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ZEITSCHRIFT FÜR BÜCHERFREUNDE.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben
FEDOR VON ZOBELTITZ.
Achter Jahrgang. — 1904/1905.
Erster Band.
Bielefeld und Leipzig.
Verlag von Velhagen & Klasing.
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Inhaltsverzeichnis.
VÜL Jahrgang 1904/1905. — Erster Band.
Grössere Aufsätze.
Seit«
Bass, Alfred: Die Nenien und andere Einzeldrucke zimbrischer Sprache der „Setti
Comuni“ von Vizenza.167
Beer, Rudolf: Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
L Mit einem Faksimile und einem Porträt.191
II.218
Börckel, Alfred: Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller. Mit
4 Abbildungen und einer Handschriftprobe. 58
Degener, H. A. L.: Die Bodleian Library in Oxford.
L Mit IO Abbildungen. 89
IL Mit 8 Abbildungen.134
Engels, Eduard: Die großen Deutschen Verlagsanstalten. Georg Hirth und sein Kunst¬
verlag. Mit einem Porträt und 18 Abbildungen.232
Haebler, Konrad: Gedruckte spanische Ablaßbriefe der Inkunabelzeit
UI. Mit 5 Abbildungen. 49
Harrwitz, Max: Die Bibliothek der Marquise vom Pompadour. Mit einem Porträt ... 199
Hirschberg, Leopold: Otto Friedrich Gruppe. Zur hundertsten Wiederkehr seines Geburts¬
tages am 15. April 1904. Mit 4 Abbildungen und 2 Faksimiletafeln. 28
Kleemeier, Friedr. Joh.: Aus einem alten Buchladen . 205
Kohn, Maximilian: Selbstankündigungen deutscher Schriftsteller in Hamburger Journalen 80
zur Linde, Otto: Thomas Edward Brown. 71
Meisner, Heinrich: BUchertitelmoden. 38
Müntz, Eugen: Die Porträtsammlung des Paulus Jovius. Beiträge zur Ikonographie des
Mittelalters und der Renaissance.120
Perschmann, S.: Aus der Zeit des Bücher-Nachdrucks in Deutschland. 78
von Schleinitz, Otto: Ein neu veröffentlichter Gesang zu Byrons „Don Juan".203
63086 »
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VI
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Schlossar, Anton: Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“. Mit 16 Abbildungen io
Schmidt, Adolf: Ein unbekannter Grolierband in der Großherzoglichen Hofbibliothek zu
Darmstadt Mit einer Abbildung.249
Schneider, L.: Denkwürdige Gebetbücher.163
Schölermann, Wilhelm: Die Erziehung zur Sehnsucht Ein Beitrag zur Ästhetik des
modernen Buches. Mit 4 Abbildungen. 81
Ullrich, Hermann: Der Robinson-Mythus. 1
Uzanne, Octave: Die französischen Exlibris von heute. Mit 37 Abbildungen.178
w
Chronik.
Seite
Byrons Don Juan. Herausgegeben von Emest Hart-
ley Coleridge. (Otto v. Schleinitz). 203
Conseotlus, Emst: Die Berliner Zeitungen bis zur
Regierung Friedrichs des Großen. (W. G.) . 251
Dodgson, Campbell: Catalogue of early German
and Flemish Woodcuts preserved in the de-
partment of Prints and Drawings in the British
Museum. (—g.). 176
Dfihren, Eugen: Des Marquis de Sade. „Les 120
Journies de Sodome“ (4). 47
Ederhelmer, Edgar: Jacob Boehme und die Roman¬
tiker. (E. Ebstein). 48
Eichhorn, Carl: Geschichte der St Petersburger
Zeitung 1727—1902. (W. G.). 252
De Poe, Daniel: Glück und Unglück der berühmten
Moll Flanders. (—bl—). 174
Fachs, Eduard: Die Karikatur der europäischen
Völker, (—bl—). 44
Qnehtfens za Ysentorff, Hermann: Napoleon L im
deutschen Drama. (A A) . • • .. 175
Geiger, Ludwig: Aus Adolf Stahrs Nachlaß. (A) . 174
Heimolt, Hans: Weltgeschichte. (H.). 210
Hofstede de Groot, C.: Meisterwerke der Porträt¬
malerei auf der Ausstellung im Haag 1903.
(—bl—). 86
Hohenzoliern-Jahrbach, VH. Jahrgang, (—bl—). . 127
Hfibl, Albert: Die Inkunabeln der Bibliothek des
Stiftes Schotten in Wien, (—bl—). 131
Mohannsen, Theodor: Die Erziehung zur Sehnsucht
(Wilhelm Schölermann). 81
Seite
Jonas, Fritz: Schillers Seelenadel, (—bl—) ... 171
Jostes, Franz: Westfälisches Trachtenbuch. (— m.) 172
Katalog der Bibliothek Constantin Huygens* ... 175
Kautzsch, Rudolf: Die Holzschnitte zum Ritter vom
Turn. (—bl—). 132
Langgttth, Adolf: Christian Hieronymus Esmarch
und der Göttinger Dichterbund. (A K.) . . 173
Kersten, Paul: Moderne Entwürfe künstlerischer
Bucheinbände. (—m.). 214
Llndner, Theodor: Weltgeschichte. (H.). 210
Pater, Walter: Imaginäre Porträts (Emst Schur) . . 212
Pelletan, Edouard: Almanach du Bibliophile. 1901.
(P. Ettinger). 209
Petzendorfer, L.: Schriftenatlas. Neue Folge. Moderne
Schriften. (K. E. Graf zu Leiningen-Westerburg) 214
Schaefer, Emil: Das Florentiner Bildnis. (H.) . . 216
Schm Id, Ulrich: Otto von Lonsdorf, Bischof von
Passau. 1254—65. (E. G.). 176
Schulze, Berthold: Neue Studien über Heinrich
von Kleist. 170
Stfimke, Heinrich: Hohenzollerafürsten im Drama.
(A A). i 74
Thomae, Walter: Der ehemalige Hochaltar in der
Karmeliterkirche zu Hirschhorn a. N. (H.) . . 216
Vespuccl, Amerigo: Mundus novus. Ein Bericht an
Lorenzo de Medici. Herausgegeben von Emil
Samow und Kurt Trübenbach. (—bl—)... 132
Williamson, R. M.: Bits from an old Book Shop.
(F. J. Kleemeier). 205
Wukadlnovlc, Spiridion: Kleist-Studien, (—bl—) . 170
(XX&D
d’Annunzio, Gabriele: Gesänge. (—m.). 254
Berichte der Kommission zur Erforschung der Ge¬
schichte der Kunst in Polen. VH # 3. (P. E.) 216
von Biedermanns Goethe-Bibliothek. (—pf.) ... 252
Bjömson, Björastjeme: Aroljot Gelline. 171
Boccaccios Dekameron, deutsch von Schaum^—bl—) 171
Der Buchdrucker und Sprachmeister J. F. Schiller.
(M. M.). 211
Bredt, E. W.: Katalog der mittelalterlichen Minia¬
turen des Germanischen Nationalmuseums,
(—bl—). 254
Brockhaus’ Konversations-Lexikon. Bd. 14—16. (A) 85
Browning, Robert: Auf dem Balkon. (—m.) ... 171
— In einer Gondel (— m.). 171
— Tragödie einer Seele. (—m.). 171
— Pippa geht vorüber. (—m.). 171
Englische Prachtwerke über Kunst. (M.) .... 88
Forbes-Mosse, Irene: Peregrinas Sommerabende.
(—m.). 172
Geibel, Emanuel,und Paul Heyse: Spanisches Lieder-
buch. (—g.).• . 173
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Inhaltsverzeichnis.
vn
Seite
Haebler, Konrad: Bibliografla Ibdrica del Siglo XV.
(—bl—). 254
Haebler, Konrad: Sammlung bibliothekswissenschaft¬
licher Arbeiten. Bd. 17. (—bl—). 253
Hamsun, Knut: Königin Tamara. 171
Hartleben, Otto Erich: Liebe kleine Mama ... 171
— Von reifen Früchten. Meiner Verse
zweiter Teil. 171
Hedin, Sven: Im Herzen von Asien. (L.) .... 174
Hertz, Wilhelm: Gesammelte Dichtungen. (—g.). 173
Holzschuh er, Hanns: Maria, Traum einer Liebe.
(—m.). 216
Janke, Otto: Verlagskatalog, (—bl—). 215
Kantorowicz, Hermann U.: Goblers Karolinen-Kom-
mentar und seine Nachfolger. (—bl—) ... 254
Katalog der Ausstellung des deutschen Reichs auf
der Weltausstellung in St. Louis, (—bl—) . 128
Klimschs Jahrbuch. (-g-). 131
Meister klassischer Kunst. Raffael und Rembrandt.
(-*). 88
Meyers Großes Konversations-Lexikon. Bd. 4—5
(A). 86
Mitchells, William: Geschenk illustrierter alter Druck¬
werke an das British Museum. (O. v. Schleinitz) 84
Münchener Gold- und Buntpapiere nach Entwürfen
von Otto Hupp. (—m.). 213
Seite
Poeschel, Carl Ernst: Zeitgemäße Buchdruckkunst
(—“0. 214
Prdvost, Marcel: Brautnacht. 171
Raabe, Wilhelm: Erzählungen. 48
Reichsdruckerei, die Kaiserlich deutsche, auf der
Weltausstellung zu St Louis, (—bl—).... 129
Rem er, Paul: Das Ährenfeld. 256
Schillers sämtliche Werke. Herausgegeben vonEduard
von der Hellen. (—bl—). 170
Siewers, W.: Süd- und Mittelamerika. (4) • . . . 255
Siögren, Arthur: Maskros. (— m.) ....... 130
Sohnrey, Heinrich: Die Dorfmusikanten. (L.-W.). 256
Stammbuch für die Freunde von Velhagen & Kla-
sings Monatsheften .. 255
Sverdrup, Otto: Neues Land. (L.). 174
Verhaeren, Emile: Ausgewählte Gedichte. (—m.) 254
Viebig, G: Das schlafende Heer. (—bl—) ... 131
Wiener, Oskar: Balladen und Schwänke. (Sg.). . 214
Wilde, Oskar: Die Ballade vom Zuchthause zu
Reading, von C. 3. 3 in Memoriam G T. W.
Weiland Reiter in der Königlichen Leibgarde,
hingerichtet in Ihrer Majestät Gefängnis am
7. Juli 1896. (—m.). 130
Wilde, Oskar: Das Granatapfelhaus. (—m.) ... 172
Whitman, Walt: Grashalme, übersetzt von Wilhelm
Schölermann ... .. 256
(XXSD
♦Exlibris von Frl. Dolly Friedeberg. (—bl—) . . 131
♦Exlibris von Franz Stassen. 256
♦Exlibris von Marie Stüler-Walde, Joseph Sobainsky
und J. von Dutczyska. (— m.). 88
Kerstens neue Kunsteinbände. (A.)....... 43
Miniaturen: Zur Herstellung der mittelalterlichen
Miniaturen. (M.M.). ... 211
Beilagen.
'^Aadrd, Henry: Exlibris Cb. Onlnot.
Vornderschaftsbrief des Montserrat-Klosters...
woello: Philipp II. König von Spanien. Nach dem Gemälde im Berliner Museum . .
vtoartry, Cb.: Exlibris Heniy Livläre.
«Faksimile des Gedichtes „Vaterland“ in der Handschrift des Dichters 0. P. Groppe . .
vdansen, Cornelias: Sir Thomas Bodiey...
«uohanisen, Theodor: Zwei Vollbilder aas „Die Erziehung zar Sehnsucht“.
vLancret, Nicol: Le Printems.
VjSchiafelin, H.: Drei Soldaten.
^Titelblatt der Obersetznng J. P. Schillers von Hawkesworths „Geschichte der Seereisen“
v^Voowerman, Ph.: Das Peldlager .
(S. 180—181)
(S. 56-57)
(S. 192-193)
(S. 184—185)
(s. 36- 37)
(S. 92- 93)
(S. 82- 83)
(S. 248-249)
(S. 232-233)
(S. 58— 59)
(S. 240-241)
Beiblatt
Zu Heft 1—6. Mitteilungen der Gesellschaft der Bibliophilen — Rundschau der Presse von Arthur L. Jellinek —
Rundfragen — Kleine Mitteilungen — Vom Antiquariatsmarkt — Von den Auktionen — Kataloge — Anzeigen.
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Schlagwort-Register
zur
Zeitschrift für Bücherfreunde
VDL Jahrgang 1903/1904
Band L
w
Die kursiv gedruckten Zahlen verweisen auf das Beiblatt.
A.
Ablaßbriefe 49 ff.
Adelung. F. ix. x8.
Alba, (Herzog) 23 x.
Alboin 31.
Aldegrever. H. 246.
Aldus 109, 250»
Alexander VI. 5a.
Alfons X. 193, 222 f.
Allen, Thomas X35.
Almanache IV, 8.
Almanach du Bibliophile 209.
dell’ Altissimo, Christoforo X24.
Amman, Tost 240^ 24X.
Andrt, Henry 178, X79, x8o,
180/181, x86, X87, x88.
d'Annunzio, Gabriele 254.
Antonio, Nicolas 223.
Apianus. Petrus 225.
Apout 189.
Appel. Karl 222.
Apringius 219.
Aratus 2x9.
Arbuthnot, John 2.
Aretino 124.
Ashbee, H. J. 183, 187.
Astronomie 225.
„Athenaeum“ a, axx.
Audevoud, £. 190.
Ausstellungen xa8; /, 74 V, 7.
Autographen III, 6, 7; /K, 9.
de Avila, Gaspar 57.
B.
Bandinel, Bulkeley 1*7.
Barloesius, Georg 250.
Barlow, Thomas 137, X56.
Besehet, Armand 182.
Baß, Allred 167 ff
Bastille 46.
Bauer, Friedr. X31.
Bayer, Pirez 221, 223.
Beattie, Dr. 5.
Becket, Thomas 91.
Beer, Rudolf 191 ff, 2x7 ff
Beethoven ///. 6.
Beham, Sebald 85.
Behrens, Peter X29, 246.
B6raldi, Henri 184.
Berceo, Gonzalo 22X.
v. Berlepsch-Valentins, H. E. 129.
Berlin 28, 251.
Berliner Kalender 37.
„Berliner Staffelte“ 3a
Bibliographisches xoff 254.
Biagi, Guido 249.
Bibel 244.
Bibliothekare 156.
Bibliothekswesen 89 ff, X33 ff
19t ff 199 ff 2x7 ff 252, 253.
v. Biedermann, Wold. 252.
Bjömson, Bjömstjerae X7X.
Bindesböll, Theodor 246.
Bismarck 45; /, 7, IV, 8.
Bobertag, 0 . II, x.
Boccaccio X2X, 17z, aox.
Bode, Joh. Joach. Chr. V, x.
Bodleian Library 89 ff 133 ff.
Bodley, Thomas 91, 92, 92/93, 97.
Boehme, Jacob 48.
Boektryckeri-Kalender /, 7.
Bonaparte, Prince Roland 186.
Bonaventura II, x, 2; IV, 2.
Börckel. Alfred 58 ff, 2x0.
Boemer, C. G. /, 6; //, 7} IV, 6.
Bois, Hans 233.
Bouvenne, A. 180, x8x, 182, 185,
x86.
Bovet x88.
Bowles, Joseph 157.
Bowyer, George 14a.
Brachmann, Luise III, 2.
Brant, Sebastian xsx.
Braquemond x8x, 184.
Braun, Julius III, 2.
Breda 230, 2ix.
Bredius, A. 87.
Bredt, E. W. 254.
Breslauer & Meyer V, 7.
v. Bretschneider, E. G. V, x.
Breydenbach 85.
Briefe 28, 33: IV, 8.
British Museum 84 £ 176} III, 7.
de Brocar, Amad Guillen 51.
Brockhaus, Konversationslexikon
85 .
Brown, Thomas Edward 7z ff
Browning, Robert 17z.
Bruderschaftsbriefe <5, 56/57.
Bruno, Giordano IV, x.
Buchästhetik 8xff
Buchdruckergeschichte 78.
Buchdruckerkunst 2x4.
Büchereinbande 43 f, xo$, 15z,
2x4. 2x9 ff; II, 7-
Bücherliebhaber 203.
Bücherpreise 88, 200, 206 f.
Büchersammler 3.
Büchertitelmoden 38 ff
Buchhandel 78, 205 ff.
„Buchhändlerzeitung" 80.
Buchverzierungen 24x,
Buffon 20 x,
Buntpapiere 213.
Bunyan, John III, 6.
Bürger, Gottfr. Aug. 8x.
Burgkmair, H. 235.
Burgund 230.
Bums, Robert 207.
Burton, Robert 135.
Butsch, J. F. 241.
Byron 2038!
c.
Calmette, F. 187.
Campe 80.
Canonici, Matheo Luigi 1x6.
Capon, Gaston 47.
Casanova 182.
Gf. Castiglione 250.
Castilion, E. x8z.
Caxton 138, X49.
Celtes, Konrad 84.
Chalmers, G. 2.
Chapront, H. 189.
Chats noirs 184.
Cid 220.
„Ciudad de Dios** 5X.
de Claye, A. II 7.
Cohnfeld, A. 44.
Coleridge, Eraest Hartley 203 ff.
Coligny (Admiral) 164.
Consentius, Emst 25z.
Copp 4 e, Franc. 180, x8z.
Copyright Act xxi.
Cortes, Ferdinand 123.
Cotta, Chr. Fr. 6x.
Coureau 187.
Courtry, Ch. 184/185.
Cousin, Jean 165.
Coxe, Henry Octavius X50, X58.
Cranach, L. 85. 243.
Cruzada-Bullen 49.
D.
Dante X2x.
Darmstadt 240 ff
Defoe, Daniel xff 174, 206.
v. Defregger, Franz 252.
Degener, H. A. L. 89 ff, 133 ff.
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II
Schlagwort-Register. VIIL Jahrg. Bd. L
Delisle, Löopold 19t, 2x9.
Demengrol, C. 183.
Demetnus 37.
„Deutscher Merkur** 42.
Dibdin 7.
Dichter-Gedächtnis-Stiftung /, 8.
Digby, Kenelm 214.
Dissertationen xxi.
Dodgson, Campbell 176.
Dodsworth, Roger 136.
Don Juan >030:
Don Quijote ssx.
Dorbon, L. 189.
Dreifarbendruck /, 7.
Druckpreise xxo.
Dühren. Eugen, 46 ff,
Dumas, Alex. //. 7.
Dumont, M. 190.
I>«w «4. *39» *43-
v. Dutczyska, J. 87.
Dziatzko. Karl 253.
E.
Ebstein, E. 48.
Eckmann, Otto 246.
„Economist** 9.
Ederheimer, Edgar 48.
Ehmke, F. H. 256.
Eichhorn, Carl 252.
Einzeldrucke 167 ff
Eliot, George 74.
Elisabeth, Königin 99.
Ellis, Henry s.
Encyclopaedia Britannica 5.
Engels, Eduard 232 s
England 88.
„Englishman, The** 2. 6.
Entkrist //, 6.
Erziehung zur Sehnsucht 8x ff
Escorial 51, 191 ff, 2x7 ff
Escoube, Dr. 18«.
Esmarch, Chr. Hieron. 173.
Estienne, Robert 123.
Ettinger, P. 2x0. 2x2.
Eugen (Prinz) 84; IV, 2.
Ewald, Paul ax8.
Exlibris 22, 23. 25. 26, 84, 85, 86,
87. 88, xsS, 177 ff, 255; V, 7.
Gambetta. L6on 182, 189.
Ganre, Christian 2xx.
Gautier, Th. x8x, 185.
Gavarni x8o, x8x.
Gebetbücher 264 ff
Gedon, Lorenz 236.
Gehrts, Johs. 172.
Geibel, E. X72, X73.
Geiger, Ludwig 274.
Geißler, P. 8.
Gellius, Job. Gottfir. V, 1.
„Gentleman's Magazine** 5, 9.
Geoffroy, A. X79.
Germanisch. Nationalmuseum 254.
Gesellschaft der Bibliophilen
/, x; ///, l; IV, x.
„Gesellschafter** 30.
Gesner, Andreas xax.
Gewey, Franz Xaver //, x ; ///, 2.
v. Ghelen 79.
Ghirlandaio, D. 120.
Gildon, Charles 4, 8.
Godwin, Charles X42.
Goldsmith, O. III, 7 j IV, x; V ,
x, 6.
de Goncourt, E. und J. 180, 181.
Gonzalez, Feman 222.
Goethe 37, 252* III. 6; /r, 8.
Göttinger Dichterburg 173.
Gottmann, Ernst 2x6.
Gough, Richard X42.
Gower, John 293.
Götz, Job. Nicol. / V, 8.
Goeze, Johann Melchior 80.
Gral 224.
Grasset, Eugen 209.
Graux, Charles 191, 2x8.
Grillparzer III, 6.
Grolier 249®,
Grob, Christ. Friedr. 252.
de Grouchy 249.
Gruppe, Otto Friedrich s8ff
Gubitz 31.
Gu£rin 181.
Guinot, Ch. 180/181.
Gulbransson, Olaf X7i.
▼. Günderode, Karoline 37.
Gutzkow, Karl 28, 29.
H.
Hoogstraeten 230, 231.
Hopf, A. 44.
Horner, E. III, 2.
Hoernle, A. F. R. 146.
Horoskop 220.
Hübel, Felix 212.
Hübl, Albert X31.
Hudson, John 156.
Hugo, Victor x8t.
Hultichius X2i.
Hultzsch, E. 1x8.
Humphrey, (Herzog) 93.
Hupp, Otto 213.
Huygens, Constantin 175.
Hy de, Thomas 156.
I.
Ich-Romane 9.
Ildefonso 2x8.
Illustration 242.
Illustrierte Bücher 84 c
Inkunabeln 49®, 13z, 254 t II, 6
Isidoras 2x8.
J-
Jaeckel, M. V, x.
I akobe, Herzogin in Bayern /, x
am es, Isaac 5.
ames, Thomas 205, xxo, 156.
anke, Otto 215.
ellinek, A. L. /, 2; //, x. a; ///.
a; IV. 2 $ V . x, 2 { VI. 2.
i ohannsen. Theodor 8xff
ohnson 63.
onas, Fritz X7X.
ones, R 137.
ostes, Franz 172.
„Journal des Luxus und der Mo¬
den** 42.
Jorius, Paulus X2off.
Juan II. 294, 224.
„Jugend** 246.
Julius II. 57.
Junge, Dr. III , 2.
F.
Fairfax, Thomas 136.
Faksimile 58/59. 232/233, 240/242.
Fanias-Claret 179.
Farbendrucke 209.
Feutry 2.
Firdusi 31.
Flinders-Petrie, W. M. 146.
Florenz 216.
Frh. v. FÖlkersam. A. 2x2.
Ford, J. W. III. 7.
„Formenschatz** 238.
Förster, Reinhold 62.
France, Anatole 187.
Francesillo, Don 227.
Franklin, Benj. 67.
Frankreich 177 ff.
Freund, K. III, 2.
„Frey- und Anzeigungs- Nach¬
richten** 252.
Friedeberg, Dolly 130, 132.
Friedrich 1 . 228.
Friedrioh d. Gr. 47; II. x.
Friedrich Wilhelm d. gr. Kurf.
228, 165.
Friedrich Wilhelm I. 128.
Frischmann, Christoph 251.
Frimmel, Theodor 2x9.
Fröhlich, Max 256.
Frühdrucke 206.
Fuchs, Eduard 44.
Fulrio, Andrea 121.
Furby 250.
Furney, Richard 141.
Fysher, Robert 157.
G.
v. d. Gabelenz, Chr. Fr. 59.
Gachard, 23X,
Gaehtgens zu Ysentorff, Hermann
*75-
Haebler, Konrad 49®, 253, 254.
Haco, Matthias 220.
Hager, Julius 2x4. 2x5.
Hainhofer, Philipp 251.
Halber, A. 183, x88.
Hals, Franz 87.
Hamburg 80 f, 229.
Hamilton, Lady III. 7.
Hamsun, Knut i7X.
Handschriften 36/37, xu, xgxff.
217ffj /A 6; III, 7; V. 6.
Harleian Library 3.
Harley, Robert 2.
Harrwitz, Max 299 ff; II. n V.’i.
Hartleben, Otto Erich X7X.
Haude, A-, u. J. C Spener 58/59.
Hawkesworth, Johann 58/59.
Hearne, Thomas 240.
Heberle, J. M. II. 6.
Hedin, Sven 174.
He*el 30, 38.
Heiltumsbnefe 51.
Heine, Th Th. 172, 246.
Heitz, J. H Ed. 232.
Held, Heinrich II. x.
Helmolt H, 2x0.
von der Heist, Barth. 87.
v. Herberstein, Sigmuna xoff
Hermes, Joh. Timoth. 38.
Heroldscne Buchhandlung 80.
Hertford, Lord 96.
Hertz, Wilhelm 173.
Heures 164.
Heyse, P. 172, 173.
Hirschberg, Leopold 28 ff.
Hirschfeld, C. C L. V. 1.
Hiersemann, Karl W. 49.
Hirth, Georg 232®
Hoffmann, E. T. A. II, s.
Hofsteede de Groot, C. 86.
Hohensollernfürsten 174.
Hohenzollern-Jahrbucn 227.
Holbein 84. 243.
Holloway, Benj. s.
Holzhauer, Der. II, x.
Holzschnitte 176.
HoLzschuher, Hanns 2x6.
K.
Kalender II, 7.
Kantorowicz, Herrn. A. 253.
/. 7 t /*. *0.
225.
Karl d. Kühne 225.
Kataloge X28, 232, 251, 199, 2x5,
227.
Kaulbach, Wilhelm 44.
Kautzsch, Rudolf 132.
Keller, Gottfr. III, 6.
Keller, Ludwig 227.
Kersten, Paul 43, 44, 45, 46, 47,
48, 214.
Kerver, Thielemann 165.
de Keyser, Thomas 87.
Kilmarnock 207.
Kipling, Rudyard 72.
Kirman, J. 178.
Kleemeier, F. J. 208.
v. Kleist, Heinrich 27a
Klemt, R. III, 2.
Klimschs Jahrbuch 23s.
Klinkhardt, Jul. I, 7.
Klopstock 79, 80.
v. Knebel, Karl Ludwig II, x.
Koberger 85.
Kohn, Maximilian 80 f.
Konzil-Akten 219.
Kopisch, Aug. V, x.
Koran 135.
Körner, Chr. Gottfr. 63.
Körner, Theodor III, 6.
Korrekturbogen V. 6.
Kosch, W. IV, x.
Koser, Reinhold 127.
Kostümbibliothek /, 7.
Kreisler, E. III, v,
„Kreuz-Zeitung** 30.
Krieger, Bogdan 228.
Karikaturen 44 f;
Karl (Kaiser) 32.
Karl II. xo 5 .
Karl V. 194, 220,
Karl VI. 294.
von Kügelgen, Gerhard IV. «.
Kürschner,Josef/,6; //, 7; IV, 6 .
L.
Lachmann, Karl 28.
Langbaine, Gerard 235.
Langguth, Adolf 173.
v. Laubmann, Gebeimrat I, 2.
Land, William 134.
Leb&que, L. 177, 184.
Leder V, 7.
Le Gros 182, 189.
Gf. zu Leiningen-Westerburg, K
E. 2x4.
Lenz, Reinhold 38.
Lepage, A. 180.
Le Roux de Lincy 249.
Lessing 38.
Lieb ermann, Max 245.
Liepmannssohn, Leo III, 6.
Lilien, E. M. 254.
zur Linde, Otto 72®
Lindner, Theodor 2x0.
Li vifere, Henry 184, 184/185.
Lockey, Thomas 156.
v. Logau, Friedrich /, x.
v. LonsdorL Otto 176^
Lopez de Mendoza, Iniqo 22x.
Lorentz, Tohaim 252.
Lossar, f. II, x.
Loewe, Karl 35.
Löwenthal, Karl 28.
Ludwig II. 234.
Luise (Königin) III, 6.
Luise Henriette xa6, 165.
Luschner, Juan 54.
Luther 78; III, 6.
M.
Macaulay 3, 6.
Mailand 229.
Mainz 66 ff.
van Male, Wilhelm 225.
Malone, Edmund 243.
Mameranus. Nikolaus 220.
Mann (Insel) 72.
Manrique, Jorge 220.
Maria Stuart 166.
Marsh, N. 137.
Marshall, Thomas X37.
Martin, E. 190.
Martin, Henri 211.
Mason, Robert X45.
Masse x8x.
Maurenbrecher, Wilhelm 227.
Ma x i m ilian I. 22, 243.
v. Medici, Katharine 164.
de Medici, Lorenzo 132.
Meisner, Heinrich 38.
Menzel, Adolf 172, 173.
de M6rona, Henpr x86.
„Mercure franpais" 42.
de Merton, Walter 91.
M6ry de Vic 252.
Messias 80.
Metg, F. 78.
Meyer, Conr. Ferd. III, 6.
Meyer von Waldeck 252. 1
Meyers großes Konversations-
Lexikon 86.
Michel, Hermann IV, 2.
Minde-Pouet, G. II, x.
Miniaturen 215,2x7 ff, 254; III, 7.
Miniaturen (Technisches) 2ix.
Mirabeau 47.
Mitchell, William 84 f.
Molüre 20a
Moeller-Bruck, Arthur 274.
Montano, Arias 230.
Montez, Lola 44.
Montserrat 52, 53 ff.
..Moscovia** xoff.
Moye, Marie 178.
Müller, Gerh. Friedr. 202.
Müller (Maler) IV, 8.
München 2x7, 234.
„Münchener Neueste Nachrich-
ten** 234.
Müntz, Eugen xaoff.
Musen-Almanach, deutscher 37.
Musikalien 150.
Muther, Richard 234, 239, 242.
van Muyden, E. 286, x88.
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Schlagwort-Register. Vm. Jahrg. Bd. L
III
N.
Nachdruck 4, 7, 78 ff, 8a
Nagonius, J. M. 2x9.
Napoleon L 175.'
Napoleon IIL 45.
Nauck, Wilh. 30, 32.
Nelion III, 7.
Nenien 167 ft
Nero-Dramen IV, 2.
Niep ca, Leopold 2x3.
Nietzsche ///, 6.
Ninus 37.
de Nolhac, Pierre 191.
o.
Oldy«, Willum j.
Olive, E. x8x.
„Original London Post 4 * 7«
Orsini, Virginio X23.
d’Orville, f. Ph. xx6.
Otto von Wittelsbach 37.
Ovid 109.
Oviedo «x.
Owen, Humphrey 157.
Oxford 89 ff, X33ff
p.
Päez de Castro, Juan 194.
Pagel, Jul. Leop. 47.
Palleske, Emil 71.
Pamplona 51.
Papyrus 146.
de Passe, Crispin 242.
Pasternak, L. 2x2.
Pater, Walter 2x2.
Paulus Jovius 120 ff.
Pawluch, j. V, x.
Pelletan, Edouard 209.
Pembroke, W. H. 134.
Penn, Wilhelm 67.
Penchmann, S. 78 f.
Perthes, Justus 234.
St. Petersburg 252.
Petrarca xao.
Petzendorfer, L. 213.
Peudnger 84.
Philipp II. 191, 192/293, 2x8, 225.
Picard, Abel x88.
Pidal, Ramön Menendes 222.
Piglbeim, Br. 245.
Pincebourde, Ren6 184.
Pirkheimer 84.
Plinius 229.
Polen 215.
v. Pompadour, Marquise 199 fr.
Pope 3.
Porträts xo, 20, 28, 92, 92/93,
120ff, 20X, 232, 242.
Porträtmalerei 86.
Porträt-Sammlung xaoff.
Porzellan I, 7.
Poeschel. Carl Emst 2x4.
Poulet-Malassis x8i, 184.
Prachtwerke über Kunst 88.
Privost, Marcel 17j.
Price, John 157.
Price, Philip xo6.
Purves, W. Laidlaw 2, 7.
R.
Racine 200.
Radcliff-Camera 140, 141.
Raffael 88.
Raisin, Fr. 182, 183, x86.
Ravenna 166.
Rawlinson, Richard 138.
R.-Drucker 233.
Reich, Ph. E. 79.
Reichsdruckerei X29.
Reidel, Leo IV, x.
Reinick, Robert 31.
Reklame, künstlerische 255.
Rembrandt 87, 88, 139, 237.
Reimer, Paul 256.
R6tif de la Pre tonne 46.
Richard III. 95.
Richardson, Samuel 41.
Robertson, Wilhelm 00, 63.
Robin, L. 290.
Robinson Crusoe 8a
Robinson-Mythus x ff.
Roe, Thomas X34.
Rogers, Woodes 5.
Roman de la Rose 121, 20a
Romantiker 48.
Rops, Fllicien 285, 287.
Rosenbach, Johann 54.
Rosenthal, Tacques 54.
Rosenthal, Ludwig II, 6.
Rosenzweig, Leo II, x.
Rosner, Karl 24X.
Rouse, John x<6.
Rüdiger, Joh. Ändr. 252.
Ruiz, Juan 2*2.
Rundschau der Presse /, 2; II,
2} ///, 2} IV, 2} V, 2 i VI, 2.
Runge, Christoph 252.
Rusch. Adolph 253.
Rußland xo ff
Ryser, Jevrius 234.
van Rysselberghe, Th6o 254.
s.
de Sade, Marquis 468!
Sanskrit 146.
Sarcey, Fr. X82.
Saraow, Emil X32.
Satiren 30.
Savonarola xax.
Scaliger, Joseph Justus 41.
Schaefer, Emil 216.
Schäufelin, H. 232/233.
Schedel 121.
Schelling, F. N. J. II, x.
Schercke, Else 254.
Schiller 58 ff, X70, 172 j III, 6.
Schiller, Johann Friedrich 58 ff,
2X0
v. Schleinitz, O. 85, 203.
Schlossar, Anton xoff
Schmidt, Adolf 249 ff
Schmidt, Julian 7.
Schmid, Ulrich X76.
Schneider, Alfr. 253.
Schneider, F. 58.
Schneider. L. 164 ff.
Schölermann, Wilhelm 8xff, 130,
256.
Schotten 231.
Schriftenatlas 2x3.
Schroedter, Ad. 33.
Schubert, K. E. III, 2.
Schüddekopf, C, /, x; III, x;
IV, x.
Schulze, Berthold 170.
Schumann, Robert 35.
Schur, Ernst 2x3.
Scott, Walter 206.
Scriblerus-Club 3.
Seidel, Paul 227.
Seitz, Franz 236.
Selbstankündigungen 80 ff
Seiden, John 23$.
Selkirk, Alexander 2, 3, 5.
Semiramis III, 2.
Seneca 223.
Sezession 245.
Shakespeare X09,147, 206; III, 6;
Shelley xa6.
Sievers, W. 255.
Simankas 23a
Simrock, Karl 30; II, 6.
Siögren, Arthur 130.
Smith, Adam 63.
Sobainsky, Joseph 87.
Sohnrey, Heinrich 256.
Solar, Felix 182.
Soliman (Sultan) 13.
Solis, Virgil 243.
Sophiens Reise 38.
Sotheby V, 6.
Spanien 49 ff, 254.
„Spectator** 2.
Spener, J. 58/59.
Spielkarten 24a
Springer, Anton 234.
Stahr, Adolf 174.
Stammbücher II 7.
Stassen. Franz 129, 232, 255, 256.
Stationen Company ixx.
Steele, Richard 2, 6.
Stein, Leopold 224.
Steinhövel, Heinrich 171.
Steinmeyer, Prof. /, 2.
Stern, J. I, x.
Stieglitz, Charlotte 37.
Stillte, Georg 128.
Stimmer, Tobias X25, 243, 244.
Stockdale, John 2
Strakosch, Gust. 225.
Studenten IV, x, 2.
Stüler-Walde, Marie 84, 85, 86.
Stümcke, Heinrich 174.
Sunderland, Lord 2.
Sverdrup, Otto X74.
Swift, Johnatan 2, 3.
T.
Tanner, Thomas J. 237.
„Tatler“ 2.
von Tattner 78.
Teniers, D. 236.
Teschner, Richard 2x4.
Thackeray III, 6.
Theatergeschichte IV, 9.
Therhoemen, Arnold 39.
Theudelinde 31.
Theuerdank 193, 226.
Thiele, Georg 2x9.
Thoma, Hans 253.
Thomae, Walter 2x6.
Thomas a Kempis X93 j III, 6.
Thorpe III, 6.
Tiemann, Walter X71.
Titelblätter 241.
Titelmoden 38 ff.
Tizian 122.
Toledo 57.
Tory, Geoffroy 223.
Totentanz 84.
Totenzettel 167.
Trachten 272, 242.
Trelawny, Edw. John 204.
Trübenbach, Kurt 132.
Türck, Hermann 256.
v. Uhde, F. 245.
Uehlin, H. IV, x.
Ullrich, Hermann xff{ IV, x.
„Unpartheyischer Correspon-
dent** 80.
Unterschrift 65. •
Uzanne, OcUve 277 ff
V,
Vasari, Georg 121, 123.
Vassan, Johann u. Nicolaus 41.
Vaudeville III, 2.
Vazquez, Juan 49.
„Velhagen & Kinsings Monats¬
hefte“ 252.
Venus and Adonis 135.
Vergil 250.
Verna er en, Emile 254.
Verlagskatalog 2x5.
Veraon, Edward X37.
Vescovi-Slege, Julius X67.
Vespucci, Amerigo 232.
Viebig, Clara 129, 13t.
de Vinne, Low 39.
Vischer, G. M. xx.
Vizenza 167.
Vogeler, Heinrich 17a.
Voigt, Georg 220.
Voigt, Paul 129.
Voltaire 47, aox.
Voß, Isaak ax.
Voß, Joh. Heinr. 80.
„Vossische Zeitung** 28, 38, 252.
w.
Richard III, 6j IV, 8
Wasserzeichen I~f, 7.
Wassilij Iwanowitsch 16, za
Watson 9.
Watteau, Ant 234; III, 6.
Weidmanns Erben 62,
Weisgerber, A. 2x6.
Wellington III, 8.
Weltgeschichte 222.
Weltrich, Richard 58.
Wemicke, Chr. I, 2.
Westfälisches Trachtenbuch 17a
Wharton, Thomas 2.
Whately 8.
Whitman, Walt.256.
Wien 227.
Wienbarg, Ludwig 28, 29.
Wiener, Oskar 214.
Wilde, Oscar 230.
Wilhelm I. 128.
Williamson, R. M. 205 ff
Willis, Browne 142.
Wilson, W. 5.
Witkowski, G. /. 2.
Wohlgemuth 85.
Wordsworth 73.
Wouwerman, Ph. 240/24X.
Wright, Th., 6.
Wukadinovic, Spiridion 170.
Wagner,
u.
Überschrift oder Epigrammata
_ 4 a -
Ubersetzer-Honorare 6a
Übersetzungen 58 ff, 80^ 224; V, x.
z.
Zeitschriften IV, 7.
Zeitungen 251.
Zimbrische Sprache x 67 ff
Zollilcofer, Georg Joachim zxx.
Zweig, Stefan 254.
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ZEITSCHRIFT:: l
.. •:
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
8. Jahrgang 1904/1905. _ Heft 1: April 1904.
Der Robinson-Mythus.
Von
Dr. Hermann Ullrich in Brandenburg.
H s muß in der Natur des Menschen
begründet liegen, daß dieser
geneigt ist, überall eine Kon¬
gruenz zwischen geistigen Lei¬
stungen und der körperlichen
vorauszusetzen und sich dabei so oft betrogen
zu finden. Kommt dazu noch, daß die Lebens¬
verhältnisse des geistig hervorragenden Mannes
nicht zu dem unbestimmten Eindruck passen
wollen, den die große Masse von einer Geistes¬
schöpfung gewonnen hat; gesellt sich dazu
schließlich noch eine bestimmte Parteistellung,
die der geistig Hervorragende zu einem großen
Teil seiner Mitmenschen einnimmt: so wird bald
die Phantasie, mit dem Egoismus im Bunde,
geschäftig sein, sei es, die Entstehung jenes
Meisterwerkes mit ihren Erfindungen zu um¬
kleiden, um es und seinen Schöpfer sich ver¬
ständlich zu machen oder es in den Staub herab¬
zuziehen, vielleicht gar dem Schöpfer sein Werk
abzusprechen, sofern zu letzterem irgend eine
Handhabe gegeben ist.
Wie bekannt, hat Shakespeare in neuerer Zeit
das Geschick erfahren, — weil sein, die ganze
damalige Welt umfassendes Wissen in einem
zu gewaltigen Kontraste zu dem steht, was
wir über seine (äußere!) Bildungsgeschichte
wissen — daß ihm die unter seinem Namen
überlieferten Werke abgesprochen worden sind.
Ein ähnliches Geschick hat ein Werk be¬
troffen, das, obwohl von einem Geringeren her¬
rührend, doch — ein echtes Meisterwerk und
in seiner Art nur einmal in der Weltliteratur
vorhanden — einen Siegeslauf durch die ganze
Welt gehalten hat und das wegen der Roman¬
form und des allgemein menschlich interes¬
sierenden Inhalts auch in Kreise und zu Völkern
gedrungen ist, die der menschlichen Kultur¬
entwickelung noch mehr oder minder fern
stehen. Es ist der wohl jedem Gebildeten und
als Kinderbuch auch dem Ungebildeten all¬
gemein bekannte „Robinson Crusoe Auch
um dieses Werk hat sich, obwohl aus anderen
Gründen, ein Mythenkreis gebildet, der einmal
seinen Verfasser, sodann die Originalität seines
Stoffes, weiter die Art seiner Veröffentlichung,
sodann einzelne Punkte des Stoffes selbst, ferner
die Auffassung des Ganzen und endlich sogar
den Ort, wo es entstanden ist, betrifft.*
Wenn bezüglich der Person des Verfassers
eine Mythenbildung eintreten konnte, so lag dies
daran, daß der Roman anonym erschien und
auch immer wieder, wenigstens bis in das
1 Ich zitiere hier ein für allemal die hauptsächlichen and deshalb häufiger angeführten Quellen der folgenden
Abhandlung. Es sind die Biographien Defoes von G. Chalmers (1790), Walter Wilson (1830), W. Lee (1869),
Th. Wright (1894); sodann die dreibändige Robinsonausgabe, besorgt yon George A. Aitken (1895).
Z. f. B. 1904/1905. 1
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2
Ullrich, Der Robinson-Mythus.
neunte Jahrzehnt jle$ XVtüJ. Jahrhunderts, ohne
Nakieh : des*•VeHasÄ1^•'gedruckt wurde. Die
Zeitgenossen freilich waren, wie wir später sehen
werden, über den richtigen Verfasser nicht im
unklaren. Aber erst, wie es scheint, die schöne
Ausgabe des Romans von John Stockdale mit
Kupfern von Stothard, bezüglich Medland (1790),
gab dem Verfasser sein Recht, indem sie eine
Biographie desselben von G. Chalmers, nebenbei
die erste, hinzufugte. Das war um so nötiger,
als eben in der Zwischenzeit die Mythenbildung
über die Person des Verfassers begonnen hatte.
Es kommen nach meiner Kenntnis nicht
weniger als drei Männer in Betracht, die man
zu Verfassern des Buches gestempelt hat: John
Arbuthnot , Richard Steele und Robert Harley y
Earl of Oxford . John Arbuthnot, der bekannte
Satiriker (1665—1735), bekannt geworden be¬
sonders durch seine „History of John Bull“, teilte
mit seinem Freunde Jonathan Swift das Schicksal,
als Verfasser von Werken zu gelten, die ihm
nicht gehörten. Zu ihnen zählte auch der
„Robinson“. Wer diese Vermutung zuerst in
Umlauf gebracht hat, wissen wir nicht mehr;
wir kennen nur die Tatsache, wie sie von dem
ersten Biographen Arbuthnots in der „Biographia
Britannica“ überliefert ist.
Auf ebenso schwachen Füßen steht die ver¬
einzelt auftretende Behauptung, daß Richard
Steele (1672—1729) der Verfasser des Romanes
sei. Konnte man bei Arbuthnot zugunsten der
aufgestellten Vermutung nur anführen, daß er
ein überaus begabter Schriftsteller war, so konnte
man bei Steele schon mit einer gewissen Genug¬
tuung auf die genrebildlich wirkenden, auf dem
Grunde echter Religiosität ruhenden, dem Leben
treu abgelauschten Aufsätze des „Tatler“ und
„Spectator“ hinweisen. Außerdem hatte Steele
zuerst die dem „Robinson“ zweifellos zu Grunde
liegenden Abenteuer Alexander Selkirks schrift¬
stellerisch verwertet in einem Aufsatze seiner
Zeitschrift „The Englishman“ (London 1713.
No. 26). Gleichwohl fehlt auch hier jede Spur
eines äußeren Beweises, und die Behauptung
ist auch nur an einer einzigen Stelle, noch dazu
des Auslands ausgesprochen worden, nämlich
in der Vorrede zur ersten französischen Robinson¬
bearbeitung von Feutry (Amsterdam 1766).
Mit gewichtigeren äußeren Gründen — aber
nur durch seine Lebensstellung gewichtigeren —
tritt der dritte Bewerber um die Autorschaft
des „Robinson“ auf den Plan: Robert Harley,
erster Earl of Oxford (1661—1724). Doch auch
in diesem Falle kann die Behauptung unmöglich
schlechter begründet sein, als sie es tatsächlich
ist Laut einem Briefe des Literaturhistorikers
Thomas Wharton 1 sollte diesem im Jahre 1774,
also 55 Jahre nach dem Erscheinen des „Robin¬
son“ und 43 Jahre nach dem Tode Defoes, vom
Reverend Benjamin Holloway mitgeteilt worden
sein: er habe wiederholt von Lord Sunder¬
land gehört, daß Harley Earl of Oxford während
seiner Gefangenschaft im Tower den „Robinson“
geschrieben und Defoe zur Veröffentlichung
übergeben (ob auch überlassen?) habe. Man
überlege: A hört von B, daß C diesem (wieder¬
holt) gesagt, daß D etwas getan habe! Man
sollte nun wenigstens erwarten: daß D seine
Tat C gegenüber selbst bekannt habe! Nichts
von dem; die Behauptung von C geht ebenfalls
nicht über das Nachsprechen eines eitlen Ge¬
rüchtes, das Ganze nicht über müßiges Ge¬
vatterinnengeschwätz hinaus. Trotzdem müssen
wir uns noch etwas weiter mit der Widerlegung
dieses on dit befassen, weil neuerdings ein
Engländer die Schrulle gehabt hat, es wieder
aufzuwärmen.* Der Verfasser dieser Artikel,
W. Laidlaw Purves, geht von richtigen, dem
Kenner jener Periode und speziell Defoes wohl-
bekannten Tatsachen aus, nur daß er daraus
durchaus irrige Schlüsse zieht Robert Harley
begann seine Laufbahn als ein fanatischer
Puritaner, der er durch seine Geburt und Er¬
ziehung war, und endete als eingefleischter
Hochkirchenmann und Tory und als Feind der
Dissenters. Als er im Mai 1704 den Hochtory
Earl of Nottingham im Ministerium ablöste,
fand er Defoe im Gefängnis, wohin dieser von
der hochkirchlichen Partei unter Nottingham,
und zwar wegen seiner Flugschrift „The Shortest
Way with the Dissenters“ auf unbestimmte Zeit
gebracht worden war, nachdem er an drei ver¬
schiedenen Tagen am Pranger gestanden und
eine Geldbuße bezahlt hatte. Harley kannte
unsem Defoe als „capable man“, wie er ihn
früher Godolphin gegenüber bezeichnet hatte,
* Original Letters of Eminent Literary Men. Edited by Sir Henry Ellis. London 1843. Camden Society.
* The antorship of Robinson Crusoe. By W. Laidlaw Punres. The Athenaenm. Nos. 3940/3941. May 2
and 9, 1903.
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Ullrich, Der Robinson-Mythus.
3
und nun, wo er dazu imstande war, fragte er
bei Defoe an, was er für ihn tun könne. Zwar
erlangte er die Freilassung des Schriftstellers nicht
sofort, aber bewirkte, daß die Königin die
Geldstrafe ersetzte und für seine Familie sorgte.
Als neun Jahre später Defoe abermals im
Gefängnis saß, ordnete der Minister bald
darauf seine Befreiung an, sodaß Defoe jenen
mit Recht als seinen Wohltäter betrachtete.
Als dann im folgenden Jahre Harley gestürzt
wurde, war Defoe zunächst in Verlegenheit,
welchen Kurs er in seiner politischen Tätigkeit
einschlagen sollte, und Harley mußte ihn erst
darüber beruhigen, daß er im unmittelbaren
Dienst der Königin stehe und seinem, Harleys,
Nachfolger mit derselben Treue dienen möge
wie ihm. Diese Beziehungen Defoes zu dem
Politiker Harley stehen ganz unzweifelhaft fest.
Mindestens wahrscheinlich ist es auch, daß
Defoe seinen Wohltäter, als dieser nach seinem
Sturze, vom Juli 1715 bis zum Juli 1717, unter
der Anklage des Hochverrats im Tower saß,
häufig besucht und lange Unterredungen mit
ihm gehabt hat. Nur muß auf das entschiedenste
bestritten werden (was der Artikel des „Athe-
naeum“ behauptet), daß der Verkehr Defoes mit
dem angeklagten Minister die Literatur zum
Gegenstände gehabt habe. Es fehlt nämlich
dafür jede Spur eines Beweises. Purves bringt
denn auch zur Unterstützung seiner Behauptung
außer einigen Äußerungen Defoes gegenüber
Harley, die er fälschlich auf die Literatur be¬
zieht, nur die wohlbekannte Tatsache vor, daß
Harley der Mäcen und Freund verschiedener
hochangesehener Schriftsteller gewesen sei.
Wir wissen tatsächlich, daß er Swift, Arbuthnot,
Pope, Bolingbroke, Prior patronisierte und mit
ihnen verkehrte, auch ein Mitglied des Scriblerus-
Club war. Für Harleys eigene Betätigung auf
dem Felde der Literatur spricht aber schlechter¬
dings nichts, Pope zufolge 1 pflegte Harley
zwar häufig, oft Tag für Tag, an den Scriblerus-
Club Verse zu senden, aber nach Macaulay
waren sie schauderhafter als die eines Aus¬
rufers. Überhaupt war Harley ein nur mittel¬
mäßiger Kopf, der aber Dank einer geheimnis¬
vollen Zurückhaltung sich lange das Ansehen
eines bedeutenden Mannes zu geben wußte.
Die von ihm patronisierten Schriftsteller durch-
x Macaulay History of England (Tanchnitz) VTL 275.
schauten jedoch diese Maske. Als ein Schrift¬
steller jener Periode, Mackay, einmal den Minister
als bedeutenden Redner bezeichnete, machte Swift
dazu die vertrauliche Randbemerkung: „Eine
große Lüge!“ Und Pope wußte über Harleys
Art, selbst über Geschäfte zu sprechen, nur ein
durchaus absprechendes Urteil zu fallen. Diese
Bemerkungen über Harleys Geistesanlagen vor¬
ausgeschickt, kann nun aber auch bewiesen
werden, daß Harley während seiner Gefangen¬
schaft im Tower schlechterdings nicht die Muße
und Stimmung gehabt haben kann, ein Buch
wie den „Robinson“ oder irgend ein andres schön¬
geistiges Werk zu verfassen. Nach Lee ( 1 .294)
war der Earl of Oxford während des größeren
Teils seiner Haft so ernstlich krank, daß es
fraglich war, ob er überhaupt den Tag des
Urteilsspruchs erleben werde, ja daß ihn diese
Krankheit sogar außer Stand setzte, seine Ver¬
teidigung gegen die Anklage des Hochverrats
mit Nachdruck zu betreiben. Jedenfalls wurde
auf Harleys mit seiner Krankheit begründetes
Ansuchen die Untersuchung wiederholt hinaus¬
geschoben. Sunderland, sein Nachfolger auf
dem Ministersessel, von dem die Mitteilung über
Harley als den Verfasser des „Robinson“ her¬
rühren soll, sprach und stimmte während jener
ganzen Zeit gegen Harley, dem die Strafe des
Hochverrats drohte. Von irgend einem ver¬
traulichen Verkehr zwischen Sunderland und
Oxford konnte also unter solchen Umständen
keine Rede sein, und ein etwaiger Verkehr
Defoes mit seinem Wohltäter kann, sofern dessen
Krankheit überhaupt einen solchen zuließ, nur
politische Angelegenheiten betroffen haben.
Wenn Purves als Beweis für seine Behauptung
schließlich noch anführt, daß die Abenteuer
Alexander Selkirks in Gestalt der Flugschrift
„Providence displayed“ sich in Oxfords Biblio¬
thek befunden hätten, so ist das noch weit
weniger stringent als alles sonst Vorgebrachte.
Harley war ein bedeutender Büchersammler
und legte bekanntlich den Grund zu der Biblio¬
thek, die jetzt als Harleian Library einen so
wertvollen Teil der Bibliothek des Britischen
Museums bildet. Aus ihren Schätzen stellte ein
Literat der damaligen Zeit, William Oldys, das
„Harleian Miscellany“ zusammen (1744—1746.
8 vols.), in das auch jene Flugschrift auf¬
genommen wurde. Wer möchte aber so kühn
sein, aus der bloßen Begeisterung eines Mannes
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Ullrich, Der Robinson-Mythus.
für die Schätze der Literatur auf die eigene
Fähigkeit, solche zu produzieren, zu schließen —
und nun gar als „an amusement during his
confinement?“ Harleys Literaturverständnis ist
offenbar gerade ausreichend gewesen, das Inter¬
essante an jener Publikation, der ersten über
Selkirk in Buchform, herauszufinden und sie
darum seiner Bibliothek einzuverleiben. Und
so verdanken wir ihm allerdings die Erhaltung
derselben, während sie sonst wahrscheinlich,
wie sie der Tag geboren hatte, auch wieder
vom Tage verschlungen worden wäre.
Gibt es aber nicht auch tatsächliche Be¬
weise fiir die Verfasserschaft Defoes? Gewiß,
äußere wie innere. Und die äußeren stammen
gerade aus der Zeit des Erscheinens des
„Robinson“, während die gegnerischen Stimmen
sich erst zum Teil weit später hervorwagten.
