. Sept. 1749 wurde zur
Ordnung und Registrierung des Stiftsarchivs als zweiter Sekretiir Job. Willi.
Jos. Bohnen angestellt: Nr. 7. — Bestimmungen für den Sekretiir im St.-A.
Düsseldorf, Akt. 11 q fol. 345, 846; 11 u fol. 148, 149; 11z 125, 313, 814.
*) Eine grolle Anzahl solcher Register ist noch im Stiftsarchiv er¬
hallen.
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur frauz. Zeit. 121
der zu verkaufenden Früchte bestimmte im allgemeinen das
Kapitel. Über Streitigkeiten in der Lehnskammer traf dieses
ebenfalls die Entscheidung. Der Kellner erhielt jährlich gegen
100 Pattakonen = 72 Mark und als Granatarius 100 Reichs¬
taler. Für sein Pferd bekam er 10 Miidden Hafer ohne Sonder¬
vergütung für dessen Unterkunft, wenn er für das Kapitel
ausritt. Daneben hatte er noch zufällige Einnahmen (z. B. bei
Totenfeiern, beim conviviutn episcopale, an den Muttergottesfesten
u. s. w.) Die Verpflichtungen wurden einzeln genau festgelegt
bei der Neuanstellung eines Kellners. Er hatte dem Kapitel einen
Eid zu leisten und eine Sicherheit von wenigstens 1000 Patta¬
konen zu stellen 1 . Sein Gehülfe war der famulus gmnarii 2 . —
Ihm zur Seite stand ein Censuarius oder Collector minorum
censuum 3 . Dieser, der auf die Wiederherstellung verloren ge¬
gangener Einkünfte an Zinsen und Zehnten sein Augenmerk
richtete, war vielfach auch Rumbarim und hatte als solcher
die durch Fehlen der Kanoniker und Kapläne beim Chorgebet
verfallenden Abwesenheitsgelder abzuziehen 4 . Er wurde aus
den Kaplänen genommen.
Durch die Eigenart ihrer Bestimmung zeichneten sich vier
Beamte des Stifts aus, die drei Rutenträger und der Bu-
sifer. Von den Ruten trägem war je einer dem Propste, De¬
chanten und Sänger zugewiesen. Da nun der Propst fast immer
abwesend war, so erhielt sein Stellvertreter, der Vizepropst,
die Ehre eines Rutenträgers. Ein Virgifer wurde durch den
Propst, die übrigen durch das Kapitel angestellt. Die Amts¬
kleidung der drei Rutenträger war ein blauer Mantel. Sie holten
an allen Sonn- und Feiertagen ihre Herren an der Wohnung
ab und begleiteten sie bis ins Münster. Dort stellten sie sich
an den Eingängen des Chors auf und achteten besonders an
') Genaue Bestimmungen hierüber St.-A. Düsseldorf, Akt. 11 a fol. 161,
— diese „Couventiones inter eapitulum et quemlibet cellerarium Aquensem“
sind anscheinend von derselben Hand geschrieben wie die Statuten von 1889 —
Uz fol. 301 —308, dasselbe 11 aa fol. 29. Vorschläge für das Amt des
Cellerarius, die durch Kapitclsdeputierte am 16. Januar 1728 gemacht wurden:
Akt. 11 w 197-203.
*) Bedingungen für ihn ebenda, Akt. 11 v 284 — 286.
3 I Ebenda, Akt. 11 s fol. 65.
4 ) Ebenda, Akt. 11 q fol. 6 u. 7. Über die Verpflichtung, die beim Chor¬
gebet Fehlenden aufzuschreiben, s. 11 q fol. 278.
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122
Heinrich Lichius
hohen Festtagen lind hei der Heiligtumsfahrt, wenn die Menge
sich im Münster drängte, darauf, daß das Volk nicht das Chor
betrat *.
Der Zutritt zum Chor war wohl ursprünglich den Gläubigen
nicht gestattet. Jedoch hatte sich bei der wachsenden Ver¬
ehrung der Heiligtümer der Brauch eingebürgert, daß bei großem
Andrang auch das Chor den Gläubigen offenstand. So kam es
denn sehr oft vor, daß Personen beiderlei Geschlechts zwischen
den Kanonikern und Benefiziaten während der Messe im Chor
waren. Dem suchte im Jahre 1709 der päpstliche Legat Bussi
dadurch abzuhelfen, daß er den Laien in einem solchen Falle
die Exkommunikation, den Kanonikern und Benefiziaten die
Suspension androhte 2 . Das Kapitel aber wies auf den schönen
alten Brauch hin, daß die Äbtissin von Burtscheid und ihre
Kapitularen auf Fronleichnam durch schönen Gesang bei
der Prozession zu der prächtigen Feier beitrügen und am Schlüsse
zum Chor zugelassen würden. Auch sei an dem genannten Tage
wie auf Dreikönigen und an anderen hohen Festen eine solche
Menge Volkes und Adels im Münster, daß man das Chor kaum
freihalten könne 3 . Mit der Bitte des Kapitels, bei solchen außer¬
gewöhnlichen Anlässen eine Ausnahme machen zu dürfen, er¬
klärte sich der Legat einverstanden 4 .
Nach Schluß des Hochamtes und der ersten Vesper be¬
gleiteten die Rutenträger ihre Herren nach Hause zurück. An
gewöhnlichen Sonn- und Feiertagen trugen sie in ihrer rechten
Hand einen hölzernen Stab, der bei hohen Festen durch
einen silbernen ersetzt wurde 6 . — Der Busifer hatte gleiche
Kleidung und Amtshandlungen, war aber nur dem Dechanten
zugeteilt. „Busifer“ ist die gebräuchlichste Bezeichnung für
') Ebenda, Akt. 11 d fol 281, 1594 Mai 20: „Audi den Rodendrngern
und den bousenfhiirer zu vermeiden almbefolben, des Choirs sub dirinis
mit HeiU achtzuhaben und die thiirren desselben zuzuhalten und nit also
jedermonniglicheu einzulaihen, »isi sint singuläres personae .“ Akt. 11 o fol.
126, 1608 Mai 18: Ostia chori diligentcr custodiant nec plehern ad chorutn
intromittant.
*) St.-A. Düsseldorf, Akt. II t fol. 76 f. Art. 7.
3 ) Ebenda, fol. 100—1011 Art. 8 . — *) Ebenda, fol. 104 f. Nr. 3.
*) Aus der Bemerkung des Liher cevsuum vom Jahre 1320 S. 78 Item
custodienti chorutn (cum virgaj II. mr, kann man wohl sehliehen, daß es
zu jener Zeit nur einen Virgifcr gab.
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Die Verfassung fies Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 123
ihn; auch finden wir ihn Bursifer, buysmannus, Bausend reger,
Säckelträger und Buschmann genannt. Er trug über der linken
Schulter an gewöhnlichen Sonn- und Feiertagen eine an einem
hölzernen Stabe hangende rotseidene Börse (bursa), an hohen
Festtagen einen an einem silbernen Stabe hangenden Säckel
von rotem Sammet \ Während nun die Bedeutung der Ruten¬
träger als ein Hinweis auf das Beaufsichtigungsrecht der drei
Würdenträger (Propst, Dechant und Kantor) ohne weiteres klar
ist, läßt sich ein gleiches von dem Amt des Busifer nicht sagen 2 .
Erwähnt sei auch noch der Kapitelsbote, nuntius capituü
und pedellus genannt, der bei den Kapitelssitzungen vor dem
Kapitelshause stehen mußte. Er besorgte die gewöhnlichen
Botengänge des Stifts innerhalb und außerhalb der Stadt, mußte
die regelmäßige Reinigung des Münsters vornehmen und deutsch
lesen und schreiben können. Er hatte neben kleineren Ein¬
künften freie Wohnung, Kleidung und 40 Reichstaler Gehalt.
Sein Amt war öfters mit einem der anderen Offizien vereinigt 3 .
Schluß.
Das wechselvolle Leben im Stifte, das sich in der Ent¬
wicklung der Verfassung spiegelt, zeigt uns eine Fülle prächtiger
und trüber Bilder. Am Anfänge steht die stolze, kraftvolle
Gestalt des großen Karl, der mit gläubigem Sinn und klarem
Blick dem Reiche einen Mittelpunkt gab und den Grundstein
') Stadtarchiv, Koll. fol. 35 § 21.
*) Die Bedeutung dieses Amtes war schon zu Meyers Zeiten fraglich,
und auch die Aufzeichnungen des Propstes Matth. Claessen bringen einige
Erklärungsversuche. Die bei du Gange angegebenen Bedeutungen für husa
dürften für das Aachener Abzeichen kauin zutreffen. Der in der Aachener
Mundart noch heute vorkommeude Ausdruck Bitte# bezeichnet die tiefbraune
Blütenrispe des Schilfrohrs. M iiller-Wei tz (Die Aachener Mundart, Aachen
und Leipzig 1836) gibt S. 28 an: „Bus (Buse), die, Rohrkolbe, typha
latifolia, nieders. Puisk; entweder ist das Wort mit dem holl, buis, bus
Röhre oder auch mit Bössei, Bussei, Büschel verwandt.“ Da der Beutel,
den der Busifer trug, eine lange schmale Form hatte, nannte der humor¬
volle Aachener den Busenträger spöttisch Putteseträger. (Müller-Weitz a.n.O.,
S. 191: Puttes, der, Blutwurst, uieders. Puddewurst.)
3 ) St.-A. Düsseldorf, Akt. 11z fol. 347; dasselbe 11 na fol. 68. — Die
bestimmten Gehälter sind einer Aufzeichnung im Stiftsarchiv I 9 A (Canonici)
Nr. 42 entnommen. Für die ältere Zeit siehe Qu ix, Liber censuum, S. 78 I’.:
(Jfticiatis et hereditariis eccl. Aquens.
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124
Heinrich Lichius
legte zu Glanz und Pracht des Stifts und der Stadt Aachen.
Am Schlüsse schlagen die Wogen der französischen Revolution
herüber und bedrohen den alten Kaisersitz. Wir sehen den
Ursprung des Stifts aus kleinen Anfängen, das allmähliche
Wachsen, die Zerstörung durch die Normanneneinfälle und eine
neue Blute. Mit immer größerem Glanze statten Königs- und
Kaiser-Urkunden und päpstliche Bullen das Stift aus. Hier er¬
halten die deutschen Könige das Zeichen ihrer Macht und nehmen
auf dem Marmorstuhle Karls die Huldigung der Großen des
Reiches entgegen. Tage des Glanzes wechseln ab mit Zeiten
des Niedergangs. Die Wandlung des Zeitgeistes, das glaubens¬
starke Mittelalter, die Reformation, das Zeitalter der Aufklärung,
alles übte seine Wirkung aus auf das Stift. Seine wechselvollen
Schicksale sind gleichsam ein Spiegel der deutschen Geschichte
und des Kulturlebens. Die Kunst fand hier eine gute Stätte;
Männer, die als Räte des Königs mithalfen, die Geschicke des
Reiches zu bestimmen, waren Mitglieder des Stifts, und solche,
deren Namen in der Wissenschaft und beim Adel guten Klang
hatten, trugen das Kleid des Kanonikers.
Und doch ging es zum Schlüsse immer mehr bergab. Mi߬
stände, die von außen einwirkten und im Stifte emporwuchsen,
machten sich trotz vieler Gegenmaßregeln geltend. Nicht zum
wenigsten trugen dazu unruhige, herschsüchtige, habgierige und
eitle Mitglieder bei. Öfters standen sich ausgesprochene Parteien
gegenüber, deren Meinungen manchmal hart aufeinander stießen.
Dazu kamen noch im letzten Jahrhundert Gegensätze zu den
Bischöfen von Lüttich und beständige Streitigkeiten mit Stadt
und Magistrat. Allzu peinlich und kleinlich pochte das Stift auf
Rechte, die im Mittelalter wohl begründet waren, für die aber
die neue Zeit kein Verständnis mehr hatte. Bald aber schlug
für das Marienstift die Schicksalsstunde wie für viele andere
ähnliche Genossenschaften. Die französische Revolution 1 und
die Streitigkeiten der Aachener Bürgerschaft in den Jahren
1786—1792 zogen auch das Stift und seine Insassen mehr oder
minder in Mitleidenschaft, in deren Verlauf das verständige
Eingreifen des letzten Stiftsdechanten Cardoll rühmende Er¬
wähnung verdient. Der erste Sieg bei Jemappes ötfnete der
') Vergl. zuin Folgenden TT ü f f e r, Forschungen nuf dem Gebiete des fran¬
zösischen und rheinischen Kirchenrechts mit geschichtlichen Nachrichten über
das Bisthum Aachen. Münster 1868. — Hangen II. 888 — SchluC und 698—703.
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t)ie Verfassung des Marieustiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 125
französischen Revolutionsarmee den Weg zu weiterem Vordringen.
Das Stift sah sich gezwungen, seine Kunstschätze und Reliquien
in zwanzig Kästen nach Paderborn in Sicherheit zu schaffen, und
mußte doch den Raub mancher Kleinode beklagen. Blutenden
Herzens mußte es Zusehen, wie die Nachricht vom Morde fran¬
zösischer Gesandten auf dem Rastatter Kongreß Veranlassung
zu einem Rachefestim alten ehrwürdigen Münster zu Aachen bot. Als
dann 1801 die Stadt Bischofssitz wurde und 1802 Markus Antonius
Berdolet einzog, hielten nur ein paar Mitglieder des Stifts die Er¬
innerungen an vergangene Zeiten im neuen Domkapitel wach.
Der Dechant des alten Stifts, Konrad Hermann Cardoll,
und die beiden früheren Kanoniker Timmermanns und Smets
bildeten mit noch fünf anderen als von Berdolet ernannte und
von Napoleon bestätigte Domherren das neue Domkapitel. Von
der Unabhängigkeit, der Macht und Bedeutung des alten Ka¬
pitels waren kaum noch Reste übriggeblieben. Gegenstände der
Kapitelsverhandlungen und diese selbst waren von der Geneh¬
migung des Bischofs abhängig, der auch den Vorsitz führte.
Jedoch hatten die Verhandlungen nur beratenden Charakter.
Nach dem Tode Berdolets wurde von Napoleon als Nachfolger
Le Camus, Generalvikar der Diözese Meaux, bestimmt, der am
4. Januar 1811 in Aachen einzog. Ohne bei den verwickelten
kirchlichen Verhältnissen eine bedeutungsvollere Tätigkeit ent¬
wickelt zu haben, floh er am 16. Januar 1814 vor den nahenden
Verbündeten nach Paris, wo er am 26. April starb. Die Amts¬
geschäfte der verwaisten Diözese wurden durch zwei General¬
vikare bis 1821 ausgeübt. Da machte die Bulle De salute ani-
marutn den unleidlichen Zuständen ein Ende. Der Erzstuhl des
Maternus in Cöln erhielt seine alten Rechte wieder. Am Aachener
Dom aber wurde ein Kollegiatkapitel eingerichtet, das jetzt zur
Cölner Erzdiözese gehörte. Es ist das einzige seiner Art in
diesem Sprengel und setzt sich aus dem Propste und sechs
Kanonikern zusammen. Bei Erledigung eines Kanonikates iu den
ungeraden Monaten erfolgt die Ergänzung durch den preußischen
König, in den geraden durch den Erzbischof von Cöln.
Als der vornehmste Zeuge kündet uns heute noch dort
vom Leben und Streben vergangener Zeiten das ehrwürdige
Münster Karls des Großen, neu verjüngt durch kunstsinniges
Verständnis der Mitwelt, nicht am wenigsten durch die landes¬
väterliche Fürsorge Kaiser Wilhelms II.
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Heinrich Lichius
Anlage I (zu Seite 22).
Propst Gerhard von Berg und das Kapitel des Marienstiftes schließen
zur Schlichtung von Streitigkeiten einen Vertrag ab, wonach die Gerichtsbarkeit
über Kanoniker, Beneflziaten und Diener des Stiftes dem Kapitel zusteht , die
Kosten für die siebenjährliche Zeigung der Heiligtümer dem Propste auferlegt,
die Verteilung der dem Marienaltar , drei Opferbüchsen und der Kirchenfabrik
zufließenden Opfer geregelt, die Besetzung der Matrikularstellen und die Ver¬
teilung der Einkünfte, aus Sinzig, Westum und Consdorf festgesetzt und Ver¬
änderungen in Bau und Bemalung des Münsters dem freien Beschlüsse des
Kapitels anheimgestellt werden. Zur Einhaltung dieses Vertrages soll fürder¬
hin sich jeder Kanoniker bei der Aufnahme eidlich verpflichten. — 1432 Mai 1 *.
Wir Gerart van deme Berge, doymproist zo Coelne ind proyst zo Aiche,
dein kunt allen luden, di uu synt ind hernauiails werden soillen. Also as
tuschen uns as eyme proyste zo Aiche an eyne syde ind den eirberen heren
unseu lieven frunden dechen ind gerneyn capittell der kirchen unser liever
vrauwen zo Aiche an die andere syde etzlige zwyst ind zweyongen sich er-
haven ind uperstanden wairen umb deser herua geschreven punteu willen,
uns partheyen vursz. zo beyden syden antreffende, so bekennen wir proist
vurg. in desem uutgainwordigen brieve vnr uns ind unse nakoemlinge proisten
zo Aiche vursz., dat wir alle der zwyst ind zweyongen, umb die neder zo
legen ind vortan zo den ewigen dagen zo verhoeden, mit guden, vryen willen
oevermitz unse beider frunde mit den vurg. heren dechen ind capittell zo
Aiche gutligen oeverkoinen ind eyns worden syn in deser maissen, as herna
geschreven steit. Ind willen wir ouch, dat die vurg. heren dechen ind capittell
alle deser selver punten van nu vortan zo den ewigen dagen zo vestlich ind
vredelich gebruyehen soillen, sonder eynche unse off unser nakoemlinge
proiste zo Aiche vursz. hiudernisse off wedderspraiche.
1 In dein yrsten. Want wir dan van guden, gelierden ind anderen birven
luden, die in desen Sachen van geyne partyen synt, underwyst syn ind davan
gewaire künde gesien ind gehoirt haven, dat die vurg. dechen ind capittell
in alder posscssien deser punten ind articule herna geschreven geweist synt,
daruinb willen ind soillen wir ind unse nakoemlinge sy ouch vortau daynne
laissen ind behalden, as dat sy oever alle cliercke ind geistligc personen
bynnen der stat van Aiche ind alle die ghene, die ampte haven in der vurg.
l ) Dieser Vertrag wurde iu lateinischer Fassung 1434 Mltrz 23. von der Synode
zu Basel und deutsch im seihen Jahre am seihen Orte „am nechsten freytag noch
Sauet Philipps und Jacobstag“ (Mai 7) durch Kaiser Sigismund h. stlitigt. — Diese und
di« folgende Urkunde sind nach den üblichen Hegeln wiedergegeben; doch habe ich
sie zur bessern Übersicht in Abschnitte zerlegt und Interpunktion sowie Randnummeru
beige fügt. — Auf Bitte des Herausgebers hatte das Königliche Staatsarchiv zu Düssel¬
dorf die dankenswerte Güte, die iiiehtigkeit der Abschrift beider Urkunden nach den
Ursch ritten zu prüfen.
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Die Verfassung des Marieustiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 127
kirchen, ind vort alle der kirchen prelaten, canoenche ind die daynne gc-
provent ind beneficeirt synt, vort dienre ind kneichte van allen misdeden
richten ind corrigieren moegen, alle vorderongen ind anspraicheu, die mau
an sy legen off keren moechte, zo hoeren, darup zo wysen, urdell zo geven
ind die uysszorichten, uysgescheidcn die ghene, die van sent Ailbrechtz
capittell synt, vort alle religiöse geordende lüde bynncn Aiche in andere
geistlige lüde, die nyet bynnen Aiche en woenen noch darin en gehoirten.
Mer were sache, dat cynche personen, hoe off neder, die van des vursz. ca«
pittells beschirniss off correxicn weren, uns off uusen nakoemliugen proisten
zo Aiche vursz. heymlich off offenbair bynnen deine Moenster unsser lieven
frauwen kirchen off bynnen der vryheit der selver kirchen yedt verkurtzden
off misdeden, dat sali unse vitzdom tzertzyt off der ghene, deme wir off
unsc nakoemlinge proiste zo Aiche vursz. dat bevoillen hetten, den vursz.
heren dechen ind capittell updoin ind anbrengen, ind die soillcn asdan
zerstunt ain eynich mircklich vertzoch oever sulchen verkurtzonge ind misdait
richten ind reicht laissen geschien, also zo verstain, dat sulche brache ind
misdait van dem off van den, die also in vursz. maissen misdain hedden,
gebessert werden, as sich billich ind zo reichte gebürt. Vort were sache,
dat eynche der vurg. heren dechens ind capittells kneichte, die leyen weren,
eynche sulche misdait off Sachen bedreven, damit sy dat lyff vcrwirckt
hedden, dat sal man die ghene laissen uysrichten, so wie man dat van alders
bisher gewoenlich gehalden hait.
2 Vort willen wir, dat unse dyenere alle den canoenchen ind vort alle
denghenen, die da dieuer synt bynnen den vyertzien dagen ind nachten in
der heiltomsvart, diewyle dat man dat werde beylichdom uyss unsser
liever frauwen kassen gedain hait, bis zo der tzyt, dat man dat weder
darin lait, van allen costen, beide dach ind nacht, vort van tortysen, van
kertzen ind van allen anderen noittorftigen Sachen volkomentlichen versien
ind genoich doyn soillen, gelych unse vurfaren proiste zu Aiche dat bisher
getruwelichen versien, gewoynlichen gehalden ind verwart haint. Item soillen
wir ind unse nakoemlinge vursz. vur der tzyt, ee man dat heiltom uyss
der vursz. kessen deit, den vursz. heren dechen ind capittell gude, sicher
gewysheit doin ind geschien laissen, yn boveu alle cost vursz. gentzligen
zo verrichten ind wale zo bezalen vyerhoudert oeverlentsche gülden bynnen
den nysten eicht dagen na der heiltomsvart.
3 Vort willen ind bekennen wir vur uns ind unse nakoemlinge vursz.,
dat alle alsulchcn off er, as an unser liever vrauwen elter off anderswair
in der vursz. kirchen, so wa dat ouch sy, geoffert sali werden, id sy an
goulde gemoentzt off ungemoentzt, an ungemoentzdem silver, an gesteyntze
an perlen, an wat könne cleynoide die ouch weren, an perden, an harnesch,
an yseren wercke, vort an alre könne irtzen, an cleydongen, an rantzen, an
voederongen, wileherleye die ouch weren, gentzligen ind zomaille gehoeren
sali zo dem buwe der vursz. kirchen, gelych der alwege dartzo gehoirt hait,
uysgescheiden alleyne alle ulsulchen ofi'er, der geoffert wyrt uff unser
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Heinrich Liehius
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vrauwen elter in der missen hynncn der zyt, ec inan den keilcli an den elter
offert na deine offertorio, as dat gewoynlich is, want sulchen offer zogehoirt
dem vursz. dechen, den canoencheu, priesteren, dyaken und subdyakcn der
vursz. kirchen, die dye vursz. missen allda doynt, haideut ind dartzo
dyenent.
4 Gelycherwys willen ind bekennen wir vur uns ind unse nakoemlinge
vursz., dat alle alsulchen offer, as up unser liever vrauwen elter off anders-
wair in der vursz. kirchen off in die gerkanier au syden ind wullen doichen,
wat kuune die ouch weren, an kaseleu, an alven off an anderen Ornamenten
dergelych geoffert wirt, gentzligen ind zomaille blieven sali in der ger-
kamern, nmb goitzdyenst damit die vurder zo doin ind zo verinerren, gelych
dat van aldcrs ouch alda gchalden ind gewoynlichen hieven is, ain so wat
an die vursz. ende ind stede an lynwant, nemelichen an dwelen ind elter-
dweleu, geoffert wirt, dat sali uns ind unsere nakoetulingen proisten zo
Aichen vursz. zogehoeren ind blyven.
5 Vort willen ind bekennen wir vur uns ind unse nakoemlinge vursz.,
so wat in eyncheu zokomenden zyden geoffert wirt off komen mach in den
stock up dat hoge Moenster vur des heiligen Crucis elter, vort vur parwys
by sent Cathrynen capeilen ind up den kirchoff by der lodzschen, van
wilcheu stocken wir zwene slussell ind dat vursz. capittell ouch zwene slussell
haven soillen, item dcsgelychs, so wat in die buessc, die da hengt an der
lodschen, davan wyr eynen slussell in dat vurg. capittell ouch eynen slussell
haven soillen. geoffert wirt off komen mach, id sy an goulde gemoentzt off
ungemoentzt off an anderen cleynoidc ind so wie dat ouch hie vur van deine
buwe besondert is ind geschreven steit, sali gentzligen ind zomaille komen
ind vallon zo deine buwe der vursz. kirchen. Mar alle gemoentzt silveren
gelt, dat in die vursz. stocke off bucssen geoffert wirt off komen mach, sali
halff komen ind vallen zo deine vursz. buwe, ind die ander halfscheit davan
sali unse ind unsser nakoemlingen syn ind blyven. Ind dcsgelychs ouch so
wat in die buessen up sent Libreichtz ind seut Coronen eiteren geoffert wirt
ind komen mach in der heiltoms kirmissen off darbuyssen, sali ouch also in
zwey gedeilt werden, halff zo deine buwe ind die andere helffte darvan uns
ind uusen nakoemlingen vursz. zogehoeren ind blyven.
6 Vort want id dan bewylen velt, dat etzlige lüde ind pilgerim zo den
buwemeisteren zertzyt der vursz. kirchen komen van sunderliger yrs selfs
begerden off dergheener, die sy uysgesant haven, ind willen den etzwat
offeren, geven off keren zo deine vursz. buwe, sowie sulchen pilgeriin
off lüde dat asdan in yrre gnder begerden haven, ind willent ouch vort van
den buwemeisteren vursz. schyn ind kuntschafft mit brieven ind segelen
haven, nmb zo bewvsen, off sy sulchen offerande off gvfft gedain off ge-
geven haven, darumb so willen wir vur uns ind unse nakoemlinge, dat die
buweracistere zertzyt vursz. sulchen offer ind gift, sie geschicn ouch wie
die geschicn, an goulde, an silver off an eyncheu anderem cleynoidc, zo sich
uemeu ind zo dem vursz. buwe getruwelichen keren ind ouch dat sy sulchen
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Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur franz. Zeit. 129
schync ind kuntschafftbrievc geven denghenen, die der begerent ind ge-
syunent, beheltnisse uns ind unssen nakoernlingen vursz., dat unse vitzdom
zertzyt off eyn ander canoenieh, deine hey dat bevoillen bette, sulchen schyn
ind kuntschaffbrieve zeichenen soillcn sonder vertzoch, ind van sulchen
schynen ind kuntsebaffbrieveu zo machen, zo besiegelen, noch zo zeichenen
mit allen nyet zo heischen noch zo nemen; ind die buwemeistere, die zerzyt
synt ind hernninails gesät werden, soillen euch yrc eyde darup doin vur den
vursz. heren dechen ind capittcll in untgainwordicbeit unss vitzdomps,
gheyue Sachen zo doin noch antzonemen, damit uns, unsen nakoernlingen
ind eyme proiste zo Aiche vursz. unse ind ihre reicht verkurt moege
werden; desgelychs soillen ouch eyn custer zo Aiche ind unse dienere daselfs
gewoenlieh eyde doin vur dechen ind capittcll vursz. den vurg. buwe in
geynchen Sachen zo hinderen, sonder argelist.
7 Vort willen ind bekennen wir vur uns ind uuse nakocmlinge vursz.,
wilehe zyt ind wanne die cloekainptc in iler vursz. kirchen ledicli werden,
dat wir asdan den vurg. heren dechen ind capittcll zo denselven ampten
lieveren ind presentiren soillen verstendige personell, die darzo abellnutze
ind bequeme syn, mit nunen cliorck, die uugehylicht syn ind die ampte in
yren eygenen personeu doyn verwareu ind verdienen moigen. ind die selve
herren dechen ind capittell vursz. soillen ouch asdan die vursz. unse pre-
sentierde personen sonder argelist oft’ wedderreide unvertzoicht in yre ampte
untfangen ind setzen ind gewoynliche eyde van yn nemen ind yn getruwe,
lioult ind gehoirsam zo syn ind dat sy yre ampte ouch getruwclichen
bearbeiden ind bewaren soillen. Ind were sache, dat sich sulche presentierde
personen, bynnen des sy die ampte vursz. betten, hylichdeu. so soillen ouch
dieselve ampte van stunt ledich syn, andere personen in vursz. maissen
darin zo setzen.
8 Vort willen ind bekennen wir vur uns ind unse nakocmlinge, also as
wür dau underwyst ind bericht syn uyss offenbairre schryfte, so soillen wir
ind unse nakocmlinge proiste zo Aiche vursz. alle jair dat dirdc deill haven
uyss deine zienden beide van körn ind van wyne zo Syntzich, zo Westhem
iud zo Comstorp, ind damit soillen wir ind unse nakocmlinge vursz. uns
ouch laissen genoegen, ind die andere zwey deill des vursz. zienden soillen
die vursz. heren dechen ind capittell haven. Noch soillen wir iud unse
nakocmlinge vursz. uyss unsme dirden deylle des vursz. zienden alle jair
den vursz. heren dechen ind capittell ind in yre vass lieveren ind wale be-
tzalen zwey voyder wyns, nyet van dem besten noch ouch nyet van dem
snoesten gewacsse des vursz. zienden. Vort alle stro ind wyndraueren, die
van dem vursz. zienden jairs koment ind vallent, soillen zomaille zogehoeren,
allcyne blyvcn iud syn des deebens ind capittells vursz. Ind wir ind unse
nakocmlinge vursz. soillen desgelychs ouch alle jair zo arn ind zo herfstc
eyn dey 11, ind die vursz. heren dechen ind capittell zwey deyll alle der
vursz. cost ind andere Sachen, die asdan zo Syntzich, zo Westhem iud zo
Comstorp as bisher gewoenlieh geschient ind gebuereut, doyn ind lyden, iud
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wir ind uuse nakoemlinge proistc vursz. soilleu alle jair unsen vitzdom
off cuatcr zerzyt dein vursz. dechen ind cnpittell zo rechter zyl doyn sprechen
ind geloyven vur sulchen dirdeill der coste, as sy uns in deme arne ind
herfste verlacht hetten off verleickten, up den drutzienden dach darna alzyt
nyestvolgende zo betzalen. Ind wir en soillen ouch unse wyne van deme
vursz. zienden van danue nyet voeren, deme selven dechen ind cnpittell en
sy yrst die spraiche vur die cost in vursz. maissen gcdain in darvur genoich
geschiet.
9 Vort umb dan nederzolcgen ctzlige zweyonge. die vurmails geweist is
van nuwes buwes ind gemeels wegen, die in der vursz, kirchen gemacht
synt off van nu vortun gemacht raoichten werden, bekennen wir vur uns
ind unse nakoemlinge vursz., dat wir dartzo unsen willen gegeven hain ind
geven mit macht dis brieffs, dat dechen ind cnpittell alle alsuleben nuwen
buwe ind gemeels inoigen doin ind laisscn machen na alle yrme beveillc,
begerden ind willen, sonder eynich versoecken darutnb an unss noch au unse
nakoemlinge vursz. zo doin, doch also, dat uns ind unsen nakoemlingen
vursz. damit geyn mircklich noch offenbair hinder noch schade en gesche
10 Item werre Sache, dat hernamails eynche zwyst, zweyonge off
stoesse boyvere dese vursz. punten tuschen uns ind unsen nakoemlingen
vursz. an eyne syde ind den vursz. bereu dechen ind capittell an die andere
syde untstoenden off sich erhoeven, darumb dat man wiyser lüde raitz be-
hoifde, sulchen zwyst, zweyonge ind stoesse nederzolegen, so willen wir vur
uns ind alle uuse nakoemlinge proiste zo Aiche vursz., dat sulche zwyst,
zweyonge, stoesse ind vort alle suchen bedadingt ind ncdergelacbt soillen
werden zo Aiche oevermitz frunde van uns beiden partyen vursz. mit mynnen
off mit fruntschaff, as verre dat geschien mach. Moichte ever des nyet
gesyn off geschien, so soillen wir beide partyen vursz. alle alsuleben zwyst,
zweyonge, stoesse ind ander suchen vursz. van stunt stellen an dat reicht
ind die damit laissen uysseren ind uysdragen, so wie sich dat asdan billich
iud zo reichte gebueren sali, sonder eynche ander wege oevermitz uns off
unse nakoemlinge in deme vursz. capittell darumb zo soecken.
11 Vort want wir dan nu gentzligen, luterlegen ind zomaille vur uns ind
unse nakoemlinge vursz. mit den vursz. heren dechen ind capittell gescheiden
willen syn van allen zwysten, zweyougen ind stoessen, so wie sich die dan
van allen vurlederen zyden bis an desen hudigen dach datum dis brieffs
in eynchcr wys tuschen den vursz. herren dechen ind capittell an eyne syde
ind uns an die andere syde ergangen haveu ind geweist synt, ind ouch vort
dat alle zwyste ind zweyonge, die vurmails tuschen uns ind deme vursz.
capittell untstanden waircu ind geweist synt, as van der Separation ind
ammiuistratien wegen der gude ind reuten ind fundatien der kirchen
vursz., gruntlichon ind fruntlichen ncdergelacbt werden ind gescheiden blyven
zo den ewigen dagen zo ind dat alle ind yecklige dioselve punten der Sepa¬
ration, amministrntien ind fundatien vursz. ind so wie die dan vur ercliert
ind geschreven steent, oevermitz uns bekant syn iud werden, dat die nyet
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untghain en synt eynchen punten hievuer in desem brieve begriffen, ind ouch
dat alle herkomen ind guede aide gewoende van alders tuschen uns beiden
partyen vursz. ind unsen vurfaren gchalden, vort brieve, geschrichte ind
fruntlige verdrage, die tuschen uns proisten ind unsen vurfaren ind den
vursz. heren dechen ind capittell vurmails angegangen ind begriffen synt,
van uus bcliefft, bcstedicht, approbiert ind bevesticht werden, ind dat alle
vursz. Sachen vortan macht havcn ind in yrre gantzcr volkoemenre macht
syn, blyven ind gchalden werden zo den ewigen dagen zo, so believen,
hcstedigen, bcvestigen ind approbieren wir proist vursz. die ouch vur uns
ind alle unse nakoemlinge in desem unsme offenen brieve, gelich off die
allzomaille ouch von wordc zo worde in desem selven brieve cleirlichen
begriffen ind geschreven stoenden, ind wir geloyven ouch in guden alden
truwen, die vaste, stede ind unverbrüchlich zo halden zo den ewigen dagen
zo ind dar intgain nyet zo doiu noch werven zo doiu noch laissen geschien
mit gcynchen Sachen, die erdacht synt off erdacht moichten werden heymlicb
noch offenbair oeverinitz uns sclver noch nyemant anders van unsen wegen
in geyner hande wys.
12 Ind up dat alle dese Sachen ind punten vursz. van uns beiden partyen
vursz. ind ouch van unser beider partyen vursz. nakoemlingen zo allen syden
zo den ewigen dagen zo die vaster gchalden werden, so hain wir Gerart
van deine Berge etc. as cyn proist zo Aiche vursz. nu vuran mit unsen
upgereckdcn vingeren lyffligcn zo den heiligen geswoeren, alle ind
yecklige punten, so wie die in desem brieve vur ind na geschreven synt
ind ercliert staint, ind soillcn ouch alle unse nakoemlinge proiste zo Aiche,
ee sy van eyine capittell daselfs untfangeu werden, mit yren upgereckden
vingeren lyffligen zo den heiligen sweren ind na uyswysongen des eydz in
yrrae eydtboiche begriffen, alle ind yecklige deeselve punten vursz. vaste,
stede ind unverbrüchlich zo halden; desgelychs soillen ouch dechen ind
capittell vursz. ind eyn yecklich canoench, der nu in der vursz. kirchen
canoenich is ind hemamails alda canoenich wirt, mit yren upgereckden
vingeren lyffligen zo den heiligen sweren, alle ind yecklige deeselve puntc
vursz. gclych uns vaste, stede ind unverbrüchlich zo halden. Vort willen
wir vur uns ind unse nakoemlinge, dat van nu vortan geyue canoeuichc in
unser liever vrauwen kirchen vursz. untfangeu soillen werden, sy en sweren
yrst zo den beyligen in yrnie intfencknisse vur dechen ind capittell vurs.,
uuminer darby zo syn, proiste ind canoeuche zo untfangeu, sy en soillen
yrst in yren intfencknissen zo den heiligen sweren, alle Sachen ind punten,
so wie die vur van wordc zo worde ercliert syn ind geschreven staint,
vaste, stede ind unverbrüchlich zo halden zo den ewigen dagen zo, alle
argeliste hie ynne gcntzligen ind zonmille uysgescheiden.
Ind alle deser Sachen zo eyme wairen urkonde ind vaster erffliger
stedicheit so hain wie Gerart van deine Berge etc. as eyn proist zo Aiche
vursz. unser proistyen zo Aiche segell mit unser reichtcr wissenheit ind
gudeu willeu vur uus ind unse nakoemlinge au desen brieff doiu hangen.
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Ind 7,0 roerre getzuchnisse ind crffliger vestigeit so hain wir vort gehcden
den hogeboercn durluchtigen fürsten hem Adoulph hcrtzougen zo Guylgc
ind zo deme Berge etc. ind greve zo Ravensberg, unssen lieven gemynden
broider, umb want die proistye zo Aiche vursz. van des hertzouchdoms
wegen van Guylge as van des heiligen richs wegen zo geven gebürt, dat
hey alle dese vursz. punten ind Sachen umb vredes, guder cyndracht ind
ordinancien willen, so wie die vur ercliert ind begriffen synt, ind dat die
vurg. heren dechen ind capittell alle deser vursz. punten vurder confirmatien
erwerven inoigen, darynne yn des uoit gebueren moichte, under syme segell
umb unser beden willen mit believen, bestedigen, coutirmyeren ind approbieren
wille ind ouch in maissen vursz. besiegelt, bestedicht, conlirmyert, approbiert
ind synen volkomenen willen zo allen Sachen ind eyndracht vursz. gegeven
hait. Des wir Adoulph van goitz genaden hcrtzoug zo Guylgc ind zo deme
Berge etc. vursz. vur uns, unse erven ind nakoemliuge under uusserm segell
an desen briefi' mit unsser reichter wissenbeit ind guden willen gehangen
erkennen gerne gedain haven umb beden willen des eirwerdigen unss lieven
gemynden broeders hem Gcrartz van deme Berge etc. doymproist zo Coelne
ind proist zo Aiche, ind dat alle vursz. saehen wair synt, behcltnissc deine
heiligen ryche, unss ind unssen nakocmlingen hcrtzougen zo Guylgc vursz.
as mailich van uns syns reichten. Gegeven in den jairen unss heren doe
man schreiff duysent vyerhondort zweyinddrissich jair, up sent Walburgen
dach der heiliger junffereu.
'Tran8 fix mit der Bestätign»igsurkuude des Lütticher Bischofs Johannes.
— 1434 Mai 3.
Universis et singulis presentes litteras visuris et audituris Johannes dei et
apostolice sedis gracia episcopus Leodiensis salutem in Christo sinceram et sub-
scriptorum veritatem agnoscere. Exhibita nobis pro parle venerabilis ac nobilis
viri consanguinci nostri carissimi domini Gerardi de Monte, Coloniensis ac
beute Marie urbis Aquensis nostre Leodiensis diocesis ecclesiaruin preposili,
expositio continebat, qualiter inter ipsum dominum prepositum ex una
neenon vcncrabiles nobis in Christo dilectos decauum et capitulum dicte
ecolesic nostre beate Marie ciusdoiu urbis Aquensis ex alia partibus super
ccrtis punctis et articulis ipsas partes concernentes et in litteris patentibus
dicti domini prepositi, quibus presentes nostre transfiguntur, comprehensis
fuit suborta discordia, quam sub pacis tranquillo voluerunt pro sedandis
futuris dissentionibus et dubiis removendis pro bono et utili ccclesie nostre
beato Marie ac partium prcdictarum amicabiliter componere et cuncordare.
Unde proborum virorum iurisperitorum et aliorum circa hoc expertorum usi
cousilio super huiusmodi punctis et articulis in cisdcm litteris designatis
compositionem et concordiam pro se et suis successoribus in futurum per-
petuis ternporibus duraturam firmarunt et concluserunt iuxta formam et tenorem
littorarum prcdictarum. Ut autem huiusmodi compositio seu concordia perpetui
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Die Verfassung des Marieustiftes zu Aachen Dis zur franz. Zeit. 133
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roboris obtineat firmitatem, dietus dominus prcpositus ct consanguineus
noster nobis fecit bumiliter supplicari, quatenus huiusmodi compositionera
seu concordiam, sicut prefertur, pro se et suis suecessoribus suis [!] ex una
ac decanum et capitulurn dicte ecelesie nostre beate Marie urbis Aquensis
ex altera partibus factam auctoritate nostra ordinaria emologare, contirraarc
et approbare dignaremur. Nos igitur Johannes episcopus predictus sup-
plicationem huiusmodi paternis affectibus inclinati, dcsiderantes ex auimo prc-
latos et personas ecclesiastieas nostre diocesis ecclesiarumque statum et
honorem sub iucremento divini cultus iugi paeis et concordie tranquillitate
vigere, concordiam scu compositionem huiusmodi inter partes predictas iuxta
formam litterarura predic.tarum factam et firmatam, ut prefertur, ueenon
omnia et singula in eisdem litteris concordie contenta et uarrata de iuris-
peritorum et aliorum in talibus expertorum consilio ac inatura deliberatione
precedente tamquam bona, utilia et tranquilla partibus predictis et eidem
ecclesic beate Marie Aquensis pro se et suis suecessoribus perpetuis tem-
poribus duratura auctoritate nostra ordinaria pro nobis et suecessoribus
nostris in perpetuum emologavimus, contirmavimus et approbavimus ac j>re-
sentis scripti patrocinio emologamus, confirmamus et in dei nomine appro-
bamus. In cuius rci testimouium sigillum nostrum ad causas presentibus
litteris duximus appendendum. Datum anno a nativitate domini millesimo
quadringentesimo triccsimo quarto, mensis Maii die tertia.
Staats-Archiv Düsseldorf: Aachen, Marienstift. Urk. Nr. 268a. Aus¬
fertigung in Pergament mit beschädigtem braunem Wachssiegel der Propstei
und dem Siegel Adolfs von Berg. Die Bestätigungs-Urkunde des Lütticher
Bischofs Johannes als Transfix au der Mitte des Umbugs mit beschädigtem
rot an Wachssiegel. — Dorsal vermerk: Concordiu inter dominum praepositum
ex una et domiuos decanum et capitulurn ex alia parle cum approbatione episcopi
Leodiensis (von jüngerer Hand: de annis res pect ive 1432 et 1434). — Unter
dem Umbug links: Pro domino sigillifero Adam de Papenth. Per dominum
me um episcopum et de eins mandato ad relationem domini Godefridi Mockinc
sigilliferi. Rechts unten: Theo(doricus) Puchem.
Anlage II (zu S. 48, 80, 114).
Auf Bitten des Stiftskapitels, das durch verschiedene kriegerische Er¬
eignisse große Einbuße am Vermögen erlitten hat, werden durch Papst
Gregor XIII. acht Kanonikalpfründen unterdrückt, deren Einkünfte zur
Schuldentilgung, Errichtung einer Schule, Anstellung eines Volkspredigers und
20 neuer Kapläne dienen sollen. — 1376 Februar 1.
Gregorius episcopus sorvus servorum dei ad perpetuam rei memoriam.
Superni dispositionc concilii in emiuentis dignitatis apostolice specula meritis
licet imparibus constituti votis illis, per que ccclesiarum quaruiulibet presertim
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134
Heinrich Licbius
collegiatarum insignium ac personarura in illis divinis laudibus insistentium
salubri directioni ct necessitatibus valeat salubritcr providcri, gratum pre-
stamus assensum, et ut id felicius subsequi possit, nonnumquam beneficiorum
in illis existentiuiu statum alterumus et commutamus ac alias dcsuper dis-
pouimus, prout circumstautiis rerum pensatis conspicimus in Domino salu-
briter expedire.
Exhibita siquidem nobis nuper pro parte dilcctorum filiorum capituli
ecclesie beate Marie virginis oppidi urbis regalis nuncnpati Aquensis Leo-
diensis diocesis petitio continebat, quod superioribus annis, cum princeps
Aurauie potentissimo cxercitu, quem ex perditis sectariis et hereticis varic
collectum contra inferiorem partem Germanie cbarissimi in Christo filii nostri
Philippi Hispaniarum regis catholici ditioni subiectam ac in ecclesiarum
ruinam personarumque ecclesiasticarum oppressionein ducebat, dictum oppidum
in liraitibus predicte ditionis consistens obsidione cinxisset et dictis capitulo,
nisi in promptu et omni mora postposita ingentem peeuniarum summam
tune expressam sibi numerarent, omnium bonorum suornm simul et vestium,
ornamentorum et vasorum preciosorum ad ecclesie et diviui cultus usum
antiquitus destinatorum aliorumque iocalium eiusdem ecclesie, que ab iinrae-
morabili tempore ex pia fidclinm devotione inibi magna cura et solicitudiue
a maioribus per mauus conservata fuerant, direptionem et devastationem ac
denique extrema omnia minaretur et plerique sequaces ac milites predicti
exercitus oppidum ipsum ingressi animum ad predictam ecclesiara illiusque
personas et bona depredanda convertisscnt ac capitulum prefati, ut tarn
tune iinminens periculum averterent, summam novem millium florenorum
monete Brabantie — quater mille et quingentos ducatos auri — de camera
vel circa constituentium ope et auxilio amicorura sub intercsse uudecunquo
collectam predicto principi numerare coacti fuissent et eandem summam
propter ciusmodi temporuin iniuriam oppignoratione bonorum sue mense ca-
pitularis uullatenus rcstituere valerent, liceutiam bona dicte mense mobilia,
prout usus et necessitas exigeret, usque ad coucurrentem quantitatem
dicte summe novem millium florenorum quibusvis personis, collegio seu uni-
versitati ad decenuium tautum oppignorandi apostolica sibi anctoritate coucedi
obtinuerunt ac eiusdem licentie vigore complura ex bonis predictis pro con-
currenli summa buiusmodi certis partium illarum personis ad decenuium
huiusmodi hipothecarunt ct oppignorarunt. Cum autem, sicut eadem petitio
subiungebat, ab eo tempore citra bellica calamitas in partibus illis vix
unquatn sedata fuerit, quin imo princeps et seu illius sequaces predicti
proinissis non contenti cidcm oppido ct locis circumvicinis frequentes alios
insultus et bostiles iniurias iutulerint ac praedia, villas, pagos, casalia cetc-
rasque proprietates illius regionis, presertim ad ipsam raensam spectantia
seu in quibus illius fructuum, rerum ct bonorum pnrs melior consistebat,
depredaverint, equos, boves et id genus animalia abduxerint, parochiales et
alias ecclesias de dicta mensa existentes sou quarum ratione idem capitulum
ius decimandi obtinent, incendiis et ruinis affecerint, paramenta et oruamenta
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ecclcsiastiea saerilegio ausu asportaverint et interim eapitulum predicti tarn
Romanorum imperatori quam dicto Philippe regi et diversis aliis priucipibus
varia et intinita subsidia ae contributiones summam quadraginta millium
florenorum similium excedentia in prompta et numerata pecunin magno eorum
incomraodo et iuteresse collecta prestiterint, ecclesias quoque predictas, ne
illarum Status omnino extingui contiugeret et exinde populi illius provineie
plus satis ad novitates propensi religio deferveseeret, restaurare ac campanis,
paramentis et ornamentis ecclesiasticis fuleire cepcriut ac etiam in bis ultra
summam viginti triuin millium fioreuorum similium etiam abunde mutuo
acceptam erogaverint, nec dum tarnen ecclesias ipsas pro illarum medietate
in prislinam primamque formam restituerint, ad ca quoque tanta incommoda
illnd accedat, quod in dicta ecclesia beneficiatorum et capellanorum nu-
inerus, qui olim sexagenarius existebat et ut plurimuiu solis Christi fidelium
eleinosinis, suffragiis et oblatiouibus sustentabatur, refrigescente in dies
eorundera fidelium charitate et rerum preciis crescentibus ad octo dumtaxat
reductus existat nullique aut pauci admodmn reperiantur, qui ad beneficia
et capellanias in ecclesia huinsmodi instituta aut ipsius ecclesie servitium,
sed nequidem ecclesiasticuin statum aspirent, tum quod beneficia et capellanie
huiusmodi nullis propemodum vel saltem minus congruis ad illa obtinentium
sustentationem facultatibus invitantur, tum etiam quod predicti oppidi iuventus
plcrumque ad diversa Germanie loca studii gratia emissa illic per assiduas
bereticorum iusidias, dolos et fraudes pestiferasque doctrinas ab omni ortho¬
doxe fidei Studio defecisse et ad ipsum oppidum rediens illam totam sua
contagione infecisse et simplicium animos pervertisse ac propulsis Romane eccle¬
sie et eiusdem fidei documentis personarum ecclesiasticarum statum in maximuin
discriuien et periculum adduxisse dignoscatur et propterea omuino expediat in
dicta ecclesia, queinterceteras illius regionis collegiatas ecclesias celeberrimacxi-
stit, pro illius servitio et divini cultus augmento huiusmodi beneficiatorum et ca¬
pellanorum numerum restituere aeegregium verbi Dei predicatorem, qui singulis
dominicis et aliis festivis ac quadragesimalidus diebus salubres sacrarum litte-
rarum intellectus publice interpretetur ac assiduis suis coucionibus populum
et iuventutem dicti oppidi in fidei catbolice disciplina conservet et adictoruin
bereticorum impostura virulentisque paseuis preservet, deviantes vero ab ipsa
fide seu etiam totaliter lapsos ad illam reamplexandam perducat, manuteueri
nec non apud eandem ecclesiam scholam seu gymnasium ad grammaticam
ceterasque artes et disciplinas liberales ac etiam cathecbismum eatbolicum
et alias sacras scripturas quibusvis ipsius oppidi clericis et aliis personis
litterarum studiis et exercitiis vacare ac in illis proticere volentibus quotidie
legendas et interpretandas institui, eapitulum vero huiusmodi tot damnorura
dispendiorum et gravaminum predictorum, que iuxla peritorum caloul um
et iudicium summam quadraginta millium ducatorum similium cxceduut,
mole attriti et solitis sue mense fructibus destituti non modo ad bona ipsius
mense hippoteeata et oppignorata liberanda et reliquum aes alienum, ut
prefertur, contractum suis creditoribus persolvcudum ecclesiis ruinis et in-
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136
Heinrich Lichius
cendiis affcctas ad pristinum cf, debituni statum reduccnduni, schole seu
gymuasii fabricam instituendam mercedcm tarn futuris illius preceptoribus
et gymnastis quam verbi l)ei predicatori huiu-modi prestandam ac alios
sumptus in premissis omnibus ncccssarios perferendos impares et debiles
existant, sed vix quidem deeentem eorum gradum pro loci, temporura et rcruin
qualitate sustinere valeant, in ipsa autein ecelesia ultra unam preposituraui
prim-ipalem et unum decanatum secundam ac unam cantoriam tertiam dig-
nitates neenon unam scbolastriam ac unum archipresbiteratum oflicia prin-
cipalia inibi existentia quadraginta canouicatus et totidem prebende inslituta
dignoscantur, et si octo ex canonicatibus et prebendis huiusmodi primo va-
caturis perpetuo supprimerentur ac illorum fructus, redditus, proventus,
iura, obventiones, emolumenta ac distributiones quotidiane cidem mense pro
premissorum omnium effectu etiam perpetuo applicarentur et appropriarentur,
ex hoc profecto non solum ipsius ecclesie necessitatibus, sed etiam publice
utilitati et commoditati opportune consuleretnr et divinus cultus in ipsa
ecelesia non parvum susciperct incrementnm religioque christiana falsis bn-
iusmodi doctrinis dilaniata inibi restitui ac predictis et aliis infinitis incom-
modis dietim illic etuergeutibus occurri posset ac condecens et competens
cauonicorum eiusdem ecclesie numerus superesset.
Qua re pro parte corundem capituli nobis fuit liumilitcr supplicatum,
nt octo canouicatus et totidem prebendas dicte ecclesie supprimere et cx-
tiuguere illorumque fructus, redditus et proventus dicte mense applicare et
appropriare aliisque in premissis opportune providere de benignitate apostolica
dignaremur.
Nos igitur, qui dudum intcr alia voluimus, quod petentes beneticia
ecclesiastica aliis uniri tencrcntur exprimere verum annuura valorem secun-
dum communem extimationem etiam beneficii, cui aliud uniri peteretur, alio-
quin uuio non valcret, et seinper in uuionibus cominissio lieret ad partes
vocatis, quorum interesset, capitulum prefatos ac eorum singulos a puibusvis
cxcommunicationis, suspensionis et iuterdieti aliisque ccclesiasticis sententiis,
ceusuris, penis a iure vel ab homine quavis occasiouc vel causa latis, si
quibus quomodolibet, innodati existunt, ad effcctum presentium duntaxat con-
sequendum harum serie absolventes et absolutos fore censentes neenon dicte
mense fructuum, reddituum et proventuuin, verum uunuum valorem presen-
tibus pro expresso habentes huiusmodi supplicatiouibus inclinati octo cano-
nicatus et totidem prebendas dicte ecclesie, quorum singulorum fructus,
redditus et, proventus viginti quatuor ducatorum auri similium secundum
extimationem predictam, nt ipsi capitulum asscrunt, non cxccdunt, quos
primo per cessum vel decessum seu quamvis aliain diiuissionem vel amissi-
onem aut presentationem seu amotionem illos ad presens obtinentium seu
alias quovismodo etiam in omnibus et quibusvis mensibus tarn apostolicis
quam ordiuariis nuncupatis ac ubicunque extra lloraanam curiam simul vel
successive vacare contigerit, etiam si illi vel eorum aliqui ad presens quo¬
vismodo quem etiam si ex illo quevis generalis reservatio etiam in corpore
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Die Verfassung <les Marienstiftes zu Aachen his zur frauz. Zeit. 137
iuris clausa preterquain ex causa vacatiorlis apud sedem apostolicam resultet
presentibus habcri — volumus pro expresso et ex quorumcunquc personis
vacent ac dipositioni apostoliec specialiter vel generaliter reservati seu ex
qnacunque generali reservationc affeeti existant aut alias ad dispositionein
diele sedis propter illorum devolutionem vel alias quoquomodo pertineant
vel imposternm pertinuerint et super eis inter aliquos lis cuius statum pre¬
sentibus haberi — volumus pro expresso peudeat indeci«a ex nunc prout ex
tune et econtra auctoritate predicta tenore presentium perpetuo suprimi-
inus et extinguimus illoruinque fructus, redditus, proventus, iura, obventiones,
einolumenta ac etiam distributiones quotidianas, in quibuscunque rebus con-
sistant, eidein mense, ita quod liceat prefatis capitulo fructus, redditus, pro¬
ventus, iura, obventiones, einolumenta ac distributiones liuiusmodi per se vel
alium seu alios eorum nomine propria auctoritate libero perciperc, exigere
et levare ac dednetis prius et ante omuia ex illis tot quot pro viginti ad
minus manualiuin bcneficiatorum seu capellanorum vel vicariorum ab ordi-
uario approbandorum, qui una cum octo beneficiatis seu capellanis prefatis
in dicta ecclesia missaruni et aliorum diviuorum ofliciorum etiam ad rnaius
illius altarc eelebrationi et decantationi ac eiusdem ecclesie obsequiis con-
tinue intendant et apud eaiu personaliter resideant neenon verbi Dei predi-
catoris etiam ab ordinario approbandi et preceptorum ac gymnastarum pre-
dictorum congruara sustentationem et manutentionem neenon ecclesiarum
de dicta mensa existentium reparationera, illius bonorum oppignatorum recu-
perationem, et eris alieni solutionem aliaque premissa iudicio ipsius ordinarii
sufticiant, etiam perpetuo npplieamus et appropriamus, decernentes quas-
cunque collationes, provisioncs, acceptationes vel alias dispositioues de dictis
octo canonicatibus et prehendis primo vacaturis ac eorum quibuslibet etiam
per sedem eandem vel illius legatos, etiam de latere, seu nuncios vel quoscun-
que alios quavis auctoritate, etiam in vim precnin imperialiuin vel regalium
seu noininationum, studiorum generalium Ooloniensis et Parisicnsis civitatum
ac oppidi Lovaniensis Mecliniensis diocesis pro tempore factas nullas et in-
validas foro et esse ac pro infectis et non confectis prorsus haberi et nomini
ullatenus suflfragari debere presentibus quoque littcris per quascunque littcras
apostolicas etiam quascunque clausulas generales vel speciales, etiam dero-
gatoriarum, derogatorias, ctlicaciores et insolitas ac irritautia decreta sub qui¬
buscunque verborum expressionibus in se continentes nullatenus derogari
posse nec derogatum censeri, nisi earundern presentium tenor de verbo ad
verbum nihil penitus omisso insertus ac urgens et sutticiens causa expressa
et per trinas distinctas litteras earundern tenorem continentes tribus distinc-
tis vicibus predictis capitulo legitime intimata et insinuata ac derogationcs ipse
motu proprio et ex certa scientia facto fuerint appareatque Iiomanum potificcm
illis expresse derogare voluisse etaliter pro tempore factas derogationcs nemini
suffragari ipsasque presentes littcras de surreptionis vel obreptiouis vilio aut
intentionis nostre vel alio quopiam defectu notari, impugnari vel invalidari nulla¬
tenus posse uec sub quibusvis revocatiouibus, suspensiouibus, limitationibus,
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1 HS
Heinrich Lichius
inodificationibus aut aliis coutrariis dispositionibus et unionum, annexiomim et
suppressionum ac extinctionum effectum non sortitarum, que posthac per nos
vel sueeessorcs imstros Romanos pontifices tarn in crastinnm assumptiouis
euiuslihet eorum ad sumini apostolatua apicem quam alias quomodolibet ac
cum qnibusvis derogatoriarum derogatoriis aliisque etficacioribus et insolitis
clausulis irritatibusque et aliis decrotis pro tempore factis tanquam effectum
non sortitis, ctiam si de eisdem presentibus ac earum toto tenore ac dato
specialis, spccifica et expressa mentio fiat, minime includi, sed illis ac qui-
busvis aliis coutrariis non obstantibus in suis robore et cfficacia persistere
ac, quoties ille emanabunt, toties in pristinum statnm restitutas, repositas
et pleuarie reintegratas ac de novo concessas esse neenon suppressionem et
extinctionem huiusmodi, donec ille plenarium sortite sint, effectum durare,
irritum quoque et inane, si secus super bis a quoquam quavis auctoritatc
scienter vel ignoranter contigerit attentari.
Qnocirca venerabili fratri nostro episcopo Amerinensi et dilectis filiis
t'oloniensi ac Leodiensi oflicialibus per apostolica scripta mandamus, qua-
tenus ipsi vel duo aut unus eorum per se vel aliurn scu alios presentes
litteras et in eis con enta quecunque, ubi et quando opus fucrit ac. quoties
pro parte eorundem capituli fuerint requisiti, solcmnitcr publicautes illisqne
in premissis efticacie defensionis presidio assistentes fnciant, auctoritatc
nostra dictos capitulum premissis omuibus et singulis iuxta presentinm con-
tinentiam et teuorem pacifice frui et gandere, non permittentes eos desuper
a quoquam quomodolibet indebitc molestari. Contrudictores quoslibet ac re¬
belles et premissis non parentes per sententias, censuras et penas ccclesias-
ticas aliaque opportuua iuris et facti reinedia appellationc postposita com-
pescendo, ueenon legitimis super bis habendis servatis processibus illas 1 sen¬
tentias, censuras et penas ipsas incurrisse declarando ac eas ctiam iteratis
vicibus aggravando, invocato etiain ad hoc, si opus fuerit, auxilio brachii
secularis, non obstantibus priori voluntate nostra predicta ac felicis recor-
dationis Ronifatii pape VIII., predecessoris nostri, qua cavetur expresse, ne
quis extra suam civitntem vel diocesim nisi in certis cxceptis casibus et in
illis ultra unani dietam ad iudicium evocetur, seu ne iudices prefati extra
civitatein vel diocesem, in quibus deputati fuerint, contra quoseunque pro-
ccdere aut alii vel aliis vices suas committere quoquoinodo presumant, et de
duabus dietis in concilio generali edita, dummodo ultra tres dietas aliquis
auetoritate presentinm ad iudicium non trahatur, ac Lateranensis coneilii
novissime celebrati uniones perpetua-, nisi in casibus a iure periuissis fieri
prohibentis et quibusvis aliis coustitutionibus et ordinationibus apostolicis ac
dicte ecclesie iurainento, coufirmatione apostolica vel quavis firinitatc alia
roboratis, statutis et consuetudinibus, privilegiis quoque indultis et litteris
apostidicis ecclesie et capitulo prefatis ac ([uibusvis aliis personis et univer-
sitatibus, etiam studiorum generalium illorumque doctoribus, magistris et
*) Urschrift illos.
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aliis graduntis ac collegiis sub quibuscunque teuoribus ct formis ae cum
quibusvis etiam derogatoriaruin derogatoriis aliisque efticacioribns et insolitis
clausulis, neenon irritationibus et aliis decretis in genere vel in specie, etiam
ad imperatoris, regum, reginarum, ducum vel aliorum principum instantiam
vei contemplationem etiam motu et scientia similibus et consistorialiter ac
alias quomodolibet in contrarium concessis, approbatis et innovatis, quibus
omuibus, etiain si de illis eoruinque totis tenoribus specialis, specifica, ex-
pressa et iiidividua, non autem per clausulas generales ct idem importantes
iucntio seu quevis alia expressio habenda aut aliqua alia exquisita forma
ad hoc servanda forct, illis alias in suo robore permansuris, hac vice dun-
taxat specialiter et expresse derogamus, coutrariis quibuscunque, aut si
aliqui apostolica predicta vel alia quavis auctoritate in dicta ecclesia in
cauouicos sint recepti, vel, ut recipiantur, insistant, seu si aliqui super
provisionibus sibi facicndis de canonicatibus et prebendis ipsius eeclesie spe-
ciales vel aliis bencticiis ecclesiasticis in illis partibus generales dicte sedis
vel legatorum eius litteras impetrarint, etiam si per eas ad iuhibitionem,
reservationem et decretum vel alias quomodolibet sit proccssum, quasquidem
litteras et processus habitos per easdem et inde scquuta quecunque ad
suppressos cauonicatus et prebendas huiusmodi volunius non extendi, sed
nullum per hoc eis quoad assequutionem canonicatuum ct prebendarum seu
beneficiorum aliorum preiudicium generari et quibuslibet aliis privilogiis, in-
dulgentiis et litteris upostolicis generalibus vel specialibus, quorumeunque
tcnoruin existant, per que presentibus non expressa vel totaliter uou iuserta
effectus earum impediri valcat quomodolibet vel differri, et de quibus quo-
rumque totis tenoribus de verbo ad verbum habenda sit in eisdorn litteris
inentio specialis Nulli ergo omnino hominum liceat hanc pagiuam uostre ab-
solutionis, suppressionis, extinctionis, applicatiouis, appropriationis, decreti,
inandati, derogationis et voluntatis infringere vel ei ausu temerario contraire.
Si quis autem hoc attemptare presumpserit, indignationem omnipotentis Dei
ac beatorum Petri et Pauli, apostolorum eius, se noverit incursurum.
Datum Rome apud sanctum Petrum anno incarnationis dominice mil-
lesirno quingentesimo septuagesimo sexto, Kl. Februarii, poutifieatus nostri
anno quiuto.
Staats-Archiv Düsseldorf: Aachen Marienstift (Jrk. Nr. 400. Ausferti¬
gung in Pergament. Bleibulle an rotgelber Schnur. Auf dem Umbug rechts:
A. de Alexiis. I.inks unter dem Text: Ut. Cardinalis de Medicis m(anu)
p(ropria). Uorsalvermerk: R u apud Cesarem secretarium.
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140
Heinrich Lichius
N.
Anlage III (zu 8. 97).
Specificatio juriuui et expensaruin pro capicnda rcali pos-
sessione canonicatus seu pracbcndac regalis ecelesiae H. M. V.
A q u e u s i s.
1 ) Pro cupitulo centum Horeni aurei, qui coinpulato quolibet
ad undcciiu solidos cum dimidio in specie faciunt patacones
in spceie 143
2 ) pro permissione, ut Horeni aurei, qui alias in natura solvi
debcnt, in moncta forti seu in specic solvantur, sacristae
patacones quattuor 4
3) unus Horenus aureus pro ofl'ertorio 1
4) pro albo pane, in cujus mauducatione signutn sanitatis os-
tendi dcbct
5) dicto pani imponuntur pro secretario
6 ) jura secretarii ordinaria tres tior. aurei 4
7) duobus virgiferis domiiioruiu decani et cantoris uti et bu-
sifero cuilibct unus Hör. aur. 4
8 ) capellano vel procuratori domini provisi, qui ejus nomine
possessionem capit vel ipsiinet capienti assistit 2
9) pro duobus testibus cuilibet 4 solidi 1
10 ) pro portatura sccdulae capitularis duobus nuntiis
11 ) iisdein nuntiis adliuc quattuor solidi
12) pro S'-ulptione et prima impressione ariuornm in calendario 4
13) item pro descriptione bullarum 1
14) pro earundem publicatione, aftixione et exccuto unus Her.
aureus I
15) pro testibus in publicatione cuilibet 4 solidi 1
13) campanatori pro insu congratulatorio campanarum, id est
tintinnabuli
6 seid.
3>/ a
8
2 7 ,
2 7 ,
8
4
3'
j
4
170 «'/*
In possessione ex collationc rev. capituli sive turnarii ultra praescripta
jura ordinaria 168 pataconum adliuc solventer pro prandio 40 flor. aurei
sive pat. 57 4 solidi. — Jura betlfac in admissione ad primam residentiam
sunt derem daleri Aquei ses. Jura alisolulionis a residentia prima sunt
sexdecim Horeni aurei. iSi NH ex gr.it ia rev. capituli concedatur redemptio
residentiae strietae, solvuntur centum Horeni aurei.
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Zur Lage und
Geschichte des Grabes Karls des Grossen.
(Mit sechs Figuren.)
Von Eduard Teichniann.
Kein mittelalterliches Schriftstück gibt, wenn es für sich
allein genommen wird, die Grabstätte des großen Frankenkönigs
so deutlich an, daß unser Wissen von derselben über eine bloße
Vermutung hinausginge. Wenn wir aber die etwas bestimmteren
Bezeichnungen des Ortes, an welchem Kaiser Otto III. beerdigt
wurde, als Hülfsmittel heranziehen wollen, so erleben wir eine
seltsame Enttäuschung: es däucht uns, als ob ein geheimnisvolles
Etwas uns überall im Wege stünde und unserer Bemühungen
spottete. Bei dieser entmutigenden Sachlage muß die Forschung
neue Bahnen einschlagen. Zur Zeit, da die Franzosen das linke
Rheinufer besetzt hielten, und zweimal im Laufe des 19. Jahr¬
hunderts haben im Innern des Münsters Untersuchungen des
Bodens stattgefunden; ihnen allen aber ist ein Erfolg nicht be-
schieden gewesen. Ja, selbst die letzten großen Ausgrabungen
haben dem Anschein nach das Rätsel nicht gelöst; denn bis zum
heutigen Tage hat niemand die denkwürdige Stelle nachgewiesen.
Somit bleibt nur noch ein Mittel zum Gelingen übrig, der Versuch
nämlich, die Lehren der jüngsten Ausgrabungen zusammen mit
allen geschichtlichen Angaben über die Ruhestätte sowohl Kai ls
des Großen als auch Ottos III. zu verbinden.
In Ausführung dieses Planes werden wir uns zunächst mit
den letzten Ausgrabungen in der Aachener Liebfrauenkirche
vertraut machen. Damit nun aber mir als Nichtfachmann bei
der Darstellung der technischen Dinge mit ihren vielen Einzel¬
heiten kein Irrtum unterläuft, soll sie mit den eigensten Worten
des Berichtes geschehen, den der örtliche Leiter, Herr Regierungs¬
baumeister Erich Schmidt, mit größter Liebenswürdigkeit mir
zur Verfügung gestellt hat.
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142
Eduard Teichmann
A. Die Ergebnisse der Ausgrabungen.
1. Der Verlauf derselben.
„Mit Rücksicht auf die ungemein hohe archäologische Be¬
deutung dieser Ausgrabungen hatte der rheinische Provinzial¬
landtag auf den Antrag des Konservators der Rheinprovinz,
Herrn Geheimrat Professor Dr. Clemen, im Frühjahr 1910
zunächst den Betrag von 12000 Mark bewilligt. Die unerwartete
Ausdehnung der Untersuchung erforderte später neue Mittel.
Der Provinziallandtag hat daher im Jahre 1911 noch einmal
eine Beihülfe von 3400 Mark gewährt. Den Betrag von 600
Mark hat die Stadt zur Verfügung gestellt, und der Karlsverein
zur Restauration des Münsters hat in Würdigung der Vorteile,
die besonders die bei Gelegenheit der Ausgrabungen ausgeführten
Arbeiten im Oktogon für die Verlegung des künftigen Fußbodens
brachten, einen Beitrag von 4000 Mark dem Ausgrabungsfonds
überwiesen. Später sind zur Weiterführung der Arbeiten von
Herrn Geheimrat Professor Dr. Clemen aus den zu seiner Ver¬
fügung stehenden Geldmitteln für die Erforschung der deutschen
Kaiserpfalzen 1000 Mark, von seiten des Kultusministeriums
2000 Mark, von der Stadt Aachen weitere 2000 Mark, vom
Provinziallandtag der Rheinprovinz weitere 5000 Mark und
endlich von S. M. dem Kaiser aus dem Dispositionsfonds 8000 Mark
zur Verfügung gestellt worden, so daß sich die Gesamtsumme
der Geldmittel auf 38000 Mark belief.
Die Ausgrabungen erfolgten unter der wissenschaftlichen
Oberleitung des Provinzial-Konservators und in stetem Ein¬
vernehmen mit ihm. Mit der Durchführung der Ausgrabungen
in Aachen wurden vom Karlsverein der Regierungs- und Geheime
Baurat Kosbab als oberster Leiter betraut und der Regierungs¬
baumeister Erich Schmidt als örtlicher Leiter im Verein mit
einem besonderen Ausschuß, der aus zehn Mitgliedern des Karls¬
vereins und dem Vertreter des Provinzial-Konservators bestand.
Frühere Ausgrabungen in französischer Zeit und in den
Jahren 1843 und 1861 haben nur einzelne Teile berührt und
sind infolge der beschränkten Mittel in unzulänglicher Weise
durchgeführt worden. 1 Auch diese bereits früher ausgegrabenen
*) Hinsichtlich der Protokolle dieser Ausgrabungen vgl. K. Fay-
monvillc, Der Dom zu Aachen und seine liturgische Ausstattung vom 9.
bis zum 20. Jahrhundert. München 1909, 8. 128 A. 2, S. 163 A. 3, S. 215
A. 1 und S. 32 A. 1 , ferner J. Buchkremer, ZdAGV 29, 8. 149 A. 2.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
143
Teile sind nochmals einer eingehenden Untersuchung unterzogen
worden. Am 20. Juni 1910 wurde mit der Ausgrabung im
Innern des Münsters begonnen.
2. Das Fundament der Kirche.
Als ein wichtiges Ergebnis der Ausgrabungen ist zunächst die
Feststellung der vom bautechnischen Standpunkte interessanten,
gleichsam erdbebensicheren Fundamentierung der ehemaligen
Pfalzkapelle anzusehen. 1 (Figur VI.) Die karolingischen Fun¬
damente des Bauwerks breiten sich etwa 20 cm unter dem
Fußboden der Kirche netzartig unter den Oktogonseiten und
von den Oktogonpfeilern nach den Vorsprüngen der Außenwände
hin aus. Es bilden sich infolgedessen im Umgänge abwechselnd
rechteckige und dreieckige Abteile, den Gewölbejochen ent¬
sprechend, deren Fundament-Mauerwerke den Gewölbedruck
und die Eigenlast des Bauwerks zweckmäßig auf den Unter¬
grund verteilten. Dieser in bautechnischer Hinsicht ausgezeich¬
neten Bauweise ist es hauptsächlich mit zu verdanken, daß sich
der karolingische Bau bis in die heutige Zeit unversehrt er¬
halten hat.
Der gewachsene oder natürliche, nicht aufgefüllte Boden
befindet sich am östlichen Ende der Kirche in einer Tiefe von
etwa 4,10 m und steigt nach Westen hin bis zu einer Tiefe
von 1,80 m unter dem jetzigen Fußboden der Vorhalle an. Er
besteht aus gutem Lehmboden, der in den tieferen Lagen mit
Tonschiefer untermischt ist. In den südwestlichen, südlichen und
südöstlichen Teilen des Umgangs sowie in dem Abteil des ein¬
stigen karolingischen Chörcheus wurde in einer Tiefe von 4,30
bis 5,10 m Wasser von verhältnismäßig warmer Temperatur,
etwa 20 bis 26 Grad Celsius, angetroffen. Die Münsterkirche
liegt bekanntlich im Gebiet der heißen Quellen. Im südlichen
Gewölbejoche des Umgangs wurde auch Fels aufgedeckt, der
im Aachener Gebiet das heiße Wasser führt. Wie der Aachener
Architekt Rhoen in seinem Werk „Die römischen Thermen zu
') Von dieser Tatsache scheint Alkuin Kenntnis gehabt zu haben; denn
er schließt seine Widmungsinschrift mit folgenden Versen: Sic Dens hoc
lut um stabili fundamine templum, Quod Kurolus princeps condidit , esse velit!
„So gebe Gott, daß dieser auf fester Grundmauer von Kaiser Karl erbaute
Tempel ungefährdet bleibe!“ — Vgl. M. Scheins, Die karolingische Wid¬
mungsinschrift im Aachener Münster: ZdAGV 23, S. 403—408.
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144
Eduard Teichmann
Aachen“ 1 berichtet, hat sich an der Stelle der an der süd¬
westlichen Ecke des Münsters gelegenen Ungarischen Kapelle
eine umfangreiche Thermalanlage befunden, die von der 30. rö¬
mischen Legion errichtet worden ist. Im Jahre 1756 wurden
bei Erbauung der jetzigen Barockkapelle noch die gut erhaltenen,
ziemlich bedeutenden Reste einer Badeanlage aufgedeckt. Rhoen
hat die zeichnerische Darstellung in seinen Schriften aus Meyers
Aachenscher Geschichte vom Jahre 1781 entnommen.
Die untere Kante der Fundamentmauern der Pfalzkapelle
wurde, der Höhenlage des gewachsenen Bodens entsprechend,
in einer zwischen 4,50 bis 5,80 m wechselnden Tiefe festgestellt.
Die Fundierung des Baues besteht aus vorzüglichem Grauwacken-
Mauerwerk mit starken Mörtelfugen in römischer Bauweise,
modo Romano, wie Einhard sie nennt. Der ausgezeichnete Mörtel
ist im ganzen Bau aus gut gebranntem und gelöschtem Kalk
mit scharfem Flußsand, kleinen Quarzstücken und Ziegelbrocken
oder Ziegelmehl, je nach der mehr oder minder feinen Mischung,
für die besonderen Bauzwecke zusammengesetzt. Weniger sorg¬
fältig ist das Mauerwerk im östlichen Abteil des Umgangs
ausgeführt; aus unbekannten Gründen scheint der Aufbau an
dieser Stelle übermäßig beschleunigt worden zu sein.
Vom bautechnischen Standpunkt besonders interessant war
das Ergebnis einer Nachgrabung nach der nördlichen Oktogon¬
seite hin. Unter dem Bankettmauerwerk wurden 40—50 cm
voneinander entfernt stehende, etwa 15 cm starke, gut er¬
haltene Eichenholzpfähle nebeneinander eingeschlagen gefunden.
Sie dienten sicherlich zur Dichtung des in diesem Bereich
feuchten, allzu weichen Untergrundes. Auf diese Ursache ist
wahrscheinlich auch die Verbreiterung der nördlich gelegenen
Oktogonseiten in den Banketten nach dem Umgang hin zurück¬
zuführen. Im südlichen Teil der Kirche hingegen war, wie bereits
dargelegt worden ist, Felsen unter den Fundamenten angetroften
worden. Die Pfahlgründung bezeugt wieder, mit welcher Sorgfalt
der karolingische Bau bis in alle Einzelheiten durchdacht und
ausgeführt worden ist.
Bis zu etwa 1 m unter dem Fußboden der Kirche steigt
das Grauwacken-Mauerwerk von unten auf. Alsdann beginnt in
den Oktogonseiten sorgsam zusammengefügtes Werkstein-Maucr-
') Aachen 1890, S. 29.
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Zur Lage mul Geschichte des Grabes Karls des Großen.
145
werk. Wenn auch Karl der Große einer schriftlichen Überliefe¬
rung zufolge die Steine der von ihm geschleiften Festung Verdun
zum Bau seiner Pfalzkapelle benutzt hat, so erscheint es doch
zweifelhaft, daß alle Werksteine aus so weiter Entfernung her¬
beigeholt worden sind, umsomehr als der häufig benutzte Blau¬
stein für die Aachener Gegend charakteristisch ist. Vielmehr
ist die Annahme berechtigt, daß in Aachen oder in seiner nä¬
heren Umgebung noch bis zur Erbauung der Pfalzkapelle um¬
fangreiche römische Bauten bestanden haben, deren Material
Karl der Große für seine Bauzwecke benutzte. Auch die für
die Fundierung der Pfalzkapelle verwandten Grauwacken sind
teilweise römischen Bauten entnommen, die im Bereich des
Münsters lagen und damals abgebrochen worden sind. Vielfach
haftet noch römischer Mörtel an diesen Grauwacken.
Wichtig für die Baugeschichte des Münsters ist die Fest¬
stellung der genauen Größenmaße des einstigen, doppelgeschos¬
sigen karolingischen Chörchens, das dem jetzigen, in der Zeit
von 1353—1414 erbauten, großen gotischen Chor weichen mußte.
(Figur I.) Die Fundamente des rechteckigen Chörchens fanden
sich noch in ihrer ganzen Ausdehnung unter dem jetzigen Belag
im Chore vor, so daß die Größenverhältnisse der karolingischen
Apsis genau festgestellt werden konnten. Das äußere Breiten¬
maß betrug 8,15 m, das Tiefenmaß 4,70 m. Irgend welche
Fundamente eines etwa früher in dem Chörchen vor¬
handenen Altars wurden nicht gefunden. In der bisher
noch unberührten Erdeinfüllung in dem kleinen Abteil der
Apsis konnte festgestellt werden, daß an dieser Stelle kein
Altar gestanden haben kann. Dies bestätigte sicli denn auch
im späteren Verlauf der Ausgrabungen.
3. Der Standort des karolingischen Marienaltars.
(Figur II und III.)
Bei der Untersuchung des östlichen Abteiles im Umgänge
vor der jetzigen Kommunionbank trat zunächst unter dem Blau¬
steinbelag das Fundament der einstigen Barockkommunionbank
in geschwungener Linie hervor. Unter diesem Mauerwerk wurde
dann ein 1,38 m langer und 1,10 m breiter, rechteckiger, in
der Hauptachse der Kirche liegender Mauerblock freigelegt,
der, seiner bautechnischen Zusammensetzung nach, aus karo¬
lingischer Zeit, stammte. Seine Lage inmitten des Gewölbejochos
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146
Eduard Teichmann
führte zu der Annahme, daß hier sich einst der karolingische
Marienaltar befunden habe. (Figur I bei a.) Dafür spricht auch
der Umstand, daß an dem Gewölbe über diesem Joche noch
eine Anzahl eiserner Ringe aus karolingischer Zeit vorhanden
ist, die, vermutlich zum Aufhängen von Lampen bestimmt, diesen
Teil der Kirche ganz besonders betonten. Die geringe räum¬
liche Ausdehnung der Apsis beschränkte ja auch bei feierlichem
Gottesdienst die Bewegungsfreiheit und nahm vermutlich nur
den Bischofsstuhl nach altchristlichem Brauche auf.
4. Die Lage des ersten Grabes Ottos III. (Figur III.)
Die Frage, an welcher Stelle im karolingischen Teil des
Münsters sich einst das Grab Ottos III. befunden habe, ist
durch die jüngsten Ausgrabungen mit großer Wahischeinlichkeit
beantwortet worden. Man vermutete es bisher im östlichen Teile
des Oktogons. In diesem Bereich jedoch wurde eine Bestattung
nicht festgestellt, wohl aber in dem östlichen Teil des Umgangs.
Es wurde hier festgestellt, daß östlich von dem Fundament
des ehemaligen Marienaltars in diesem Gewölbejoch einst eine
einfache Erdbestattung stattgefunden haben muß. In die Erd¬
einfüllung, die in dem Joche noch überall in tieferer Lage seit
karolingischer und römischer Zeit sich unberührt vorfand, war
eine Grabanlage eingeschnitten worden, die etwa 1 m breit,
2,80 m tief und 2,70 m lang war und von dem Fundament
des Marienaltars bis zu dem zwischen Umgang und karolin¬
gischem Chörchen liegenden Fundamentmauerwerk reichte.
Im Verlauf der Ausgrabungen im Innern des Münsters
konnte die karolingische Erdeinfiillung überall da als unberührt
festgestellt werden, wo sich in etwa 1 m Tiefe unter dem Fu߬
boden der Kirche eine Bauschuttschicht vorfand, die sich in
karolingischer Zeit beim Aufbau der Pfalzkapelle durch die Be¬
arbeitung der Werksteine für den Bau aus dem Steinabfall ge¬
bildet hatte. Diese Bauschicht fand sich auch in dem östlichen
Abteil des Umgangs noch in etwa 1 m Tiefe vor und war nur
an der festgestellten Grabstätte durchbrochen. Außerdem zeigte
die karolingische Erdeinfüllung, wo sie noch unberührt war,
eine gewisse Schichtung der verschiedenartigen Frdlagen über¬
einander, wie sie in karolingischer Zeit eingefüllt worden sind.
Eine solche Schichtung fand sich östlich von dem Fundament
dos karolingischen Marienaltars im östlichen Abteil des Umgangs
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
117
in etwa 1 m Breite und bis zu einer Tiefe von etwa 2,80 m
nicht mehr vor. Breiten- wie Tiefenmaß der Grabstätte ergab
sich hieraus.
Wichtig für die ehemalige Bestimmung dieser Grabstätte
war der Umstand, daß in dem nach Herausnahme des Sarkophags
wMeder eingefüllten Erdreich sich Ziegelbrocken aus gotischer
Zeit befanden. Demnach kann diese Stelle östlich von dem ehe¬
maligen Marienaltar als die erste Grabstätte Ottos III. ange¬
sehen werden.
5. Die bisherigen Vermutungen
hinsichtlich der einstigen Grabstätte Karls des Großen.
Als eine der Hauptfragen, die durch die jüngsten Ausgra¬
bungen zu erklären waren, ist die Frage nach der ehemaligen
Grabstätte Karls des Großen anzusehen. Von den vielen Ver¬
mutungen, die hinsichtlich dieses Punktes geäußert worden sind,
kommen die folgenden hauptsächlich in Betracht.
1) Von den Aachener Geschichtsschreibern ä Beeck (1620) 1
und Noppius (1682) 2 wurde die Grabstätte in der Mitte des
Oktogons angenommen; diese Ansicht allein herrschte in der
französischen Zeit und hatte noch vor einigen Jahren An¬
hänger. (Figur I bei e.)
2) Der Regierungs- und Baurat Max Hasak 3 in Berlin
verlegte die Grabstätte in das karolingische Chörchen, genauer
gesagt, als unterirdisches Grab hinter den dort von ihm an¬
genommenen Marienaltar. (Figur I bei c.)
3) Nach Professor Buchkremers Ansicht 4 war die Grab¬
stätte als oberirdisches Wandnischengrab ausgebildet. Er
verlegte es in einein umfangreichen, hochinteressanten Aufsatz
an die südöstliche Außenwand des unteren Umgangs. (Figur
I bei d.)
4) Eine im Vatikan aufbewahrte Zeichnung aus dem Kodex
Nr. 263 ist die einzige bildliche Darstellung vom Grabe Karls
des Großen. Auf dieser Zeichnung ist die Grabstätte außerhalb
der Pfalzkapelle, etwa an der Stelle der einstigen Agidiuskapelle,
') Aquisgranuin, S. 74. — *) Aacher Chronick, S. 11.
s ) Das Grabmal und die Bcstattuugsart Karls des Großen: Zentralblatt
der Bauverwaltung, 28. Jahrgang (1908), 8.522—524.
*) Das Grab Karls des Großen: ZdAGV 29, S. 68—210.
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1U*
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Eduard Tcicbmann
anzunelmien, die nördlich von der heutigen Kreuzkapelle und
östlich von der heutigen Armseelenkapelle sich befand. 1 (Figur
I bei f.)
Selbstverständlich wurde den eben angeführten Stellen bei
den Ausgrabungen die größte Aufmerksamkeit zugewandt, um
die für die Geschichte Aachens besonders wichtige Frage einer
Lösung zuzuführen.
Die Ansicht, derzufolge sich einst eine unterirdische Grab¬
stätte in der Mitte des Oktogons befunden hätte, wird nach
den Ergebnissen der Ausgrabungen für diese Stelle endgültig
aufgegeben werden müssen. Das ganze Oktogon ist von zahl¬
reichen Kesten römischer Bauanlagen durchsetzt. Die der Mitte
des Oktogons zunächst gelegenen Teile der römischen Mauer¬
züge beginnen bereits mit ihrer Oberkante etwa 1,10 in und
1,30 m unter der jetzigen Fußbodenhöhe des Oktogons, die
noch die gleiche wie in karolingischer Zeit ist. Fast bis in
die Mitte des Oktogons erstreckt sich ein römischer Fußboden-
Estrich mit einem unter ihm durchgehenden Heizkanal aus
römischer Zeit. Der Umstand, daß dieser Fußboden nur 1,32 m
unter der jetzigen Fußbodenhöhe lag, führt zu dom Schluß,
daß eine unterirdische Bestattung an dieser Stelle bei der ge¬
ringen zur Verfügung stehenden Tiefe nicht stattgefunden haben
kann. Dies wird noch dadurch erhärtet, daß die Schichtung
der karolingischen Erdeinfüllung über dem römischen Fußboden-
Estrich sich in nordöstlicher Richtung bis über die Mitte des
Oktogons hinziehend festgestellt wurde. (Vgl. F"igur I bei e.)
Insbesondere fand sich auch hier in etwa 1 in Tiefe unter der
Fußbodenoberfläche noch die karolingische Werksteiu-Abfall-
schicht wie an den übrigen nicht durchwühlten Stellen des
Innern der Pfalzkapelle. F^ine der im Verlaufe der Ausgrabungen
hergestellten photographischen Aufnahmen der Oktogonmitte
zeigt diese Werksteinschicht deutlich. Krühere Grabungen inner¬
halb des Oktogons haben merkwürdigerweise nur im nördlichen,
nordöstlichen und östlichen Teil des Oktogons stattgefunden.
(Vgl. F'igur I.) Nach dem Ergebnis der Ausgrabungen ließe
') Vgl. J. Ruchkremer a. a. 0. S. 88—89. — Eino gute Einführung
in die Streitfrage und eine Zusammenstellung der Orte, die nacheinander als
die Grabstätte Karls des Großen ausgegeben worden sind, findet inan bei
li. Savelsbcrg, Über die mannigfachen Bestrebungen zur Auffindung des
Grabes Karls des Großen: Echo der Gegenwart, 1903 Nr. 73, 7t», 83, 8t> und 89.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
149
sich eine einstige, unterirdische Grabstätte nur noch in der
östlichen Hälfte des Oktogons annehnien, da das Erdreich, wie
Figur I zeigt, in diesem Teile bis zu einer Tiefe von etwa
2,15 m umgeworfen angetrotfen wurde. Hier wurde bei den
Grabungen im Jahre 1801 ein Kindersarg aus Jura-Oolith in
der Mittelachse der Kirche in geringer Tiefe unter dem Fu߬
boden gefunden.
Auch die Meinung des Regierungs- und Baurats Hasak ist
unwahrscheinlich. Es ist festgestellt worden, daß die karolin¬
gische Erdeinlüllung in dem kleinen Abteil des Chörchens noch
unberührt in der eingebrachten Lage angetroffen wurde. Eine
unterirdische Grabstätte ist hier demnach ausgeschlossen.
Nun zu der Ansicht des Professors Buchkremer. Bei der
Ausgrabung des südöstlichen rechteckigen Gewölbejoches wurde
die Gelegenheit wahrgenommen, die Stelle an der Außenwand
näher zu untersuchen, wohin Professor Buchkremer das Grab
Karls des Großen verlegt. Jene blaue, von ihm festgestellte,
durch einen Halbkreis begrenzte Bemalung mit goldenen Sternchen
auf einem älteren Verputz war noch an der südöstlichen Außen¬
wand vorhanden. Daä rechte Drittel des Halbkreises fehlte, da
hier unter dem karolingischen Fenster in der Barockzeit eine
Nische zur Unterbringung eines Beichtstuhls ausgebrochen
worden war. Auf der längst wieder vermauerten Nische wurde
der Halbkreis ergänzt und dessen Durchmesser durch technisch
peinlich genaue Messung auf 2,100 m festgestellt, während
Professor Buchkremer 2,150 m angibt. Aber selbst wenn wir
annehmen, daß das letztere Breitenmaß richtig wäre, so hätte
der Proserpinaschrein mit den Überresten Karls des Großen
doch nicht in die von Professor Buchkremer hier angenommene
Wandnische hineingepaßt. Nach seiner Rekonstruktion ist die
Grabnische vor die karolingische Außenwand massiv vorge¬
mauert und mit einer lichten Weite von 2,150 m angenommen.
In Wirklichkeit beträgt aber das auf das genaueste festgestellte
Längenmaß des Proserpi nasch reines 2,195 m, also 4,5 cm mehr
als jenes Breitenmaß. Außerdem ist wohl zu beachten, daß der
Sarkophag an den Schmalseiten Flachreliefs zeigt, also nicht
dazu bestimmt war, allzu eng in eine Nische eingezwängt zu
werden, 1 und daß demnach die Mindestbreite des Gefaches, in wel-
*) Vgl. ZdAGV 29, S. 75 ff.
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150
Eiluiird Teichmann
chem der Proserpinaschrein einst liier stand, auf etwa 2,250 in an¬
genommen werden muß. Trotz dieser Maßunstimmigkeiten, deren
einwandfreie Aufklärung schwierig sein dürfte, soll nicht die
Tatsache bestritten werden, daß der Proserpinasarg bis zum
Jahre 1788 mit jenem halbkreisartigen Abschluß im Zusammen¬
hang gestanden hat, 1 dessen äußere Begrenzung scharf in der
Ecke mündete, die von der nordöstlichen Außenwand des Sech¬
zehnecks und dem seitlich um 69 cm vorspringenden Pfeiler
gebildet wird.
Bei der weiteren Untersuchung der karolingischen Außen¬
wandflächekonnte festgestellt werden, daß unter spärlichen Resten
von Barockverputz noch auf der ganzen Wandfläche vom Fu߬
boden bis zum Kreuzgewölbe ein dünner, jedoch, der karolin¬
gischen, unregelmäßigen Wandfläche entsprechend, verschieden
starker Putz vorhanden war, der die Zusammensetzung des ottoni-
schen Putzes zeigte, wie sich durch Vergleich mit ottonischen Putz¬
resten von anderen Stellen des Münsterinnern erwies Zwei
Tünchen bedeckten den Putz: eine obere, blaugraue und eine
ältere, ursprüngliche, w r eißliclie Farbschicht. Auch diese kehrte
an der ganzen Wandfläche vom Fußboden bis zum Gewölbe
wieder. Ferner zeigte sich nach Entfernung des ottonischen
Verputzes unter diesem an der unregelmäßigen Außenwandfläche
und in den Fugen des karolingischen Mauerwerks eine starke
Schmutz- oder Staubschicht. Die Wand muß also an dieser
Stelle vor Aufbringung des ottonischen Verputzes lange Zeit
unbedeckt gewesen sein. Hiernach kann nur angenommen werden,
daß in oder nach der ottonischen Zeit hier ein massives Wand¬
nischengrab noch nicht bestanden haben kann. Technisch hätte
ein derartiges Grab auch wohl in Verbindung mit der Außen¬
wandfläche des Sechzehnecks durch Verband hergestellt werden
müssen, wie er nach Professor Buchkremer zwischen dem bogen¬
artigen Abschluß der Grabnisclie und dem seitlich sie begren¬
zenden karolingischen Werksteinpfeiler vorhanden gewesen sein
soll. In der Außenwand ist in karolingischer Zeit nie ein bau¬
licher Eingriff erfolgt; denn sie zeigte sich noch jetzt völlig
unverletzt.
Ob sich jemals ein etwa 69 cm tiefer, massiver Bogenab¬
schluß, wie Professor Buchkremer ihn als Grabnische annimmt,
') Vgl. den Reisebericht von Antonio de Beatis in ZdAGV 29, S. 113.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Grollen. 151
hier befunden hat, dürfte sehr zu bezweifeln sein und dies um¬
somehr, als bei der eingehenden bautechnischen Untersuchung
der karoliugischen Außenwandtläche sich dicht oberhalb des
halbkreisartigen Abschlusses der vermeintlichen Grabstätte an
verschiedenen Stellen in unregelmäßigen Abständen Holzdübel
sehr alten Ursprungs, nach der Holzbeschaffenheit zu urteilen,
mit Spuren von ehemals eingetriebenen Nägeln vorfanden.
Abgesehen von den vielfachen urkundlichen Nachrichten,
die gegen eine oberirdische Begräbnisstätte Karls des Großen
sprechen, muß man auf Grund dieser eingehenden bautechnischen
Untersuchung der Wandfläche eine Bestattung des Kaisers und
(las Bestehen eines oberirdischen, massiv vorgemauerten Wand¬
nischengrabes an dieser Stelle bis zur Erhebung der Gebeine
durch Kaiser Friedrich Barbarossa im Jahre 1165 für höchst unwahr¬
scheinlich halten. Nachdem aber dieser Kaiser sie in einem
Holzschrein hatte unterbringen lassen, wurde der Proserpina-
sarg zur Erinnerung an seine ehemalige Bestimmung nebst
einer Büste Karls des Großen bis zum Jahre 1788 in einem
hölzernen, mit Gittern verschlossenen Vorbau (domuncula lignea;
armarium) aufbewahrt und nur bei besonderen Gelegenheiten ge¬
zeigt. Dies geht namentlich aus der interessanten Reisebe-
schreibung des Antonio de Beatis hervor, der als Sekretär des
Kardinals da Aragona mit diesem zusammen im Jahre 1517 in
Aachen war.
Es sei noch kurz auf die letzte Ansicht über die Grab¬
stätte Karls des Großen hingewiesen. Nach der oben erwähnten
Handzeichnung im Vatikan ist die Grabstätte Karls außerhalb
des Münsters an der Nordostseite anzunehmen. Die Zeichnung
ist maßstäblich sehr verfehlt, wenn man die mächtige Grab¬
platte im Vordergründe mit der Darstellung der Kirche im
Hintergründe betrachtet. Das Grab Karls des Großen ist nach
dieser Zeichnung an der Stelle angenommen worden, wo sich
einst hinter der heute noch vorhandenen Armseelenkapelle die
aus römischer Zeit stammende Ägidiuskapelle befand. Manche
Archäologen neigten zu der Ansicht, daß Karl der Große
außerhalb seiner Pfalzkapelle seine letzte Ruhestätte gefunden
habe, weil er die Anordnung getroffen hatte, daß niemand mehr
im Innern einer Kirche bestattet werden solle. Man habe, so
meinen sie, auch bei seiner Beerdigung diesen Erlaß beachtet
und ihn deshalb nicht in, sondern neben der Kirche in einem
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152
Eduard Teichmann
Grabgewölbe bestattet. Allein irgend welche Anzeichen einer
besonderen Grnftanlage aus karolingischer Zeit wurden trotz
sorgfältiger Nachforschung auch hier nicht gefunden“. 1
Hier enden in der Hauptsache die hochinteressanten Mit¬
teilungen des Herrn Regierungsbaunieisters Erich Schmidt.
Im Jahre 814 war die Pfalzkapelle noch neu. Damals
lebte sicherlich noch mancher von den Aachenern, die entweder
als Zuschauer den lange währenden Bau mit Interesse verfolgt
hatten oder selbst an den Arbeiten beteiligt gewesen waren.
Was nun diejenigen, welche die Beerdigung Karls des Großen
zu besorgen hatten, über das Fundament der Rundkirche aus
eigener Beobachtung oder aus dem Munde der Bauleiter und
Arbeiter wußten, ist über tausend Jahre unbekannt geblieben,
uns aber soeben wieder vor Augen geführt worden. Ja, wir
haben das Glück gehabt, wieder die wahren Bodenverhältnisse
im Innern der alten Pfalzkapelle kennen zu lernen. Das ist
fürwahr ein großer Fortschritt!
Die letzten Ausgrabungen haben zweierlei gelehrt: 1) Im
östlichen Umgänge stand der karolingische Marienaltar. Diese
bisher unbekannte Tatsache muß uns den ersten festen Punkt
für weitere Forschungen liefern. 2) Hinter dem Altar oder,
anders ausgedrückt, in östlicher Richtung wurde im Umgänge
vor dem karolingischen Chörchen ein fast drei Meter tiefes
Grab in eingefülltem Erdreich festgestellt. Diese gleichfalls
neue Tatsache bildet den zweiten festen Punkt für unsere Arbeit.
Es hat nun aber der örtliche Leiter der Ausgrabungen in dem
soeben wiederholten Bericht die Meinung geäußert, daß das
2,80 m tiefe Grab mit größter Wahrscheinlichkeit als die erste
Ruhestätte des Kaisers Otto gelten müsse. (Figur III.) Seine
vorsichtig ausgesprochene Ansicht wird, wie wir sehen werden,
durch geschichtliche Zeugnisse als wahr erwiesen. In Wirk¬
lichkeit aber war es nicht bloß das anfängliche Grab Ottos,
sondern auch die erste Ruhestätte des großen Karl. Ja,
diese ehrwürdige Stelle des Münsters hat zuerst, im Jahre
814, den Leib Karls des Großen aufgenommen und, vielleicht
als ein in der Weltgeschichte einzig dastehender Vorgang, nicht
') Man vergleiche auch die Bemerkungen von J. Bu eh krem er iu
ZdAGV 29, S. 89.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Grollen.
153
ganz zweihundert Juli re später die irdischen Reste eines zweiten
deutschen Kaisers geborgen. 1
Bevor ich nun aber meine Darstellung beginne, muß ich
eine Bemerkung über das Beweismaierial und den Gang der
Beweisführung voraufschicken. Seit Jahrhunderten ist die Gruft
nur noch mit lockerer Erde gefüllt. Daher ist selbstverständlich
der beste Beweis, nämlich der durch den Augenschein, nicht
mehr möglich. Statt dessen stehen uns außer einem reichen In¬
dizienbeweis mehrere urkundliche Belege zur Verfügung: für
Ottos Grab, wenn wir von Adalbold absehen, drei Meldungen
des 11. und eine aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, für Karls
Grab eine aus der ersten Hälfte des U. Jahrhunderts. Allen
fünf Zeugnissen aber ist — das hat schon der erste Satz der
Einleitung angedeutet — ein großer Mangel eigen. Statt eine
klare und bestimmte Beschreibung der Stätte zu geben, be¬
gnügen sie sich mit einer Anspielung. Im einzelnen liegen
die Verhältnisse folgendermaßen. Jene vier nennen als Grab¬
stätte das Chor des karolingischen Münsters, einmal außerdem
die Stelle vor dem ehemaligen Marienaltar. Gar keine Orts¬
angabe enthält an und für sich der so wichtige jüngste Beleg.
Aber der ihm unmittelbar voraufgehende und mit ihm durch
ein inneres Band zusammenhängende Satz nimmt Bezug auf
die Vorderseite des gedachten Altares, und es läßt sich
durch eine Untersuchung gewisser charakteristischer Eigen¬
tümlichkeiten der älteren und jüngeren Chordienstordlmng mit
Sicherheit dartun, daß jener Hinweis auch für Karls Grab gilt.
So sehen wir, daß die fünf geschichtlichen Nachrichten erst
dann Beweiskraft erlangen und mit. Nutzen verwertet werden
können, wenn durch neue Hiilfsmittel der Sinn, den di# Aus¬
drücke „im Chor“ und „vor dem Marienaltar“ in den betreffen¬
den Urkunden haben, einwandfrei klargestellt worden ist. Da
nun dies, wie ich glaube, sowohl ungezwungen als auch vor¬
teilhaft, insofern als viele lästige Wiederholungen vermieden
werden, im Rahmen der Geschichte des Grabes geschehen kann,
so sollen im folgenden die Ortsfrage und der Werdegang des
Kaisergrabes in einem Zuge behandelt werden.
') Zu derselben Ansicht ist auf Grund selbständiger Forschungen Herr
Archivdirekter Dr. A. Huyskens gelaugt. Vgl. seine Schrift: Karl der
Große und seine Lieblingspfalz Aachen. Aaeheu 1914, S. 26.
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Eduard Teichmann
B. Die Beschichte des Eidgrabes.
1. Karl allein im Grabe (814—1002).
Die für unsere Begriffe ungewöhnliche Tiefe von 2,80 m
entspricht durchaus dem, was damals üblich war. So wurde
z. B. bei den letzten Ausgrabungen die Unterkante der Gruft¬
anlage für das Grab der h. Corona 3 in, für das Grab des
h. Leopardus 2,85 m tief angetroffen. Die Absicht, Karls Grab¬
denkmal als Prunkstück wirken zu lassen, lag wohl fern, und
die Rücksicht auf die dem Menschen gleichsam angeborene
Vorliebe für Symmetrie wurde dadurch genügend gewahrt, daß
man die Grube in die Längsachse des Gebäudes legte. Der
größte Wunsch war jedenfalls der, dem unvergleichlichen Toten
einen Ehrenplatz zu geben. Und auf den ersten oder einzigen
Ehrenplatz fiel die Wahl. (Figur I bei b.) Wie aus verschiedenen
Schriftstücken des Mittelalters mit aller wünschenswerten Be¬
stimmtheit hervorgeht, brachten die Aachener Münstergeistlichen
das Meßopfer nach unserer Auffassung und Ausdrucksweise
hinter dem karolingischen Marienaltar stehend dar, d. h. ihr
Gesicht war westwärts oder nach dem Oktogon hin gewandt
oder, noch anders gesagt, dem auf dem Krönungsstuhl sitzenden
Fürsten und den Gläubigen zugekehrt. 1 So ruhte der Gründer
und oberste Bauherr der Kirche von den Mühen seines taten¬
reichen Lebens nach der Anschauung des Mittelalters vor dem
Hauptaltar aus, vor jenem Altar, den er selbst gestiftet hatte
und dem gegenüber er so oft bei Tag und bei Nacht betend
niedergekniet war; vor dem Hauptaltar, „in dessen Nähe die
ewige Ruhe zu genießen immer als höchster christlicher Vorzug
galt“. 2 Dort konnte der Herrscher der von dem Hochaltar „aus¬
gehenden Segnungen teilhaftig werden“. 3 Dort lag er am stillsten
Orte des Gotteshauses; denn dieser Ort war „der großen Menge
verschlossen“ 4 und wurde nur von den Dienern der Kirche be¬
treten. Dort konnte Karl der Große auch gemäß den kirchlichen
') Zu dieser früher allgemeinen Sitte vgl. Ruchberger, Kirchliches
Handlexikon, unter Altar: „Der Zelebrant stand hinter dein Altar (auf dem
anfangs nicht einmal Leuchtor standen) mit dem Gesicht gegen das Volk,
wie noch jetzt an den päpstlichen Altären. Später wurde der Altar gegen
die Ostwand gerückt“
*) Th. Lindner, Die Fabel von der Bestattung Karls des Großen:
ZdAGV 14, S. 201. — 3 ) Ebenda S. 191. — 4 ) Ebenda S. 201.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
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Vorschriften so gebettet werden, daß sein Antlitz genau gegen
Osten gerichtet war. Das Erdgrab mißt, wie wir erfahren haben,
2,60 m in der Länge und 1 m in der Breite; es hatte also
genügend Raum für den Proserpinasarg, der 2,105 m lang und
0,66 in breit ist und ohne Deckel eine Höhe von 0,617 m hat.
Die ausführlichste, leider noch viel zu kurze Nachricht über
die Beerdigung Karls des Großen verdanken wir Einhard, der
folgendes erzählt: „Der Körper wurde in üblicher Weise ge¬
waschen und besorgt. Man war zuerst im Zweifel, wo Karl bei¬
gesetzt werden sollte, weil er bei seinen Lebzeiten darüber
nichts bestimmt hatte. Endlich stand es bei allen fest, daß er
nirgends ehrenvoller bestattet werden könne als in der Basilika,
die er selbst aus Liebe zu Gott und unserem Herrn Jesus
Christus und zu Ehren der heiligen und immerwährenden
Jungfrau, seiner Mutter, auf eigene Kosten in demselben Orte
erbaut hatte. In dieser wurde er begraben an demselben Tage,
an welchem er verschieden war, und über dem Grabmal ein
vergoldeter Bogen mit Bildnis und Inschrift errichtet. Diese
Inschrift war in folgender Weise verfaßt: Unter diesem Grabmal
liegt der Leib Karls, des großen und rechtgläubigen Kaisers,
der das Reich der Franken ansehnlich erweitert und 47 Jahre
lang glücklich beherrscht hat. Er starb als Siebzigjähriger im
Jahre des Herrn 814, in der 7. Indiktion, am 28. Januar.“ 1
Mit aller Deutlichkeit wird hier gesagt, welche Gründe
die Aachener Geistlichen bewogen haben, im vorliegenden Falle
eine Ausnahme von der Vorschrift zu machen,-die auf den Kon¬
zilen von Aachen (809) und Mainz (813) erlassen worden war,
von der Vorschrift nämlich, daß künftig niemand mehr im Innern
einer Kirche beigesetzt werden sollte. Nach den Angaben des
Herrn Regierungsbaumeisters Erich Schmidt kann die römische
Conchamauer, die in einer senkrechten Tiefe von 1,60 m unter
der Oberfläche des ehemaligen Fußbodenbelags im östlichen Um¬
gänge angetroffen wurde, den Werkzeugen der Totengräber
') Einhardi Vita Karoli Magni: MG. SS. 2, 459. Vgl. ZdAGV 14, S. 143;
29, S. 85. Da die meisten lateinischen Belegstellen, die ich im Laufe dieser
Arbeit benutzen werde, wiederholt in dieser Zeitschrift im Urtext veröffentlicht
worden sind, so werde ich es in der Regel hei der deutschen Übersetzung
und der Angabe des Fundortes bewenden lassen und nur ausnahmsweise,
aus besonderen Gründen, die lateinischen Sätze wiederholen.
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Kiluanl Teiuhnmnn
1 5t;
keinen großen Widerstand geleistet haben, weil nach dem Be-
funde der letzten Ausgrabungen die Steine der Mauer ziemlich
weich und dazu lose gefügt waren. Das Knireich ober- und
unterhalb dieser Mauer bestand aus lockerer Auffüllung. In der
zur Verfügung stehenden knappen Zeit von fünf Stunden, nämlich
von etwa 11 Uhr des Vormittags bis zum Sonnenuntergang oder
ungefähr 4 Uhr des Nachmittags, war die Anlage des 2,80 m
tiefen Grabes tunlich. Was aber die Errichtung des Denkmals
angeht, so ist die Annahme erlaubt, daß diese Sache erst nach
dem Eintreffen des Königs Ludwig — in der fünften Woche
nach jenem 28. Januar — und in Übereinstimmung mit seinen
Wünschen geregelt wurde. Über Einzelheiten des Bogens, na¬
mentlich über die Art und Weise, wie er aufgestellt wurde,
haben wir keine Nachricht. Ich wage nicht zu entscheiden, ob
er gleich unsern Grabdenkmälern ganz frei stand oder aber sich
an eine Wand lehnte. Sollte der damalige Brauch das letztere
unbedingt erheischen, so hätten die Erben des Königs durch
ein einfaches Mittel der Forderung gerecht werden können. Sie
brauchten nämlich nur am östlichen Ende des Grabes eine
wenig starke Rückwand, einerlei aus welchem Material, er¬
richten zu lassen. Nur auf einen Punkt sei hier noch hinge-
gewiesen. Da der vergoldete Bogen sich östlich vom Marien¬
altar und dem die Messe lesenden Priester oder, wie wir jetzt
sagen würden, hinter dem Altar und dem Geistlichen erhob,
so beschränkte er den Ausblick des Volkes auf beide in keiner
Weise, sondern bildete gewissermaßen den Hintergrund.
Aus anderen Werken, die der Beerdigung gedenken, er¬
fahren wir nichts Neues. So weiß Thegan, der Verfasser einer
Lebensbeschreibung Ludwigs des Frommen, nur zu melden:
„An demselben Tuge wurde der Leib in der Kirche beerdigt,
die Karl in seiner Pfalz zu Aachen erbaut hatte.“ 1 So begnügt
sich auch Ermoldus Nigellus mit zwei Versen, die sich etwa
folgendermaßen übersetzen lassen: „Sie bereiten ein würdiges
Leichenbegängnis; sie übergeben die Glieder dem Grabe in der
eigenen Basilika, die er für sich zu Aachen erbauen ließ“*
So schreibt die Chronik von Moissac (Diözese Lahors): „ln jenem
Jahre starb . . . Kaiser Karl . . . und man begrub ihn zu
') MG. SS. 2, 5!>2.
*) MG. Poctoe latini aevi Carolini 2, 26 V. 87 —88.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
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Aachen in der älteren Kirche, die er selbst hatte errichten
lassen.“ 1
Als sich die Normannen im Jahre 881 Aachen näherten,
flüchtete man die Heiligtümer nach Stablo; über das Schicksal
des Grabes aber verlautet nichts. Es ist daher die Vermutung
erlaubt, daß Karls Leiche an der alten Stelle blieb. Vielleicht
ließen es die Aachener darauf ankommen, ob sich das Geschick
ihnen geneigt oder ungünstig erweisen würde. Es war ein Gebot
der Klugheit, das Denkmal zu entfernen und seine Spur auf
dem Fußboden nach Möglichkeit zu verwischen. Seit jenen
Tagen ist der Grabbogen von dieser Stelle verschwunden. Aller¬
dings machten die Barbaren die Pfalzkapelle zum Pferdestall;
im übrigen scheinen sie aber dort keine großen Verwüstungen
angerichtet zu haben. 2 Immerhin hatte ihr räuberischer Einfall
zur Folge, daß mit dem Denkmal auch die Erinnerung an das
Grab allmählich aus dem Gedächtnis des Volkes wich.
Der Kaum, der sich westlich von der angenommenen Grab¬
stelle Karls des Großen und zugleich westlich von dem ursprüng¬
lichen Marienaltar befand, ist für unser Vaterland von der größten
Wichtigkeit gewesen; hier hat sich nämlich die Krönungsfeier
der deutschen Könige vollzogen. Sicher wissen wir es freilich
nur von Otto I. und von Rudolf von Habsburg; da aber nicht
überliefert worden ist, daß man den Brauch später abgeändert
habe, so dürfen wir ihn für alle deutschen Fürsten annehmen,
die bis zum Jahre 1414 in Aachen die Krone empfangen haben.
Die älteste und anschaulichste Schilderung einer solchen Feier
hat uns Widukind, ein Mönch des Klosters Korwey (966—980?),
in seinem vorzüglichen Werke „Res gestae Saxonicae“ in dem
Abschnitt über das Jahr 936 hinterlassen. 3 Obgleich uns hier
eigentlich nur die Bezeichnung der verschiedenen Schauplätze
interessiert, möge doch der äußerst anziehende Bericht in den
wesentlichen Teilen ungekürzt folgen.
„Mit der Albe angetan, mit der Stola und dem Meßgewand
geschmückt, in seiner Rechten den Krummstab tragend, berührt
der dem König entgegenkommende Erzbischof mit seiner Linken
die Rechte desselben; er schreitet bis in die Mitte des Tempels
') Chronicon Moissiacense: MG. SS. 2, 259. — Vgl. Tb. Lindncr a.a.0.
S. 143—149.
*) Vgl. J. Bucbkrcmcr, a. a. 0., S. 133 f. — *) MG. SS. 3, 437.
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vor und hält inne. Zum Volke gewandt, das ringsherum stand
— denn in jener rund gebauten Kirche waren unten und oben
Umgänge 1 — so daß er vom ganzen Volke gesehen werden
konnte, sagte er: „Seht, ich führe euch Otto zu, der von Gott
erwählt und von König Heinrich einst bezeichnet wurde, jetzt
aber von allen Fürsten zum König ernannt worden ist; wenn
euch jene Wahl gefällt, so gebt es kund, indem ihr die Rechte
zum Himmel erhebt.“ Daraufhin erhob das gesamte Volk die
Rechte zum Himmel und wünschte mit lautem Rufeu dem neuen
Herrscher alles Gute. Alsdann schritt der Erzbischof mit dem
Könige, der nach der Sitte der Franken die Tunica angelegt
hatte, hinter den Altar (pone altare)*, auf den die Abzeichen
der königlichen Würde gelegt worden waren: Schwert und
Wehrgeheuk, Mantel und Spangen, Stab und Scepter und das
Diadem.“ Widukiud erzählt sodann, daß zwischen den Kirchen¬
fürsten eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Frage
geherrscht habe, wer von ihnen die Krönung vollziehen solle,
und daß man schließlich das Amt dem Erzbischof Hildebert
von Mainz übertragen habe. Hierauf fährt der Mönch fort 3 :
„Er (Hildebert) aber schritt zum Altar vor, nahm das Schwert
und Wehrgeheuk und sprach, zum König gewendet: „Nimm hin
dieses Schwert und triff damit alle Feinde des Herrn, Heiden
und schlechte Christen! Denn darum hat dir Gottes Wille alle
Gewalt über das Reich der Franken verliehen, daß die ganze
Christenheit sicheren Frieden gewinne.“ Dann ergriff er den
Mantel mit den Spangen und legte ihm denselben an mit folgenden
Worten: „Die Säume dieses Gewaudes, die bis zur Erde herab¬
wallen, sollen dich mahnen, bis an das Ende auszuharren im
Eifer für den Glauben und in der Sorge für den Frieden.“ Und
als er ihm Scepter und Stab überreichte, sprach er: „An diesem
Zeichen lerne, daß du väterlich züchtigen sollst, die dir unter¬
geben sind.“ „Vor allem aber,“ fuhr er fort, „strecke deine Hand
aus voll Barmherzigkeit gegen die Diener Gottes wie gegen
die Witwen und Waisen, und nimmer versiege auf deinem Haupt
das Ol des Erbarmens, auf daß du hier und dort die unver-
') Natti erant deatnbulaloria infrn supraque in illa basilica in rotun-
dntn facta .
'■*) Über die Bezeichnung pone altare wird weiter unten das Nötige ge¬
sagt werden. — 3 ) Md. SS. 3, 488.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Grollen.
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gängliclie Krone zum Loline empfangest!“ Auf der Stelle wurde
er von den Erzbischöfen Hildebert und Wikfried mit dem hei¬
ligen Ol gesalbt und mit dem goldenen Diadem gekrönt. Als so
die ganze gesetzmäßige Krönung vollbracht war, wurde er von
denselben Erzbischöfen zum Thron geführt, zu welchem man
durch Türme mit Wendeltreppen emporstieg. Er war zwischen
zwei Marmorsäulen von wunderbarer Schönheit aufgerichtet,
damit er (der Gekrönte) von dort alle sehen und von allen ge¬
sehen werden konnte.“ 1 Naturgetreu wird, wie aus diesen Worten
hervorgeht, das Innere der Pfalzkapelle beschrieben. 2 Ist es
nicht ein tiefsinniger Zug, daß wenige Schritte von dem Grab
des ersten deutschen Kaisers seine Nachfolger im Amt sein Erbe
empfingen und feierlich gelobten, sein Lebens werk fortzusetzen?