Ab der „Robinson“ am 25. April 1719 an das
Licht der Öffentlichkeit trat, war der Beifall
sogleich so allgemein, daß schon am 12. Mai
eine zweite, am 6. Juni eine dritte und am
8. August eine vierte Auflage erscheinen konnte.
Sofort aber warfen sich die Nachdrucker auf
die willkommene Beute. Schon zu Anfang des
August 1719 erschien eine verstümmelte Aus¬
gabe des ersten Bandes bei T. Cox at the
Amsterdam Coffee House, vor der der recht¬
mäßige Verleger das Publikum in einer Anzeige
der „St James Post“ vom 7. August warnte.
Der Nachdrucker erwiderte darauf in einer ge¬
wundenen Erklärung und überhäufte darin den
Verfasser mit Drohungen und Schmähungen.
Es bestand also, wie wir schon hieraus sehen,
zur Zeit seines Erscheinens in eingeweihten
Kreisen kein Zweifel über den Verfasser des
Romans. Noch wichtiger ist ein anderes, eben¬
falls zeitgenössisches Zeugnis. Gleich nach dem
Erscheinen des Romans machte sich ein ge¬
wisser Charles Gildon zum Sprachrohr der
zahlreichen Gegner Defoes, indem er folgendes
Schriftchen veröffentlichte: „The Life and Sur-
prising Adventures of Mr. D — De F —,
of London, Hosier, who has lived above fifty
years by himself, in the Kingdom of North
and South Britain: the various Shapes he has
appeared in, and the Discoveries he has made
for the Benefit of his Country. In a Dia-
logue between Hirn, Robinson Crusoe, and his
Man Friday. With Remarks, Serious and Comi-
cal, upon the Life of Crusoe. London: printed
for J. Roberts, 1719.“ 48 pp. 8°. — Der Titel
ist, wie man sieht, eine Parodie des Robinson¬
titels und enthält in leichtester Verhüllung, die
für jeden Kundigen durchsichtig war, den Namen
des Verfassers und Anspielungen auf seine
Lebensverhältnisse. DasWerkchenselbst, dessen
erste 19 Seiten den Dialog enthalten, dem ein
Brief an Daniel Defoe und ein Postskriptum
über den zweiten Band folgen, wird uns unten
noch einmal beschäftigen.
Aber es gibt auch innere Gründe fiir Defoes
Eigentumsrecht am „Robinson“. Wenn Purves
behauptet, dieser Roman sei die erste derartige
Leistung Defoes, so ist diese Behauptung genau
so schief wie alle seine früheren. Richtig ist
nur, daß Defoe bis dahin keinen eigentlichen
geschlossenen Roman geschrieben hatte. Wohl
aber lagen damals schon drei Arbeiten vor, die
genau die gleiche schriftstellerische Eigenart,
die dem Leben abgelauschte realistische Wieder¬
gabe des Details verraten, wie wir sie in seinen
Erzählungen bewundern. Als 1704 England
von einem verheerenden Unwetter heimgesucht
wurde, gab er eine, angeblich nach dem Bericht
von Augenzeugen abgefaßte anschauliche Schil¬
derung desselben (The Storm: or, a Collection
of the most remarkable Casualities and Disas-
ters. Which happen’d in the late dreadful Tem-
pest both by Sea and Land. London 1704).
Zwei Jahre später hatte er die oft angeführte
Geschichte des Wiedererscheinens einer verstor¬
benen Mrs. Veal veröffentlicht, die schon auf das
deutlichste seine Kunst zeigt, selbst das Un¬
glaubhafte glaubhaft oder doch wahrscheinlich
zu machen; er hatte endlich im Jahre 1718
einen vollständig erfundenen Bericht über den
angeblichen Untergang der westindischen Insel
St. Vincent gegeben und damit alle seine
Leser aufs Eis geführt (Imaginary Destruction
of the Isle of St Vincent Mist's Journal.
5th July 1718).
Wenn Purves endlich behauptet, der zweite
und dritte Band des „Robinson“, die Defoes
unbestrittenes Eigentum seien, zeigten eine er¬
hebliche Verschiedenheit von dem ersten Bande,
so ist das auch nur bedingungsweise richtig:
die Verschiedenheit ist nicht größer ab sie der
Gegenstand bedingt —
Nicht genug, daß man dem Verfasser sein
Werk absprach, es bildete sich auch, aber
wiederum erst nach seinem Tode, eine Mythe
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Ullrich, Der Robinson-Mythus.
5
über die Originalität des Stoffes und des Ver¬
fassers Eigentumsrecht an seinem Werke. Es
ist dies die bekannte, immer noch hier und da
einmal auftauchende Behauptung, Defoe ver¬
danke nicht nur die Anregung zu seinem Roman
und die Grundzüge desselben den Abenteuern
des Matrosen Selkirk, sondern habe von diesem
nach seiner Heimkehr sein Tagebuch über
seine Erlebnisse erhalten mit dem Aufträge,
sie in seinem (Selldrks) Interesse zu verwerten;
Defoe aber habe das ihm brauchbar scheinende
daraus entnommen und dann Selkirk seine Auf¬
zeichnungen als unverwendbar zurückgegeben.
Dazu gibt es noch die Variante: Defoe habe
wenigstens den materiellen Ertrag mit Selkirk
geteilt Wie schon gesagt, dachte zu Defoes
Lebzeiten niemand, dachten nicht einmal seine
ärgsten Gegner daran, ihm die Originalität
seines Stoffes zu bestreiten. Wußten doch sogar
die letzteren, daß Defoe mindestens in seinem
Privatleben von unantastbarer Ehrenhaftigkeit
war und hatten das z. B. bei seinen mehr¬
fachen Bankerotten, weil er trotz gerichtlicher
Auseinandersetzung seine Gläubiger voll be¬
friedigte, sobald er in bessere Umstände kam,
öffentlich bezeugt Jene Beschuldigung wurde
erst später gegen ihn erhoben; zuerst von En-
tick in seiner „Naval History“ (1757), aber ohne
jeden Versuch eines Beweises. Trotzdem wurde
sie wiederholt von Watson in seiner „History of
Halifax“ (1775) und leider auch dem ehrwür¬
digen Dr. Beattie in seinen „Dissertations, Moral
and Critical“ (1783). Letzterer drückt sich aber
doch schon sehr vorsichtig aus: „Selkirk was
advised to get his story put in writing and
published. Being illiterate himself, he told every
thing he could remember to Daniel De Foe, a
professed author of considerable note, who in-
stead of doing justice to the poor man, is said
to have applied those materials to his own
use, by making them the groundwork of Robin¬
son Crusoe, which he soon öfter published,
and which being very populär, brought him a
good deal ofmoney . I am willing to believe that
De Foe shared the profits of this publication
with the poor seaman: for there is an air of
humanity in it, which one could not expect front
an atdhor who is an arrant cheat. — I have
no authority to affirm any thing on either side.“
Man beachte die im Druck kursiv wiederge¬
gebenen Worte. Zunächst weiß er nichts von
einem Tagebuche, sondern nur Erinnerungen
des Matrosen, die niederschreiben und drucken
zu lassen man ihm geraten hatte. Sodann weiß
er nicht, daß der „Robinson“ erst sechs Jahre
später veröffentlicht wurde, verwechselt den
Gewinn von Defoes Verleger mit dem des
Schriftstellers, der notorisch sehr bescheiden
war, spricht von einem armen Seemann,
während doch Selkirk von seinen, seiner Be¬
freiung folgenden Beutezügen die Summe von
800 Pfund mitgebracht hatte, und hebt durch
seine Schlußbemerkung, daß, von dem Charakter
des Buches auf seinen Verfasser zu schließen,
man diesem eine Unehrenhaftigkeit eigentlich
gar nicht Zutrauen könne, alle die vorher vor¬
gebrachten Beschuldigungen wieder auf. Gleich¬
wohl wurde die Verleumdung 1787 und 1788
vom „Gentleman’s Magazine“, sodann von der
„Encyclopaedia Britannica“ und endlich auch von
Isaac James, von letzterem in seinem gewissen¬
haften Buche: „Providence displayed: Or, the
Remarkable Adventures of Alexander Selkirk“
etc. (Bristol 1800) wiederaufgewärmt, von letz¬
terem freilich auch wieder als jeder Begründung
entbehrend, mündlich, nämlich dem Defoebio-
graphen W.Wilson gegenüber, zurückgenommen. 1
Unter denen, die eine Rettung Defoes unter¬
nommen haben, sind zu nennen: Dr. Towers
(in der Biographia Britannica), G. Chalmers
(Life of Defoe), der Kapitän Bumey (im 4. Bande
seiner Voyages and Discoveries), Isaac d’Israeli
(Curiosities of Literature, Vol. US) und John
Howell (The Life and Adventures of Alexander
Selkirk. Edinburgh 1829).
9*4*
Wie steht es nun mit den Argumenten für
und gegen Defoe bezüglich der Originalität
seines Buches? Daß dem „Robinson“ die Aben¬
teuer Selkirks zugrunde liegen, daß Defoe min¬
destens durch sie angeregt wurde und einige
Grundzüge ihnen entnahm, wird nicht zu be¬
streiten sein. Zwar hatte es vor Selkirk ähn¬
liche Einsiedler gegeben; ihre Schicksale waren
aber entfernt nicht so bekannt geworden wie
die seinen. Über Selkirk lagen vor dem Er¬
scheinen des „Robinson“ schon eine ganze Reihe
von Berichten vor: zunächst der des Kapitäns
Woodes Rogers (A Cruising Voyage round the
X III. 457 Anmkg.
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Ullrich, Der Robinson-Mythus.
World. London 1712), dann der des Kapitäns
Cooke (A Voyage to the South Sea Trade.
London 1712), weiter die schon oben genannte,
nach diesen beiden Berichten fast wörtlich ge¬
arbeitete Flugschrift: „Providence displayed; or,
a very surprising Account of one Mr. Alexan¬
der Selkirk ... Written by his <rwn Hand and
attested by most of the eminent Merchants
upon the Royal Exchange. 44 London; ohne
Jahr (1713?)*, endlich der Bericht des be¬
rühmten Engländers Richard Steele in seiner
Zeitschrift „The Englishman“ (December 3,1713,
No. 20). Letzterer hatte, wie so viele Zeit¬
genossen, Selkirk aufgesucht (interviewt) und
von ihm mündliche Mitteüungen erhalten. Noch
der neueste Defoebiograph, Th. Wright, tut sich
etwas darauf zu gut, in Bristol das Haus aus¬
findig gemacht zu haben, wo auch unser Defoe
den heimgekehrten Selkirk aufsuchte und seine
Erlebnisse entgegennahm. Man kann das ruhig
gelten lassen, da sich der Umstand zu wohl
mit Defoes Arbeitsweise verträgt, die vielfach
mehr der eines modernen Reporters und Inter¬
viewers glich als der eines freischaffenden
Schriftstellers, und muß doch die eigentliche
Beschuldigung — die Entlehnung und Benutzung
eines Selldrkschen Tagebuches — weit abweisen.
Erhielt Defoe von Selkirk nur einen mündlichen
Bericht, so war er nicht einmal so schuldig
wie Steele, der diesen möglichst genau, aber
doch nicht ohne einige Irrtümer, dem Publikum
vermittelt hatte, anscheinend ohne jede Ent¬
schädigung des „armen 44 Seemanns. Erhielt er
aber einen geschriebenen Bericht anvertraut, so
läge die Sache freilich anders. Doch ist ein
solcher bei Selkirk vorauszusetzen? Als dieser
das Schiff Cinque Ports mit Einwilligung des
Leutnants Stradling, mit dem er sich nicht
vertragen konnte — er selbst war Segelmeister
— verließ, erfahren wir genau, welche Gegen¬
stände ihm zum Gebrauche überlassen wurden.
Darunter befanden sich zwar einige Erbauungs¬
bücher und mathematische Werke, aber keine
Schreibmaterialien. Er war also völlig außer
Stande,ausgedehntere Niederschriften zu machen,
und wir würden es sicherlich von ihm erfahren
haben, wenn das Bedürfnis ihn zur Anfertigung
von Schreibmaterial getrieben hätte. Wir tun
ihm wahrscheinlich kein Unrecht, wenn wir an¬
nehmen, daß er weder ein Bedürfnis dazu hatte,
noch auch nur die Fähigkeit besaß. Aus dem
berühmten dritten Kapitel seiner englischen
Geschichte wissen wir von Macaulay, daß um
1685 gar mancher Landedelmann nicht einmal
seinen Namen unter einen Verhaftsbefehl, den
er als Friedensrichter auszufertigen hatte, zu
setzen vermochte. Wir dürfen daher einem An¬
gehörigen der Seefahrerzunft, wenn er auch
den gemeinen Matrosen um ein weniges über¬
ragte, 20 Jahre später nicht ohne weiteres
größere Kenntnisse und Fertigkeiten Zutrauen.
Es ist nicht unmöglich, daß die Annahme eines
Selkirkschen Tagebuches sich aus den von
mir im Druck gesperrten Worten des Titels
der Flugschrift ... (Written by his own Hand)
entwickelt hat, Worte, die der Verfasser der
Schrift doch nur hinzugefiigt hat, um seinen
Mitteilungen den Schein einer größeren Authen-
ticität zu geben.
Die Sachlage spricht also auch hier durch¬
aus für Defoe. Er benutzte ganz zweifellos
die Schicksale des schottischen Matrosen als
Ausgangspunkt, die er, wie Tausende vor ihm,
gelesen oder gehört hatte. Der Stoff lag am
Wege, sozusagen als ein unscheinbarer Kiesel,
bis der Genius des Schriftstellers in ihm
den Diamanten erkannte, der nun Millionen
durch seinen Glanz entzücken sollte, freilich
erst, nachdem der Schriftsteller ihm den künst¬
lerischen Schliff gegeben hatte. Aber auch in
Defoe lag der Stoff zunächst unbenutzt, bis,
möglicherweise infolge eines doppelten Anlasses:
eines äußern — des Erscheinens der Rogers-
schen Reisebeschreibung in zweiter Auflage im
Jahre 1718 —, und eines innem — des immer
stärker werdenden Bewußtseins im Schriftsteller,
wie viele Parallelen doch seine inmitten des
englischen Parteigetriebes immer größer wer¬
dende Vereinsamung mit dem Inselleben Sel-
kirks hatte, — bis, wie gesagt, der Stoff in
ihm zu schwellen und zu treiben anfing, um
dann, wie es scheint, in größter Hast nieder¬
geschrieben und in zunächst unzulänglicher
Weise gedruckt zu werden.*
* Wie oben bemerkt, erhalten im 5. Bande des Harleian Miscellany.
* Man vergleiche darüber meinen Aufsatz: „Zur Textgeschichte von Defoes Robinson Crusoe“. (Herrigs
Archiv, Bd. III.)
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Ullrich, Der Robinson-Mythus.
7
Auch hinsichtlich der Art der Veröffent¬
lichung des Werkes ist entgegen aller früheren
Kenntnis von einer autoritativen Seite eine Be¬
hauptung aus- und gläubig nachgesprochen
worden, die den Tatsachen direkt widerspricht
Da ich sie noch neuerdings in wissenschaft¬
lichen Werken wiederholt gefunden habe, so
möge sie hier ein letztes Mal zurückgewiesen
werden. Im Jahre 1824 behauptete der wohl-
bekannte und verdiente Bibliograph Dibdin
in seinem ,Library Companion", daß der „Ro¬
binson" zuerst in der Zeitschrift „The Original
London Post, or, Heathcote’s Intelligence", in
dem Zeitraum vom 7. Oktober 1719 bis 19. Ok¬
tober 1720, das sind die Nummern 125—289,
erschienen sei, und zwar beide Teile. Hier
ist der Gegenbeweis sehr leicht zu erbringen.
Allen Biographen Defoes ist bekannt, daß
der erste Band des „Robinson" am 23. April
1719 für William Taylor in Stationen Hall
(dem Londoner Buchhändlerhaus) eingetragen
wurde und zwei Tage später erschien, und
daß der Abdruck in jener Zeitung ein Nach¬
druck, und zwar, wie ich aus der Zählung der
Auflagen wahrscheinlich gemacht habe, ein
unberechtigter des Originals war, wie deren
damals mehrere erschienen. — Schwieriger ist
es, mit einer von dem obengenannten Laidlaw
Purves neuerdings aufgestellten Behauptung resp.
Entdeckung* über die Art der Veröffentlichung
des Romans fertig zu werden. Er hat ein bis
jetzt einziges Exemplar einer Robinsonausgabe
aufgefunden, das er fiir die erste Ausgabe hält,
das nicht unbeträchtliche Abweichungen im
Texte aufweist und das ihm als stärkster Beweis
fiir die alte, abgetan geglaubte Behauptung der
Autorschaft Robert Harleys erscheint. Wie es
mit dieser steht, darüber hat sich wohl jeder Un¬
befangene aus dem oben Gesagten ein Urteil
gebildet Die neue Ausgabe wäre einer aus¬
führlicheren Untersuchung wohl wert, wenn
Purves nicht so ganz unwissenschaftlich ver¬
fahren wäre. Wenn ein Seefahrer eine neue
Insel entdeckt, ein Naturforscher ein neues Tier,
eine neue Pflanze u. s. w., so ist die erste
wissenschaftliche Forderung, daß der Seefahrer
die Lage der Insel nach Länge und Breite
bestimmt, der Naturforscher den Fundort des
Objektes angibt Purves hat weder für nötig
gehalten, den Fundort anzugeben, noch den
jetzigen Besitzer, so daß niemand in der Lage
ist, nachzuprüfen. Er gibt nur den in einigen
wesentlichen Punkten veränderten Titel wieder
und bemerkt ganz beiläufig, daß der Umfang
des Bandes 264 Seiten beträgt. Schon daraus
können wir schließen — wenn nicht der Druck
ein sehr viel kompresserer ist —, daß wir es
mit einem verkürzten „Robinson" zu tun, aus den
verstümmelten Namen, daß wir einen Raubdruck
vor uns haben. Purves freilich will das nicht
gelten lassen; er hat sogar die Kühnheit, die
verstümmelten Namen als die originaleren zu
bezeichnen. So muß der Engländer sich also
von dem Ausländer sagen lassen, daß es eine
Koseform des Namens Robert: Robe wohl
nicht gegeben hat. Von solchen Koseformen
finde ich nur Rob, Robbin, Robin, Robby, so¬
gar Hob, sämtlich mit kurzem offenen o, während
die Schreibung Robe sofort auf eine lange, ge¬
schlossene Aussprache des o deuten würde.
Was die Form Cruso anlangt, so mag sie Vor¬
kommen; die uns geläufigere hat die Analogie
mit anderen Wörtern, z. B. roe, foe, doe, woe
für sich. Ganz nebenbei möchte ich hier eine
Vermutung über die Bedeutung des immer
mißverstandenen Namens Crusoe äußern. Robin¬
son erzählt, seiner Mutter Familie habe den
Namen Kreutzna’er (so heißt es in den Original¬
ausgaben) geführt. Das ist nach meinem Dafür¬
halten einer der zahlreichen, aus Ortsnamen
entstandenen Familiennamen, in diesem Falle
Kreuznacher (man beachte den Apostroph in
der englischen Schreibung!). Julian Schmidt*
freilich hat es fertig gebracht, um die Ähnlich¬
keit von Robinson mit Simplicissimus beweis¬
kräftiger zu gestalten, aus obigem Namen
„Kreuznarr" (== vollendeter Narr — Simplicissi¬
mus) herauszulesen. — Um zu Purves* Behaup¬
tungen noch einmal zurückzukehren, so ist ein
näheres Eingehen auf seine Entdeckung erst
möglich, wenn er genauere, wissenschaftlichere
Angaben gemacht haben wird. Der oben¬
genannte Gildon war es auch, der sich wegen
des Inhalts des Werkes an Defoe zu reiben
suchte, indem er dieses nicht nur ab voll¬
kommen erdichtet bezeichnete, sondern auch
eine Reihe von Verstößen gegen die Wahr¬
scheinlichkeit anführte. Da nun mindestens
* The Athenaeum. Nos. 3937/3938. April 11 und 18, 1903: „The O Edition of Robeson Cruso.“
2 Geschichte der deutschen Literatur von Leibniz bis auf unsere Zeit (5 Bde. Berlin 1886—1896.) I. 136.
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8
Ullrich, Der Robinson-Mythus.
mehrere von diesen sich im „Robinson“ gar
nicht finden, sondern auf eine Flüchtigkeit bei
der Lektüre desselben zurückzuführen sind, so
bildete sich eine neue Mythe des Inhalts, daß
Defoe die urgierten Punkte in späteren Auflagen
gebessert habe. Sehen wir zu, wie es sich
damit verhält. Gildon tadelt z. B. als unbegreif¬
lich, daß Robinson erzählt, der kleine Xury
habe mit ihm gebrochen Englisch gesprochen,
da er doch mit keinen Engländern vorher ver¬
kehrt habe. Der Vorwurf ist leichtsinnig, denn
Defoe läßt Robinson ausdrücklich sagen: “Xury
leamed from us slaves.” — Weiter rügt der
Pamphletist, wie Robinson beim Besuche des
Wracks habe seine Beinkleidertaschen mit
Schiffszwieback füllen können, da er doch vor¬
her alle seine Kleider abgelegt habe. Aller¬
dings sagt Robinson zunächst flüchtig: “so I
pulTd off my Clothes, for the Weather was
hot to Extremity“ (i. Ausgabe, S. 55); dann
heißt es (S. 56) “I went to the Bread-room
and fill’d my Pockets with Bisket,” endlich
(S. 57) “I had the Mortification to see my
Coat, Shirt, and Wast-coat which I had left
on Shore upon the Sand, swim away; as for
my Breeches which were only Linnen and open
knee’d, I swam on board in them and my
Stockings.” Also auch dieser Vorwurf fällt
als frivol auf den Kritiker zurück. Berechtigter
scheint ein anderer, nämlich der, wie Robinson
in der völlig dunklen Höhle habe die Augen
der sterbenden alten Ziege sehen können. Aber
auch hier scheint mir, ohne die Rechtfertigung
Defoes pressen zu wollen, eine physikalische
Erklärung möglich. Die Höhle wird als sehr
eng geschildert, ihre Wände wirken also ähn¬
lich für die Sammlung der Lichtstrahlen wie
die Wände eines Fernrohrs. Sodann hat Gildon
getadelt, daß Freitag, auf der Rückreise mit
seinem Herrn durch die Pyrenäen kommend,
bei dem Zusammentreffen mit dem Bären eine
Bekanntschaft mit den Lebensgewohnheiten
dieser Tiere verrät, die unmotiviert bleibt, weil
Bären nicht in der Nähe des Äquators Vor¬
kommen, dem Kariben Freitag also nicht be¬
kannt sein konnten. Hierzu möchte ich nur
bemerken, daß der Baribal bis nach Mexiko
hin vorkommt, und so wäre es wenigstens nicht
ganz unwahrscheinlich, daß Freitag auf Küsten¬
fahrten seiner Stammesgenossen diese Tier¬
gattung kennen gelernt oder von ihr gehört
hätte. Defoe besaß so ausgezeichnete Kennt¬
nisse in der Geographie, Entdeckungsgeschichte,
Naturgeschichte, daß es meist gewagt sein wird,
ihn einer Unkenntnis auf diesen Gebieten über¬
führen zu wollen. Ich habe oben absichtlich
nach der ersten Auflage zitiert, um gleichzeitig
den Einwand zu widerlegen, als seien die frag¬
lichen Punkte erst in späteren Auflagen ge¬
ändert worden.
Erzbischof Whately endlich meinte, einen
besonders scharfsinnigen Einwand gegen die
Wahrscheinlichkeit der Erzählung zu finden,
wenn er bemerkte, daß die von Robinson an¬
fangs achtlos weggeworfenen Reiskörner un¬
möglich später hätten wachsen können, da der
zum menschlichen Genuß bestimmte Reis durch
ein besonderes Verfahren seiner Hülse beraubt
werde und dadurch seine Keimfähigkeit verliere.
Er hatte aber dabei übersehen, daß der frag¬
liche Reis als Futter fiir das Geflügel auf dem
Schiff bestimmt gewesen und daher unenthülst
war. Andere endlich haben behauptet, daß
ein Mensch unmöglich gleich Robinson 28 Jahre
lang allein leben könne, ohne wahnsinnig zu
werden. Darüber mag die Psychopathologie
entscheiden. Ich fiir meine Person halte es
durchaus fiir möglich, vorausgesetzt, daß der
Mensch durch die Not zu fortwährender Tätig¬
keit gezwungen ist Einige andere Einwendungen
übergehe ich, weil sie für die Schätzung
Defoescher Erzählungskunst ganz unwesent¬
lich sind.
An einer anderen Art der Mythenbildung
bezüglich seines Romans muß Defoe selbst
mitschuldig gesprochen werden. Es ist dies
die Deutung seines Werkes als einer Allegorie
seiner eigenen Schicksale . Ich darf nicht hoffen,
dieser Frage im Rahmen meines Aufsatzes im
vollen Umfang gerecht zu werden, 1 sondern
muß mich mit Andeutungen begnügen, um
wenigstens zu zeigen, wie diese Auffassung
1 Es gibt darüber außer den Erörterungen neuerer Robinsonherausgeber (Lee, Kingsley, Aitken, Wright) ein
besonderes Schriftchen von P. Geißler, „Is Robinson an allegory?“ Programm des Realgymnasiums au Pirna, 1893,
dessen Inhalt dann von dem Verfasser in seine Dissertation: „Defoes Theorie über Robinson Crusoe“, 1896,
hin ein verarbeitet worden ist
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Ullrich, Der Robinson'Mythos.
9
entstehen konnte. Zu Eingang des dritten Robin¬
sonbandes, der bekanntlich „Serious Reflections
during the Life and surprising Adventures of
Robinson Crusoe. With his Vision of the An-
gelic World“ enthält, finden wir eine doppelte
Einführung: zunächst Robinson Crusoes „Pre-
face“, und dann „The PublishePs Introduction.“
In der ersteren hält der Verfasser die Fiktion
aufrecht, es gebe einen Mann, namens Robinson
Crusoe, der alle die erzählten Schicksale wirk¬
lich erlebt habe und der sich nun hier bitter
darüber beschwert, daß eine Reihe Neider das
Ganze als einen Roman, die Geschichte als er¬
dichtet und die Namen als irgendwoher ent¬
lehnt bezeichnet haben. Dagegen wendet sich
Robinson mit der, wie an Gerichtsstelle feierlich
abgegebenen Erklärung, daß die Geschichte ob¬
wohl allegorisch, doch zugleich historisch, also
wirklich vorgekommen sei, und er sie, als die
Darstellung eines Lebens voll von Unglücks¬
fällen, von vornherein für das allgemeine Beste
bestimmt und bearbeitet (adapted) habe; weiter,
daß noch ein Mann und zwar ein wohl-
bekannter am Leben sei, dessen Taten den
Inhalt der Bände bildeten und auf den die
ganze Geschichte oder doch der größte Teil
sich beziehe. — Defoe liebte es, in allen seinen
Phantasieschöpfungen den Träger der berich¬
teten Erlebnisse auch zugleich zu ihrem Er¬
zähler zu machen. Daraus folgte dann sofort
eine größere Teilnahme des Lesers, daraus
folgte die besondere Technik seiner Erzäh¬
lungen, die ausnahmslos Ich-Romane oder, wie
man sie gleichfalls nennen könnte, Memoiren¬
romane sind, ferner auch die wunderbar treue
Detailschilderung. Deshalb legt er auch, die
Fiktion aufrecht erhaltend, die Vorrede zum
dritten Bande, die ein anderer Schriftsteller
vielleicht als Nachwort den ersten zwei Bänden
beigegeben hätte, dem Robinson selbst in den
Mund. Was heißt es nun, wenn dieser erklärt,
die Geschichte sei historisch, die mitgeteilten
Ereignisse ganz oder zum größten Teile auf
einen Mann bezüglich, der allgemein bekannt
sei, noch lebe und dafür eintreten könne? Ich
kann diese Worte nur auf Selkirk beziehen,
dessen Hauptschicksale dem „Robinson“ zu¬
grunde liegen, der wegen derselben allgemein
bekannt geworden war und damals noch lebte
(er starb 1724). Natürlich passen die Be¬
ziehungen nur teilweise (auch Robinson be¬
schränkt seine Behauptung auf einen Teil der
Geschichte). Z. B. die 28 Jahre passen nur auf
Robinson, nicht auf Selkirk. Wohl deshalb
haben sich verschiedene Forscher verleiten
lassen, den ganzen Roman ab eine Allegorie
von Defoes eigenen Schicksalen anzusehen,
und sind nun, um die Parallelisierung durch¬
zuführen, zu den gewagtesten Aufstellungen ge¬
zwungen, die zum Teil sogar dem Fluche der
Lächerlichkeit verfallen. Besonnener verfahrend,
dürfen wir nur eine zufällige Übereinstimmung
gewisser Teile der Geschichte mit den Schick¬
salen des Schriftstellers annehmen, nicht mehr,
als sie bei jedem ernsten Kunstwerk vorhanden
sein werden. Seit 1715 war Defoes Stellung
in der Tagespolitik, schon vorher immer eine
isolierte, niemals die eines Parteimannes, immer
isolierter geworden; dieser Umstand mochte
ihn auf die Schilderung eines so einsamen
Insellebens mehr und mehr hindrängen und
den ihm seit lange bekannten Stoff der Aben¬
teuer Selkirks in einem neuen, anziehenden
Lichte zeigen. Will man aus den Worten der
Vorrede Robinsons herauslesen, daß Defoe
selbst sein Werk habe als Allegorie seiner
Schicksale aufgefaßt wissen wollen — was aber
meines Erachtens nicht darin liegt —, so wäre
das immer nur ein nachträglicher Einfall und
flir die Wertung des Werkes bedeutungslos. 1
Zum Schlüsse sei noch ein Punkt erwähnt,
der ebenfalls zur Mythenbildung Anlaß ge¬
geben hat, wenn er auch nur den Freund des
Buches interessieren sollte. Es betrifft den Ort,
wo „Robinson Crusoe“ geschrieben wurde. Nach
Watson in seiner schon einmal zitierten „History
of Halifax“ wäre der Ort ein Haus in Halifax
gewesen mit dem Zeichen „Rose and Crown“,
wo sich Defoe eine Zeitlang vor politischer Ver¬
folgung versteckt gehalten habe. Nach einem
Mitarbeiter des „Gentleman’s Magazine“ wäre
das Haus in Gateshead in der Grafschaft Dur-
ham zu suchen. Wieder nach einem Mit¬
arbeiter des „Economist“ wäre das Werk in
einem kleinen, schmutzigen Gäßchen, Harrow-
Alley, im Mittelpunkt von Whitechapel-Market,
* Ich darf vielleicht auf die Einleitung zu dem von mir besorgten Neudruck des ersten Bandes der „Insel
Felsenburg*' hinweisen (Deutsche Literaturdenkmale des XV 1 IL und XIX. Jahrhunderts, herausgegeben von Sauer.
No. 108— 12a S. XIII).
Z. f. B. 1904/1905. 2
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IO
Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
entstanden. Ein anderer Schriftsteller verlegt
dagegen den Ort der Entstehung des Buches in
das Wirtshaus „The Duke William's Head“ in
dem Dorfe Hartley in Kent. Das Wahrschein¬
lichste aber ist, daß das Werk in Stoke-Newin-
ton entstand, wo Defoe in einem geräumigen,
weißen, von ihm selbst neu erbauten Hause
mit großem Garten in der dortigen Kirchstraße
längere Zeit wohnte. Dort war es bis in die
sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts noch
vorhanden; eine Abbildung findet sich in Lees
Biographie Defoes. Wenn nicht Gildons Dia¬
log zwischen Defoe, Robinson und Freitag auf
ein Feld in der Nähe von Stoke-Newington ver¬
legt wäre, so würde die zuletzt geäußerte An¬
sicht auch nicht mehr als eine Mythe sein.
Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“
Von
Dr. Anton Schlossar in Graz.
ie vielverzweigte Adelsfamilie der
Herbersteiner ist ein uraltes öster¬
reichisches Geschlecht, dessen Stamm¬
sitz, die Burg Herberstein, sich in dem östlichen
Teile der Steiermark am Flusse Feistritz, nicht
allzuweit von der ungarischen Grenze befindet
Es gehören also die Herren, späteren Frei-
herm und Reichsgrafen von Herberstein eigent¬
lich dem steiermärkischen
Adel an, obgleich sie sich
bald nach der Teilung
in zwei Hauptlinien über
Krain, Kärnten und
Niederösterreich,Böhmen,
Mähren und Schlesien
ausgebreitet haben. Sieben
Brüder Herberstein wer¬
den schon aus dem Jahre
955 als Kämpfer unter
Kaiser Otto I. gegen die
Ungarn genannt. Mit Otto
Herberstein, der um 1260
starb, beginnt die seit¬
dem ununterbrochene
Stammreihe, und dessen
Enkel Georg und An¬
dreas sind die Stifter
zweier Hauptlinien des
Geschlechts, Im Jahre
1537 wurde Sigmund von
Herberstein (Abb. 1), über
dessen ruhmvolles Leben
hier kurz berichtet wer¬
den soll, in den Freiherrn¬
stand erhoben; die Grafenwürde wurde später
mit Diplomen aus den Jahren 1644, 1648, 1652,
1656 und 1657 verschiedenen Mitgliedern des
Geschlechts verliehen. In der Geschichte des
österreichischen Adels nimmt eine reiche Zahl
aus dem Geschlechte der Herberstein hervor¬
ragenden Rang seit den ältesten Zeiten ein;
seine Angehörigen haben sich als Kriegshelden-
und Führer zumal in den
Türkenkriegen, als Ge¬
lehrte und Staatswürden¬
träger, als Inhaber der
Bischofs- und anderer
Kirchenwürden, als Ge¬
sandte und wichtige hohe
Hofbeamte unter vielen
Regenten ausgezeichnet;
sogar gelehrte Frauen
finden sich unter ihnen.
Das heutige Fideikommiß
Herberstein hat nach dem
Aussterben der sämt¬
lichen Nebenlinien als
Majoratsherr Reichsgraf
Johann Sigmund von
Herberstein inne. Bezüg¬
lich der Stammburg Her¬
berstein in der östlichen
Steiermark, in deren Räu¬
men noch manche Gegen¬
stände, Bilder,Waffen usw.
auch an den weltberühmt
gewordenen Freiherm
Sigismund erinnern, sei
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K%<-, ? tf’innJij' cwm (Vil iftn miiu
Abb. z. Porträt Sigmunds von Herberstein
nach dem Holzschnitte in der „Moscovia“ von 1557
wiedergegeben in Adelungs Werk von x8x8.
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Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
II
Abb. 2. Das Stammschloß Herberstein in seiner heutigen Gestalt.
noch erwähnt, daß diese romantische Veste
im XV. Jahrhunderte erbaut wurde, sich aber
daneben auch Spuren eines viel älteren Baues
vorfinden. Die Burganlage auf hochragendem,
gegen die rauschende Feistritz zu steil abfallen¬
dem Felsen bietet heute noch eine ähnliche An¬
sicht (Abb. 2), wie sie der Zeichner und Typo¬
graph G. M. Vischer in seinem sogenannten
„Steirischen Schlösserbuche“ im Jahre 1681 1
dem Beschauer vorgefiihrt hat (Abb. 3).
Der an dieser Stelle als Verfasser der später
zu erwähnenden berühmten Beschreibung Ru߬
lands und seiner Reise dahin ins Auge gefaßte
Sigmund von Herberstein, seit seiner Erhebung
in den Freihermstand mit dem vollen Titel
genannt: Sigmund Freiherr zu Herberstein,
Neyperg und Gutenhag, oberster Erbkämmerer
und oberster Truchseß von Kärnten, wurde zu
Wippach in Krain am 23. August i486 geboren
als ein Sproß der jüngeren Hauptlinie: Herber¬
stein -Teuffenbach*). Sein Vater Leonhardt, der
Barbara von Lueg geehlicht hatte, war Pfleger
1 Vischer, Gg. Mth.: Topographia ducatus Styriae. Graecii. 1681. q. 40 Blatt „Herberstain M .
2 Von der reichhaltigen Literatur über Sigmund von Herberstein kann ich hier nur die allerwichtigsten Werke
und Schriften anführen. Es sind dies F. Adelung , „Sigmund Freiherr v. Herberstein mit besonderer Rücksicht auf seine
Reisen in Rußland geschildert“. St. Petersburg. 1818. — Das Lebensbild von Fr. Kronesx „Sigmund v. Herberstein“ in
den Mitteilungen des historischen Vereins für Steiermark. Graz. 1871. 19. Heft. S. I—76. — Ferner S. v. Herbersteins
noch bei dessen Lebzeiten veröffentlichte selbstbiographische Werke: „Gratae Posteritate Sigismundus Über baro in
Herberstein... actiones suas ... brevi commentariolo notatus reliquit“. Anno 1558. Kl. fol. — sowie „Sigmund Freyherr
zu Herberstain . . . seines Thuens, Dienstens und Raysens. Wien. 1559. fol. Beide Bücher mit Holzschnitten
einigemale aufgelegt — Außerordentlich wichtig erscheint die erst von Th. G. v. Karajan vollständig herausgegebene
„Selbst-Biographie Siegmunds Freiherm v. Herberstein, i486—1553“ in den von der kaiserlichen Akademie der Wissen¬
schaften in Wien edirten „Fontes rerum Austriacarum. I. Abt: Scriptores, Bd 1.“ Wien 1855. S. 67—396. — Bruchstücke
derselben finden sich schon in dem ebenfalls als eingehende Arbeit anzuführendem Werke: /. A. Kumar : „Geschichte
der Burg und Familie Herberstein.“ Wien 1817. 3 Thle. (im 3. Thl.) Auch die Einleitung zu der später hier be¬
sprochenen englischen Übersetzung der „Moscovia“ von R, H. Major aus dem Jahre 1851 mit Angabe aller Ausgaben und
früheren Übersetzungen ist wichtig und beachtenswert — Genau verzeichnet erscheinen alle von S. v. Herberstein ver¬
faßten Schriften in den erwähnten Arbeiten von Adelung und Krones. — Eine Bibliographie über das ganze Geschlecht
der Herbersteiner bietet: Schlossar , Bibliotheca historico-geographica Styriaca. Graz. 1886. S. 13 fr.
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12
Schloss&r, Sigmund von Herberstein und seine „Moscoria“.
des kaiserlichen Gutes zu Wippach und hatte
noch drei Söhne und fünf Töchter. Sigmund
spricht in seinen Aufzeichnungen stets mit großer
Liebe von seinen Geschwistern und zeigt schon
frühzeitig eine edle ernste Gesinnung. Er erwähnt,
daß er nicht nur deutsch gesprochen, sondern
auch „windisch“ (das heutige Slovenisch) in seiner
Jugend gelernt — „hat mir vill muee gemacht“ —
und daß er wegen dieser Sprache viel Spott
ausstehen mußte. „Damnaht hat mich niembt
von der Sprach abtreiben mugen, des mir hernach
in vill Sachen genutzt hat,“ namentlich bei
seinen russischen Gesandtschaftsreisen, da beide
Sprachen große Ähnlichkeit mit einander auf¬
weisen. Mit acht Jahren kam Sigmund zu
seinem Verwandten Domprobst Welzer nach
Gurk zur weiteren Ausbildung, nachdem er, da
er viel kränkelte, schon in früher Jugend auf
Wunsch der Mutter mit dem älteren Bruder Hans
eine Wallfahrt nach Loretto bei Ancona gemacht
hatte. Im Jahre 1497 finden wir ihn auf der
hohen Schule zu Wien, an welcher er ein kräf¬
tiges wissenschaftliches Streben bekundet und
namentlich sich vorzüglich in der lateinischen
Sprache ausbildet; er wurde 1502 sogar Bacca-
laureus. Schon 1506 ist Herberstein im Kriegs¬
dienste gegen Ungarn; die nächsten zwei Jahre
kommt er an des Kaisers Maximilian L Hof;
von 1508 an kämpft er tapfer gegen die
Venetianer, so daß er im Jahre 1514 durch den
Ritterschlag von des Kaisers Hand belohnt
wird (Abb. 7), nachdem er, mit der „Streitfahne“
beehrt, die Festung Maran in Friaul entsetzte.
Von da an aber ist Sigmund berufen, auf staats-
männischem und namentlich diplomatischem
Gebiete hervorragend zu wirken. Zunächst
wurde er von dem Kaiser in den Reichshof¬
rat berufen, sodann als Gesandter an den
Erzbischof von Salzburg und nach Baiem
gesendet. Eine wichtige Mission war jene im
Jahre 1516 zu dem Könige von Dänemark,
Christian II., der als Gatte einer Enkelin
Maximilians diese nicht mit der gebührenden
Achtung behandelte und zu einer würdigeren
Behandlung veranlaßt werden sollte. Die gefahr¬
volle Reise in das ferne Land war ein damals
ebenso kühnes Unternehmen als der Gegenstand
seines Auftrages dem „grausamen“ Könige
gegenüber. Christian ließ sich allerdings nur zu
einer zweifelhaften Antwort herbei, beschenkte
aber, voll Achtung vor dem würdigen Send¬
boten, Sigmund reichlich, und nachdem dieser
1516 in Augsburg dem Kaiser Bericht erstattet
hatte, wurde er bald zu einer ganzen Reihe
der verschiedensten Sendungen ausersehen. —
Außer den großen beiden Reisen nach Polen
Herberstein
es ivn her anfu feiten
Abb. 3. Stammburg*Herberstein nach Vischers „Topographia ducatus Styriae** x68x.
C/a Originalgröße.)
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Schloss«, Sigmund ron Herberstem und seine „Moscovia“.
13
und Rußland 1517 und 1526, der Botschaft nach
Spanien 1519 und jener ins Türkenlager Vor
Wissegrad, wo er sogar mitten im feindlichen
Gebiete vor den Sultan trat, hat Herberstein
bis zum Jahre 1553 seinem Regenten als Ge¬
sandter eine reiche Zahl von meist erfolg¬
reichen Missionen ausgefuhrt. So wurde ef
noch 1516, nachdem er aus Dänemark zurück¬
gekehrt, an die Schweizer Eidgenossenschaft
abgesendet, war 1518 zum erstenmale wegen
der Statthalterschaft Johann Zapolyas und
später noch öfter zu politischen Verhandlungen
in Ungarn so z. B. 1520, 1523, 1525, 1527,
1 533 » 1537 , 1540 , IS 4 I» 1542 und 1551.
Häufiger auch finden wir ihn als Vermittler seiner
Herrscher nach Polen gesendet, so, abgesehen
von den durch Polen führenden Rußlandsfahrten,
1527, 1529, 1530, 1531, 1539, 1540, 1542 und
noch öfter, bis 1553, in welchem Jahre er zur
Hochzeitsfeier der Königin Katharina, die er
selbst als Braut des Königs dahin geleitete, seine
letzte Reise nach Polen unternahm. Das Ver¬
trauen der kaiserlichen Herrn zu seinem staats-
männischen Talente zeigten auch die übrigen
Sendungen, bei denen er oft verschiedene
Gebiete Deutschlands berührte, sowie die
Missionen zu den Landtagen nach Prag, Linz
Grätz, Botzen etc. Nach dem Tode des ritter¬
lichen Kaisers Maximilian I. am 12. Juni 1519
den er zur Einsegnung „auff meinen achsein
geholffen in die Kirchen zutragen“, widmete
Herberstein nicht minder treu und ergeben seine
Dienste den Regenten Carl V. und Ferdinand I
und stand diesen in den damaligen schwierigen
Verhältnissen stets als bewährter trefflicher
Berater und Gesandter zur Seite.
Die Wirren nach dem Tode Maximilians
waren die Veranlassung der Sendung Herber¬
steins nach Spanien. Auf der Ständeberatung
der Erbländer zu Bruck a. M. wurde beschlossen
eine Gesandtschaft an Karl von Spanien, dem
nächsten Erben Maximilians, abzusenden und
Sigmund von Herberstein wurde als Vertreter
Steiermarks hierzu ausersehen. Die Reise
währte vom Juli 1519 bis Februar 1520; sie
führte von Villach aus über Venedig, Rom und
Neapel, und von hier ab war die Seefahrt eine
durch Stürme und andere Gefahren oft unter¬
brochene; man landete in Barcelona und traf
den König in dem gesunden Städtchen Molino
del R&, wohin er wegen ausgebrochener an¬
steckender Krankheit in Barcelona sich zurück¬
gezogen. Herberstein erschien stets als gewandter
Wortführer der übrigens allerorts mit Ehren
aufgenommenen Gesandtschaft, und namentlich
vor dem Könige machte er durch seine in
deutscher und lateinischer Sprache gehaltenen
Reden einen vortrefflichen Eindruck. Am 19. De¬
zember trat die Legation ihre Rückreise an
und traf am 4. Februar 1520 wieder in Villach
ein. Die Darstellung dieser Reise mit ihren
vielen Fährlichkeiten und merkwürdigen Begeben¬
heiten in Herbersteins Aufzeichnungen bietet eine
Fülle des Fesselnden und Belehrenden.
Gefährlicher und bedenklicher noch war eine
Gesandtschaft, zu welcher im Jahre 1541 der
damalige Herrscher Ferdinand I. den schon
vier Jahre früher in den Freihermstand erhobenen
Herberstein an den Sultan Soliman ausersehen
hatte. Der Sultan hatte zugleich als Verteidiger
der Zapolya-Partei mit deren Zustimmung Ofen
besetzt, und es lag die Gefahr nahe, daß die
Türken auf ihrem Siegeszuge selbst bis Wien
Vordringen würden. König Ferdinand wandte
sich nun an die patriotische Opferwilligkeit des
so oft bewährten Herberstein und bat ihn, sich
* RER VM MOSCO**
VITICARVMCO
MENTARII-
INhfjs comcntarrjs fparfim contcntahabcbis
candidc Leftor.
Ruflic,& quc nunc eius Metropolis cfhMofcotfip
breuifiimam deferiptionem«
De Rdigionc quotp varia inferta funt : Et quc nofbra
cum Rdigionc non conucniunt.
Corographiam dmiqj totius imperij Mofcici; Et Wdnorum
quorundam menuonem.
Q^uis deniqr modus exripirndi 8c trafondi oratorcs:
dilTeritur.
Itincrara quo$ duo,in Mofcouiam funt tdiunrta.
Abb. 4. Titel der ersten Ausgabe von Herbersteins
„Rerum Moscoviticarum Commentarie*«. Wien 1549.
('/« Originalgröße.)
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14
Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moicovia“.
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BAKpNIS IN HERBERSTEIN.NEIPERp,
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Abb. 5. Karte von Rußland aus Herbersteins „Rerum Moscoviticarum Commentarii“. Basileae 1551. ('/« Originalgröße.)
persönlich in das Lager bei Ofen zum Sultan
zu begeben, um einen Frieden oder wenigstens
längeren Waffenstillstand zu ermöglichen. Daß
eine solche Gesandtschaft durch das ganze Heer¬
lager des wilden und gewiß übermütigen Feindes
überaus gefährlich erschien, ist begreiflich. Den¬
noch erklärte sich der stets Getreue bereit, in Be¬
gleitung des Grafen Nikolaus von Salm diese
Mission auszuführen. Er trat wirklich vor den
allgebietenden Sultan und in der Tat gelang es
ihm, einen Waffenstillstand zu erreichen. Auch
diese Reise, den Aufenthalt im Lager und die
Ceremonien beim Empfange durch den Sultan
hat Herberstein eingehend geschildert. Die
Gesandten wurden übrigens ehrenvoll empfangen,
erhielten kostbare türkische Röcke (Abb. io)
und andere wertvolle Geschenke und traten am
12. September mit dem in Goldstoff eingenähten
Briefe des Sultans an den Kaiser die Rückreise
zu Schiffe bis Preßburg und sodann zu Fer¬
dinand nach Graz an. Herberstein hatte dem
Könige und dem Reiche wieder einen außer¬
ordentlich wichtigen Dienst erwiesen.
Es ist nunmehr über die zwei merkwürdigsten
Gesandtschaftsreisen Herbersteins durch Polen
nach Rußland bis Moskau zu berichten, die
ihm die Veranlassung und den Stoff zu seinem
berühmten Werke „Moscovia“ geboten haben.
Die erste dieser Reisen füllte das Jahr 1517 aus.
Dem Kaiser Maximilian war darum zu tun, daß
der Friede zwischen dem Zaren und Polen
vermittelt werde, da Polens günstiger Einfluß
auf Ungarn von Wichtigkeit erschien zur Sicher¬
stellung der Ansprüche Österreichs auf die
ungarische Krone. Auch sollte der Ehebund
zwischen Sigismund von Polen mit Maximilians
Enkelin Bona von Mailand zu Stande gebracht
werden. Herberstein, dem zuerst mehrere Mit-
Gesandte beigegeben waren, von denen aber
einige vor dem Wagnisse zurückschreckten und
einer auf der Reise starb, verrichtete die Mission
schließlich allein. Durch Rußland zu reisen, das
zu jener Zeit als ein nahezu mythisches Land
galt, war damals allein schon eine schwierige
und gefahrvolle Unternehmung; noch dazu wurde
die Reise im Winter, also in der für jenes Gebiet
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Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
IS
gefährlichsten Jahreszeit,
unternommen. Mehrere vor¬
nehme Herren machten die
Expedition mit, darunter
ein eben von Maximilian
zurückkehrender russischer
Gesandter. Zunächst führte
der Weg nach Krakau und
an das Hoflager nach Wilna,
wo Ende Februar 1517
Herberstein von Sigismund
aufs Gnädigste empfangen
und die erwähnte Heirat
beschlossen, später auch
vollzogen wurde. Dann
aber gestaltete sich die
Weiterreise beschwerlicher
und gefahrvoller durch das
vereiste und schneebe¬
deckte Land. Am 4. April
war Nowgorod erreicht;
von hier wurde die Strecke
bis Moskau auf Postpferden,
wie sie dort üblich waren
(Abb. 12), zurückgelegt.
Bald aber kamen zu dem
Reisenden vom Zaren ent¬
gegengeschickte Boten, die
ihn bis Moskau geleiteten,
wo er am 18. April ein¬
traf. Herberstein wurde im
Hause eines Fürsten ein¬
quartiert und erhielt für sich
und sein Gefolge reichlich
Lebensmittel: Rindfleisch,
Hühner,Fische, Brodfrucht,
auch Getränke. Am 21. April
hatte er die Audienz beim Zaren und wurde bilden ließ (Abb. 9). Die Rückreise nach Wilna
nach derselben auch zum Speisen geladen, führte diesmal über Smolensk. Im Schlosse
Eingehend und anziehend beschreibt dies der Troki bei Wilna besah er sich einen merk-
Reisende Alles in seinen Schriften. Auf den würdigen Tiergarten, in dem sich Auerochsen
Zaren machte das Auftreten Herbersteins den befanden; er bekam später einige Häute solcher
denkbar besten Eindruck, obwohl wegen der Ochsen vom polnischen Könige geschenkt.
Forderungen von Seite der polnischen Gesandten Auch die Jagd auf diese wilden Tiere schildert
die Vermittlung zu keinem rechten Erfolge Herberstein. Er kam am 25. Januar 1518 nach
führte. Am 21. November 1517 wurde Herber- Krakau und nach manchen Fährlichkeiten, die
stein, reich beschenkt mit Lebensmitteln und mit ihm noch beschieden waren, am 20. Februar in
200. Mann Begleitung bis zur Grenze versehen, Wien an. Der Kaiser weilte in Innsbruck, wohin
entlassen. Als hohe Auszeichnung ward ihm sich Herberstein sofort begab, um Meldung zu
vom Zaren ein Ehrenkleid aus Pelz und Gold- erstatten und wo er von Maximilian aufs Gnä-
stoff verehrt, in dem er sich später auch ab- digste empfangen wurde, der sich von dem
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Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
16
Gesandten auch die Abenteuer der merkwürdigen
Reise oft und viel erzählen ließ und ihm die
Pflegherrschaft Klamm bei Schottvien zur Be¬
lohnung verlieh.
Nicht minder bedeutsam und noch erfolg¬
reicher erschien die zweite Gesandtschaftsreise
Herbersteins nach Rußland im Jahre 1526.
Wieder galt es den Frieden zwischen Rußland
und Polen herzustellen. Von Erzherzog Ferdi¬
nand wurde Herberstein, von Kaiser Karl Graf
Nugarolis für diese Gesandtschaft bestimmt,
doch hatte ersterer eigentlich die Führung.
Wieder schloß sich ihnen eine vom Kaiser
zurückkehrende russische Gesandtschaft an.
Beim König von Polen wurden die Legaten aller¬
dings zuerst nicht gnädig aufgenommen, zumal
wegen der mitreisenden russischen Herren; als
aber Herberstein in offener Weise die Ehrlich¬
keit der Gesinnungen seines Herrn auseinander¬
setzte, war der König mit den weiteren Unter¬
handlungen einverstanden und zeigte sich wohl¬
wollend. Man legte die fernere Reise vom
14. Februar an über Lublin, Brest und Minsk
bis Smolensk auf Schlitten zurück und war
mancher Gefahr, namentlich auch einem heftigen
Schneesturme ausgesetzt Vielfach zeigten sich
die Russen im Lande unfreundlich; erst als
Boten, vom Zaren entgegengeschickt, mitzogen
und Herberstein energisch
auftrat wurde es besser. Am
26. April kam die Gesandt¬
schaft, unter großem Volks-
zulaufe feierlich empfangen,
in Moskau an, wo sie ihrem
Range gemäß beherbergt
und verpflegt wurde. Wieder
waren sie beim Zaren
Wassilij Iwanowitsch
(Abb. 11) zur Tafel geladen
und es gab manche Trink¬
gelage, wobei Trinksprüche
ausgebracht wurden, denen
sich Herberstein durch ver¬
schiedene Verstellungen zu
entziehen wußte. Die Ver¬
handlungen zwischen den
Polen und dem Zaren wußte
der österreichische Gesandte
günstig zü beeinflußen, ob¬
gleich Anfangs beide Teile
nicht zur Nachgiebigkeit
gebracht werden konnten.
Endlich gelang es, einen
fünfjährigen Waffenstillstand
zu erwirken. Im November
verließen die Gesandten
Moskau und wurden mit Ge¬
schenken von Zobel- und
Hermelinfellen, von anderem
edlen Rauchwerk und der¬
gleichen reich bedacht
Herberstein erhielt wiederum
als Ausdruck besonderer An¬
erkennung und Auszeichnung
ein prächtiges Ehrenkleid.
cnio.'t'rrf nrtef' ber Äßanfcr be^abf muf neben anbern %it*
h.tulilcütcn mit IK<tffrlkfittn>fcrp{ /btarn mttn juCicntr
<111 -De ff feilt
Abb. 7. Herbersteins Ritterschlag.
Holzschnitt aus der „Moscouia“ (deutsch). Wien 1557.
C/a Originalgröße.)
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Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
1 7
Am n. November trat er die Rückreise an,
die sich durch heftige Kälte und Schneestürme
gleichfalls sehr gefährlich gestaltete. In Krakau
traf er am 12. Januar 1527 ein und konnte noch,
da der ungarische König Ludwig inzwischen
in der Schlacht bei Mohacs gefallen war, die
Unterstützung des Polenkönigs zugunsten der
Ansprüche Österreichs auf Ungarn gewinnen.
Am 24. Oktober teilte er in Prag Ferdinand das
günstige Ergebnis seiner gefährlichen Reise, die
aber so erfolgreich gewesen war, mit. Allerdings
wurde Herberstein durch die Anstrengungen der
Fahrt leidend, und in Wien warf ihn sogar ernst¬
liche Krankheit darnieder. Er hatte diesmal,
schon vor Antritt der Reise, auch den Auftrag
erhalten, die Sitten und Gebräuche der Russen,
ihre Religion und die Äußerungen ihres Kultur¬
lebens sowie das Land selbst mit Aufmerksam¬
keit zu betrachten; Herberstein machte sich
auch Aufzeichnungen, betrieb Studien über Ru߬
land und die Folge war das Erscheinen seines
umfassenden, rühmlichst bekannten Werkes.
Daß Herberstein, obwohl er öfter sich zur
Ruhe zurückziehen wollte, noch für manche
wichtige Mission ausersehen ward, erweist das
früher hierüber Mitgeteilte. Seit 1553 aber wurde
der 67jährige Mann zu keiner weiteren diplo¬
matischen Reise mehr verwendet. Er hatte 1556
die Würde eines obersten Erbkämmerers von
Österreich und eines obersten Erbtruchsessen
von Kärnten verliehen erhalten und war Präsident
der niederösterreichischen Kammer geworden.
Seine bereits 1523 mit Helene von Saurau
eingegangene Ehe ist kinderlos geblieben. Noch
sollte Herberstein den ihm so gnädig gesinnten
nunmehrigen Kaiser Ferdinand, der 1564 starb, zu
Grabe geleiten. Am 22. März 1566 aber wurde
der Vielgereiste selbst diesem Leben entrückt.
Ferdinands Sohn, Erzherzog Karl von Steier¬
mark, ließ dem Hochverdienten in der St. Michael-
»ftita fo w( Mir rar «Wiir cni(paii.p/3|t.M6 cA'lotf (patt/
S(nflfr6al& iß Wt ©tot großtiiö mctt/mif W 4 ™»
3?«$ tcm $ufj oik§ gcncnt/SdMfft man auctmttStellt in tu Oc(a/t>ann in ,'
Mc'Zödaa/tmMu« ^ccr <Ja»p«ni cOcr ^rcanusn.
Abb. 8. Plan ton Moskau aut der „Moscouia" (deutsch). Wien 1557.
('/« Originalgröße.)
Z. f. B. 1904/1905. 3
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i8
Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
Abb. 9. Russisches Ehrenkleid Herbersteins.
Aus: „Graue posteritati etc.'* 1558.
('/■ Originalgröße.)
Kirche zu Wien, wo er begraben wurde, eine
Inschrifttafel setzen, die mit den Versen schließt:
Von Herberstain Herr Sigmvnd
Hier liegt, welchem Lob zu aller Stvnd
Wird seyn bey Kaysem wolbekannt,
Auch bey allen Levten in ihren Lannt
Dann er bey 4 Kaysem hat
Gelebt als getrever Diener undt Rat,
Ums Vatterlandt sich wohl verschvldt
Davon er bracht hat Ehr vndt Hvldt.
Herberstein hat eifrig auch als Schrift¬
steller gewirkt; namentlich waren es Nach¬
richten über seine Familie und seine eigene
Tätigkeit, die er in verschiedenartiger Form
veröffentlichte. Seine Selbstbiographie ist aller¬
dings erst Jahrhunderte nach seinem Tode voll¬
ständig im Drucke erschienen. Aber das be¬
deutungsvollste und für die weitesten Kreise
wichtigste Werk war die Beschreibung Ru߬
lands, die erste ausführliche Arbeit über dieses,
für ganz Westeuropa vollständig unbekannte
Gebiet, das eine Fülle von Mitteilungen nach
der eigenen Anschauung und Kenntnisnahme
der Verfassers enthält. Frühere Angaben über
dieses Ländergebiet von J. Fabri, A. Wied, Olaus
Magnus, Matthäus von Michow, Alberto Cam-
pense und etwa Sebast. Münster in seiner Cos-
mographie waren teils wenig umfangreich, teils
nur nach gewissen Richtungen weiter ausge¬
führt und für den engeren Gelehrtenkreis be¬
rechnet. Herbersteins Werk aber erregte eine
solche Aufmerksamkeit, daß bald nach dem
Erscheinen des lateinischen Originals der Ver¬
fasser selbst eine deutsche Ausgabe veran¬
staltete, in der Folge aber auch von andern
Bearbeitern solche Ausgaben so wie Über¬
setzungen erschienen.
Wir wenden uns zunächst der überaus sel¬
tenen lateinischen Originalausgabe in Folio zu,
der die Angabe des Druckortes und Druck¬
jahres fehlt. Es läßt sich aber mit Sicherheit
schließen, daß sie im Jahre 1549 zu Wien er¬
schienen ist.* Aus der nachfolgenden Beschrei¬
bung geht auch die Lösung des Zweifels hervor,
den Adelung in seinem in der zweiten Fußnote
angeführten Hauptwerke S. 320 und 321 auf¬
stellt; er kann sich nicht erklären, warum
Loretus Glareanus in seinem achten Buche des
Q. Curtius anläßlich der Besprechung der Scythen
und Sarmaten erwähnt, daß Herberstein über
diese Gebiete „duo justa Volumina edidit“. Offen¬
bar hat die doppelte Foliierung der in 2 Abtei¬
lungen zerfallenden ersten Ausgabe hierzu Ver¬
anlassung gegeben. Hier die genaue Angabe
des Titels:
RERVM MOSCO-
VITICARVM CO-
MENTARII.
IN hijs comentarijs sparsim contenta habebis
candide Lector.
Russiae & que nunc eius Metropolis est, Moscouiae
breuissimam descriptionem.
De Religione quoque varia inserta sunt: Et que nostra
cum Religione non conueniunt.
Corographiam denique totius imperij Moscici: Et vioinorum
quorundam mentionem.
Quis denique mopus excipiendi & trabtandi oratores!
disseritur.
Itineraria quoque duo, in Mosconiam sunt adiuncta.
1 Das mir vorliegende, hier beschriebene Exemplar dieser Ausgabe verdanke ich der Güte und Liberalität des
Herrn Hofbibliotheksdirektors in Wien. Es dürfte dasselbe sein, das Adelung S. 320 als ihm von Kopitar beschrieben
erwähnt. Das Exemplar ist aber offenbar später umgebunden, und es sind die Gruppen der Folienblätter umstellt worden.
Die bei Adelung erwähnten 3 Seiten Druckfehler fehlen überhaupt
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Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
«9
Auf der Rückseite dieses Titels (Abb. 4)
befindet sich das große (hier prächtig kolorirte)
Holzschnittwappen Herbersteins. Es folgt nun,
mit foL II bezeichnet, die Widmungsvorrede an
König Ferdinand; daran schließen sich fol. III
und IV: lateinische, den Verfasser verherr¬
lichende Gedichte. Dann beginnt die eigent¬
liche Beschreibung, durch ein Zwischentitelblatt
(fol. I): „Moscowia Sigismundi Liberi Baronis
in Herberstain Neyperg et Gvetenhag“ eröffnet
und bis fol. XXIX fortgeführt. Hierauf wird
ohne Zwischenblatt die Darstellung mit der
Überschrift: „Nunc chorographiam principatus
et domini magni ducis Moscoviae aggrediar“ etc.
wieder mit fol. I beginnend, bis fol. XXXVII
weitergeführt. Es folgt die gestochene Karte:
„Moscovia .. . Anno MDXLIX.“ (Abb. 5) mit
dem kleinen Wappen Herbersteins und der
Bemerkung rechts „Hane tabulam absolvit Avg.
Hirsfogel. Vie: Avs:“ etc., daran schließen sich
drei Tafeln russische Kriegsleute, Waffen, die
Schlittenreise und die sitzende Figur des Zaren
darstellend, worauf abermals der Text: „Itinera
in Moscoviam“ mit fol. V beginnt und mit fol.
XII das Ganze abschließt. — Abgesehen von
diesen letzten 12 Blättern erklärt sich also viel¬
leicht die Annahme der „duo Volumina“. Auch
die Karte und die übrigen Tafeln dieses aus¬
gezeichnet erhaltenen Exemplares erscheinen
koloriert Jedenfalls haben wir es mit einem
Widmungsbande fiir Ferdinand selbst zu tun.
Schon 1551 erschien, verbessert und heraus¬
gegeben von Wolfgang Lazius, wie der Brief
an den Verleger auf der Rückseite des Titel¬
blattes besagt, eine neue Ausgabe in Folio
bei Johann Oporinus in Basel. Auf dem Titel
findet sich auch schon der Name des Ver¬
fassers. Dieser Titel lautet:
Rerum Moscouiticarum Commentarii Sigis¬
mundi Liberi Baronis in Herberstain, Neyperg
& Guettenhag. In his Commentariis (etc. wie
in der ersten Ausgabe bis) Oratores, disseritur.
Dann folgt noch auf dem Titelblatte: „Itineraria
quoque duo in Moscouiam, sunt adiuncta. Acces-
sitetiam locuples rerum & verborum in his memo-
rabilium Index. Basileae, Per Ioannem Oporinum.“
Es folgen 3 unbz. Bll. Als Pag. 1 die sitzende
Figur des Zaren mit reicherem Beiwerk und
den lateinischen Versen als Überschrift:
Russorum Rex et Dominus sum, jure patemi
Sanguinis: imperij titulos a nemine, quauis
Mercatus prece, uel precio: nec legibus ullis
Subditus alterius, sed Christo credulus uni,
Emendicatos alijs aspernor honores.
Ferner als Pag. 2 „Ad lectorem“, worauf die
Seiten bis 175 fortlaufen und sich 9 unbez. Seiten
„Index“ anschließen. Das noch folgende letzte
Blatt enthält auf der Vorderseite abermals die An¬
gabe des Verlegers und die Jahreszahl „MDLI
Mense Julio“, auf der Rückseite das große
Herbersteinische Wappen. Von Pag. 159 beginnt,
bis Pag. 175 reichend: „PauliJoviiNovocomensis
de legatione Basilij magni Principis Moscouiae,
ad Clementem VII. Pontificem Max. Liber“
etc. Auch dieser Ausgabe ist eine, aber deut¬
lichere, in Holzschnitt ausgeführte doppelseitige
Karte: „Moscovia Sigismundi Liberi Baronis in
Herberstein, Neyperg et Gvtenhag Anno
MDXLIX“ beigegeben.
Es kann nicht die Absicht der vorliegenden
Ausführungen sein, die Titel aller erschienenen
Ausgaben und deren Beschreibung wortgetreu
wiederzugeben, zumal diese Titel vieles mitein¬
ander gemein haben. Daher sei angeführt,
Abb. xo.
Das Ehrenkleid Sultans Soliman II. für Herberstein
Aus: „Gratae posteritati etc." 1558. (*/« Originalgröße.)
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20 Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
Titel: „Rerum Moscoviticarum Commentarij,
Sigismundo Libero (sic!) authore. Russiae breu-
issima descriptio et de religione eorum varia
inserta sunt. . . Antwerpiae in aedibus Joannis
Steelsij. MDLVII. 8° 3 Bll., 198 bez. Bll,
3 S. Index, mit Karte von Rußland.
Nach der Ausgabe von 1556 abgedruckt
und mit denselben Holzschnitten wie jene ver¬
sehen, erschien in Oporins Offizin zu Basel 1571
eine Folioausgabe, die auf dem, von ihrer
Druckvorlage etwas abweichenden Titel noch
den Beisatz enthält: . His nunc primum
accedunt, Scriptum recens de Graecorum fide,
quos in Omnibus Moscorum natio sequitur: et
Commentarius de Bellis Moscorum aduersus
finitimos Polonos, Lituanos, Suedos, Liuonios
et alios gestis, adannum usque LXXI, scriptus
ab Joanne Leuuenclaio . .. Basileae ex officina
Oporiniana. 1571. fol. 327 S.
In verschiedenen bibliographischen Werken
werden noch angeführt Ausgaben: von Ant¬
werpen 1557 in fol., Frankfurt 1560, 2 Basel 1573,
Basel 1574 in fol., die aber weder Adelung noch
den übrigen, sich mit den Ausgaben der Moscovia
eingehender Beschäftigenden vor Augen ge¬
kommen sind. Dagegen enthält die Sammlung:
„Rerum Moscovitorum Auctores varii unum in
corpus nunc primum congesti . . . Francofurti
apud haeredes Andreae Wecheli, Claud. Mamium
daß, vom Verfasser selbst reich vermehrt und et Joan. Aubrium“ die 1600 in fol. erschien,
verbessert, 1556 wieder eine Neuauflage der auf Pag. 1 bis 117 den wörtlichen Abdruck
„Rerum Moscoviticarum Commentarii“ bei Jo. der Baseler Ausgabe von 1556 nebst allen
Oporinus in Basel in Folio erschien. 1 Sie um- Karten und Holzschnitten, nur noch vermehrt
faßt 205 Seiten und 16 Seiten Index und ent- durch neue verschiedene Schreiben, die auf
hält an Tafeln: die Karte Moscovia MDXLIX, Herbersteins Reisen Bezug haben und von
eine Karte von Rußland, einen Plan von Moskau, Maximilian, Karl V., Ferdinand, Ludwig II. von
die Tafeln, russische Kriegsleute und Waffen Ungarn und Sigismund von Polen herrühren,
darstellend, eine Tafel, die Schlittenreise vor- In einigen Sammlungen sind auch einzelne
führend, eine Geschlechtstafel des Hauses Öster- Bruchstücke aus Herbersteins Moscovia er¬
reich und die Ansichten des Auerochsen und schienen, die Adelung 3 anführt; es sind dies
des Bisont, alle Bilder in Holzschnitt ausgeführt Sammlungen historischer Quellen zur Geschichte
Am Schlüsse sind von Pag. 173 an bis 205 Polens.
lateinische, Herberstein verherrlichende Verse Von Wichtigkeit erscheint die erste deutsche
von verschiedenen Verfassern enthalten. Ausgabe, die Herberstein selbst als Über-
Eine recht fehlerhafte Ausgabe als Nach- Setzung verfaßt, bearbeitet und herausgegeben
druck der eben erwähnten in Oktavformat er- hat. Sie erschien 1557 in fol. und fuhrt den
schien schon 1557 in Antwerpen unter dem Titel:
1 Mit Monogramm A. H. 1547, also offenbar August Hirschvogel. Diese Tafel gestochen, die übrigen 3 Tafeln
in Holzschnitt
2 Angeblich bei Wechels Erben in Frankfurt erschienen, also im Verlage des unten erwähnten Textes von 1600.
3 Von Adelung genau beschrieben a. a. O. S. 324 ff.
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Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
21
Moscouia der Hauptstat
in Reissen, durch Herrn Sigmun¬
den Freyherm zu Herberstein. Neyperg und Gueten-
hag Obristen Erbcamrer, und öbristen Erbtruckhsessen in Kärtn,
Römischer zu Hungern und Beheim Khü. May. e. c. Rat, Camrer und Presi¬
denten der Niederösterreichischen Camer zusamen getragen.
Sambt des Moscouiter gepiet, und seiner anrainer
beschreibung vnd anzaigung, in weu (sic!) sy glaubens
halb, mit vns nit gleichhellig.
Wie die Potschaflften oder Gesanten durch sy em-
phangen vnd gehalten werden, sambt zwayen vnder-
schidlichen Raisen in die Mosqua.
Mit Rö. Khü. May. gnad und Priuilegien
Getruckht zu Wienn in Osterreikh durch Michael
Zimmermann in S. Anna Hoff.
1557 .
darstellend, 13. das Wappen des Ver¬
legers. — Meiner Ansicht nach sind die
mit (?) bezeichneten Holzschnitte dem
von Adelung benutzten Prachtexemplare
der deutschen Moscovia aus der Biblio¬
thek des russischen Reichskanzlers Graf
von Romanzoff willkürlich beigegeben,
zumal dieses Buch wahrscheinlich ein
F amilienst ück der N achkommen Herber¬
steins gewesen ist, wie Adelung angibt.
Die sechs Holzschnitte, die Herberstein
in den Fest- und Ehrenkleidern dar-
Die i te , 2 te , 7 le , io tc , I3 te und i6 te Zeile des stellen, finden sich namentlich in den eingangs bei
Titels (Abb.6) ist rot gedruckt. Der Band besteht Aufführung der Literatur erwähnten selbstbio-
aus 24 mit A bis Zij bezeichneten Bogen ohne graphischen Schriften Herbersteins 3 : „Gratae
Seiten- oder Blattbezeichnung. Die Holzschnitt- posteritate“ etc. von 1558 und „... seines Tuens,
tafeln scheinen in den Exemplaren verschieden Diensten und Raysens“ von 1559 und sind wohl
zu sein T , auch dürften sie sich nicht in jedem für diese hergestellt worden (Abb. 9 und 10).
Exemplare an derselben Stelle im Buche finden. Merkwürdigerweise ist 1563 wieder eine
Nach Adelungs Exemplare sollen folgende Folioausgabe zu Basel erschienen, deren Über-
Tafeln und blattgroße Holzschnitte vorhanden Setzung nicht von Herberstein herrührt; daß der
sein] 2 : 1. das Holzschnittbild Herbersteins von Übersetzer, wie Adelung annimmt, Herbersteins
1547. (?), 2. die Hirschvogelsche Karte (?), Übertragung von 1557 gar nicht gekannt hat,
3. die Holzschnittkarte Moscouia 1557, 4. der
Grundriß Mosqua (Abb. 8), 5. das Bild des
Zars auf dem Throne (Abb. 11) von 1556
mit Versen, welche jenen der lateinischen
Ausgabe entsprechen:
Ich bin der Reissen Herr vnd Khünig
Meines Andlichen Erbs benuegig
Hab von nyembt nichts erbetn noch gekhaufft
Bin in namen Gottes ain Christ getaufft
6. ein moskovitischer Reiter mit der Über¬
schrift: „der Moscouiter Rüstigung“ usw.,
7. das Herbersteinische Wappen, 8. sechs Holz¬
schnitte, Herberstein in den bei feierlichen Ge¬
legenheiten getragenen und erhaltenenKleidern
vorstellend (?), 9. der Stammbaum des öster¬
reichischen Hauses, 10. ein Blatt, Herbersteins
Reisen und die von ihm besuchten Fürsten
darstellend, 11. zwei Blatt mit vier Szenen aus
Herbersteins Studien- und Kriegszeit, 12. drei
Holzschnitte, die Schlittenreise (Abb. 12),
Waffen und Sättel, drei russische Reiter
1 A. a. O. S. 337 und 338.
* Mir liegen zwei Exemplare, jenes der Grazer Uni¬
versitätsbibliothek und jenes der steirischen Landes¬
bibliothek vor; beide weichen in den Tafeln von einander
und von dem Exemplar, das Adelung beschreibt, ab.
3 Die in den mir vorliegenden Exemplaren fehlen¬
den Tafeln sind oben mit (?) bezeichnet
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22
Schlossar, Sigmund von Herberstein und »eine „Mo*covia“.
Sela Cccfär, Sartorius, <Jtta ,
Stütz bu)csef, tjvfcj, IHLclcicu, Gjfcturna', Qtobus.
Corxla,,£upi,Surrar, SigTWf Jh^tjiaySi^tra, Corenut,
d~C erberjtexrüaca: sunt j?ia re Ca, C&omius .
rtfSL" T *, ** ‘ * ‘;:^U >■
__
Abb. 13. Herbersteinsches Exlibris, etwa Mitte des XVIII. Jahrhunderts.
(Vt Originalgröße.)
ist aber doch wohl nicht anzunehmen. Der
ungemein lange Titel sei hier gekürzt und nur
mit Anführung der bezeichnenden Stellen des¬
selben wiedergegeben:
„Moscouiter wunderbare Historien: In welcher
daß treffenlichen Grossen land Reüßen, sampt
der Hauptstatt Moscauw, vnd anderer namm-
hafftigen vmligenden Fürstenthumb vnd stetten
gelegenheit, Religion, vnd seltzame gebreüch ...
begriffen; so alles bißhär bey vns in Teütscher
nation vnbekandt gewesen. Erstlich durch ...
herren Sigmunden Freyherm zu Herberstein. •.
zu latein beschrieben: Jetz ... zu ehren ... dem
Herren Johann Graven zw Nassaw etc. durch
Heinrich Pantoleon .... zu Basel, auff das
treuwlichest verteütschet . . .
Gedruckt zu Basel Anno 1563."
Am Schlüsse des Buches steht
der Name der Drucker: „Ge-
truckt zu Basel bey Niclauß
Brillinger vnnd Marx Russinger
1563.“ Titelbl. und 6 unbez. Bll.
Vorrede usw., sodann 225 rö¬
misch paginierte Seiten und 3
unbez. Bll. Register. — An Holz¬
schnitten und Tafeln enthält
der Band: auf der Rückseite des
Titels die Figur des sitzenden
Zars mit der Jahreszahl 1551,
der Überschrift: „Moscouiten
Großfürst“ und sechs Vers-
zeilen: „Der Reüssen Künig
vnd Herre gut“ usw., ferner die
Karten doppelter Formatgröße
von Rußland mit der Über¬
schrift: „Erste Landtaffel“ usw.,
„Andere Landtaffel“ usw. (be¬
sonders auch waldiges Gebiet
dargestellt), „dritte taffel: In
welcher die statt Moscauw...
begriffen,“ Seite CXXIV und
CXXV die blattgroßen Ab¬
bildungen des Bisont und des
Auerochsen, Seite CLXXII drei
gerüsteten Moscoviten, Seite
CLXXIII oben die „Schlitten-
farung“, darunter gesattelte
Pferde, und Seite CLXXIV
Waffen und Kriegsrüstungen:
alles ist in Holzschnitt aus-
gefuhrt.
Neuerlich ist H. Pantaleons Ausgabe in fol.
auch 1567 im gleichen Verlage, am Schlüsse
mit dem Druckvermerk: „Getruckt zu Basel bey
Niclauß Billinger erben vnnd Marx Russinger
1567“ erschienen. Sie weist im Titel einige
Abweichungen und einen längeren Beisatz, be¬
treffend die „völekeren, so zu ringharum an die
Moscouiter stossend“ auf, auch ist die Stelle
„zu ehren ... bis Graven zu Nassaw“ der Aus¬
gabe von 1563 weggelassen. — Diese spätere
Ausgabe hat 5 unbez. Bll. Vorrede etc., 246
römisch paginierte Seiten und 5 unbez. Seiten
Register. Die Karten und übrigen Holzschnitte
sind dieselben wie in der eben beschriebenen
Ausgabe.
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Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia 11 .
23
dinandus Josep hiär'S: JK.il. Comds ab
X M tn Neuberg, & GueHenhaaa, 3)yna$\a
c^Mova Jim ad (Dolrram JuerroiUrtue
ac iDapifer Cartnihur. Ord* S.Z&s&iiftrosoM
dolor Qrpbnicy, &£ (Magno Jinfy Sac Caxr iMdlur
\nsihariur Status, JtuUr MarrschuzUur ‘Jdt Jt(jralu
Abb. 14. Exlibris des Grafen Joh. Ferd. von Herberstein.
Aus dem XVIII. Jahrhundert, (*/» Originalgröße.)
Von den übrigen deutschen Aus¬
gaben finden sich noch, alle in fol.:
eine in Prag 1567 erschienene, mit
der eben erwähnten Baseler voll¬
kommen übereinstimmend, eine „die
Moscovitische Chronika“ etc. in
Frankfurt 1576 und dann daselbst
1579 erschienen. An verschiedenen
Stellen erwähnt werden ferner: eine
weitere Frankfurter Ausgabe von
1589 und eine Wiener Ausgabe von
1618. Eine Ausgabe endlich, die
letzte nach Pantaleons Übersetzung
von 1567, hat Kaiserin Katharina II.
von Rußland 1795 zu St. Petersburg
veranstalten lassen. Es wurden ein¬
getretener Verhältnisse wegen nur
wenige Exemplare der erst 1804
fertig gedruckten Ausgabe ediert, so
daß sie zu den großen Seltenheiten
zählt. 1
Was die Übersetzung in andere
Sprachen betrifft, so liegen nur zwei
vor. Die erste derselben ins Italieni¬
sche ist merkwürdigerweise kurz
nach der Publikation des lateinischen
Originals 1550 erfolgt und fuhrt den
(gekürzten) Titel: „Commentari della
Moscovia, et delle altre cose belle
e notabili... per il signor Sigismondo
libero Barone in Herberstain .. . tra-
dotti nouamente di latino in lingua
nostra uuolgare Italiana. Simelemente
vi si tratta della religione delli Moscouiti“ etc.
In Venetia per Gisan Battesta Pedrezzano . . .
MDL. 4 0 80 Bll. sechs Holzschnitte und eine
Karte. Diese Übersetzung findet sich außer¬
ordentlich selten.
Die zweite Übersetzung von Herbersteins
Werke und zwar ins Englische, die keiner der
genannten Bio- und Bibliographen zu kennen
scheint, hat die Hakluyt Society im Jahre 1852
herausgegeben. Sie führt den Titel: „Notes
upon Russia: being a translation of the Earlist
Account of that Country, entitled Rerum Mos-
coviticarum Commentarii by the Baron Sigis¬
mund von Herberstein ... Translated and edited
by R. H. Major of the British Museum. London.
Prindet for the Hakluyt Society. 1851. 2 Voll.
8°, Vol. 1 enthält ein Titelbild mit Herber¬
steins Bildniß im Staatskleide als Gesandter
„from an Original Drawing in the Grenville
Library“ und Vol. 2. Wiedergaben des Zaren¬
bildnisses, des Planes Moscovia und der Karte
Moscovia 1549 aus den alten Ausgaben.
Noch sei schließlich erwähnt, daß ein Aus¬
zug aus dem Werke Herbersteins in tschechischer
Sprache unter dem Titel: „Zygmund swobodneho
Päna z. Herbersteina cesta do knjzestwj
Mockewsköho“ der tschechischen Übersetzung
von Guagninis ursprünglich lateinisch verfaßten
Moskauer Chronik, welche Matthäus Hosya von
Hohenmaut übertragen hat, durch den Heraus¬
geber F. F. Prochäzka, beigegeben wurde.
Prag 1786.
x Ausführliches därüber bei Adelung a. a. O. S.
364-367.
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24
Schlossar, Sigmund von Herberstein und seine „Moscovia“.
Man muß, um den Wert und die Wichtig¬
keit dieser ersten ausführlichen Schilderung
Rußlands, seines Landes und seiner Bewohner
welche Herberstein verfaßt hat, beurteilen zu
können, in Betracht ziehen, daß dieses ganze
Gebiet dem übrigen Europa ein völlig fabel¬
haftes war, über das die verschiedensten aben¬
teuerlichen Meinungen herrschten, — daß dieses
Buch zum ersten Male nach der eigenen An¬
schauung eines gelehrten Reisenden, dem auch
die Kenner im Innern des Landes als vornehmer
Persönlichkeit gern mit ihren Mitteilungen zur
Verfügung standen, niedergeschrieben worden
ist und umso eingehender, als Herbersteins Herr,
Kaiser Ferdinand, selbst gewünscht hatte, daß
den Verhältnissen in Rußland besondere Auf¬
merksamkeit von seinem Gesandten zugewendet
werden möge. Für lange Zeit bildete daher
das Werk die grundlegende Arbeit über das
russische Gebiet und dessen Zustände.
Herberstein beginnt seine Arbeit mit einigen
Bemerkungen über die russische Sprache und
wendet sich sodann der Geschichte der Mos-
coviter und ihrer Herrscher zu. Ein reiches
Kapitel ist der Religion und der Geistlichkeit
gewidmet, sowohl in ihrer Gliederung als auch
mit Bezug auf die Kultushandlungen selbst,
namentlich schildert es die Beichte, die Taufe,
Abb. 15.
Heutiges Gräflich Herbersteinsches Wappen.
die Fasten, die Ehe, das geistliche Gericht.
Er wendet sodann Übungen und Gebräuchen
des Volkes und der Fürsten seine Aufmerk¬
samkeit zu, schildert das Münzwesen, Handels¬
artikel und dergleichen. Die sich daranschließende
geographisch-topographische Beschreibung mit
der Stadt Moskau, „Mosqua“, beginnend, umfaßt
alle bemerkenswerten Orte, Schlösser, Flüsse
und Gegenden. Es folgt die Schilderung der
einzelnen Fürstentümer, ein Kapitel über die
Tartaren, wieder reich an historischen Daten,
sodann ein solches über Litauen und eine
Schilderung des Empfanges der Botschafter
durch die russischen Fürsten, wobei Herberstein
oft Gelegenheit findet, seiner eigenen Reise
und der Abenteuer derselben zu gedenken.
Die eigentliche Beschreibung seiner Reisen „in
die Mosqua“ und der Rückreise und zwar zu¬
nächst der ersten Reise von 1517 und sodann
der zweiten von 1526 bilden den Abschluß dieses
für die damalige Zeit staunenswert genauen
Werkes, dessen große Verbreitung, namentlich
in der Übersetzung, daher sehr begreiflich er¬
scheint. Nicht recht erklärlich ist es nur, daß
nicht auch eine russische Übersetzung, etwa mit
Bemerkungen eines Kommentators, bisher heraus¬
gegeben wurde. Daß Herberstein auch manche
sagenhafte und mythische Meinungen über
femliegende Völkerschaften des russischen
Reiches als wirkliche Zustände dargelegt
hat, wird man ihm bei dem damaligen Stande
der Naturwissenschaften und der ethno¬
graphischen Kenntnisse um so weniger ver¬
übeln können, als die größten Gelehrten jener
Tage noch vielfach in solchen Anschauungen
befangen waren und ja der Verfasser nicht
jedes Gebiet des ungeheuren Landes selbst
betreten hat, sondern vielfach seinen für ver¬
läßlich gehaltenen Gewährsmännern folgen
mußte.
Obwohl es von großem Interesse wäre,
auch der übrigen Schriften, die Herberstein
herausgegeben hat, zu gedenken, so sei doch,
um nicht allzu weitläufig zu erscheinen, hier
davon abgesehen. Es liegt eine Zahl solcher,
namentlich seine Familie betreffenden Druck¬
werke von Herberstein vor, die jedoch zu¬
meist seine Rußlandsfahrten nicht erwähnen.
Dagegen sind diese Reisen behandelt in
der Eingangs citierten, von Karajan 1855 in
ihrem wortgetreuen Texte herausgegebenen
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Schlossar, Sigmund Herberstein und seine „Moscovia“.
f r/uT*nt .
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Abb. x6. Exlibris des Freiherrn Veit Sigismund von Herberstein
mit handschriftlichen Einzeichnungen desselben. Aus dem Anfang des XVII. Jahrhunderts.
(V* Originalgröße.)
Selbstbiographie des merk¬
würdigen Mannes, die bis
zum Jahre 1553 fortgefiihrt
ist und jedenfalls eines
der fesselndsten Memoiren¬
werke jener Zeit genannt
werden kann. Daß Herber¬
stein als kühner Reisender
und hervorragender Staats¬
mann im Dienste seiner
Monarchen oft und ver¬
schiedenartig in lateini¬
schen Versen von zeit¬
genössischen Poeten. be¬
sungen wurde, erweisen
schon die diesbezüglichen
Andeutungen meiner obi¬
gen Beschreibung der Mos-
covia in ihren verschiedenen
Ausgaben. Er hat diese
Verse mit Vorliebe seinen
Ausgaben des Werkes bei¬
gefügt, Findet sich doch
in der ersten Ausgabe der
„Rerum Moscoviticorum
Commentarii“ von 1549 so¬
gar ein Gedicht, das Herber¬
stein selbst verfaßt haben
soll und das in Kürze sein
Leben erzählt
Da am Schlüsse noch
einiger Herbersteinscher
Exlibris gedacht werden
soll und, wie wir gesehen
haben, in den verschie¬
denen Werken Sigismunds
von Herberstein häufig
dessen Wappen abgedruckt ist, so mögen über
dieses noch einige Angaben folgen. Das ur¬
sprüngliche alte Wappenbild erinnert an die
mit Ackerbau beschäftigten Vorfahren des
Mannes, der ohne allen Adelsstolz in seinen
Aufzeichnungen dieser schlichten Männer und
auch der ersten ritterlichen Ahnen gedenkt,
welch* letztere er seiner Bemerkung nach „nit
darumb beschriben, das ich mich des Adels
von der gebürt so hoch Ruemen wollte.
Dann der lob des Adls ist nuer deren, die
dem namen vnnd Adelichen herkhomen im
thun vnnd leben sich vergleichen.“ Es ent¬
hält dieses Wappen (Abb. 15) also zunächst
Z. f. B. 1904/1905.
einen aufrecht gestellten weißen Pflugsparren (auf
welchem der Pflug ruht, wenn er zum oder vom
Acker geführt wird) in rotem Felde. Im Jahre
1409 wurde das Wappen der ausgestorbenen
Familie von Hag, ein goldenes Pferdekummet,
durch Herzog Emst hinzugefugt undimjahre 1522
durch Karl V. ein längs herab geteilter roter
Schild, in dem rechts ein goldener Turm mit zwei
Fensteröffnungen und einem Tore, links ein
weißer Querbalken (das vereinigte österreichische
und kastilianische Wappen) enthalten sind. Fer¬
dinand I., fugte 1542 hinzu das Neidbergsche
Wappen, einen wütenden weißen Wolf in einem
mit goldenen Menschenherzen besäeten schwarzen
4
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26 Schlossar, Sigmund Herberstein und seine „Moscovia".
Felde. Außer dem Herzschilde mit dem weißen
Sparren im roten Felde wiederholt sich jedes
der übrigen Nebenwappen. Eine besonders be¬
zeichnende Ehrung der Verdienste Sigmunds von
Herberstein bildet die Krönung des Wappen¬
bildes. Sie besteht in fünf offenen gekrönten
Tumierhelmen. Den ersten Helm deckt ein
spitziger, hoher, goldener Hut mit einem Über¬
schlag von weißem Pelzwerk und mit einem
Busche von roten Adlerfedern. Der zweite Helm
zeigt einen wachsenden gekrönten König in
silberner Rüstung, der in der Rechten ein
bloßes Schwert, in der Linken vier goldene
Zepter hält, der dritte (mittlere) Helm in ähn¬
licher Weise den römischen Kaiser im Krönungs-
omat mit Reichskrone, Zepter und Reichs¬
apfel. Auf dem vierten Helme ist wieder in
ähnlicher Stellung der russische Herrscher, ein
Mann in roter moskovitischer Kleidung mit
einer hohen Pelzmütze bedeckt, in der rechten
Hand drei silberne Pfeile, deren Spitzen nach
aufwärts gekehrt sind, in der linken einen Bogen
haltend. Über dem fünften Helme erhebt sich
der aufsteigende weiße Wolf mit hervorgestreck¬
ter Zunge, hinter dem ein ausgebreiteter, mit
goldenen Herzen bestreuter schwarzer Adlerflügel
sich befindet. Die Helmdecke zu beiden Seiten
ist weiß und rot gemengt. Das Bild des Königs
(von Spanien) und des römischen Kaisers soll
die Dienste andeuten, die Sigismund von Her¬
berstein vier Herrschern geleistet hat; das Bild
des moskovitischen Zars deutet auf die Gesandt¬
schaftsreisen nach Rußland, durch die Herber¬
stein besonders die Aufmerksamkeit der gebil¬
deten Welt auf sich gelenkt hat. In den be¬
schriebenen Wappenfeldem finden sich übrigens
an verschiedenen Orten auch wohl kleinere
Abweichungen, so namentlich in der Zahl der
länglichen Fenster, der zinnengekrönten Türme
und in der Zahl der goldenen Herzen im
schwarzen Felde. Öfter wendet Sigmund von
Herberstein nur das einfache Wappen mit dem
Sparren im roten Felde an, mitunter auch das
vierfach geteilte Wappen, in dem der Sparren¬
schild und der Turmschild zweimal Vorkommen,
während der Wolf mit dem Herzen und das
Pferdekummet in je einem eigenen Schild unter
dem Hauptschilde sich befinden. So ist auch
das Wappen im Steirischen Wappenbuche des
Zacharias Bartsch von 1567 abgebildet. Spätere
Darsteller haben die Figur dieses Kummets
mißverstanden, und es finden sich in den
heraldischen illustrierten Werken der neuen Zeit
außerordentliche Mißgestaltungen dieser Figur,
die bald hutförmig, bald schraubenförmig oder
in Form eines umgekehrten Fragezeichens er¬
scheint, kurz ersehen läßt, daß der Zeichner
des Wappens durchaus nicht gewußt hat, um
was es sich hier handle.
Ich komme schließlich auf die Verwendung
dieses Wappens als Bibliothekzeichen . Aller¬
dings liegt mir kein solches Exlibris vor, das
Sigmund von Herberstein selbst benützt hätte.
Wohl aber sind in verschiedenen Büchern, die
späteren und zwar sowohl freiherrlichen als auch
gräflichen Gliedern dieses berühmten Ge¬
schlechtes angehören, solche Eignerzeichen mit
Herbersteinschen Wappen von mir gefunden
worden, deren noch gedacht werden möge, ob¬
wohl es sich um eine viel spätere Zeit handelt.
Zunächst sei ein Exlibris-Wappen in Holzschnitt
erwähnt, das mit jenem des steiermärkischen
Wappenbuchs übereinstimmt. Es befindet sich
in einem Exemplare der „Biblia Sacra“ in fol,
die, emendiert und mit Marginalien versehen, An¬
dreas Osiander zu Tübingen herausgegeben hat
(Tubingae. Exofficina Gruppenbachiana. 1606).
Der einstige Eigentümer des Buches, Freiherr
Veit Sigismund von Herberstein, hat das Ex¬
librisblatt selbst mit handschriftlichen Be¬
merkungen versehen (Abb. 16). Das Buch ge¬
währt ein besonderes historisches Interesse, da
es an die Zeit vor der Gegenreformation in
Steiermark erinnert, in welcher der größte Teil
des steirischen Adels der evangelischen Religion
anhing; namentlich die Herbersteiner waren
eifrige Protestanten und so auch der erwähnte
Freiherr Veit Sigismund. Er gehörte der schon
ausgestorbenen Wildhausschen Linie des Ge¬
schlechtes an und war als Verordneter der
Stände in Steiermark Vorsitzender derselben.
Er besaß 1625 das Schloß Wildhaus; vor 1611
machte er sechs Jahre lang größere Reisen, viel¬
leicht um den Anfeindungen gegen die Prote¬
stanten in seiner Heimat zu entgehen. Unter den
erwähnten handschriftlichen Bemerkungen auf
diesem Exlibris findet sich die Angabe: „Sexto
anno post reditum ex peregrinatione sua sexenni
per Germ. Belgium, Angliam, Galliam, Italiam.
Anno 1611.“ Freiherr Veit Sigismund starb 1637.
Ganz verschieden von diesem Exlibris-Blatte
ist ein solches aus späterer Zeit in einem
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Schlossar, Sigmund Herberstein und seine „Moscovia“.
2 7
Exemplare des Buches „Von Kayserlichen
Kriegßrechten ... von L. Fronsperger“ (Frank¬
furt a. M. 1616.) foL Das Blatt (Abb. 14) ist in
Kupfer gestochen und war nach seiner Größe
nur für große Quart- oder Foliobände bestimmt.
Es zeigt das große Herbersteinsche Wappen
mit den 7 Feldern, hinter dem die 8 Spitzen
des Johanniterordenskreuzes hervorragen, und
darunter gestochen den vollen Namen des ein¬
stigen Bucheigentümers: „Joannes Ferdinandus
Josephus S. R. J. Comes ab Herberstein, L. B.
in Neuberg & Guettenhaag, Dynasta in Lon-
cowitz, & Nova Arce ad Dobram Haereditarius,
Cammerarius ac Dapifer Carinthiae. Ord. if S.
Jois. Hyerosol ni Eques“ usw. Beigefügt sei,
daß Graf Johann Ferdinand, geboren 1663,
gestorben 1721, als General gegen die Türken
unter Prinz Eugen tapfer kämpfte und später
als Hofkriegsrats - Vicepräsident dem Staate
diente, auch einer der ausgezeichnetsten Krieger
seiner Zeit war. Das Wappen dieses Exlibris
ist aber schon fehlerhaft, und das Pferde¬
kummet ist in der schraubenförmigen Figur
nicht zu erkennen.
Ein späteres, sehr schön gestochenes, aber
auch den erwähnten Fehler aufweisendes Ex¬
libris-Wappen rührt von dem Grazer Stecher
C. Dietell her (Abb. 13). Es enthält zwar den
Namen des Eigners nicht, ist jedoch, fast folio¬
blattgroß, in einem Exemplar der „Moscouia“
von 1557 eingeklebt. Unter dem Wappen stehen
die folgenden lateinischen Distichen:
Tela, Arcus, Galeae, Rex, Caesar, Tartarus, Alae
Stiva bidens, Enses, Helcia, Pluma, Globus,
Corda, Lupi, Turres, Signa, Sceptra, Coronae,
Herbersteiniacae sunt pia vela Domus.
Es erhellt aus dem Worte „Helcia“ übrigens,
daß der Verfasser dieser Verse die Bedeutung
der im Stiche entstellten Figur als Pferdekummet
ganz wohl gekannt hat. Jedenfalls erweist dieses,
aus dem Nachlasse eines Herberstein rührende
Buch, das der Vorfahr Freiherr Sigmund verfaßt
hat, die Pietät, die auch die Nachkommen dem
berühmten Reisenden ihres Geschlechtes ent¬
gegengebracht haben. Bemerkenswert erscheint
ferner, daß das früher erwähnte gestochene
Exlibris-Wappen auch ohne Angabe des be¬
treffenden Eigentümers des Herbersteinschen
Geschlechtes vorkommt, wohl aber unter dem
Wappenbilde ein Raum zur Einfügung des be¬
treffenden Namens usw. freigelassen ist, der
jedoch in mir vorgekommenen Exemplaren
nicht ausgefüllt wurde. Uber den Kupferstecher
Christof Dietell ist nur bekannt, daß er zwischen
1723 und 1756 lebte (vergl. J. Wastlers Stei¬
risches Künstler-Lexicon. Graz 1883. S. 14 u. 15)
und verschiedene Ansichten von Graz und aus
Steiermark sowie Bildnisse steirischer Herzoge,
verschiedener Heiligen und dergleichen gestochen
hat, die Wastler in seinem Lexikon einzeln ver¬
zeichnet. Da dieses Exlibris - Blatt sich nicht
in dem Verzeichnisse befindet, bildet seine Er¬
wähnung und Beschreibung hier eine Ergänzung
des Lexikons.
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Otto Friedrich Gruppe.
Zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages am 15. April 1904.
Von
Dr. Leopold Hirschberg in Berlin.
las Faksimile, das auf nebenstehender
Seite (Abb. 2) geboten wird, ist in
mehrfacher Beziehung interessant.
Zunächst bildet es ein Dokument zur Geschichte
des Jungen Deutschland“, unterzeichnet von
zweien seiner Hauptführer, Karl Gutzkow und
Ludwig Wienbarg\ Es ist
der Redaktions-Briefbogen
einer Zeitschrift, deren
ersten beiden Nummern
wohl gedruckt worden,
aber nie erschienen sind.
Der Verleger der geplan¬
ten „Deutschen Revue“,
K. Löwenthalva Mannheim,
ist ein Märtyrer unter den
deutschen Buchhändlern;
wegen des bei ihm 1835
erschienenen, viel bespro¬
chenen konfiszierten Gutz-
kowschen Romans „Wally,
die Zweiflerin“ saß er lange
im Gefängnis. Schließlich
ist ein so schönes Auto¬
gramm Gutzkows aus die¬
ser Zeit immerhin ein
der Reproduktion würdiger
Gegenstand; es stammt
aus dem von der Witwe
Gruppes mit liebevollster Sorgfalt gehüteten und
mir gern zur Verfügung gestellten reichen Nach¬
laß des Dichters. Endlich aber zeigt uns der
Inhalt, daß Gutzkow, der scharfe kritische
Gutzkow, von des Adressaten „bedeutender
schriftstellerischer Stellung“ spricht; und dieser
Adressat ist ein heute kaum dem Namen nach
bekannter, unverdient in Vergessenheit ge¬
ratener deutscher Dichter: Otto Friedrich Gruppe
(Abb. 1).
Des Dichters frühe Jugendzeit, die er in
Danzig, seiner Geburtsstadt, verlebte, ist eine
glückliche und sonnige gewesen. Der Vater
war ein wohlhabender Kaufmann, der dem
einzigen Sohne eine in jeder Hinsicht treff-
Abb. 1. Nach einer Photografie von O. Roloff in Berlin.
liehe Erziehung angedeihen lassen konnte.
Durch den langen Krieg aber, während dessen
Danzig zweimal belagert wurde, gestalteten sich
die Verhältnisse des Vaters so ungünstig, daß
der junge Berliner Student der Philologie und
Philosophie — er war im Alter von etwa
20 Jahren nach Berlin
übergesiedelt — nur sehr
geringe Zuschüsse von
Hause erhalten konnte und
frühzeitig an den eignen
Verdienst denken mußte.
Aber über diese Miseren
des Lebens half ihm sein
glückliches Naturell hin¬
weg; sein heiterer optimisti¬
scher Charakter, seine per¬
sönliche Bedürfnislosigkeit,
die ihm bis an sein Ende
treu blieben, gaben ihm
Lebensmut und Freude zu
rüstiger Arbeit. Und so
atmen auch seine Briefe
in die Heimat, von denen
die Vossische Zeitung 1898
(Nr. 201, 213, 235, 247)
eine Anzahl veröffentlicht
hat (unter dem Titel »Berlin
vor siebzig Jahren “), jene
harmlose Freude an dem, was ihm zu ge¬
nießen vergönnt war, sein Streben nach allem
Großen und Edlen.
Gruppes literarische Tätigkeit begann ziem¬
lich früh und bewegte sich von Anfang an in
allen den Richtungen, die er sein ganzes Leben
hindurch verfolgte: in der dichterischen, der philo¬
logischen, der philosophischen und kritischen.
Seine Tätigkeit als Forscher auf dem Gebiete
der antiken Literatur gebührend zu beleuchten,
muß einem Philologen von Fach überlassen
bleiben; bezeichnend für Gruppes Fleiß und
Streben erscheint aber seine erfolgreiche litera¬
rische Fehde mit dem Germanisten Karl Lach -
mann . Auch seine philosophischen Arbeiten
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Abb. 2. Faksimile der Handschrift Gutzkows auf einem Redaktionsbogen der nie erschienenen „Deutsche Revue**.
An Gruppe adressiert.
30
Hirichberg, Otto Friedrich Gruppe.
können hier nur soweit berücksichtigt werden,
als sie in das Gebiet der Poesie hineinragen.
In seiner Eigenschaft als Kunstkritiker, zu der
er bei seiner Vielseitigkeit besonders berufen
war, verdiente er sich die ersten Sporen bei
dem von Simrock redigierten „literarischen
Oppositionsblatt“, der „ Berliner Staffette “, die
in den Jahren 1828 und 1829 erschien. Im
Kaffee- und Weinhause wurden Scherze und
Tollheiten gemacht, die am andern Tage ge¬
druckt erschienen. „Ich heiße nur der künst¬
lerische Teil der Staffette oder Otto Friedrich,
jetzt Otto Fritz, oder Grüppchen oder Professor
Sternschnuppe; alles, was von Kunst in Berlin
geschieht, muß sich um meine Gunst bewerben,
denn es muß auf Gnade und Ungnade durch
meine Hände, meine Feder“, berichtet Gruppe
an seine Eltern. Aus dieser Zeit regster publi¬
zistischer Tätigkeit schreibt sich auch seine
Bekanntschaft mit fast allen bedeutenden
Dichtem und Künstlern, die in Berlin lebten,
her, mit Chamisso , Simrock , Fra?iz Kugler ,
Willibald Alexis u. a. Ein väterlicher Freund
wurde ihm Gubitz , der ihn als Kunstkritiker
für seinen „Gesellschafter“ engagierte. Seine
Kunstausstellungsberichte vom Jahre 1830 liest
man noch heute mit Vergnügen. Eine kleine
literarische Kuriosität möge hier bei dieser Ge¬
legenheit der Vergessenheit entrissen werden,
weil sie ein vortrefflich ausgeführtes, von Gubitz
gestochenes Karikatur-Porträt unseres Dichters
enthält. Gruppe polemisierte in der Nummer
vom 25. Januar 1830 des „Gesellschafters“ gegen
die Kunstzeitschrift „Hesperus“, die Dresden
allein für tonangebend in Sachen der Kunst
erklärte. Er kommt dabei auf die Annäherung
von Künstlern und Kunstkritikern zu sprechen
und fügt ein allerliebstes Bildchen seines Freundes,
des Münchener Malers Joseph Petzei , bei, auf
welchem dieser und Gruppe, sich gegenseitig
„anfeuernd“, dargestellt sind. Simrock hat ein
paar drollige Reime dazu geschrieben.
War die Staffetten-Arbeit mehr eine Er¬
holung, und konnte der junge lebensfrohe Dichter
bei ihr seiner satirischen Laune oftmals die Zügel
schießen lassen, so waren die Aufsätze, die er
1828 und 1829 fiir das y) Berliner Kunstblatt
lieferte, durchaus ernster und wissenschaftlicher
Natur. Diese Zeitschrift, die nach zweijährigem
Bestehen wieder einging, war das Organ der
Akademie der Künste und wurde von deren
Sekretär herausgegeben. Die Berichte über die
Kunstausstellung hat Gruppe bis zum Jahre 1862,
wo er Sekretär der Akademie wurde, fortlaufend
für die verschiedensten Zeitungen geliefert,
zuletzt für die „Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung“.
Als größere selbständige, noch heute maßgebende
Monographie muß die umfangreiche Arbeit „Carl
Friedrich Schinkel und der neue Berliner Dom“
(Berlin 1843) hervorgehoben werden.
Aber auch als Dichter trat Gruppe bald auf
den Plan; in seinem ersten Werke noch anonym.
Er hatte sich von dieser philosophisch-poetischen
Satire, wenig oder gar nichts versprochen, so
wenig, daß er es nicht einmal für nötig er¬
achtete, den Eltern von diesem Erstgeborenen
seiner Muse Mitteilung zu machen. Erst die
Folgezeit belehrte ihn, daß er mit glücklichem
Geschick eine brennende Tagesfrage in an¬
mutiger Form auf das Tapet gebracht hatte.
Es waren „Die Winde oder ganz absolute
Konstruktion der Tieueren Weltgeschichte durch
Oberons Horn gedichtet von Absolutulus von
Hegelmgen“, ein Werkchen, das Ende 1827
in Leipzig erschien (Abb. 3), offenbar gleich,
des Scherzes wegen oder um die Aufmerksam¬
keit nachdrücklicher darauf zu lenken, mit der
Bezeichnung „ Zweite Auflage“ versehen. Auf
den Erfolg wurde der Verfasser erst von dritter
Seite, von dem Philologen und spätem Direktor
des Joachimsthalschen Gymnasiums Memeke ,
aufmerksam gemacht. Gruppe schreibt am
27. Februar 1828:
„Gestern begegnete mir Meineke, nahm mich sehr
angelegentlich bei Seite, und ganz voller Freude sagte
er mir: ,Ich habe Ihnen viel Angenehmes zu sagen,
Sie aber müssen mir etwas schenken.* Ich stutzte und
wußte schlechterdings nicht, was er meine; darauf sagte
er: ,Nun, Sie haben ein Buch herausgegeben, das den
höchsten Beifall der feinsten Kenner erlangt hat und
unter den gebildeten Leuten reißend gelesen wird.*
Jetzt verstand ich ihn. Vor einem Vierteljahr nämlich
ist von mir in Naucks Verlag eine satyrische Komödie
in Leipzig gedruckt worden, welche die Hege Ische
Philosophie auf eine lustige Weise lächerlich macht.
Ich weiß nicht, ob ich Euch jemals davon geschrieben
habe, es ist eine Arbeit, deren Anfänge ich vor drei
Jahren gemacht; als ich in Weihnachten des vorigen
Jahres in so große Not kam, habe ich sie in einigen
Wochen beendigt, weil mir Nauck 20 Friedrichsd’or
dafür bot Er hat viel Zutrauen zu der Sache gehabt,
denn er ließ tausend Exemplare mit der größten er¬
denklichen Pracht drucken und sogar einen schönen
Kupferstich dazu machen. Weil ich glaubte, daß ich
mir mit der Sache vielleicht mehr Feindschaft als Ehre
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Hirschberg, Otto Friedrich Gruppe.
31
erwerben möchte, wiewohl ich mit dem poetischen Ge¬
halt sehr zufrieden war, ließ ich es nicht unter meinem
Namen erscheinen. Aber wider alles Erwarten habe
ich von dieser satirischen Schrift, wie sonst wohl selten
der Fall ist, die größte Freude erlebt. Sie hat sogar
in diesen stürmischen Zeiten, wo jedermann an Politik
und niemand an Poesie denkt, das größte Aufsehen
gemacht und hat selbst den Beifall derjenigen Partei
erlangt, die lächerlich gemacht wird. Als es erschien,
sagte mir Simrock, der wahrhaftig nicht schmeichelt,
es sei sehr viel Witz darin, aber noch viel mehr Poesie.