Wie die jüngsten Ausgrabungen uns die Lage des karolin¬
gischen Marienaltars enthüllt haben, so ist seine Gestalt durch
die Forschungen von J. Buchkremer ermittelt worden. Er schreibt:
„Die Zusammenstellung der Mensa gibt eine Gesamthöhe von
1,18 m, die aber nicht zu verwundern braucht, indem die alten
Altäre vielfach außergewöhnliche Höhe haben. Auch die geringe
Größe der Altartläche und die einfache, würfelartige Gestalt
des Ganzen entspricht durchaus den alten Altären, die ja auch
noch keinen weiteren Aufbau besaßen.“ 3 Aus derselben Ab¬
handlung lernen wir, daß die senkrechten Platten auf der Vorder-
und Rückseite des Altars allerdings nicht erhalten sind, daß
aber noch jetzt an der wagerechten Tischplatte der Unterschied
zwischen der Vorder- und Hinterkante deutlich wahrnehmbar
ist. 4 Wurde bei der Krönung Ottos I. die West- oder die Ost¬
seite des Altars benutzt? Im letzteren Falle wäre der äußere
Verlauf der Feier folgender gewesen. Von der Oktogonmitte
setzte sich der Zug in östlicher Richtung iu Bewegung, schwenkte
um den Altar, sei es in geschlossener Reihe, sei es in eine rechte
') Ac omni legitima consecratione completa, ab eisdem pontifidbus ducitur
nd solium, ad quod per cocleas adscendehatur, et erat inter duas marmoreas
mirae pulchritudinis columpnas constructum, unde ipse omnes videre et ab
omnibus ipse videri posset. — Bei der Übertragung ist Gieseb recht, Ge¬
schichte der deutschen Kaiserzeit, I. Band, 5. Auflage (1881), S. 243—245
benutzt worden.
“) Vgl. J. Buchkremer, Der Königstuhl der Aachener Pfalzkapelle
und seine Umgebung: ZdAGV 21, S. 174.
3 ) ZdAGV 22, S. 268. — *) Ebenda 267.
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Eduard Tciclimanii
und linke Hälfte geteilt, und nahm jenseits des Altars von
neuem Aufstellung. Natürlich konnte sich nur eine kleine Anzahl
anwesender Würdenträger an dem Umzuge beteiligen, weil der
östlich vom Altar gelegene Raum enge war. Alle übrigen mußten
im Oktogon Zurückbleiben. Die Festversammlung wäre dann
in zwei räumlich getrennte Gruppen zerfallen, die einander
gegenüber gestanden hätten. Im anderen Falle brauchten die
Teilnehmer sich nur wenige Schritte in gerader Linie fortzu¬
bewegen. Ihre Ordnung und ihre gegenseitige Stellung blieben
dieselben. Das ganze Fest hatte einen einheitlichen, würdevollen
Charakter. Diese Erwägungen zwingen uns zu der Annahme,
daß sich die ganze Krönungsfeier Ottos I. westlich vom Marien¬
altar abspielte. Nun nennt Widukind diese Seite des Altars
pone ultare d. h. Rückseite. Wir dürfen ihm, der Geistlicher
war, die Fähigkeit Zutrauen, die beiden wichtigsten Seiten eines
beliebigen Altars voneinander zu unterscheiden, und niemand
wird es wagen, ihm, dem genauen Kenner der karolingischen
Pfalzkapelle, einen Irrtum in der Auffassung des Hauptaltars
derselben vorzuwerfen. Aus dem Gesagten ziehen wir die Schlu߬
folgerung, daß die Vorderseite des Marienaltars dem alten
Chörchen zugekehrt war.
Etwas ganz Ungewöhnliches widerfuhr dem Grabe im Jahre
1000: Kaiser Otto ließ es öffnen, tun die Gebeine seines Vor¬
fahren in Augenschein zu nehmen. Über dieses seltsame Er¬
eignis berichten zwei Aufzeichnungen aus Hildesheim, eine
kürzere, die wahrscheinlich die ältere ist, und eine ausführ¬
lichere. Jene ist nicht in ihrer ursprünglichen Form, sondern in
zwei fast wörtlich übereinstimmenden Ableitungen auf uns ge¬
kommen, nämlich in den Annalen von Nieder-Altaich und in
denen des Lambert von Uersfeld. Die ersteren melden: „(Otto)
ließ zu Aachen die Gebeine des großen Kaisers Karl suchen,
von denen die meisten nichts mehr wußten“ (a pluribm wscita ). 1
Ähnlich heißt es bei Lambert: „Der Kaiser fand die Gebeine
Kaiser Karls des Großen, die den meisten bis dahin unbekannt
waren“ (a pluribus eo nsque ignorata ). 2 Vermutlich waren die
Wissenden einzig und allein die Münstergeistlichen; von einer
lebendigen Volksüberlieferung hinsichtlich des Grabes Karls
kann um das Jahr 1000 nicht mehr die Rede sein. Weitere
') MO. SS. 20, 790. - *) MO. SS. 3, 91.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
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Einzelheiten finden sicli in den Hildesheimer Jahrbüchern:
„Otto III. feierte Pfingsten zu Aachen. Dort ließ er gegen das
Kirchengebot aus Bewunderung die Gebeine des großen Kaisers
Karl ausgraben, wobei er in der Verborgenheit des Grabes
mannigfache Wunderdinge fand.“ 1
Am ausführlichsten gedenkt der zeitgenössische Bischof
Thietmar von Merseburg, der seine Chronik in den Jahren
1012—1018 schrieb, des merkwürdigen Ereignisses: „Da er
(Otto) ungewiß war, wo die Gebeine des Kaisers ruhten, ließ
er den Fußboden aufbreehen, wo er sie vermutete, und graben,
bis sie in einem königlichen Sarge (in solio regio) gefunden
wurden. Das goldene Kreuz, das an seinem Halse hing, nahm
er mit einem Teil der noch unverwesten Gewänder an sich und
legte das übrige mit Verehrung zurück“. 2 Verweilen wir einen
Augenblick bei diesem durchaus glaubwürdigen Bericht. Otto
war in Ungewißheit . . . ein äußeres Merkmal war also
nicht vorhanden, weder der ursprüngliche Bogen noch ein Ersatz.
— Der Kaiser hegte eine Vermutung ... sie dürfte
ihren Ursprung in den Geschichten gehabt haben, die man ihm
von seiner im Kindesalter vollzogenen Krönung erzählt hatte.
— Er ließ den Fußboden aufbrechen . . . nur an ein ge¬
wöhnliches Erdgrab dachte man damals. — Er ließ so lange
graben, bis er die Gebeine fand . . . nicht sogleich trafen
die Arbeiter die richtige Stelle, sondern erst nach mehreren
vergeblichen Versuchen. Wenn diese letzte Einzelheit der Wirk¬
lichkeit entspricht, dann haben die Münstergeistlichen, die allein
noch die Lage des Grabes kannten, sie nicht angegeben. Wie
ist diese auffällige Zurückhaltung zu erklären? Sehr einfach.
Bei aller Verehrung, Liebe und Dankbarkeit, die sie dein überaus
wohlwollenden Herrscher zollten, konnten sie schwerwiegende
Bedenken nicht unterdrücken. Sie mißbilligten es, daß Karls
Grabesruhe aus einem nichtigen Grunde gestört wurde, und es
widerstrebte ihnen, im eigenen Hause einem Eingriff in ihre
') MG. SS. 3, 92.
*) MG. SS. 3, 781. Was der sogenannte Annalista Saxo nach der Mitte
des 12. Jahrhunderts in seinem Chronicon — MG. SS. 6, 645 — erzählt, ist keine
neue Kunde, sondern nur eine Verschmelzung der Angaben Thietmars mit
denen der Hildesheimer Jahrbücher. Vgl. hierzu Th. Lindncr in ZdAGV
14, S. 151.
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Sonderrechte Vorschub zu leisten So mußte der fürstliche
Altertumsforscher auf eigene Rechnung und Gefahr handeln.
Die Eröffnung des Grabes war eigentlich nur das Schlu߬
glied einer Kette von Handlungen, durch die Otto seine über¬
schwengliche Verehrung des Frankenkönigs und sein Wohl¬
wollen gegen die Pfalzkapelle bekundete. Unverkennbar ging
sein Streben darauf hinaus, Aachen zur „Roma secunda“ zu
machen. Um den Glanz jener Kapelle zu erhöhen, ließ er, wie
die Inschriften auf den Sargdeckeln besagen *, die Gebeine der
h. Corona nnd des h. Leopardus nach Aachen bringen und dort
in der Kirche beisetzen. Auf Bitten des Kaisers verfügte Papst
Gregor V. am 8. Februar 997, daß sieben von den Kanonikern
in Aachen Kardinalpriester und ebensoviele Kardinaldiakonen
sein sollten, und daß ganz allein jene sieben Kardinalpriester
sowie der Erzbischof von Cöln und der Bischof von Lüttich
das Recht haben sollten, am karolingischen Altar die Messe zu
lesen. 2 Wahrscheinlich wurde die Bulle durch den Wunsch des
Kaisers veranlaßt, daß der Gottesdienst in der Aachener Rund¬
kirche mit gleicher Pracht wie in St. Peter zu Rom gehalten
werden möchte. Nach dem Bericht eines Mönches des Jakobs¬
klosters in Lüttich berief Otto, wahrscheinlich im Jahre 997,
den italienischen Mönch und Maler Johannes nach Aachen, damit
dieser die noch aller Malerei bare Kaiserkapelle schmückte. 3
Von Spuren des Wandputzes ist oben gelegentlich des ver¬
meintlichen Nischengrabes gesprochen worden.
Am 12. Oktober des nämlichen Jahres schenkte Otto dem
Marienstift zur Wiederherstellung der Kirche, insbesondere zum
Besten des auf der Emporkirche befindlichen Christusaltars,
den Reichsort Dortmund im Westfalengau mit allem Zubehör.“ 1
An demselben Tage überwies er dem Marienstift seinen Hof
Tiel im Gaue Teisterbant. 6 Das Jahr 998 brachte ein neues
Geschenk: am 18. Juli erhielt das Münsterstift den Hof Ander-
') Vgl. K. Faymonville, Der Dom zu Aachen und seine liturgische
Ausstattung vom 9. bis zum 20. Jahrhundert. München 1909. S. 128 A. 2.
*) Qu ix, Codex diploinaticus Aquensis Nr. 49. Genauer bei K. Fay-
monville a. a. 0. S. 240 A. 1. Dort ist auch der Schlußsatz der Anmer¬
kung zu beachten. — *) MG. SS. 4, 729 — 730.
4 ) Monnmenta Germanine historica. Die Urkunden der deutschen Könige
und Kaiser II, 2. Die Urkunden Otto des III. Hannover 1893, Nr. 257.
*) Ebenda Nr. 258.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
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nach im Meinfeldergau mit sämtlichem Zubehör. 1 Noch einmal
wandte Otto dem genannten Stift den Reichshof Tiel zu, nämlich
am 6. Februar 1000, diesmal zusammen mit dem Hof Nierstein
im Nahgau. 2 Wohl ist manche dieser Schenkungen nicht von
langer Dauer gewesen; aber was trotzdem übrig blieb, muß
eine beträchtliche Höhe erreicht haben; denn der unbekannte
Kanonikus, der um die Mitte des 13. Jahrhunderts das älteste
Totenbuch des Aachener Münsters anlegte und dabei manche
Eintragungen aus früheren Registern übernahm, preist unter
dem 23. Januar dankbaren Herzens die Freigebigkeit des Fürsten
mit folgenden Worten: „Es starb der Kaiser Otto III., der das
Einkommen der Amtsbrüder verdoppelte“. 3 Durch ä Beeck er¬
fahren wir, daß noch im Jahre 1620 das Jahrgedächtnis des
Wohltäters feierlich begangen wurde. 4 Treffend hat Adalbold,
der 1010 Bischof von Utrecht wurde und 1027 starb, in seiner
Lebensbeschreibung Heinrichs II. die Stellung Ottos zur Krönungs¬
kirche mit folgendem Satze bezeichnet : „Er liebte sie auf eine
einzige Art und Weise und stattete sie möglichst reich aus“. 6
2. Karl und Otto III. in demselben Grabe. (1002—1165.)
Seit der Eröffnung des Grabes waren noch nicht zwei Jahre
vergangen, als Otto selbst, im 22. Lebensjahre stehend, am
23. Januar 1002 zu Paterno starb. Mehrere Quellen berichten,
daß der jugendliche Kaiser nichts sehnlicher gewünscht habe,
als in Aachen begraben zu werden. In den Quedlinburger An¬
nalen lesen wir, er habe zu Lebzeiten Verlangen nach Aachen
getragen; 6 bei Lantbertus, er habe bei Lebzeiten den Heribertus
beschworen, daß er selbst nach Aachen gebracht und dort be¬
graben werden möchte; 7 in «lern Zusatz, den Rupertus zu der
Lebensbeschreibung des Heribertus gemacht hat, er habe, als
er den Tod herannahen fühlte, als letzte Gunstbezeugung er¬
beten, daß jener seinen Leib nach Aachen bringen und dort
bestatten möchte. 7
') Ebenda Nr. 298. — *) Ebenda Nr. 347.
3 ) Obiit Otto imperator tcrcius, qui dnplicarit prebendas fratrum:
Cb. Quix, Nccrologium ceclesite b. M. v. Aquensis, 1830, S. 5.
*) Aquisgranum, S. 95.
5 ) Quam ecclatiam isdem benignissimus itnperalor et unice dilexit et
plurima fueultaie ditavit: MG. 88. 4, 684.
*) MG. 88. 3, 78. — ’) Vita lleriberti, MG. SS.
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4, 715.
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Eduard Teichtnaun
Wir dürfen annehmen, daß die Aachener Münstergeistlichen
mit Freuden die Gelegenheit ergriffen, ihre Dankbarkeit zu
bezeigen und den Herzenswunsch des kaiserlichen Wohltäters
zu erfüllen. Frisch in aller Gedächtnis stand noch die Er¬
innerung an die Eröffnung des karolingischen Grabes; unver¬
gessen waren die Berichte von der schwärmerischen Verehrung,
mit welcher Otto die Gebeine seines Vorgängers betrachtet
hatte. Mußte da nicht den Stiftsgeistlichen der Gedanke kommen,
daß sie dem jungen Herrscher die größte Ehre erwiesen, wenn
sie ihn zu seinem Meister betteten? Und der Verwirklichung
dieses Planes standen keine Schwierigkeiten im Wege. Die
Grube war tief genug, um zwei Särge aufzunehmen, auf der
Sohle den aus Eifelsandstein verfertigten und in einfachen
architektonischen Formen gehaltenen Sarkophag Ottos 1 und etwa
in der Höhe des Durchbruchs der Concbamauer den Proser-
pinasarg. (Figur IV und V.) 2 Alle, die jenen Sarkophag gesehen
haben, werden zugeben, daß er hinreichend stark ist, um den
Druck des Erdreichs mitsamt dem Gewicht des Marmorsarges
auszuhalten, ohne irgendwie Schaden zu nehmen. Indem die
Stiftsherren so verfuhren, verstießen sie nicht gegen die Sitte
der Zeit. Die frische Leiche Ottos lag ja in der üblichen Tiefe.
Hinsichtlich der wahrscheinlich nur noch aus Knochen beste¬
henden lleste Karls gab es keine Vorschrift, kein früheres
Beispiel; da konnten sie auf eigene Rechnung handeln und
hatten genug getan, wenn sie die Forderungen der Gesundheits¬
lehre beachteten. Wie aber fand sich, so wird man fragen, die¬
selbe Geistlichkeit mit den Beschlüssen der oben erwähnten
Konzile ab? Wahrscheinlich war sie der Meinung, daß diese
Vorschriften auf den vorliegenden Fall keine Anwendung fänden,
daß zwar eine Leiche mehr in die Pfalzkapelle gebracht, aber
keine neue Grabstätte angelegt würde. Den Ausschlag bei diesen
l ) Nach den Messungen des Herrn Regierungsbaumeisters Erich Schmidt
beträgt die Breite des Steinsarges 0,70 m, die Unterbauhöhe 0,52, die Deckel-
hühe 0,28, also die Gesamthöhe 0,75 in und die Länge 2,09 m.
*) Um Mißverständnissen vorzubeugen, erkläre ich im Namen des Herrn
Regieruugsbaumeisters Erich Schmidt hinsichtlich der Figur V, daß die Um-
rißlinieu der Kaisergestalteu in den Schnitten durch die Särge nur als eine
einfache Skizze und durchaus ohne Bezugnahme auf die Frage, in welcher
Lago während des Mittelalters die in einer Kirche beigesetzteu Toten be¬
stattet, wurden, gezeichnet worden sind.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Grollen.
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immerhin spitzfindigen Erwägungen dürfte die stille, angenehme
Wirkung der großen und zahlreichen Geschenke Ottos gegeben
haben. Es sei dem aber, wie ihm wolle, geschichtliche Tatsache
ist, daß Kaiser Otto III. im Innern der karolingischen Pfalz¬
kapelle seine letzte Ruhestätte erhielt. Als Jüngling von 22
Jahren ruhte er in der Nähe der Stelle aus, wo er als drei¬
jähriges Kind die Königskrone empfangen hatte.
Unsere Vermutung über die Lage von Ottos Grab wird
durch mehrere geschichtliche Zeugnisse gestützt. Adalbold
allerdings, der bekanntlich ein richtiges Urteil über Ottos Ver¬
hältnis zur Aachener Marienkirche fällt und auch meldet, daß
die Eingeweide desselben zu Augsburg neben dem Grab des
h. Othelricus beigesetzt wurden, hat für Aachen nur die un¬
bestimmte Angabe, daß die Leiche mitten in der Liebfrauenkirche
auf eine ehrenvolle Weise (hononßce) bestattet wurde. 1 Sein
Zusatz zu diesem Worte: ut adhuc videri potest, „wie bis zu
dieser Stunde — Adalbold starb 1027 — zu sehen ist“, entbehrt
der Klarheit. Er verträgt sich gut mit der Auffassung, daß
dem Kaiser Otto, wie noch der Augenschein lehre, die Ehre zu
teil geworden sei, bei Karl dem Großen zu ruhen; er kann
natürlich auch auf ein äußeres Zeichen bezogen werden. Aber
aller Wahrscheinlichkeit nach hat der gedachte Bischof von
Utrecht die Grabstelle nicht durch den Augenschein gekannt,
sonst hätte er nicht so unbestimmt von der Mitte der Kirche
geredet.
Bischof Thietmar von Merseburg, der seine Chronik in den
Jahren 1012—1018 schrieb, sagt von Otto klipp und klar:
„Er wurde mitten im Chor begraben“. 2
Lantbertus, zuerst Mönch in Deutz, dann Abt im Lorenz¬
kloster zu Lüttich (f 1070), erzählt von Heribert, dem Cölner
Erzbischof und Kanzler Ottos III., unter anderem folgendes:
„Gegen den Willen der Römer und trotz ihrer Verfolgungen
bringt er die Leiche des früheren [Kaisers] durch das Eisen
und Blut der Feinde hindurch, bis sie, wie dieser wollte, nach
Aachen geschafft worden war und er im Chor der h. Maria,
wie sichtbar ist, der Erde die Erde übergeben hatte“. 3 Die
Wendung ut in promptu est (wie sichtbar ist) scheint die Angabe
') Vita Heinrici II. iinperntoris: MG. SS. 4, 684.
2 ) Chronicon: MG. SS. 3, 783. — 3 ) Vita Heriberti: MG. SS. 4, 745.
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166
Eduard Teichmann
Adalbolds, daß Ottos Grab durch ein «äußeres Zeichen erkenntlich
gemacht worden sei, zu bestätigen. Da unsere Kenntnis von
dieser Einzelheit sich auf die beiden dürftigen Angaben be¬
schränkt, so kann niemand sagen, was man sicli unter jenem
sinnfälligen Zeichen vorzustellen habe. Im Anfang des 14. Jahr¬
hunderts, als ein unbekannter Kanonikus dem ältesten Aachener
Totenbuche die Notiz anvertraute, derzufolge der Karlsschrein
sich über Ottos Grab befinde, muß das Abzeichen schon lange
verschwunden gewesen sein; andernfalls hätte der Anlaß zur
Notiz gefehlt. Ist etwa bei der Eröffnung des Kaisergrabes im
Jahre 1165 das äußere Merkmal beseitigt worden?
Thangraar, der Lehrer des 1022 gestorbenen Bischofs
Beruward von Hildesheim, berichtet, daß die Leiche des Kaisers
am Palmsonntag in Aachen eingetroffen und mitten im Chor
begraben worden sei. 1 Agidius endlich, ein Mönch des Cister-
cienser-Klosters Orval im Luxemburgischen (um die Mitte des
13. Jahrhunderts), erzählt, die Leiche sei in Aachen vor dem
Marienaltar im Chor beigesetzt worden.* Hier müssen wir
Halt machen, um zu untersuchen, welchen Raum der Marien¬
kirche man in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens Chor
nannte.
Selbstverständlich wurde die Pfalzkapelle als ein Ganzes
gebaut und in allen ihren Teilen einschließlich des sogenannten
karolingischen Chörchens nach einem einheitlichen Gesamtplan
und gleichzeitig fertiggestellt. Es bedarf auch wohl ferner
keines Beweises, daß am Tage der Einweihung und zu Leb¬
zeiten des königlichen Bauherrn der amtierende Geistliche östlich
vom Hauptaltar d. i. vom Marienaltar stand. Aus diesen beiden
Tatsachen ergibt sich folgendes: 1) die beiden Räume, die
östlich vom Marienaltar lagen, d. h. ein Teil des östlichen Um¬
ganges und das anstoßende karolingische Chörchen, trugen zu¬
sammen den Namen Chor des Marienaltars. 2) Sie hatten diesen
Charakter durch den Willen des Bauherrn, also von Anfang an.
Nach dem glaubwürdigen Zeugnis des gut unterrichteten Wi-
dukind stellte noch im Jahre 936 die Ostseite des genannten
Altars die Vorderseite dar. Es gibt keine geschichtliche
') Vita Bernwardi: 51G. SS. 4, 77ij.
s ) Gcsta cpiscoporum Leodicnsium (MG. SS. 2f>, 61.): Corpus eins Aijuis-
grani ante altare sancte Marie in choro conditum ent.
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Zur Lage uud Geschichte des Grabes Karls des Großeu.
167
Nachricht, keine Tatsache aus der Entwicklung des Münsters,
die Anlaß zu der Annahme hüte, daß der alte Brauch etwa um
die Mitte des 11. Jahrhunderts aufgegeben und die Westseite
des Marienaltars zur Hauptseite gemacht worden sei. Nun
kann aber die Meldung unserer drei Chronisten des 11. Jahr¬
hunderts, laut welcher Otto III. mitten im Chor oder im
Marienchor seine Ruhestätte gefunden habe, nicht dem karo¬
lingischen Chörchen gelten, weil nach Ausweis der letzten Aus¬
grabungen an diesem Ort nie jemand begraben worden ist. Folglich
muß sie sich auf die einzige Grube des östlich vom Marienaltar
gelegenen Umganges beziehen. Weiter unten wird — das sei
liier beiläufig erwähnt — gezeigt werden, daß jene alte Sitte,
allerdings mit erheblichen Einschränkungen, ebenso lange be¬
standen hat wie die eigentliche Pfalzkapelle, nämlich bis zum
Jahre 1414. Gehen wir nun zu der vierten Aussage über die
Lage von Ottos Grab über. Agidius von Orval kann seine
Kenntnis aus den soeben besprochenen Chroniken des 11. Jahr¬
hunderts oder anderswoher geschöpft haben; er kann auch aus
eigener Anschauung berichten. Auf jeden Fall haben seine
Worte „vor dem Marienaltar im Chor“ nur denselben Sinn
wie die angezogenen Stellen unserer drei Chronisten, beziehungs¬
weise wie die Behauptung Widukinds.
Wir dürfen es nunmehr als eine gesicherte Tatsache be¬
zeichnen, daß Otto III. in der fast drei Meter tiefen Grube des
östlichen Umganges bestattet worden ist. (Figur III.) Dies ist
der erste Gewinn, den die Verbindung der Ergebnisse der jüngsten
Ausgrabungen mit den Lehren der Urkunden eingetragen hat.
Die neue Erkenntnis, daß Otto den höchsten Ehrenplatz des
Münsters inne hatte, ist aber eine Etappe auf dem Wege zur
vollen Wahrheit^denn diese Erkenntnis besitzt rückwirkende
Kraft. Ein jeder von uns fragt sich unwillkürlich: Konnte Karl
der Große weniger günstig behandelt werden? Gewiß nicht;
vielmehr fordern Vernunft und Gerechtigkeit einstimmig, daß
im Jahre 814 die Losung gelautet hat: Diese Stelle im Gottes¬
haus oder keine.
Von den Belegen für das Grab Ottos III., die Professor
Buch kr einer mit großem Fleiß gesammelt hat 1 , sind noch
zwei zu besprechen. Sie bilden gewissermaßen eine Gruppe für
') ZdAGV 29, S. 91.
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168
Eduard Teicbnianu
sich, weil sie ganz anders klingen als die sonstigen einschlägigen
Nachrichten; sie liefern uns keinen urkundlichen Beweis, sondern
nur einen weiteren Indizienbeweis, falls meine Auslegungen das
Richtige treffen; sie sind — das sei von vornherein mit Nach¬
druck betont — für meine gesamte Beweisführung entbehrlich.
Die erste jener Meldungen steht in der ältesten Chronik Ve¬
nedigs, die Johannes, der Kaplan des Herzogs Peter II., bis
zum Jahre 1008 führte, und hat folgenden Wortlaut: „Nachdem
aber der Cölner Erzbischof nebst seinem Gefolge die verehrte
Leiche des Kaisers hatte überführen lassen, war diese nach
Aachen gebracht worden, damit er mit seinem Amtsvorgänger
Karl frommen Andenkens für seine Person den Tag des Gerichts
erwarten könne“. 1 Allerdings kann man von allen Toten, die
gewöhnlich in großer Anzahl und in geschlossenen Reihen auf
dem Gottesacker liegen, sagen, daß sie dort zusammen den
letzten Gerichtstag erwarten; aber wer von den beiden einzigen
Kaisern, die im Innern einer Kirche ruhen, die Wendung ge¬
braucht, daß der eine mit dem anderen das Jüngste Gericht er¬
warte, der geht nach meiner Ansicht von der Vorstellung aus,
daß die beiden Verstorbenen Seite an Seite in derselben Gruft
schlummern. Denn lebenswahre, packende Kraft hat die Aus¬
drucksweise nur dann, wenn die Leichen dicht nebeneinander
liegen, also bei Eltern, Geschwistern und guten Freunden, die
eine Gruft teilen, und bei gefallenen Kriegern, die ein Massen¬
grab umschließt. Ein inniges Band hielt auch unser Kaiserpaar
umschlungen: es war die Liebe, Verehrung und Bewunderung,
die ein Jünger oder Nachfolger seinem Meister und Vorbild
entgegenbringt. Es scheint mir daher die Möglichkeit nicht aus¬
geschlossen, daß der Kaplan Johannes etwas von der Grabes¬
gemeinschaft wußte und, abweichend von dem Gebrauche seiner
Zeitgenossen, den Sachverhalt wenigstens leise anzudeuten
wagte.
Die zweite Meldung rührt von einem sonst unbekannten
Mönch eines schwäbischen Klosters her, der sein Werk „Flores
temporum“ zwischen 1292 und 1294 verfaßte, ln dem Abschnitt
') Corpusculum vero eins Coloniensi archiepiscopo cum ceten's defferente,
in Aquisgrani pallidum fuerat ddaturn , nt cum decesaore xuo piite memo-
riae Karolo queat iudiciulem sibi preatolari diem. Johannis chronieon Ve-
netum: MG. SS. 7, 34.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
109
Imperatores schreibt er über Otto III. unter anderem folgendes:
Obiit untern JO. Kalendas Februarii. Cuius intestina Auguste re-
quieseunt; corpus Aquisgrani sepultum est, ubi sancti Karoli ossa
ipse prius invenit In wörtlicher Übersetzung: „Er starb aber
am 23. Januar. Seine Eingeweide ruhen in Augsburg; sein Leib
wurde in Aachen begraben, wo er selbst früher die Gebeine
des h. Karl fand“. Da prius invenit dem Sinne nach einem
Plusquamperfektum entsprechen dürfte, so wäre eigentlich die
Übertragung „gefunden hatte“ angemessener. Eine andere Be¬
merkung aber ist wichtiger. Bisher hat man stillschweigend
ubi auf Aquisgrani bezogen; ich möchte es als eine neue Orts¬
angabe, also in dem Sinne von eo loco, quo „an dem Orte, wo“
auffassen und den letzten Satz folgendermaßen wiedergeben:
„und zwar an dem Orte, wo er selbst ehedem die Gebeine des
h Karl gefunden hatte“. Dann wäre auch zu dem uns un¬
bekannten Ordensmann die Kunde von dem Zwei-Kaiser-Grab
gedrungen; dann hätte er seinen Lesern zuerst den Begräbnis¬
ort Aachen und hierauf die Begräbnisstelle — in Karls Grab —
angeben wollen.
3. Die Gebeine Karls im Schrein. (Seit 1165.)
a) Die Heiligsprechung. (1165.)
Am 29. Dezember 1165 vollzog sich in der Aachener Lieb¬
frauenkirche eine Handlung, die in der Geschichte der deutschen
Kaiser und der Päpste ganz gewiß nicht zu den Ruhmestaten
zählt: auf das Drängen des allmächtigen staufischen Kaisers
Friedrich ließ der Gegenpapst Paschalis III., das gefügige
Werkzeug des weltlichen Machthabers, durch den Cüluer Erz¬
bischof Iieinald von Dassel und unter Mitwirkung des Lütticher
Diözesanbischofs Alexander Karl den Großen heilig sprechen. 2
Bei dieser Gelegenheit öffnete man das Grab und erhob die
Gebeine. Mehrere Chronisten erwähnen dieses Ereignis. Bei
allen besteht die Vorstellung eines Erdgrabes und eines Sarges;
der Fortsetzer der Chronographie des Sigebert nennt geradezu
einen Marmorsarg 3 , womit selbstverständlich nur der Proserpina-
’) MG. SS. 24, 236.
a ) Vgl. E. Pauls, Die Heiligsprechung Karls des Großen und seine
kirchliche Verehrung in Aachen bis zum Schluß des 13. Jahrhunderts: ZdAGV
25, S. 335—354.
3 ) Continuatio Aquicinctina: MG. SS. 6, 411.
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170
Eduard Tciehmann
sarg gemeint sein kann, und die Annales Colonienses maximi,
die den Vorgang in das Jahr 1166 setzen, rechnen aus, daß
Karl im Sarge 352 Jahre geruht habe. 1 Alle gedenken der Er¬
hebung der Gebeine; 2 keiner macht die leiseste Andeutung über
die Lage des Grabes. Nun ist der Augenblick gekommen, um
der Frage näher zu treten: Wie ist das beharrliche Schweigen
der Geschichtschreiber über die Grabstätte zu erklären?
Hinsichtlich des Jahres 814 hat das Schweigen nichts Auf¬
fälliges an sich, da ja nach Einhards Bericht Bogen, Bildsäule
und Inschrift alles Wissenswerte boten. Was die Folgezeit
angeht, so ist einfürallemal die Tatsache festzuhalten, daß keine
Aachener Meldung auf uns gekommen ist, vielleicht weil diese
Schriftstücke zusammen mit vielen anderen einer der zahlreichen
Feuersbrünste, die Stadt und Münster heimgesucht haben, zum
Opfer gefallen sind. Wir werden also nun die Frage folgender¬
maßen stellen müssen: Warum nennen die auswärtigen Ge¬
schichtschreiber nicht die Grabstätte gelegentlich der drei Er¬
öffnungen in den Jahren 1000, 1002 und 1165? Man kann als
sicher annehmen, daß keiner der Chronisten der Sache dieselbe
Wichtigkeit beimaß, wie wir es in diesem Augenblick tun.
Manche derselben haben vielleicht selbst nichts Genaueres er¬
fahren. Den Schlüssel zu dem Geheimnis aber geben uns die
schon einmal angezogenen Hildesheimer Jahrbücher. Dort ist
zum Jahre 1000 über Otto III. im Anschluß an den Bericht
über seine Eröffnung des Aachener Kaisergrabes zu lesen:
„Aber dafür verfiel er, wie nachher offenbar wurde, der Rache
des ewigen Strafers. Denn der besagte Kaiser erschien ihm,
nachdem er das so schwere Verbrechen begangen hatte, und
weissagte ihm“. 3 Ein jüngerer Schreiber hat den Inhalt der Un¬
glücksprophezeiung hinzugefügt: es war sein früher Tod. 4 Und
jene Angabe übernahm fast, mit demselben Wortlaut der soge¬
nannte Annalista Saxo in seine nach der Mitte des 12. Jahr¬
hunderts verfaßte Chronik: „Aber er zog sich, wie später klar
zu Tage trat, die Rache des ewigen Richters zu“. 8 Wir gehen
wohl nicht fehl, wenn wir auf Grund derersteren Stelle annehmen,
') MO. SS. 17, 779-780.
*) Vgl. J. Buchkrerner, Das Grali Karls des Großen: ZdAGV 29,
8. 139 A I und M. Schmitz, Die Rcziehungcn Friedrich Hartmrossas zu
Aachen: ZdAGV 24, S. 10-19. — 3 ) MG. SS. 3, 92.
*) Obi tum suiini ce/erius affuturum. — *) MG. SS. 6, 645.
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Zur Lage und Geschichte des Gruhes Karls des Großen.
17t
daß manche Zeitgenossen Ottos Tat als eine Sünde betrachteten
und ängstlich alles vermieden, was sie auch nur im entferntesten
zu Mitschuldigen an einer fremden schweren Verfehlung hätte
machen können. Und in demselben Lichte mußten die beiden
seltsamen Vorgänge der Jahre 1000 und 1002 ihnen erscheinen,
wenn sie nicht die Beweggründe der Aachener Geistlichen genau
kannten, da ja beidemal ein eigenmächtiger Eingriff in die
Grabesruhe vorlag. Nach der Heiligsprechung aber, bei der die
Münstergeistlichen sicherlich mitwirkten, hatte, vom kirchlichen
Standpunkte aus gesehen, das Erdgrab keine Bedeutung mehr;
wir dürfen uns also nicht wundern, daß 1165 und später der
geschichtlich so wichtige Ort abermals ungenannt bleibt. Somit
ist das beständige Stillschweigen zwar unerwünscht, aber er¬
klärlich. Immerhin hat es mit mancherlei anderen Umständen
dazu beigetragen, daß im Laufe der Zeit selbst in Aachen die
Kunde von der Grabstätte des Kaisers schwand, der mit einer
gewissen Berechtigung als der Gründer der Stadt angesehen
werden kann. Von 1165 an trat die zweite Ruhestätte des
Schutzherrn der Krönungsstadt, der Karlsschrein, in den Vorder¬
grund des Interesses. 1
b) Der Karlsschrein über Ottos Grab. (1165?—1414.)
Die Geschichte dieser Truhe ist eigenartig und lehrreich.
Zunächst wollen wir versuchen, ob wir aus den verschiedenen
Meldungen etwas Sicheres über das Alter des Karlsschreins er¬
fahren können. Darum mögen sie jetzt vor unseren Augen
vorüberziehen. *
') E. Pauls hat zuerst auf die Übereinstimmung der Maße des Pro-
serpiuasarges mit denen des Karlsschreins hingewiesen und sein Urteil fol¬
gendermaßen ausgedrückt: „Allem Anschein nach steht der Karlsschrein als
zweite, aus dem Heidnischen ins Christliche übersetzte Auflage des Proser-
pina-Sargs vor unsern Augen.“ ZdAGV IG, S. 108. Wie mir Herr Stiftsgold-
schinied B. Witte in freundlicher Weise mitteilt, mißt das christliche
Kunstwerk 203 cm in der Länge und 58 cm in der Breite. Da bei dem
heidnischen Sarge die entsprechenden Zahlen 219'/» und G6 sind, so übertrifft
er seinen Nachfolger um 16'/,, beziehungsweise 8 cm. Diese geringfügigen
Unterschiede können durch äußerliche Umstände herbeigeführt worden sein
und fallen, wie .mir Kunstkenner versichern, nicht in die Wagschale.
*) Übersichtlich zusammengestcllt. in dem schon wiederholt erwähnten,
überaus verdienstlichen Aufsatz von J. Buchkreiner, Das Grab Karls des
Großen: ZdAGV 29, S. 139 A. 1 und 2.
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172
Eduard Teichmann
Die aus Ancliin stammende und die Jahre 1 149—1237 be¬
handelnde Fortsetzung von Sigeberts Chronographie bringt die
einfache und darum glaubwürdige Einzelheit, für die Bergung
der Gebeine Karls sei ein hölzerner Behälter gebraucht worden;
dieselbe Schrift aber muß, wie wir unten sehen werden, ab¬
gelehnt werden, wenn sie wissen will, der Lade habe man die
Mitte der Kirche als Standort angewiesen. 1 Ob jene Lade die
Holzkiste ist, die noch heute im Karlsschrein steckt, oder eine
andere, darüber haben wir keinerlei Nachricht.
Tn seiner Chronik der Frankenkönige, die bis zum Jahre
1184 reicht, schreibt Gaufredus de Bruil zum Jahre 1167 fol¬
gendes: „Außerdem ließ Friedrich den Leib Karls des Großen
aus der Erde (a terra) erheben und in einen goldenen, mit
Edelsteinen von unendlichem Wert geschmückten Schrein legen.
Von da an wird mit Gutheißung des Cölner Metropolitans zu Aachen
eine Feier inbetreff desselben rechtgläubigen, erlauchten Herr¬
schers gehalten wie hinsichtlich eines Heiligen, während sie
voiher nur diejenige eines verstorbenen Gläubigen war.“ 2 Wollten
wir dem Prior von Vigeois unbedingt folgen, so müßten wir
annehmen, daß schon im Jahre 1167 der prachtvolle Schrein
vollendet gewesen sei; denn der französische Chronist läßt
offenbar die endgültige Erhebung in den Kunstschrein und die
kirchliche Verehrung des Heiligen zeitlich zusammenfallen. Daß
dies aber eine Unmöglichkeit ist, liegt auf der Hand; auch
wäre es völlig unbegreiflich, warum man dann mit der feierlichen
Verschließung noch über vierzig Jahre gewartet hätte. Gaufredus
de Bruil eilt also den Ereignissen voraus und klittert ein Stück
Geschichte zusammen, indem er das bei ähnlichen Fällen be¬
obachtete Verfahren leichten Sinnes auf Aachen überträgt.
Ebenso werden wir den Satz beurteilen, den Lambertus
Waterlos, Domherr von St. Aubert in Cambrai, in den Annales
Cameracenses zum Jahre 1165 niedergeschrieben hat: „Der
allzeit erlauchte Friedrich erhob den Leib Karls des Großen
aus dem Sarge und setzte ihn gewissenhaft und ehrenvoll in
einem goldenen Schrein bei“. 3 Wir können unsere Zweifel nicht
unterdrücken, weil jener 'Peil der Jahrbücher von Cambrai auch
nur bis zum Jahre 1170 reicht.
') MO. SS. 6, 411.
*) MG. SS. 26, 202. — •’) MG. SS. 16, 538.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
1?3
Was endlich die aus den Merseburger Wundertaten des
li. Heiuricli stammende Meldung angeht, laut welcher Kaiser
Friedrich die Gebeine Karls in Schreinen aus Gold und Edel¬
steinen geborgen habe, so verrät schon die Mehrzahl „Schreine“,
daß der Verfasser hier bei seiner Phantasie eine Anleihe ge¬
macht hat. 1
Mit anderem Maßstabe dagegen werden wir eine Notiz
messen, die Gotifredus aus Viterbo seinem Werk „Pantheon seu
universitatis libri, qui Chronica appellantur, XX“ einverleibt hat.
Der Verfasser ist 1196 oder 1198 gestorben und konnte als
Kaplan und Notar der Kaiser Konrad III., Friedrich I. und
Heinrich VI. die Wahrheit wissen; auch macht er hinsichtlich
der Zeit und des Ortes bestimmtere Angaben als irgend ein
anderer Geschichtschreiber seines Jahrhunderts. Wenn er vom
Kaiser Karl sagt „Zu unserer Zeit wurde er durch den Kaiser
Friedrich heilig gesprochen und unter dem Papst Alexander zu
Aachen in einem goldenen Schrein über dem Altar geborgen“ 2 ,
so können wir unbedenklich annehmen, daß der Karlsschrein
schon vor dem Tode des am 30. August 1181 verstorbenen
Papstes Alexander III. in gewissem Sinne vollendet war und
bereits damals in der Kirche ausgestellt wurde.
Bestätigt und in willkommener Weise ergänzt wird diese
Meldung durch das, was der Mönch der Lütticher Jakobskirche
Reinerus (f 1230) in seinen Jahrbüchern zum Jahre 1215
erzählt: „Am Montag [27. Juli] ließ derselbe König [Friedrich II.],
nachdem eine feierliche Messe gelesen worden war, den Leib
des h. Karl, den sein Großvater, Kaiser Friedrich, aus der
Erde erhoben hatte, in einem aus Gold und Silber zusammen¬
gesetzten, außerordentlich schönen Sarg, den die Aachener an¬
gefertigt hatten, bergen. Er nahm einen Hammer, legte seinen
Mantel ab [ein gewandter Darsteller würde beide Handlungen
in umgekehrter Reihenfolge erzählt haben], bestieg mit dem
Werkmeister ein Gerüst und verschloß vor aller Augen fest
den Schrein, indem er gemeinsam mit dem Meister Nägel ein¬
schlug.“ 8 Diese Darstellung verdient vollen Glauben; denn Rei¬
nerus behandelt ein Ereignis, das sich zu seiner Zeit zutrug,
') MG. SS. 4, 815. — *) MG. SS. 22, 220.
3 ) MG. SS. 16, 673. Vgl. F. Bock, Karls des Großen Pfalzkapelle und
ihre Kunstschätze. Aachen 1866, S. 108.
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174
Eduard Teichmann
und als Ordensmann von Lüttich, zu dessen Diözese Aachen
damals gehörte, konnte er in den Einzelheiten Bescheid wissen.
Die auf den ersten Blick auffällige Verschiedenheit, die hin¬
sichtlich des Alters des Schreines zwischen ihm und Gotifredus
von Viterbo besteht, ist vielleicht nur scheinbar. Es ist nämlich
wohl möglich, daß der Prachtschrein in seinen Umrissen oder
in seinen großen Flächen und Teilen bereits unter Friedrich
Barbarossa vollendet wurde, und daß später die zahlreichen
Kleinarbeiten, etwa der reiche Figurenschmuck, im langsamen
Tempo oder in gleichem Schritte, wie die Geldmittel einkamen,
ausgeführt wurden, so daß der eigentliche Abschluß des Werkes
erst im Jahre 1215 erfolgte. Das letzte Wort in dieser Frage
muß den Kunstkennern überlassen bleiben. Reinerus belehrt uns,
wie der knappe Ausdruck des Gotifredus Viterbiensis super altare
zu verstehen ist: nicht über dem Altar stand der Schrein,
sondern nach unserer Ausdrucksweise hinter dem Altar, auf
einem Gerüst und so hoch, daß er den Altar überragte.
Nun können wir der für unseren Gegenstand besonders
wichtigen Frage nähertreten, an welcher Stelle der Kirche das
in Betracht kommende Gerüst gestanden habe. Die gewünschte
Antwort wird uns durch das älteste Totenbuch des Marienstifts
zuteil. 1 Die Urkunde ist, wie schon gesagt, um die Mitte des
13. Jahrhunderts angelegt und von verschiedenen Kanonichen
bis etwa zum Jahre 1331 fortgeführt worden. Eine jüngere Hand,
die zu einer nicht näher zu ermittelnden Zeit zwischen 1280
und 1331 tätig gewesen ist, hat unter dem 23. Januar eine
schon einmal erwähnte ältere Aufzeichnung über Otto III. mit
folgendem Zusatz versehen: Sub feretro sancti Karoli iacet
sepultus (unter dem Schrein des h. Karl liegt er begraben). 2
Wir wissen nun mit völliger Sicherheit, daß der Karlsschrein
im Anfang des 14. Jahrhunderts über dem Grabe Ottos III.,
d. h. vor (westlich von) dem karolingischen Chörchen und hinter
(östlich von) dem ehemaligen Marienaltar aufgestellt war. (Figur
I bei b.) Das wird aber auch, so dürfen wir folgern, an jenem
27. Juli 1215 der Fall gewesen sein, ferner schon unter der
Regierungszeit des Papstes Alexander III. und hinsichtlich der
Holzlade überhaupt seit dem denkwürdigen 29. Dezember 1165.
') Cb. Quix, Necrologium eeolesirc bcata* Maria* virginis Aquensis.
Aaelien und Leipzig 1830. — 2 ) S. 5 A. 4.
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Zur Lago und Geschichte des Grabes Karls des Grollen.
175
Die allerwichtigste Frage endlich lautet: Warum wählte
man gerade diesen Platz? Im Gegensatz zu dem Erdgrab kam
für den thronenden Schrein die Oktogonmitte in erster Linie
in Betracht; denn sie bot für eine Schaustellung unleugbare Vor¬
teile. Dort hätte die von allen Seiten her gleichmäßige und
dabei zugleich stärkste Belichtung im Erdgeschoß des ganzen
Gotteshauses das Kunstwerk zu voller Wirkung kommen lassen;
um den dort aufgestellten Schrein hätte der Beschauer in der
oberen Galerie und im unteren Umgang ganz herumgehen und
so von allen vier Flächen eine Vorderansicht haben können.
Nicht so günstig dagegen waren die Verhältnisse im östlichen
Umgang. Hier stand das Prachtwerk in weniger hellem Licht
und nicht so frei, da das Deckengewölbe des Sechzehnecks
nahe war; hier konnte der Beschauer nur von einem Ende die
Vorderansicht gewinnen, während das andere Ende ihm verborgen
blieb und die Längsseiten sich ihm perspektivisch darboten. Wenn
nun trotz der offenbaren Nachteile der ungünstige Aufstellungs¬
ort bevorzugt wurde, so muß ein innerer Grund die Entscheidung
herbeigeführt haben. Auf das Grab Ottos III. au und für sich
brauchte man sicherlich keine Rücksicht zu nehmen. Wenn aber
hier ehemals auch Karl geschlummert hatte, dann war der Be¬
weggrund zwängend. Indem der Schrein das Grab Ottos III.
überschattete, setzte er, soweit die veränderten Verhältnisse es
erlaubten, die Gemeinschaftlichkeit des Grabes fort und sicherte
den Gebeinen des Kaisers Karl den altgewohnten Ehrenplatz.
Die Aufstellung des Karlsschreins hatte eine einschneidende
Änderung in der äußeren Ordnung des Gottesdienstes zur Folge.
Wegen des engen Raumes 1 war es nicht mehr möglich, daß die
Münstergeistlichen feierliche Messen oder solche, bei denen eine
Anzahl Geistliche mitwirkte, auf der Ostseite des Altars lasen;
die Hochämter mußten künftig auf der Westseite stattfinden. 2
Diese Tatsache scheint dazu angetan zu sein, um mit einem
Schlage meine Lehre von dem Zwei-Kaiser-Grabe zu nichte zu
machen; mindestens fügt sie zu den Hindernissen, die den Weg
') Nach den Messungen des Herrn Regierungsbaumeisters Schmidt ist
der wagcrcchte Abstand zwischen der Vorderplatte des Altars und dem
wesiliehen Ende des unteren Teiles der Gruft etwa 60 cm groß.
2 ) Ist vielleicht im Jahre 1215 der I’farrgottcsdieust in die Unterkirche
verlegt worden?
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176
Eduard Teiehmann
zur Erkenntnis der Wahrheit so überaus schwierig gemacht
haben, ein neues hinzu. Bei tieferem Eindringen in die Sache
eröffnet sich jedoch ein rettender Ausgang. Wir gewahren, daß
auch nach dem Jahre 1215 die Ostseite (ante altare) zu gottes¬
dienstlichen Handlungen benutzt wurde, allerdings nur zur Ab¬
haltung von einfachen Messen d. h. solchen, die bloß von einem
Priester gelesen wurden, und zur Vornahme gewisser Ceremonien
der Karwoche. Es bildete sich so inbetreff des Marienaltars im
Laufe des 13. Jahrhunderts ein verwirrender Gebrauch der
Präpositionen ante und retro heraus, der auch das 14. Jahr¬
hundert überdauerte. Wer von feierlichem Gottesdienst mit
großer Prachtentfaltung zu reden hatte, nannte die Westseite
des Altars ante; wer von einfachen gottesdienstlichen Hand¬
lungen berichten wollte, setzte den entgegengesetzten, Jahrhunder¬
te alten Brauch fort. Eine jede der beiden Gruppen hatte von
ihrem Standpunkte aus recht; im Grunde genommen handelte
es sich um ein Ringen der neuen Verhältnisse mit den alten.
Von einer zusammenhängenden Begründung des zwiespältigen
Verfahrens sehe ich ab, weil ich meine, daß eine gelegentliche
Besprechung der einschlägigen Fälle zum Beweise meiner Be¬
hauptung ausreicht.
Es kann meine Aufgabe nicht sein, hier eine Geschichte
der Aachener Königskrönungen zu geben; 1 aber auf die Rolle,
die der karolingische Marienaltar bei denselben gespielt hat,
muß ich etwas eingehen. Nachdem die Geschichte des Kaiser¬
grabes bis zum zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts fort¬
geschritten ist, darf die Coronutio Aquisgranensis nicht mit Still¬
schweigen übergangen werden. 2 Eingehend hat König Rudolf von
Habsburg, sicherlich unter Mitwirkung des Cölner Erzbischofs
und der Aachener Stiftsgeistlichen, in der Verordnung für den
Tag seiner Krönung, den 24. Oktober 1273, die kirchliche Feier
in allen Einzelheiten festgesetzt, und aller Wahrscheinlichkeit
nach ist die neue Ordnung bis zur Vollendung des gotischen
Chors in Gebrauch geblieben. Ebenso wie zu der Zeit des Mönches
') Hoffentlich findet dieser anziehende Gegenstand bald eine eingehende
Behandlung. Reiches Material liefern die verschiedenen, von mir so oft be¬
nutzten Aufsätze von J. Buchkremer in dieser Zeitschrift, H. Savclsberg,
Die Aachener Kaiserkrönungen, Mönchen-Leutkirch-Stuttgart. [1905], und
St. Bcissel, Der Aachener Küuigssluhl: ZdAGV 9, S 14-41,
*) MG. historica beginn Bd. 2, 384—31)2.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
177
Widukind ist der Schauplatz der weltgeschichtlichen Handlung
des Jahres 1273 der Raum westlich vom karolingischen Krönungs¬
altar. Damit ist aber auch die Übereinstimmung zwischen einst
und jetzt erschöpft; in allen übrigen Punkten gewahren wir
Neuerungen. Westlich von dem genannten Altar nimmt ein
Königssitz (sedes regin) den künftigen Herrscher auf. Zu seiner
Linken hat seine Gemahlin, falls sie anwesend ist, ihren Platz.
Zur Rechten des Herrscherpaares sitzt der Erzbischof von Mainz,
zur Linken der Erzbischof von Trier. Als Haupt des Aachener
Kirchensprengels hat der Erzbischof von Cöln das ehrenvolle
Vorrecht, die für die Feier eigens zusammengestellte Krönungs¬
messe zu lesen. Unseren bisherigen Beobachtungen schnurstracks
entgegenlaufend trägt der Raum westlich vom Altar, also in
der Hauptsache das Oktogon, den Namen Chor. Am Altar be¬
finden sich Stufen. Es heißt an einer Stelle, daß der König von
seinem Sitze wieder wie früher vor den Altar geführt werden
solle (extunc reducatur Herum ante altare, ubi prius ). 1 Da ante
ultare immer die Seite bezeichnet, an welcher der Priester die
Messe liest, so wissen wir, daß der Cölner Erzbischof an der
Westseite des Krönungsaltars das Hochamt hält. Wir finden
dies auch ganz natürlich, da im entgegengesetzten Falle die
Feier teils auf der einen, teils auf der anderen Seite des Altars
hätte stattfindeu müssen. Aber wir fragen uns doch, wie mit
einem Schlage die alte Welt auf den Kopf gestellt werden
konnte. Nun, die Erklärung ist nicht schwer. Da der Altar ohne
Aufsatz war, so konnte er ohne weiteres von der einen Seite,
ebenso gut benutzt werden wie von der anderen. Seine für un¬
sere Begriffe beträchtliche Höhe ließ die Verwendung von Stufen
ratsam erscheinen, damit mittelgroßen Königen und Erzbischöfen
die Feier erleichtert würde. Wie J. Buchkremer im einzelnen
ausführt, befänden sich damals im Oktogon drei Altäre: in der
Mitte der Allerheiligenaltar seit 1076, vor dem östlichen Pfeiler
links der Petrusaltar, vor dem östlichen Pfeiler rechts — jedes¬
mal von der Mitte aus gerechnet — der Josephsaltar, beide
seit einer bisher noch nicht ermittelten Zeit. 2 Damit hatte das
Oktogon einen neuen Charakter angenommen; es war gewisser¬
maßen zu einem Kapellenraum geworden. Notgedrungen trug
man diesem Umstande Rechnung und nannte mit Rücksicht auf
die drei neuen Altäre das ganze Oktogon von jener Zeit an Chor.
') A. a. 0. 38(5. — *) ZdAGV 29, S. 93 und Grundriß.
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178
Eduard Teicbmann
So stehen wir plötzlich vor (1er neuen Tatsache, daß in der
karolingischen Pfalzkapelle, wahrscheinlich von der zweiten
Hälfte des 11. Jahrhunderts an, zwei verschiedene Räume mit
dem Worte Chor bezeichnet wurden: 1) das alte karolingische
Chörchen samt dem anstoßenden Raum des östlichen Umgangs
bis zum Marienaltar, 2) das ganze Oktogon, soweit es nicht
von Altären besetzt war. Dieses recht ungewöhnliche Verhältnis
hat nicht zum kleinsten Teil dazu beigetragen, die bisherigen
Forschungen nach der Lage von Ottos Grab zu verwirren.
Sämtliche mit dieser Frage zusammenhängenden geschichtlichen
Mitteilungen gelten jenem ersten oder ursprünglichen Chor; die
Mehrzahl der Forscher aber dachte an das zweite Chor. Ist
aber nicht die geschichtliche Tatsache des zweifachen Chores dazu
angetan, meine Ansicht über das Kaisergrab zu erschüttern?
Nicht im geringsten. So unveränderlich fest der Polarstern unter
den anderen Himmelskörpern steht, ebenso fest steht die Lage
des karolingischen Marienaltars, des ottonischen Grabes und des
über demselben thronenden Karlsschreins. Dieses Dreigestirn
schützt uns vor jeder Irrfahrt. Im Gegenteil, wir können beim
näheren Eingehen auf jene neue Tatsache noch einen wertvollen
Gewinn einheimsen.
Die Krönungsfeier Ottos I. vollzog sich, wie man sich er¬
innert, im Raume westlich vom Marienaltar; ob bei der Ge¬
legenheit ein besonderes Hochamt gehalten wurde, wissen wir
nicht. Da der Schauplatz der Krönungsfeier mit pone altare
(hinter dem Altar) bezeichnet wird, so haben wir hier zum
erstenmal erfahren, daß damals die gottesdienstlichen Hand¬
lungen gewöhnlich auf der östlichen Seite des Altars stattfanden.
Auch bei der Krönuugsfeier Rudolfs von Habsburg stehen alle
Mitwirkenden westlich vom Marienaltar; aber die Krönungsmesse
wird ebenfalls auf derselben westlichen Altarseite gelesen. Und
diese Messe ist eigens zu dem Zweck zusammengestellt worden.
Hieraus dürfen wir schließen, daß auch die späteren Krönungs-
feiern auf dieselbe Weise vor sich gingen, so lange der karo¬
lingische Marienaltar seinen ursprünglichen Platz behielt, und
daß ferner die Hochämter während desselben Zeitabschnittes
auf der Westseite jenes Altars gelesen wurden.
Wenn wir dagegen durch den um die Mitte des 13. Jahr¬
hunderts lebenden Mönch Ägidius von Orval erfahren, daß
Ottos TU. Leib ante altare sancle Marie ruhe, so haben wir uns
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
179
darunter die Ostseite des Marienaltars vorzustellen. Diese ur¬
alte Ortsangabe bleibt aber nur unter der Annahme erklärlich, daß
auf der Ostseite des Altars noch immer Gottesdienst gehalten d. h.
das h. Meßopfer dargebracht wurde. Was hat wohl die Aachener
Stiftsgeistlichen bewogen, viele Jahrhunderte hindurch an der
alten Sitte, wenn auch in etwas eingeschränktem Umfang, fest¬
zuhalten ?
Zunächst dürfte der Anfang des Brauches, d. i. das Jahr
936, nicht richtig sein; er wird auch nur deshalb von mir ge¬
nannt, weil er urkundlich belegt ist. Für die voraufgehende Zeit
fehlen geschichtliche Zeugnisse. Gleichwohl glaube ich keinen
Widerspruch zu finden, wenn ich die Behauptung aufstelle, jene
Sitte stamme aus der Zeit des großen Frankenkönigs. Die
Gründe psychologischer Art hierfür sind so schwerwiegend, daß
sie es vielleicht verdienen, öffentlich ausgesprochen zu werden.
Einzigartig war Karls Gotteshaus, einzigartig auch sein Kirchen¬
stuhl. Dieser war nämlich aus Marmor verfertigt wie die Säulen
der Pfalzkapelle. Seine einfachen, vornehmen Formen waren auf
den Ton des*Ganzen fein abgestimmt. Er erhielt einen aus¬
gesucht schönen Platz im oberen Umgang und gewährte einen
wunderbaren Blick auf Oktogon, Umgang und Chörchen. Karl
belegte ihn stillschweigend auf Lebenszeit und benutzte ihn bei
Tag und bei Nacht. Sein Kirchweg war ein eigens gebauter
Verbindungsgang zwischen der Pfalz und der Kapelle, ein eigen¬
artiges Sinnbild der Eintracht zwischen imperium und sacerdotiuw,
und führte ihn geradlinig, ohne irgend welche Steigung vom
Palast zum Marmorstuhl. Diesen Weg wird er ungemein oft ge¬
gangen sein; denm-an keinem Orte verweilte er so gern und so
oft wie in Aachen, und mit dem zunehmenden Alter verlängerte
sich sein Aufenthalt in dieser Stadt von Jahr zu Jahr. Es muß
aber auch ein hoher Genuß für den frommen Herrscher gewesen
sein, von der selbstgewählten Stelle aus dem Gottesdienste bei¬
zuwohnen und den amtierenden Diener des Allerhöchsten von
Angesicht zu Angesicht zu schauen. Ja. wenn wir alle Umstände
zusammenfassen, werden wir keinen Augenblick zögern zu sagen,
daß auf ausdrücklichen, wenn auch ungeschriebenen Wunsch
Karls der ehemalige Marienaltar seinen Platz im Umgänge erhielt,
damit der Geistliche während der Messe, die nach allgemeinem
Brauch in jener Zeit auf der östlichen Seite gelesen wurde,
dem Könige in gerader Linie, jedoch tiefer, gegenüberstand.
12 *
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180
Eduard Teicbmann
Im vorletzten Jahre seines Lebens führte der altersschwache
Kaiser seinen Sohn Ludwig zu seinem Lieblingsplatz in der
Hofkapelle und hieß ihn in der Nähe seines Kirchenstuhls sich
die Krone auf das Haupt setzen. Durch diese wiederum eigen¬
artige Handlung wurde der schlichte Marmorsessel zu der Würde
eines Königsthrones erhoben. Keiner von allen Nachfolgern
Karls hat Aachen so sehr geliebt wie er. Aber viele von ihnen
haben den schmucklosen Thron bestiegen, weil sie in dieser
Handlung den Abschluß der Weihe und die Vollendung der
Krönungsfeierlichkeiten erblickten.
Noch weiter gingen die Aachener Münstergeistlichen in der
Verehrung des Königs. Sie lasen auch nach seinem Tode die
Messe an der Ostseite seines Altars, vermutlich bis zum Jahre
1215 auch die Hochämter, dann aber nur die einfachen Messen,
gleichsam als ob der geliebte Herrscher noch immer droben auf
seinem gewohnten Sitze betete. So haben sie fast 600 Jahre
lang in stiller, unentwegt treuer Freundschaft Karls Andenken
bewahrt, und noch heute würden sie, daran zweifle ich keinen
Augenblick, dasselbe Beispiel der Dankbarkeit um! echter Treue
geben, wenn nicht die allmächtige Zeit das Alte zertrümmert
und an die Stelle desselben Neues gesetzt hätte. Nach diesen
Erörterungen wollen wir zu dem eigentlichen Chor zuriickkehren.
Die bisher gewonnene Einsicht in das Lageverhältnis des
Schreines und des Hochaltars zueinander erhält durch die
schon einmal erwähnte Urkunde vom 22. August 1331 eine
neue Stütze. Damals stifteten der Edelherr Gottfried von Eppen-
stein und seine Ehefrau (collateralis) Lorette ein Wachslicht,
das fortan täglich während des ganzen Hochamtes brennen und
retro feretrum sive capsam beati Karoli in choro heute Marie vir-
yinis gloriose versus ultare summum eiusdem virginis gloriose (vor
der Truhe oder dem Schrein des h. Karl im Chor der Lieb¬
frauenkirche nach dem Hochaltar derselben glorreichen Jungfrau
hin) aufgestellt werden sollte. 1 Hier sind wir auf wohlbekanntem
') Die ganze Stelle lautet: Candelam ceream conti »entern unam parvam
libram cere hone ad perpetuam rei memoriam singulis diebus itifra missarum
sol/cmpnia in altari summo heute Marie celebranda a principio usque ad
finem missarum ardentem et ponendam retro feretrum sive capsam beati
Karoli in choro beate Marie rirginis gloriose versus ultare summum eiusdem
virginis gloriose, ln gewohnter Liebenswürdigkeit teilt mir Herr Geheimer
Archivrat Dr. Th. Ilgen mit, daß jene Stelle bei Quix, Historische Bc-
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Zur Lago und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
181
Boden. (Figur I.) Es ist der östliche Umgang des Sechzehnecks,
der in seiner Mitte den alten Marienaltar, in seinem östlichen
Teile das Grab Ottos III. und den Karlsschrein enthielt. Amtlich
wird uns bezeugt, daß das letzte dieser drei Denkmäler im
ehemaligen Marienchor stand. Dort lag also auch das zweite
Denkmal oder Ottos Grab, und wir hatten recht, als wir oben
die geschichtlichen Meldungen, denen zufolge Otto III. in choro
bestattet worden sei, auf jene Stelle des Münsters bezogen.
Ein Zweifel daran, daß der östliche Umgang im Verein mit dem
angrenzenden karolingischen Chörchen im Mittelalter Chor hieß,
ist fortan nicht mehr möglich. Wo stand das Wachslicht? Da
es zusammen mit dem Marienaltar und unter Bezugnahme auf
denselben genannt wird, so kann es nicht weit entfernt oder
östlich vom Karlsschrein, sondern muß in der Nähe des Altars
oder westlich vom Schrein gestanden haben: retro ist also
wieder gleichbedeutend mit westlich. Diese Bezeichnung rührt
aber offenbar vom Marienaltar her und ist in gleichem Sinne
auf den Karlsschrein übertragen worden. So erkennen wir, daß
die Mitwirkenden bei der Anfertigung der Urkunde — Vogt,
Richter und Schöffen von Aachen — stillschweigend die Ostseite
des Marienaltars als die Vorderseite ansahen. Das war jedoch
nur möglich, wenn auf dieser Seite tatsächlich noch immer
gottesdienstliche Handlungen vorgenommen wurden. Welcher
Art waren sie? Nach dem Wortlaut der Urkunde ist das Wachs¬
licht dazu bestimmt, a principio usque ad ßnem missarum (vom
Anfang bis zum Ende der Messen) zu brennen, natürlich nur
der Messen, die am Marienaltar gehalten wurden. Nun ist aber
unter missa ohne jeglichen Zusatz eine einfache Messe oder
eine solche zu verstehen, die nur von einem Geistlichen gelesen
wird. Somit setzt die Urkunde die Tatsache voraus, daß im
Jahre 1331 an der Ostseite des Marienaltars das h. Meßopfer
in einfacher Form dargebracht wurde. Aus allem, was wir
bisher gesagt haben, folgern wir, daß in unserer lateinischen
Urkunde die Ortsangaben retro feretrum und versus altare summum
Schreibung der Münsterkirche S. 124 richtig wiedergegeben ist, im Codex
diplomaticus Nr. 1102 aber die Worte versus altare summum eiusdem virgiuis
gloriose fälschlich ausgelassen worden sind, daß ferner die Urkunde ab¬
schriftlich in dem Kopiar des Marienstifts im Staatsarchiv zu Düsseldorf
(Rep. u. Hs. 4 fol. 17° ff.) erhalten ist, und daß endlich die Abschrift von
einer Hand aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts herrührt.
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182
Eduard Teicbmann
einunddieselbe Richtung, nämlich die westliche, bezeichnen.
Wollen wir retro auf die heutigen Verhältnisse der Stiftskirche
übertragen, so müssen wir es in sein Gegenteil verkehren und
mit „vor“ übersetzen, wie es oben geschehen ist. 1
Wir nähern uns jetzt der Entscheidung. In der ältesten
Chordienstordnung des Münsterstifts 2 , die zwischen 1339 und
1351 verfaßt wurde 3 , findet sich unter den Ceremonien des
Gründonnerstags folgende Anweisung: Duo scolares vel tres
stantes ante altare beate Marie virginis cantent unum Kyrie eleison.
Duo sacerdotes stantes secus sepulchrum sancti Karoli cantent: Qui
passurus. 4 Zwei oder drei Scholaren sollen sich vor [östlich
von] dem Altar der h. Jungfrau aufstellen und ein Kyrie eleison
singen. Zw r ei Priester sollen neben dem Grabe des h. Karl
Aufstellung nehmen und singen: Qui passurus. Wie die Scholaren,
so stehen auch die beiden Geistlichen östlich vom karolingischen
Maiienaltar. (Figur I bei a.) In dem fraglichen Raume aber
befinden sich — man verzeihe mir diese nochmalige Wieder¬
holung — nur zwei Denkmäler: in der Erde das Grab Ottos III.;
über dem Boden und diesem Grabe der Karlsschrein. (Figur I
bei b.) Die bisherigen Benutzer der alten lateinischen Urkunde
wußten mit dem letzten der soeben angeführten Sätze nichts
anzufangen und behaupteten kurzweg, mit dem sepulchrum beali
Karoli könne nichts anderes als der Karlsschrein gemeint sein.
Dieser Auslegung aber widersprechen einhellig 1) die lateinische
Sprache im allgemeinen, 2) ebenso entschieden die Kirchen¬
sprache und 3) nicht minder endlich die Ausdrucksweise der
Chordienstordnung selbst. 1) Das Latein im allgemeinen; denn
die Wörterbücher des Lateins zur klassischen Zeit sowie im
Mittelalter (Georges, Du Gange, Diefenbach, Forcellini) lehren
übereinstimmend, daß sepidchrum im eigentlichen Wortsinn Grab,
') So gewiß der Karlsschreiu östlich vom Marienaltar stand, ebenso
gewiß deutet versus altare summutn eiusdetn virginis gloriose die westliche
Richtung an. Es gewinnt den Anschein, als ob dieser Zusatz mit Vorbedacht
gemacht worden ist, um einer Verwechslung mit dem Gebrauch des ante
und retro im entgegengesetzten Sinne vorzubeugen. — Vgl. ZdAGV 29,
S. 183.
a ) Ordinatio chori regalis ecclosire beatm Maria; virginis: Archiv des
Aachener Münsterstifts. Nr. 138 15. a.
3 ) Vgl. II. ßöckeler, Die Melodie des Aachener Weilmachtslicds:
ZdAGV 11, S. 176. — 4 ) Platt 22 Rückseite, erste Spalte.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
183
Grube bedeute; 1 2) die Kirchensprache; denn diese bezeichnet
den Schrein eines Heiligen stets mit capsa (capsisj oder feretrum,
wie wir es bisher mehrmals getroffen haben, zuletzt noch, wie
man sich erinnert, in der der Chordienstordnung fast gleichalterigen
Urkunde vom 22. August 1831; und 3) der Sprachgebrauch
dieser Ordnung gleichfalls; denn sie schreibt z. B. für die Cere-
monien des Karfreitags unter anderem folgendes vor: Et do¬
minus decanus cum hiis, qui ei senituri sunt ad altare, indutus
cappa stubit iuxta capsam sancti Karoli in dextro choro in oppo-
sita purte crucis * (und der Herr Dekan mit denen, die ihn am
Altar bedienen wollen, wird nach Anlegung des Chormantels
neben dem Schrein des h. Karl rechter Hand im Chor dem
Kreuze gegenüber stehen). Unerschütterlich ist also die Tatsache,
daß sepubhrum sancti Karoli das Grab im gewöhnlichen Sinne
des Wortes, das Erdgrab, bezeichnet, und wir können dem un¬
bekannten Verfasser des Buches nicht dankbar genug dafür
sein, daß er diese Wendung gebraucht und uns durch seinen
Stil die Möglichkeit gegeben hat, eine wichtige Tatsache der
letzten Ausgrabungen in ihrem vollen Wert zu erkennen. Streng
genommen hätte es allerdings heißen sollen: Das Grab Karls
des Großen vor der Heiligsprechung. Aber bis zu diesem Grad
der Genauigkeit geht man nur in streng wissenschaftlichen Ab¬
handlungen. Wer sich selbst einmal prüft, wird bald finden,
daß er unter gleichen Umständen auch den knappen und be¬
quemen Ausdruck der Chordienstordnung ohne Bedenken ver¬
wendet. 3
Jene lateinische Stelle ist ein vollgültiges Zeugnis dafür,
daß die Münstergeistlichen, was übrigens auch gar nicht anders
zu erwarten war, die Überlieferung von der Lage des karolin-
') Hinsichtlich des von Du Cnnge erklärten und belegten Ausdruckes
sepulchrum reliquiarumyg]. Müller und Mo thes, Illustriertes Archäologisches
Wörterbuch, Leipzig und Berlin 1877 unter „Reli<[uiengrab“ und V. Thal¬
hofer, Handbuch der katholischen Liturgik des Gesiuntwerkes Theolo¬
gische Bibliothek. 1. Band, Freiburg i. Br. 1883, S. 770.
*) Blatt 25 Vorderseite zweite Spalte.
s ) Wie gerne man vergangene Dinge vom Standpunkt der Gegen¬
wart statt vom Standpunkt der Vergangenheit beurteilt, das lehrt auch der
früher angeführte Satz über die Auffindung des Grabes Karls des Großen
durch Otto III.: ubi sancti Karoli ossa ipse prius invenit; denn im Jahre
1000 war Karl noch nicht heilig gesprochen worden.
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184
Eduard Teichmann
gischen Grabes bis ins 14. Jahrhundert hinein treu bewahrt
haben. Jene lateinische Stelle ist auch der lang gesuchte ur¬
kundliche Beleg für die Wahrheit meiner Ansicht über die
nahezu drei Meter tiefe Grube, und sie besiegelt gleichsam die
Echtheit des Zwei-Kaiser-Grabes; denn der Ort, an dem im
14. Jahrhundert nachweislich Ottos Leib bestattet war, heißt
sepulchrum sancti Karoli. Wir sind auf der Höhe unserer Dar¬
legungen angekommen. Hier wird der Indizienbeweis, der uns
bisher beschäftigt hat, durch den urkundlichen Beweis abgelöst.
Hier reichen sich Spaten und Chordienstordnung die Hand, um
zusammen eine wichtige Frage der Weltgeschichte zu lösen.
Nun ist endlich der Schleier von Karls Grab gefallen: Ottos
Schatten hat bisher die Forschung irre geführt und die Er¬
kenntnis der Wahrheit vereitelt. Ein jeder sagte sich: In dem
alten Chörchen oder in seiner Nähe hat Otto geruht; also
müssen wir Karls Grab anderswo suchen.
Es wird nun Zeit, daß ich einer Frage näher trete, die
sich nicht länger zurückdrängen läßt, der Frage nämlich, ob
ante altare hier wirklich die Ostseite bezeichne. Meiner Antwort
muß ich eine Bemerkung voraufschicken. An und für sich kann
man sich ganz gut denken, die Scholaren hätten westlich, die
Geistlichen östlich vom Altar und zugleich neben dem Grabe
gestanden. In Rouen war tatsächlich im 13. Jahrhundert eine
ähnliche Stellung üblich. Durch die Güte des Herrn Benediktiner¬
paters Gregor Böckeler in Maria-Laach habe ich Kenntnis von
folgender Stelle in Collette, Histoire du Breviaire de Rouen,
p. 128, d’apres le Brfeviaire de 1491, fol. 81 erhalten: Apres le
chant solennel du Benedictas, deux diacres se tenunt derriere l’autel
chantaient alternativement avec deux pretres du du cur, deux diacres
plads devant l’aigle et le choeur tout entier, cette curieuse litanie
que le rit romain via pas conservee :
„Kyrieleyson, Kyrieleyson, Kyrieleyson. — Domine, miserere;
Christus Dominus factus est obediens usque ad mortem;
Christeleyson. — Qui passurus advenisti propter nos;
Christeleyson. — Qui expansis in cruce manibus traxisti omnia
ad te saecula . . . . “ 1
') Loriquet, Etüde historiquc et liturgique .sur lc Ms. 904 du fonds
latin de la ßibliothequc nationale, S. 42 f. in dem Buche, das den (iesamt-
titel trägt: Le Oraduel de l’eglise catbedrale de Rouen au 13. si^cle.
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Zur Loge und Geschichte des Grabes Karls des Großen. 185
Was nun Aachen betrifft, so läßt sich mit mathematischer
Sicherheit dartun, daß in diesem Falle ante östlich bedeutet.
Die Anzahl der Mitwirkenden ist klein: 2 oder 3 Scholaren
und 2 Geistliche, im ganzen also 4 oder 5 Personen; sie sind
— das ist besonders wichtig — auf zwei Stellen verteilt; denn
jene halten sich ganz in der Nähe des Altars auf, diese etwas
östlich davon neben dem Grabe. Hei dieser Gruppierung der
Mitwirkenden war der Raum des östlichen Umganges völlig
ausreichend. Im gotischen Chor erhielt der Petrusaltar
der jetzige Hochaltar — im Jahre 1414 seinen Platz
am Ostende der Kirche. Damit war für das ganze Gottes¬
haus der Sinn der Worte ante und retro endgültig festge¬
legt; seit 1414 ist ante gleichbedeutend mit westlich, retro
mit östlich. In der jüngeren Chordienstordnung, die für das
gotische Chor zugeschnitten ist, lesen wir nun folgende Vorschrift
für den Gründonnerstag: Duo scholares vel tres stantes retro altare
in choro cautent unum Kyrie eleison. Duo sacerdotes, scilicet reitorcs
Sanrt(T Catharinau et Sanctorum Simonis et Juda’, stantes ibidem
cantent: Qui passurus. 1 (Zwei oder drei Scholaren sollen hinter
[östlich von] dem Altar im Chor Aufstellung nehmen und ein Kyrie
eleison singen. Zwei Priester, nämlich die Rektoren der Katlia-
rinenkapelle und des Simon-Juda-Altars, sollen sich ebendort
aufstellen und singen: Qui passurus.) Wie schon Buchkremer
erkannt hat, ist mit dem Altar im Chor der heutige Petrus¬
altar gemeint*, den man sich aber ohne den jetzigen Aufsatz
vorstellen muß. Somit standen im gotischen Chor die Diener der
Kirche östlich vom Hauptaltar und zugleich wegen des be¬
schränkten Raumes nahe beieinander. Bei dieser Wahrnehmung
regt sich sofort die Vermutung, daß die Münstergeistlichen die
gedachten Cereinonien im gotischen Chor unter genau denselben
Verhältnissen abwickeln wollten wie in dem ursprünglichen
Gotteshause, daß also beidemal die Mitwirkenden ihren Platz
Rouen, Leccrf 1907. — Ein anderer Beleg aus dein 13. Jahrhundert für
das Qui passurus findet sich bei Hoeynck, Geschichte der kirchlichen
Liturgie des Bistums Augsburg. Augsburg 1889, Huttler, S. 213. Für die
freundliche Mitteilung der wertvollen Belege spreche ich Herrn Benediktiner¬
pater Gregor Böckeler auch an dieser Stelle meinen Dank aus.
') Ordinatio chori rcgalis eccleshe beatm Maria- virginis. S. 31 Vor¬
derseite: Archiv des Aachener Münsterstifts Nr. 133 B.
*) ZdAGV 29, S. 186.
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ist;
Eduard Teiclinmnn
in dem engen Raume östlich von dem jeweiligen Hauptaltar
hatten, in alter Zeit östlich vom karolingischen Marienaltar,
seit dem Jahre 1414 östlich vom Petrusaltar.
In der Zwischenzeit, wo die jüngere Chordienstordnung 1
noch nicht ins Reine geschrieben war, bediente man sich des
alten Buches. Pa ist es von hohem Wert zu wissen, welche Ver¬
änderung in der Angabe des Standortes 2 vorgenommen wurde:
ante wurde durchgestrichen und retro darüber gesetzt; für das
ebenfalls gelöschte beate Marie virginis gelten fortan die über¬
geschriebenen Worte in choro. Pie Worte secus sepulchrum sancti
Karoli wurden durch einen wagerechten Strich getilgt, ohne
daß ein Ersatz für sie eingetreten wäre. Pie neue Anweisung
hat also folgenden Wortlaut: Duo scolares vel tres stauten retro
altare in choro ca nt ent unwn Kgrie eleison. Duo sacerdotes stantes
cantent: Qui passurus. Hier wird di«: Richtigkeit meiner Be¬
hauptungen bestätigt. Es können überhaupt nur zwei Möglich¬
keiten oder zwei einander entgegengesetzte Richtungen ante und
retro in Betracht kommen. Wäre nun ante für beide Chöre
gleichbedeutend gewesen, so hätte man es sicherlich in dem
alten Buche stehen lassen. Pie Verbesserung des ante in retro
ist also nur unter der Annahme erklärlich, daß das retro des
gotischen Chores denselben Sinn wie das ante im östlichen Um¬
gang hatte. Während man beim Durchstreichen und Überschreiben
gewöhnlich etwas Falsches durch etwas Richtiges ersetzt, wurde
hier ausnahmsweise eine Präposition durch eine andere abgelöst,
die eigentlich den entgegengesetzten Sinn hat, aber unter den
obwaltenden Ausnahmeumständen des Aachener Münsters dieselbe
Vorstellung ausdrüeken sollte. Aus den beiden gewonnenen
Gleichungen: 1) retro im gotischen Chor = östlich, 2) retro
im gotischen Chor = ante im östlichen Umgang ergibt sich die
dritte Gleichung: ante im östlichen Umgang = östlich. Aber
auch meine Hauptgleichung sepulchrum = Karls Grab wird un¬
widerleglich erhärtet. Östlich vom Petrusaltar und zugleich in
einiger Höhe über demselben prangte seit dem Jahre 1414 der
Karlsschrein. Hätte vor dem Jahre 1414 sepulchrum ihn und
nicht das Grab bezeichnet, so wäre doch nach dem Jahre 1414
') Sie trinkt «in Karfreitag nichts Neues für unsere Frage.
-) Der Standort der Geistlichen bleibt eigentlich unbczeiehnet, kann
aber nur derselbe wie der der Scholaren gewesen sein. Die jüngere Chor-
dieustordnung füllt die Lücke aus.
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Zur Lage uml Geschichte des Grabes Karls des Großen.
187
kein Anlaß vorhanden gewesen, die Worte secus sepulchrum
saticti Karoli in der älteren Chordienstordnung zu tilgen und
dann in der jüngeren fallen zu lassen. Die Erklärung dieser
zweifachen Veränderung ist ganz einfach: der Schrein war frei¬
lich an der neuen Stelle, aber nicht das Grab. Wenn wir alles
überblicken, müssen wir anerkennen, daß nach dem Umzuge die
Münstergeistlichen die alten Ceremonien mit größter geschicht¬
licher Treue fortgesetzt haben. 1
Ehe ich dieses Kapitel schließe, möchte ich noch die Frage
beantworten: Wie kann man Ottos Grab auch sepulchrum sandi
Karoli nennen? Nun, ich meine, wenn zwei Personen länger
als anderthalb Jahrhundert gleichsam wie in einer Familien¬
gruft beisammen geschlummert haben, dann darf man auch nach
unserem Sprachgebrauch das Grab nach Belieben bald als das
der einen, bald als das der anderen Person bezeichnen, und
dies nicht bloß für jenen Zeitraum, sondern für immer. Hierzu
tritt noch eine Erwägung geschichtlicher Art. Wer die über¬
aus mannigfachen Ceremonien, die in dem ziemlich dicken Fo¬
lianten der Chordienstordnung in sorgfältiger Schrift überliefert
sind und das ganze Kirchenjahr angehen, auch nur flüchtig
durchliest, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß das
Buch die Abschrift einer viel älteren Vorlage ist. Nach dem
Kirchenlexikon von Wetzer und Welte sind die in den Pfarr¬
kirchen üblichen Ceremonien der Karwoche länger als 1300
Jahre nachweisbar, und zwar fast in genau derselben Form, die sie
noch heute haben. Obschon nun gerade die betreffenden Cere¬
monien der Aachener Stiftskirche im 14. Jahrhundert eine Aus¬
nahme von der Regel bilden, insofern als sie nicht mehr im
römischen Ritus erhalten sind, so gleichen sie doch jenen hin¬
sichtlich ihres Ursprunges. Auch sie waren im 14. Jahrhundert
schon alt. Sie können sogar in die karolingische Zeit zurück-
') Am Gründonnerstag fand nach dem Hochamt, die symbolische Ab¬
waschung der Altäre statt, und die Cereiuonie begann mit dem karolin¬
gischen Marienaltar. Die Angabe der älteren Chordienstordnung ante altare
beate Marie oirginis ist in diesem Falle nicht durchgestrichen worden; ante
im karolingischen Chor stimmte also hier mit ante im gotischen Chor überein
und bedeutete westlich. Auf der Westseite geschah die Feier vermutlich
wegen der größeren Anzahl der Mitwirkenden und um der Übereinstimmung
willen mit den anderen Altären, bei denen die Ceremonien auf der Westseite
ausgeführt wurden.
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188
Eduard Teichraann
reichen. Nach dem Jahre 814 kann die Chordienstordnung: ge¬
lautet haben secus sepulchrum Karoli für den Gründonnerstag,
iuxta sepulchrum Karoli für den Karfreitag. Dann hätte man im
12., beziehungsweise im 13. Jahrhundert dort das zeitgemäße saucti
eingeschoben, liier <1 ie neue, aber ebenfalls zeitgemäße Wendung
iuxta capsam saucti Karoli bevorzugt. Wenn meine Vermutungen
richtig sind, so ist am Karfreitag die Ausdrucksweise geändert 1
und aus ehrerbietiger Rücksicht gegen den großen Franken-
könig die alte Anspielung auf sein Grab in die Chordienst¬
ordnung zu einer Zeit übernommen worden, wo die Worte ihren
treffenden Sinn eingebüßt hatten. Wer mit diesen Augen das
Schriftstück des 14. Jahrhunderts ansieht, für den verliert die
Stelle secus sepulchrum saucti Karoli das Befremdliche, das sic
anfänglich haben muß. 2
Die Münstergeistlichen jener Zeit wußten um das Zwei-
Kai ser-Grab. Jedesmal, wenn der Gründonnerstag herannahte,
erinnerte die Chordienstordnung sie an das ehemalige Grab des
Gründers der Kirche, und so oft mit dem 23. Januar das Jahr¬
gedächtnis Ottos III. wiederkehrte, lenkte die Notiz des Toten¬
buchs ihr Augenmerk auf die Ruhestätte dieses Kaisers in der¬
selben Gruft.
c) Der Karlsschrein seit 1414.
Durchgreifende Veränderungen brachte der Erweiterungs¬
bau, der 1353 begonnen und 1414, also in dem Jahr der sechs¬
hundertsten Wiederkehr des Todestages Karls des Großen ein¬
geweiht wurde. Das alte karolingische Chürchen verschwand;
das gotische Chor gab der ehrwürdigen Kirche neuen Glanz.
') Vielleicht war der Verfasser von der Überzeugung durchdrungen,
daß cs am Karfreitag nur ein einziges Grab gäbe, jenes Grab, an welchem
im Aachener Münster wie in den anderen Kirchen der Christenheit tiefernste
Ceremonieu stattfanden und das bezeichnender Weise in der ältern wie in
der jüngeren Chordieustordnung sepulchrum ohne irgend welchen Zusatz
heißt.
J ) Es sei hier, ich möchte sagen, in überflüssiger Weise noch bemerkt,
daß die Deutung des sepulchrum sandi Karoli auf den Proserpiuasarg an
der südöstlichen .Mauer des Seehzehnecks (Figur I bei d) sieh durch das Lage-
Verhältnis von Altar und Sarg verbietet. Daß aber dort der Sarg schon vor
1389 aufgestellt war, hat ,1. ßuehk reiner in ZdAGV 29, S. 106 dar¬
getan.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
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Es nahm an seinem östlichen Ende den heute noch bestehenden
Petrusaltar, an seinem westlichen Ende als Ersatz des nieder¬
gelegten karolingischen Marienaltars den neuen Marienaltar auf.
Eigentlich hatte der Karlsschrein ein wohlerworbenes Anrecht
auf die Stelle hinter diesem Altar, allein sie war schon dem
Marienschrein zugewiesen worden. 1 Indem Wettbewerb beider
Prachttruhen um die Gunst der Gläubigen hatte der 1288 voll¬
endete Marienschrein nicht nur durch seine Schönheit, sondern
auch durch seinen Inhalt — er hütete die vier großen Re¬
liquien — über den Karlsschrein den Sieg davon getragen,
und seine Beliebtheit wuchs mit dem steigenden Glanz der
Heiligtumsfahrteu noch von Jahrhundert zu Jahrhundert. Je mehr
er aber das Herz der Pilger gewann, desto mehr büßte der
Karlsschrein an Ansehen ein. Er mußte sich mit dem bescheidenen
Platz über dem Petrusaltar begnügen 2 , wurde aber dort auf
einem Gerüst so aufgestellt, daß die Wallfahrer unter der Truhe
hergehen konnten.
Ottos Sarg wurde aus der 2,80 m tiefen Gruft gehoben
und im gotischen Chor da eingesenkt, wo er noch heute steht. 3
Er wurde waluscheinlich beim Hochziehen an seiner nördlichen
Längswand zerbrochen und dann, wie Herr Regierungsbaumeister
Schmidt bei den Ausgrabungen festgestellt hat, durch Ver¬
setzen der einzelnen Bruchteile in Mörtel auf dem Boden der
jetzigen Grube wieder zusammengefügt. Einfache Steinfiiesen,
in allem dem sonstigen Bodenbelag gleich, deckten die Stelle
des Zwei-Kaiser-Grabes zu. Sie bildete fortan einen Teil des
beim täglichen Gottesdienst benutzten Raumes und war jeder¬
mann zugänglich. Aus den Augen, aus dem Sinn. Hierzu kam,
daß die Chordienstordnung, die eigens für das gotische Chor
geschrieben worden war, keine Silbe mehr von Karls Grab
brachte. Es dauerte nicht lange, und die Geschichte der wich¬
tigsten Stelle im Münster fiel allgemeiner Vergessenheit anheim.
Nur der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, daß der
Karlsschrein im Jahre 1788 in der Sakristei und in der zweiten
0 Es ist nicht überliefert, wo der Marienschrein vorher aufgestellt
worden war. Eine Vermutung werde ich unten (S. 200) aussprecheu.
*) Vgl. J. Buch krem er, Zur Baugeschichte des Aachener Münsters:
ZdAGV 22, S. 234.
3 ) Vgl. ZdAGV 29, S. 193—194. — Am 13. Oktober 1910 wurde das
Grab geöffnet.
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Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Ungarischen Kapelle auf¬
gestellt wurde, wo er eine Glanznummer unter den Kunstwerken
der berühmten Schatzkammer bildet. 1
4. Der Proserpinasarg.
Hinsichtlich der Geschichte dieses antiken Kunstwerks bis
zum Jahre 814 sind wir auf Vermutungen angewiesen. Wahr¬
scheinlich ist der Marmorsarg während der Regierungszeit Karls
des Großen nach Aachen gekommen und hatte damals, als er
die Leiche des Kaisers aufnahm, auch einen Deckel. Dieser ist
dann später zu einer nicht bekannten Zeit zertrümmert worden,
vielleicht im Jahre 1165, als die Arbeiter aus Unkenntnis des
zweistöckigen Grabes die Gebeine Karls in größerer Tiefe ver¬
muteten, als sie wirklich lagen, und infolgedessen mit Hacke
und Schaufel nicht vorsichtig genug umgingen. Auf die Wand¬
nische, die in späterer Zeit als Standort des Sarges bezeugt
wird, hat der ungenannte Interpolator Ademars die erste An¬
spielung gemacht. (Figur I bei d.) Die im übrigen wertlose
Stelle 2 lautet in deutscher Übersetzung 3 etwa folgendermaßen:
„In diesen Tagen wurde der Kaiser Otto durch einen Traum
ermahnt, den Körper des Kaisers Karls des Großen, der zu
Aachen begraben lag, zu erheben. Da aber die verflossene Zeit
die Erinnerung verwischt hatte, wußte man die Stelle nicht
mehr, an der er ruhte. Nach dreitägigem Fasten wurde er an
dem Orte gefunden, den der Kaiser durch eine Vision erfahren
hatte, sitzend auf einem goldenen Thron in einer gewölbten
Höhlung innerhalb der Marienkirche, geschmückt mit einer
Krone von Gold und Edelsteinen, haltend Szepter und Schwert
aus reinstem Golde, und der Körper selbst wurde unverwest
(incormptum) gefunden. Man erhob ihn und zeigte ihn den
Völkern. Ein gewisser Kanonikus Adalbert, ein Mann von un¬
geheuer großem und schlankem Wuchs, setzte sich die Krone
auf das Haupt, um ihren Umfang zu ermessen; da zeigte sich,
daß sein Schädel kleiner war, da die Krone durch ihren Umfang
die Kopfweite übertraf. Als er auch seinen Schenkel an dem
') Über die verschiedenen Eröffnungen des Knrlsschreius vgl. ZdAGV
92, 8. 209 -214. — *) MG. SS. 4, 130.
*) Hierbei habe ich Lindncrs Übertragung in ZdAGV 14, S. 140
benutzt.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
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des Königs maß, erwies sich der seinige als kürzer, und er
wurde ihm augenblicklich durch göttliche Kraft gebrochen; ob¬
gleich er noch vierzig Jahre lebte, blieb er immer geschwächt.
Der Körper Karls aber wurde im rechten Teile der Kirche
hinter dem Altar des h. Johannes des Täufers beigesetzt, und
eine goldene, wundervolle Krypta darüber gebaut. Er fing an,
durch viele Wunder und Zeichen berühmt zu werden. Doch
wird kein besonderer Gottesdienst ihm zu Ehren (de ipso) ge¬
halten außer nach allgemeinem Brauch das Jahrgedächtnis der
Toten. Den goldenen Thron desselben schickte der Kaiser Otto
dem Könige Boleslaw für Reliquien des h. Märtyrers Adalbert.
Der König Boleslaw aber schickte, nachdem er das Geschenk
erhalten hatte, von dem Körper dieses Heiligen dem Kaiser
einen Arm, den der Kaiser freudig empfing. Er baute zu Ehren
des h. Märtyrers Adalbert zu Aachen eine herrliche Basilika
und begründete dort eine religiöse Genossenschaft von Mägden
Gottes. Und er baute ein anderes Kloster in Rom zu Ehren
desselben Mäityrers“. 1
Wir wollen nun, soweit es möglich ist, die Quellen der ab¬
sonderlichen Meldung aufspüren, um auf diese Weise einen
Blick in die geistige Werkstätte des französischen Mönches
zu tun.
1) Mahnung im Schlafe, Karls Leib zu erheben; dreitägige
Bußübung; Auffindung der im Traumgesicht geschauten Stelle.
Nur die Gebeine der Heiligen erhebt man. Mit einem Schlage
werden wir in die Zeit Barbarossas versetzt; denn aus dem
Haupte dieses Kaisers ist die Vorstellung eines heiligen Karl
entsprungen. Wenn ich nicht irre, wissen nur zwei Schriftstücke
des 12. Jahrhunderts von einer wunderbaren Auffindung des
Grabes im Aachener Münster, Grund genug, um die Abhängig¬
keit des einen von dem anderen zu behaupten. Zuerst ließ Kaiser
Friedrich I. in dem Privileg vom 8. Januar 1166 erklären, nur
durch eine göttliche Offenbarung (divina revelatione) sei ihm die
Auffindung von Karls Grab gelungen. * Das war eines der vielen
Knnstmittel, durch die Kaiser Rotbart für seinen Lieblings-
') Wortlaut des letzten Satzes: Aliud ipioque monasterium Romae con-
utruxit in honore ipsius mnrtiris. Dieser für das Verständnis des Ganzen
wichtige Schlußsatz fehlt in ZdAQV 29, S. 143 A. 3.
’) G. Rauschen, Die Legende Karls des Großen im 11. und 12. Jahr¬
hundert. Leipzig 1890. S. 155, »i.
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Eduard Teichmann
gedanken, die Heiligkeit Karls des Großen, Stimmung zu machen
suchte. Die Mär griff der wundersüchtige Interpolator auf und
setzte sie in die damals beliebte dreistufige Tonart der er¬
fundenen Wundergeschichten um: Aufforderung im Schlafe; Fasten;
Verwirklichung der Vision. 1 So hat er die Eröffnung des Grabes
im Jahre 1000 und die Erhebung der Gebeine im Jahre 1165
zu einer Handlung vereinigt und diese mit Otto III. verknüpft.
Die eigene Zutat vctustate obliterante verrät Armut an Phan¬
tasie; denn dieser Erklärungsgrund paßt zu dem billigen Grabe
eines schlichten Menschenkindes, nie und nimmer aber zu der
fürstlichen Gruft, welche die sogleich folgenden Zeilen beschreiben
wollen.
2) Der Kaiser auf dem Thron in der Totengruft. Den Stoff
lieferte Ademar von Chabannes.
3) Die Vorzeigung der Gebeine in Gegenwart der Völker.
So gewiß die Besichtigung der Leiche Karls durch Otto III.
im kleinsten Kreise geschah, ebenso gewiß war Friedrich I.
bestrebt, durch eine große Anzahl von Teilnehmern das Fest
der Erhebung der Gebeine zu einer hochfeierlichen Handlung
zu gestalten. Folgenden Satz seines oben erwähnten Privilegs
[corpus] cum magna frequentia principum et copiosa multitudhie
cleri et populi . . . elevavimus et exaltavimus 2 hat der Interpo¬
lator bei der Übernahme gekürzt und zugleich vergröbert.
4) Das Einschiebsel betreffend den Aachener Kanonikus Adal¬
bert. Der leichtsinnige Adalbert kurz vor dem Märtyrer desselben
Namens! Ist dies das Werk des Zufalls oder das Kind neckischen
Übermuts? Das Geschichtchen soll die Hünengestalt des Franken¬
königs, eine echt volkstümliche Vorstellung, durch zwei Scenen
mit drastischer Lebendigkeit schildern. Das Ganze erinnert an
die tollen Späße, welche die Paladine Karls des Großen auf
seinem sagenhaften Zuge nach dem Morgenlande in Konstanti¬
nopel erzählen, um sich die Zeit zu vertreiben. 3 Die überaus
harte Bestrafung des vorwitzigen Geistlichen ist vielleicht durch
die Geschichte jenes anderen Aachener Kanonikus hervorgerufen
') Belege in der Vita Karoli Magni und in der Descriptio bei Hau scheu.
— Absichtlich sind üben im Abschnitt B 3a das Privileg und die Stelle des
Interpolators ausgelassen worden.
ä ) Bei Rauschen a. a. 0. 155, m— eo.
s ) G. Thurau, Karls des Großen Reise nach Jerusalem und Konstan-
tinopcl. 5. Auflage. Leipzig 1907. Vers 494 ff.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Grotten.
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worden, der laut, Vita Karoli Magni sich in die Pfalzkapellc
einsclileiclit, vor dem Bilde Karls des Großen einschläft und
dafür eines jähen Todes stirbt. 1
5) Anderweitige Beisetzung des Königs. Eine zweite Be¬
erdigung Karls hat nicht stattgefunden. Hatte Otto III. Anlaß,
sie vorzunehmen? Oder ein Recht? Nicht einmal Lust. Alles,
was er in seiner kindischen, krankhaften Neugierde wollte, war
zu wissen, wie sein mächtiger Vorgänger wohl aussehen möchte.
Auch die Schlußworte Thietmars „Er legte das übrige mit
Verehrung zurück“ bedeuten meines Erachtens, daß im Grabe
und im Sarge alles beim alten blieb. Von einer Umsargung
Karls im Jahre 1002 ist keine Kunde auf uns gekommen. Im
Gegenteil, die Anuales Colonienses maximi sagen gelegentlich
der Heiligsprechung Karls klar und deutlich, daß sein Leib
352 Jahre in dem Sarge gelegen habe. Diese Worte schließen
eine Umsargung im Jahre 1000 oder 1002 ein für allemal ans.
Der Vorgang, der vom Interpolator erzählt wird, muß der Re¬
gierungszeit Friedrichs I. angehören und kann nur der Über¬
tragung des leeren Proserpinasarges gelten. Ihn als eine Er¬
findung zu bezeichnen, das ist angesichts der späteren Meldungen
nicht angängig. Der Umstand, daß die Quelle unbekannt ist,
erhöht nur noch den Wert des Satzes für die Geschichte des
Aachener Münsters. Freilich stand ein Johannesaltar nicht am
nächstgelegenen Pfeiler, sondern an dem entfernteren südwest¬
lichen Pfeiler des Oktogons; auch war er dem Evangelisten
Johannes geweiht, während der Altar des h. Johannes des Täufers
sich genau über jenem im Hochmünster befand. 2 Aber diese
Ungenauigkeiten fallen nicht in die Wagschale gegenüber der
Tatsache, daß das angedeutete Denkmal an der südöstlichen
Wand des Sechzehnecks in späteren Jahrhunderten einwandfrei
bezeugt wird.
') Bei Rauschen a. a. ()., S. 90, u —91, 7.
J ) Vgl. J. Buclik reiner in ZtlAGV 29, S. 14(>. Die rechte oder Evan-
gclicu-Seite der ehemaligen Pfalzkapelle war die südliche Hälfte. Man ging
also von einer falschen Voraussetzung aus, als man nach der Mitte des vo¬
rigen Jahrhunderts auf Grund der Handschrift Nr. 2(53 der Vaticana und
unter Berufung auf die Worte des Interpolators in drxlro membro batrilicae
Karls Grab in der ehemaligen Xgidiuskapelle am Chorusplatz suchte. Man
hätte die Nachforschungen auf den Münsterplatz richten sollen. Freilich wäre
das der Anfang vom Ende der Theorie gewesen.
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Eduard Teichmann
6) Wunder und kirchliche Ehrung. Zu der wunderbaren
Bestrafung des erdichteten Kanonikus Adalbert nun die Wunder
in der Nähe der Gebeine! So oft auch der karolingische Sagen¬
kreis Wunder auftischt, die Gott seinem bevorzugten Helden
zuliebe angeblich wirkt, immer geschehen sie zu Lebzeiten des
Glaubensstreiters. Der Vita Karoli Magni 1 und dem Interpolator
war es Vorbehalten, solche Wunder zu erfinden, die nach dem
Tode des Herrschers sich ereignet haben sollen. Der unbekannte
Mönch übertrumpft noch seine Vorlage, indem er den Anfang
der übernatürlichen Zeichen in die Zeit Ottos III. zurückdatiert.
Das ist eine Kühnheit sondergleichen, aber im Grunde genommen
die Folge seines Systems. In ganz eigentümlichem Licht erscheint
uns die Fälschung, wenn wir den Satz „Doch wird kein beson¬
derer Gottesdienst ihm zu Ehren gehalten außer nach allge¬
meinem Brauch das Jahrgedächtnis der Toten“ näher betrachten.
So schreibt man nur zu einer Zeit, wo schon eigene Meßgebete
für den h. Karl zusammengestellt worden sind. Vor der Heilig¬
sprechung aber konnte ein solcher Gedanke nicht auftauchen.
Wenn wir uns nun erinnern, daß Gaufredus de Bruil nach der
Erhebung der Gebeine berichtet: „Von da an wird mit Gut¬
heißung des Cülner Metropolitans zu Aachen eine Feier inbetreff
desselben rechtgläubigen, erlauchten Herrschers gehalten wie
hinsichtlich eines Heiligen, während sie vorher nur diejenige
eines verstorbenen Gläubigen war“, so erkennen wir sofort zwei¬
erlei: 1) Der französische Mönch hat Gaufredus de Bruil be¬
nutzt, folglich nach ihm oder, anders gesagt, nach 1184 ge¬
schrieben ; 2) er hat die Vorlage so umgeformt, daß sie für die
Zeit Ottos III. paßte, damit seine lichtscheue Tätigkeit un-
entdeckt bliebe. Schon lange haben wir eingesehen, daß die
Sorge um geschichtliche Wahrheit bei ihm ganz im Hintergründe
stand.
7) Austausch des goldenen Thrones gegen einen Arm des
h. Adalbert und fromme Stiftungen. Seiner gewissenlosen Ge¬
schichtsklitterung setzte der Interpolator in den letzten Sätzen
des in Rede stehenden Abschnittes die Krone auf. Es sei mir
gestattet, das mit Humor gewürzte Urteil Lindners 2 zu wieder¬
holen: „Der goldene Thron wurde also an den König Boleslaw
') Bei Rausehen a. a. 0. S. 90—92.
*) ZilAGV 14, S. 160—161.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
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von Polen gesandt! König war der damals freilich noch nicht,
sondern nur Herzog; doch das tut nichts. Leider hat Otto für
das kostbare Geschenk schlechten Dank geerntet. Boleslaw oder
seine Nachfolger müssen den Thron anders verwendet haben;
denn keine Spur blieb von ihm übrig. Nicht einmal eine Er¬
innerung daran hielt sich in Polen. Außer unserm Gewährsmann
scheint überhaupt niemand etwas von der Sache gewußt zu
haben. Daß die deutschen Chronisten von den Vorgängen, die
für das Reich nicht gerade ehrenvoll gewesen wären, schweigen,
könnte allerdings nicht zu sehr wundernehmen. Aber die spä¬
teren polnischen Geschichtschreiber von Martinus Gallus ab
bis auf Dlugoss wissen ganz ausführlichen Bescheid über die
Gnesener Zusammenkunft des Kaisers mit dem Polenfürsten,
dem dort angeblich die Königskrone erteilt worden sei. Sie be¬
richten auch von den in Gnesen ausgetauschten Geschenken:
Otto gab dem Polen einen Nagel vom Kreuze Christi und die
Lanze des heiligen Mauritius und empfing dafür einen Arm
des h. Adalbert. Von letzterem weiß der Interpolator auch. Er
kennt nur nicht die Fahrt nach Gnesen, sondern läßt Boleslaw
den Arm nach Aachen schicken, und daraufhin schickt ihm Otto
als Gegengabe den goldenen Thron Karls. Sonst scheint es mit
dem Arme seine Richtigkeit zu haben, nur daß er nicht, wie
der Intel polator behauptet, seine Stätte in Aachen erhielt. Er
wurde vielmehr niedergelegt zu Rom in der von Otto dem Mär¬
tyrer zu Ehren errichteten Basilika, welche später auf den
h. Bartholomäus umgetauft wurde.“ Da der Iuterpolator den
Arm nach Aachen kommen ließ, mußte er auch jene Adalberts¬
kathedrale von Rom nach Aachen verlegen, also nachträglich
— das ist der Schluß der Fälschung — einen Aufbewahrungs¬
ort für die Reliquie schaffen. Um aber der Stadt Rom einen
kleinen Ersatz für die geraubte Kirche zu gewähren, läßt er
Otto III. dort im Anschluß an die Stiftung des Benedikt,inerinnen-
klosters auf dem Salvatorberg ein Kloster zu Ehren des h. Adalbert
errichten.
Der einzige Gewinn, den wir aus der trüben Quelle der
Fälschung schöpfen, ist die Nachricht, daß nach der Heilig¬
sprechung Karls, möglicherweise auf Wunsch Barbarossas, der
Sarg in der rechten Hälfte der Kirche in einer Art Krypta
aufbewahrt wurde. In kürzester Entfernung von seinem bisherigen
Standort wurde er an der südöstlichen Mauer des Sechzehnecks
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zwischen zwei Wandpfeilern und in einiger Höhe über dem Fu߬
boden so aufgestellt, daß er den Verkehr im Umgang nicht
hinderte und diejenige seiner Längsseiten dem Oktogon zukehrte,
die allein von Relieffiguren belebt ist. Die Liebe zu Karl dem
Großen siegte über alle Bedenken, welche durch die unkirch¬
lichen Gestalten der vermeintlichen Jagdgesellschaft auf der
Längsseite erregt wurden, und so bot man, allerdings in einem
willkommenen Halbdunkel, die heidnische Scene dem Anblick
der frommen Kirchenbesucher dar. Ein Gitter schützte den
Sarg. Die Geschichte dieser Memorie Karls des Großen, wie
das Denkmal treffend genannt worden ist, hat J. Bucli-
k remer so gründlich behandelt 1 , daß ich mich darauf beschränken
kann, einige Einzelheiten herauszugreifen und die Frage zu
beantworten, ob nicht die einschlägigen Berichte meiner Ansicht
von dem Grabe Karls widersprechen.
Petrarca, der im Jahre 1338 die Pfalzkapelle, „den mar¬
mornen Tempel“, besuchte, gedenkt besonders des Sarges, der
noch immer den heidnischen Völkern Furcht einjage. Von der
Grabstätte meldet er nichts. In dem Bericht über den Besuch,
den im Anfang des 15. Jahrhunderts der Humanist Jean de
Montreuil Aachen abstattete, erzählt dieser, daß die Einwohner
den Sarkophag sowie das Haupt und Schwert Karls des Großen
höher schätzten als die Briten ihren Arthur und vor dem Jüngsten
Gericht die Wiederkehr ihres geliebten Herrschers erwarteten.
Wiederum wird das Grab mit Stillschweigen übergangen.
Ehe wir nun die jüngeren Zeugnisse aufzählen, müssen wir
uns kurz die Verhältnisse im Münster vor und nach 1414 ver¬
gegenwärtigen. Vor jenem Zeitpunkt war noch im Zwei-Kaiser-
Grab der Sarg mit den sterblichen Resten Ottos III.; damals
stand schon an der südöstlichen Wand das Denkmal. Nach 1414
war das Grab endgültig aufgegeben worden und verschwunden,
so daß einzig und allein das Wanddenkmal blieb. (Figur I bei
d.) Der bayrische Geschichtschreiber Aventin (1477—1534)
meldet, das Grab Karls werde ehrfurchtsvoll besucht und ge¬
zeigt (eins sepulchrum reverenier aditur atque monstrari solet).
Da nicht feststeht, ob Aventin Aachen besucht hat, so können
wir auch nicht wissen, ob der ausgehobene Satz etwas bringt,
was der Verfasser sich bloß gedacht hat, oder etwas, was er
') Z<lA(iV 29, S. 105-121.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
197
selbst erlebt hat. Wir wollen jedoch annehmen, daß das letztere
der Fall sei. Dann kann sein sepulchruin nicht dasselbe ans¬
drücken wie das sepulchruin der ältesten Chordienstordnung. Wer
das bestreitet, der möge Antwort auf folgende Frage geben:
Wie kommt es, daß der Fremde Aventin im ersten Drittel des
16. Jahrhunderts hei einem einmaligen Besuch des Münsters
Karls Grab wirklich gesehen hat, während am Ende desselben
und im Anfang des 17. Jahrhunderts dem Aachener Kanonikus
ä Beeck, der jenes Denkmal aus jahrelanger Anschauung kannte
und obendrein die Geschichte der Stadt und der Liebfrauen¬
kirche mit Karls Grab schrieb, das wahre Wesen des Wand¬
denkmals verborgen geblieben ist? So wenig ein Katholik in
den Stationsbildern die wirklichen Schauplätze und die wirklichen
Personen der Leidensgeschichte erblickt, ebensowenig hielt ä Beeck
das Wanddenkmal für das wirkliche Grab. Ja, er ging noch
einen Schritt weiter als wir und legte dem Proserpinasarg,
vermutlich wegen des Mangels eines Deckels, nur einen aus-
schmiickenden, nebensächlichen Wert bei. Abweichend von dem
amtlichen sepulchruin des 14. Jahrhunderts kann Aventins se-
pulchrnm bloß eine imitatio sepulchri, ein Ersatz des eigent¬
lichen Grabes sein.
Der ausführliche und leidlich genaue Bericht, den Autonio
de Beatis in seiner Eigenschaft als Sekretär von der Reise des
Kardinals L. da Aragona im Jahre 1517 verfaßt hat, lautet an
der uns interessierenden Stelle: „Hier [in der Marienkirche] ist
sein Körper niedergelegt unter einem kleinen Bogen innerhalb
der Mauer an der rechten Seite des Hochaltars in einem Mar¬
morsarge . . . und er [Karl] steht als Relief auf dem genannten
Sarge, in der einen Hand ein Kreuz und in der anderen den
Reichsapfel haltend. Ich halte es für Holz; wie mir aber be¬
richtet wurde, wäre es kein natürliches.“ Abgesehen davon,
daß seit dem Bestehen des gotischen Chors das Denkmal nicht
auf der rechten, sondern auf der linken Seite des Hochaltars
stand, leidet der Reisebericht an einem schlimmen Fehler:
wahrscheinlich infolge eines Mißverständnisses der Worte des
Aachener Führers hat sich bei den italienischen Herren die
Meinung gebildet, in dem Sarge ruhe noch Karls sterbliche
Hülle. Jedenfalls hat dieses Versehen ihr Interesse noch ge¬
steigert und sie für die Aufnahme der uns sehr willkommenen
Einzelheiten besonders empfänglich gemacht. Aber der Grund-
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irrtum ist doch so schwerwiegend, daß wir in der Grabfrage
dem Antonio de Beatis das Stimmrecht nicht erteilen können.
In dem Bericht über den Besuch, den Giovanni Commen-
done, Bischof von Zante, im Jahre 1561 Aachen und der Ma¬
rienkirche machte, heißt es: „In dieser Kirche ist das Grab
Karls des Großen und sein Leib, der sich zuerst in einem mar¬
mornen Behälter mit antiken Figuren befand; jetzt ist der Leib
aber in einem silbernen Schrein über dem Hochaltar“. 1 Über
die Lage der Grabstätte verlautet nichts.
Was endlich die Eintragung in den Protokollen des Stifts¬
kapitels vom 20. Juli 1668 angeht, so wird die Ausdrucksweise
delineationem sepulchri sancti Caroli Magni durch die einige Tage
jüngere Notiz derselben Urkunde sculpturam monumenti Curoli
Magni klargestellt. Das „Grab“ war nichts anderes als die so¬
genannte Memorie. 2
Im Jahre 1788 wurde die Anlage abgebrochen. Den Sarg
schleppten die Franzosen im Oktober 1794 nach Paris. 3 Seit
seiner Rückkehr wird er im oberen Geschoß der Nikolauskapelle
auf bewahrt. 4
5. Die Fabel von dem Thron in der Gruft.
Der Ausdruck in solio regio, den der ernste und wahrheits¬
liebende, aber sprachlich unbeholfene Thietmar verwendet 5 , hat
bis in unsere Tage hinein die merkwürdigsten Folgen gehabt.
Solium bedeutet in erster Linie Thron, und so ist das Wort
auch meistens verstanden worden. Kurze Zeit nach Thietmar,
noch in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, haben Ademar
*) L. von Pastor, Eine ungedruekte Beschreibung der Reichsstadt
Aachen aus dem Jahre 1561, verfaßt von dem Italiener Fulgenzio Ruggieri:
ZdAGV 36, S. 99—110. Ein Sonderabdruck des Aufsatzes wurde bei der
Karlsfeier 1914 im Aachener Rathaus als Festgabe des Aachener Geschichts-
vercins verteilt.
2 ) Weitere Einzelheiten bei J. Buchkrcmer in ZdAGV 29, S. 117
und 118.
3 ) W. Brüning, Handschriftliche Chronik. 1770 — 1796: Aus Aachens
Vorzeit II, S. 60.
*) Der früher erhobene Einwand, daß der Proscrpinasurg zu gut er¬
halten wäre, um Jahrhunderte lang in der Erde gelegen zu haben, ist durch
N. von Schwartzcnberg entkräftet worden. Vgl. Aus Aachens Vorzeit
20, S. 256. — s ) Thietmari Chronicon, MG. SS. 3, 781.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
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von Cliabannes in Angouleme in seinem Gesdiichtswerk und
bald nachher Graf Otto von Lomello in der Chronik des
Klosters Novalese in Norditalien das Märchen von dem auf
einem Throne sitzenden, toten Kaiser Karl geschmiedet Wahr¬
scheinlich ist dies unter dem Einfluß jenes soliuni geschehen.
Zwar sind bis jetzt keine Beziehungen zwischen dem genannten
Kloster und Angouleme einerseits und Merseburg anderseits
aufgedeckt worden, aber das kann kein ausschlaggebender Grund
sein, um solche Beziehungen kurzerhand abzulehnen. Als in den
Jahren 1588 und 1594 der Franzose Pithou die Chronik von
Novalese veröffentlichte und auf diese Weise die Fabel von
Karls Bestattung auch nach Aachen kam, fand sie eine be¬
geisterte Aufnahme. Hier war nämlich seit der Vollendung des
gotischen Chors im Jahre 1414 die letzte Spur des wirklichen
Grabes aus den Augen verschwunden und allmählich jede Er¬
innerung an die so wertvolle Ruhestätte untergegangen. Die
einzigartige Vorstellung von dem Monarchen, der mitten in der
Grabesnacht noch die Wonnen des Thrones zu verkosten scheint,
war so verführerisch und gewann bald eine solche Macht über
die Gemüter, daß die Urteilskraft völlig mit Blindheit geschlagen
wurde und den schneidenden Hohn auf die menschliche Natur
gar nicht merkte. Wie anders soll man sich den krassen Wider¬
spruch zwischen der Wirklichkeit und der Dichtung erklären?