Das urteilen denn auch die Anhänger Hegels selbst;
mein Buch ist das beständige Gespräch im Professoren¬
zimmer der Universität, die Witze werden in der ganzen
Stadt erzählt, und Hegel wird von allen Professoren
damit geneckt Meineke sagte mir aber, daß der Mi¬
nister Wilhelm v. Humboldt und der Geheime Re¬
gierungsrat Boeckh, die gerade hierin das höchste
Urteil besitzen, meine Komödie für ein Meisterstück
von der ersten Sorte erklärt haben. Das ist zu viel
Lob für mich.“
Noch heute mutet das Werkchen den Leser
freundlich an, noch heute, wo selbst der
intensiv beschlagene Historiker manche Stelle
kaum mehr verstehen wird. Das Ganze dreht
sich um die Entwendung eines kostbaren Blattes,
auf dem der Philosoph Absolutulus zu Utopien
seine Weltweisheitsformeln aufgeschrieben hat,
durch den Hauch des Nachtwindes Noctum,
infolgedessen die beabsichtigte Neuschöpfung
der Welt nicht vor sich gehen kann, sondern
alles beim Alten bleiben muß. Aber weder
diese Fabel, so amüsant sie auch sein mag,
noch die zahlreichen Persiflagen auf Hegel und
die Hegelianer sind das eigentlich Wertvolle
des Büchleins, das vielmehr in den lyrischen
Intermezzi liegt. Die Chöre der Winde, der
Wellen und der Sterne, namentlich aber der
Geister des Schlafs sind von einer wundervollen
Zartheit und Innigkeit des poetischen Ausdrucks.
Und wenn die Schlummer-Genien ihr sanft
murmelndes Wiegenlied singen — wahrlich ein
echtes Stück romantischer Sommemachtstraum-
Poesie — so möchte man eigentlich bedauern,
daß auf diese pianissimo verklingenden Sphären-
Akkorde noch ein außerordentlich derbes ber¬
linisches Nachspiel folgt.
Bald fand der Dichter Gelegenheit, sein
zweites größeres Probestück abzulegen. Zu
einem wohltätigen Zwecke erschien 1830 in
prachtvoller Ausstattung (Titelvignette von
Gubitz , Kupfer von namhaften Künstlern, dar¬
unter eines von Gruppes Herzensfreunde Robert
Reinick [Abb. 5]) das epische Gedicht „Alboin,
König der Longobarden“, in sieben Büchern.
Gruppe betrat damit ein Gebiet, auf dem ihm
später noch reichere Blüten entsprießen sollten,
das des Epos. Die sieben Epen, die uns
Gruppe geschenkt hat, sind so eigentümliche
Schöpfungen seines Geistes, daß eine zusammen¬
hängende Besprechung immerhin angezeigt
erscheint. In dem, in knappen reimlosen »fünf¬
füßigen Trochäen geschriebenen* „Alboin** zieht
lebendig anschaulich das Leben des Helden vor
unsem Augen vorüber. Trotz seines glänzenden
Sieges über die Gepiden weigert der starr an
alter Sitte hängende Vater Alboin den Platz an
der Heldentafel; der Sohn zieht zum Gepiden-
könig Turisend, um bei ihm die Wehrhaftigkeit
zu erwerben. Dort erblickt er die schöne
Rosamunde und prägt sich ihr Bild ins Herz.
Reichbeschenkt kehrt er zum Vater zurück.
Dieser stirbt und Alboin wird König; nach dem
Tode Turisends wird Gunimund, Rosamundens
Vater, zum Herrscher der Gepiden gewählt.
Abermals entbrennt wilder Krieg zwischen
beiden Völkern; Gunimund wird von Alboin,
der Rosamunde als Gattin heimfuhrt, erschlagen.
Der Schmerz der Tochter weicht allmählich
der innigen Liebe der Gattin. Der rastlose
Alboin zieht nach Italien und unterwirft sich
viele Städte. Aber in Verona zwingt er bei
einem Festgelage in der Trunkenheit die Gattin,
aus dem Schädel ihres Vaters, der nach Longo-
bardensitte zum Becher umgewandelt ist, zu
trinken. Da wandelt sich die heiße Liebe
Rosamundens in verzehrenden Haß, und ihr
Sinnen und Trachten steht nach der Ermordung
des Gatten. Die beiden Getreuen des Königs,
Helmichis und Peredeo, weiß sie durch ihre
Verführungskünste zu umgarnen. Peredeo er¬
mordet den Wehrlosen im Schlaf, stürzt sich
aber aus Verzweiflung selbst in sein Schwert.
— Von besonderer Schönheit und Originalität
ist der kurze Sehnsuchtsgesang Rosamundes,
der den Schluß des zweiten Buches bildet, in
merkwürdigem antikisierendem Versmaß und
Empfinden, teilweise in Reimen geschrieben.
Einen kleinen fragmentarischen Anhang zu
diesem Epos bildet „ Theudelinde , Königin der
Lombarden“ , die Gruppe später (1849) breit
ausgeführt als Epos in acht Büchern nochmals
erscheinen ließ. Wie Thrudelinde Braut und
Gattin des blonden Authari, wie sie durch
ruchlose Vergiftung des Königs zur Witwe
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Hirschberg, Otto Friedrich Gruppe.
Revolution entstanden, sollte es den
Geist von dem wilden Weltgetümmel
ablenken:
Abb. 3. Titelblatt zu Gruppet „Winde".
gemacht wird, ohne ihm als Weib angehört zu
haben, wie sie nach langer Trauer endlich
dem tapferen Herzog Agilulf die Hand zum
Bunde reicht und mit ihm zusammen noch lange
Jahre glücklich regiert: alles das hat der Dichter
zu plastischen Bildern geformt
Das umfangreichste epische Werk ist die
Trilogie „Kaiser Karl“ (Berlin 1852). Von den
drei Gedichten gebührt dem ersten, „Königin
Bertha “ 9 das schon 1848 als selbständiges Werk
erschienen war, die Krone. Die Widmung,
die der Dichter vorausschickt, charakterisiert
es treffend. Während der Schreckenstage der
„Ein deutsches Lied! Ich sang's in trüben
Stunden,
Um zu verscheuchen von der Stirn den Gram,
Um zu vergessen all der tiefen Wunden
Und all des Leid’s, das Deutschland überkam.
Ein deutsches Lied, allein ein sülles, lindes,
Wie Baches Murmeln mit melodschem Fluß:
Jetzt aber braust ein Wehn lebendgen Windes,
Und stürzt fruchtbarer Wetterregen Guß.
Es soll auch wieder Sonntagsstille kommen,
Daß eines Laubes Fallen wird gehört —
Dann wird vielleicht auch dieses Lied ver¬
nommen,
Gleich einem Hauch, der durch die Blüten
fährt.“
Und in der Tat — milde und lind
ertönen die Saiten, die der Dichter an¬
schlägt, milde und lind wie die holde
Königstochter selbst, der das Lied gilt.
Als Quelle diente eine Kölner Chronik,
die eine sagenhafte Darstellung der
Geburt Karls des Großen enthält. Der
König Pipin sendet die drei Grafen
Guy, Renar und Riol zu Österreichs
König Theoderich als Werber um die
Hand seiner Tochter Bertha. Die
Grafen aber grollen dem König, weil
er ihnen die Krone genommen, und
verabreden einen teuflischen Plan. Sie
wollen Bertha auf dem Heimwege er¬
morden und der unter ihren Töchtern,
auf die das Los fiele, dem Könige zur
Gattin geben; da Pipin keine von beiden
von Angesicht gesehen hat, ist der
Betrug leicht ausführbar. Aber im
Walde schützt Riol, dessen Gewissen
erwacht ist, die Wehrlose; er selbst vergräbt
sich als Klausner in die Einsamkeit der Wildnis,
Bertha aber, die von allen Schätzen nur Pipins
Ring behalten hat, findet Aufnahme bei armen
Müllersleuten. Unerkannt lebt sie dort lange
Zeit Pipin, der sich inzwischen mit der Grafen¬
tochter vermählt hat, dessen Herz aber keine
Liebe zu ihr empfindet, sieht Bertha einst bei
seinen Zügen durch das Land. Beide ent¬
brennen in heißer Liebe, deren Frucht ein herr¬
licher Sohn ist: Karl der Große. Durch Riol,
den Klausner, wird alles enthüllt; die falsche
Königin wird in ein Kloster verbannt, und
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pfi
Bertha, die Königstochter, Ge-
mahlin des Helden. — Der Stoff »
ist schon früher von Fouqu£ und Vf .
Simrock bearbeitet worden; der J
schlichten Innigkeit der Gruppe- /
sehen Poesie aber kommt keiner vkS}
der beiden gleich. 1
Weit schwächer, obwohl auch
teilweise von hohem dichterischem
Schwünge, ist das zweite roman- V
tische Epos „Karl und Hüde - \>w —
gard“, das die bekannte Sage von \
der treuen, verstoßenen Gattin des i
I ■ \a ^
Kaisers behandelt. Dagegen steht
das dritte Epos ,Jiginhard und
Emma u wieder völlig auf der '
Höhe. Während jenes an großen 1
Längen leidet, bringt dieses in
gedrängter Kürze die anmutige ||
Liebesepisode der Tochter Karls “ \ M
und des Schreibers Eginhard. Irl
Wundervoll ist namentlich die V\ iä
Szene der Vermählung der Beiden. J.
Vom Vater verstoßen, wandern f. ’’| ^
sie weit fort; Eginhard baut ein w JljfjH
Haus, aber ohne des Himmels
Segen können sie in ihm nicht
wohnen. Da fertigt er aus Schei- ; ^
ten ein Kreuz, vor dem sie unter . j.
brünstigem Gebete zu Gott nieder- k
knieen — und ab Zeichen der
Gewährung flattert eine Taube ' S'äjleP
vom Himmel herab und setzt (j
sich auf das Kreuz. Und als der
Kaiser nach langer Zeit zu dem
einsamen Hause kommt und die
Tochter glücklich im Kreise ihrer
Kinder sieht, da verzeiht er den
Liebenden und nimmt sie mit Abb. 4 . Titeibia
nach Aachen. An dem Orte ihrer
Zuflucht aber entsteht das Kloster Seligenstadt,
in dem sie beide feierlich beigesetzt werden.
Im Jahre 1856 entstand das epische Ge¬
dicht „Firdusi“. Eine doppelte Begeisterung
W*r
m
DAS
heraus gegeben
noit
il«
Wim
"., TSI 2
*34
mm
BERLIN.
■ Verlag vonAJejanderDuncke r^ ^ ^y^ '*^
Abb. 4. Titelblatt 211 Warburgs »•Waldhorn**» gezeichnet von Ad. Schroedter.
weht durch die Gesänge, da ein Dichter den
Dichter besingt. In dem Dunkel der Felsen¬
grotte schreibt Firdusi sein unsterbliches Werk
„Schach-Nameh, das Buch der Könige“; sein
* Ein interessanter auf dieses Epos sich beziehende Brief der Prinzessin Marie von Preußen, späteren Königin von
Bayern, an ihren Lehrer Schottmüller (Gruppes Schwiegervater) wurde mir von Frau Professor Gruppe freundlichst
zur Verfügung gestellt. Er lautet: „Nymphenburg, 14. Oktober 1848. Lieber Herr Professor! Ihr lieber Brief hat
mich recht erfreut und interessiert. Das Gedicht »Königin Bertha* hörte ich nennen und werde es mir verschaffen,
es muß recht interessant sein. Die Reismühle unweit München kenne ich, sie sieht nicht poetisch aus jetit, doch
ist der Platz ganz hübsch an der Würm, mit grünen Wiesen und schönen Bäumen umgeben. In Hohenschwangau
in meinem Schreibzimmer ist die Geschichte der Bertha gemalt, es hat daher den Namen Berthazimmer. Es würde
Sie interessieren zu sehn.**
Z. f. B. 1904/1905- 5
Digitized by
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34
Hirschberg, Otto Friedrich Gruppe.
Haar wird grau, aber ungeschwächt und jugend¬
frisch bleibt der Geist Und nachdem er die
stolzen sechzigtausend Zeilen vollendet, da ver¬
sinkt er in Schlaf:
„Süßer duften die Narzissen,
Sanfter rauscht der Quell zu Füßen,
Und der Nachthauch atmet linder,
Um des Dichters Schlaf zu süßen.“
Aber der Sultan Mahmud, von neidischen
Höflingen bewogen, das Werk nicht zu lesen,
zahlt dem Dichter mit Silber und nicht mit
Gold, wie er versprochen. In stolzer Verachtung
gibt dieser die Beutel dem Boten als Trinkgeld;
der Geiz des Fürsten läßt ihn nicht seinen
Lieblingswunsch erfüllen, seiner Geburtsstadt
Thus eine Wasserleitung zu bauen. Bevor er
fortwandert, dichtet er ein grausames Spott¬
gedicht auf den Herrscher:
„Schon erklingt auf allen Straßen
Schach-Nameh, das Lied der Lieder,
Und durch Iran und durch Turan,
Bis nach Indien hallt es wieder.
Klingt zugleich das Lied des Zornes,
Das Firdusi hat gesungen,
Und es sammelt rings das Volk sich,
Wo die Reime nur erklungen.“
Keine Ruhe mehr findet der Sultan, überall
hin verfolgen ihn die Spottlieder und auch er
wandelt einsam und unerkannt, der Herrscher¬
würde entkleidet, durch das Land. Da hört
er in einer Stadt einen Sänger ein hehres Lied
von Feridun und seinen Söhnen singen, und
sein Herz schmilzt in Wehmut und Rührung.
Dankend naht er dem Sänger, doch jener hat
es nicht gedichtet:
„Der Gesang ist eines Großem,
Den die Länder feiernd kennen,
Solche Lieder singt nur Einer —
Den sie paradiesisch nennen.
Seine sonnenhellen Lieder
Klingen rings bei Fest und Tanze,
Wer ein Stück hat, ist ein Reicher,
Aber keiner hat das Ganze!
Wisse, jedes Blatt ein Wunder,
Und ein Baum hochragend, prächtig,
In den tausend luft’gen Kronen
Welch ein Rauschen, mild und mächtig!
Gleich wie Männer gehn Geschlechter,
Und Jahrhunderte wie Tage;
So erhaben tönt nur Eines,
Nur das Meer im Wogenschlage!“
Neue Kraft gießt das Lied in des Fürsten
Seele — er verzeiht dem Dichter. Der jedoch
weilt ferne, beim Kalifen in Bagdad, wo er
sehnsüchtige Liebeslieder von Jussuf und Suleika
singt und hochgefeiert wird. Aber im Herzen
lebt noch die Liebe zum Vaterland, und stolz
weist er alles Gold zurück, das ihm fiir ein
Schmachgedicht auf Mahmud, den er im Herzen
als den größten Herrscher ehrt, geboten wird.
Wieder wandert er, und die Boten Mahmuds,
der „als Freund nach dem Freunde“ verlangt,
erreichen ihn nicht mehr. Nach Persien kommt
er zurück und singt den Männern, die ihn
freundlich aufnehmen, das göttliche Heldenlied
von Rüstern und Sohrab. Dann pilgert er nach
Thus; im Vaterhause trifft er die hundertjährige
Schwester noch am Leben. An Solveigs Lied
das den von seinen Irrfahrten heimkehrenden
Peer Gynt grüßt, gemahnen die Willkommens¬
worte der Greisin:
„Aber sage, sprach die Alte,
Wer du bist? Er sprach mit Tränen:
Schwester, ich bin Abul Kasern,
Und mich trieb hierher ein Sehnen I
Abul Kasern, das ist lange,
Daß ich nicht gesehn dich habe —
Ich die ältste, du der jüngste,
Und die andern sind im Grabe!
Komm ans Feuer, Abul Kasern,
Doch auch du bist wohl gealtet;
Als ich dich zuletzt gesehen,
Warst du schwarz und stolz gestaltet!
O, wie ich auf meinem Schoße
Gleich der Mutter dich gepfleget —
Du warst Kind und ich erwachsen —
Wie zur Ruh ich dich geleget!
Es ist spät, ich will dir betten,
Aber erst mir noch erzähle,
Was du bist, wie du gelebet,
Sage das mir, liebe Seele!“
Selig verklärt sinkt Firdusi in Schlaf, aus dem
er nicht wieder erwachen soll. „Als ob eine
lichte Peri ihn geküsset schon hienieden“, so
findet ihn am Morgen die Schwester. Seinem
Leichenzuge begegnen die vom Sultan ge¬
sandten Boten mit ungeheuren Schätzen; das
kleine Häuschen faßt nicht das Gold und die
Kostbarkeiten, die im Sinne des Toten dazu
verwendet werden, der Heimatsstadt Wasser
zu spenden. —
Auf dem Zenit seines Schaffens steht Gruppe
mit den im Jahre 1857 veröffentlichten drei
biblischen Gesängen >y Ruth— Tobias—Sulamitk“.
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Hirschberg, Otto Friedrich Gruppe.
35
Und hier sind es wieder die beiden ersten, die
an Innigkeit und Schönheit der Sprache und
Gedanken getrost mit den besten Werken
unsrer Lyriker in die Schranken treten können.
Im Jahre 1835 gab Gruppe seine „ Gedichte“
heraus, eingeteilt in vier Bücher. Es sind im
ganzen nur wenige, an denen man gleichgültig
vorübergeht; vielfach ist Gutes, oft Vorzügliches
geboten. Das erste Buch enthält vermischte
lyrische Gedichte, die sich teils durch zarte
Empfindung und weiche Form, teils durch köst¬
lichen Humor auszeichnen. Pflanzenwelt und
Tierreich beobachtet er mit gleicher Liebe;
er lauscht den geheimnisvollen Regungen der
Natur und plaudert mit den Vögelchen. Sein
Humor ist niemals verletzend; er weiß so über¬
aus launig und spannend zu erzählen, daß man
den ältesten Anekdoten eifrig zuhört und sie
fiir etwas ganz Neues, noch nicht Dagewesenes
hält. Dies ist beispielsweise der Fall in einer
poetischen Erzählung, die zum erstenmale in
einer von des Dichters Sohn veranstalteten
Neuausgabe der Gedichte (Reclams Universal¬
bibliothek, No. 4521/22) gedruckt worden ist
Sie behandelt ein Zauberkunststück des Taschen¬
spielers Bosco, der eine Uhr auf die Straße
wirft, und, da weder diese von selbst, noch der
nach ihr abgesandte Hausknecht zurückkehrt,
so läßt Bosco durch seine magische Kunst
einen Sperling an das Fenster picken, der in
dem einen Pfötchen die Uhr und in dem andern
den — Hausknecht hält Von einem guten
Rezitator vorgetragen, wird der Scherz nie seine
Wirkung verfehlen.
Das zweite Buch enthält die Balladen, ein Ge¬
biet, das Gruppe mit besonderem Erfolge bebaut
hat Der echte Balladendichter muß Dreierlei
zu vereinigen suchen: Klarheit der Erzählung,
Knappheit der Form und Hineinleben in den
Geist des Balladenbegriffes. Grade dies dürfte
das Haupterfordemis der Balladen-Ästhetik sein.
Gruppe hat Form und Ausdruck der Balladen
meist ausgezeichnet getroffen; bei „Jung Ingolf
und Schön Guniswind" glaubt man in der Tat
die Übertragung einer alten Volksdichtung vor
sich zu haben. Selbst die vielleicht längste aller
Balladen, die je geschrieben worden ist, die aus
148 Strophen (zu je sechs Verszeilen) bestehende
Dichtung „Kormak und Gerda" läßt die Knapp¬
heit des Ausdrucks niemals vermissen und liest
sich ohne eine Spur der Ermüdung. Von ge¬
waltiger Kraft der Sprache und schöner Plastik
der Schilderung ist die Ballade „Boleslav", die
den Untergang des Polenkönigs und seines
Heeres in dem tückischen Haidemoor des
Preußenlandes erzählt.
Das dritte Buch der „Gedichte" umfaßt die
Elegien, in denen des Dichters großes Vorbild,
Goethe, oft nur allzu deutlich zutage tritt,
während das vierte fast völlig von meist form¬
vollendeten Sonetten ausgefiillt wird.
Tonmeister erster Größe haben Gruppes
Gedichte in Musik gesetzt, vor allem Karl
Loewe , der Klassiker der Ballade. Außer fünf
lyrischen Gedichten (darunter das bis zum
Überdruß gesungene „Die Treppe hinunferge-
schwungen"), hat Loewe zwei Balladen Gruppes
komponiert: den „Feldherr", die Napoleons
Besuch im Pestspital zu Kairo behandelt, und
die allbekannte, in alle Schulgedichtsammlungen
übergegangene Legende „Landgraf Ludwig"
(Der Low* ist los, der Löw* ist frei). Robert
Schumanns wundervolles Lied „Die Rosen und
die Nelken" ist ebenfalls von Gruppe gedichtet
Als würdiger Dritter im Bunde der vater¬
ländischen Dichter Scherenberg und Fontane
erscheint Gruppe mit seiner umfangreichen
Originalsammlung „ Vaterländische Gedichte ft
(Neuruppin 1866). Ihr Erfolg war ein so durch¬
schlagender, daß bereits 1868 eine zweite ver¬
mehrte Auflage veranstaltet werden mußte.
Der Dichter gibt in sieben Büchern sozusagen
eine poetische Übersicht über die preußische,
speziell brandenburgische Geschichte; er be¬
gleitet seine deutschen Brüder von den Ur¬
anfangen grauer Sage bis zu den Siegen von
Sechsundsechszig. Zum Kampf mit Frankreich
gibt er ihnen die „Deutschen Kriegs - und
Heldenlieder“ (Berlin 1870) in einer Tomister-
ausgabe mit.
Groß ist die Zahl der von Gruppe edierten
Sammelwerke y zu denen er aber immer Eigenes
und Neues beisteuerte. Es sei hier namhaft
gemacht das „ Lyrische Schatzkästlein der Deut¬
schen“ (Berlin 1836; noch in einigen Exemplaren
in der Nicolaischen Buchhandlung zu haben),
der „Deutsche Dichterwald“ (Berlin 1849), be¬
sonders aber die „Sagen und Geschichten des
deutschen Volkes“ (Berlin 1854), eine wertvolle
Sammlung, die auch größere epische Frag¬
mente („Das Heinrichslied", „Kaiser Otto" u. a.)
enthält.
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3 «
Hirschberg, Otto Friedrich Gruppe.
A iborn. f ft 0
Abb. 5. Aus den Illustrationen zu Gruppes „Alboin**. Berlin 1830.
Ich habe schon oben erwähnt, wie reich
bei Gruppe der Quell des Scherzes und des
Humors sprudelte. In einem vergriffenen Büch¬
lein „Sang und Schwank“ (Halle 1868) hat er
eine Menge lustiger Geschichten zum Besten
gegeben, die größtenteils inhaltlich und formell
so vorzüglich sind, daß eigentlich nur das Ver¬
schwinden des Heftchens aus dem Buchhandel
es verständlich macht, wenn die Rezitatoren
humoristischer Dichtungen sie sich haben ent¬
gehen lassen. Man könnte viele Seiten über das
Werkchen schreiben; man glaubt, die Scherze
und Anekdoten schon oft gehört zu haben und
findet sie doch neu in dem Gewände der Poesie,
mit dem der Dichter sie umkleidet hat
In allerliebste Verse gebracht ist beispiels¬
weise die Anekdote von dem alten Musiker Zelter,
der in einer Gesellschaft seinen nagelneuen Hut
absichtlich mit dem schäbigen einer Exzellenz
vertauschte, weil er im Regen zu Fuße gehen
muß, während diese im Wagen fährt und den
Hut konserviert; desgleichen die Schilderung
eines nervenschwachen Poeten, der im Lärm
der Stadt nicht zum Dichten kommt, auf das
Land flüchtet, dort aber auch vor Hühnern,
Gänsen, Kühen und Dreschflegeln keine Ruhe
findet: ein Scherz den Wilhelm Busch
in seinem „Balduin Bählamm“ wieder
aufgenommen hat. Fontane glaubt
man zu lesen in dem köstlichen Gedicht
„Die Ordonnanz“, die dem alten Fritz
gegenüber die Wahrheit einer von
dem Könige bezweifelten Aussage
beteuert:
„So wollt’ ich doch“,
Spricht jener und spießt den besten Fasan
Von des Königs Tisch auf die Gabel an,
„An diesem Vogel den Tod mir essen!“
Er spricht’s, macht Kehrt und schreitet
gemessen
Im Parademarsch durch die Tür daher,
Hoch tragend den Vogel auf seinem
Gewehr.“
Wie hübsch ist die poetische Steige¬
rung durchgefuhrt in dem „Spanischen
Mantel“, dessen hervorragende Eigen¬
schaften in blumenreicher Sprache
gepriesen werden, an dem sich aber
doch zwei Fehler heraussteilen:
„Ihr könnt die beiden Fehler wissen,
Denn nie hat der Marquis geprahlt:
Der Mantel erstens ist zerrissen,
Und zweitens ist noch nicht bezahlt.“
Eine ganze Gruppe umfaßt die „Eß- und Trink¬
geschichten“. Da hören wir die wundersame
Geschichte von der „Kieselsuppe“, die sich in
nüchterner Prosa gar nicht wiedergeben läßt und
an die besten Reuterschen Schnurren gemahnt;
da lachen wir über den entsetzten Pfarrer, der
dem von einem Ei noch nicht gesättigten Kan¬
didaten noch ein halbes gibt mit den Worten:
„Platzt er, so platzt er“. Das beste der Ge¬
dichte ist ein „Distinguo“ überschriebenes. Bei
einem Schmause will der in dialektischen Spitz¬
findigkeiten große Abt den ihm darin nicht
nachstehenden Pater Scholasticus auf das Glatt¬
eis fuhren und fragt ihn, ob man mit Suppe
christlich taufen kann. Der antwortet:
„Distinguo, Herr Abt, ich unterscheide
Zwischen Supp’ und Suppe — es führen beide
Der Suppe Namen in andrem Sinn,
Weshalb ich geteilter Ansicht bin.
Einmal gibt’s Suppe nach der Essenz,
Hinwiderum Suppe nach der Potenz.
Die Supp* auf des Herrn Abtes Tisch,
Von Kraut und von Fleischsaft ein Gemisch,
Darinnen Klöß’ und der Krebse Schwänz,
Ist nicht nur Essenz, nein Quintessenz,
Hält viel Carnalia, Fleischlichkeit;
Drum wäre: quod non, hier mein Entscheid.
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Abb. 6. „Vaterland**. Gedicht von O. F. Gruppe.
Zeitschrift /iir Bücherfreunde VIII .
Zk .- 1/ir schlurrg t O. F. Gruppe.
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Hir*chberg, Otto Friedrich Gruppe.
37
Hingegen die Supp* in unserm Konvict,
Die den Magen weder füllet noch drückt,
Ist wie das Wasser des Jordans war,
So rein und lauter und hell und klar:
Weshalb nach der Schrift Wortlaut und Sinn
Ich hier ganz andrer Meinung bin:
Quod sic! so würd’ ich mich hier entscheiden,
Man kann damit taufen Juden und Heiden/ 1
Kommt Gruppe gar erst auf seine liebe Jagd
zu sprechen, dann weiß er mit allerhand Münch-
hausiaden gar kein Ende zu finden. So ver¬
treten bei einem Diner in Galizien Bären die
Stelle der Kellner; nach Beendigung eines jeden
Ganges werden der Kürze halber die Teller
einfach von diesen sonderbaren Gargons ab¬
geleckt Ein Englishman, der in Ägypten auf
die Krokodiljagd geht, schießt auf einen ge¬
schuppten Palmenstamm, während das Holz,
auf dem er sitzt, plötzlich Füße bekommt und
als Krokodil in den Nil springt Das leiden¬
schaftliche Nimrodtum unseres Dichters ist sogar
verewigt worden; auf dem in der Gemälde¬
galerie des Königl. Schlosses zu Berlin befind¬
lichem Bilde „Parade“ von Krüger befindet
sich Gruppes Büd in grauem FUzhut. Zu der
von H. von Warburg herausgegebenen Samm¬
lung von Jagdgedichten „Das Waldhorn** (Berlin
1844), einem überaus seltenen, durch eine vor¬
treffliche Lithographie von Ad. Schrödter ge¬
schmückten Buche (Abb. 4), hat Gruppe 22 Ori¬
ginalgedichte beigesteuert.
Besondere Erwähnung verdient noch der von
Gruppe herausgegebene, in fünf Jahrgängen
(Berlin 1851 —1855) erschienene „Deutsche
Musen-Almanach**. Er enthält neben zahl¬
reichen Gedichten des Herausgebers — er
bedient sich neben seinem eignen Namen noch
der Pseudonyme „Gustav Adolph Schmidt“,
„Otto Krämer“, „Heinrich Vogler“ und „Dietrich
Richter“ — Beiträge fast aller bedeutenden zeit¬
genössischen Dichter. Einen großen Wert geben
dem Almanach poetische Reliquien früherer Zeit,
die hier zum erstenmal gedruckt erschienen sind,
so Gedichte von Goethe ; von Karoline von Gün¬
serode u. a.
Auch auf dramatischem Gebiete ist Gruppe
tätig gewesen. Sein fünfaktiges Trauerspiel
„Otto von Wittelsbach** (Berlin 1860) ist zwar
korrekt gearbeitet, konnte es aber zu einem
nachhaltigen Erfolge nicht bringen. Weit wert¬
voller ist sein „Demetrius?* (Berlin 1861), die
Bearbeitung des Schillerschen Fragmentes für
die Bühne. Die ausführliche und gediegene
literarhistorische Abhandlung am Schlüsse be¬
weist, daß Gruppe vielleicht am tiefsten von
allen Bearbeitern in das Werk eingedrungen
ist Er ist an das, was keiner vorher gewagt,
mit keckem Mute herangegangen, nämlich an
die Dichtung Schillers selbst. Er macht deutlich,
daß diese sicherlich nicht als endgültige Fassung
zu gelten habe, daß Schiller vielmehr, wenn er
das Werk hätte zu Ende fuhren können, vieles
auch an den beiden ersten Akten geändert
haben würde. Ebensowenig könnten die Auf¬
zeichnungen des Dichters für die andern Akte
als absolut bindend gelten. In einem be-
sondern Kapitel werden die Bearbeitungen von
Maltitz und Bodenstedt kritisch besprochen.
Zu wünschen wäre es jedenfalls, daß bei Auf¬
führungen des „Demetrius“ auch einmal Gruppes
von höchster Verehrung für Schillers Genius
getragene Arbeit berücksichtigt würde, zumal
die allgemein beliebte Laubesche nichts weniger
als poetisch genannt werden kann.
Gruppes bedeutendstes Bühnenwerk ist bis¬
her der Öffentlichkeit vorenthalten geblieben;
es ist weder gedruckt, noch aufgeführt worden.
Der Abdruck des „ Ninus**, einer fünfaktigen
Tragödie, ist von der Witwe des Dichters dieser
Zeitschrift zur Verfügung gestellt worden und
soll zeigen, daß damit nicht nur einer Ehren¬
pflicht dem Dichter gegenüber genügt, sondern
die deutsche Literatur auch um ein zugkräftiges,
poetisch-schönes Drama bereichert wird.
In der erzählenden Dichtung Lorbeem zu
pflücken, war Gruppe nicht beschieden. Mir
ist nur eine einzige Novelle bekannt geworden
yt Nureddin und die schöne Perserin** (abgedruckt
im Berliner Kalender für 1842). Es ist eine
lang ausgesponnene, etwas ermüdende Arbeit,
mit vielen Unwahrscheinlichkeiten. Mir ist beim
Lesen die Vermutung gekommen, als habe der
Verfasser einzelne Charakterzüge der berühmten,
durch Selbstmord aus dem Leben geschiedenen
Dichtergattin Charlotte Stieglitz zeichnen wollen.
Von Gruppes zahlreichen literarhistorischen
Werken seien hier nur zwei erwähnt, die in¬
folge der Gründlichkeit der Forschung und
der Vorzüglichkeit der Darstellung stets ihren
Wert behalten werden. Das erste betitelt sich
„Leben und Werke deutscher Dichter** (erschienen
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Meisner, Büchertitelmoden.
1864—1872) und gibt in fünf Bänden eine
Geschichte der deutschen Poesie in den letzten
drei Jahrhunderten. Das andere ist eine Mono¬
graphie „Reinhold Lenz, Leben und Werke“
(Berlin 1861), die über das Leben des unglück¬
lichen Dichters, besonders über sein Verhältnis
zu Friederike von Sesenheim, vieles Neue und
Authentische bringt und namentlich verschie¬
dene irrige Behauptungen Tiecks richtig stellt
Außerdem sind darin noch viele bis dahin
ungedruckte Gedichte als Ergänzung der drei¬
bändigen Tieckschen Ausgabe enthalten.
Sei noch kurz das Notwendigste aus dem
äußern Leben des Dichters nachgetragen, nach
Aufzeichnungen, die ich zum größten Teil der
Witwe Gruppes zu verdanken habe. Der von
ihm nach Beendigung seiner Studien geplanten
Niederlassung als Privatdozent an der Berliner
Universität stellte sich sein unüberwindlicher
Widerwillen gegen die damals gerade in der
höchsten Blüte stehende Hegelsche Philosophie
entgegen. Er nahm deshalb 1835 die Feuilleton-
Redakteurstelle der „Allgemeinen Preußischen
Staatszeitung“ an. Im Jahre 1842 wurde er
von dem Minister Eichhorn in das Ministerium
der geistlichen Angelegenheiten berufen, wo
er, gewissermaßen ab literarischer Amanuensis
seines Chefs, eine lebhafte Fehde gegen die
Hegelianer eröffnete. Auch 1848 war er einige
Zeit politisch tätig. Er redigierte (ohne seinen
Namen zu nennen) eine neugegründete Zeitung
„Das neue Preußen“; ab aber die Besitzer des
Blattes andre Bahnen einschlugen, gab er die
Stellung auf und schrieb zahlreiche Leitartikel
fiir die „Vossbche Zeitung“ unter der Chiffre O.
1844 wurde er Professor für klassische Philo¬
logie an der Universität Er starb im Alter
von 72 Jahren am 7. Januar 1876.
Es wäre zu wünschen, das Gruppes poe¬
tischen Werken eine vermehrte Aufmerksamkeit,
namentlich in den Schulen, geschenkt würde.
Gruppes Epen, der Ausfluß eines reinen und
edlen Dichterherzens, sind wie dazu geschaffen,
den leider immer mehr und mehr schwindenden
idealen Sinn der Jugend zu beleben und zu
kräftigen. Das würde das schönste Monument
fiir den Poeten sein, dessen Grab heute von
Freundeshand mit Blumen bekränzt wird, fiir ihn,
der schon früher sein höchstes Glück in dem
Bewußtsein gefunden hat, ein deutscher Dichter
genannt zu werden. Das hier im Faksimile
wiedergegebene, bisher noch nicht veröffent¬
lichte Gedicht „Vaterland“ (Abb. 6) verleiht
dieser Stimmung Ausdruck.
Büchertitelmoden.
Von
Dr. Heinrich Meisner in Charlottenburg.
Titel muß kein Küchenzettel sein.
I Je weniger er von dem Inhalte ver¬
rät, desto besser bt er. Dichter und
Zuschauer finden ihre Rechnung dabei, und die
Alten haben ihren Komödien selten andere ab
nichtssagende Titel gegeben. Ich kenne kaum
drei oder vier, die den Hauptcharakter anzeigten
oder etwas von der Intrigue verrieten . . .
Mancher Stümper hat zu einem schönen Titel
eine schlechte Komödie gemacht und bloß des
schönen Titeb wegen.“ Eine solche Ansicht
entwickelte Lessing im 21. Stücke seiner Ham¬
burger Dramaturgie. Ist sie noch fiir uns in
vollem Umfange aufrecht zu erhalten ? Ist sie
immer allgemein geltend gewesen? Beides bt
zu verneinen. Freilich, wenn ein allgemein an¬
erkannter Schriftsteller einem neuen Werk
einen nichtssagenden Titel gibt, wird man es
dennoch lesen; allein dann bt der Name des
Autors das lockende Aushängeschild, das der
Titel eigentlich sein soll Das Titelgeben ist
eine ganz besondere Schwierigkeit für den Ver¬
fasser. Joh. Timoth. Hermes, der das bekannte
Buch Sophiens Reise von Memel nach Sachsen
schrieb, hatte einmal ein Werk fertig, das er,
ehe er es herausgab, mehrere Jahre liegen ließ,
weil er um den Titel verlegen war. Und schlie߬
lich wählte er, wie er selbst eingesteht, den
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Meisner, Büchertitelmoden.
39
recht unverständlichen Titel „Manch Hermäon";
denn „weh dem Manne in unserm Zeitalter,
dessen Buch nicht durch den Titel auffällt!"
Wie oft ist schon ein Roman, ein Theater¬
stück, fertig gewesen, ohne daß der Dichter
sich für einen bestimmten Titel hatte entschei¬
den können; wie oft waren Redaktion und Ex¬
pedition einer neu zu gründenden Zeitschrift
bis ins Kleinste installiert, und Verleger und
Mitarbeiter saßen und sannen darüber nach,
welcher Name wohl dem Kinde zu geben sei,
das sie aus der Taufe heben wollten, damit es
im Leben weiter komme und zu Ehren ge¬
lange. Und dabei war nicht wenig auf den
Geschmack der Zeit, auf die Mode Rücksicht
zu nehmen. Zu einer Geschichte der Bücher¬
titelmoden sollen in folgendem einige Beiträge
gegeben werden.
Obgleich man im klassischen Altertum den
Titel noch nicht als Reklameschild des Buches
verwandte, sondern ihn im Incipit oder Ex-
plicit verbarg, so finden wir doch, besonders bei
den Griechen, eine glückliche Erfindungsgabe
hübsch klingender Titel. Der Bienenkorb , Das
Horn der Amalthea, Das Veilchenbeet, Die
Wiese, ja auch Herodots Musen sind Bezeich¬
nungen, deren wegen, wie Plinius sagt, man
wirklich einen Gerichtstermin versäumen könnte.
Auch bei den Römern sind, aber weniger zahl¬
reich, dergleichen anziehende Titel vorhanden,
wie die Flexibula , die Krümmungen, oder der
Sescylysses, der anderthalbfache Ulysses, mit
welchen Namen Varro seine Satiren bezeich-
nete.
Eine wichtige Neuerung war die Beigabe
eines besonderen Titelblattes. Es ist ja be¬
kannt, daß die ersten Wiegendrucke ein solches
meist noch nicht haben, jedoch soll schon 1462
ein Buch mit Titelblatt Vorkommen, ohne daß
die „Bibliographical Transactions" (II, S. 113),
welche diese Notiz bringen, das betreffende
Buch näher bezeichnen. Der Ruhm, das erste
eigene Titelblatt einem gedruckten Werke bei¬
gegeben zu haben, fallt wohl dem Kölner
Drucker Arnold Therhoemen zu; das Werk, in
welchem sich jenes befindet, ist der Sermo ad
popidum praedicabilis in festo presentacionis
Beatissime Marie, der 1470 gedruckt wurde.
Die Mode des eigenen Titelblattes verbreitete
sich schnell; wir finden Inkunabeln mit solchen
aus Paris, Venedig, London, nicht selten mit
kunstvoll ausgeführten Druckerzeichen oder
Randleisten.
Nicht aber auf die Entwickelung der tech¬
nischen Ausführung des Titelblatts wollen wir
hier näher eingehen, da neuerdings Low de
Vinne diesem Gegenstände ein Werk gewidmet
hat, 1 sondern die Mode der Titelgebung in
ihren einzelnen Wunderbarkeiten weiter ver¬
folgen. Solche finden wir natürlich meist da,
wo der Inhalt des Werkes mit dem Titel nicht
übereinstimmt, wo der Leser durch ein außer¬
gewöhnliches, gesuchtes oder langes Reklame¬
schild auf den Inhalt neugierig gemacht wird,
oder wir können verfolgen, wie an einzelnen
Arten von Publikationen gleichgebildete Titel
während einer gewissen Zeitdauer haften
bleiben.
Außergewöhnliche Titel tragen zunächst
orientalische Bücher. Eine Einleitung in den
Talmud nennt sich Das Bein Josephs , ein Trak¬
tat über die Liebe Gottes heißt Das Buch des
Arzneihändlers . Wir finden weiter Das Herz
Aarons als Kommentar über die Propheten,
die Lippen der Schlafenden als ein Verzeichnis
rabbinischer Schriftsteller, Die Kette kostbarer
Steine als eine Universalgeschichte, Den Auf¬
gang zweier glücklichen Planeten und die Ver¬
bindung zweier Meere als eine Geschichte Tamer-
lans. 1 Meist sind es theologische Werke, die
mit dergleichen Titeln prunken; Das Königs¬
kleid, geteilt in zehn Röcke, Die beiden Hände,
geteilt in je fünf Finger sind Beispiele dafür.
Wenig geeignet für ein Gebetbuch scheint der
Titel Ala pavonum, den Abraham ben Mar-
dochai zuerst benutzte und der nachher bis in
das XVII. Jahrhundert hinein zu gleichem
Zweck verwendet wurde. Nicht viel passender
sind für Werke der Theologie die folgenden
lateinischen Titel 3 aus dem XVL und XVII.
Jahrhundert: Lamina aurea (Goldplättchen),
Placenta carbonum (In Asche gebackner Kuchen),
Pavimentum sapphirinum (Saphimer Estrich),
Cochlearia argentea (Der sübeme Löffel), Cor -
tinae caprinae (Schläuche von Ziegenfell, Tite
eines Werkes de praeceptis divinis), Tunicae
pelliceae, Caprae gratiae , Saccus Benjamin
und anderes mehr.
* A treatise on title-page*. New York 1902. — * Lalanne, Curiositls bibliographiques. p. 235.
3 Joh. Gottl Bidcrmann, De imolentia titulorum librariorom. Numburgi 1743.
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40
Meisner, Büchertitelmoden.
Das Abendland übernahm die prunkvollen
Titel, besonders für theologische Werke, jedoch
stahl sich bald ein satirischer oder humoristi¬
scher Zug in diese Mode, als durch die Kirchen¬
spaltung die theologischen Schriften zu Angriffs¬
oder Verteidigungsschriften wurden. Emst
gemeint sind noch die Titel La decrottoir de
vanite (Das Kratzeisen der Eitelkeit), 1581, und
Loreiller spirituel (Das geistliche Kopfkissen),
1599, für zwei asketische Werke; daneben findet
sich aber bereits zu gleicher Zeit Honorii P/iila-
letis Hemiopolitani Jägerlnst oder philosophischer
Nyntphenfang fiir ein durchaus ernstes Werk
und weiter wird in der Mitte des XVII. Jahr¬
hunderts besonders durch die Schriften Abra¬
hams a Sancta Clara ein scherzhafter Sinn
gern in die Büchertitel gelegt. Seine Abraha-
mitische Lauberhütt, ein Tisch mit Speisen in
der Mitt findet in Vockerodts Aufgedecktem
Mitteldings-Betrug und in Kramers Quaker
Quack an seine Gemeinde gethan gleichwertige
Gegenstücke. Der Zorn der geistlichen Herrn
in Angriff und Verteidigung förderte eine ganze
Reihe spitziger und derber Titel für ihre Schriften
zu Tage. Unter diesen wetteifern die lateini¬
schen: Asinus avis, Bos ad ficum alügatus,
Asinus germanicus sine corde et auribus, Caput
bovis exomatum, Querela patibidi mit den deut¬
schen Geistliche Schlafhaube, Geistliche Martins¬
gans, Großer Kluncker-Mutz, Alamodische Hobel -
bank , Hellpolirter Scheuerwisch, Schmeck Bier,
Schelmufsky , Wohl auf geopferter Dudelsack,
Römischen Reichs Licht-Putzer , Politischer Leyer¬
mann, Calvinischer Vitzliputzli, Friß Vogel oder
stirb u. a.
Einen besonderen Aufputz tragen auch die
Titel der juristischen Dissertationen aus dem
Ende des XVII. und aus dem XVIII. Jahr¬
hundert. Es wird eine feierliche Würde in sie
gelegt, die gar oft mit dem kurzen und recht
einfältigen, nur selten wirklich scherzhaften oder
gehaltvollen Inhalte kontrastiert. Die Form,
die sich einmal eingebürgert hatte, blieb bestehn
und findet sich in einzelnen Spuren noch jetzt;
aber nicht die Studenten gaben damals ihren
Erstlingen den Titel, sondern die Professoren
selbst, und je spitzfindiger das Thema war,
desto auffälliger wurde das Aushängeschild, das
manchmal solchem Traktat zu einer Reihe von
Auflagen verhalf. Von den Conclusiones juri-
dicae inaugurales de eurematicis seu strata-
gematicis juris vulgo von juristischen Findgen,
welches Thema der gelehrte Professor Essen
in Wittenberg einem Doctorandus einst stellte,
erschienen kurz hintereinander sieben Ausgaben,
obgleich der Inhalt nicht im entferntesten das
Thema erschöpft; von einer auf Professor
Grupens Veranlassung geschriebenen Disser¬
tation De donationibus ante nuptiis et ad
quaestionem an osculo virginitas delibetur. Ob
die Jungjferschaft durch einen Kuß verlohren
gehe, sind drei Ausgaben bekannt. Ebenso ist
das Thema Eunuchii conjugium . Die Capaunen-
heyrath, hoc est de conjugio inter Eunückum
et virginem juvenculam mehrfach behandelt
worden. Wenn auch Thema und Titel bei
Dissertationen übereinstimmen, so ist letzterer
doch meist ganz besonders auffällig und zum
Lesen anreizend gewählt. Die Jura hominis
bicipitisy die Rechte eines zweiköpfigen Menschen,
die Electa de jure canum, das Hunderecht, die
Erörterungen de jure circa ebrietatem , vom
Recht der Trunkenheit, de concubitu intra tem-
pus luctus , de jure embryonum , de serto vir-
ginum, vom Jungfemkranze, de calore juvenili,
von der Jugendhitze nebst denen daher ent¬
stehenden Verbrechen, die Tractatio juridica de
virgine prae vidua ducenda, oder daß es besser
sey, ein jung Mädgen zu heyrathen als eine
junge Wittwe, weiter noch die Dissertationen
vom Rechte der Füße, der nackigten Häupter,
Brüste, Bäuche u. s.w. und die Auseinandersetzung,
ob der Bock, der Weihwasser gesoffen, am
Leben zu strafen sei, — alle diese Titel allein
schon waren geeignet, die Schriften weit über
den akademischen Kreis der betreffenden Uni¬
versität bekannt zu machen.
Die Mode der langen Titel hatte ihre Blüte¬
zeit im XVÜ. und XVIII. Jahrhundert, damals
als die Leser noch so glücklich waren, weniger
Bücher lesen zu müssen und also mehr Zeit
auf das einzelne verwenden konnten. Das Titel¬
blatt ist mit gedruckten Wörtern ganz bedeckt,
oft nicht einmal das Wesentliche durch den
Druck hervorgehoben, und wenn wir selbst die
zugefugten Inhaltsangaben abziehn, so bleibt
doch noch meist ein gewaltiges Satzgefüge als
Titel übrig. Als einer der gewichtigsten Ver¬
treter der langen Titel galt zu seiner Zeit des
Alphonsus Lasor a Varea Universus terrarum
orbis scriptorum calamo delineatus , Patavii 1713,
der 117 Wörter aufweist Übertroffen wird er
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Meisner, Büchertitelmoden.
41
aber durch den eines Buches, welches 1794 in
Brünn erschien, Der wahrhafte Farbenkoch
ohne Maske, der sich in 175 Wörtern auf dem
Titelblatte anpreist Im XVUI. Jahrhundert
ging die Mode der langen Titel besonders auch
auf Romane über, bis von England her durch
den Romanschriftsteller Samuel Richardson all¬
mählich eine kürzere Fassung der Titel wieder
Raum gewann. Eine besondere Abart dieser
langen Titel waren die Doppeltitel, die wir noch
heute bei Hintertreppenromanen, freilich aber
auch bei Ibsens Nora — ein Puppenheun
finden. Gewöhnlich bildete den ersten Teil
des Titels ein Eigenname, dann folgte die Hin¬
deutung auf die Schicksale des Helden oder
der Heldin. Ridogar, Fürst der Hölle, oder
die Teufelsbeschwörung in der Geisterburg ;
Albertine von Gallicien oder das Gespenst in
der Todtengruft u. a. gaben die Muster für die
Titel der Schauerballaden in unsem humoristi¬
schen Blättern.
Gerade zur Zeit der Mode der langen Titel
finden wir auch den absoluten Gegensatz da¬
zu, nämlich Bücher, bei denen das Titelblatt
ganz leer blieb; 1 aber da mehrere Verleger
diesen Gedanken ausnutzten, so ward es schwer,
bei Bestellungen das richtige Buch herauszu¬
finden, und deshalb kam man bald von dieser
Art der Titelgebung zurück, oder man wählte
wenigstens ein paar Buchstaben oder ein andres
Zeichen, um Verwechslungen zu vermeiden.
So finden wir einen Titel M. R ., was „Meine
Reisen“ bedeuten soll, ferner Fragezeichen, Aus¬
rufungszeichen, Gedankenstriche. Wem dies
doch zu wenig erschien, setzte auf das Titel¬
blatt „Das Buch ohne Titel“ oder „Das Wochen¬
blatt ohne Titel“; von dieser Art erschien in
Nürnberg 1770 ein Journal, von jener drei
Bücher, das eine 1746, die beiden andern 1801,
alle drei 2 Gedichte, Erzählungen und morali¬
sche Aufsätze enthaltend.
Die Mode der Titelgebung läßt sich auch
nach einer andern Richtung verfolgen, indem
nämlich manches Titelwort, das einschlägt, ein
Muster für eine zahlreiche Familie wird. Die
Thesaurus, Corpus, Miroir der älteren und
mittelalterlichen Zeit kehren für bestimmte
Kategorien immer wieder, ja selbst die Ver¬
fasser von epochemachenden Werken gelten
1 Journal des Luxus und der Moden, 1798, p. 232.
Z. f. B. 1904/1905.
ähnlichen, späteren für die richtigen Titelhelden,
wie wir dies bei dem guten Knigge noch be¬
wundern können, der als ,JNeuer Knigge“ und
„Antiknigge“ selbst nun als Titel figuriert. Von
solchen Stammtiteln ganzer Kategorien ist seit
dem XVI. Jahrhundert der der Otia aufge¬
kommen und zwar als Bezeichnung gesam¬
melter Studien. Als ältestes Otium läßt sich
das Otium quadrimestre des Pareia, Salamanca
1591, nachweisen. Im XVII. Jahrhundert heftet
sich gern an den Begrift eine adjektivische
Ortsbezeichnung; so finden wir ein Otium Mar -
pur gerne (1614), Otium Wratislaviense (1658),
Jettense (1671), Vindelicum (1729), Lipsiense et
Leucopetrense , Mecklenburgicum, Lubecense und
das bekannte Otium Hanoveranum von Leibnitz.
Auch andre Zusätze fuhren die Otia, so die
bekannten Otia unperialia des Gervasius Tilbe-
riensis (1697), die verschiedenen Otia theologica,
sacra u. a.
Nicht so allgemein, wie die Otia wurde das
Vademecum als Titel benutzt, aber dieses Titel¬
wort hat wunderbare Wandlungen durchge¬
macht, indem es zunächst, zuerst seit 1709, für
geistliche Erbauungsbücher angewandt wurde,
dann aber meist für scherzhafte Sammlungen
gebraucht wurde, unter denen das Berliner
Vademecum , in 10 Teilen 1764—1790 erschienen,
seinerzeit am bekanntesten gewesen ist.
Eine weitere Verbreitung fanden die Ana-
Titel. Nach dem Tode des zu seiner Zeit
hoch geschätzten Gelehrten und Dichters Joseph
Justus Scaliger im Jahre 1609 unternahmen es
dessen Schüler Johann und Nicolaus Vassan,
alles, was sie von und über Scaliger wußten,
in bunter Ordnung, sogar in verschiedenen
Sprachen, aufzuschreiben. Dieser Kompilation
gaben sie den Titel Scaligeriana . Das Manu¬
skript ging von Hand zu Hand, bis es Isaak
Voß 1666 drucken ließ. Ehe es aber zum
Druck gelangt war, war bereits im Jahre 1664
ein Buch Perroniana erschienen, das die Aus¬
sprüche und Taten des Großalmoseniers von
Frankreich unter Heinrich IV. Jac. Davy du
Perron enthielt. Von Frankreich also ist die
Ana-Literatur ausgegangen und hat sich bald
auch ihre zahlreichen Liebhaber in Deutschland
und Holland verschafft. Es war ein neues
Genre der Literatur, halb anekdotenhaft, halb
— 2 Critik der Titel, Halle 1804, p. 29.
6
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42
Meisner, Büchertitelmoden.
wissenschaftlich. Bis in die zweite Hälfte des
XVIII. Jahrhunderts hielt die Vorliebe für Ana-
Titel vor, konnte sich aber außer in Dänemark,
keine weiteren Gebiete erwerben, so daß man
tatsächlich in Italien und in Spanien keine Ana
findet. Aufs neue schien zu Anfang des XIX.
Jahrhunderts in Frankreich eine Blüte der Ana-
Titel zu entstehn, aber in den zwanziger Jahren
verschwand diese Liebhaberei auffallend schnell
und ist jetzt fast ganz aus der Mode gekommen.
So lange die Ana noch an die Person eines
berühmten Mannes anknüpften, bleibt der Titel
verständlich. Wir wissen, was mit Melanch -
thoniana, Herderiana, Schilleriana und Mülle-
riana gemeint ist; allein bald versuchte man
andern Begriffen die Endsilben -ana anzuhängen,
und damit ward der ursprüngliche Gedanke,
der den Ana-Titeln zugrunde lag, verschleiert.
Von den Comödiana und Gastronomiana ge¬
langte man zu den Orientaliana und Plagiari-
ana und weiter zu Asiniana, Cravaliania und
Omniana . Im ganzen lassen sich etwa 140
Ana-Titel zusammenstellen; ja man hat sogar
eine Sammlung verschiedener Ana unter diesem
Titel in zehn Bänden herausgegeben.