An der südöstlichen Innenwand des Umgangs stand noch der
Proserpinasarg, der letzte Zeuge der Erdbestattung, und trotz¬
dem sollte der tote Karl in der Gruft auf einem Thron gesessen
haben! Ohne sich des handgreiflichen Widersinns bewußt zu
werden, ließ man den Sarkophag an seiner Stelle ruhig weiter
stehen. Peter ä Beeck, der erste Aachener Lokalgeschicht¬
schreiber, hielt das Märchen für Wahrheit, weil der Kardinal
Baronius es irrtümlicherweise für einen Bericht Thegans, des
Verfassers der Lebensbeschreibung Ludwigs des Frommen, aus¬
gegeben hatte. Er ging dann noch einen Schritt weiter und
erfand kühn die Angabe, daß der Proserpinasarg ehemals das
Denkmal über der Grabeskammer gekrönt hätte. Da er sich ge¬
zwungen sah, die Oktogonmitte für die einzig mögliche Stätte
der Kaisergruft anzunehmen, so suchte er und fand auch bald
ein äußeres Merkmal der Echtheit des Grabmärchens; denn
„im Viereck liegende, weißere Steine“ waren nach ihm die
stummen Zeugen einer uralten Überlieferung. Hier müssen wir
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200
Eduard Teichmauti
eine Bemerkung einflechten. Die Behauptung, daß jene weißeren
Steine von den Grundmauern des ehemaligen Allerheiligenaltars
herrührten, ist als nicht stichhaltig abgewiesen worden. 1 Ver¬
mutlich hat östlich von dem soeben genannten Altar der Marien¬
schrein gestanden und rührten die weißeren Steine von dem
Unterbau der Truhe her. Es ist bekannt, daß im gotischen
Chor der Marienschrein hinter dem Marienaltar, der Karlsschrein
hinter dem Hauptaltar aufgestellt war; wir haben dargetan,
daß in der alten Pfalzkapelle der Karlsschrein sich östlich vom
karolingischen Marienaltar im Umgang erhob. Weisen wir nun
dem Marienschrein den Platz östlich vom Allerheiligenaltar an,
so haben wir für die alte und neue Zeit die gleiche Aufeinanderfolge
der beiden Truhen. Mit dem Erscheinen des Aquisgranum (1620)
gewann die neue Ansicht ä Beecks die Alleinherrschaft. Erst
von jener Zeit datiert die sogenannte uralte Volksüberlieferung,
auf die man sich so oft zu Gunsten der Gruftanlage in der
Oktogonmitte berufen hat. a
Die später lebenden Aachener Geschichtschreiber Noppius
und Meyer folgen blindlings Peter ä Beeck; ihre Begründung ist nur
der Widerhall seiner Worte. 3 Als Bischof Berdolet in die Ok-
togonmitte die bekannte Blausteinplatte mit der Inschrift Carolo
Magno legen ließ, wurde die neue Meinung gleichsam mit dem
amtlichen Siegel versehen. Von da an gehörte schon ein großer
Mut dazu, um an der weitverbreiteten Ansicht zu rütteln. Quix
steht ganz unter dem Bann des Märchens und jenes schmuck¬
losen, scheinbar lebenswahren Denkmals. 4 Berühmte Geschichts¬
forscher, ein Ranke, ein Giesebrecht, haben an die Fabel ge¬
glaubt; bedeutende Maler, ein Kaulbach, ein Rethel, haben den
schauerlichen Gegenstand verewigt.. Wohl auf einen jeden von
uns hat die Steinplatte im Oktogon einen tiefen Eindruck gemacht;
wohl jeder Besucher des Krönungssaales betrachtet mit Schauer
die Freske „Kaiser Otto III. besucht die Gruft Karls des Großen“.
Endlich aber kam Theodor Lindner und erlegte, gleichsam ein
zweiter Siegfried, mit dem scharfen Schwerte seines Verstandes
') Aus Aachens Vorzeit 20, S. 255.
*) Vgl. die vortreffliche Widerlegung der angeblichen Volksttbcrlicfcrung
durch J. 15uchkreiner a. a. 0. 2!), S. 99.
3 ) Ebenda S. 100 A. 1 und 2.
4 ) Ebenda S. 101 A. 1.
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Zeitsch rift des Aachener Geschichtsvereins, Bd. XXXVII. Figur VI.
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Modellansicht eines Teiles der Grundmauern der karolingischen Pfalzkapelle nebst römischen Gebäuderesten.
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Zur Lage und Geschichte des Grabes Karls des Großen.
201
den Lindwurm. 1 Es gelang ihm glänzend, den Nachweis zu er¬
bringen, daß das Thietmarsche solium nur Sarg bedeuten könne
und daß eine Bestattung im Sinne Ademars von Chabannes
und des Grafen Otto von Lomello einfach ein Ding der Un¬
möglichkeit sei. Er folgerte, daß in der Mitte des Oktogons
keine Gruft bestanden habe. Wie richtig er urteilt, das haben
die jüngsten Ausgrabungen gelehrt.
Zum Schluß wollen wir das Gesagte kurz zusammenfassen.
Überaus verwickelt, aber auch reich an einzigartigen Zügen
ist die Geschichte der letzten Ruhestätte Karls des Großen.
Im östlichen Umgang der Pfalzkapelle, hinter dem karolingischen
Marienaltar, hatte der Frankenkönig noch nicht siebzig Jahre
geschlummert, als die Aachener aus Furcht vor den Normannen
sein Grabdenkmal entfernten. Damit erlosch damals im Gedächtnis
des Volkes die Erinnerung an den hochwichtigen Ort; sie blieb
nur noch bei der Münstergeistlichkeit lebendig. In der Folgezeit
erfuhr Karl zweimal kurz hintereinander etwas Unangenehmes:
die Störung seiner Ruhe und die Demütigung, mit einem jugend¬
lichen Nachfolger die dunkele, enge Kammer zu teilen. Dafür
wurde ihm aber auch im darauf folgenden Jahrhundert un¬
verhofft eine zweifache Auszeichnung zuteil: ein Nachfolger
ließ ihn zu den Heiligen zählen und seine Gebeine in eine kunst¬
volle Truhe legen. Wohl setzte der Karlsschrein durch die Wahl
seines Standortes die frühere Grabgemeinschaft mit Otto III.
fort; er trug aber zugleich und ebenso ungewollt wie die Heilig¬
sprechung dazu bei, daß außerhalb des Kreises der Stiftsgeist¬
lichen das uralte Grab ausschließlich als Ruhestatt Ottos galt.
Als Torso zwangsweise in den Ruhestand versetzt, nahm der
Marmorsarg an der dunkeln Kirchenwand noch lange an dem
Ruhme seines Herrn teil, wurde dann aber beiseite gestellt und
auf kurze Zeit nach Paris entführt. Jetzt steht er unbeachtet
in der Empore der Nikolauskapelle.
') Die Fabel von der Restattung Karls des Großen: ZdAGV 14, S.
131—212. Vor ihm batte schon J. H. Kessel, Geschichtliche Mitteilungen
über die Heiligtümer der Stiftskirche zu Aachen, 1874, S. 59 das Märchen
abgelehnt.
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202 Eduard Teichmann, Zur Lage u. Gesell, d. Grabes Karls d. Gr.
Einen Umzug großen Stils hatte im Jahre der sechsten
Jahrhundertfeier des Hinscheidens Karls des Großen die Voll¬
endung des gotischen Chors zur Folge. Den neuen Marienaltar
umflutete fortan die Lichtfülle der Chorhalle. Tn der Mitte des
hohen Baues fand Otto seine zweite und letzte Ruhestätte. Der
Karlsschrein schlug zunächst seinen Wohnsitz hinter dem Petrus¬
altar auf; geraume Zeit nachher wanderte er in die Sakristei
und zuletzt in die Schatzkammer. Im Fußboden des östlichen
Umganges verschwand die letzte Spur des berühmten Doppel¬
grabes; bald fiel die Geschichte der wichtigsten Stelle im Münster
gänzlicher Vergessenheit anheim. Der Zufall wollte, daß gerade
damals das bestrickende Märchen von der thronenden Majestät
in der Totengruft nach Aachen kam. Es nahm die Einbildungs¬
kraft der Aachener Geschichtschreiber gefangen; es bannte
namhafte Geschichtsforscher, zahllose Geschichtenerzähler, hei¬
mische und ausländische Dichter und Gelehrte und zwei be¬
rühmte Maler in seinen Zauberkreis. Willkürlich gedeutete
Äußerlichkeiten mußten die leichtfertige Selbsttäuschung be¬
schönigen; wie ein Siegel an einer gefälschten Urkunde sollte
eine Inschriftenplatte dem liebgewonnenen Irrtum das Aussehen
der Echtheit geben. Nur allmählich und schüchtern regte sich
die Kritik. Oberflächliche Teilausgrabungen brachten kein Licht
in die Dunkelheit. Immer neue Vermutungen über die Lage von
Karls Grab wurden laut; keine fand ungeteilten Beifall, da nur
einige von ihnen ein Körnchen Wahrheit enthielten. Endlich
aber schlug die Stunde, wo die siegreiche Kritik die fast acht¬
hundert Jahre alte Fabel von der Kaisergruft in Aachen dem
Fluche der Lächerlichkeit preisgab. Nachdem dieses schwere
Hindernis weggeräumt war, haben die jüngsten wissenschaft¬
lichen Ausgrabungen uns instand gesetzt, die schlichte Wirk¬
lichkeit, zu erkennen, und die ungefähr drei Meter tiefe Grube,
deren Vorhandensein und Lage erst der Spaten uns offenbart hat,
ist endlich durch die Urkunden und die Chordienstorduung als
die gemeinsame erste Ruhestätte Karls des Großen und Ottos III.
erwiesen worden.
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Der ehemalige Marienaltar des Aachener Münsters
in den Kapitelsprotokollen des Marienstifts.
Von F. Karl Becker.
Die Aachener Münsterforschung hat von den ehemaligen
Altären dem im Jahre 1786 zerstörten Marienaltar von jeher
ein besonderes Interesse entgegengebracht. Als ältester und be¬
deutendster Altar der Kirche bildete er die Stätte, an der bis
ins späte Mittelalter hinein die feierliche Krönung der deutschen
Könige stattfand und an der der Hauptschatz des Münsters,
der Schrein der großen Reliquien, aufbewahrt wurde. Die Er¬
gebnisse der bisherigen Untersuchungen über seine wechselvolle
Geschichte und eigenartige Form 1 sollen hier durch eine möglichst
erschöpfende Zusammenstellung aller Nachrichten ergänzt werden,
die in den Kapitelsprotokollen des Aachener Marienstifts 8 ent¬
halten sind. Im Schoße der geistlichen Körperschaft entstanden,
der die Pflege des Münsters und seiner Altäre anvertraut war,
geben die Kapitelsbeschlüsse ein durchaus zuverlässiges Bild
der baulichen und sonstigen Veränderungen vom Beginne des
16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Der Vollständigkeit
halber werden hier auch die Nachrichten über den nach Zer¬
störung des alten errichteten jüngeren Marienaltar sowie über
das gottesdienstlich mit ihm in unmittelbarem Zusammenhang
stehende Sakramentshäuschen mitgeteilt.
Das älteste der erhaltenen Protokollbücher beginnt mit dem
Jahre 1528. Drei Jahre später erhält Ferdinand I. als letzter
der deutschen Könige seine kirchliche Weihe im Aachener
Münster. Das deutsche Volk steht inmitten der großen religiösen
Bewegung, die in ihren Folgen für den Marienaltar als den
Mittelpunkt der „Aachenfahrten“ verhängnisvoll werden sollte.
') Vgl. u. a. Buchkremer, Zur Baugeschichte des Aachener Münsters:
ZdAGV 22, S. 198 — 271; Fajraon v ille, Der Dom zu Aachen, München
1909, 3. 230—256; Beißel, Die Aachenfahrt, Freiburg i. Br. 1902, S. 108 ff.
*) Staatsarchiv Düsseldorf, Marienstift Aachen, Bd. ll b bis ll oe .
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204
F. Karl Becker
Jedenfalls beginnt seit dem 16. Jahrhundert der Glanz der
Aachener Heiligtumsfahrten lind damit auch die Bedeutung des
Marienaltars mehr und mehr zu schwinden. Immer spärlicher
fließen die Quellen, die zu den reichen Schöpfungen des bau¬
lustigen 15. Jahrhunderts 1 die Mittel gespendet hatten. So tritt
beim Aachener Münster nach fast 150jähriger, regster Bau¬
tätigkeit mit dem Beginn der deutschen Renaissance ein völ¬
liger Stillstand ein, der bis in den Anfang des 18. Jahrhunderts
dauert. Aus dieser Zeit berichten die Protokolle (Anlage
3 — 5) nur von einer in den Jahren 1634/35 erfolgten Wieder¬
herstellung der tumba 2 , d. h. des hölzernen Schutzgehäuses
um den Marienschrein. Hierzu war die Summe von 18 Gold¬
gulden gestiftet worden; sie reichte noch aus, um damit auch
das Gewölbe der Kapelle, die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts
den Marienaltar umgab, gründlich instand zu setzen. Die ur¬
sprünglich beabsichtigte „auswendige Reparation“ der Kapelle
mußte jedoch unterbleiben, da hierzu anscheinend keine Mittel
mehr vorhanden waren.
Von dem großen Stadtbrand des Jahres 1656, der an den
äußeren Teilen des Münsters viel Schaden anrichtete, blieb das
Innere verschont. Dagegen gefährdete ein zwanzig Jahre später
am Marienaltar selbst ausgebrochener Brand diesen und die
Kapelle aufs höchste. Nach den Mitteilungen der Protokolle
(Anl. 12—16) wurde das Feuer, das in den Abendstunden des
1. Oktober aus unbekannter Ursache 3 entstanden war, zuerst
l ) Damals entstanden außer dem Chorbau die Matthias- und Anna-
kapelle an der Südseite, die Karls- und Kreuzkapelle an der Nordseite des
Oktogons, die 1786 nicdcrgclegte Marienkapelle im Chor, der 1811 zerstörte
Doppelbogen am Porviseh und die westliche Eingangshalle zu den Kreuz-
gilngen, das sog. Kleine Draeheuloch.
’) Die in Meyer, Aacbensche Geschichten Bd. II (Handschrift im
Aachener Stadtarchiv), „Von der königlichen Krönungskirche - 7 überlieferte
Inschrift der Bade lautete: Hoc coopertorium rumplet um rst anno l)ni.
1410 ipso die (Jrei/orii Pupe, llcnovutnm 1635. — Vgl. Qu ix, Historische
Beschreibung der Münsterkirche, Aachen 1825, S. 17.
3 ) Wenn Goldschmied Klöckcr im Klöckcrschon Memorialbuch (ZdAGV
15, S. 85) den Brand darauf zuriiekfübrt, daß das Licht vor dem Mutter¬
gottesbilde verwahrlost gewesen sei, so verdient er mehr Glauben, als die
milder Obhut über den Altar betrauten Canzollisten, die bei ihrer Vernehmung
durch das Kapitel ein Verschulden ihrerseits in Abrede stellten und cr-
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Der ehern. Marienaltar (1. Aach. Münsters i.d. Kapitelsprotok. d. Marienstifts. 205
von einem am großen Kirchhof 1 wohnenden Schneidermeister
namens Wirtz bemerkt. Den von diesem benachrichtigten Kirchen¬
wächtern gelang es, der Flammen, die inzwischen bereits die
auf dem Altar stehende Marienfigur und die ihn umgebenden
Vorhänge stark mitgenommen hatten, Herr zu werden. Da auch
die Mensa des Altars und das hölzerne Gehäuse des Marien¬
schreins Spuren von Brandschäden zeigten, so ließ das Kapitel
am 3. Oktober in Gegenwart der Stadtvertreter den Schrein
und zwei Tage später den Altar selbst öffnen a , um festzustellen,
ob die dort ruhenden Reliquien nicht von dem beim Löschen
eingedrungenen Wasser gelitten hätten. Es stellte sich heraus,
daß sämtliche Reliquien des Schreins vollständig unversehrt ge¬
blieben waren; nur die im Innern des Altars befindlichen Stücke
waren durchnäßt und mußten in der Sakristei getrocknet werden,
ehe sie wieder in die Mensa zurückgelegt wurden. Die nicht
unerheblich beschädigte Madonnenfigur ließ das Kapitel noch in
demselben Monat aus eigenen Mitteln wiederherstellen 3 .
An der Kapelle hatte der Brand keinen weiteren Schaden
augerichtet. Aber doch mag der entstandene Rauch an dem
reich bemalten Gewölbe 4 seine Spuren hinterlassen haben. Jeden-
klärten, vom Gewölbe herabgefallene Bleisterne hätten das Feuer verursacht
(Anl. 16).
*) Der „große Kirchhof“ bildete den an der Südseite des Münsters
liegenden Teil des heutigen Münsterplatzes; vermutlich bewmhnte Wirtz
eins der Häuser, die nach dem Stadtbrande zwischen den Strebepfeilern der
südlichen Chorseite entstanden waren und von ihrem Obergeschoß aus den
Einblick in das Chorinnere ermöglichten. Vgl. Faymonville, a. a. 0. S. 166
und die Zeichnung des Pariser Architekten Chapuy (Taf. IV. desselben Werkes).
*) Notiz bei v. Fürth, Aachener Patrizier-Familien II. Bd. 2. Anhang
S. 188: 1676. 1. 8bris hat cs im Münster an Unser lieben frawen altar des
abents umb 8 uhren gebrant; der zierath und gardinen seint verbrant,
sunsten ist es noch gelöscht worden. — 3. dito wart das grosse heiligthumb
gezeunt [gezeigt], nachmittag umb halber zwey uhr, aber nur in die heilig-
thumbs kist, damit alle weit kuntbar war, daß solches keineswegs besche-
digt sey.
*) Das in der Rückseite des Marienbildes ciugefügte Memoriale schließt
mit folgenden Worten: Prima Octobris feria quinta, vespere hora bisterna,
antiqua Deiparae efpgies ista in ara jiagrabat (dextera et capite Mariae
et pueri fronte integris et salvisj, quae sub Huberto Thoma a Fraipont de-
cano velut antea reparata est deeimo quarto Calendas Novembris. — Kessel,
Das Gnadenbild Unser Lieben Frauen in der Stiftskirche zu Aachen, 1878,
S. 93. — 4 ) Faymonville, a. a. 0. S. 238.
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206
F. Karl Becker
falls wurden in der Folgezeit innerhalb des Kapitels Stimmen
laut, die auf Verschönerung des Altars und Beseitigung der
beengten Zustände in der Kapelle drangen. (Anl. 18.) Nament¬
lich die Gitterschranken, die den Altar zum Schutze des Ma¬
rienschreins umgaben 1 , empfand man als besonders störend.
Der Verwirklichung solcher Wünsche kam eine im Jahre 1692
ad ornandam capellam et altare B. M. V. gemachte Stiftung von
70 Talern sehr zu statten. Diese Summe wurde dazu verwendet,
den alten Fußboden im Innern der Kapelle durch einen neuen
Marmorbelag zu ersetzen. (Anl. 19, 20, 21, 25.)
Der Altar selbst erhielt im Jahre 1712 einen neuen hervor¬
ragenden Schmuck in Gestalt eines silbernen Tabernakels, in
das man das bis dahin in einem besonderen Sakramentshäuschen
an der Nordwand des Chores aufbewahrte Allerheiligste übertrug.
Damit folgte das Kapitel einem bei Errichtung neuer Altäre
durch die Kirche schon seit Anfang des 17. Jahrhunderts ge¬
übten Brauch. Bereits im Jahre 1595 war der Gedanke einer
Verlegung des Sakraments an den Marienaltar erwogen worden.
(Anl. 1.) In etwas veränderter Form taucht er im Jahre 1666
wieder auf: das Kapitel regt an, auf dem Altar ein Reposito-
rium anbringen zu lassen, in dem das Ciborium außer der Expo¬
sitionszeit nach der Predigt gelegentlich — horis opportunis —
auf bewahrt werden könne, und läßt dementsprechend durch
Goldschmied Klöcker 2 zwei Jahre später ein schlichtes Taber¬
nakel unfertigen (Anl. 6—8, vgl. 28.) Im Zusammenhang damit
steht die Beschaffung einer größeren Monstranz, von der eben¬
falls 1668 die Rede ist 3 . Auch muß damals vor dem Altar die
') Meyer, a. a. 0. S. 5 der Urschrift: „Obgcdachter Altar ist von vorn
mit einem eisernen Gatter, zu beyden Seiten aber, sowie im Bücken, mit
eisernen Stangen, welche sich mit den Pfeilern verbinden, sorgfältig nmgeben;
zwarc macht dieses und besonders wan das vordere Gatter verschlossen ist,
eben kein angenehmes Aussehen, allein die Sicherheit des auf besagtem
Altar ruhenden unermeßlichen Schatzes erfoderct solchen Staatskerker von
selbsten.“
J ) Franz Klöcker, geb. zu Aachen 18. Nov. 1627, gest. daselbst, 5. März
1697, verfertigte außer dem Tabernakel eine kupferne Mensnplatte für den
Marienaltar: ZdAGV 15, S. 82 f. — Vgl. unten S. 220. A. 1.
8 ) Kapitelsprotokolle Bd. 11° 1668, Mai 11: Item propositum fuit de
maiori remonstrautia praeparanda et commissum D"° Fraipont in suis nego-
tiis ituro Traiectum, ut ex occasione procuret vitrum pro dicta remonstrautia.
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Der ehern. Marienaltar d. Aach. Münsters i. d. Kapitelsprotok. d. Marienstifts. 207
1695 zuerst erwähnte Kommunionbank 1 errichtet worden sein.
Der endgültige Beschluß, das Sakrament dauernd auf dem Altar
zu belassen und ein hierfür und für das Ciborium ausreichendes
Tabernakel einzurichten, geht auf eine besondere Anordnung
des apostolischen Nuntius Bussi zurück (Anl. 22, 24, 26—29),
der im November 1708 zu Visitationszwecken in Aachen weilte 2 .
Die Anfertigung des neuen Tabernakels übertrug das Kapitel
am 20. Februar des folgenden Jahres dem Goldschmied Balthasar
Schnewindt und versprach ihm, für jedes Lot, das die fertige
Arbeit wiegen würde, 3 Schilling zu 7 Aachener Mark zu zahlen.
Zur Herstellung des Werks wurden ihm gleichzeitig 13 Pfund
und 15 Lot reinen Silbers übergeben. Da diese Menge jedoch
nicht ausreichte, so mußte auch noch die alte Silbermonstranz
des Kapitels in den Schmelztiegel wandern. (Anl. 30—33.) Das
Tabernakel, das im Jahre 1712 fertig wurde, ist dasselbe, von
dem uus Meyer im 2. Bande seiner „Aachenschen Geschichten“,
§ 6 folgendes berichtet 3 : Auf dem Altar steht „ein silbernes
Tabernakel, worauf Christus mit seinen Jüngern beym letzten
Abendmahl zu sehen ist; zu beiden Seiten sind die biblischen
Geschichten: wie das Manna vom Himmel regnet und die Kinder
Israel solches aufsammeln, sodann wie Melchisedek, der König
von Salem, als ein Priester Gottes dem Abraham, der von der
Schlacht zurückkömmt, entgegen geht, Wein und Brot hervor¬
trägt und ihn segnet, auf silbernem Blech in künstlich getrie¬
bener Arbeit vorgestellet und um diese Stücke noch besondere,
aus Blumen, Laubwerk und Figuren bestehende silberne Leisten
und Verzierungen angebracht“.
Die Wünsche nach weiterer Verschönerung des Altars und
seiner Umgebung verstummten aber nicht. (Aul. 34.) Das Kapitel,
’) Anl. 23 und 26; vgl. ZdAGV 22, S. 225.
*) ZdAGV 33, S. 65 ff.
3 ) Faymonville, a. a. 0. S. 241 nimmt irrtümlich an, daß der von
Meyer beschriebene figürliche und ornamentale Schmuck des Schuewindtscheu
Tabernakels an der mittelalterlichen „Predella“ des Marienaltars angebracht
gewesen sei; das Vorhandensein einer Predella, d. h. eines unter dem Reta-
bulum befindlichen Sockelteils des Altaraufsatzes, ist beim Marienaltar nicht
nachweisbar und auch schon deshalb unwahrscheinlich, weil Predellen erst
bei den spätgotischen Flügelaltären etwa seit der Mitte des 15. Jahrhunderts
gebräuchlich werden. Vgl. Münzenberger, Zur Kenntnis und Würdigung
der mittclalt. Altäre, Frankfurt a. M. 1885 — 1887.
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208
F. Karl Becker
das in seinem Vorhaben durch bedeutende Spenden unterstützt
wurde (Aul. 36), wagte es sogar im folgenden Jahrzehnt, dem
Gedanken einer umfassenden „Wiederherstellung“ der ganzen
Kirche in barockem Sinne näherzutreten, und beschloß, für
diesen Zweck einen Teil der Scholasteriatseinkünfte zu ver¬
wenden. (Anl. 39.) Man übertrug die Ausführung der geplanten
Arbeiten italienischen Stuckkünstlern, die damals überall in *
Süd- und Mitteldeutschland zur Dekoration alter und neuer
Kirchen und Profanbauten herangezogen wurden. 1 Diese be¬
gannen im Herbst 1719 unter Leitung des Italieners Vasalli ihre
Tätigkeit am Gewölbe der Marienkapelle. 2 Die weit umfang¬
reicheren Arbeiten im Oktogon 3 lagen in den Händen des Gio¬
vanni Battista Artario 4 , der bereits beim Ausbau des Fuldaer
*) Faymonville, a. a. 0. S. 882.
a ) Anl. 87, 88, 40; das Jahr 1719 nennt auch das von Meyer, a. a. 0.
§ 6 überlieferte Chrouogranun, das oberhalb des Altars angebracht war:
SaLYs o pla o DVLCIs Virgo Maria.
3 ) Über den Verlauf der Stückarbeiten und der sich anschließenden
Ausmalung des Oktogons enthalten die Kapitelsprotokolle noch folgende
Nachrichten: Bd. 11 T , 1720, Aug. 80 u. Sept. 18: Abschluß des Vertrages
mit den italienischen Stuckkateuren betr. Fortsetzung der Arbeiten im karo¬
lingischen Teil der Kirche. Sept. 19: Überweisung von 50 Talern aus der
Erbschaft des verstorbenen Dechanten an die Baukassc pro exornationc ec-
clesiae. — 1722, Febr. 20: Überweisung von Überschüssen einer Stiftung an
die Baukasse zur Erneuerung der Fenster in den Umgängen des Oktogons.
Juni 12: Beschluß betr. Fortsetzung der „Stockotornrbeit“ an den Gewölben
der unteren Umgänge. — 1724, Jan. 14: Beschluß betr. Auszahlung der ver¬
tragsmäßig vereinbarten Summe von 200 Talern an Vasalli, den Meister der
„Stuckudorarbeit“. — Bd. 11", 1729, März 26: Mitteilung betr. Zahlung
von 80 Louisdors an Artario für die noch ausstchende Anfertigung der
Statuen im Oktogon und als Restbetrag für seine früheren Arbeiten. Juli 30:
Beschluß betr. Erstattung der Kosten für den Abbruch der Gerüste. Aug. 20:
Beschluß betr. Zahlung der Hälfte der vereinbarten Gebühren im Betrage von
45 Louisdors an Artario. — Bd. U 1 , 1732, Mai 26: Beschluß betr. Vorschu߬
zahlung an Bernardini für seine Malerarbeiten an den Fenstern des Hoch¬
münsters und deren Umgebung. — 1733, April 13: Abschied des Bernardini
vom Kapitel nach Fertigstellung seiner Arbeiten.
4 ) Nach Thieme-Bccker, Allgem. Lexikon der bildenden Künste,
Leipzig 1909, Bd. II. S. 159 war Artario oder Artaria um 1660 zu Arogno
bei Lugano geboren, als Architekt und Stuccator iui Verein mit Genonc am
Dom zu Fulda und an mehreren großen Bauten in Rastatt tätig; die meisten
seiner Werke finden sich in Norddcutschland, den Niederlanden und England,
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Der ehern. Maricnaltar d. Aach. Münsters i. d. Kapitelsprotok. d. Maricn.stifts 2C9
Doms eine ähnliche Aufgabe gefunden hatte. Noch während der
Ausmalung der Umgänge, die nach Vollendung der Stückarbeiten
dem Hofmaler des Kurfürsten von der Pfalz Bernardini 1 über¬
tragen wurde, entschloß sich das Kapitel, die alte, offenbar in
das neue reiche Bild nicht mehr passende Kommunionbank durch
eine schönere ersetzen zu lassen. (Anl. 41.) Im August des Jahres
1731 kam diese zur Aufstellung 2 . Der Entwurf scheint in den
Händen des älteren Couven 3 gelegen zu haben, der um die¬
selbe Zeit dem Kapitel Zeichnungen zu einem neuen Marmorbelag
für die Marienkapelle vorlegte (Anl. 42); wenigstens erhält
er im Jahre 1741 den Auftrag, mit einem geeigneten Bildhauer
wegen Anfertigung von Holzmodellen zu einer Tür für die
Kommunionbank in Verhandlungen zu treten. Dementsprechend
überreicht sechs Jahre später ein Lütticher Meister namens
Chaudoir ein Angebot, in dem er sich um den Preis von 250
wohin er später Reisen unternahm. Ihm gebührt das Verdienst, dem Stuck
das Aussehen und die Dauerhaftigkeit des carrarischen Marmors verliehen zu
haben, weshalb sich seine Stuccaturcn ihre ursprüngliche Frische bis auf den
heutigen Tag erhalten haben. Sein Sohn Giuseppe A. war ebenfalls in Deutsch¬
land, Holland und England tätig und wurde später an den Hof des Kur¬
fürsten von Ciiln berufen, wo er bis zu seinem Tode (1769) wirkte. Er
befand sich unter den Künstlern, die 1729—1737 in Schlot) Falkenlust und
1743—1748 im Treppenhause des Rrühler Schlosses arbeiteten. Er mag auch
bereits bei der Ausschmückung des Aachener Münsters seinen Vater unter¬
stützt haben.
*) Nach Thieme-Becker, a. a. 0., III. Bd. S. 487 war Bernardini,
geh. um 1697, als Hofmaler am kurfürstlichen Hofe zu Mannheim tätig,
wurde 1743 als Historien- und Hofopernmaler mit 4000 Fl. Gehalt bestätigt
und starb am 16. März 1762. Von ihm rühren u. a. Deckengemälde und
Surportcn in den älteren Teilen des Mannheimer Schlosses her, sowie das
Altarbild in der Kapelle des 1731 —1741 erbauten Thurn- und- Taxisschen
Palais in Frankfurt a. M. Über den Inhalt seiner Gewölbemalereien im Aachener
Münster, bei denen er durch einen Maler Aprili unterstützt w’urde, vgl.
Faymonville, a. a. 0. S. 390 ff.; daselbst auch eine Beschreibung und
Aufnahmen der Stuckdekorationen S. 382 ff. Eine Rekonstiuktionszeichnung
der Stuckverzierungen des inneren Oktogonraums in Buchkremers Schrift:
Zur Wiederherstellung des Aachener Münsters, Aachen 1904, S. 9.
*) Notiz des Bürgermeisterdieners Job. Janssen (Handschr. in der Aachener
Stadtbibliothek): „1731 im Monat August ward im Münster die Communiou-
bauk gemacht.“
3 ) Vgl. Buchkrcmer, Die Architekten Job. Jos. Couven und Jak.
Couven, Aachen 1896.
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F. Karl Becker
Talern verpflichtet, diese in Kupferbronze herzustellen. Die tat¬
sächliche Ausführung verzögert sich noch bis zum Jahre 1758.
An Stelle von Couven, der sich mittlerweile beim Neubau der
Ungarischen Kapelle die Gunst und damit weitere Aufträge
des Kapitels verscherzt hatte, wird ein Lütticher Architekt
namens Termonia mit der endgültigen Erledigung der Ange¬
legenheit betraut. (Anl. 43—45, 48, 49.)
Inzwischen wiederholten sich immer wieder die Klagen, die
schon Ende des 17. Jahrhunderts wegen der beengten Verhält¬
nisse am Marienaltar erhoben worden waren. Im Jahre 1776
überreicht ein dänischer Architekt namens Zuber im Aufträge
des Dechanten v. Bierens ein Gutachten über den baufälligen
Zustand des Chors und macht Vorschläge, wie dieser dem Ok¬
togon entsprechend umgestaltet werden könne. Die Marienkapelle
will er vollständig abbrechen, um für eine bequemere Anlage
Platz zu schaffen *. Seine weitgehenden Pläne kamen, soweit sie
den Chor betrafen, glücklicherweise nicht zur Ausführung. Aus
Mangel an Mitteln verzichtete das Kapitel auf die barocken
Umänderungen und beschränkte sich auf eine Instandsetzung
des Notwendigsten 2 . Entgegenkommender verhielt man sich
gegenüber den Anregungen, die Zuber zur Beseitigung der oft
gerügten Mißstände am Marienaltar gegeben hatte und denen
anscheinend von vereinzelter Seite zugestimmt worden war.
Schon im Jahre 1782 entschloß man sich noch während der
Chorinstandsetzung dazu, den reichen Figurenschmuck der Ma¬
rienkapelle und das alte Sakramentshäuschen zu entfernen.
(Anl. 54.) Aber erst nachdem 1785 die Arbeiten im Chor be¬
endet waren, trat man von neuem an die Prüfung der Frage
heran, in welcher Weise dem gottesdienstlichen Bedürfnis nach
mehr Raum am Marienaltar Rechnung getragen werden könne.
(Anl. 55—58.) Die Mehrheit des Kapitels stand zunächst noch
dem Gedanken, den Altar nach Osten zu verschieben, ab¬
lehnend gegenüber, offenbar weil man die Kapelle nicht opfern
wollte. Man übergab die Angelegenheit zur vorläufigen Ermit¬
telung der Kosten für die Umgestaltung den Fabrikmeistern.
In deren Auftrag legte Moulan am 19. September desselben
') Anl. 52. Die dem Gutachten Zubers beigefügten Zeichnungen befinden
sich im Aachener Stiftsarchiv.
*) Faymonville, a. a. 0. S. 167 ff.
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Der ehern. Marienaltnrd. Aach. Münsters i.d. Kapitelsprotok. d. Marienstifts. 211
Jahres einen Vorschlag in Form einer „Restaurationszeichnung“
vor, die zur weiteren Prüfung und Berichterstattung einem be¬
sonderen Ausschuß überwiesen wurde. Da jedoch bis zum nächsten
Generalkapitel im Mai des folgenden Jahres keine weiteren
Schritte zur Förderung der Angelegenheit getan waren, so ver¬
langte man nochmals eine Prüfung des Moulanschen Entwurfs.
Als Ergebnis der nunmehr endgültigen Beratungen kam dann
schließlich einen Monat später, am 6. Juni 1786, der unheil¬
volle, leider einmütige Beschluß des Kapitels zustande, der den
Abbruch des Altars und der Kapelle forderte und damit das
vier Jahre zuvor begonnene Zerstörungswerk vollendete. „Um
am Marienaltar,“ so heißt es in dem entsprechenden Protokoll
wörtlich, „besonders an den größeren Fest- und Feiertagen zur
würdigeren und bequemeren Abhaltung des Gottesdienstes mehr
Raum zur Verfügung zu haben, soll der ihn umgebende kleine
Chor bis zu den Pfeilern, die das Gewölbe des Hochmünsters
tragen, ringsum bis herab zum Fußboden des Chores eine Woche
nach Frohnleichnam abgebrochen werden “ Ferner sollen die
Fabrikmeister dem Kapitel Pläne über die Form und Ausstattung
des neuen Altars vorlegen, der 4 bis 5 Fuß tiefer in den Chor
hineingeschoben werden solle 1 .
■) Die von Buchkrciucr (ZdAGV 22, S. 226) gegebene Darstellung
von dem Verlauf des Abbruchs, die auch Faymonville a. a. 0. S. 232
ohne weiteres übernommen hat, entspricht nicht dem durch die Protokolle
gesicherten tatsächlichen Verlauf. — Die Simarsche Skizze (ZdAGV 22, S.
217 und Faymonville, a. a. 0. S. 235), auf der Buchkremers Darstellung
beruht, stammt nicht, wie bisher angenommen wurde, aus dem Jahre 1786.
Da Simar an Stelle der beiden damals noch rechteckigen Pfeiler am Chor¬
eingang Rundsäulcn andeutet, so kann seine Zeichnung erst dann entstanden
sein, als diese Pfeiler bereits abgerundet waren, d. h. nach den Mitteilungen
der Protokolle (Aul. 75) erst in oder nach dem Jahre 1790. Dementsprechend
fehlt auch am Kanzelpfeiler des Oktogons (bei L der Skizze) der Cornelius-
Cyprianus-Altar, der erst 1788 abgebrochen wurde (Notiz des Ehrendomhcrru
Fell in den Johannis-Akten des Aachener Stiftsarchivs). Die Irrtümer der
Simarschen Skizze — u. a. Fehlen des westlichen Verbindungsjoches der
Marienkapelle (B) mit dem Oktogonmauerwerk und falsche Teilung der
Säulenstellung (N) unter dem Triumphkreuz des Hochmünsters — sind dem¬
nach darauf zurückzuführen, daß, für einen Teil des Befundes wenigstens,
die Darstellung nicht auf unmittelbarer Anschauung, sondern auf mindestens
3’/j Jahre alter Erinnerung beruht. — Faymonville, a. a. 0. S. 184 (Fu߬
note) und S. 237 gibt übrigens als Datum der tatsächlich 1790 erfolgten
14 *
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212
F. Karl Becker
Die Niederlegung der Kapelle begann am 22. Juni und
scheint sich bis in den Juli hingezogen zu haben *. Der Abbruch
des Altars schloß sich unmittelbar an, und schon beim nächsten
Generalkapitel, am 20. September desselben Jahres, konnte der
Yizepropst Cardoll berichten, daß der neue Altar soeben auf¬
gestellt sei 2 . Seiner Bitte um Vorschläge, wie dieser im
einzelnen gestaltet und wo der Reliquienschrein in Zukunft
untergebracht werden solle, entsprach Moulan im folgenden
Frühjahr durch Vorlage eines Gutachtens, das durch drei Zeich¬
nungen erläutert war 3 . Er empfahl u. a., den neuen Altar mit
Marmorschranken zu umgeben, den Schrein jedoch nicht wieder
mit dem Altar zu verbinden, sondern ihn an der Nordwand
des Chores gegenüber der Evangelienkanzel in erhöhter Stellung,
durch eine Treppe zugänglich, aufzustellen 4 . Seine Vorschläge
fanden die Billigung des Kapitels; eine besondere Kommission
wurde mit ihrer Ausführung betraut. Die Marmorschranken und
übrigen zum neuen Altar gehörigen Teile, deren Anfertigung
ein Lütticher Meister namens Dumont übernahm, waren No-
') Aufzeichnungen auf einem losen Folioblatt aus dem handschriftlichen
Nachlaß von Chr. Quix in der Kgl. Bibliothek zu Berliu (Echo der Gegen¬
wart, 52. Jhrg., 1900, Nr. 919): „1786 im Julio ist die Kapcll um den Mutter¬
gottes altar abgebrochen worden, und so steht der Altar blos beim Eintritt
des Chors. Der Altar selbsten ist so ganz gedrohet worden, daß er jetzt bei
acht Fuß hat.“ Brüning, Eine Aachener Chronik 1770— 1796, Aachen 1898,
S. 18, Eintragung zum Juli 1786: „In diesem Monat haben die Herren ca¬
nonici im Münster das köstliche gewölb über den Muttergottesaltar abbrechen
lassen.“
2 ) Anl. 59. — Näheres über den Befund beim Abbruch des Altars in
dem unten mitgeteilten Bericht Debeys.
3 ) Anl. 60. — Das Protokoll bringt außer den auf den Maricnaltar
bezüglichen Vorschlägen noch sonstige Mitteilungen über beabsichtigte und
teilweise auch ausgeführte bauliche Veränderungen, die hier als wertvolle
Beiträge zur Baugeschichte des Münsters unverkürzt wiedergegeben werden.
Von besonderem Interesse ist die Erwähnung des 1788 zerstörten Karls¬
denkmals.
4 ) Beschreibung der neuen Schrcinanordnung in Debcy, Münsterkirche
1851, S. 31. Notiz auf einem losen Folioblatt aus dem erwähnten handschrift¬
lichen Nachlaß von Chr. Quix: „1789 9. Apr. ist die große silberne, über-
giildete Rcliquienkasten in der holzcnen Kasten hinder des Herrn Dechant
|Stuhl?], ahvo sousten das Ciborium und die Monstranz aufbewahrt wurde,
cingeschlosseu worden.“
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Der ehern. Marienaltar d. Aach. Münsters i.d. Kapitclsprotok. d. Marienstifts. 213
vember 1789 soweit fertig, daß sie an Ort und Stelle angebracht
werden konnten. Nachdem am 15. desselben Monats die dem
alten Altar entnommenen Reliquien in die neue Mensa eingelegt
waren, fand am 8. Dezember der erste Gottesdienst an dem
fertigen Werke statt l . Die endgültige Vollendung seiner Schmuck¬
teile nahm noch längere Zeit in Anspruch. (Anl. 61 — 79.)
Noch einmal mußte der Altar seinen Platz wechseln. Um
für die Abhaltung der Pontifikalämter genügend Raum zu haben,
ließ ihn Bischof Berdolet im Jahre 1803 an die Stelle des alten
gotischen Choraltars versetzen*. Dort blieb er bis zur Errichtung
des noch stehenden Baldachinaltars im Jahre 1875 3 . Seine ur¬
sprüngliche Stelle am Eingang des Chors bezeichnet heute ein
besonderer Sakramentsaltar, der im Jahre 1873 errichtet wurde 4 .
Über die Form und Ausstattung des ehemaligen Ma¬
rienaltars geben nur wenige Stellen der Protokolle Aufschluß.
Sie bestätigen im allgemeinen das durch diobisherigen Forschungen
bereits auf anderem Wege gewonnene Bild. Danach gehörte der
Marienaltar des Aachener Münsters zu den im Mittelalter außer¬
ordentlich verbreiteten Reliquienaltären, bei denen mit dem
eigentlichen Altartische ein in erhöhter Stellung, meist über
dem Retabulum, angebrachter Reliquienschrein verbunden war 6 .
') Brüning, a. a. 0. S. 26: „1789, Dienstag den 8. Dezember ist im
Münster an den neuen marmorsteinerneu nnutcrgottes altar der erste gottes-
dienst gebalten worden.“
*) Faymonville, a. a. 0. S. 221 f., S. 234 und Figur 96. Seine An¬
gabe, die Herstellung des neuen Cboraltars sei schon seit 1789 vorbereitet
gewesen, der Altar aber erst 1803 durch Durnout zur Ausführung gekommen,
kann zu der falschen Vorstellung führen, als handle es sich hier um einen
ganz neuen Altar. Tatsächlich rührten die Marmorschrauken und der taber¬
nakelartige Aufsatz des neuen Choraltars von dem 1789 errichteten jüngeren
Marienaltar her; neu war nur die Mensa mit ihrem sargähnlichen Schmuck.
Aachener Stiftsarchiv, Protocolle des actes du Chapitre et de l’Eglise cathe-
drale d’Aix-la-Chapelle p. 5: „. . . . (autel) nouveau, dont la table et le
tombeau en marbre seront entierement neufs; lc tabernacle, les colonnes
audessus et toutes les dtücorations seront les meines, qui ornaient l’autel de
la Saintc Vicrge, qui 6tait placß ä l’entröe du choeur.“ — Vgl. ZdAOV 22,
S. 236, wo das irrtümliche Datum 1805 in 1803 zu ändern ist.
3 ) Faymonville, a. a. 0. S. 412 und Figur 185.
4 ) Faymonville, a. a. 0. S. 411.
6 ) Vgl. ZdAGV 29, S. 183. — In Deutschland sind noch eine Reihe
solcher Reliquienaltäre erhalten, z. B. in St. Ursula, St. Severin und St. Cu-
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214
F. Karl Becker
Bei unserem Altar stand der mit einem hölzernen, reich be¬
malten Schutzgehäuse umkleidete Marienschrein so hoch, daß
man zum öffnen des Kastens ein besonderes Gerüst — „Stellage“ 1
— aufstellen mußte, um beim Herausnehmen der Heiligtümer
bequem an das Innere des Schreins herankommen zu können.
Ein hinter dem Altar befindlicher Opferstock 2 deutet darauf
hin, daß auch hier, wie das der Zweck der ganzen Einrichtung
war, zur Verehrung der mit dem Altar verbundenen Reliquien
und Niederlegung von Geldspenden Umzüge der Gläubigen
unter dem Schrein her stattzufinden pflegten. Als weitere Aus¬
stattungsstücke werden außer den Leuchtern 3 die schon er¬
wähnte Marienfigur und ein silbernes Antependium ge-
nibert zu Cöln, im Dom zu Xanten, Paderborn und Münster. — Die Form
des Iteliquienaltars besaß auch der ehemalige gotische Choraltar des Aachener
Münsters: ZdAGV 22, S. 231 ff.
*) Kapitelsprotokolle Bd. 11 p , 1685, Juli 9: Bei Öffnung des Reliquien¬
schreins . . . . „D DU “ vicedecanus .... ascendit ab uno latere altaris
D. V. ad stationem, vulgo Stellage, .... prope feretrum inelusarum ss.
reliquiarum ex lignis et asseribus factam.“ Nach Blondel, Deseription d’Aix,
1720, S. 12 stand der Schrein auf Säulen, die 12 Full Höhe hatten. Für das
Öffnen des Marienschreins erhielt übrigens der amtlich dazu verpflichtete
Eisenschmied des Kapitels außer einem Zuschuß des Propstes, dessen Höhe
das Kapitel bestimmte, jedesmal 4 Aachener Mark (Aul. 50). Das hölzerne
Gehäuse um den Schrein war gewöhnlich mit einem Leder bedeckt (Anl. 9).
*) Anl. 53. — Opferstöcke befanden sich im Jahre 1778 außer am Ma¬
rienaltar noch am Allerheiligen-, Josephs- und Kreuzaltar sowie an den beiden
Eingängen zum Chor. Im 15. Jahrhundert waren die Opferstöcke bzw.
-bücksen in folgender Weise verteilt: je eiu Opferstock am Marien- und
Kreuzaltar, an der Katharinenkapelle am Pervisch und an der offenen Halle
(lodsche) der Annakapellc, je eine Büchse an letzterer sowie an dem Leo-
pardus- und Coronaaltar (vgl. oben S. 128). — Für das 14. Jahrhundert
nennt die Stiftungsurkunde des Chorbaues vom Jahre 1355 (Faymonville,
a. a. 0. S. 160, A. 2) Opferstöcke am Kreuzaltar, am Predigststuhl auf
dem Kirchhof und im Pervisch. — Außer dem Opferstock standen hinter dem
Maricnaltar noch Kisten und Behälter, in denen vermutlich die gottesdienst¬
lichen Geräte, Blumenvasen zum Schmuck des Altars und dgl. auf bewahrt
wurden (Anl. 18, 34).
3 ) Anl. 46, 47 und Noppius, Aachcr Chronik, Buch I, S. 27: „Auff
vuscr 1. Frawen Altar brennen itnm'Tzu drey Wachskerzen, Gott vnd seiner
vielgeliebten Mutter, wie auch den heiligen dahingelegten Reliquien zu
Ehren.“
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Der ehern. Maricnaltar d. Aach. Ministers i. d. Kapitclsprotok. d. Marienstifts. 215
nannt. 1 Merkwürdigerweise ist von dem auf der Mensa stellenden
Retabulum nirgends die Rede. Zu der mittelalterlichen Ausstat¬
tung des Altars kann auch noch eine an der Evangelienseite
hangende Meßklingel 2 gehören, die 1715 erwähnt und auch
von Meyer 3 beschließen wird. Aus jüngerer Zeit stammen das
auf S. 207 ausführlich behandelte Silbertabernakel (Anl. 30—33),
die Kommunionbank (Anl. 23, 26, 41, 43, 44, 45, 48, 49) und
die in den Protokollen mehrfach (Anl. 2, 7, 11) vorkommenden
Celebrantensitze.
In unmittelbarer Beziehung zum Altar stand das Sakra¬
mentshäuschen, das sich gegenüber der Kapelle an der nörd¬
lichen 'Chorwand befand. Nach den Mitteilungen der Protokolle
(Anl. 1, 10, 17, 27, 28, 54) zu schließen, war seine Form die
übliche spätgotische eines durch Gitterwerk geschlossenen Wand¬
schranks; die 1669 vorkommende Bezeichnung turricula deutet
darauf hin, daß, wie bei den reicheren Sakramentshäuschen des
15. Jahrhunderts, so auch hier die eigentliche Sakramentsnische
von einem fialenartigen Aufbau überragt wurde 4 .
') Anl. 51 und Meyer, a. a. 0. (Entwurf): „ein aus einer silbernen
Platte geschlagener Vorhang vor dein Muttergottes-Altar ist ganz von ge¬
triebener Arbeit und wägt 48 Pfund.“
9 Anl. 35. Von solchen, im Dreiklang abgestinimtcn Meßglöckchen, die
mittels eines Rades bei der Wandlung in Bewegung gesetzt wurden, haben sich
mehrere in Deutschland erhalten, z. B ein großes aus vergoldetem Schmiede¬
eisen in Stcrnforin vom J. 1415 im Dom zu Fulda, ein anderes aus dem Augs¬
burger Dom im Bayrischen Nationalmuseum zu München. Vgl. Otto, Hand¬
buch der kirchl. Kunstarckiiologie, Leipzig 1883, 1. Bd. S. 256.
3 ) Meyer, a. a. 0. (Reinschrift) § 8. „ . . . zur Seiten des Altars
. . . hängt eine radförmige Machine in einem durchbrochenen eisernen
Kasten, die anstatt einer Schelle beym Meßopfer gebraucht wird.“
4 ) Eine zweite Aufbewahrungsstelle des Sakraments befand sich im
Aachener Münster an dem Kruzifix, das über der im Jahre 1794 zerstörten
Säulenstellung am Kreuzaltar stand (vgl. Buchkreiners Untersuchungen in
ZdAGV 22, S. 253 ff. und Rekonstruktionszeichnung ebenda Tafel V,S. 264/265).
Das bezeugen die beiden folgenden Protokolle: Bd. 11 d , 1595, Sept. 17:
„Soll auch das hochwürdig heilige Sakrament oben uf dem Hochmünster in
dein Zeichen des crux ausgedon und dairfür ein ander bequemlicher ordt,
dä demselben mehr reverenz und eher geschehen möge, daselbst bei dem
altair ordinirt werden.“ Bd. 11', 1599, Juli 5: „Verabseheidet, das die herrn
baumeistor auf dem hohen Münster am heiligen Creutz altar locum machen
lassen sollten, darin venerabile sacramentum, so ietzo in dem crucifix ver¬
halten wird, transferirt und aldar in maiore honore gehalten werde.“ —
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216
F. Karl Becker
Über Form und Inhalt des Altartisches selbst erfahren wir
aus dem Protokolle, das über die Untersuchung der in ihm ru-
Dic Aufbewahrung der Eucharistie beim Kreuz wird bereits in der fränkischen
Kirche, die seit Mitte des 6. Jahrhunderts dein hl. Kreuz eine erhöhte Ver¬
ehrung zuteil werden ließ, durch den 3. Kanon des 2. Konzils zu Tours im
Jahre 567 gefordert. Es heißt dort, das Sakrament solle nicht bei einem
Altar beliebiger Wahl, sondern unter dem Titel des Kreuzes aufbewahrt
werden: ut corpus Domini in altari, non in imaginario online, sed suh
crucis titulo componatur. (Vgl. Graf, Neue Beiträge zur Entstehungs¬
geschichte der kreuzförmigen Basilika: Repertorium für Kunstwissenschaft, XV.
Bd., S. 325, A. 78.) Daß dieser Forderung sogar wörtlich entsprochen wurde,
beweist die folgende Stelle aus der Lebensbeschreibung der hl. Irmtrudis
von Süchteln, aus der hervorgeht, daß auch in dem alten Petersdom zu
Cöln gegen Ende des 11. Jahrhunderts das Kreuz zur Aufnahme des Sakra¬
ments diente: „ . . . episcopus . . . cum praesbyteris ad . . . crucem
veniens venerabile sacrum capiti imaginis imposuit“. (Aus der rhein. Ge¬
schichte XIX, S. 46.) — Für die Altersbestimmung der Aachener Kreu¬
zigungsgruppe sind diese Nachrichten außerordentlich wertvoll. Die Aachener
Figuren sahen, wie Buchkremer a. a. 0. S. 262 aus einer Bemerkung & Beecks
richtig geschlossen hat, zu Anfang des 17. Jahrhunderts (1620) bereits auf
ein hohes Alter zurück. Neunzig Jahre später wird die Beseitigung der beiden
Bcgleitfigurcn des Kruzifixes „ex eo, quod sint valde difformes“ ernstlich
erwogen (Stiftsprotokolle: Bd. 11‘, 1709, Mai 10), ein weiterer Beweis dafür,
daß die Gruppe auf eine frühe Zeit zurückzufiihren ist. Man wird nicht
fehlgehen, wenn mau sowohl sie, wie auch die sic tragende Säulenstellung
als Bestandteile der ursprünglichen karolingischen Anlage betrachtet. Beide
bildeten ein zusammengehöriges Ganzes, das als Kunstform vielleicht in An¬
lehnung an die altchristlichen Ikonostasisanlagen auf dem Boden der frän¬
kischen Kreuzesverehrung entstanden ist. Trifft diese Annahme zu, so ergibt
sich als weitere Folgerung, daß auch der Kreuzaltar karolingischer Herkunft
sein muß. Hierfür hat bereits Pick auf anderem Wege den Nachweis er¬
bracht (Aus Aacheus Vergangenheit, Aachen 1895, S. 21 fl’.). Wie in den
sämtlichen abendländischen Kloster- und Stiftskirchen der folgenden Jahr¬
hunderte, ist dieser Kreuzaltar zweifellos auch bereits in Aachen der für die
Laieukommunion bestimmte Altar und damit das Hochmünstcr der den Laien
eingeräumte Teil der Pfalzkapelle gewesen. Dementsprechend wurden Altar
und Kreuz auch zu allen Zeiten von den Aachenern ganz besonders verehrt:
Buchkremer, a. a. 0. S. 264 f. An dem östlich von der Ikonostasis auf
der Decke der Marienkapelle stehenden Simconis-justi-Altar, der im J. 1755
von dem Propst Gerhard zu Sayn gestiftet war, fand die Frühmesse statt.
Vgl. Faymonville, a. a. 0. S. 243, wo übrigens irrtümlich, entsprechend
der gleichen Angabe in Bei ßel, Aachenfahrt, S. 109, der Simeonis-justi-Altar
als später dem hl. Kreuz geweiht bezeichnet wird.
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Der ehern. Marienaltar d. Aach. Münsters i. d. Kapitelsprotok. d. Marienstifts. 217
henden Reliquien nach dem Brande des Jahres 1676 berichtet
(Anl. 14), wertvolle Einzelheiten. Nachdem man die an der Rück¬
seite des Altars befindliche Tür geöffnet hatte, fand man das
Innere „voll von gelöschten Kohlen, die von der Tafel des
oberen Altars von anderen verbrannten Holzteilen in dasselbe
hinabgefallen waren, und es wurden verschiedene Behälter heraus¬
gezogen, die verschiedene Reliquien enthielten, teils mit, teils
ohne Namensaufschrift, die dann sämtlich zur Sakristei gebracht,
dort untersucht und zum Trocknen auseinander gelegt wurden.“
Um die wenigen Bemerkungen, die hier über die Altarform ge¬
macht werden, richtig zu deuten, muß mau die schon von
Buch krem er 1 verwertete Beschreibung Meyers und einen
bisher noch nicht veröffentlichten Bericht eines Augenzeugen
über den Abbruch des Altars zum Vergleich und zur näheren
Erläuterung heranziehen.
Die Meyersche Beschreibung 2 lautet: „Der Altar selbst,
worauf das unbliitige Opfer verrichtet wird, ist von einer leicht¬
gehobelten Diele gemacht, diese aber noch doppelt mehr als ein
Fisch-Kasten durchbohret, auch darzwischen mit eingeschlagenen
Nägeln reichlich versehen; man will selbige für ein Überbleibsel
von der Arche des Noä halten, allein solches zu glauben fordert
einen recht gesunden Magen; . . . obwohl doch auch sich denken
läßt, daß hierunter was seltsames verborgen seyn könne, weil
man sonst ein so ungeschicktes, verwürfliches Holz zu einem
so würdigen Altar nicht verwendet haben würde. Vorn und
eben da, wo der opfernde Priester zu stehen pflegt, findet sich
ein versteinertes, schön polirtes Holz, ungefähr anderthalben
') Vgl. ZdAGV 22, S. 266.
J ) Reinschrift § 8. Das Jahr, in dem Meyers Beschreibung entstanden
ist, ergibt sich übrigens aus seinem Bericht über die Verwandlung der ehe¬
mals offenen Halle der unteren Annakapelle in eine Sakristei. Es heißt
hierüber sowohl im Entwurf wie in der Reinschrift (§ 5), es habe dem Ka¬
pitel vor einigen Jahren gutgedünkt, den offenen Vorschopf d. h. die
untere Halle, zuzumauern; ferner sagt der Entwurf, im vorigen Jahre
sei auch die Tür, die das Kapitel nach dem Zumauern der Halle hatte an¬
bringen lassen, verschlossen worden. Die Daten dieser Jahre lassen sieh nun
an der Hand der Protokolle leicht feststellen: Die Vermauerung der Halle
fand im Jahre 1765 (Bd. ll bb , 1765, Mai 18), die Schließung der Tür im
Jahre 1773 (Bd. 11 bb , 1772, Sept. 25) statt. Hiernach muß der Entwurf im
Jahre 1774 und etwas später die Reinschrift entstanden sein.
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F. Karl Becker
Fuß ins Viereck groß und einem Tannenstück allerdings ähnlich,
in der Diele eingelegt, diese aber rundum in einen metallenen
Kähmen eingefaßt.“
Der Bericht über den Altarabbruch befindet sich unter den
handschriftlichen Zusätzen einer in der Aachener Stadtbibliothek
aufbewahrten Noppscheu Chronik 1 und stammt aus der gleichen
Feder, die auch die übrigen Eintragungen gemacht hat, d. h.
von Stadtrentmeister Debey 2a . Er lautet in unverkürzter Wieder¬
gabe: „Anno 17 . . wurde der alte Muttergottes-Altar, welcher,
wie der ad pag. 19 angeheftete kupfer ausweiset 3 und noch
so bestand, durch beschloß des Capitels unter dem Bau¬
meister Can. Moulan abgebrochen /: wobey ich bis zur gäntz-
liger niederlegung zugegen wäre :/. Das posument des altars
wäre in viereckiger format von vier messing Säulen. Der altar¬
tisch wäre mit einer kupferner platte bedeckt und in den steine
festgeklammert. Wie die platte fortgenohmen, befand sich ein
bedeck von decken eichen rähmstück, oben über ganz verbrant
und durchaus runde löcher gebohrt. Zur epistelseite wäre eine
eyserne thüre; weil aber kein Schlüssel vorhanden, wurde die
thiir ausgebrochen, und in dem posument befanden sich zwey
körbe mit verbrenten holzkohlen, zwey menschenschedlen, ver¬
schiedene gebeine und viele alte, gestamte, kleine silbermünzen,
der ich noch in besiz habe. Wie das ganze monument fort ge¬
räumt wäre, befand sich ein paviment von weiß und rotli ge¬
wölkte italienischen marmor, deren etlige stucker der marmorier
Dumonf, welcher den neuen altar geliefert, mir geschenkt hat.
Einige fuß tiefer befandt sich wieder ein paviment von andren
steinen, unter diesen befand sicli ein ganz tiefer piitz oder
Wasserbehälter von siegelsteinen rund gebaut. Von einer grund-
lage tiefer und nach aussage der arbeits leuten, welche die
nacht durcharbeiteten, hatten sich thiere gefunden, in form wie
kröten ganz goldgelb; sie hatten einige herausgenohmen, aber
') Vgl. v. Fürth, Aachener Patri/.ier-Fainilien, Aachen 1890. III, wo
der hier veröffentlichte Bericht über den Altarnbhruch fehlt.
2 ") Debey scheint in engeren Beziehungen zum Münster gestanden zu
haben; 1803 bekleidete er die Stellung eines Kirchnieisters: ZdAUV 29,
S. 193, An in. 2.
3 ) Gemeint ist eine Darstellung des Marienaltars auf einem der Chronik
beigegebenen Kupferstichblatt, einem sog. Hciligtumsfähnlcin.
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Der ehern. Maricnaltard. Aach. Münsters i. d. Kapitelsprotok. tl. Marienstifts. 219
nicht mit ihren hämmern hätten können zerschlagen *. Die neu-
gierde und liebhaberey das wäre aber nicht so groß, daß er
hätte weiter nachsehen lassen, und als ich des änderten morgen
wieder kam, war alles wieder schon zugemacht. — Das über
die maße schöne und antique Chörchen, worunter der Mutter-
Gottes-altar stand, ist auch damals abgebrochen worden und
die antiquen steine sind dem h. Van Äußern verkauft worden,
welche noch beim eingang des Trimborner Buschgen zu sehen
synd.“
Der Bericht ist zweifellos nicht unmittelbar nach dem ge¬
schilderten Ereignis, sondern erst nachträglich niedergeschrieben
worden. Das beweisen die nur unvollständig wiedergegebene
Jahreszahl am Anfang des Berichts und das Wort „damals“
bei Erwähnung des Kapellenabbruchs. Trotzdem verdienen die
einzelnen Angaben als sorgfältige und gewissenhaft aufgezeich¬
nete Beobachtungen eines Augenzeugen vollen Glauben und sind
für die Ermittelung der ehemaligen Altarform besonders da
von Wert, wo sie sich mit den Nachrichten des Protokolls oder
Meyers decken. Sie bestätigen und ergänzen zunächst den pro¬
tokollarischen Bericht über den Befund im Altarinnern und er¬
wähnen auch die im Rücken und zwar an der Epistelseite an¬
gebrachte Türöffnung. Übereinstimmend mit Meyers Beschreibung
sind die Angaben über die obere Mensaplatte: diese bestand
danach zweifellos aus einer durchlöcherten, starken Eichenholz¬
tafel, in die an ihrer vorderen, dem zelebrierenden Priester zu¬
gekehrten Kante eine wohl als sepulcrurn dienende Steinplatte
eingelassen war 2 . Über der Mensa, die nach Meyers Beschreibung
von einem Metallrahmen eingefaßt war, lag noch eine von Debey
') Vielleicht Bronzefüße eines romanischen Leuchters; noch bei Frei¬
legung der karolingischen Apsisfundumonte im J. 1861 wurde laut dem Nach¬
grabungsprotokoll (Abschrift im Münsterarchiv, 1861, 3. Sept. S. 2) ein Engel-
Hügel aus Bronze gefunden.
*) Buchkrem er, a. a. 0. S. 266 schließt, anscheinend aus den Worten
„der Altar selbst“, womit die Meyersche Beschreibung beginnt, daß die ganze
Mensa aus durchlöcherten Dielen bestanden habe. Aus dem weiteren Wortlaut
der Meyerschcn Mitteilungen und dem Dcbeyschcn Bericht geht indes mit
Sicherheit hervor, daß nur die obere, wagerechte Deckplatte gemeint sein
kann. Vgl. auch die irrtümliche Deutung der Meyerschcn Beschreibung bei
Faymonville, a. a. 0. S. 241, A. 1.
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220
F. Kurl Becker
erwähnte Kupferplatte. 1 An diese oder an die Metalleinfassung
der Holztafel scheinen sich noch säulenartig gestaltete Messing¬
streifen angeschlossen zu haben, die wohl um die Kanten des
steinernen 2 Stipes gelegt waren. Wenn man die Berichte Meyers
und Debeys mit den Nachrichten des Protokolls zusammenhält,
wonach beim Brande Wasser und Holzteile ins Altarinnere
gelangt sind, so gewinnt man den Eindruck, daß die Metall¬
platte die hölzerne Mensatafel nur teilweise bedeckte. Vielleicht
bildete in Wirklichkeit der von der Holzplatte überdeckte Teil
nur das mittlere ältere Stück des später durch die metallene
Platte oder Umrahmung vergrößerten Altars. Seltsam bleibt ja
die Verwendung einer durchlöcherten Eichenholztafel an einer
Stelle, wo sonst die kirchlichen Vorschriften seit alters eine
massive Steinplatte forderten. Ob nicht doch vielleicht Meyer
mit seinem Hinweis auf die Tradition über die Herkunft der
Tafel insofern das Richtige getroffen hat, als diesem Stück
wirklich der Wert einer Reliquie innewohnteP Jedenfalls kann
aber unter ihm, d. h. im Innern des Altarkörpers, keine weitere,
aus älterer Zeit stammende, rings geschlossene Marmormensa
mehr vorhanden gewesen sein 3 , da sonst weder das beim Löschen
verwendete Wasser noch verbrannte Holzteile von der oberen
Altartafel bis zu den Reliquien gelangt sein könnten. Rätselhaft
ist auch die Bedeutung des unter dem Uuterbau des Altars
aufgedeckten Brunnens, der auch in einem von Prof. C. P. Bock
veröffentlichten Bericht eines Augenzeugen 4 erwähnt wird.
') Diese Kupferplatte stammt von der Hand des Goldschmieds Klücker,
der 1668 das ältere Tabernakel für den Altar angefertigt hatte. — ZdAGV
15, S. 83 (Bericht Klöckers über den Brand des .T. 1676): „ . . . item
einer von kaupfer gemachter altar, so ich Franz K locker wenige jahr zuvoren
gemacht“.
*) Vgl. die Worte des Berichts: „in den steine festgeklammert“.
3 ) Buchkremer a. a. 0. S. 266 ff. nimmt an, daß eine Anzahl Mar-
morplatten, die sich im Münster erhalten haben, die ehemalige, später von
einer Holzumklcidung umschlossene Mensa des Marienaltars bildeten. Ver¬
fasser hält aus den hier und am Schluß seiner Untersuchung entwickelten
Gründen dies für ausgeschlossen, teilt vielmehr die von Buchkremer a. a. 0.
Seite 269 ausgesprochene Vermutung, wonach die vorhandenen Marmorplatten
der Mensa des ehern. Erlöser- bezw. Kreuzaltars augehörten; vgl. oben
S. 215 A. 4.
*) Vgl. Faymonville, a. a. 0. S. 234, A. 4. Es heißt dort, daß der
Brunnen auch Wasser enthalten habe. Der Bericht bestätigt ebenfalls die
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Der ehern. Marienaltar d. Aach. Münsters i. d. Kapitelsprotok. d. Marienstifts. 221
Da (las Protokoll, dessen Mitteilungen offenbar auf dieselbe
Altarform zuriickgelien wie die Nachrichten der beiden jüngeren
Gewährsmänner, erst aus dem letzten Viertel des 17. Jahr¬
hunderts stammt, so gilt die hier gegebene Beschreibung na¬
türlich nur für die damalige Altarform. Es läßt sich nicht mehr
entscheiden, ob diese Form noch die ursprüngliche war oder ob
nicht vielleicht der ehemalige karolingische Altar beim Chor¬
neubau oder bei der Errichtung der Marienkapelle umgestaltet
worden ist. Ein unmittelbares Bedürfnis, nach Abbruch der
alten Chorapsis die bisherigen Verhältnisse am Altar zu ändern,
bestand nicht, und es ist wohl eher anzunehmen, daß man aus
Tietätsgründen die Anlage in der von ihrem Stifter überlieferten
Form unangetastet beließ. Trifft diese Vermutung zu, so wäre
der ehemalige Marienaltar, der 1786 einer gegenüber den köst¬
lichen Werken alter Kunst verständnislosen Zeit zum Opfer
fiel, auch in seiner äußeren Erscheinung noch auf den großen
Gründer der Aachener Münsterkirche zurückzuführen.
Anlage.
Auszüge aus den Kapitelsprotokollen des Aachener Marienstifts
betreffend den ehemaligen Marienaltar.
Staatsarchiv Düsseldorf, Marienstift Aaohen.
1. 1695 September 17: Darbey verordiniert, das das hochwürdige heilige
Sakraments-Heußleiu ahn dem ordt, da es itzo bei ingang des chors a sini-
stris stehet, untransferirt verpleiben solle, und aber, dieweil sulches ordt . . .
mit feuchtigkeit der mauren halber abundirt, das der baumcister zu ab-
wendung dessen sulchs werk von binnen mit brederen allenthalben bekleiden,
die trallien mit färben abstreichen und übergulden lassen solle. (Bd. ll d .)
2. 1607 September 19: Imglcichen nochmals coududirt, daß der fabric-
meister ahn Vnser-L.-Frawen-Altar die sedilia für die herren Diacon und
Subdiacon, wie vor diessen verordnet, cum ordinatione reverendissimi domini
decani machen lassen solle. (Bd. ll f .)
Pavimentfunde und gibt an, daß auch Siinar als Augenzeuge des Abbruchs
für die Richtigkeit der einzelnen Angaben eingetreten sei. Bei den jüngsten
Ausgrabungen im J. 1910 haben sich keinerlei Reste dieses Brunnens bezw.
des Altarfundaments gefunden. Sie scheinen bei Errichtung des jetzigen
Sakramentsaltars beseitigt worden zu sein.
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3. 1631 September 18: Item concludirt, capellam Beatae Mariae Vir¬
ginis cum tumba einwendigs, dan auch gemelte capell auswendig renoviren
zu lassen, darzu dan die XVIII goldgulden, welche der herr Bisterfeldt pro
renovatione feretri besetzt und legirt, zu appliciren. (Bd. 11‘.)
4 . 1634 Mai 26: Item concludirt, testudinem super altare Beatae
Mariae Virginia cum tumba reuoviren zu lassen; die auswendige reparation
kahu nachgehendts verfolgen, und wird das renovationswerk dem berrn
Vogels zu guter obacht und Verrichtung anbevolen. (Bd. 11‘.)
5. 1635 Juni 16: Die reparation exterioris partis capcllac Beatae Ma¬
riae Virginis betreffend ist recessirt, damit einznhaltcn, und gebe es die
itzige gelegenheit nit. (Bd. 11*.)
0. 1666 September 20: Propositum fuit de tapete imponendo seamno
ad coluinnas navis ecclesiae e regione suggestus concionatorii etc., item de
ciborio post concionem expouendo: super quibus nihil resolutum, nisi quod
domino scholastico placebit cogitare et referre de modo habendi aliqnod rc-
positorium, in quo ciborium, quod habetur vel uovum fieri poterit, in ipso
altari Beatae Virginis lioris opportunis recondi possit. (Bd. 11 n .)
7. 1667 September 19: Quoad tabernaculum in altari Beatae Mariae
Virginis commissum rectoribus sacristiae, ut procurent modellam exhibendam
r do capitulo.Item ordinatum, ut quaerantur sedilia, quae parala
ante hacc fuerunt pro celebrante diebus festis cum diacono et subdiacono,
et in usum deducantur. (Bd. 11°.)
8. 1668 Januar 9: Domini rectores sacristiae retulerunt, quomodo
K locker praesentet, faccrc repositorium pro reponendo ciborio in altari
Beatae Mariae Virginis; commissum dominis rectoribus sacristiae et domino
Vanderlinden, ut cum ipso agant. (Bd. 11°.)
9. 1669 Juni 1: Item moneatur campanator, ut toties, quotics clauditur
theca argentea super altare Beatae Mariae Virginis, ipse caudem thecam
ligneam coopcriat corio ordinnrio. (Bd. 11 °.)
10. 1669 September 19: Item ordinatum, quatenus circa turriculam
venerabilis locus inundus a telis aranearmn, pulvere et sordilms teneatur,
similiter circa altare Beatae Mariae Virginis. (Bd. 11 °.)
11. 1670 September 18: Ordinatum, fiant sedes pro altari Beatae Mariae
Virginis, in quibus celebrans cum diacono et subdiacono sedeat tempore, quo
musica canitur Gloria in excelsis et Credo. (B. 11 °.)
12 . 1676 Oktober 1: Incidit funesta conflagratio casualis summi altaris
Beatae Mariae Virginis in hac ecclesia, quae incepit inter 7. et 8. vesper-
tinaro, quae paulo post octavam concursu hominutn extincta fuit nullo alio
damno notabili illato, nisi quod trunens statuac Beatae Virginis arserit et,
in cincrcs redacta fuerit, capitc et manu eiusdem statuao utcunque salvis
et novae statuae aptandis sicuti et capite statuac pueruli Jesu. Adustum
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fuit etiam aliquantulum pheretrum exterins ligneum reliquiarum maiorum,
pherctro argenteo scu interiore per omnia salvo. Quia vero in extinctione
ignis niultuni aquae iniectum fucrat in pheretrum ligneum, quod, ut iatn
dictum est, aliquantulum adustum erat seu flamm am conceperat, liinc die
veneris 2 rt * octobris indictum fuit capitulum post summum sacrum in sacra-
rio, ubi domini resolverunt pheretrum argenteum seu interius aperiendum et
maiores reliquias exiinendas, si forte aliquid aquae in ipsum fcrctrum in¬
terius intrasset et bursas, quibus dictae reliquiae includuutur, madefecisset,
ut sic eaedern reliquiae ab omni humore servareutur intactae, et ad finem
aperiendi dictum feretrum signilicandum consulibus id faciendum hora prima
sabathi proximc sequentis seu sequenti die, et ad eum effectum deputati
sunt ad dominos consules dominus Dunwaldt et dominus Palaut, ut illis hoc
significarent, ut, si praeseutes esse vellent, comparare dicta hora in ec-
clesia possent. (Bd. 11»’.)
13 . 1676 Oktober 3: Sabbatlii, 3 tu octobris, hora prima domini com-
parucrunt in ccclcsia, prout etiam consules et r du ' dominus decanus, ad-
hibito aurifabro ecclcsiae et fabro ferrareo eiusdem ecclesiae aperuit in
praesentia cousulum stantium ante altare supradictum pheretrum interius
claustro per fabrum ferrareum et aurifabrum ecclesiae iuratos aperto, quo
facto r d “‘ dominus decanus extraxit ordine bursas 4 reliquiarum maiorum
easque ex superiori loco domiuo Ainel vicario regio stanti ad altare porrexit,
ubi dictae bursae inspectae inventae sunt prorsus ab omni humore intactae,
et consulibus et populo astanti osteusae sigillumquo r di capituli, quo dictae
bursae in reclusione obsignatae fuerant, recognitum integrum et illaesuin.
Quo facto bursae reliquiarum non apertae fuerunt, sed eodem modo rursus
repositae per r dum dominum decanum in pheretro interiori fuerunt; quibus
repositis r. dominus decanus dedit bcnedictionem cum capsula ordinaria, quae
aperiri non solet, et apposito novo claustro ad ostium pheretri Claris fracta
fuit; iuventisque bursis reliquiarum plane integris nec vel in minimum made-
factis post earundem repositionein per musicos cantatum fuit Te deum
laudainus ordinatumque, ut die lunae, quae erat 5'“ octobris, celebraretur
sacrum specialc in gratiarum actione pro conservatis reliquiis, quod per
conciouatores publicatum fuit et successive sacrum dicta die post summum
sacrum ordinatum celebratum. (Bd. ll p .)
14 . 1676 Oktober 5: Die 5‘* octobris in sacrario convocatis dominis
ordinatum fuit, ut armarium, quod est intra altare, cuius ostia sunt in pos¬
teriori parte altaris, aperiretur propter reliquias, quae ibidem despositae
sunt, et nunc per iniectionem aquae madefactae extraherentur et visitarentur,
quod etiam successive factum est. Inventum fuit armarium illud plenura car-
bonibus extinctis, quae ex tabula superioris altaris aliis lignis combustis
intra illud dcciderant, extractaeque sunt divorsae thecae, in quibus diversae
reliquiae habebautur, inter quas aliquae habebant nomina adscripta, aliquac
vero non, et omnes, quae hinc extractae, delatae fuerunt ad sacristiam et
ibidem visitatae et separatac, ut siccarentur. (Bd. 11 p .)
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15 . 1676 Oktober 7: Ordinatum fuit, ut institueretur inquisitio, cuius
culpa dictum incendium seu conflagratio contigisset, examinatique fucrunt
omnes capellani et vicarii aliique ecclesiae ministri et quidem etiam sae-
eulares, qni primi ad extinctionem concurrerunt, et maxime magister Wilhcl-
inus Wirtz sartor e regione maioris coemiterii habitans, qui priiuus ignem
ex sua domo adverterat et cancellistas vocaverat. (Bd. ll p .)
16. 1677 Januar 27: Super supplica et remonstratione cancellistarum,
quod ipsis culpa combustae statuae Divae Virginia non sit ascribcnda, sed
potius illud incendium exortum sit ex stellis plumbeis ex fornicc deeaden-
tibus, ordinatum, solvat fabrica vel sacristia sculptorem pro confecta reno-
vata statua. (Bd. 11 p .)
17 . 1682 Mai 5: Circa tabernaculum, ubi reponitur venerabile sacra-
mentum, moneantur sacrista et famulus sacristiae, ut ille locus mundus tenc-
atur, et domini rectores sacristiae curcnt idem tabernaculum nitide dealbari
et, quae olim deaurata, rursus deaurari et ferreamenta colorari et in sum-
mitate parum deaurari et deinde illa laterna pendens ante venerabile ad
tabernaculum in summis festis purgetur. (Bd. ll p .)
18 . 1689 Mai 20: Videatur, an possit altare Beatae Mariae Virginia
parum removeri versus chorum, ut diaconus et subdiaconus possint melius
flectere; item omnia promptuaria et cistae, quae sint retro altare Beatae
Mariae Virginia, auferantur et bene purgetur ille locus. (Bd. ll q .)
19 . 1691 August 31: Vendenda grana fabricae ad concurrentiam ad 70
patacones circitcr, quos Laurentius Thielen donavit ad ornandam capellam
et altare Beatae Mariae Virginis, quatenus ad hoc applicarentur. (Bd. ll q .)
20 . 1692 Juni 17: Ratione pecuniarum pro maiori ornamento altaris
Beatae Virginis donatarum examinent dominus Libotte et dominus Fraipont
ad referendum. (Bd. 11 q .)
21 . 1695 Mai 13: ... . item ad novum pavimentum cum mutatione
cancellorum in decentius ad altare Beatae Mariae Virginis collocando-
rum videatur et exnmiuetur, qualiter fieri queat, idque pro maiori decore.
(Bd. 11 *».)
22 . 1695 Mai 14: Item ordinandus alius decens locus pro venerabili,
si commode licri valeat. (Bd. 11 '*.)
23 . 1695 Oktober 2: ... . apud altare Divae Virginis, ubi minor
magistratus extra scamnuin cominunicantium spectabat. . . . (Bd. 11 **.)
24 . 1696 Juni 1: .'. . .an mutandus locus pro venerabili? — muneat
in antiquo aut saltem examinetur. (Bd. ll r .)
25 . 1697 MJirz 7: Notandum, quod, cum nuper capella Beatae Mariae
Virginis lapide marmoreo strata sit ex liberali alieuius dono, expensa etiam
aliunde submiuistrata sint. (Bd. ll r .)
26 . 1697 September 18: Concionatores moneant populum, ne spuant
tarn faede ante altare Beatae Mariae Virginis sedeutes ad senmmum com-
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municantium neque fabulentur coram venerabili incluso. — Exarainetur per
aliqnos dominos, utrum bonesto modo et sine expedimeuto statuae Divae
Yirginis in einsdem altari vcnerabilc sacramentum aiicui tabernaculo una
cum ciborio ineludi valeat. (Bd. ll r .)
27 . 1708 Dezember 7: Dominus vieepraepositus Feibus notificavit
reverendissimum Dominum praepositum, quod regalis capitulum ex mandato
illustrissimi doraini nuntii debuerit transferre sacrum venerabile ex loco
antiquo ad altare Divae Virginis, in quo loco ab omni tempore fuit die ac
nocte cerea candela ardens, quae candela etiam ad debitum locum transferri
debet ex eo, quod praefatus reverendissimus dominus praepositus ad dictam
candelam obligetur, alioquin truncus ibidem pendens etiam transferri debet.
(Bd. 11 *.)
28- 1709 Mai 10: Propositum, utrum candela, quae antehac arsit ante
seu coram sacro venerabili ad sinistrum chori latus, non debeat ad certum
alium locum in hac ecclesia poni .... ordinatum, ponatur retro cruci-
fixum ante altare Beatae Mariae Virginis. — Propositum, an non posset pro
maiori ornameuto ac dccore altaris Divae Virginis tabernaculum ciborii ac
pixidis infra statuam eiusdem Divae Virginis in meliorem formam redigi P
— conclusum, fiat aliquod prototypon seu norma. (Bd. 11*.)
29 . 1709 Juli 18 (aus dem Erlaß des apostolischen Nuntius Bussi):
Inhaeremus decreto, quod ratione translationis tabernaculi et sanctissimi ad
altare in choro actuali in visitatione existentes tulimus, cuius executionem
hisce, si necdum ad effectum deducta est, demandamus. (Bd. 11 *.)
30 . 1710 Februar 20: Caspar Balthasar Schnewindt adraissus est, ut
ex argento faciat tabernaculum venerabilis sacramenti in altari Beatae Ma¬
riae Virginis habcatque pro qualibet semiuncia operis sui tres schillingos
pro 7 marcis aquensibus, fiatque opus illud iuxta modellum capitulariter
exhibitum expediaturque contractus in scriptis, quod factum. N. B. magistro
Schnewind extraditas 13 libras et 15 semiuncias argenti puri pro dicto
opere. (Bd. 11*.)
31 . 1711 Januar 3: Audita propositione, quod aurifaber Schnewind
pro novo tabernaculo nostri altaris Beatae Mariae Virginis admissus adhuc
indigeat 7 libris argenti, ordinatum, ut nostra antiqua remonstrantia, depositis
unionibus et auro, convertatur in istum usum. (Bd. 11*.)
32 . 1711 September 18: Domini sacristiac magistri velint providere de
minori crucifixo super tabernaculo ante statuam Divae Virginis ponendo.
(Bd. 11 *.)
33. 1712 März 17: Ad propositioucm magistri Schnewindt, quod ulte-
riores laminas suas pro extensione et perfectione ornaraenti ad tabernaculum
altaris Divae Virginis paratas habeat., ordinatum, ut expectet cum applica-
tione eurundem usque ad dominicaiu quartam post Pascha, tum etiam pur-
gabit ccteras laminas argenteas einsdem tabernaculi. (Bd. 11 *.)
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34 . 1714 September 18: Rcpropositum est, quod nuper in capitulo facta
fuerit mentio de tollemiis antiquis cistis retro altare Beatae Mariae Vir-
grinis dcque ponendo decentiori quodam ornamento circumcirca idem altare.
(Bd. 11".) — Der Beschluß wird wiederholt am 31. Mai und 18. September
desselben Jahres mit dem Verlangen: producatur prototypon.
35 . 1715 Februar 22: Josephus Clemens elector Coloniensis .... intro-
ductus est usque ad altare Divac Virginis .... intrando cancellos capit
sessioncm suam ad dexteram partem seu cornu evangelii infra tintinnabulum
seu nolas ibi pendentes. (Bd. 11 u .)
36 . 1718 Mai 27: Prototypon ornamenti altaris Beatae Mariae Virginis
examinetur et ex pecuniis eum in tinem assignatis splendidem et constans
ornamentum circa dictum altare eonficiatur. (Bd. 11".)
37. 1719 Mai 19: Approbatum fuit prototypon a domiuo Wildt pro-
positum pro illuminatione fornicis supra altare Beatae Mariae Virginis, et
conveniatur cum architccto quovis meliori modo, deinde cum eodem archi-
tecto conferatur circum modum illuminandi columnas fundamentales in medio
ecclesiae usque ad fornicem obtulitque dominus de Wylre sc informare Co-
loniae de certo artis perito, qui callet artem columnas marmoreas poliendi.
(Bd. 11".)
38 . 1719 August 4: Item approbatum fuit prototypon pro ulteriori or¬
namento fornicis ante altare Beatae Mariae Virginis, et rev ma ‘ dominus
decanus cum domino Mauw et Wildt convcniant cum artifice de pretio, super
quo et laboribus iam perfectis .... dominus Moers extradat 40 patacones
in specie. (Bd. 11 ".)
39 . 1719 Oktober 31: (Die Einkünfte des neu besetzten Scholasteriats
sollen zumteil verwendet werden) in subsidium inchoati suuiptuosi ornatus
regalis kuius ecclesiae uti et capellae coronationis Caesareae. (Bd. 11 u .)
40 . 1719 November 10: Cum Vasallio stuccatore et aliis artificibus
aut operariis pro exornatione fornicis altaris Beatae Mariae Virginis per
rev inmn dominum decanum et dominum Wildt iuxta contractum iuitum et
pro arbitrio corum, quoad labores in contractu non comprehensos, satisfiat ex
granario, ex quo ad interim summa 200 pattaconum recipiatur. (Bd. 11 T .)
41 . 1727 September 18: Fiat prototypon pro novo scamno commuui-
cantium et pavimento altaris Divae Virginis .... et praevia rev dl capituli
ratificationo quautocitius ad executionem promoveatur. (Bd. 11 w .)
42 . 1732 Mai 2: Ex quatuor designationibus pro stratu marmoreo
ante altare Beatae Mariae Virginis per dominum Couven conceptis una ca-
pitulariter approbatur. (Bd. ll x .)
43 . 1741 April 21: Couven . . . . se obliget ad exequendaiu portam
scanmi cominunicantium ad altare Divae Virginis. (Bd. 11 *.)
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44 . 1741 Mai 13: Committitur arcbitecto Couven, ut pro 6 ludovicis
aureis conveniat cum sculptore beneviso pro exsculptione in ligno modella
cuprea pro porta communicantium. (Bd. 11*.)
45 . 1747 Oktober 20: Lecta et ratificata est oblatio artificis Leodiensis
Josephi Chaudoir pro fnndendis portis cupreis ad scamnum communicantium
ante altare Divac Virginia.(Bd. 11 y .)
46 . 1753 September 23: Lecto memoriali aurifabri Mören de 19. cur-
rentis visaque ipsius delineationc hodic praesentata pro novis candelabris
argenteis ad altare Divae Virginia resolutio desuper suspenditur. (Bd. ll y .)
47 . 1753 Dezember 11: Regale capitulum acquievit praclecta hodie
declarationc domini Beuß ratione unius paris candelabrorum argenteorum pro
ara Divae Virginis Augustae Vindelicorum fabricatorum. (Bd. 11 y .)
48 . 1758 Oktober 24: Admodum rev mu ' dominus cantor cum dominis
fabricae et sacristiae magistris denomiuatur, ut ratione portae scamni com¬
municantium cum domino Termonia Leodiensi conveniat. (Bd. 11*.)
49 . 1759 Juni 1: Solvat fabrica domino de Paix diversa exposita pro
vacatione architecti Leodiensis Termonia occasione scamni communicantium
ascendentia ad 26 imperiales currentes cum 36 marcis. (Bd. 11*.)
50 . 1761 Oktober 16 : Paulus Cremer nuper in fabrum ferrarium acceptus
et electus bodie iuramentum ordinarium praestitit et acceptavit conditio-
ncs.Sunt tenoris sequentis: . . . . ö* 0 "’ soll er auf denen ge¬
wöhnlichen Festägen und so oft als ibine solches von capituls wegen an¬
befohlen wird, die beide güldene Kasten, worin die hh. Reliquien aufbe¬
halten werden, und den hohen Altar im Chor behutsam auf- und zuschließen
und für jedes Mahl von jedem Kasten haben vier Marek aix; wobey jedoch
ein Hochwürdiges Capitulum sich Vorbehalt, was darzu der Hochwürdige
Herr Probst besonders wegen der Kasten auf unser lieben frawen Altar
contribuiren muß. (Bd. 11*.)
51 . 1774 April 19: Restituat sacristia plurimum rev do domino cantori
sex coronatos, quos exposuit pro expurgando antipendco argenteo altaris
Beatae Mariae Virginis. (Bd. 11 cn .)
52 . 1776 Dezember 6: Rev’"" 1 ’ dominus decanus produxit capsulam ob-
longam sibi transmissam ex Hafnia 1 per dominum Zuber, quae aperta fuit
ac continet plures tabulas ichnographicas cum pro memoria et duobus ad-
iunctis snb No. 1 u. 2 relative ad chornm regslis huius eeclesiae. (Bd. ll rc .)
53 1778 Juli 1: Claves truncorum . . . . : Tres claves ad truncum
offertorii retro altare Divae Virginis inter cancellos. Item duas claves ad
truncos oblationum ad ambo altaria omniutu sanctorum et S. Josephi. Item
duas claves ad truncos oblationum ad portam ferream chori ex parte lateris
sinistri et ad latus iuxta statuam Divi Caroli. Denique duas claves ad
cisUim oblationum prope altare s‘* c Crucis in alto monasterio. (Bd. ll cc .)
*) Kopenhagen.
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54- 1782 April 26: Cum post ordinationes domini nuntii apostolici
Coloniensis de anno 1709 tabernaculuin seu reconditorium sanctissimi vene-
rabilis adhuc hodiedmn ex parte sinistri lntcris chori existens ad nibil atn-
plius inserviat cumquc statuac exteriores sanctorum mariyrum, virginum nc
confessorum circumcirca aram Divae Virginis existentes siut mutilatae, binc
resolutum fuit: antiquum illud tabernaculum uti et dictas statnas inde esse
amovendas. (Bd. ll dd .)
55. 1785 Mai 7: Quoad altare Divae Virginis aliter locandum, cum ad
boc plurimi domini incliuare non videantur, binc hocce punctum reservatur
ad penitius examinandum; poterit nihilominus fieri per .... fabricac
magistros spccificatio sumptuum. (Bd. 11 dd .)
56. 1785 September 19: Audita propositione domini Moulan pro restau-
rando altari Beatae Mariae Virginis visaque cius restaurationis iconographia
deputati fuerunt plurimum rev ,m,s dominus cantor, dominus Corneli, officialis
et vicescholasticus, dominus Kabr et dominus de Mylins ad examinandum
desuperque referendum. (Bd. ll dd .)
57. 1786 Mai 30: Quoad altare Beatae Mariae Virginis iterato res
examinanda. (Bd. ll dd .)
58. 1786 Juni 6: Circa altare Divae Virginis unanimiter resolutum:
ad hoc, ut in illo decentius, comraodius et spatiosius praecipue in maioribus
festis et solemnitatibus occurrentibus officia diviua peragi possint, illud cir-
cumcingens parvus cborus usque ad columnas fornicem alti monasterii
utrimque sustinentes circumcirca usque ad planitiera chori post octavam
venerabilis sacraiuenti demoliatur, ita tarnen, ut, quam minime poterit, in¬
terim in dicto altari officia peragenda praepediantur. Ac interea requiruntur
domini raagistri fabricac, ut unum ac alterum planum aut delineationes re-
gali capitulo ad approbandum procurare velint, ita ut altare, quantum
scilicet dictum altare, intra cbonim quatuor aut quinque pedibus progredi
possit, qualibus et quantis columnis et aliis decorationibus illud exomari
deceat et securius reddi possit. (Bd. ll dd .)
59. 1 7t-6 September 20: Ad propositionem domini viccpraepositi Cardoll,
ut circa altare Divae Virginis prout modo loeatum sumeretur resolutio de
consumanda dicti altaris structura, quosuper audito domino Moulan ad hoc
requisito, ut inentem suain aperire et medium suggerere vellet, quo illud
decentius et oruatius fieri posset, magna vero cista, in qua servautur ma-
iores sacrae reliquiae, secundum ipsius senlimentum difficulter in dicto altari
collocari possit, unanimiter resolutum fuit, ut fiat planum tarn quoad exor-
nandum altare quam de collocanda illa cista reliquiarum c regione cathedrac
evangelii, ut respectu illius catbedrae faciat parallelum. (Bd. ll dd .)
60. 1787 März 30: Dominus Moulan rcgali capitulo proposuit scriptum
teuoris sequentis:
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Der eben). Marienaltar d. Aach. Münsters i. d. Kapitelsprotok. d. Marienstifts. 229
Reverendissimi, amplissimi, adraodum reverendi
et perillustres doinini.
Ichnographias tres praeterita byeroe conceptas regali capitulo exarui-
nandas bic exhibeo.
Prima exbibet vcstibulum templi nostri sub campanarum turri ex
sectis lapidibus construenduni, quod basilicae regiue decorem addet et ma-
iestatem, tenebras cxpellet, ventum arcebit et novnm quingentis hominibus
consistendi spatium tribuet.
Secunda altaris Beatae Mariae Virginis exstruendi formani exprimit
una cum eancellis, quibus chorus minor a maiori seiungatur.
Tertia Iocurn aptum designat, ubi bina ex martnore altaria construi
cancellisque circumdari possent, nullis omnino olmoxia incongruentiis et pro-
fanationibns, prout sunt omnia altaria, quae sub rotunda hactenus exstite-
runt, quae novis exstructis amoveri meo iudicio deberent, tum quod inepte
columnis adhaereant et structurae pulcbritudinem obumbrent, tum quod
gravibus incommodis subiaceant ac inutiles expensas causent.
bladem ichuograpbia exprimit modum collocandi, quo decet bonore et
reverentia, ss. maiorum reliquiarum capsam auream cum gradibus responden-
tibus iis, quibus ex adverso ad evangelii nmbonein conscenditur.
Plncetnc tres lias iebnographias approliare easdemque aestate proxima
executioni mandare et qnenquam dominorum nominare, qui omuium operum
perficiendorum curam in se suscipiat?
Resolutum: placere dicta proposita, approbari ichnographias et rogari
dominos fabrieae praefectos cuin domino de Mylio arebipraesbytero, ut
aestate proxima opera 1 compleri curent hisce figuris adumbrata, nimirum:
Vcstibulum* ex sectis cacruleis lapidibus sub campanarum turri, deinde
ss. maiorum reliquiarum capsae aureue e regione evangelii ambonis honori-
ficain exaltationem et gradus, quibus ad cnndcui simul et cbori scamna
utrimque aseendi possit sublatis hiuc inde tribus stallis cum recurvo eorum
dorso. deinum altare minus cum eancellis in loco adumbrato aliudque simile
e regione eiusdem, remotis utrimque impedimentis, scilicet Caroli Magni
statua cum supposito pretioso lapide inarmoreo 3 et domuueula lignea, aperta
quoque ad sacristiam fenestra, ita quidem, ut dicta tria altaria cum can-
cellis chori Divac Virginis sint mannorea, columnae vero eidem altari pro-
ximae cum parietibus ab evangelii ambonis et ss. maiorum reliquiarum
capsae gradibus ad altaria minora usque ad convenientem altitudinem mar-
morc crustentur. (Bd. 11 d<1 .)
61 1787 Mai 18: Producta fnernnt plana et devisa quoad altare Be¬
atae Mariae Virginis etc., quae n mittuntur dominis deputatis Leodiensibus
cum Köhler .... (Bd. 11‘‘‘.)
‘) Urschrift apere.
Dieser Vorbau an der Westseite des Münsters kam 17*8 zur Ausführung; vgl.
F .i y ni o n v i 11 e a. a. O. S. Hfl".
3 ; Der bekannte Proserpin»Sarkophag. — Zur stalua Caroli vgl. ZdAGV 29 S. 80 ff.
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230
F. Karl Becker
62. 1787 Juni 30: Domini deputati ad altare Divae Virginia retu-
lerunt, columnas inarmoreas posse remitti ad aliud tempus, columnas ec-
clesiac marinore non investiendas esse ac tabernaculum laminis argenteis
coopertum, in quantum possibile erit, remanere debere. (Bd. ll cc .)
63- 1787 September 20: Producta plana circa altare Divae Virginia
reaedifienndum, circa capsam ss. reliquiarum maiorum non in altari, ut an-
tea reposita erat, sed e regione cathedrae, e qua evangelium decautatur,
reponendam. (Bd. 11 ce .)
64 . 1787 Dezember 29: Lectis et approbatis conditionibua altaris Be-
atae Mariae Virginis de novo erigendi deputatur fabricae famulus Köhler,
ut ae conferat Leodium pro plani executione et ad conveniendum de pretio.
Insuper deputantur domini fabricae magistri, ut, quamprimum aura permittat,
erectionem novi frontispicii, dealbationem ecclesiae et collocatiouem altaris
Divae Virginis curare velint. (Bd. 11 ee .)
65 . 1788 Februar 9: Lectis conditionibus quoad erectionem novi altaris
Beatae Mariae Virginis per N. Dumont productis deputantur rev mu " dominus
decanus, domini de Guaita et de Mylius arcbipresbytcr, ut cum ipso de
pretio conveniant tarn puncto novi altaris quam aliorum operum in ecclesia
faciendorum. (Bd. ll ee .)
66. 1788 Februar 15: Approbatur conventio cum N. Dumont inita
quoad altare Divae Virginis aliaque puncta in contractu mentionata erga
pretium 405 carolinorum. (Bd. ll ee .)
67. 1788 Februar 28: Lectae fuerunt litterae N. Dumont quoad capi-
tella columnarum altaris Beatae Mariae Virginis et caneellos cupreos 1 puri-
ficandos; cui rescribatur, ut modellum conficiat. . . . Quoad caneellos autein
rem adhuc esse praematuram. (Bd. ll ee .)
68. 1788 März 8: Productum fuit planum altaris Beatae Mariae Vir¬
ginis, quod approbatur. (Bd. ll* e .)
69 . 1788 Juni 27: Producta forma capitellorum et basium® colum¬
narum altaris Beatae Mariae Virginis: resolutum, illa esse facienda ex ligno
deaurato. (Bd. 11 ce .)
70. 1789 Oktober 25: Lectae litterae domini marraorarii Dumont do-
mino Köhler inscriptac uuntiantis se post festum omnium sauctorum huc
cum suis operariis venturum ad novum altare ponendum conformiter ad
conventionem; interea erigetur altare portatile inter columnas ad ibidem ce-
lebrandum. (Bd. 11 **.)
71. 1789 November 9: Audita relatione domini officialis rogatur rev n,u *
dominus decanus, ut quamprimum sacras reliquias sub altari Beatae Mariae
Virginis ab eiusdem sub Divo Carolo Magno per Leoncm III. consecratione
quicscentes novac tkecac inclusas decentius ibidem collocandas curet. (Bd. 11 *•.)
') Gemeint sind die Messingsilulen hinter dem Choraltar; vgl. ZdAGV 22, S. 234.
*) Urschrift basim.
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Der ehern. Marienaltard. Aach. Munsters i. <1. Kapitelsprotok. d. Marienstifts. 231
72. 1789 November 20: Revdominus decanus in nuperrimis comitiis
. ... ad saerns reliquias sub ara Divae Virginis quiescentes decentius
collocandas retulit, se negotium hac executione mandassc, affixa etiam ad
perpetuam rei meraoriam reliquiarum capsae tabula tenoris sequentis:
Lecturis salutem in Domino. Cum antiquissima et singularibus
privilegiis celeberrima hacc Divae Virginis ara elegante opere vere
proxitno coudeeoranda marmoreis iam tune eancellis circumdarelur,
priusquam ad sacrum eius sepulcrum per portas aeneas austruin
versus oppositis laminis marmoreis aditus praecluderetur, con-
venienter regalis capituli hodiernae diei decreto debita sanctorum
rcliquiis sub hac ara quiescentibus veneratione consulere volentes,
sacros cineres et ossa ibidem reperta levari, capsae ligneae con-
gruenter ornatae decentius includi, capsam regalis capituli sigillo
cerae rubrae impresso per secretarium obsignari, obsignatam sub
eadem ara denuo recondi haneque tabulam manu nostra, scholastici
et secretarii, subsignatam sub eodem sigillo dictae capsae ad perpetuam
rei meraoriam atligi curavimus, idibus Novembris MDCCLXXXIX.
Signatum: Cardoll, decanus. Heusch, scholasticus.
J. F. Wesender, secretarius. (Bd. 11".)
73. 1789 November 21 : Propter laborem operariorum circutn altare Divae
Virginis ordinatum nullatn hodie esse habeudam concionem. (Bd. ll ee .)
74- 1789 November 24: Quaeritur ex parte fabricae famuli Köhler
quoad novum tabernaculum altaris Divae Virginis; ordinatum, ut fiat, planum
per dictum Köhler ac producatur in proximo. (Bd. ll co .)
75. 1790 Februar 5: Leetae sunt couditiones, iuxta quas fabricae fa-
tnulus Köhler in se suscipere vult diminutionem columnarum choro conti-
guarum et confectionem portarum contiguaruiu omnia suis expensis pretio
quiuque ludovicorum aureorum. Productum fuit planum ad faciendum novum
tabernaculum respectu decorationis in auro vel argento. (Bd. 11 ec .)
7ö. 1790 April 9: Fiat per N. Stengeler pictorem proba in auro pro
capitellis in altare Beatae Mariae Virginis. (Bd. 11".)
77. 1790 April 23: Productum est exemplar capitelli columnarum pro
altari Beatae Mariae Virginis, qu'od approbatur ac resolutum, ut deauratio
fiat cuin vernisinc pretio 60 imperialium pro sex. — Resolutum, ut in altari
Beatae Mariae Virginis circa eiusdem statuam fiat loculamentum. (Bd. ll ee .)
78. 1790 Mai 15: Committitur dotninis fabricae magistris, ut totum,
quod superest ad altare Divae Virginis cum eancellis, scamno eommuni-
cantium et caeteris eo pertinentilus perficiendum, pro sua prudentia perfici
curcnt. (Bd. 11 '■'-.)
79. 1791 Juni 4: Resolutum in novo altari Beatae Mariae Virginis
ponenda esse quatuor candelabra et duos angelos, enius executio committitur
dominis de fabrica ad mentem regalis capituli. (Bd. ll ee .)
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Mercurius Susurrio.
Von Franz Cramer.
Es ist bekannt, daß Caesar Mercurius als den meistver-
ehrten Gott der Gallier bezeichnet; natürlich meint er damit
eine keltische Gottheit, die von den Römern mit ihrem Merkur
gleichgesetzt wurde. Vor allem war dieser gallische Merkur
ein Gott des Verkehrs, des Handels und Gewinnes. Tatsächlich
sind der Widmungen und der Weihebilder für Merkur, die sich
bis heute erhalten haben, Legion, jedenfalls weit zahlreicher
als für irgend einen der andern echten und unechten Olympier.
Auch die Benennung dieses Gottes ist durch die Denkmäler
zweifelsfrei festgestellt; es war Esus, ein Name, der auch von
römischen Schriftstellern gelegentlich, wenngleich nicht aus¬
drücklich als Doppelgänger des römischen Merkur, erwähnt
wird. Und wiederum berichtet der andere der beiden Römer,
denen wir vornehmlich Nachrichten über unsere Urgeschichte
verdanken, nämlich Tacitus, daß die Germanen von allen Göttern
am meisten den Merkur verehrt hätten. Auch dies stimmt voll¬
kommen zu den Tatsachen; denn hier birgt sich unter dem
römischen Namen Wodan, der besonders in Nordwestdeutschland
schon früh als höchster der Götter betrachtet und demgemäß
auch von romanisierten Germanen als Mercurius angerufen
wurde. Daß übrigens Esus und Wodan so mancherlei Überein¬
stimmendes zeigten, daß sie sich römischem Auge gleichermaßen
als eine Art Merkur darboteu, mag im letzten Grunde doch
wieder auf die langwährende nachbarliche Gemeinschaft und
auch Verwandtschaft der Germanen und der echten Kelten 1
zurückgehen. Jedenfalls besitzen wir, wie gesagt, in gallisch¬
germanischen Landen noch zahllose Zeugen jener „Merkur-
Verehrung. Vielfach verrät sich dieser Merkur, auch wenn er
’) Oie Kelten Galliens sind nicht zu verwechseln mit der kleinen,
dunkelfarbigen Urbevölkerung, auf die sie stießen, mit der sie sieb mischten
und die auch heute noch auf französischem Boden deutlich erkennbar ist.
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Mercurius Susurrio.
233
in hellenisch-römischer Hülle auftritt, durch einen (örtlichen
oder provinziellen) Beinamen als gallischen oder germanischen
Ursprungs.
Ein bisher noch nicht bekannter Beiname dieses sei es
gallischen oder germanischen Merkurs ist durch eine merkwür¬
dige Inschrift bekannt geworden, die im Jahre 1910 unter dem
Fußboden des Aachener Münsters zutage kam. Sie lautet in
deutlich ausgeprägten Buchstaben:
M E R C V
RIO . SVSVRRI
0 N I . VICTORI
NVS . VADINI . FILIVS
V.S.L.M.L.P.D . 1
Susurrio ist handgreiflich ein Wort lateinischer, nicht etwa
gallischer oder germanischer Bildung; aber deshalb ist die dem
Worte zu Grunde liegende Vorstellung nicht ohne weiteres auch
als nur italisch-römisch anzusprechen, ebensowenig wie die in
Gallien und am Rhein verehrten Matronae oder Matres sich durch
ihren lateinischen Sammelnamen ihres provinzialen Charakters
begeben.
Auf Aachener Boden selbst ist im Jahre 1900 bei den
Grundarbeiten für das neue Rathaus ein Merkur-Altar mit
einem Abbild des Gottes gefunden worden, das sich durch die
Beigabe eines Hahnes — er steht auf der dem hellenischen
Mythus entsprechenden Schildkröte* — deutlich als gallischer
Anschauung entsprossen kennzeichnet; die ursprünglich beige¬
fügte Inschrift ist leider zerstört. Der Hahn ist auf gallischen
Darstellungen vom Bilde Merkurs unzertrennlich; so erscheint
er auch gerne auf einer gewissen Sorte römisch-rheinischer
Gläser, die wegen des aufgeprägten Bildes „Merkurflaschen“
') Die Scblußzeile ist aufzulösen: v(otuni) s(olvit) Rubens) m(erito)
l(aetus) p(osuit) d(edicavit). Die Inschrift ist mitgeteilt in dem „Bericht
des Vorstandes des Karlsvereins zur Restauration des Aachener Münsters
über das 63. Vereinsjahr 1910“, S. 25.
*) Die Schildkröte ist bekanntlich dem Hermes-Merkur heilig als dem
Erfinder des Lautenspiels; er erfand die Laute, indem er eine Schildkröten¬
schale mit Saiten bespannte. Vgl. Kisa, Antiken S. 12 (Denkschrift des
Museumsvereins zu Aachen, 1903).
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234
Franz Crarner
genannt werden. Ein Mer cur ins Arvernus erscheint nördlich
von Aachen, unweit Esch weder, hei Wenau (im Wehetal) und
gibt sich durch den gallischen Stannnesnamen ebenfalls deutlich
als keltisch zu erkennen; sein berühmtestes Heiligtum stand in
Lugdunum (Lyon), unter Kaiser Nero von Zenodorus verfer¬
tigt. Da übrigens dieser Arverner-Gott auch sonst in Nieder¬
germanien erscheint (zweimal in Gripswald bei Krefeld, einmal
in Cöln) 1 und zwar zum Teil auf Weihesteinen mit einhei¬
mischen Personennamen, so wirft dies auf die keltische Unter¬
strömung im linksrheinischen Germanien ein bemerkenswertes
Streiflicht 2 .
Dagegen ist höchst wahrscheinlich germanisch jener
Mercurius Leudisi(us), den wir aus einer im Kirchturm zu Lohn
(bei Eschweiler) eingemauerten Inschrift kennen; es ist Wodan
als mächtiger Volksherrscher 3 , womit merkwürdig die Be¬
zeichnung rex stimmen würde auf einer Nymwegener Inschrift,
die von einem Blesius, eines Burgio Sohn, also offenbar einem
Manne aus einheimischen Kreisen, gesetzt ist. Auch sonst ist
Merkur auf niedergermanischem Gebiet kein Fremdling: außer
dem Arvernus bei Krefeld begegnet uns ein Biausius bei
Geldern, von einem Simplicius Ingenuus verehrt. Dunkeln
Sinnes wie dieser ist ein Mercurius Hanno auf Eifeier Boden
(Rohr bei Blankenheim) 4 .
Weiter rheinaufwärts treten uns dann wieder Beinamen
mit mehr gallischem Klang entgegen, so besonders die öfters
verehrten Götter Visucius, sogar mit einer Gattin (der sancta
Visucia), und Cissonius, ferner der pfälzische Tourenus, der
Mannheimer Alaunus und ein Arcecius vom Bodensee 5 . Ganz
') Vgl. Bonner Jahrb. 90 (1891) S. 199 ff.
*) Die bei Roscher, Mythol. Lexikon geäußerte Vermutung, es hätten
die Arverner ursprünglich dort gewohnt, entbehrt gar zu sehr der sichern
Stütze.
s ) Über den Wortstamin leud-is-, auch im Personennammen Leudesius
(7. Jahrh.) hervortretend, vgl. R. Much in der Ztsch. f. Deutsches Altert.,
Bd. 35, S. 391. — 4 ) Vgl. R. Much a. a. 0. S. 207.
5 ) Möglich, daß auf diesen oder auf Visucius auch die Trierer Inschrift
gemünzt ist bei Hettner, Stcindenkm. Nr. 73, wo jedoch nur mehr . . . cio
zu lesen ist. - „Beiläufig, sollte das Cognomen das griechische äpx^yioc
vielleicht wiedergeben?“ (Siebourg, Röm.-germ Korresp.-Blatt VII [I914|
Nr. 63).
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Mereurius Susurrio.
235
neuerdings hat sich noch dazu gesellt ein Mereurius Bigentius,
der sicher gallischen Ursprungs ist, wie sich aus der Fundstelle,
dem gallisch-römischen Noviomagus (Neumagen) bei Trier, ergibt x .
Wir sehen, es ist eine lange Liste, an der so ziemlich alle
Teile des römischen Germaniens beteiligt sind; sie würde sich
erheblich verlängern, wenn wir auf rein gallisches Gebiet Über¬
griffen. Im übrigen bietet die bunte Mischung von gallischem
und germanischem Sprachgute ein lebendiges Abbild der Misch¬
kultur in den Rhein-Donau-Gebieten, wo trotz römischen Ein¬
flusses provinziale Eigenart sich zu entfalten wußte.
Als gallischen Handelsgott offenbart sich Mereurius-Esus
am deutlichsten, wenn er sich mit Rosmerta, der ausge¬
sprochenen Göttin des Geldgewinnes, verbindet; sie hält
gewöhnlich eine Börse oder ein Füllhorn oder ähnliches Ab¬
zeichen (auch den Caduceus) in der Hand; anderswo empfängt
sie aus den Händen Mercurs den Inhalt einer Börse. Diese
gemeinsame Verehrung beider Götter war in den Moselgegenden
und am Mittelrhein verbreitet, und aus diesen Vorstellungen
heraus findet die Darstellung „Merkurs“ mit einer (diesmal un¬
genannten, aber den Caduceus haltenden) Göttin ihre Erklärung,
die sich auf einem zu Bierbach (im untern Maingebiet) gefun¬
denen Weihestein zeigt und die Widmung Deo Mercurio Nund
(inatori ) 2 trägt: es ist also der Marktgott, der hier verehrt
wird, und die Verbindung mit Rosmerta lehrt wieder, daß
trotz der lateinischen Bezeichnung Nimdinator provinziale Vor¬
stellungen sich ausprägen.
So wird denn auch unser Aachener Susurrio nicht not¬
wendig eine nur italisch-römische Ausdeutung verlangen, und zwar
um so weniger, wenn sich in dem Widmenden der Träger eines
dem Rheingebiet eigentümlichen Namens darstellen würde.
Victorinus, des Vadinus (oder VadiniusP) Sohn, nennt sich unser
Merkur-Verehrer. Der Umstand, daß er sich nicht der tria
nomina, der Dreiheit des römischen Bürgernamens, bedient, weist
weder auf eine frühe Entstehungszeit der Inschrift hin, noch
spricht er besonders für die national-römische Abkunft des
') Vgl. v. Domas7.cwski, Bericht über die Fortschr. d röm. germ.
Forsch. 1906/07 S. 57.
2 ) Erhalten ist auf dem Stein nur Xuml . . . ; die Ergänzung erscheint
zweifellos.
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236
Franz Cramer
Mannes. Immerhin ist Victorinus, wenngleich seltener als Victor
und Victorius, auf italischem Boden vertreten; der Name aber
ist erheblich häufiger in Gallien und ganz besonders in den
beiden Germanien, vorab in Niedergermanien, dann auch in
Mainz, dem Standorte der 22. Legion, die übrigens zeitweilig
(wahrscheinlich zwischen 70 und 90 n. Chr.) am Niederrhein,
in Nymwegen, gelegen hatte'. Von Mainz aus drang der Name
auch an den Limes, wo er z. B. in Murrhardt und Mainhardt
bezeugt ist. Besonders sind diese Vietorini Soldaten, also
doch vorwiegend Einheimische, die namentlich in Mainz wie
auch am Niederrhein auf Weihesteinen erscheinen 2 . In Gripswald
und Cöln kommt der Name dreimal auf Matronensteinen vor,
und gerade die Mütterverehrung war bekanntlich gallisch-ger¬
manisch. Provinziales, wohl keltisches Gepräge zeigt auch das
Geschwisterpaar Victorinus et Admanatia Sperata, das beim
Limeskastell Mainhardt (Würtemberg) einem Verwandten einen
Grabstein setzte. Gallischer Herkunft war auch jener trierische
Prätorianertribun und nachmalige Gegenkaiser M. Piaonius Vic¬
torinus (um 260), dessen mosaikgeschmücktes Haus sich zu
Trier wiedergefunden hat.
Jener Victorinus also, der zu Aachen den Mercurius Su-
surrio verehrte, mag wohl eher seine Wiege im Rheingebiet
als in Italien gehabt haben; aber ob eher germanisches oder
gallisches Blut in seinen Adern geflossen, ob er ein Landsmann
vom Mittel- oder Niederrhein war, dafür würde uns jeglicher
Fingerzeig fehlen, wenn der Mann nicht auch seines Vaters
Namen bezeichnet hätte. Ob mit dem Genetiv „Vadini“ das Gentile
Vadinius oder das Cognomen Vadinus gemeint ist, läßt sich aus dieser
Inschrift nicht ohne weiteres erkennen; denn wenn ein anderer eifri¬
ger Merkur-Verehrer bei Idenheim in der Eifel sich auf der Weih-
‘) Vgl. Cramer, Deutschland in röm. Zeit, S. 62.
a ) So zu Xanten ein „optio“ T. öranius Victorinus (Brambach, Corp.
inser. Rhen. 154); sonstige Träger des Namens am Niederrhein: zu Nym¬
wegen (1), Xanten (1), Spellen bei Duisburg (1), Gripswald bei Krefeld (I), Cöln
(2); am Oberrhein: Mainz und Kastei (7), Germersheim, Heddernheim, Maiu-
liardt, Murrhardt (je 1). Außerdem kommt öfters der Frauenname Victorina vor;
neuerdings ist durch eine Mainzer Inschrift eine Ursulia Victorina bekannt
geworden, die durch ihr Gentile sich als rheinische (wohl germanische) Pro¬
vinziale zu erkennen gibt. Die Namen Ursulus und Ursula (in Cöln) sind fiir
das römische Rheinland über ein Dutzend mal bezeugt.
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Mercurius Susurrio.
237
inschrift zweier Merkur-Tempel, die er gleich auf einmal bauen
ließ, als „Sautus Novialchi filius“ bezeichnet, so war er sicher
der Sohn eines Novialchus, d. h. aus dem Genetiv (Novialchi)
dieses provinzialen Namens ist jedenfalls nicht ein römischer
Gentilname auf -ius herauszulesen 1 .
Dieses Vadin(i)us aber ist deshalb besonders bemerkenswert,
weil es bisher, wenigstens im Rheingebiet, unbelegt war, ja es
scheint überhaupt im ganzen Imperium kein zweites
Mal vorzukominen; jedenfalls ist auf italischem Boden vom
Wortstamm Vad- irgend ein Personenname niemals abgeleitet
worden. Dagegen weist das Wort, so scheint es mir, deutlich
genug nach Germanien und zwar nach dem Bataverlande, wo
wir ja auch Victorini kennen lernten. Germanien, also das
Land, in dem der Weihende die Inschrift setzte, kommt als
seine Heimat um so eher in Betracht, als, soweit die Namen¬
verzeichnisse in den Bänden des Corpus inscriptionum latinarum
einen Schluß zulassen, dieser Name (Vadin[i]us) nirgendwo sonst
inschriftlich vorkommt. Aus Tacitus’ Historien kennen wir einen
batavischen Ort Vada 2 , wo die Römer ein Kastell hatten. Wenn
wir oben einen Burgio zu Nymwegen (Noviomagus) kennen
lernten, der offenbar von einem burgium (vgl. z. B. Asciburgium,
Quadriburgium) sich ableitet, wenn es ferner zu Trier im 4.
Jahrh. v. Chr. einen Treverius (von Treveris ) gab 3 , so mag
unser Vadinus oder seine Vorfahren den Namen vom Heimats¬
orte Vada haben. Weder zu Rom noch sonst in Italien ist,
wie gesagt, ein Personenname mit Vad- jemals gebildet worden.
Wohl gibt es einen ziemlich oft bezeugten Gentilnamen Va¬
ti n ius. Wenn wir nun annehmen wollten, daß unser Provin¬
ziale das italische Vatinius in seiner heimischen Mundart
als Vadinius habe erklingen lassen, so werden wir doch
wieder auf das Bataverland als die Heimat des Mannes hin-
3 ) Die Inschrift lautet: Deo Mercurio sac(ruin). Sautus Novialchi fil(ius)
aedes duas cum suis ornamentis et triburna (= tribunal, Bühne mit Götter-
tiguren); v(otum) s(olvit) l(ubeus) tn(erito). Hettner, Steindenkm. No. 67.
Sautus sowohl wie Novialchus tragen den Stempel unrömischer Namengebung
an der Stirn.
a ) Nicht zu verwechseln mit lateinischem Vada, Gen. -orum; denn
Tacitus gebraucht den Akkusativ Vadarn.
3 ) Hettner, Steindenkmäler, Nr. 433.
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238
Franz Cramer
gewiesen. Denn gerade dort tritt uns die Neigung entgegen,
die dentale Tennis durch die Media zu ersetzen, und gerade
das Wort Batavi bietet sich uns da als willkommenes Zeugnis
dar. Zwei Brüder, Verax et Spectatus, die den auch sonst für das
rheinische Germanien bezeugten Geschlechtsnamen Candidinius
führen, bezeichnen sich selbst auf einer Inschrift als „uatione
Badaus“; Badaus ist mundartliche Form für Batavos (Bada-
[v]üs) *. Der Verehrer des Gottes, Victorinus Vadini filius, war
also zweifellos ein Provinziale.
Daß anderseits unser Gott Susurrio, selbst wenn er nicht
etwa lediglich gallischer oder germanischer Herkunft war,
keinesfalls im hohen Olymp der römischen Staatsgötter seine
Heimat und in den aristokratischen Kreisen der herrschenden
Klassen seine Verehrer hatte, können wir schon aus der Be¬
sonderheit der Wortbildung, wie sie in Susurrio vorliegt, ab¬
lesen. Die Substantiv-Bildungen auf -o oder -io nahmen all¬
mählich, schon in vorkaiserlicher Zeit, in ihrer Anwendung und
Bedeutung für die Schriftsprache den Beigeschmack des Lächer¬
lichen oder des Plebejischen an, verbreiteten sich im Volke,
unbekümmert um die Achtung im Kreise der Vornehmen, um
so ungestörter und üppiger, kurz, das Suffix -o (-io) wurde
vulgär. „Überall, wo der große Haufe eine Rolle spielt,
im Volksheer, in der Volksversammlung, im Volkslokal, beim
Volksfest, ist es seitdem hauptsächlich an seinem Platze 2 .“
Während also jdie edle Sprache der klassischen Schriftsteller
diese Bildungen im allgemeinen von sich fernzuhalten weiß,
wuchern sie beim Volke desto erfolgreicher weiter.
In der Spätzeit treten sie dann besonders wieder bei solchen
Schriftstellern hervor, die sich (wie die Kirchenväter) ans Volk
wenden. So ist denn auch susurro oder susurrio (beide Formen
finden sich nebeneinander) ein durchaus vulgäres Wort, das in
der klassischen Zeit selten ist, um in der spätem Kaiserzeit,
besonders außerhalb Italiens, um so stärker zu wuchern. Cicero
‘) CIL VI 3240; vgl. Siebourg, De Sulevis Ciiiiipestribus Fatis
(Roun 188f>) p. 6. Die beiden Candidiuii waren „cquites singuläres“. Ein an¬
derer Reiter derselben Truppe nennt sich ebenfalls Candidinius (Siebourg
a. a. 0.).
*) R. Fisch, Substantiva personalia auf -o, -onis (Archiv für lat.
Lexikographie und Gramm. II [1888] S. 56 ff.) bietet den gesamten Wort¬
schatz.
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Mercnrius Susurrio.
239
braucht z. B. susurrator anstatt susurr(i)o. So wird denn auch
unser Mercnrius Susurrio mehr ein Gott der breiten Volks¬
schichten und der Provinzialen sein als der feinen hauptstäd¬
tischen Gesellschaft in der ewigen Roma — wenn er nicht
überhaupt ein Erzeugnis provinzialer Vorstellungen ist.
Aber nun die Bedeutung dieses Susurrio! Susurrare be¬
deutet bekanntlich so viel wie leise wehen, säuseln, auch plät¬
schern. Da könnte es nahe liegen — da der Weihestein sich im
Bereich der Bäder befand — an einen Gott des Wehens, der
im Säuseln und Plätschern der Heilwässer vernehmbar ist, zu
denken, also an den Windgott Wodan, dessen Name von der
indogermanischen Wurzel vi- (wehen) sich ableitet und nicht
bloß der Gott des finstern Sturmes, sondern auch der Frucht¬
barkeit und Heil bringenden Luftbewegung überhaupt ist. In¬
dessen — von anderm abgesehen — es spricht dagegen schon
das Wort susurrio an sich; denn es kommt stets ohne alle und
jede Ausnahme nur in der übertragenen Bedeutung „Einflüsterer,
Ohrenbläser, Verleumder“ vor; der „leise Säuselnde“ würde
eher susurrator sein, wie denn Cicero tatsächlich dies Wort im
Sinne eines leise Murmelnden braucht. Aber, so fragt man
erstaunt, was hat einer der Himmlischen mit Ohrenbläserei zu
tun? Heißt es nicht den Gott, den man ehren will, aufs
schmählichste beschimpfen, wenn man ihn einen Ohrenbläser
nennt? Gewiß, unsern Ohren klingt das überraschend, um nicht
zu sagen abgeschmackt. Aber messen wir nicht mit unserm Ma߬
stabe! Der wackere Sohn des Vadinus mag auch seinen Susurrio
nicht angerufen haben, um unter seinem Schutze tüchtig ver¬
leumden zu können, sondern um sich vor den Wirkungen übler
Nachrede und hinterlistiger Falschheit zu schützen. Merkur
ist hier patronus contra malas linguas — ein durchaus ehrenwertes
Amt. Wenn übrigens sogar der hellenische Götterbote Hermes
List und Betrug meisterhaft verwendet, selbst den Meineid
gelegentlich nicht scheut, als er dem Apollo die Rinder stiehlt
und die Tat hartnäckig leugnet; wenn er den Leichnam Hektors
entwenden soll 1 ; wenn er selbst schließlich von den Hellenen
der Verschlagene (5dX:os), der Listberühmte (xXuxößooXo?) ge¬
nannt wird, so wird man es in der römischen Kaiserzeit einem
provinzialen Merkurverehrer um so weniger verargen, wenn er
') Hom. II. XXIV 24.
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sich beim listenreichen Susurrio Rats erholt. Übrigens haben
die ehrenfesten Römer älterer Zeit schon von einem Mercurius
Malevolus', einem „Übelgesinnten“, gesprochen; von da ist
ztim Susurrio nur ein Schritt.
Fragen wir, ob dieser schon in »len hellenisch-römischen Urbe-
griffen vom Wesen des vielgewandten und in allen menschlichen
Verhältnissen bewanderten Mercurius begründete Beiname mehr
mit provinziell-gallischen oder mit germanischen Vorstellungen
sich berühren möchte, so dürfte die Verwandtschaft mit dem ger¬
manischen Wodan für unsern Fall das Wahrscheinlichere sein.
Esus ist doch zu sehr einseitiger Handelsgott, während ande¬
rerseits Wodan den norddeutschen Stämmen als Herr des
Zaubers und Erfinder der geheimnisvollen Runen
erschien. Damit ist dann leicht die Vorstellung gegeben, daß
der Herr alles Zaubers auch die im geheimen schleichende
Schlange der bösen Nachrede zu überwinden vermöge. Aber
muß nicht, wendet man vielleicht ein, doch eine Beziehung zu
den Heilquellen gesucht werden, da der Weihestein des Vic-
torinus sich im Bereich der Thermenbauten gefunden hat? Aus
den Fundumständen geht aufs deutlichste hervor, daß die In¬
schriftplatte als Werkstein für die karolingischeu Bauten anderswo¬
her entnommen worden ist 2 ; er ist also lediglich ein weiteres
Zeugnis für das Verschwinden wichtiger Denkmäler der rö¬
mischen Zeit infolge der frühmittelalterlichen Bautätigkeit auf
Aachener Boden.
Ich fasse zusammen. Der Name Victorinus kommt so oft
in den Rheingegenden vor, daß wir, zumal nur ein Name statt
der drei (oder wenigstens zwei) römischen erscheint, von vorn¬
herein auf die Vermutung hingewiesen sind, der Weihende sei
einheimischer Herkunft. Vadin(i)us vollends ist weder in Italien
noch sonst außerhalb Germaniens nachgewiesen; der Name mag
vielleicht mit der batavischen Siedlung Vada Zusammenhängen,
oder aber wir haben es mit einer provinzialen und zwar batavischen
') Vgl. G. Wissowa, Religion und Kultus der Römer (Handb. der
klass. Altertumswissenschaft, V, 4. München, 1902) S. 249 Amu. 8.
! ) „Solche Werksteine sind benutzt zur Grundmauerung des Oktogons;
verschiedene dieser Quadern sind profiliert oder zeigen Ornamente; zwei
Werksteine enthalten eine römische Inschrift, eine Weihinschrift an den
Mercurius Susurrio“. Faul Oleinen, Zweiter Hericht über die Arbeiten
an den Deukmälern deutscher Kunst, S. 22.
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Mercurius Susurrio, Franz Cramer.
241
Form des italischen Gentilnamens Vatinius zu tun. Susurrio ist
eine vulgäre Wortbildung, die niemals in der eigentlichen Be¬
deutung („der leise Flüsternde, Wehende“) vorkommt, sondern
stets in der übertragenen („Ohrenbläser“), in dieser aber während
der Kaiserzeit um so häufiger. Die Verehrung des Gottes wie auch
dessen Wesensart wird daher auch dem Vorstellungskreise der
breiten Volksschichten entsprechen. Kurz, es ist der Gott, der,
entsprechend dem germanischen Wodan als dem Machthaber
alles geheimnisvollen Zaubers, gegen böse Einflüsterungen,
Verleumdung, Verräterei zu schützen vermag. Erinnern wir
uns dabei auch, daß Leute des germanischen Niederlands als
Angehörige der 30. Legion ganz besonders mit Aachen lange
Zeit in Verbindung standen; es war die Zeit, da die genannte
Legion durch Mannschaften aus ihren Reihen dort an den
Thermen werktätig schaffen ließ, d. h. die Zeit nach 120 n.
Chr., als an die Stelle der 6. Legion, die früher dort gearbeitet
hatte, die 30. trat 1 .
*) Vgl. F. Cramer, Römisch-german. Studien S. 94.
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Zum Andenken an Rechnungsrat Matthias Schollen.
(Mit 1 Bildnis.)
Von Heinrich Schnock.
In der Morgenfrühe des 17. Februar 1915 starb der in
weiten Kreisen auch über das Weichbild Aachens hinaus be¬
kannte und angesehene Rechnungsrat Matthias Schollen. Sein
ersprießliches Wirken namentlich auf dem Gebiete ortsgeschicht¬
licher und mundartlicher Forschung verdient es wohl, im Rah¬
men eines Lebensbildes etwas eingehender in diesen Blättern
gewürdigt zu werden. Wenn ich mich dieser Aufgabe unter¬
ziehe, so tue ich es in dem Gedanken, eine Ehrenschuld abzu¬
tragen dem gegenüber, mit dem ich ein volles Menschenalter
hindurch durch die Bande inniger Freundschaft verbunden war.
Matthias Schollen entstammte einer schlichten, braven
Bürgersfamilie, die den größten Teil ihres Lebens auf der Sand-
kaulstraße ihren Wohnsitz hatte. Kurze Zeit hatte sie zuvor
in der Alexanderstraße gewohnt; dort (und nicht, wie irrtüm¬
lich berichtet worden ist, in der Sandkaulstraße) erblickte Matthias
am 18. Mai 1846 das Licht der Welt. Von der Wohnung in der
Sandkaulstraße aus besuchte er die Pfarrschule von St. Peter;
hier, sozusagen am Pulsschlage des Volkslebens stehend, lernte
er schon frühzeitig des Aacheners Denk- und Anschauungs¬
weise, seine Sitten und Gebräuche kennen, die er in reiferen
Jahren so lebenswarm zu schildern wußte. Der Volksschule
entwachsen, bereitete er sich auf den Eintritt in das Lehrer¬
seminar vor. Für den Lehrerberuf hatte er von frühester Ju¬
gend eine besondere Vorliebe, die ihm auch sein ganzes Leben
zu eigen blieb. Gern und mit innerer Befriedigung erzählte er
dem Schreiber dieser Zeilen oft von den glücklichen Stunden,
die er als Aspirant unter der Schuljugend eines Dorfes bei
Aachen verbracht hatte. Daß er die Vorbereitung nicht zum
Abschluß brachte, daran waren Verhältnisse schuld, die nicht
in seiner Gewalt standen. Am 1. April 1866 trat er in das
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Zum Andenken an Ilecknungsrat Matthias Schollen.
243
Infanterieregiment Nr. 28 ein, das damals in Aachen stand,
und machte den Feldzug gegen Österreich mit, insbesondere
das Gefecht hei Münchengrätz und die Schlacht bei König-
grätz. Nachdem er seiner Militärpflicht genügt hatte, trat er
als Justizanwärter beim Königlichen Landgericht hierselbst ein,
wo er auch im Mai 1873 die vorgeschriebene Prüfung zum
Gerichtsschreiber mit dem Prädikate „gut“ ablegte. Zunächst
wurde er am 1. Juli 1876 an das Friedensgericht zu Jüchen
im Kreise Grevenbroich als Gerichtsschreiber berufen, um von
dort nach zwei Jahren als Parketsekretär an das hiesige Land¬
gericht zurückzukehren, an dem er nach der Reorganisation
der Gerichtsverfassung im Jahre 1879 als Sekretär beziehungs¬
weise Obersekretär, seit dem 27. Juni 1903 mit dem Charakter
als Kanzleirat und seit dem 29. Juli 1909 mit gleichwertigem
Titel als Rechnungsrat bei der Königlichen Staatsanwaltschaft
bis zu seinem am 1. Oktober 1909 erfolgten Austritt aus dem
Staatsdienst verblieb. Seine mehr als gewöhnliche Begabung,
sein reges Interesse und seine unermüdliche Pflichttreue haben
alle seine Vorgesetzte zu wiederholten Malen in den ehrendsten
Worten anerkannt. Bei seinem Übertritt in den Ruhestand
wurde er durch Verleihung des Roten Adlerordens IV. Klasse
ausgezeichnet.
In engem Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit
stand das im Jahre 1879 veröffentlichte „Handbuch für die
Polizei-Verwaltung und Strafrechtspflege im Regierungsbezirk
Aachen“, welches durch Hinzufügung der beiden in den Jahren
1885 und 1892 bereits veröffentlichten Ergänzungsbände im
Jahre 1900 in stark vermehrter zweiter Auflage erschien, ferner
das Buch „Die Verrichtungen der Bürgermeister, Polizei-Kom¬
missare, Amts- und Gemeinde-Vorsteher usw. in ihrer Eigen¬
schaft als Hiilfsbeamte der Staatsanwaltschaft“, welches in
erster und zweiter Auflage 1881 und 1883 bei Schwann in
Düsseldorf gedruckt wurde, und endlich das Werkchen „Das
Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und
die Eheschließung“, welches 1900 in Dümmlers Verlagsbuch¬
handlung herauskam.
Die karg bemessene freie Zeit, die ihm seine amtliche
Tätigkeit übrig ließ, gehörte der Erforschung der vaterstädti¬
schen Geschichte und mundartlichen Studien. War es ihm nicht
vergönnt gewesen, sich in der Jugend eine höhere Schulbildung
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244
Heinrich Schnock
anzueignen, so hat er doch sein ganzes Lehen nicht aufgehört,
was ein widriges Geschick ihm versagt hatte, durch unermüd¬
liches Privatstudium zu ersetzen. Dieses sein Streben wurde
auch von Erfolg gekrönt. So war er in der deutschen Literatur
durchaus bewandert; seine reichhaltige Büchersammlung galt
ihm nicht als Zierat, sondern als wertvolles Arbeitsmaterial.
Sie umfaßte nicht nur die schöne Literatur, sondern vor allem
auch Kulturgeschichte, Volkskunde, Mythologie, Sagen, Volks¬
lieder, Mundarten, Provinzial- und Ortsgeschichte. Seine Samm¬
lung der Ortsgeschichte und der Aachener Mundart gehört zu
den vollständigsten, die es überhaupt gibt. Der auf Aachen
bezügliche Teil der Sammlung weist nicht bloß im Buchhandel
zugängliche Schriften auf, sondern enthält auch zahlreiche von
ihm sorgsam aus gelegentlichen Notizen, die er in Zeitungen
und Zeitschriften fand, zusammengestellte Materialien. Die
holländische, französische und auch die lateinische Sprache be¬
herrschte er insoweit, daß er die einschlägige Literatur bei
seinen Studien verwerten konnte.
Bei seiner großen Vorliebe für die Ortsgeschichte war es
selbstverständlich, daß er sich den Vereinen, die die Erforschung
derselben bezweckten, als Mitglied anschloß. Auf das Einladungs¬
schreiben des vorbereitenden Komites zur Gründung des Aachener
Geschichtsvereins vom 20. März 1879 meldeten sofort 700 Per¬
sonen ihren Beitritt an. Zu diesen zählte auch der „Parquet-
sekretär Matthias Schollen“. Seit dem Jahre 1885 gehörte er
als zweiter Schriftführer dem Vorstand an, und als 1907 bei
Gelegenheit der Verschmelzung des Vereins „Aachens Vorzeit“
mit dem Aachener Geschichtsverein sämtliche Vorstandsmit¬
glieder des ersteren in den Vorstand des Geschichtsvereins
übernommen wurden, ernannte man Rechnungsrat Schollen wegen
seiner großen Verdienste um die Ortsgeschichte im allgemeinen
und um den eingegangeuen Verein im besonderen zum Ehren¬
mitglied.
Ehre hat er sich und dem Geschichtsveroin gemacht durch
seine unentwegte Unterstützung der Vereinszwecke. So lieferte
er zum VIII. Bande der Zeitschrift eine alphabetisch geordnete
Sammlung von 1016 „Aachener Sprichwörtern und Redensarten“
mit einem Anhang „Aachen und der Aachener im Munde des
Volkes“. Zwar hatten schon lange vor ihm einsichtige Männer
die kulturelle Bedeutung einer solchen Sammlung erkannt, aber
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Zum Andenken an Rechnnngsrat Matthias Schollen.
245
ihre Bemühungen in der Sache waren in den ersten Anfängen
stecken geblieben. Scholiens Verdienst besteht darin, daß er
nicht nur die bisherige Sammlung von annähernd 200 auf über
1000 Nummern brachte, sondern sie auch in ein wissenschaft¬
liches Gewand kleidete, indem er Alter und Herkunft der
Sprichwörter berücksichtigte, bei vielen eine Wort- und Sinn¬
erklärung beifügte und auch die sprachlichen Redensarten mit
in den Bereich seiner Studie zog. Neben den Sprüchwörtern
sind für die Erforschung des Kulturlebens eines Volkes die
Kinder- und Volkslieder eine reiche Quelle. Diese erschloß er,
soweit Aachen in Betracht kommt, durch Veröffentlichung der
„Aachener Volks- und Kinderlieder“, der Spiellieder und Spiele,
die, mit reicher Literaturangabe versehen, im IX. und X. Bande
erschienen. Hatten die bisherigen Abhandlungen sich speziell
mit dem Aachener Volksleben befaßt, so griff er mit der im
XII. Bande abgedruckten Darstellung der „St. Sebastianus- und
Antonius-Schützen-Bruderschaft in Geilenkirchen“ auf ein weiter
gestecktes Gebiet über, indem er die Entstehung und das Wesen
der Schützenbruderschaften im allgemeinen und der von Geilen¬
kirchen im besondern behandelte. Der XIII. Band enthält aus
der Feder Scholiens einen Aufsatz, der sich betitelt: „Die alten
Kirchenbücher im Regierungsbezirk Aachen.“ Es ist hier die
Rede von jenen Büchern, in denen bis zum Jahre 1799, wo
die auf die Civilstandsregister bezüglichen französischen Gesetze
durch den General-Regierungs-Kommissar Rudler im Roerde¬
partement zur Ausführung gelangten, die Pfarrer dienstamtlich
die Taufen, Heiraten und Sterbefälle, die in ihren Gemeinden
vorkamen, eintrugen. Später traten an Stelle der Kirchen¬
bücher die heutigen Standesregister, eine Einrichtung der
Staatsbehörde und der staatlichen Gesetze. Die von Schollen
behandelten Kirchenbücher sind nicht nur in familiengeschicht¬
licher Beziehung wichtig, sondern auch wegen der ortsgeschicht¬
lichen Nachrichten, die nicht selten ein kundiger Pfarrherr
dem Buche, das ihm fast Tag für Tag unter die Augen kam,
anvertraute. Die noch vorhandenen Kirchenbücher im Regierungs¬
bezirk Aachen hat nun Schollen, nachdem er einen lesenswerten ge¬
schichtlichen Überblick über die Einführung der Kirchenbücher
seit den ältesten Zeiten vorausgeschickt, in der Weise zusammen¬
gestellt, daß er die Namen der einzelnen Pfarren, in alpha¬
betischer Reihenfolge, den jetzigen Aufbewahrungsort der Bücher,
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246
Heinrich Schnock
die Jahre, in denen sie geführt worden sind, und schließlich
eine Rubrik „Anmerkungen“ aufführt. Die beiden letzten Ar¬
beiten Scholiens für die Zeitschrift enthalten Lebensbilder
zweier durch Wissenschaft und soziale Stellung hervorragender
Aachener Bürger. Im XXII. Bande entwarf er das Lebensbild
des im Jahre 1899 verstorbenen Landgerichtspräsidenten Ge¬
heimen Oberjustizrats Dr. jur. Franz Theodor Oppenhoff. Mit
warmem Herzen und dankbarer Anhänglichkeit schildert er
Oppenhoff als den gewissenhaften und umsichtigen Beamten in
den verschiedenen hohen juristischen Stellungen, als den be¬
rühmten Verfasser fachwissenschaftlicher Werke, als den kun¬
digen Sprachforscher, als den begeisterten Freund von Kunst
und heimatlicher Geschichte, als den liebevollen Familienvater
und den hochangesehenen, allgemein geachteten Bürger der Stadt
Aachen. In einem zweiten Lebensbilde, das im XXXI. Bande
enthalten ist, setzt Schollen dem im Jahre 1878 hierselbst ver¬
storbenen Kammerpräsidenten Gustav Vossen und seinen Dich¬
tungen ein ehrendes Denkmal. Vossen kannte die Aachener
Mundart so gut wie wenige und hat in derselben Gedichte
verfaßt, „die frei sind von jeder Empfindelei, tief und rührend
ganz aus dem Herzen des Aacheners geschaffen.“ Derselbe
Band brachte noch zwei kleinere Mitteilungen: ein Gedicht
auf die Wahl Wespiens zum Bürgermeister der Reichsstadt
Aachen im Jahre 1756 und die Antwort auf die Frage: War
Johannes Wespien Tuchfabrikant? Fast sämtliche Arbeiten
sind auch in Sonderabdrücken erschienen.
Aus der vorstehenden Übersicht über Scholiens schrift¬
stellerische Tätigkeit in der Zeitschrift des Aachener Geschichts¬
vereins geht zur Genüge hervor, daß die Hauptversammlung
im Jahre 1909 keinen Unwürdigen mit ihrer Ehrenmitglied¬
schaft bedachte. Mit derselben Liebe und Begeisterung wie den
Bestrebungen des Geschichtsvereins war er auch denen des
„Vereins für Kunde der Aachener Vorzeit“ oder, wie er sich
später nannte, „Aachens Vorzeit“ zugetan. Dieser Verein wurde
gegründet im Jahre 1885. Er stellte sich die Aufgabe, „die
im Wege der Forschung gewonnenen Ergebnisse nicht sowohl durch
Drucklegung, als vielmehr in erster Linie durch populär ge¬
haltene Vorträge und daran geknüpfte Besprechungen in häu¬
figen und zwanglosen Zusammenkünften zur allgemeinen Kennt¬
nis zu bringen“. Unter den Gründern befand sich auch Matthias
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Zum Andenken an Rechnungsrat Matthias Schollen.
247
Schollen. Er war es, der zum größten Teil den am Schlüsse
des ersten Jahrganges der Vereinszeitschrift angegebenen Mit¬
gliederbestand durch persönliches Bemühen zusammenbrachte.
Er war von Anfang an Vorstandsmitglied und blieb es bis zu
dem Augenblick, wo der Verein in dem Aachener Geschichts¬
verein aufging. An dem Vereinsleben beteiligte er sich in
regster Weise. Er unterstützte das Vereinsorgan durch einige
größere Aufsätze und durch zahlreiche kleinere Mitteilungen.
Auch hielt er in den Monatssitzungen eine Reihe interessanter
Vorträge, zu denen er mit Vorliebe Gegenstände auswählte,
die das Aachener Volksleben betrafen. Schließlich möchte ich
in Würdigung der ortsgeschichtlichen Tätigkeit Scholiens noch
zwei Gelegenheitsschriftchen erwähnen; erstens „Die Mari¬
anische Bruderschaft unter dem Titel der Kevelaerer Prozession
an der Hauptpfarrkirche St. Peter. Zur 150 jährigen Jubel¬
feier der Bruderschaft“, und an zweiter Stelle die Festschrift
„Echo der Gegenwart. Älteste Aachener Zeitung. Blätter der
Erinnerung zu seinem 60jährigen Bestehen“. In derselben legt
er in großen Zügen den Werdegang des Blattes dar und zeigt,
wie dasselbe aus bescheidenen Anfängen zu einem der führenden
Zentrumsblätter sich emporgerungen hat. Als Anhang fügt
er hinzu ein „Verzeichnis der im Echo der Gegenwart zur Ge¬
schichte der Stadt Aachen, des Rathauses und des Münsters
usw. veröffentlichten Aufsätze.“
So verdienstvoll aber auch Scholiens Tätigkeit um die
vaterstädtische Geschichte ist, größer noch ist sein Verdienst
um die Ergründung des Aachener Volkslebens und der hiesigen
eigenartigen Volkssprache. Sein ganzes Leben fast war er be¬
müht, alles zu sammeln und zu studieren, was hierauf Bezug
hat. Der Aachener, wie er leibt und lebt, wie er denkt und
empfindet, was und wie er spricht — ob feiu oder grob, ob
zärtlich oder derb, ob schmeichelnd oder schimpfend, ob witzelnd
oder spöttelnd — wie er sich belustigt und erheitert, wie er
frohe Feste feiert oder traurige Tage zubringt, alles dieses und
noch manches andere ist Gegenstand seines unermüdlichen
Sammeleifers und wissenschaftlicher Darstellung. Beine Erst¬
lingsarbeit zur Aachener Mundart, die in späteren Veröffent¬
lichungen an Tiefe und Umfang sehr gewonnen hat, ist das im
Jahre 1883 erschienene Schriftchen „Volkstümliches aus Aachen.
Volks- und Kinderlieder, Wetter-, Gesundlieits- und Rechts-
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248
Heinrich Schnock
regeln, Sprichwörter usw.“ Die reichste Frucht und gleichsam
der Schwanengesang dieses für die mundartliche Forschung be¬
geisterten Lebens sind die um Weihnachten 1912 in stark ver¬
mehrter zweiter Auflage erschienenen „Aachener Sprichwörter
und Redensarten“. Fast ein Menschenleben hat er an dieser Samm¬
lung mit steigendem Interesse gearbeitet. Weist schon die im
Jahre 1887 in diesen Blättern zum Abdruck gelangte Zusammen¬
stellung, wie wir schon hervorhoben, in formeller und materieller
Beziehung einen großen Fortschritt gegenüber den bisherigen
Leistungen auf diesem Gebiete auf, so stellt diesen in Schatten
eine Vergleichung der ersten mit der zweiten Auflage. Einmal
hat sich die Zahl der Sprichwörter und Redensarten nahezu
verdreifacht, und dann ist die Ordnung derselben nicht mehr
von dem starren Alphabet diktiert, sondern dem Leben abge¬
lauscht. Unter den Hauptabschnitten „Lebenslauf, Lebens¬
haltung, Lebensgestaltung und Lebensanschauung“ hat er des
Aacheners Leben von der Wiege bis zur Bahre, soweit es in
Sprichwort und Redensart zum Ausdruck kommt, in systematische
Ordnung gebracht. Zweck der Sammlung war ihm in erster
Linie „eine möglichst vollständige Darstellung des Volkslebens“.
Was er gewollt, hat er erreicht. Daß indessen die Darstellung,
so vollständig sie verhältnismäßig auch jetzt schon ist, noch
der Vervollkommnung durch Hebung weitern Materials aus dem
schier unerschöpflichen Sprachschätze des Volkes fähig und be¬
dürftig bliebe, hat niemand besser gewußt als Schollen selbst,
der auch nach Fertigstellung der zweiten Auflage noch uner¬
müdlich weiter gesammelt und gearbeitet hat bis zu dem Augen¬
blick, wo der unerbittliche Tod ihm die Feder aus der Hand
genommen hat. Was die Schreibweise anbelangt, die Schollen
in seinem Buche angewandt hat, so hat sie auf mich wenigstens
den Eindruck gemacht, als ob sie vor den anderen den Vor¬
zug leichterer Lesbarkeit verdiente. Hätte er nichts anderes
geschrieben als dieses eine Buch, so hätte er sich damit einen
Ehrenplatz unter den Forschern auf mundartlichem Gebiete für
immer gesichert. Viele Anerkennung hat denn auch die Samm¬
lung unter anderem gefunden in der Zeitschrift für rheinische
und westfälische Volkskunde und in der Empfehlung des König¬
lichen Provinzial-Schulkollegiums zu Coblenz.
Auch war Schollen einer der ersten, der zeigte, daß die
Mundart sich eigene für die Bühne. Er schrieb zu dem Zwecke
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Matthias Schollen
f 17. Februar 1915.
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Zum Andenken an Reclinungsrat Matthias Schollen.
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bereits im Jahre 1886 das Büchlein „Allaf Oche än wenn et
versönk. Drei einaktige Lustspiele in Aachener Mundart.“
Sie haben vor vielen Jahren ihre erste Aufführung in der vor
einiger Zeit eingegangenen Katholischen Vereinigung „Hand-
werkerwohl“ erlebt. Im Jahre 1905 erschien von Schollen ein
Werkelten „Allaf Oche. Riimseljere“, das eine Anzahl Gedichte
in Aachener Mundart biotet. Der erste Teil führt die Auf¬
schrift „Ocher Leäve“. Es ist die Poesie des Familienlebens,
das uns hier entgegentritt. Es folgen dann „Verzälchere än
söns noch allerlei“, Sinnsprüche als „Zockerklötz än Amandele“
nebst einem Anhänge. Im Vorwort gibt der Verfasser die Ab¬
sicht, die ihn bei Herausgabe des Büchleins leitete, mit fol¬
genden Worten an: „Die Ausdrucks- und Anschauungsweise
des Aacheners, den geistig-sittlichen Standpunkt, von dem aus
er empfindet, denkt, spricht und handelt, war das Ziel, das zu
erreichen ich bestrebt war.“ Zum Schluß seien noch erwähnt
die feuilletonistischen Schildereien aus unserem Volksleben: „Zur
Erinnerung und zur Bewahrung alter schöner Gebräuche“, die er in
den Jahrgängen 1884-86 des „Echo der Gegen wart“ veröffentlichte.
Das Lebensbild Scholiens würde an einem empfindlichen
Mangel leiden, wollte ich nicht auch noch mit einigen wenigen
Strichen sein häusliches Leben zeichnen. Er verheiratete sich
am 10. Februar 1872 mit Gertrud Leimkühler, die einer ange¬
sehenen Aachener Bürgerfamilie angehörte. Vierzig Jahre später
traf ihn der schwerste Verlust seines Lebens: seine Gattin
wurde ihm durch den Tod entrissen, ein Schlag, den er nie
mehr ganz überwand. Die Ehe war die denkbar glücklichste,
das Familienleben geradezu vorbildlich. Ans der Ehe gingen
zwei Kinder hervor, eine Tochter und ein Sohn, der schon
mehrere Jahre als Rat beim Königlichen Oberlandesgericht in
Düsseldorf tätig ist. Die Kinder hingen mit inniger Liebe an
den Eltern, und diesen waren die Kinder ihr ein und ihr alles;
sie gingen in der Sorge für dieselben auf. Bei seinen Mitbürgern
war der Rat Schollen wegen seiner Selbstlosigkeit und Zuvor¬
kommenheit allgemein beliebt. An den Werken christlicher
Charitas beteiligte er sich, soweit es seine Kräfte nur irgend¬
wie zuließen, wie er denn überhaupt von Natur aus tiefreligiös
veranlagt war. Eine tückische Krankheit setzte in wenigen
Tagen seinem Leben ein Ziel. In seinen Werken wird er fort¬
leben, so lange die heimische Volkssprache ihr Recht behauptet.
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Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie.
Von Eduard Teich mann.
(Mit einer Zeichnung.)
1. Wie ist aus der Juncheitsmühle eine
Junkersmühle geworden?
Nicht selten bleibt die Ableitung eines Wortes unsicher.
Mag der Gelehrte auch seine Ansicht durch den Hinweis auf
ähnliche Lautvorgänge bei Wörtern derselben Mundart sowie
auf den ganz gleichen Werdegang von Wörtern anderer Sprachen
noch so sehr stützen, so regt sich doch immer wieder im Leser
die Frage, ob die Deutung wirklich zutreffend sei. Überzeugend
und zwingend wird die Erklärung erst dann, wenn die ein¬
zelnen Übergangsformen sich lückenlos nachweisen lassen. Das
ist nun aber bei Juncheit 1 der Fall.
Meinen Darlegungen sei ein Wort über die Zahl der Be¬
lege voraufgeschickt. Absichtlich habe ich sie auf ein Mindest¬
maß beschränkt; wollte ich alle, die ich gesammelt habe, wieder¬
holen, so würde der Aufsatz zwar an Umfang bedeutend ge¬
winnen, aber zugleich, so fürchte ich, an Anziehungskraft viel
einbüßen. Es folgt also nur eine Auswahl der Beweisstellen.
Die Gegend, die sich unmittelbar vor dem Vaalsertor auf
beiden Seiten der Vaalserstraße erstreckt, heißt nach Qu ix in
alten Urkunden Benden in der Juncheit oder Juncheits Beuden . 8
Zwischen der genannten Straße und der Lütticherstraße lag
bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eine Mühle, die ehe¬
dem Juncheitsmühle, später auch Junkersmühle genannt wurde.
Die erste Erwähnung der Gegend findet sich im ältesten Aachener
Totenbuche, das unter dem Titel Necrologium eccleshe b. M. v.
') Zur Geschichte der Junkerstnühlc vgl. R. Pick, Aus Aachens Ver¬
gangenheit, Aachen 1895, S. 889-390.
*) Qu ix, Beiträge zur Geschichte von Aachen und des Reichs von
Aachen. Zweites Bändchen, Aachen 1888, S. 51.
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Zur Herleituug vou Nainen der Aachener Topographie.
251
Aquensis bekannt ist. Dort lautet eine Eintragung der ersten
Hand (vor dem Jahre 1261) unter dem 3. März: Obiit Wilhelmus,
frater noster, pro quo habemus 2 denarios et 2 capones de cur-
tilibus in Juncheit. 1 „Es starb Wilhelm, unser Mitbruder, für
den wir von den Ackerhöfen in Juncheit zwei Denare und zwei
Kapaune haben“. Aus dieser lakonischen Notiz lernen wir, daß
die Besitzung ziemlich ausgedehnt war, da sie sich aus mehreren
Höfen zusammensetzte, und daß die Gegend, in der sie lag,
den Namen Juncheit trug. Eine andere Eintragung in demselben
Totenbuche, unter dem 29 Mai, die aber von einer jttngern
Hand herrührt und vor dem Jahre 1331 geschrieben wurde,
hat folgenden Wortlaut: Obiit Ida, flia Symonis de Juncheit, que
dedit nobis modium avene et 12 denarios unnui census, et sepulta
est in capella sandi Servaiii. „Es starb Ida, die Tochter Simons
von Juncheit, die uns einen Scheffel Hafer und zwölf Denare
Jahreszins schenkte und in der Servatiuskapelle begraben wurde“.
Jener Simon de Juncheit und sein Bruder Michael treten als
Zeugen in der Urkunde vom 10. Februar 1322 auf, durch die
Goswin von Geuche dem Haus des Deutschen Ordens zu Altenbiesen
die Agidiuskapelle nebst dem dabei liegenden Hof schenkt. 2 Und
den soeben genannten Michael treffen wir als heren (d. h. Ritter)
. . . . van der Juncheit in der Urkunde desselben Ordens vom
I. September 1340 wieder an. 3 Wohl zu beachten ist, daß
hier der Eigenname nicht Juncheit, sondern Juncheit geschrieben
wird. Es hatte sich damals schon eine Veränderung in der
Aussprache vollzogen. Während man anfänglich Junc-heit aus¬
sprach, war im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts bereits
die Aussprache Junc-heit neben jener vorhanden. Der Lautvor¬
gang stellt sich beim schnellen oder nachlässigen Sprechen von
selbst ein und ist eine so bekannte Erscheinung, daß es er¬
übrigt, weiter darüber zu reden.
’) Quix, Necrologitim ecclesiae beatm Mariae virginis Aquensis, Aachen
und Leipzig 1830, S. 14 Z. 6 v. o. — Vgl. H. F. Macco, Aachener Wappen
und Genealogien 1, S. 209.
*) J. H. Hennes, Urkundenbuch des Deutschen Ordens, Mainz 1861,
II, S. 353 Nr. 410. Hier ist zwischen fratres und Juncheit das de ausge¬
fallen. Vgl. Quix, Die Pfarre zum h. Kreuz und die ehemalige Kanonic
der Kreuzherren in Aachen, Aachen 1829, S. 42—43.
*) Bei Hennes II, S. 388 Nr. 449 und bei Quix, Codex diplomaticns
Aquensis S. 230 Nr. 331.
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252
Eduard Teichmann
Einen willkommenen Einblick in den Bestand der Be¬
sitzung Juncheit gewährt die Urkunde vom 1. Oktober 1364. 1
Ihr zufolge verkaufte Agnes, Tochter der Frau Katharine, der
beckersen in Synt Jocobstrois, an den Aachener Schöffen und
Bürgermeister Arnold van dem Berglie für die Summe von
200 Goldgulden und gegen Übernahme der auf der Besitzung
lastenden Zinse und Renten das Gut und Grundstück in die
Juncheit mit dem Bergfried (berchfert), der Mühle (molen), dem
Haus (huysincge), dem Hof (hoifreyde), den Weihern und Wiesen
(beynde). Am 19. September 1370 ging dy molen yeleyen in die
Juncheit mit dehn huysse .... — der Bergfried wird nicht er¬
wähnt — aus der Hand Heilkes, der Witwe Arnolds, an Reynart,
den becker in Punt op de Brücke, über. 2
Eine gewisse Berühmtheit erlangte der befestigte Wohn¬
sitz des adligen Geschlechts im Jahre 1372: am 21. November
wurde dort die erste Juncheitsmiinze geschlagen. Weitere
Prägungen fanden 1373, 1374 und 1375 statt. 3 Nach C. Vogel¬
gesang sieht man auf der Rückseite einer dieser Münzen „in
doppeltem Reifen die Legende: XC VINCIT | XC REGN
(Christus vincit, Christus regnat) AN DNI M | CCC- LXXIIII
(äußerer Reifen) und MON | ETA | IVNC | hEIT | (innerer
Reifen)“. 4
Belege für den Ortsnamen aus dem 15. Jahrhundert. Am
31. Juli 1400 heißt es in einer Urkunde: in die Juncheit; 5 am
7. Mai 1442: buyssen die Jonkheit by Poitenmoelen. 6 Gewöhnlich
kommt der Name in der Zusammensetzung mit - portz vor;
z. B. am 19. Juni 1418: buissen die Juncheit portze ; 7 um 1460:
zwischen Juoyheitz und Köniyszportz; 8 1480: buyssen die jonckheit
Poirtze . 9
') C. Vogelgesang, Zur Geschichte des Aachener Milnzwesens. Aus
Aachens Vorzeit 16, S. 80. — *) Ebenda.
3 ) Vogelgesang, Aus Aachens Vorzeit 16, 8. 82.
4 ) Ebenda S. 79. Vgl. J. Menndicr, Die Aachener Münzen. Berlin
1913, S. 35—36.
6 ) O. Dreseinann, Die Jacobskirche zu Aachen, Aachen 1888, 8. 81.
Die Form Juchcit ist wohl ein Druckfehler. — Bei Dresemanu, 8. 88.
’1 Ebenda 8. 83.
®) R. Pick, Aus Aachens Vergangenheit, Aachen 1895. S. 159, A. 4.
®) Quix, Das ehemalige Dominikaner-Kloster und die Pfarre zum
heiligen Paul in Aachen, Aachen 1833, Urkunde 15. S. 78.
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Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie.
25B
Von der größten Wichtigkeit ist folgende Stelle der Ur¬
kunde vorn 21. Januar 1436: Erfftzem an 9 Morgen Acker¬
lands buyssen die Joncheit Porlze an den Joncheren Kirchoff
gelegen. 1 Hier lernen wir, daß ehedem vor dem Vaalsertor
1) das bisher besprochene Gut Juncheit und 2) in der Nähe
davon, offenbar in westlicher Richtung, der Junkerskirchhof
lagen. Diese Erkenntnis liefert den Schlüssel zu dem Rätsel,
das schon so vieles Nachdenken verursacht hat. Alle bisherigen
Erklärungsversuche von Juncheitsmühle und Junkersmühle sind
gescheitert und mußten mißlingen, weil sie von einer unrich¬
tigen Voraussetzung ausgingen und etwas beweisen wollten,
was tatsächlich nicht eingetreten ist. Es ist klar, daß der
Name Juncheit nicht infolge einer Lautentwicklung zu Junker
geworden ist, sondern daß er im Laufe der Zeit dem Namen
Junker seinen Platz abgetreten hat. Ehe wir nun aber dar¬
legen, unter welchen Umständen der Tausch vor sich gegangen
ist, wollen wir die Abstammung der beiden Nebenbuhler nach¬
einander betrachten.
Schon Marjan hat Juncheit vom lateinischen iuncetum ab¬
geleitet und als „Ort, wo Schilf und Binsen wachsen“, richtig
gedeutet. 2 Indem H. Kelleter dieser Ansicht beipfliclitete,
machte er auf eine Erscheinung aufmerksam, die der Begründer
der romanischen Sprachforschung F. Diez in seinem Etymo¬
logischen Wörterbuch der romanischen Sprachen gerade bei dem
lateinischen iuncetum auf dem genannten Sprachgebiete beobachtet
hat. 3 Hiernach stellt das c in iuncetum keinen Zisch-, sondern
einen K-Laut dar. Wenn wir uns diesem Gedankengang anschließen
wollen, müssen wir in Juncheit gleich von vornherein die Aus¬
sprache iun-keit ansetzen. Dem steht aber die gut belegte
Schreibung iuncheit im Wege. Auch dürfen wir eine lautliche
Eigentümlichkeit der romanischen Sprachen nicht ohne weiteres
auf die deutsche Sprache übertragen. Aus diesen Gründen gehe
ich abweichend von Kelleters Meinung lieber von der durch Du
Cange und Brinckmeier nachgewiesenen Nebenform iunchetum
aus. Sie bedeutet ebenfalls Binsenlache und wurde iunc-hetum
l ) Qu ix, Geschichte der S. Peter-Pfarrkirche . . . Aachen 1836, S. 137,
Urkunde Nr. 18. Vgl. ZdAGV 10, S. 109 und A. 1.
*) Keltische und lateinische Ortsnamen in der Rheinprovinz. 3. Abtei¬
lung, Programm der Realschule erster Ordnung zu Aachen, 1882, S. 14.
*) Namen in Aachen. Aus Aachens Vorzeit 2, S. 106—107.
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254
Eduard Teichraaun
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gesprochen. Bei der Übernahme des Wortes in die Aachener
Mundart wurde zunächst nach deutscher Art die Stammsilbe
betont: iünc-hetum. Die Endung -um fiel ab und -het wurde,
vielleicht unter dem Einfluß des deutschen heit= Heide, zu heit. 1
Was nun Joncheren Kirchoff betrifft, so ist in dieser Zeit¬
schrift ein Deutungsversuch gemacht worden, dessen Haupt¬
inhalt sich folgendermaßen zusammenfassen läßt. 2 Jener Orts¬
name wird in einem Rentenregister der Aachener Katharinen¬
kapelle, dessen Abfassungszeit in die letzten 10—15 Jahre des
14. Jahrhunderts fällt, domicellorum cimiterium (Kirchhof der
Junker) genannt. Er gab eine vor dem Jakobstor liegende
Richtstätte an und wurde deshalb gewählt, „weil man den
Übeltäter, den Verbrecher, wohl mit bitterem Hohn, vielleicht
auch wegen des im Verbrechen liegenden frevelhaften Über¬
muts, als „Junker“ bezeichnete“. 3 So ansprechend auch diese
Erklärung klingt und so interessant auch der Hinweis auf den
eigenartigen Sprachgebrauch in Cöln und Dortmund ist, so kann
die Herleitung doch nicht vor einer Nachprüfung der hiesigen
Ortsverhältnisse bestehen. Die Stätte, wo Albert Münster im
Jahre 1524 den Todesstreich empfing und begraben wurde 1 ,
heißt bei ä Beeck unbestimmt ante portam d. Jacobo sacram 5 ,
dagegen bei Noppius „begraben ausserhalb S. Jacobs Pfort neben
der gemeiner Strassen auff der Pferds-Heyden“. 6 Gemäß der
Karte von Reiner Joseph Scholl aus den Jahren 1760—1774 7
*) Der Annahme, daß Juncheit deutschen Ursprungs sei und „Junge
Heide“ bedeute, stehen zwei Bedenken im Wege. Einmal ist in hiesiger
Gegend kein Mittelhochdeutsch, sondern Mitteldeutsch, nicht junc, sondern
jonc gesprochen worden. Zweitens befriedigt der Sinn „Junge Heide“ im
Gegensatz zur „Alten Heide“ nicht. — Auch Burtschei<l =Porcetum hat langes
e zu ei entwickelt. Inbetreff des jungen Ortsnamens Kuhscheid sind die im
Aachener Stadtarchiv beruhenden Schriftstücke des 18. Jahrhunderls zu Bäte
zu ziehen. — Junchetuiu setzt * iunccetum voraus und scheint sein guttu¬
rales k ähnlich wie gutturales k im Anlaut der Stammsilbe verschoben zu
haben: canis=Hund, eanabis=Hanf, caput— Haupt, centum—hundert, co!lura=
Hals, cornu=Horn, cutis Haut. — Coriovnllum=Hcerleu, Uatualium—Hecl.
— Jenes iunchetum spricht für die Richtigkeit der Beobachtung, die Diez
gemacht, hat. — *) ZdAGV 10, S. 109—119. — •’) Ebenda S. 110.
«) Ebenda S. 111.
s ) ZdAGV 10, S. 111 A. 2. - •) Ebenda.
7 ) Haupttitel: Grund und Fluhr Itiß der Quartiere Varls, Orsbach und
Berg, der Aacherheid und des Aacherbusches. — Im Aachener Stadtarchiv.
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Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie.
255
liegt die „Pferts Heid“ ziemlich weit draußen vor Jakobstor
und stößt unmittelbar an die rechte Seite von „Jacobs Stein
Weg“. Sie bedeckt etwa die Fläche, auf der sich heute das
Kriegerhäuschen, ein Teil der Hasselholzerstraße und das Sana¬
torium befinden. Da nach dem Vertrag zwischen Pfalz-Neuburg
und Aachen vom 28. April 1660 „die frembden . . . außerhalb
der Statt Aachen, für St. Jacobs Pfortz auif der Heyden Ihre
verschuldte Straeff empfangen“ sollten *, so war damals die Richt¬
stätte die alte geblieben. Nie und nirgends wird sie Junkers¬
kirchhof genannt. Gemäß dem Wortlaut des Zinsregisters der
Katharinenkapelle lag der Junkerskirchhof in der Nähe eines
Fischteiches (vivarium). 2 Die Verhältnisse der oben angegebenen
Örtlichkeit schließen aber die Annahme eines von der Natur
geschaffenen Weihers gänzlich aus uud lassen auch eine künst¬
liche Anlage als unglaubhaft erscheinen, weil bei dieser das
nötige Wasser mittels eines Pumpwerks aus einer der beiden
ziemlich weit entlegenen Niederungen hätte heraufbefördert
werden müssen. So bleibt uns nichts anderes übrig als den
Gedanken an einen Zusammenhang des Junkerskirchhofes mit
der Richtstätte auf der Pferdsheide ein für allemal fahren zu
lassen. Um nun dafür eine andere Lösung zu bieten, muß ich
etwas weiter ausholen.
Nachdem König Friedrich II. am 27. Juli 1215 im östlichen
Umgang des Sechzehnecks den Karlsschrein feierlich verschlossen
hatte, wurde im Aachener Münster ein neuer Kreuzzug ge¬
predigt. 3 Unter den Fürsten, die auf demselben ihren Tod
fanden, war Wilhelm, Graf von Jülich. Kurze Zeit vor seinem
Ende schenkte er den Rittern des Deutschen Ordens als Zeichen
der Bewunderung ihrer Heldentaten im Kampfe sowie nicht
minder ihrer aufopfernden Tätigkeit in den Spitälern außer den
Kirchen zu Nideggen und Siersdorf den im Jahre 1198 zer¬
störten Berenstein 4 nebst allen zugehörigen Besitzungen. Aus-
') ZdAGV 10, S. 111 A. 1.
! ) ZdAGV 10, S. 137 unter Absatz 25. — ’) Vgl. ZdAGV 25, S. 351.
4 ) J. H. Heimes, Codex diplornaticus ordinis sanctae Mariae Theutoni-
corum. Urkundeubucb zur Geschichte des Deutschen Ordens, I, Nr. 42. Ferner
von demselben Verfasser: Commenden des Deutschen Ordens in den Haileien
Coblenz, Altenbiesen, Westphalen, Lothringen, Österreich und Hessen. Mainz
1S78, S. 130-131. — Pick, Aus Aachens Vergangenheit. S. 129 A. 3 deutet
Berenstein = Burg des Bero.
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256
Eduard Teichmann
drücklich hob er hervor, daß er die ehemalige Burg mit ihren
Gütern als Reichslehen innehabe. Im Jahre 1225 bestätigte
sein Sohn Wilhelm die Schenkung, jedoch mit dem Vorbehalt,
daß die Deutschherren die Kirchen und die Güter, die zu
Berenstein gehörten, weder verschenken noch verkaufen oder
vertauschen dürften. 1 Solange keine neuen Quellen uns über
die Lage des Reichsschlosses unterrichten, hat es keinen Zweck,
Vermutungen über dieselbe auszusprechen. Bis jetzt ist der
Lauf der Dinge immer der gewesen, daß alle Behauptungen
über die Lage der Burg nacheinander von später lebenden
Forschern angezweifelt oder widerlegt worden sind. Große
Wahrscheinlichkeit hat die Meinung von C. P. Bock für sich,
derzufolge die Burg vor dem Jakobstor auf dem Hügel stand,
der jetzt die ersten Häuser der Lütticherstraße trägt. 8 Ver¬
mutlich erstreckten sich die zum Schloß gehörigen Güter in
westlicher Richtung auf den Königshügel und Muffet zu.
Im Jahre 1322 fand die Gründung des Aachener Hauses
der Deutschherren statt. 3 Ihre Ordenskirche w r ar die neu¬
erbaute Ägidienkapelle in der untern Pontstraße. Aus Not ver¬
kaufte am 27. Oktober desselben Jahres die Ordenskommende
zu Siersdorf ihren Hof in Aldenhoven mit 77 Morgen Land an
den Komtur der Ballei Altenbieseu Gerhard de Looz, und dieser
überwies das Ganze der Ägidienkapelle in Aachen. 4 Der
Trierer Hochmeister des Ordens Karl von Beffart genehmigte
am 8. November 1322 die Schenkung, machte aber den Zusatz,
daß es der Kommende von Siersdorf jederzeit freistehen solle,
den genannten Hof durch Tausch gegen Land, das in Aachen
selbst oder in der Gemarkung der Stadt liege, zurückzuerlangen. 5
Am 21. Mai 1328 stellten der Erzpriester Johannes von Luchem
als Vertreter des Münsterstifts und der Komtur von Alten¬
biesen eine Urkunde aus, laut welcher die Deutschordenskapelle
zu Aachen gegen Zahlung eines Jahreszinses von zwei Mark
aller Verpflichtungen gegenüber der Pfarrkirche ledig sein
sollte.” Damit hatten die Brüder unter anderm das Recht er-
') J. H. Henne», Urkundenbuch des Deutschen Ordens, II, Nr. 22.
*) Das Rathhaus zu Aachen, 1843, S. 86—91.
8 ) J. H. Honnos, Urkundenbuch des Deutschen Ordens, II, Nr. 410.
Mit Rücksicht auf den Ostertermin ist als Ausstellungsjahr nicht 1321,
sondern 1322 anzuseheu. — 4 ) Ebenda Nr. 421. — s ) Ebenda Nr. 422.
•) Ebenda Nr. 436.
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257
langt, auf einem eigenen Kirchhof die verstorbenen Mitglieder
ihres Ordens zur letzten Ruhe zu betten. 1 Sie wählten dazu
einen Ort, der nicht weit von der heutigen Lochnerstraße, also
außerhalb der Stadtmauer, aber nur eine kurze Strecke vom
Ordenshause lag. Werfen wir jetzt wieder einen Blick auf die
Karte von Scholl. Da gewahren wir in großer Nähe bei¬
einander die Namen von nicht weniger als vier Angehörigen
der Wortfamilie Junker: Junkerz Mühl, Junkerz Pfort, Junkers
Stein Weg d. i. Vaalserstraße und auf der rechten Seite dieser
Straße, etwa in der Gegend des sogenannten Zoologischen Gartens,
aufm junker. Hier ist die Stelle des gesuchten Kirchhofes.
Dieses aufm junker ist das älteste Mitglied der Familie. Der
alte Aachener Name Joncheren Kirchoff war glücklich gewählt;
denn im Mittelhochdeutschen bedeutete junc-herre sowohl junger
(noch nicht Ritter gewordener) Adliger, Junker als auch Novize
in einem Kloster; das Wort wurde also den beiden Grundrichtungen,
die im Deutschen Orden vereinigt waren, gerecht. Das latei¬
nische domicellorum cimüerium stellt sich als wortgetreue Wieder¬
gabe jenes Volksausdrucks dar, da unter domicellus nicht bloß
ein Junker, sondern auch ein vornehmerer Diener, insbesondere
ein besserer Ordensdiener verstanden wurde. 2 Paßt nicht in
das Landschaftsbild „aufm junker“ gut jener Fischteich, der un¬
zertrennliche Begleiter der mittelalterlichen Klöster? Ist nicht
die natürliche Beschaffenheit jenes Geländes zur leichten und
billigen Anlage eines Weihers vorzüglich geeignet? Zum
Schluß der recht langen Darlegungen noch ein Wort zu der
Frage, wie das Aachener Ordenshaus in den Besitz des Grund¬
stücks gelangt sei. Zwei Möglichkeiten tun sich auf. Gehörte
es zu den Ländereien des Berenstein, so war es seit 1219
') Aufschluß über das, was unter Befreiung von den Pflichten gegen¬
über der Pfarrkirche zu verstehen ist, geben die Urkunden 9, 10 und 11 bei
Hennes a. a. 0. II. In den Jahren 1219 und 1220 handelte es sich in der
Streitsache zwischen dem Deutschen Orden und dem Cülncr Severinsstift um
die Frage, ob der Orden gegen eine gewisse Abgabe eiuen Gebetssaal errich¬
ten und einen Geistlichen austeilen dürfe, der die Befugnis habe, Messe zu
lesen, den Kranken des Spitals die Sakramente zu erteilen und die Toten
des Spitals zu begraben. Alles dies wird unter gewissen Einschränkungen
dem Orden zugestanden.
*) Bei Du Gange: domicelli — nobiliores famuli; domicelU abbat xs; domi-
celli et servientea monaslerii.
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25.8
Eduard Teichniann
Eigentum des ganzen Ordens. Es kann aber auch ein Austausch¬
stück gewesen sein, das die Kommende Siersdorf dem Aachener
Ordenshaus zum Wiedererwerb eines 'Feiles ihres frühem Hofes
in Aldenhoven angeboten hat. Wir kehren nun zu unserer
eigentlichen Aufgabe zurück.
In lautlicher Hinsicht stehen Junkeit und Junker einander
sehr nahe. Gleich sind auf beiden Seiten die Anzahl der Silben,
die ganze Stammsilbe und der Anlaut der zweiten Silbe; ver¬
schieden ist uur der übrige Lautbestand der zweiten Silbe. An
der Hand des urkundlichen Materials läßt sich dartun, daß zu¬
nächst die Schwächung des Vokals der Silbe -keit eine weitere
Annäherung der beiden Namen hervorrief, daß hierauf durch
Kreuzung beider Wörter eine Mischform entstand, und daß end¬
lich infolge eines Vorganges, den man in lautwissenschaftlichen
Werken etymologische Reaktion nennt, der Mischling vor dem
ältern Junker weichen mußte. Diese dreistufige Entwicklung
ist mit dem Namen des ehemaligen Stadttores verknüpft, geht
aber naturgemäß auf den Namen der Mühle über.
Buyssen die Jonkheitportze vom 12. Januar 1458 1 verdient
Beachtung, weil hier das auslautende k der ersten Silbe scharf
zum Ausdruck kommt; ebenso ist es mit den Stellen myt Jonck-
heytportzen vom 17. Mai 1473 2 und buyssen die Jonckheitsportz
vom 11. September 1508. 3
In einer leider undatierten Schrift treffen wir die Form in
die Joncket. 4 Sie zeigt geschwächten Vokal in der Endsilbe
und K-Laut im Innern, kurzum einen Lautbestand, der dem
Jonker sehr nahe kommt. Sie muß schon im Anfang des 15.
Jahrhunderts bestanden haben, weil sie um 1450 die Verbindung
mit portz eingegangen ist: Item die Juncketportz darf tcail
stuppens . 6 Die Kreuzung aber scheint im 17. Jahrhundert
stattgefunden zu haben. Im Jahre 1616: boußen Jonckertsportz; 6
und&tiertJonekertsteinynckjJonckertsteinenc.'’ In Jonckert geht weder
Jonket noch Jonker restlos auf, da es im Verhältnis zu Jonket
') Dreseraann, Die Jacobskirche zu Aacheu, 8. 101.
*) ZdAGV 8, 8. 236, Nr. 13. — ») Ebenda 34, S. 99.
4 ) Bei Dresetnann a. a. 0. 8. 71.
*) Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 166. — e ) Ebenda S. 200, A. 3.
7 ) Bei Dreseinann a. a. 0. S. 71. — Daß nebenher die anfängliche
Benennung noch gebraucht wurde, beweist folgende Stelle vom Jahre 1616:
die ttioelen yn die Jonckheit. Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 389.
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Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie.
259
ein r, iin Verhältnis zu Jonker ein t zu viel enthält. Die
Misch- oder Übergangsform war nicht von langer Dauer. Immer
und überall widerstrebt es dem Volke, lange ein Wort zu ge¬
brauchen, bei dem es sich nichts denken kann. Es ließ Jonket
und Jonkert fallen, weil es sich darunter nichts vorstellen
konnte, und wählte Junker, Jonker, das doch noch einen Sinn
hatte. So treffen wir denu schon 1616 ahn Junckers Portz 1 ,
1656 nächst an der Junckers pforten 3 , 1686 vor Junckerspfort 3 ,
1696 Ahn Junckersporz 4 , 1710 Junckersportz 6 , 1781 Junkers-Tor 6 ,
1791 Junkerstor 7 , 1793 Junckers tor s und Junkers pfort. 9 In fran¬
zösischer Zeit wurde es Jakobstor genannt. 10 Wenn Quix 1829
in seiner Historisch-topographischen Beschreibung der Stadt
Aachen auf S. 13 die Formen Junkertsbach und Junkertsmühle
bringt, so ist das wohl nur ein Versehen; denn auf S. 72 des¬
selben Werkes ist Junkers-Mühle zu lesen.
Das sieghafte Wort Junker wurde nicht nur mit dem vor¬
beifließenden Bach, sondern im Jahre 1877 auf den Vorschlag
des Stadtbaumeisters Stübben auch mit der Straße in Verbin¬
dung gebracht, die im Jahre 1831 aus einem Feldweg geschaffen
und 1870 an einer Stelle tiefer gelegt wurde. 11 Diesem Gewinn
steht aber auch ein Verlust gegenüber. Als das alte Juncheits-
tor abgebrochen worden war, kam statt des früher gebräuch¬
lichsten Namens Junkerstor die neue Bezeichnung Vaalser Tor
auf. So heißt es in einer Bekanntmachung vom 7. Januar 1822:
„der runde Turm oberhalb dem Vaelser Tor“. 12
2. Su y 1 i s.
Zu den Aachener Namen aus dem Mittelalter, deren Her¬
kunft bisher nicht eingeheud untersucht worden ist, gehört der
Bachname Suylis. Er bezeichnet den heutigen Johannisbach,
! ) Lehnbuch des Schleidener Lehens, S. 81. Im Aachener Stadtarchiv.
s ) Aus Aachens Vorzeit 7, S. 64.
a ) Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 153 A. 3. — 4 ) EbendaS. 167.
s ) ZdAGV 23, S. 290.
8 ) Meyer, Aachensche Geschichten, S. 261 A. 1 und S. 770.
7 ) Aus Aachens Vorzeit 11, S. 45. — 8 ) Ebenda 10, S. 38.
9 ) Ebenda S. 39.
,0 ) Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 153. — n ) ZdAGV 20, S. 204.
u ) Ebenda 22, S. 73. — Ein älterer, aber nicht datierter Beleg ebeuda
24, S. 24 A. 4.
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260
Eduard Teichmann
soweit dieser die frühere Stadt in meist offenem Bett durchfloß,
also vom Pfaffenturm bis zur Adalbertstraße.
Der Name erscheint in der städtischen Baumeisterrechnung
vom Jahre 1441/42: Item zwo, eynspenige kuren in dg Suilles
6 dage; 1 auch in der vom Jahre 1456/57: van den mey an die
Suelles op den torn zu setzen . 2 Nach dem Wasserlauf hieß im
15. Jahrhundert auch der Pfaffenturm, bei dem er damals in
die Stadt eintrat, Suylisturm: intgein den Suylistorne (um 1460). s
Wie Pick mitteilt, entnahm im 15. Jahrhundert aus der buch
genant die Suylis das Dominikanerkloster in der Jakobstraße
das Wasser für seinen Fischweiher im Klostergarten. 4 In seiner
Aacher Chronick (1632) nennt Noppius den Bach die Suylis-
bach. b 1639 heißt es: von der Konispfortz längs dy großen
Sulus hin biß auf S. Jacobs PfortzJ Meyer schreibt: „Der
dritte aber, nämlich das, Suylis, öfnet sich in denen im Hassel¬
holz gelegenen weieren des zum blockhaus genanten landguts
und nimmt beim pfaffenthurm seinen einfluß“. 7 Und Ignaz
Beissel endlich sagt (1866) über den Johannisbach: „Er ent¬
springt in einer Wiese hinter dem „Blockhaus“, in einem sanft
geneigten, kehlförmigen, nordöstlich abfallenden Tale, aus den
Schichten des Aachener Sandes . . . und tritt bei dem soge¬
nannten Sules in die Stadt ein“. 8
Nach Müller-Weitz soll das Sühles der Eigenname einer
sumpfigen Gegend sein und wie das hochdeutsche Suhle einen
Pfuhl bedeuten, in welchem sich die wilden Schweine wälzen. 9
Suhle ist aber nicht, wie die beiden Gelehrten meinen, durch
Zusammenziehung aus Sudel entstanden, sondern geht auf das
althochdeutsche sol = Kotlache zurück. Es bleibt also die
Endung -is, -es, die sich durch alle Jahrhunderte erhalten hat,
unerklärt. Diese Schwierigkeit wird behoben, und ein ebenso guter
Sinn wird gewonnen, wenn wir Suylis vom lateinischen suillus
ableiten, das nach Du Gange den Sinn ad suem pertinens oder
') Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 159 A. 4.
*) Ebenda. — *) Ebenda. Vgl. ebenda S. 193. — 4 ) Ebenda 8. 386.
5 ) S. 18 .
*) Qu ix, Geschichte der S. Peter-Pfarrkirche, S. 61.
’) Aus Aachens Vorzeit 6, 83.
') Bericht über die Arbeiten der Wasser-Versorgungs-Conimission der
Städte Aachen und Burtscheid, S. 2.
9 ) Die Aachener Mundart. Aachen und Leipzig 1836.
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Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie.
261
Schweinepfuhl angenommen hat. 1 Gut paßt hierzu die Einzel¬
heit, die Pick anläßlich der Besprechung einer im Jahve
1711 getätigten Verpachtung anführt: „Großes und kleines
Siiles hießen auch zwei unfern des Junkers- oder Vaalser-Tors
befindliche Weiher“. 2 Die genauere Lage der beiden Teiche
ist aus der unten stehenden Zeichnung ersichtlich, die der
Stadtbaumeister A. Leydel am 2. Dezember 1821 angefertigt
und mit folgender Überschrift versehen hat: „Plan über jenen
Theil der Stadt Aachen, da wo die Sules Bach, so wie auch
die sogenante Krem, und Marck-Wasserleitung, nach der Stadt
einfließen“. 3 Ein anderer Plan ist am 17. Oktober 1792 von
H. Copso gezeichnet worden und trägt diese Überschrift: „Grundris
Welcher den von Junkers-Wall herkommenden, den Blatten-
bauchs-graben zu laufenden Fluß, die Seules-Bach genannt, und
die am selbigen Fluß anschiesende Gründen etc. anzeiget“. 4
Bei der Übernahme des Fremdwortes ist außer der Verschie¬
bung des Tones eine Schwächung der Endsilbe eingetreten. Im
übrigen haben wir den Werdegang des Eigennamens klar
erkannt. Er kam ursprünglich den Weihern vor dem Vaalser-
tor zu, wurde aber später auf den Abfluß derselben übertragen
und sogar auf den Pfäffenturm angewandt.
Es ist wahrscheinlich, daß im Mittelalter die Gebildeten
den Ursprung des Bachnamens genau kannten und diesen mög¬
lichst mieden. So erklärt es sich, warum man sich im ältesten
Toteubuche 5 mit einem einfachen ripa, in andern Urkunden mit
Bach schlechthin begnügte 6 ; so erklärt es sich ferner, warum
*) Wir hätten dann in Suylis eine Parallele zu dem Worte Supulia,
Sepulia. In diesem sieht H. J. Groß (Aus Aachens Vorzeit 6, S. 8 A. 3),
abweichend von andern Erklärern, die latinisierte Form eines mittelalter¬
lichen Wortes, dem im Neuhochdeutschen die Bezeichnung Saupfuhl ent¬
sprechen würde.
*) Aus Aachens Vergangenheit, S. 387.
3 ) Städtische Restverwaltungs-Commission. (Großes und kleines Süles.)
Im Aachener Stadtarchiv. Herr Prof. Dr. Savelsberg hatte die große
Freundlichkeit, mich auf den interessanten Plan aufmerksam zu machen.
4 ) Erben Casp. Strauch contra Ignaz van Houtem. Aachener Stadt¬
archiv. Die Kenntnis dieses Planes verdanke ich der Güte des Herrn
Dr. Mummenhoff.
s ) Z. B. unter dem 12. Januar, dem 15. und 28. August.
8 ) Anselmus super Bar/. 1279. Hennes, Urkundenbuch des Deutschen
Ordens, II, Nr. 256. Item duos capones, qm de quadam domo situ contra
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262
Eduard Teichmann
man die erste beste Gelegenheit ergriff, um das häßliche Wort
abzuschaffen. Der Anfang wurde um das Jahr 1460 gemacht,
als an der Ecke der Trichtergasse die Malteser-Kommende zum
h. .Johann Baptist gebaut wurde. Beispiele: sint Johanne vp
plateam Judeomm super Bug xolvimtur. Urkunde vom Jahre 1280 in ZdAGV
1, S. 148. — Item Heren Goyart Kolin up die Bach. 1394. Laurent, Aachener
Studlrcchnungcn aus dem 14. Jahrhundert, S. 399, 4.
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Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie.
263
die Bach (um 1460) 1 ; in sent Johans buch (26. Juli 1557) 2 ; st.
Janßbach (um 1640) 3 ; auf st. Johannisbachen gegen der Annun-
ciaten kirch (am 18. Januar 1727). 4 Das blieb nicht ohne
Folgen. Bald erhielt der Johannisbach in andern Straßen
ebenfalls neue Bezeichnungen. „Ferner heißt er noch heute
innerhalb der Stadt nach dem ehemaligen Annuntiaten-
kloster, das bald nach dem Stadtbrand von 1656 unfern des
Bachs auf dem Terrain der jetzigen Vincenzstraße erbaut
wurde, Annuntiatenbach und mehr unterhalb nach dem frühem
Augustiner-Eremiten- Kloster (jetzt Kaiser-Karls-Gymnasium)
Angustinerbach (1409 die bach hinder die Augnstyne). Noch
weiter abwärts führt er den Namen Sandkaulbach, eine Be¬
zeichnung, für die im 15. Jahrhundert die Benennung Molen¬
gassbach vorkommt“. 5
Hiermit sind aber die Titel des vielnamigen Wasserlaufs
— in dieser Hinsicht kann er mit einem spauischen Ritter ver¬
glichen werden — noch nicht erschöpft. Das Volk hat seinem
Liebling auf der kurzen Strecke, wo er ehedem vor der Stadt
floß, nach der Junkersmühle, die er damals trieb, den Namen
Junkersbach gegeben. 6
3. Funschel.
Bisher hat noch niemand ermittelt, was dieser Straßeu-
name bedeutet und welches sein Ursprung ist. Die Haupt¬
schwierigkeit ist der Umstand, daß der Name allem Anschein
nach einzig und allein in dem ältesten Aachener Totenbuche
vorkommt. Der naheliegenden Vermutung, es könnte die be¬
treffende Straße im Laufe der Zeit unterdrückt worden sein,
dürfen wir deshalb kein Gehör schenken, weil die ältesten Be¬
lege — sie reichen sämtlich vor das Jahr 1261 zurück — so
zahlreich sind, daß sie den Schluß rechtfertigen, daß sie einer
ziemlich stark bevölkerten Gegend gelten. Die Beispiele sollen
mit Rücksicht auf lautliche Verhältnisse geordnet werden.
Unter dem 11. Dezember: Obiit Imeza, soror nostra, pro
qua et marito eins Alberto habemus domum in Funschel 2 solidos
*, Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 385.
*) Ebenda S. 407 A. 5. — 3 ) Ebenda S. 444.
4 ) Aus Aachens Vorzeit 12, S. 36. — Vgl. Pick a. a. 0. S. 388.
5 ) Pick, ebenda S. 387—388.
®) Vgl. Pick a. a. 0. S. 387 und A. 5.
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2K4
Edunrd Teickmanu
solventem annuatim. — Unter dem 23. Juni: Obiit Metildis, uxor
Henrici de Surde, que dedit nobis domum super Funschel solvens 1
annuatim 6 solidos. — Unter dem 25. Juni: Obiit Albertus Wis-
keta, qui dedit censum ortorum 2 in Fonschel solvencium 21 dena-
rios. — Unter dem 26. November: Obiit Siba, pro qua datus
est census trium domorum in platea Foncellis solvencium 27 dena-
rios ad natalem domini. — Unter dem 27. November: Obiit
Betcela, que dedit Sande Marie censum trium domorum in platea
Foncellis solvencium 27 denarios ad natalem domini. Auch wenn
wir annehmen, daß es sich in den beiden letzten Fällen um
dieselben drei Häuser handelt, ist der Bestand an Häusern und
Gärten viel zu groß, als daß das Stadtviertel verschwunden
sein könnte.
Der Name Funschel weist auf funis Strick, Seil hin und
erinnert damit an den heutigen Seilgraben. Wie ist aber die
Silbe -sehet zu erklären? Funiculus (dünnes Seil) ist nicht
brauchbar, weil aus der etwaigen Mittelstufe * funcle wohl ein
Funkei, aber kein Funschel entstehen könnte. Am bequemsten
wäre es, * funicellus (Seilchen) zu Grunde zu legen, aber das
Wort ist nirgends aufzutreiben. So bleibt weiter nichts übrig,
als in Funschel ein aus funis und sella zusammengesetztes Wort
zu sehen. Nach Du Cange hat sella unter anderem auch die
Bedeutung von scamnum Bank, Bock, Gestell. Damit könnte
entweder der Arbeitsschemel des Seilers oder der Bock, das
Gestell gemeint sein, das heutzutage etwa in halber Bahn der
Werkstätte steht und zum Stützen des langen Seiles dient.
Vielleicht war auch die ganze Einrichtung der Werkstätte im
frühen Mittelalter verschieden von der heutigen. In platea
Foncellis wäre dann eine latinisierte Form des ursprünglich
ebenfalls lateinischen Funschel.
Zu Gunsten meiner Ableitung läßt sich einiges aus obigen
Beispielen anführen. Die Wendung in platea Foncellis bekundet,
daß die Gegend nicht nur der Arbeitsplatz der Seiler, sondern
auch ein Weg für die Allgemeinheit war. In Funschel, in Fonschel
ist eine verkürzte Ausdrucksweise für jene Wendung. Die wich¬
tige Bezeichnung super Funschel verdankt ihre Entstehung dem
Johannisbach, der mehr als die halbe Länge des Seilgrabens
durchfließt. Ähnlich heißt es im Totenbuche super ripam (Johannis¬
bach), super Pauiam, super Merdencul.
') So die Urkunde. — *) Statt hortorum.
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Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie.
265
Das heutige Wort „Seilgraben“ soll die Erinnerung an die ehr¬
baren Handwerker, die ehedem dort ihrem Gewerbe oblagen,
festhalten und zugleich die Lage der Straße in der Nähe der
alten Befestigungswerke andeuten.
4. Kol rum.
Im Gegensatz zu den meisten Fällen scheint die Herleitung
dieses Wortes, das den untern Teil des Büchels bezeiehnete,
auf der Hand zu liegen; denn eine jede seiner beiden Silben
klingt an ein gut deutsches Wort an, so daß es sich scheinbar
nur noch darum handeln kann, zwischen „Kohle“ und „Raum“
einen passenden Sinn zu schaffen. Diese Herleitung ist billig,
aber schlecht.
Unter der Einwirkung der soeben genannten lautähnlichen
Wörter schreibt Quix: „Hier wohnte der Messer der Holz¬
kohlen, die sonst häufig gebraucht wurden, und die Weiber
wuschen noch zu unseren Zeiten in dem offen liegenden warmen
Wasser die Kohlensäcke, in welchen sie die Steinkohlen in die
Stadt trugen“. 1 Mit einigen Zutaten versehen ist diese Ansicht
von J.Lennartz bei Pick „Monatsschrift für rheinisch-westfälische
Geschichtsforschung und Altertumskunde“ (3. Jahrgang, S. 152)
wiederholt worden. Der scharfsinnige Herausgeber der Zeit¬
schrift aber hat nicht nur auf die Belegstellen in den von
Laurent veröffentlichten Stadtrechnungen hingewiesen, sondern
auch die Herleitung als bedenklich bezeichnet und den Wunsch
ausgesprochen, daß die vor dem 14. Jahrhundert vorkommende
Schreibweise berücksichtigt werden möchte. Das ist auch der
einzige Weg, der zur Erkenntnis der Wahrheit führt.
Die älteste Namensform ist in einer Urkunde vom Jahre
1215, die Quix herausgegeben hat, überliefert worden. 2 Die
Stelle lautet: Item de domo, que sila est extra posternam illius
platee, que dicitur Caelrum, solvente annuatim 2 solidos .... 3
„Ferner von dem Hause, das außerhalb des kleinen Tores jener
Straße, welche Caelrum heißt, gelegen ist und jährlich 2 Schillinge
zahlt“. Die Schreibung ae ist hier nicht etwa das Zeichen für
*) Quix, Geschichte der S. Peter-Pfarrkirche. Aachen 1886, S. 74 A. 1.
*) Die Königliche Kapelle und das ehemalige adelige Nonnenkloster
auf dem Salvators-Herge. Aachen 1829, S. 86.
8 ) A. a. 0. S. 89. Die von Quix gebrachte Lesung Caclm ist durch
Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 131 A. 6 berichtigt worden.
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266
Eduard Teichmann
ä, sondern für zwei nacheinander gesprochene Vokale (kä-el-
rum). Wäre ae=ä, so hätte c keinen gutturalen Laut, sondern
einen Zischlaut. Dann wäre auch die spätere Entwicklung zu
Kolrwn ganz ausgeschlossen. Als ursprünglicher Stammvokal
hat also a, nicht o zu gelten.
Ich leite das Wort vom lateinischen caldarium ab, das in
klassischer Zeit die Warmzelle im Bade, das Warm- oder
Schwitzbad, im mittelalterlichen Latein nach Du Cange Warm¬
wasser bedeutete. 1 Das ist eine Bezeichnung, die für den
untern Ausgang des Büchels den Nagel auf den Kopf trifft.
Hören wir, was R. Pick über das alte Aachen schreibt: „Er
(der Bezirk des römischen Aachens) wurde im Norden von dem
Sumpfterrain des Johannisbachs begrenzt . . . Nach Osten hin
schloß er mit dem untern Teil des Büchels, ab, der mit Bädern
und andern römischen Bauten besetzt war“. 2 Nirgendwo
anders vereinigen sich in der Stadt so viele Abflüsse der warmen
Schwefelquellen wie in der fraglichen Straße. 3 Die lautliche
Entwicklung des caldarium bewegt sich auf gewohnten Bahnen.
Obwohl die Zwischenstufen nicht urkundlich belegt sind, lassen
sie sich mit Sicherheit vermuten; sie sollen mit einem Sternchen
versehen werden. Zuerst rückte der Ton auf die Stammsilbe:
caldarium. Alsdann trat Assimilation des d und Schwächung
des ersten nachtonigen Vokals ein: *cdllerium. Noch später
erfolgte der Ausfall des schwachen e: *callrium. Den Schluß
bildeten die Kürzung des -tum und Vereinfachung des 1: *calrum.
Das Wort ist also stammverwandt mit dem französischen chaud,
chaude und chaudron und mit dem englischen caldron. Es gesellt
sich zu den zahlreichen Altaachener Benennungen, die dem
Lateinischen entnommen sind.
Schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts war der Vokal
der ersten Worthälfte, vermutlich unter der Einwirkung des
Vokals der zweiten Worthälfte, in o verwandelt und damit der
Ursprung des Namens verdunkelt worden. Im ältesten Toten-
*) Caldarium, quando simpliciter ponitur, pro calida aqua intelligitur.
*) Aus Aachens Vergangenheit, S. II.
a ) Es ist sehr wahrscheinlich, daß in folgender Notiz des von Qu ix
veröffentlichten Necrologiums: Obiit Adam, pro quo habemus 6 denurios
Colonienses et 2 cappones de orto super Calidum rivulum (unter dein 4. März)
der Ausdruck Calidus rivulus dasselbe wie Caelrum bedeutet.
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Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie.
267
buche des Münsters 1 finden wir als Eintragung von dein Ur¬
heber (vor 1261) unter dem 14. November super Colrum, als No¬
tizen später lebender Kanoniker (Ende des 13. und Anfang des 14.
Jahrhunderts) unter dem 7. Januar, dem 15. April und dem
20. September super Colrum- unter dem 28. September de
Colrum. Schon damals regte sich das Bestreben, die erste
Worthälfte durch das deutsche „Kohle“ zu erklären; denn eine
jüngere Hand schreibt unter dem 10. November Wilhelmus,
canonicus de Kolenrom. Eine Urkunde vom 17. Juni 1286 hat
super Colrun . 2 Es mögen noch einige jüngere Belege folgen.
1385: Item umb clamberen zer piiffen up den Koelrum. 3 1394:
Item Clois Kempen huis up den Koelrum . 4 Gegen Ende des
14. Jahrhunderts: Koelrum . 6 Aus dem 14. oder dem Anfang
des 15. Jahrhunderts: Koilrum. 6 Eine Aufzeichnung des 16.
Jahrhunderts: Kolrutn. 1 1659: Colrum . 8 In der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts: Kohlrump . 9
Heutzutage ist das Wort fast ganz unbekannt. An seine
Stelle ist der Name Kolbert getreten, dessen Ableitung noch
nicht erklärt ist. In einer um 1640 aufgesetzten Verordnung
betreffend die Reinigung der Bäche heißt es: inst. Albertsstraß ,
da der Kolbert inkombt. 10 Von einer Aufzählung jüngerer Bei¬
spiele kann an diesem Orte wohl abgesehen werden.
5. Kozzebat.
Wer in dem ältesten Aachener Totenbuche wichtige Auf¬
schlüsse über die Bäder der Stadt während des Mittelalters zu
finden hofft, wird das Buch mit dem Gefühl bitterer Ent-
*) Quix, Necrologium ecclesiae beatm Mariae virgiuis Aquensis, Aachen
und Leipzig 1830.
*) ZdAGV 1, S. 124 A.
3 ) J. Laurent, Aachener Stadtrechnungen aus dem 14. Jahrhundert.
Aachen 1866, S. 321, 14—15. — 4 ) Ebenda S. 401, 25.
») ZdAGV 3, S. 168. — «) ZdAGV 23, S. 147, 161.
7 ) R. Pick, Aus Aacheus Vergangenheit, S. 28, A. 4.
*) ZdAGV 26, S. 136, A. 2. Wortlaut: „hauß, hoff unnd Erft', die Täsch
genandt, wie daßelb mitt allen seinen ahnhabenden recht unnd gerechtigkeitt
der foutainen unnd sunsten auf den Colrum alhir zwischen den häußeren
zum Falck unnd der Vetter Hennen gelegen ist“. Realisationsprotokolle von
1659—1661, Blatt 21 Vorderseite. Aachener Stadtarchiv.
•) Aus Aachens Vorzeit 14, S. 89.
,0 ) Bei Pick a. a. 0. S. 444.
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268
Eduard Teichmann
täuschung aus der Hand legen; denn der Satz Obiit Udo, pro
quo habemus 2 solidos in anniversario ipsius de quodam balneo
(Es starb Udo, für den wir bei seinem Jahrgedächtnis von einem
gewissen Bade 2 Schillinge haben *) ist viel zu unbestimmt,
als daß aus demselben ein Schluß auf die Badeverhältnisse ge¬
zogen werden könnte. Ein einziges Bad aber wird wiederholt
mit Namen vorgeführt: es ist das Kozzebat.
Die älteste Erwähnung desselben steht freilich in einer
Urkunde vom Jahre 1215 und lautet: dimidiam dotnum iuxta
Cotcebat (ein halbes Haus neben Kozzebat). * Von der ältesten
Hand des Totenbuches rühren die Angaben de quadam domo
iuxta Kutzebat a und de quadam domo super Kozzebat 4 her, von
einem jiingern Schreiber der Satz Obiit Äleidis super Cozbat,
que dedit marcam 5 , und die Bezeichnung magnam dotnum lapideam
prope Kuzzebat. 6 In der ersten und vierten Stelle bezeichnet
Kozzebat offenbar ein Haus: von einem gewissen Hause neben
Kozzebat, von einem gewissen Hause bei Kozzebat; in der
zweiten Stelle kann man ebenso gut übersetzen: von einem ge¬
wissen Hause oberhalb Kozzebat wie: von einem gewissen Hause
an der (geneigten) Straßenstrecke Kozzebat, wie an andern
Stellen des Totenbuches von super Santkule die Rede ist; die
dritte Stelle endlich aber läßt nur eine Deutung zu: „Es starb
Aleidis in der Straße am Kozzebat; sie gab eine Mark“. In
dem ältesten Aachener Zinsbuche, welches dem Jahre 1320 an¬
gehört und von Quix als Anhang zu seinem Necrologium ver¬
öffentlicht worden ist, begegnen wir folgender Stelle: Item bal-
neum, quod dicitur Kidzbat , 3 marcas. (Ferner das sogenannte
Kozzebat 3 Mark. 7 )
Wo lag Kozzebat? Die soeben berührte Notiz befindet
sich uuter der Unterschrift: Item census supra Curiam et circiter.
(Ferner die Zinsen am Hof und nahe dabei.) Laßt uns einmal
den Anfang von vier aufeinander folgenden Posten betrachten.
Item balneum, quod dicitur Kutzbat . . .
Item superius supra Buchgel . . .
*) Quix, Necrologium ecclesite beatse Marite Virginia Aquensis unter
dem 27. Miirz.
’) Quix, Königliche Kapelle .... Urkunde Nr. 7, S. 87.
a ) Unter dom 27. Mürz. — *) Unter dem 2. Juli.
s ) Unter dem 26. April. — °) Uuter dem 28. Mai.
') Hei Quix, Necrologium ... S. 78, 4 —5.
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269
Item superius . . .
Item supra Curiavn ... 1
Der Verfasser gibt, wie wir sehen, die Lage des Kozze-
bat zunächst gar nicht an, sondern tut so, als ob der Name
selbst schon eine Straßenbezeichnung wäre. Dann verrät er
in zwei aufeinander folgenden Notizen, daß Kozzebat unterhalb
des Büchels im damaligen Sinne des Wortes lag. Endlich kehrt
er zum Hof zurück und bekräftigt damit, daß Kozzebat keinen
Teil des Hofes bildete, sondern nur sich in der Nähe befand.
Nun wissen wir, daß ehemals das untere Ende des heutigen
Büchels den Namen Kolrum trug. Wenn wir annehmen, daß
lediglich das obere, am steilsten ansteigende Ende des heutigen
Büchels, etwa von der Körbergasse bis zum Markt, im Mittel-
alter diesen Namen hatte, und daß das Mittelstück, das Knie oder
die Gegend vor dem heutigen Kaiserbad, Kozzebat nach dem
in der Nähe befindlichen Bade gleichen Namens hieß, so ist
kein Widerspruch, keine Unklarheit mehr vorhanden.
In den von Laurent herausgegebenen Stadtrechnungen
treffen wir zum Jahre 1385 folgende Ausgabeposten an: Item
am dat Kutzbat vur holtz ind werke 8 m . 2 und Item Johan
Huyffleisch van 6 rn. 3 s. zens, die man eme aß' galt aint Kutz¬
bat, 63 m . 3
Nach allen diesen Bemerkungen komme ich endlich zu der
Frage, welches der Ursprung des Eigennamens sei. Bisher
sind zwei Deutungen gemacht worden. 4 1. „Dampf- oder Schwitz¬
bad, bei dessen Gebrauch die Badenden, sei es während des
Bades selbst oder nach dem Bade, in Decken gehüllt wurden“.
Dann wäre in Kozze das althochdeutsche choz, chozzo, das alt¬
sächsische cot, das ein mantelartiges Übergewand bezeichnet,
erhalten. 2. Kotze, Kutze und ähnliche Formen bedeuteten
Dirne, Kozzebat ein für Dirnen bestimmtes Bad, vielleicht nur
Badestube. Anstatt den Wert dieser beiden Vorschläge zu
prüfen, will ich mit einer neuen Ansicht hervortreten und es
dem Leser überlassen zu entscheiden, welche der drei Gleichungen
einen großem Grad von Wahrscheinlichkeit für sich hat. Wenn
wir in dem schon so oft benutzten Totenbuche auf die Angaben
') Quix, Necrologiuui ... S. 78, 4—7.
*) S. 322, 25. — *) 8. 325, 19.
4 ) ZdAGV 31, S. 144.
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270
Eduard Teichmann
in domo Kozi 1 und Obiit Mehtildis, uxor Nicholai Coci , a stoßen,
so werden wir ganz gewiß übersetzen „im Hause eines gewissen
Koch“ und „Es starb Matilde, Ehefrau des Nikolaus Koch“: denn
hier sind Coci, Kozi Genetive von cocus, der mittelalterlichen Neben¬
form von coquus (Koch). Unter solchen Umständen kann uns
auch nichts daran hindern, in Kozzebat eine Entwicklung von
Coci bat zu sehen und es mit „Bad eines gewissen Koch“ zu ver¬
deutschen. Der Wechsel von o und u ist eine so häufige Er¬
scheinung in Altaachener Eigennamen, daß ihr keinerlei Wert
beizumessen ist. 3
In einer Urkunde vom Jahre 1209 stellen sich uns die
niedern Kirchendiener des Aachener Münsters in folgender
Rangordnung vor: catnpattarius, pistor, cocus, brassator, claustra-
rius und fenestrarius . 4 Außer dem Pistor, Pistorius, Bäcker
lebt noch der dritte von ihnen in mancherlei ^amensformen,
die bald dem Latein nahe stehen, bald ganz deutsch klingen, in
unsern Tagen fort: Kock, Kuck, Cockz, Kux, Koch, Kochs,
Köchly. 5
6. Bendelstraße.
Die Erklärung dieses Namens ist deshalb so überaus
schwierig, weil seine heutige Form in mittelalterlichen Schrift¬
stücken nicht belegt ist. Die Lage der Straße in der Nähe
des Münsters und Rathauses und ihre außerordentlich unregel¬
mäßige Form berechtigen zu der Annahme, daß sie zu den
ältesten Verkehrsadern der Stadt gehört und schon in früher
Zeit ziemlich dicht bewohnt gewesen ist. Unter diesen Umständen
können die nachfolgenden Darlegungen nur als ein Versuch zur
Lösung der Frage angesehen werden.
Im ältesten Totenbuche der Aachener Liebfrauenkirche
findet man unter dem 27. Januar die Eintragung: Obiit Metildis,
pro qua liubetnus domwn in Benentstrate, und unter dem 3. Sep-
‘) Unter dem 31. Juli. — *) Unter dem 11. Dezember.
*) Das Kuckshaus (jetzt Jakobstraße 141), in welchem der große Brand
vom Jahre 1656 ausbrach, wird ursprünglich wohl auch Haus eines gewissen
Koch bedeutet haben. — Vgl ZdAGV 5, S. 47.
*) Lacomblet, Urkundenbuch II, Nr. 26.
s ) Vgl. A. Hcintze, Die Deutschen Familiennamen geschichtlich, geo¬
graphisch, sprachlich. 3. Auflage von 1*. Cascorbi, Halle a. S. 1908, S.
187 unter Koch.
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271
teniber den Posten: Obiit Albertus, pro quo et iixore sua Metilde
habuimus 18 denarios annuatim, quos solvit domus Sicionis in platea
Prati. „Es starb Matilde, für die wir das Haus in der Benent-
struße haben. Es starb Albert, für den selbst und dessen Ehe¬
frau Matilde wir jährlich 18 Denare bekamen, die das Haus
des Sicio in der — nun sagen wir vorläufig — Wiesenstraße
bezahlte“. Beide Posten rühren von der ersten Hand her und
sind vor 1261 gebucht worden. Die größte Wahrscheinlichkeit
spricht dafür, daß es sich in beiden Fällen um einunddieselbe
Frau handelt, die zuerst allein, dann aber zusammen mit ihrem
Mann genannt wird. 1 Der Sachverhalt wäre also folgender:
Sie ist zuerst gestorben und hat für ihr Seelenheil dem Münster¬
stift ihr Haus in der Benentstraße vermacht. Dir Mann hat
es weiter bewohnt und jährlich 18 Denare an das Münster ent¬
richtet. Als-auch er an einem 8. September das Zeitliche ge¬
segnet hatte, ist das Stift in den eigentlichen Besitz des Ge¬
bäudes gelangt, hat es aber an einen gewissen Sicio verkauft.
Wir dürfen also annehmen, daß Benentstrate und platea Prati
gleichbedeutend sind, und daß dieses nur die latinisierte Form
jenes Aachener Namens ist. Nun hat aber schon Quix die An¬
sicht geäußert, daß Benentstraße der heutigen Bendelstraße
entspreche 2 , und dieser Meinung hat man bisher stillschweigend
zugestimmt. Indem wir uns diesem Gedankengange anschließen,
gelangen wir zu der schon von Quix aufgestellten Gleichung
platea Prati = Bendelstraße. 3 Die platea Prati wird von der
ersten Hand noch unter dem 28. April und 8. Juli, von einer
jüngern Hand unter dem 23. Januar, dem 14. Juli, dem 1. und
12. August eingetragen; sie war mithin im 13. und 14. Jahr¬
hundert schon ziemlich stark bevölkert.
In der Aachener Mundart heißt die Wiese beut; demnach wäre
platea Prati gleich Bentstraße zu setzen. Dieser Name erscheint
tatsächlich im Jahre 1219: PetrusdeBentstraze. 4 Welche Lautent¬
wicklung hat bent genommen? In den Aachener Stadtrechnungen
des 14. Jahrhunderts treffen wir folgende Posten an: Item van
') Über eiuen gleichen, aber völlig klar ausgedrückten Fall vgl. die
Eintragungen unter dem 20. August und 4. September (Albert und Kunigunde).
*) Necrologium ccclesim beatm Maria; Virginia Aquensis, S. 7 A. 4.
®) Ebenda S. 6 A. 3.
4 ) Quix, Königliche Kapelle . . . Urkunde Nr. 15.
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272
Eduard Teichmann
Henkinne Clois soene in den Beynt . . . zum Jahre 1387, 1 Item . . .
ain der piiffen in der Bynt . . . zum Jahre 1385. 2 Wahrschein¬
lich ist in diesen Beispielen ebenso wie in den von Pick 3 an¬
geführten Belegen aus den Jahren 1412, 1438 und 1442 mit
Beint der südliche Teil des Theaterplatzes zusammen mit
dem untern Teile der Theaterstraße gemeint. Das tut aber
nichts; hier kommt es nur darauf an zu zeigen, daß in der
Aachener Mundart bent zu beynt und bint geworden ist. Wenn
wir nun folgende Posten jener Stadtrechnungen zum Jahre 1391:
Item Clois Huntz huys in Beneltstraisse */ 2 gul., val. 2 m. Item
heren Schrafs convent in Beyneltstraisse 1 /a 9 u l- b > Item deme Con¬
vente in Byneltzstrase 10 in. 6 miteinander vergleichen, so be¬
merken wir die nämliche Lautentwicklung: Benelt-, Beynelt-,
Bynelt-, Das lehrt uns, daß diese Formen mit bent zusammen¬
gesetzt sind und denselben Sinn haben. In dem aus Qu ix’
Nachlaß veröffentlichten Aufsatze „Zehnte im ehemaligen Reiche
von Aachen“ ist zu lesen: „Endlich nahm der 6 ,e Distrikt seinen
Anfang an der Rennbahn bei dem Feldchen, faßte in sich das
Rosfeld bis an Junkerssteinweg, die Junkersmühle mit einbe¬
griffen, und dann bis auf die Pferdheide“. 7 Aus diesem
Feldchen = feit und jenem bent kann zuerst Bentfeld-Straße ge¬
bildet worden sein und dieses sich im Laufe der Zeit zu Benelt-
straße verwandelt haben. Dann hätte es ursprünglich den nord¬
östlichen Teil der Bendelstraße oder den Teil bezeichnet, welcher
der Mündung in die Rennbahn am nächsten liegt.
Kehren wir nunmehr zur Benentstraße zurück. Der früheste
Beleg ist oben bereits wiederholt worden. Das älteste Zins¬
buch des Münsters (1320) enthält die Formen: In Benentstrase ...
und Benentstroisse. 8 — Noch einige Belege aus späterer Zeit.
1394: Item heren Grant Johantz huis in Benentstrois . 9 Aus der
zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts: Item Wynrich in Beynent-
') Bei Laurent S. 369, 16.
>) Ebenda S. 311, 33.
s ) Aus Aachens Vergangenheit, S. 157 und A. 2.
4 ) Bei Laureut S. 387, 19.
4 ) Ebenda 8. 387, 9. — •) Ebenda S. 373, 37.
’) Aus Aachens Vorzeit 5, S. 94.
®) Qu ix, Necrologium ... S. 75 Z. 32 v. o.
®) Laurent, Aachener Stadtrechnungen aus dem 14. Jahrhundert,
8. 401, 28.
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Zur Herleitung von Namen der Aachener Topographie.
278
strois . 1 Erinnert Beynent nicht sofort an Beynt und Beynelt?
Am 3. Januar 1424: dat toasser, dat ouch Benentstraisse neder
geyt . 2 Im Ziusbuche des Münsterstifts des 14. und 15. Jahr¬
hunderts: Mettil Kuichen in Benentstraisse. 3 Alles, was wir bis¬
her beobachtet haben, legt die Vermutung nahe, daß wir in
Ben ent wieder eine Zusammensetzung von bent , und zwar die
von bent und ent (=Ende) vor uns haben. Aller Wahrschein¬
lichkeit. nach diente der Name zur Bezeichnung des südwest¬
lichen Teiles der mehrfach gekrümmten Bendelstraße. Diese
scheint stückweise entstanden und bebaut worden zu sein.
Für den heutigen Straßennamen sind meine ältesten Belege
„auf dem Bendel“ aus dem Jahre 1550 in einer Abschrift der
Handschrift 11, S. 9 (auf dem hiesigen Stadtarchiv) und fol¬
gende Stelle der Realisations-Protokolle vom 11. Dezember 1664:
„dahie in st. Jacobstraßen negst herrn burgermeisteren von
Wylre und Peteren Vaeßen liinc inde gelegen, hinden auf
Bendelstraß ausschießend, Klein Brußel genant“. 4 Der Name
scheint einer willkürlichen Mischung der beiden Wörter Bend
(im Inlaut d statt t) und Benelt sein Dasein zu verdanken. 6
Maßgebend war für die Behörde wohl lediglich der Wunsch,
für den ganzen Straßenzug eine einheitliche Bezeichnung zu
schaffen.
') Bei Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 316 A. 2.
*) Qu ix, Historische Beschreibung der Münsterkirche . . . Aachen
1825, S. 150.
*) Quix, Das ehemalige Dominikaner-Kloster uud die Pfarre zum
heiligen Paul in Aachen. Aachen 1833, S. 56. Ein weiterer Beleg ebenda S. 54.
4 ) Pick, Aus Aachens Vergangenheit, S. 355 A. 1.
6 ) Abweichende Deutung von B. M. Lersch. Aus Aachens Vorzeit
3, S. 64.
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Geschichtliche
Erinnerungen an Aachen in Feindesland,
Von Richard Pick.
(Mit einer Abbildung.)
Die Beziehungen, die die alte Königsstadt Aachen im Mittel-
alter und bis in die neuere Zeit hinein mit anderen Städten unter¬
hielt, gingen weit mehr nach Westen, insbesondere nach Belgien
und Nordfrankreich, als in der entgegengesetzten Richtung nach
dem Rheine hin. Diese Tatsache mag auf den ersten Blick
auffällig erscheinen; sie erklärt sich aber aus mannigfaltigen
Gründen. Mit dem Westen verband die Stadt eine Reihe dort¬
her kommender Straßen, die, schon in römischer Zeit entstanden 1 ,
später gewissermaßen mit zwingender Notwendigkeit dem be¬
ginnenden Verkehr des aufstrebenden Ortes die Wege wiesen.
Namentlich die Gegend der mittleren Maas bei Lüttich, das
Wiegen- und Lieblingsland der Karolinger, hatte für Aachen,
zumal seit den Tagen Karls des Großen, eine besondere An¬
ziehung*. Schon früh war des Kaisers vornehmste Gründung,
das Aachener Münster, im Besitze zahlreicher Kirchen dieses
Landstrichs®. Die spätestens im 10 Jahrhundert erfolgte Ein¬
verleibung Aachens in das Bistum Lüttich hat ohne Zweifel
ebenfalls Anlaß und Gelegenheit zur Anknüpfung von mancher-
*) Um die Erforschung dieser Straßen haben sich im Itheinlande J.
Schneider und C. v on V e i th, in Belgien und Holland ü. van Dessel und
J. A. Ort besonders verdient gemacht. Leider ruhen gegenwärtig und schon
seit Jahren die diesbezüglichen Untersuchungen, obgleich die gewonnenen
Forschungsergebnisse sich durch neuere Funde gewiß vielfach erweitern und
berichtigen ließen. Auch die lokalen Urkunden und älteren Chroniken, wie z.
B. die Annales Rodenses, enthalten noch wertvolles, bisher unbenutztes
Material, das eine Zusammenstellung wohl verdiente.
*) J. O. Kohl, Der Rhein II, S. 436.
3 ) Bulletin de la sociötö d’art et d’histoire du dioeese de Li6ge XIV,
p. 161 und 267.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland. 27f>
lei Beziehungen mit den handelstüchtigen Städten der Maas
und Schelde herbeigeführt. Bekannt ist, daß bereits im 12.
Jahrhundert die die Aachener Märkte besuchenden Kaufleute
aus Flandern durch Kaiser Friedrich I. gewisse Freiheiten
erhielten ] . In Betracht kommt noch ein weiterer, nicht
unwichtiger Umstand: die von Kaiser Lothar I. geschehene Er¬
hebung Aachens zur Hauptstadt des lothringischen Reiches, das,
einstmals den Landstrich zwischen der Schelde, Maas, Saöne
und Rhone einerseits und dem Rhein andererseits umfassend,
sich später auf das Land der Maas und Mosel beschränkte.
Mit Frankreich hat noch besonders der hier früh einsetzende
Karlskult Aachen in vielfache Beziehungen gebracht. Sie
wurden in nachheriger Zeit erheblich vermehrt durch den Be¬
such der Messen in der Champagne seitens der Aachener Kauf¬
leute und durch die ihnen zugestandenen Handelsbegünstigungen 2 .
Eine zwar schwierige, aber lohnende Aufgabe für die Orts¬
forschung würde es sein, zu ermitteln, in welchem Umfange
die vorhin angeführten Umstände im einzelnen die Beziehungen
Aachens zu dem Westen gefördert und beeinflußt haben. Gerade
in der jetzigen Zeit, da die Gestaltung des künftigen Schick¬
sals der von Deutschlands tapferen Heeren besetzten belgischen
und nordfranzösischen Lande in Frage steht, hätte eine solche
Untersuchung einen besonderen Reiz. Aber diese Arbeit würde
nicht nur den der vorliegenden Abhandlung zugewiesenen Raum
weit überschreiten, sie ließe sich auch nicht ohne tiefgehende
Studien in den einschlägigen ausländischen Staats- und Gemeinde¬
archiven ausführen, zu denen vorläufig keine Möglichkeit ge¬
geben ist. Ich will mich daher im Nachfolgenden darauf be¬
schränken, aus gedruckten wie ungedruckten Quellen gleichsam
als Vorarbeit zu jener Aufgabe eine Anzahl Nachrichten mit¬
zuteilen, die frühere, mitunter enge Beziehungen zwischen ein¬
zelnen belgischen und französischen Städten und der vormaligen
Krönungsstadt des Deutschen Reiches erkennen lassen. Daß diese
Mitteilungen gleichwohl der Aachener Ortsforschung manches
Neue bringen, wird man beim Lesen leicht herausfinden. Es
sei in dieser Hinsicht nur auf die uralten Handelsbeziehungen
zwischen Antwerpen und Aachen, das fälschlich so genannte
Leichenkleid der französischen Könige und die aus der Aachener
') K. Höhl hau m, Hansisches Urkundenbuch I. Nr. 231.
*) Vgl. R. A. Peltzer in ZdAUV 25, 138 und 151.
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276
Richard Pick
Gegend stammende Ebenistenkolonie in Paris hingewiesen.
Selbstverständlich habe icli auch manche Unrichtigkeiten, die
sich in älteren und neueren gedruckten Werken fanden, hier
verbessert. Um Wiederholungen zu vermeiden, sind als Über¬
schriften der einzelnen Abschnitte nur die Namen der belgischen
und französischen Städte gewählt, über deren Beziehungen zu
Aachen darin gehandelt wird.
1. Antwerpen.
Wer beim Besuche des Aachener Rathauses Gelegenheit
hat, das prächtig ausgestattete 1 Amtszimmer des Oberbürger¬
meisters in Augenschein zu nehmen, gewahrt unter den in den
Fenstern dieses Zimmers angebrachten Wappen auch das Stadt¬
wappen von Antwerpen. Es hat bei der Wiederherstellung des
Gebäudes zu Ende des vorigen Jahrhunderts hier eine Stelle
erhalten, weil der Raum in reichsstädtischer Zeit und zwar
seit jeher 2 zur Abhaltung des Werkmeistergerichts diente,
das über „Wolle, Tuch und Farbe Urteil sprach“, und die
hiesigen „Tuchmacher“ nach der Scheldestadt einst einen be¬
deutenden Handel betrieben, auch dort, wie man annehmen darf,
eine ansehnliche Niederlage besaßen.
Die wahrscheinlich nahen Beziehungen Aachens zu Ant¬
werpen im frühen Mittelalter sind nicht aufgeklärt. Eine das
Recht des sog. Ritterzolles der Stadt Antwerpen umschreibende
Schöffenurkunde vom März 1241 (nach unserer Zeitrechnung 1242),
die erst in neuerer Zeit von dem früheren Antwerpener Stadt¬
archivar J. B. Stockmans veröffentlicht worden ist 3 , läßt ein wenig
Licht in dieses Dunkel fallen. Antwerpen bildete vor alters mit einer
Reihe von Ortschaften in näherem und weiterem Umkreise eine
Mark des großen Deutschen Reiches an dessen Westgrenze.
Alle innerhalb dieser Mark oder der Freiheit, der libertas
castrensis operis, wie es im 13. Jahrhundert heißt, Angesessenen
mußten zu dem Unterhalt des Antwerpener Burgbaues 4 beitragen
') R. Pick und J. Laurent, Das Rathaus zu Aachen, Taf. 16 und
Textbilder Nr. 49—51.
*) J. Laurent, Aachener Stadtrechnungen aus dem XIV. Jahrhundert
S. 385, Z. 33.
3 ) Bulletin de l’acadömie royale d’archeologic de Bclgique 1904,
p. 35 — 39.
4 ) Eine Abbildung der Antwerpener Burg im 11. Jahrhundert gibt
A. Thys, Historiek der stratcn en openbare plantsen van Antwerpen* p. 9.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
277
und waren dagegen von der Entrichtung des dortigen Ritter¬
zolles für ihre Handelswaren befreit. Nur wenn sie zollpflichtige
Waren zur Verarbeitung auf ihren Lastwagen einbrachten, sollten
die Eigentümer der Waren den Jochzoll (jurjale theloneum),
nämlich für jedes Pferd einen Antwerpener Obol, zu zahlen
haben. Die Urkunde vom Jahre 1241 gibt eine genaue Grenz¬
beschreibung der Freiheit. Auch das an der Roer gelegene
Städtchen Linnich mit neun Felddörfern gehörte dazu. Die
Kaufleute von Aachen, Thiel an der Maas und mehreren anderen
Städten, die nicht innerhalb der Freiheit lagen, durften laut
jener Urkunde ihre Waren ebenfalls zollfrei mit der angegebenen
Einschränkung nach Antwerpen einführen; dafür waren auch
sie zur Unterhaltung des Burgbaues daselbst verpflichtet 1 . Wie
huch die Beiträge waren, die die einzelnen Orte zu entrichten
hatten, ist in der Urkunde nicht angegeben.
Da die Berichte, in denen die Schötfenurkunde nach einer
älteren Abschrift im Stadtarchiv zu Antwerpen zum Abdruck
gelangte, nur schwer zugänglich sind, so sei der Text der Urkunde,
soweit er für Aachen von Interesse ist, hier mitgeteilt:
Universis tarn presentibus quam futuris, quibus scriptum presens
videre contigerit, scabini Antwerpicnses salutem. Notum vobis fucimus,
quod Arnult'us, dictus Villicus, Gilbertus et Wihnarus, milites, et eoruin
coberedes theloneum suum, quod habent Antwerpie, conscribi feceruut,
mediante consilio nostro, prout nobis constahat hactenus fuisse receptum,
ea maxirne de causa, quod thelonarii ipsoruin, quos pro diversitate tem-
porum 3 diversos habent, sciant de cetero, quid et a quibus accipere
debeant.
ümnes illi igitur de Aquis, de Tille, de Antwerpia et de villis,
que ad opus castri Antwerpiensis pertinent, liberi sunt et exempti a
solutione dicti th-lonii, nisi qui bona debentiu thclonium in suis curribus
duxerint sarcinanda; tune enim debent jugnle theloneum, videlicet obolum
Antwerpiensem de quolibet palefrido trahente currus, quod tune pro
ipsis solvere tenentur illi, quorum bona sunt predicta.
Libertas itaque eastrensis operis extenditur usque ad villas et loea
subscripta: ab Antwerpia seilicet usque ad Ossendrecht; inde ad Dibbrugge;
inde ad Turnoutervoirt; inde ad Molrengne; inde recto tramite ad Testelt
in Damere; inde ad Arscot, et bec villa tota pertinet ad dictnui opus;
inde ad Wergtere; inde ad VVisplar; inde ad Lelle; inde ad Stenvoirde;
Vgl. auch das Siegel der Markgrafschaft Antwerpen (1312) mit der Dar¬
stellung der Burg p. 275.
x ) J. B. Stock maus in der Vorbemerkung zu dem Abdruck der
Urkunde a. a. 0.
*) Die Vorlage hat unrichtig tempore.
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278
Richard Pick
iude ad Regisbuscum; inde ad Ledeberge in Scalda; inde ad Ridinx-
flite; inde in Scalda ex bac parto Hontemuden. Preterea ad dictum opus
pertinet Leuneke super Rure cum novem villia campestribus. Universi
autem alii dabunt theluneum, prout est subscriptum. [Es folgen die
Zollsätze für Wein und sonstige Waren führende Schiffe sowie für last-
tragende Maultiere und Pferde.] Die Urkunde schließt: Actuin anno
Domini millesimo CC° quadragesimo primo, ineuse Martio
Eine nähere Aufklämng der vorstehend berührten, bisher
der Aachener Ortsforschung völlig fremden Verhältnisse darf
man wohl von der Zukunft erhoffen.
In den von dem gelehrten Jesuiten Daniel Papebroek
(t 1714) verfaßten Annalen von Antwerpen wird berichtet, daß
da, wo die Aachener Kaufleute vormals ihren Stapelplatz hatten,
in den dreißiger Jahren des lö. Jahrhunderts von dem reichen
Kaufmann Erasmus Schetz ein vornehmes Wohngebäude errichtet
worden sei, das in Erinnerung an das alte Stapelhaus den
Namen Haus von Aachen erhalten habe 1 . Dieser Angabe
begegnen wir auch in anderen ortsgeschichtlichen Werken über
Antwerpen 2 . Dagegen schreibt, jedenfalls zutreffender, der mit
der Geschichte der Antwerpener Baudenkmäler vertraute A.
Thys (1893), daß Nikolaus von Richtergen, Bürger von Aachen,
das Haus, an dessen Stelle später der Schetzsche Neubau trat,
im Jahre 1498 von den fünf Kindern Heinrichs van de Werve
angekauft und nach seiner Heimat „In Aachen“ benannt habe.
Später sei der Name in „Haus von Aachen“ geändert worden
und diese Bezeichnung habe der naehherige Prachtbau beibe¬
halten 3 . Hiernach hat also der Häusername mit einer Handels¬
niederlage der Aachener Kaufleute in Antwerpen nichts zu tun.
Wo ihr Stapelplatz gelegen hat, ist nicht ermittelt.
Nikolaus von Richtergen entstammte einer alten Aachener
Familie; vermutlich war er ein Sohn des Bürgerbürgermeisters
Lambert von Richtergen, der in den achtziger Jahren des 15. Jahr-
') F. H. Mertens und E. Buschmann, Annales Antverpienses ab
urbe condita ad aunum M.DCC, collecti ex ipsius civitatis monumeutis . .
auctore Daniele Papebrochio S. J. III, p. 227.
*) Vgl. F. H. Mertens und K. L. Torfs, Gesehiedenis van Ant¬
werpen scdert de stichting der stad tot onze tyden uitgegeven door de
Rederykkamer de Olyftnk IV, p. 495.
3 ) A. Thys p. 76. — R. A. Peltzer in ZdAGV HO, S. 821 läßt den
Nikolaus von Richtergen das Haus von Aachen erbauen.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
279
Imnderts in Aachen wiederholt erwähnt wird 1 . Wann der junge
Richtergen, der vielleicht mit dem 1472 in Basel studierenden
Nikolaus Reichterghen * derselbe ist, nach Antwerpen übersiedelte,
ist nicht ermittelt. Er war ein Mann von großem Unterneh¬
mungsgeist, und das in der Scheldestadt von ihm gegründete
Handelshaus erlangte bald einen Weltruf. Als erster bezog
er ostindische Gewürze, die bisher durch das Rote Meer über
Beirut und Alexandria nach Venedig und von da auf dem Land¬
wege nach Frankreich, Deutschland und den anderen europäischen
Ländern gekommen waren, auf dem neuentdeckten Seewege
über Portugal direkt aus Ostindien und brachte sie nach Ober-
deutschland 3 . Auch trat er 1506 an die Spitze einer Gesell¬
schaft, die den Altenberg gepachtet hatte, um den Galmei¬
handel zu betreiben 4 . Im Jahre 1508 verkaufte er dem Augs¬
burger Handelsherrn Jakob Fugger 5 ein großes Haus zu Ant¬
werpen, Steenhouwersvest genannt, das in der Folge das dortige
Fuggerhaus wurde 6 . Wann Richtergen starb, ist unbekannt;
doch scheint er 1518 tot gewesen zu sein, da in diesem Jahre
sein Schwiegersohn und Geschäftsnachfolger Sclietz mit dem
Rentmeister von Limburg einen Pachtvertrag bezüglich des
Altenbergs auf zwölf Jahre schloß 7 . Er erhielt in der Kapelle
einer von ihm gestifteten vornehmen Marienbruderschaft in der
Liebfrauenkirche zu Antwerpen seine letzte Ruhestätte. Auf
dem Fuße eines von ihm geschenkten prächtigen Messingkande¬
labers, der neben seinem Grabmal stand, war sein Name zu
>) Bonner Jahrbücher LXVI, S. 132; ZdAGV 13, 8. 90 und 104;
19, 2, 8. 68. - *1 ZdAGV 15, S. 328.
3 ) Pescription de tous les Pays Bas, autrement appellez la Basse Alle-
tnagne; par M. Louys Guicciardin, geutil-homme Florentin: Reveue, & aug-
mentfce de nouveau plus que de la moiti6, par l’Autheur inesrne. Et traduite
d’Italien en langue Francoise, par F. de Belle Forest, Comtningeois p. 109.
(Diese 1613 zu Arnheim gedruckte und von Pierre du Mont in Amsterdam
mit einer Widmung versehene, seltene Ausgabe des bekannten Werkes von
Guicciardini habe ich bis jetzt nirgends verzeichnet gefunden. Sie bringt
am Schlüsse [p. 599—606) eine Ansicht nebst Beschreibung von Aachen.
Ein Exemplar der Ausgabe besitzt das Wiss. Antiquariat von Ant. Creutzcr
zu Aaeheu.)
4 ) R. A. reltzer a. a. 0. 30, S. 320.
s ) Über ihn vgl. Allgemeine Deutsche Biographie VIII, S. 181.
s ) A. Thys p. 76. — 7 ) 1t. A. Peltzer a. a. 0.
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280
Richard Pick
lesen 1 . Nikolaus von Richtergen hinterließ drei Kinder: zwei
Töchter, Ida und Katharina, sowie einen Sohn Nikolaus *. Ein
Oheim der Kinder von mütterlicher Seite war der Jubilar¬
kanonikus des Münsterstifts zu Aachen, Lambert Munten, der
am 1. September 1558 sein Testament errichtete 3 . Damals
lebte nur noch Katharina von Richtergen, die mit Konrad von
Gaver, Herrn zu Elsloo, vermählt war und im Testament ihres
Oheims bedacht wurde. Die ältere Schwester Ida hatte im
Jahre 1511 den bereits wiederholt erwähnten Erasmus Schetz
geheiratet, der mit seinem Oheim Johann Vleminck dem Älteren
und dessen Schwager Arnold Proenen in Antwerpen ein ange¬
sehenes Bankgeschäft betrieb. Woherdie Familie Schetz stammte,
ist nicht aufgeklärt. Man versetzt sie nach Maastricht oder
nach Aachen oder in die Gegend zwischen beiden Städten. Der
Ehe der Ida von Richtergen mit Erasmus Schetz entsprossen
drei Söhne, die die Eltern nach den hh. Dreikönigen Kaspar,
Melchior und Balthasar benannten. Alle drei werden später in
hochangesehenen Stellungen erwähnt 4 . Nach dem Tode seiner
Frau heiratete Erasmus Schetz nochmals. Der Name der zweiten
Frau ist unbekannt. Auch mit ihr hatte er mehrere Kinder.