Ähnliche Erscheinungen bietet die Iaden-
Literatur. Als Klopstock 1751 seine Messiade
herausgegeben hatte, folgten ihm zur Bezeich¬
nung größerer Epen in der Titelbildung mehrere;
wir finden in der Folge eine Lutheriade von
C. F. v. Derschau, eine Margarethiade und
eine Hanseade von G. J. Lucius, letztere mit
einer Anlehnung an die Ilias, die man beson¬
ders nach dem Bekanntwerden der Übersetzung
durch Voß mit Hiade bezeichnete. Diesen
ernsten laden-Gedichten steht eine Anzahl
komischer Epen gegenüber, für welche die
Iaden-Titel geradezu typisch geworden sind.
Wir denken dabei zuerst wohl an Kortüms
Jobsiade . Allein dieses ist nicht das erste
komische Heldengedicht mit einem Iaden-Titel,
denn schon vor dem Erscheinen desselben war
Friedrich August Cranz, der bekannte Satiriker,
im Jahre 1779 mit seiner Bockiade heraus¬
gekommen, der er später eine Oxiade folgen
ließ. Wirkliche Nachahmungen der Jobsiade
sind die Burkeliade , epischer Schwank von
M. Reimlein, 1829, und die Töffeliade , komi¬
sches Heldengedicht von F. Hallensleben, 1836,
das in Kortümschen Knittelversen abgefaßt ist
Die Iaden-Mode ist bis auf unsere Zeit erhalten
geblieben, nicht sowohl in eigentlichen Bücher¬
titeln, sondern als Bezeichnung ganzer Kate¬
gorien von Schriften, wie die Robinsonaden
und Münchhausiaden.
Ein eignes Gebiet für ihre Titel haben von
je her die Zeitschriften und Almanache für sich
in Anspruch genommen. Darunter ist das Auf¬
fallendste die fast vollständige Ausnutzung der
mythologischen Namen. Dem Götterboten
Merkur gebührt die Ehre, zuerst als Buchtitel
zu dienen und zwar für ein politisches Journal,
den Mer eure frangais , der seit 1611 erschien
und die vorher in Deutschland für periodische
Schriften, die die Weltereignisse registrierten,
übliche Bezeichnung Relationes teilweise ver¬
drängte. Wir finden bald die neue Bezeich¬
nung in verschiedenen Ländern und in ver¬
schiedenen Gestalten, zunächst aber immer als
periodische Zusammenfassung politischer Er¬
eignisse, bis 1773 Wieland in seinem deutschen
Merkur den Namen auch für ein literarisches
Journal einführte. Bereits 1767 aber hatte
Bodmer eine Kalliope herausgegeben; es folgten
bald bis gegen das Ende des Jahrhunderts hin
eine Pandora , Ceres, Eupltrosine, Flora , Aurora ,
und dann begann im Anfang des XIX. Jahr¬
hunderts bei den immer mehr aufkommenden
Musenalmanachen ein Wettbewerb in Erfindung
ähnlicher Namen, für die auch die nordische
Mythologie ihr Kontingent stellte. Am be¬
liebtesten und am meisten vorkommend sind
die Namen Minerva , Aurora, Apollo, Venus,
Urania, Melpomene , Thalia, Momus u. a. Erst
gegen Ende der dreißiger Jahre verschwindet
diese Mode.
So hat denn, wie die Ausstattung der Titel¬
blätter, auch die Titelabfassung durch die Jahr¬
hunderte hindurch ihre Modelaunen gehabt,
und wie jetzt manch strenger Richter die mo¬
dernen Ausartungen der Titelblätter verurteilt,
so gab es auch früher, als die Büchertitelmode
manchmal gar zu übermütig ward, nicht selten
einen Kritiker, der grimmig gegen den Betrug
falscher, über den Inhalt täuschender oder
prunkhafter Titel zu Felde zog. Da aber das
Buch eine Ware ist, die die Bestimmung hat,
angekauft zu werden, so müssen es auch Ver¬
fasser und Verleger versuchen, wie sie jene
am besten an den Mann bringen, und brauchen
dazu ein Aushängeschild, welches lockt oder
über die Güte des Stoffes orientiert. Neben
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Chronik.
43
all den Modelaunen der Büchertitel geht aber
seit Jahrhunderten eine Fassung einher, die,
bewußt des Wertes des Buches, welches sie
vertritt, allen Flitterkram und Reklameputz, alles
Sensationelle, Übertriebene und in die Augen
fallende verabscheut, dennoch aber einen wahren
Stolz in sich birgt und kurz und einfach lautet
„Gesammelte Werke“.
«fr
Chronik.
Einige neue Kunsteinbände.
Das Wort Schillers „Wo Starkes sich und Mildes
paarten, da gibt es einen guten Klang“, läßt sich
vorzüglich auf das vornehmste und glücklicherweise
in jüngster Zeit auch vomehmlichste Material der
Buchbindekunst anwenden: auf das Leder. Seine
Haltbarkeit und Flexibilität, seine unbegrenzte
Färbungsmöglichkeit und die Verschiedenheit der
dabei anzuwendenden Techniken, die handwerks¬
mäßige wie die frei-künstlerische Behandlung sind
durch kein anderes Material der Welt zu ersetzen.
Besonders haben die neueren Schöpfer des Buch¬
einbandes den Ganzlederband frisch belebt und
neben mancher komplizierten Mosaikarbeit auch
den glatten Lederband durch zierliche Goldoma-
mentierung den besten Arbeiten der alten Meister
der „petits fers“ nahe gebracht
Die sechs Einbände, deren Reproduktion
wir in dieser Nummer geben, stammen aus
der Werkstatt Paul Kerstens . Kersten hat
sich durch seine schönen und formensichern
Einbände bereits eine feste Stellung im Reiche
der Bücherfreunde erworben, als er noch in
Leipzig tätig war. Es ist sehr zu wünschen,
daß ihm, nun er wirtschaftlich selbständig
geworden ist, neben dem künstlerischen
auch der materielle Erfolg treu bleibt
Die in Frage kommenden Einbände sind
Einzelschöpfungen, ohne jedoch dem einzelnen
Buch auf „den Leib entworfen“ zu sein.
Vielmehr könnten die vornehmen, feinlinigen
Goldomamente, die sich schließenartig über
Rücken und Seiten des Deckels ziehen, auch
jedem andern Buche zur Zierde gereichen
und haben mit dem Inhalt der durch Zufall
oder Vorliebe gewählten Bücher keinen
Zusammenhang.
Es sind Ganzlederbände bis auf einen
Band, für den Halbfranz gewählt worden
ist, nämlich für den ersten Jahrgang des
Archivs für Buchbinderei von Adam (Abb. i),
einem Oktavlexikonband mit Rücken und
Ecken in lüa Maroquin ecrase, dessen Über¬
zug, Vorsatz und Schnitt in gleichtonigem
Wandermarmor hergestellt ist Die Linien¬
vergoldung auf dem Leder ist mit der Hand
hergestellt, ebenso wie die leicht altirisch
anmutenden Ornamente auf Abb. 5, einem
Kleinoktavbändchen in veilchenblauem ge¬
narbtem Kalbleder mit assortiertem Vorsatz und
Schnitt in Wandermarmor, das Grimms Frühling
und Liebt* enthält Abb. 4 ist der Einband zu
einem Werke des geschmackvollen Buchästheten
Emst Schur , „Die Ausstattung des Buches Kein
Wunder, daß gerade bei diesem Bande die liebe¬
vollste Sorgfalt angewendet worden ist Die Linien¬
handvergoldung ist hier besonders kühn und leicht
und von würzigen petit-fers-Rosetten pikant ge¬
hoben. Das Material ist kastanienbraunes Maroquin
ecrase, zu dem wiederum kastanienbrauner Wander¬
marmor als Schnitt und Vorsatz tritt Nicht nur
Ästhet, sondern auch praktischer Künstler ist Cobden -
Sanderson , dessen „Kunst und Kunsthandwerk“ auf
Abb. 2 würdig in orange Maroquin ecrase gehüllt
ist; eine feine Stepp-Punktierung umzieht den
Abb 1. Halbfranz-Einband von Paul Kersten.
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Chronik.
44
Abb. 2. Einband in orangefarbenem Maroquin ecrase
von P. Renten.
Rand des Deckels und gibt ihm einen eigenartigen
Charakter des Abgegrenzten. Der Marmor von
Vorsatz und Schnitt passen natürlich genau im Ton.
Sonderbar genug in dieser ernsten Gesellschaft
nimmt sich ein schmächtiges Bändchen in maus¬
grauem Maroquin ecrase aus, dessen spitzige, den
Rücken überspannende Ornamente innerhalb ihrer
goldnen Grenzen graublau gebeizt sind, während
für Schnitt und Vorsatz Jugendmarmor gewählt
wurde. Es ist ein Exemplar von Hans von
Kahlenbergs viel angefeindetem „Nixchen“, einer
jener ganz belanglosen schillernden Sumpfblasen,
denen die hohe Staatsanwaltschaft erst zu einer
unberechtigten Gesuchtheit verhilft (Abb. 6).
Ganz wunderhübsch ist das Omamentenpaar
auf dem apfelgrünen Maroquindeckel zu Wit-
kowskis trefflicher Goethebiographie, die im See-
mannschen Verlage in Leipzig erschienen ist (Abb. 3).
Die schöngezogenen Linien sind durch goldene zier¬
liche Sternchen, wie sie die Punze des Rindleder¬
arbeiters ähnlich liefert, ausgefüllt und hierdurch
sozusagen körperlicher, massiver gestaltet. Apfel-
grün ist auch der Grundton des Wandermarmors
von Schnitt und Vorsatz.
Sämtliche Bände sind verkäuflich. Sie haben
neben ihrer sorgsamen Ausführung und dem Reiz
des Spiels ihrer Linienomamente eben den ein¬
gangs schon erwähnten großen Vorzug der Adapti-
bilität Gewandbedürftige Lieblinge jeden Genres
dürfen sich, so lange die Formate stimmen, in
diese zartfarbigen Maroquingewänder hüllen lassen,
ohne Inhalt und Außenseite in Widerspruch zu
bringen. Solidität verbinden sich bei ihnen in
glücklicher Weise mit vornehmer Eleganz und
Mäßigung. A.
Zur Geschichte der Karikatur.
Mit dem zweiten Bande der „Karikatur der euro-
päischen Völker “ hat Eduard Fuchs sein Werk bis zur
Gegenwart fortgeführt (Berlin, A. Hofmann & Co.;
20 Hefte ä 75 Pfg.). Der Band beginnt mit dem Jahre
Achtundvierzig. Als Vorbote zeigte sich die Lola
Montez-Komödie in Bayern, die merkwürdigerweise den
Sturz des klerikalen Ministeriums zur Folge hatte.
Aber die anfängliche Begeisterung für die schöne
Favoritin des Königs wandelte sich rasch mit der fort¬
schreitenden Reaktion, und nun prasselte ein Regen
von Karikaturen auf Lola herab, zum Teil witzig bei
aller Bosheit, zum Teil unglaublich schamlos; man sagt,
daß einige der erotischen Blätter sogar von Wilhelm
Kaulbach stammen sollen. Um diese Zeit erschienen
auch die ersten süddeutschen Witzblätter: die „Fliegen¬
den“ (die anfänglich gleichfalls die politische Satire
bevorzugten), Schleichs „Punsch“, Pfaus „Eulenspiegel“,
die „Düsseldorfer Monatshefte“. In Frankreich hatte
der „Charivari“ im Kampfe gegen die Regierung im
„Journal pour Rire“ einen Genossen gefunden, zu
dessen Künstlern u. a. Dor£ gehörte. Auch Daumier
regte sich wieder, so daß man wohl von einer Wieder¬
erweckung der Karikatur jenseits der Vogesen sprechen
konnte. Sehr viel harmloser gab sich das politische
Spottbild im österreichischen Vormärz; aber merk¬
würdig, so gewaltig sonst die Zensur wütete — der Ülu-
strierten Zote und dem sexuellen Witz ließ sie freie
Bahn. Die Wiener Volksbewegung half natürlich auch
in Österreich der politischen Karikatur auf die Beine,
doch die Ausbeute ist im allgemeinen gering.
In Deutschland war Achtundvierzig das Geburts¬
jahr der Karikatur. Von dem Umfang der satirischen
Flugblattliteratur jener Tage kann man sich heute
kaum einen Begriff machen. Eigentümlich fiir Berlin
war das satirische Plakat, das in A Cohnfeld („Aujust
Buddelmeyer“) und A Hopf („Ullo Bohnhammel“)
seine Meister fand. Aber auch die periodische Witz¬
blattliteratur begann aufzublühen. Dem „Kladdera¬
datsch“ folgten Glasbrenners „Freie Blätter“, dann der
„Berliner Krakehler“, das „Berliner Großmaul“, die
„Tante Voß mit ’n Besen“ und zahllose andere, die
allein der immer rüstige „Kladderadatsch“ überlebt
hat Der „Neffe des Onkels“ wurde in den alten
Pariser Witzblättern gehörig zerzaust, aber seltsamer¬
weise schuf die zweite bürgerliche Republik weder
neue satirische Organe noch neue Talente. Anders
war es in Italien, wo die Revolution den „Arlecchino“
und „Don Pirlone“ und den noch heute existierenden
„Fischietto“ ins Leben rief.
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Chronik.
45
Ein besonderes Kapitel gehört der „Frau der
Revolution“, natürlich vor allem der politisierenden
Frau, die Beaumont, Daumier, Cham u. a. in
Frankreich graziöser zu verspotten wußten als die
deutschen Karikaturisten. Ungleich ergiebiger für
die Karikatur war die Kokotte des zweiten Kaiser¬
reichs. Aus dem politischen „Journal pour Rire“
wurde das „Journal amüsant“, das nur noch der
Lüsternheit diente, aber eine Reihe glänzender
Künstler an sich zu fesseln wußte wie Gr^vin, Cham,
Marcelin, Robida u. a. Bei weitem höher standen
Gavarni, Monnier und Gill, der berühmte Zeichner
der „Lune“, ein Blatt, das auch sonst manches treff¬
liche Talent eingeführt hat.
In der Zeit der deutschen Reaktion lag die
Karikatur ziemlich brach. In Süddeutschland waren
die „Frankfurter Laterne“ Stoltzes, in Norddeutsch¬
land der „Kladderadatsch“ die einzigen führenden
Witzblätter. Auch der Krieg gegen Frankreich gab
der deutschen Karikatur nicht den erwarteten Auf¬
schwung. In Frankreich wurde 1870/71 allerdings
ungeheuer viel an Spottbildern produziert, aber
gleichfalls fast nur Minderwertiges; Faustin, Moloch,
Said, le Petit, Regamey, Pilotelle mit ihren Blättern
bilden nur Ausnahmen. Die englische Karikatur
stand damals ganz auf seiten Frankreichs. „Punch“
verspottete Deutschland, „Judy“ verlästerte es.
„Punch“ war das erste politisch-satirische Witz¬
blatt Englands in modernem Stil; Crane, Doyle,
Maurier, Keene, Thackeray waren von Anbeginn
seine Mitarbeiter. In Österreich scharten sich um
den „Wiener Figaro“ und den aus Bergs „Tritsche-
Tratsch“ hervorgegangenem „Kickeriki“ einige tüch¬
tige Karikaturisten, so Canon, Laufberger, Müller,
Juch, Moser. Die laszive Karikatur dominiert im
„Floh“ von Klic, den „Wiener Karikaturen“, im
„Pschütt“, der „Bombe“, dem Pester „Caviar“; der
Innsbrucker „Scherer“ geht noch immer mit Keulen¬
schlägen dem Klerikalismus zu Leibe.
Seit 1871 drehte sich in der deutschen Karikatur
alles um Bismarck. Künstlerisch wie stofflich bereitete
sich eine Blüteperiode des Spottbüds vor. Dem
„Kladderadatsch“ reihten sich Stettenheims „Wespen“,
Habers „Ulk“ und Moszkowskis „Lustige Blätter“ an;
die weichere Zinkätzung verdrängte den Holzschnitt;
der Farbendruck kam auf. Künstler wie Jüttner,
Brandt, Wellner, Heilemann, Czabran, Feininger,
Klinger, Edel schufen eine große Reihe prächtiger
Blätter. In München entstanden „Jugend“ und „Sim-
plicissimus“; Heine, Thöny, Recznicek, Wilke, Engl und
die um Dr. Hirth und A. Langen sich gruppierenden
Künstlerkreise traten in den Vordergrund. Auch die
Sozialdemokratie schuf sich neue Witzblätter: den „Süd¬
deutschen Postillon“ und den „Wahren Jakob“, denen
Engert und der Italiener Ratalanga ihre scharf gespitzten
Stifte zur Verfügung stellten. Neben der ins Ungeheure
gehenden pornographischen Witzblattliteratur in Frank¬
reich hob sich dort auch die politische Karikatur: Salis’
„Chat noir“, „Le Rire“, „L'Asiette au beurre“ und Gills
aus der „Eclipse“ entstandene „Lune rousse“ sam¬
melten Künstler wie Forain, Willette, Steinlen, Toulouse-
Abb. 3. Einband in apfelgrünem Maroquin
von P. Kersten.
Lautrec, L^andre, Vdber, Bac, Jossot, Vallotton, Caran
d’Ache um ihre Fahnen. Belgien beschränkt sich fast
nur auf französischen Import; Holland besitzt kein
eigenes Witzblatt; die italienische politisch-satirische
Presse lehnt sich gleichfalls an Frankreich an; in der
Schweiz bringt der „Nebelspalter“ häufig recht gute
Spottbilder.
Infolge des allgemeinen Aufblühens der Karikatur
hat sich auch das gesellschaftliche Spottbild gehoben.
Daneben nimmt die gezeichnete Zote einen großen
Raum ein. In Paris sind die Cochonblätter Legion,
in Wien und Berlin stehen sie künstlerisch auf noch
niedrigerer Stufe. Das Recht auf Cynismus im Gegen¬
satz zu der sich gern breit machenden Tugendheuchelei
soll der Karikatur nicht bestritten werden. Aber Fuchs
geht zu weit, wenn er sagt: „Jedes stärkere Hervor¬
treten des Cynismus ist in gewissem Sinne ein Zeugnis
der Gesundung.“ Und auch sein Schlußwort ist nicht
richtig: „Mit ihren stärksten Taten, mit ihren herr¬
lichsten Namen stand die Karikatur stets auf der Seite
des Schönen und Guten.“ Sein eigenes Buch wider¬
legt das. Gegner des unglücklichen Dreyfuß waren
die glänzendsten Karikaturisten Frankreichs, z. B.
Caran d'Ache. Über den politischen Standpunkt des
Verfassers will ich nicht streiten; zuweilen verführt er
ihn aber zu Ungerechtigkeiten. Er verurteilt die anti¬
semitischen Karikaturen, die anläßüch des Dreyfuß-
prozesses entstanden, und erklärt Liliencron von „ba¬
nalsten Vorurteilen“ umfangen, weil dieser einmal ein
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Chronik.
geharnischtes Wort gegen die Veralberung des deut¬
schen Offiziers in den Witzblättern sprach. Er sagt
zur Charakterisierung des „Simplicissimus“, daß das
Blatt immer bereit sei, „alles zu wagen und alles zu
brüskieren“, und fügt hinzu: „Der Simplicissimus-Geist
beherrscht heute den gesamten öffentlichen Geist
Deutschlands . . Vergessen hat Fuchs den „Puck“
Constantin von Grimms mit seinen ausgezeichneten,
nur vom Herausgeber gezeichneten Karikaturen, ferner
das Berliner Witzblatt „Die Wahrheit“ und den in der
Reaktionszeit begründeten „Kleinen Reaktionär“ — die
beiden letztgenannten deshalb charakteristisch, weil sie
meines Wissens die beiden einzigen politisch-satirischen
Blätter sind, die auf konservativem Boden entstanden.
Diesen Aussetzungen gegenüber muß aber betont
werden, daß auch der zweite Band des Werks eine
bewundernswerte Leistung großen Fleißes und um¬
fassender Stoffbeherrschung, ist. Und ebenso ist zu
betonen, daß Fuchs in der Auswahl der Bilder sich
nach keiner Richtung hin von seinen eigenen politischen
Neigungen beeinflussen ließ. Er hat aus dem Un¬
geheuern Material, das er durchforscht hat, das poli¬
tisch Charakteristischste, künstlerisch Schönste und
Amüsanteste ausgewählt, darunter Blätter von erlesener
Seltenheit und hohem Werte. Der Prospekt nennt
das Buch „eine Art Weltgeschichte in Epigrammen“.
Das ist es in der Tat. Es ist ein Buch voll genialen
Humors, voll sprudelnden Witzes, und dabei ein Kultur¬
dokument ersten Ranges. Der Verlag hat für eine
glänzende Ausstattung gesorgt, die chemigraphische
Kunstanstalt von Brend’amour, Simhardt & Co. in
München namendich die farbigen Abbildungen aus-
Abb. 4. Einband in kastanienbraunem Maroquin ecras6
von P. Kersten.
gezeichnet reproduziert, die Firma Hesse & Becker in
Leipzig das Buch trefflich gedruckt. So sei es denn
auf das wärmste empfohlen. —bl—
Dührens neues Sade-Werk.
Auch das neue Werk des Dr. Eugen Dühren über
den Marquis de Sade (Berlin, Max Harrwitz) dürfte in
gleichem Maße den Mediziner wie den Bibliophilen
interessieren. Es basiert in der Hauptsache auf das
von dem Verfasser entdeckte Manuskript de Sades
„Les 120 Joum^es de Sodome“, das bereits in dem
ersten Sade-Buche Dührens erwähnt wird und das der
unter dem Namen Pisanus Fraxi bekannte englische
Bibliophile in seinem Index librorum prohibitorum kurz
beschreibt. Retif de la Bretonne, der den Autor der
„Justine“ bei Gelegenheit nicht genug als Ungeheuer
schildern kann und als Gegenstück zu dem genannten
Roman eine „moralische“ Schmutzerei in die Welt
setzte, spricht in seinem „Monsieur Nicolas“ von dem
Manuskript einer „Theorie du Libertinage“ de Sades,
das an Scheußlichkeit noch die „Justine“ übertreffen
sollte. Nun heißt der Nebentitel der „120 Tage von
Sodom“ „Ecole du Libertinage“, und man könnte wohl
glauben, daß die beiden Werke identisch sind; dagegen
sprechen aber Einzelheiten in dem Roman, besonder?
einige Namen, die R&if anführt und die sich in den
„120 Joumdes“ nicht finden. Dühren meint deshalb, es
handle sich um zwei verschiedene Manuskripte resp. um
zwei Bearbeitungen desselben Themas, eine Ansicht,
die dadurch Unterstützung findet, daß Sade das
Manuskript der „120 Joum^es“ in der Bastille zurück¬
lassen mußte, vergeblich reklamiert und die Arbeit
deshalb später vielleicht noch einmal konzipiert
hat. Ebenso leicht möglich ist es aber, daß Sade
Teile des Manuskripts in der Bastille vorgelesen
hat (Besuche waren ihm gestattet) und daß R£tif
nur dem „Hörensagen“ nacherzählt hat. Er be¬
hauptet freilich, er hätte das Manuskript gelesen;
aber Rötif war immer ein großer Lügner, aller¬
dings ein ebenso amüsanter als boshafter.
Seis wie es sei: schon die Handschriftver¬
gleichung, mehr aber noch der Inhalt der „120
Joum^es“, beweist untrüglich, daß de Sade der Ver¬
fasser ist. Das Manuskript kam aus der Bastille in
die Hände des Marquis de Villeneuve, dessen Enkel
es auf Veranlassung Dührens an einen deutschen
Amateur verkaufte. Ein tüchtiger Romanist hat die
Entzifferung der mikroskopisch kleinen, nur durch
die Lupe lesbaren Handschrift besorgt, sodaß nun¬
mehr eine tadellose Kopie des ganzen Werks vor¬
liegt, das für den medizinischen Forscher insofern
von höchstem Interesse ist, als es der erste, wenn
auch in Romanform gekleidete Versuch einer syste¬
matischen Darstellung des Gesamtgebiets der so¬
genannten Psychopathia sexualis ist. Die eminente
wissenschaftliche Bedeutung der Arbeit ist also un¬
verkennbar, und man kann deshalb dem Wunsche
Dührens nach einer Drucklegung nur zustimmen;
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Chronik.
47
freilich darf das Buch über den Kreis der ernsthaften
Forschung nicht herauskommen.
Dührens neues Sade-Buch, das dem bekannten
medizinischen Historiker Professor Dr. Jul. Leop. Pagel
in Berlin gewidmet ist, darf ebensowenig wie seine
früheren Arbeiten mit den in letzter Zeit massenhaft
auftauchenden pseudo-wissenschaftlichen Werken über
die Perversionen des Geschlechtslebens verwechselt
werden. Es ist kein Buch für sensationslüsterne Leser;
aber auch der gebildete Laie wird es mit demselben
Interesse lesen wie der Fachmann. Der erste Teil
beschäftigt sich mit der Sittengeschichte Frankreichs
im XVIII. Jahrhundert auf Grund mancherlei neu
erschlossener archivalischer Quellen, vor allem der
Herausgabe der erotischen Korrespondenz Mirabeaus
und der umfangreichen Studien Gaston Capons zur
Geschichte der Pariser Sittenpolizei und der petites
maisons. Wo Dühren bei seiner Darstellung auf die
alten Quellen zurückgreift, erscheint er mir zuweÜen
allzu gläubig. Ganz gewiß spiegelt sich in der Lite¬
ratur der Zeit auch der Geist und Charakter der Epoche
wieder. Aber man darf.nicht vergessen, daß gerade
die Memoiren- und Chronikschreiber der Aufklärungs¬
zeit zum guten Teil ganz gewissenlose Klatschbrüder
waren, denen es ein besonderes Vergnügen machte,
den lieben Nächsten mit Schmutz zu bewerfen. Die
ganze Skandalliteratur vor und während der Revolution
ist wirklich nicht höher einzuschätzen als die „authen¬
tischen Darstellungen“ über die Hof- und Gesellschafts¬
skandale der Gegenwart, die in Zürich und Basel zu
erscheinen pflegen.
Die zweite Abteilung des Buchs bringt zunächst
neue Beiträge zur Biographie des Marquis de Sade,
die um so wertvoller sind, als die Mitteilungen von
Nodier, Janin, Lacroix und Uzanne, den einzigen, die
sich früher mit dem „divin marquis“ beschäftigt hatten,
nur mit Vorsicht aufzunehmen waren. Ein Brief Vol¬
taires an den Abbd de Sade, den Oheim des Marquis,
beweist, daß auch dieser wackere Seelsorger ein un¬
verbesserlicher galanthomme gewesen sein muß. Über
Kindheit und Jugend des Marquis geben die auto¬
biographischen Einzelheiten im ersten Bande von
„Aline et Valcour“ den besten Aufschluß. Merkwürdig
ist die Preußenfreundlichkek des Marquis (der den
letzten Teil des siebenjährigen Krieges mitmachte);
Friedrich den Großen nennt er sogar einmal (Juliette,
Band V) den „Heros von Europa“. Von den beiden,
bisher unbekannten Briefen de Sades aus dem Jahre
1767 ist nur der letzte, eine Art Selbstpersiflage, inter¬
essanter. Über die unglückliche Ehe de Sades und
sein Verhältnis zu Fräulein de Rousset hat schon
Ginisty Eingehenderes veröffentlicht, das Dühren noch
zu ergänzen weiß. Außerordentlich geistreich und
scharfsinnig ist das, was Dühren über Sade als Schrift¬
steller und Mensch sagt Daß der Marquis niemals
geisteskrank im engeren Sinne gewesen ist, hat fest¬
gestellt werden können. In der Tat war er ein Mann
von erstaunlicher Kenntnis auf allen Wissensgebieten,
ein hochgebildeter Geist. Manches Rätselhafte in
seinem Wesen bleibt ja noch zu lösen übrig. Es ist
unverständlich, daß die „Nouvelle Justine“ dem philo¬
sophischen Roman „Aline et Valcour“ vorhergehen
konnte; nun wissen wir, daß auch die furchtbaren „120
Joum^es“ vor dieser Erzählung geschrieben worden
sind, die ein so umfassendes Bild der Ideen und Be¬
strebungen seiner Zeit entwirft und die an Gedanken¬
reichtum hoch über den meisten belletristischen Er¬
zeugnissen jener Epoche steht.
Dühren hat bei einem Pariser Bibliophilen noch
eine ganze Anzahl handschriftlicher Fragmente und
Entwürfe de Sades entdeckt; aber der mißtrauische
Mann gewährte ihm nur einen flüchtigen Einblick in
die Papiere. Dagegen teilt Dühren aus dem Besitze
eines Marseiller Archivars mehrere Manuskripte Sades
mit, u. a. den Entwurf zu einem Roman „Les Joum^es
de Florbelle“, der sehr interessante Einblicke in die
Schaffensart des Marquis gewährt
Der letzte Abschnitt des Buchs beschäftigt sich
mit den „120 Joumees“, dem grauenhaftesten Gemälde
menschlicher Ausschweifung, das je entworfen worden
ist. Es wurde im November 1785 in der Bastille voll¬
endet, im 45. Lebensjahre des Marquis, vier Jahre vor
der Revolution, die demgemäß keinen Einfluß auf seine
Theorien ausgeübt haben kann. Merkwürdig aber ist,
daß dieses monströse Werk vor der „Justine“ und
„Philosophie dans le Boudoir“ entstanden sein soll, da
es gewissermaßen den schrecklichen Gipfelpunkt seines
pornographischen Schaffens bildet. Es wird da noch
manches aufzuklären sein. Sicher ist die „Philosophie“,
die 1795 zuerst im Druck erschien, vor der „Justine“
geschrieben worden, denn schon in der Ausgabe von
1792 wird sie in einer Anmerkung erwähnt. Möglicher¬
weise ist aber auch die „Justine et Juliette“ längst vor
Abb. 5. Kunsteinband in b lauem genarbtem Kalbleder
von P. Kersten.
Digitized by LjOOQle
Chronik.
48
Abb. 6. Einband in mausgrauem Maroquin ecrase
von P. K ersten.
den ,,120 Journdes“ im Manuskript fertig gewesen.
1789 wurde Sade aus der Bastille entlassen, um bald
wieder nach Charenton gebracht zu werden, wo er bis
zum April 1790 blieb. In seiner freien Zeit bis 1801,
wo Bonaparte ihn wegen des Pamphlets „Zolod“ von
neuem verhaften ließ, dachte er an die Drucklegung
seiner Werke. Das Manuskript der „120 Joumdes“
besaß er nicht mehr, so hat er vielleicht, um sich an¬
genehm einzufdhren, zur „Justine“ gegriffen, die er für
die späteren Auflagen neu bearbeitete.
Der auf Bütten gedruckten Luxusausgabe des
Dührenschen Buchs sind zwei Handschriftproben de
Sades beigegeben: eine aus einem wiedergefundenen
Teil des verschollenen Manuskripts zu „Aline et Val¬
cour“ und eine aus den „120 Joumdes“, ferner ein Por¬
trät des Marquis „nach einer Lithographie von 1829“.
4 -
Verschiedenes.
Unter dem Titel „Jacob Boehme und die Roman -
tiker “ (I. und II. Teil: Jacob Boehmes Einfluß auf
Tieck und Novalis) hat Edgar Ederheimer eine geist¬
volle Arbeit (C. Wintersche Universitätsbuchhandlung
in Heidelberg. 8°, 128 Seiten) erscheinen lassen. Das
hübsche Bändchen wird auch in weiteren Kreisen seine
Leser finden, da es frei ist von den Schwächen sonstiger
derartiger „Einflußarbeiten“. So betont Ederheimer bei
dem Einfluß von Boehme auf Novalis mit vollem Fug,
daß es sicher „ein großer Fehlschluß wäre, wenn man
sagen wollte, daß alles dieses erst aus Boehme geschöpft
sei“. Bei Novalis stand sein romantisches Ideal vom
Triumph der Phantasie schon fest, als er seine eigene
Art zu denken in Boehme wiederfand. Die sinnliche
Naturbetrachtung hat eben beide zu so ähnlichen Zielen
gebracht Novalis hatte sich diese Art wohl kaum erst
nach Boehme gebildet, sondern sie ist parallel ent¬
standen aus dem Zwang der Zeit.
Diese Art der Betrachtungsweise muß dem jungen
Autor unser volles Lob spenden, der mit seiner Erst¬
lingsarbeit sich von der tüchtigsten Seite zeigt, der¬
artige Probleme mit Verständnis anzupacken. Hatte
es doch Carl Busse für vergeblich erachtet, diese Be¬
ziehungen von Novalis zu Boehme aufzudecken. Daß
Ederheimers Thema gerade jetzt aktuell ist, zeigt z. B.
eine kürzlich in diesen Blättern (VII. Jahrg. S. 405) aus¬
gesprochene Bemerkung von H. Landsberg, wo er
nachweist, daß in dem Baggesenschen Drama (Der
vollendete Faust usw.), das sich u. a. gegen die Toll¬
heiten der romantischen Schule wendet, in dem Schuh¬
flicker Pilz Jacob Boehme zu erkennen ist. Die Mitglieder
der Gesellschaft der Bibliophilen wird es interessieren,
daß die Ederheimersche Studie gerade nach 100 Jahren
einen Teil des Kommentars liefert zu der Satire „Aus¬
sichten der Literatur und Kunst unseres Zeitalters“,
die den Mitgliedern in einem wohlgetreuen Neudruck
erst kürzlich zugänglich gemacht worden ist.
Doch es ist hier nicht der Ort, alles das weiter
auszuspinnen. Ich möchte mich nur kurz zu folgendem
Schlußurteil über die Ederheimersche Arbeit aus¬
sprechen: ihr Hauptverdienst sehe ich darin, daß der
Verfasser an so vielen schlagenden Beispielen nach¬
gewiesen hat, daß die Romantiker und vor allem Novalis
die sinnliche Art der Betrachtung der irdischen Dinge,
um von hier aus zur Erkenntnis der überirdischen zu
gelangen, von Jacob Boehme gelernt haben. Er er¬
blickte nämlich in allen Erscheinungen dieser Welt,
und vor allem im Menschen, Gott und das ganze Uni¬
versum, und lehrte damit den Romantikern „durch das
Einsteigen in das Irdische das Überirdische zu finden“
(S. 33). E. Ebstein.
Ein großes Verdienst hat sich die Firma Otto
Janke in Berlin durch die Herausgabe einer billigen
Auswahl der Erzählungen Wilhelm Raabes erworben.
Die vier Bände umfassen den größten Teil der kleineren
Romane und Novellen Raabes (darunter „Keltische
Knochen“, „Deutscher Mondschein“, „Meister Autor“
und „Wunnigel“) und kosten geschmackvoll gebunden
nur 20 Mk.
Nachdruck verboten . — Alle Rechte Vorbehalten.
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin W. 15*
Alle Sendungen redaktioneller Natur an dessen Adresse erbeten.
Gednickt von W. Drugulin in Leipzig für Velhagen & Klasing in Bielefeld und Leipzig auf Papier der Neuen Papier-Manufaktur
in StraAburg L E.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
8. Jahrgang 1904/1905. - Heft 2 : Mai 1904.
Gedruckte spanische Ablaßbriefe der Inkunabelzeit.
Von
Professor Dr. Konrad Haebler in Dresden.
III.
E ie Hoffnung, daß meine Aufsätze
laßbriefe des XV. Jahrhunderts
Heft 1 und 2, das Interesse an
diesem Gegenstände beleben
und dazu führen könnten, daß andere und neue
Dokumente dieser Art ans Licht gezogen werden
würden, hat sich überraschend schnell und
glänzend erfüllt Ich bin in der angenehmen
Lage, schon heute von nicht weniger als sieben
neuen Ablaßbriefen Rechenschaft abzulegen,
unter denen sich solche von ganz besonderem
Wert und Interesse befinden.
Die zahlreichste Gruppe unter den früher
besprochenen Ablaßbriefen bildet diejenige der
Cruzada-Bullett, von denen ich damals bereits
acht verschiedene Ausfertigungen bekannt geben
konnte. Trotzdem vermag ich auch zu dieser
Gruppe neue Ergänzungen beizubringen, und
zwar gerade solche, die sich auf die ältesten
Bullen dieser Art beziehen.
Nur gelegentlich sei erwähnt, daß ein wei¬
teres Exemplar der katalanischen Cruzada-Bulle
des Juan Vazquez in Toledo inzwischen zum
Vorschein gekommen ist. Sie ist auf Pergament
gedruckt und ausgefertigt am 16. Februar i486
flir den Abt Johannes Paleares. Das Exemplar
Z. f. B. 1904/1905-
befindet sich im Besitze der Firma Karl W.
Hiersemann in Leipzig.
Dagegen ist von Spanien aus eine bisher
unbekannte Cruzada-Bulle kürzlich bekannt ge¬
macht worden. Sie ist gedruckt worden auf
Grund derselben Bewilligung des Papstes Six¬
tus IV., die auch für die ältesten Toledaner
Bullen die Grundlage abgegeben hat. In typo¬
graphischer Beziehung jedoch gehört sie zu
derjenigen Gruppe, welche ich mit dem Namen
des Antonio de Centenera in Verbindung ge¬
bracht hatte, eine Annahme, die ich nach neueren
Untersuchungen etwas einschränken möchte.
Die neue Bulle ist aufgefunden worden unter
den Akten, welche von der alten Delegacion
de hacienda (Staatssteuer-Verwaltung) in Valla¬
dolid an das Archivo Historico Nacional, die
neubegründete zentrale Sammelstelle flir die aus
den Verwaltungs - Archiven hervorgegangenen
Aktenstücke, nach Madrid abgeliefert worden
sind. Sie ist ein Pergamentblatt von gegen
zi'/aXSoCentimeter Größe, nur auf der Vorder¬
seite bedruckt, dessen 55 Druckzeilen den Raum
von \6 x j 2 X2i Centimetem bedecken. Der
Text ist in drei Abteilungen angeordnet, deren
erste, mit einem sehr einfachen Initial-A be¬
ginnend, über den Anlaß und den Umfang des
Sündenerlasses orientiert. Dieser umfänglichste
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Haebler, Gedruckte spanische Ablaßbriefe der Inkunabelzeit.
So
Abschnitt nimmt 36 Zeilen in Anspruch, die in
sieben Unterabteilungen zerfallen, deren jede
mit einer neuen Zeile beginnt. Die erste Ab¬
teilung wird durch die Anfangs-Initiale, jede
folgende durch ein Rubrikzeichen der gewöhn¬
lichen halbmondförmigen Art markiert. Auf
Zeile 34 finden sich die freigelassenen Stellen
fiir den Namen dessen, der die Bulle erwirbt,
und für den Betrag, den er gemäß seinem Stande
fiir dieselbe zu entrichten gehabt hat. In Zeile 36
ist eine weitere Lücke zur Ausfüllung des Tages¬
datums gelassen, und das Jahr ist im Druck
nur annähernd mit mill 1 quatrocientos t ochenta
t... bezeichnet, so daß die Bulle mit vervoll¬
ständigter Jahreszahl eine Reihe von Jahren
hindurch Verwendung finden konnte. Es sind
also vermutlich große Mengen davon auf einmal
hergestellt worden.
Der zweite Abschnitt trägt, mit großen
Lettern gedruckt, die Überschrift: Forma de
absolucion, abermals von einem Rubrikzeichen
begleitet Der Text beginnt mit einer kleineren
Initiale derselben einfachen Art, wie die am
Kopfe der Bulle befindliche. Er zerfällt in drei
wie oben markierte Unterabteilungen und um¬
faßt ohne die Unterschrift zehn Zeilen.
Auf Zeile 48 ist abermals eine Überschrift
zu finden, mit dem Rubrikzeichen beginnend,
aber in der Texttype und nur mit Minuskeln
gesetzt. Sie enthält die Anweisung, wie der
Beichtiger die Absolutionsformel im Angesicht
des Todes zu gestalten hat. Diese selbst um¬
faßt in zwei Unterabteilungen noch sieben Zeilen,
deren letzte nur die zwei Worte „quier prelados“
aufweist.
Die Bulle ist derjenigen textlich und typo¬
graphisch auf das nächste verwandt, die ich
Jahrg. V, S. 63 col. 1 nach einer Ausfertigung
vom 27. März 1484 beschrieben habe. Es ist
aber nicht der gleiche Druck, denn die Zeilen¬
zahl und Form der Datierung sind abweichend,
auch ist die neugefundene Bulle reicher ge¬
gliedert, indem sie drei statt zwei durch Zeilen¬
abstände und Sonderüberschriften kenntlich
gemachte Abschnitte aufweist.
Was der neuen Bulle aber ein besonderes
Interesse verleiht, ist die Ausfertigung. Das
Faksimile, welches mir zu Gebote steht — in
der „Revista de archivos bibliotecas y museos,"
Epoca III, ano VI, nümero 8 y 9, agosto y
setiembre 1902, pg. 162 — läßt nicht erkennen,
ob sich Spuren eines Siegels an der Bulle ge¬
funden haben. Die Unterschrift xxx, fernando
p’or, scheint handschriftlich hinzugesetzt, nicht im
Druck faksimiliert zu sein. Ausgefullt aber ist
die Bulle am 17. April 1483 für Don Fernando
de Quniga, der seinem angesehenen Stande
entsprechend einen Gulden (aragonischer Wäh¬
rung) zu entrichten gehabt hat. Der Text ist
kastilianisch.
Das Datum, 17. April 1483, ist insofern
außerordentlich interessant, als es das älteste
bis jetzt auf einem Cruzada-Ablaßbriefe ge¬
fundene vorstellt. Die Konzession der Cruzada
für die spanischen Herrscher durch Sixtus IV.
datiert selbst erst vom 8. März 1483. Daraus
geht also hervor, daß die Formulare in weniger
als sechs Wochen durch den Druck hergestellt
worden sind. Wo und von wem die Bulle ge¬
druckt worden ist, ist nicht mit Sicherheit an¬
zugeben. Wenn ich früher den Druck dem
Antonio de Centenera zuweisen zu müssen
glaubte, so wage ich daran im Angesicht der
aus der Datierung gezogenen Folgerungen nicht
mehr festzuhalten. In dem verhältnismäßig
abseits gelegenen Zamora sind die unmittelbar
nach der päpstlichen Bewilligung angefertigten
Formulare wohl kaum hergestellt worden.
Zudem hat eine umfänglichere Vergleichung
der Typen zu dem Resultate geführt, daß die¬
selben zwar nicht nur im allgemeinen Charakter,
sondern vielfach auch in den einzelnen Formen
mit den Typen Centeneras übereinstimmen,
daß die Größe des Satzes aber nicht unerheb¬
lich von der Art und Weise abweicht, in
welcher Centenera die Type verwendet hat.
Ich möchte deshalb vorläufig nicht mehr be¬
haupten, als daß die Type dieses und der
verwandten Ablaßbriefe zu der Gruppe gehört,
welche von Antonio de Centenera in Zamora
(Nr. 36), dem Juan de Bobadilla und Alvaro
de Castro in Santiago de Compostela und in
Huete (Nr. 41—43) und von dem unbekannten
Drucker der Suma Bartolina (Nr. 165 meiner
„Tipografia Iberica“) gebildet wird. Weitere
Entdeckungen werden es vielleicht ermöglichen,
die Zugehörigkeit der Bullen innerhalb dieser
Gruppe genauer zu fixieren.
Interessant ist auch die Angabe über den
Betrag von einem Gulden, den D. Fernando
de Zuniga zu zahlen gehabt hat. Die gleich¬
zeitige Toledaner Bulle hat den Betrag von
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Haebler, Gedruckte spanische Ablaßbriefe der Inkunabel zeit.
Si
sechs reales im Drucksatz vorgeschrieben, und
diesen Betrag haben sowohl D. Ramon Urgel,
D. Brianda Bardaji, der Abt Juan Paleares als
auch Ramon Pradel u. a. gezahlt Wir wissen
nur, daß die Leute aus dem Volke bereits für
zwei Realen des Ablasses teilhaftig werden
konnten. Erst die neugefundene Bulle setzt
uns davon in Kenntnis, daß die hohe Aristo¬
kratie noch einen höheren Betrag (i fl) für den¬
selben bezahlen mußte. Daß dies nicht etwa
eine freiwillige Spende, sondern die Taxe war,
geht daraus hervor, daß die Bulle ausdrücklich
angibt, daß dies der Betrag sei, den er gemäß
seinem Stande zu entrichten gehabt habe.
Von den Gruppen, über die ich in meinen
früheren Artikeln gehandelt habe, wird ferner
auch diejenige, welche mit der Kathedrale von
Oviedo zusammenhängt ( 1 . c. S. 2/3), durch
eine neue Entdeckung bereichert. Erst durch
neuere Zitate bin ich darauf aufmerksam ge¬
macht worden, daß ein Heiltumsbrief von Oviedo
schon im Jahre 1892 auf der geschichtlichen
Ausstellung zu Madrid zur Schau gestellt worden
ist. Es ist mir leider nicht gelungen, genauere
Auskunft darüber zu erlangen, in wessen Besitz
sich dieses Dokument zur Zeit befindet oder
wo dasselbe verwahrt wird, so daß ich mir
von demselben keine Photographie habe ver¬
schaffen können. Vermutlich wird es mit
dem von mir früher beschriebenen älteren
Heiltumsbriefe von Oviedo eine nahe Verwandt¬
schaft gehabt haben. Völlig übereinstimmend
mit diesem kann es aber unbedingt nicht
gewesen sein, denn während die von mir be¬
schriebene Bulle eines Datums entbehrte, soll
die andere in dem gedruckten Formular die
Jahreszahl 1487 getragen und handschriftlich
am 3. Dezember 1488 ausgefertigt worden sein.
In der letzten Gruppe meiner früheren Artikel
hatte ich eine Anzahl von Notizen vereinigt
über Ablässe, die um das Jahr 1499 zum B au
von verschiedenen Kirchen und Hospitälern
verwilligt worden waren und zum Drucke von
Ablaßbriefen Anlaß gegeben hatten. Ein neues
Dokument dieser Art ist in der Bibliothek des
Escorial aufgefunden worden. Der Güte des
Pater Benigno Fernandez, der in der Zeitschrift
„La Ciudad de Dios“ Bd. 57, S. 75 zuerst darüber
*
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Jutta ojdL-fifuorw a nob pfati© prioze z capitulo fiendä inpümo fiefto alliipföt© bcate lDane virgini© a punu© vcipta
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"coW? vcftro^'cft vobi© pcdTa er anima veftra refheuta ad qm© tnnocctie quo fcict an© raum© facramcnro bapnfroif
3n oku© ra tdhmormi pfente© Uttera© pobt© conccdimu©ligillata© fub noftro figillo ad Ipoc (pcaalitcr Deputate.
^ _ _ _ . . , ^ ... .
fozmaabfolunom©.
• XPifercreaf cui zjjbnc nr tp© te abfol^at ct ego aaae aplica beatozücp petri t pauli.mil?i in Ipac parte comifla z ti
bi pcdTa ic aaHrob oi fenreoa cjccoicatoiemaioae vctoninoaeet ab otb 9 von© vltramanme aplop pän et pauli
£.WiiacobiiqBiU.ct rcügionieöürajeatcrccptjtaboib 9 tm©pcaane.XöfdTie.cbtrmo.tobUuö.cnafcdiapliec
gencraüt fiuc fpHKt rcfnati© üwoitiodoUbct z ab oibtie penircq© nbi imüctiö z ptcrmifliß./ä tc facto paroclpe m
\il plan© indulgcai© rcmittCdo tibi pena© qua© palTur^era© i purgato;io.3n noie pam©et fttq ct fpüÜaiKtuÄmt*
m
Abb. 1. Ablaßdruck aus Pamplona. (Ofbzin des Amao Guillen de Brocar). O. J.
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52
llaehler, Gedruckte spanische Ablaßbriefe der Inkunabelzeit.
d^oiior<c5[onniiionimpofiiinö0d;acjlono(iiliituiijrffiiiiomancmatnocui6
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« if»npo:<cn;?rHn&o0 2U iTtthi*confrjmc auiJciuOuu \ u;.mu« «u> jrx iiuo wrxdtja. j»»vo j!a tciurtKuroi ^ iätt<Tsxo?*iU w^coiftcn^
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U>«u*»m0ct1 an j di.id rOu Je* cwami tupndot «ManBöiwii^u» 1 AitfuU*<*1 Jnic<t^ grautbu# 1 aiormfeu*a i fcdi jpörtlucrrimiJti» u»
tbuffcmiut c« 40 tUjfjf ^K K -Unfrociu'" fffrnjtrv t 'neu»qi»ftfii 5 orui»hKTupodim amtiere jpfbtaJnt.rtf* p{rurijmm<lul*tnrijrn :rcmfltortQin
va> mcit*»t»ta&Qutiixoina&ft £*prc.awfut*Tpcri><)pu>6^fv':!i rfnuouHn^ftMpwfafTWtoi^jrTTtuu» «xum aiiqtiorcmp.vi nun Jiai a*miiuivtö
.nu« poitnoctrdhf C 0 ltim((xp l M 4 <rÜritrc 4 if«pontpafuncrttit aln^rNrtuntfjn^tiaconAirT!« oxlduftuf njdiftpuliurf liptrc j<u.tfc potfntvicJroJmo
doitufim non ocdotwimrduK) ncr td 00 «nnitprnt rpcoJlirn mrcrdKi Ipn- <u ja um ttnem# |ran juctoaf jw jpoftoto appioOau:t m papvTuf r.rimnn# ro
fcur Xiuta<c«rvM TOodarJuir.flccnöcrvi ofJnuN^»mü'.xn,?u> conto Th4.ip,.rcmpow tuaduti juaowa«o-lnurjpoftapoirirujujirc ctumJo*f a 11
•li jctckiia/r,. jrfcipcTf faMmntfjoum fjmrn > juft*njpnotJamt <rt?crdKto.Cc auu r»#rttttratalu mu-*-* 1 - .üfco.v >*c '*J*x
um pjrtrmrniuaouah JufiUuiOV'Cnim ralo:c*n imrTTjutu'non okii ociunu nortn jBicurvJn.n p:of jt>rua pxdfcti ÄSfctiiflcrft 1 ad fuNtoiürwocnt peft*
Snu.Vum; paur<mnnOkfam 00 inumrtfrjtir'ii'Ti.llCiHMi ZK>.'*iU:%ru<n »».Vertu/jnim l^KfOrrrronim ©onaroaiflU ‘fkolinum inrodpnmcitAttcnooo>
ntinofimutJiinuinl PkTr i.yuoftX<ilJftuitc^ui'ti0. |>:v>pt(rrfl.«Jgorrjrvf ^jirijoxOfrKToöootfritu'p:»: pxditn COonaJlcr 1 auaojturc jpoOolwa
pubica natiiTj t\*in ton/rjrnmdLtr c^njtTvtcnoxp.tfrmmin rtopu 1 jdminormmcro 1 confcvttoabo.um contrarmm p:Mitrocu'n*£P'<& 4 ndtX 91 j rt om
it^ufl *. rm^iUia indulgcntir« (U^aImtv otuOtw canfrocrctf >oc coiitrcnic gaudr f gauderr^ t ur poifunr.roi' gjudac r u ; fc4ut pomiia Icrvidctido co*
cjdcm juaottfarcrj.-ukrrrm rtiflcndiro.itnOrcmrdonrum keuuum rclrca»: j. c n Ja» poj mod,> p;cd<croin t»c j *tfctu jt u uitc. cmevru» drrt»nlo picnj*
njmrrmimopcmconccdjr.vMi«klirrr.Ju«io:>nrcrpco4litcridboi;i(iiNia4nnuirjjvi ^■urmdampjrrcmlP;i?Kmfjnenikrwdtmcy ?f«Ucotcn lpatNonqp
|mrritnii (an«a adtnw unori iBcKJicrt.ravrccipi^intrarrtinrpcriakui p^dKn n>H r otdouof jo .1 pp jrnopem in durniUuj nuffia *Wtncn,#.Kiumj0.r in du
4cnroiuuu (pofuini/ronofhoxiOdnjfTcTio lmoftunuuucpcrrof'im «o<Tnrm »WiiKm rtcndicMmpcrpcnjumiaminruj »J- .miKJcfcbirvsort miujum«
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atuacmtumi rpoucfiqitjtffotif aujuiooccaftoncranoiwrclcjutainniddhfcuiil JitntodJtuomihccnjmruanimabfotiinotufcd» aportokarrfcnijM ix
Ibruo»cmwianhdclujm *.Ortet* <iajmcnnccccuflc.^r cadtn' auitcwjif nubicAntifj t;gof< abTo<uc»»boinnibiia tfinfiuiif pccuni aummbuo ccccfT.ö*
tu*» mibtccitfcnio t o< 4uibu« Ubciucr coatu aal# fi tue memone oiairtcrcnrcnam ft ittocum abMuno fo:rt fedi jpoOcdcc rdcnutj.^n nomine pur no ifiu et
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fiirm ccro articulmomooicaf.
Cadcmauffonrafr.^gofc jbrobiotbofnnit'u^rcaanoruto : jporcnbitupiiriarcMo^binop^pia ruipa« tolfenUiquaoeonfrj xtim cimtOlh rrrrftinjo
re flli innoandc iuqua eao tjuaiHo baptivirua funti.^t cm» JO nee n.>n m Mten,» rrfhuo no. pCnurum uvluJ^mum in reo morn# ar oaUo flnidiSoTi^
1 occ/araro txipfi pk nana indulficvia lanrumodo rraeuf: m poiT«r ui m o:n# «iiculo 1 non aiua, ^ ÖUiW -i> n «aictoumcn
sr
Abb. 2 . Ablaüdruck des Montserratklosters von 1498.
Nachricht gegeben hatte, verdanke ich eine
Photographie der Bulle, die es mir ermöglicht,
eine genauere Beschreibung davon zu geben.