Als Nikolaus von Richtergen der Altere das Zeitliche
segnete, ging das Haus von Aachen auf seinen Schwiegersohn
Schetz über, unter dessen Leitung der darin betriebene Handel
zur höchsten Blüte emporstieg. Daneben blieb auch das Bank¬
geschäft bestehen. Schetz erwarb zu dem Stammhause zwei
‘) Description de tous les Pays Bas etc. p. 93.
*) Über die Familien von Richtergen und Schetz vgl. J. L. Meullcners
in Publications de la sociötö historique et arch£ologique dans le duch6 de
Limbourg XXVII (N. S. VII), p. 313. Über die Familie Schetz und den Ver¬
kauf des Hauses von Aachen s. noch besonders Recueil des Bulletins de la
Proprietf* 1882, Bl. 123 - 127 und 1886, Bl. 5-7.
s ) De Maasgouw, Jaarg. IX (1887), p. 105 und 109.
4 ) Description de tous les Pays Bas etc. p. 145: L’aisne eut nom Gaspar
Baron de Wesemale, Seigneur de Grobbendonek, & d’autres Seigneuries, &
Thresorier general pour le Roy de tous les Pays bas; tres-bien vers# en
l’une & l’autre langue, grand Poetc; en sorarae, non moins orn6 de vertu &
seavoir, que d’estats & de richesses. Le second est Melchior Seigneur de
Rumpst, de Willebroeck, & autres Bourgades voisines, bomme vertueux &'
expert en l’Arithmetique: Le troisiesme est nommO Balthasar, Seigneur
d’Hoboock, assez lettrd & bien verse aux Matbcinatiques.
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Das Haus von Aachen zu Antwerpen.
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Geschieht liebe Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
281
benachbarte Gebäude, den Schwarzen Adler und den Weißen
Mönch, und errichtete an der Stelle der drei Häuser einen
prächtigen Neubau, der die Benennung „Haus von Aachen“
weiterführte. Die auf einer Treppenstufe ausgehauene Jahres¬
zahl 1539 läßt die Fertigstellung des Baues um diese Zeit ver¬
muten *.
Den ganzen Galmeihandel leiteten Sehetz und seine Ge¬
schäftsnachfolger über Aachen. Hier erwarb am 16. März 1526
Arnold Proenen zugleich im Namen seiner oben erwähnten Ge¬
schäftsteilhaber Erasmus Sehetz und Johann Vleminck von
Johann Mert (?) von Boickhoultz genannt Wailpott für 52 1 / a
Gulden und den Grundzins zwei in der Pontstraße nebenein¬
ander liegende Häuser, von denen das eine Rupenstein hieß
und einen Ausgang nach dem Augustinerbach 2 hatte. Beide
Häuser waren um 1460 Eigentum des Zilmann von Boesbach
und gingen später an Johann von Birgel über, von dem sie 1493
der Schöffe Heinrich Dollart erwarb, nachdem dieser am 13.
März des nämlichen Jahres zwei Erbzinsen von zusammen 11
Gulden und 18 Schilling, die zu Gunsten des Junkers Stephan
von Raide und Wilhelms von Raide auf dem Hause Rupenstein
lasteten, von Johann von Roide und dessen Kindern an sich
gebracht hatte 3 . Das Haus Rupenstein wurde 1495 von Dollart
neu gebaut und erhielt in der Folge, wahrscheinlich seit
dem Ankauf durch die Firma Sehetz, den Namen Haus von
Aachen, der später im Gegensatz zu dem ebenfalls in der Pont¬
straße gelegenen Kleinen Haus von Aachen in Großes Haus
von Aachen umgewandelt wurde. Noch um die Mitte des
16. Jahrhunderts wird es mit dem Doppelnamen Rupenstein oder
Haus von Aachen erwähnt. Als früheres Polizeidienstgebäude
und jetziges Kunstgewerbemuseum ist das Haus männiglich in
Aachen bekannt. In diesem Hause, das im Volksmunde auch
Kelmishaus 4 genannt wurde, betrieb nun die Firma Sehetz den
') A. Thys p. 77; F. H. Mertens und E. Buschmann III, p. 227;
F. H. Mertens und K. L. Torfs IV, p. 495.
*) Dieser Ausgang ist noch heute zwischen den Häusern Augustiner¬
bach 3/5 und 7 vorhanden.
3 ) Ponttor-Grafschafts-Buch (Hs. im Kgl. Staatsarchiv zu Düsseldorf)
Bl. 8 v.
4 ) Kälraes mundartl. = Galmei (calamine). Vgl. J. Müller und W.
Weitz, Die Aachener Mundart S. 98; L. Rovenhagen, Wörterbuch der
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282
Richard Pick
Handel mit Galmei und anderem Erz 1 . Ein Faktor besorgte
hier ihre Geschäfte. Als solcher kommt 1540 Sebastian Vleminck
(Flemming) vor, wohl derselbe, der am 3. März 1550 von
Johann von Belven das Haus zum Schafsberg in der Schmied¬
straße zu Aachen kaufte und mit Adelheid Parys verheiratet
war 2 . 1566 war Wilhelm von Baien genannt Homburg Faktor
der Firma Schetz in Aachen. Hier wohnte auch der spanische
Beamte, der die Fässer mit Altenberger Galmei zur Verhütung
von Fälschungen durch Vermengung mit Cornelimünsterer oder
anderem Galmei prüfte und stempelte.
Erasmus Schetz schied am 30. Mai 1550 aus dem Leben.
Wenige Jahrzehnte später geriet das Handelshaus Schetz in
Zahlungsschwierigkeiten, infolge deren es den Galmeihandel
aufgeben mußte 8 . Mit diesem Zusammenbruch des Geschäfts
ging auch der Glanz des palastartigen Besitztums der Familie
Schetz, des Hauses von Aachen, zurück. Durch vornehmen Be¬
such war es zu besonderer Berühmtheit gelangt. Am 9. April
1545 stieg darin Kaiser Karl V. mit seinem Sohne Philipp und
seiner Schwester Maria, der Königin von Böhmen und Ungarn
und nachherigen Regentin der Niederlande, ab und verweilte
hier ungefähr drei Wochen 4 . Damals war Antwerpen der
Mittelpunkt des Welthandels, die Börse aller abendländischen
Völker, die blühendste Stadt Europas 5 . lu den Jahren 1556—
1567 war das Haus von Aachen wiederholt das Standquartier
des Prinzen Wilhelm 1. von Oranien. Hier nahm er auch Wohnung,
als er im August 1566 mit seiner Gemahlin nach Antwerpen kam“.
Aachener Mundart S. 58. Offenbar wurde der Name Keltnishaus beim Volke
durch den in dem Hause betriebenen Galrneihandel veranlaßt.
') Abweichend, doch unrichtig die Darstellung bei R. A. Peltzer a.
n. 0. 30, S. 321 f. Vgl. auch S. 336.
*) R. Pick, Ans Aachens Vergangenheit S. 596. Mehrere Mitglieder
der Familien Vleming und Paris waren im 16. Jahrhundert Kanoniker des
Aachener Münsterstifts, so 1523 Johann Vleming, an dessen Stelle 1525
Johann Paris trat, dem 1544 Arnold Vleming folgte. Von letzterem ge-
latigte das Kauonikat 1561 an Walter Vh ming. Vgl. A. Heuscb, Nomina
admodum reverendorum . . canonieorum Regalis occlesiae B. M. V. Aquis-
granensis p. 28, 29 und 52.
*) R. A. Peltzer a. a. 0. 30, S. 323.
*) A. Thys p. 77; F. H. Mertens und E. Buschmann III, p. 226.
5 ) M. Spahn, Im Kampf um unsere Zukunft S. 50.
®) A. Thys p. 55.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
283
Nicht lange nachher ließen sich die Jesuiten in der Schelde¬
stadt nieder. Unter Aufwendung vieler Mühe gelang es ihnen
im Jahre 1573. mit Unterstützung eines reichen Spaniers Fer¬
dinand de Frias und anderer von Kaspar Sc.lietz, Herrn zu
Grobbendonk, dem Sohne des Erasmus Schetz, das Haus von
Aachen für den sehr geringen Preis von 17000 Kronen zu er¬
werben, das sie dann zum Kloster einrichteten *. Der ge¬
nannte Wohltäter ließ ihnen auch eine Kirche erbauen, die,
einfach gehalten, schon im Jahre 1575 in Benutzung genommen
werden konnte. Zwar entrissen 1578 die Protestanten den
Jesuiten Kloster und Kirche und nötigten sie zur Flucht aus
Antwerpen; die Einnahme der Stadt durch Alexander Farnese
ermöglichte ihnen aber fünf Jahre später die Rückkehr und
den dauernden Besitz ihres Eigentums. Während ihrer Ab¬
wesenheit hatte das Kloster zum Versammlungsort des „Raad
der hoogere officieren van de burgerwachten“ gedient; auch
hatte darin, wie in früheren Jahren, der Prinz von Oranien
wiederholt seine Wohnung aufgeschlagen. Die Kirche dagegen
war mit einem Teil der Gebäude den Protestanten für die mit
ihrem Ehrendienst verbundenen Feierlichkeiten überlassen
worden s . Im Jahre 1615 begannen die Jesuiten den Bau einer
neuen prächtigen Kirche. Sie wurde 1615—1621 mit großen
Kosten im belgischen Barockstil errichtet und am 12. September
des letzteren Jahres von dem Antwerpener Bischof Johannes
Malder eingeweiht 3 . Zu den vorhandenen Gebäulichkeiten, die
1614 vielfache Veränderungen und Erweiterungen erführen,
wurde 1622 für die beiden von den Jesuiten gestifteten Bruder¬
schaften, die Männer- und die Junggesellenbruderschaft, die
Mitglieder aus allen Schichten der Bevölkerung, Adlige, Künstler,
Beamte, Kaufleute usw. enthielten, die sog. Sodalität, ein ge¬
räumiger Bau, aufgeführt 4 .
') F. H. Mertens und E. Buschmann III, p. 226—228; F. H.
Mertens und K. L. Torfs IV, p. 495 und 496; A. Thys p. 77.
*) A. Thys p. 77; F. H. Mertens und E. Buschmann III, p. 512.
s ) Über die Jesuitenkirche in Antwerpen vgl. .1. Braun S. J., Die bel¬
gischen Jesuitenkirchen (Ergänzungshefte zu den „Stimmen aus Maria-Laach“
951 S. 151 — 171, wo Abbildungen der Fassade, des Turms und des Inneren
der Kirche beigegeben sind.
*) A. Thys p. 83.
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284
Riebard Pick
Im Jahre 1773 erfolgte die Aufhebung der Gesellschaft
Jesu. Zwei Jahre nachher wurde das Profeßhaus zu der von
der Kaiserin Maria Theresia 1775 gestifteten Militärakademie
bestimmt, und als man diese 1783 in das Englische Haus ver¬
legte, das gesamte Klostereigentum zum Verkauf gebracht.
Das Profeßhaus, die Sodalität und ein angrenzendes Haus
kauften für 40 000 Gulden Michael Dewez und Ülivier l’Espirt
zu Brüssel, die die Sodalität und den Hof des Profeßhauses
kurz darauf an den Notar Johann Michael Funck-Rora ver¬
äußerten, während das Profeßhaus selbst durch Kauf an Peter
Joseph und Maria Rom gelangte und zu Wohnungen einge¬
richtet wurde. Der Notar Funck verkaufte wenig später die
Sodalität. die dann eine Zeitlang zur Abhaltung von Konzerten
und Bällen, als Bazar, als Kaffeehaus und zu politischen sowie an¬
deren Versammlungen benutzt wurde. Während der ersten
Besetzung Antwerpens durch die Franzosen (1792 — 1793) war
hier der Sitz des Klubs der Menschenrechte 1 .
Die Jesuitenkirche, die im Jahre 1718 durch Blitzschlag
sehr beschädigt, aber bald nachher wieder hergestellt worden
war, wurde nach Aufhebung des Ordens bis 1779 geschlossen,
dann als Pfarrkirche St. Charles in eine Nebenkirche der Kathe¬
drale umgewandelt. Die Franzosen nahmen sie 1794 in Be¬
schlag, und drei Jahre später wurde sie zum „Tempel der wet“
eingerichtet. Auch wurden hier die republikanischen Feste ge¬
feiert, und die Trauungen vor dem Standesbeamten vollzogen.
Später diente die Kirche zur Aufnahme von verwundeten Sol¬
daten aus der Schlacht bei Waterloo. Im Jahre 1817 überließ
sie die niederländische Regierung den Protestanten zur Abhal¬
tung ihres Gottesdienstes; doch wurde sie infolge häutiger Be¬
schwerden der Pfarreingesessenen von St. Charles noch im
nämlichen Jahre der katholischen Kirchengemeinde für 14 000
Gulden verkauft*.
Im Jahre 1852 erwarben die nach Antwerpen zurückge¬
kehrten Jesuiten einen Teil ihres vormaligen Eigentums wieder.
Die Stadtverwaltung kaufte 1879 für 125000 Franken die
frühere Sodalität, die sie zur Stadtbibliothek (1883 eröffnet)
einrichtete. Das Portal wurde mit der sitzenden Figur des
’) A. Tfiys p. 82, 84 und 222.
s ) Ebenda p. 79 und 80.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
285
Dichters Hendrik Conscience geschmückt und der vor dem Ge¬
bäude gelegene Platz Conscienceplatz benannt 1 .
So bat das einst so vornehme Haus von Aachen, das durch
den Reichtum und das Ansehen seiner ersten Besitzer, nicht
minder aber auch durch den Fleiß und die Gelehrsamkeit der
späteren Inhaber, der Jesuiten, insbesondere der bis zur Auf¬
hebung des Klosters hier schaffenden ßollandisten eines großen
Rufes weit über Antwerpens Weichbild hinaus sich erfreute,
heute seine vormalige Bedeutung völlig eingebüßt.
Die hier beigefügte Ansicht des Hauses von Aachen ist
in Originalgröße dem von F. H. Mertens und K. L. Torfs ver¬
öffentlichten Werke über die Geschichte von Antwerpen ent¬
lehnt. Die Vorlage ist ein Kupferstich, der laut dem darauf
befindlichen Vermerk von J. Lintiig 1848, jedenfalls nach einem
älteren Bilde, angefertigt wurde. Er stellt das Haus von Aachen
im 16. Jahrhundert dar. Von dem damaligen Aussehen des
teils im Renaissance-, teils im spätgotischen Stile aufgeführten
Gebäudes ist heute nichts mehr zu erkennen.
2. Dinant.
In den letzten Zeiten des Mittelalters bis ins 17. Jahrhundert
hinein stand auf dem Marktplatze in Aachen ein anderer Lauf¬
brunnen als der heutige. Es war ein mit reichem bildnerischen
Schmuck versehener gotischer Aufbau, der im ersten Drittel
des 14. Jahrhunderts errichtet wurde und bereits in der Aus¬
gaberechnung der Stadt vom Etatsjahre 1334/35 als „neuer Lauf¬
brunnen“ (nova musa) erwähnt wird 2 . Ohne Zweifel darf man
seine Errichtung mit dem Bau des Rathauses in Verbindung
bringen, der zu der nämlichen Zeit in vollem Gange war ' 1 . An
der Stelle des gotischen Brunnens muß sich vorher ein noch
älterer, vielleicht karolingischer Brunnen befunden haben, da
in einem Ausgabeposten der Stadtrechnung vom Jahre 1338/39
von der Wiederherstellung der dem „neuen Brunnen“ Wasser
zuführenden hölzernen Kanäle im Felde die Rede ist, die auf
eine Strecke von 200 Ruten faul geworden waren 4 . Eine
') A. Thys p. 84, not. 1.
*) J. Laureat, Aachener Sladtrechnungen aus dem XIV. Jahrhundert
S. 106, Z. 8.
3 ) R. Pick und J. Lau reut, Das Rathaus zu Aachen S. 28.
4 ) J. Laurent a. a. U. S. 126, Z. 7.
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286
Richard Pick
Abbildung des gotischen Marktbrunnens enthält einer der vier
noch erhaltenen Teile des ältesten Aachener Stadtplans, ein
das Rathaus, den Markt und die anstoßenden Straßen darstellender
Kupferstich aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts 1 , wie
auch das 1611 von dem Amsterdamer Kupferstecher Nikolaus
van Geilekerck angefertigte Bild: Warachtige Afbeeldinge van
de Nieuwe Oorloghe binnen der Stadt Aken , teghen de Magistraet
ende Jesuwijten, gheschiet den 5. Julius 1611. Beide Stiche besitzt
die Aachener Stadtbibliothek.
Der jetzige Marktbrunnen entstand im Jahre 1620. Das
große mit Wappen und Inschriften geschmückte Brunnenbecken
aus Bronze wurde von Franz und Peter von Trier unter der
Mithülfe von Daniel Lauer im Hause zum Eselskopf zu Aachen
gegossen, während die den Brunnen zierende, mehr als lebens¬
große Bronzefigur Karls des Großen in einer Gießhütte der in
den belgischen Kämpfen der jüngsten Zeit stark beschädigten
Stadt Dinant hergestellt wurde*. Eine Beschreibung dieser
vorzüglich gegossenen und sorgfältig ziselierten Figur gibt
P. deinen in seiner gelehrten Abhandlung über die Porträtdar¬
stellungen Karls des Großen 3 . „Durchaus in Eisen gekleidet,“
so sagt er, „den linken Fuß vorgesetzt, in kühner, fast theatra¬
lischer Haltung, mit Apfel und Scepter, mit hoher Krone auf
dem bärtigen Haupt, so vereinigt diese Gestalt die Züge des
Stadtheiligen mit denen des ritterlichen Zeitideals.“ Vou einem
„lustigen Brunnen“, wie man gemeint hat, kann hiernach bei
dem Marktbrunnen keine Rede sein. Zwei lokale Dichter,
Fr. Oebeke und Alexander Reumont, haben im vorigen Jahr¬
hundert das Standbild zum Gegenstand eines dichterischen
Ergusses gemacht 4 ; viel früher (1624) schon hatte es der Aachener
l ) Die Herstellung dieses Stadtplans wird nach der Jahreszahl 1566,
die der Wasserturin auf einem der Blätter trägt, in oder um dieses Jahr
gesetzt. Ob mit Fug, ist mindestens zweifelhaft. Jedenfalls ist es aber
unrichtig, wenn man die den vier Blättern nachträglich beigefügten Unter¬
schriften dem 17. Jahrhundert zuschreibt, da sic von der Hand des Archivars
Meyer des Jüngeren (f 1821) herrühren. Vgl. A. Huyskens in den Mit¬
teilungen des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz,
Jahrg. VII (1913), S. 230, Nr. 1.
*) J. Xoppius, Aacher Chronick, Ausg. v. 1632, I, S. 104; R. A.
I’eltzer in ZdAGV 30, S. 363. — 3 ) ZdAGV 12, S. 64.
*) A. v. Keumout, Aachener Liederchrouik S. 12 und 141.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
287
Goldschmied Dietrich von Rha in zierlicher Miniaturausgabe
als Pokal in vergoldetem Silber verarbeitet 1 und ein anderer
Bürger der Stadt, der städtische Fontänenmeister Sebastian
Fabri, um die Wende des 17. Jahrhunderts den Marktbrunnen
auf seinem Hause (jetzt Kleinkölnstraße Nr. 7), das den Namen
„In dem goldenen Brunnen“ erhielt, nachgebildet. So sehr war
der Karlsbrunnen auf dem Großeu Markte der Aachener Bürger¬
schaft ans Herz gewachsen.
Welcher von den Gießereien Dinants die Kaiserstatue ihre
Entstehung verdankt, ist nicht ermittelt. Die älteren Rats¬
protokolle der Stadt Aachen, aus denen die Beantwortung dieser
Frage sich zweifellos ergeben hätte, sind leider durch den
Stadtbrand vom Jahre 1656 vernichtet worden.
In Dinant hatte die Gießkunst sich seit dem 16. Jahrhundert
allmählich wieder emporgearbeitet, nachdem sie von der Höhe,
die sie im Mittelalter einnahm, infolge der Zerstörung der Stadt
durch Herzog Philipp von Burgund und dessen Sohn, den nach¬
maligen Herzog Karl den Kühnen, im Jahre 1466 jäh herabgesunken
war 2 . Welch hervorragende Bedeutung die Maasstadt einst in
diesem Gewerbszweige hatte, bekundet die schon im 14. Jahr¬
hundert bezeugte Bezeichnung „Dinanderie“ für alle Arten von
*) H. Loersch und M. Rosenberg in ZdAGV 15, S. 95, Nr. 68. Der
den Marktbrunnen darstellenden Pokale scheint es früher mehrere in Aachen
gegeben zu haben; denn am 8. Juli 1721 vermachte der Kanonikus und
Kantor des dortigen Marienstifts Nikolaus Jakob Wilhelm von Maw seinem
Bruder Johann Heinrich von Maw einen „silberen Pocal die Marckpfeiff“
(Testament im Aachener Stadtarchiv), und in dem „Inventarium des zum
Rathhaus gehörigen Geriiths, wie solches den 27. März 1784 vorbildlich ge
wesen“, wird unter dem Silberwerk ebenfalls ein Pokal „die Fontaine vor¬
stehend“ aufgeführt. Vgl. R. Pick und J. Laurent a. a. 0. S. 83. Über
den Verbleib des letzteren Pokals ist nichts bekaunt, während der erstere
wahrscheinlich derselbe ist, der sich heute in dem Besitze der Erben des zu
Bonn verstorbenen Geheimrats Hugo Loersch befindet. Von diesem Pokal,
aus dem der König, spätere Kaiser Wilhelm I. bei seinem zweiten Trink¬
spruche auf dem Festessen im Kaisersaal des Aachener Rathauses anläßlich
der Huldigungsjubelfeier am 15. Mai 1865 trank, hat Franz Bock bei N.
Schüren, Die Jubcl-Huldigungsfcier der Vereinigung der Rheinlande mit der
Krone Preußen, am 15. Mai 1865 S. 113 eine ausführliche Beschreibung
gegeben.
*) Vgl. hierzu und zu dem Folgenden R. A. Peltzers Ausführungen
über Dinant in ZdAGV 30, S. 258 ff. und 297 ff.
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288
Richard Pick
Guß- und Treibarbeiten in Messing. Sie gehörte als einzige
Stadt des französischen Sprachgebiets der deutschen Hansa an,
und ihr Handel erstreckte sich, wie sie im Jahre 1449 selbst
an König Karl VII. von Frankreich schrieb, über Frankreich,
Spanien, England, Deutschland und andere Länder. Unter den
Orten, au denen die Dinauter Messinghändler Musterlager und
Faktoren unterhalten haben sollen, wird auch Aachen genannt.
Aber weitere Beziehungen als diese müssen vormals zwischen
beiden Städten bestanden haben; denn in einem Schreiben vom
7. Mai 1569 bittet die Stadt Dinant den Aachener Magistrat
unter Bezugnahme auf einen Brief desselben vom 6. Mai 1557,
worin er sich über Zollbelästigungen beklagt und auf ein altes
Handelsvorrecht sich beruft, er möchte die seit uralter Zeit
zwischen den beiden Städten in betreff des Messinghandels bestan¬
denen guten Gewohnheiten (bons anchiens usaiges, de toute anti-
quitt . . observSs) auch in der Folge gelten lassen *. Ob der
Bitte entsprochen wurde, ist nicht bekannt. Viele Jahre später,
am 3. November 1618, trat der Dinauter Magistrat nochmals
mit der alten Kaiserstadt in Verbindung, um von ihr die Zustim¬
mung zu der gegenseitigen Steuerfreiheit für die Messingwaren
ihrer Kaufleute wie von alters zu erlangen. Er stützte sich
dabei insbesondere auf die Hansaprivilegien und berief sich zu¬
gleich auf die gute Nachbarschaft 2 . Unbekannt ist auch hier,
wie die Antwort Aachens lautete; das Dinanter Urkundenbuch
erwähnt sie nicht; sie scheint aber nicht unbefriedigend ausge¬
fallen zu sein, da bald nachher die Bestellung der Karlsstatue
in der Maasstadt erfolgte.
Als Dinant nach seiner Zerstörung im 15. Jahrhundert
allmählich wieder aus der Asche erstand, kehrten auch einzelne von
den ausgewanderten Batteursfamilien — Batteurs nannte man
die Gewerbetreibenden, die sich vornehmlich mit Treiben und
Schlagen von gegossenen Messingplatten beschäftigten — dorthin
zurück. Indessen zu der früheren Höhe vermochte die Stadt
sich nicht mehr aufzuschwingen; im Gegenteil war es Aachen,
dem in der Folge Dinants einstige Stellung im Messinghandel
auf dem Weltmärkte zufiel. Hier, wo für die Entwicklung
') Borinans, Cartulairc de la commune de Dinant IV, p. 93. Vgl.
R. Förster O.S.B. in den Historisch-politischen Blättern CXXVI, S. 58.
*) Bormans IV, p. 374. Vgl. R. Förster a. a. 0.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
289
dieses Gewerbszweiges durch die Nähe des Altenberger Galmei¬
bergwerks, durch den Reichtum an Holz in den die Stadt um¬
gebenden Waldungen und durch zahlreich vorhandene Wasser¬
mühlen die günstigsten Bedingungen gegeben waren, erreichte
die Messingiudustrie im 16. Jahrhundert, namentlich auch durch
die Einwanderung tüchtiger Batteurs aus dem von den Franzosen
1554 verwüsteten Städtchen Bouvignes, eine ungewöhnliche Blüte.
Mit Fug konnte der Chronist Noppius im Jahre 1632 schreiben:
„Dieser (Kupfferhandel) ist ein sehr stattlicher Handel, darvon
Aach biß ans End der Welt sehr beriihmbt wird, dann das Kupffer
hiedannen durch alle Prouintz vnd Landen verschickt wird
Nicht ohne Grund vermutet man, daß die Heimat der ersten
Aachener Messingindustriellen Dinant gewesen sei. Verwandt¬
schaftliche Beziehungen zwischen Aachener Kupfermeisterfamilien
und Dinanter Batteursfamilien lassen sich im 16. Jahrhundert
in ziemlicher Zahl nachweiseu 2 . Es sei z. B. an die Familien
Duppengießer, Amya, Raddu, Blanche erinnert, von denen Mit¬
glieder in Aachen wie in Dinant um jene Zeit Vorkommen. Mit
Töchtern aus Dinanter Batteursfamilien waren die angesehenen
Kupfermeister Leonhard Schleicher und Riitger Ruland zu Aachen,
jener mit einer Maigret, dieser mit einer Claessen, verheiratet.
Den Genannten mag sich noch der Goldschmied Arnold Klöcker,
ein Sohn des 1548 zu London geborenen Franz Klöcker und
ein Enkel des Goldschmieds am Hofe des englischen Königs,
späteren städtischen Münzmeisters zu Aachen, Heinrich Klöcker,
anschließen. Arnold Klöcker verzog wenige Monate vor dem
Tode seines Vaters (f 4. Juni 1625) von Aachen nach Dinant,
starb dort als Münzmeister des Bischofs Ferdinand von Lüttich
am 14. Februar 1647 und wurde in der Kathedrale vor dem
Altar des h. Franziskus begraben. Er war seit Mitte August
1626 verheiratet mit Margaretha Collyn, einer Tochter des
Dinanter Bürgers Georg Collyn 3 .
Daß die ersten Ursulinerinnen im Jahre 1651 von Dinant
nach Aachen kamen, ist bekannt.
Durch mannigfache Fäden, wie wir sehen, waren die beiden
Städte vormals miteinander verknüpft; aber der Schwerpunkt
der wechselseitigen Beziehungen scheint doch im Mittelalter
') Noppius I, S. 111. — *) R. A. Peltzer a. a. 0. 30, S. 297.
3 ) H. Loorsch und M. Rosonborg a. n. O. 15, S. 80, Nr. 32.
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2!I0
Richard Pick
gelogen zu haben, wenn wir auch iin einzelnen nur wenig darüber
unterrichtet sind. Wenn Dinant nachweislich bereits am Ende
des 11. Jahrhunderts mit Cöln Handelsbeziehungen unterhielt,
ja ihm im 13. Jahrhundert dort sogar von den Erzbischöfen
„seit den Zeiten Karls des Großen“ bestehende Rechte bestätigt
wurden 1 , so darf man wohl mit ziemlicher Gewißheit vermuten,
daß auch Aachen, über das der Weg der Handeltreibenden
vielfach führte, damals von dem Handel und Verkehr mit
Dinant nicht ausgeschlossen geblieben ist.
3. Löwen.
Am Nachmittag des 25. August 1776, einem Sonntag, zogen
in Aachen zwei von Studenten und jungen Kaufleuten gebildete
Reiterkompanien und eine große Anzahl vornehmer Herrschaften
zu Wagen die Lütticher Landstraße hinaus, um den Primus
von Löwen, Matthäus Joseph Wildt, einen Sohn der alten Kaiser¬
stadt, in feierlichem Geleite einzuholen. An der Löwener Uni¬
versität, die seit alters von den Aachenern viel besucht wurde 5 *,
bestand bekanntlich vormals der Brauch, daß derjenige Student,
welcher am Schlüsse des akademischen Jahres die philosophischen
Aufgaben am besten gelöst hatte, unter dem Namen eines Primus
von Löwen sowohl dort wie namentlich auch in seiner Heimat
mit großen Ehrenbezeugungen ausgezeichnet wurde. Durch
Schreiben vom 13. August, das ein besonderer Bote Tags da¬
rauf dem Schöffenbürgermeister Johann Jakob Freiherrn von
Wylre auf dem Rathaus in Aachen einhändigte 3 , hatte der
Regens Lilii 4 zu Löwen, L. Arents, dem Magistrat mitgeteilt,
daß Wildt die Siegespalme in der Weltweisheit errungen habe,
und ihn zugleich zu der Festlichkeit, welche zu Ehren des
Siegers in der Schola artium zu Löwen am 20. August statt -
*) Vgl. R. Förster a. a. 0. CXXVI, S. 47 ft'.
*) Vgl. J. Hansen in ZdAGV 7, S. 143.
3 ) Registraturvennerk auf der Rückseite des Schreibens.
*) Das Collegium Lilii war eines von den mehr als dreißig Kollegien,
die vormals an der Löwener Universität bestanden. Unter diesen waren die
berühmtesten die Collegia Lilii, Castri, Porci und Falconis. In ihnen allen
wurden Vorlesungen über die freien Künste gehalten, die man in der Ge-
lehitenwelt mit dem eineu Wort Philosophie bezeichnote. Vgl. Description
de tous les Pays Bas etc. p. 70.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
2 Ul
finden sollte, eingeladen. Das im Stadtarchiv zu Aachen auf¬
bewahrte Schreiben mag hier mitgeteilt werden:
Perillustres, praeuobiles, ainplissimi ac generosi doinini. Quod
viri primores patriae ipsique supremi Belgarum principes, cum tulit
occasio, signilicari sibi passi sunt, de hoc hodie vos perillustres, amplissimos
ac generosos viros dominos, sanctioribus curis licet aliunde occupatis-
simos, certiores nou reddere nefas existimavimus, paedagogio scilicet
nostro liliensi in celeberriino eoque generali quatuor paedagogiorum
concursu primum in artibus obtigisse Mathaeum Josepbuin Wilt ipsa
civitate vestra Aquis-grancnsi oriundum, adolescentem non minus pietate
quam doctrina conspieuum. Quod quidem nunduin vobis bonarura artium
bencvolis cultoribus graturn fore conlidimus tanto amplius, quanto
cognoscitis distinctius ejusmodi praerogativain non nisi perspicatioribus
iugeniis iisque iuiprobo labore exercitatis esse reservatam, eapropter
speramus, ut cum ad suos non inglorius revertens Aquisgranum vencrit,
solito vestro favore atque singulari bencvolentia eum prosequi atque
snscipere nou dedignemini, ut eo exemplo splendidissimae civitatis vestrae
juveutus animetur atque excitetur ad virtutem atque laborem; interea
hac vestra humanitate sulmixi coufidenter amplissimas dominationes
vestras hisce rogamus, ut actum solennem die Martis proxima celebran-
dum Lovanii in scliola artium spectatissima vestra praesentia illustrare
atque cohonestare uon gravemini. Quam gratiam dum praestolamur,
omni interim veneratione subscribimus
Perillustres, praeuobiles, amplissimi ac generosi domini,
bumillimus vester famulus
Lovanii 13. augusti 1776. L. Arents regens Lilii.
Am 20. August faßten die Beamten (so hieß eine Aachener
Behörde 1 ) über den Empfang des Primus in Aachen Beschluß
und setzten die Einzelheiten genau so fest, wie sie nachher zur
Ausführung gelangten. „Herren Beambten haben beschießen,“ so
heißt es in dem bezüglichen Protokoll*, „bey Ankunfft des Primi
Lovaniensis Herrn Job. Matthaei Wild, so kunfftigen Sonntag
umb vier Uhren Nachmittags vestgestellt, (wegen befahrenden
Concurrentz des Herrn Vogt Majoris 3 ) selbigen nicht an der
Gräntze zu empfangen, sonderen dahier ahm Rathhauß nur durch
') Vgl. Cbr. Quix, Hist.-topogr. Beschreibung der Stadt Aachen und
ihrer Umgebungen S. 145; F. Haagen, Geschichte Achens II. S. 287.
’) Beamtenprotokolle im Stadtarchiv zu Aachen.
3 ) Das Eingeklammerte ist in der Vorlage durchgestrichen. Es deutet
den Grund an, weshalb sich der Stadtmagistrat nicht an der Einholung des
Primus beteiligte.
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292
Richard Pick
Herrn Syndicum zu empfangen, die Treppe hinauf zu fuhren,
wohe alßo derselb denen regierenden Herren Burgermeisteren
praesentiret, undt in Beyseyn Herren Beambten durch Herrn Syn¬
dicum complimentiret undt zum oberen Saal aufgefuhret werden.
Dan haben selbe resolvirt, daß bey deßen Ankunft die Canons gelößet
undt die Glocken geläuthet, auch demselben und deßen Suite
undt Compagnie ein Soupe dahier aufm oberen Saal appretiret,
wie auch haben resolviret, daß demselben eine silberne Lam-
pette zum Praesent überreichet werden solle.“
Daß in dem Protokoll als VVildts Vornamen Johann Matthäus
(er hieß Matthäus Joseph nach seinem Großvater mütterlicher¬
seits, dem preußischen Residenten Matthäus Joseph de Lognay)
angegeben werden, dürfte wohl auf ein Versehen des Rats¬
schreibers zurückzuführen sein 1 . Fünf Tage später traf Wildt
selbst mit großem Gefolge auf der Grenze von Aachen ein und
machte zunächst am Bildchen Halt, um die Begrüßung und
Beglückwünschung seiner Mitbürger entgegenzunehmen. Unter
Pauken- und Trompetenschall vollzogen sich diese, dann setzte
sich der Zug zur Stadt hin in Bewegung. Er bot ein farben¬
prächtiges Bild dar. Eine genauere Beschreibung desselben hat
uns Karl Franz Meyer der Ältere, „des Hohen Stadt-Raths
Archivarius“, als Zeitgenosse überliefert. „Sechs Kaiserliche
Postillons in ihren gelben Uniformen“, so berichtet er*, „machten
den Vortrab, die Pausen-Weise in ihre Hörner bliesen. Hierauf
folgte die bürgerliche Reiter-Kompagnie. Hinter dieser die
andere von den philosophischen und theologischen Herren Kandi¬
daten mit ihren Pauken und Trompeten. Alsdann eine Anzahl
junger Herren von den hohen Schulen zu Löven, alle zu Pferde,
mit sechs bey sich habenden weißen Standarten. Zwischen
diesen ritt der weise Sieger in einem Mantel-Kleide von schwarz¬
seidenem Damast, mit einem Blumen-Slrauß an seinem mit
Lorbeern umwundenen Hute, und mit einem Lorbeer-Zweige
in der Hand. Hierauf dessen werthe Eltern in einem mit 6
*) Auch A. Fritz (ZdAGV 30, S. 83, Anm. 2) gibt, jedenfalls durch
die Autorität des amtlichen Protokolls verleitet, die Vornamen Johann Mat¬
thäus an. Die richtigen Namen s. bei A. v. Reumont in ZdAGV 1, S. 210
(hier freilich Matthäus mit Matthias verwechselt), A. Heusch, ebenda 10,
S. 246 und R. Pick, Aus Aachens Vergangenheit S. 55, Anm. 2.
s ) K. F. Meyer, Aacheusche Geschichten 1, S. 770.
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Geschieht liebe Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
293
Pferden bespannten Wagen, den der lioehwürdige Herr, Herr
Johann Haghen', Prälat der alt-adelichen Abtey Klosterrode,
als ein wahrer Schützer und Beförderer der hohen philosophisch-
sowohl als theologischen Studien zu dieser festlichen Feyer
großmüthig hergeliehen hatte. Diesen folgten vier Herren Pro¬
fessoren von der philosophischen Fakultät zu Löven in einem
vierspännigen Wagen. Weiter die Herren Professoren der
Philosophie und Theologie aus dem hiesigen Franziskaner Re-
kollecten-Kloster. Und endlich noch 22 mit andern Herrschaften
besetzte Wagen.“ Am unteren Grundhaus, damals Eigentum
des angesehenen Aachener Bürgers Jakob Coberg 2 bot dieser
dem Primus den Ehrenwein in einem silbervergoldeteu Pokale
an, der von der Pfalzgräfin Eleonore Maria Theresia, späteren
Gemahlin Kaiser Leopolds I., dem Regulierherren-Kloster in
Aachen, wo sie vor ihrer Vermählung zwei Jahre geweilt hatte,
geschenkt worden war. Auch die übrigen Teilnehmer des Zuges
wurden mit Wein erfrischt, während mit einer Anzahl kleiner
Kanonen, die in der Nähe des Grundhauses aufgestellt waren,
fortwährend geschossen wurde. Dann ging es weiter. Vor der
Stadt reihten sich noch die fünf unteren Schulen aus dem
Marianischen Lehrhause, dem früheren Jesuitengymnasium, mit
ihren Fahnen dem Zuge an. Vom Berinstein her, einer früher
befestigten Anhöhe bei dem Jakobstor, erdröhnten die Kanonen;
am Tore selbst stand die städtische Grenadierkompanie mit
wirbelnden Trommeln in Parade. Durch die Jakobstraße,
Klappergasse und Rennbahn, die wie auch die Mehrzahl der
übrigen Straßen mit Triumphbögen, Lorbeerbäumen, Maien und
Laubwerk geschmückt waren, bewegte sich der Zug zum Münster,
wo der Primus von zwei Stiftsherren namens des Kapitels an
der Wolfstür empfangen und zu dem mit einem Teppich ge¬
zierten Chorstuhl des Propstes geführt wurde. Nach Absingung
des Tedeums unter Pauken- und Trompetenschall zog man in
der bisherigen Ordnung über den Fischmarkt, durch die Schmied¬
straße über den Münsterplatz, durch die Ursulinen- und Edel¬
straße, über den Büchel am Holzgraben vorbei zur Comphaus-
') Er war 1760 Prämintor des Aachener Jesuitengymnasiums; vgl.
A. Fritz in ZdAGV 28, S. 220.
•) Über ihn vgl. J. Greving in ZdAGV 13, S. 78, Anm. 2. Sein
Bruder Johann Adam Coberg (Coebergh) war 1757—1776 Prior des Regulier-
herrenklosters zu Aachen,
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•JO 4
Richard I'ick
badstraße und die Großkölnstraße hinauf zum Rathaus. Hier
wurde der Primus, während von den Wällen der Stadt die
Kanonen donnerten und die Glocken läuteten, von dem einen
der beiden Stadtsyndici am Fuße der Rathaustreppe empfangen
und zum Kaisersaal geleitet, wo er von dem anderen Syndikus
vor den versammelten Bürgermeistern und Beamten beglück¬
wünscht und ihm von der Stadt ein silbernes Lavoir verehrt
wurde*. Auf der dazu gehörigen Kanne war das Stadtwappen
und in vier Chronogrammen die Widmung des Rats und der
Bürgerschaft eingegraben 2 . Dieses Lavoir. von Georg Jonas
Mayer & Comp, in Augsburg geliefert, kostete 9504 Aachener
Mark 3 . Es befindet sich jetzt im Besitze der Geschwister Geul-
jans zu Aachen. Auch das Münsterstift blieb nicht zurück; es
machte dem Gefeierten ein Geschenk von 80 Dukaten in Gold.
Am Abend gab die Stadt auf dem Kaisersaal zu Ehren des
Primus ein prächtiges Souper von 70 Gedecken, an dem außer
diesem und seinen Eltern und Verwandten die städtischen Be¬
amten, der Prälat von Klosterrath, die Professoren von Löwen
und die von dort mitgekommenen Studenten teilnahmen. Auch
für musikalische Unterhaltung war dabei gesorgt. Für dieses
Essen zahlte die Stadt an Leonhard Brammertz 7632 Aachener
Mark 4 . Den Schluß der Feier bildete eine allgemeine Beleuch¬
tung der Stadt mit zahlreichen Transparenten und auf die
Festlichkeit bezüglichen Sinnsprüchen. Nach damaliger Sitte
erschienen bei dieser Gelegenheit auch mehrere, allerdings etwas
wunderliche Gedichte im Druck. Ein Doppelblatt in Folio mit
einem lateinischen und deutschen Gedichte befindet sich in dem
Besitze der bereits erwähnten Geschwister Geuljans: ersteres
mit 28 Hexametern, von L. M. Danner 5 verfaßt, der dem Blatte
’) R. Pick und .1. Laurent, Das Rathaus zu Aachen S. 78. Über die
späteren Schicksale des Lavoirs vgl. J. 0. Rey in Aus Aachens Vorzeit XX,
S. 215. — *) K. F. Meyer a. a. 0. I, S. 771.
") R. Pick, Aus Aachens Vergangenheit S. 55, Anm. 2; A. Fritz in
ZdAGV 30, S. 83, Anin. 2.
*) Stadtrechnung von 1776 (12. Vierzehnnaoht) im Stadtarchiv zu Aachen;
vgl. A. Fritz a. a. U. 30, S. 83, Anm. 2.
s ) Er wird als dominus illustrissimus Laurentius Maria de Danner,
fweta laureatus Caesareus, iurisconsu/tus et adrocatus in Aachen erwähnt.
Am I. April 1786 wurde er zum päpstlichen Ritter auratae milit.iue und rum
Coines Palatinus ernannt.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
205
auch einen breitspurigen Titel und mehrere Chronogramme vor¬
setzte, letzteres mit 53 Versen, von denen ein paar, die über
den Empfang Wildts bei dem Statthalter der Niederlande, Karl
Alexander, Herzog von Lothringen und Bar, in Brüssel handeln,
hier folgen mögen:
Hört! wie der Große Carl so herrlich hat empfangen
Wildt Primus von Löven, mit sehnlichen Verlangen
Eilt Er den Held zu sehn, Er schickt Ihm Roß, Staats-Wagen,
Und läßt Ihm Audienz zu Seiner Hoheit sagen.
Seine Leib-Husaren mußten auf allen Seiten
Den Jungen Helden auch mit Seim’ Gefolg begleiten:
Recht hat Er Ihn beehrt, recht hat er ihn beschenkt,
Welch’s hat das Vaters-Herz in Freuden fast versenkt.
Eine für Wildts Einzug in Aachen verfaßte Ode hat A.
Heusch mitgeteilt 1 .
Am folgenden und am dritten Tage gaben die Eltern des
Primus in dem vormaligen Jesuitenkloster, wo dieser seinen
ersten Unterricht und seine Erziehung erhalten hatte, ein Fest¬
essen, das eine Mal von 100, das andere Mal von 80 Gedecken,
und das Ende machte ein „niedliches“ Souper, das der Primus
am vierten Tage im elterlichen Hause mit den Studenten der
Philosophie und Theologie einnahm 2 .
Wie ein Fürst war Wildt in Belgien geehrt, fürstlich auch
in seiner Heimat aufgenommen worden. Er war der erste und
letzte Aachener, der an der Löwener Universität den Sieges¬
preis errang. Sein Empfang in Aachen bezeugt, wie sehr die
alte Kaiserstadt es im 18. Jahrhundert verstand, die Wissen¬
schaft zu ehren. Über die Lebensschicksale Wildts' ist nicht
viel bekannt 3 . Er wurde Lizentiat beider Rechte und von der
Kaiserin Maria Theresia in den Adelstand erhoben. Anfangs
der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts wird er als Mitglied
des Aachener Schölfenstuhls erwähnt. Er starb unvermählt zu
Wien.
Auch nach seinem Tode bis in unsere Tage hinein blieb
Aachen mit Löwen in Verbindung, da noch manche Aachener
die belgische Universitätsstadt aufsuchten, um dort ihren Studien
obzuliegen.
’) ZilAOV 10 , S. 246. - s ) K. F. Meyer n. a. 0. I, S. 771.
3 ) A. Heu ach in ZdÄGV 10 , S. 246; A. v. Re umout, ebenda 1 , S. 216.
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296
Richard Pick
Der Name Wildt war übrigens der Universität zu Löwen
nicht völlig fremd, da bereits ein Großoheim des Primus, der
spätere Kanonikus des Aachener Münsterstifts, Wilhelm Wildt 1 ,
nach Beendigung des philosophischen Kursus in dem Kollegium
de Castro daselbst bei der allgemeinen Magister-Promotion am
6. August 1668* als Erster nach dem Primus hervorgegangen
■war. Er studierte dann Theologie und wurde 1674 zum Pro¬
fessor der Dichtkunst an dem Dreifaltigkeits-Kollegium, im
folgenden Jahre zum Professor der Philosophie an dem Kolle¬
gium de Castro ernannt. Zwölf Jahre später (1687) kam er
als Professor der Theologie an das erzbischöfliche Seminar zu
Mecheln, wo er schon früher durch den Einfluß der Universität
zu Löwen eine Kanonikatsstelle an dem Metropolitanstift er¬
halten hatte. Im Jahre 1691 tauschte er mit dem Stiftsherrn
Karl Leodegar Decker seine Pfründe zu Mecheln gegen dessen
Kanonikat am Aachener Münsterstift. Hier starb er im 74.
Lebensjahre am 7. Dezember 1722, nachdem er kurz vorher zu
Gunsten des Nikolaus Jakob Smets auf sein Kanonikat ver¬
zichtet hatte 8 , und wurde in der Kirche des Annuntiatenklosters
begraben. Wilhelm Wildt ist in der theologischen Literatur
nicht unbekannt.
Daß die Löwener Universität berechtigt war, in mehreren
von den dem Papste zustehenden Monaten, die ihr, wie es scheint,
im 16. Jahrhundert überlassen wurden, zu den freigewordenen
Kanonikatspfründen am Münsterstift in Aachen neue Stiftsherren
zu präsentieren 4 , mag nur nebenbei erwähnt werden.
') Über ihn vgl. Chr. Qu ix, Beiträge zu einer historisch-topographischen
Beschreibung des Kreises Eupen S. 200; S. P. Ernst-E. Lavalleye, Histoire
du Limbourg VII (Annales Rodenses), p. 221, wo nebenbei bemerkt auch
folgende für Aachen kulturgeschichtlich interessante Nachricht stellt: Fuit
etiam qui ro impudentiae progrederetur, ut unum exemplar thesium in loco
infami, tibi meretnees ludibrio exponi sotent , int er collaria ferrea in cemiterio
majoris ecclesiae a mnro ternpli prope Crucifixum dependentia cluvo affixerit.
*) Unrichtig 1688 bei Chr. Qu ix a. a. 0. S. 200 und nach ihm bei
A. Heusch a. a. Ü. und A. v. Reumont a. a. 0.
a ) A. Heusch, Nomina admodum reverendorum . . canonicorum Regalis
ecclesiae B. M. V. Aquisgranensis p. 66 und 71. Unrichtig wird bei Ohr.
Quix a. a. 0. S. 201 der 4. Oktober als Todestag angegeben.
4 ) A. Heusch p. 42; II. Lichius, Die Verfassung des Marienstiftes zu
Aachen bis zur französischen Zeit (Münstcrsche Dissertation) S. 83 n. 88. Durch
die Präsentation der Löwener Universität erhielten manche Vorsteher (Regentcs)
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feimlesland.
297
Zum Schlüsse sei liier noch eines anderen Mannes gedacht,
der durch Geburt, und Heirat mit Löwen verbunden war, in
Aachen aber lange Jahre lebte und für die.se Stadt ein be¬
sonderes Interesse hat, weil er hier zur Wiederbelebung der
durch die Napoleonischen Kriege sehr gesunkenen künstlerischen
Bestrebungen in der nachfranzösischen Zeit nicht wenig bei¬
getragen hat: des Malers Johann Baptist Joseph Bastinö 1 .
Er war am 19. März 1783 zu Löwen als der Sohn eines Polizei¬
kommissars geboren, besuchte mit großem Erfolge die dortige
Akademie der schönen Künste und ging im Jahre 1804 nach
Paris, wo er ein Schüler Davids wurde und mit Gerard und
Girodet-Triosson, seinen Mitschülern und den berühmtesten
Schülern Davids, dauernde Freundschaft schloß. Nach seiner
Verheiratung mit einer Landsmännin, Therese van Vlasselaer,
ließ er sich 1811 in Aachen nieder und gründete hier eine
Zeichenschule, die von Alfred Rethel, Chauvin, Thomas und
anderen besucht wurde. Er starb zu Aachen am 14. Januar
1844, nachdem er die Stelle eines Zeichenlehrers am dortigen
Gymnasium seit 1815 bis zu seinem Lebensende bekleidet hatte.
4. Lüttich.
Recht mannigfaltig sind die Beziehungen, in denen die alte
Bischofsstadt an der Maas in früheren Jahrhunderten zu Aachen
gestanden hat. Das kann nicht wundernehmen, da Aachen ehe¬
dem in kirchlicher Hinsicht zu Lüttich gehörte. Schon eine
freilich nicht unverdächtige Bulle Gregors V. vom 8. Februar
997* gibt uns von dieser Zugehörigkeit Kunde, und eine Ur-
dcr dortigen Kollegien wie auch Professoren der Philosophie an ihnen Kano-
nikatsstellen am Aachener Münster, z. R. 1731 Nikolaus Hermann de Marche,
regens in paedagogio Porci, 1758 Anton Franz Gravcn, Professor der
Philosophie in Lilio, 1773 Ignaz Dumas, Professor der Philosophie in
collegio Lilii, 1776 Gerhard Julian Moulau. in collegio Trinitatis dicto
collegio novo regens. Vgl. A. Heu sch p. 72, 77 und 80. Servatius Heins¬
berg, regens in paedagogio Porci, der schon viel früher, im Jahre 1547,
als Kanonikus des Münsterstifts erwähnt wird, hatte «las Kanonikat von
Thomas van der Dyck durcli Tausch erworben. Heusch p. 33.
') J. Fey in Aus Aachens Vorzeit X, S. 56.
J ) Chr. Quix, Cod. dipl. Aquensis no. 49; Ph. .1 aff6, Regesta pon-
tificum* 1, p. 492.
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künde Kaiser Heinrichs II. vom Jahre 1018 1 bezeugt es mit
Gewißheit, daß Aachen damals dem Bischof von Lüttich unter¬
geben war. Seit wann dieses Verhältnis bestand, ist nicht er¬
mittelt. Möglich erscheint, daß Aachen bis zum 10. Jahrhundert
zu Cöln gehörte * und dann zu Lüttich kam, nicht unmöglich
auch, daß es zu karolingischer Zeit eine Enklave bildete, die
weder von Cöln noch von Lüttich abhängig war. Der Bonner
Professor Ulrich Stutz, der in seiner Schrift „Der Erzbischof
von Mainz und die deutsche Königswah!“ 3 auf diese Frage zu
sprechen kommt, meint, daß „sich ihr vielleicht später bei¬
kommen lasse, wenn endlich einmal die Urkunden des Stifts und
der Stadt Aachen gesammelt und in einer den Anforderungen
der Gegenwart entsprechenden Weise herausgegeben seien“;
seine Erwartung dürfte sich aber als trügerisch erweisen 4 .
Es würde hier zu weit führen, alle die politischen Ereig¬
nisse zu berühren, bei denen Aachen bald als Freund mit Lüttich
zusammenging, bald als Feind ihm gegenüberstand. Auch von
der Schilderung der Tätigkeit einzelner Bischöfe und Weih¬
bischöfe in Aachen soll abgesehen werden. Die nachstehenden
Ausführungen mögen sich ausschließlich auf die kunst-
’) Th. J. Lacomblet, Niederrhein. Urknndenbuch I, Nr. 152; K. F.
Stumpf, Verzeichniß der Kaiserurkunden Nr. 1705.
s ) Vgl. R. Pick, Aus Aachens Vergangenheit S. 19. Die Streitigkeiten,
die zwischen den Erzbischöfen von Cöln und den Bischöfen von Lüttich
wegen der Klöster Gladbach und Burtscheid schwebten, lassen erkennen,
wie wenig die westliche Grenze der Erzdiözese Cöln bis zuiu 10. Jahr¬
hundert festgestellt war. Vgl. K. A. Loy, Die Kölnische Kirchengeschichte
S. 89. Zu beachten ist auch, daß Folcharius, der Abt des Klosters an der
Hofkapelle zu Aachen, mit dem Abte von Cornelimnnster und ihren Geist¬
lichen und Diakonen im Jahre 887 auf dem Provinzialkonzil in der Peters¬
kirche (Dom) zu Cöln anwesend war. (J. Hartz heim S. J., Concilia Ger-
maniae II, p. 385.) Der erste Lütticher Bischof, der für das Aachener
Marienstift durch die 972 von Kaiser Otto I. geschehene Einverleibung der
Abtei Chcvremont in dieses Stift sorgte, war Notker (972—1007), ein
Schwestersohn des genannten Kaisers. Um dieselbe Zeit wurde auch die
Sache wegen Gladbach geregelt.
3 ) S. 25, Anm. 1.
4 ) Auch der mit der Aachener Ortsgeschichte sehr vertraute E. Pauls
(ZdAGV 27, S. 235, Anm. 2) ist der Ansicht, daß die wiederholt erörterte
Frage, ob Aachen ursprünglich zum Bistum Cöln gehört habe, sich schwerlich
vollständig lösen lasse.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
299
geschichtlichen Beziehungen zwischen beiden Städten in
früherer Zeit beschränken. Der älteste Zeuge einer solchen
Beziehung ist die Kirche des Evangelisten Johannes (St. Jean
l’^vang^liste) in Lüttich. Sie wurde im Jahre 982 von dem
dortigen Bischof Notker, der daselbst auch eine hochangesehene
Schule gründete, die dem „Athen des Nordens“ bis ins 12. Jahr¬
hundert nahezu einen Ruf gab, wie später Paris 1 , als dessen
Grabkirche erbaut und ist eine Nachbildung der Aachener Pfalz¬
kapelle. Der Dresdener Professor Kornelius Gurlitt hat in seinen
Historischen Städtebildern 2 die Johanniskirche behandelt und
Abbildungen derselben aus verschiedenen Zeitperioden beigegeben,
aus denen die ursprüngliche Übereinstimmung mit dem Aachener
Münster auf den ersten Blick zu erkennen ist. In den Ab¬
messungen steht die Lütticher Kirche der Aachener sehr nahe;
denn der innere Durchmesser des Achtecks beträgt bei beiden
15 Meter, die lichte Weite der ganzen Kirche 28 Meter. Die
Grundrißform deckt sich ebenfalls fast vollständig. Vor der
Westfront legte sich in Lüttich ganz wie in Aachen ein schwerer
Turm mit zwei seitlichen Treppentürmen an. Vor diesem befand
sich hier wie dort ein Atrium, das man in Lüttich zu Anfang
des 16. Jahrhunderts neu ausgestaltete und in Aachen schon
frühe zu Kapellen einrichtete, die später untergingen.
Auch auf dem Gebiete der Malerei trat bald nachher eine
Beziehung zwischen den beiden Städten hervor. Kaiser Otto III.,
der nächst Karl dem Großen der hervorragendste Wohltäter
des Aachener Münsters war, auch seinem Wunsche gemäß in
dieser Kirche seine letzte Ruhestätte fand, ließ einen hervor¬
ragenden Künstler, den Maler Johannes, aus Italien kommen,
um das Münster mit bildlichem Schmuck zu versehen. Vielfach
hat man angenommen, daß es sich dabei um Mosaiken gehandelt
habe; die neuerdings hier aufgefundenen Überreste aber und die
Tatsache, daß Johannes auch in der Jakobskirche zu Lüttich
malte, wo die Bilder ebenso wie in Aachen bereits ein halbes
Jahrhundert nach ihrer Herstellung einen großen Teil ihres
Glanzes eingebüßt hatten, lassen keinen Zweifel darüber auf-
kommen, daß es Malereien waren, mit denen Johannes am Ende
') K. Harnpe, Belgiens Vergangenheit und Gegenwart S. 35.
*) Serie II, Heft 4. Herr Professor J. Buchkremer zu Aachen hatte
die Gute, mich auf dieses Werk aufmerksam zu machen.
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300
Richard Pick
des 10. Jahrhunderts das Aachener Münster schmückte 1 . Von
den beiden Hexametern, die ihnen beigefügt waren, kann nur
der erste, in dem der Maler sich redend einführt (A patriae tiido
rapnit me tertius Otto), von diesem ausgegangen Sfcin; den anderen
Vers (Claret Aquis sane tun qua valeat manus arte) muß wegen
der Ansprache an den Künstler ein Dritter gleichzeitig oder
nachträglich zugesetzt haben. Ob nicht mehr als die beiden
Verse ursprünglich unter den Malereien zu lesen waren? Man
sollte es glauben. Johannes kehrte nach Ausführung seines
Auftrags in Aachen nach Italien zurück, wo ihm durch die Gunst
seines kaiserlichen Gönners ein Bistum zuteil geworden war.
Von seinem Bischofssitz verbannt, kam er später nach Lüttich,
war dort zunächst bei dem Bischof Notker, dann bei dessen
Nachfolger Balderich II. künstlerisch tätig und wurde nach
seinem Tode bei dem Altäre des h. Lambertus im linken Seiten¬
schiff der Kirche des St. Jakobsklosters, zu dessen Gründung
er den Bischof Balderich veranlaßt hatte, bestattet. Seine von
Agidius von Orval überlieferte Grabschrift*, die auf die wunder¬
baren Malereien in Aachen hinweist, aber das Münster mit der
Pfalz (domus Karoli) verwechselt, wenn nicht etwa basilica zu
domus Karoli zu ergänzen ist 3 , gibt der Nachwelt Kunde von
seiner ungewöhnlichen Kunstfertigkeit.
Eine weitere Beziehung Lüttichs zu Aachen, die allerdings
erst ein halbes Jahrtausend später her vor trat, berührte das
Gebiet der Metallkunst. Aachen war am Ende des Mittelalters
durch seine Waffenfabrikation berühmt. Namentlich schöne
Pistolen wurden hier hergestellt. Noch im Jahre 1632 schreibt
der Aachener Chronist Johannes Noppius 4 hierüber: „Sonderlich
aber hat Aach jetzunder Ruhm vnd Preiß von den guten Pistolen,
‘) Mon. Germ. SS. IV, p. 724 — 738 mit ausführlichen, freilich vielfach
sagenhaften Mitteilungen über den Maler Johannes. Vgl. auch G. Kurth
in Bulletin de l’Institut archöologique Lißgeois XXXIII, p. 220—231.
*) G. Kurth 1. c. XXXIII. p. 222; E. Schoolnieesters in Leodiutn,
(,'hronique mcnsuellc de la soeiete d’art et d’histoire du diocese de Liege V 7 ,
p. 20.
3 ) Vgl. domus episcopi basilica = Pom bei N. Michel, Das alte
freiherrliche Kauonisseustift St. (’acilien in Köln (nach K H. Schäfers Be¬
sprechung in der Literarischen Beilage der Kölnischen Volkszeitung, Jahrg.
LVI, Nr. 4, S. 30).
4 ) Aacher Chroniek, Ausg. von 1632, I, S. 111.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
301
sn alliie gemacht, vnd nun hinküntftig mit E. E. Ralits Stampff
gezeichnet werden, also, daß eine formal Aacher Kirmeß nichts
anders seye, als ein par Pistolen. Vnd, wie angenehm jetzigen
Keys. Mayst. Ferdinando II. vnd deren Mayst. Jungen Herrn
Ferdinanden Königen in Vngarn, vnd Boheimb, etc. gewesen,
als newlicher Jahren Herr Albrecht Schrick BiirgerMeister. vnd
Doctor Lambrecht Nutten Syndicus denselben etliche par auß-
biindigen schönen Pistolen in Nahmen E. E. Raht.s verehret, hab
ich denselben offt hören referiren.“ Im 16. Jahrhundert begann
sich auch in Lüttich dieser Industriezweig zu entwickeln. Der
dortige Magistrat wandte sich im Jahre 1569 an die Stadt
Aachen um Überlassung einiger Waffenarbeiter, welchem Er¬
suchen entsprochen wurde 1 . Während in Aachen diese Fabri¬
kation später ganz einging, blühte sie in Lüttich auf und hat
sich noch bis heute dort erhalten.
So oft in den letzten Jahrhunderten infolge Brands oder
sonstiger Ereignisse größere Bauten oder Umbauten in Aachen
erforderlich waren, wandte man sich nach Lüttich, um von
dorther Bauleiter und Bauarbeiter kommen zu lassen. Dies
war für das Aachener Rathaus in den Jahren 1656 und 1727
der Fall. Im Mai 1656 hatte ein verheerender Stadtbrand das
Rathaus der Türme und des Daches beraubt und auch sonst
mehrfach beschädigt. Mit seiner Wiederherstellung wurden der
Ratszimmermann Gerhard Kraus und der Meister Henri Liögeois,
jener mit dem Aufbau von Dach und Türmen, dieser mit den
Mauer- und Steinmetzarbeiten beauftragt. Mit dem letzteren
wurde am 3. Juni vereinbart, „daß er für seine Person zweier
Soldaten Gage und Gefreiters Freiheit und noch täglich und
so lang er mit metzlet und arbeitet, 1 Reichsort und 6 Kannen
Biers haben; einem Knecht, der mauert, 25 Lütticher Stüber,
den Beiträgern (Handlangern) 20 und dazu 4 Maßen Bier täglich
gegeben werden sollten“. Auch hatte Liegeois sich erboten,
einen Steinhauer mitzubringen, mit dem die Stadt besonders
verhandeln könne*. Daß Liegeois aus Lüttich kam, deutet
schon sein Name an. Die Festsetzung des Lohns für die Gesellen
in Lütticher Münze erhebt diese Annahme fast zur Gewißheit.
Liegeois scheint sofort mit der Arbeit begonnen zu haben; denn
') A. Thissen in den Aachener Kunstblättern I, S. 65, Anin. 1.
*) P. St. Käntzeler im (Aachener) Echo der Gegenwart 1883, Nr. 178.
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Richard Pick
bereits am 12. Juni erhielt er 15 Reichstaler von der Stadt
ausgezahltL Weiteres ist über ihn und seine Tätigkeit in
Aachen nicht überliefert. Damals entstanden bekanntlich an¬
stelle der gotischen die Zwiebeltürme, die bei dem Brand des
Jahres 1888 untergingen.
Eine durchgreifende, freilich dem Barockstil der Zeit ent¬
sprechende Wiederherstellung sowohl im Äußeren wie im Inneren
erfuhr das Rathaus im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts.
Ihr ist leider der reiche gotische Bildschmuck an der Vorder¬
seite zum Opfer gefallen. Den ersten Anstoß dazu gab das im
Frühjahr 1727 auftauchende Gerücht von der Abhaltung eines
europäischen Kongresses in Aachen, der jedoch nicht zustande
kam 2 . Bereits am 10. Juli dieses Jahres hatte der Magistrat
beschlossen, nach dem Plane des Meisters Gilles Doyen das
Innere des Gebäudes unverzüglich wiederherstellen zu lassen.
Gilles Doyen kam aus Lüttich, wo er am 22. September 1703
in die Maurerzunft aufgenommen worden war, an deren Spitze
damals sein Vater als einer der beiden Zunftmeister stand 3 . Am
12. Juli hatte der Magistrat weiterhin die Anlage einer neuen
Rathaustreppe gleichfalls nach dem Plane von Gilles Doyen und
die Anbringung zweier Balkons an der Vorderseite des Gebäudes,
wenn sie für die Gesandten des Kongresses wünschenswert
wären, beschlossen. Mit den Arbeiten im Inneren wurde sofort
oder doch bald nachher begonneu; denn, wie man aus einem Majorie-
Protokoll vom 8. Oktober 1727 ersieht, konnte damals vor der
Sitzung des Rats in der Ratskammer (jetzt der sog. Weiße
Saal) keine Messe mehr gelesen werden, weil der Altar daraus
„wegen reparation des Rathaußes“ entfernt worden war 4 . Mit
den äußeren Arbeiten, den Umbauten an der Fassade, wurde
aber erst am 7. Mai 1728 der Anfang gemacht, als die beiden
Bürgermeister Johann Theodor Richterich und Martin Lambert
von Loneux den Grundstein zu der Rathaustreppe legten und
nach altem Brauche dem Steine ein Geldstück mit ihrem Wappen
') R. Pick und J. Laurent, Das Rathaus zu Aachen S. 56.
a ) Vgl. hierzu und zu dem Folgenden R. Pick und J. Laurent a.
a. 0. S. 66 ff. S. auch J. Buchkreiner in ZdAGV 17, S. 97 ff.
s ) Gütige Mitteilung des Herrn Arehivassistcnten G. Hennen am Staats¬
archiv zu Liittich.
4 ) Majorieprotokolle im Stadtarchiv zu Aachen.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
303
beifügten 1 . Wenn auch der Magistrat am 12. Juli 1727 be¬
schlossen hatte, daß die neue Treppe „nach dem Abriß“ des
Meisters Doyen erbaut werden sollte, so erscheint es doch nicht
zweifelhaft, daß der Ingenieur und spätere Stadtarchitekt Johann
Joseph Couven die zur Ausführung gebrachte Zeichnung ge¬
liefert hat. Denn die erst neuerdings bekannt gewordene, jetzt
im Historischen Museum der Stadt aufbewahrte Originalzeichnung*
der im Jahre 1728 hergestellten und 1878 abgebrochenen präch¬
tigen Freitreppe trägt von Couvens Hand die Signatur: Io:
Ioseph Couven Livenit et Delineavit 1727. Sein Verhältnis zu
Doyen, der bis ins Jahr 1730 hinein am Rathaus tätig war,
ist unklar. Ob der damals erst 25jährige Couven im Aufträge
Doyens arbeitete oder mit ihm zugleich von der Stadt an der
Fassade beschäftigt wurde, bleibt zu ermitteln. Auch an der
damaligen Ausstattung des Rathausinneren war ein Lütticher
Meister, der Kunstschreiner Jakob de Reux, hervorragend be¬
teiligt. Er fertigte die prächtigen Holzvertäfelungen an, die
dem Ratliause bedauerlicherweise in der neueren Zeit zum Teil
verloren gingen, und war mit einer größeren Anzahl mit¬
gebrachter Gesellen (mitunter werden deren acht erwähnt) vom
Sommer des Jahres 1727 bis tief in das Jahr 1734 hinein im
Rathause beschäftigt. Er scheint auch später in Aachen ge¬
blieben zu sein, da er noch im Jahre 1737 Arbeiten für die
Stadt ausführte und 1746 die Anfertigung eines bis Weihnachten
des folgenden Jahres fertigzustellenden Schnitzaltars für die
Adalbertskirche daselbst übernahm 3 . Ob und wann er in Aachen
starb, bedarf noch der Ermittlung.
Der Ruf des Architekten Johann Joseph Couven, der beim
Rathausumbau eine glänzende Probe seines Könnens abgelegt
hatte, drang bald über Aachens Weichbild hinaus. Der begabte
Künstler zog auch die Aufmerksamkeit des Fürstbischofs Johann
Theodor Karl von Bayern (1744—1763) auf sich, der sein (jetzt
untergegangenes) Jagdschloß in Maeseyk von ihm erbauen ließ
und ihn zu seinem Hofarchitekten ernannte. Auch mehrere
') H. A. von Fürth, Beiträge und Material zur Geschichte der Aachener
Patrizier-Familien III, S. 42.
*) Abbildung der Freitreppe bei R. Pick und J. Laurent a. a. 0. S. 63.
3 ) Der bezügliche Vertrag befindet sich nach gefälliger Mitteilung des
Herrn Dr. K. Faymonville /.u Aachen im Pfarrarchiv von St. Adalbert daselbst.
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Richard Pick
Privatbauten führte Couven in Lüttich aus 1 . Sein Name stellt
weiterhin in nahem Zusammenhang mit einer eigenartigen Möbel¬
industrie, die sich im 18. Jahrhundert in Lüttich und Aachen
anfangs mit Hülfe der von Couven zur Einrichtung seiner Bauten
herangezogenen Kunsttischler aus Frankreich und Flandern ent¬
wickelte und um deren Förderung er sich, wie seine Entwürfe
im Aachener Suermondt-Museum dartun, vielfach persönlich
bemühte 2 . Die als „Lütticher Möbel“ allgemein bekannten Por¬
zellan- und Kleiderschränke, Schreibtische, Kastenuhren usw.,
die zu nicht geringem Teil aus Aachen stammen, wurden nicht
wie die französischen Möbel jener Zeit durch Furnierung eines
weichen Holzkerns hergestellt, sondern in solider alter deutscher
Arbeitsweise aus dem vollen Eichenholz herausgeschnitten. Da¬
durch wurden die wesentlichsten Verschiedenheiten der Aachener
und Lütticher Arbeiten von den französischen bedingt. Auch
die ersteren wichen wiederum unter sich hier und da vonein¬
ander ab, wenn sie auch naturgemäß sehr miteinander verwandt
waren und, wie Kisa mit Fug vermutet, zwischen den beiden
Städten ein fortgesetzter Austausch von Arbeitskräften statt¬
fand. Der neue Stil verbreitete sich von Aachen aus in dessen
Umgebung nach Erkelenz, Geilenkirchen, Heinsberg, Corneli-
münster, Eupen und Montjoie und wurde hier völlig volkstüm¬
lich. „Lütticher Möbel“ sind noch heute von den Sammlern
sehr begehrt.
Im 19. Jahrhundert nahmen die Beziehungen zwischen
Aachen und Lüttich auf dem Gebiete der Kunst merklich ab.
Die Herstellung eines Marieualtars im Aachener Münster durch
den Marmorkünstler Dumont aus Lüttich im Jahre 1803 und
die Wiederherstellung des Adlerpults ebenfalls im Münster durch
die Lütticher Gußwerkstätte von Wilmotte im Jahre 1865 3 sind
alles, was aus dieser Zeit bekannt geworden ist.
An dieser Stelle dürfte auch des Malers August Adolf
Chauvin 4 zu gedenken sein, der, am 25. Oktober 1810 in Lüttich
') J. ßuchkremer a. a. 0. 17, S. 150.
! ) A. Kisa, Führer durch das Suermondt-Museum der Stadt Aachen
S. 85.
: ') K. Faymouville. Der Dom zu Aachen S. 205 und 212. Vgl. Ohr.
Quix, Hist. Beschreibung der Münsterkirche 8. 18.
*) J. Foy in Aus Aachens Vorzeit X, S. 76.
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geboren, jung nach Aachen kam und hier die erste Anleitung
für seinen späteren Beruf erhielt. Er besuchte das Gymnasium
und die Gewerbeschule (an dieser war er nachher eine Zeitlang
Hülfslehrer) und nahm zugleich mit Alfred ßethel bei dem
Aachener Maler Bastine Zeichen- und Malunterricht. Daun
wandte er sich dem Baufach zu und war mehrere Jahre hin¬
durch als vielbeschäftigter Maurermeister in Aachen tätig. Im
Jahre 1831 siedelte er nach Düsseldorf über, um die dortige
Kunstakademie zu besuchen, und zehn Jahre später folgte er
einem Rufe als Lehrer an die Kunstakademie zu Lüttich, w r o
er, seit 1858 Direktor und nach dem Übertritt in den Ruhe¬
stand im Jahre 1880 Ehrendirektor dieser Anstalt, hochgeehrt
am 29. Mai 1884 aus dem Leben schied. Seine zahlreichen
Gemälde und seine akademische Wirksamkeit haben weithin
große Anerkennung gefunden; nicht sein geringstes Verdienst
ist es auch, daß er die Ergebnisse seiner Studien der deutschen
Kunst vielfach in seine Heimat Lüttich übertragen hat.
Der Bischof von Lüttich hatte — das mag zum Schlüsse
beigefügt werden — gleich dem Erzbischof von Cüln und dem
Bischof von Cambrai seit alter Zeit in Aachen ein Absteige¬
quartier. Schon im Nekrologium des Münsterstifts wird es unter
den Eintragungen der ältesten Hand, die wir bald nach der
Mitte des 13. Jahrhunderts anzusetzen haben, erwähnt 1 . Wo
es lag und wie lange es bestanden hat, ist nicht bekannt.
Früher wurde das Haus zum Horn (Jakobstraße Nr. 24), nach
Quix später der Lütticher Hof genannt 2 , für das alte Bischofs¬
haus ausgegeben. Ein Beweis für diese Annahme ist aber nicht
zu erbringen. Eine neben dem „Casteel von Limburg“, das
an das Haus zum Horn angrenzte, gelegene Behausung führte
den Namen „Prinz von Lüttich“. Sie gehörte 1712 Friedrich
Kreutzer und sollte damals umgebaut werden®. Möglicherweise
hat dieser Häusername die Sage, daß das benachbarte Haus
zum Horn das Absteigequartier des Lütticher Bischofs gewesen
sei, hervorgerufen. Der Name ist jetzt verschollen. Heute er¬
innert an den Bischof von Lüttich nur noch das Badehaus
') Chr. Quix, Necrologium ecclesiae H. M. V. Aquensis p. 70, 1. 21.
s ) Chr. Quix, Das ehemalige Dominikaner-Kloster und die Pfarre zum
heiligen Paul in Aachen S. 13. Über das Haus zum Horn vgl. H. Savels-
berg in Aus Aachens Vorzeit XII, S. 31 und XIII, S. 16.
s ) Ratsprotokolle im Stadtarchiv zu Aachen.
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Richard Pick
Prinzenbad in Aachen-Burtscheid, das früher zu Ehren des
Prince de Li6ge oder, wie es auf den Lütticher Münzen lautet,
des „Episcopus et Princeps Leodiensis“ den Namen „Zum Prinzen
von Lüttich“ führte und wahrscheinlich im 18. Jahrhundert,
jedenfalls nach dem Jahre 1688 erbaut wurde 1 .
5. Reims.
Weit mehr als durch seinen Wollhandel und seine Cham¬
pagnerfabriken ist Reims als die vormalige (seit 1179) Krönungs¬
stadt der französischen Könige bekannt und berühmt. Es ist
in dieser Hinsicht Aachen vergleichbar, wo seit den Tagen
Karls des Großen bis zu Ferdinand I. die deutschen Könige
in feierlicher Weise die Krone empfingen. War der französische
König mit dem von karolingischen Erinnerungen vielfach durch¬
setzten Zeremoniell in der in jüngster Zeit heißumstrittenen
Kathedrale zu Reims 2 gesalbt und gekrönt — das zu der Kröuung
gebrauchte Schwert, la Joyeuse genannt, und die Krone wurden,
freilich mit Unrecht, von den Franzosen Karl dem Großen zu¬
geschrieben — so pflegte er nach alter Sitte ein kostbares
Prunktuch als Geschenk an das Aachener Marienstift
mit der Bestimmung zu senden, daß es, was stets betont wird,
hier in der Grabkirche Karls des Großen und an der Auf¬
bewahrungsstätte seiner Gebeine zum Dienste Gottes und zur
Zierde der Kirche verwandt werden solle. Die Übersendung
des Tuches nach Aachen bildete in älterer Zeit gewissermaßen
den Abschluß der Krönungsfeierlichkeiten ; der König betrachtete
sie als eine Pflicht der Dankbarkeit gegen Gott für die glück¬
lich vollzogene Krönung und als einen seinem vermeintlichen
Ahnherrn 3 Karl dem Großen geschuldeten Tribut. Deshalb wird
das Tuch in älterer Zeit auch nur bei Feierlichkeiten zu Ehren
dieses Kaisers, insbesondere an dessen Sterbetage, dem 28. Januar,
*) Bei F. Blondei, Thermarum Aquisgranensiuin et Porcetanarum
elucidatio, & thaumaturgia 3 (1688) p. 49 wird das Haus uuler den Burt-
scheider Badehäusern nicht erwähnt; dagegen wird es in den Aachener „Raths¬
und Staats-Kalendern“ des 18. Jahrhunderts, soweit ich sehe, regelmäßig
aufgeflihrt.
*) Vgl. Kölnische Zeitung 1915, Nr. 1164.
s ) Vgl. den Vortrag des Privatdozenten W. Platzhoff über Deutsch¬
land und Frankreich in der Köluischcu Zeitung 1915, Nr. 285. (Jetzt als 9.
Heft der „Deutschen Kriegsschriften“ erschienen.)
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Geschieht liehe Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
30?
in der Münsterkirche benutzt worden sein. Mau darf dies um
so mehr vermuten, als Ludwig XI. schon im Jahre 1474 befahl,
den Todestag Karls des Großen allgemein in Frankreich als
dessen Festtag zu feiern 1 . In den späteren Jahrhunderten
traten die Beziehungen des Tuches zu Karl dem Großen mehr
und mehr zurück und gelangten die mit der Übergabe desselben
verknüpften Feierlichkeiten, die Vigilien und die Exequien für
den verstorbenen französischen König, die die Aachener Stifts¬
geistlichkeit, so darf man vermuten, wohl nur um ihre Dank¬
barkeit zu bezeigen, aus eigenem Antrieb eingeführt hatte, in
den Vordergrund. Bei diesen wurde im Chor des Münsters ein
Katafalk mit einer Totenbahre errichtet, über die das über¬
sandte Tuch ausgebreitet wurde, während es ursprünglich wahr¬
scheinlich nur über das Grab Karls des Großen oder vielmehr
über den mit dem Hochaltar im Chor verbundenen Karlsschrein
gelegt worden war. Im Zusammenhang damit entstand nament¬
lich seit dem 18. Jahrhundert für das Tuch, in dem man irriger¬
weise das bei den Bestattungsfeierliebkeiten in Paris oder
St. Denis benutzte Bahrtuch des verstorbenen Königs erblickte,
die ungeachtet ihrer Unrichtigkeit allgemein übliche, auch in
Frankreich angenommene Bezeichnung Leichentuch oder Leichen¬
kleid der französischen Könige*, obschon es mit diesem auch
nach den Absichten der Geschenkgeber nicht das Mindeste zu
tun hatte. Ja, man behauptete sogar, daß die französischen
Könige das Tuch nach Aachen zu schicken pflegten, um hier
‘) R. A. Peltzer in ZdAGV 25, S. 178.
*) Beamtenprotokoll vom 10. November 1722 bei E. Pauls in ZdAGV 7,
S. 276. — Die neue den 10. Julii 1783 eröfnete Schatzkammer der Heilig-
thilmer des Königlichen Stuhls und Krünungskirehe Unser L. Frauen Münster
in der freyen Reichsstadt Aachen (Verlag bey Wilhelm Houben) S. 55. Vgl.
dazu das nicht datierte ältere Heiligtumsfahrtsbüchlein desselben Verlegers
mit ähnlichem Titel S. 49. — W. Brüning, Handschriftliche Chronik
1770—1796 in Aus Aachens Vorzeit XI, S. 22. — Chr. Quix, Hist. Beschrei¬
bung der Münsterkirche und der Heiligthums-Fahrt in Aachen S. 117. — H.
A. von Fürth, Beiträge und Material zur Geschichte der Aachener Patrizier-
Familien III, S. 528. — St. B eissei S. J., Die Aachenfahrt S. 104. — H.
Lichius, Die Verfassung des Marienstiftes zu Aachen bis zur französischen
Zeit (Münsterscho Dissertation) S. 108. Manche andere Schriften und Ab¬
handlungen, die hier noch hätten angeführt werden können, habe ich un¬
berücksichtigt gelassen.
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die Totenfeierlichkeiten für ihre Vorgänger halten zu
lassen *.
Wann der Brauch, im Anschluß an die französische Königs¬
krönung ein Prunktuch nach Aachen zu senden, entstand, ist
unbekannt. Man darf wohl annehmen, daß er ins Mittelalter
zurückging und mit der zunehmenden Verehrung Karls des
Großen seitens der Könige Frankreichs in Übung kam. Alte,
enge Beziehungen zwischen dem Aachener Münsterstift und
Frankreich lassen sich schon aus dem Stiftswappen erkennen,
das in seiner vorderen Hälfte den halben deutschen Reichsadler
und in der hinteren die französischen Lilien zeigt. Aus welcher
Zeit diese Darstellung stammt, ist nicht bekannt; aber wenn
es richtig ist, was P. Beissel meint*, daß das Stiftswappen zu
der heraldischen Verzierung der Büste Karls des Großen Ver¬
anlassung gegeben habe, so muß es spätestens schon gegen
Ende des 13. Jahrhunderts vorhanden gewesen sein.
Die im Anschluß an die Krönung des französischen Königs
erfolgte Übersendung eines Prunktuches an das Aachener Münster-
stift erinnert an einen ähnlichen Brauch, die Schenkung kost¬
barer Gewänder, aus Anlaß der deutschen Königskrönung an
ebendasselbe Stift. Dieser Brauch wird in Aachen schon im
Jahre 1222 als eiu längst bestehender bezeugt. Am 1. Juni
dieses Jahres bekundet nämlich der Bischof Konrad von Metz
und Speier als Reichskanzler, daß nach alter Sitte bei der
Krönung in Aachen dem Münsterstift zwei und dem Adalbert¬
stift ein Fuder Wein geliefert würden, dem ersteren auch das
Krönungsgewand, um es zum Dienste Gottes zu verwenden,
ausgehändigt werde 3 . In späterer Zeit kamen zu dem Gewand,
wie aus einer Urkunde Kaiser Karls V. vom 23. Oktober 1520
ersichtlich ist 4 , noch hinzu der Teppich, über den der Kaiser
am Tage vorher ins Münster getreten war, die Bekleidung der
Bank, worauf er vor der Krönung gebetet hatte, und die Gold-
•) Ainusemens des eaux d’Aix la Chapelle, oder Zeit-Vertreib bey den
Wassern zu Achen S. 592; Recueil ou abbregtf histnriquc . . pour faire
voir de quelle maniere les saintes reliques, que l’ou montre publiqueinent
tous les sopt ans daus l’eglisc royale de nötre-Damc d’Aix la Chapelle, y
ont en' transporties par l’empcreur Charlemagne p. 43.
a ) St. Beissel a. a. 0. S. 9ß.
a ) Th. J. Lacomblet, Niedcrrheiu. Urkuudcnbuch II, Nr. 103.
*) Anualen des hist. Vereins f. d. Niederrhein XVI, S. 21«.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
309
teppiche, mit denen sein Sitz vor dem Marienaltar und sein
Thron auf dem Hochmünster behängen gewesen waren. Sämt¬
liche Stücke sollten in usurn sacrarii ac rei divinae vom Stifte
verwandt werden.
In Frankreich war Ludwig XI. (1461—83) vor allen an¬
deren Königen ein begeisterter Verehrer Karls des Großen und
ein hochherziger Gönner der Aachener Münsterkirche. Neben
einem silbervergoldeten Reliquiar für einen Arm Karls des Großen,
das er 1481 zu Lyon hatte anfertigen lassen 1 , und einer hohen
Geldrente, die freilich niemals ausgezahlt worden ist, schenkte
er dieser Kirche einen Goldteppich ad ecclesiae decus et ornatum.
So berichtet P. a Beeck, der weiter angibt, der König habe
gestattet, daß es allezeit zwei von den Aachener Stiftsmit¬
gliedern freistehe, an der Pariser Universität im Kolleg von
Navarra zu studieren 2 . Ob die Schenkung des Goldteppichs
mit der Krönung Ludwigs XI. zusammenhing, läßt sich bei dem
Mangel jeder Datierung seitens a Beecks nicht feststellen; es
ist aber nicht unwahrscheinlich 3 . Bei den nächsten acht Nach¬
folgern Ludwigs XI. verlautet nichts von der Übersendung eines
Prunktuches oder sonstigen Geschenks nach Aachen. Man weiß
aus einem Bericht des Aachener Stiftsdechanten de Wylre 4
vom 24. Juli 1727 nur, daß sich damals eine Anzahl Briefe
von mehreren dieser Könige im Stiftsarchiv befand, ohne daß
ihr Inhalt oder auch nur ihr Datum — sie waren alle bloß mit
dem Monatstag datiert, und die Unterschriften beschränkten
sich auf Charles oder Louis — näher bekannt geworden wäre.
Erst bei der Krönung Ludwigs XIII. (1610) ist von dem Tuche
wieder die Rede. Nachdem der Stadtschreiber Balthasar von
Münster, der im April 1611 in städtischem Aufträge zu politischen
Verhandlungen nach Paris reiste, dort im Namen des Stifts die
’) R. A. Peltzer a. a. 0. 25, S. 180.
*) P. a Beeck, Aquisgranum p. 40.
s ) Vgl. auch St. Beissel a. a. 0. S. 104, wo aber in dem Prunktuch
irrig das Leichentuch von Ludwigs XI. Vorgänger, Karl VII., vermutet
wird.
4 ) R. A. Peltzer nennt ihn a. a. 0. 25, S. 230, Anm. 1 und noch
öfters unrichtig de Wyhe. Der Dechant Friedrich Wilhelm de Wylre starb
am 22. November 1738; vgl. A. He lisch, Nomina admodum reverendorum
. . canonicorum Regulis ecclesiae H. M. V. Aquisgranensis p. 74, wo 1788
statt 1738 verdruckt ist,
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Richard Pirk
Schenkung eines neuen Tuchs (nova pella) in Erinnerung gebracht
hatte, erfolgte dessen Übersendung im nächsten Jahre. Geschah
•w
die Übergabe dieses Mal, wie es scheint, ohne Zeremoniell, so
trat letzteres um so mehr in der Folge hervor. Zwar kam es
auch bei der Übergabe des von Ludwig XIV. gespendeten
Tuches in Wegfall, aber hieran war nur die damalige bedrängte
Lage des Stiftes schuld, das durch den großen Stadtbrand vom
2. Mai 1656 in Armut geraten war und die Kosten für die
Feierlichkeiten, die sich immerhin auf 900 Reichstaler belaufen
mochten, nicht bestreiten konnte. Der französische Abgesandte
Graf de Wagnöe ließ daher das Tuch durch einen angesehenen
Bürger von Lüttich, den Bürgermeister Schell *, der mit Aachen
in näheren Beziehungen stand, im Frühjahr 1657 dorthin über¬
bringen. Noch in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts
wurde es den das Aachener Münster besuchenden Fremden ge¬
zeigt 2 . Mit großem Pomp vollzog sich schließlich die Übergabe
der Tücher, die die letzten beiden Könige Frankreichs vor der
großen Revolution, Ludwig XV. und Ludwig XVI., in den
Jahren 1722 und 1775 durch eine feierliche Gesandtschaft nach
Aachen schickten 3 . Über die Einzelheiten sind wir ziemlich
genau unterrichtet durch die noch erhaltenen Stiftsprotokolle
und eine Relation im Aachener Stadtarchiv. Eine willkommene
Ergänzung zu der letzteren liefert der Bürgermeisterdiener
Johannes Janßen 4 (f 1780). Ein Bericht über die Feierlich¬
keiten vom Jahre 1722 auf einem losen Blatt mit dem Chrono-
'gramm : hoC anno reX gaLLIue pannVM Dona Vit auf der Rück¬
seite, ebenfalls im Aachener Stadtarchiv, ist bisher unbekannt
geblieben; er möge daher hier folgen.
Anno 1722, die 6. Novembris advenit certus legatus regis Galliae
nomine de s. Disant cum pauno funerali regis Franciae; hospitatus fuit
in Suinmo Foro vulgo den Birrenbaum 5 . Die 7. ciusdeni mensis post
') Bei Clir. Q u i x a. a. 0. S. 218 und Ii. A. Peltzer a. a. 0. 25, S. 233
wird er unrichtig Scheit genannt. Ein Sohn Fabius des Bürgermeisters
Schell war Stiftsherr in Tongern: ZdAGV 17, S. 254.
2 ) Amusemeus des eaux d’Aix la Chapelle S. 592.
a ) R. A. Peltzer a. a. 0. 25, S. 233 ff. und 262 ff.
4 ) H. A. von Fürth a. a. 0. III, S. 378. Unrichtig werden hier die
Vigilien und das Traueramt im Jahre 1775 auf den 29. und 30. statt 27.
und 28. Juni verlegt.
“) Ober das Haus zum Birnbaum vgl. R. Pick, Aus Aachens Ver¬
gangenheit S. 574.
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Geschichtliche Erinuerungeu an Aachen in Feindesland.
811
prandiuni finitis Laudihus dnabus rhedis (in prima habebatur pannus
funeralis, in secunda sedebat dictus legatus) pulsante summa campana
sepedictum pannum una cum parva peroratione R. D. decano totique
capitulo extradidit; hunc pannum acceptarunt 6 seniores domini huius
ecclesiae viearii et posuerunt super altare B. M. V. orantes unum Pater
et Ave; postinodum in choro super feretrum quoddam' positus toti
populo ostensus fuit. Die 9. eiusdem mensis off. defunct. lect. cum
falsibrodono pro rege Galliae solemniter uti et altera, quae est 10. eius¬
dem meusis, sacrum solemniter cum omni pompa per d. decauum cantatuin
fuit, uti in acta adiuncta authentica* patet.
NB. ante off. defunct. et post uti eadem die vcsperi hora 7,
denique altera die ante et post summura sacrum tres maiores campanae
uti et omnes campanae totius civitatis siugulis praefatis vicibus attractae
fuerunt. Habebantur circa feretrum scptuaginta quatuor paria cande-
labrorum, erant quatuor gradus versus aquilam, ante feretrum erat per
raodum altaris cum cruce, in quatuor partibus erant quatuor pedistalla
cum magnis facibus una cum insignibus. Hoc officio solemniter peracto
legatus laute tractatus fuit in decanatu a reverendissimo capitulo.
Quibus Omnibus rite peractis altera, quae erat 11., paternos lares petivit.
Auffällig erscheint die geringe Teilnahme, welche die Stadt
Aachen als solche dem Ereignis gegenüber — denn so darf man
wohl die Überbringung des Prunktuches bezeichnen, wenn auch
Aachens Geschichtschreiber des 17. Jahrhunderts nichts davon
erwähnen — an den Tag legte. Nichts vernimmt man von
einem Empfang oder einer Bewillkominuung der französischen
Abgesandten seitens der Stadt; nur bei den Totenvigilien war
der Magistrat im Jahre 1722 und bei diesen und dem Seelen¬
amt 1775 anwesend. Dagegen blieb er dem Festmahl, das der
Stiftsdechant am letzten Tage in der Dechanei dem Abgesandten
und dessen Gefolge zu geben pflegte und an dem 1775 auch
der preußische Minister von Herzberg und der kurpfälzische
Oberstkämmerer von Zetwitz teilnahmen, mangels einer Ein¬
ladung fern 3 . Zwar spendete die Stadt im Jahre 1722 dem
') In dem Kapitelsprotokoll vom 7. November 1722 heißt es: in choro
in Hyno quodam posito super totnba Oltonis tertii. Über dieser Turnba
wurde am 9. November das atstrum doloris errichtet. Vgl. R. A. Peltzer
n. a. 0. 25, S. 264, wo die Turnba irrig mit dem bei ihr stehenden, später
cingescbmolzenen Messiuglencbter verwechselt wird.
“) Der Akt lag dem Berichte nicht bei.
3 ) H. A. von Fürth a. a. 0. 1II, S. 41 und 378. Nach der Angabe
an der erstereu Stelle hielt das Stiftskapitel das Seelenamt am 10. November
1722 allein ab. R. A. Peltzer a. a. 0. 25, S. 237.
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312
Richard Piek
Chevalier de St. Disant, der das Prunktuch nach Aachen ge¬
bracht hatte, ein Weiugeschenk von 2 Ahm 1 ; aber abgesehen
davon, daß solche Weinspenden damals in Aachen etwas All¬
tägliches waren, vermag man in der Weinspende an den Ab¬
gesandten nur einen Akt politischer Klugheit zu erblicken, da
dem Magistrat daran gelegen war, sich seine Person zu Ver¬
handlungen mit dem französischen Hofe geneigt zu machen.
Daß der Chevalier de St. Disant der Stadt Aachen später be-
hülflich war, geht aus einer weiteren Weinspende hervor, die
diese ihm „wegen beytn Königl. französischen Hoff der Statt
geleisteten Diensten“ am 23. Mai 1727 zu machen beschloß 2 .
Wahrscheinlich handelte es sich dabei um den damals geplanten
Friedenskongreß, für den man Aachen in Aussicht genommen
hatte, der aber nicht zustande kam. Infolge der französischen
Revolution hatte es mit dem alten Brauche der Übersendung
eines Prunktuches an das Münsterstift in Aachen für immer
ein Ende.
6. Paris.
Am 17. Dezember 1799 (26. Frimaire des Jahres VIII)
verschied zu Paris im Alter von 58 Jahren Maria Katharina
Oeben, die Gattin des Ebenisten Kaspar Schneider. Laut
ihrer Sterbeurkunde war sie in Aachen geboren (native d’Aix-
Ia-Chapelle en Allemagne). Erregt sie schon durch diese An¬
gabe unser Interesse, so ist es noch viel mehr der Fall durch
die Tatsache, daß sie einer aus den Rheinlanden, zum Teil aus
Aachen oder seiner Umgebung in die französische Hauptstadt
eingewanderten Künstlerkolonie angehörte, deren wunderbare
Leistungen in der Kunst- und Kabinettstischlerei sich einen
Weltruf erworben haben. Ihre Arbeiten sind noch heute eine
Zierde mancher Schlösser und der Stolz zahlreicher Museen
inner- und außerhalb Frankreichs.
Es war in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die
Brüder Johann Franz und Simon Oeben nach Paris zogen, um
hier das in ihrer Heimat erlernte Kunsttischlergewerbe aus¬
zuüben. Zwar wird berichtet, daß Johann Franz Oeben ein
Schüler des französischen Ebenisten Karl Andreas Boule (f 1732)
gewesen sei, aber ein Beweis dafür ist bisher nicht erbracht worden,
') E. Pauls in ZdAGV 7, S. 270 . — *) Ebenda S. 277,
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
313
und mancherlei spricht dagegen. Damals eröffnete auf deutschem
Boden, zu Herrnhaag, im Gebiete der Grafen von Isenburg-
Büdingen, der 1711 zu Mülheim am Rhein geborene Abraham
Röntgen, der mit seinem Sohne David (geb. 1743) zum Auf¬
blühen der Stadt Neuwied, in die er später übersiedelte, nicht
wenig beitrug 1 , nach vielfachen Wanderungen zum Zwecke
seiner Vervollkommnung ein Kunsttischlergeschäft. Wer sich
für die beiden ausgezeichneten Männer, besonders für den an
fast allen europäischen Höfen geschätzten David Röntgen in¬
teressiert, den auch 1792 König Friedrich Wilhelm II. auf
seinem Feldzuge in die Champagne von Coblenz aus besuchte,
findet ausführliche Nachrichten darüber in Philipp Wirtgens
um 1870 erschienenem Familienbuch „Neuwied und seine Um¬
gebung in beschreibender, geschichtlicher und naturhistorischer
Darstellung“ 2 . Den Mitteilungen Wirtgens sei noch beigefügt,
daß auch Johann Kaspar Lavater dem Röntgen einen Besuch
in Neuwied abstattete 3 und Goethe in seinen Werken wieder¬
holt der kunstreichen Schreibtische von ihm gedenkt. In Wilhelm
Meisters Wanderjahren (Buch 3, Kap. 6) wird ein solcher zum
Gleichnis mit einem Palaste herangezogen, und in den Unter¬
haltungen deutscher Ausgewanderten bilden zwei Schreibtische
„von Röntgens bester Arbeit“ den wunderlichen Gegenstand
einer Spukgeschichte: der eine zerreißt mit starkem Knall durch
Sympathie und Fernwirkung in der nämlichen Stunde, da der
andere einem Brand zum Opfer fällt 4 .
Johann Franz Oeben war ungefähr gleichalterig mit dem
älteren Röntgen, sein Bruder Simon etwas jünger. Da in der
Sterbeurkunde der Maria Katharina Oeben Aachen als ihr Ge¬
burtsort angegeben ist und bei dem Brande von 1871 in Paris
alle anderen älteren Personenstands-Eintragungen über die dor¬
tigen Mitglieder der Familie Oeben mit Ausnahme der Sterbe¬
urkunde einer Tochter von Johann Franz Oeben, der Viktoria
Oeben, untergegangen sind 5 , so hat man vermutet, daß auch
*) Auch der Erfinder der X-Strahlen, Professor Wilhelm Konrad Röntgen
(geh. 27. März 1845 zu Lennep), gehört zu dieser Familie.
*) S. 161. — 3 ) Kölnische Zeitung 1915, Nr. 314.
4 ) Goethes sämtliche Werke (Stuttgarter Ausgabe in 6 Bänden) III,
S. 452, 498 und 513.
5 ) Die beiden Sterbeurkunden wurden von dem Archäologen H. Vial
in Paris wieder anf'gefuuden. Sie befinden sich jetzt im Etat-civil reconstituö
apr£s l’inceudie de 1871 in den Arehives de la Seine daselbst.
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314
Richard Tick
die beiden Brüder' in Aachen geboren seien. Für diese Ver¬
mutung hat sich aber bisher eine Bestätigung nicht ergeben;
weder Maria Katharina Oeben noch sonst irgendein Träger
dieses Namens findet sich um die in Betracht kommende Zeit
in den Taufregistern von Aachen oder Aachen-Burtscheid ein¬
getragen. Dagegen begegnet der Name Oeben häufig in der
Umgegend von Aachen, in den Dörfern Immendorf, Ratheim,
Luchtenberg, Dremmen, Porselen usw., und es wäre möglich,
daß die Geschwister Oeben aus einem dieser Orte nach Paris
gekommen sind. Die Angabe der Sterbeurkunde, wonach Maria
Katharina Oeben aus Aachen gebürtig sein soll, läßt sich, wenn
sie tatsächlich nicht genau sein sollte, vielleicht darauf zurück¬
führen, daß den Deklaranten der Urkunde der Name des Dorfes,
wo die Wiege der Verstorbenen gestanden hatte, nicht bewußt
war, wohl aber der der größeren Stadt, bei welcher das Dorf
lag, zumal einer Departementshauptstadt, wie es Aachen damals
war. Erkundigungen, die in den verschiedenen Ortschaften ein¬
gezogen wurden, haben zu keinem Ergebnis geführt. Nicht
unmöglich wäre aber auch, daß die Brüder Oeben jung nach
Aachen gekommen sind und zunächst hier eine Zeitlang ge¬
wohnt und gearbeitet haben. In ihrer Jugendzeit war der Um¬
bau des Aachener Rathauses im Gange; der hervorragende
Lütticher Kunstschreiner Jakob de Reux arbeitete daran mit
einer ansehnlichen Zahl von Gesellen und stellte außerdem
Kunstmöbel für die Stadt und Private her. Besonders tätig
war aber um jene Zeit in Aachen der Architekt Johann Joseph
Couven, der, wie wir oben (S. 304) sahen, zur Beschaffung des
Mobiliars für seine zahlreichen Neubauten Kunsttischler aus
Paris und Flandern heriiberzog. Sollte da die Annahme allzu
gewagt erscheinen, daß die Gebrüder Oeben durch die Pariser
Kunsttischler auf die französische Hauptstadt aufmerksam wurden
und vielleicht durch CouvensMitwirkung den Weg dorthin fanden?
Johann Franz Oeben, um auf ihn zurückzukommen, erlangte
in Paris die besondere Gunst der Frau von Pompadour, die
ihren Einfluß bei Hofe zunächst durch Protektion von Gelehrten
und Künstlern geltend zu machen suchte. Er erhielt durch
Vermittlung seiner hohen Gönnerin außer Wohnung und Werk¬
stätte in Staatsgebäuden zahlreiche Aufträge'. Von seinen
') Allgemeine Deutsche Biographie XXIV, S. 85.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland. 815
Arbeiten, die, im Stile Louis XV. und im Übergang von diesem
zum Stile Louis XVI. ausgeführt, namentlich durch ihre Marke-
terien allgemeine Bewunderung erregten, befindet sich ein außer¬
ordentlich kunstvolles Bureau (Schreibtisch) im Louvre zu Paris,
das weiter unten noch besondere Erwähnung finden soll. Johann
Franz Oebeu war mit Franziska Margaretha van der Cruse
(Cruce) verehlicht und starb zu Paris im Jahre 1765 *. Eine
auffallende Erscheinung ist es. daß die Mitglieder der Familie
Oeben, soweit die diesseitigen Nachrichten reichen, alle in ver¬
hältnismäßig frühem Alter aus dem Leben geschieden sind.
Maria Katharina Oeben starb mit 58, Viktoria, die unten noch
besonders zu erwähnende Tochter des Johann Franz Oeben,
mit 56 und dieser selbst mit etwa 55 Jahren. Seine Witwe
heiratete 1767 in zweiter Ehe den Schüler und späteren Ge-
hiilfen ihres verstorbenen Gatten, Johann Heinrich Riesener
(oder Riesner), der am 11. Juli 1734 zu Gladbach im Kur¬
fürstentum Cöln (61ectorat de Cologne) als Sohn des „Hermand
Riesener, huissier de justice de la chancellerie du diocöse de
Cologne“ geboren war*. Riesener setzte das Geschäft Oebens
fort, wurde 1768 als Meister in die Pariser Innung aufgenommen
und arbeitete vornehmlich für die königlichen Schlösser. Die
Mehrzahl seiner im Stile Louis XVI. ausgeführten Arbeiten
wurde später infolge der Revolution ins Ausland, besonders
nach England verkauft; doch befinden sich auch noch zahlreiche
Stücke in den Lustschlössern Trianon, zu Fontainebleau und
Compiegne sowie im Musee du mobilier national zu Paris. Von
unvergleichlicher Pracht und Schönheit ist der bereits erwähnte,
') Gefällige Mitteilung des Herrn Archäologen H. Vial zu Paris, der
mir vor mehreren Jahren auch einige weitere hier benutzte Nachrichten über
die Familie Oeben zukommen ließ. Andere geben 1766 oder 1767 als Todes¬
jahr an. Vgl. Allgemeine Deutsche Biographie XXIV, S. 85; Catalogue of
the furniture, marbles, bronzes . . in the Wallace collection 8 (London 1910)
p. 214. In der von G. Lehnert und anderen herausgegebenen Illustrierten
Geschichte des Kunstgewerbes wurde eine nähere Besprechung der Tätigkeit
J. F. Oebens in Aussicht gestellt, aber nicht gebracht.
*) K. Bergau in Zeitschrift für Kunst- und Antiquitäten-Sammler I,
S. 42. — Allgemeine Deutsche Biographie XXVIII, S. 582. — K. Baedeker,
Paris 1905, 8. 418. — Im Catalogue of the furniture, marbles, bronzes . . in
the Wallace collection 8 p. 221 und 222 sowie im Register p. 282 wird 1735
als Geburtsjahr angegeben, im Daheim XLV, Nr. 26, S. 22 sogar 1725.
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316
Richard Pick
in den Sammlungen des Louvre befindliche Schreibtisch des
Königs, Bureau du Roi (Louis XV.), der von Johann Franz
Oeben entworfen und begonnen und nach dessen Tode von
Riesener 1769 vollendet wurde. Er ist reich vergoldet und
bemalt und trägt eine Galerie mit Uhr. Eine Abbildung des¬
selben gibt Bergner in seinem Handbuch der bürgerlichen Kunst¬
altertümer *. Riesener arbeitete eine Zeitlang mit Gouthiere
zusammen, der im Jahre 1771 als „cizeleur et doreur du Roi“ zu
Paris erwähnt wird. Auch das Berliner Kunstgewerbemuseum
enthält eine um 1780 angefertigte Arbeit von Riesener, eine
Eichen furnierte, reich mit Bronze verzierte Kommode. Dort
befindet sich, nebenbei bemerkt, auch ein von P. Roussel 1780
zu Paris angefertigter Pfeilerschrank. Der Familienname Roussel
(Rüssel) ist Aachen im 18. Jahrhundert nicht fremd 2 . Ob
P. Roussel ebenfalls zu der rheinischen Ebenistenkolonie in Paris
gehört haben mag? Riesener starb am 6. Januar 1806. Seine
Frau war ihm schon dreißig Jahre früher (1776) im Tode vor¬
ausgegangen. Aus ihrer Ehe mit Johann Franz Oeben hinter¬
blieben außer einem mit dem Vater gleichnamigen Sohne, der
1764 als Meister in die Pariser Innung aufgenommen wurde 3 ,
vier Töchter: Maria Franziska, Viktoria, Adelheid und Mechtilde.
Die um 1758 geborene Viktoria vermählte sich mit dem Prä¬
fekten des Departements Gironde, Karl Delacroix, dem späteren
Minister und Kommandeur der Ehrenlegion, der vor ihr aus
dem Leben schied. Sie starb zu Paris am 8. September 1814
im Alter von 56 Jahren. Dieser Ehe entsproß der französische
Historienmaler Eugen Delacroix, ein Hauptvertreter der roman¬
tischen Schule, der am 26. April 1799 das Licht der Welt er¬
blickte und am 13. August 1863 starb. Wohl wenigen dürfte
es bekannt sein, daß in den Adern des großen Meisters auch
rheinisches Blut rollte. Aus der zweiten Ehe der Witwe Oeben
ging ein Sohn hervor, der Maler Heinrich Franz Riesener, der
am 19. Oktober 1767 zu Paris geboren wurde und am 7. Februar
1828 daselbst starb. Er war ein Schüler von Vincent und David 4 .
') Abbildung 458. Vgl. S. 427.
l ) A. F. van Beurdcn, Cleschiedenis der paltagraven Rüssel, hnnne
afslamming en nakomelingen, Itoerinond 1903.
•’) R. Bergau a. a. 0. I, S. 242. — Allgemeine Deutsche Biographie
XXIV, S. 85.
4 ) H. W. Singer, Allgemeines Künstlerlexikon IV, S. 68.
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Geschichtliche Erinnerungen an Aachen in Feindesland.
317
Welche Umstände die Oeben, Riesener, Schneider usw. zn
der rheinischen P^benistenkolonie in Paris zusammenführten, wie
viele Kunstschreiner überhaupt dazu gehörten und wie sie hießen,
wie groß endlich der Anteil war, den der Aachener Bezirk
hieran hatte, bedarf noch der genaueren Ermittlung. Von sei¬
ten der Franzosen darf man kaum vielen Aufschluß über diese
Fragen erwarten, da über den Ursprung der ganzen in ihrer
künstlerischen Tätigkeit auch in Frankreich vielbewunderten
Kolonie dort das größte Dunkel herrscht 1 .
Noch einige andere Erinnerungen verbinden die französische
Hauptstadt mit Aachen; freilich sind sie in der Mehrzahl
trauriger Art. Sie knüpfen meist an die Räubereien an, die
die Franzosen am Ende des 18. und zu Anfang des 19. Jahr¬
hunderts gewohnheitsmäßig auf ihren Kriegszügen und auch im
Verwaltungswege in Friedenszeiten ausführten. Vieles von dem
Geraubten ist zwar nach Beendigung der Fremdherrschaft im
Jahre 1815 an den rechtmäßigen Eigentümer zurückgelangt,
mehreres aber in Paris verblieben 2 . Von den Marmorsäulen,
die die Franzosen im Jahre 1794 im Aachener Münster in
rohester Weise ausbrachen, zieren noch heute 12 das Mus6e
du Louvre. Sie wurden, weil sie schon 1815 hier mitverbaut
waren, durch Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III. vom 23.
August dieses Jahres an ihrer Stelle belassen 8 . Ein der Ka¬
puzinerkirche geraubtes Hochaltargemälde, die Anbetung der
Hirten von Rubens, ist verschollen 4 ; dagegen beruht eine größere
Anzahl Bullen des 13.—16. Jahrhunderts, die der franzözische
Spezialkommissar Maugerard mit vielen anderen auf das Münster¬
stift bezüglichen Urkuuden im Aufträge seiner Regierung 1803
dem Aachener Stadtarchiv entführte 6 und die man 1815 in Paris
') Gefällige Mitteilung des Herrn Archäologen H. Vial zu Paris.
a ) Ausführlich handelt hierüber L. Schmitz im Bericht des Vorstandes
des Karlsvereins zur Restauration des Aachener Münsters über das 67. Vereins¬
jahr 1914 S. 10 ff.
*) Über die Schwierigkeiten, welche die Franzosen, insbesondere der
Oberinteudant der Künste Denou in Paris, bei der Rückgabe der geraubten
Kunstschätze bereitete, vgl. Al. Reifferscheid in R. Picks Monatsschrift
für rhein.-westf. Geschichtsforschung und Alterthumskunde I, S. 36 ff.
4 ) Nach Max Rooses soll sich das Bild im Museum zu Rouen befinden;
vgl. ZdAGV 21, S. 256.
*) Vgl. It. Pick in Festschrift zur 72. Versammlung Deutscher Natur¬
forscher und Ärzte 1900 S. 223.
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Richard Pick
nicht aufzufinden vermochte, noch jetzt in der Nationalbibliothek
daselbst 1 . Hoffentlich wird sich diese nicht allzulange mehr
des geraubten Gutes erfreuen!
Eine letzte Erinnerung an Aachen weckt das auf der Place
du Parvis-Notre-Dame zu Paris nach dem Modelle Ludwig
Rochets im Jahre 1882 errichtete Bronzedenkmal Karls des
Großen. Die Beziehungen seines Schöpfers zu unserer Stadt
habe ich unlängst näher dargelegt*.
*) Ein Verzeichnis nebst Beschreibung der in Paris zurückgebliebenen
Urkunden, das mir Herr Geheimrat P. Clemen zu Bonn vor 25 Jahren gelegent¬
lich eines längeren Studienaufenthalts in der französischen Hauptstadt anzu¬
fertigen die Güte hatte, befindet sich in meinem Besitze. Aachener
Urkunden in Paris verzeichnet L. Delisle, Inventaire des manuscrits latins
conserv^s ü la Bibliotheque nationale sous les num. 8823 -18613 (siehe
Nr. 9317 und 10181). Vgl. auch Neues Archiv VI, S. 477 und Göttingische
gelehrte Anzeigen 1867, S. 1697 ff.
*) ZdAGV 34, S. 136.
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Zur Erinnerung an P. Stephan Beissel S. J.
Von Joseph Brann S. J.
(Mit einer Abbildung.)
Am Nachmittag des 1. August wurde im Ignatiuskolleg zu
Valkenburg ein Mann zur letzten Ruhe getragen, dessen Tod
nicht bloß für den Orden, dem er zugehörte, sondern auch über
ihn hinaus ein wirklicher Verlust ist: P. Stephan Beissel. Es
war ein stilles Gelehrtenleben, das mit seinem Hinscheiden in
der Frühe des 30. Juli schloß, aber kein fruchtloses. Ein Fleiß,
der nimmer ruhte, ließ trotz mancher aus schwerer Krankheit
sich ergebenden Hindernisse eine bedeutende Reihe wertvoller,
gediegener kleinerer und größerer Arbeiten reifen, Aufsätze für
Zeitschriften, fachgemäße Besprechungen wissenschaftlicher Neu¬
heiten und namentlich auch eine große Zahl selbständig ver¬
öffentlichter Werke von dauerndem Werte. Ein hochangesehener
und hochstehender deutscher Gelehrter nannte darum auch den
Verstorbenen mit Recht eine Zierde der Wissenschaft.
P. Beissel war ein Sohn der alten Kaiserstadt Aachen, und
schon darum dürfte es nicht befremden, wenn ihm angesichts
seiner wissenschaftlichen Bedeutung in den Blättern des Aachener
Geschichtsvereins einige Zeilen zur Erinnerung gewidmet werden.
' Er hat aber auch manche seiner Arbeiten der Vergangenheit
und den Kunstschätzen seiner Vaterstadt, an der er sein ganzes
Leben mit warmer Zuneigung hing und der er stets sein leb¬
haftes Interesse entgegenbrachte, geweiht und war außerdem
Ehrenmitglied des Aachener Geschichtsvereins; daher erscheint
es erst recht begründet, wenn an dieser Stelle zum Andenken
an den Toten mit einigen Strichen sein Leben und sein Schaffen
skizziert wird.
P. Beissel erblickte am 21. April 1841 als Erstgeborener
des Nadelfabrikanten Stephan Beissel und seiner Gattin Elisa¬
beth geb. Jeghers das Licht der Welt. Als mutmaßlicher der-
einstiger Nachfolger im väterlichen Geschäft erhielt er bei der
Taufe den Namen Stephan; doch bekundete er im heranwachsen-
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920 Joseph Braun
den Alter keine Neigung, die Hoffnungen und Gedanken seines
Vaters, der ihm nur allzufrüh durch den Tod entrissen wurde,
zu erfüllen. Seinen Sinn beherrschten andere Ideale: nicht
geschäftliche und industrielle Unternehmungen und Interessen
waren es, auf die seine Neigungen hinausgingen, sondern die
Beschäftigung mit der Wissenschaft. „Wenn doch nur auch
ich solche Bücher schreiben könnte“, das war, wie er später
erzählte, sein Wunsch, wenn er als Gymnasiast vor den Schau¬
fenstern der Buchhandlungen vorüberging und dort die neuen
wissenschaftlichen Erscheinungen ausgelegt sah. Wohl nicht
ohne Einfluß auf seine Geistesrichtung war der hochbegabte und
ideal veranlagte Bischof Laurent, ein Hausfreund der Familie
Beissel und treuer Berater der Witwe Beissel, die nach dem
frühzeitigen Tod ihres Gatten sich nach verschiedenen Rich¬
tungen schwierigen Aufgaben gegenübergestellt sah.
Die unteren Gymnasialklassen scheint der junge Stephan
in der Stiftsschule absolviert zu haben; die vier oberen ver¬
brachte er auf dem jetzigen Kaiser-Karls-Gymnasium, das damals
von Direktor Schoen geleitet wurde. Am 13. August 1860
verließ er es mit einem glänzenden Reifezeuguis, das im Latein,
im Französichen, in Mathematik und Geschichte die Note „vor¬
züglich“ enthielt und seinem Betragen und nachhaltigen an¬
gestrengten Fleiß, der sich gleichmäßig auf alle Unterrichts¬
gegenstände gerichtet hatte, eine ehrenvolle Anerkennung aus¬
stellte. Die mündliche Prüfung war ihm erlassen worden. Als
Beruf hatte er den Priesterstand gewählt.
Dem Studium der Theologie widmete sich der Priesteramts-
kandidat vornehmlich in Bonn, wo er fünf Semester zubrachte.
Ein Semester verweilte er in Münster. Herbst 1863 bezog er
das Priesterseminar in Cöln und wurde dann hier nach der
einjährigen letzten Vorbereitung ain 29. August 1864, wenige
Tage vor dem Tode des Kardinals Geissei, von Weihbischof Baudri
zum Priester geweiht. Am 9. Dezember empfing er seine An¬
stellung im Diözesandienst, indem er als zweiter Vikar an die
St. Michaelskirche zu Burtscheid goschickt wurde.
Vikar Beissel nahm es von Anfang an mit seinem ^Berufe
recht ernst. Seine alten Freunde, mit denen er als Gymnasiast
und Student manche fröhliche Stunde verlebt, machten die Wahr¬
nehmung, daß er sich nun möglichst vom geselligen Verkehr
zurückzog. Es waren nur edelste Beweggründe, die ihn dazu
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P. Stephan Beissel
t 30. Juli 1915.
>ogle
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Zur Erinnerung an P. Stephan Heissei.
321
bewogen: Pflichtbewußtsein, Arbeitsdrang, der Wille, ganz in
den Anforderungen seines Berufes aufzugehen. Darum trat auch
die Beschäftigung mit der Kunst, der er bis dahin sich, an¬
geregt von Bischof Laurent, dem Stadtarchivar Laurent, dem
Dr. tned. Debey, dem Ehrenkanonikus des Mtiusters Dr. Bock
und andern Aachener Freunden der christlichen Kunst, eifrig
hingegeben hatte, jetzt in den Hintergrund. Die Zeit, die ihm
über die gewöhnlichen Seelsorgsarbeiten hinaus blieb, widmete
er nun vornehmlich der Lektüre der Väterhomilien, wozu wieder¬
um sein väterlicher Freund Bischof Laurent ihm die Anregung
gegeben hatte, und dem Studium der Volksschulkunde, des
Krippenwesens und der Kinderbewahranstalten, dem auch eine
Reise mach Paris zum Zwecke, die dortigen einschlägigen Ver¬
hältnisse durch den Augenschein kennen zu lernen, diente. Frucht
seiner patristischen Beschäftigungen waren die Anfänge und
reiches Material für die später im Orden vollendeten und ver¬
öffentlichten Betrachtungen über das Kirchenjahr. Seine Reise
nach Paris zeitigte Aufsätze über Pariser Krippen, Kinder¬
bewahranstalten und Volksschulen in der von G. Kentenich,
seit 1867 von J. Alleker und G. Kentenich herausgegebenen
„Zeitschrift für Erziehung und Unterricht im Geiste der katho¬
lischen Kirche“. Ein anderer schriftstellerischer Versuch aus
der Vikarszeit war die „Geschichte des h. Sebastian und seiner
Genossen“ (Aachen 1869), eine auf die Bollandisten sich grün¬
dende, für das Volk bestimmte Darstellung des Martyriums des
Heiligen. In seinem seelsorglichen Wirken verstand es Vikar
Beissel, durch seinen rastlosen Arbeitseifer, seine stets gleiche
Liebenswürdigkeit, seine bescheidene Selbstlosigkeit, seine frei¬
gebige Wohltätigkeit und nicht zum wenigsten durch seine
sorgende Liebe zu den Kindern sich bald die Herzen aller zu
gewinnen.
Seine Wirksamkeit in Burtscheid dauerte etwas über sechs
Jahre. Eine Lungenentzündung, die ihn dann befiel, veranlaßte
ihn, um zeitweilige Enthebung von seinem Amte zu bitten und
sich in das elterliche Haus nach Aachen zurückzuziehen, um die
angegriffene Gesundheit besser hersteilen zu können; dazu kam,
daß er sich mit dem Gedanken trug, die Seelsorge aufzugeben
und sich ausschließlich dem Lehrfach zu widmen. Aus diesem
letzteren Grunde übernahm er auch in dieser Zeit seiner Zurück¬
gezogenheit die Erteilung des Religionsunterrichts an der von
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Joseph Braun
den Schwestern vom armen Kinde Jesu geleiteten höheren
Schule. Zu einem dauernden Eintritt in den Schuldienst sollte
es indessen nicht kommen. Am 1. Juni 1871 steht er an der
Pforte des Noviziathauses der deutschen Ordensprovinz der
Gesellschaft Jesu und bittet um Aufnahme. Er hatte, statt im
Lehrfach, im Jesuitenorden seinen Beruf erkannt.
Im Noviziat zu Münster blieb P. Beissel ein Jahr; daun
wurden die Jesuiten aus Deutschland ausgewiesen. P. Beissel,
der dem Orden noch nicht durch die Ordensgelübde eingegliedert
war, hätte Zurückbleiben und in die Weltseelsorge zurückkehren
können. Allein sein Entschluß war gefaßt, und so sehen wir
ihn bald mit den andern die Grenze des Vaterlandes über¬
schreiten und im Ausland ein gastliches Heim suchen. Zunächst
finden wir ihn auf dem Schlosse zu Blyenbeck, das Graf von
Hoensbroech den Verbannten zur Benutzung überlassen hatte;
er widmete sich hier philosophischen Studien. Das folgende
Jahr pflegt er zu Wynandsrade bei Valkenburg Rhetorik; dann
geht er nach England, um zu Ditton Hall bei Liverpool die
theologischen Studien wieder aufzunehmen und zu vertiefen.
Die beiden nächsten Jahre weilt er in der Bretagne auf dem
Schlosse des Grafen Geloes, des Eigentümers von Exaeten bei
Baexem, wo die vertriebenen Jesuiten gleichfalls eine Zufluchts¬
stätte gefunden hatten. Er hatte hier die Aufgabe, den Sohn
des Grafen auf das Baccalaureat vorzubereiten. Das Jahr 1879
sieht P. Beissel in England, diesmal in Portico (Lancashire),
wo er das von den Ordenskonstitutionen vorgeschriebene dritte
Probejahr zu machen hatte. Die Lernjahre waren damit be¬
endigt; nun sollte die Zeit des wissenschaftlichen Arbeitens an¬
heben. Als Arbeitsfeld bestimmten ihm die Obern das weite
Gebiet der christlichen Kunst und der christlichen Archäologie,
Fächer, die bis dahin in der Ordensprovinz noch keinen be¬
sondere wissenschaftlichen Vertreter gehabt hatten. Daß sie
ihn nicht mit dem Studium der Volksschulkunde betrauten, mit
der sich P. Beissel vor seinem Eintritt in den Orden so ein¬
gehend beschäftigt hatte, lag wohl zum Teil in den ungünstigen
Zeitverhältnissen, zum Teil aber auch daran, daß im Interesse
der „Stimmen aus Maria-Laach“, denen er als Mitarbeiter an¬
gegliedert war. eine Bearbeitung des Feldes der christlichen
Kunst und der christlichen Archäologie damals von größerer
Wichtigkeit erschien.
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Zur Erinnerung an P. Stephan Beissel.
323
P. Beissel trat keineswegs unvorbereitet an sein Arbeits-
faeh heran. Allerdings war es eine geraume Weile, daß er die
Beschäftigung mit der Kunst aufgegeben hatte, aber vergessen
war es nicht, was er iu seinen Studentenjahren gelernt und
was er später immerhin zu bewahren gesucht hatte. Das be¬
kunden gleich die ersten Artikel, die er für die „Stimmen“ in
den Jahren 1880 und 1881 (Christliche Heiligkeit und christ¬
liche Kunst, Der Dom von Köln, Über Restauration der Kirchen)
und die Zeitschrift „Der Katholik“ (Zur Geschichte des Bischofs¬
stabes) schrieb. Es sind keine Dilettantenaufsätze, sondern
Arbeiten, die von gediegenem Wissen und fachmännischem Ur¬
teil zeugen. Die Jahre 1883 und 1884 aber zeigen bereits
P. Beissel auf der Höhe sachkundigen Schaffens in den größeren,
als Ergänzungshefte zu den „Stimmen“ veröffentlichten, von der
maßgebenden Fachkritik hoch gewerteten Studien zur Bau¬
geschichte und Bauführung des Viktorsdomes zu Xanten.
Von nun an bildet für P. Beissel das Studium der christ¬
lichen Kunst in Vergangenheit und Gegenwart sowie der damit
zusammenhängenden Gebiete bis zu seinem Tode, also fünfund¬
dreißig Jahre lang, das gewöhnliche Tagewerk, die Haupt¬
beschäftigung im Orden. Nur zweimal tritt es in dieser Zeit
gegenüber seelsorglichen Arbeiten zurück, ohne jedoch eine voll¬
ständige Unterbrechung zu erfahren: das eine Mal, als er um
die Wende der achtziger Jahre längere Zeit in Hannover weilte,
ein Aufenthalt, der ihn in nähere Beziehungen zu dem damaligen
Bischof von Hildesheim, Dr. Wilhelm Sommerwerk, und dem
Domvikar Dr. Adolf Bertram, dem heutigen Fürstbischof von
Breslau, brachte, dann, als er 1897 — 1899 auf Wunsch S. Eminenz
des Kardinals Krementz im Priesterseminar zu Cöln als Beicht¬
vater der Alumnen tätig war.
Die beiden ersten Jahre seiner wissenschaftlichen Arbeiten
wohnte P. Beissel in Exaeten bei Roermond; die Schriftleitung
der „Stimmen“ hatte damals noch ihren Sitz in Tervüren bei
Brüssel. Als aber diese 1882 den Ort verließ, wo sie bei der
Verbannung der Jesuiten durch die Güte der gräflichen Familie
Robiano eine Zuflucht gefunden hatte, und nach Blyenbeck zog,
siedelte auch er dorthin über, ging jedoch vier Jahre später
mit den „Stimmen“ wieder nach Exaeten zurück. In diese
zweite Exaetener Zeit fällt der vorhin erwähnte Aufenthalt in
Hannover und Cöln Im Jahre 1900 folgte P. Beissel der
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Joseph firaun
Schriftleitung in das neuerhaute Schriftstellerhaus zu Luxem¬
burg, und als dieses an die Großherzoglich-Luxemburgische
Regierung verkauft worden war, 1910 in das Ignatiuskolleg zu
Valkenburg. Es war der letzte Wechsel des Heims: von hier
führt ihn der Weg zur Ruhe des Friedhofes.
Die letzten Jahrzehnte seines Lebens litt P. Beissel viel
durch neuralgische Gesichtsschmerzeu, die naturgemäß auch seiu
Arbeiten erschwerten. Seit etwa zehn Jahren aber kamen dazu
noch andere, sehr peinliche körperliche Leiden, die ihn zu Zeiten
im Studium und ^Schreiben äußerst behinderten, nie jedoch sie
zum völligen Stillstand brachten. So lange es für ihn nicht
geradezu unmöglich war, am Schreibtische zu sitzen, durfte
man sicher sein, ihn dort anzutretfen, und wäre es auch nur
eine Stunde, ja eine halbe Stunde gewesen. Noch in den aller¬
letzten Tagen vor seinem Tode griff er, wiewohl kaum imstande,
auf dem Stuhle sich zu halten, zur Feder, und erst der nahende
Tod war imstande, sie aus der nie rastenden Hand zu nehmen.
Seine geistige Frische bewahrte er trotz der größten Schmerzen,
bis das Eintreten des Todeskampfes ihm die Besinnung raubte.
Erst unmittelbar vor seinem Tode vollendete er eine größere
wertvolle kunsthistorische Arbeit, die der Wiederkehr des Frie¬
dens zu ihrer Veröffentlichung harrt.
P. Beissel war die verkörperte Arbeitsamkeit. Muße, Ferien
gab es nicht für ihn. Arbeiten war für ihn wie in Burtscheid
so auch später in seiner Schriftstellerzeit Pflichterfüllung, Lebens¬
aufgabe. Betrauten ihn die Obern gelegentlich mit Exerzitien,
Aushilfen oder anderer seelsorglicher Tätigkeit, so erfüllte er
auch diese Obliegenheiten mit aller Sorgfalt; doch vermochten
sie nimmer ihn ganz seinen gewöhnlichen Beschäftigungen
zu entziehen. Immer wußte er auch für diese einige Augen¬
blicke aufzusparen, selbst, wenn es nicht anders ging, auf
Kosten der Nachtruhe. Gegenstände für sein Studium aber
fand er allenthalben und war es auch nur eine Statue, ein
altes Siegel, eine Urkunde und ähnliches.
Bei dieser rastlosen Tätigkeit und bei der ihm eigenen
gewissenhaften Ausnützung jeder Minute ist es denn auch nicht
zu verwundern, daß der Verstorbene so überaus Vieles und
Wertvolles zu schaffen vermochte. Es ist nicht nötig, auf
Einzelnes eiuzugehen. Es darf genügen, auf das diesen Zeilen
angefügte Verzeichnis der Aufsätze und selbständigen Schriften
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Zur Erinnerung an P. Stephan Beissel.
325
P. Beissels hinzuweisen, und dabei glaube ich nicht einmal,
daß ich die Aufsätze durchaus vollständig aufgeführt habe.
P. Beissel war aber nicht nur ein fleißiger Arbeiter, er
verstand es auch, dank seinem umfassenden soliden Wissen,
seiner Vertrautheit mit den Quellen, seiner raschen Auffassung
und seinem sichern festen Urteil, leicht und rasch zu arbeiten,
und zwar ohne deshalb oberflächlich und unzuverlässig zu werden.
Denn so schnell ihm das Schaffen von der Hand ging, immer
blieb er ein sehr gewissenhafter Arbeiter, der sorgfältig, soweit
nur möglich, die Gewährsmänner, auf die er sich zu stützen
hatte, aber auch sich selbst kontrollierte. Monumente suchte
er, soviel es immer tunlich wai* persönlich zu studieren; darum
auch so manche kleine und große Reise, die ihn unter andern
nach Frankreich und England, namentlich aber nach Italien
führten, wo er in allen bedeutenderen Bibliotheken die dort
befindlichen Schätze mit Miniaturen versehener Handschriften
studierte. War es für ihn nicht angängig, mit eigenen Augen
ein Monument zu untersuchen, so suchte er sich wenigstens
Photographien und andere zuverlässige Abbildungen zu ver¬
schaffen. Eine lange Reihe von Bänden, gefüllt mit Photo¬
graphien und andern bildlichen Wiedergaben, legt hiervon be¬
redtes Zeugnis ab.
P. Beissels Darstellungsweise war schlicht, aber keineswegs
ärmlich und vernachlässigt, kurz und bestimmt, aber zugleich
inhaltsreich und klar, dabei namentlich -in seinen aszetischen
Schriften faßlich und anschaulich, nicht zum wenigsten dank
der packenden Bilder, Vergleiche und Erinnerungen aus der h.
Geschichte, dem Leben der Heiligen, der Liturgie und christ¬
lichen Kunst, die er an geeigneter Stelle in natürlichster Weise
seinen Ausführungen einzuflechten wußte. Phrasen, Wortprunk
und der Sucht, geistreich zu erscheinen, war er durchaus ab¬
hold. Schlichte Wahrheit, reicher Inhalt und durchsichtige
Form der Darstellung war seine Losung. Dabei suchte er stets
nur die Sache, nicht sich selbst, nicht seine eigene Meinung.
Er war darum auch stets aufrichtig dankbar, wenn ihm die
Zensoren eine abweichende Meinung äußerten oder ihn auf einen
Irrtum aufmerksam machten. Man durfte sicher sein, daß ei-
derartige Bemerkungen berücksichtigen -werde. Noch in seinen
letzten Lebenstagen erlebte ich hierfür ein rührendes Beispiel.
Als Zensor der vorhin erwähnten kunsthistorischen Arbeit
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Joseph braun
glaubte ich ihn auf den einen oder andern Punkt aufmerksam
machen zu sollen, in denen sie wohl noch eine Verbesserung er¬
fahren könne, bemerkte aber, daß eine Änderung nicht gerade
nötig sei. Ich erhielt zunächst zur Antwort, daß es für ihn
bei seinem schwerleidenden Zustand nicht wohl angehe, meinen
Ausstellungen Folge zu geben. Als ich jedoch am folgenden
Tage zu ihm kam, sagte er zu mir: „Sie haben recht; es ist
mir zwar etwas mühsam geworden, aber ich habe schon die
Sache ganz in Ihrem Sinne zu verbessern gesucht.“ Polemik
lag P. Beissel nicht; sie entsprach zu wenig seinem auf Frieden
gerichteten Charakter. Nur ausnahmsweise und nur wo höhere
Interessen auf dem Spiele standen, übte er sie. Das offenbarte
sich namentlich auch in seinen Referaten. In seinen Grund-
anschauun£en war er durchaus konservativ, doch keineswegs in
einseitiger Weise. So sehr ihm auch die moderne Überkritik
und der moderne Subjektivismus zuwider waren, für die be¬
rechtigten Forderungen der Gegenwart, ihrer wissenschaftlichen
und künstlerischen Bestrebungen und Ziele zeigte er volles Ver¬
ständnis, williges Entgegenkommen, bereit, alles Gute, woher
es auch kam und wo er es fand, anzuerkennen und hinzunehmen.
P. Beissel hatte in der fachgenössischen Gelehrtenwelt einen
Namen von gutem Klang. Er war eine Autorität, an die sich
auch Fachleute gegebenenfalls gern um Auskunft und Aufschluß
wandten, wie noch manche Briefe hervorragender Fachgenossen
bekunden. Wie der Aachener Geschichtsverein, so ernannte
ihn ferner die St. Bernulfus-Gilde zu Utrecht, die Römische
Künstlerzunft, das Institut Grand-ducal de Luxembourg zu
ihrem Ehren-, die Soci6t£ l’Archeologie de Bruxelles zu ihrem
korrespondierenden Mitgliede. Auch auf dem Gebiete der prak¬
tischen Pflege der kirchlichen Kunst galt P. Beissel als eine
Autorität, deren Wissen und feinsinniges Empfinden man bei
Erbauung und Ausstattung von Kirchen oft um Rat und Weisung
in Anspruch nahm. Aachen insbesondere sah ihn beteiligt bei
den Beratungen über die Ausschmückung des Münsters mittels
Mosaiken.
P. Beissel war, um schließlich darüber noch einige Worte
zu sagen, auch Sammler. Freilich nicht Sammler von Kunst¬
werken. Was er sammelte, waren vornehmlich Siegelabdrücke
und Heiligenbildchen. Die ersten Anfänge seiner Siegelsamm-
lung fallen in die Gymnasiastenzeit; fortgesetzt hat er sie bis
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Zur Erinnerung an P. Stephan Beissel.
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in seine letzten Lebenstage, und heute dürfte sie eine der be¬
deutendsten ihrer Art sein.
Doch das möge zur Erinnerung an den Verstorbenen ge¬
nügen. Es ist mir eine Freude, dem lieben Freunde, mit und
neben dem ich zwanzig Jahre auf dem Gebiete der christlichen
Kunst und Archäologie in Treuen Zusammenarbeiten durfte, in
dieser Zeitschrift einige Blätter auf das frische Grab legen zu
dürfen. Wer P. Beissel näher gekannt hat, weiß, daß die
Skizze, die ich von seinen wissenschaftlichen Arbeiten und seiner
wissenschaftlichen Bedeutung gegeben habe, auch wenn sie von
Freundeshand entworfen ist, doch nur die Wirklichkeit wieder¬
gibt.
Verzeichnis der Aufsätze und selbständig erschienenen
Arbeiten P. Beissels.
Das Verzeichnis bietet nur die Aufsätze und selbständig herausgegebenen
Arbeiten P. Beissels , nicht die seiner Feder entflossenen kritischen Berichte
über literarische Neuerscheinungen aus den zum Arbeitsfeld des Verstorbenen
gehörenden Gebieten. Die Zahl dieser kürzeren und längeren Bücherbe¬
sprechungen, die in den „Stimmen aus Maria-Laach u und zahlreichen andern
Zeitschriften erschienen, ist zu groß, als daß es angängig gewesen wäre, hier
auch nur die nichtigeren zu verzeichnen; in den „Stimmen “ allein sind etwa
115 größere zu finden. Die selbständig veröffentlichten Arbeiten, eine statt¬
liche Zahl, sind im Nachfolgenden durch Sperrdruck als solche hervor¬
gehoben. Die Abkürzung St. besagt: Stimmen aus Maria-Laach (Freiburg
i. B., Herderscher Verlag), die Abkürzung Zt.: Zeitschrift für christliche
Kunst (Düsseldorf, Schwanns Verlag).
I. Kunstgeschichte, Kunstpflege, moderne Kunst.
1. Christliche Heiligkeit und christliche Kunst. St. XVIII (1880), 183 — 195;
465—484.
2. Der Dom von Köln. St. XIX (1880), 65-83; 134—143 ; XX (1881),
163—183; 388-400.
3. Ueber Restauration der Kirchen. St. XXI (1881), 53—66.
4. Zur Geschichte eines ungarischen Domschatzes. St. XXI (1881), 375—387.
5. Der Marienschrein des Aachener Münsters. Ztschr. des Aachener Ge-
schichtsv. V (1883), 1—36.
6 . Erzbischof Egbert von Trier und die byzantinische Frage. St. XXVII
(1884), 260—274; 479—496.
7. Die Kunsttätigkeit des hl. Bernward von Hildesheim. St. XXVIII (1885),
131 — 143; 244-255; 353—367.
8. Der Verfall der Calcografia Regia in Rom. St. XXVIII (1885), 330—332.
9 . Zur Geschichte des Domes der hl. Helena in Trier. St. XXX (1886),
13—40; 136—158; 263—276; 367—379.
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10. Blumen in Kunst und Natur. St. XXX (1886), 495—505.
11. Die Jubiläuius-Ausstellung der Kgl. Akademie der Künste zu Berlin
1886. St. XXXII (1887), 175—192; 319—386.
12- Von der Wiener Kunstausstellung. St. XXXIII (1887), 103—108.
13. Religiöse Bilder für das katholische Volk. St. XXXIII (1887), 456—472.
14. Die Cisterzienser-Abtei Bronnbach. Eiue kunstgeschichtliche Studie. St.
XXXIV (1888), 67—83; 180-194.
15- Die Farbengebung bei Ausmalung der Kirchen. Zt. I (1888), 163—171;
303—314.
16. Die Kirche des hl. Matthias vor den Mauern der alten Stadt Trier.
Sonderabdruck aus „Alte und Neue Welt“, Jahrg. 1888.
17. Ein restauriertes Reliquiar des 15. Jahrhunderts. Zt. I (1888), 101 — 106.
18- Von der kunsthistorischen Ausstellung des Jahres 1888 zu Brüssel. St.
XXXVI (1889), 46—60.
19. Verzierung spätgotischer Gewölbe. Zt. II (1889), 247—256.
20. Ueber die Grundsätze, welche bei Restaurationen von Kirchen zu be¬
obachten sind. St. XXXVI (1889), 274—276.
21. Der Taufbrunnen des Domes zu Hildesheim. Zt. II (1889), 385—394.
22. Die alte Reichsstadt Goslar und die neuen Malereien des restaurierten
Kaiserhauses. St. XXXVII (1889), 348 — 864, 453—474.
23. Erweiterung einer alten Kirche (Kathedrale zu Roermond). Zt. III (1890),
119—122.
24- Die zweite Münchener Jahres-Ausstellung von Kunstwerken aller Nationen.
St. XXXIX (1890), 521—536.
25. Fensterverblciungen aus der Kirche dor Ursuliuerinnen zu Maaseyk.
Zt. III (1890), 221 — 226.
26- Die Bemalung des Äußern unserer Kirchen. Zt. III (1890), 255—260.
27. Aachener Goldschmiede. Zt. III (1890), 377—388.
28- Zur Kenutniß und Würdigung der mittelalterlichen Altäre
Deutschlands. (Bd. 2 des gleichnamigen Werkes Münzenbergers),
Frankfurt 1891 — 1901.
29. Die malerische Ausstattung der Kirche zu Anholt. Zt. IV (1891),
387 — 399.
30- L’öglisc de St. Mathias hors des murs de Treves. Einsiedeln 1891. (Auch
englisch ebd. 1891 unter dem Titel: The chureh of St. Mathias.)
31. Der Entwicklungsgang der neuern religiösen Malerei in Deutschland. St.
XLII (1892), 51 — 67; 158—172.
32. Die Kirche „Mariä Himmelfahrt“ zu Köln und ihr sog. „Jesuitenstil“.
Zt. V (1892), 47-55.
33. Münzenbergers Werk über die mittelallerlichen Altäre Deutschlands.
St. XLII (1892), 546—559.
34. Prof. Seitz und dessen Pläne zur Ausmalung der päpstlichen Kapelle in
Loreto. Zt. V (1892), 65—88.
35- Mittelalterliche Kunstdenkmäler in Suhiaco und Monte Cassino. St. XLII1
(1892), 837—357; 507 — 527.
36. Der Entwurf von Prof. Seitz zur Ausmalung der päpstlichen
Kapelle zu Loreto. Düsseldorf 1892.
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Zur Erinnerung an P. Stephan Bcissel.
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* '
37. Die Bilder des Fra Augelico im Kloster des hl. Markus zu Florenz. St.
XLIV (1893), 220—234; 833—853.
38. Die mittelalterlichen Mosaiken von S. Marco. Zt. VI (1893), 231—248;
267—275; 363- 380.
39- Die Versteigerung der Sammlung Spitzer. St. XLIV (1893), 642—644.
40. Die Form der ältesten Kirchen. St. XLV (1893), 209 — 211.
4L Die ältesten Mosaiken der römischen Kirchen. St. XLVI (1894), 27—45.
42. Ueber die Ausstattung des Innern der Kirchen durch Malerei und Plastik. -
Zt. VII (1894), 211—221; 243—257; 279—284.
43. Italienische Grabmäler. St. XLVI (1894), 394—412; 483—502.
44. Neue Reime von Dürer. St. XLVII (1894), 363—364.
45. Gestickte und gewebte Vorhänge der römischen Kirchen in der zweiten
, Hälfte des 8. und in der ersten Hälfte der 9. Jahrhunderts. Zt. VII
(1894), 357—375.
46. Die Mosaiken von Ravenna. St. XLVII (1894), 422—441; 497—515.
47. Van de Idealen in de kerkelijke schilderkunst. Dietsche Warande 1894,
475 - 495.
48- Flämische Altäre in der Rheinprovinz uud in Westfalen. St. XLVIII
(1895), 11—24.
49. Fra Giovanni Angelico da Fiesoie. Freiburg 1895 und 1905
(französisch: Lille 1898).
50. Naturwahrheit in der christlichen Kunst. St. XLVIII (1895), 229—231.
51. Das Reliquiar des hl. Oswald im Domschatz zu Hildesheim. Zt. VIII
(1895), 307—313.
52. Byzantinisches Zellenemail. St. XLVIII (1895), 409—425.
53. Der hl. Bernward von Hildesheim als Künstler und Förderer
der deutschen Kunst. Hildesheim 1895.
54. Das grobe religiöse Festspiel von Bourges. St. XLIX (1895), 569—572.
55. Spätgotische Skulpturen und Malereien zu Lendersdorf. Zt. VIII (1895),
203—208.
56- Verwendung edeler Metalle zum Schmuck der römischen Kirchen vom
5. bis zum 9. Jahrhundert. Zt. IX (1896), 331—344; 357—370.
57. Die Gemächer des Papstes Alexander VI. im Vatikanischen Palaste. St.
LIII (1897), 536-550.
58.. Die römischen Mosaiken vom 7. bis zum ersten Viertel des 9. Jahr¬
hunderts. Zt.. X (1897), 1 11 — 124; 145 — 155; 181 — 188.
59. Ein Plan für die Malereien in den Fenstern und auf den Wandflächen
der Herz-Jesu Kirche zu Köln. Zt. XI (1898), 161 —172.
60. Vlaamsche Altären in de Rijnproviucie en en Westfalen. Dietsche
Warande 1898, 387—400.
61. Die Kirche U. L. Fr. zu Trier. Zt. XII (1899), 231 — 248.
62. Die Bedeutung mittelalterlicher Kunstwerke. St. LVI (1899), 203—*211.
63- Religiöse Bilder für das katholische Volk. St. LVIIl (1900), 281—294.
64. Zwei Denkmäler der Karmeliterkirche zu Boppard. Zt. XIII (1900),
17—24.
65. Die Karmeliterkirche zu Boppard. Bopparder Volkszeitung 1900, Nr. 26.-
66. Die Pfalzkapelle Karls d. Gr. zu Aachen und ihre Mosaiken. St. LX
(1901), 136—153; 284-297.
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67. Deutschlands älteste Gotteshäuser. St. LXI (1901), 36—48.
68. Aus der Sammlung Boisseree. M.-Gladbach 1901.
69. Johann Joest, der Maler der Flügel des Hochaltars zu Calear. St. LXI
(1901), 232—236.
70- Der Reliquienschiein des hl. Quirinus zu Neuß, herge¬
stellt in den Werkstätten von August Witte. Aachen
o. J. (1901).
71 . Die Kunstausstellung zu Düsseldorf. St. LXIV (1902), 11—37; 204 217;
324—337. ,
72. Die Kalkarer Bildhauer auf dem Wege von der Gotik zur Renaissance.
Zt. XVI (1903), 353-370.
73. Holzkirchcn in Deutschland. Zt. XVI (1903), 49 — 60.
74. Die Einführung der gotischen Baukunst in Deutschland bis zu Ende des
13. Jahrhunderts. St. LXIV (1903), 237—250; 379—398.
75. Die westfälische Plastik des 13. Jahrhunderts. St. LXV (1903), 308—328;
446—458.
76- Fra Angelico in neuer Beleuchtung. St. LXVI (1904), 46 - 62.
77. Kunstschätze des Aachener Kaiserdomes. M -Gladbach 1904.
78. Das Münster zu Freiburg i. Br. ein Herold künstlerischer Freiheit. St.
LXVI (1904), 241-261.
79. Traditionelle oder moderne Darstellung der Offenbarungs-Tatsachen.
Grazer Kirchenschrnuck, Jahrg. 1904, 92—94.
80. Ideales Streben auf der internationalen Kunstausstellung zu Düsseldorf.
St. LXVII (1904), 59—72.
81. Nationale Eigenart und geistiger Gehalt der zu Düsseldorf ausgestellten
Kunstwerke. St. LXVII (1904), 256 -269; 419—431.
82. Linienführung und Farbengebung bei Kunstwerken der Ausstellung zu
Düsseldorf. St. LXVII (1904), 173-188.
83. Die Glasgeiniilde der Kirche der hl. Elisabeth zu Marburg. St. LXIII
(1907), 263-282.
84. Ueber Herstellung und Fälschung der Farben für Oelgemälde. St. LXVI1I
(1905), 475-476.
85- Wahrheit in religiösen Bildern. St. LXIX (1905), 492—506.
86. Das Dombild zu Köln. St. LXXIII (1907), 1—23.
87. Die Glasgeinäldc der Elisabethkirchc zu Marburg. Literar. Beilage der
Köln. Volkszeitung 1907, Nr. 22.
88. Das goldene Marienbild der Stiftskirche zu Essen. St. LXXII (1907),
401 — 415.
89 Moderne Kunst in katholischen Kirchen. St. LXXIV (1908), 19 — 29;
131-150.
90. Die Bronzegitter der Pfalzkapelle Karls d. Gr. zu Aachen. St. LXXV
'(1908), 234—235.
91. Giottos Werk zu Padua und die moderne Malerei. St. LXXVII (1909),
125-140.
92. Freilegung alter Kirchen. St. LXXVII (1909), 237—239.
93. Kommunionandenken. St. LXXVII (1909), 358—360.
94- Restauration wichtiger Bauwerke. St. LXXVIII (1910), 477 — 486.
95. Wandgemälde katholischer Kirchen. Zt. XXIII (1910), 153 — 166.
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Zur Erinnerung an P. Stephan Reissei.
331
9«. Carlo Dolci. St. LXXX (1911), 264-274.
97- Marianisehe Prozession zu Reggio im Jahre 1764. St. LXXXII (1912).
179—193.
98. Tempelmaße. St. LXXXIII (1912), 391-407.
99. Aachens Reliquienschatz. St. LXXXIV (1913), 508—517.
100. Die Souveränität der Kunst. St. LXXXVII (1914), 231 —236.
101. Moderner Farbentaumel. St. LXXXVII (1914), 370 — 372.
102. Die Schädigung der Kathedrale zu Reims. St. LXXXVIII (1915),
458—466.
II. Handschriften, Miniatnren.
103. Die Bilder der Handschrift des Kaisers Otto im Münster zu
Aachen. Aachen 1886.
104. Das Karolingische Evangelienbuch des Aachener Münsters. Zt. I (1888),
51—59.
105. Ein illustriertes Gebetbuch des 15. Jahrhunderts. Zt. II (1889), 81 — 90.
106. Neue Untersuchungen über die Stellung der Ada-Handschrift zu den
Evangelienbüchern der karolingischen Zeit. St. XXXVIII (1890),
324—342.
107. Die Schreibkünstler der karolingischen Hofschule zu Aachen. Ztschr.
des Aachener Geschichtsv. XII (1890), 315 — 317.
108. Des hl. Bernward Evangelienbuch im Dom zu Hildesheim. In
weiterer und kürzerer Ausgabe. Hildesheim 1891.
109- Vatikanische Miniaturen. Freiburg 1893.
110- Ein Sakramentar des 11. Jahrhunderts aus Fulda. Zt. VII (1894), 65—81.
111. Das Evangelienbuch des Erzbischöflichen Priesterseminars zn Köln. Zt.
XI (1898), 1-19.
112. Die Gebetbücher des Kardinals Abrecht von Brandenburg. Zt. XI (1898),
149 — 152.
113. Das Evangelienbuch Heinrichs III. aus dem Dome zu Goslar in der
Bibliothek zn Upsala. Zt. XIII (1900), 65—97.
114. Das Evangelien buch Heinrichs III. aus dem Dome zu Upsala
in seiner Bedeutung für Kunst und Liturgie. Düsseldorf 1900.
115. Ein Missale aus Hildesheim und die Anfänge der Armenbibel. Zt. XV
(1902), 265—274; 307-318.
116. Exposition de l’Histoire de l’Art A Düsseldorf 1904: Les manuscrits
flamands. Les Arts ancieus de Flandre I, 49—51 ; 53—56. II, 73 — 75.
117. Un Livre d’Heures, appartenant A S. A. le duc d’Arenberg A Bruxelles.
Revue de l’art chrAt. LIV (1904), 437 447.
118- Gebetbuch des Fürsten Salm-Salm. Zt. XVIII (1905), 33—40; 65—70.
119. Handschriften der Kölner Fraterherren. Zt. XVIII (1905), 183 — 190.
120. Geschichte der Evangelienbücher in der ersten Hälfte
des Mittelalters. Ergänzungsheft zu den St. XCII und XCIII.
(Freiburg 1906).
121. Miniaturen aus Prüm. Zt. XIX (1906), 1 1—22; 43—54.
122. Das Evangelienbuch des Kurfürsten Kuno von Falkenstein im Dome zu
Trier. Zt. XX (1907), 163 -172.
123. Ein Gebetbuch des Kaisers Karl V. Zt. XXII (1909), 79 -86.
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332
Joseph Braun
III. Siegelknnde.
124- Das Siegel des Mainzer Domkapitels aus dem 13. Jabrhuudert. Zt.. II
(1889), 381—385.
125. Kirchensicgel des Mittelalters. Zt. III (1890), 265—269.
126. Aus der Geschichte der deutschen Siegel. St. XXXIX (1890), 46—60.
127. Das Majestätssiegel Kaiser Friedrichs III. Zt. X (1897), 155— 158.
128. Das Stempelwesen in Japan. St. LXVI (1904), 355—356.
129. Gefälschte Siegelstempel. Schweizer Archiv für Heraldik 1906, 89—92.
IV. Ikonographie.
130 . Die sinnbildliche Bedeutung des Löwen. St. XXIV (1883), 157—179.
131. Die Darstellung der Taufe und der Kreuzigung Christi in einer Hand¬
schrift des Trierer Domes. Zt. I (1888), 131 — 138.
132 . Die Symbolik der Taube. St. XXXVII (1889), 193—200.
133. Die bildliche Darstellung der Verkündigung Mariä. Zt. III (1890),
191 — 196; 207-214.
134 . Die Erztüren und die Fassadp von St. Zeno zu Verona. Zt. V (1892),
341—350; 379—388.
135. Zur Reform der Ikonographie des Mittelalters. Zt. VI (1893), 147—161.
136. Neapolitanische Krippendarstellungen. St. XLV (1893), 530—532.
137. Ursprung und Darstellung der sieben Schmerzen Mariä. St. XLVI
(1894), 567—570.
138. Die Sculpturen des Portals zu Remagen. Zt. IX (1896), 151 — 160.
139. Rosenkranzbilder aus der Zeit um 1500. Zt. XIII (1900), 33—42.
140. Das Leben Jesu Christi von Jan Joest auf den Flügeln
des Hochaltars zu Kalkar. M.-Gladbach 1900.
141. Zur Geschichte der Tiersymbolik in der Kunst des Abendlandes. Zt.
XIV (1901), 275 — 286. XV (1902), 51-63.
142. Darstellung der jungfräulichen Mutterschaft Mariens aus dem Provinzial-
museum zu Bonn. Zt. XVII (1904), 353 — 361.
143. Die Darstellung der Uebertragung der geistlichen Gewalt au die Apostel¬
fürsten in der Kunst Roms und des Morgenlandes. St. LXV1I (1904),
116 — 117.
144. Die Bilderreihe der Bernwardssäule. Zeitschrift des Histor. Vereins
für Niedersachsen, Jahrg. 1907, 81—83.
145. Nochmals „Der Fürst der Welt“ in der Vorhalle des Freiburger Münsters.
Freiburger Münsterblätter X (1914), 22—24.
146. Mittelalterliche Darstellungen des Todes und der Aufnahme Marias.
Das Kirchenjahr in Liturgie und Kunst Jahrg. 1914, 63—67.
V. Archäologie, Liturgie, Reliquien, Wallfahrten.
147. Zur Geschichte des Bischofsstabes. Katholik 1881 II, 52 — 75.
148. Rom gegen Rom? St. XXVI (1884), 1—21.
149- Der Aachener Königsstuhl. Ztsclir des Aachener Geschichtsv. IX (1887),
14 — 42.
150. Die „Deutsche Evangelische Kirchenzeitung“ über den heiligen Rock in
Trier. St. XXXIII (1887), 545-547.
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Zur Erinnerung an P. Stephan Beissel.
383
151. Weitere infolge der Ausstellung des heiligen Rockes nm das Jahr 1512
gedruckte Trierer Heiligtnmsböcher. Zentralblatt für Bibliotheks¬
wesen V (1883), 368—371.
152. Geschichte der Trierer Kirchen, ihrer Reliquien und
ihrer Kunstschätze. 1. Teil: Gründungsgeschichte. Trier
1887. 2. Teil: Geschichte des hl. Rockes. Ebd. 1889.
153. Zur Geschichte der evangelischen Perikopen während des 9. bis 13. Jahr¬
hunderts in Deutschland. Zeitschr. für kath. Theologie XIV (1889),
661—689.
154. Die Wölfin des Aachener Münsters. Zeitschr. des Aachener Geschichtsv.
XII (1890), 317—320.
155. Geschichte des heiligen Rockes. Volksausgabe Trier 1891.
156. Nachtrag zur Geschichte des hl. Rockes. Trier 1891.
157. Eine archäologische Enttäuschung. St. XL (1891), 139 — 140.
158. Der heilige Rock unseres Herrn und Heilandes im Dome zu Trier. St.
XLI (1891), 146 — 163.
159. Das heilige Haus von Loreto. St. XL (1891), 162—177.
160- Die bevorstehende Ausstellung des hl. Rockes unseres Heilandes zu
Trier. Alte und Neue Welt, Jahrg. 1891, 728—732.
161. Der Reliquieuschatz des Hauses Brandenburg-Lüneburg. St. XL (1891),
562 — 583.
162. Die Aufbewahrung des heiligsten Sakraments in der ersten Hälfte des
Mittelalters. St. XLIV (1893), 379—383.
163. Die heiligen Geräte und die geistliche Kleidung bei der päpstlichen
Messe im achten Jahrhundert. St. XLV (1893), 456—473.
164- Zur Bedeutung der altchristlichen Oranten. St. XLIV (1893), 554—559.
165. Die altchristliche Inschrift von Si-Ngan-fou. St. XLV1 (1894), 465—467.
166. Das Labarum. St. LI (1896), 224—227.
167. Bilder aus der Geschichte der altchristlichen Kunst und
Liturgie in Italien. Freiburg 1899.
168- Doberaner Reliquien. St. LVIII (1900), 474—476.
169. Die ältesten Beichtstühle. St. LIX (1900), 247—248.
170. Katholische Gebräuche im protestantischen Pommern. St. LXII (1902),
247-248.
171. Der Tragaltar des Domschatzes zu Paderborn. Zt. XV (1902), 331 — 338.
172. Die Wallfahrten der Ungarn nach AScheu. St. LXIII (1902), 579—581.
173. Die Aachenfahrt. Ergänzungsheft zu den St. LXXXII (Freiburg
1902).
174- Eucharistie und kirchliche Kunst. Gral, Jahrg. 1902, 670—676.
175. Bemerkenswerte Eigentümlichkeiten des russischen Gottesdienstes. St.
LXIV (1903), 595—599.
176. Wandlungen bei der Erklärung der Katakombenbilder. St. LXVIII
(1905), 591 592.
177. Die Wallfahrt nach Loreto. St. LXXI (1906), 361—376.
178- Entstehung der Perikopen des römischen Meßbuches. Er-
gänzuugsheft zu d. St. XCVI (Freiburg 1907).
179. Der Bischofsstab. St. LXXV (1908), 170—180.
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334
Joseph Braun
180- Zur Geschichte der Gebetbücher. St. LXXVIII (1909), 28—41; 169—185;
274—289; 397-411.
181. Ein angebliches Königsscepter im Schatze des Aachener Münsters. Zt.
XXIII (1910), 87-90.
182. Die neuesten Untersuchungen über das „heilige Haus“ zu Loreto. St,
LXXIX (1910), 373-387.
183. Kühne Leugnung der rheinischen Martyrien. St. LXXIX (1910), 585—587.
184- Datierung einer alten Rolle. St. LXXXIII (1912), 476—478.
185. Ein protestantisches Wallfahrtsbüchlein. St. LXXXIV (1913), 344—348.
186. Wallfahrten zu U. L. Frau in Legende und Geschichte.
Freibnrg 1913.
187. Die Anfänge des Kirchenjahres. Das Kirchenjahr in Liturgie und Kunst,
Jahrg. 1914, 5-7.
188. Die älteste Form der eucharistischen Ciborien. Ebd. Jahrg. 1914, 30—32.
VI. Hagiographie.
189. Die Geschichte des hl. Sebastian und seiner Genossen.
Aachen 1869.
190. Die Legende von der Thebäischen Legion. St. XXXI (1887), 584—591.
191. Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in
Deutschland bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts. Er¬
gänzungsheft zu d. St. XLVII (Freiburg 1890).
192. Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in Deutsch¬
land während der zweiten Hälfte des Mittelalters. Er¬
gänzungsheft zu den St. LIV (Freiburg 1892).
193. Erinnerungen an die hl. Elisabeth von Thüringen. St. XLV (1893),
415-416.
194. Die Verehrung U. L. Frau in Deutschland während des
Mittelalters. Ergänzungsheft zu den St. LXVI (Freiburg 1896).
195. Der Schutzheilige deutscher Jäger. St. LXV1II (1905), 245—253.
196- Die Hingabe eines außerordentlich großen Vermögens. Eine heroische
Tat der hl. Melania. St. LXXI (1906), 477—490.
197. Geschichte der Verehrung Marias in Deutschland während
des Mittelalters. Freiburg 1909.
198. Geschichte der Verehrung Mariens im 16. und 17. Jahr¬
hundert. Freiburg 1910.
199. Monatsbeilige. St. LXXXIV (1913), 241 - 244.
200. Eine eigenartige Marienlegende. St. LXXXIV (1913), 592—595.
VII. Kulturgeschichte, Denkmalpflege, Fälschungen.
201. Hauseinrichtung und Haushaltung am Niederrhein um 1555. St. XX11I
(1882), 68—82.
202. Die Baugeschichte der Kirche des hl. Viktor zu Xanten.
Ergänzungsheft zu den St. XXIII und XXIV (Freiburg 1883).
203- Geldwert und Arbeitslohn im Mittelalter. Ergänzungsheft
zu den St. XXVII (Freiburg 1884).
204- Geschichte der Ausstattung des hl. Viktor zu Xanten. Er-
gänzuugsheft zu d. St. XXXVII (Freiburg 1887).
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Zur Erinnerung an P. Stephan Heissei.
835
205. Die drei Ergänzungsheftc in zweiter Ausgabe unter dom Titel: Die
Bauführung des Mittelalters. Freiburg 1889.
200. Der Eid des Vicedominus beim Aacheuer Marienstift. Zeitschrift des
Aachener GeschichtsVereins X (1888), 244-245.
207. Die kulturgeschichtliche Bedeutung des hl. Franz von Assisi. St. XXXIII
(1887), 1 -17; 149 —165; 276-2S8; 374 -391.
208. Zur Würdigung des idealen Gehaltes mittelalterlicher Handwerks-
ordnnngen. St. XXXVII (1889), 257 — 269.
209. Geschichtliche Unwahrheiten. St. XXXVII (1889), 325—326.
210. Bilderpreise. St. XXXVII (1889), 578—576.
211. Gefälschte Kunstwerke. St. XXXVIII (1890), 431 — 444.
212. Zur Feier der Erfindung des Buchdruckes. St. XXXIX (1890), 343 — 352.
213. Zum Verhältniß zwischen Kunst und Christentum. St. XL (1891), 136 —189.
214 . Der Wert der Ausstattung fränkischer Kirchen im 6. Jahrhundert. St.
XLV (1893), 100-102.
215. Apologetisches aus dem Mittelalter. St. XLVII (1894), 625 — 627.
216. Zur Geschichte der Säulensteher. St. XLVI1I (1895), 844—846.
217 . Stadt und Stift Fritzlar. St. XLIX (1895), 378 — 397.
218. Die Sage von der allgemeinen Furcht vor dem Untergange der Welt
beim Ablauf des Jahres 1000 n. Ohr. G. St. XLVIII (1895), 469—484.
219. Gefälschte Kunstwerke. St. LIX (1900), 281—286.
220- Kirchliche Denkmalpflege. St. LXI (1901), 113—132.
221. Schätze merowingischer Könige und Kirchen. St. LXI (1901), 361 — 371;
502—515.
222. Fränkische Grabstätten aus christlicher Zeit. St. LXIII (1902), 499—517.
223. Zum Kapitel Antiquitätenhandel. St. LXVIII (1905), 125 — 126.
224- Umwandlung heidnischer Kultusstätten in christliche. St. LXIX (1905),
23—38; 134-143.
225- Städtische Bauordnungen im Dienst der Denkmalpflege. St. LXVIII
(1905), 126—128.
226. Deutschlands Glanz im finstersten Jahrhundert. St. LXX (1906), 51—65;
178—190; 302 — 315.
227. Moderne Preise für Antiquitäten. St. LXXII (1906), 125—127.
228 - Denkmalpflege auf dem Lande. St. LXXII (1907), 356—859.
229- Einfluß des Christentums auf den Buddhismus in der spätrümischeu
Kaiserzeit. St. LXXV (1908), 353—364.
230. Gefälschte Kunstwerke. Freiburg 1909.
231. Die Mitwirkung der Geistlichkeit bei der Denkmalpflege St. LXXXI
(1911), 46—52.
232. Der Kampf gegen die Auswüchse des Reklamewesens. St. LXXXVI
(1914), 608-610.
VIII. Ascese, Erziehnngswesen.
233. Mitteilungen über Pariser Schulverhältnisse. Kath. Zeitschrift für Er¬
ziehung und Unterricht. XIX (1870), 104—111; 180—202; 419-439.
234- Seelengär 11 e i n. Freiburg o. .1.
235. Kleines Heiligth ums*-Büchlein. Anleitung zu einer verständigen
und frommen Feier der Heiligthumsfahrt zu Aachen, Cornclimünster
und Burtscheid. Aachen 1881.
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336
Joseph Braun: Zur Erinnerung an P. Stephan Bcissel.
236- Kleines Hciligthuins-Büehlein. Aachen 1881.
237. Pas Gebet des Herrn und der Englische Gruß. Betrachtungs¬
punkte. Freibnrg 1900 (2. Aufi. 1904).
238- Der Weihnachtsfestkreis. 1. Teil: Betrachtungspunkte für
den Advent und die Feste der Weihnachtszeit. Freiburg
1901 (3. Auflage 1915).
239. 2. Teil: Betrachtungspunkte für die Zeit vom Feste der
Erscheinung bis Septuagesima. Freiburg 1901 (2. Aufl. 1905).
240. Das Leiden unseres Herrn. Betrachtungspunkte für die hl. Fasten¬
zeit. Freiburg 1901 (3. Aull. 1907).
241. Die Verherrlichung unseres Herrn Jesu Christi. Betrachtungs¬
punkte für die Osterzeit. Freiburg 1901 (2. Aufl. 1904).
242. Der Pfingstfestkreis. 1. -Teil: Betrachtungspunkte für
die Feste des heiligen Geistes, der heiligsten Dreifaltig¬
keit, des heiligsten Sakramentes und des Herzens Jesu.
Freiburg 1901. (3. Aufl. 1913).
243. 2. Teil: Betrachtungspunkte über die Evangelien des 3.
bis 24. Sonntags nach Pfingsten. Freiburg 1901 (2. Aufl. 1904).
244. Die heilige Fastenzeit. Betrachtungspunkte über Evangelien von
Septuagesima bis Palmsonntag. Freiburg 1902 (2. Aufl. 1905).
245- Die Verehrung U. L. Frau. Betrachtungspunkte für die Feste der
Gottesmutter sowie für den Mai und Oktober. Freiburg 1902 (3. Aufl.
1911).
246. Die Verehrung der Heiligen. Betrachtungspunkte für die Feste
der Heiligen. Freiburg 1903 (2. Aufl. 1905).
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Frühchristliches aus Aachen und Umgegend.
Von Joseph Klinkenberg.
(Mit 1 Abbildung.)
Wenn das römische Aachen noch um die jüngste Jahr¬
hundertwende bei maßgebenden Fachleuten als ein Ort mit
wenig seßhafter Einwohnerschaft und von ganz untergeordneter
Bedeutung galt 1 , so hat sich diese Anschauung angesichts der
Funde und Forschungsergebnisse der beiden letzten Jahrzehnte
als irrig erwiesen. Zwei Thermenanlagen, an deren Ausbau die
militärische Besatzung Niedergermaniens beteiligt ist, Straßen
aus verschiedenen Richtungen, die sich hier in einem Knoten¬
punkte mit einem Benefiziarierposten kreuzen, eine Begräbnisstätte
mit Beigaben in Sigillata, Ton und Glas, Weih- und Grab¬
inschriften von Angehörigen des Bürger- und des Militärstandes
legen beredtes Zeugnis ab für deu Bestand und die Bedeutung
des Ortes von der Flavierzeit bis zum letzten Jahrhundert der
Römerherrschaft am Rhein*. Daß aber Aachen auch zu den
Orten Niedergermaniens zählt, an denen das Christentum sehr
früh Eingang gefunden hat, diese wichtige Tatache ist erst in
der jüngsten Zeit festgestellt worden.
Bei den Grabungen an der Westseite des Münsters fand
sich am 18. April 1912 zwischen der karolingischen Vorhalle
und Wendeltreppe einerseits und der Ungarischen Kapelle ander¬
seits ein Werkstein in gotischem Mauerwerk, das in östlicher
Richtung die südliche Fundamentmauer des karolingischen Atriums
fortsetzt, und zwar in unmittelbarer Nähe der Südostecke des
letztem. Er besteht aus Herzogenrather Sandstein und ist
37 cm breit, 47 cm hoch und 29 cm tief. Die beiden Seiten-
l ) K.isa, Denkschrift aus Anlatt des 25jährigen Bestandes des Suermondt-
Muscuras, Aachen 1903, S. 9 und 11.
*) Kisa, Denkschrift S. 9 ff. — Adenaw, Archäologische Funde in
Aachen: ZdAOV 20 (1898), S. 179 ft', und 3(3(1914), S. 111 ff. — F. Crainer,
Römisch-germanische Studien, Breslau 1914, S. 89 ft'.: Vom römischen Aachen.
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338
Joseph Klinkenberg
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flächen zeigen die Spuren einer einfachen römischen Profilierung,
die mit wenig Sorgfalt abgearbeitet worden ist, um den Stein
für seine neue Bestimmung geeignet zu machen. Der untere
Teil weist unregelmäßige Bruchflächen und Brandspuren auf:
der Sandstein ist hier stark gerötet und mürbe. An einzelnen
Stellen finden sich noch kleine Reste von römischem und karo¬
lingischem Mörtel 1 . Die Vorderseite ist ziemlich stark ver¬
kratzt; die Verletzungen ziehen sich in mehreren ungefähr
parallelen Streifen in der Richtung von oben links nach unten
rechts. Trotzdem ist die Lesung der zwischen sechs Parallelen
angeordneten Inschrift (Buchstabenhöhe 4.0—4,7 cm) an keiner
Stelle zweifelhaft:
Helacius \ eilius ficit | . itolo Vi- \
. io vixit | . nus \ LXX
Z. 2 ist eilius für filius verschrieben, ein Versehen, dessen
sich die Steinmetzen der verschiedensten Zeiten, besonders der
’) Obige Mitteilungen über den Inschriftstein stammen von dem örtlichen
Bauleiter der Wiederherstellungsarbeiten des Aachener Münsters, Herrn
Regierungsbaumeister Erich Schmidt, dem ich für diese wie auch für
die Übersendung eines Bürstenabzugs und einer Zeichnung meinen verbind¬
lichsten Dank ausspreche. — Den gleichen Dank schulde ich Herrn Professor
Buchk reiner für die Herstellung einer guten Photographie, nach der die
obige Abbildung angefertigt wurde.
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Frühchristliches aus Aachen und Umgegend.
339
Spätzeit schuldig gemacht haben 1 ; im Anfänge der Zeilen 3
und 5, wo ein Buchstabe teilweise oder ganz fehlt, muß selbst¬
verständlich ftjitolo und [ajnus gelesen werden, und als Er¬
gänzung des Personennamens im Übergange von Z. 3 zu 4 läßt
sich Vi[b]io, Vi[rJio oder Vi[n]io denken. Die beiden erst¬
genannten Namen erscheinen recht häufig auf gallischem und
germanischem Boden als Gentilicia 2 ; die Vinii sind aus der
Literatur, zumal des 1. Jahrhunderts n. Chr., genugsam bekannt 3 .
Denkbar wäre auch, daß der Steinmetz, der annus mit einfachem
n geschrieben hat, Virius = Virrius und Vinins = Vinnius ge¬
setzt hätte, Gentiluamen, die ebenfalls bezeugt sind 4 . Von
besonderer Wichtigkeit ist die Tatsache, daß die Namen Vibius,
Virius und Vinius auch als Cognomina erscheinen 6 . Das Cog-
nomen hat sich bekanntlich von den drei Namen der alten Zeit
allein erhalten und ist der Träger der Neubildungen geworden.
Die sprachliche Form der Inschrift ist die vulgärlateinische:
sie zeigt das Schwinden der Flexionsendungen, das den Über¬
gang ins Romanische ankündigt, und die dialektisch gefärbte
Aussprache der Vokale, wie sie in der Spätzeit teils allgemein,
teils in unsern Gegenden üblich war. Eine Erscheinung der
ersten Art ist der Ausfall des schwachen Akkusativ-m in
titolo 6 ; zur letzten ist zu rechnen der Ersatz von e durch i in
ficit 1 ) von ö durch ü in anus*, von ii durch ö in titolo 9 . Das
') CIL XIII 8236 Köln, Flavierzeit: eundament[isj für fundament[is] ;
eb. 3829 Trier Flavia für Flavia; eb. 3675 Trier euttus für funus; eb. 3682
Trier eilius für filius: die drei letzten christlich.
*) Die massenhaften Vibii und Virii der Gallia Narb. s. CIL XIII p. 885.
Aus Germanien erwähne ich beispielsweise die Vibii CIL XIII 7013, 6981,
6833 (Zahlbach), 6797 (Mainz), 6241 (Worms), 7584 (Wiesbaden); die Virii
CIRh 1652 (Riegel in Baden), CIL XIII 6914 (Xanten).
3 ) Lübker, Reallexikon des klassischen Altertums 7 S. 1289.
*) Virrii: CIL XI 1438, XII 3099. — Vinnii CIL XII 1864, 2032.
5 ) Vibius: CIL XII 294, 548a; Virius: ib. 1124; Vinius: ib. 4569.
*) Von zahlreichen Beispielen besonders der christlichen Inschriften
seien nur angeführt CIL XIII 3919 (Trier) titulo posuerunt; eb. 3790 (Trier)
propler cantate trtulu fecil; eb. 8486 (Cöln) rescire meo nom.
7 ) Vgl. CIL X 4492 vixirunt; XII 975 rigna; eb. 2160 sinuit; eb. 1694
quiiscet; oft minsix.
") Zu annus = annos auf christl. Inschriften vgl. die zahlreichen Bei¬
spiele bei Kraus, Christi. Insehr. d. Rheinl. II S. 367. Andere Beispiele
CIL XII p. 955.
®) Vgl. CIL XII p. 955 (besonders häufig tumolus, tomolus = tumulus).
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22 *
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340
Joseph Klinkenberg:
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Fehlen der Doppelkonsonanz in dem Worte annus ist zumal
auf christlichen Inschriften häufig'.
Der Sprache unseres Denkmals entspricht seine mangelhafte
technische Ausführung. Die Buchstaben sind mit unsicherer
Hand mehr eingeritzt als eingehauen, die Linien mit geringer
Sorgfalt gezogen und die Zeilen ungleich gefüllt. Neben der Ver¬
wendung eines Liniensystems verraten einzelne Buchstaben deut¬
lich die Spätzeit, wie E und F mit schräg emporgerichteter oberer
Querhasta, A mit eingekuickter Mittellinie und abgestumpfter
Spitze, L in der Gestalt eines stumpfen Winkels, X in der eines
Kreuzes. Trotzdem hat sich im großen und ganzen der klassische
Charakter der Buchstaben noch erhalten: es fehlt die eckige
Form von C und 0, die unciale von V, A und E; die beiden
Hasten des L durchschneiden sich noch nicht, und die Senk¬
rechten von E und F ragen noch nicht über die Ansatzstellen
der Querstriche oben und unten hinaus; kurz, man sucht ver¬
gebens nach den Buchstabenformen, die den fränkischen In¬
schriften des 6. und 7. Jahrhunderts ihr eigenartiges Gepräge
geben*. Mit unserer Inschrift lassen sich vielmehr in paläo-
graphischer Hinsicht vergleichen: die Trierer Ursinianus- s ,
die Mainzer Florentius- 4 und wohl am meisten die Cölner
Veresemus-Inschrift 5 . Obwohl daher die Zeit, der unsere In¬
schrift angehört, sich nicht mit mathematischer Sicherheit be¬
stimmen läßt, so werden wir doch nicht fehlgehen, wenn wir
sie aus sprachlichen und paläographischen Rücksichten dem
5. Jahrhundert zuweisen.
Für diesen Ansatz sprechen auch die beiden Personennamen,
die auf ihr Vorkommen: Vater und Sohn führen nur einen
Namen, aber dieser trägt noch die Spuren klassischer Prägung
an sich. Über den Namen des Vaters ist oben das Erforder¬
liche gesagt worden. Was den des Sohnes angeht, so vermag
*) CIL XII p. 953.
*) Eine charakteristisch frÄnkische Inschrift ohne Christus-Monogramm
bringt Kraus a. a. 0. I nr. 29 (abgebildet Taf. III 3) = CIL XIII 6256.
*) Abgebildet Kraus a. a. 0. Taf. VII 2 und Hettner, 111. Führer
durch das Prov.-Museum in Trier, 1903, S. 43 Nr. 67.
4 ) Abgebildet Korber, Inschriften des Mainzer Museums, 1900, S. 133
Nr. 222.
5 ) Abgebildet Klinkenberg, Die römisch-christlichen Grabinschriften
Kölns: Progr. Köln, Marz.-Gymn., 1891, Taf. Nr. 7.
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Frühchristliches aus Aachen und Umgegend.
341
ich weder Helacius nachzuweisen noch sein Stammwort Helacus,
von dem es nach Art eines Gentilnamens gebildet ist. Man
möchte fast glauben, es wirke hier die seit dem Ende des
2. Jahrhunderts in Gallien und Germanien aufkommende Sitte
nach, den Gentilnamen des Sohnes aus dem Cognomen des Vaters
zu bilden', was für diesen als Vollnamen Vi[.]ius Helacus vor¬
aussetzen würde. Der Name Helacus führt uns ohne weiteres
auf keltisches Sprachgebiet, wo, wie Ortsnamen, so auch Per¬
sonennamen mit dem Suffix -äc abgeleitet sehr bekannt sind 2 .
Findet sich auch der Name Helacus in dem uns vorliegenden
inschriftlichen Material nicht, so erscheint doch seine lateinische
Schwesterform Helanus oder Eianus 3 . Beide Ableitungen führen
auf die Grundform Helus, die selbst nicht nachweisbar ist, aber
dem Gentilnamen Helius zu Grunde liegt. Letzterer ist auf
keltischem Boden selten alsGentile 4 , viel häufiger als Cognomen 6 ,
wo er gelegentlich die Form Helis annimmt 6 .
Obwohl unsere Inschrift jedes Abzeichens (wie Christus¬
monogramm, Taube u. a.) und jeder Wendung (wie fidelis, in
pace, in Christo, in Deo suo u. s. w.) entbehrt, die sie unmittel¬
bar als christlich charakterisieren würden, so sind wir doch
berechtigt, sie den frühchristlichen Grabdenkmälern einzureihen.
Gehört sie doch einer Zeit an, wo das Heidentum aus der Öffent¬
lichkeit zurückgedrängt und das Christentum zur herrschenden
Religion geworden war. Dem entspricht das Fehlen jeglicher
Erinnerung an das Heidentum und die Verwendung des Wortes
') Vgl. über diese Sitte auf den römischen Grabdenkmälern Cölns
Klinkenberg, Bonner Jahrb. 108/9 S. 128 f., 133, 147.
*) Vgl. Holder, Altkelt. Sprachschatz I S. 22. Weniger häufig sind
dagegen die von ihnen abgeleiteten Geutilicia auf -acius. Der älteste und
bekannteste Name dieser Art dürfte Volcacius sein (vgl. Liibker, Real¬
lexikon * S. 1117 f.). Inschriftlich kommt Volkacius Ihoscurus vor (CIL XII
3508). Außerdem sind mir auf Inschriften begegnet D. Sintacius Temporinus
(CIL XII 6034a), Toyiacius Phileros und Toyiacia Erucina (ib. 8960 und
3217), T. Vindacius Arius (CIL XIII 10021,t») und Aturiacins Primulus
(ib. 4031).
a ) Helanus: Vita Tresani 1 in den Acta SS. 7. Febr. II p. 53 sq. —
Eianus: CIL II 2726, 5716, 5819. — 4 ) P. Helius Facilis CIL XII 5691,5.
s ) CIL XII 3534, 3893, 5682,V 1084, 1921, 2383, 6865, 6785.
Selbstverständlich ist von dem Namen Helius der keltischen Gegenden der¬
selbe Name auf griechischem Boden wohl zu unterscheiden.
•) CIL XII 2839, 3293.
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342
Joseph Klinkenberg
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titulus für „Grabstein“, die fast ausschließlich auf christlichen
Inschriften l , hier aber in einzelnen Gegenden ungemein häutig
vorkommt. Auf dein Boden des Christentums hat bekanntlich
dieses Wort seine reiche Bedeutungsentwickelung erfahren, von
deren Anfängen bereits der Liber pontificalis Zeugnis ablegt 2 .
Übrigens fehlt es in den Rheinlanden nicht an frühchristlichen
Grabinschriften, die gleich der uuserigen unzweideutiger Merk¬
male entbehren. Ich erwähne beispielshalber die Cölner Via¬
torinus- und Veresemus- 8 , die Trierer Hariulfus- \ die Mainzer
Florentius- 5 und die Wormser Unfachlas-Insehrift 6 , die Fund¬
ort und Stil als christlich erweisen.
Ist aber die Helacius-Inschrift christlich, dann kommt ihr
eine ganz besondere Bedeutung zu. Bis zur jüngsten Jahr¬
hundertwende war im Rhein- und Maasgebiet nördlich von Cöln,
der Eifel und den Ardennen kein einziges frühchristliches Stein¬
denkmal bekannt. Da kam 1901 die erste altchristliche Grab¬
inschrift in Maastricht zu Tage, jener Stadt, wo der Bischof
von Tongern Aravatius, fälschlich Servatius genannt, kurz vor
Attilas Zug nach Gallien starb, und wo seine Nachfolger dauernd
ihren Sitz aufschlugen, seitdem Monulfus, der elfte Nachfolger
des Aravatius, daselbst eine große Basilika zu seiner Ehre er¬
baut hatte. Bezeichnend für den Übergang der Vorrangstellung
von Tongern auf Maastricht ist die Tatsache, daß der Tongerer
Bischof kirchliche Aktenstücke schon 535 als episcopus ecclesioe
Tongrorum, qnod et Traiecto unterschreibt, und daß er (514 unter
Verzicht auf den alten Namen ex civitate Traiecto heißt 7 . Bei
Gelegenheit von Wiederherstellungsarbeiten an der erwähnten
Servatiuskirche, deren gegenwärtiger Bau dem 11. Jahrhundert
angehört, fanden sich zwei Grabinschriften, die eine unten in
einem Pfeiler am Eingänge der Vorhalle, die andere unten an
der Treppe zu den Türmen eingemauert. Sie stammen offenbar
') Auf einer mit D M bczeichneten Grabinschrift steht es CIL X 30ln.
*) Kraus, Real-Encyklop. der christl. Altertümer II S. 869. — Wetzer-
Welte, Kirchenlexikon a XI Sp. 1788 ff.
•) CIL XIII 8274 und 8484, beide gefunden auf dem frühchristlichen
Friedhofe bei St. Gereon. — 4 ) CIL XIII 3682, gefunden in Trier, St. Matthias.
5 ) CIL XIII 7207. - rt ) CIL XIII 6260.
7 ) Vgl. die Bischofsliste von Tongern Mon. Qcrin. SS. XII p. 126 und
die Einleitung zur Vita Servatii vel potius Aravatii Mon. Germ. SS. rer.
Mcrov. III p. 83.
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Frühchristliches aus Aachen und Umgegend.
343
von dem Friedhöfe bei der Kirche her, und die erste ist sicher,
die zweite, nur bruchstückweise erhaltene, wahrscheinlich christ¬
lich 1 . Die erste lautet:
ic pausat | Amabeles | in Cristo | qi vixit
an | Hl m VI d XII
Christliche Abzeichen fehlen. Über die zweite muß ich
mir das Urteil Vorbehalten, bis ich genauere Erkundigungen
eingezogen habe.
Jetzt tritt neben Maastricht, das schon aus der Literatur
als bedeutsamer Sitz des Frühchristentums bekannt war, auch
Aachen in die Reihe der Orte des Maasgebietes ein, an denen
bereits um die Wende von Altertum und Mittelalter das Be¬
stehen einer christlichen Gemeinde urkundlich bezeugt ist. Denn
daß unser Grabstein tatsächlich Aachen angehört, dafür legt er
selbst beredtes Zeugnis ab: in unmittelbarer Nähe von Aachen
gebrochen, ist er dorthin geschafft worden, um als Architektur¬
stück an einem römischen Bau, vielleicht einer Thermenanlage,
zu dienen, und seine Verwendung als Grabstein und als Werk¬
stein in karolingischem und gotischem Mauerwerk läßt sich nur
daraus erklären, daß er für diese Zwecke ohne weiteres zur
Hand war. Die Annahme liegt nahe, den Standort unseres
Grabsteins nicht weit von dem Orte seiner Auffindung zu suchen.
Dafür spricht die Tatsache, daß die Hauptbegräbnisplätze der
alten Christen sich an Kirchen anzuschließen pflegten, in Trier
an St. Matthias, St. Paulin und St. Maximin, in Metz an die
Clemenskirche im Amphitheater, in Mainz an St. Alban, in Cöln
an die Märtyrerkirchen der Thebäer (St. Gereon) und der hl.
Jungfrauen (St. Ursula), in Maastricht, wie die Funde wahr¬
scheinlich machen, an St. Servatius. Nun ist uns zwar die
Stelle des ältesten Gotteshauses in Aachen durch keine Urkunde
bezeugt. Wenn wir aber bedenken, daß Karls des Großen
Pfalzkapelle seit ihrer Gründung bis zum Anfänge des 19. Jahr¬
hunderts die eigentliche Tauf- und Pfarrkirche der Stadt ge¬
wesen ist, und daß ihre Vorgängerin, deren Dasein feststeht,
da Pipin und Karl vor der Erbauung der Pfalzkapelle die
') CIL XIII 3617, 3616. Die FundumstRnde stimmen auffallend mit
denen der Ursula-Inschrift in Cöln überein. Vgl. CIL XIII 8485; Westd.
Zeitschr. Korr.-Bl. XII (1893) Sp. 135.
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Joseph Klinkenborg
höchsten Kirchenfeste in Aachen gefeiert haben keine Spur
ihres Daseins in der Überlieferung hinterlassen hat, so werden
wir zu der Annahme gedrängt, daß das Münster die Stelle der
ältesten Pfarrkirche einnimmt 2 . Einstweilen läßt sich über diesen
Punkt nicht mehr sagen. Wenn aber erst eine wissenschaft¬
liche Bearbeitung der Ausgrabungen im Münster und seiner
Umgebung vorliegt, dann steht zu erwarten, daß auch auf diese
Frage neues Licht fällt. Insbesondere verlangen wir zu wissen,
was von der Annahme eines römischen Bades oder altchrist¬
lichen Baptisteriums unter der Ungarischen Kapelle zu halten
ist 3 , welche Schlüsse sich aus dem Vorhandensein zweier Skelett¬
gräber unter dem Oktogon ziehen lassen, und ob die in der
Nordostecke des Domhofes entdeckten Grabstätten christliche
Gräber der Merowingerzeit sind 4 . Sehr wertvoll wäre es auch
für die Lösung der vorliegenden Frage festzustellen, ob das
1894 bei Aufdeckung des Hypokaustums an der Nordseite des
Münsters gefundene Fragment der Rest einer frühchristlichen
Grabinschrift ist. Nach Zangemeisters Abschrift hat es folgen¬
den Wortlaut 5 :
> TE ■_ /
l^V M
INQIV
III
Die Liniierung und die wahrscheinliche Verwendung des
Wortes titulus in vulgärlateinischer Form lassen mich auf früh¬
christlichen Ursprung schließen, an deu auch schon von anderer
Seite gedacht worden ist 6 . Wäre es der Fall, so würden wir
') Vgl. Böhmer-MUhlbacher, Reg. imp. I Nr. 99a (765), 99b
(766), 127e (768).
*) Mit Recht hervorgehoben von R. Pick, Aus Aachens Vergangenheit,
Aachen 1895, in der wertvollen Abhandlung: „Die kirchlichen Zustände
Aachens in vorkarolingischer Zeit“, S. 1—20. Die hier wiederholt aus¬
gesprochene Ansicht, daß sich auf dem Markthügel ein römisches Kastell
befunden habe, läßt sich heutzutage nicht mehr aufrecht halten.
3 ) Pick a. a. 0. S. 13 f. Übrigens liegt unter dem Cölner Dom kein
römisches Bad, sondern eine AuslalJstelle der Wasserleitung. Vgl. Klinken¬
berg, Das römische Köln (('leinen, Kunstdenkmäler der Rheinprovinz VI 2)
S. 217. — <) Pick a. a. 0. S. 14.
5 ) (4L XIII 7843; unvollständig veröffentlicht von Adenaw ZdAOV 20,
S. 187. — ®) Vgl. Adenaw a. a. 0.
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Frühchristliches aus Aachen und Umgegend.
345
damit einen Grund mehr für die Annahme gewinnen, daß sich
die älteste Taufkirche und Begräbnisstätte an der Stelle des
Münsters befunden habe, zumal wenn es sich herausstellen sollte,
daß der Stein an seinem ursprünglichen Platze gefunden wurde.
Allein einstweilen sind weitere Feststellungen unmöglich, weil
der Aufbewahrungsort des Steines unbekannt ist; im städtischen
Museum, wo er sich angeblich befinden soll, ist er nie gewesen 1 .
Müssen wir somit die endgültige Lösung der Frage, wo
sich die älteste Taufkirche und Begräbnisstätte des christlichen
Aachens befunden habe, auf die Zukunft verschieben, so können
wir schon jetzt • ine andere grundlegende Frage in bezug auf
die Anfänge des Christentums im Maasgebiet mit voller Be¬
stimmtheit beantworten. Die Helacius-Inschrift hat eine ziem¬
lich ungewöhnliche Form. Während in der Regel die Grab¬
inschriften, heidnische wie christliche, mit dem Namen und
Alter des Bestatteten anheben und am Schlüsse die Angabe
über den Stifter des Grabes enthalten, wenn diese überhaupt
vorhanden ist, findet sich hier umgekehrt der Name des Stifters
vorangestellt, und der Name des Bestatteten folgt mit der An¬
gabe seines Lebensalters nach. Christliche Grabinschriften dieser
Form kommen schon im 3. Jahrhundert in Rom vor. So bei
J. B. de Rossi, Inscript. Christ, urbis Romae I 16. 10 (S.
C'allisto a. 268 p. dir.): Pasto[r et Tjiftjiana et Marciana et
Chr[e]st[e Mar]Hauo ßlio benemerenti [in] (Christo) d(omi)no
fec[eru]n[t], qui vixit anuus XII, m(enses) II et d[ies . . .] . —
Ebenda I 18, 11 (S. Maria in Trastevere a. 269 p. dir.): xtoaouXs
KXuoe’.o) £0 llaxspvii) vmvs:? Noßevßpetßou? Seie Bsvsps; Xoova
XXIIII, Aeoxec -fEAZ’.e -sjj^ps xapeoaspe zotjets e 5 ete7iE'.peiT(rt
aavxxa) TO’jio poptoua avvmpwp VL so prjawpwv XI osupiov X =
consule Claudio et Paterno nonis Novembribus die Veneris luna
XXIIII Lucius ßliae Severae curissimue posuit et spiritui sancto
tuo. Mortua annorum VL et mensium XI dierum X. — CIL VI
32943: Murcella Martino coiugi bene merenti fecit . . . in prima
Minerbes mil. unn. V.
Andere finden sich in Norditalien: CIL V 1086 (Aquileja):
Maximus et Maselinia Maxentiae ßliae animae innocenti titulu(m)
posuerunt, qui vixit ... — ib. 6214 (Mailand) m(e)m(oria).
Discolia Leucadio coniugi, qui vixit annos sexaff int a et dies duo-
’) Freundliche Mitteilung des Hrn. Museumsdirektors Dr. Schweitzer.
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346
Joseph Klinkunberg
decem benemerenti, cum qno vixit ... — CIL III 10232 (Sirmione):
[ego Aurjeliu Aminia pofmi] titulum viro meo [Fjl(uvio) Sando
ex n(umero) Jov(ianorum) pr(o)tec(tori), benemeritus qui vixit . . .
CIL V 88 (Pola; jüdisch): Aur(elius) Soter et Aur(elim) Stephanus
Aur(eliae) Soteriae matri pientissimae religioni(s) indeicae metuenti
f(ilii) p(osuerunt).
Vergebens habe ich nach solchen christlichen Grabinschriften
in Aquitanien, Gallia Narbonensis und Lugdunensis gesucht.
Dagegen erscheinen sie wieder im Moselgebiet: CIL XIII 3889
(Trier): Sedatus et Paulina patres dulcissimae filiae Dunamiolae
titulum posuerunt, qnae vixit ... — ib. 3906 (Trier): Ursa mater
posuit titulum pro caritate. Hic Jidelis Simplicia pausat in pace.
Victorina hic pausat , qui vixit annos L . — ib. 3838 (Trier):
Titulum posuit Geronius carissime coiugi Sanctule, qui vixit . . .
— ib. 7645 (Gondorf): Hoc tetolo fecet Montana conitix sua
Mauricio, qui visit con elo annus dodece et portavit annus quar-
ranta. — Anscheinend gehört auch hierher ib. 7643 (Gondorf):
ego Faustic . . . vivo titul . . . annoruin .... dimisin . . . .
Aleßus . Ruf .
Besonders merkwürdig ist die Tatsache, daß sich unter
den zahlreichen frühchristlichen Inschriften am Rhein nur eine
einzige von dieser Art gefunden hat. Aber auch sie geht am
Schlüsse in die andere Form über. Mainzer Zeitschr. III S. 9
(Mainz): Crispinus posuit titulum dulcissime coiugi suae Maure,
qui .. qui vixit . Hunc titulum posuit coiugi suae
Maurae in XPO IHV.
Wenn nun plötzlich eine Grabinschrift dieser ungewöhn¬
lichen Form in Aachen auftaucht, so läßt sich das füglich nur
aus dem Einflüsse erklären, den Trier als bedeutendster Stütz¬
punkt des Christentums im nördlichen Gallien auf das Maas¬
gebiet ausgeübt hat. Dafür spricht auch das Wort titulus, das
nicht bloß auf der Helacius-Inschrift, sondern wahrscheinlich
auch auf dem Fragment vom Katschhofe stellt. Seine Ver¬
wendung ist für die Trierer Inschriften geradezu charakteristisch,
während es sonst fast nur in dem von Trier beeinflußten Mosel¬
und Mittelrheingebiet vorkommt, wie in Gondorf 1 , Mainz 2 und
Worms 3 . Unter den Cölner Inschriften ist nur eine einzige,
') CIL XIII 7045. — J ) ib. 7201, 7202, 7204, 7206, 7200.
s ) ib. 6257, 6258, 6260.
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Frühchristliches aus Aachen und Umgegend.
347
nicht, im Original erhaltene, die das Wort aufweistNoch auf¬
fallender vielleicht ist die Beziehung der Maastrichter Inschrift
zu Trier. Während nämlich die Einleitung der frühchristlichen
Grabinschriften in der Kegel durch eine der Formeln hic iacet
(iacit), quiescit, requiescit u. a. gebildet wird, lautet sie hier: ic
pausat, ein Ausdruck, der aus Südgallien stammt* und in Trier
eine sehr ansehnliche Verbreitung gefunden hat 3 . Außerhalb
Triers habe ich ihn nur einmal in Worms feststellen können 4 ;
auf den Mainzer und Cölner Inschriften kommt er gar nicht vor.
Es läßt sich nicht bestreiten: die Aachener und Maastrichter
frühchristlichen Inschriften tragen ein ausgesprochenes Trierer
Gepräge und unterscheiden sich wesentlich von den Inschriften
des andern Mittelpunktes der Christianisierung Rheinlands, von
denen Cölns. Das Christentum ist also — so dürfen wir an¬
nehmen — dem Maasgebiet von Trier, nicht von Cöln aus zu-
gekommen Und das ist auch ganz natürlich. Denn das Tung-
rerland, um das es sich hier handelt, grenzte einschließlich der
zugehörigen Gaue, des pagus Condrustis (Condroz) und des
pagus Vellaus, im Süden und Osten unmittelbar an das Treverer-
land s , und, was vor allem hier in die Wagschale fällt, das
Christentum ist in Trier früher und weit durchgreifender zu
einer wirkenden Kulturmacht geworden als in Cöln. Die ältere,
glaubwürdige Rezension der Trierer Bisehofsliste 6 führt als die
ersten Bischöfe Eucharius, Valerius und Maternus auf und läßt
ihnen unmittelbar Agroecius (Agricius) folgen, dessen Anwesen¬
heit auf dem Konzil zu Arles 314 feststeht. Somit fiele der
Anfang des Trierer Episkopates um die Mitte des 3. Jahr¬
hunderts oder etwas später, und dazu paßt vortrefflich, daß
uns um die nämliche Zeit schon eine Christin aus Trier mit
Namen Domitia durch ihren Grabstein in Bordeaux bezeugt ist 7 .
Derselbe Maternus, der in der Trierer Bischofsliste die dritte
Stelle einnimmt, steht an der Spitze der Cölner Liste 8 ; als
') Klinkenberg, Die römischen Grabdenkmäler Kölns Nr. 142 =
Honner Jahrbücher 108/9 S. 157. — a ) Gib XII 483, 673, 965, 1739, 2111.
3 ) Vgl. CIL XIII 3690, 3696, 3837, 3838, 3859, 3877. 3881, 3887, 3900,
3906 u. a. — 4 ) ib. 6256. — 5 ) CIL XIII i, * p. 574.
*) Mou. Germ. SS. XIII p. 298 sq.
’l CIL XI ll 633: I/tr iacet exauimeii curpitn Domitiae rief ix) Trtverae
tief(unctae.) V k(alendats) fe/>r(iiariasj Postumo cux(ulej = 258 n. Chr. Geb.
*) Mon. Germ. SS. XIII p. 284 sq.
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348
Joseph Klinkenberg
Bischof von Cöln beruft ihn Konstantin mit noch zwei andern
gallischen und fünfzehn italienischen Bischöfen 313 nach Rom,
um den Donatistenstreit zu entscheiden, die erste kirchliche
Angelegenheit, deren der Kaiser sich ....nimmt. Wie immer die
Verpflanzung des Maternus vom Trierer auf den Cölner Stuhl
zu erklären sein mag 1 , es liegt kein Grund vor, an der Tat¬
sache als solcher zu zweifeln, und sie liefert den Beweis dafür,
daß Cöln erst in Konstantins Zeit und wahrscheinlich auf dessen
Veranlassung zu einem neuen Mittelpunkte des Christentums in
den Rheinlanden neben dem altern Trier geworden ist. Aber
Cöln hat Trier an Bedeutung doch nie erreicht: Kraus’ Christ¬
liche Inschriften der Rheinlande enthalten neben 181 trierischen
nur 17 cölnische. Maternus wird auch als erster Bischof von
Tongern genannt, keinesfalls in dem Sinne, wie er im Anfänge
seines Episkopates in Trier, später in Cöln als Bischof erscheint.
Es soll vielmehr damit nur gesagt sein, daß Maternus seine
apostolische Tätigkeit auch auf das Tungrerland ausgedehnt
und dabei solche Erfolge erzielt habe, daß noch zu seinen Leb¬
zeiten oder wenigstens kurz nach seinem Tode hier ein eigenes
Bistum entstehen konnte. Der Tongerer Bischofskatalog*, der
allerdings sehr der Interpolation verdächtig ist, nennt als zehnten
Bischof jenen Servatius oder Servatio, dessen Teilnahme an den
Konzilien von Sardica 343 und von Ariminum 359 feststeht 3 .
Aus allem geht hervor, daß Trier in der konstantinischen Zeit
der Brennpunkt des Christentums in den Rheinlanden gewesen
ist und daß Tongern wie Cöln als Ausstrahlungen desselben
anzusehen sind: in der hehren Gestalt des hl. Maternus ver¬
körpert sich diese geschichtliche Tatsache. Wie lebendig sich
das Andenken an die innige Beziehung der Tongerer zur Trierer
Kirche erhalten hat, geht auch daraus hervor, daß man im
10. Jahrhundert, als Maternus zum Apostelschüler gemacht
und in das 1. Jahrhundert zurückverlegt werden sollte, zur
') M. E. hat Konstantin den Mann seines Vertrauens, Maternus, dessen
Tüchtigkeit er von Trier her kannte, mit der Aufgabe betraut, der Leiter
der Kirche iu der von ihm bevorzugten Stadt Cöln (Rheinbrücke!) zu
werden.
’) Mon. Germ. SS. XII p. 128.
’) Mon. Germ. SS. rer. Mcrov. 111 p. 83 sq. A u g. Prost, Saint
Servais: Mfunoiros de la socit'td des antiquaires de France ;>0 (1889)
p. 183 sq.
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Frühchristliches aus Aachen und Umgegend.
340
Ausfüllung der Lücke in der Trierer Bischofsliste die Tongerer
Bischöfe verwandt hat'.
Auch die Aachener altchristlichen Grabinschriften — so
haben wir gesehen — zeigen eine nähere Verwandtschaft mit
den trierischen als mit den cölnischen. Hier ist jedoch schwer¬
lich au einen unmittelbaren Einfluß Triers zu denken; vielmehr
ist anzunehmen, daß das Christentum nach Aachen über Tongern
gekommen ist. Spricht dafür schon die Nähe und gute Ver¬
bindung der beiden Orte vermittels der in Coriovalluin (Heerlen)
in die Hauptlinie Colonia Agrippinensis—Atuatuca einmündenden
Nebeustraße*, so wird die Wahrscheinlichkeit zur Gewißheit
angesichts der geschichtlichen Tatsache, daß Aachen bis 1801
in kirchlicher Beziehung zu Lüttich gehört hat, wohin Bischof
Hugbert (709—727) den Sitz des alten Bistums Tongern-Maas¬
tricht verlegte 3 . Freilich hat es nicht an Vertretern der Ansicht
gefehlt, daß Aachen vor dem 10. Jahrhundert, dem Zeitalter,
seit welchem seine Zugehörigkeit zum Lütticher Sprengel über
jeden Zweifel erhaben ist, also in der karolingischen oder noch
früherer Zeit, dem Erzbistum Cöln angegliedert gewesen sei 4 .
Wenn sie sich aber dabei auf die Königswahlberichte berufen,
die Aachen als zur dioecesis Coloniensis gehörig bezeichnen, so
beachten sie nicht, daß dioecesis hier die Kirchenprovinz be¬
deutet, während das Bistum nach damaligem Sprachgebrauch,
wie er besonders im Rheinlande herrschte, mit parochia be¬
zeichnet wurde. Auch das Krönungsrecht, das tatsächlich dem
Metropoliten oder gar nur dem Primaten zustand, spricht dafür.
Vor allem aber ist ein stichhaltiger Grund dafür, daß Aachen
aus der Cölner Erzdiözese ausgeschieden und an Lüttich über¬
gegangen sein sollte, weder überliefert noch einzusehen. Es
muß daher an der ursprünglichen Zugehörigkeit Aachens zur
') Zu den Anfängen der Trierer, Cölner und Tongerer Kirche vgl.
besonders Duchesue, Memoire sur l’origine des diocöses episcopaux dans
l’ancienne Gaule: Memoires de lu societß des antiquaires de France 50 (1889)
p. 337 sq. — Hauek, Kirchengeschichte Deutschlands I* S. 5 ff. — Har-
nack, Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahr¬
hunderten II 2 S. 222 ff.
*) Vgl. F. Cr am er a. a. 0. S. 92.
*) Erläuterungen zum Geschichtl. Atlas der Rheinprovinz V 1
S. 348.
4 ) Erläuterungen zum Gesell. Atl. d. Rheinpr. V 1 S. 368 A. 2.
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350 .Tos. Klinkenberg: Frühchristliches aus Aachen und Umgegend.
Diözese Lüttich festgehalten werden \ eine Tatsache, die mit
den erschlossenen uralten Beziehungen Aachens zu Tongern-
Maastricht im schönsten Einklang steht.
So ist die Aachener Helacius-Inschrift ein Denkmal von
mehr als gewöhnlicher Bedeutung. Für Aachen bildet sie neben
dem merowingischen Friedhof am Königshügel ein wertvolles
Zwischenglied zur Ausfüllung der großen Lücke, die zwischen
seinen geschichtlichen Erinnerungen aus römischer und denen
aus karolingischer Zeit klafft: Aachen hat sich durch die
Stürme der Völkerwanderung hinübergerettet in das Zeitalter
der Karolinger, deren größter ihm seine glanzvolle Stellung als
Kaiserstadt vermitteln sollte. Noch wertvoller ist die Helacius-
Inschrift für die Aufhellung der Urgeschichte des Christentums
im Maasgebiet. Der christliche Glaube — darauf weist sie
neben andern Inschriften hin — hat von Trier her seinen Ein¬
zug in dieses Land gehalten; Aachen insbesondere ist er von
Tongern-Maastricht zugekommen, und das kirchliche Band, das
etwa im 4. Jahrhundert geschlungen worden ist, hat sich bis
zum Anfänge des 19. erhalten! Wie aber das Tungrerland zur
Zeit seiner Christianisierung einen Teil der Provinz Germania
secunda bildete, so ist es auch dem Metropoliten dieser Kirchen¬
provinz, dem Cölner Erzbischof, bis an die Schwelle des vorigen
Jahrhunderts unterstellt geblieben. Sollte es angesichts dieser
Tatsachen vermessen sein, die Vermutung auszusprechen, daß
das römische Aachen zum Tungrerland gehört hat, und daß der
Wurmbach, die alte Grenze der Lütticher Diözese gegen die
Cölner, dereinst die Grenze des Tungrerlandes gegen das Ubier¬
land gewesen ist?
') Obige Ausführungen verdanke ich Herrn Geh. Justizrat Professor
Stutz in Bonn, der die in ihnen enthaltene Grundanschauung bereits in
seinem Werke Der Erzbischof von Mainz und die deutsche Königswahl,
Weimar 1910, S. 25 A. 1 vertreten und sie neuerdings in einem Briefe an
mich noch weit bestimmter entwickelt und begründet hat. Für seine liebens¬
würdige Auskunft spreche ich ihm auch an dieser Stelle den herzlichsten
Dank aus.
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Zur Geschichte der Stadt Heinsberg.
Von Ludwig Schmitz.
Die heutige Kreis- und Gerichtsstadt Heinsberg war mit
ihrer weiteren Umgebung ursprünglich von Kelten besiedelt.
Das Besiedelungsgebiet reichte nach Osten zu bis an die in
der Nähe von Heinsberg vorbeifließende Wurm. Die Kelten
haben später germanischen Volksstämmen weichen müssen. Die
Germanen wurden durch den von Caesar im Jahre 57 v. Chr.
nach Theodor Bergh und General von Veith 1 bei Tüddern und
Gangelt erfochtenen Sieg verdrängt. Der römischen Herrschaft
machten die Franken ein Fnde. Die im Jahre 1653 erfolgte
Auffindung des Grabes des in Tongern beigesetzten Franken¬
königs Childerich gab Anlaß zu eingehenden Forschungen über
die Begründung des Frankenreichs. Der gelehrte Jesuit Bücher
gab in einer 1655 zu Lüttich erschienenen Schritt der Vermutung
Raum, daß die Krönungsstadt des ersten Frankenkönigs Phara-
mundus in Heinsberg zu suchen sei. Nach ihm hätte Pharamundus
von 417 bis zu seinem Todesjahre 427 auch in Heinsberg seinen
Sitz gehabt. Der dort geborene Kanonikus Petrus Streithagen
suchte in seinem bald darauf veröffentlichten Werke „Heins-
bergum, vetus Hespargum, alias Dispargum“ jene Vermutung
unter Berufung auf den fränkischen Chronisten Gregor von Tours
als unanfechtbare Gewißheit hinzustellen. Eine genauere Prü¬
fung der Chronik Gregors läßt indes diese Meinung als ganz
unhaltbar erkennen. Das tut jedoch der Gesamtbedeutung Heins¬
bergs keinen Eintrag.
Die ersten Dynasten des Heinsberger Landes hatten,
wie urkundlich feststeht, etwa um das Jahr 1000 auf dem kugel¬
artigen stumpfen Berge am Roertaleingange, noch heute „Burg¬
berg“ genannt, ihren befestigten Sitz 2 . Die folgenden Jahr-
’) Pick, Monatsschrift 6, 1 bis 23.
*) Vgl. Mon. Germ. SS. t. XVI p. 688; Ledebur, Dynastische For¬
schungen 1, 14.
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352
Ludwig Schmitz
hunderte hindurch haben sie von hier aus ihr Herrschaftsgebiet
ständig erweitert. Vom Burgberg aus bot sich ein bis zur Maas
bei Roermond reichender Überblick über die Roertalniederung.
Bereits 1150 war Heinsberg mit Burgmauern umgeben. In der
um den Berg sich hinziehenden Stadt begegnet uns schon in
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein blühendes Gemein¬
wesen. Im Pfarrarchiv beruhende Urkunden aus 1349, 1351,
1383 erwähnen heute noch bestehende Straßen, darunter die
Hochstraße, die Myen- (Marien-) Gasse und den „Pley“, einen
Platz seitwärts des Mühlenbaches. Die damals gleichfalls schon
bestehende Webergasse, im Jahre 1914 — also nach fast sechs¬
hundertjährigem Bestehen — törichterweise in Weberstraße
umgetauft, läßt darauf schließen, daß die Weberei zu der Zeit
in Heinsberg einen Gewerbezweig von einer gewissen Bedeutung
gebildet haben muß. Im Jahre 1420 trat Heinsberg dem von
Aachen angeregten Bund der Städte bei, die sich zu wechsel¬
seitigem Schutz aneinandergeschlossen hatten.
Die Dynasten von Heinsberg, 14 an der Zahl,sind fort¬
gesetzt in Kriege und Fehden verwickelt gewesen. Auf einige
derselben möge kurz eingegangen werden. Bereits bei Goswin I.
tritt eine gewisse Machtentfaltung hervor. Fr wurde vom Kaiser
Heinrich IV. am 25. Mai 1085 beauftragt, den von ihm für
St. Trond bestätigten, vom Lütticher Bischof jedoch bekämpften
Abt in sein Amt einzusetzen. Das verwickelte Goswin in einen
blutigen Kampf mit Lüttich. Im Jahre 1144 focht Goswin II.
mit Heinrich von Limburg um die zu Heinsberg gehörigen
Herrschaften Gangelt und Richterich. In diesen Kämpfen wurde
das Heinsberger Schloß zerstört und niedergebrannt. Die kleine
Aachener Chronik sagt: Heinesbenjh captum et combustwn. Gott¬
fried I. trat der am 27. März 1188 zu Mainz gebildeten Liga
bei, welche den Sarazenen das heilige Land entreißen sollte.
Am Georgstage 1189 traf er mit seinen Mannen und mit noch
66 anderen Fürsten vor Regensburg ein, um unter Führung des
Kaisers Rotbart an dessen Kreuzzuge teilzunehmen. Im An¬
fang des 13. Jahrhunderts lag Gottfried von Heinsberg mit dem
Aachener Münsterstift in Fehde wegen der von ihm bean¬
spruchten Schirmvogtei über Erkelenz. Heinrich von Heinsberg
und dessen Broiler Simon begleiteten den Kaiser Friedrich II.
auf seinen Zügen nach Italien. Simon wurde in Sizilien durch
einen Pfeilschuß getötet. Im Jahre 1288 begegnen wir den
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Zur Geschichte der Stadt Heinsberg.
353
Heinsbergern in der Schlacht von Worringen. Im Jahre 1389
erhob Gottfried III. von Heinsberg Anspruch auf die Grafschaft
Loos. Das Fürstbistum Lüttich trat diesem Anspruch mit
Waffengewalt entgegen. Das gab Johann I. Anlaß zu einem
kriegerischen Einfall in Lütticher Gebiet. Hierbei wurde eine
größere Zahl Lütticher gefangengenommen. Das führte zwischen
Lüttich und der in Mitleidenschaft gezogenen Stadt Maastricht
zu einem Schutzbündnis. Deren Mannen, verstärkt durch die
aus der Grafschaft Loos, fielen in Heinsberger Gebiet ein und
schritten zur Belagerung der Feste Heinsberg. Die Belagerer
mußten jedoch nach schweren Verlusten unverrichteter Dinge
wieder abziehen. Nach einem Lütticher Chronisten hatten sie
mehr als 100 Tote.
Wiederholt hat sich die Machtstellung der Herren von
Heinsberg auch der Stadt Aachen gegenüber zur Geltung ge¬
bracht. Johann I., der Streitbare genannt, machte im Mai 1428
auf Kreuztag „mit viel Volk“ einen Einfall in Aachen. Hier
drangen die Heinsberger mit Gewalt in das Münster. Den
Kanonikus, der im Begriffe war, das Hochamt zu lesen, mi߬
handelten sie schwer. Nach einer Bewirtung in dem Haus „zu
dehr Mausz“ zogeu sie wieder ihres Weges. Im Jahre darauf
tobte in Aachen ein Streit zwischen dem alten und dem auf
die Zünfte sich stützenden neuen Rat. Von ersterem zu Hülfe
gerufen, rückten die Heinsberger in der Nacht vom 1. zum
2. Oktober 1429, „1600 wohlgemunttierter reutter, durch die
Ponttpfortzen ein, sprengten in vollem Rennen auf den Markt,
machten die dort stehende Wache nieder und setzten den alten
Rat wieder ein . . . Nach Erhalt des verheißenen Soldes von
10000 rheinischen Gulden ritten sie am 8. Tage wieder davon“ *.
Bei den Kaiserkrönungen in Aachen pflegten die Dynasten von
Heinsberg nicht zu fehlen.
Die Stärke Heinsbergs als Festung lag vorab in
ihrer Eigenschaft als Wasserfeste. Nach Osten, Norden und
Nordwesten wurde dieselbe von schwer zugänglichen Sumpf-
geländen und ausgedehnten Wasserteichen umschlossen. Nach
der Feldseite zu, also an dor Westseite, die bei Angriffen be¬
sonders gefährdet war, wurden schon früh wirksamen Schutz
') Vgl. Meyer, Aachensehe Geschichten
Hagen, Geschichte Achen» S. 559.
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S. 375. — Loersch bei
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Ludwig Schmitz
bietende Bollwerke erbaut. Die ursprüngliche Feste beschränkte
sich auf den von Ringmauern umgebenen „Burgberg“. Der dort
errichtete Burgfried gewährte den Insassen für Notfälle eine
Zuflucht. Wahrscheinlich im 12. Jahrhundert ist der neben dem
Burgberg sich erhebende „Kirehberg“ in die Festung einbezogen
worden. Dieser Teil der Festung mit den am Fuße desselben
gelegenen Gebäuden nennen die Urkunden castrum. Seinen Mittel¬
und Stützpunkt bildete der in drei Geschossen aufsteigeude
Kirchturm. Dessen wuchtiges Mauerwerk ist im Untergeschoß
zwei Meter dick. Durch die Aussichtslucken des obersten Ge¬
schosses begegnet das Auge den ungefähr gleich hohen Türmen
von Erkelenz und Brachelen. Die Luftlinien-Entfernung beträgt
12—15 km. Unwillkürlich denkt man an die Möglichkeit, daß
die Turmwächter, welche dort im Mittelalter Ausschau hielten,
sich von ihrem Standorte aus gegenseitig, besonders im Dunkel der
Nacht, nach der alten Art durch die Sprache der Feuerzeichen
über drohende Gefahren verständigten. Der Kirchturm war
Wart türm und zugleich ein im Fall der Not als Zufluchtsstätte
benutzter Bergfried. Kirchturm und Kirche liegen inmitten des
früher befestigten Kirchhofs, der als Zitadelle betrachtet werden
kann. Dessen durch vorspringende Türme verstärkte Mauern
waren noch bis ungefähr 1859 mit Schießscharten versehen.
Noch heute bietet der Kirchhof in seinem auf vergangene Jahr¬
hunderte deutenden Gepräge eine anmutende Idylle. Allerdings
haben in dieses Bild die sich nicht einfügende Lourdes-Grotte,
welche vor mehreren Jahren errichtet worden ist, und neuere
Gebäude der nächsten Umgebung, die anspruchsvoll dreinschauen,
wie wenn sie mit der herrlichen Kirche in Wettbewerb treten
wollten, eine bedauerliche Störung hineingetragen.
An der Außenseite der Kirhhofsmauern waren Wälle auf¬
geworfen, unter den Wällen in vorzüglichem Ziegelsteinmaterial
geräumige, hochgestochene, dabei vollständig trockene Kase¬
matten erbaut. Breite, versteckt aus den Wällen aufsteigende
Schächte, die vor etwa 80—40 Jahren beseitigt worden sind,
vermittelten eine gute Lüftung und Sicherung eines gesund¬
heitlich einwandfreien Aufenthalts. Die Annäherung an die
Wälle wurde den Angreifern durch breite Wassergräben ver¬
wehrt. Am Fuße des Kirchberges bildete nach Westen zu das
im Jahre 1854 niedergelegte „Feldtor“ ein mächtiges Bollwerk.
An dessen Innenseite wie auch auf dem Kirchhof gegenüber
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Zur Geschichte der Stadt Heinsberg.
355
der Westseite des Kirchenchors befanden sich Ab- und Auf¬
stiege für die Kasematten. Verborgene Ausfalltörchen ermög¬
lichten es, auch von den Kasematten aus dem etwa bis zu den
Wällen vorgedrungenen Angreifer zu Leibe zu gehen. An der
dem Feldtor entgegengesetzten Seite des castrum bildete dessen
Abschluß ein nach der Stadtseite zu verschließbares Tor, heute
im Volksmund „der Bog“ genannt.
Wie Burg- und Kirchberg, so ist auch die Stadt in der
ganzen Runde mit Mauern und Türmchen umgeben gewesen. Eine
Annäherung an die Mauern wehrten Doppelreihen breiter Wasser¬
gräben. An der Nordseite der Stadt bildete das Unterbrucher
Tor, in das die Straße nach Roermond und Wassenberg mündete,
ein starkes Bollwerk. Dessen Überbleibsel sind etwa 1895 ge¬
sprengt worden. Eine in meinem Besitz befindliche Karte aus
dem Ende des 16. Jahrhunderts veranschaulicht das Bild der
Befestigung in übersichtlicher Zeichnung.
Die Verteidigung der Festung war zunächst natür¬
lich Sache der Mannen des Landes- und Schloßherrn. Aber
auch die Bürger der Stadt hatten die ihrer Sicherheit dienenden
Mauern wie zu unterhalten, so auch zu beschützen und bei An¬
griffen zu verteidigen. Hierfür sind frühzeitig die Schützen¬
gesellschaften ins Leben gerufen worden. Die älteste Nach¬
richt über eine Heinsberger Schützengesellschaft datiert vom
7. Februar 1400 l . Die Gründung solcher Gesellschaften wurde
in der damaligen Zeit nicht bloß vom Landesherrn, sondern
auch von der Welt- und Ordensgeistlichkeit, von dieser im wohl¬
verstandenen Interesse ihres städtischen Besitzes, begünstigt.
Dieselbe vollzog sich darum in einer das enge Verhältnis zur
Kirche betonenden Art und Weise. Die ältesten Sehützen-
gesellschafteu erkoren den h. Sebastianus zum Schutzpatron.
Dieser war unter Diokletian Hauptmann der Praetorianergarde.
Zum Christusglauben sich bekennend und die heidnischen Götter
verachtend, wurde er ob der Weigerung, seinen Glauben zu
verleugnen, an einen Baum gebunden und durch Pfeilschüsse
zu Tod gemartert. Hieraus erklärt es sich, daß schon für die
ersten, im 13. Jahrhundert gegründeten Schützengesellschaften,
damals Armbrustschützen, Sanct Sebastianus zum Patron ge-
') Vgl. Geschichte der neinsberger Schützengesellschaften von R. Nathnn
in Rhein. Gesehichtsblätter Jakrg. 8.
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Ludwig Schmitz
wählt wurde. Das war auch in Fleinsberg der Fall. Im 15.
und 16. Jahrhundert hat die Einführung der Handfeuerwaffe
neue, dieser angepaßte Gesellschaften ins Leben gerufen. Im
Jahre 1536 bestanden in Heinsberg Rogen- und Biichsenschützen-
Gesellschaften nebeneinander 1 . Wurden sie von der Stadt auf-
geboten, so war ihr Führer einer der beiden Bürgermeister.
Bei einer Verwendung derselben seitens des Landesherrn unter¬
standen sie dem Vogt. Dem entsprechend fielen die Kosten
des Unterhalts diesem oder der Gemeinde zur Last. Die ur¬
sprünglichen Schützengesellschaf!en sind großenteils alle unter
den Wirren des dreißigjährigen Krieges untergegangen. In
Heinsberg hat sich jedoch die St. Sebastianus-Bogenschützen-
gesellschaft behauptet. Das folgt aus einer Urkunde vom Jahre
1652. Hiernach wurde am 20. Juni dieses Jahres „Michael
Pulvermacher, civis hu jus oppidi, sagittarius fraternitatis S. Se-
bastiani et rex congregationis“, also ein Bürger Heinbergs, Bogen¬
schütze und damals Schützenkönig der St. Sebastianus-Bruder-
schaft, in seiner mit landesherrlicher Genehmigung am Fisch¬
weiher angelegten Pulvermühle getötet. Infolge Blitzschlags
war er mit der Pulvermühle in die Luft geflogen. Die Büchsen-
schiitzengesellschaften sind am 4. Juni 1651 wiedererrichtet
worden, und zwar für die Verheirateten die St. Gangolphus-
schützengesellschaft, für die Unverheirateten die Bruderschaft
vom h. Johann von Nepomuk. Aus dem Worte Nepomucenus
hat die Mundart des Volkes „Bommele Zinnes“ gemacht. Ab¬
wechselnd hielten und halten dieselben bis zur Gegenwart
alljährlich am Sonntag nach Fronleichnam, am „Prunksonntag“,
ihr Vogelschießen ab. Damit sind herkömmliche Aufzüge zur
Kirche, Umzüge und sonstige Festveranstaltungen volkstüm¬
lichster Art verbunden. Die beiden Gesellschaften besitzen
einen wertvollen Platten-Silberschmuck. Die älteste Platte
trägt die Jahreszahl 1652. Als Stifter benennt sie „Rudolf F.
Katharina u. v. Z.“, wohl die Eheleute Rudolf F. und Catharina
v. d. Z. Regelrechte Besatzungstruppen hat es in
Heinsberg mutmaßlich erst vom 16. Jahrhundert ab gegeben.
Aus den Sterbebüchern der Pfarre, die um das Jahr 1584 be¬
gonnen wurden, ist zu entnehmen, daß in der Festung Fußvolk
und Reiterei stand; dieselbe war auch mit einer entsprechenden
Zahl von Geschützen bestückt.
0 VjJ. Zeitschrift des Berg. Geschicbtsvereins Bd. 21, S. 259.
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Zur CJeschielite der Stadt Heinsberg.
357
D i e He i n sb er ger La n d e und damit auchdieStadt Heinsberg
gingen im Jahre 1472 infolge der Heirat der Erbtochter Johanna
mit dem Herzog von Jülich auf Jülich über. Auch nach dieser
Vereinigung wurde Heinsberg häutig zum Tummelplatz blutiger
Kämpfe. Während des gehl rischen Erbfolgekrieges waren Franz I.
von Frankreich und Herzog Wilhelm von Jülich gegen den Kaiser
verbündet. Für die Jülicher Truppen bildete das befestigte
Heinsberg einen wertvollen Stützpunkt. Am 18. Oktober 1542
wurde die Festung nach langer Belagerung von dem Kaiser¬
lichen Heere erstürmt. Karl V. mit Gefolge nahm auf seinem
Wege nach Roermond — er kam von dem am 8. desselben
Monats in Besitz genommenen Düren — in Heinsberg kurzen
Aufenthalt. Am 22. März 1543 versuchte Herzog Wilhelm die
ihm entrissene Festung zurückzuerobern. Ein Kaiserliches Ent¬
satzheer nötigte ihn, die Belagerung aufzugeben. Während des
Niederländischen Befreiungskrieges (1567—1609) litt Heinsberg
unter häufigen Truppendurchzügen. Der 1609 entbrannte Jülicher
Eibfolgestreit brachte neue Drangsale. Sonntag den 12. April
1609 vormittags zwischen 10 und 11 Uhr erschien Konrad
von Boynen, Doctor der Rechte, als Bevollmächtigter des
Brandenburger Kurfürsten und Markgrafen Johann Sigismund,
„vor der Feldpfortze“, um für seinen Herrn Besitz von Heins¬
berg zu ergreifen. Das Ersuchen, die Tore zu öffnen, wurde
abgeschlagen. Darauf wurden „die insignia und wapen, wie auch
die schriftliche Erklärung der apraehendirter und continuirter
possession vor der Stadt an der Feldpfortzen angeschlagen“.
Zu einer wirklichen Inbesitznahme seitens des Brandenburger
Kurfürsten ist es infolge des späteren Erbvergleichs nicht ge¬
kommen.
Während des dreißigjährigen Krieges (1618—1648), dann in
dem spanischen Erbfolgekriege (1701—1714) ist Heinsberg von
Belagerungen und Durchzügen oft schwer heimgesucht gewesen.
Auch die Raubkriege Ludwigs XIV. brachten der Stadt und
Umgebung trübe Tage. Die Besetzung derselben durch die
Franzosen, wahrscheinlich 1678, hatte grauenhafte Bedrückungen
zur Folge. Um diesen zu entgehen, suchten viele. Hunderte der
Bewohner ihr Heil in der Flucht. Damals befand sich auch der
Prinz Condö Louis von Bourbon vorübergehend in Heinsberg.
Während des siebenjährigen Krieges (1756—1763) war der
Überlieferung zufolge in Heinsberg in dem vorspringenden, zu
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358
Ludwig Schmitz
einem Auslug besonders geeigneten Knieps’schen Hause, heute
Hochstraße Nr. 75, ein Werbebüro Friedrichs des Großen ein¬
gerichtet. Nach der Schlacht bei Aldenhoven am 30. September
1794 wurde Heinsberg von den Franzosen besetzt. In der
Schlacht reichte der vom General Kleber befehligte linke Flügel
der Franzosen bis an Heinsberg heran. Die Fremdherrschaft
faßte jedoch erst 1798 in Heinsberg festen Fuß. Bis dahin
hatten pfälzische Truppen unter dem „Obrist Lieutenant“ von
Mylius Heinsberg besetzt gehalten. Gemäß einem Abkommen
mit dem damaligen französischen Obergeneral Harry wurde
Heinsberg am 29. Juni 1798 von den Pfälzern geräumt. Die
Bevölkerung und Umgebung litt schwer unter den drückenden
Kriegsauflagen, wohl noch schwerer durch die sich immer
folgenden Aushebungen der wehrfähigen Jungmannschaft zwecks
Einstellung in die napoleonisc.hen Kriegsheere. Einen Lichtblick
in der trüben Zeit bildete die in Heinsberg unter der Ein¬
wirkung der Kontinentalsperre zu schneller Blüte gelangte
Tuchindustrie. Allerdings war die Tuchfabrikation auch schon
vorher in Heinsberg heimisch. Nach einem von dem Hof¬
kammerrat Friedrich Heinrich Jacobi für die Jahre 1773 und
1774 erstatteten Bericht ging aber die Jahreserzeugung über
280 Stück nicht hinaus. Die emporgeschnellte Blüte vermochte
sich über die Zeit der Fremdherrschaft hinaus nicht zu be¬
haupten. Die Freiheitskriege brachten auch Heinsberg die Be¬
freiung vom Joche der Fremdherrschaft und bald darauf die
Einverleibung in Preußen. Am 22. April 1815 wurde auf dem
Markte zu Heinsberg in festlichem Akte unter einer Ansprache
des damaligen Bürgermeisters Jansenius der preußische Adler
aufgerichtet. Am 30. desselben Monats verlas der Pfarrer
Melchers auf der Kanzel der St. Gangolphuspfarrkirche die
Königlich Preußischen Besitznahmepatente. Im Anschluß daran
hielt er eine Ansprache über den Anbruch einer neuen und
glücklicheren Zeit.
Die kulturelle Entwickelung ist in den Heinsberger
Landen von deren Dynasten trotz des immer von neuem er¬
klungenen Waflengeklirrs keineswegs vernachlässigt worden.
Wohl waren sie als echte Söhne ihrer noch nicht ausgegorenen
Zeit, dem Kriegshandwerk mit Lust ergeben. Dabei haben sie
aber immer einen mit dem Adel vornehmen Denkens gepaarten
Weitblick bekundet. Bei ihnen tritt fortgesetzt ein auch auf
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Zur Geschichte der Stadt Heinsberg.
359
die Bevölkerung übergegangener und bis beute zu von dieser
bewahrter Frommsinn hervor. Aus dem Hause der Heins¬
berger sind zwei Cölner Erzbischöfe hervorgegangen, der hoch¬
verdiente Kanzler des deutschen Reiches Philipp von Heinsberg
(1167—1191), einer der bedeutendsten Cölner Erzbischöfe, dem
Cöln die Stadtmauern verdankt, und Dietrich von Heinsberg
(1209—1216), sodann der Lütticher Fürstbischof Johann von
Heinsberg (1419—1456), eine gleichfalls in der Geschichte her¬
vorragende Persönlichkeit. Seinem Vater Johann I. (f 1439),
seiner Mutter Margareta von Genney und seinem Bruder Johann II.
(f 1443) widmete der Fürstbischof ein prunkvolles Hochgrab.
Es fand seinen Platz in dem linken Seitenschiff der St. Gangol-
phuskirche. Die mit 16 Ahnenwappen geschmückte Tumba war
in schwarzem Marmor, die darauf ruhenden Figuren und die
über den Köpfen angebrachten Baldachine aus hellem Maas¬
kalkstein ausgeführt. In der Nacht zum 10. Februar 1783
wurde das Denkmal durch den Einsturz zweier Gewölbejoche
zertrümmert. Erst 1904 ist dessen Wiederherstellung in die
Wege geleitet worden. Der auf diesem Gebiete vorzüglich ge¬
schulte Bildhauer A. Mormann in Wiedenbrück i. W. hat die
wegen Fehlens verschiedener Bruchstücke überaus schwierige
Aufgabe aufs glücklichste zu lösen gewußt. Die Wiederher¬
stellungskosten betrugen 7500 M., zu denen von der Provinz
4500, vom Kultusminister 2000, von der Gemeinde 1000 M. bei¬
getragen worden sind. Im Dezember 1907 stand das Denkmal
wieder auf seinem Platze. Es ist in der strengen Auffassung
der Figuren und in den ungewöhnlich schönen heraldischen
Darstellungen der die Seitenwände des Hochgrabes schmückenden
Wappen ein Kunstwerk von außerordentlichem Werte. Der
Fürstbischof Johann wurde vom Herzog von Burgund gefangen
genommen und gezwungen, zu Gunsten seines Sohnes zu ver¬
zichten. Er starb 1459 auf seinem Schlosse in Diest. An der
Seite seiner Eltern, seines Bruders Johann II. und seines Neffen
Johann III. (f 1448) fand auch er in der St. Gangolphuskirche
seine letzte Ruhestätte. Die in Vergessenheit geratene Gruft
wurde 1856 gelegentlich der Neubeplattung des Bodens rein
zufällig aufgedeckt. Zu meinem Bedauern muß ich aus eigner
Wissenschaft bekunden, daß die sterblichen Überreste damals
nicht der gebührenden Pietät begegnet sind. Die Gruft war
fast drei Tage lang ohne Aufsicht jedem zugänglich. Schließ-
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Ludwig Schmitz
lieh wieder geschlossen und durch eine kurze Inschrift auf einem
Deckstein als solche gekennzeichnet, ist sie 1880 nochmals ge¬
öffnet und auf ihren Inhalt untersucht worden. Die bei der
Wiederverschließung aufgenommene Urkunde läßt erkennen, daß
die Vorgänge aus dem Jahre 1856 schon ganz in Vergessenheit
geraten waren.
Im Jahre 1140 hatte Goswin I., vielleichtauch unmittelbar
nach seinem Tode seine Gemahlin Oda auf dem Burgberge in
der Nähe des Schlosses eine prächtige Basilika erbaut 1 . Sie
wurde einem Collegium von Kanonikern, die als Norbertiner be¬
zeichnet werden, übertragen. Damals bestand schon auf dem
daneben gelegenen Kirchberge eine Pfarrkirche, zweifellos die
unter dem hochragenden Chor der heutigen Gangolphuskirche
gelegene dreischifflge Krypta, im Volksmunde „de Kloft“ ge¬
nannt. Den Bauformen nach fällt sie spätestens in die Zeit
zwischen 1000 und 1050. Laut einer im Heinsberger Pfarr-
archiv beruhenden Urkunde vom 24. Juni 1242 wurde dem Stift
die Pfarrkirche mit ihren Kapellen Kirchhoven und Kempen
und allen anklebenden Renten zum Geschenke gemacht. Unter
Heinrich von Heinsberg (1228—1260), etwa um 1257, sind die
Kanoniker in die St. Gangolphus-Pfarrkirche oder richtiger in
die darüber gelegene Stiftskirche übergesiedelt.
Die Wahl des h. Gangolph zum Schutzpatron der Kirche
dürfte sich aus dem Lebenslaufe des Heiligen erklären. Gan¬
golph, französisch Geugoux, war ein in Varennes geborener
burgundischer Ritter. Bei den Kriegszügen Pipins in Holland
und Friesland leistete er diesem Heeresfolge. Als Gangolph
nach Beendigung dieser Kriege an seinen Herd zurückkehrte,
fand er sein Familienglück geknickt. Seine Gattin hatte die
eheliche Treue gebrochen. Ihr Buhle stellte ihm nach dem
Leben. Schlafend wurde er von einem Schwertstreich getroffen.
An der so erhaltenen Wunde verstarb er 760. Die Kirche be¬
zeichnet ihn als Märtyrer. Nach kirchlicher Auffassung wird
von einem Heiligen dessen Fürbitte sinnig für das Gut erfleht,
welches ihm versagt war oder bezüglich dessen er gelitten hat.