Der Ablaßbrief ist nicht umfänglich; der
Text umfaßt nur 18 Zeilen, die eine Druck¬
fläche von 75x 155 Millimeter bedecken (Abb. i)
Der Text ist lateinisch. Wie immer nimmt die
Forma absolutionis einen eigenen Abschnitt —
hier von fünf Zeilen — mit besonderer Über¬
schrift in Anspruch. Der Text beginnt mit
einer in wesentlich größerer Type gesetzten
Zeile, aber ohne Initiale oder Überschrift. Er
besagt, daß Prior und Kapitel der Kathedral-
kirche von Pamplona von Papst Alexander VI.
die Ermächtigung erhalten haben, zum besten
der baulichen Wiederherstellung und Unter¬
haltung der Kirche für deren Besucher und
für alle, die zu den Baukosten ein Scherflein
beitragen, einen besonderen Ablaß in dem
üblichen Umfange zu erteilen. Es wird zwar von
einer bestimmten Quote gesprochen, die für
den Ablaß festgesetzt sei, allein deren Höhe
wird nicht angegeben, weder in dem gedruckten
Formulare, noch in der handschriftlichen Aus¬
fertigung. Die letztere ist auffallender Weise
zweimal erfolgt. In der Lücke am Ende von
Zeile 9 ist der Name Guilhelmus de Pradel ein¬
geschrieben, aber später wieder durchstrichen
worden. Am Anfang der folgenden Zeile ist
dann als wirklicher Inhaber Miguel de Vernet
eingetragen. Unterschriften, handschriftlich oder
faksimiliert, trägt die Bulle nicht; dagegen be¬
findet sich unter der Mitte des Textes ein
siegelartiger Stempel, welcher zwei nicht näher
zu bestimmende Figuren in einer Flammen¬
gloriole darstellt.
Die Bulle entbehrt eines Datums; es ist
demnach nicht über allen Zweifel erhaben, ob
sie aus dem XV. Jahrhundert stammt. Da
Alexander VI. 1503 verstorben ist und ein Zusatz,
wie piae memoriae oder dergleichen, bei seinem
Namen fehlt, so ist die Bulle zweifellos bei
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Haebler, Gedruckte spanische Ablaßbriefe der Inkunabelzeit.
53
: gMo:ucl?oiie: oc och tot podcroe c Oda gUofavgi /llana marc fiia:p a grä vtilitancoo
iioco c*<lf6 .mtinft'ftcfo fjdo cT«lh jfW.lHoftrtfanuifliin"«frarc Jutioperla Mumal p.-otiidcncia j fcgonrtfnmrpleno
n.'ituj ocU arid»(Ama bo'piialw af q <nio «»cinflu K iwita 6fcoa 6< Bfroifrr * Jf o<l ouk o* ticr JtVtwr o<t tMbat 0 üutd< u «I» po6:<* prfcl» «»Itr t« qlft*
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UfTitt a'plk« cn 0 i»j mdulqceia. ifn noic pan 1» et hin T fpuflünm.rBmr. f <f b 0« aqlla nalairu r.o morra« r< ft« n/uada p ai»Moder «r.
ntic oci« «ouaCracdfoccUraiqacocUaWoluciopUaaimfoUtoaipugarUrtnlo «ruck octo 1-*-
Abb. 3. Ablaßdruck des Montserratklosters von 1500.
seinen Lebzeiten gedruckt. Auffallend ist, daß
die Typen, die zu dem Drucke gedient haben,
anderweit nicht bekannt sind. Man muß doch
zunächst annehmen, daß die Bulle in Pamplona
gedruckt worden ist, wo von 1492 bis 1501
Amao Guillen de Brocar eine ziemlich pro¬
duktive Druckerwerkstätte unterhalten hat.
Allein aus derselben ist kein Druckerzeugnis
hervorgegangen, in welchem auch nur eine
der beiden Typen zur Verwendung gelangt
wäre, die in dem Ablaßbriefe Vorkommen.
Trotzdem möchte ich an der Annahme fest-
halten, daß Brocar der Drucker gewesen ist,
weil wir von ihm wissen, daß er wenigstens
in späteren Zeiten sich vielfach mit dem Drucke
von Ablaßbriefen befaßt hat.
Diese mancherlei kleinen Funde, so interessant
sie an sich sind, hätten mich aber kaum ver¬
anlaßt, meine Artikel über die spanischen Abla߬
briefe fortzusetzen, wenn ich nicht gleichzeitig
über einen Fund von weit hervorragenderer
Bedeutung Mitteilung machen könnte. Ich habe
seinerzeit meine Verwunderung darüber aus¬
gesprochen, daß von den Ablaßbriefen des
Montserrat, die in einer Anzahl von mehreren
100,000 schon vor dem Jahre 1500 nachweislich
gedruckt worden sind, noch nicht ein einziger
wieder an das Tageslicht gekommen sei. Dieser
Appell scheint nicht spurlos verklungen zu sein,
denn ich kann heute über eine ganze Anzahl
von Montserratdrucken Bericht erstatten, die
alle mehr oder weniger den Charakter von
Ablaßbriefen besitzen und ihrer Mehrzahl nach
dem XV. Jahrhundert entstammen.
Im Jahre 1897 machte ein italienischer
Antiquar, wenn ich nicht irre, in Lucca, bekannt,
daß er im Besitze eines Ablaßbriefes vom Mont¬
serrat aus dem Jahre 1524 sei, den er zu einem
sehr mäßigen Preise anbot. Meine sofort ein¬
geleiteten Bemühungen führten aber leider in¬
sofern zu keinem Resultate, als mir auf meine
Anfrage der Bescheid wurde, es seien zwei
Exemplare dieses Briefes Herrn Rosenthal in
München auf Wunsch zur Ansicht überschickt
worden. Eins derselben sei von diesem erworben,
das andere aber auf dem Rückwege, vermutlich
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Haebler, Gedruckte spanische Ablaßbriefe der Inkunabelzeit.
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bei der Zollabfertigung verschwunden. Die
Bulle würde der zweiten Montserratdruckerei
angehören, die, von Johann Rosenbach einge¬
richtet, von 1518—24 im Kloster tätig gewesen
ist. Meines Wissens ist die Bulle aber noch
nicht in den Handel gekommen.
Dagegen haben mir zwei andere Ablaßbriefe
des Montserratklosters Vorgelegen, die schon
dem XV. Jahrhundert entstammen, denn der
eine ist von 1498, der andere von 1500 datiert.
Das Montserratkloster hat, wie früher erwähnt,
seine ersten Ablaßbriefe in Barcelona durch
einen maestre Miquel drucken lassen, der
irrtümlicherweise wiederholt mit dem gegen
1494 verstorbenen Barceloneser Drucker Peter
Michaelis identifiziert worden ist. Aus den Kloster¬
rechnungen ist nur festzustellen, daß dieser
Drucker um das Jahr 1498 die bescheidene
Anzahl von 794 Stück fertig gestellt hat. Erst
im Herbst jenes Jahres ist ein größerer Posten
von 18000 Stück zur Ablieferung gelangt, als
deren Drucker in den Klosterrechnungen ein
maestre Juan estampador in Barcelona genannt
wird.
Man hat bis jetzt ganz allgemein ange¬
nommen, und auch ich bin dieser Ansicht ge¬
folgt, der maestre Juan könne kein anderer
als Juan Luschner sein, da dieser bereits im
Jahre 1499 von der Klosterverwaltung engagiert
worden ist, mit seinen Arbeitern in das Kloster
selbst überzusiedeln, um dort für dieses Abla߬
briefe und Bücher in erheblicher Anzahl her¬
zustellen. Die neu aufgefundene Bulle macht
dagegen diese Auslegung außerordentlich un¬
wahrscheinlich, denn die Typen, mit denen
sie hergestellt ist, sind nicht diejenigen, mit
denen Hans Luschner im Jahre 1500 auf dem
Montserrat seine Ablaßbriefe gedruckt hat,
sondern sie stimmen, so weit der geringe
Umfang des Druckwerkes eine Identifizierung
ermöglicht, mit denen eines anderen Druckers
überein, der um dieselbe Zeit in Barcelona
tätig war und gleichfalls den Vornamen Juan
führte: nämlich des Hans Rosenbach von
Heidelberg, von dem wir ja wissen, daß er
gleichfalls, wenn auch, so weit bisher bekannt
war, erst im XVI. Jahrhundert Beziehungen zu
dem Kloster auf dem Montserrat unterhalten hat.
Der Ablaßbrief (Abb. 2) ist mit zwei Typen
gedruckt, einer größeren, die nur für die Über¬
schriften Verwendung gefunden hat, und einer
außerordentlich kleinen Texttype. Die größere
Type, von der nur zwei Majuskeln (E und F) auf
der Ablaßbulle Vorkommen, würde schwerlich
bestimmt zu identifizieren sein. Sie stimmt in
Größe und Form annähernd sowohl mit einer
Auszeichnungstype des Hans Rosenbach, als
mit derjenigen des Hans Luschner überein.
Immerhin steht sie, mit ihren eleganteren For¬
men der Rosenbachschen Type näher als der
gröberen Luschners.
Dagegen ist die Texttype wohl für die
Urheberschaft Rosenbachs entscheidend. Sie
ist allerdings auf den ersten Blick der Type,
welche Luschner im Jahre 1500 zur Herstellung
des gleich zu erwähnenden spanischen Abla߬
briefes des Montserrat verwendet hat, so ähnlich,
daß man an ihre Identität zu glauben veranlaßt
wird. Ein sorgfältigeres Studium aber läßt er¬
kennen, daß die Type von 1498 nicht nur ein
wenig kleiner ist als die von 1500— es messen
je 20 Zeilen nach Proctorscher Messung bei
der einen 64/5, bei der anderen 68 Millimeter, —
sondern es zeigt sich auch, daß trotz der großen
Ähnlichkeit einzelne Buchstaben in beiden Typen
abweichend gestaltet sind. Diese Abweichungen
von der Type Luschners sind aber ebensoviele
Übereinstimmungen mit einer besonders kleinen
Type des Hans Rosenbach, die dieser allerdings,
so weit bisher bekannt, nicht zu ganzen Texten,
sondern nur zu Marginalien, Diagrammen und
Interlinear-Kommentaren verwendet hat. Sie
ist nach einem 1498 in Tarragona hergestellten
Drucke in No. 120 meiner „Tipografia Iberica“
abgebildet.
Nach dem Gesagten kann also wohl kaum
noch ein Zweifel daran bestehen, daß die 18000
Ablaßbriefe des Jahres 1498 nicht von Juan
Luschner, sondern von dem Meister Hans Rosen¬
bach herrühren, und daß wir es in der Vorlage
mit einer dieser 18000 Bullen zu tun haben.
Es ist ein halber Bogen Papier von großem
Folioformat, auf dessen Vorderseite mit zweierlei
Typen der Ablaßbrief in lateinischer Sprache
abgedruckt ist Seine 38 Zeilen bedecken eine
Druckfläche von 135 zu 218 Millimetern und
sind in drei Abschnitte eingeteilt. Die beiden
letzten, je mit einer Überschrift in größerer
Type versehen, enthalten die Absolutionsformeln
bei Lebzeiten und im Angesichte des Todes.
Die eigentliche Bulle, der erste Abschnitt, hat,
wie gewöhnlich, keine Überschrift, doch ist die
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SS
erste Zeile gleichfalls in der größeren Type
gesetzt, und ein Initial-A von 24x20 Millimetern,
weiß auf schwarzem, von Blumenranken durch¬
zogenen Grunde, leitet den Text ein. Derselbe
hat die Form eines Bruderschaftsbriefes, in
welchem der Prior des Montserrat, D. Garcia
de Cisneros, unter Bezugnahme auf die von
Papst Alexander VI. erneuerten und erweiterten
Vergünstigungen, denjenigen, welcher den
sechsten Teil eines Dukaten (zirka 6 Realen)
flir die guten Werke des Klosters und die
Unterhaltung desselben erlegt, in die Kloster¬
bruderschaft aufnimmt und aller der gewährten
Ablässe und sonstigen Vergünstigungen teil¬
haftig macht. In der 14. Zeile ist eine Lücke
fiir den Namen dessen, der die Ablässe erwirbt.
Das Datum ist in der letzten Zeile des ersten
Abschnitts ausgedrückt: „Data anno domini
M. cccc. lxxxxviii.... die.... mensis....,“ und es
ist in dem mir vorliegenden Exemplare hand¬
schriftlich abgeändert und ergänzt für den
15. November 1499. Auffallend ist, daß das
Formular vor der Lücke für den Namen des
Nehmers gedruckt das Wort „venerabilis“ auf¬
weist. Es gewinnt damit den Anschein, als sei
es nur für Personen des geistlichen Standes be¬
stimmt gewesen. Handschriftlich eingetragen ist
der Name des Bernardus deGilabem de Crudelles.
Endlich verdient die Dokumentierung des
Briefes noch ein Wort der Erwähnung. Da
der Prior Garcia de Cisneros im Texte als
Aussteller des Bruderschaftsbriefes ausdrücklich
genannt wird, so sollte man erwarten, seine
Unterschrift, handschriftlich oder gedruckt,
unter dem Dokumente zu finden; beides ist
jedoch nicht der Fall. Vielmehr findet sich
dicht unter dem Text in der rechten Ecke
gedruckt ein kreisrunder Stempel mit den
Emblemen des Montserrat: die heilige Jungfrau
hält das Jesuskind auf dem Schoße, das mit
der Säge die Berge spaltet. Links unten trägt
die Bulle außerdem ein Siegel, welches aber
nicht mehr zu erkennen ist.
Oberflächlich betrachtet sieht der Abla߬
brief vom Montserrat vom Jahre 1500 (Abb. 3)
demjenigen von 1498 sehr ähnlich. Sein Text ist,
wie erwähnt, in spanischer Sprache abgefaßt,
ist jedoch eine fast wörtliche Übersetzung des
lateinischen. Sobald man aber beide Bullen
nebeneinander hält, zeigen sich eine ganze
Menge typographischer Unterschiede. Zunächst
ist die Anordnung eine wesentlich reicher ge¬
gliederte. Der erste Abschnitt, 26 Zeilen um¬
fassend, ist allerdings auch hier ohne Absätze
und Überschriften gedruckt. Er ist jedoch zur
besseren Übersichtlichkeit durch Rubrikzeichen
in neun Unterabteilungen zerlegt. Dann aber
ist der Schlußsatz des ersten Abschnittes, an
welchen sich das Datum anschließt, als ein
zweiter Abschnitt losgelöst und durch eine Zeile
in der größten Type markiert, die mit einem
entsprechend großen Rubrikzeichen beginnt
In der gleichen Type sind noch drei weitere
Abschnitte über die verschiedenen Formen der
Absolution mit entsprechenden Überschriften
versehen. Der ganze Text ist auf 43 Zeilen
verteilt, die eine Druckfläche von 166x256 Milli¬
metern ausmachen.
Trotz des geringen Umfangs sind zur Her¬
stellung des Ablaßbriefes drei verschiedene
Typen zur Anwendung gelangt. Die erwähnte
große Type hat zu der ersten Textzeile und
zu den Überschriften der vier folgenden Ab¬
schnitte gedient. Von der eigentlichen Text¬
type ist schon oben die Rede gewesen. Eine
dritte Type ist, um den Übergang von der
großen zu der kleinen Texttype zu vermitteln,
zum Satze der zweiten Zeile zur Anwendung
gekommen. Die kleine Texttype ist bisher
als eine Type Luschners gänzlich unbekannt
gewesen. Dagegen sind zufälligerweise in den
wenigen Zeilen, welche mit den beiden größeren
Typen gesetzt sind, so viele charakteristische
Schriftzeichen enthalten, daß wir dieselben mit
ziemlicher Sicherheit als zwei Typen Luschners
rekognoszieren können. Und zwar entsprechen
sie den Typen, die ich als No. 1 und No. 3
bezeichnet und auf den Abbildungen No. 147
und No. 148 meiner „Tipografia Iberica“ zur
Anschauung gebracht habe.
Die Ausstattung des Ablaßbriefes ist auch
sonst eine verhältnismäßig reiche. Das Initial-A,
mit dem er beginnt, deckt den Raum von
14 Zeilen und mißt annähernd 50x45 Millimeter.
Es scheint einer Initialen-Serie anzugehören,
die von Luschner und Preuß in dem Doctrinale
des Alexander de Villadei vom Jahre 1498
verwendet worden ist. Es zeigt allerdings
bereits Spuren der Abnutzung, ist aber ursprüng¬
lich gut entworfen und gezeichnet gewesen.
Am unteren Ende der Bulle ist an jeder
Ecke ein Raum von sieben Zeilen ausgespart
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pncipaiuacii fotcclcomiffcobcncficio cnunipoifapltncopcfp^omatmcobozcocanoni^o
roiniatgcopiefaitillcoqucofan cfaranp fötal acreltiandaf. mcplofcnfozhübe
rcconfirmäf Ico otftegracice oona catozgua.jnr.cuceer pdo.vUralcogfcooamiii oitco.
Abb. 4. Ablaßdruck in katalanischer Sprache von ca. 152a
worden, um für die Stempel Platz zu gewinnen.
Vermutlich hat man bei diesen Ablaßbriefen,
die in den Mauern des Klosters selbst her¬
gestellt wurden, die Gefahr einer mißbräuch¬
lichen Verwendung für weniger dringend er¬
achtet und sich deshalb das umständliche
Verfahren erspart, jede einzelne Bulle mit
einem Siegel zu versehen. Dagegen hat man
diese mit einer zweifachen Stempelung aus¬
gestattet: der Stempel der rechten unteren
Ecke ist, das beweist die bis auf die Defekte
übereinstimmende Form, von demselben Holz¬
stocke hergestellt, der bereits für die Bulle
von 1498 gedient hatte. Der Stempel der
rechten Ecke ist neu. Auch er ist kreisrund
und trägt, weiß auf schwarz, die Umschrift:
„Sancte: Marie: de: Monte: Serrato.“ Im Mittel¬
felde erscheint wieder die Säge, welche die
fast blattförmig angedeuteten Berge spaltet, in
einem kleinen Wappenschilde. Über demselben
ragt der Bischofsstab empor, und seitwärts
hängen die Falten eines Tuches oder Bandes
herunter.
Die inhaltliche Übereinstimmung des spani¬
schen oder vielmehr katalanischen mit dem
lateinischen Ablaßbriefe wurde schon erwähnt.
Auch hier erscheint der Abt Garcia de Cisneros
als derjenige, welcher zum Eintritt in die Bruder¬
schaft auffordert. Vor der für den Personen¬
namen bestimmten Lücke, welche sich in der
19. Zeile befindet, fehlt aber das Wort Vene-
rabilis oder ein dasselbe ersetzender Ausdruck,
so daß diese Bulle also auch an weltliche Per¬
sonen vergeben werden konnte. Der Betrag,
durch welchen die Teilhaftigkeit an den guten
Werken erworben wurde, ist ebenfalls abweichend,
nämlich auf den zwölften Teil eines Dukatens,
etwa drei Realen, festgesetzt, so daß also dieses
Dokument wohl auch für eine andere Bevöl¬
kerungsklasse bestimmt war als dasjenige von
1498. Das gedruckte Datum, in der Form
„Any. M. D.“ bildet die letzten Worte der
29. Zeile und läßt für die Hinzufugung weiterer
Einheiten keinen Platz. Handschriftlich aus¬
gefertigt ist die Bulle am 7. Januar und zwar
auf den Namen des Bartholomeu Pages.
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Im Anschluß möchte ich noch über zwei
andere Einblattdrucke berichten, die sich auf
das Montserratkloster beziehen, aber erst aus
dem XVI. Jahrhundert stammen. Das eine ist
eine Aufzählung der von Papst Julius II. ver¬
heißenen Sündenablässe, wohl aus dem Jahre
1520 (Abb.4). Das Dokument ist in katalanischer
Sprache abgefaßt und bildet ein Quartblatt
von zirka 110x152 Millimetern, dessen Text
auf 24 Zeilen verteilt ist Es ist insofern für
die vorerwähnten alten Ablaßdrucke nicht ohne
Interesse, als sich auf ihm das Initial-A wieder¬
holt, welches der Bulle von 1498 als Aus¬
zeichnung gedient hat Man kann wohl darin
noch eine weitere Bekräftigung für meine An¬
nahme finden, daß Johann Rosenbach der
Drucker dieses Dokumentes gewesen ist, denn
daß derselbe um 1520 für das Montserratkloster
gearbeitet hat, ist eine urkundlich feststehende
Tatsache.
Außer dem Initial ist das Blatt noch mit
einer Darstellung des Crucifixus geziert, die,
den Raum von 16 Zeilen einnehmend, einem
Initial ähnlich in die rechte obere Ecke des
Druckes eingeschoben ist Sie zeigt über dem
Kreuze Sonne und Mond, zu Füßen desselben
links zwei weibliche Gestalten, wohl die beiden
Marien, rechts dagegen einen gewappneten
Ritter, der mit der rechten Hand auf den Ge¬
kreuzigten deutet. Hinter ihm hält eine nur
undeutlich erkennbare Gestalt eine bewimpelte
Lanze.
Ein weit größeres Interesse darf, besonders
in künstlerischer Beziehung, das zweite Blatt
in Anspruch nehmen, welches den Versuch
macht, den gesamten Bergstock des Montserrat
mit allen seinen heiligen Stätten zur Darstellung
zu bringen (Abb. 5).
Typographisch gehört dies Blatt nicht zu
den bisher bekannten Montserrat-Gruppen; es
ist vielmehr ein Erzeugnis des Gaspar de Avila,
den wir von 1525—1529 in Toledo als Drucker
nachweisen können. Und zwar erweist es
sich als solches durch die unscheinbare kleine
Druckermarke — die Buchstaben G und A
verschlungen in gekröntem Schilde —-, welche
in den oberen Rand des reichen figürlichen
Rahmens eingezeichnet ist, der die eigent¬
liche Darstellung umgibt Darüber und darunter
sind wenige Textzeilen angebracht, die auch
dieses Dokument als einen Bruderschaftsbrief
Z. f. B. 1904/1905.
des Montserratklosters kennzeichnen, wie es
die oben erwähnten Bullen gewesen waren.
Doch fehlt hier der Eintrag für eine bestimmte
Persönlichkeit, mit bestimmter Datierung und
Angabe des beigesteuerten Betrages. Ebenso
fehlen die Formeln für die Absolution. Dagegen
trägt das Blatt die handschriftliche Unterschrift
des Johannes del Podio und ist in der rechten
unteren Ecke mit einem großen Siegel aus¬
gestattet, auf welchem die Jungfrau mit dem
Jesuskinde zu erkennen ist
Der aus Renaissance-Ornamenten und den
Abbildungen von vier Heiligen zusammen¬
gesetzte Rahmen entspricht dem, was man auf
gleichzeitigen Titelblättern spanischer Drucker
zu finden gewohnt ist. Er könnte wohl un¬
verändert auch zu solchem Zwecke Verwendung
gefunden haben. Dagegen ist die eigentliche
Darstellung höchst originell. In der Ecke rechts
unten sieht man das von dem Castillo del Gato
(oder Torre del Moro) überragte Städtchen
Collbatö, durch das die Straße zum Kloster
führt, auf welcher, gehend und auf den Knien
rutschend, zahlreiche Pilger den heiligen Stätten
zustreben. Links sind die Höhlen sichtbar, die
jetzt als Cuevas de salitre mit verschiedenen
phantastischen Namen belegt, in der Darstellung
aber als Kapellen oder Eremitagen gedacht
sind, wie die Büßerfigur in der einen, die Engel
an der Pforte der anderen erkennen lassen.
Der Pilgerpfad ist durch eine Reihe von Ka¬
pellen in Stationen eingeteilt Der gewaltige
Bau des Klosters ist ziemlich charakteristisch
zur Anschauung gebracht. Links davon thront,
von der Eremitage von S. Miguel überragt,
eine ganz aus allen Verhältnissen heraustretende
Gottesmutter mit dem Jesuskinde, in dessen
Händen natürlich auch die Säge nicht fehlt,
die es an die nächste Bergkuppe ansetzt. Ganz
den natürlichen Verhältnissen entsprechend, er¬
heben sich über dem Kloster die kahlen Felsen¬
massen, einzelne Spitzen mit Kreuzen gekrönt,
zum Zeichen, daß unter und zwischen ihnen
Kapellen und Klausen gelegen sind, zu denen
manchmal auch die Zugangspfade eingezeichnet
sind. Trotz der Unnatürlichkeit vieler Propor¬
tionen sind doch die wirklichen Verhältnisse
in der Darstellung mit Leichtigkeit zu erkennen.
Obwohl keineswegs von hervorragender Künst¬
lerhand, ist die Zeichnung auch perspektivisch
nicht ungeschickt erfaßt, und der Holzschnitt
8
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58
Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmcister Johann Friedrich Schiller.
mit scharfen Konturen und tiefen Schatten
hat das Bild charakteristisch wiedergegeben.
Es ist dies bei weitem die interessanteste
und künstlerischste Darstellung, welche das
Montserratkloster auf den Holzschnitten jener
Zeit gefunden hat. Wenig später scheint man
sich nicht mehr die Mühe genommen zu haben,
den Pilgern ein so getreues Bild des Heiligtums
als Andenken einzuhändigen. Eine ganze Reihe
späterer Darstellungen, die mir durch die Hände
gegangen sind, zeigt lediglich die Jungfrau Maria
mit dem Christuskinde und der Säge. Sie
scheinen, je länger, je mehr, an künstlerischem
Werte eingebüßt zu haben. Die jüngsten Dar¬
stellungen aus dem Ende des XVI. oder Anfang
des XVII. Jahrhunderts sind recht rohe Er¬
zeugnisse einer durchaus unkünstlerischen Hand.
Im Vergleich mit ihnen ist das Blatt aus der
Werkstatt des Gaspar de Avila ein zierliches
und liebenswürdiges Kabinettstück.
Die sämtlichen besprochenen Montserrat¬
dokumente waren der Firma K. W. Hiersemann
in Leipzig von einem spanischen Händler zum
Kauf angeboten worden und sind vermutlich
inzwischen in verschiedene Sammlungen und
Museen verstreut worden.
Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
Nach archivalischen Quellen dargestellt
Von
Hofrat Alfred Börckel in Mainz.
harlotte von Schiller, die Witwe des
Dichters, schrieb im Jahre 1810 an
Körner: „Es war ein gelehrter Vetter
in der Familie, der in Mainz lange lebte.
Dieser war immer das Vorbild, nach dem die
Eltern den Sohn zu bilden wünschten. Er war
Schillers Pate und die gute alte Mutter machte
allerlei Spekulationen auf ihn .. “ Von diesem
„Vorbilde“ des großen Nationaldichters, das
er selbst gelegentlich „Onkel“ nannte und das
in seiner Familie „der Vetter“ hieß, war seither
nur weniges bekannt; erst Richard Weltlich
brachte in seiner groß angelegten Schiller-Bio¬
graphie (Band i, Stuttgart 1899) auf Grund von
Feststellungen des Stuttgarter Archivars Schlo߬
berger zuverlässige Nachrichten überden„Vetter“
und dessen Verwandtschaft mit seinem unsterb¬
lichen Patenkinde. Inzwischen gelang es mir,
aus Akten im Mainzer Stadtarchiv wie im
Großherzoglichen Haus- und Staatsarchiv zu
Darmstadt auch die jahrelange Tätigkeit des
Vetters und sein Schicksal, namentlich als
Buchdrucker und Verleger in Gutenbergs Vater¬
stadt, näher zu beleuchten. Eine dritte Quelle
endlich erschloß sich mir erst neuerdings in
einem bereitwilligst für meinen Zweck zur Ver¬
fügung gestellten Aktenbündel aus dem Privat¬
besitze des Mainzer Domherrn und Kunst¬
gelehrten Prälaten Dr. F. Schneider, so daß ich
nunmehr das folgende Lebensbild entwerfen
konnte, das dem merkwürdigen Manne, der
bis jetzt immer nur als Glücksjäger und Aben¬
teurer Erwähnung fand, hoffentlich auch nach
anderer Seite hin gerecht wird.
Johann Friedrich Schiller wurde am 18. Sep¬
tember 1737 zu Steinheim bei Marbach als
Sohn des Bäckers Hans Georg Schiller geboren.
Sein Großvater und der Großvater des Dichters
waren Brüder, er selbst und letzterer also Nach-
Geschwisterkinder oder, nach schwäbischer
Bezeichnung, Vaters-Bruders-Enkel. Wie der
junge Bäckerssohn in einer Eingabe an seinen
Landesherm, den Herzog Karl von Württem¬
berg, hervorhebt, hatte er lange schon „einen
unüberwindlichen Trieb zu den Studien“. Aber
ohne Stipendium und elterliches Vermögen
mußte er sich „nach tausend verdrüßlichen
Umständen“ auf der Universität Halle seinen
Unterhalt verdienen.
Daß Schiller schon damals in Geldverlegen¬
heit war, zeigt ein Schuldschein vom 34. Januar
1759, in dem er bekennt, zu seiner „ferneren
Equipierung in Nürnberg“ von dem dortigen
Bürger und Salzhändler Johann Mertel 30oGulden
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25 erlin,
bei? % £aubc unb 3. £. e^cnet« 1774*
getauft bey Sbrijtian ©iflionrnnb Spencr.
Abb. x. Titelblatt der Übersetzung J. F. Schillers tos Hawkesworths „Geschichte der See-Reisen”.
Zeitschrift für Bücherfreund* VIIL
Zu Bürckeh Der Buchdrucker und Sßrachmeixter Johann Friedrich Schüler .
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Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
59
entliehen zu haben. Seine Notlage, wie der
Wunsch, heimzukehren und die von ihm er¬
sonnenen Entwürfe seinem „Souverain“ vorzu¬
legen, trieben ihn jetzt nach Hause. Dazu
äußert sich des Dichters Vater, der Hauptmann
Johann Kaspar Schiller: „Seit dem Jahre 1759
wurde ich mit einem nahen Vetter, Johann
Friedrich Schiller von Steinheim an der Murr,
bekannt, welcher kurz zuvor von Halle zurück¬
gekommen, woselbst er seine Studien in der
Philosophie, Geschichte und KameralWissenschaft
getrieben.“ Aber auch mit Poesie war er be¬
schäftigt. In seinem Schreibheft aus damaliger
Zeit ist eine Reihe von Dichtungen des jungen
Studenten verzeichnet, darunter von Halle aus
den Jahren 1756 und 1757 Stanzen und Dithy¬
ramben, außerdem neun zehnzeilige Strophen
zum Andenken an den Rektor der Universität,
Dr. Baumgarten, ferner aus Nürnberg, 1. Januar
1759, eine 100 Zeilen lange „Hymne an Gott“
und aus Stuttgart, März 1760, ein Gedicht von
acht Versen mit der Überschrift: „Nach einigen
schweren Zufällen an Herrn Lieut(nant) und
Adj(utant) Schiller“, dessen erster Vers lautet:
„Ich schaut'ihm ins Gesicht, dem Könige der Schrecken 1
Kann ein noch Sterblicher dich, Tod, der Welt entdecken
Und schildern, wie dein Blick ihm in der Nähe schien?
Der Pöbel bebt vor dir, allein der Weise sieget;
Wenn unter deiner Faust sein Körper unterlieget;
Strahlt Licht und Glücke rings um ihn.“
Den Marbacher Verwandten und namentlich
dem späteren Hauptmann, der damals noch
Leutnant war und einen starken Bildungsdrang
besaß, imponierte der gelehrte Vetter gewaltig.
„Durch seine Aufmunterung und Briefwechsel,“
bekennt ersterer, „bekam ich Lust, mich auch
ein mehreres und soviel es ohne Anleitung und
ohne Abbruch meiner Dienstpflicht geschehen
konnte, auf die Literatur zu legen.“ Ausführ¬
licher noch schreibt des Dichters Schwester
Christophine am 30. Juli 1815 von dem im Jahre
vorher verstorbenen Vetter:
„Der verstorbene Schiller war in seiner
Jugend oft bei unseren Eltern, wurde von ihnen
,der Vetter* geheißen; ich vermute, daß er
ein Vater-Bruders-Sohn von meinem Vater
war... Daß der verstorbene Schiller sich sollte
für einen Oheim von uns ausgegeben haben,
begreife ich nicht; es müßte denn eine kleine
Eitelkeit von ihm gewesen sein. Er war, wie
gesagt, oft bei meinen Eltern, hatte während
seiner Studien lange den freien Tisch bei ihnen,
die ihn seines guten Kopfes wegen achteten.
Als der liebe Bruder geboren ward, trug er
sich als Pate bei ihm an, mit der Zusagung,
wenn er einst ein Glück machen würde, seinen
Paten auch zu unterstützen, welches aber nie
geschah, indem er immer nicht viel Glück in
seinen Unternehmungen hatte. Da es im Vater¬
land ihm nirgends gelingen wollte, so ging er
nach England, übersetzte dort ins Deutsche
einige Werke. Nachher kam er wieder zurück
und errichtete in Mainz eine englische Druckerei,
aber immer wollte es nicht recht mit ihm fort...“
Wie schon mitgeteilt, war der Studiosus nach
seiner Rückkunft von Halle beim Herzog vor¬
stellig geworden, wie es scheint, nicht ohne
Erfolg, denn erhielt er auch nicht auf seinen
Wunsch „irgend einen Charakter und Charge“,
so wurde er doch vom Herzog in geheimen
Geschäften verwendet, wozu er zwischen Sep¬
tember 1759 und März 1760 in Hessen und
Holland umherreiste und sich auch wiederholt
nach Stuttgart begab. Über diese Mission
äußert er sich einem „Monsieur Weiblen, Can-
didat en Theologie in Halle“ gegenüber sehr
geheimnisvoll und wichtig, indem er am 2.März
1760 an denselben schreibt: „Mein lieber Herr
Weiblen, wenn ich Ihnen sage, daß ich seit
dem September in Holland gewesen, daß ich
in Affären an den Herzog nach Hessen, von
diesem nach Stuttgart, von Stuttgart wieder
nach Hessen, und vom Herzog zum zweiten
Male nach Stuttgart geschickt worden, so sage
ich Ihnen viel...“ Welchen Zweck diese Reisen
hatten, ist nicht aufgeklärt, vermutlich galten
sie dem Subsidienvertrag, d. h. dem Verkauf
von württembergischen Landeskindem an fremde
kriegführende Mächte. In „Kabale und Liebe“
ist dieser schmähliche Menschenschacher, bei
dem auch der Vater des Dichters als Werbe¬
offizier mitwirken mußte, gebührend verurteilt—
Während nun Johann Kaspar mit seinem an
Frankreich verkauften Regiment im Feldlager
stand und sich zur zweiten „hessischen Kam¬
pagne“ jäistete, kam daheim am 10. November
1759 sein großer Sohn zur Welt. Die Taufe
am nächsten Tage war „feierlich wie eine
Hochzeit**, und neben dem Obersten Christoph
Friedrich von der Gabelenz wurde unter den
neun Taufzeugen als Pate Johann Friedrich
Schiller, philosophiae studiosus, eingetragen.
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Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
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3oM»« Sricltri^ <2c|jMler.
/bibl
®«l 9U*. .toifctl, unt* tWüril. ***(««.
M ®<itpwnm (fitxn mit ZKci(f}> 1777,
Abb. 2. Titel und Titelkupfer zur Übersetzung J. F, Schillers von Robertsons „Geschichte von Amerika**.
Ob aber der Studiosus dem Taufakt persönlich
beiwohnte, ist ungewiß, denn er war damals
häufig unterwegs und schmiedete die sonder¬
barsten Pläne. Über diese Pläne gibt ein
kleines Aktenbündel im Staatsarchiv zu Stutt¬
gart Aufschluß, das von des Herzogs eigener
Hand denVermerk trägt: „Schillers Projekte“.
Es besteht aus verschiedenen, teils französisch
abgefaßten Entwürfen und Vorstellungen, die
undatiert, aber sämtlich an den Herzog ge¬
richtet sind. In gewandter Ausdrucksweise
und kluger Spekulation auf die Schwächen
Serenissimi betont der Verfasser, daß er drei
Jahre lang seinem Fürsten in Feindesland ge¬
dient und daher ein Recht auf Berücksichtigung
habe, ferner erinnert er daran, daß ihm der
Herzog bei einer Audienz versprochen habe,
auf sein System „Reflexionen machen zu wollen,
sobald die Zeiten wieder ruhiger geworden.“
Zu diesem „System“ gehörte u. a. der kühne
Vorschlag, die „unnützen und entbehrlichen
Glocken“ in Stadt und Land zu Kanonen für
die Festungen umgießen zu lassen, das stehende
Heer ohne besondere Steuerbelastung auf etwa
SOOOoMann zu bringen und dieseZahl in 30jahren
zu verfünffachen, wenn den Soldaten erlaubt
würde, zu heiraten. Die verheirateten Soldaten
könnten mit Nebenarbeit mehr als ihren Unter¬
halt verdienen und so wesentlich zum allge¬
meinen Wohlstände beitragen, meinte der junge
Nationalökonom, und auch die Einkünfte des
Herzogtums glaubt er in fünf Jahren um acht
bis zehn Millionen erhöhen zu können. Dann
erläutert er den „Entwurf einer neuen und
besseren Einrichtung in Ansehung der Studien.“
Die Universität Tübingen soll zu einem allge¬
meinen Corpus academicum umgestaltet werden,
das jedem Bildungsbedürfnisse Rechnung trägt,
ein teutsches und ein lateinisches Gymnasium,
eine Hochschule, eine teutsche Akademie,
eine Academie des Beiles-Lettres, eine Aca-
demie des Beaux-Arts, ein deutsches und ein
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Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
61
französisches Theater und eine große Waisen¬
anstalt umfaßt. Ja sogar eine „Unterrichtsanstalt
für Frauenzimmer 4 * zur Ausbildung von „Schul¬
frauen 44 und zur standesgemäßen Erziehung
höherer Töchter ist dabei vorgesehen. Schlie߬
lich stellt er noch die Möglichkeit in Aussicht,
„ä £ldver le Duchd de Wirttemberg au rang
des Royaumes les plus florissants et les plus
illustres 44 , eine Hoffnung, die 50 Jahre später
tatsächlich in Erfüllung gegangen ist
Alle diese weitgehenden Pläne blieben zwar
unausgeführt, sie müssen aber den unterneh¬
mungslustigen Herzog derart interessiert haben,
daß er sich herbeiließ, ihrem Urheber näher
zu treten. Dadurch freilich fühlte sich der kaum
Zweiundzwanzigjährige äußerst geschmeichelt
und überschätzte seinen Einfluß, wie eine andere
Stelle seines Briefes an Weiblen zeigt Indem
er letzterem noch 20 Taler Reisekosten beilegt,
bestimmt er im Tone des Protektors:
„Sie sollen mir als Vorleser und Sekretär
dienen. Es versteht sich, daß ich die Briefe
an den Herzog, an die Ministers und an Standes¬
personen selbst schreiben und solche nur durch
Sie Werde copiren lassen; die übrigen Briefe
werde ich Ihnen dictiren. Sobald ich wieder
nach Hause kommen werde, sollen Sie versorgt
sein, Sie mögen geistlich oder weltlich bleiben
wollen. Das aber sage ich Ihnen zum Voraus,
was ich von Ihnen verlange, muß ohne Widerrede,
Untersuchung oder Verzögerung geschehen. 44
Dann renommiert er weiter:
„Verschwiegen müssen Sie sein können,
wenn Sie sich der Ahndung des Herzogs,
unsers liebsten Carls, und meiner Rache nicht
aussetzen wollen. Es haben es angesehene
Personen empfunden, daß man mich lieber
zum Freund als zum Feinde haben muß... 44
Der junge Prahler muß aber doch bei Hofe
den Kürzeren gezogen haben, wenigstens ließ
ihn der Herzog fallen, und er geriet immer tiefer
in Schulden. So hatte noch im Jahre 1762
der Löwenwirt Johann Kaspar Killmars in
Amsterdam von ihm 321 Fl. 42 Kr. für Kost
und Logis zu fordern, außerdem schuldete er
noch die in Nürnberg ihm dargeliehenen 300 Fl.
und sowohl dem Vater des Dichters wie der
Familie Samuel Thamson in Plüdershausen eine
größere Summe, zu deren Tilgung er 1762 eine
„Assignation 44 über 300 Gulden auf den Hof-
und Kanzleibuchdrucker Christoph Friedrich
Cotta ausstellte. Cotta, für den er damals
übersetzte, tilgte davon bis April 1769 die
Hälfte und erbot sich zu weiteren Abzahlungen,
wenn der Schuldner noch mehr Manuskript
liefere. Mittlerweile hatte Schiller die Heimat
verlassen und sich nach England begeben,
suchte aber noch immer Fühlung mit dem
Herzog zu behalten, denn in einem an letzteren
gerichteten Billett, aus London vom 28. Januar
1769 datiert,versichert er: „Keine Veränderungen
der Zeiten, der Plätze, der Zufälle, der Aus¬
sichten, sollen mich jemals in eine Gleichgültig¬
keit gegen die Pflichten verleiten, wodurch ich
meinem Vaterlande und dessen durchlauchtigstem
Beherrscher verbunden bleibe. 44 Noch vor Ab¬
lauf des Jahres 1770 starben seine Eltern kurz
nacheinander, und bei der Erbteilung — er
besaß noch eine an den Färbermeister Boßhardt
in Steinheim verheiratete Schwester — vertrat
den Abwesenden als sein „sonders vertrauter
Freund 44 der Vater des Dichters. Aus der
Nachlassenschaft im Gesamtwerte von 4150 Fl.
J/fvA r /vix/.i ist/ i
. '/&<’ ’ /<P/S 1
Abb. 3. Kurfürst Friedrich Karl von Mainz.
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62
Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
wurden ihm 2088 Gulden zugesprochen, sein
Erbteil bestand aber vorwiegend aus Grund¬
besitz, den er zuerst nicht veräußern wollte
und dessen Ausfolge später wegen einer For¬
derung gesperrt wurde. Schillers Gemüts¬
stimmung beim Verlust seiner Eltern und seine
damalige Lage beleuchtet ein Brief aus London
vom 22. November 1770, worin er an seine
Schwester und seinen Schwager schreibt:
„Mein Herz blutet über dem Gedanken,
daß Ihr Beide noch die einzigen nächsten
Blutsfreunde seid, die mir Gott in der Welt
übrig gelassen hat. Seit so vielen Jahren, die
ich in fernen Ländern unter Arbeit, Krankheit
und Trübsalen aller Art kämpfe, habe ich
niemals eine Thräne für mich selbst geweint.
Den Verlust unserer beiden sei. Eltern auf
einmal betraure ich nun in der Stille einsamer
Mitternacht und habe nicht einmal Zeit, mich
satt zu weinen. Denn diese schmerzliche
Botschaft erhalte ich gerade zu einer Zeit,
in der ich alle Kräfte meiner Seele anstrengen
muß, um eine sehr schwere und die wichtigste
Arbeit in meinem Leben baldmöglichst zu
vollenden und sie S. M. dem König, der
mich persönlich kennt und sie erwartet,
vorzulegen.“ Daher sei es ihm unmöglich,
führt er weiter aus, wenn auch nur kurz zur
Erbschaftsteilung heimzukehren, doch habe er
zwei redliche Freunde „Herrn Hauptmann
Schiller und Herrn Friedrich Kaspar Trautwein“,
bevollmächtigt, ihn bei der Masse zu vertreten.
„Herrn Vetter Schiller wählte ich,“ bemerkt
er wörtlich, „weil ich von ihm eine verständige
und gewissenhaft umständliche Nachricht von
Allem, was bei der Teilung vorfällt, erwarten
muß.“ In London, wo Schiller anfangs in
ArlingtonStreet, St. James, wohnte und sich
als „Juris Licentiatus“ bezeichnete, war er eifrig
mit Übersetzen beschäftigt, wodurch er mit
den angesehensten Schriftstellern in Berührung
kam. Gleichzeitig plante er damals schon die
Errichtung einer eigenen Druckerei, und zwar
in den Niederlanden, wie aus einem Aktenstück
vom August 1775 hervorgeht, enthaltend „Artikel,
welche die Regierung der Niederlande dem
Friedrich Schiller bewilligt, um ihm die Er¬
richtung einer typographischen Anstalt zu er¬
leichtern.“ Von Deutschen sah ihn in London
auch der Weltumsegler Reinhold Förster,
gewann aber von seinem Landsmanne keinen
günstigen Eindruck; er schildert ihn, nicht
ohne Übertreibung und Parteilichkeit, in einem
Schreiben vom 12. November 1776 an Boie
wie folgt:
„Ein gewisser schwülstiger Schwabe, ge¬
nannt Schiller, der den Hawkesworth verun-
deutscht hat, übersetzet dies Werk (Robertsohns
Geschichte von Amerika) für Reich und Weid¬
manns Erben, welche dem englischen Buch¬
händler 200 Pfund Sterling bezahlen, um nur
die Bogen gleich zu bekommen, wie sie die
Presse verlassen. Dieser gute Schiller ist zu¬
weilen etwas verrückt im Kopfe. Einer seiner
Landsleute, ein Goldmacher, hat ihn zum Gold¬
machen und der Rosenkreuzbrudergesellschaft
bekehrt, da arbeitet nun der Mensch im Kohlen¬
staube, und da er ohnedem nicht sehr reinlich
ist, so wird er vollends ein Zynikus und, um
recht fromm zu werden, welches das große
Geheimnis erfordert, kasteiet er seinen Leib;
dadurch ist nun seine Gestalt der des Don
Quixote so ähnlich geworden, daß man ihn
nicht unterscheiden kann. Er ist lang, mager,
hat tief im Kopfe liegende Augen, die von
einem verborgenen Feuer funkeln; er ist so
bleich und zugleich so gelb, daß er aussieht
wie eine Haut im Rauche. Er ist von sich
und seinen Fähigkeiten eingenommen und glaubt,
daß seine Vorrede zu dem Hawkesworthischen
Werke das non plus ultra der Beredsamkeit
und des menschlichen Verstandes sei. Ich bitte,
lesen Sie dieselbe doch nur! Wehe unserem
armen Vaterlande! Mit dieser elenden Brut
von Übersetzern werden alle Werke der Aus¬
länder verhunzt in die Hände der Deutschen
gegeben.“
Etwas Konkurrenzneid hat hier zweifellos
das abfällige Urteil Försters beeinflußt; auch
die Verleger — es waren die ersten Firmen
Deutschlands — flir die Schiller übersetzte,
teilten es nicht. Die angebliche „Verundeutsch-
ung“ des Hawkesworth — es handelt sich hier
um die von letzterem verfaßte, von Schiller für
A. Haude und J. C. Spener in Berlin übersetzte,
„Geschichte der See-Reisen und Entdeckungen
im Süd-Meer, welche .. von Commodore Byron,
Kapitän Carteret, Kapitän Wallis und Kapitän
Cook nacheinander ausgeführt worden sind..“
— verdient sogar in Erwägung aller Um¬
stände, unter welchen sie zustande gekommen
ist, Anerkennung (Abb. 1). Auf Seite 41 des
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Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
63
dreibändigen, mit vielen Kupfern und Karten
geschmückten Prachtwerkes erklärt Schiller
unterm 8. Februar 1774:
„Die deutsche Übersetzung ist in einer ein¬
geschränkten Zeit unter mancherlei Schwierig¬
keiten, fern vom Orte des Druckes und der
Gelegenheit, deutsche Freunde zu Rate zu
ziehen, mit wenigen und mangelhaften Hilfs¬
mitteln in Ansehung der deutschen Sprache
und insbesondere der Schiffarts-Wörter und
Redensarten, nach einem vierjährigen, bestän¬
digen Aufenthalte in England, jedoch mit an¬
haltendem Fleiße und der möglichsten Auf¬
merksamkeit ausgearbeitet, sehr leserlich ge¬
schrieben und mehr als einmal durchgesehen
worden/ 4
Wo bleibt hier die von Förster behauptete
Selbstüberhebung des Übersetzers? — Zwei
Exemplare dieser „Entdeckungsreisen“ (das
Exemplar stellte sich auf 15 Taler) schickte
der Vetter an seine Verwandten nach Schwaben,
und zwar bestimmte er eines davon ausdrücklich
„für Herrn Hauptmann Schiller“. Die andere,
von Förster erwähnte, Übersetzung Schillers, die
„Geschichte von Amerika von Wilhelm Robert¬
son“ (Abb. 2), erschien 1777 in zwei starken
Bänden bei Weidmanns Erben und Reich in
Leipzig und wurde vom Übersetzer der Königin
Charlotte von Großbritannien gewidmet. Um
dieselbe Zeit übersetzte er Adam Smiths epoche¬
machende „Untersuchungen der Natur und
Ursachen von Nationalreichtümem“ (1776/78
in zwei Bänden ebenfalls bei Weidmanns Erben
und Reich erschienen). Schiller bemerkte dazu,
in richtiger Würdigung des Originals: es koste
ihn keine Überwindung, elf bis zwölf mal ein
so originelles Werk zu lesen, wie das des ver¬
ehrungswürdigen Verfassers, dessen persönliche
Achtung und Freundschaft er unter die glück¬
lichsten Umstände seines Lebens zähle. Damals
besuchte ihn auch der spätere Freund des
Dichters, Christian Gottfried Körner, und schrieb
davon am 26. Oktober 1779 an Gallisch:
„Schiller, der Übersetzer des Hawkesworth,
der sehr gefällig gegen mich ist, will mich mit
Johnson , dem Verfasser des Lexikon, des
Ramblerx bekannt machen. Seine Stube
und Haushaltung hat das Eigentümliche eines
alten Junggesellen, der die meiste Zeit zu Hause
ist: elf Katzen, einen Hund, eine Haushälterin,
die ihre Sachen zum Teil in seiner Stube hat.“
Die den Haushalt betreffende Briefstelle
wurde neuerdings nicht auf den zur Zeit erst
zweiundvierzigjährigen Schiller, sondern auf
den bereits siebzigjährigen Johnson , einen
Sonderling, bezogen, obgleich der Übersetzer,
namentlich wenn er so verwittert aussah, wie
ihn Förster schon drei Jahre vorher schilderte,
unbedenklich „ein alter Junggeselle“ genannt
werden konnte.
Während des Jahres 1782 beschäftigten
Schiller zwei große Pläne, von deren Gelingen
er sich wohl einen unausbleiblichen Erfolg
versprach, die aber beide nicht zur Ausführung
kamen, so daß der oft Enttäuschte bald darauf
England für immer verließ. Der eine Plan
erinnert vielfach an Schillers frühere Projekte
bezüglich Württembergs; er galt diesmal dem
Wohle Englands, dessen leitendem Minister
er am 2. Mai 1782 aus London, 73 Highstreet,
Marylebone, eine diesbezügliche, in englischer
Sprache abgefaßte Denkschrift unterbreitete.
Schiller erklärt darin: durch eine sekrete Aus¬
wahl, Zusammensetzung und Anwendung ge¬
wisser physikalischer und mechanischer Kräfte
könne er die britische Marine und die Finanzen
des Landes derart heben, daß England in der
Lage sei, einen ruhmvollen und dauernden
Frieden zu diktieren und eine aufrichtige Ver¬
bindung mit Irland und Amerika einzugehen.
Die Experimente dazu, welche in den nächsten
Wochen stattfinden könnten, würden etwa
200 Pfund Sterling kosten, ohne daß von
dieser Summe ein Schilling durch seine Hand
zu gehen brauche. Unbedingte Geheimhaltung
sei die erste Bedingung des Erfolges, alle seine
Maßnahmen seien dabei ehrlich und gesetzlich.
Einige sorgfältig ausgewählte Personen von
absoluter Integrität sollten eingeweiht werden
und entscheiden. Der Nation würde die Aus¬
führung seines Systems keine außergewöhnlichen
Kosten verursachen und die Auslage auf der
einen durch den Vorteil auf der anderen Seite
mehr als aufgewogen. Ein schließlicher Erfolg
seines Planes, an dem er seit November 1759
arbeite, sei zweifellos. Dieser Denkschrift war
noch ein mehrere Seiten umfassendes Expose
über die Schiffe und Kanonen der britischen
Flotte beigegeben.
Der andere Plan betraf Schillers bereits
erwähntes Vorhaben, eine Druckerei mit Buch¬
handlung in den Niederlanden zu errichten,
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6 4
Börckel, Der Bucli<lrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
THE
O ECONOMY
OF
HUMAN LIFE.
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9 K a i u 3,
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> 7 « 5 »
Abb. 4. Titel zu J. F. Schillers „Haushaltungskunst'*.
wozu er in einem Briefe vom 8. Juli 1782 aus
London die Unterstützung des Engländers
Thomas Bird, seines langjährigen Freundes,
nachsucht Bird wisse, so schreibt Schiller, daß
er beabsichtige, in Brüssel oder Antwerpen
eine Druckerei mit Buchhandlung zu begründen.
Dazu könne er selbst alles Manuskript liefern,
was sonst einem gewöhnlichen Buchdrucker
nahezu */ 5 der Ausgaben koste, auch würde
ihm die zentrale Lage ermöglichen, die inter¬
essantesten Erscheinungen englischer, französi¬
scher und deutscher Originalwerke in seiner
eigenen Übersetzung zu drucken. Die dortige
Regierung habe ihm durch den Prinzen Stahrem-
berg und den Grafen Belgiuioso Förderung
zugesagt, weitere erwarte er vom Kaiser durch
Empfehlung von dessen Schwester und Schwager.