Darum wird der h. Gangolphus als der Schutzpatron eines
glücklichen Familien- und Fhelebens verehrt. FJne Reihe von
Kirchen ist ihm geweiht, so die in Mainz im 10. Jahrhundert
') Kroetz, historia Parlhcuonis Heinsb. S. 29.
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Zur Geschichte der Stadt Heinsberg.
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gegründete kurfürstliche Hofkapelle, Kirchen in Trier, Lüttich
u. s. w.
Heinsbergs wachsende Bedeutung führte zu dem etwa um
1250 in Angriff genommenen Neubau des unserer Zeit über¬
kommenen frühgotischen Chors der heutigen St. Gatigolphus-
kirche. Es diente ausschließlich als Stiftskirche. Deren Ein¬
weihung ist am letzten Sonntag im September des Jahres 1262
in Vertretung des Bischofs von Lüttich durch den damals im
Rheinland weilenden Bruder Heinrich von Lützelburg, Bischof
von Kurland, erfolgt. Die Einweihung des Hochaltars hat am
Tage nach St. Remigius, also am 2. Oktober 1262 stattgefunden
Nach der uns darüber erhaltenen Urkunde hat der weihende
Bischof damals für alle Zeiten als Tag des Kirchweihfestes den
letzten Septembersonutag festgesetzt 1 . Bis heute zu hat sich
dieser als Tag der Heinsberger Kirmes erhalten. Leider ist
aber vor wenigen Jahren in offenbarer Unkenntnis der vor¬
erwähnten, aus der Erinnerung geschwundenen Urkunde das
kirchliche Erinnerungsfest der Kirchweihe auf den St. Martinus-
tag verlegt worden.
Die Unzulänglichkeit der unter der Stiftskirche gelegenen
Pfarrkirche nötigte zum Bau der etwa um 1450 vollendeten
spätgotischen Hallenkirche. Der Durchblick von dem Mittel¬
schiff in den herrlichen Raum der alten Pfarrkirche (Krypta),
insbesondere auf deren Altar des h. Johannes, der beim Volke im
größten Ansehen stand, ist in der Folgezeit auf Kosten der
architektonischen Wirkung durch eine Treppenanlage verschlossen
worden. Im Chor befindet sich ein aus der 2. Hälfte des 15.
Jahrhunderts stammendes Chorgestühl, das in seiner Schönheit
und großartigen künstlerischen Vollendung in unserer rheinischen
Heimatprovinz ohne Gleichen ist. Im Jahre 1802 ist das St,
Gangolphusstift von den Franzosen aufgehoben worden. Die
Stiftsgüter haben dieselben natürlich eingezogen. Die Kirche
wurde der Pfarre überwiesen. Der letzte Stiftsdechant, Lambert
Begasse 2 , hat seinen Lebensabend in Heinsberg, der Stätte lang¬
jährigen Wirkens, verbracht. Hier ist er am 2. Mai 1824 ver¬
storben.
Des Stiftes reiche Geschichte bietet ein fesselndes Bild
segensreichen Wirkens. Andauernd hat es in den vielen
') Vgl. ZilAGV Bil. 3H. 8. 197 ff.
*) ZdAGV Bii. 36, 8. 218 ff.
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362
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Jahrhunderten seines Bestehens auf der erwünschten Höhe ge¬
standen. Erwähnt sei, daß von dem Stifte eine den Gymnasial-
unterricht umfassende höhere Lehranstalt unterhalten wurde.
Mochte sie auch vor allem für den Nachwuchs im Stifte be¬
stimmt sein, so hatten doch auch andere Zöglinge Zutritt. Die
beiden Aachener Pröpste Johann Matthias und Anton Gottfried
Claassen, beide geborene Gangelter, sind, wie ich deren Toten¬
zetteln entnommen habe, Schüler jener Anstalt gewesen. Der
ältere derselben, der spätere Weihbischof Claassen, hat seine
Gymnasialstudien in Heinsberg Herbst 1800 vollendet.
Die umfassende Neuinstandsetzung der St. Gan¬
ge lphuskirche in den Jahren 1858—1856 ist in eine solchem
Beginnen recht ungünstige Zeit gefallen. Infolge von Unverstand
und Sorglosigkeit sind der Kirche Kunstwerke, Gemälde der
niederländischen Schule wie Bildhauerarbeiten von unermeßlichem
Werte, verloren gegangen. Leider ist manches, was zunächst
noch erhalten geblieben war, sogar noch kurz vor und nach
1900 preisgegeben worden.
Die Errichtung eines Prämonstratenser- und
Prämonstratenserinnen-Klosters außerhalb der Stadt¬
mauern auf dem 1 km vor der Stadt entfernt gelegenen Ge¬
lände vor dem heute noch bestehenden Klosterhof ist für Heinsberg
von besonderer Bedeutung geworden. Goswin II. (1140—1180)
war es, der diese Niederlassung im Jahre 1150 begründete und
mit »ansehnlichen Gütern ausstattete. Das Männerkloster ist
bald darauf wieder aufgelöst worden, das Frauenkloster jedoch
zu einem hochangesehenen Stifte ausgewachsen. Eine Tochter
des österreichischen Kaiserhauses, Töchter aus den Herrscher¬
häusern von Cleve, Jülich, Berg, Heinsberg und aus zahllosen
ritterlichen Geschlechtern der näheren und weiteren Umgebung
haben in dem Stift Aufnahme gefunden. Um 1200 hatte das¬
selbe eine außerordentlich hohe Blüte erreicht. Für die immer
wachsende Zahl der Ordensfrauen erwies sich das Einkommen
als ganz unzulänglich. Der Grund des Aufblühens lag hier
wie anderwärts in dem huchaufflammenden religiösen Leben,
aber auch in der Tatsache, daß durch die von so vielen Mi߬
erfolgen begleiteten Kreuzzüge die Blüte der männlichen .Tugend
Deutschlands dahingerafft worden war. Eine Reihe von Er¬
lassen verschiedener Päpste hat gesucht, den Bestand des Stifts
zu sichern und dessen Entwickelung zu begünstigen. Als Heins-
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Zur Geschichte der Stadt Heinsberg.
363
berg während des geldrischen Erbfolgekrieges im Oktober 1542
von dem Heere Karls V. belagert wurde, ging das Kloster in
Flammen auf. Zur größeren Sicherheit beschloß das Stift die
Verlegung in das Stadt-Innere. Der Neubau wurde unter dem
Propste Peter Bruyn, einem geborenen Heinsberger, und während
der Amtszeit der Priorin Casilia von Hart! im Jahre 1546 be¬
gonnen und 1553 vollendet. Am 6. August 1553 wurde die
Klosterkirche von dem Lütticher Weihbischof Gregorius Sylvius
eingeweiht. An die Stelle dieser Gebäude ist gegen Ende des
18. Jahrhunderts ein prachtvoller Neubau getreten. Der in
geschmackvollem Rococo-Stil ausgeführte Mittelbau wird recht
wirkungsvoll von zwei Seitengebäuden umrahmt. Der im Ober¬
licht des Mittelbaues befindlichen Jahreszahl zufolge ist das
prächtige Gebäude im Jahre 1774 vollendet worden. Seine
künstlerische Ausführung atmet ganz den Geist des Aachener
Baumeisters Couven. Im Jahre 1802 ist das Stift nach fast
siebenhundertjährigem Bestehen von den Franzosen aufgehoben
worden. Dessen ausgedehnter Grundbesitz, der auf 434610 Taler
geschätzt wurde, verfiel dem Staatsschatz des Eroberers. Den
rechtzeitig geborgenen Kirchenschatz haben die Klosterfrauen
teilweise der Pfarrkirche zugewandt. Auf eben diese ist auch
ein ganz hervorragendes Kunstwerk, das dem Oratorium der
dienenden Schwestern des Klosters entstammt, das Standbild
des h. Christophorus, übergegangen. Dieses Standbild ist eine
ganz ausgezeichnete Arbeit der in der Heinsberger Gegend
neben der Holzschnitzerei zu hoher Blüte gelangten Bildhauerei.
Der Heilige, dessen Name in den ältesten Martyrologien erwähnt
wird — er lebte im 3. Jahrhundert unter dem Kaiser Decius —
wird von der Legende als ein Mann von Riesenkräften und
einer Größe von 12 Schuh geschildert. Als solcher erscheint er
auch in dem aus einem umgestülpten Eichenstamm und dessen
Wurzelwerk geschnitzten Standbild. Dasselbe ist 3,50 m hoch
und hat einen Umfang von 3,75 m. Auf der rechten Schulter
trägt der das Wasser durchschreitende Heilige das Christus¬
kind. Leider hat ein mit starker Vergoldung durchsetzter
Anstrich vor etwa zwanzig Jahren das Arbeiterkleid mit dem
ganz ungeschichtlichen Rittergewand vertauscht.
Die Gebäude des Klosters, noch heute eine Zierde der
Heinsberger Hochstraße, und der weitere Grundbesitz sind im
Wege öffentlicher Versteigerung in Privatbesitz übergegangen.
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3S4
Ludwig Schmitz
Der Mangel eines Männer-, besonders eines Pre¬
digerordens führte in der Zeit der sogenannten Gegenrefor¬
mation die Franziskaner-Rekollekten um etwa 1650 auch nach
Heinsberg. Im Interesse des damals wieder erstarkenden Katho¬
lizismus hat dieser Orden bekanntlich am ganzen Niederrhein
eine ungemein erfolgreiche Tätigkeit entfaltet. Besonders beim
Volke erwarben sich die Observanten, wie die Ordensmitglieder
auch genannt werden, eine große Beliebtheit. Zu Zeiten der
Pest waren sie in der Pflege der Kranken und der Spendung
der Sakramente von unermüdlicher Hingabe. Die Erinnerung
an sie lebt noch fort in der gegenwärtig noch bestehenden
„Paterskirche“. Der Lütticher Weihbischof Strauven (Richard
Pauli-Stravius) hat sie am 12. Oktober 1653 eingeweiht. Die
Paterskirche hat sich seitens der Kirchenbesucher bis heute noch
einer überall hervortretenden Bevorzugung erfreut. Viele der
angesehensten Familien wählten in ihr die letzte Ruhestätte.
Auch der Wirksamkeit dieses Ordens wurde durch die Franzosen¬
zeit im Jahre 1802 ein Ende bereitet.
Der Poenitentenorden, welcher, Anfang des 17. Jahr¬
hunderts ins Leben gerufen, vorzugsweise im Herzogtum Limburg
zur Blüte gelangte, errichtete am 25. Februar 1682 auch in
Heinsberg eine Niederlassung. Die Klosterfrauen übernahmen
hier die Leitung einer bis dahin vermißten Mädchenschule.
Neben dem Unterricht im Deutschen und Französischen wurde
auch Rechnen, Spinnen, Sticken, Weben und Spitzenklöppeln
gelehrt. Seitdem ist das Spitzenklöppeln in Heinsberg zu einem
inzwischen freilich wieder eingegangenen Erwerbszweige aus¬
gewachsen. Am 26. Juni 1711 wurde das an der Ecke der
Hochstraße und des Pley unter Nr. 67 gelegene Klostergebäude
ein Opfer der Flammen. Aber schon am 10. September war
dasselbe wieder hergestellt. Die Lehr- und Erziehungstätigkeit
war nicht unterbrochen gewesen. Auch dem Wirken dieses
Ordens setzten die Franzosen ein Ziel. Die Klostergebäude
sind erhalten geblieben. Zum Wohnhause umgebaut, sind sie
gegenwärtig Eigentum der Erben Matthias Bereits.
Die kirchliche Einordnung der Heinsberger
Lande war ehedem verschieden von der der Gegenwart. Die¬
selben gehörten von Beginn der Herrschaftsbegründung an zum
Bistum Lüttich, seit Errichtung der vier Lütticher Archidiakonate
zum Archidiakonate Kempenland und in der weiteren Gliederung
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Zur Geschichte der Stadt Heinsberg.
365
zum Dekanat Stisteren, concilium anreum genannt. Die Heins¬
berger Pfarre umfaßte außer der Stadt und den heute noch
dazu gehörigen Ortschaften Aphoven, Schleiden und Schafhausen
auch das inzwischen nach Waldenrat eingepfarrte Dorf Erpen
sowie die heutigen Pfarreien Kirchhoven, Kempen, Laffeld und
Unterbruch. Mit der Errichtung des Bistums Aachen wurde
Heinsberg diesem und nach dessen Aufhebung seit 1825 dem
Erzbistum Cöln unterstellt. Gleichzeitig wurde Heinsberg ein
selbständiges Dekanat.
Die religiösen Wirren und Kämpfe des 16. und
17. Jahrhunderts haben Heinsberg nicht unberührt gelassen.
Zunächst tauchten um etwa 1525 und in der Folge, zwar nicht
in Heinsberg, aber in der Umgebung der Stadt, besonders in
Dremmen und Gangelt 1 , Wiedertäufer auf. Tatkräftiges Ein¬
greifen des Jülicher Herzogs Wilhelm V. machte dieser Er¬
scheinung ein schnelles Ende. Bedeutsamer wurde die von den
Niederlanden ausgehende kulvinistische Bewegung. Deren Flut¬
welle reichte bis an Heinsberg heran und ging sogar darüber
hinaus. Vielleicht haben die in der Tuchfabrikation begründeten
Wechselbeziehungen zwischen Amsterdam-Nymwegen und Heins¬
berg dazu die Brücke geschlagen. Nach einem in meinem Be¬
sitze befindlichen Gedenkbuche einer reformierten Familie hat
die Lehre Calvins schon im Jahre 1553 in Heinsberg Anhänger
gefunden. An Stelle des ursprünglichen Namens Calvinisten trat
mehr und mehr die Bezeichnung „Reformierte“. Die katholische
Bevölkerung nannte sie bis zum Jahre 1860 und noch darüber
hinaus „die Geusen“. Im Jahre 1595 gelangten die Reformierten
in den Besitz eines eigenen Kirchhofs. Mutmaßlich ist die Ge¬
meinde zunächst von dem Sittarder Prediger mit verwaltet worden.
Im November oder Dezember 1608 wurde für Heinsberg auch
ein besonderer Piediger in der Person des Johann Leuneschladt,
auch Lünenschladt genannt, bestellt. In diesem Amte verblieb
er bis zu seiner im Juni 1614 erfolgten Berufung nach Solingen.
Zu seiner Zeit, im Dezember 1609, ist die reformierte Gemeinde
als solche anerkannt und die öffentliche Ausübung ihres Gottes-:
dienstes zugestanden worden. Er hat auch die reformierten
Kirchenbücher angelegt. In dem noch im Gewahr der Gemeinde
verbliebenen Taufbuch beginnen die Eintragungen am 24. Januar
') Vgl. Gangelter Chronik von Kritzraedt.
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366
Ludwig Schmitz
1610*. Der katholische Pfarrer Brandts teilt in seinem 1828
herausgegebenen Schriftchen über das Heinsberger Kollegiat-
stift mit, daß die Reformierten im Anfang des 17. Jahrhunderts
den erfolglosen Versuch gemacht hätten, sich mit Gewalt in
den Besitz der St. Gangolphuskirche zu setzen. Diese Angabe
entbehrt einer ausreichenden Unterlage; sie findet auch ihre
Widerlegung durch die innere Unwahrscheinlichkeit. Die kleine
reformierte Gemeinde, nur auf Duldung angewiesen, entbehrte
zu einem derartigen Vorgehen der erforderlichen Machtmittel.
Allerdings ist es bis zum Jahre 1650 zu wiederholten Reibungen
gekommen. Der nächste Anlaß scheint von dem im Juni 1614
an Stelle von Lünenschladt getretenen Prediger Gerhard Herten
aus Düren ausgegangen zu sein. Herten wurde nach dem schon
erwähnten Familienbuch, welches ihn als „fanatisch“ bezeichnet,
im Jahre 1610 als reformierter Prediger aus Aachen vertrieben.
Bis zu seiner Berufung nach Heinsberg war er in Weiden tätig.
Die Gespanntheit der Beziehungen spiegelt sich wieder in der
Inschrift einer Gedenktafel, die seitwärts des Hochaltars der
Gangolphuskirche angebracht und dem 1620 verstorbenen Heins¬
berger Pfarrer und Kanonikus Heinrich Rupe gewidmet war.
Nach Hartzheims Bibliotheca Coloniensis aus dem Jahre 1747
hatte sie folgenden Wortlaut:
In memoriam
Admodum Reverendi et Eximii Henrici Rupaei W. Monasterieusis. Ca-
nonicus et Pastor quondam Bilefeld, ubi Religionen! Catholicam post annos
quinquaginta restituit, postea Hinsbergae, ubi eandem verbis et libris
acerrime propugnavit *.
In Heinsberg war selbst die Erinnerung an jene Vorgänge
mit der schon Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr vor¬
handenen Gedenktafel vollständig erloschen. Bei meinen Ver-
') In ZdAGV 13, S. 203 ist irrtümlich gesagt, daß das Taufbuch der
reformierten Gemeinde mit dem Jahre 1681 beginnt. Allerdings trifft das
zu bezüglich des auf dem Heiusberger Bürgermeisteramt beruhenden ältesten
Taufbuches.
*) Zur Erinnerung an den hochwürdigen und trettlicheu Kanonikus Hein¬
rich Rnpe aus Münster-Westfalen, dereinst Pfarrer in Bielefeld, wo er die
katholische Religion nach fünfzigjähriger Unterdrückung wiederhergestellt
hat. Darauf nach Heinsberg berufen, hat er sich hier in Wort und Schrift
als deren eifriger Vorkämpfer erwiesen.
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Zur Geschichte (1er Stadt Heinsberg.
367
suchen, in die Geschichte Heinsbergs einzudringen, bin ich auf
die geschichtlich bemerkenswerte Inschrift gestoßen. Diese er¬
neuern zu dürfen, hat mir als geborenem Heinsberger zu be¬
sonderer Freude gereicht. Mit Zustimmung des derzeitigen
Herrn Oberpfarrers von den Driesch hat sie, auf eine Platte
von Penteli-Marmor übertragen, seitwärts des Pfarraltars einen
würdigen Platz gefunden.
Die reformierte Gemeinde hat unbeschadet der aus dem
Geiste der Zeit, wohl verständlichen Reibungen und Kämpfe
sich in Heinsberg zu behaupten und sogar zu befestigen gewußt.
Manche auswärtige Freunde derselben haben sie gestützt und
gefördert. „Laut Urkunde vom 4. Juli 1633 und vom 31. Juli
1665 — so heißt es in dem Lagerbuche der heutigen, an die
Stelle der reformierten Gemeinde getretenen evangelischen Ge¬
meinde — wurden die Gebäulichkeiten unter der Bezeichnung
kleine und große Krone akquiriert, wovon die kleine Krone
aber späterhin wieder verkauft worden ist.“ Unter der großen
Krone ist das an der Gabelung der Hoch- und Apfelstraße
unter Nr. 46 gelegene, Pfarrhaus und Kirche umfassende Ge¬
bäude zu verstehen. Die kleine Krone, welche mit ihrem Hof¬
raum an die Hinterräume der großen Krone anstößt, ist das
Haus Apfelstraße Nr. 92. Im Jahre 1744 wurde für den Turm¬
aufbau der reformierten Kirche die große Glocke angeschafft.
Am 3. Dezember 1809 wurde in der dazu neu instandgesetzten
Kirche die Erinnerung daran festlich begangen, daß der Ge¬
meinde am gleichen Tage des Jahres 1609 des Recht auf öffent¬
liche Abhaltung des Gottesdienstes zugestanden worden war.
Die Kirche kam aus Anlaß dieses Festes in den Besitz einer
Orgel. Der Gemeindegesang wurde zum ersten Male von Orgel¬
tönen begleitet. Heinsberg zählt gegenwärtig unter 2604 Ein¬
wohnern etwa 150 Evangelische. Dieselben erfreuen sich einer
besonderen, von der Gemeinde unterhaltenen evangelischen Schule.
In den an Heinsberg angrenzenden Bürgermeistereien, besonders
in Oberbruch, dem Sitze der bedeutenden Kunstseideufabrik,
wohnen etwa 50 weitere in Heinsberg eingepfarrte Evangelische.
In dem 10,5 km von Heinsberg entfernten Orte Saeffelen ist
für die dort und in der Umgebung wohnenden ferneren Evange¬
lischen, annähernd 50, meist Grenzzollbeamte, ein geräumiger
Betsaal mit Beamtenwohnung gebaut und am 13. November
1911 durch den Generalsuperintendenten der Rheinprovinz Liz.
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368
Ludwig Schmitz
Kogge in Anwesenheit des Präses der Rheinischen Provinzial¬
synode L)r. theol. Hackenberg feierlich eingeweiht worden.
Verwaltung und Rechtspflege waren in Heinsberg
schon früh aufs beste geordnet. In gewissen Grenzen hat sich
in den Heinsberger Landen auch eine Volksjustiz entwickelt.
Wer sich unterfing, seine Ehefrau zu mißhandeln, wurde er¬
griffen und unter dem Gejohle der Männerwelt und erst recht
der Jugend durch die ganze Stadt herumgeführt. Die Sittlich¬
keitsbegriffe waren besonders hoch entwickelt. Uneheliche Ge¬
burten wurden als Verfehlungen angesehen, deren Vorkommen
man mit aller Schärfe, gegebenenfalls durch eine Art Haberfeld¬
treiben zu bekämpfen suchte. Das hat sich in den Außenorten
von Heinsberg bis in meine Jugend hinein erhalten. Auf die
im geheimen ausgegebene Parole hin fuhr etwa zehn Tage nach
der Geburt zur Zeit der Dämmerung eine große Anzahl von
Gespannen unter großem Lärm und Geschrei vor das Haus der
außerehelichen Mutter und auch des Verführers. Durch An¬
einanderschlagen von Deckeln, Blechzeugeu, Trommeln und
Trompeten wurde dann eine in weiter Ferne hörbare Katzen¬
musik dargebracht. Unleugbar hat dieses Verfahren, im Volks¬
mund „et Dier drieve 1 “ genannt, zur unentwegten Hochhaltung
eines scharf ausgeprägten Sittlichkeitsbegriffes beigetragen.
Noch heute sind im Amtsgerichtsbezirke Heinsberg außerehe¬
liche Geburten höchst selten. Im Jahre 1859 wurde — das
habe ich persönlich erlebt — gegen diese Art Volksjustiz von
Polizeiwegen eingeschritten. Die daraufhin erfolgten gericht¬
lichen Bestrafungen „wegen ruhestörenden Lärms oder groben
Unfugs“ haben diese Volkssitte seitdem schwinden lassen.
Volkswirtschaftliche Maßnahmen sind im Heins¬
berger Herrschaftsgebiete zum Besten der Bevölkerung bereits
im 12. und 13. Jahrhundert in die Wege geleitet worden. Von
weittragendster Bedeutung war und ist die Schaffung der beiden
aus der Wurm abgeleiteten Mühlenbäche. Bei ihnen handelt
es sich, wie dem Auge sofort erkennbar wird, nicht um natür¬
liche, sondern um künstlich angelegte Wasserläufe. Der die
Stadt Heinsberg ihrer ganzen Länge nach durchfließende Miihlen-
') (I. h. <lu* Tiei (in der menschlichen Natur) vertreiben. In manchen
Ortschaften hielt es auch wegen der Anspannung der Uefahre: „et wütt
jevaare“ (es wird gefahren).
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Zur Geschichto der Stadt Heinsberg.
3(59
bach, auch „die junge Wurm“ genannt, ist oberhalb des Ortes
Randerath aus der Wurm abgeleitet. Hinter der Wolfhager¬
mühle bei Karken, unweit der preußisch-holländischen Grenze,
mündet er in die Roer. Auf seinem Wege treibt er in jedem
der davon berührten Dörfer Mühlen, im Bereich der Stadt
Heinsberg die Dahl- und die Stadtmühle. Gleichzeitig dient
der Bach der Be- und Entwässerung der Wiesengelände. Der
„alte Bach“, dem Namen nach früheren Datums, ist zu gleichen
Zwecken oberhalb des Ortes Unterbruch aus der Wurm ab¬
geleitet und unterhalb Unterbruch in die Wurm auch wieder
zurückgeleitet. Wann diese Wasserläufe geschaffen worden
sind, dafür hat sich auch nicht der geringste Anhalt ausfindig
machen lassen; jedenfalls waren sie im 13. Jahrhundert schon
vorhanden. Die wirtschaftliche Bedeutung des Mühlenbachs ist
seit einigen Jahrzehnten teilweise verloren gegangen. Im Inte¬
resse der Mühlenbetriebe war den Wiesenbesitzern die Wasser¬
entnahme nur in der Zeit von Sonnabend spät bis Montag früh
erlaubt. Schon seit Jahrzehnten ist darin eine Willkür eingerissen.
Das ehedem spiegelhelle, auch der Fischzucht dienende Wasser
ist heute zu einer trüben Brühe geworden, weil es mehr und
mehr an einer tatkräftigen Handhabung der Vorschriften über
die Reinhaltung der öffentlichen und Privatwässer gefehlt hat.
Das kann nicht genug bedauert werden.
Der Kulturzustand eines Volkes spiegelt sich auch in der
Ausgestaltung des Mtinzwesens wieder. Daraus lassen sich
Schlußfolgerungen ziehen auf die Entwickelung des Handels,
oft auch auf den Stand der Kunst. Von Gottfried II., der
1303—1332 in Heinsberg gelebt hat, sind uns viele und trefflich
ausgeführte Münzen erhalten, desgleichen von Dietrich III.
(1332—1361). Auch in den uns erhaltenen Siegeln der Dynasten
von Heinsberg zeigt sich Prunk und Kunst.
Das geschichtliche Interesse des Heinsbergers
wendet sich mit Vorliebe und Stolz der Zeit zu, in welcher die
Dynasten von ihrem den Burgberg krönenden Schlosse aus Stadt
und Land beherrschten, in der sie von ihren vielen Kämpfen
in festlichem Zuge als Sieger heimkehrten und bald wieder mit
ihren Mannen zu neuen Kämpfen auszogen. Das stolze Schloß
ist langsam dem Verfalle preisgegeben worden. Selbst im Bilde
ist es nicht erhalten geblieben. Nur kümmerliches Mauerwerk
ist uns von der alten Herrlichkeit überkommen. Die Aufnahme
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370
Ludwig Schmitz, Zur Geschichte der Stadt Heinsberg.
einer Grundrißzeichnung ist bis heute zu nicht erfolgt. Hoffent¬
lich wird das Geschlecht von heute es nicht unterlassen, das
Wenige, was noch vorhanden ist, zu retten. —
Das hier gebotene Gerippe der Geschichte Heinsbergs ge¬
stattet einen Schluß auf deren reichen Inhalt. Der Bedeutung
dieser Geschichte entspricht das auf die Heinsberger Lande
bezügliche Urkundenmaterial nicht. Die Urkunden des Pfarr-
archivs betreffen hauptsächlich Kirchenrenten. Das Bürger¬
meisteramt verfügt lediglich über die bis 1584 zurückreichenden
Kirchenbücher. Der Stoff zu einer erschöpfenden Geschichte
Heinsbergs ruht darum der Hauptsache nach verstreut in
zahllosen Urkunden. Die in diesen sich findenden Bausteine
zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufügen, sei Vorbehalten.
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Kleinere Beiträge.
1. Ist der im Chor des Aachener Münsters
1910 ausgegrabene Rotsamlstein-Sarkophag der Sarg
Karls des Grossen?
Die Frage, ob der im Herbste 1910 im Chor des Aachener Münsters
zutage gekommene Sarkophag aus rotem Sandstein der Sarg Karls des
Großen oder Ottos III. sei, ist entgegen der bisherigen Meinung, die ihn
Kaiser Otto III. zuweist, in jüngster Zeit von verschiedener Seite mehr
oder minder zuversichtlich zu Gunsten Karls des Großen beantwortet worden *.
Diese Annahme erscheint aber völlig ungerechtfertigt; der Sarg
muß ganz entschieden für die Gebeine Ottos III. beansprucht
werden. Die Gegner der letzteren Ansicht stützen sich besonders auf
eine Mitteilung des ehemaligen Aachener Stadtrentmeisters und Kirchmeisters
der Kathedrale, Matthias De Bey s ; aber die Aufzeichnungen dieses
*) Vgl. L. Schinitz in dem Bericht des Vorstandes des Karlsvereins zur
Restauration des Aachener Mllnstors Uber das 67. Vereinsjahr 1914, S. 30 ff.; F. Cramer
im Eifelvereinsblatt XVT (1915), S. 184 tf.; Kölnische Volkszeitung 1915, Nr. 799. S. auch
Kölnische Zeitung 1915, Nr. 909; Kölnische Volkszeitung 1915, Nr. 739 und (Aachener)
Echo der Gegenwart 1915, Nr. ‘239, Bl. III.
’) Matthias Quirin Dominikus De Bey (er seihst schreibt stets nur Matthias) war
laut seiner Taufurkunde der Sohn des Matthias Bey (in der Sterbeurkunde des Sohnes
wird der Vater Nikolaus De Bey genannt) und der Anna Maria Genien. Aus der Taufe
hoben ihn am 30. April 1759 Matthias von Hoselt und Maria Katharina Wildt. Wann
und mit welchem Rechte er den Namen De Bey angenommen hat, ist mir unbekannt.
In dem Schuljahre 1775/76, als er die 5. Klasse des reichsstädtischen Gymnasiums be¬
suchte, wird er noch mit dem Namen Matthias Dominikus Bjey in Schülerverzeich¬
nissen aufgeführt (A. Fritz in ZdAGV 30, S. 107). Auch in seiner Heiratsurkunde
(1779) sowie in der Taufurkunde seines ersten Sohnes (1781) heißt er Bey, während in der
Taufurkunde seines zweiten Sohnes (1782) „de“ vor Bey und „Dominus“ vor den Vor¬
namen übergeschriebeu ist. In den Taufurkunden der folgenden Kinder wird er 1784
und 1786 wieder einfach Bey, 1792 De Bey und 1787, 1789 und 1794 dominus De Bey
oder Bey genannt. Die Kirchenbücher des 18. Jahrhunderts weisen die Familiennamen
Bey, Debey, De Bey, de Bey, Debei in Aachen auf. Ob diese Familien oder einzelne
von ihnen untereinander verwandt waren, ist nicht festgestellt. Anna Maria Geulen,
die sich am 13. Oktober 1754 mit Matthias Bey vermählte, muß dessen zweite Frau
gewesen sein, da er nach den Aufzeichnungen des Sohnes in erster Ehe mit Elisabeth
Ringens verheiratet war. In dem Heiratsregister von St. Jakob findet sich unter dem
25. Februar 1719 die Trauung eines Matthias Bey mit Maria Rinckeus (1723 und 1725
Maria Ringens genannt) eingetragen. Man darf vielleicht annehmen, daß hier der Vater
des Matthias De Bey gerneint und die Angabe des Vornamens Elisabeth für die erste
Frau seitens des der Sohn unrichtig sei. Merkwürdigerweise erwähnt letzteren in
seinen Aufzeichnungen, soviel ich sehe, seine Mutter nirgendwo mit Namen, wohl aber
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872
Kleinere Beitrüge.
Mannes, die er als Zusätze zu einem jetzt auf der Stadt-Aachener Bi¬
bliothek befindlichen Exemplar von J. Noppius, Aacher Chronick (Nachdruck
vom Jahre 1774), gemacht hat, verdienen so wenig Glauben, daß es
unbegreiflich erscheint, wie H. A. von Fürth einen Teil von ihnen, ohne
irgendwelche kritische Bemerkung beizufügen, und dazu noch mit manchen
Lesefehlern zum Abdruck bringen konnte 1 . Mag es De Bey auch am guten
Willen, die Wahrheit zu berichten, nicht gemangelt haben, seine geistige
Unfähigkeit, die aus den Aufzeichnungen selbst an zahlreichen Stellen hervor¬
geht, sowie seine durch das Alter bewirkte Gedächtnisschwäche — er scheint
die Notizen, die meist selbsterlebte Dinge betreffen, in den letzten Lebens¬
jahren aus der Erinnerung zu Papier gebracht, zu haben s — machten es
ihm unmöglich. So ist es denn nicht auffallend, wenn fast alles, was De Bey
niedergeschrieben hat, von Unrichtigkeiten nicht nur in den Zeitbestimmungen,
sondern auch in den tatsächlichen Angaben geradezu wimmelt. Einige Bei¬
spiele seien zum Beweise hier angeführt.
Bei einem heftigen Ausfall gegen den Archivar Karl Franz Meyer den
Jüngeren erwähnt De Bey Dinge, die sich teilweise, wie z. B. die Zurück¬
bringung der nach Paris entführten Urkunden, 1815 ereignet haben, spricht
am Schlüsse sogar von dem „verlebten H. Archivar“ (Meyer d. J.), der erst
die Tante Jungfer Genien, die einige Jahre vor ihrem Lebensende erblindete. Matthias
De Bey heiratete am 26. Mai 1770 im Alter von 20 Jahren die fast 8 Jahre ältere Maria
Ida Käntzeler, eine Tochter des Aachener Kaufmanns Johann Theodor Käntzeler, der
aus Recklinghausen gebürtig war. Als seine Schwäger nennt er den Dr. med. Theodor
Käntzeler, Peter Käntzeler und Vietoris. Stephan Heinrich Vietoris, Lizentiat beider
Rechte und Beisitzer des Sendgerichts, war 1792 Pate bei der Taufe einer Tochter
De Beys. (Über die Familie Vietoris vgl. A. Thissen, Aus vergangenen Tagen S. 17 f.)
Zur Zeit der Besetzung Aachens durch die Franzosen und wohl auch schon früher
betrieb Matthias De Boy ein Ladengeschäft, wobei ihm eine „Ladenjungfer“ zur Seite
stand. Als im Jahre 1797 der französische General Hoche die reichsstädtische Ver¬
fassung in Aachen auf kurze Zeit wieder einführte, wurde er zum städtischen Bau¬
meister erwählt, in welcher Eigenschaft er allerdings entgegen dem Titel mit baulichen
Arbeiten wenig zu tun hatte, und nach Wiederaufhebung der Verfassung im folgenden
Jahre zum Stadtrentmeister ernannt. In der letzteren Stellung verblieb er bis zum
Jahre 1820. Zugleich war er eine Zeitlang, wie er sich selbst wiederholt nennt, Kirch-
meister der Kathedrale. Auch wird er 1812 als Mitglied des Munizipalrats und 1816
als solches des Stadtrats erwähnt. Das Landgnt Linde in der Nähe von Aachen war
sein Eigentum. Unfern dieses Gutes am Kirohwege nach Laurensborg errichtete er
nach seinen Aufzeichnungen ein noch heute dort stehendes Steinkreuz mit dem Chrono-
gramm: ChrIste CkVCIfIXk pkopItIVh esto MatiiIae DebeI (1827). In De Beys alten
Tagen scheint es einsam um ihn geworden und er von Krankheiten heimgesucht ge¬
wesen zu sein. Er überlebte seine Frau, mit der er zahlreiche, vielleicht zum Teil
früh verstorbene Kinder hatte, und verschied zu Aachen im Hause Jakobstraße Lit. B,
Nr. 887 (heute 101) am 10. Juli 1831 im Alter von 72 Jahren. Den Tod meldeten dem
.Standesamte der Leichendiener Matthias Kelletor als Bekannter des Verstorbenen
und der Knnzleibote Peter Meyer als Nachbar. In dem genannten Hause wohnte später
und starb auch der bekannte Arzt und Gelehrte Dr. Matthias Hubert Debey (+ 1881),
einer der Mitbegründer des Aachener Geschichtsvereins (vgl. J. Becker in ZdAGV 9,
S. 233).
') H. A. von Fürth, Beiträge und Material zur Geschichte der Aachener Patrizier-
Familien III, S. 616 ff.
*) Hierfür spricht besonders die Tatsache, daß die Schrift De Beys bei allen seinen
Eintragungen einschließlich der letzten vom Jahre 1830 dieselbe ist.
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Pick, Ist der 1910 wiederentdeckte Sarkophag der Sarg Karls d. Gr.? 373
1821 gestorben ist, und unterschreibt dennoch seine Erzählung mit seinem
Namen und Titel und der Jahreszahl 1814 (S. 14 f. und 54 f.). — Dort ge¬
denkt er (S. 15) auch der von Paris nach Aachen zurückgebrachten, für Kaiser
Karl VI. (171 1 — 1740) angefertigten spanischen Handschrift über die Krönung
Maximilians II. in Frankfurt (1562), die er bei einem Aachener Friedens¬
schluß zwischen Frankreich und Spanien niedergeschrieben sein läßt, „wo
zugleich ein Cardinal als gesanter von Pabst zugegen und auff dem Rath-
hauß bej Schluß des Friedens ein staatliches Mittag gehalten worden, wo
ira selben Buch die Taffel abgezeichnet wäre“. Offenbar hat De Bey hier
an den Aachener Frieden von 1668 gedacht, mit dem die Handschrift aber
nichts zu tun hat. Die Tafel stellt dem Texte entsprechend den zum
Krönungsmahl vorbereiteten Festsaal im Römer zu Frankfurt dar 1 . — Die
^Aachener Heiligtümer werden an der einen Stelle (S. 51) im Jahre 1798
nach Paderborn geflüchtet, au einer anderen (S. 38) 1804 nach Aachen
zurückgebracht, nachdem sie zehn Jahre in Paderborn geruht hatten. — Den
Kaiser Joseph II. läßt De Bey anfangs der achtziger Jahre des 18. Jahr¬
hunderts im Karlsbad bei Groyen einkehren (S. 63), während er tatsächlich
im Korneliusbad abgestiegen ist 2 , wie die Gedenktafel am Hause bestätigt.
— Das 1822 — 1825 erbaute Theater ist bei ihm bald 1826 vollendet (S. 6),
bald „im Jahr 1825, 26 bis 27“ neuerbaut worden (S. 70). — Im Jahre 1805
will er als Kirchineister mit dabei gewesen sein, als der Bischof Berdolet
der Kaiserin Josephine in der Sakristei des Münsters das Noli me tangere-
Kästchen zeigte (S. 19); in Wirklichkeit ist die französische Kaiserin 1805
nicht in Aachen gewesen. Am 1. August 1804 wurden ihr „en prcseuce du
chapitre assemblö et de la cour“ die kleinen und am 22. August die großen
Heiligtümer gezeigt. Das richtige Datum hätte De Bey leicht aus Poissenots
Schrift ersehen können. Aber ob er das Buch überhaupt gekannt hat? Auch
die an dem Noli me tangere-Kästchen hängende kleine Pergamenturkunde 3
ist in De Beys Abschrift voller Schnitzer (S. 23). — Die Einweihung („In-
stalierung“ bei De Bey) der evangelischen Kirche läßt er 1803 unter dem
Präfekten Alexander Lameth vor sich gehen (S. 46), während damals dessen
zweiter Vorgänger, Alexander Mechin, Präfekt des Roerdepartements war.
— Den Kaiser Napoleon läßt er am 6. Mai 1816 (richtig 5. Mai 1821) „auff
die Insel St. Helena“ sterben (S. 58) und den noch jetzt erhaltenen Pfaffen¬
turm in Aachen im Jahre 1823 abgebrochen werden (S. 2). — Der Mutter
Napoleons, Lätitia Bonaparte, gibt er iu Verwechselung mit der Tochter der
Kaiserin Josepbine den Namen „Hortensia“ (S. 133) und den Franzosenküuig
■) Über die Handschrift, die sich im Aachener Stadtarchiv befindet, vgl. R. Pick
in der Festschrift zur 72. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte, Aachen
1900. S. 222. Von den zahlreichen Urkunden, die 1803 aus dem Stadtarchiv dem fran¬
zösischen Spezialkommissar Maugerard für die Nationalbibliothek in Paris ausgehkndigt
werden mußten und teilweise noch heute dort beruhen, ist De Bey nichts bekannt.
*) Vgl. R. Pick, Aus Aachens Vergangenheit S. 553.
*) Abgedruckt bei J. H. Kessel, Geschichtliche Mittheilungen Uber die Heilig-
thüuier der Stiftskirche zu Aachen S. 125, Anm. 2.
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374
Kleinere Beiträge.
Karl X., der 1830 der Regierung entsagte, nennt er wiederholt Karl VI.
(S. 248). — Nach De Beys Aufzeichnungen (S. 11) „ist auno 1783 der König
von Schweden Gustav Adolf II. hier in Aachen gewesen“. In Wahrheit war
König Gustav III. in den Jahren 1780 und 1791 in der alten Kaiserstadt
anwesend 1 . König Gustav II. Adolf regierte von 1611 —1632! Gustav III.
besichtigte (1780) im Aachener Münster die grollen Heiligtümer und ihm zu
Ehren gab (1780 oder 1791?) „die Magistrat auch eine Grand Bale auf der
Redoute wo die hrn Bürgermeister und Beambten zugegen waren; wo selbe
in einem Circul um den König versammelt waren, wo selber mit der Magistrat
ganz leutseelig und freundschaftlig über Verschiedenes sprach. Dieser licbens-
werthe König“, so fährt De Bey dann fort, „ist spätherhin in Stockholm von
Struenze & Brand meuchelmördisch auf der Bale erschoßen worden. Welecher
Mord, wie inan spätherhin vernahm, wäre hier auf der Redoute beabsichtet,
welches aber mislungen.“ Welch heillose Verwirrung! Die Grafen von
Struensee und Brandt waren bereits lange tot, als Gustav III. zum ersten
Mal nach Aachen kam. Sie hatten mit dem Schwedenkönig nichts zu schaffen,
w'aren auch keine Meuchelmörder, sondern fielen 1772 dem Haß der dänischen
Adelsaristokratie zum Opfer. Gustav III. wurde ein Jahr nach seiner letzten,
De Bey unbekannten Anwesenheit in Aachen im Jahre 1791 — und nur auf
diesen Besuch kann es bei seiner Erzählung von der Mordabsicht auf der
Redoute ankommen, wenn überhaupt diese Erzählung nicht bloß auf Klatsch
beruht — auf einer Hofmaskerade in Stockholm von der Meuchlerhand Jakobs
von Ankarströin tödlich verwundet. — Bemerkenswert ist auch, was De Bey
S. 137 (unrichtig mit S. 141 bezeichnet) schreibt, weil es seine völlige Zer¬
fahrenheit selbst in betreff der eigenen Lebensdaten zeigt. „Am Ersten Mertz
1792 (wo Ich der Zeit stadt Rentmeister wäre)“, sei, so erzählt er, eine
Bauernfrau aus „Högen“ (Höngen) zur Neuraaunskammer nach Aachen ge¬
kommen, um etwas zu zahlen, und habe die erste Nachricht von der Über¬
schreitung der Roer durch die Österreicher und dem Zurückweichen der
Franzosen überbracht. Das Ereignis, von dem hier die Rede ist, fällt aber
bekanntlich auf den 1. März 1793 und De Bey wurde nach seiner Angabe
(S. 15) erst 1798 zum Stadtrentmeister ernannt. Im Jahre 1792 ff. bekleidete
dieses Amt Peter Joseph Wildt. — Daß De Bey die frühere Jakobskirche
für eine Jagdkapelle Karls des Großen hält (S. 66) und den Kaisersaal im
Aachener Rathause „Congressaal“ nennt (S. 109), ist nicht zu verwundern.
— Was von ihm über den Theaterbau niedergeschrieben worden ist, hat
bereits vor einigen Jahren der vortreffliche Kenner unserer Theatergeschichte,
Professor A. Fritz, gebührend gewürdigt*. De Beys diesbezügliche Aus¬
führungen strotzen, wie Fritz schreibt, von tatsächlichen Unrichtigkeiten
und können unser Interesse nur insofern beanspruchen, als sie der Nieder¬
schlag von böswilligem, die städtischen Behörden grundlos verdächtigendem
•) A. von Reumont in ZdAOV 2, S. I 11. und R. l’ick ebenda 31, S. 175 ff.
’) ZdAOV 24, 8. 214, Atim. 8. Auoli J. Buchkremer (ebenda 29, S. 193) nennt
De Beys Aufzeichnungen „eine recht unzuverlässige Quelle",
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Pick, Ist der 1910 wiedercntdccktc Sarkophag der Snrg Karls d. Gr.? 375
Stadtklatsch gewesen zu sein scheinen. Besonderes Unglück hat l)e Bey,
um auch dies nicht zu übergehen, da es für seine Leichtfertigkeit charak¬
teristisch ist, mit der Schreibung von Personennamen: „Caspar Maximilian
von Drosden zu Fischerring“ heißt bei ihm der Weihbischof und spätere
Bischof Freiherr von Droste-Vischering zu Münster; „Theilen“ (nach der
Volksaussprache) der letzte Dominikanerprior und erste Pfarrer an St. Paul
in Aachen, Paul Thelen; „Mejers“ der Archivar K. F. Meyer der Jüngere;
„Beckers“ der Ratssekretär Dauiel Pet. Mich. Becker; „von Erberfeldt“ der
Paderbomer Landrat Freiherr von Elverfeld; „Sceiffers“ (von der west¬
fälischen Mundart seines Schwiegervaters oder seiner Frau beeinflußt) der
Kapitels-Syndikus und spätere Friedensrichter N. J. Schieffers und „Scmitz“
die Frau des Bürgerbürgermeisters Wespien, Anna Maria Schmitz; „Thevis“
der Erzpriester Tewis; „Dampier“ der französische General Dampierre;
„Longnai“ die durch den Ministerresidenten Friedrichs des Großen, Matthias
Lognay, bekannte Familie Lognav; „Beysell“ der Nadelfabrikant Stephan
Beissel; „Quikx“ der bekannte Aachener Historiker Christian Quix usw.
Doch genug des grausamen Spiels! Die Unzuverlässigkeit De Beys ist,
denke ich, durch die beigebrachten Proben, die bei Bedürfnis leicht und
erheblich vermehrt werden könnten, genügend erwiesen. Gerechtes Mi߬
trauen erregt daher auch schon von vornherein seine hier in Betracht
kommende Erzählung von der Auffindung der Gebeine Ottos III, Er be¬
richtet 1 , als Kirchineister habe er einem Auftrag des Präfekten Mechin und
des Bischofs Berdolet gemäß am 11. Oktober 1803 das im Münsterchor auf
dem Paviment stehende Grabmal Kaiser Ottos III. wegriiumen lassen. Darin
habe nur der vermoderte Körper, von Baumaterialien wie mit einem Guß
überzogen, gelegen und zwar ganz, den Kopf nach dem hohen Altar ge¬
richtet. Die Gebeine seien herausgenommen und das Grabmal dem Boden
gleich gemacht worden. Sowohl der Präfekt und der Bischof wie auch er
(De Bey) hätten einige Knochen an sich genommen. Beim Weitergraben
am 13. Oktober habe man ein zweites (!) Gewölbe gefunden und darunter
') S. 22. Da die betreffende Stelle bisher nirgendwo, auch nicht in dem oben an¬
geführten Berioht von L. Schmitz S. 31, richtig abgedruckt worden ist, lasse ich sie
hier in genauer Wiedergabe folgen:
„Nebenseitig bemerktes Grabmahl des Kaysers Otto seines nabmens der dritte habe
ich als dermahliger Kirchmeister der Cathedrale Kirche auff befebl des Heren Prae-
fecten Mechin, und seiner Hochwürden des Heren Bischoff Marcus Antonius Berdolett
am Ilten Oetober 1808 wegraumen laßen. Dieses Grabmahl stände in mitten des Chors
von schwarzen Marmor etwan vier schuh tieff jedoch auff dem paviment. Der ver-
mooderte Körper wäre von Baumaterialen wie mit einem Guß überzogen. Keine Sarge
fand sich mehr, sondren der Ruin der Gebeiner, jedoch der Körper ganz, mit dem
Kopf zum Hohen Altar gerichtet. Die Gebeiner wurden ausgenohmen und das Grab¬
muhl dem Booden gleich weg gemacht, einige dieser Gebeiner hott der Praefect, wie
auch der Her Bischoff zu sich genolimen, ich habe auch einige auffbewahrt.
Den löten Oetober wnrde weiter gebrochen und man fand ein zwejtes gewolb
worunter sich wieder ein Grabmahl befand, welches vier schuh breit und sieben schuh
lang wäre, die seitensteine nnd der Decken in form einer sarg von rothen Sandstein,
an jeden Eck ein 4ilkiger weißer Sandstein, welches aber, was zu bedauren, nicht weiter
errüfnot worden, so so wurden das paviment darüber gemacht, Mathias De Bey.“
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376
Kleinere Beiträge.
wieder ein Grabmal von 4 Schuh Breite und 7 Schuh Länge. Es sei ein
Sarg von rotem Sandstein gewesen, der aber bedauerlicherweise nicht ge¬
öffnet worden sei. Beigefügt ist noch, daß an jeder Ecke des Sarges sich
ein viereckiger weißer Sandstein befunden habe, eine Angabe, die aber meines
Wissens durch die Ausgrabung des Jahres 1910 nicht bestätigt worden ist.
Soweit De Bey. Keinem einsichtigen Forscher wird cs in deu Sinn
kommen, nach den gemachten Erfahrungen diesen Ausführungen bis in die
Einzelheiten Glauben zu schenkeu. Insbesondere ist es durchaus unglaublich,
daß in der Tumba die Gebeine Kaiser Ottos III. zumal ohne jegliche Um¬
hüllung mit einem Prachtgewaude oder irgend einem edlen Stoffe beigesetzt
gewesen seien. Tumben wurden schon frühe zum Gedächtnis Verstorbener
errichtet; aber keineswegs umschließen sie immer den Leichnam 1 . Auch
von einem Bilde des Bestatteten, das seit dem 13. Jahrhundert, also bereits
lange vor der Errichtung der Otto-Tumba im Münster, alle Hochgräber
tragen *, ist bei dieser Tumba nichts bekannt geworden. Daß es sich bei
den fraglichen Arbeiten im Chor um die Auffindung des Grabes Ottos, speziell
seiner Gebeine, und nicht bloß um die Wegräumnng der Tumba handelte,
beweist schon die Anwesenheit des Präfekten Mechin, der offenbar die Ar¬
beiten mit bischöflicher Zustimmung anordnete und leitete*. Der vermoderte
Körper in der Tumba wird wohl ein Traumgebilde De Beys gewesen sein;
aber, wenn man auch annehmen wollte, daß hier Gebeine zu Tage gekommen
seien, was nicht völlig unmöglich wäre, da das Grundstück um das karo¬
lingische Chörchen, das zu dem gotischen Chor teilweise eiubezogen wurde,
vormals Kirchhof 4 war, so ist es doch zweifellos, daß der Präfekt und der
*) Daß die Tumba nicht das Grab Ottos III., sondern ein Denkmal Uber seinem
Grabe gewesen sei, wird in der neueren Zeit ziemlich allgemein angenommen. Vgl.
Chr. Qu ix, Biographie des Ritters Gerard Chorus S. 67 und desselben Verf. Historische
Beschreibung der MUnsterkirche S. 20; F. H nagen, Geschichte Achens I, S. 88; E.
aus’m Weerth, Kunstdenkmäler des christlichen Mittelalters, Abt. I, Bd. 2, S. 65;
K. Faymonville, Der Dom zu Aachen S. 213 ff.; H. Savelsberg, Neuester Führer
für Aachen und Umgebung 7 S. 67. Die Deckplatte der Tumba wurde 1803 ins Oktogon
gelegt. Ob es die ursprüngliche, im Jahre 1783 als mehrfach gebrochen bezeichnete
Platte war oder eine vielleicht damals aus der Nikolaikapelle an deren Stelle ge¬
kommene (vgl. Stiftsprotokoll vom 7. Februar 1783 bei K. Faymonville a. a. O.
S. 214, Anm. 4), bedarf noch der Aufklärung. Das Gleiche trifft übrigens, nebenbei
bemerkt, bei der Frage nach der Beschaffenheit des Ottograbes im 11. Jahrhundert zu.
Aus den Redewendungen Adalbolds (t 1027) und Lantberts (f 1070) zu folgern, daß es
ein Hochgrab gewesen sei, erscheint völlig willkürlich; mit dem nämlichen Rechte
darf man an ein Erdgrab mit einem Grabdenkmal oder sonst einem äußeren Merkmal
denken. Vgl. E. Teichmann in ZdAGV 37, S. 165. Die um 1620 nach P. a Beeck in
der Sakristei des Münsters aufbewahrte Grabschrift (so glaube ich die Verse auffussen
zu sollen) wird wohl dem ursprünglichen Grabe Ottos angehört haben.
*) H. Otte, Handbuch der kirchlichen Kunst-Arohäologie des deutschen Mittel¬
alters 4 S. 237.
a ) Man darf wohl annehmen, daß Mechin von dem französischen Minister den
Auftrag erhalten hatte, die Leiche Ottos nebst allem, was sich bei ihr im Grabe vor¬
fand, nach Paris zu schaffen.
4 ) Über diesen Kirchhof vgl. Chr. Quix, Necrologinm occlesiae B. M. V. Aquensis
8. 42, Anm. 3: Supra cimitcriiim iuxla s. Coronam ent sepulta. Bei diesem Vermerk
von jüngerer Hand huudelt es sich um das Grab der Ida, Gemahlin des Basilius. Zu
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Pick, Ist der 1910 wiederentdeckte Sarkophag der Sarg Karls d. Gr.? 377
Bischof sie jedenfalls nicht für die Gebeine Ottos gehalten haben, da sie
nach De ßeys Erzählung am zweiten Tage nach der Beseitigung der Tumba
die Nachgrabungen fortsetzen ließen. Und nun kommt das Wunderbarste bei
De Rey: man findet unter einem Gewölbe, was man sucht, das Grab Ottos,
und öffnet es nicht, sondern deckt alsbald die Gruft wieder zu. Kann man
sich eine größere Torheit denken? Gewiß nicht, und tatsächlich ist sie auch
nicht begangen worden; denn „nach vorhandenen zuverlässigen Nachrichten
im Stiftsarchiv“ erschienen in eiuer Nacht des Januars 1804 der Präfekt
Mechin und der Bischof Berdolet mit dem Baumeister Coopmanu 1 und drei
vereideten Werkmeistern im Münster, um das Grab Ottos zu öffnen. Man
fand in einer Tiefe von 8 Füll und in einer Entfernung von 4 Fnß chor-
einwärts von den drei steinernen Stufen daselbst einen 8 Fuß langen Sar¬
kophag von grauem Marmor, worin die Gebeine Kaiser Ottos III. ruhten,
die Mechin, wie es heißt, nach Paris abgeheu ließ. Der Sarkophag aber
blieb an der Stelle zurück. So berichtet 1862 im Kölner Domblatt (Nr. 208)
der vielgereiste und gelehrte Kanonikus des Münsterstifts, H. W. Prisac,
ein Mann, der sich auch mit der Aachener Geschichte eingehend beschäftigt
hat und dem man die Fähigkeit, aus geschichtlichen Aufzeichnungen die
Wahrheit zu ermitteln, wohl Zutrauen darf 2 . Die Angabe, daß der Sarg
aus grauem Marmor statt aus rotem Sandstein bestanden habe, verschlägt
kaum etwas. Eine Täuschung in dieser Hinsicht war bei der jedenfalls
höchst mangelhaften Beleuchtung iu der Nacht leicht möglich. Schon im
Jahre vorher (1861) hatte ein Ungenannter (A. von Reumont?), gestützt auf
eine zweifellos nach glaubwürdigen Berichten gemachte Aufzeichnung des
ersten Propstes des Kollegiatstifts Matthias Claessen (1826— 1839) im „Kirchen¬
buch“, die gleiche Nachricht von der Auffindung der Gebeine Ottos III. in
der Augsburger Allgemeinen Zeitung (Nr. 274) mitgeteilt, aus der sie bald
darauf von Raudris Organ für christliche Kunst (XI, S. 275) übernommen
wurde. Diesen bestimmten Angaben gegenüber zerfällt die Erzählung des
durchaus unzuverlässigen De Bey von der Auffindung der Gebeine Ottos in
nichts. Fand man aber 1804 in dem Sarkophag die Leiche des darin Be¬
statteten, so kann er nicht der Sarg Karls des Großen sein, da dessen Ge¬
beine schon im Jahre 1165, wahrscheinlich auf Betreiben des Cölner F.rz-
der Sohenkung des letzteren (S. 12, Z. 10) hat ebenfalls eine jüngere Hand den noch
nngedrnckten Zusatz gemacht: Supra cimiterium retro sanctam Coronam ipse et luror
sua sunt sepulti. Daß mit der sancta Corona der vormalige Korona-Altar im Münster
gemeint ist, der links vom Choreingang stand, dürfte nicht zweifelhaft sein. Mit diesem
Kirchhofe ist nicht zn verwechseln der St. Foillanskirchhof, der nordwestlich von St.
Foillan lag und an diese Kirche anstieß. Vgl. über ihn Ponttor-Grafschafts-Buch (Hand¬
schrift im Kgl. Staatsarchiv zu DüsseldorO Bl. 1; Chr. Q u i x, Beitrüge zur Geschichte
der Stadt Aachen und ihrer Umgebungen II, S. 168 und S. P. Ernst-E. Lavalleye,
Histoire du Limbourg VII, p. 221.
') Nikolaus Coopmann war lange Jahre hindurch in Diensten der Stadt Aachen
und besorgte zugleich die baulichen Arbeiten dos Domkapitels daselbst. Er war eine
Vertrauensperson des Oberbürgermeisters und des Stadtrats. Vgl. A. Fritz in ZdAGV
22, S. 27.
') Vgl. H. Savelsberg, Aachener Gelehrte in älterer und neuerer Zeit 8. 84, Nr. 219.
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Kleinere Beiträge.
bischofs Reinald von Dassel', durch Kaiser Friedrich I. erhoben wurden und
seit den Tagen Friedrichs II. (1215) im Karlsschrein aufbewahrt werden.
Dagegen paßt der Sarg gerade im Hinblick auf die über dem Grabe
errichtete Otto-Tumba vortrefflich zu Kaiser Otto III., zumal die Zuriick-
führung des Sarges auf Karl den Großen auch sonst schweren Bedenken
begegnet. Denn wie erklärt sich in letzterem Falle, so darf man fragen,
die Angabe der mittelalterlichen Schriftsteller, daß die Leiche Karls von
Otto III. in solio regio (Thietmar) und von Friedrich I. in tumulo marmoreo
(Fortsetzer der Chronographie des Sigebert) gefunden worden sei? Der unter
der Erde des Miinsterchors liegende Sarkophag ist, wie bemerkt, von rotem
Sandstein; von einem „königlichen“ Sarge kann bei seiner völligen Schmuck¬
losigkeit durchaus keine Rede sein. Was man an ihm für Schmuck angesehen
hat, beruht nur auf der einfachen Steinmetztechnik, indem er gleich den
römischen Sarkophagen mit dem Zweispitz derart behauen ist, daß die ganze
Steinfläche aus sich in- und durcheinander schiebenden Kreissegmenten zu¬
sammengesetzt erscheint, deren jedes aus einer Reihe paralleler Kreislinien
besteht, die dadurch entstanden, daß der Steinmetz mit der natürlichen
Schwunglinie des Armes das gekerbte Beil schwingend bei jedem Hiebe not¬
wendig die parallelen Kreislinien auf dem Steine bilden mußte, während der
folgende Hieb schon in etwas veränderter Richtung folgend eine gleiche
Figur der vorhergehenden mehr oder weniger schräg anfügte, und so die
ganze Fläche bis zu Ende hin bearbeitete*. Als Sarg Karls des Großen
wird seit Jahrhunderten der Proserpina-Sarkophag von jedermann betrachtet,
und wer ihm seinen alten Ruhm nehmen will, wird mit der Ortsforschung
in einen schweren Kampf geraten. Aber auch die Form des Rotsandstein-
Sarges, seine Verjüngung nach dem Fußende hin, läßt seine Entstehung
«iher in der nachkarolingischen als in der karolingischen oder gar vor¬
karolingischen Zeit vermuten. Zwar kommen solche. Särge seit der spät¬
römischen Zeit bis tief ins Mittelalter hinein vor, aber ihre Blütezeit scheinen
doch das 10. und 11. Jahrhundert gewesen zu sein 3 . Da der Fundbericht 4
nur spärliche Angaben über die Beschaffenheit des Sarges macht - nicht
einmal seine Maße werden mitgeteilt — so ist es leider unmöglich, aus
seiner Gestaltung einen sicheren Schluß auf die Zeit seiner Entstehung zu
ziehen. Zuletzt, darf man aber auch noch fragen, w T ohin der Sarg Ottos
denn geschwunden sein könne, falls der 1804 aufgefundene und 1910 wieder
bloßgelegte Rotsandstein-Sarkophag ihm nicht angehört.
Große Schwierigkeiten, wie man sieht, erheben sich, wenn man den unter
der vormaligen Otto-Tumba im Münsterchor gelegenen Sarg Kaiser Ottos III.
dessen großem Ahnherrn Karl dem Großen zuschreiben will; sie zu beseitigen,
dürfte schwerlich auch dem gewiegtesten Forscher gelingen.
Aachen. R. Pick.
') Er brachte 1104 die hh. Droikbnige aas Mailand nach Coln und erhöh IHM diu
Gebeine der hh. Kassius und Florentius in Bonn.
*) P. deinen, Die Kunstdenkmiller der Stadt Aachen. I. Das MUnster, bearbeitet
von K. Faymonvillp S. 122. Vgl. von Quast in den Bonner .Jahrbüchern I, und
LI, S. 129, wo obige Angaben Uber die antike Steinmetztechnik an mittelalterlichen
Kotsandstein-Sarkophagen zu lesen sind.
*) Vgl. I, Lindensehmit. Handbuch der deutschen Alterthumskunde I, 8. 110;
Bonner Jahrbücher XXV, S. 128, XL1V und XLV, s. 151 und 1. und LI, S. 129 ff.
*) Bericht des Vorstandes des Karlsvoreius zur Restauration des Aachener Münsters
Uber das 63. Vereinsjahr 1910, S. 18 ff.
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Pick, Der Einzug des Herzogs Johann Wilhelm von Jülich-Berg usw. 379
2. Der Einzug des Herzogs Johann Wilhelm von
Jülieh-Berg in Aachen am 15. Mai 1680.
Am 1. August 1679 übernahm Johann Wilhelm, der nachherige Kur¬
fürst von der Pfalz, die Verwaltung der Herzogtümer Jülich und Berg.
Sein Vater, der Pfalzgraf-Herzog Philipp Wilhelm, hatte ihm die Regierung
beider Länder übertragen und si<*h selbst nach Neuburg zurückgezogen. Als
Prinz hatte Johann Wilhelm in den Jahren 1674—77 eine Reise durch Europa
gemacht, auf der er unter anderen von dem Trierer Jesuitenpater Johann
Joseph Packenins aus der noch heute in Aachen lebenden Familie begleitet
worden war. Von dieser Reise, die Packenins unter dem Titel „Hercules
Prodicius post saeculum redivivns“ beschrieben hat, brachte der junge Fürst
viel Sinn für höfischen Prunk heim 1 .
Die Reichsstadt Aachen zögerte nicht, dem neuen Herrscher ihre
Glückwünsche auszudrücken. Am 24. Oktober 1679 beauftragte sic eine
Gesandtschaft, bestehend aus dem regierenden Schöffenbürgermeister von
Olmissen genannt Mulstroe, dem abgestandenenen Bürgerbürgermeister
Schörer, dem Syndikus von Brauman und dem Kaiserlichen Oberstwacht¬
meister Leonhard von Dautzenberg, in Cöln ein Stückfaß Wein einzukaufen
und dem Herzoge in seiner Residenz Düsseldorf zu verehren*. So wurden
mit den besten Wünschen für eine lange und glückliche Regierung gleich
zu Anfang gute Beziehungen zwischen Aachen und seinem neuen Schirm¬
herrn angebahnt.
Johann Wilhelm war zweimal vermählt: in erster Ehe seit dem 25.
Oktober 1678 mit der Erzherzogin Maria Anna Josepha von Österreich,
einer Stiefschwester Kaiser Leopolds I., zu dem er in doppelte Schwäger¬
schaft trat, da dieser eine Schwester des Herzogs, die mit Aachen in naher
Verbindung stehende Prinzessin Eleonore Magdalena Theresia*, zur Ge¬
mahlin hatte. Nach dem Tode seiner ersten Gemahlin (sie starb am 14. April
1689) vermählte sich Johann Wilhelm in zweiter Ehe mit der Herzogin
Maria Anna Luise von Toskana, die er schon in ihren Kinderjahren auf
seiner Reise an die europäischen Höfe in Florenz kennen gelernt hatte.
Wiederholt besuchte Johann Wilhelm mit seinen Gemahlinnen die alte Kaiser¬
stadt. Bereits am 15. Mai 4 1680 traf das Herzogspaar in Begleitung des
Prinzen Wolfgang Georg Friedrich Franz, des späteren Bischofs von Neu¬
stadt, eines jüngeren Bruders des Herzogs, hier ein, um die Bäder zu ge¬
brauchen. Es nahm sein Absteigequartier in dem Hause von Maw (jetzt
Gasthof Nuellens auf dem Friedrich-Wilhelms-Platz), wo 1668 der Friedens¬
kongreß abgehalten worden war und im Laufe der Zeit manche fürstliche
') E. vonSr.haumhnrgin der Zeitschrift des Berg. Gesehiehtsvereins V, S. 331 ff.
Über die Familie Packenins s. Th. Oppen ho ff in ZdAGV 15, S. 324. Nr. 407.
*) E. Pauls in ZdAGV 7, S. 274.
3 ) R. Pick, Ans Aachens Vergangenheit 8. (*• f. und »01. S. auch oben S. 203,
wo Magdalena statt Maria zu lesen ist.
4 ) Irrig verlegt J. Kühl (Gisch, der Stadt Jülich II, S. 109) die Reise nach Aachen
ans Ende des Monats Mai.
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380
Kleinere Beiträge.
Personen einkehrten 1 . Am 7. Juni verließen der Herzog und die Herzogin
wiederum die Stadt, nachdem sie drei Tage vorher die Heiligtümer im
Münster in Augenschein genommen hatten. Auch in den späteren Jahren
ist Johann Wilhelms Anwesenheit in Aachen öfters bezeugt, so 1 '*81, 1886,
1697 und 1698*. Über den Empfang, der ihm bei dem Besuche im Mai 1680
seitens der Stadt zuteil wurde, haben sich im hiesigen Stadtarchiv nach¬
stehende Aufzeichnungen erhalten, die, wenn sie auch im holperigsten Deutsch
verfaßt sind, doch der Mitteilung wert erscheinen, zumal sie ein Bild von
dein Gepränge geben, das der Herzog bei seinem Auftreten liebte 3 .
„1680, den 15. maij is der furst von Gulicb mitt die ertzhertzogiune
undt prins Wolfganck alhie kommen. Unsere herren sient ihrne auf unsere
limiteu im busch gegengefharen, alwho sie dieselbe empfangen undt com-
plimentirt. Die unterdhanen von der Wijden stonten alle auf selbige platz
ihm gewehr, in andere aber auf der Hassclsgracht, welche, gleich nachdem
die carossen worbey wahren, alle salve gaben. Zu Haren stonten ihre durcli-
laucht auß ihre carossen in einem anderen, welcher mitt 6 schöne Isabellen
bespannen undt zwey tagh zuvorn alhie ankommen waereu. Dha befonden sich
auch einiche handtpferdt mitt dem rittmeister von der leibguarde Monsieur de
Monzaw mitt 30 pferdt von vorschrevener guarde. Alm St. Thomas kommende
wurden 8 stuck losgeschossen, darauf 60 cammeren gleich folgeten undt
gienge vorher einen carossche mitt 6 pferdt, warinnen Jesuwiteren gesessen,
darnach einen ad 6 pferdt, warihnnen cavalliers, darnach unsere herreu,
denen zur seithen der herr haubtman undt meine wenige persou accornpang-
uirten. Darauf folgeten 7 schone handtpferdt, darnach die harpocke 4 mit
4 trompetters, darnach der graf Utiugen 5 in einem von 6 pferden, nachdem
einer mitt 6 pferden, warinnen der prins Wolfganck gesessen, darauf einiche
cavalliers zu pferdt undt gleich darauf der hertzogh mitt die hcrlzoginne
in dem von 6 schone Isabellen, darauf der capitoin der guarde mitt 30
reuters in liberey. Ahn St. Thomas komment, gingen 8 stuck los, darauf
60 cammeren von der pfortzen bis der mittel 0 , von dannen durch Klein
Colluerstraes, ferners dem Buchgel hinunten bis ahn herrn Maw haus stontc
alle bürgere companien detilirt. Als ehr nuhn ausgestiegen, gingen noch 5
ad 6 stuck los, so hinten dem haus auf den wähl stonten. Darauf bequamen
unsere herren abermahlen audients. Abents hat man sie eine wacht von
*) A. von Jlenmont in ZdAOV 5, S. 61 tt’.
a ) H. A. von Kttrth, Hei trüge und Material zur Geschichte der Aachener Pa¬
trizier-Familien IJ, Anh. 2, S. 193 und 2<>0; K. F. Meyer, Anehensehe Geschichten I,
8. 679 und 681; E. Pauls in ZdAOV 7, S. z75. Im Jahre 1687 weilten der Herzog und
die Herzogin Uber sechs Wochen in Burtscheid, wo die letztere drei Wochen krank lag.
U. A. von Fürth a. u. 0. II, Anh. 2, S. 201.
*) ln dem Abdruck sind die für u gebrauchten v durch u und die für v ge¬
brauchten u durch v wiodergegeben; im übrigen ist die Schreibweise der Vorlage ge¬
nau beibehalten worden. — •) Heerpauke.
5 Graf von Oottingon, der der Herzogin hei ihrer Vermahlung als Oberhofmeister
beigegeben worden war; vgl. Zeitschrift des Berg Geschichtsvereins VIII, S. 27.
Cölnmitteltor.
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Pick, Der Einzug des Herzogs Johann Wilhelm von Jiilich-Berg usw. 381
15 Soldaten geben, welche 4 Schildtwachten haben observiren muessen. Den
änderten tagh sient ihre den wein durch Pfeill 1 ad 32 viertel verehrt, den
tagh darnach dein prinsen Wolfganck ad 28 viertel, welche auch durch
Pfeill sient verehrt worden.“
Aachen. K. Pick.
3. Die grösseren Brände Heinsbergs.
Das Archiv der Stadt Heinsberg besitzt abgesehen von den Tauf-, Trau-
und Sterbebüchern der Pfarre, die zufolge Verordnung des französischen
Regierungskommissars Rudler vom 12 Horeal des Jahres VI der Republik
(1. Mai 17981 am 30. thermidor dess. J. (17. August 1798) der städtischen
Gemeindeverwaltung übergeben worden sind, aus der vorherliegenden Zeit
auch nicht eine einzige Urkunde, welche auf die reiche Geschichte der Stadt
Bezug hat. Für diese sind, wie schon an anderer Stelle ausgesprochen,
die dem Heinsberger Pfarrarchiv erhalten gebliebenen Urkunden von nur
geringem Belang. Gegenüber der schon im 11. Jahrhundert einsetzenden
Bedeutung Heinsbergs ist eine solche Lücke immerhin auffällig. Der Über¬
lieferung nach sind — und das kann nicht anders sein — reiche Archiv¬
bestände vorhanden gewesen. Teils sollen sie zur Zeit der Fremdherrschaft
von den Franzosen verschleppt, teils auch schon vorher ausgedehnten Brän¬
den zum Opfer gefallen sein. Zu den Bauten der früheren Zeiten wurde in
ausgedehntem Maße Holz verwendet. Feuerschutzanlageu waren unbekannt.
Geordnete Feuerlöscheinrichtungen im Sinne der Gegenwart sind erst in
Aufnahme gekommen nach dem großen Hamburger Brande, der in den
Tagen vom 5. bis 8. Mai 1842 ein volles Fünftel der größten und reichsten
Handelsstadt Deutschlands einäscherte. So erklärt es sich, daß Brände der
weiter zurückliegenden Zeit oft eine verhängnisvolle Ausdehnung annahmen.
Wie in so vielen anderen Städten hat sich das auch in Heinsberg gezeigt.
Aus dem 17. Jahrhundert uns überkommene Nachrichten erwähnen zu¬
nächst einen Brand aus dem Jahre 1613. Die Historia Parthenonis Hcins-
bergensis von Friedrich Kreetz (1772) besagt (S. 107) ohne nähere Angaben,
daß damals fast die ganze Stadt das Opfer einer Feuersbrunst geworden
sei. Zum Beleg beruft der Verfasser sich auf ein von Andreas Streitliageu
hinterlassenes Chronikon: HelnsbergVM InCenDIa Vastant. (Heinsberg wird
durch Feuer vernichtet.) Hiernach muß der Brand, über den genauere Nach¬
richten fehlen, einen großen Umfang angenommen haben. Dafür bietet das
Holzfachwerk der früheren Bauart die Erklärung. Mutmaßlich werden manche
Häuser auch mit Stroh gedeckt gewesen sein. Feuerwehren waren natürlich
auch in Heinsberg unbekannt. Das Hauptlöschgerät war der Feucreimer.
*) VV. Peill war der damalige Stadtsekretär. Er starb 1683. An seiner Stelle
wurde am 20. Oktober dieses Jahres Lizentiat Moß zum StadtsekretAr erwählt. H. A.
von Fiirth a. a. O. II, Anb. 2, S. 196.
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Kleinere Beiträge.
Eiu ausgebrocheues Feuer war nur schwer cinzudämmeu. So erwiesen sieh
die Feuersbrünste der früheren Zeit als recht verheerend.
Ein zweiter Brand fällt auf den St. Ursulatag, den 21. Oktober 1635.
Durch ihn ging ein großer Teil der Stadt zu Grunde. Hierzu bemerkt
Kreetz (S. 107): „Obwohl die gefräßige Flamme das Kloster der Prä-
moustratenseriuuen“ (auch adeliges Frauenstift genannt) „von allen Seiten
bedrohte, blieb es doch Dank Gottes Schutz vom Feuer verschont. Unsere
Vorfahren schrieben das der Fürbitte der glorreichen Jungfrau Maria und
des h. Johauues Evangelistae zu. Darum glaubten sie den St. Ursulatag
für alle kommenden Zeiten als Gedächtnislesttag bestimmen zu sollen und
im Chorgesang wie durch Absingung des Ambrosianischen Lobgesanges Dank
zu sagen“. Das Feuer war damals zum Stehen gebracht worden beim so¬
genannten „grünen Haus“, das dem Feuer noch mit zum Opfer lieh Hier¬
über äußert sich näher eiu im Jahre 1768 von dem damaligen Heinsberger
Bürger Sebastian von dem Bruch begonnenes Familienbuch, das sich abschrift¬
lich in meinem Besitze befindet. Das „grüne Haus“ lag in der Hochstraße
dicht neben dem adeligen Stift. Es war damals Eigentum der Eheleute
Johanu Becker der Altere uud Neigen Eisenbrücker. Diese waren des
Sebastian von dem Bruch Ur-Ur-Urgroßeltern. Das Haus ist nach von
dem Bruch im Jahre 1636 neu aufgebaut worden. Über der Haustür ließ
der Erbauer zur Erinnerung au den Brand in den Blaustein der Vorderseite
die Verse einhauen:
All Ding vergehet wie der ltauch;
Wie Gott will, so will ich auch.
Das Haus von gefälligen Bauformen, in jedem Obergeschoß mit einem
Erker versehen, ist noch heute erhalten. Es trägt, auf der Hochstraße ge¬
legen, die Hausnummer 98. Leider hat der Zug der Verfiachung die In¬
schrift vor etwa 60 Jahren verschwinden lassen. Diesem Brand ist mut¬
maßlich das bis zur Patersgasse reichende Häuserviertel zum Opfer
gefallen.
Nach dem von dem Bruch’schen Familienbuche war eiu fernerer Brand
zu verzeichnen am 17. August 1683. Kreetz läßt ihn unerwähnt. Er brach
im unteren Stadtteile, wahrscheinlich in den Häusern am Markt aus. Durch
ihn sind das damals dort gelegene Rathaus und „die erste Heiusberger
reformierte Kirche“ eiu Raub der Flammen geworden. Das Familienbuch
bezeichnet die Kirche als „das der reformierten Gemeinde vou dem gottes-
fürchtigen Fräulein Anna von Berg geschenkte Bethaus, welches nunmehr
(also i. J. 1768) ein Garten ist und Predigersgarten genannt wird“. Die
Richtigkeit dieser Angabe bestätigt der nachfolgende, von mir im Düssel¬
dorfer Staatsarchiv aufgefundene Entwurf eines Briefes des Rentmeisters
ltoelen:
„Dem Durchlauchtigsten Fürst und Herzog, Herrn Johann Wilhelm
Pfalzgraf hei Rhein, in Bayern, zu Gülich, Cleve und Berg llertzog, Graf
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Schmitz, Die grösseren Brände Heinsberg.
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zu Veld ent z, Sponheim, der Mark und Mörß, Herr zu Kauenstein, meinem
gnedigsten Fürst und Herrn.
Durch hochfiirstliche Rechenkammer Düsseldorf.
Durchlauchtigst ei- Hertzog, gnedigster Fürst und Herr1
Ew. hochfürstliche D. thue ich hierbei underthenigst wehmütig unver¬
halten, welcher gestalt durch einen gestrigen tags unversehens entstandene
gewaltige Feuerbrunst daß Hertz der hiesiger statt zumahl verzehret, und
dem gemeinen rumor nach zwischen 50 ad 60 Häuser leider eingezehret segen.
Wen nun gleichwol hiebei Ew. hochfürstl. D. rhent. Meistereg und oberer
theil dero hiesiger statt Gott lob befreget glichen sein, alß habe ein solches
unterthenigst pflichtmäßig berichten sollen, dieselbe zu langwirig hochfürst¬
liche Regierung Gottes starkem schütz underthenigst Empfehlend.
Heinßberg , (len 18. August 1683.
Ew. hochfürstl. D.
underth. gehorsambster
Diener
J. Roelen.
In diesem Brief ist bemerkenswert, daß der kurfürstliche Rentmeister
sich in seinem Bericht über den Umfang des Brandes auf den „allgemeinen
rumor“ verläßt und es nicht für nötig erachtet, sich an der kaum 500 Meter
entfernten Brandstätte genauer zu unterrichten. Die damalige Rentmeisterei
befand sich in dem heute als Bürgermeisteramt benutzten, neben der Propstei
gelegenen Gebäude des oberen Stadtteils, in älteren Urkunden castrum ge¬
nannt. Mit Rücksicht auf die frühere Belegung dieses castrum mit spanischen
Truppen wurde dieser Stadtteil vom Volksmunde „die spanische Rott“ ge¬
nannt. Diese Benennung hat sich bis heute zu erhalten. Dieses castrum
wurde an der einen Seite durch das „Feldtor“ mit den anstoßenden Stadt¬
mauern, Wällen und Gräben, nach der Stadt zu durch den sogenannten
„Bogen“, ein verschließbares inneres Tor, abgegrenzt. Die „spanische Rott“
bildete so in Verbindung mit dem Burg- und Kirchberg eine Art Zitadelle.
Ein vierter größerer Brand ist nach Kreetz w T ie nach dem Familien¬
buche am 22. Juni 1711 ausgebrochen. Mehr als 40 Wohnhäuser sind damals
ein Raub der Flammen geworden. Das Priimonstratenserinnen-Stift und
dessen Kirche wurde, wie Kreetz sagt, auch dieses Mal mit Gottes Hilfe
vom Feuer verschont. Zur Erinnerung an die zweimalige Abwendung der
Gefahr w T urde nach Kreetz im Oratorium der Laienschwestern eine Gedenk¬
tafel angebracht. Nach dem von dem Bruchschen Familienbuche kam das
Feuer in der am Mühlenbach gelegenen Stadtmühle zum Ausbruch. Es hat
sich nach beiden Seiten ausgedehnt und, die dort verhältnismäßig enge Straße
überspringend, auch die gegenüber gelegenen Häuser erfaßt, darunter auch
das 1682 gegründete Pöuitenteukloster, ferner die neben der Stadtmühle
gelegene Apotheke, die im Eigentum der Eheleute Johann Heinrich Krähe
und Johanna geb. Scharbach stand, der Urgroßeltern des Sebastian Heinrich
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Kleinere Beitrage.
von dem Bruch. Das damals dem Vater des letzteren eigentümliche Haus
„zum goldenen Schlüssel“, gegenwärtig Hochstraße Nr. 68, wurde gleichfalls
eingeäschert. Scheinbar ist das Feuer zum Stehen geltracht worden einer¬
seits an der Patersgasse, anderseits an der bis heute erhalten gebliebenen
reformierten Kirche. Das in deren Nachbarschaft gelegene Haus Hochstraße
Nr. 52 hat die Erinnerung an diesen Brand festgehalten durch die Inschrift
eines heute noch vorhandenen Flur-Belagsteines, in den eingehauen ist:
1711
ABGEBRAND
1714
AUFGEBAWET
D I J+l S F
Die Schlußbuchstaben weisen offenbar auf die Eigentümer und Erbauer
hin. Ein Stein mit gleicher Inschrift, aber ohne Schlußbuchstaben, fand
sich kürzlich in dem der Stadtmühle gegenüber gelegenen früher Grabyschen
Hause Hochstraße Nr. 63.
Natürlich hat jeder dieser Brände die Beteiligten in wirtschaftlicher
Beziehung höchst empfindlich getroffen. Indes haben die Vorgänge auch
eine recht beachtenswerte Lichtseite gehabt: alle Fachwerkbauten sind in
Heinsberg seit den Bränden verschwunden. An die Stelle der in Flammen
anfgegangenen Häuser sind solche in massivem Mauerwerk getreten. Viele
wirklich hübsche und stilvolle Häuser sind entstanden. Das Straßenbild
Heinsbergs mit dem die Stadt überragenden Burg- und Kirchberg ist ein so
anmutendes geworden, daß Heinsberg wohl mit jeder im übrigen gleich ge¬
arteten Stadt des Aachener Bezirks mindestens iu Wettbewerb treten kann.
Aachen. Ludwig Schmitz.
4 . Aachener Unternehmer gründen im Jahre 1778
eine Tuchfabrik in Wandsbeck.
Die heutige Stadt Wandsbeck bei Hamburg erhielt einen Platz in der
deutschen Literaturgeschichte, seitdem dort der Dichter Matthias Claudius
in den Jahren 1771 — 75 eine schon früher begründete literarische Zeitschrift
unter dem Titel „Der Wandsbecker Bote“ herausgab. Jahrzehnte hindurch
wohnte der Dichter in Wandsbeck. Im Jahre 1775 nahm dort seinen Wohnsitz
auch der bekannte Dichter und Übersetzer Johann Heinrich Voß. Die beiden
Männer traten einander freundschaftlich näher, und Voß vermählte sich 1777
mit Ernestine Boie, der Schwester des Begründers des „Wandsbecker Boten.“
Als er dann im nächsten Jahre nach Otterndorf im Hannoverschen übersiedelte,
wo er die Stelle eines Rektors bekleidete, blieben die Familien Claudius und
Voß im brieflichen Verkehr, den hauptsächlich die beiderseitigen Gattinnen,
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Scheins, Aachener Unternehmer gründen im .fahre 1778 eine usw. 385
Rebekka Claudius und Ernestine Voß geh. Boie, aufrecht erhielten. Jüngst
sind nun die „Briefe von Matthias und Rebekka Claudius an Johann Heinrich
und Ernestine Voß 1774 — 1814“ als Beilage zum Jahresbericht des Matthias-
Olaudius-Gymnasiums in Wandsbeck für Ostern 1915 von Professor Paul Eickhoff
hernusgegeben und erläutert worden. Gleich der erste Brief, den Rebekka
am 13. November 1778, als Voß drei Wochen vorher in Otterndorf eingetroffen
war, dorthin richtete, enthält eine bunte Menge von allerlei kleinen Neuig¬
keiten aus Wandsbeck und darunter auch folgende 1 : hier in Wands. gehen
itzt große Veränderungen vor es wird eine große Tuchfabrik angelegt und
nun siht man nichts als lauter Catolische fremdlinge Kerls mit langen blauen
Kitteln und Weiber und Kinder mit gelbe und grüne Strümpfe die sind alle
aus Aachen gekommen der Hr. davon ist ein sehr reicher Mann und wohnt
im Jäger hause' 1 er so/ eine sehr Schöne frau haben das ganze Publicum ist
begierich sie zu sehen der Director wohnt im Kutscherhause und noch ein
par von dm Meistern wohnen in Ihren Häusern*, Sie brauchen Hm. Schwarts¬
lose also nichts zu geben.
Um über diese Fabrik und ihren Begründer vielleicht Näheres zu er¬
fahren, wandte ich mich an den Herausgeber der genannten Briefsammlung,
der aber bedauernd antwortete, er könne gar keine weitere Mitteilung machen»
obgleich er sich seit Jahren mit der Geschichte Wandsbecks beschäftige; es
habe früher mehrere Tuchfabriken in Wandsbeck gegeben, die aber um 1830
nach Neumünster verlegt worden seien. Tatsächlich gibt es heute in Wauds-
beck keine Tuchfabrik.
Über die Geschäftsreisen des Aachener Tuchfabrikanten Christian
Friedrich Claus 1768-69 und seines Sohnes Ernst Conrad Claus 1794 — 95
nach Rußland liegen eingehende Aufzeichnungen vor, die ich im 35. Bande
dieser Zeitschrift veröffentlicht und besprochen habe. Der ältere Claus hält
sich auf der Hinreise in Hamburg auf, erwähnt aber Wandsbeck nicht. Der
jüngere berührt Hamburg auf der Rückreise, macht über seinen dreitägigen
Aufenthalt daselbst verschiedene Aufzeichnungen und fährt dann in der
Reisebeschreibung fort: „Wandsbeck, dicht vor Hamburg, ein niedlicher
Flecken in einer romantischen, schönen Gegend. Man lebt daselbst in der
Stadt und auf dem Lande zugleich.“ 4 Auch er hat also in Wandsbeck
keinerlei geschäftliche Interessen, da er sonst ohne Zweifel sich hierüber
geäußert und die eine oder andere Firma genannt hätte. Wenn daher die
im Jahre 1778 in Wandsbeck durch einen Aachener Unternehmer begründete
Tuchfabrik im Jahre 1795 überhaupt noch bestand, hatte sie sicher mit
der Firma Hoffstadt & Claus nichts zu tun. Vielleicht ließe sich irgend ein
') a. a. O. S. 34. — Herr Professor Dr. Areas hatte die Güte, mich auf diese Ver¬
öffentlichung aufmerksam zu machen.
*) Herausgeber: „später Klein-Jüthorn, jetzt Nen-JUthörn. -
*) Herausgeber: „auf der hangen Reihe.“
‘) ZdAGV 33, S. 200.
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Kleinere Beiträge.
Anhaltspunkt über Jie fragliche Gründung aus den ältesten Geschäftspapieren
gewisser Aachener Tuchfabriken gewinnen; doch sind diese leider bisher
überhaupt noch nicht im Interesse der Ortsgesehiehte durchforscht und ver¬
wertet worden.
Aachen. M. Scheins.
5. Zur Lage und Geschichte des Grabes
Karls des Grossen.
Nachtrag und Berichtigungen.
1) Am 19. Juli 1914 schrieb mir ein Pariser Archäologe, daß der
englische Forscher Edm. Bishop, der als erster Liturg der Gegenwart be¬
rühmt sei und mit dem inzwischen verstorbenen Papst Leo XIII. das schwere
Kapitel über die anglikanischen Weihen bearbeitet habe, die Ausgabe des
auf Befehl Karls des Großen von Alkuin verfaßten Grcgorianums des ge¬
nannten Kaisers vorbereite und in dem Werk unvermutet die kirchliche
Beerdigungsfeier (l’ofliee des funörailles), die zu Ehren des großeu Franken¬
königs stattfand, entdeckt habe. Auf Wunsch des Pariser Gelehrten wolle
Bishop mir den glücklichen Fund zur Benutzung in meinem Aufsatz über
Karls des Großen Grab überlassen. Der Archäologe äußerte sich wörtlich:
„II cst ä peu pr6s impossible liturgiquement que Charlemagnc ait 6t6 placö
dans un cavcau. II a 6t6 enterrc; je vous enverrai l’office de son inhumation.“
Ehe die Sendung an mich gelangte, war der Weltkrieg ausgcbrochen. Hoffen
wir, daß die nächste Friedenszeit uns die für die Aachener Geschichte außer¬
ordentlich wichtige Urkunde beschert.
2) Durch ein Versehen meinerseits ist auf S. 155 dieser Zeitschrift in
dem grundlegenden Bericht von Einhard die zweite Hälfte des einleitenden
Satzes ausgefallen. Dieser lautet vollständig folgendermaßen: „Der Körper
wurde in üblicher Weise gewaschen und besorgt und unter der größten
Trauer des Volkes in die Kirche getragen und beerdigt.“ Humatum , est sagt
der lateinische Text.
8) Zu S. 187 dieser Zeitschrift teilt mir Herr Benediktinerpater Gregor
Böckeler in Maria-Laach nachträglich mit, daß die Dominikaner noch heute
das Qui passurus am Gründonnerstag im Officium haben.
Aachen. Eduard Teichmann.
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Literatur.
i.
Julius Menadier, Die Aachener Münzen. Münzen, Urkunden und
Akten, gesammelt uud bearbeitet. Berliu 1913. (Sonderabdrnck aus der
Zeitschrift für Numismatik Bd. XXX und XXXI.)
Habent sua fata libelli! — Vor einer längeren Reihe von Jahren ging
die bedeutendste Sammlung Aachener Münzen, die Coumontsche, unter der Be¬
dingung in den Besitz der Stadt über, daß ihr Inhalt in einer Münzgeschichte
verwertet uud damit eine empfindliche Lücke derOrtsgeschichte ausgefüllt würde.
Aber mehr als zehn Jahre verflossen, bis Menadier sich seines von der Stadt er¬
teilten Auftrages entledigte. Daß daun dieses lange vergeblich erhoffte Werk,
in dem zum ersten Male eine erschöpfende Sammlung und Bearbeitung des
gesamten Münzmaterials der Stadt Aachen geboten werden sollte, nur als
„Sonderabdruck“ aus einer Zeitschrift erschienen ist, bleibt ebenso zu be¬
dauern wie daß die Stadt sich nicht entschließen oder es nicht ermöglichen
konnte, das Buch durch den Buchhandel einer größeren Öffentlichkeit zugänglich
zu machen. Fast spurlos ist sein Erscheinen vorilbergegangeu; umsomehr
scheint es Pflicht, den Lesern dieser Zeitschrift in einer Besprechung, wenn
auch unter Zurückdrängung der rein miinzkundlichen Anlage und Eigenart
des Buches, Kenntnis zu geben von seinem reichen ortsgeschichtlichen Material,
wobei freilich auch die Mängel uud Lücken nicht verschwiegen werden sollen.
Menadier hat seinen weitschichtigen Stoff in zwei große Teile gegliedert:
im ersten (S. 1 — 243) gibt er die Aachener Müuzgeschichte nebst den darauf
bezüglichen Erkunden uud Akten; Teil II (S. 1—272) 1 enthält eine durch
XXI Tafeln erläuterte Beschreibung der Aachener Münzen sowie jener der
verschiedenen Jiilicher Dynasteugeschlechter, ferner der Aachener Zeichen
und Marken, endlich der Aachener Schaumünzen, wozu er auch die Weih-
und Wallfahrtsmünzen rechnet:
Für die Leser dieser Zeitschrift ist der erste Teil sowie die dazu
gehörige Beschreibung speziell der Aachener Münzen im zweiten Teil der
weitaus wichtigste; denn er enthält die geschichtliche Entwicklung der
Münzprägung und des Münzumlaufs in Aachen nebst den darauf bezüglichen
Urkunden und Akten. Erst vom l(i. Jahrhundert an boten hier das Archiv
der Stadt Aachen und die Königliche Münze zu Berlin neue Ausbeute; für
*) Die doppelto Seitenzählung — eine Folge des bloßen Wiederabdrucks des Buches
aus der Numisrn. Zeitschrift — erschwert das Zitieren ungemein.
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Literatur.
das gauze Mittelalter gibt Menadier nur eiue allerdings sehr dankenswerte,
wenn auch nicht, wie sich zeigen wird, völlig lückenlose Zusammenstellung
schon anderswo gedruckter Quellen, wobei ihm namentlich Vogelgesaugs
Studie über das Aachener Münzwesen (Aus Aachens Vorzeit Bd. XV und XVI)
sehr zu statten kam. Die für die Münzbefugnisse der Stadt im 14./15. Jahr¬
hundert so wichtigen Fürstenbriefe, die auf die Verpfändung der Münze an
Jülich bezüglichen Urkunden, die für die Frage des Müuzregals m. E. geradezu
entscheidende Urkunde vom Jahre 1453, alles hat zum ersten Male Vogel-
gesaug veröffentlicht, dessen Ergebnissen Menadier auch in der Darstellung
der Entwicklung in wichtigen Punkten folgt. 1
Stellen wir nun einmal in kritischer Prüfung die wichtigsten Ergeb¬
nisse, wie sie Menadier im ersten Teile entwickelt, kurz zusammen!
Seit wann wurde in Aachen gemünzt? Menadier räumt auf mit angeb¬
lichen Aachener Münzen vor Karl dem Grollen — der merowingisebe Gold-
triens wird nun wohl endgültig Aquis Vascon (Dax) a zuzuweisen sein —,
und wenn er auch eine Aachener Prägung Karls des Großen an sich nicht
bestreiten will, so hält er doch die dafür ausgegebenen Münzen für gefälscht
oder weist sie Karl dem Kahlen und Dax zu. Als erste echte Münzen
Aachener Prägung stellt er gegen die französischen Forscher einen Obol
Ludwigs des Frommen mit dem zweizeiligen „Aquis Pala“ und Pfalzmünzeu
(Palatina Moneta) desselben Kaisers und Lothars I. fest.
Wer hat in Aachen gemünzt, d. h. wer ist im Besitz der Münzhoheit,
des Müuzregals gewesen? Denn die Münzumschriften „Moneta Aquensis“
oder „urbs Aquensis“ drücken nur aus, daß diese Münzen in der Stadt,
nicht daß sie von der Stadt Aachen geschlagen sind. Wer hat also hier
gemünzt? Die Karolinger und ihre Nachfolger in der Kaiser- bezw. Königs¬
würde. Auch Menadier vertritt mit Entschiedenheit Vogelgesangs Standpunkt,
daß Aachen Reichsmünzstätte, nicht eiue der Stadt Aachen verliehene
Münzstätte gewesen sei, daß hier mindestens bis auf Karl IV. kaiserliche
bezw. königliche Münzen geprägt worden seien.
Freilich, nicht alle Herrscher haben in unserer Stadt münzen lassen.
Schon die Dänen- und Normanuennot der Karolingerzeit ließ die Auchener
Münze zum Stillstand kommen, und da die Ottonen in Cüln prägten, so
erklang erst nach 200 Jahren unter Heinrich IV. und Heinrich V. wieder der
Hammer des Müuzmeisters in der hiesigen Münze. Die Glanzzeit der Aachener
Münze aber bildet die Stauferzeit, beginnend mit Friedrich I., der, wie an
so manchen Orten, so auch in Aachen den Betrieb von neuem ins Werk
setzte und dessen Urkuude vom Jahre 1166 (Menadier Urk. 1), die „magna
charta“ Aachens, Menadier in ihren Münzbestimmungen eingehend würdigt..
Hoffentlich ist damit dem schon von Vogelgesang bekämpften, lange geglaub-
') Menadier selbst rühmt von Vogelgesangs Arbeit, sie sei die einzige Schrift,
die, von einer beschreibenden Znsammenstellung der Mttn/.eu absohend, vielmehr ihre
Entwicklung durch das Mittelalter hindurch verfolge und zu einem guten Teile klarlege.
*) Im alten Aquitanien, in der Nähe der heutigen Stadt Bayonne.
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Menadier, Die Aachener Münzen.
389
ten Irrtum, als habe Aachen 1166 überhaupt erst eine kaiserliche Münze erhalten,
oder gar, als habe der Rotbart der Stadt eine Münze verliehen, der Garaus
gemacht. Nach einer — wohl nur kurzen — Verpfändung an Walram von
Limburg und dem Versprechen Ottos TV. an Erzbischof Adolf von Cöln,
in Aachen nicht mehr münzen zu lassen (Menadier Urk. 3) — die kaiserliche
und erzbischöfliche Münze waren gegenseitige scharfe Konkurrenten! —
blühte unter Friedrich II. und seinen Nachfolgern die hiesige Münzstätte
neu auf, freilich unterbrochen durch eine vorübergehende, zweite Verpfändung
unter Rudolf von Habsburg an Herzog Johanu I. von Brabant (1283.) 1
Unter Karl IV. wurde dann 1355 oder 1356 die letzte kaiserliche oder
auch königliche Münze in Aachen geprägt; denn seit 1357 erscheint die
Aachener Münze dauernd im Pfandbesitze des Herzogs von Jülich, nach
Menadiers Annahme wohl im Zusammenhang mit der 1356 erfolgten Erhebung
des Markgrafen Wilhelm von Jülich zum Herzoge und als Ausstattung des
Schultheissenamtes der Stadt, das, ebenso wie die Vogtei, schon länger in
Jülichschem Pfaudbesilz sich befand. Beides ist möglich; jedenfalls übte
seither Jülich das ihm pfandweise übertragene Münzregal an der königlichen
Münze in Aachen aus. Hier beginnt nun die Schwierigkeit; denn die herr¬
schende Meinung ist, daß zu irgendeiner Zeit, spätestens in den ersten
Jahren des 15. Jahrhunderts, die Jülicher Münzpfandschaft in den Besitz
der Stadt Aachen gelangt sei, daß also die Stadt Aachen das Münzregal
erhalten habe. Leider hat Menadier zur Klärung dieser für die Ortsgeschichte
so wichtigen Frage nichts beigetragen, ja, in einem Punkte m. E. die Ver¬
wirrung durch seine unklaren Ausführungen noch vermehrt, sei es daß
diese Frage ihm zu sehr abseits von der Entwicklung der Münzprägung
und des Münzumlaufs zu liegen schien, sei es daß für ihn die Verneinung
dieser Frage — man kann auch das aus dem Buche herauslesen! — selbst¬
verständlich schien.
Prüfen wir daher selbst das von Menadier beigebrachtc Material! In dem
zwischen Erzbischof Wilhelm von Cöln, Herzog Wilhelm von Jülich und den
Städten Cöln und Aachen im Jahre 1357 geschlossenen Münzvertrag (Menadier
Urk. 29) erscheinen als Herren der Münzen zu Riehl und Aachen lediglich der
Erzbischof und der Herzog. Die beiden Städte sind, wie Menadier selbst
sagt, lediglich „zugezogen“ aus leicht begreiflichen Gründen. Für eine
Münzhoheit der Stadt Aachen, wie man gewollt hat, kommt dieser Vertrag
also nicht in Frage.
Vogelgesang will vermutungsweise aus der vielbesprochenen „Moneta
Junchcit“ (genannt, wie auch Menadier zugibt, nach der gleichnamigen
Besitzung zwischen Lütticher- und Vaelserstraße und geschlagen nur in den
Jahren 1372 — 1375) auf einen, freilich vorübergehenden Verzicht des Jülichers
*) Menadier S. 19 1 zitiert unrichtig: Urk. 7. Es muß heißen Urk. 15. Dort, S. 83
gibt er als Quelle Für das Regest das seltene Werk von Willems an. Das Regest findet
sich aber auch bei Böhmer-Redlich, Regesta imperii VI. Nr. 1784. Vgl. Vogelgesang,
a. a. O. S. 32’.
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390
Literatur.
auf sein Aachener Miinzrecht zu Gunsten der Stadt schließen. Hier hat
Menadiers Vermutung, daß der damalige Inhaber des von Jülich mit Aus¬
schluß der Münze unterverpfändeten Aachener Schultheissenamtes den Herzog
durch Verweigerung des in der Stadt gelegenen Münzhauses gezwungen
habe, vor dem Tore auf der Juncheit zu münzen, iu. E. das einzig Richtige
getroffen. Auch die „Moneta Juncheit“ ist also Jülieher Pfandgroscheu, nicht
Stadtaachener Münze.
Nun folgert aber Menadier selbst aus einer Urkunde von 1403
(Nr. 32), durch die der Herzog Reinald von Jülich der Stadt gegen ein Darlehen
den Schlagschatz von „yren muntzen“ verpfändet, den „Übergang der Münze“
in den Besitz der Stadt; ja, dieser Besitz der Stadt an der Münze sei schon
viel älter; die Macht Jülichs sei „von allem Anfang an“ bei der Aachener
Münze lediglich auf den Schlagschatz beschränkt gewesen. Weder der
einmalige Ausdruck „yren muntzen“ noch die gerade damals aufkommende
Umschrift „Moneta urbis Aquensis“ statt der älteren „Moneta Aquensis“— vor
deren zu starker Pressung Menadier übrigens selbst warnt, — beweisen für das
Münzregal der Stadt, fallsMeuadiers mir nicht ganz klare Ausführungen sich auf
dieses beziehen sollten, irgend etwas angesichts der von Menadier selbst als für
das Recht des Herzogs an der Münze bedeutungsvoll betonten Tatsache der Gold¬
prägung Herzogs Reinald im Jahre 1409 und angesichts der Urkunde des Herzogs
Gerhard vom Jahre 1453 (Menadier Urk. 33), in der er der Stadt Aachen
erlaubt, drei kleinere Sorten Münzen iu vorgeschriebener Legierung und
höchstens für die Dauer von vier Jahren zu schlagen! Pfandinhaber des
Münzregals ist nach wie vor der Herzog von Jülich, der der Stadt die
Befugnis zu münzen für einen kürzeren Zeitraum ausdrücklich verleihen
muß und an den die Stadt nach wie vor den Schlagschatz zu zahlen hat.
Von dieser Fessel hat sich die Stadt auch trotz aller Versuche bis zum
Ende ihrer reichsstädtischen Selbständigkeit nicht zu lösen vermocht. Zwar
war es der Reichsstadt Aachen als Stand des niederrheinisch-westfälischen
Kreises — die Münzen dieser Periode bilden den III. Teil des geschicht¬
lichen Überblicks bei Menadier — auf dem Münzprobationstage dieses Kreises
im Jahre 1568 gelungen, den Beweis ihres Münzrechts zu erbringen (Mena¬
dier Urk. 36); sie hatte daraufhin als berechtigter Münzstand Anerkennung
gefunden und bat dieses Recht bis zur Franzosenzeit ausgeübt. Der Rat
konnte freilich die geforderten kaiserlichen „privilegia oder regalia“, die ihm
das Miinzrecht. übertrugen, überhaupt nicht vorlegen, 1 sondern nur zum
Beweise der „bestendigen münzen“, die von ihren Vorfahren geschlagen
seien, eine Anzahl alter goldener (über die noch zu reden sein wird) sowie
') In einem Menadier unbekannt gebliebenen Briefwechsel zwischen dem Rat
von Nymegen und Aachen aus den Jahren 1528 und 1503 (vgl. unten S. 303 1 behauptet
in dem ersten Schreiben der Rat von Aachen kühn, er halte auf (4rund kaiserl. Privi¬
legien volle Münzhoheit;!), wahrend er im Jahr« 1503 sehen viel bescheidener sagt, die
Stadt habe Münzreoht mehr durch „ein ersessenen brauch und...auch von Roemischen
kayseren und kündigen .. bestätigte ubung... dan sonst null craflft.. keis. od. kon. Privi¬
legien, so davon austrnklich sprechen mochten* !
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Menadier, Die Aachener Münzen.
391
silberner Münzen und — den Hinweis auf den dem Herzog von Jülich zu
zahlenden Schlagschatz! Es ist klar, der Kreistag begnügte sich mit dem
oberflächlichen Nachweis, daß die Stadt früher tatsächlich das Mtinzrecht
ausgeübt, d. h. Münzen geschlagen hatte; aus seinem Beschlüsse aber heraus¬
lesen zu wollen, die Stadt habe ihre Münzhoheit bewiesen oder diese sei
ihr von jetzt an voll eingeränmt worden, ist völlig unzulässig. Ihr Münzrecht
blieb, wie Menadier selbst sagt, nach wie vor manchen Anfechtungen und Ein¬
schränkungen durch.Tülich ausgesetzt. Als der evangelische Rat 1585 durch Ein¬
schub des Wortes „Lib(crae)“ die Münzen ausdrücklich als solche der freien
Reichsstadt Aachen bezeichnen ließ, stand das mit dem Rechte des Herzogs von
Jülich in Widerspruch und fand 1598 stärkste Mißbilligung des Kaisers (Menadier
Urk. 19). Vor allem aber bestand die Verpflichtung zur Zahlung des Schlag¬
schatzes an Jülich fort. Im Jahre 1661 wurde er durch Vertrag neu fest¬
gesetzt, und 1769 führte die gesetzwidrige Prägung übergroßer Mengen
Kupfergcldes das gewaltsame Einschreiten des Vogtmeiers im Aufträge der
Jülichschcn Herrschaft und ein Niederbrechen der Münze für zwanzig Jahre
herbei (Menadier Urk. 97).
Hatte also die Stadt keineswegs das Münzregal, welche Rechte hatte
sie dann eigentlich in Bezug auf das Münzwesen P Auch zur Beantwortung
dieser Frage bietet das Buch von Menadier ein zwar seiner ganz anders
ueordneten münztcchnischen Anlage nach zerstreutes, aber doch gutes
Material. Die ersten, später bedeutend erweiterten Rechte erhielt Aachen
durch die schon erwähnte Urkunde Friedrichs I. vom Jahre 1166. Er hob
den Bann und Wechselzwang der königlichen Münze auf und gestattete jedem
anderen Oelde freien Umlauf in Aachen. Als dann, besonders im 14. Jahr¬
hundert, die Herren von Gängelt, Randerath, Heinsberg, Sittart, Jülich,
Schönau das Münzrecht übten — es ist der Beginn der dynastischen Prägung
tun Aachen — und mit ihren Beischlägen zu den leichten Münzen ihrer
größeren westlichen Nachbarn sehr unliebsam auf den Geldverkehr der
Reichsstadt ein wirkten, sah sich Ludwig der Bayer im Jahre 1314 veran¬
laßt, in Erweiterung der bisherigen Rechte dem Rate Vollmacht zu erteilen,
über die Umlaufsfähigkeit fremden Geldes in Aachen zu bestimmen und
seinen Wert festznsetzen (plenaria pofestas statuendi pagatnentum: Menadier
Urk. 17). Und so wichtig erschien der Stadt dieses Recht der Festsetzung
des Pagaments, daß sie es sich von allen Nachfolgern bis auf Karl V.
bestätigen ließ. Denn tatsächlich erhielt der Rat dadurch die gesamte
Münzpolizei innerhalb seiner Mauern. Seit jener Zeit müssen die stolzen
Nachbarfürsten, der Erzbischof von Oöln, der Bischof von Lüttich, die
Herzoge von Brabant und Luxemburg, ja sogar die Herren der Aachener
Münze selbst, die Herzoge von Jülich, höflich beim Rat um Zulassung ihrer Neu¬
prägungen in Aachen bitten, Abhilfe bei Beschwerden über ihre Münzen
Zusagen, wohl gar, wie Herzog Wilhelm von Jülich, seinen Dürener Mttnz-
mcister dem Rate nach Aachen zur Rechtfertigung gegen dessen Vorwurfe
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Literatur.
schicken (Menadier Nr. 30 a—n'). Ich stimme Meuadiers Wort von der
eingreifenden Bedeutung der städtischen Behörden für das Münzwesen in
dieser Zeit bei, muß aber trotzdem seine Bezeichnung der damaligen Herzoge
von Jülich als der „vermeintlichen“ Herren der Aachener Münze als irre¬
führend ablehnen. Die Ausübung der Münzpolizei ist nicht identisch mit
dem Besitz des Münzregals. Warum soll der Herzog nicht für den Umlauf der
inseinen eignen Münzstätten zu Jülich und Düren — nur diese werden erwähnt —
neugeprägten Münzen in Aachen die Erlaubnis des Aachener Rates haben
einholen müssen und dabei doch im Pfaudbesitz der königlichen Münze zu
Aachen gewesen sein?
Welche Münzsorten sind nun in der Aachener Münze geprägt worden?
Königlichen Schlages sind die Aachener Denare (Pfennige) und Obole (Hälli-
linge). Von Haus aus, laut der Urkunde Friedrichs, auf Großhandel und
Fernverkehr berechnet, erhält der Aachener Denar im 13. und 14. Jahr¬
hundert einen sehr weiten Umlaufskreis am Niederrhein, im Moselgebiet, im
Rheingau, in der Wetterau bis Hanau und Marburg (Menadier Urk. 9 — 14)
als verbreitetstes Zahlungsmittel. Der Begriff des Aachener Denars erlischt
mit dem Verzicht auf selbständiges Gepräge und der Übernahme des englischen
Sterlings. Dieser war im Wege des Handels und durch Hilfsgelder schon
zur Stauferzeit nach dem Westen des Reiches vorgedrungen; Otto IV. und
Friedrich II. hatten in Duisburg und Dortmund Sterlingstypen benutzt. In
Aachen herrschte seit Barbarossa englischer Münzfuß, seit Heinrich VII.
und erst recht seit Ludwig dem Bayer auch das englische Miinzbild des Sterlings.
Gleichzeitig kommen seit Ludwig dem Bayer auch Groschen (Turnosen) und
ihre Teilmünzen auf. Der Sterling Karls IV. ist die letzte in Aachen ge¬
prägte kaiserliche oder königliche Münze (1355 oder 1356).
In dieser Zeit beginnen die verschiedenen Prägungen der Jiilicher
Pfandschaft, zu denen also auch die schon erwähnten Juncheitsgroschen
gehören. Im übrigen kann die Aachener Münze im 15. Jahrhundert, von
Kaiser und Reich losgelöst, den einmal angeordneten Münzfuß nicht fcst-
halteu und bleibt in wachsendem Maße hinter den führenden Mächten des
Geldverkehrs zurück; auch ruht, abgesehen von den Marienmünzen der Jahre
1490 und 1491, den größten Aachener Prägungen des Mittelalters, von
1430 bis zur Neuordnung des gesamten deutschen Münzwesens im 16. Jahr¬
hundert der Münzhammer die meiste Zeit.
Nur die Aachener Goldprägung Herzog Reinalds im Jahre 1409 verdient
noch eine besondere Erwähnung. Denn sie führt abermals zu einer strittigen
Frage: Sind in Aachen überhaupt im Mittelalter Goldmünzen geschlagen
worden? Goldmünzen Ludwigs des Bayern weist Menadier als Aachener
Prägung ab; aber der schon erwähnte Vertrag von 1357 zwischen dem
Erzbischof von C’öln und dem Herzog von Jülich sah doch auch die Prägung
') Ihm Datum des unter li abgedruckten Briefes (II. Sept.) ist unrichtig; es ist
der 1. Sept. Vgl. Vogelgesang, a. a. O. S. 44, Nr. 8.
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Menadier, Die Aachener Münzen.
393
von Goldmünzen vor. und tatsächlich nimmt Vogelgesang einen Floren
Herzog Wilhelms I. trotz des Fehlens jedes auf Aachen hinweisenden .äusseren
Signums aus inneren Gründen als Aachener Prägung in Anspruch, während
Menadier sich auch hier wieder unentschieden ausdrückt, so daß dann also
die Goldmünzen Herzog Reinalds im Mittelalter ganz allein ständen. Doch
das sind, wohlgemerkt, herzoglich jiilichsche Münzen aus der Münze zu
Aachen! Hat aber auch eine Goldprägung der Stadt Aachen im Mittelalter
stattgefunden, durch die dann freilich das Münzregal der Stadt erwiesen
wäre? Oder wie verhält es sich sonst mit den oben erwähnten, 1568 den
Kreisständen zur Beglaubigung dieses Münzrechts von seiten des Rats
überreichten alten goldenen Münzen? Menadier weiß mit der Sache nichts
Rechtes anzufangen. Seinen „Urkunden und Akten“ fehlen zwei, augen¬
scheinlich ihm unbekannt gebliebene Antworten des Aachener Rats auf
Anfragen des Rates der Stadt Nymegen in betretf der Münzgerechtigkeit
(abgedruckt bei P. D. van der Chijs, De Munten der voormalige Heeren
en Steden van Gelderland, 1853 S. 27 f.'). Im ersten Brief vom 7.
November 1523 behauptet die Stadt, der Rat habe volle Münzhoheit,
Gold- und Silbermünzen nach Belieben zu prägen; doch „langh jaeren
her geyn gülden noch silveren pennongen, durch upstijgen des geltz,
in onse stat gemunt“! Als Probe der jetzigen Münzform schickt der Rat
die höchste Münze, zwölf Stuver, und die niedrigste, einen halben Stuver,
mit dem Hinzufügen, in diesen Formen seien auch die Aachener Goldmünzen
geschlagen! Der zweite Brief, vom 26. Januar 1563, also nur wenige Jahre
vor der Prüfung des Münzrechts der Stadt durch die Kreisstäude, behauptet
ebenfalls, daß die „voreiteren“ Goldmünzen geschlagen, kann aber auch der
Bitte um Überlassung einer solchen nicht entsprechen 2 „als die man...ires
guetten gehaltz halbenn vorlangs versmoltzcnn undt verbrauckt hat, dieser
seit keine mer foirhanden oder zu bekommen“! Trotzdem vermag der Rat
1568 „alte“ goldene Münzen vorzulegen, die der Kreisinünzwardein auch
mit dem Bemerken anerkennt, dergleichen Münzen seien in „althenn Verzeich¬
nissen“ zu finden! Ich glaube, die Frage der Goldprägung der Stadt Aachen
im Mittelalter ist hiermit zu Ungunsten der Stadt entschieden.
Als Stand des niederrheinisch-westfälischen Kreises hat dann die Stadt
seit 1572 bis 1634 in großen Unterbrechungen geringe Mengen Goldgulden
geprägt. Die Hauptsilbermünze des 16. Jahrhunderts sind die Taler — ein
Versuch, 1647 eigene Aachener halbe und viertel Taler, unterschieden von
0
den Reichstalern, zu prägen, mißlang —; seit Ende des Jahrhunderts werden
sie allmählich ersetzt durch die Mark (6M ,4M„ 3M„ 2 M, 1M.), die sich bis
') Den ersten Hinweis auf diese Briefe verdanke ich der Freundlichkeit des
Herrn Archivdirektors R. Pick, dem ich auch hier verbindlichst danke.
») Vielleicht steht in Zusammenhang mit diesen Briefen ein Posten in der Recli-
nungsablage des Nymtgener Münzmeisters, wornrh „der preist vnn Wassenberg,
Meister Johan Paill,“ nach Aachen reiste „Wege der munten van den golde.“ Vgl. van
der Chijs, de Munten der voormalige (4raven en Hortogeu van Gelderland, S. 125.
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Literatur.
zum westfälischen Frieden hält. Seit dieser Zeit hat Aachen, mit Ausnahme
von fünf Jahren, nur noch Kupfermünzen (Vierheller und Zwölfheller) geprägt.
Kupfermünzen wurden als Bauschen und Doppelbauschen zuerst 1597 ge¬
prägt, als der protestantische Rat, von den Miinztagen ausgeschlossen, in
großer Not war. Aber auch der katholische Rat ließ sich 1598 die Prägung
von Kupfermünzen (Hellern) vom Müuztag genehmigen. Und diese Kupfer¬
prägung, weil weder der Aufsicht des Kreises noch der Erhebung des
Schlagschatzes unterworfen, nimmt in den folgenden Jahrzehnten immer
mehr zu, allen Klagen und Drohungen, besonders von seiten Jülichs, das
1769 gewaltsam gegen die Stadt vorging, zum Trotz. Hatte doch sogar
der Rat in Zeiten höchster Not (1708—1711 und wieder 1752 — 1755) aus
minderwertigem Silber sogenannte Ratspräsenzen (Marken, ursprünglich be¬
stimmt, den Empfängern den freien Weintrunk zu sichern, und als solche
schon 1622 und 1625 geprägt) in großem Umfange hersteilen lassen, deren
Umschrift — neben dem Bilde der weinschenkenden Frau—, »ec erat qui
eugeret ad bibendum, erkennen ließ, daß sie allgemein für Zahlungen in der
Stadt und vielleicht sogar auch außerhalb derselben bestimmt waren.