Ferner könne er durch einen Herrn Bentham
und die eigenen Verwandten etwa 1000 bis
1200 £ in Brüssel oder Antwerpen aufnehmen
Mit dieser Summe vermöge er aber nur eine
Presse aufzustellen, während es ihm gelingen
würde mit weiteren 5 00 bis 1000 £ Kapital
zwei oder drei Pressen in Betrieb zu nehmen,
und dementsprechend mehr zu verdienen, weil
die Betriebskosten für ein halbes Dutzend Pressen
kaum größer seien, als für eine einzige. Später
hoffe er sogar, durch die zentrale Lage be¬
günstigt, zwei bis drei Dutzend Pressen nötig
zu haben. Bei einer Auflage von 800 Exem¬
plaren würde jede Presse täglich mindestens
1200 Abzüge liefern und der vierte Teil der
Auflage schon die Kosten decken. Trotz dieser
so vorteilhaften Aussicht scheint Bird seine
Unterstützung versagt zu haben, denn Schiller
begab sich um Pfingsten 1783, nach vergeb¬
lichen Versuchen im Ausland festen Fuß zu
fassen, in seine Heimat zurück. Der Stein-
heimer Amtmann berichtete darüber am
30. Juni 1786 dem Marbacher Stadtgericht:
„Daß Herr Studiosus Schiller, von hier
gebürtig, welcher sich 22 Jahre in London
aufgehalten, schon anno 1783 um Pfingsten
ins Land gekommen und seinen Aufenthalt
mit einem mitgebrachten Frauenzimmer, die
er seine Magd genennet, teils über l / 2 Jahr
gehabt und endlich seinem Schwager .. auff
seine sämtliche Güther den Kontrakt pro 2000 fl.
abgeschlossen, der ihm auch in Zeit 14 Tagen
den ganzen Kaufschilling baar anschaffen und
vorschießen müssen, womit er dann, nachdem
er sich seines Bürgerrechts allhier förmlich und
schriftlich verziehen, außer Lands mit Sack
und Pack abgereist, ohne den Orth seines
künftigen Aufenthalts seinen Freunden zu ent¬
decken , welchen er vermuthlich bei seiner
Abrayße noch selbsten nicht wußte.“
Um jene Zeit wollte der Dichter der „Räuber“,
der nach seiner Flucht aus Stuttgart nicht nach
Württemberg zurückzukehren wagte, mit seinem
Paten Zusammentreffen. Er schrieb nämlich
vor seiner Abreise von Bauerbach nach Mann¬
heim unterm 10. Juli 1783 an seinen nach¬
maligen Schwager Reinwald:
„Ich gehe in längstens 12 Tagen von hier,
um meinen Oncle aus London, der sich in
Schwaben befindet, an der Grenze zu rencon-
triren. Dieser Vetter hat den Robertsohn
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Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
65
übersetzt und ist durch mehrere Übersetzungen
englischer Schriftsteller nicht unrühmlich be¬
kannt Vielleicht, daß er der Canal ist, durch
den auch ich in England bekannt werde/ 1
Und am 22. Juli (weil er furchtet, das erste
Schreiben sei nicht an seine Adresse gelangt):
„Ich berichtete Ihnen darin, daß ich auf
4 oder 6 Wochen nach Frankfurt oder an die
Würtembergische Gränze eine Reise mache,
weil mein Vetter aus Engelland an gekommen
und gegenwärtig in Schwaben ist, den ich aus
Tausend Gründen nicht gern entwischen lassen
möchte. Es ist der nämliche, der Robertsohn’s
Amerikanische Geschichte in’s Teutsche über¬
setzt und noch durch mehrere Schriften —
meist Verteutschungen der Englischen Reise¬
beschreibungen — seinen Namen bekannt ge¬
macht hat. Vielleicht, daß ich durch ihn das
Bürgerrecht auf dem Theater zu Drurylane
erhalte ...“
Darauf erwiderte Reinwald sehr zutreffend:
„Daß Sie Ihren Onkel sprechen, freut mich,
aber Engelland kann wenig zu Ihrem Haupt¬
endzweck beitragen — Ruhm kann Ihnen one-
dem nicht feien ..“
Zu einer Begegnung kam es aber nicht;
der „Vetter" blieb bis zu seinem Wegzug
teils in Groß- und Klein-Bottwar, teils in Stein¬
heim bei seinem Schwager Boßhardt; bei seiner
Vermögensregelung, berichtete weiter der Amt¬
mann, habe der Hauptmann Schiller auf der
Solitüde als Sachwalter mitgewirkt, und als
jetziger Wohnort Johann Friedrichs gelte Mainz,
wo er sich „auf einer Buchdruckerei etabliert
habe."
Und so verhielt es sich auch. Bereits
unterm 14. Februar 1784 hatte Schiller bei
der Kurmainzer Regierung die erforderlichen
Schritte getan. In dem betreffenden Gesuch
sagt er u. a.: „Seit zwanzig Jahren habe ich
für deutsche, seit zehn Jahren auch für englische
Pressen gearbeitet, manche der größten engli¬
schen Schriftsteller und Verleger beehren mich
mit ihrer Freundschaft. Von diesen kann ich
die wichtigsten und neuesten Werke, ehe sie
noch in London herauskommen, unter günsti¬
geren Bedingungen als irgend ein anderer
auswärtiger Übersetzer oder Verleger bogen¬
weise aus den Londoner Pressen erhalten, um
sie für meine Rechnung ins Deutsche zu über¬
setzen und ins Französische übersetzen zu lassen.
So habe ich Hawkesworth, Adam Smith,
William Robertson u. a. während meines zwanzig¬
jährigen Aufenthaltes zu London für Hamburger,
Berliner und Leipziger Buchhändler ins Deutsche
übersetzt. Ich wünsche nun zu Mainz eine Bücher-
Verlagshandlung und Druckerei anzulegen, um
die besten neuen Werke, die unter irgend einer
von den drei großen Nationen, den Deutschen,
den Franzosen und den Briten, erscheinen,
teils in vollständigen und richtigen Über¬
setzungen, teils in bündigen Auszügen, den
beiden anderen Nationen zierlich gedruckt und
um billigen Preis mitzuteilen.“
In der Tat wurde durch Erlaß der kur¬
fürstlichen Landesregierung an das Vizedom¬
amt vom 21. April 1784 „dem Johann Friedrich
Schiller aus Stuttgart“ die Errichtung einer
Buchdruckerei und Buchhandlung in Mainz be¬
willigt. Ferner genehmigte der Kurfürst, daß
Schiller dazu 4000 Gulden aus Mitteln der
Universität gegen Zinsen und Kaution vor¬
zustrecken seien, wenn er der Bücherzensur
sich unterwerfe. Schiller dürfe aber keine
Quart- und Formatkalender und Nachrichten¬
blätter drucken, für welche die St. Rochus¬
druckerei privilegiert war, ebensowenig Gesang-
und Gebetbücher, deutsche und lateinische
Schulbücher, deren Druckprivileg die Alefsche
Druckerei besaß, und auch nicht die Mainzer
Zeitung, weil hierzu die Wailandtsche Offizin
ein Vorrecht hatte, es sei denn, daß er sich
mit einer dieser Druckereien assoziere oder sonst
verständige. Außerdem sei Schiller auf zehn
Jahre Befreiung von Kaufhausgebühren für
alle aus- und eingehenden Bücher, und für die
erste Zeit eine unentgeltliche Wohnung zu ge¬
währen, dagegen müsse er von seinen Druck¬
schriften je ein Freiexemplar an die Regierung
und Universität abliefem. Diese Bedingungen
w-
Z. f. B. 1904/1905.
Abb. 5. J. F. Schillers Handschrift.
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66
Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
befriedigten jedoch Schiller nicht Er ward
nochmals vorstellig; darauf bekam er am
25. Mai den Bescheid: der Kurfürst erlasse
ihm die Stellung einer Kaution, aber das
Darlehen von 4000 Fl. solle von einem Wechsler
oder dem Universitätsrechner verwaltet und
davon auf Schillers Anweisung der Preßmacher,
Schriftgießer und Papiermacher bezahlt werden.
Ferner solle Schiller sein ganzes Besitztum
und die herzustellende Ware der Universität
verpfänden. Als Wohnung wurden ihm ein
kleinerer Saal in der „Karthause“, mit Neben¬
räumen und zwei Gewölbe im alten Exjesuiten¬
kollegium, für das erste Jahr gratis, für später
gegen mäßige Miete überlassen.
Diese Vergünstigungen erhielt Schiller jeden¬
falls nur infolge einer warmen Empfehlung
durch seinen Landsmann und Gönner, den
württembergischen Staatsminister Freiherrn von
Kniestedt, an den früheren kurmainzischen
Hofkanzler und damaligen Kurator der
Mainzer Universität Freiherm von Bentzel-
Sternau. Schiller dankt Ersterem dafür in
einem längeren Schreiben aus Mainz unterm
31. Mai 1784, worin er sagt, der Kurator habe
nach Durchsicht des Empfehlungsbriefes ge¬
äußert: „So ein Zeugniß ist entscheidend, ich
will sehen, was ich für Sie tun kann.“ Und
er habe mehr getan, als Schiller erwartet hätte.
Nun erwähnt er die für ihn äußerst vorteil¬
haften Bedingungen bei seiner Niederlassung
in Mainz und bemerkt dazu: „Bald werde ich
auch das Lehr-Amt der englischen Sprache
und Literatur an der hiesigen Universität er¬
halten, das mir bei meinem Vorhaben der
Ausgabe englischer Werke mit deutschen Über¬
setzungen schätzbar und vorteilhaft sein wird.“
Wie erwartet, erhielt Schiller vom Kurfürsten
Friedrich Karl (Abb. 3), aus Aschaffenburg vom
1. Oktober 1784 datiert, eine „Bestallungs-Note“
als englischer Sprachmeister bei der Kurfürst¬
lichen Universität Mainz mit einem jährlichen
Gehalt von 200 Gulden. Ferner schreibt Schiller
in obigem Briefe: „Allem Vermuten nach wird
mir auch das Vermögen und Eigentum der
Kur-Mainzer Zeitung cedirt werden, die ich
sodann bald umschaffen wilL Wozu der Herr
Kurator mir auch schon die Benutzung einer
Menge handschriftlicher und gedruckter deut¬
scher und ausländischer Zeitungen und Journale
von Seiten der hiesigen, aus fast 150 Standes¬
personen und Gelehrten unter des Herrn Ku¬
rators Direktion bestehenden Lesegesellschaft
verheißen hat, eine sehr wesentliche und wichtige
Hülfe.“
Nachdem Schiller noch eine Reihe hoher
Beamter als Förderer seines Unternehmens
genannt, schildert er seine neuen „Quartiere“,
darunter namentlich die zur Universität gehörige,
20 Minuten von der Stadt entfernte „Karthause“,
ein aufgehobenes Kloster nahe bei dem kur¬
fürstlichen Sommerpalast „Favorite.“ Hier habe
er die Errichtung einer Druckerei geplant und
hier wolle er „die größten und edelsten Genies
aus allen Zeiten und Völkern um sich her ver¬
sammeln und durch das Studium ihrer unsterb¬
lichen Werke einige gute Köpfe und Herzen
zu brauchbaren Menschen und Gehülfen zu
bilden versuchen.“ Von jedem der hier zu
druckenden Werke habe er seinem großmütigen
Gönner eines der ersten Exemplare zugedacht
und ihm jetzt schon seine, noch mühsam auf¬
getriebene Übersetzung von D. Moores „Abriß
des gesellschaftlichen Lebens und der Sitten
in Frankreich, der Schweiz und Deutschland“
(2 Bände, Leipzig bei Weidmann 1785) nach
Stuttgart gesandt. Ganz zufriedengestellt war
aber Schiller auch jetzt nicht; offenbar konnte
er gegen die einheimischen Druckereien nicht
aufkommen, er verlangte daher schon im fol¬
genden Jahre die Lieferung der Bücher für die
Universität und den Titel eines Universitäts¬
buchhändlers, sowie einen Buchladen mit Ma¬
gazin im ehemaligen Jesuitenkollegium.
Dieses Verlangen wurde aber abgelehnt,
wenn auch der Gesuchsteller als Zweck seiner
Buchdruckerei und Buchhandlung angab: es
sollten „gegen deren Produkte die auswärts
verlegten Bücher hinfort großen Teils einge¬
tauscht und dadurch jährlich beträchtliche
Summen baren Geldes im Lande behalten
werden.“ Wie wenig Verständnis trotzdem
Schillers typographische Arbeit hier fand, lehrt
eine kleine Schrift, die 1784 zu Frankfurt a. M.
erschien unter dem Titel: „Briefe aus Mainz
während der Restaurationsfeyerlichkeiten der
Universität vom 15. bis 19. November 1784 ge¬
schrieben“. Es heißt darin:
„Nach der Tafel besah ich die Karthause...
und die Druckerei von Schillern... Den Plan,
der bei der Druckerei ausgeführt werden soll,
kann ich nicht errathen, es geht zur Zeit nur
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Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
67
eine einzige Presse und eben war ein längst
vergessenes Pamphlet von Franklin im Druck,
das englisch und deutsch nebeneinander ab¬
gedruckt wird. Zu welchem Ende? Kann ich
nicht begreifen/*
Das „Pamphlet** war die in Schillers „Haus¬
haltungskunst des menschlichen Lebens** (Abb.4)
aus der „Weisheit des armen Richard** aufgenom¬
mene Abhandlung über „Die Kunst reich zu
werden** von Benjamin Franklin, den der Über¬
setzer im Vorbericht als einen Mann bezeichnet,
„dessen Name mehr als einem Weltteil und Zeit¬
alter ehrwürdig bleibt**. Ebenso hätte der unge¬
nannte Briefeschreiber, den „Plan**, den Schiller
mit seiner Druckerei verfolgte, leicht aus dessen
Verlagsrichtung erraten können. Letztere war
eine vorwiegend pädagogische, denn Schiller
suchte englische und französische Meisterwerke,
namentlich aus dem Gebiete der National¬
ökonomie und Moralphilosophie, in der Ur¬
sprache oder von ihm übersetzt zu verbreiten.
Dazu aber eignete sich vorzüglich die von ihm
1785 neben dem englischen Originaltext in
seiner Übersetzung gedruckte „Haushaltungs¬
kunst des menschlichen Lebens** mit ihrem
Anhang lehrreicher Sentenzen und Essays.
Schiller war damals als „Sprachmeister** bei
der Universität angestellt worden und hatte
das Werk ausdrücklich „für Anfänger in der
englischen Sprache** veröffentlicht. Ein anderes
Werk ähnlicher Art bildeten seine, gleichfalls
aus dem Englischen übertragenen „Moralischen
Versuche und Erzählungen** in zwei Bänden
(1785 und 1787), die er am 12. März 1785 als
„Erstlinge seiner Pressen** dem Mainzer Kur¬
fürsten Friedrich Karl von Erthal gewidmet
hat, „der ihre Errichtung der großmütigsten
Unterstützung und ihre ersten Arbeiten der
unvergeßlichen Ehre seiner persönlichen An¬
wesenheit gewürdigt** Auch den Originaltext
dieser, den hervorragendsten englischen Schrift¬
stellern entnommenen Essays ließ Schiller in
seiner Offizin drucken, sowie ferner die zwei
englischen Erzählungen: „Almoran and Harnet,
An Oriental Tale by John Hawkesworth** und
„The Prince of Abissinia. A Tale by D. Samuel
Johnson**, letztere als „eine lehrreiche Erzählung**
zugleich deutsch und in beiden Sprachen zu¬
sammen. Aus dem Französischen übersetzt,
lieferte er dann noch eine „Auswahl kleiner
Werke** von Buffon, Diderot, Marmontel und
Montesquieu, und ließ außerdem im Jahre 1785
seine Übersetzung „Früchte der Einsamkeit**
von Wilhelm Penn bei Cotta in Tübingen
erscheinen. Im folgenden Jahre, 1786, druckte
er mit englischem Texte: „Julia de Roubignd“,
eine Erzählung in Briefen; Fergusons „Institutes
of Moral Philosophy**; Alexander Popes „An
Essay on Man** und, auch in deutscher Über¬
setzung, „An Anthology, or a choice Collec¬
tion of instructive fables, tales x**; endlich
H. F. Kahreis „Schlüssel zur allerältesten Ge¬
schichte der Welt**. Während der zwei näch¬
sten Jahre verließen Schillers Presse: die poeti¬
schen Werke von Alexander Pope , Oliver
Goldsmiths Erzählung „Der Vikar von Wake-
field** und Lord Ansons „Weltreise**, sämtlich
in englischer Sprache, dann, aus dem Französi¬
schen übersetzt, des Marquis von Vauvenargues
„Einleitung zur Kenntnis des menschlichen
Verstandes**. In einer begeisterungsvollen Vor¬
rede rühmt Schiller den auch von Voltaire
gefeierten Marquis, „der so oft Stoff zu Bänden
in ein paar Zeilen gießt, so redlich und warm
von Herz zu Herzen spricht, unter so vielen
und so schweren Leiden so früh, so standhaft,
so herrlich vollendet.** Deutsche Drucke 1787/88
waren: Wilhelm Dietlers „Gerechtigkeit gegen
Thiere** und B . 5 . Naus „Beiträge zur Natur¬
geschichte des Mainzer Landes** (zwei Hefte)
wie desselben Verfassers Abhandlung: „Über
den heutigen Zustand der Fischerei in einigen
Gegenden Deutschlands.** Das zuletzt gedruckte
größere Werk Schillers bildeten 1789 die fran¬
zösisch-deutsch und französisch-englisch heraus¬
gekommenen „Dialogues** von Fenelon (43 Bogen
stark), dann kam nur noch lateinisch die „Sy¬
nopsis methodica Quadrupedum .. Moguntiae
1790**.
Zum Vertrieb seiner Druckwerke unterhielt
Schiller eine Geschäftsverbindung mit der
Frankfurter Buchhandlung von Varrentrapp jun.
und Wenner und setzte auch sonst alle Hebel
in Bewegung, um durchzudringen. Aber es
ging doch nur langsam mit dem Verkauf seiner
„moralischen** Verlagsartikel; sie konnten sich
nur allmählich einbürgem bei dem Zeitgeschmack,
der ihnen Schlüpfrigkeiten vorzog, „recht artig
geschriebene Sauereien**, wie sie der Kurfürst
einmal mit Bezug auf Heinses „Ardinghello**
nannte. Trotzdem wäre es Schiller vielleicht
gelungen, sich über Wasser zu halten, hätte
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68
Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmcister Johann Friedrich Schiller.
ihm sein Hauptgläubiger, die Universitäts-Ver-
waltung, mehr Entgegenkommen gezeigt Von
da aus aber geschah, wie aus den betreffenden
Akten hervorgeht, gerade das Gegenteil. Mit
unerbittlicher Strenge beharrte der Kreditor
auf seinem „Schein“ und verursachte oder be¬
schleunigte so Schillers geschäftlichen Ruin.
Bereits im September 1787 hatte die Kameral-
Deputation der Universität eine andere Kaution
verlangt und schon vor der Ostermesse 1788
Schillers Verlag in der Karthause sperren lassen.
Ein 1789 von ihm der Deputation vorgeschlagener
„irrecusabler Bürge und Selbstzähler“ wurde als
nicht genehm verworfen und die Buchdruckerei
blieb „arretirt“. Schiller übersandte darauf der
Landesregierung am 7. Juni 1790 eine „unter¬
tänigste Vorstellung“, in der er ausführt, der
Kläger dränge und bestehe schon seit länger
als zwei Jahren nicht nur mit Androhen, son¬
dern mit wirklichem Anstrengen der „härtesten,
schimpflichsten und verderblichsten Zwangs¬
mittel“ auf Bürgschaft oder Wiederbezahlung.
Umsonst habe er sich erboten, die erst seit
Sperrung seines Geschäftes aufgelaufenen und
künftig fälligen Zinsen durch Anweisung auf
seine Besoldung sicher zu stellen, ebenso wie
die Abzahlung des Kapitals durch ein frei¬
williges Depot von Verlagsbüchem in mehr
als dem dreifachen Werte zu garantieren, und
nur dagegen verlangt: freien Gebrauch seines
„Hauptnahrungs - Instruments“, der Druckerei
und der Buchhandlung, zum Erwerb der Mittel
fiir die Abzahlung der Schuld. Fünf Leipziger
Messen seien ihm jetzt schon durch schwere
Bedrückungen vereitelt, von 3600 Fl. Wert an
ganz neuen Verlagsbüchern im Rabatpreise
habe er noch kein Blatt auf die Messen bringen
oder versenden können. „Nicht nur mein ganzer
in der Karthause befindlicher Verlag, über
15 bis 16000 Fl. im Rabatpreise-Wert,“ klagt
Schiller, „sondern auch mein Hauptnahrungs-
Instrument, die Druckerey, und nun endlich
auch meine kleine Besoldung sogar sind mit
Arrest belegt.“
So habe man ihn der Mittel beraubt, fort¬
arbeiten und bezahlen zu können, und gleich¬
zeitig seinen Privat- und Handelskredit unter¬
graben, und so wolle man, ohne Rücksicht auf
seine Anerbietungen, für einen auf ganz andere
Bedingungen und weit längere Tilgungsfrist
bewilligten Vorschuß von gegen 5000 fl. den
Wert von mehr als 20,000 fl. wegschleudern
und ihn mit aller Gewalt „bankrut machen“.
Seine Leiden durch das „eigenmächtige und
unverantwortliche Verfahren des Kreditors kann
keine menschliche Macht ihm mehr vergüten“,
aber dem Kläger dürfe nicht gestattet sein, in
eigener Sache „zugleich Partei, Zeuge, letzter
Richter und Vollzieher seines eigenen Urteils
zu sein“ gegenüber einem erweislich unschuldigen
und rechtschaffenen Manne.
Mittlerweile war an Schiller die Aufforderung
ergangen, in aller Kürze die Karthause zu
räumen. Der Kurfürst, auf dessen Schutz er
rechnete, war im Begriff, zur Kaiserkrönung
nach Frankfurt zu reisen. Schiller, in seiner
verzweifelten Lage, wandte sich daher unterm
2. Juli 1790 an den Geheimen Staatsrat v. Keller,
als den zuständigen Referenten, und wie ein
Notschrei klingt es, wenn er ihm schreibt:
„Auf Herrn Hofkammerraths Molitor strengste
Ankündigung soll ich mit meinem Eigenthum
die Karthause in sehr wenig Tagen räumen.
Von der K. U. Kameral-Deputation wird mir
meine Besoldung noch vorenthalten. Ich habe
nichts zur Bestreitung der Kosten des Auszie¬
hens — nichts zum Miethen eines Obdachs
für mich und mein Eigenthum; nichts zum noth-
dürftigsten Lebensunterhalt. Aller Kredit ist
mir abgeschnitten und sogar mein Erwerb durch
Lehrstunden muß bald aufhören, da ich meines
elenden Aufzugs wegen bald nirgends mehr
erscheinen oder wiederkommen darf. Kurz, ich
bin aufs alleräußerste getrieben. Nächst Gott
weiß ich keinen Retter als Se. Kurfürstliche
Gnaden: die ich nun nothgedrungen inständigst
bitte, noch vor höchstdero Abreise gnädigst und
gemessenst zu befehlen, daß mir der Aufenthalt
in der Karthause noch etwas länger gestattet,
meine Besoldung ausbezahlt und der Arrest
auf meiner Druckerei und ganzes Eigentum auf
Bedingungen, die für mich erträglich und für die
Universität sicher sind, aufgehoben werde.“
Darauf bewilligte der Kurfürst durch Reskript
an Keller einen Aufschub der anbefohlenen
Räumung. Da aber Keller kurz darauf in Frank¬
furt erkrankte und starb, erhielt die Universi¬
täts-Justiz keine offizielle Weisung und wollte
nunmehr zur Versteigerung des gesperrten Be¬
sitzes schreiten. Schiller appellierte deshalb an
das Hofgericht, das ihn jedoch abwies, und so
sah er sich zu einer abermaligen Vorstellung
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Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
69
genötigt In einem am 30. Juni 1791 direkt an
den Kurfürsten gerichteten Gesuche ruft er
wiederholt den landesherrlichen Schutz an gegen
„lange und unerträglich gewordene Bedrük-
kungen“. Nachdem der Gesuchsteller in ein¬
dringlicher Weise die Situation beleuchtet hat,
beschwert er sich namentlich über die vertrags¬
widrige Steigerung der Zinsen von 3 auf 4 Prz.
für die ersten vier Jahre und über die verfrühte,
ungesetzliche Arrestklage, und bricht dann in
die Entrüstungsworte aus: „Welche Menschen¬
geduld könnte ein so himmelschreiendes Ver¬
fahren aushalten!.. Die Druckerei ist nun schon
auf sechzehn Monate gesperrt! — Ohne den
geringsten Nutzen für Kreditoren und zu meinem
unermeßlichen Schaden muß mein Verlag unter
offenbar rechtswidrigem Arreste veraltem und
täglich an seinem Kaufwerte verlieren.“
Schließlich bittet er um Aufhebung des Arrestes
auf Geschäft und Gehalt und um Bewilligung
billiger Rückzahlungsfristen. Statt dessen er¬
hielt Schiller bald darauf von der Hofkammer
den Befehl, die Karthause binnen einem Monat
mit allen seinen Effekten zu räumen.
Allein schon ungefähr 14 Tage nach dieser
Ankündigung erschien plötzlich eines Morgens
in aller Frühe der kurmainzer Feldwebel Be-
aupr£ mit 4 Mann und teilte mit, daß eine An¬
zahl Rüstwagen nachfolgten, um Schillers sämt¬
liche Effekten in die Stadt zu fahren, wobei die
Soldaten mitwirken sollten. Bald darauf kamen
noch: der Kommissar und Referent in dieser
Sache, Hofgerichtsrat Professor Wiese, der
Syndikus Schlebusch und der Pedell Länger,
die sogleich „alles Vorstellens und Protestierens
ungeachtet“, ehe Schiller noch eine Abschrift des
Inventars erhalten hatte, sein ganzes beschlag¬
nahmtes Eigentum (Verlag, Druckerei und Möbel)
auf zwölf Rüstwagen packen und nach dem
Altmünster-Kloster in Verwahrung bringen ließen.
Von den Möbeln wurden ihm später, nach
langem Bitten und Unterhandeln, die unent¬
behrlichsten käuflich überlassen, d. h. gegen
Abzug des Taxwertes von der freigebliebenen
Hälfte seiner Besoldung als Sprachlehrer. Im
übrigen blieb die Beschlagnahme in ihrem ganzen
Umfange bestehen, auch nachdem Mainz am
21. Oktober 1792 in die Hände der Franzosen
gefallen war. Schiller erhoffte aber von den
neuen Machthabern eine gerechtere Justiz und
richtete nun seine Beschwerden am 25.November
an den Präsidenten der allgemeinen Admini¬
stration, Bürger Dorsch zu Mainz. Seiner „Bitte
um provisorische Verstattung des freien Ge¬
brauchs seiner schon seit 1789 illegal arretirten
Buchdruckerei pp.“ schickte er, unter Abschrift
seiner früheren Gesuche, eine genaue Darlegung
des Sachverhalts voraus. Der noch andauernde
Arrest auf die Druckerei, bemerkte Schiller, sei
erschlichen und ungesetzlich; nach Tit. XI $ 5
der Mainzer Untergerichtsordnung dürfe ein
Nahrungs-Instrument selbst bei rechtskräftigem
Urteil nicht einmal in die Exekution gezogen,
geschweige denn bei illiquiden Forderungen mit
Arrest belegt werden. Durch den so grausamen
Arrest der Druckerei sei er außerdem des
Mittels beraubt, seine zwei wichtigsten Verlags¬
artikel, die „Moralischen Versuche“ und „Moral
Tales“ zu vollenden, während die schon in
Umlauf gebrachten zwei Dritteile derselben in
einem Werte, der allein schon des Klägers ganze
Forderung aufwiege, zum Defekt- und Makula¬
turpreise herabsänken. Alle Gründe, Vorstel¬
lungen und Bitten aber hätten ihm nur schwere
Verfolgungen zugezogen, so daß ihm nur noch
der äußerst dürftige und ungewisse Erwerb
durch englische Lehrstunden geblieben sei.
Und auch diesen habe man ihm zu schmälern
und abzuschneiden versucht, bis er durch den
Wegzug des Adels, durch die Kriegsunruhen
und Universitätsferien von selber aufhörte. In
Anbetracht seiner ganz hilflosen Lage habe er
noch einmal die Kameral-Deputation gebeten,
ihm bis zur letzten Entscheidung der Rechts¬
sache den provisorischen Gebrauch seiner
Druckerei zu gestatten, und zwar gegen Hand¬
gelöbnis, daß keines Hellers Wert davon ver¬
äußert werden sollte. Darauf habe die Deputa¬
tion unter dem 7. November beschlossen, seinem
Wunsche nur dann zu entsprechen, wenn er die
verlangten Pressen, zwei Ballen Druckpapier und
die gebrauchten Druckschriften, durch den Fak¬
tor im Armenhause (St Rochusdruckerei) ab¬
schätzen lasse und für den Abschätzungswert
einen „tauglichen Caventen“ stelle. Einen
solchen habe ihm aber die Deputation schon
im Jahre 1789 ohne Grundangabe als ungeeignet
verworfen, sodaß ihm also nur Taxierungkosten
erwüchsen. Schließlich bittet Schiller noch,
„der nun schon so lang und so unverantwortlich
niedergeworfenen und aller ihrer ehemaligen
beträchtlichen Kundschaft beraubten Druckerei
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;o
Börckel, Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann Friedrich Schiller.
durch gütige Empfehlung zu Arbeiten für die
allgemeine Administration, das Militär und die
Munizipalität, wiederum einigermaßen empor zu
helfen.“
In dem am 17. Dezember 1792 abgehaltenen
Termin erklärte der Universitäts-Syndikus Schle¬
busch: Kläger habe bei drei Instanzen Recht
erhalten, während Schiller durch „unwahre Vor¬
gaben“ die Vollstreckung des Urteils aufzuhalten
suche. Da die Universität aber Gefahr laufe,
wenn nicht das ganze Darlehen, so doch viel¬
leicht mehr als die Hälfte zu verlieren, empfehle
es sich, Schillers Gesuch abzulehnen. Und so
geschah es; der Appell Schillers an die „biederen
Franken“ blieb erfolglos und am 19. März 1794,
ein Jahr nach ihrem Abzug, gab der kurfürst¬
liche Universitäts-Syndikus im „Mainzer Intel¬
ligenzblatt“ bekannt, daß vom 28. April ab im
ehemaligen Altmünsterkloster der ganze Verlag
des bei der kurfürstlichen Universität angestellten
„Lehrers der englischen Sprache und Buch¬
druckers Schiller“ zur Versteigerung gelange.
Es würden dabei öffentlich an den Meist¬
bietenden veräußert: zwei neue Buchdrucker¬
pressen mit den dazu gehörigen Lettern usw.,
sowie der Verlag, bestehend aus 27 Nummern
von 16,252 Exemplaren auf Druckpapier und
5021 Exemplaren auf Schreibpapier, einzeln oder
zusammen.
Hiermit fiel der Rest von Schillers Druckerei
und Verlag in fremde Hände; der Ausgang
seines Unternehmens aber fordert unwillkürlich
zu einem naheliegenden Vergleich heraus, denn
ähnlich wie dem Buchdrucker Schiller erging
es, drei Jahrhunderte früher, in Mainz dem Er¬
finder der Buchdruckerkunst Auch Gutenberg
wurde von seinem Gläubiger die Druckerei
lahmgelegt, das verpfändete Material beschlag¬
nahmt und das dargeliehene Kapital mit ver¬
mehrten Zinsen auf einmal eingeklagt, und auch
bei ihm entschieden die Richter nach dem Buch¬
staben des Gesetzes, und er verlor den Prozeß. —
Von nun an verdiente Schiller seinen Lebensunter¬
halt ausschließlich als Sprachlehrer; als solcher
findet er sich bis zum Untergang von Kurmainz
in den Hof- und Staatskalendern von 1785 bis
1797 bei der Universität unter den Sprach- und
Exerzitienmeistem als „Lehrer der englischen
Sprache“ verzeichnet. Als dann Mainz wieder
seit 30. Dezember 1797 unter französische Herr¬
schaft gekommen war, annoncierte er (am
31. Januar 1798), daß „Bürger Schiller lehrte die
französische, deutsche und englische Sprache“
und ließ sich im „Guide de la ville de Mayence
an IX“ als „Maitre de langue“ eintragen.
Allerdings fiel es Schiller schwer, sich in
sein Schicksal zu finden. In einem (undatierten)
Schreiben an seinen früheren Bürgen, den
Mainzer Großhändler Heinrich Mappes, fuhrt er
noch einmal heftige Klage gegen die Universitäts¬
verwaltung, indem er sie rücksichtsloser Strenge,
sowie des Rechtsbruches beschuldigt Er habe
den Regierungsantritt des edlen Koadjutors von
Dalberg erwartet, bemerkt er dazu, dem er auf
Fürsprache eines Engländers durch den Herzog
von Weimar empfohlen worden sei, Dalberg
habe ihn hier persönlich kennen gelernt und sich
„herzlich und warm“ für ihn interessiert und von
der wahren Beschaffenheit seiner Leiden über¬
zeugt und ihn mit der Aussicht auf eine bessere
Zukunft getröstet „Allein bald darauf,“ fährt
er fort, „versanken seine und meine und vieler
Anderer Erwartungen in dem Revolutionsstrudel“.
Von dem Regierungsantritt Dalbergs aber hat
bekanntlich auch des Buchdrucker Schillers
Patenkind, der damals als Professor in Jena
weilende Dichter Schiller, eine Besserung seiner
Verhältnisse in Mainz erwartet, so daß der
Name Dalberg mit dem Namen Schiller fortan
noch inniger verbunden bleiben wird als
seither. —
Mit seinen Verwandten in Schwaben unter¬
hielt der „Vetter“ in Mainz bis zuletzt keinerlei
Verkehr, vielleicht, weil die Familie des Haupt¬
manns Schiller noch Forderungen an ihn hatte,
oder aus Beschämung über sein eigenes Schicksal
im Gegensatz zu dem Weltruhm seines Paten¬
kindes. Daß der Dichter aber doch manchmal
an ihn dachte, beweist ein Brief vom 29. No¬
vember 1790 aus Jena an Ferdinand Huber in
Mainz, worin er, nach dortigen Verhältnissen und
Personen sich erkundigend, fragt: „Und kennst
Du vielleicht meinen Herrn Vetter Schiller?“
Huber mußte ihn kennen, ebenso der damals
an der Mainzer Universität als Bibliothekar an-
gestellte Georg Förster , doch von keinem der
beiden scheint eine Äußerung über den Sprach¬
meister zu existieren. Vereinsamt und verkannt
sah der Träger eines unvergänglichen Namens
in Mainz seinem Ende entgegen; er starb,
77 Jahre alt, am Morgen des 19. Oktober 1814
im Hause Münsterplatz 10, und selbst der
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zur Linde, Thomas Edward Brown.
7 1
Sterbeeintrag vom gleichen Tage nennt nicht
einmal seine Herkunft
Nach seinem Ableben hatte die Witwe des
Dichters — sie hielt den Vetter schon fünf
Jahre früher einmal für tot — bei Christophine
sich wegen etwaiger Erbansprüche erkundigt;
letztere taxierte seinen Nachlaß auf „nur einige
hundert“ (er betrug fl. 418, 50) und hielt dies¬
bezügliche Schritte für aussichtslos, obgleich
ihre Eltern das einst dem Vetter geliehene
Geld niemals zurückbekommen hätten. Und
weiter erzählt Christophine am 30. Juli 1815
von dem Verstorbenen:
„Diese ganze Zeit nun (es kann ungefähr
28 Jahre sein, daß er wieder in Deutschland
war) hat er nicht das Geringste von sich hören
lassen, da er doch wußte, daß sein Pate in
Weimar lebte, und daß auch meine Eltern noch
lange lebten, die ihm so viele Freundschaft
erzeigt hatten. Wir erfuhren seinen Aufenthalt
in Mainz durch öffentliche Nachrichten.“
Die Bedeutung Johann Friedrich Schillers
liegt in seiner Wirksamkeit als Übersetzer; darin
hat er sich nach dem Zeugnis seines unsterb¬
lichen Patenkindes „nicht unrühmlich“ betätigt
Wenn seine sonstigen Unternehmungen fehl¬
schlugen, so läßt sich ihm daraus kein Vor¬
wurf herleiten. Merkwürdig paßt gerade auf
ihn, was er in seiner Übersetzung der „Morali¬
schen Versuche“ unter „Schicksal der Projekten¬
macher“ druckte:
„Die Menschen pflegen immer Unterneh¬
mungen nach ihrem Ausgange zu schätzen.
Einerlei Versuche, die auf die nämliche Art
betrieben werden, aber verschiedene Erfolge
haben, veranlassen verschiedene Urteile. Wer
seine Absichten erreicht, dem fehlt es nie an
Leuten, die seinen Verstand und seine Tugend
rühmen. Wem sie aber mißlingen, von dem
entdeckt man auch ebenso bald, daß es ihm
nicht nur an Verstand, sondern auch an morali¬
schen Eigenschaften gefehlt habe. Die Welt
findet immer bald tüchtige Ursachen, Unglück¬
liche zu hassen; ihre wirklichen Fehler werden
augenblicklich entdeckt; und sind diese schwer
genug, sie in Schande zu stecken, so legt
man noch einige Zentner Lästerungen darauf.“
Hat daher auch Johann Friedrich Schiller
nicht gehalten, was er versprochen, so war er
doch sicher kein „richtiger Schwindler“, wie
ihn z. B. noch Emil Palleske in seiner Schiller-
Biographie nennt, ohne nähere Kenntnis der
Lebens Verhältnisse des Getadelten, sondern es
gilt von ihm der Spruch desjenigen, dessen
Vorbild er werden sollte:
„Frei von Tadel zu sein ist der niedrigste
Grad und der höchste, denn nur die Ohnmacht
führt oder die Größe dazu.“
€
Thomas Edward Brown.
Von
Dr. Otto zur Linde in Charlottenburg.
n n Clifton bei Bristol waltete ein Lehrer
seines Amtes und paukte seinen Schülern
die Geheimnisse und Schätze des Fran¬
zösischen und Deutschen ein. Er hatte
während der langen Jahre seines Schuldienstes
einige Bände Poesien herausgegeben, war bei
seinen Freunden und Bekannten als angenehmer
und lustiger Gesellschafter beliebt und als tüchtiger
Arbeiter geachtet Ja, der intimeren Freunde
Achtung ging womöglich so weit, ihn im Ernste
für eine Art Dichter zu halten. So ungefähr,
was man in Deutschland einen Heimatspoeten
im spöttischen Sinne nennt, der swischen Emü
Rittershaus als obere und der Lokalblattvers-
jungfrau als untere Grenze rangiert Ein Freund
erzählte nun dem Herrn Oberlehrer von einem
Leitartikel über die minor poets und wunderte
sich ein wenig darüber, daß der wertgeschätzte
Herr Kollege darin gar nicht erwähnt sei Der
Herr Oberlehrer gab trocken zur Antwort: „Viel¬
leicht gehöre ich zu den großen Dichtem...“ Und
der diese Worte sprach, war Thomas Edward Brown .
Mitten in der irischen See, zwischen England,
Schottland und Irland, liegt eine Insel. Die Sage
berichtet, daß einst eine Seejungfrau aus Rache
flir verschmähte Liebe dieses Eiland mit dichtem
Nebel umbaut habe. Und zwischen England, Ir¬
land und Schottland fuhren die Handelsschiffe und
Kriegsfahrzeuge dahin und daher, und niemals
fanden sie eine Insel auf dem Wege. Einmal
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72
zur Linde, Thomas Edward Brown.
aber, während eines gewaltigen Sturmes, wurde
ein Fischerboot durch den Nebel hindurchgetrieben
und landete unbeschädigt auf der Insel. Da war
der Zauber gebrochen, und wie man eine Kulisse
bei Seite rückt, so rollte die Nebelwand davon, ge¬
schoben von den Geistern der Luft und des Wassers.
Auf dieser Insel wurde unser Dichter geboren.
Doch seine Gedichte sind dem größeren Teile des
englischen Volkes so unbekannt geblieben, wie es
den Engländern der Sage seine Heimatinsel war.
Die Insel Mann ist eine Welt für sich, und
war es noch mehr, bevor der Strom der modernen
Tripper und Seebadler dorthin gelenkt wurde. Es
müßte eine interessante Aufgabe sein, die Geschichte
dieser Insel zu schreiben. Man hat hier wirklich
eine Westentasfchenausgabe des Foliobandes der
Weltgeschichte. Die Insel ist heute noch ein Terri¬
torium für sich. Regierungsapparat: ein Gouver¬
neur als Vertreter der Krone, ein Ober- und
Unterhaus, eine Versammlung des ganzen Volkes
mit Petitionsrecht (Reste einer altnordischen Peri¬
ode der Insel, die Volksversammlung heißt Tyn-
wald), ein Bischof, ein Erzdekan, zwei Deemster
(Richter) d. h. Doom oder Urteilssprecher. Die
letztgenannten Richter müssen bei Antritt ihres
Amtes schwören: sie wollten die Gesetze der Insel
so unparteiisch zur Anwendung bringen und so
genau in der Mitte zwischen den Parteien stehen
„wie des Härings Rückgrat in der Mitte des Fisches
liege“. Die Sprache der Insel war Keltisch und
gehörte zum nordischen Zweige der keltischen
Sprachen, sie wurde auch nicht durch die nicht¬
keltischen Eroberer unterdrückt Noch heute wird
sie in den Bergen der Insel gesprochen, ist aber
am Aussterben. Im allgemeinen sprechen die
Insulaner Englisch, d. h. ein dialektisch gefärbtes
manxifiziertes Englisch. Ich habe schon hervor¬
gehoben, daß die Geschichte der Insel, mit ihrer
keltischen Sprache, ihren isländischen, norwegischen,
schottischen, irischen und englischen „Königen“,
mit ihrem Parlamente, ihrer Volksversammlung,
mit ihren Bürgerkriegen und ihrer örtlichen wie
nationalen Abgeschlossenheit eine Liliputwelt¬
geschichte ist. In solchem Sinne auch verwendete
einst Burke im Beisein Dr. Johnsons und James
Boswells folgende Verse Popes aus dessen poe¬
tischem Essay über das Menschengeschlecht zu
einem tiefsinnigen Kalauer: The proper study of
Mankind is Man.
Thomas Edward Brown ist im besten Sinne des
Worts — Heimatspoet Es wird mir schwer, das
viel mißbrauchte Wort auf ihn anzuwenden, aber
schließlich ist es doch das bezeichnendste. Brown
ist Poet der Insel Mann. Auf dieser Insel, der
Perle der irischen See, liegen fast alle Wurzeln
seiner Poesie. Als Poet seines Eüands ist Brown
zugleich das seine Mitgenossen hoch überragende
Saulshaupt einer „Manxschule“. Doch das ist
eine andere Geschichte, wie Rudyard Kipling sagen
würde, wie ja leider seine Hunniade another story
ist, und keine rühmliche.
Thomas Edward Brown .. . Ich bin altmodisch
genug, beim Milieu seiner Kindheit anzufangen
und sein Leben über Kindheit, Jugend, Liebe,
Mannheit, Tod zum Nekrolog hinüber zu durch¬
eilen. Als Führer dienen mir Thomas Edwards
Briefe und die Autobiographie seines Bruders
Hugh. Der Vater war anglikanischer Pfarrer in
Douglas, der Hauptstadt der Insel Mann. Die
Insel lag damals sehr abseits von allem Verkehr.
Doch lassen wir lieber Hugh sprechen. Was an
Personen- und Güterverkehr bewältigt werden
mußte, winde von Fischerbooten besorgt Da die
meisten Manxleute sich in damaligen Zeiten mit
großer Regelmäßigkeit betranken, so war die Navi¬
gation auf diesen Fischerbooten nicht in der besten
Ordnung. Einmal waren Kapitän und Mannschaft
so betrunken, daß die Passagiere, mit Pfarrer Brown
an der Spitze, das Fahrzeug selbst besorgen mußten.
Sie ließen es auf eine Sandbank laufen und mußten
dort warten, bis die Flut wieder kommen und das
Schiff flott machen würde. Mittlerweile waren aber
auch die Seeleute genügend nüchtern geworden,
um an ihre Arbeit zu gehen. Später besorgten
altersschwache Dampfer den eiligeren Güter- und
Personenverkehr. Auf diesen Schiffen ging es
lustig zu. Gewöhnlich verbrachten Kapitän, Mann¬
schaft und gleichgesinnte Passagiere die Nacht
der Überfahrt im schweren Gesäufe. Aber trotz¬
dem der Kapitän jedes solchen Dampfers gewaltig
trank, kamen die Schiffe doch niemals zu Schaden.
Als einst bei unruhiger See ein Mann-Dampfer in
Gefahr kam, auf eine Sandbank zu laufen, schrie
der Kapitän zu den Heizern hinunter: Stocht,
Kerle, stocht, oder ihr seid in fünf Minuten in
der Hölle! Ein andermal fuhr der Erzdekan von
Mann mit und frug den Kapitän ängstlich, ob
Gefahr vorhanden wäre. Der alte Saufbold nahm
sich dem hohen geistlichen Würdenträger gegen¬
über zusammen und bemühte sich, nicht allzu
ungefüge Worte herauszubringen: Hochwürden,
aller Wahrscheinlichkeit nach sind Sie morgen früh
im Himmel! Darauf der Erzdekan: Das verhüte
Gott! . . . Hier mögen recht passend einige Verse
T. E. Browns eingefügt werden:
. Der wackre Kapitän,
Voll Schwielen seine Hand,
Und halb besoffen ist er, doch trotzdem
Hält unbeirrt er stand
Und mächtig fluchend fuhrt er seine Bark zu Land.“
[Collected Poems: S. 4.]
Aber nicht allein die Kapitäne, die Kutscher der
See und Mannschaft und Passagiere liebten starke
Getränke: auch der Personenverkehr auf dem Lande
zeigte diese idyllische Begleiterscheinung. Post¬
kutschen gab es nicht Man fuhr auf Lastwagen
mit, fein langsam im Schritt, jede anderthalb Kilo¬
meter ein Wirtshaus, und Kutscher und Passagiere
kommen total bezecht am Endpunkte ihrer Reise
an. Außer den Eingeborenen wohnten damals in
Mann viele Halbsoldoffiziere, wegen des billigen
Lebens. Desgleichen bankerotte Schuldner. Bis
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zur Linde, Thomas Edward Brown.
73
1814 war Mann Freistatt für solche Leidende.
Aber seither ist das schöne Gesetz abgeschafft
worden. Hier ist ein nettes Geschichtchen. Ein
verschuldeter irischer Adliger hatte sich vor seinen
Gläubigem auf dieses Eldorado der Zahlungs¬
unfähigen geflüchtet Als er stirbt, wollen seine
Anverwandten ihn in der irischen Familiengruft
begraben. Aber dabei ist eine große Gefahr. Die
Gläubiger könnten nämlich bei der Landung an
der Küste Irlands den adligen Leichnam pfänden.
Um dem vorzubeugen, wird die Totenmesse schon
auf dem Schiffe gehalten, weil nach der Messe
jeder Leichnam, kirchlich und gesetzlich, endgültig
tot ist und der Pfändung nicht mehr unterliegt
Reizend, nicht wahr? Ein andrer Bestandteil der
Bevölkerung waren chronische Alkoholisten, die
von ihren Angehörigen nach der Insel geschickt
wurden, die dort gleichsam als meerumschlossene
Verbannte lebten, tranken — auf der Insel war
Alkohol im Gegensatz zu England, Irland, Schott¬
land abgabenfrei, also billig — und dort eines
„seligen“ Todes starben. T. E. Brown läßt z. B.
seinen „Doctor“, der aus Liebesgram Säufer wird,
nach der Insel Mann fahren; dort ist er der Lon¬
doner Gesellschaft aus den Augen. Die Billigkeit
des Alkohols auf der Insel war auch die Ver¬
anlassung zum Schmuggelhandel, wegen dessen
die Manxmänner lange berühmt waren.
Auf dieser interessanten Insel wurde Thomas
Edward im Jahre 1830 geboren. 1832 kam sein
Vater von Douglas als Pfarrer nach Kirk Braddan.
Dieses Kirchdorf ist Thomas Edwards eigentliche
Heimat zu nennen. Hier wächst er auf in länd¬
licher Einfachheit, unter den Bäumen, welche die
Kirche umgeben, zwischen den Blumen des Pfarr¬
gartens, auf den Bergen und an der See. Er muß
als Kind kränklich gewesen sein. So schreibt er
als älterer Mann folgende Verse fern von seiner
Heimatsinsel:
„Lebt wohl auf jenem fernen Eiland
Wie ich ein andres Kind zur Stund?
Ich war ein kränklich Kind, doch wurd’ ich weiland
Bei Meer und Fels gesund.“
T. E. Browns Poesie ist so vollgestopft von Insel
Mann und wieder Insel Mann, daß jeder, der den
größtmöglichen Genuß daran haben will, seine
Gedichte auf der Insel selbst, während eines Bade¬
aufenthalts etwa, lesen müßte. Ja, Tag und Ver¬
anlassung, Ereignis und Umgebung zu jedem
einzelnen Gedichte, müßte man auf solche Weise
klar stellen können.
Im Brownschen Pfarrhause in Kirk Braddan
wehte ein literarischer Geist Die Mutter war eine
eifrige Leserin. Der Vater war sogar zeitweilig
unter die Dichter gegangen, und eines seiner ge¬
druckten Gedichte hatte ihm einen lobenden Brief
Wordsworths eingebracht Des Vaters Augen waren
schwach, deshalb gebrauchte er seine Söhne als
Vorleser. Hugh sowie Thomas Edward legen
starken Nachdruck auf dies Vorlesen, das ihnen
praktisch viel genützt und ihrem Leben die inte-
Z. f. B. 1904/1905.
lektuelle Richtung gegeben habe. Thomas Edward
berichtet u. a., wie genau der Vater sich selbst
und seinen Söhnen gegenüber auf guten Stil hielt
To my father style was like the instinct of per¬
sonal cleanliness. Dieses Stilgefühl hat sich auf
unsem Dichter vererbt Es ist eine wahre Er¬
holung Für ein stüdurstiges Herz, Th. E. Browns
hinterlassene Briefe (zwei Bände) zu lesen. Klar
wie das Meer bei ruhigem Wetter ist seine Diktion,
nur manchmal leicht geschaukelt und gewiegt von
den lustigen Wellen des Humors. Von seines
Vaters Stil weiß ich nichts, aber gerade dessen
Stilmanie zeigt daß ein Samenkorn des Genies
in ihm gelegen hat, welches in seinem Sohne sich
zum Baume auswuchs. Carlyle definiert das Genie
als die capacity of taking infinite pains, und wahr¬
lich viel Wahres enthält dieses Wort Jeder, der
ernst nach dem Abgeschlossenen, Ausgebauten
strebt feilt und ändert und bessert an seinem Stil,
erweitert sein Wissen, kräftigt und verfeinert sein
Können und ringt unaufhaltsam, immer, standhaft.
Ja selbst der Erzpedant, der Mann mit den fixen
Ideen, hat etwas mit dem Genius gemein: Alles
unter dnen Gesichtspunkt zu bringen und von
hier aus zu ordnen. Aber das Genie schaut von
seiner Bergeshöhe hinauf und hinunter, weit hinaus
in die weite Welt mit scharfem Adlerauge; der
andre, systembebrillt, wühlt und ordnet nur im
engen Kabinett der geistigen Rumpelkammer.
In Kirk Braddan nun wuchs Th. Edward heran.
Zu seines Vaters Gemeinde gehörten viele keltisch
sprechende Leute, und dieser mußte die Sprache
erst lernen. Th. Edwards scheint diese Sprache
nicht gelernt zu haben, wenigstens vermochte er
sie nicht zu sprechen. In Kirk Braddan wurde
der Gottesdienst abwechselnd auf Englisch und
auf Manx gehalten. Niedliche Einzelheiten kramt
Hugh, Th. Edwards Bruder, in seiner Autobio¬
graphie über die Kirk Braddaner Zeit aus. Nach
den Kindtaufen pflegten die Frauen das Wasser
im Taufbecken zu trinken. (Prosit!) Jeden Sonn¬
tag Nachmittag war Beerdigung. Die Einwohner
von Kirk Braddan, Douglas und der ganzen Um¬
gegend begruben ihre Toten auf dem Kirch-
braddener Kirchhofe. Die Leidtragenden kamen
gewöhnlich zur Zeit des Gottesdienstes an. Die
Särge wurden solange in der Kirche abgesetzt
und blieben dort stehen bis zum Schlüsse des
Gottesdienstes, ungefähr anderthalb Stunden. Oft
waren fünf bis sechs Särge zu gleicher Zeit in der
Kirche, und bei heißem Wetter roch das, und die
Pfarrerskinder saßen nur drei Fuß entfernt von
den Särgen. Viele von den Leidtragenden waren
betrunken, und einige verloren das Gleichgewicht
und fielen über die Särge und schluchzten und
heulten. Beim Heiligabendgottesdienste pflegten
die Leute aus den Bergen Weihnachtslieder in
der Manxsprache zu singen. Einmal besangen die
Bauern die Mutter Gottes in aller Einfalt so un¬
anständig, daß Pfarrer Brown die frommen Sänger
ausschalt und schnell den Gottesdienst beendigte.
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zur Linde, Thomas Edward Brown.
Die Pfarrerskinder hatten in Kirk Braddan eine
gute Zeit Das Landleben gefiel ihnen außer¬
ordentlich. Unter andern schönen Dingen war
da das Einsammeln des Deputatkorns. So feier¬
lich allerdings wie in Immermanns Oberhof hat
sich dies wichtige Geschäft in Kirk Braddan wohl
kaum abgespielt Der Knecht des Pfarrers und
die Knaben zogen einfach mit einem Karren auf
den verschiedenen Gehöften herum. Manchmal
erlebten sie sonderbare Abenteuer. So kamen sie
auch zu einer rabiaten alten Bauernfrau. Die
schimpft und flucht über das Pastorspack, das den
armen Leuten das Korn wegfrifit, und redet sich
in eine solche Wut hinein, daß sie schließlich mit
der Mistgabel auf die Deputatsammler losgeht,
und Knecht und Jungens ausreißen müssen.
Bis zu seiner Gymnasialzeit blieb Thomas
Edward im Eltemhause. Seine Schulung dort war
keine schlechte. Der Dorfschulmeister sorgt für
die Rudimente. Als Vorleser seines Vaters lernt
der künftige Dichter die Klassiker der englischen
Literatur kennen, und Insel und Meer bilden sein
Naturgeflihl aus. Wenn Thomas Edward auch
gerade kein Manxblut in sich hat, so ist in seinem
Stammbaum doch das Keltentum von Irland ver¬
treten. Aber wie es auch damit sei, er ist durch
und durch ein Kind der Insel Mann. Nicht so
sehr die Nationalität, sondern der zufällige Ort,
wo man die Kinderjahre zubrachte und die leb¬
haftesten sowie dauerndsten Eindrücke erhielt, ist
doch am wichtigsten für Sympathien und Anti¬
pathien. Das Kind ist der Vater des Mannes.
In seinen Briefen und auch in seiner Poesie sehen
wir wie Brown immer für die Kelten gegen die
Engländer Partei nimmt, nicht scharf, nicht übel-
gesinnt, aber doch — bei seinen Kelten ist ihm
am wohlsten. Er erkennt gern und oft und ein¬
dringlich die englischen Vorzüge an, aber — Sym¬
pathie und Verstand sind zweierlei.