Wie daher einst im 14. und 15. Jahrhundert — aber aus ganz anderen
Gründen! — fremde Münzen, die Cölncr und Haller Pfennige, die englischen
Sterlings, die Brabantiner, die holländischen Köpfchen, die französischen
goldenen und silbernen Turnosengroschen, die Goldflorentiner (floreni oder
parri aurei), die französischen Realen und die niederländisch-französischen
Goldschilde (Menadier Urk. 18—27) in Aachen in Masse umliefen, so ist seit Mitte
des 17. Jahrhunderts — aus Armut und Ohnmacht der Stndt — Handel und
Verkehr in Aachen ausschließlich auf fremdes Geld angewiesen, unter dessen
Niedergang und Unregelmäßigkeit die Stadt um so schwerer leidet, als die
alte Waffe, die Festsetzung des Pagaments, im Laufe der Jahrhunderte
unbrauchbar geworden war. So endet in einem trostlosen Münzelend die
Münzgeschichte der alten Reichsstadt.
Von Wichtigkeit .für manche Fragen der Ortsgeschichte sind auch die
Münzbilder und Münzumschriften in ihren verschiedenen Varianten. Ihnen
hat natürlich Menadier, dem Zweck und der Anlage seines Buches ent¬
sprechend, die grüßte Aufmerksamkeit geschenkt, zumal sich aus ihnen in
erster Linie die Herkunft als Aachener Prägung erweisen läßt. Die als
echt erkannten Denare der Karolingerzeit weisen auf der Vorderseite
meist ein Kreuz mit einer Kugel in jedem Winkel und den Namen
des Herrschers auf, während die Rückseite neben dem schon genannten
„Palatina Moncta“ die Bezeichnung „Aquis Grani Pa(latii)“ und bisweilen
einen viersäuligen Tempel trägt.
Aulfallenderweise zeigen dagegen die Münzen Heinrichs IV. und V.
statt des Bildes dieser Herrscher das des Reichsgründers Karls des Großen
mit Schnurrbart und auf der Kehrseite teils den Bronzeadler der Kaiser¬
pfalz, teils das Marienmünster in verschiedenen Darstellungen: das Oktogon
allein oder in Verbindung mit dem Turme.
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Menadier, Die Aachener Münzen.
395
Für die Denare Friedrichs I., des Erweckers der Aachener Münze zu
neuer und höchster Blüte, ist charakteristisch das Bild des thronenden
Herrschers mit geschultertem oder quer über die Knie gelegtem Richtschwert,
eine selbständige Schöpfung des Aachener Stempelschneiders, daneben Lilien¬
szepter, Lanze und Reichsadler. Die Kehrseiten zeigen neben dem altüberlieferten
Stadtbilde, der Mauer mit Torbogen und drei Türmen, als jüngeres, auch
von den Söhnen Friedrichs beibehaltenes Bild ein großes Bauwerk mit Rund¬
bogenfenstern, zwei höheren Türmen auf der einen, zwei niedrigeren auf der
anderen Seite, darüber in der Höhe einen strahlenden Stern. Menadier sieht
in ihm mit Recht die Abbildung der alten Kaiserpfalz als Mittelpunkt des
Reiches, und ihren und der Krönungsstadt Ruhm verkündet laut die stolze
Umschrift: „Roma cnput mundi“.
Für die Reichs- wie Stadtgeschichte ist wichtig ein Denar Ottos IV.;
durch die Umschrift „Rex El(ectus)“ wird hier im Gegensatz zu den auf
Schaffung einer Erbmonarchie abzielenden Bestrebungen Heinrichs VI. die
Wahlfreiheit der Fürsten aufs schärfste zum Ausdruck gebracht; anderseits
ist die Umschrift „Civitas Aquensis“ die erste Bezeichnung Aachens als
Stadt auf einer Münze. Dagegen ist die Vermutung Menadiers, der darin eine
Anspielung auf das der Stadt von Heinrich VI. kürzlich verliehene Stadt¬
recht sehen will, unrichtig, da Heinrich Aachen ein „Stadtrecht“ nicht ver¬
liehen hat (vgl. Pick, Aus Aachens Vergangenheit S. 143, Anm. 2). Den
zahlreichen Aachener Münzen Friedrichs II. ist gemeinsam, daß der Name
der Stadt als Münzort auf ihnen verdrängt ist durch den ihres Patrons, des
„Sanctus Carolus“, sei es in irgend einer architektonischen Darstellung, sei
es durch das auf der Kehrseite angebrachte Brustbild des Kaisers, das mit
beiden Händen einen mit drei Türmen besetzten Bogen trägt.
Unter den folgenden Königen verschwindet Karls Bild geraume Zeit
von den Aachener Münzen, deren Rückseite jetzt neben der Krone unter
dem Bogen mit den bekannten drei Türmen die Umschrift zeigt „Urbs Aquensis
Vince“, entsprechend dem Bonner Denare Siegfrieds von Westerburg mit der
Aufschrift: „Beata Verona Vince. S“, wozu sich König und Erzbischof
durch Vertrag vom Jahre 1282 verpflichtet hatten. Den auf späteren Aachener
Münzen auftauchenden rätselhaften Zusatz hinter Vince „S. M.“ hat Mena¬
dier (mit Dannenberg gegen Vogelgesang) wohl richtig im Hinblick auf das
Marienmünster des Münzbildes als „Sancta Maria“ gedeutet. Einen leisen
Zweifel au der Beziehung des Münzbildes auf das Münster in Seitenansicht
von Norden, das Oktogon inmitten des Turmes und des Chores, könnte
höchstens die Höhe des Chores auslösen; denn es gibt keinen „Vorgänger“
des Hohen Chores, wie Menadier anzunehmen scheint; der einzige „Vorgänger“
war das karolingische Chörchen. Geradezu bedauerlich aber ist es, daß
Menadier bei dieser Gelegenheit auch den längst beseitigten Irrtum von
Gerhard Chorus als dem Erbauer des 1351 (!) begonnenen neuen Chores wieder
in die Welt setzt. Die Vorderseite der Münzen schmückt in dieser ganzen
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Literatur.
Periode kein Bild des Herrschers mehr, sondern das zu einem „Aachener
Typus königlicher Majestät verallgemeinerte und verflüchtigte“ Bild Karls
des Großen.
Mit dem Aufkommen des englischen Sterlings als Münzbild verlieren
die Aachener Münzen jedes spezifische Aachener Kennzeichen; nur der Reichs¬
adler bleibt ihnen als Beizeichen gewahrt und die Umschrift „Moneta Aquensis*.
Die Jülicher Pfandherren haben doch Bedenken getragen, ihr Bild auf
die Aachener Münzen zu setzen; so griffen sie denn auf Karl den Großen
zurück. Seit 75 Jahren erscheint jetzt zuerst wieder sein Bild in verschiedener
Darstellung: stehend auf einem Säulenkapitell mit Lilienszepter und Adler¬
schild, oder, bei Sterlingsgepräge, nur der Kopf, oder der Kaiser knieend
die Marienkirche haltend — die erstmalige Wiedergabe der Brücke zwi¬
schen den Tünnen! — oder endlich bei den schon erwähnten Juncheitsgroschen,
das Hüftbild des Kaisers über dem Adlerschild mit Lilienszepter und Reichs¬
apfel. Und ebensowenig setzten die Jülicher — eine Ausnahme bilden nur
die halben Goldgulden Reinalds — ihre Namen auf die Aachener Münzen.
Wir lesen statt dessen „Moneta Aquensis“ oder „Urbs Aquensis“ mit oder
ohne „sedes regalis“ ; erst die von 141 1 — 1430 geprägten Turnosengroschen
tragen die Umschrift. „Moneta Urb(is) Aquen(sis)“.
Seit der Neuordnung des gesamten deutschen Münzwesens unter Maxi¬
milian II. war die Stadt bezüglich der Prägebilder wie jeder andere Münzstand
an den Doppeladler des Reichs mit dem Namen und Titel des Kaisers in der
Umschrift gebunden. Als Typus der freien Seite wählte der Rat ein Bild
Karls des Großen über dem Adlerschild thronend im vollen Kaiserornat mit
kräftigem Vollbart, dessen ruhige Renaissanceformen schon 1571 in ein leb¬
haftes Barock abgeäudert wurden.
Die ältesten Aachener Kupfermünzen der evangelischen Herrschaft
endlich zeigen als Bauschen oder Doppelbauschen ein einfaches oder doppel¬
tes B als feldfüllendes Münzbild, während die einfachen, doppelten und vier¬
fachen Kupferheller des katholischen Rats zum ersten Male die Wertziffer,
groß das Feld einnehmend, aufweisen.
Leider hat Menadier für seine Beschreibung der Aachener sowie der
Münzen der Jülicher Dyuastengeschlechter den großen Münzfund zu Oberzier
im April 1913 nicht mehr verwerten können. So muß hier die von R. Pick
im Echo der Gegenwart 1913 Nr. 129 Morgenausgabe und Nr. 173 Abend¬
ausgabe, 1. Bl.; sowie Nr. 300, 3. Blatt (Nachtrag) gegebene genaue
Beschreibung der ihm aus diesem Funde vorgelegten Münzen ergänzend
eintreton: vor allem sei hingewiesen auf die seltene Nachbildung der Aache¬
ner Groschen durch Dietrich VI. von Limburg an der Lenne (1401 — 1439).
Endlich möge noch die Frage — Menadier beschränkt sich (Urk. 4) auf die
Zusammenstellung der bekanntesten Stellen — gestreift werden, wo in Aachen
gemünzt wurde 'i Die Urkunde Friedrichs 1. (1166) nennt eine dotnua monetaria ;
1235 spricht König Heinrich VII. von einer vetns moneta in Aachen, augenschein-
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Menadier, Die Aachener Münzen.
397
lieb dasselbe Gebäude, das wiederholt in dem Totenregister des Murienmüusters
als antiqua monetn auftritt. Wo aber hat sie gelegen? Die Frage wird
sieh wohl kaum mehr sicher beantworten lassen. Am gleichen Orte stellt
Mcnadier aueh die im Totenregister und in den Stadtrechnungen auf¬
tauchenden Namen der Mün^meister (monetarii) zusammen, ohne daß indessen
sein Verzeichnis auf Vollständigkeit Anspruch machen könnte.
Auf eineMenge rnünzgeschichtlicher Einzelheiten, so vor allem auf die
zahlreichen Beischläge und Nachprägungen der Jiilichschen Dynasten um Aachen,
sowie auf die rein münztechnischen Fragen des Münzfußes, der Währung, des
Kurses usw. bin ich nicht eiugegangen . 1 Denn Zweck dieser Besprechung
sollte in erster Linie sein, die Leser dieser Zeitschrift mit dem reichen
Material des Buches, aber auch den darin enthaltenen Mängeln bekannt zu
machen, den Lesern des Werkes von Menadier selbst aber, soweit sie
nicht Fachleute sind, das Eindringen in das wegen seiner münztechnischen
Anlage schwierige Buch durch Gruppierung des Stoffes zu erleichtern;
die Entscheidung darüber, ob Menadiers Arbeit den Anforderungen an ein
abschließendes Werk über die Aachener Münzen rein fachmännisch ent¬
spricht oder ob hier vielleicht nur eine sehr brauchbare Vorstudie und
Materialsammlung für ein solches vorliegt, die sei dem Fachmann in einer
Fachzeitschrift überlassen.
Aachen. C. Sch ui.
2 .
Aachen unter der Herrschaft Napoleons. Kommissionsverlag
von A. Jacobi, Aacheu. VII u. 72 S. Preis 1,50 M.
Nicht nur ohne Nennung des Verfassers, sondern auch ohne Jahres¬
augabe ist diese Arbeit erschienen. Es freut uns, unzweifelhaft festgestellt
zu haben, daß die Schrift schon vorlag, als der Krieg ausbrach; sonst
hätten eifrige Patrioten vielleicht den Vorwurf erheben können, daß ein
wenn auch eingeschränktes warmes Lob Napoleonischer Verwaltungstätigkeit
unter den jetzigen Verhältnissen wenig angebracht sei. Was aber den Ver¬
fasser veranlaßt hat, seinen Namen nicht zu nennen, können wir nicht sagen.
Sollte es der Wunsch gewesen sein, die Abhandlung vor Besprechung und
Kritik zu schützen, so könnte er wmhl Erfolg haben; denn die Wissenschaft
hat es mit vollem Recht allezeit abgelchnt, sich mit namenlosen Veröffent¬
lichungen zu befassen, obwohl ja Gründe denkbar sind, die in einem Einzel¬
fall die Unterdrückung des Namens erklärlich machen. Jedenfalls, wenn ich
hier von der allgemeinen Regel, Namenloses nicht zu besprechen, abweiche, so
*) Dagegen sollen einige der nicht seltenen Schreibfehler, die die Arbeit entstellen,
wenigstens angemerkt werden: Teil I, S. 35 steht Jungheitsgrosclien (st. Juncheits-
groschen); Teil II, S. 8 heißt es Viset (st. Vis6); S. 164 Gros (st. Gross); und H. v. Oidt-
mann (st. Oidtman); S. 167 Battweiler (st. Baesweiler); S. 182 Fronenborcb (st. Fronen¬
broich); S. 263 i. Ed. Becker (st. Recker) usw.
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Literatur.
folge ich damit einem ausdrücklichen Wunsche von befreundeter Seite, da
die Arbeit doch nun einmal ortsgeschiehtliches Interesse hat.
Der Abhandlung geht voran ein Verzeichnis der benutzten Werke. Die
Verteilung derselben unter „Quellen“ und „Literatur“ erscheint, wenngleich
an sich üblich, im einzelnen nicht immer glücklich; zu den „Quellen“ kann
ich jedenfalls das wertlose Werk von van Alpen nicht rechnen. Die Lite¬
ratur ist, wie die zitierten Bücher vermuten lassen, anscheinend mit dem
Jahre 1912 abgeschlossen worden; dann wären dem Verfasser, abgesehen
sicherlich von manchen Notizen in den Veröffentlichungen zur Jahrhundert¬
feier der preußischen Herrschaft in den Rheinlanden, sowohl Pick-Laurent
„Das Rathaus zu Aachen“ als auch das großzügige Werk von Brandt-Most
„Heimat und Wirtschaftkunde für Rheinland und Westfalen“, das auch auf
die Zeit der Fremdherrschaft zurückgreift, ohne seine Schuld entgangen.
Aber aus der bis 1912 reichenden Literatur hätten zweifellos mit Erfolg
benutzt und dann auch verzeichnet werden können Karl Borromaeus Cünzer
„Folie des dames“ (Freimütig Aachens Dichter und Prosaisten, II); ferner
E. Pauls „Fürsteusagen in Aachen und Umgebung“ (Mitteilungen des Vereins
für Kunde der Aachener Vorzeit, Jahrg. I); von A. Fritz „Theater und
Musik in Aachen zur Zeit der französischen Herrschaft“, Aachen 1901,
„Geschichtliche Mitteilungen zu den Bildern Napoleons und seiner Gemahlin
Josephine im Suerinoudt-Musoum“ (Sonderabdruck aus der Denkschrift des
Museumsvereins zu Aachen, 1903), „Das reichsstädtische Mariengymnasium“
(ZdAGV 30, S. 75—154), „Die französische Secondärschule“ (ZdAQV 34,
S. 1 ff.; S. 297 ff.); Alfred Karll „Napoleonische Studien“, Aachen 1907;
auch Bergengrün „David Hansemann“ hätte wohl augemerkt werden können.
Als Verfasser der „Voyage dans le pays entre Meuse et Ithiu“, Paris
1818, wird Poissenot genannt. Soviel mir bekannt, gilt als Schreiber dieser
namenlosen Lettres allgemein der ehemalige Präfekt Ladoucette, ohne daß ich
freilich für die Urheberschaft gerade dieses Mannes spezielle Gründe angegeben
gefunden hätte. Bitterauf „Napoleon“ ist S. 40 3 zitiert, ebenso S. SS 3 die
Sammlung „Aachener (lies: Aachens) Dichter und Prosaisten“ und S. 10*
„Aachens Dichter“, fehlen aber sämtlich im Verzeichnis. Im übrigen ist es
doch wohl Brauch, nur die in der Arbeit wirklich zitierten Werke in das
Literaturverzeichnis aufzunehmen; aber von den dort aufgefiihrten drei
Arbeiten Hashagens linde ich nicht einmal sein sehr brauchbares Hauptwerk,
sondern nur seinen Aufsatz aus „Die Rheiulande“ einmal (S. 51‘) wirklich
angegeben.
Von dem einleitenden „Rückblick“ auf die letzten, jammervollen Jahre
reichsstädtischer Selbstherrlichkeit und auf die ersten Jahre der französischen
Herrschaft mit seinen dunkeln Farben — m. E. etwas zu dunkel; daß „un¬
verkennbare Wohltaten“ kaum beachtet wurden, schmälert nicht das Ver¬
dienst der französischen Regierung — hebt sich um so heller leuchtend in
den folgenden Kapiteln ab die Gestalt Napoleons, des Mannes mit dem „ziel-
bewußten Willen“, der diesen Willen rücksichtslos zur Geltung bringt und
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Aachen unter der Herrschaft Napoleons.
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so leistet, was kein anderer inmitten dieser verrotteten Zustände, umgeben
von einer großenteils in dumpfer Gleichgültigkeit, teilweise auch in passivem
Widerstand verharrenden Bevölkerung, wohl hätte leisten können: eine
gewaltige, alle Gebiete berücksichtigende Neuorganisation, die auch sein
grimmigster Gegner als Schöpfertat ersten Ranges wird anerkennen müssen.
Als Organisator stellt der Verfasser den Korsen auf dem Gebiet der Ver¬
waltung hin. Seine Verfassung trägt zwar ausgeprägt zentralistischen
Charakter; aber bei der Auswahl seiner Beamten ließ sich Napoleon nur
von sachlichen Gründeu leiten, und gerade in die rheinischen Departements
hat er die besten seiner Präfekten entsandt; die Namen Micbin und
Ladoucette beweisen es. Seine Neuordnung der wirren Rechtsverhältnisse
durch die verschiedenen Codes hat sich so tief eingegrabeu, daß den Rhein¬
ländern nur mehr uuter den Formen dieser modernen französischen Gesetz¬
gebung ein gedeihliches Zusammenleben der Menschen möglich schien. Seine
zahlreichen Verordnungen zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Wohl¬
fahrt ließen nach den vorangegaugeneu Zeiten die Bewohner förmlich auf-
atraeu, mochte auch die Knebelung der Presse und die Bücherzensur — in
dem in dieser Beziehung weit hinter anderen Städten zurückgebliebenen Aachen
freilich am wenigsten — als widerwärtige Bevormundung empfuuden werden.
Ein zweites Kapitel schildert Napoleon als den Reorganisator der
wirtschaftlichen Verhältnisse. Der Bauernstand, befreit von Fronen und
Abgaben, durch die Veräußerung der Kammer- und geistlichen Güter im
Besitze der Möglichkeit größeren Landerwerbs, umhegt von der Fürsorge
der Behörden — die Zucht von Merinoschafen und die Anlage von Rüben¬
zuckerfabriken in unserer Gegend gehen darauf zurück — blüht auf; die
Industrie, schon begüustigt durch den Anschluß au den weiten Markt des
Kaiserreichs und durch Schutzzölle, wird gehoben durch Stiftung von Preisen,
Ausstellungen, — eine auch in Aachen — durch Schaffung billigen Kredits,
durch die Anlage und Verbesserung von Straßen, durch den freilich in den
Anfängen steckengebliebeuen Rhein-Maas-Schelde-Kanul, sowie durch den
Beginn einer planmäßigen staatlichen Arbeiterfürsorge. Dagegen sind die gro߬
artigen Pläne Napoleons speziell zur Hebung der hiesigen Bäder und des Kur¬
lebens, abgesehen von geldlichen Unterstützungen und Belus großartigem Quel-
lenreservoir des Roseubades, größtenteils eben nur Pläne geblieben; seine
Erklärung der Quellen und Bäder als Staatseigentum hat in Aachen sogar
stark verschnupft. Auch seine Verdienste um das Unterrichts wesen in
Aachen schätzt der Verfasser gering ein; doch dürfte gerade hier, wie noch
gezeigt werden soll, sein Urteil der sicheren Grundlage völliger Beherrschung
des Stoffes sehr entbehren.
Nachdem ein weiterer Abschnitt sich mit den kirchlichen Verhältnissen
beschäftigt und in schon bekannter Weise die Persönlichkeit und Tätigkeit
Bischofs Berdolet gezeichnet hat, schildert ein Schlußkapitel die engen per¬
sönlichen Beziehungen des Kaisers und seiner Familie zu Aachen als der
Stadt, der Napoleon, als Nachfolger Karls des Großen, ganz besonders seine
Gunst zuwandte.
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400
Literatur.
Der Wert «1er Arbeit, der offenkundiger Fleiß nicht abgesprochen
werden kann, liegt nicht in der Aufstellung neuer Richtlinien zur Beurteilung
der Tätigkeit und des Systems Napoleons in den Rheinlanden und besonders
in Aachen. Das ist auch wohl nicht mehr möglich, und der Verfasser hat
es auch nicht beabsichtigt ; er bezeichnet seine Arbeit selbst als eine „schlichte
Skizze“. Er hat vielmehr, gestützt in erster Line auf die Sammlung der
Präfekturakteu, auf die Korrespondenz des Kaisers und auf Poissenots „Coup-
d’oeil historique et statistique sur la ville d’Aix-la-Chapellc et ses environs“,
die bekannten Tatsachen durch neue Einzelheiten zu vertiefen und die
grobe Linie der Entwicklung durch aufgesetzte Lichter klarer in ihrer Rich¬
tung hervortreten zu lassen versucht. Das ist ihm auch wohl im ganzen
und großen gelungen; leider aber lassen Stichproben die Zuverlässigkeit
seiner Angaben im einzelnen nicht zweifelsfrei erscheinen. S. 54 wird der
4. September als Einzugstag Napoleons in Aachen bezeichnet; S. 57 dagegen
heißt es, der Aufenthalt des Kaisers habe vom 2.—11. September gedauert!
Schlimmer aber ist das Folgende: Poissenot, der hier zweifellos die Quelle
ist, schreibt, der Kaiser sei am 15. Fructidor XII, das ist am 2. September
1804, nachmittags 5 Uhr in Aachen eingezogen. Unser Anonymus kennt
freilich auch das Datum des 15. Fructidor XII; aber was läßt er an
diesem Tage geschehen? Der Präfekt M6chin erläßt an diesem Tage ein
Zirkular, wonach die Maires mit ihren Abordnungen den Kaiser an der Grenze
ihres Gebiets erwarten sollen. Ist es überhaupt denkbar, daß eine solche Anord¬
nung erst an dem Tage erlassen wird, an dem der Herrscher in Aachen einzieht ?
Aber was will dieser Fehler besagen gegen die Summe von Unrich¬
tigkeiten, die dem Verf. bei seiner Darstellung der Aachener Schulver¬
hältnisse unterlaufen sind? Nach seiner Meinung (S. 42) lag das ehe¬
malige Jesuitenkolleg nach der Unterdrückung des Ordens „in der Hand
von Weltpriestern, die es auch zu Napoleons Zeiten aufrecht erhielten“.
Am 1. Dezember 1805 sei dann „das Kolleg“ als £cole secondaire ein¬
gerichtet worden. So viel Behauptungen, so viel Unrichtigkeiten! Nach Auf¬
lösung des Jesuitenkollegs (die Jesuiten schlossen ihre Schule mit Ablauf
des Schuljahres am 24. Sept. 1773) suchte die Stadt die Lehranstalt in
ihrer Fortdauer zu sichern mit dem Erfolge, daß als „zwerghafte Fortsetzung
der früheren Ricseuanstalt“ das reichsstädtische Mariengymnasium oder
das Mariunische Lehrhaus erscheint. Scharf und treffend kennzeichnet Fritz
(ZdAGV 30, S. 81) den Unterschied zwischen dem alten Jesuitenkolleg
und dem neuen Mariengymnasium dahin: „Früher eine von der Stadt unter¬
stützte klösterliche Privatanstalt, wurde sie (die Schule) nunmehr ein reichs¬
städtisches Gymnasium.“ Die Lehrer (es befanden sieb mehrere Exjesuiten
darunter) wurden gleich den städtischen Beamten von der Stadt ernannt.
Und dieses Kolleg ist niemals von Napoleon als £cole secondaire eingerich¬
tet worden! Durch die einrückenden Franzosen (25. Sept. 1794) seines
Gebäudes beraubt, siedelte das Mariengymnasium für zwei Monate zu den
Regulierchorherren über; nach der Inanspruchnahme auch dieses Gebäudes
als Lazarett wurden die Lehrer gezwungen, die Schule in ihren Privatwoh-
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Aachen unter der Herrschaft Napoleons.
401
nuugeu zu halten. Diese Unterrichtskurse der Lehrer des alten reichsstäd-
tischen Mariengymnasiunis aber blieben bestehen, auch als Napoleon am
1. Dez. 1805 (auf S. 40 heißt es im Gegensatz zu S. 42: 1. November 1806!)
die 6cole secondaire feierlich eröffnen ließ. Der Unterricht hatte höchst
wahrscheinlich schon etwas früher begonnen. Und im Dunkel des Privat¬
lebens verlieren sich die letzten Spuren dieser Unterrichtskurse erst im
zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts unter preußischer Herrschaft.
Die Folge dieser völlig unhaltbaren Verknüpfung der öcole secondaire
mit dem Mariengymnasium ist daun noch ein weiteres schlimmes Mißver¬
ständnis, das dem Verf. mit einer bei Poissenot gefundenen Stelle zustößt.
Poissenot erzählt (S. 136), vier Weltgeistliche seien für die Humanitt, die
Rekollekten für die Lehrstühle der Theologie und Philosophie bestimmt
gewesen; die Zahl der Professoren dieser beiden Institute habe 10 und
die Zahl der Schüler 103 betragen. Was macht der Verfasser daraus? S. 42
heißt es unter Berufung doch wohl nur auf diese Stelle: „Die öcole secondaire
wurde wie die Primärschulen schwach besucht. Nach Poissenot zählte sie (also
doch die 6cole secondaire) nur fünf Professoren und zirka (!) 103 Schüler.“
Poissenot aber hat an der eben zitierten Stelle gar nicht die 6cole secondaire, auf
die der Verf. seine Worte irrtümlich bezieht, im Sinne! Die //«mam'MPoissenots
ist vielmehr das Mariengymnasium, an dem ursprünglich vier Lehrer unter
einem Präfekten, seitdem auch dieser eine Klasse übernommen, also fünf
Lehrer unterrichteten. Daneben bestanden theologische und philosophische
Kurse, geleitet (seit 1773) von den Franziskanern (Rekollekten nennt sie
Poissenot). Zunächst ohne Verbindung mit dem städtischen Gymnasium
wurden seit 1776 die philosophischen Vorlesungen und die monatlichen theo¬
logischen Disputationen vom Franziskanerkloster in das öffentliche Gymnasium
bezw. dessen Aula verlegt, bildeten die Kurse ein Anhängsel des Gymnasiums,
Auch dieser Professoren gab es fünf, zwei für die Philosophie, drei für die
Theologie: so kommt Poissenot auf die Zahl 10 für beide Institute. Nach
einer Auskunft des Maire am 4. August 1802 (also lange vor Errichtung
der 6cole secondaire) an den Präfekten betrug die Zahl der Philosophen und
Theologen bei den Franzikaneru 43, die der Schüler des reichsstädtischen
Gymnasiums 63, also zusammen 106. Zweifellos ist so die Zahl von 103
Schülern für beide Anstalten bei Poissenot zu stände gekommen. Diese
Kurse der Rekollekten am Gymnasium teilen — das sei der Vollständigkeit
halber hinzugefügt — das Schicksal der Hauptanstalt. Nach der Wegnahme
des Schulgebäudes zurückverlegt in das Kloster, linden wir nach der Auf¬
hebung dieses im Jahre 1802 ihre letzten Spuren, gleich den Kursen ihrer
Amtsgenossen vom Gymnasium, in den von der französischen wie preußischen
Regierung ungern gesehenen „lateinischen Winkelschulen“ der Stadt. So
sieht — es schien wichtig, darüber keinen Irrtum aufkommen zu lassen —
das letzte Stück Geschichte der verschiedenen Vorgänger des heutigen
Kaiser-Karls-Gymnasiums aus. Es ist unbegreiflich, daß der Verf. in dieser Frage
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402
Literatur.
eiuer für sieb allein mißverständlichen Quelle folgte, während er doch die
ausführlichen Darlegungen des besten Kenners der Geschichte des Aachener
Schulwesens, Fritz, und die bei ihm verzeichnete Literatur hätte benutzen
können und müssen.
Und neben solch groben Unrichtigkeiten gehen dann kleinere Schnitzer
her. Vor allem hätten die Daten der republikanischen Zeitrechnung unbe¬
dingt überall umgerechnet werden müssen; jetzt erschweren sie das Ver¬
ständnis. Von den beiden Malern der von Napoleon der Stadt geschenkten
Portraits heißt der eine L. A. G. Bouchet, nicht Bonche. Die Vornamen
sind jetzt aus Picks „Rathaus“ zu ersehen; die richtige Schreibweise des
Namens aber hat schou viel früher Fritz in dem oben mitgeteilten Sonder¬
abdruck der Denkschrift des Museumsvereins festgestellt. Die Kehrseite
der auf S. 29' beschriebenen Denkmünze lautet nach Poissenot (S. 158): „Ex¬
position des produits de l’industrie de 1806“, nicht „de l’industrie frau<;aise“.
S. VI muß es heißen „Haagen, Geschichte Acliens“, nicht „Hagen, Geschichte
Aachens“, und ebenso S. VII Smets, nicht Smeets, S. 40 Harskamps, nicht
Harskamp; die Zeitschrift endlich nennt sich „des“, nicht „für den“ Aachener
Geschichtsverein.
Das ist, wie gesagt, das Ergebnis von Stichproben. Der Wert der
Arbeit wird dadurch sehr beeinträchtigt. Vor allem aber sei zum Schlüsse
der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß dieses Beispiel namenloser wissen¬
schaftlicher Veröffentlichung in der Aachener Ortsgeschichte keine Nachfolge
linden möge; es würde zu ganz unerträglichen Zuständen in der Wissen¬
schaft führen.
Aachen. C. Schui.
3.
Hubert Daverkosen, Die wirtschaftliche Lage der Reichs¬
abtei Corneli münster. [Umschlag: Die Reichsabtei Cornelimünster, ihre
Gründung und ihre wirtschaftliche Lage.] Inaugural-Dissertation. Aachen,
A. Jacobi & Cie. 1914. VIII und 75 Seiten. Preis: 2 M.
Daß die alte und angesehene, von Kaiser Ludwig dem Frommen an
der Inde gestiftete Benediktiner-Reichsabtei bisher so wenig Beachtung nach
der verfassuugs- und wirtschaftsgeschichtlichen Seite hin gefunden hat, ist
wohl nicht unschwer aus dein nicht allzu reichlich fließenden, dazu noch au
den verschiedensten Stellen zerstreuten Material zu erklären. Es verdient
daher alle Anerkennung, wenu in der vorliegenden Dissertation wenigstens
die wirtschaftlichen Verhältnisse gründlich erörtert werden. In drei Kapiteln,
mit deren jeweiligem Abschluß eine Zeit des Verfalls bezw. die Aufhebung
einsetzt, widmet sich der Verfasser dieser Aufgabe, nachdem er in einer
kurzen Einleitung mit gewichtigen Gründen gegenüber der bisherigen An¬
sicht die Einweihung der Abtei auf das Jahr 815 bezw. 816 festgelegl
hat (S. 3).
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Daverkosen, Die wirtschaftliche Lage der Reichsahtei Cornelimünster. 103
Ihren Ausgang nimmt die wirtschaftliche Entwicklung von den be¬
deutenden Schenkungen, die alsbald zu einem umfangreichen Streubesitz
führen, oft weit entfernt, wie am Rhein bei Heimbach oder in Frankreich
bei Toul, während zusammenhängender Besitz wohl nur in der Nähe liegt.
Erst allmählich kommt es zur Abstoßung der wegen ihrer Lage unwirt¬
schaftlichen Güter und zur Abrundung der für die Abtei einträglicheren
Besitzungen. Das Verwaltungssystem ist die übliche Fronhofsverfassung.
Trenuung von Abts- und Konventsgut findet sich bereits am Ende des 11.
Jahrhunderts. Wenn man aueh für die erste Periode (bis 1300) mit Rück¬
sicht auf die lückenhaften Quellen vielfach auf Vermutungen angewiesen ist,
so ergibt sich doch unzweifelhaft, daß nach einer vorübergehenden kurzen
Blüte die wirtschaftliche Lage am Ende des 13. Jahrhunderts durchaus
keine günstige ist. Die hohen Verwaltungskosten, äuliere Unglücksfälle, die
großen Ausgaben des Abtes infolge seiner Stellung als Reichsfürst, endlich
direkte Mißwirtschaft einzelner Abte führen nicht nur zu keinen Über¬
schüssen, sondern zwingen sogar zu planmäßigen Verkäufen, nur um die
laufenden Ausgaben zu decken. Nur entschiedenes Eingreifen der geistlichen
und weltlichen Behörden vermag die Abtei vor dem völligen Ruin zu be¬
wahren. Jedoch schon bald, nachdem auch die Folgen der zweiten Zer¬
störung (1310) überwunden sind, sehen wir das Klostervermögen rasch wieder
anwachsen. Neben dem Erwerb von neuem Grund und Boden, auch in den
Städten, kommen jetzt die mannigfachen Formen mittelalterlicher Vermögens¬
ausnutzung zur Geltung. Rentenkäufe und -Verkäufe, Vergebung der Güter
zu Ritter- und Mannlehen treten besonders hervor. Gleichzeitig bricht die
Abtei auch mit dem bisherigen Fronhofssystem; den Nachteilen, die das
Meiereiwesen mit sich bringt, sucht man durch Verpachtung der Güter ent¬
gegenzuarbeiten. Letztere gewinnt in der dritten und letzten Periode, die
durch die Wirren der Reformationszeit eingeleitet wird, die Oberhand, so
daß die Pachtgüter jetzt den Hauptertrag abwerfen. Von Bedeutung ist
aber auch der Gewinn aus dem Mühlenbanu, aus dem Forst- und Bergregal,
besonders aber aus der Brauhausgerechtigkeit.
Daß es dem Verfasser nicht vergönnt war, das Archiv des Aachener
Marienstifts zu benutzen, ist im Interesse der Vollständigkeit sehr zu be¬
dauern. Wenn auch die wichtigsten Urkunden bereits bekannt sind, so
würde doch manche Einzelheit eine willkommene Ergänzung geboten haben;
es sei hier nur hingewiesen auf die Aufzeichnungen aus dem Jahre 1178
über die Einkünfte des unter Abt Anno gebauten Hospitals (zu S. 18 u. 23)
und auf eine Urkunde vom 16. Februar 1640, aus der hervorgeht, daß
der spätere Abt Isaac Hirsch von Laudscron bei seinem Eintritt in die
Abtei außer dem Patrimonium noch eine Jahresrente von 35 Rtr. mit¬
gebracht hat (zu S. 63'). Abgesehen davon ist, soweit es sich hier
beurteilen läßt, alles sonstige, sehr zerstreute Material in äußerst ge¬
schickter Weise verarbeitet, wenn man auch hinsichtlich der Anordnung des
Stoffes, die einem streng durchgeführten Plane folgt, hin und wieder einen
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404
Literatur.
anderen Zusammenhang wünschen möchte. So wäre bei der Besprechung
der Güterverluste am Ende der ersten Periode (S. 9 ff.) wenigstens ein
Hinweis auf die Gesamtschätzung dieser Verluste, die wir später auf S. 40°
linden, angebracht gewesen. Augenscheinlich hat sich der Verfasser auch
durch die vielen damaligen Besitzveräulierungen dazu verleiten lassen, den
Höhepunkt der Macht der Abtei auf den Anfang des 13. Jahrhunderts zu
verlegen (S. 9), während sie doch tatsächlich erst in der zweiten Periode
(14. u. 15. Jahrh.) ihre höchste Entwicklung erreicht hat. Letzteres zeigen
schon die vielen beträchtlichen Neuerwerbungen in dieser Zeit, denen, wie
der Verfasser selbst zugeben muß (S. 30), keine Abnahme des Grundbesitzes
gegenübersteht. Wohl mag zur Zeit der großen bedingungslosen Land¬
schenkungen der Umfang des Grundbesitzes größer gewesen sein, aber da¬
für wurde er doch bei weitem nicht so wirtschaftlich ausgenutzt wie in den
späteren Jahrhunderten. Dazu kamen die zahlreichen Rentenkäufe; ja, die
Abtei konnte damals ohne Rücksicht auf Gewinn, nur um die Renten¬
empfänger zu unterstützen, auch solche verkaufen (S. 32). Auch der Auf¬
schwung der Wallfahrten, in denen für Cornelimünster eine nicht unbeträcht¬
liche Einnahmequelle lag, fiel in diese spätere Periode (S. 32).
Aachen. Wilhelm Mummenhoff.
4.
Otto Kolshorn, Der Plan einer Vermählung des Pfalzgrafen
Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg und der Tochter des
Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg, Markgräfin Anna
Sophia (1598—1659). Ein Beitrag zum Jülich-Clevischen Erbfolgestreit.
Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde der philosophischen
Fakultät der Kgl. Universität Greifswald. Düsseldorf, Ed. Linz. 1914.
Seitdem zwischen Herrscherhäusern Ehen zu staatlichen Zwecken ge¬
schlossen zu werden pflegen, sind Fürstentöchter Ursache zu Wandlungen
im Schicksal ganzer Staaten und ihrer Untertanen geworden, ohne es zu
wissen, geschweige es zu wollen. Ein Greifswalder Doktorandus wendet
unsere Aufmerksamkeit einer brandenburgischen Prinzessin zu, die beinahe
das Mittel wurde, wodurch zu Beginn des 17. Jahrhunderts das einzige be¬
deutende nordwestdeutsche weltliche Fürstentum, nämlich Jülich-Cleve-Berg,
vor der Zersplitterung bewahrt geblieben wäre.
Der bekannte Jülichcr Erbstreit betrifft auch die Reichsstadt Aachen,
nämlich insofern, als der Landesherr von Jülich dort die Vogtei besaß und
den Meier einzusetzen hatte. Infolge des Mißlingens des Heiratsplans
zwischen der kurbrandeuburgischen Prinzessin Anna Sophia und dem ueu-
burgischen Pfalzgrafeu Wolfgang Wilhelm (1612) erwuchs der damals in
Aachen mächtigen Partei in diesem ein neuer Gegner, wodurch der Gegen¬
partei der Sieg erleichtert wurde.
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Kolshorn, Der Plan einer Vermählung des Pfalzgrafen Wolfgang usw. 405
Die Verheiratung der in Betracht kommenden Markgräfin war mit
Schwierigkeiten verknüpft, da ihre Eltern uneins waren. Kurfürst Johann
Sigismund war wenig unternehmungslustig, aber ein wackrer Zecher, dem
die Hand lose im Gelenk hing; seine Gemahlin Anna, geborene Prinzessin
von Preußen, war dagegen eine entschlossene, tatkräftige Frau, die sich
durchaus bewußt war, daß einzig ihre Person es war, die dem kurbranden-
burgischen Hause die Anwartschaft auf Preußen und besonders auf die
niederrheinischen Lande brachte, und daß sie, nicht ihr Gemahl dieses Recht
zu vererben hatte.
Der Gedanke einer Heirat zwischen Brandenburg und Neuburg tauchte
auf dem Unionstag zu Schwäbisch-Hall im Januar 1610 auf, wo der Kur¬
fürst und der alte und der junge Pfalzgraf sich trafen. Die streng luthe¬
rische Anna, die mit Gemahl und Sohn wegen deren Neigung zum Kalvinis¬
mus immer mehr zerfiel, war mit einer ehelichen Verbindung mit den ebenso
streng lutherischen Neuburgern sehr einverstanden. Daher war sie auch im
folgenden Jahre gegen Abschluß und Ausführung des Jüterboger Vertrags,
der die Jülicher Fürstentümer zwischen Brandenburg und Sachsen teilte
und Neuburg ausschloß.
Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm war „gewillt, seine Vermählung ganz in
seine politische Mission zu stellen“ (S. 41), und warf einmal vorübergehend
auch ein Auge auf eine englische Königstochter. Im Frühjahr 1611 reiste
er nach München; jedoch, wie Kolshorn S. 42 ff. ausführt, ist das Ziel dieser
Fahrt lediglich die diplomatische Unterstützung Bayerns in der Jülicher
Sache sowie im kurpfälzischen Vormundschaftsstreit, während der Gedanke
einer Ehe mit einer Münchner Prinzessin auf beiden Seiten fernlag, so daß
dem jungen Pfalzgrafeu, als er im Sommer 1611 zu Küstrin und Schönfließ
bei der Kurfürstin von Brandenburg gewissermaßen um die Hand ihrer
Tochter Anna Sophia warb, keine Doppelzüngigkeit vorgeworfen werden
kann. Demgemäß soll Wolfgang Wilhelm bei seinem im November ge¬
machten zweiten Besuch an der Isar ebensowenig von einer Heirat gesprochen
haben, wahrend übrigens die in Frage kommende Magdalena noch auf einen
andern hoffte (S. 66).
Im Februar 1612 fuhr der Neuburger wiedorum zu Kurfürstin Anna
und ihrem Gemahl nach Königsberg in Preußen. Der Zweck war erstens:
den Heiratsplan, wonach der Pfalzgraf mit der Tochter auch die Verwaltung
des branden burgischen Anteils an den Jülicher Landen erhielt, zum Abschluß
zu bringen, zweitens: demgemäß den Kurfürsten zur Absage des noch nicht
unterfertigten Abkommens mit Sachsen zu bewegen. Dieses wurde erreicht;
jenes jedoch erwies sich als noch nicht ganz spruchreif, weshalb dafür eine
spätere Besprechung vorgesehen wurde. Grund dieses Aufschubs ist wohl
die berüchtigte Ohrfeige gewesen, über die Kolshorn noch ein besonderes
Kapitel im Düsseldorfer Jahrbuch bringen will, da sie früher einmal irrtüm¬
lich nach Düsseldorf verlegt worden ist. Daß dieser Zwischenfall nicht
Ursache des Bruches zwischen den Possidierenden war, habeu bereits
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400
Literatur.
M. Rotter (Deutsche Gesell. II, S. 378) und H. Becker (Anmerkung
zum Schlußwort: Düsseldorfer Jahrbuch 25) betont.
Mit Recht schreibt dies der Verfasser dem feindseligen Verhalten der
brandeuburgischen Statthalter am Niederrhein während des Pfalzgrafen Ab¬
wesenheit zu. Daß der Kurfürst mit nichten geneigt war, dem Pfalzgrafen
unter bewußten Umständen die Alleinverwaltung von Jülicb-Cleve-Berg zu
übertragen, also die Heiratsbedingung zu erfüllen, ging dann klar aus der
Maßnahme hervor, daß Johann Sigismund, ohne seine Gattin zu fragen, seinen
ältesten Sohn nicht nur als Statthalter, sondern als „Sukzessor und Erben“
westwärts schickte. Der Kurfttrstin Widerspruch war erfolglos. Und so
kam erst jetzt, also Ende 1612, Wolfgang Wilhelm auf den Gedanken einer
ehelichen Verbindung mit dem bayrischen Zweig des Hauses Wittelsbach,
um sich zugleich dessen Hilfe zu sichern, woran dann allerdings die Be¬
dingung des Übertritts zum Katholizismus geknüpft wird. Diese Heirat
wird zur Tatsache, zu großem Bedauern der Kurfürstin, deren Tochter
Anna Sophia später an einen Braunschweiger verheiratet wird.
Kolshorns Abhandlung ist eine wohlgelungcne Reinwaschung des Neu¬
burgers. Das kurbrandenburgische Hof- und Familienleben ist in seinen
Schattenseiten richtig geschildert. Die S. 62 erwähnten „flandrischen Lehen
im Jillichschen“ liegen in Flandern nahe dem heutigen Yserkanal; der Landes¬
herr von Cleve trug sie seit alters von Flandern (damals von der spanischen
Regierung zu Brüssel) zu Lehen. Beim „Mttlheimer Bau“ (S. 70) handelt es
sich hauptsächlich um die Festung, weniger um die Kirche. Die Behauptung
(S. 79): „Der große Religionskrieg setzt in den Jiilich-Cleveschen Landen
also schon ira Jahre 1615 ein“, wird meine vorbereitete Veröffentlichung der
niederrheinisch-brandenburgischen Akten der Jahre 1614 — 1621 beleuchten;
in diesem Zeitraum sind nämlich weniger konfessionelle Reibereien zu ver¬
zeichnen als vorher während der gemeinsamen Regierung der Possidicrenden
(z. B. in Euchen und Weiden, an der Grenze des Aachener Reichs).
Bergen im Hennegau. Karl Schumacher.
Vorstehende Arbeit wurde an der feindlichen Front im Eisenbahn-Regiment Nr. 8
geschrieben. Leider brachte der Kriegsdienst dem Verfasser ein schweres Lungenleiden,
dem sein hoffnungsreiches Leben am 3. Februar 1016 im Reservelazarett Theresieu-
hospital zu Düsseldorf zum Opfer fiel.
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Die Hauptversammlung
wurde am 27. Oktober 1915 im Karlshause abgehalten. Da auch jetzt wieder,
wie im verflossenen Jahre, ein mit Spannung erwarteter Vortrag angekündigt
worden war, so wurde, um dem vor Jahresfrist allseitig beklagten Platz¬
mangel vorzubeugen, diesmal der „Große Saal“ gewählt. In der Tat war
dieser ganz besetzt, da sich an 200 Mitglieder und Gäste eingefunden hatten.
In der Mitte des Saales war in einem Glasschrein eine wertvolle
Sehenswürdigkeit ausgestellt: die im Auftrag der Stadt Aachen für die
geplante, durch den Krieg leider verschobene Krönungsausstellung angefertigte
Nachbildung des Stephanus-Reliquiars in edelem Metall. Herr Oberbürger¬
meister Veltman hatte die große Freundlichkeit, zur Erläuterung des an-
gekiindigteu Vortrags zu gestatten, daß dieses Kunstwerk zum erstenmal
einem größeren Publikum vorgezeigt wurde, wofür der Vorsitzende im
Namen des Vereins seinen besten Dank aussprach. Ebenso wurde dankend
ltervorgehoben, daß Herr Museumsdirektor Dr. Schweitzer persönlich die
Überbringung des Wertstückes und seine Aufstellung im Saale überwachte.
Um die Versammlung auf den Vortrag nicht zu lange warten zu lassen,
erstattete der Vorsitzende den
Jahresbericht
nur in knapper Übersicht; hier aber soll auch das mitgeteilt werden, was
in der Versammlung aus dem genannten Grunde zurückgestellt wurde.
Die Zahl der Mitglieder, die sich Ende Oktober 1914 auf 1037
belief, hat sich im Laufe des Jahres um 52 vermindert, die nach auswärts
verzogen oder aus anderen Gründen austraten, ferner um 35 Mitglieder, die
als solche verstarben. Unter den letzteren waren nicht weniger als 4 Ehren¬
mitglieder: P. Stephan Beissel in Valkenburg, die Oberbürgermeister a. L).
und Geheimen Regierungsräte Ludwig Pelzer und Ludwig von Weise,
Rechnungsrat Matthias Schollen; zwei von ihnen werden nach ihrem Leben
und Wirken in unserer Zeitschrift, zwei an anderer Stelle besonders ge¬
würdigt. Zwei der Verstorbenen fielen auf dem Felde der Ehre: Oberlehrer
Dr. Bappert und Direktor des Statistischen Amts Dr. Mendelson, des¬
gleichen der hoffnungsvolle Kandidat der Philologie Dr. Heinrich Lichius
aus Mülheim, Verfasser einer wertvollen Arbeit über die Verfassung des
Münsterstifts im vorliegenden Bande der Zeitschrift. Fünf verewigte Mit¬
glieder gehörten dem Verein seit seiner Gründung (1879) an: Rentner ,1.
Cockerill, Schulrat Dr. Esser (Malmedy), Itentneriu Marita Loersch,
Kaufmann J. Niessen, Rechnungsrat Th. Raiucken. Zum ehrenden An-
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Die Hauptversammlung.
denken an die verstorbenen Mitglieder erhoben sich die Anwesenden von
ihren Sitzen. — Dem Gesamtverlust von 87 Mitgliedern steht ein Zugang
von 21 neuen gegenüber, so daß der Verein jetzt 971 Mitglieder zählt.
Leider hemmt der Krieg noch immer die so notwendige Werbearbeit zur
Gewinnung neuer Mitglieder.
Der Vorstand des Vereins versammelte sieh im Berichtsjahr dreimal,
der Ausschuß für die Zeitschrift zweimal zu einer Sitzung.
Drei Monatsversammlungen hat der Verein ira verflossenen
Winter veranstaltet. Die erste fand am 26. November 1914 im Karlshause
statt und bot der Versammlung, die aus 100 — 120 Personen bestand, den
Vortrag des Herrn Professors Dr. Sa v eis borg über „Die Beziehungen
Karls des Großen zur Kaiserstadt Aachen“. An der Hand vorzüglicher
Lichtbilder unterrichtete er die Anwesenden zunächst über die wichtigsten
vorhandenen Darstellungen Karls des Großen. Bemerkenswert ist, daß das
einzige unzweifelhaft gleichzeitige Porträt des Kaisers im Trikliniura des
Lateranpalastes zu Rom, wie die übrigen älteren Bilder, ihn ohne Vollbart
zeigt; dieser ziert ihn erst auf späteren und spätesten Gemälden. — Wann
Künig Karl den Ort Aachen zum erstenmale besuchte, läßt sich nicht mit
Sicherheit feststellen; unstreitig jedoch hat er den Winter 768 hier ver¬
bracht. Da er Aachen, hauptsächlich aus Vorliebe für die warmen Quellen,
zu seinem Hauptsitz erkor, war ein Um- und Neubau des alten Königshofes
zu einem königlichen Palast mit ausgedehnten Räumen notwendig. Dieser
Bau fällt etwa in die Jahre 774—782. Der Palast enthielt den Reichssaal
und darüber die kaiserlichen Wohngemächer, alles in prunkvoller Aus¬
stattung. Das Dach ist wahrscheinlich flach gewesen und wurde von zwei
kuppelartigen Seiteutürmen flankiert. Solange das Reich ira Besitze des
Palastes war und er als kaiserliches Absteigequartier diente, wurde er
einigermaßen in Stand gehalten; doch bereits Rudolf von Habsburg batte
wegen der Baufälligkeit Bedenken, das Krönungsfest in der Halle abzuhalten.
Kurz darauf ging der Palast in den Besitz der Stadt über, die auf seinen
Fundamenten das Rathaus errichtete. — Etwas später als die Pfalz wurde
die Pfalzkapelle gebaut, das jetzige Münster. Bereits drei Gotteshäuser
hatten vorher in Aachen gestanden, und die Pfalzkapelle wurde wahrschein¬
lich an der Stelle der ältesten Pfarrkirche erbaut. Die Ausführung des
Neubaues war überaus prächtig mit Marmor, Mosaiken und Kunstwerken
ausgestattet, meist nach dem Muster von San Vitale in Ravenna. Mit dem
Palast war das Gotteshaus durch einen Säulengang verbunden. Die Voll¬
endung erfolgte 804, die Einweihung angeblich durch Papst Leo III. am
Dreikönigentag des Jahres 805. Karl sorgte für möglichste Feierlichkeit
des Gottesdienstes und fand sich selbst sogar bei den nächtlichen Horen ein.
Dem Volk war das Hochmünster eingeräumt. — Als Karl am 28. Januar
814 starb, wurde er im Münster beigesetzt. Die Erzählung von der Be¬
stattung in sitzender Haltung und mit prachtvollem Schmuck ist längst
endgültig als Sage erkannt. — Viele Andenken an Karl befinden sich im
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Die Haupt Versammlung.
400
Münsterschatz: außer der Karlsbüste und dem Karlsschrein, der den größten
Teil seiner Gebeine enthält und Abbildungen aus der Zeit des Kaisers zeigt,
besitzt man ein Hiifthorn und ein angelsächsisches Jagdmesser des Herrschers.
Im 14. Jahrhundert wurde ihm auf dem Markte ein großes gotisches Denk¬
mal in Brunnenform errichtet, das 1620 durch den jetzigen Karlsbrunnen
ersetzt wurde. Am Ende des 17. Jahrhunderts war vom Magistrat die
Aufstellung eines Standbildes vor dem Kaiserbade ain Büchel geplant. Der
Redner schloß mit dem Wunsche, daß in Aachen recht bald ein würdiges
Nationaldenkmal dem großen Kaiser errichtet werde. Der Vortrag fand
dankbare Aufnahme und lebhafte Anerkennung.
Die zweite Monatsversammlung, die am 29. Januar 1915 im
oberen Saale des Kurhauses stattfand und von mehr als 50 Mitgliedern be¬
sucht wurde, hatte die Freude, von dem hochverdienten Ehrenmitgliede
Pfarrer Schnock einen Vortrag über „Die Cisterzienserinnenabtei Burtscheid
unter der ersten Abtissin Helswindis von Gymnich“ zu hören. — Gegen
Ende des zehnten Jahrhunderts gründete Gregor, der ehemalige Abt von
Cerchiara in Unteritalien, der auf Veranlassung Kaisers Otto III. mit ihm
nach Deutschland gekommen war, in der karolingischen mlln Burtscheid ein
Kloster und eine Kapelle zu Ehren des h. Nikolaus, des Erzbischofs von
Myra. Obgleich Gregor selbst Brasilianermönch war, führte er die in Deutsch¬
land allein zulässige Regel des h. Benedikt ein. Die Vollendung der eigent¬
lichen Abteikirche, die in das Jahr 1017 oder 1018 fällt, erlebte er nicht
mehr, da er nach allgemeiner Annahme bereits am 4. November 999 ge¬
storben ist. Mit der Gründung des Klosters begann Otto III. auch dessen
Ausstattung, die seine Nachfolger immer mehr erweiterten und vermehrten.
Die so durch kaiserliche Gnadenerweise zu Wohlhabenheit und Ansehen
gelangte Abtei wurde während eines Zeitraumes von etwas über 220 Jahren
von 12 Abten geleitet. Unter diesen waren aber die letzten altersschwache
und den Anforderungen ihres Amtes in keiner Weise gewachsene Männer,
die den Wohlstand und den guten Ruf nicht aufrecht zu halten verstanden.
Schließlich blieb dem Erzbischof Engelbert von C'öln nichts anderes übrig,
als den ohnehin auf fünf Mönche zusammengeschmolzenen Konvent mit dessen
Einwilligung aufzulösen und die Mönche auf verschiedene Klöster desselben
Ordens zu verteilen. Als Nachfolgerinnen wählte Engelbert die Cisterzienser-
uonnen vom Salvatorberg bei Aachen. Die Bestätigung der Wahl geschah
durch kaiserliche Urkunde vom Jahre 1222. So zogen denn wahrscheinlich
schon im Jahre 1220 fünf Nonnen, die ausnahmslos adligen Familien Aachens
und der Umgegend angehörten, unter der Äbtissin Helswindis in die verwaiste
Abtei Burtscheid ein. Fast 600 Jahre lebten sie hier streng nach ihrer
Ordensregel; kein einziger Fall von einer irgendwie bedeutenden Abirrung
wird uns mitgeteilt. — Auf die Regierungszeit der ersten Abtissin wurde
näher eingegangen. Zunächst wurde ihre Jugeudgeschichte, wie sie uns
Cäsarius von Heisterbach überliefert hat, mitgeteilt. Dann wurde zweier
Wohltäter der jungen Abtei Erwähnung getan. Zuerst des ersten Provisors
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Die Hauptversammlung.
Heinrich von Forst, Kanonikus am Münsterstifte, dessen das Necroloyinm
Porcetense unter dem 18. November dankbar gedenkt; er hatte den Nonnen
zur Erlangung der Abtei verholfen. Ein anderer Gönner des Klosters war
Johann von Hildesheim, der Dechant des Aachener Liebfrauenmünsters. Die
Abtissin Helswindis verlieh diesem wegen seiner Verdienste um die Abtei
die Pfarre Rütten für ihn und seine Nachfolger. Kurz nach ihrer Über¬
siedlung verloren die Nonnen ihren Lehrer und Führer im geistlichen Leben,
den Priester Steppo, den eine handschriftliche Chronik, die sich früher im
Besitze des Dr. A. Bock, jetzt im Stadtarchiv befindet, expertissimum vitae
asceticae magiatrum, solatium columenque monasteni, virum primaevae inno-
centiae, sanctitatis virtutumque iltustre speculum nennt. An seinem Grabe
sollen Wunder geschehen sein. Sein Sterbetag wurde noch im 17. Jahr¬
hundert feierlich in der Abtei begangen. Im folgenden Jahre bestätigte der
päpstliche Legat Conrad die vom h. Engelbert von Cöln vorgenommene Über¬
tragung, und Honorius III. verlieh den Bewohnerinnen Burtscheids seinen
Gnadenbrief. Die abteilichen Gebäude scheinen die Nonnen bei ihrem Einzug
unter den Schutz der Mutter Gottes gestellt zu haben, während die Kirche
dem h. Johannes geweiht blieb; denn in dem Gnadenbrief wie in einigen
anderen Urkunden heißt es monaaterium s. dei genitricis et virginis Marie
et a. Johannis bapstiste in Porceto. Der Papst nimmt das Kloster in seinen
und des päpstlichen Stuhles Schutz und bestätigt ihm alle seine Besitzungen
„in der Stadt Aachen, in Villen, in Epen, in Rütten, in St. Andr6, in Stein¬
straßen, in Schleiden, Körrenzig, Aldenhoven, Sinzig und Boppard“. Sodann
bewilligt der Papst den Nonnen Freiheit von jedem Zehnten für die Län¬
dereien, die sie selbst bebauen, gestattet die Aufnahme von Convcrsen, d. i.
vou Leuten, die, persönlich frei und aller rechtlichen Verpflichtung entledigt,
sich um ihres Seeleuheiles willen von der Welt zurückziehen, bestimmt, daß
keine Nonne ohne Erlaubnis der Abtissin das Kloster verlassen noch vor ein
weltliches Gericht zitiert oder gezogen und daß kein Gut oder Benefizium
des Klosters ohne Einwilligung des Kapitels demselben entfremdet werden
darf, verbietet die Belästigung des Klosters durch weltliche oder geistliche
Personen, die Verhinderung der kanonischen Wahl. Einsetzung oder Ab¬
setzung der Abtissin, bestimmt die Unentgeltlichkeit geistlicher Weihehand¬
lungen, die die Nonnen im Notfälle auch von einem andern römisch-katho¬
lischen Bischof als dem Ordinarius vornehmen lassen dürfen, untersagt die
Verhängung des Interdikts über die Abtei, erlaubt beim Interdikt Uber das
Land den Gottesdienst in derselben und verleiht Immunität für alle inner¬
halb der Klosterklausur gelegenen Örtlichkeiten, indem er jede Gewalttat
in derselben verbietet. Gegen die vielen Quälereien freilich, nameulicb der
Vögte, nutzten die päpstlichen Schutzbriefe und Schirmbefehle blutwenig.
Daß dabei die materiellen Verhältnisse zurückgehen mußten, auch wenn
sie so wie so nicht schon mißlich genug gewesen waren, leuchtet von
selbst ein. Darum kann cs uns auch nicht wundern, wenn der päpstliche
Legat Otto schon im Jahre 1230 vou einer „großen Armut“ spricht und die
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Oie Hauptversammlung.
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mildgesinutcn Christen zur Unterstützung auffordert, die er mit einem vierzig¬
tägigen Ablasse vergilt. Die Äbtissin Helswindis nahm auch die Hilfe ihrer
Familie, der reichen und angesehenen von Gimmenich, in Anspruch, und viele
andere begüterten Familien, deren Tochter der Abtei angehörten, steuerten
nach Kräften bei. Auch noch auf andere Weise suchte Helswindis der Not¬
lage ihres Klosters abzuhelfen. Sie beantragte die Einverleibung der Ein¬
künfte der Pfarrkirche von Villen, deren Patronat der Abtei zustand, in
den Klostersäckel, wobei nach den Bestimmungen des kanonischen Rechtes
dem Pfarrer ein standesmäfdger Unterhalt zustand. Sie erlangte die In¬
korporation im Jahre 1282 vom Bischof Johann von Lüttich. 1252 wurde
ihr oder ihrer Nachfolgerin vom Erzbischof Konrad von Cöln die Einverleibung
der Pfarrkirche von Burtscheid, 1319 der Äbtissin Elisabeth vom Bischof
Adolf von Lüttich die der Pfarrkirche von Rütten bewilligt. Diese Inkor¬
poration sowie die der Pfarrkirche von St. Andreas (Grafschaft Dalheim)
und von Epen wurden 1399 vom Papste Bonifatius IX. bestätigt. Auch rief
Helswindis den päpstlichen und kaiserlichen Schutz an. Einen besonders
schweren Schlag muß den ohnehin schon zerrütteten Finanzen des Klosters
die langwierige Belagerung Aachens durch Wilhelm von Holland im Jahre
1248 versetzt haben. Kardinal Hugo von Sabina sowie acht Bischöfe, an
der Spitze Arnold von Trier, bewilligten einen Ablaß allen, die zur Unter¬
stützung der Abtei beitrugen Innocenz IV. gestattete, daß das Kloster
sowohl bewegliche wie unbewegliche Güter, welche den Schwestern aus
einem rechtmäßigen Titel zukamen, soweit es nicht Lehen waren (denn
solchen lag die Verpflichtung zum Kriegsdienst ob), fordern, annehmen und
behalten dürfen, und befreite dasselbe von der Last, jemand zur Verpflegung
aufnehmen oder mit einem kirchlichen Benefizium versehen zu müssen, der
nicht eine besondere päpstliche Anweisung vorzeigen könne. Ähnliche Schutz¬
briefe gegen die Belastung mit den sogenannten Panisbriefen erhielt die
Abtei vom Legaten Petrus und Papst Alexander IV. Die Urkunden reden
nicht nur davon, wie das Kloster infolge kriegerischer Zeiten in große Not
geraten, sondern haben uns auch Beispiele davon aufbewahrt, wie die Nonnen
durch ihre allzu große Gutmütigkeit und langdanernde Prozesse um das
Ihrige kamen. Erst geraume Zeit nachher scheinen sich die Vermögens¬
verhältnisse der Abtei gebessert zu haben; die Klagen verstummen, und wir
hören von Ankäufen der Höfe und Ländereien zu Höngen (1312), zu Ober¬
merz, Schleiden, Siersdorf (1324), Vetschet (1357), Orsbach (1338) und ander¬
wärts. — Der inhaltsreiche Vortrag fand allseitig den verdienten Beifall-
Um der Zeitfolge willen sei hier eingeschaltet, daß Herr Landgerichts¬
präsident Geheimer Ober-Justizrat Ludwig Schmitz, in den Jahren 1907—
1910 Vorsitzender und seit 1906 Vorstandsmitglied, am 26. März 1915 das
siebzigste Lebensjahr vollendete. Da er an diesem Tage sich jeder Feier
und Ehrung entzog, benutzte der Vorsitzende die nächste Gelegenheit in
einer Monatsversammlung, ihm die herzlichsten Glückwünsche des Vereins
auszusprcchcn und die Hoffnung anzufügen, daß er, wie seinem Amte und
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Die Hauptversammlung.
allen gemeinnützigen Bestrebungen, so auch dem Aachener Geschichtsverein
noch lange Jahre in der gleichen geistigen Frische und Schaffensfreudigkeit
erhalten bleiben möge.
Zu der dritten Monntsversainmlung am 31. März 1915 hatten
sich im Karlshause an 60 Mitglieder und Gäste des Vereins eingefunden.
Zunächst gab Herr Dr. Rey einen Beitrag „Zur Geschichte des Gutes
Wingertsberg zwischen Cölntor und Sandkaultor“. Nach dreißig bisher noch
nicht veröffentlichten Urkunden aus hiesigem Privatbesitze sowie nach einer
Anzahl Akten der Aachener Realisationsprotokolle bot der Vortragende eine
Geschichte des Hofes Wingertsberg, der in dem hinter dem neuen Kurhaus¬
bau, dem früheren Mariahilfhospital, gelegenen Ökonomiegebäude bis vor
kurzem noch erhalten war. Ausgehend von der Lage des Hofes an der vor
einigen Jahren aufgedeckten Römerstraße von Aachen (Peterskirche, Grüner
Weg) über Würselen nach Jülich an einem klimatisch außerordentlich
günstigen Platze, wie ihn die Römer zu benutzen pflegten, stellt er als
höchst wahrscheinlich hin, daß die Stelle bereits zu Römerzeiten bewohnt war,
zumal die Römerstraße Aachen-Stolberg-Eschweiler, von diesem Hofe aus¬
gehend und der Peliserkergasse folgend, erst nach Überschreiten der Wurm
die Richtung nach Atsch-Stolberg anzunehmen scheint. — Das erste urkund¬
liche Auftreten des Namens Wingertsberg hat um 1438 statt, wo ein Cloiß
Hasenmule dem Cloiß Kempe eine Erbrente auf einen Bend „by den Wyn-
gartsberch“ verkauft. Am 24. September 1492 heißt es in einer dasselbe
Grundstück betreffenden Urkunde ausdrücklich „gelegen an den Wyngairts-
berch neist eynen beyndt zo den boyve up den Wyngairtsberch gehörende“
Hier ist also der Hof zweifellos selbst Wingertsberg genannt. Der Name
rührt höchst wahrscheinlich von Weinbergen her, die im frühen Mittelalter
an der dazu durchaus geeigneten Stelle angelegt wurden. — Anfangs des
17. Jahrhunderts gehörte der Hof einer Familie von Gangelt, die ihn 1667
an Jakob Ostlender und dessen zweite Frau Agnes verkauft. Dieser kauft
zu dem damals nur 13 Morgen großen Besitz in den nächstfolgenden Jahren
eine Anzahl in der Nähe liegende Grundstücke hinzu, deren Urkunden zu¬
gleich mit den älteren Besitznachweisen eine Menge Familien- und Flur¬
namen überliefern. Im Jahre 1699 teilen die Kinder zweiter Ehe den Nach¬
laß ihres Vaters, wobei der Wingertsberg in den Besitz des Sr. Wilhelm
Brewer und seiner Frau Agnes Ostlender übergeht. Brewer geriet bald in
mißliche Verhältnisse und verkaufte den Hof bereits im Jahre 1718 an die
Halbschwester seiner Frau, Katharina Ostlender, Witwe des Werkmeisters
Matthias Deckers (35 Morgen für 6750 Reichstaler zu 54 Mark), der er an¬
nähernd eine gleiche Summe schuldete. Auch diese in anscheinend recht
günstiger Vermögenslage stehende Besitzerin kauft eine Anzahl Grundstücke
dazu und rundet den durch die letzte Erbteilung wieder verringerten Besitz
bedeutend ab. Nach ihrem Tode wird wohl ihr Sohn Johannes den Besitz
dos nun bedeutend größeren Gutes angetreten haben, der es wieder
seinem Sohne Matthias Joseph Aloys Deckers hinterließ. Letzterer tritt im
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Die Hauptversammlung.
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Jahre 1764 als Besitzer auf, wo er einen seit Jahrhunderten vom Pächter
des Wiugertsbergs benutzten Bend durch Tausch vom Kloster Marieutal
erwirbt. Durch diesen Tausch sind uns die ältesten Urkunden über diesen
Bend und damit über den Wingartsbcrcb, der als Nachbargruudstück genannt
wird, überliefert. Im Jahre 1784 ist Matthias Joseph Deckers tot. Seine
Witwe Isabella von Gatzweiler vererbt den Hof auf ihren Sohn Joseph Deckers
und dessen Frau Anna Maria Scholl. Aus dem Besitze der Familie Deckers
ging der Hof in den des Aachener Schöffen und Burtscheider Maires Johann
Cornelius Bock über, des Großvaters unseres Ehrenbürgers Dr. Adam Bock;
von diesem kaufte das Gut dessen Schwager, der Kanonikus am Münsterstift
Johann Adam Schumacher. Im Jahre 1812 plante dieser eine Erneuerung der
Ökonomiegebäude und die Einrichtung eines Ausflugsortes für die Aachener,
versuchte auch das herrlich gelegene Gut an den Königlichen Konservator
in Cöln zu ähnlichen Zwecken zu verkaufen. Er war aber noch 1836 im
Besitze des Hofes. Bald darauf wurde das Gut au die Brüder Cornelius
und Heinrich Thywissen verkauft, von denen es die Stadt am 12. Mai 1848,
nur noch 48 Morgen groß, für 24 000 Taler erwarb. Die weiteren Schick¬
sale des Geländes durch Anlage der Monheimsallee, Erbauung des Mariahilf-
spitals, Anlage des Stadtgartens und neuerdings Erbauung des neuen Kur¬
hauses sind vielen von uns noch aus eigener Anschauung bekannt. Der Hof
selbst führte nach wie vor ein beschauliches verstecktes Dasein hinter hohen
Bäumen an einer schützenden Berglehne, ein Idyll, das mau mitten in einer
Großstadt wohl kaum anderswo finden wird.
Au den mit wohlverdientem Beifall aufgenommenen Vortrag schloß
sich aus der Versammlung eine kurze Erörterung über die Frage an, in
welchem Umfange ehedem in Aachen Weinbau getrieben worden sei. Herr
Archivdirektor Dr. Huyskens hob u. a. hervor, daß die Aachener sich vom
Weinbau später der Bierbrauerei zugewandt hätten, wovon die Aachener
Grafschaftsbücher in den oft erwähnten Hopfengärten innerhalb der Stadt
Zeugnis gäben.
Den zweiten Vortrag hielt Herr Dr. Mummenhoff, Assistent am
hiesigen Stadtarchiv, über „Aachener Brotkarten im Jahre 1795“. Der gegen¬
wärtige Weltkrieg, so führte der Vortragende aus, erinnert Aachen in
manchen Beziehungen an die unglücklichen Verhältnisse zur Zeit der Fremd¬
herrschaft. Von Belgien aus, das während des ersten Koalitiouskrieges der
Schauplatz erbitterter Kämpfe zwischen den französischen und österreichischen
Truppen war, wurde auch Aachen in Mitleidenschaft gezogen. Nachdem die
Stadt schon im Winter 1792/93 etwa drei Monate vorübergehend in fran¬
zösischer Gew’alt gewesen war, fiel sie am 23. September 1794 zum zweiten
Male in die Häude der Franzosen. Von dem ihr angedrohten Schicksal der
gänzlichen Zerstörung blieb sie zwar verschont, dafür hatten aber die Be¬
wohner um so mehr unter Bedrückungen aller Art, insbesondere unter den
Lieferungen für die französischen Heere zu leiden. Dazu kam die Einführung
der Assignaten, die bald nur noch ein Fünftel ihres Wertes galten, aber
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Die Ttaupt Versammlung.
vou jedem zum vollen Nennwerte angenommen werden mußten. Die Folge
war eine gewaltige Preissteigerung aller Waren und Lebensmittel, besonders
des Brotes. Am 10. Oktober 1794 setzte der Rat bereits Höchstpreise fest:
ein Pfund Brot sollte 5 Sols kosten. Erst als Anfang November die neue
Stadtverfassung nach französischem Muster eingeführt worden war, erfolgten
schärfere Maßnahmen. Der 3. Dezember brachte ein Verbot, Lebkuchen zu
backen, Puder und Stärkemehl herzustellen sowie Branntwein zu brennen.
Ein allgemeines Weizenbackverbot erging erst drei Monate später. Für die
Sammlung von Kornvorräteu legte die Regierung zwei Fruchtmagazine au,
je eins für die Militär- und Zivilbevölkerung. Das Magazin für Zivil¬
zwecke wurde dem Comitd des subsistences uuterstellt, das an die Stelle
eines bereits am Tage nach Einzuge der Franzosen errichteten Brotdeparte¬
ments getreten war. Dieser Unterstützungsausschuß hatte die alleinige Auf¬
gabe, Brotfrüchte aller Art zu sammeln uud später unter die darbende
Bevölkerung zu verteilen. — Anfangs wurde die Verteilung auf der Straße
vor den Bäckereien, später in den Kirchen vorgenommen. Dabei sich zeigende
Unregelmäßigkeiten zwangen den ünterstützungsaussehuß zu einer neuen
Verteilungsweise. Es handelte sich vor allem um die Brotversorgung jener
Kreise, die hinsichtlich ihrer Ernährungsweise in erster Linie auf Brot an¬
gewiesen waren; sodann mußte verhindert werden, daß das Brot in die Hände
der Wohlhabenden gelangte, die auch zu tcurereu Nahrungsmitteln greifen
konnten. Von der Bevölkerung Aachens gehörte damals die Hälfte, etwa
14 000 Köpfe, zu den Armen, die überhaupt nicht imstande waren, sich für
längere Zeit im voraus mit Vorräten zu versehen. Dazu kamen 6000 Per¬
sonen, die zur Klasse der mittleren Bürger gehörten und ebenfalls unter¬
stützungsbedürftig waren. Der Rest der Bevölkerung, 8000 bis 10 000 Per¬
sonen, mußte für sich selbst sorgen, da er als wohlhabend galt. Nach dem
ursprünglichen Plane sollte jede Familie der erstgenannten Klasse pro Kopf
täglich ein ganzes, die der mittleren Klasse nur ein halbes Pfund Brot er¬
halten. Da das zur Verfügung stehende Korn aber dafür nicht ausreichte,
wurde die durchschnittliche Brotration auf 18 Lot täglich herabgesetzt. Um
eine scharfe Kontrolle herbeizuführen, wurden die zu den Armen gehörenden
Familien so auf die 96 Bäcker der Stadt verteilt, daß jeder Bäcker 30—40
Familien oder 150 Personen zu versorgen hatte. Das Brot wurde ihnen nur
an bestimmten Tagen ,gegen Vorweisung ihrer Brotkarte und gleich lpire
Bezahlung“ abgegeben. Am 29. Januar 1795 begann die Austeilung der Brot¬
karten. Allzu lange währte ihr Gebrauch freilich nicht, da die Vorräte des
Kornmagazius bald aufgezehrt waren und neues Korn nur spärlich einging.
Die Schuld trugen hauptsächlich die Militärbehörden, die alles noch im Lande
vorhandene Korn für Heereszwecko beschlagnahmten. Nachdem das Comitd
des subsistencen sich im Mai 1795 aufgelöst hatte, verschlimmerte sich die
Lage vou Tag zu Tag. Von April bis Ende Juli stiegen die Preise um das
doppelte. Die Militärbehörden, die kaum noch Korn vorfanden, begnügten
sich damit, nur noch Flcischrequisitionen vorzunehmen. Erst, am 8. August,
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Die Hauptversammlung.
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mit dem Beginn der neuen Ernte, traten bessere Verhältnisse ein. Aber nur
für kurze Zeit; denn schon im folgenden Monate begannen die Brotpreise
wieder zu steigen, und die Bevölkerung Aachens ging neuen Sorgen entgegen.
Im Anschluß an diesen sehr auregendeu Vortrag ließ Herr Archiv¬
direktor Dr. Huyskens einige Aachener Brotkarten von 1795, die im Stadt¬
archiv unter Glas und Rahmen aufbewahrt werden, unter den Anwesenden
zur Besichtigung umgehen und besprach noch kurz eine dem hiesigen Buch¬
bindermeister Tonnar gehörige kupferne Brotmarke, die in der Größe eines
ehemaligen Dreipfennigstuckes auf der einen Seite die Aufschrift „Elberfelder
Kornverein“, auf der andern „I Brod“ trägt, dazu die Umschriften „Kauft
in der Zeit — 1816“, und „So habt ihr in der Noth — 1817“. Die Münze
stellte natürlich nicht den Kaufpreis des Brotes dar, sondern war nur, ent¬
sprechend den heutigen Brotmarken, in den genannten Teueruugsjahren ein
Nachweis der Berechtigung zum käuflichen Erwerb.
Zum Schluß wies Herr Fabrikant Thissen noch mit einigeu Worten
auf den bevorstehenden hundertjährigen Geburtstag des Fürsten Bis¬
marck hin, der bekanntlich, wie Herr Dr. Huyskens in einem inhaltsreichen
Aufsatz im „Echo der Gegenwart“ eingehend dargelegt hat, in Aachen ge¬
wissermaßen seine politische Laufbahn begonnen habe. —
Am 1. Mai 1915 benachrichtigte der Chef der Eisenbahntruppen bei
der Linienkommandautur Lüttich den Aachener Geschichtsverein, daß der
Bau einer Hauptbahn von Tongern über Vis6 nach Gemmenich bezw. Aachen
in Angriff genommen sei und daß beabsichtigt werde, für die Bezeichnung
der Bahnhöfe und Haltestellen wieder die flämischen bezw. deutschen Namen
zur Geltung zu bringen, sofern solche vorhanden seien. Für den Verein
beantwortete das Schreiben Herr Archivdirektor Dr. Huyskens, indem er
eine Reihe von Vorschlägen teils zur Verdeutschung wallonischer, teils zur
Beibehaltung gemeinsamer Namen machte. —
Von den wissenschaftlichen Sommerausflügen nahm der
erste am 21. Juli 1915 mit der Kleinbahn seinen Weg nach Eupen. Nahezu
50 Damen und Herren nahmen teil. In Eupen von dem Ortsausschuß freund-
lichst empfangen, wurden sie zu dem Lokal von Neuhaus-Tonnar geleitet,
wo zunächst der Kaffee genommen wurde. In der anschließenden Sitzung
im Gartensaal begrüßte der Vorsitzende außer den Aachener Teilnehmern
die Eupencr Damen und Herren, insbesondere den Bürgermeister Herrn
Grafen Dr. Wolff-Metternich. Nachdem dieser seinen Dank und seitens
der Stadt freundliche Begrüßung ausgesprochen hatte, hielt Herr Religions¬
und Oberlehrer Lammen in ausführlicher und leicht verständlicher Weise
einen für den Rundgang durch die Stadt vorbereitenden Vortrag über die
Geschichte Eupeus. Nach einem kurzen Überblick über die im Wandel der
Zeiten mannigfach wechselnde Zugehörigkeit Eupens zu verschiedenen Reichen
und Herrscherhäusern behandelte er in knapper, aber klarer Form zunächst
die bürgerliche Verwaltung in einzelnen Zeitabschnitten der Vergangenheit,
dann die Entwickelung der kirchlichen Verhältnisse und schließlich die Ent-
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Die Hauptversammlung.
Wickelung und Bedeutung der Eupener Tuchindustrie. Mit einigen Worten
wurde dann noch ausgeführt, wie es gekommen sei, daß Eupen, das doch
ehedem durch seine alte und angesehene Tuebindustrie weltbekannt war,
nicht wie so viele andere kleine gewerbsreiche Städte in der zweiten Hälfte
des verflossenen Jahrhunderts sich zu einer großen Industriestadt entwickelt,
vielmehr seine alte Bedeutung verloren habe. Wenn aber auch Eupen sich
mit diesen schnell einporgewachseneu Industriestädten nicht mehr vergleichen
dürfe, so könne es sich doch anderer Vorzüge auch heute noch rühmen: das
seieu seine klimatischen Vorzüge, seine unvergleichlich schöne Lage und
seine herrliche Umgebung. — Nachdem so die Versammelten mit allgemeinen
Kenntnissen über Eupens Geschichte und Bedeutung aufs beste gerüstet
worden waren, begann die Besichtigung der wichtigsten Sehenswürdigkeiten.
An der Wirtkapelle und dem Kriegerdenkmal auf dem geräumigen Wirt¬
platze vorbei gelangte man zunächst zum Realgymnasium. Hier hielt Herr
Zeichenlehrer Jöres in der Aula der Anstalt einen feinsinnigen Vortrag
über Eupens Schönheit. Was uns in Eupen auf kunsthistorischein und künst¬
lerischen Gebiete heute erfreut, ist meist schlicht und bescheiden, doch
charakteristisch und intim; selbst das Landschaftliche ist nicht panoramen-
haft-großzügig. Die Wieseuteilung, der Wechsel von Wald und Wiese, die
versteckten, architektonisch oft interessanten Bauernhöfe bieten köstlich
bunte Bilder. Reich ist die Stadt noch an hübschen Gruppenhäusern und
Einzelhäusern mit merkwürdigen Schieferdachanlagen und Schornsteinen, mit
malerisch kleinen Fenstern und naiven, an den Patrizierhäusern vielfach
kunstvollen Haustüren. Die Höfe in einzelnen alten Stadtteilen, in denen
die alte Anordnung früherer Jahrhunderte noch schön gewahrt ist, bieten
wunderbar malerische Bilder. Nachdem dann der Redner auch die religiöse
Kunst, die sich in den prächtigen Kirchen und Kapellen wie auch in den
alten Denkmälern des Friedhofes zeige, kurz gestreift hatte, wies er zum
Schlüsse auf die im Saale befindliche Ausstellung von Ölgemälden, Pastellen
und Federzeichnungen hin, die zahlreiche Motive aus Eupen selbst und seiner
Umgebung Wiedergaben. Sie zeigte den Besuchern in glücklicher Anordnung,
wie reich Eupen an wunderbar malerischen Punkten ist und wie jeder, der mit
offenen Augen und Verständnis die herrliche Gegend durchstreift, reichen
Genuß finden wird.
Sowohl in dem Vorderhause des Realgymnasiums wie auch in dem
des anliegenden städtischen Knabenpeusionates wurden die herrlichen Treppen-
anlageu aus alter Zeit gebührend bewundert. Auch dem bekannten Hause
Mennicken, dessen untere Räumlichkeiten mit ihren hervorragenden Holz-
und sonstigen Altertümern allgemeine Bewunderung erregten, wurde ein
kurzer Besuch abgestattet. Von hier ging die Wanderung nach dem nahe¬
gelegenen Nispert zur Besichtigung der Kapelle und des Hauses Fettweis,
Bauten, die wegen ihrer eigenartigen Fassade uud Innendekoration — be¬
sonders Lederzimmer und Estherzimmer — dank dem freundlichen Entgegen¬
kommen des Besitzers, schon hei manchen Besuchern sehr oft lebhaften Bei-
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fall gefunden haben. In der in Couvenschem Stile reich ausgestatteten
Kapelle gab Herr Rektor Hintgen sehr dankenswerte Erklärungen. Leider
war die Zeit schon zu weit vorgerückt, so daß man auf eine Wanderung
durch Eupens Wiesen, uni das Stadtbild zu genießen, und durch die Anlagen
verzichten mußte. — Daher gings nun zurück durch die Gospertstraße, die
mit ihren alten Bauten, besonders Kreditbank und Postgebände, aufmerksame
Beschauer fand, zum Markte und zur prächtigen St. Nikolauskirche. War
auch die Besichtigung der Kirche durch eine eben jetzt stattfindende Wieder-
berstellungsarbeit in etwa beeinträchtigt, so konnten doch unter der freund¬
lichen Führung des Herrn Oberpfarrers Löchte der reiche Aufbau des
Hochaltars von Johann Joseph Couven in Aachen, die prächtigen Seitenaltäre
mit ihren Wappen, die mit reicher Rokokoschnitzerei versehenen Beichtstühle,
die feine Holztäfelung zwischen ihnen, die herrliche Kanzel, die großen aus
Cöln stammenden, leider bemalten Holztiguren, die interessante Taufkapelle
und manches andere Sehenswerte hinreichend bewundert werden. Auch die
Sakristeiräume mit ihrer reichen Holztäfelung waren dank dem freundlichen
Entgegenkommen des Herrn Oberpfarrers zugänglich, der es sich nicht nehmen
ließ, die wertvollen Paramente, eines von der Kaiserin Maria Theresia ge¬
schenkt, und ein aus ihrem Brautkleid verfertigtes, mit prachtvoller Silber¬
stickerei verziertes Velum zu zeigen und zu erklären, was besonders bei
den kunstsinnigen Damen viel Interesse erregte. Dann ging es über den
Marktplatz, an dem das ulte Wildtsche Haus mit seiner schönen Rokokotür
uud reich geschnitztem Oberlicht sowie die hohe viergeschossige Dachanlage
Beachtung fand, an dem nach Couvenschen Plänen von der Familie Vercken
erbauten jetzigen Franziskanerinnenkloster vorbei, das manche der Besucher
für das schönste außerkirchliche Bauwerk Eupens erklären, über die Pavee-
straße zum Rathause. — In der gegenüberliegenden Restauration von Klein-
Stendal sollten die von der zweistündigen Wanderung Ermüdeten sich an
Speise und Trank erquicken. Jedoch das reiche Programm des Tages war
noch nicht ganz abgewickelt. In dem großen Saale des oberen Stockwerkes
führte Herr Hauptlehrer Langenberg in einem kurzen Vortrage der Ver¬
sammlung prächtige Lichtbilder vor, in denen er einerseits das bereits Ge¬
sehene ergänzte und andererseits die schönsten Naturbilder aus Eupens
schöner Umgebung, namentlich in seinen lieblichen Flußtälern zeigte. Sein
letztes Bild „Auf Wiedersehen“ weckte allgemeine Begeisterung. — Noch
einige Zeit saß man unter anregender Unterhaltung beisammen, wobei der
Vorsitzende des Geschichtsvereins der allgemeinen Zufriedenheit der Gäste
und freundlichem Danke für alle diejenigen, die zu dem schönen, genußreichen
Nachmittage beigetragen hatten, in herzlichen Worten Ausdruck verlieh und
zwei musikverständige Herren, einer in Schwarz, der andere in Feldgrau,
die Anwesenden durch Klaviervorträge erfreuten. Allen schlug die Ab¬
schiedsstunde zu früh. Gegen 10 1 / a Uhr brachte die Kleinbahn die über
den schönen, lehrreichen Ausflug erfreuten Teilnehmer wieder zur Vaterstadt
zurück.
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Die Hauptversammlung.
Der zweite Ausflug wurde unter Leitung des stellvertretenden
Vorsitzenden Herrn Professor Dr. Savelsberg veranstaltet und galt der
Burg Wilhelmstein. Ein langer Zug der elektrischen Kleinbahn brachte die
Teilnehmer nach Kohlscheid, wo ein Spaziergang durch das freundliche
Städtchen an dem herrlich gelegenen Kirchhof vorbei und durch die hübschen
Anlagen sie bei schönstem Sonnenschein ins weite Wurmtal führte. Die
große Flagge auf der von mannigfachem Grün eingerahmten Burgruine
Wilhelmstein bot freundlichen Willkomm. Bald war der Burgberg erstiegen,
avo Kaffeerast gehalten wurde. Dann begrüßte Prof. Savelsberg unter den
Erschienenen besonders Herrn Seminaroberlehrer und Religionslehrer Nal¬
les sen, der der Bitte des Vorstandes, für diesen Auslug den erklärenden
Vortrag zu übernehmen, bereitwilligst entsprochen habe, indem er dem Redner
eine ausführliche wissenschaftliche Arbeit über die Entstehung und die ältere
Geschichte der Burg, über den dazu gehörigen alten Fronhof Steinhaus in
Bardenberg und die Einrichtung des Amtes Wilhelmstein zur Verfügung
gestellt habe.
Die Feste Wilhelmstein ist, wie aus den Bauformen ersichtlich, im
13. Jahrhundert errichtet. Sie war niemals der Sitz eines besonderen Adels¬
geschlechtes, sondern diente bis zur französischen Zeit nur Amtmännern
und Vögten als Wohnung. Es handelt sich bei ihrer Erbauung nicht um
einen gänzlichen Neubau, sondern nur um den Wiederaufbau der im Jahre
1225 durch die Limburger zerstörten Burg Valentin des Erzbischofs Engel¬
bert von Cöln (1216- 1225). Lacomblet bringt die Erbauung von Wilhelm¬
stein mit der Erwerbung der Aachener Vogtei durch den Grafen Wilhelm IV.
von Jülich in Verbindung, der urkundlich 1269 zum ersten Male sein Amt
als Vogt ausübte. Die alte commarca Bardunbach, das spätere Bardenberg,
war bis dahin eine Vogtei des Erzstiftes von Cöln und wird als solche in
einem Weistum des Cöluer Lehnhofes aus dem 12. Jahrhundert bezeichnet,
das die iura ministerialium sancti Petri behandelt, und die arbusta beati
Petri de Barden buch, der heutige Gemeindewald, die „Langau“, war Wald¬
gebiet des Cölner Erzstiftes. Sitz des Vogteiverwalters (villicus) war der
Sal- oder Haupthof Steinhaus in Bardenberg mit den zugehörigen Höfen
Kuckum, Forstum, Maghehof und etwa 72 kleineren Kurmudsgütern. 1248
kam die Vogtei zuerst pfandweise und dann 1265 als Lehen an die Dynasten
von Jülich, Wilhelm IV. und Walram von Jülich-Bergheim. Der Cölner
Erzbischof Conrad von Hochstaden (1238—1261), unter dem auch der Cölner
Dombau seinen Anfang nahm, wollte seinen gesamten Besitz dem Cölner
Erzstuhl erblich überlassen, stieß dabei aber nuf Widerspruch bei seiner
Nichte Mechtildis von Molenarck und ihrem Bräutigam Graf Walram von
Jülich-Bergheim. Deshalb entschädigte er sie durch Überweisung von Gütern
der Cölner Kirche, so auch durch die Vogtcien von Bardenberg und Broich,
sowie durch das praedium Richterieb. So blieb Bardenberg Pfand besitz bis
zum Tode des Erzbischofs 1261. Wilhelm IV. von Jülich, einer der tat¬
kräftigsten Fürsten des 13. Jahrhunderts, konnte in seinem Streben, die
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Die Hauptversammlung.
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Länder als freien Besitz zu erwerben, dem mächtigen Conrad von Hochstaden,
Herzog von Sachsen und Ripuarien und Besitzer zahlreicher Allodien, auf
die Dauer nicht mit Erfolg widerstehen. So kann es wohl als ausgeschlossen
gelten, daß Wilhelmstein vor Conrads Tode auf cölnischem Pfandbesitz ent¬
standen sei.- Als jedoch nach seinem Hinsterben Bischof Engelbert II. von
Valkenburg (1261- 1274) den Bemühungen vieler Vasallen, sich von dem
Abhängigkeitsverhältnisse von Cöln zu befreien, nicht gewachsen war, da
versuchte auch Wilhelm IV., die Selbständigkeit zu erlangen. Bei Lechenich,
nach anderen im Marienforst bei Godesberg, kam es zur Schlacht, in der
der Erzbischof geschlagen und gefangengenommen wurde. Dreieinhalb Jahre
(1267—1271) wurde er in Nideggen gefangengehalten, bis der Graf von
Jülich schließlich durch das Interdikt gezwungen wurde, ihn wieder frei¬
zugeben. In jener Zeit hat der mächtige Graf wahrscheinlich zwischen 1265
und 1269 die feste Burg Wilhelmstein erbauen lassen. Warum er gerade
bei Bardenberg die Festung erbaute, ergibt sich aus zwei Gründen. Erstens
wollte er als Vogt von Aachen bei seinem Streben, die Dörfer des Aachener
Reiches oder sogar Aaehen selbst seinem Territorialbesitz anzugliedern, die
feste Burg auf Jülicher Gebiet möglichst in nächster Nähe von Aachen er¬
bauen, und zweitens wollte er gegen mächtige Gegner, wie den Cölner Erz¬
bischof Siegfried von Westerburg und die Herzoge von Brabant und von
Limburg, einen festen Stützpunkt für gelegentliche Kämpfe gewinnen. Aus
der Aachener Ortsgeschichte ist bekannt, wie Wilhelm IV. von Jülich bei
dem Streben nach der Erreichung seines Zieles in der Gertrudisnacht des
Jahres 1278 in der Jakobstraße ein tragisches Ende gefunden hat. Jeden¬
falls war damals die Burg schon vollständig ausgebaut.
Die Frage nach den nicht geringen Baukosten erledigt sich leicht. Von
der alten Feste Valentin waren die Fundamente wohl noch erhalten, ebenso
das Baumaterial an Steinen. Das Holz wurde aus den nahen Waldungen
gewonnen. Die Arbeiten fielen als Lehndienste den umwohnenden Lehns¬
leuten zu. Erhebliche Geldsummen, die für den Baumeister sich ergaben,
wird er teils durch reiche Geschenke von König Richard von Cornwallis,
teils durch die große Einnahmequelle des Fronhofes Steinhaus aufgebracht
haben. Dieses Gut, das heute noch, allerdings in zwei Splisse aufgeteiLt,
besteht, liegt mit seinen ausgedehnten Hofgebäulichkeiten an der Ecke der
Kirchenstraße und der Neustraße in Bardenberg und ist zum größeren Teil
Eigentum der freiherrlichen Familie von Coels-von der Brttgghen in Aaehen,
zum kleineren Teil der Familie Savels in Gangelt. Nach dem Übergange
an Jülich hatte dieser cölnische Fronhof als Gericht der Bardeuberger Vogtei
keinen Zweck mehr, weshalb ihn der neue Besitzer Wilhelm IV. von dem
Lehnsverbaude loslöstc und veräußerte. Die übrigen obengenannten Güter
der Vogtei wurden dem Amtmann von Wilhelmstein unterstellt. Das Amt
Wilhelmstein umfaßte drei Gerichte: 1. das Gericht Linden mit den Dörfern
Bardenberg, Niederbardenberg, Forstum, Wefelen, Reiffelt, Broich, Euchen,
Ofden, Vorweiden und Neuhausen; 2. das Gericht zur Wehe mit Langer-
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wehe, Dlhaus uuil Lützeier; 3. das Gericht Notberg, wozu Lammersdorf,
Heistern, Hambach, Scherpenseel, Hastenrath, Volkenrath, Wert und zur
Hälfte die Dörfer Dürwiß, Röhe, Gevenich und Stolberg gehörten. Als der
Fronhof Steinhaus von dem JUlicher Grafen an Werner von Palant zu Breiden-
bend geu. Parvus verkauft wurde, muß er seinen allodialen Charakter wohl
nicht eiugebUßt haben; denn nach einer freundlichen Mitteilung des Frei-
friiuleins von Coels-von der Brügghen in Aachen war der Hof noch bis ins
18. Jahrhundert kein Lehengut, sondern ein freier Besitz, dessen Eigentümer
verpflichtet war, zu Kriegszeiten dem Landesherrn einen Mann mit Pferd
und Harnisch zur Verfügung zu stellen.
Bisher halten die Heimatforscher vergebens nach der Spur des Platzes
gesucht, wo Erzbischof Engelbert zum Schutze des Cölner Erzstiftes gegen
die Limburger seine Feste Valentia erbaut habe. Die einen haben Vaals,
die anderen Palant (Kullenburg) als die Stelle bezeichnet. Pfarrer Michel
von Kohlscheid (f 1886) ist nach Vorgang des Abtes Heyendahl von Kloster¬
rath (f 1733) der Ansicht, die Feste habe in dem Weiler Wilnis zwischen
Hofstadt und ltimburg gelegen, eine Annahme, zu der er sich offenbar haupt¬
sächlich aus etymologischen Gründen verleiten ließ. Doch auch diese Ansicht
ist aus mehreren Gründen zu verwerfen. Die angegebenen Stellen Vaals,
Palant, Wilnis lagen alle nicht im Besitze des Cölner Erzstiftes, wohl
aber Wilhelmstein, das, nur durch die Wurm getrennt, dem Territorium der
Limburger unmittelbar gegenüber lag. Hier bildete die neue Festung einen
wirksamen Schutz an der äußersten Westgrenze und war ein Stützpunkt
des Erzstiftes nach Richterich hin. Wie Valentia für den Erzbischof Engel¬
bert, so hatte Wilhelmstein für die Grafen und Herzoge von Jülich auch im
16. Jahrhundert noch dieselben Verteidigungszwecke.
Die am Eingangstore der Vorburg rechts am Turme befindliche In¬
schrift haben bereits Quix in seinen „Beiträgen zur Geschichte der Stadt
Aachen“ 1839 und Laeomblct in seinem „Archiv für die Geschichte des
Niederrheins“ 1854 veröffentlicht und besprochen; doch konnte sie lange
Zeit nicht entziffert und erklärt werden. Die von dem Berichterstatter am
12. Oktober 1873 im Echo der Gegenwart mitgeteilte Lesung der beiden
ober- und unterhalb des Kerkerfensters in gotischen Buchstaben des 13. Jahr¬
hunderts eingehauenen Zeilen lautet:
f Hofens leuen hie.
f In sorgen ligen hie.
Der runde Turm enthält nämlich zwei übereinander liegende Kerker.
Der obere ist zwar mit einer schweren Eichentür wohlverwahrt, doch wird
er durch ein Fenster beleuchtet; von den dort Eingekerkerten konnte man
also wohl sagen, daß sie der Hoffnung lebten, vielleicht doch noch die Frei¬
heit wieder zu erlangen. Der untere Kerker aber war völlig finster; wer
durch die Falltür in der Decke in dieses schauerliche Verließ hinunterstieg,
der lag wirklich dort unten in schweren Sorgen.
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Die Hauptversammlung.
421
Eine spätere Abhandlung müßte sich noch mit der Geschichte der
Zerstörung der Burg Wilhelmstein befassen, die zum Teil durch kriegerische
Ereignisse, zum 'Peil auch durch den Zahn der Zeit veranlaßt wurde. Erstere
brachen schon in der sogenannten Jiilicber Fehde (1538—1543) über die Burg
herein, und die Zerstörung der Burgveste durch die Elemente machte sich
besonders um die Mitte des 18. Jahrhunderts geltend, so daß unter dem
Vogt von Steinhausen Wilhelmstein mit Beeilt der Steinbruch für Bardenberg
und die ganze Umgegend genannt werdeu konnte.
Mit großer Spannung waren die Anwesenden dem fesselnden Vortrage
gefolgt, und reicher Beifall folgte den begeisterten Worten des Dankes, die
der Leiter der Versammlung Herrn Religionslehrer Nellessen bot. der, ein
Bardenberger Kind, einen großen Teil seiner Lebensarbeit der Erforschung
der Geschichte seiner Heimat und der nahegelegenen Burg Wilhelmstein ge¬
widmet hat.
Mit Freude genoß man hierauf die herrliche Aussicht von der Platt¬
form auf das schöne Wurmtal, besichtigte den gewaltigen Hauptturm und
seine Umgebung sowie den tiefen Burgbrunneu, gelangte durch die kleine
Pforte des gewaltigen alten Burgtores ins Freie und ging dann durch die
die Burg ringsum umgebende Wiese, eine höchstinteressante Wanderung, auf
der mau sich so recht von der gewaltigen Ausdehnung der gesamten Anlage
der Feste Wilhelmstein eine genaue Vorstellung machen konnte. Während
nun ein Teil der Geschichtsfreunde sich nach Bardenberg hin wandte, um
nach kurzer Besichtigung des der neuen Kirche schräg gegenüberliegenden
Fronhofes „Steinhaus“ sich mit der Elektrischen über Würselen und Haaren
nach Aachen zurückzubegeben, wunderte der größere Teil derselben durch
das in landschaftlicher Beziehung recht abwechslungsreiche Wurmtal nach
Herzogenrath, von wo der Eisenbahnzug die müden Wanderer nach der
Heimat zurückführte. —
Zur Besprechung des Jahresberichts wurde das Wort nicht erbeten.
Hierauf erstattete der Schatzmeister des Vereins, Herr Stadtverordneter
Kremer, den nachstehenden Kassenbericht:
Die Einnahmen betragen:
1. Kasseubestand aus dem Vorjahr . .
2. Beitrag der Stadt Aachen für 1914/15
3. Mitgliedsbeiträge.
4. Ertrag aus der Zeitschrift ....
5. Zinsen der Sparkasse.
zusammen
M. 4437.08
„ 1000 .—
„ 3760.—
„ 48.—
„ 123.64
M 9398.72
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422
Die^Hauptversaimnlun».
Die Ausgaben betragen:
1. Druckkosten des Registers zu Band 16—30.
2. Honorar für Herausgabe desselben.
3. Druekkosten für Band 36 der Zeitschrift und anderes . .
4. Buchbinderarbeiten.
5. Honorare.
6. Inserate .
7. Porto-Auslagen.
8. Schreibhülfe.
9. Tageskosteu der Hauptversammlung und anderes . . . .
10. Beitrag zum Gesamtverein der deutschen Geschichls- und
Altertumsvereine.
11. Beitrag zum Rheinischen Verein für Denkmalpflege und
Heimatschutz.
12. Beitrag zu den Kosten des Dürener Zweigvereins . . . .
2253.65
„ 814.50
„ 1751.15
„ 148.50
„ 975.90
59-»0
„ 228.75
„ 30.-
„ 75.76
ft 20 .-
103.15
zusammen .M 6465.76
Es verbleibt demnach Ende des Vereinsjahres 1914 ein Kasseubestaud
von M. 2932.96. Das Vereinsvermögen, welches Ende 1913 M. 4467.08 be¬
trug, hat sich also im Laufe des Jahres 1914 um 11. 1534.12 vermindert.
Die Kassenverwaltuug des Jahres 1914 ist durch die von der vorig¬
jährigen Hauptversammlung dazu bestimmten Vereiusmitglieder Wilhelm
Mathöe und Conrad Wilhelm Menghius am 16. Oktober 1915 geprüft und
richtig befunden worden. Dem Schatzmeister wurde daher von der Haupt¬
versammlung auf Antrag des Vorsitzenden die erbetene Entlastung erteilt.
Die Rechnungsprüfer wurden für das Jahr 1915 wiedergewählt. Dem Schatz¬
meister und den Rechnungsprüfern sprach der Vorsitzende den Dank des
Vereins aus.
Die ausscheidenden Vorstandsmitglieder wurden auf Antrag
eines Mitgliedes der Versammlung durch Zuruf wiedergewfthlt. Hiernach
besteht der Vorstand für 1916 außer dem Vorsitzenden aus folgenden Herren:
Professor Dr. Fritz
Oberbürgermeister Klotz (Düren)
Königlicher Baurat Laurent
Bibliotheksdirektor Dr. Müller
Professor Dr. Rehling
Geh. Regierungsrat Dr. Sciunid
Landgerichtspräsident Schmitz
Kgl. Strafaustaltspfarrer Schnock
Oberbürgermeister Veltnian
gewählt bis
Ende 1916.
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l)ie Hauptversammlung.
423
Justizrat Beaucauip
Justizrat Brüll
Archivdirektor Dr. Huyskens
Stadtverordneter Kremer
Stadtverordneter Menghius
Kgl. Lotterie-Einn. Pöschel
Professor Dr. Schoop (Düren)
Museumsdirektor Dr. Schweitzer
Stadtverordneter Thissen
Gutsbesitzer Adolf Bischotf
Archivar Dr. Brüning
Professor Buchkreiner
Geh. Regierungsrat Frentzen
Direktor Dr. Geschwandtner
Königlicher Schulrat Oppenholl'
Spezialarzt Dr. Rey
Professor Dr. Savelsherg
Professor Dr. Teichraann
Der wissenschaftliche Ausschuß für die
schrift wurde in der Vorstandssitzung vom
gemäß für 191 neugewählt.
gewählt bis
Ende 1917.
gewählt bis
Ende 1918.
Herausgabe der Vereiuszeit-
28. Dezember 1915 satzungs-
Nach Erledigung der vorstehenden Tagesordnung ergriff Herr Professor
Buchkreiner das Wort zu seinem Vortrag: „Der Königstuhl im Aachener
Münster und seine Reliquien.“
Die Ergebnisse der Ausgrabungen im Aachener Münster und mehrere
neue Nachrichten und Meinungen über die Lage des Grabes Karls des Großen
haben dem Redner Veranlassung gegeben zu umfänglichen neuen Studien
mannigfacher Art, die er seit längerer Zeit gemeinsam mit Archivdirektor
Dr. Huyskens bearbeitet. Eine dieser Arbeiten, die als Nebenfrucht eine
neue Bedeutung des Künigstuhls ergab, behandelt die Art der Aufstellung
der Reliquienschreine in mittelalterlicher Zeit.
Der Redner ging davon aus, die Verbindung der Aachener Schreine,
des Karls- und Marienschreins, mit dem Petrus- und Marieualtar zu erläutern,
wie sie seit der Errichtung des gotischen Chors bis zum Ende des 18. Jahr¬
hunderts bestanden hatte. Die Schreine standen erhöht auf Säulen unmittel¬
bar an der Rückseite der Altäre, so zwar, daß das Volk zur Verehrung
darunter herziehen konnte. An der Hand mehrerer Lichtbilder, die ähnliche
Einrichtungen aus gotischer Zeit zeigen, und vor allem durch den Hinweis
auf zwei noch erhaltene Denkmäler dieser Art in Cölu aus dem Anfänge
des 13. Jahrhunderts wurde nachgewieseu, daß zu derZeit, wo die Aacheuer
Schreine entstanden sind, die Verbindung solcher Kunstwerke mit Altären
gebräuchlich war. Die noch in weiten Kreisen vertretene Ansicht, daß erst
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424
Die Hauptversammlung.
die romanische Kunst sie erfunden habe, ist irrig. Schon in der Zeit Karls
des Großen war sie weitverbreitete Sitte. Unter Anführung einer Reihe
von Nachrichten karolingischer Schriftsteller wurde dies begründet. Vor
allem erregen liier solche aus St. Gallen, Metz und Fulda unsere Aufmerk¬
samkeit. Genaue Beschreibungen aus der Zeit ihrer Entstehung ermöglichen
es sogar, sich eine klare Vorstellung von der Form und Schönheit dieser
Reliquienaltäre zu machen. Daß auch Einhard sie kennt und erwähnt, ist
für Aachen besonders wichtig. Wirkliche Denkmäler sind aus der karo¬
lingischen Zeit nicht mehr erhalten; um so wertvoller ist die Darstellung
eines solchen Altars auf einem karolingischen Würfelkapitell in der Krypta
der berühmten Abtei Saint Denis, die trotz ihrer Einfachheit alle Eigen¬
tümlichkeiten dieser schönen Reliquienaltilre erkennen läßt.
Eben diese Darstellung bietet auch eine Brücke zu den neuen Wahr¬
nehmungen am Aachener K ö n i gs t u h 1, zu deren Besprechung der Redner
nun überging. Er erinnerte zunächst an die fast das ganze Bauwerk der
Pfalzkapelle beherrschende Stellung des Thrones Karls des Großen. Vor
allem sind es die beiden vor ihm stehenden Säulen, die schon bei dem ältesten
Berichte über den Köuigstuhl, bei der Krönung Ottos I., besonders erwähnt
werden. In eben diesen Säulen lagen, und zwar in ihren Scheiteln, unter
dem Kapitell, Reliquien der Apostel Simon und Judas, zu deren Verehrung
1207 ein Wachslicht gestiftet und 1225 ein Altar dort errichtet wurde. Bei
der Besprechung des eigentlichen Thrones wurde vor allem die überraschende
Tatsache erläutert, daß der untere Teil der Rückseite des Marmorstuhls
zum Öffnen eingerichtet war. Die jetzige Rückplatte reicht nur bis auf
30 Zentimeter nach unten. Ihre Fortsetzung oder das, was ehemals den
Verschluß hier bildete, ist nicht erhalten. Der heutige Zustand der noch
vorhandenen Teile zeigt aber unverkennbar, daß jene Verschlußplatte nicht
dauernd fest mit den anderen Marmorplatten und nicht wie diese unter sich
verbunden gewesen ist. Weitere Einzelheiten einer anderen Verschlußart
am unteren Rande der Rückplatte und die auffallende Tatsache, daß die
Nute, worin die Marmorplatten unten in den Sockel eingreifen, an der Rück¬
seite erheblich tiefer ist als bei den drei anderen Seiten, weisen mit Not¬
wendigkeit darauf hin, daß man den unteren Teil der Rückplatte zum Offnen
eingerichtet hat. Auch die Art der Aufstellung des Königstuhls auf vier
säulenartigen Pfosten ist auffallend. Sie muß einem bestimmten Zwecke zu¬
liebe erfolgt sein, zumal der aus zwei Stücken bestehende Sockelquader des
eigentlichen Marmorthrones eine geschlossene Unterstützung erfordert hätte.
Was könnte nun die Bedeutung der hervorgehobenen Eigentümlich¬
keiten gewesen sein? Die Lösung wird gefunden durch den Hinweis auf
den in der Westminster-Abtei zu London befindlichen englischen Krünungs-
stulil und auf die Art der Aufstellung der Reliquienschreine. Hier liegen
unverkennbare Parallelen vor. In dem englischen Kröuungsstuble wird
nämlich unterhalb des eigentlichen Sitzes eine Art Reliquie aufbewahrt, ein
heiliger Stein, der der Sage nach aus Palästina stammt und dessen Vor-
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Die Hauptversammlung.
425
handensein notwendig zur Krönung gehört. Und was den Unterbau des
Aachener Königstahls betrifft, so stimmt er in allem überein mit der Art,
wie man schon in karolingischer Zeit Reliquien zur Verehrung aufzustellen
pflegte. Auch die Sitte, daß das gläubige Volk unter den Reliquienschreinen
einherziebt, finden wir beim Königstuhl wieder. Die vier tragenden Pfeiler
zeugen noch heute davon. Welcher Art der im Königstuhl verehrte Gegen¬
stand gewesen ist. läßt sich, nicht nachweisen. Nachrichten sind darüber
nicht bekannt. Einstweilen mit dem nötigen Vorbehalt sprach der Redner
dann zum Schlüsse die Vermutung aus, daß eine der noch erhaltenen
Krönungsinsignien — das Reliquiar mit Erde, die mit dem Blute des Erz¬
märtyrers Stephanus getränkt ist — jene Königstuhl-Reliquie gewesen sein
könne. Sie ist karolingischen Ursprungs und mußte stets notwendig zu einer
gültigen Königskrönung zugegen sein. So wäre dann, wenn die Vermutung
zutrifft, die mit Märtyrerblut getränkte Erde gleichsam das Fundament der
in dem Königstuhl versinnbildeten Regierungsgewalt gewesen. Getragen
von dieser geweihten Erde, überschattet von den Reliquien heiliger Apostel
und im Anblicke der auf dem Marienaltar ruhenden großen Heiligtümer,
wollte Karl als christlicher Fürst hier thronen. Und diesem geistigen In¬
halte entspricht auch die reiche Eingliederung des Königstuhls in den bau¬
lichen Körper der Pfalzkapelle. Ein Bild von überwältigender Schönheit
und Kraft entfaltet sich dem hier thronenden Fürsten. Alles weist deutlich
darauf hin, daß unter Entfaltung höchster künstlerischer Kräfte diese ehr¬
würdige Stätte geschaffen worden ist.
Im Anschluß an diese Darlegungen, die durch eine Reihe sehr be¬
lehrender Lichtbilder erläutert wurden und den lebhaftesten Dank der zahl¬
reichen Versammlung fanden, wurde die Nachbildung des Stephan 8-
Rcliquiars besichtigt und erklärt. Bis zum Schlüsse des 18. Jahrhunderts
gehörte diese bedeutsame Reliquie dem ehemaligen Aachener Krönungsschatze
an und wird seit dem Jahre 1818 in der Schatzkammer der kaiserlichen Hof¬
burg zu Wien aufbewahrt. Bei den Krönungen war diese Reichsreliquie
ein wesentliches Stück, welches während der Krönung auf dem an der Epistel¬
seite befindlichen Insignienaltar aufgestellt war. Der Inhalt, Erde getränkt
mit dem Blute des h. Erzmärtyrers Stephan, durfte dem Neugekrönten auf
dessen Verlangen gezeigt werden. Die mit vielen hundert Edelsteinen und
Perlen übersäte Vorderseite des Reliquiars ist aus 21karätigem Golde her-
gestellt. Die Vorderseite mit den einfachen charakteristischen Fassungen
der Edelsteine und die dazwischen liegenden dreiteiligen primitiven Blättchen
sowie die eigenartige, gleichfalls aus 2lkarätigem Golde verfertigte, durch
Edelsteine und Perlen gehobene Verzierung auf den schmalen Langseiteu
wird auf karolingischen Ursprung zurückgeführt. Unter den verschiedenen
figürlichen Darstellungen in Medaillons mit einfachen Perlrändern auf den
Schmalseiten zeigt sich eine Figur, die mit einer Angel tischt, ein Reiter
und ein Engel mit erhobenen Flügeln und fliegenden Gewändern: die Rechte
des Engels hält ein Schwert, die Linke Pfeil und Bogen; über dem Haupte
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42«
Die Haupt Versammlung.
und zu beiden Seiten des Rachegeistes, den der Kugel darstellen soll, steht
der Spruch: Malis vindicta (Strafe den Rosen). Diese figürlichen Dar¬
stellungen erinnern stark an klassisch-römische Vorbilder; nach Ansicht des
Herrn Museumsdirektors Dr. Schweitzer sind es auch tatsächlich Abdrücke
römischer Münzen, die als eine Art Eintrittsausweis für den Zirkus benutzt
wurden. Die silberne, feuervergoldete und verzierte Rückseite stammt aus
dem Ende des 18. Jahrhunderts. Die mit echten Steinen besetzte Bekrönung
des Kästchens ist, wie das spätgotische Ornament beweist, gegen Ende des
15. Jahrhunderts ausgeführt worden. Die Höhe des in Taschenform aus¬
geführten Reliquiars beträgt ohne Bekrönung 2«,3 cm, mit Bekrönung 33 cm,
die größte Breite 21 cm. — Die Nachbildung wurde durch den hiesigen
Hof- und Stiftsgoldschmied August Witte in peinlichst genauer Arbeit
aus 21karätigem Golde bezw. aus feuervergoldetem Silber dem Original ent¬
sprechend ausgeführt. Tn ganz erstaunlicher Weise sind auch die kleinsten
Einzelheiten und Zufälligkeiten wiedergegeben worden. Die Befestigung der
Goldbleche durch Kupfer-, ja selbst durch Eisennägel in gleicher Form der
alten ist nicht unberücksichtigt geblieben. Nicht mindere Sorgfalt und
Technik beanspruchte die sehr schwierige Anbringung der alten sogenannten
Patina, wodurch erst dem Kunstwerk der mehr als elfhundertjährige Cha¬
rakter verliehen wurde. Aber auch diese Schwierigkeit ist in so hervor¬
ragender Weise überwunden worden, daß in der Tat die Nachbildung vom
Original selbst bei Nebeneinanderstellung nicht zu unterscheiden ist. Wieder¬
holte Reisen nach Wien machten es nötig, in der kaiserlichen Hofburg um¬
fangreiche Studien, Vergleiche und Verbesserungen vorzunehmen, bis endlich
nach langwieriger Arbeit das Werk gelungen ist, das selbst der schärfsten
Kritik standhalten wird. Die vielen hundert Edelsteine, Smaragde, Saphire
und andere, wurden mit allen Unebenheiten und Fehlern in der alten karo¬
lingischen sogenannten gemuckelten Art einzeln nach gefertigten Modellen
der Originalsteine geschliffen. So stellt sich die Nachbildung des Stephan-
Reliquiars durch die überraschend getreue Wiedergabe des altertümlichen
Gepräges als ein bedeutsames Werk Aachener Goldschmiedekunst dar. Dies
eine Kunstwerk läßt schon ahnen, welch hervorragende Sehenswürdigkeiten
unsere alte Kaiserstadt demnächst besitzen wird durch die kostbaren Nach¬
bildungen aller Reichskleinodien, die zum Teil bereits fertig gestellt, zum
Teil noch in der Ausführung begriffen sind.
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Der Dttrener Zweigverein.
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Der Diirenei* Zweig verein
hielt im abgelaut'enen Jahre keine Versammlungen ab. Von seinen Milgliedern
starben den Heldentod die Herren Serninarlebrer Coeln und Direktor des
städtischen Das-, Wasser- und Elektrizitätswerkes Vigier. Fernerstarb
Herr Amtsgeriehtsrat Schmitz. Mehrere Mitglieder traten aus; heute zählt
der Zweigvercin 141 Mitglieder.
Düren, 12. Januar 191<>. Au ;/. Sclioo/>.
Bemerkung. Nach einem Beschluß des Ausschusses für Heraus¬
gabe der Zeitschrift werden die Bände 37, 38, 39, 40 keine Einzelregister
erhalten. Dafür ist aber nach Erscheinen von Band 40 ein Gesamtregister
zu den Bänden 31 — 40 in Aussicht genommen.
Der Herausgeber.
lleriti. hmlifi i Uuchtlruckaral. Auelisn, Oornoliu«»tr. I5f.
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