Des Vaters letzte Lebensjahre waren einiger¬
maßen durch Kränklichkeit getrübt Nach dem
fast gleichzeitigen Tod zweier Söhne verschlimmert
sich sein Zustand, sodaß sein Sohn Hugh von
Bristol herüber kommt Der Vater erholt sich
aber wieder recht gut und Hugh fährt wieder ab.
Der alte Knecht John, ein Famüienfaktotum, der
Old John von Browns gleichnamigem Gedichte,
fährt ihn nach Douglas. Kurz nach dem Weg¬
gang e seines Sohnes machte sich der Vater Sorgen
über das stürmische Wetter. Er ging seinem
Sohne nach, um ihn in Douglas zu erreichen und
zu bereden, diese Nacht nicht überzufahren. Als
der Knecht heimkehrte und beinahe das Pfarrhaus
erreicht hatte, scheut plötzlich das Pferd und wül
nicht weiter. John steigt ab und findet seines
Herren Leiche im Schnee. Alle Wiederbelebungs¬
versuche im Pfarrhause waren vergeblich: er war
einem Schlaganfalle erlegen.
Vom sechzehnten Lebensjahre bis zum neun¬
zehnten besucht Thomas Edward das Gymnasium
und geht dann nach Oxford auf die Universität.
Weü er arm war, ging er als servitor dorthin. Eine
solche Stellung muß manches Demütigende für
den betreffenden Studenten haben. Wenigstens
schrieb er in Macmillans Magazine in den fünfziger
Jahren einen scharfen Artikel über dies Thema.
Im übrigen scheint unser Studiosus, vielleicht schon
aus pekuniären Rücksichten, ein Examensunter¬
geher und -besteher gewesen zu sein. So was ist
ja englische Mode, die Examenswut grassiert, Klipp¬
schüler in Klappbuxe bestehen Examina. Ich
möchte aber trotzdem den Satz nicht preisgeben,
daß der Intellekt eines Menschen sich umgekehrt
proportional entwickelt mit den bestandenen Exa¬
mina und muß natürlich, wenn man mir so manchen
vielexamigen Engländer als Gegenbeweis präsen¬
tiert, sagen: das sind eben die Ausnahmen, die
sind etwas geworden trotz der Examina.
Ich werde unsers Dichters Lebens- und Ent¬
wicklungsgang mit kurzen Auszügen aus seinen
Briefen begleiten. Am 4. Februar 1854 schreibt
er einen herrlichen Trostbrief an seine Mutter.
Gedankengang: Mutter, du bist traurig, auch ich
bin es. Ich habe die Sorge, die kommt und geht
wie Schatten über die Kornfelder. Doch über
dir liegt der bleierne Himmel nach der Ernte,
die Monotonie der Melancholie. Du schaust traurig
rückwärts ins Leben, weil du so vieles verloren
hast, traurig vorwärts, weil du vom Leben nichts
mehr hoffst. Traurig rückwärts schaue auch ich,
doch fröhlich vorwärts ins Leben. Aber in einem
sind wir völlig einander gleich: hoffend schauen
wir beide vorwärts aufs künftige Leben, das jen¬
seits dieser Erde liegt.
Im Jahre 1854 wird er Fellow vom Oriel
College. Aber er bleibt es nicht lange, da ver¬
liebt er sich in seine Manx Cousine; und weil er
als Fellow nicht heiraten darf, so gibt er als
tapferer, ehrlicher Mann Ehrenstellung und hohes
Gehalt auf und wird Konrektor am Gymnasium
in Douglas, King Williams College. 1857 heiratet
er seine Cousine. Später wird er Direktor an der
Kryptaschule in Gloucester und geht von da als
Lehrer für moderne Sprachen an das berühmte
Clifton College bei Bristol Für lange Jahre war
er hier tätig, ohne besondere Neigung zum Lehr¬
beruf, aber als ganzer Mann treu seine Pflicht
tuend
Im April und Mai 1873 erschien in Macmillans
Magazine das längere Gedicht Betsy Lee und
errang a notable tribute from George Eliot Das
Werk kam noch im selben Jahre als Buch heraus.
Ich halte Betsy Lee flir eine seiner besten
Leistungen.
Wenn man in englischen Revuen liest, Thomas
Edward Brown habe im Manxdialekt gedichtet,
so ist das durchaus irreleitend. Browns Werke
sind nicht Keltisch geschrieben. Es ist also besser,
wenn man sagt, er dichtet im Manx-Englisch.
Sein Englisch ist nur leicht dialektisch angefärbt
So ist es z. B. viel schwerer, sich in Bums ein¬
zulesen als in Brown. Der Inhalt von Betsy Lee
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zur Linde, Thomas Edward Brown.
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ist schwer wiederzugeben. Die Historie ist darin
nicht die Hauptsache. Genre und Sentiment sind
der Reiz dieser Manx-Tragödie. Ich muß aber
doch versuchen, den Lesern einen geschwinden
Blick in dies Meisterwerk Browns tun zu lassen.
Die Situation ist so zu denken: die dienstfreien
Matrosen sitzen auf dem Vorderteile des Segel¬
schiffes, rauchen ihren Stummel, trinken Grog und
haben ein gemütliches Plauderstündchen. Solche
Einkleidung liebt Brown. Daraus erklärt sich auch
der Gesamttitel, unter welchem er später eine An¬
zahl seiner kostbarsten Juwelen zum Ringe ver¬
einigte: Fo’c’s’le Yams Geschichten vom Vorder¬
kastell. Doch hier haben wir es mit Betsy Lee
zu tun. Tom Baines, eine alte Teerjacke, ist auf¬
gefordert worden, seine Lebensgeschichte, oder
besser vielleicht seine Liebesgeschichte, zu er¬
zählen. Diese Exposition gibt uns der Dichter
mit meisterhafter Kürze.
I said I would? Well, I hardly know,
But a yam’s a yam; so here we go.
Und dann schießt Tom los. Itfs along of me
and a Lawyeris Clerk. Ja, ein Rechtsanwalts¬
schreiber, ein geschniegelter Stutzer mit Kette und
Ring und einer Fliege am Kinn, und seine Zunge
ist in Öl getaucht Toms disgust kommt bei der
weiteren Schilderung dieses abgezirkelten Stutzer¬
leins zur Klimax:
’s gibt mancherlei Teufel zu Wasser und Land
Und ein Teufel wird überall Teufel genannt.
Doch ein Lawyer’s Clerk, das ist die richtige
Mustersorte, der ist der Teufel der Teufel. All
right Der alte Seebär hat seinem Ingrimm Luft
gemacht und kommt zu seiner Liebesgeschichte.
Betsy Lee und er sind Manxkinder, Fischerkinder,
Nachbarskinder. Tom war natürlich ein rechter
wilder Bengel und hatte eine herrliche Zeit; Spielen,
Schwimmen, Fischen, und das schönste dabei ist,
daß der Tag so wunderschrecklich lang ist Toms
Liebe zu Betsy beginnt passend und ritterlich da¬
mit, daß er einen Betsy prügelnden Jungen jämmer¬
lich verhaut. Bravo, Tom!
Die Jahre rollen weiter. Betsy und Tom werden
Freiersleute. Beider Eltern haben nichts dagegen.
Eines Tages nun kommt Tom von seinem Boote
her ins Dorf, und da hört er, daß der alte Lee
eine Erbschaft gemacht hat Doch scheinbar
ändert das nichts Wesentliches am Verhältnis der
beiden Liebenden. Wohl macht Mr. Taylor, der
Lawyeris Clerk, unsrer Betsy, der nunmehrigen
Erbin, den Hof| die aber hält zu ihrem Tom.
Der alte Lee kauft eine Farm und wird Land¬
mann. Und alle die schönen Kühe, die er hat!
Weshalb mag Tom eigentlich Kühe so gern, da
er damals doch Fischer war und jetzt Seemann
ist? Er weiß es auch selber nicht, er hat sie
eben gern:
Hab niemals gedacht ans Warum und Wie,
Doch schrecklich gern hatt’ ich immer die Kuh’.
Sind sie nicht unschuld’ge Geschöpfe?
Und haben so alte unschuldige Köpfe.
Und wie sie so faul und langsam gehn!
Und scheinen zu beten, wenn sie stehn.
So standfest und ernsthaft, so gut und gescheit,
Die Schmelzbutteraugen geöffnet so weit.
Die Kameraden wollen mehr über Kühe und
Melken hören. Schön! Des Abends hilft Tom
immer seiner Betsy beim Melken. Sein Schatz
singt, und das Switsch Swatsch der in den Eimer
fallenden Milch gibt eine schöne Begleitung dazu.
Die beiden poussieren in Herzensreinheit und Fröh¬
lichkeit, und die Kuh steht geduldig und dreht
den Kopf auf die Seite, als wolle sie sagen: melk
nur zu, das tut mir gut Wenn Tom die Betsy
küßt, schaut Male, die Kuh ohne Hörner, die
beiden an wie eine gute alte Mutter, die Bescheid
weiß. Einmal aber kommt der Herr Schreiber
hinzu und unterhält sich „gebildet“ mit Betsy.
Das paßt Tom gar nicht, ihm wird dabei imbe¬
haglich und plötzlich, unter dem Melken, dreht
er eine Zitze des Euters herum und — zscht!
spritzt dem Stadtherm ein Milchstrahl ins Gesicht
und über Shlips und Chemisette. Wütend trollt
sich der Nebenbuhler und verklatscht unsem Tom
bei Betsys Vater. Dafür kriegt Taylor aber hinter¬
her mächtige Prügel von Tom.
Der Schreiber nimmt zehnfache Rache. Und
hier ist vielleicht eine schwache Stelle im Aufbau
des Gedichtes. Der Schreiber überredet ein Mäd¬
chen aus dem Dorfe, ihr uneheliches Kind Tom
zuzuschieben. Tom, der unschuldig ist, dem aber
Vater Lee nicht glaubt, weil Betsy den Schreiber
heiraten soll, entschließt sich in seiner Not, den
Pfarrer um Rat zu fragen. Der Pfarrer glaubt
ihm und sucht den alten Lee zur Vernunft zu
bringen, aber vergebens. Er redet auch dem
lügenden Mädchen ins Gewissen, die ist aber ver¬
stockt und besteht darauf, daß Tom der Vater
ihres Kindes sei. Dieser heiklen Lage weiß sich
Tom nicht anders als durch die Flucht zu ent¬
ziehen. Er geht zur See.
Nach einigen Jahren kommt er wieder zur
Insel zurück und tritt unvermutet zu seiner Mutter
ins Zimmer. Die hält ihn für eine Geistererschei¬
nung, bis er sie in seine Arme nimmt und küßt
und überzeugt, daß er der wirkliche leibhaftige
Tom Baines ist Von seiner Mutter hört er nun,
daß man ihn für tot gehalten hat Der Schreiber
hat das falsche Gerücht in Umlauf gesetzt Betsy,
wie alle andern, hat es geglaubt, ist ihm aber
treu geblieben trotz des Drängens, nun doch den
Schreiber zu heiraten. Später wurde sie krank
und siechte langsam dahin:
And when the winter time came round
And the snow lying deep npon the ground,
One momin’ early the mother got up
To see how was she, and giye her a snp
Of tea or the like—and—mates—hould on!
Betsy was gone! aye, Betsy was gone.
Genüe Jesus meek and mild!
Look npon a little chüd!
Pity my simplicity!
Suffer me to come to thee!
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76
zur Linde, Thomas Edward Brown.
Wie der alte Seemann seinen wieder übermächtig
aufsteigenden Erinnerungsschmerz durch Betsys
Gebet aus der gemeinsamen Kinderzeit nieder¬
kämpft, ist erschütternd zum Weinen.
Als Tom bei seiner Mutter von Betsys Tode
und Taylors schändlichem Betrüge hört, kommt
ihm Feuer und Blut in die Augen, wie einem
Stier, den des Metzgers Hammer zwischen den
Hörnern traf. Er will auf und davon und dem
Schreiber ans Leben. Doch die Mutter hält ihn
zurück und ringt ihm das Versprechen ab, erst
mit ihr zum Pfarrer zu gehen. Um den Mord
zu verhüten, bereden Pfarrer und Mutter schließ-
lich den armen Tom, sogleich wieder in See zu
stechen, und noch in derselben Nacht geht er nach
Douglas und schifft sich ein.
Wenn Brown Novellist wäre, so hätte er hier
aufgehört Aber der lyrisch-idyllische Genredichter
trägt den Sieg davon, und es ist gut so.
Ich muß aber Rücksicht auf die Länge meines
Aufsatzes nehmen. Ich fahre deshalb fort, einen
kurzen chronikartigen Abriß von Th. E. Browns
Leben zu geben, und lasse mich von seinen Briefen
leiten. Ins Jahr 1873 fällt eine Vergnügungsreise
nach Schottland. 1874 Schweiz und oberitalieni¬
sche Seen. Im Jahre 1876 entsteht die Fo’cVle
Yam Dichtung „The Doctor“. 1880 stirbt ihm
ein Sohn, und in Trauer und Skeptizismus schreibt
er die Worte: Ich habe keine Gewißheit, ob ich
je mein Kind Wiedersehen werde, darum will ich
mit noch mehr Liebe denn vorher an den mir
gelassenen Lieben hängen. 1881 schreibt er ge¬
legentlich des Todes Carlyle’s „True Thomas is
gone“. 1881 vereinigt er Betsy Lee mit Gedichten
ähnlicher Art unter dem gemeinsamen Titel Fo'cVle
Yams. 1885 Insel Wight 1886 Tour in Wales.
Er arbeitet an seiner Manx Witch. 1887 ver¬
öffentlicht er The Doctor and other poems. Das
ist ein Beweis, wie wenig Veranlassung und Er¬
mutigung ihm das englische Publikum zur Ver¬
öffentlichung seiner Sachen gab. The Doctor ist
doch mindestens schon elf Jahre alt. 1888 stirbt
seine Frau. Einige Jahre vorher war sein Bruder
Hugh am Schlage gestorben. 1889 The Manx
Witch and other poems. 1892 klagt er über
körperliche Schwächen des Alters. Im selben
Jahre gibt er auch seine Lehrerstelle auf und lebt
von nun an auf der Insel Mann. 1893 Old John
and other poems. 1896 stirbt ihm ein lieber
Freund: Let us keep a little closer together, a
little closer together. Brief vom 24. Februar:
über Max Müller, seine Bekanntschaft mit ihm.
An andrer Stelle spricht Brown von einem Lobe,
das Max Müller seinem Gedichte The Doctor
gespendet habe. Im Jahre 1897 stirbt wieder
ein Freund Browns. Im Mai hat er einen ganz
leichten Schlaganfall, den er wohl nicht als solchen
angesehen hat Am sechsten Juni besucht er
seines Vaters Grab in Kirk Braddan, sein wahn¬
sinniges Dienstmädchen im Irrenhause und zwei
alte, alte Jugendfreunde. 18. Juni: neuralgische
Schmerzen. 19. September: Altersgrübeleien, Todes¬
gedanken. 23. September: The summer dies rather
like myselfi hard, invitus. 28. September: Ich
bin ein leckes Schiff 30. September schreibt er
statt des gewohnten Briefes eine Postkarte, was
diesem Freunde als außerordentlich seltsam auf¬
fiel. Im Oktober kommt Brown nach Clifton und
nimmt am Begräbnisse eines Freundes teiL Ein
anderer stirbt Am 28. Oktober wird er nach
einem Essen gebeten, eins seiner Gedichte vor¬
zulesen. Er bleibt aber mitten in der Rezitation
stecken und zieht sich mit der Entschuldigung
zurück, er sei zu müde. Am 29. Oktober hält
er im Hause des Bekannten, bei welchem er zu
Besuch weüte, eine Ansprache an dessen Schüler.
Er spricht einige Worte, plötzlich wird seine Stimme
dick und er taumelt. Zwei Stunden später war
er tot. Ein Schlaganfall hatte seinem Leben, gleich
dem seines Vaters und seines Bruders, ein schnelles,
unerwartetes Ende bereitet. Schnell und uner¬
wartet wohl — doch wie ist noch das Märchen
von den Vorboten des Todes?
Ein Freund des verstorbenen Dichters gab im
Jahre 1900 dessen Briefe heraus in zwei Bänden.
In der Einleitung zitiert der Herausgeber Browns
Worte über seinen Briefstil: I like to please my
friends. In diesen wenigen Worten haben wir
das Geheimnis der Anziehungskraft, welche die
Briefe auf uns ausüben. Er schrieb bewusst inter¬
essant; nicht aus Eitelkeit, sondern aus freigebiger,
verschwenderischer Freundschaft. Dazu eine Be¬
merkung. Dieser Aufsatz liegt seinem Entstehen
nach einige Zeit zurück. Inzwischen sind weitere
Briefe veröffentlicht worden und hat sich auch
sonst die Brownliteratur bereichert Ich hoffe, wie
und wo, noch öfter zu Wort zu kommen und
möchte gern eine Biographie des Dichters schreiben.
Thomas Edward Browns gesammelte Poesien
erschienen ebenfalls 1900 bei Macmillan. Der Band
ist ohne jeden kritischen Apparat, aber handlich,
billig und reichhaltig. Mir sei es hier erlaubt, in
Übersetzung noch einige solcher Brownschen Ge¬
dichte zu bringen, die nicht im Manx-Englisch
geschrieben sind.
Collected Poems, Seite 79. The lily-pooL
Was hält denn Male, unsre Kuh, im Teich
Solch staunlich große Wunderschau?
Was sieht denn Male wohl im Lilienteich
Mit großen Augen, veilchenblau —
Die Male in dem Lilienteich?
Sie sieht sich selbst im Lilienteich
u. s. w.
ibid. 98. Fabel.
In alten, alten Zeiten
Konnten die Glockenblumen läuten.
Und konnten laut und wacker singen, hört’ ich sagen.
Titania aber, die Fee
Klagte, ihr täte der Kopf so weh;
Das könne so nicht weiter gehen,
Sie müsse wirklich darauf bestehen...
Und kurz und gut, sie ließ nicht ab,
Bis ihr Gemahl das Wort ihr gab:
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zur Linde, Thomas Edward Brown.
77
Es sollten die lieben Glockenblumen,
Die kleinen, lustigen Glockenblumen
Mäuschenstille sein in künft’gen Tagen.
u. s. w.
ibid. 687. Die Gebete.
Im Himmel war ich jüngst, und auf den Treppen
Sah ich die Engel die Gebete schleppen
Und auf einander legen,
Daß seines Amtes könne pflegen
Der Ordner, um gebührlich sie zu sichten
Und den Audienzsaal festlich einzurichten.
Wie Blumen sahen die Gebete aus,
Es zog ihr frommer Duft durchs ganze Haus.
Doch eins der heil’ge Ordner nahm beiseit
Vom Wirrwar tausendfalt’ger Lieblichkeit
Und legt’s für sich allein,
Ein Heckenröschen schiens zu sein.
Dann ging er mit ihm fort, ich hört’ ihn sagen:
„Das will ich doch sogleich zum Meister tragen.“
„Woher, o Höchster Du der Cherubim,
Ist dieses Röschen?“ sprach ich da zu ihm.
„Das weißt Du nicht?“ spricht lächelnd er und geht:
„’s ist eines Kindes erstes Bittgebet.“
ibid. 727. Triton Esuriens.
Wie kalt ist heut das Meer, wie gellt sein Schrei
So hungrig heischend wider’s Fruchtgelände!
Das Land gibt karge Spende,
Nur Sand und Unkraut, Kiesel nur der Bai.
Und ohne Ende
Hör ich die Litanei:
„Gib mehr! der Hunger frißt mein Herz entzwei.
„Von sonn’gen Blumen gib mir, goldnen Garben,
Gib taubeperlte saft’ge Wiesen mir.
Kaum ein Verlust ist’s Dir,
Doch mir ein großer Trost im ew’gen Darben.
Mein Leidrevier
DurchwaU’n die freudenarmen
Und allzuwen’gen leeren Schattenfarben.
Vorletzte Strophe:
„Mein Herz ist hungrig, laß Dich doch erweichen!
Dein Schlecht’stes gib mit ärgerlichem Fluch,
Es ist mir gut genug.
Vom sumpfgen Moor gib mir, dem binsenreichen,
Vom Haidebruch,
Wo schwarze Wässer schleichen,
Landkartenabfall, Ödland und dergleichen.“
Brown als Mensch und Dichter ist Humorist
Ihm ist der meilentiefe, ruhevolle Humor gegeben,
der fiir Momente aufgewühlt wird durch den Vul¬
kan der Emotion, dessen Oberfläche gekräuselt
wird durch den Hauch der Caprice. Auf dem
Grunde liegen: Skeptizismus (mit Gemütshin¬
neigung zum Glauben) Melancholie, Quietismus,
Fatalismus.
Brown ruht in sich selbst, hat an sich selbst
genug und hält tiefgehende Eingriffe von außen
ängstlich von seiner Kirnst ab. Er ist intim mit
der Natur, und pflegt diese Intimität sorgfältig,
mit Stifterscher Hingebung, aber ohne Stiftersche
Pedanterie. Das ist der tiefe ruhedurchsättigte
Brown. Da gibt es aber noch einen andern Brown,
eben Skeptiker, Melancholiker, dem es manchmal
vor sich selbst bangt, der das seelische Gleich¬
gewicht zu verlieren furchtet and to a sceptical
nature like me balance is every thbg. Dann kommt
das Bedürfnis, aus sich herauszugehen, wenigstens
sich selbst im Verkehr mit Freunden zu vergessen.
Da er eb gutmütiger Humorist (Tautologie) ist,
so ist er natürlich auch beliebt als Gesellschafter,
und vielleicht geliebt als Freund. Doch finden
wir b ihm stets die Mischung von Einsamkeits¬
und Geselligkeitsbedürfhis. Er hatte zwei Gesichter:
das des lustigen Freundes und das des einsamen
Grüblers. Im Verkehr mit den Freunden läßt er
seinem Humor freien Lauf. Er liebte es, sie zu
karikieren, ohne die Absicht zu haben, sie zu
verletzen. Zugleich hatte er ein unschuldiges
sezierfröhliches Interesse an solchem Freunde, den
er wirklich treu liebte. Das war Ursache für
manche Unannehmlichkeit Mit solcher, wenn auch
harmlos gemeinter Neigung erscheint ein Mensch
leicht falsch, kalt, hochmütig. Solch Herzens¬
und Künstlerinteresse eines Freundes am Freunde
läßt eben allzuleicht vergessen, daß man dem
Freunde durch gar zu tiefes Zerlegen Dritten gegen¬
über schadet. Und dann wird dieses Interesse,
dieses suchende, anteilsvolle Herumwühlen b
Licht und Schatten des Freundes, was alles doch
gerade der beste Beweis der Freundschaft sein
sollte, als Verläumdung, Lüge, Heimtücke aus¬
gelegt. Und das am ersten, wenn man sebe
Beobachtungen ebem mitgeteüt hat, den man
selbst gern hatte und vor dem man sich kernen
Zwang auflegte. Geht die Freundschaft mit diesem
Dritten in die Brüche, so läuft der zum zweiten
und erzählt ihm, mbdestens mit «»bewußter Über¬
treibung und Verdrehung, alles von A bis Z, und
zu Ende geht auch diese Freundschaft.
Soweit über Browns Charakter und Dichter¬
bild. Als Humorist tritt seine eigene Persönlich¬
keit natürlich immer hervor. Deshalb ist seine
ganze Poesie so subjektiv, stets so erlebt und
wahr. Seb eigenes Leben ist so einfach und
durchsichtig, er nimmt so ungeniert Personen,
Landschaften, Ereignisse seiner Umgebung mit in
sebe Dichterwelt hbüber, daß bebahe jeder Vers
irgend eine Tatsache sebes Lebens, Denkens,
Beobachtens und Fühlens illustriert Es ist leicht,
Kommentare zu seinen Dichtungen zu schreiben,
die voluminöser sind als das kommentierte Original
Und es ist ebe Lust, T. E. Brown zu kommen¬
tieren. Aber gerade deshalb muß man doppelt
vorsichtig, doppelt zurückhaltend sein, daß einen
die Kommentierungslust nicht allzu weit mit fort¬
reißt, und man zwischen den Wurzeln der Eiche
den Boden aufwühlt und des Stammes und der
Krone nicht achtet Da kann es denn passieren,
daß man die Wurzeb zu weit bloßlegt und der
Baum den Halt verliert und umfällt.
Und nun genug! Es wäre sehr wünschenswert,
daß wir bald eine Monographie T. E. Browns, des
neuesten, echten, englischen Klassikers, erhielten,
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78
Perschmann, Aus der Zeit des Bücher-Nachdruckes in Deutschland.
des Dichters der Insel Mann. Am besten höbe rötend die Augen niederschlägt, kann nur Pionier-
man sein Relief hervor, wenn man die Manx- arbeit tun. Und es ist Pionierarbeit aus dem
schule als Hintergrund wählte. Ein Zeitungsauf- Groben: Baumstümpfe, gefällte Stämme und strup-
satz, der vor den horazischen neun Jahren er- piges Strauchwerk.
Aus der Zeit des Bücher-Nachdrucks in Deutschland.
Von
S. Perschmann
M*f HB n ^ en x ^34 1835 ist im
m WEi Verlage von F. Metz in Darmstadt eine
■H w Geschichte des Buchhandels und der Buch-
1 BBJB druckerkunst von Friederich Metz “ er¬
schienen, in deren drittem Teüe, der Geschichte
des Buchhandels , der elfte Abschnitt von beson¬
derem Interesse ist Und zwar deshalb, weü er
— Bücher-Nachdruck betitelt — mit einer Leiden¬
schaftlichkeit geschrieben ist, die den übrigen,
streng historisch gehaltenen Teilen fehlt Die
Schreibweise hinterläßt den Eindruck, als habe
der Verfasser sich einen Verdruß oder innerliche
Empörung vom Halse schreiben wollen, die ihn
bei der schriftstellerischen Behandlung seines
Themas ergriffen habe. Vielleicht hat er selbst
üble Erfahrungen mit der „Räuberbande von Nach-
druckem“ gemacht; jedenfalls beweist der Ab¬
schnitt, daß der deutsche Buchhandel noch bis in
die dreißiger Jahre unter der hie und da gestat¬
teten Freiheit des Nachdruckes, die in der mangeln¬
den Einigkeit Deutschlands begründet war, schwer
zu leiden hatte.
Folgendes geharnischte Lutherwort setzt der
Verfasser dem Abschnitt voran:
„Was soll das seyn, meine lieben Drucker¬
herren, daß einer dem andern so öffentlich raubet
und stiehlet das Seine, und untereinander euch
verderbet? Seyd ihr nun auch Straßenräuber und
Diebe worden? oder meynet ihr, daß Gott euch
segnen und ernähren wird, durch solche böse
Tücke und Stücke?-Es ist ja ein ungleich
Ding, daß wir Arbeiten und Kost sollen darauf
wenden, und andere sollen den Genieß und wir
den Schaden haben. — Derohalben seyd gewarnt,
meine lieben Drucker, die ihr so stehlet und
raubet! —“
und fügt dem hinzu: „So kräftig sprach Martin
Luther schon vor mehr als drei Jahrhunderten
über den Nachdruck, diesen bis heute am Herzen
des Buchhandels saugenden Vampyr.“
Uns, denen im vergangenen Jahrhundert ein
allgemeines Urheber- und Verlagsrecht geschaffen
worden ist, will es heutzutage fast unbegreiflich
erscheinen, weshalb man mit der Regelung dieser
Rechtsfrage Jahrhunderte lang gezögert hat, ob¬
wohl der rechtlose Zustand, wie wir sahen, die
rechtlich denkenden Buchhändler in Harnisch
in Ehrenbreitstein.
brachte. Und doch sind zwei Gründe dafür vor¬
handen. Einmal der, daß man in Deutschland
sich damals noch keiner Einheitlichkeit der Ge¬
richtsverfassung erfreute, und zweitens, daß bei den
Rechtsgelehrten zwei Meinungen einander gegen¬
über standen. Die eine verteidigte das Recht am
geistigen Eigentum, die andere hielt es tatsächlich
für verdienstlich, ungeachtet des für Verfasser und
Verleger erwachsenden Nachteils, in unbeschränk¬
ter Freiheit Bücher, die man für den Kulturfort¬
schritt als unentbehrlich ansah, zu möglichst wohl¬
feilem Preise zu verbreiten — ein Standpunkt,
der wohl auch heute noch seine Vertreter finden
würde, wenn nicht der erste den Sieg davon ge¬
tragen hätte und mm längst zur Gewohnheit ge¬
worden wäre. Zum Heil des Buchhandels und
der Autoren!
Diese Gegensätze mußten sich zuspitzen, als
um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts die Schrift¬
stellerei für Viele Lebensberuf zu werden begann.
Die Buchhändler konnten nur geringe Honorare
zahlen, da das erworbene Werk ein sehr unsiche¬
rer Besitz in ihren Händen war. In dieser Zeit
und bis in das XIX. Jahrhundert hinein scheint
man die Unhaltbarkeit der ungenügenden Ver¬
ordnungen über den Nachdruck am fühlbarsten
gespürt zu haben. Wenn auch Preußens all¬
gemeines Landrecht sorgfältige Bestimmungen gegen
den Nachdruck enthielt und auch in Baden, Bayern ,
Nassau und im Österreichischen bürgerlichen
Gesetzbuch im allgemeinen das Unrechtmäßige des
Nachdruckes anerkannt war, so gab es doch in
Württemberg überhaupt kein Gesetz dagegen.
Außerhalb Preußens scheinen die Bestimmungen auch
so ungenügende gewesen zu sein, daß in fast allen
übrigen deutschen Ländern eine ganze Anzahl
Nachdrucker auftauchte, vor deren Namennennung
F. Metz nicht zurückscheut, sondern sie mit einer
gewissen Grimmigkeit durch die Kennzeichnung
ihres Räuberhandwerks zu brandmarken sucht Es
waren unter anderen die „Fleischhauer und die
große Compagnie, die in Reutlingen lebte“, ein
Schmieder in Karlsruhe, ein Heilmann in der
Schweiz, ferner der „Edle und Ritter von Trattner
in Wien, der von dem schönen Grundsätze aus¬
ging: den Eigennutz (!) der Leipziger Buchhändler
zu züchtigen, indem er ihnen den Gewinn, welchen
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Perschmann, Aus der Zeit des Bücher-Nachdruckes in Deutschland.
sie an den Verfassern zu machen suchten, aus
der Tasche nehme.“ Er soll in den Jahren 1770
und 1771 nicht weniger als 71 Verlagsartikel „ge¬
kapert“ haben und reicher geworden sein, als einer
der „wegen ihres Eigennutzes“ bestohlenen Ver¬
leger. — Nicht viel besser scheint es ein Edler
von Ghelen getrieben zu haben, „der unter dem
Titel: Medizinische Bibliothek alles Bessere in der
medizinischen Literatur nachdruckte, blos der
Wissenschaft wegen (!)“. Metz nennt dann noch
Gegels Erben und Enders in Frankenthal und
schließt die Reihe mit dem Ausrufe: ,»Diese Edlen!
Sie verdienen einen Denkstein, den wir ihnen hier¬
mit gesetzt haben wollen, fff“
Die drei Kreuze sollen wohl bedeuten, daß er
die „Edlen“ zum Teufel wünschte.
Allerlei Bemühungen, das Verbot des Nach¬
druckes überall durchzusetzen, waren erfolglos
und fachten den Streit der gegen einander stehen¬
den Meinungen nur noch mehr an. Ein Gut¬
achten der juristischen Fakultät in Jena von 1722 x ,
dem sich die Fakultäten von Gießen, Erfurt und
Helmstedt anschlossen, scheint immer den Aus¬
schlag gegeben zu haben, es bei dem bisherigen
Zustande zu lassen. Ein Vorschlag Klopstocks,
eine Verlagsgesellschaft unter den Gelehrten zu
gründen, hatte nur eine Erwiderung des Buch¬
händlers Reich zur Folge, in der er den Vorschlag
angriff und allerlei Beschwerden vorbrachte, die
gegen den Nachdruck erhoben waren. 1 2 3 Derbe
Ausdrücke, mit denen er die Nachdrucker trak¬
tierte, scheint er in dieser Schrift nicht gerade
gespart zu haben, denn sogar ein so hartgesottener
Sünder unter den „Dieben und Räubern“, wie der
Ritter Thomas von Trattner in Wien fühlte sich
darauf zu einer Entgegnung^ veranlaßt, in der er
ausführte: „er werde durch das Toben seiner
Feinde in seinem Gewerbe ebenso wenig nach¬
lässig werden, als sich der Mond in seinem Laufe
aufhalten lasse, wenn Hunde ihn anbellen.“ Metz
79
bemerkt dazu sarkastisch: „Das Bild des Mondes
ist recht gut gewählt, denn derselbe leuchtet auch
mit fremdem Lichte.“
Was der Verfasser noch hervorhebt, ist die
Tatsache, daß das Urheber- und Verlagsrecht
gerade im Gegensatz zum Auslande in Deutsch¬
land so im argen lag. Die meisten europäischen
Staaten besaßen seit längerer Zeit feste Bestim¬
mungen, die den Nachdruck, wenn auch nicht
ganz verhindern, so doch bekämpfen konnten.
Als solche auswärtige Staaten werden z. B. Frank¬
reich, England, Holland bezeichnet
Dennoch sind in der Zeit, als der letzte Teil
des Metzschen Buches erschien (1835), begrün¬
dete Aussichten zur Besserung der beklagten Zu¬
stände vorhanden gewesen. 81 deutsche Buch¬
handlungen und eine Anzahl österreichische hatten
auf dem Wiener Kongreß die Zusicherung erlangt,
daß „die Bundesversammlung sich bei ihrer ersten
Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Ver¬
fügungen über die Preßfreiheit und die Sicher¬
stellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger
gegen den Nachdruck beschäftigen werde.“ Preußen
knüpfte dann Unterhandlungen mit den einzelnen
Bundesstaaten an und erreichte im Bundestage
1832 den Beschluß, daß die einzelnen Staaten
ihren Schriftstellern und Verlegern gegenseitig
Schutz gegen Nachdruck gewähren sollten.
Die von den geschädigten Buchhändlern ge¬
wünschten Gesetze waren somit also endlich zur
Tatsache geworden. Metz scheint aber einer von
denen gewesen zu sein, die erst dann von dem
Erfolg einer Einrichtung überzeugt sind, wenn sie
ihn mit eigenen Augen gesehen haben, denn der
Schlußsatz seines Absatzes über den Bücher-
Nachdruck lautet: „Jeder rechtliche Buchhändler
wünscht gewiß mit uns von ganzem Herzen, daß
dieser Schandflecken, welcher der deutschen
Literatur noch jetzt anklebt, bald vertilgt werden
möge.“
1 Jenaisches Responsum juris, sammt völligem Beyfall dreier Juristenfacultäten, worinnen dargethan wird, daß
denen Autoribus derer in Druck gegebenen Bücher und deren Cessionariis, welche von hohen Obrigkeiten keine
privilegia darüber ausgewirkt, kein Monopolium solches Bücherverkaufs zustehe, noch vor weltlichen Gerichten ein
Recht zukomme, andern den Nachdruck solcher Bücher zu verbieten oder wider selbige deshalb um Bestrafung an¬
zusuchen. Erfurt 1726.
2 Zufällige Gedanken eines Buchhändlers über H. Klopstocks Anzeige einer Gelehrten-Republik. Leipzig 1773.
3 Der gerechtfertigte Nachdrucker oder J. Th. von Trattners erwiesene Rechtmäßigkeit seiner veranstalteten
Nachdrucke als eine Beleuchtung der auf ihn gedruckten Leipziger Pasquille (der Schrift von Reich). Wien 1774 -
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Selbstankündigungen
deutscher Schriftsteller in Hamburger Journalen.
Von
Dr. Maximilian Kohn in Hamburg.
aß alle Arbeit, mithin auch die des Schrift¬
stellers, das Recht hat, Lohn zu suchen,
und daß die Autoren ihre Tätigkeit in
jeder Weise für sich zu verwerten berech¬
tigt sind, unterliegt keinem Zweifel. Verübelt man
heutzutage dem schaffenden Künstler, sich durch
Posaunentöne der Reklame dem Publikum mit
Gewalt vernehmbar zu machen, so scheuten sich
die Männer der Feder des XVIII. Jahrhunderts
nicht, sich direkt an die Leser zu wenden und
nicht selten durch urkomische Selbstanzeigen ihre
Kauflust anzustacheln. Eine kleine Blumenlese
derselben, die Hamburgischen Journalen entlehnt
ist, dürfte dem heutigen Leser nicht geringes Ver¬
gnügen machen.
So macht Klopstock im „Unpartheyschen Cor¬
respondenten" (1779 No. 7) auf eine Neuausgabe
seines „Messias" mit der gewiß wirksamen Wendung
aufmerksam, daß selbige „im Vergleich mit den itzigen
gutgedruckten Büchern wohlfeil“ sei; außerdem sei
„der beste Nachdruck in Ansehung des Correcten
dagegen eine solche Sudeiey , daß selbst die, die
den Nachdruck durch Kaufen in Protection nähmen,
einen Ekel davon nehmen würden."
Und der streitbare Senior des Rev. Min.,
Lessings bekannter Widersacher, Johan Melchior
Goeze , zeigt, als seine Vergleichungen der Original¬
ausgaben der Bibelübersetzungen Luthers zur Druck¬
legung gelangen, in demselben Blatte sein Erzeug¬
nis höchst drastisch wie folgt an: „Da ich gar
leicht an den Fingern abzählen konnte, daß es
eine große Thorheit sein würde, wenn ich dieses
Werk als Mittel ansehn wollte, Geld zu schneiden ,
so kann mir Niemand, der sich nicht als offen¬
barer Verläumder darstellen will, diese Absicht
beimessen."
Die wunderbarsten Selbstanzeigen finden wir
in der ersten deutschen „. Buchhändlerzeitung* 1 (1778
bis 1785), die, von der Heroldschen Firma in
Wochennummem ausgegeben, eine Masse noch
ungehobener literarischer und kulturhistorischer
Kuriosa birgt
In No. 51 des ersten Jahrgangs kündigt Campe
seinen berühmten Robinson ungemein interessant
an und setzt weitläufig auseinander, wie er durch
die Lektüre von Rousseaus Emil auf Robinson
Crusoe gekommen sei, und daß er trotz einer
bereits vorhandenen pädagogischen Bearbeitung
dieses Romans mit einer eigenartigen Neuarbeit
aufwarten wolle. Den Pränumerationspreis müsse
er auf 18 Groschen in Gold stellen. Die zwan¬
zigste Nummer des dritten Jahrgangs bringt Vossens
Ankündigung „von der deutschen Odüssee (sic!)“
„Das Publikum hat sich seit einiger Zeit ein¬
gestellt“, heißt es im Eingänge der ellenlangen
Nachricht, „als ob es begierig wäre, die Gedichte
Homers, wovon man soviel Wesens macht, etwas
näher kennen zu lernen.“ Er habe, geht es weiter,
die Arbeit vollendet, von dem Eifer beseelt, zum
Besten und zur Ehre des Vaterlandes etwas bei¬
zutragen und sich durch alle Hindernisse auf dem
nicht sehr gebahnten Wege des homerischen Aus¬
drucks hindurchgeschlagen. Da er für den ge¬
wöhnlichen Bogenlohn eines Verlegers seine Arbeit
nicht habe wegschenken wollen, auch den Selbst¬
verlag des Nachdruckes halber habe meiden
müssen, habe er in der frohen Erwartung auf eine
Pränumeration oder doch wenigstens Subskription
das nötige Papier eingekauft. „Aber meine Er¬
wartung hat mich sehr getäuscht; ich habe nicht
einmal soviel Subskribenten, daß mir die Kosten
gesichert sind. Ich wenigstens glaubte, mich an
lauter Aufrechterhalter der Wissenschaften zu wenden,
die es so fühlten, wie man eine ungerechte Sache
fühlt, daß für Arbeiten dieser Art in Deutschland
keine Belohnung, oft nicht einmal Entschuldigung,
zu hoffen sei, als etwa durch Subskription."
„Würde er", heißt es am Schlüsse, „so gering
unterstützt, „die Odüssee" drucken lassen, so
kaufte der Kerl, der unter dem Schüde: Samm¬
lung auswärtiger schöner Geister, mit Druck und
Papier wuchert, oder ein anderer privüegirter
Straßenräuber eins der ersten Exemplare, druckte
es unter dem Schutze der höchsten Obrigkeit nach
und verkaufte mein Eigenthum für einen so bü-
ligen Preis, daß alles zu seiner Bude lief . . .
Ich sehe also nichts übrig, als daß ich .. . das
Papier, das ich schon seit einem Jahre gekauft
habe, so gut ich kann, Wiederverkäufe, und meine
Arbeit einschließe, bis sie gefordert wird, oder bis
unsere durchlauchtigsten Mäcenen uns wenigstens
dasjenige, was jeder andre Bürger in einem wohl¬
eingerichteten Staat genießet, Sicherheit des Eigen¬
thums, huldreichst angedeihen lassen." (Folgt die
Zahl der Subskribenten, knapp 300, darunter 66
Hamburger.) Voß.
Etwas später übermittelt er von Ottemdorf,
Mai 1781, demselben Journal die Ankündigung
seiner Verdolmetschung von 1001 Nacht
„Ich habe manchmal, nicht ohne Rührung,
dem Durste meiner lieben Landsleute nach Ro¬
manen und Histörchen zugesehn. Gleich den Be¬
lagerten, denen der Feind die Wasserröhren ver¬
stopft hat, lechzen sie mit heißem Munde, und
schütten alles hinunter, wenns nur naß ist. Ich
kanns also nicht leiden, daß man über die Herren
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Schölermftnn, Die Erziehung zur Sehnsucht
81
Verleger, Übersetzer und Bücherschreiber spöttelt,
die aus wahrer Menschenliebe ihre Keller und
Vorrathskammer aufschließen, was da ist, ihren
armen Nächsten, für eine billige Vergütung, freund¬
lich mittheilen. Man sagt, der eine zapfe ver-
rochenen Franzwein, der andre saures englisches
Bier, dieser einheimischen Krezer, jener schaligen
Kofent, oder ein dickes süßliches Gesöff das mit
Empfindsamkeit, Zoten, Afterlaune, Scheniewesen
und anderen berauschenden Siebensachen abge¬
zogen sei, und mancher schöpfe sogar, ich weiß
nicht woraus. Das mag alles sein, es kühlt doch
die Zunge, und ein Schelm giebts besser, als ers
hat“ Dann geht er auf das Unternehmen ge¬
nauer ein und nennt die alte deutsche Übersetzung
des Werkes nach der Gallandschen französischen
Bearbeitung „für ihre Zeiten schlecht und für die
unsrigen ganz unbrauchbar“. Wie muß Voß aber
erstaunt gewesen sein, als er dicht unter seiner
Ankündigung Gottfried August Bürgers, der gleich¬
falls aus dem Oriente Seide spinnen wollte, drastische
Eröffnung las, datiert: Altengleichen, den 9. März
1781:
„Help Gott met Gnaden!
Hie ward ok Seepe gesaden (Seife gesotten.)
„Der Einfall, aus den bekannten morgenländi¬
schen Märchen 1001 Nacht, etwas Lesbares für
ein leselustiges Publikum zu machen, ist schon
seit einigen Jahren auch der meinige. Allein bei
dem in jetzigen Zeitläuften so regen Eroberungs¬
triebe, ist es fäst unmöglich, irgendwo possessionem
vacuam zu finden; es wäre denn, daß man aus
den verborgensten Tiefen sein selbst, wo freilich
die rechten wahren Schätze, welche die Motten
nicht zernagen, und nach denen sogar die Diebe
nicht graben, verborgen sind, eine nagelneue
Schöpfung hervorarbeitete. Und auch da, wie
leicht geschieht es nicht, daß die beaux esprits
in geheimster Finsternis einander begegnen und
unvermutet mit den Köpfen zusammenrennen.
Wäre mein Einfall noch Embryo, oder stände er
nur noch auf meinem eigenen und nicht wirklich
schon gutenteils auf des Verlegers Papiere, wäre
sogar die Hand des Zeichners und Kupferstechers
nicht um deswillen schon aufgeboten und in Be¬
wegung gesetzt, so würde ich jetzt nicht aufstehen,
als wollte ich Herrn Voß, von welchem ich die
Ankündigung einer ähnlichen Arbeit soeben lese,
den Markt verderben ... So sind denn also nun
zwey Buden offen, und die Kränze ausgesteckt
Man komme und genieße nun, ohne allen dem
Matrosenpressen ähnlichen Zwang, nach Belieben!“
Ob Bürger übrigens nicht mit seiner Behaup¬
tung vom Beginn des Druckes etwas geflunkert
hat? Während Vossens Übertragung wirklich er¬
schien, kennt die deutsche Literatur eine derartige
Arbeit Bürgers nicht
Schließen wir mit der naiven Anzeige eines
späteren Hamburger Richters, der seine Erzeug¬
nisse über den Hanseatischen Bund und andere
„häußliche Ausarbeitungen“ dem Publikum emp¬
fiehlt, dessen Beutel nicht sehr angegriffen werden
würde, denn „da ich mit den Wissenschaften noch
nicht lange vertraut bin, so können meine Kinder
auch nicht sehr groß, auch derselben nicht sehr
viel seyn.“
Die Erziehung zur Sehnsucht.
Ein Beitrag zur Ästhetik des modernen Buches.
Von
Wilhelm Schölermann in Kiel
. . . O meiner Seele Höchstes!
Kennst du sie, die Freude des ruhigen Denkens?
Die Freude des freien und einsamen Herzens, des zärtlichen,
trauernden Herzens?
Die Freuden des einsamen Spazierganges, da das Gemüt
niedergedrückt und doch stolz ist.
Das Leiden und mit sich Ringen?
Die ahnungsvollen Freuden höherer besserer Liebesideale....
der süße, der ewige, der vollkommene Kamerad!
Das sind deine eigenen unsterblichen Freuden, deiner würdig,
o Seele!
Walt Whitman („Sang von mir selbst**).
ei Hermann Costenoble in Berlin ist jüngst
ein Buch erschienen mit ungewöhnlich
großem Textdruck und neuartigen IUu- %
strationen, unter der Überschrift „Die
Erdehung sur Sehnsucht. Wort und Bild von
Theodor Johatmseri (4 0 . 148 Seiten).
Der Verfasser ist Maler. Als Künstler hat er
seine innere Welt, sein Ich zu einem Symbol des
Z. I B. 1904/1905.
Reinmenschlichen zu vertiefen und zu erweitern
versucht, etwa in dem Sinne der obigen Zeilen aus
den „Grashalmen“. Nur, daß hier das Bekenner¬
buch eines Malers naturgemäß etwas engere Kreise
zieht, als das kosmische Werk des großen Ame¬
rikaners. Aber mit zwiefacher Ausdrucksfähigkeit:
in „Wort und Bild“ hat sich Theodor Johannsen
in sein Werk hineingeschrieben.
11
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82
Schölermann, Die Erziehung zur Sehnsucht
Da uns hier neben dem Bilde das Wort erst
an zweiter Stelle angeht, so mag es genügen, den
Inhalt kurz anzudeuten.
In einer Art malerischem Glaubensbekenntnis
unter novellistischem Gewände gibt der ringende
Künstler eine Reihe kinematographischer Moment¬
aufnahmen , bei denen Dichtung und Wahrheit in
einander fließen. Er gewahrt sich selbst als einen
Gefangenen, der aus seiner Beengtheit auf das
Leben blickt, aus einem der „großen Käfige mit
den vielen Gucklöchern“. Wie so viele Menschen
mit stärkerem oder weicherem Hang, mit Hoffen
und Harren in Ungewißheit, sucht er einen Halt,
eine Stillung für die nimmerruhende Sehnsucht
nach Erfüllung, für die Rechtfertigung der inneren
Stimmen — das Jawort der Selbstbestätigung
sucht er. Doch diese große Selbstbejahung ist
im Leben fast unerfüllbar. Nur wenige Sonntags¬
kinder dürfen sie ahnend fühlen. Der Widerspruch
mit der Wirklichkeit hält die Wunde nach außen
immer offen. So flüchtet der dichterische Mensch
zurück zu sich selbst, in die freiwillige Einsamkeit
In enthaltsamer Selbstgenügsamkeit findet er seine
innere „Züchtung zum Menschen“, seine Plastik der
Seele und seine Farbe der Entschließung wieder.
Diese Selbstbestimmung und langsam vor¬
rückende Abrundung und Formung des weichen,
eindrucksfähigen Tons der Seele zu marmorharter
und dauernder Plastik, diese allmähliche Vollendung
der Menschen ist aber trotzdem unmöglich ohne
einen beständigen Anreiz, ohne den Stachel des
nimmer dauernd Befriedigtsein-Dürfens. „Sehnsucht
erwecken, die umhertastenden Kräfte sammeln zu
einem starken Wollen, ein Hoffen zu packen, das
über uns hinaus eine ewige Bahn hinfliegt, ob es
sich stillen könnte an einer unerschöpflichen Fülle...
so ging ich meiner Arbeit nach, so lag ich im
Ruhen, so vollbrachte ich, was die Umgebung for¬
derte.“ — Dieser Gedanke zieht sich wie ein roter
Faden durch die Erzählung. Wie ein aus verbor¬
genem Felsspalt sprudelnder Quell, der in der
Sonne nur für einen Augenblick aufblitzt, dann
hinter Moos und Steingeröll wieder verschwindet,
bis er tiefer unten, bald stärker, bald leiser plät¬
schernd seine Zickzackbahn weiter verfolgt, so ist
dieses Suchen und Sehnen im Leben — im ewigen
Einerlei des Tagewerks, wo so viel Sehnen „ver¬
schüttet wird“ über den Felsspalten der berges¬
hohen Hindernisse! Vorüber zieht er an der reichen
blendenden Palastfassade, ebenso wie an trostlosen
Mietskasernen; in Wochen drückender Sorgen voll
freudloser Tage und schlafloser Nächte. So will
es der ewige Kreislauf, der zeugende Drang der
Welt. Sein Sinnbild ist diese nimmermüde Sehn¬
sucht als künstlerische Weltanschauung; ihm geweiht
zu sein, ist — Künstlers Erdenwallen ...
Soweit der Inhalt in nuce, dem ich nicht er¬
zählend vorgreifen möchte. Aber die buchtechnisch¬
künstlerische Ausstattung scheint um so mehr eines
näheren Eingehens wert, weü sie vom ästhetisch-
ülustrativen Gesichtspunkt betrachtet einen auffal¬
lend kühnen Griff, eine letzte Konsequenz darstellt
An und für sich sind schon die ungemein großen
Drucktypen zu loben, da sie dem Seitenbild seinen
vornehm-verschwenderischen und dabei doch ernsten
Charakter geben. Dieser kräftgen Prägung entspricht
eine in starken Gegensätzen von schwarz und weiß
wirkende Illustrierung, von der wir hier einige Proben
zeigen.
Ich gestehe, daß mir anfangs selber das ganz
reine, tiefste Schwarz so unmittelbar neben und
auf dem papiemen Weiß im Buche ein gelindes
„Gruseln“ gab. Bei den mir vom Künstler vor
dem Druck einzeln gezeigten Originalblättem war
mir das kaum aufgefallen. Da diese jedoch un-
verkleinert reproduziert wurden, liegt das Über¬
raschende jedenfalls nicht in der eigentlichen
Zeichnung, sondern ist im Kontrast begründet.
Dieser freüich ist gewagt. Aber sobald man sich
in die einzelnen Zeichnungen vertieft, schwindet
das erste störende Gefühl und es steigt dafür die
Erkenntnis der ganz bewußten Absicht des Künstlers
empor. Hier wollte er gar nicht etwa einzelne
Afa/Kreindrücke mit der Feder festhalten und ihre
buntfarbige Mannigfaltigkeit in schwarze und weiße,
halbe und viertel Töne »übersetzen«; er wollte
Ideen im Sinnbilder lose nur an die äußere Wirk¬
lichkeitsform sich anlehnend, wie Schlagschatten
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*
Vollbild atu Johannsen „Die Erziehung zur Sehnsucht**.
Jinft für Bücherfreunde VIII.
Zu Schölermann Die Erziehung zur Sehnsucht.
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Vollbild aus Johannsen „Die Erziehung zur Sehnsucht".
Zeitschrift für Bücherfreunde VIII.
Zn Schölermann; Die Erziehung zur Sehnsucht
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Schölermann, Die Erziehung zur Sehnsucht.
83
gegen eine weiße Wand projizieren. So verstehen
wir erst ihre fast unvermittelte Schärfe, ihre gleich¬
sam tragische Verschwiegenheit des undurchdring¬
lichen Nachtdunkels, aus dem das Licht zitternd
geboren wird. Hier liegt eine letzte ästhetische
und rein technische Konsequenz in der Verfolgung
künstlerischer Ausdrucksform.
Was wir vielleicht für unbeabsichtigte Über¬
treibung hielten, wird somit zum eigentlichen Grund¬
charakter dieser Illustration, zur „Qualität“ Es liegt
in dem Schwarz eine gewisse sinnliche Glut des
Tons, eine verborgene Wärme, fast Inbrunst urtiefer
Zeugung, zugleich auch etwas Unerbittliches und
Unzerstörbares. Immer der zeugende Drang der
imgeborenen Welt; und nun das Licht ganz un¬
gebrochen, — „quintessence pure (wie Milton sagt),
sprang from the deep . . . its joumey thro the
aöry gloom began“ — als Gegengewicht zur ewigen
Nacht Als Zwischenstufe für Übergangstöne bleibt
die ungemein lebendige, netzartige Schraffierung,
eine Technik, mit der sich fast „alles machen
läßt“. Dieses Netz in seiner Verbindung mit dem
Schwarz bedeutet eine Abstraktion des künstlerischen
Motivs, eine Vergewaltigung und Auflösung aller
formellen Gegenständlichkeit , in der technischen
Wirkung.
Nur drei Büder möchte ich herausgreifen. Da
ist die ganz einfache Kopfleiste auf Seite 131: Ein
paar zitternde Halme, die sich im Windhauch neigen,
gedruckt in wenigen Tonwerten. Sie genügen aber
vollkommen, um gleichsam die Stimmgabel oder
Tonleiter anzuschlagen für das folgende Kapitel;
diese leise schaukelnden Halme sind Symbole, eine
von den vielen Möglichkeiten, das Nimmerruhende,
Stillwirkende im All zu verbildlichen, das „irdvra
xujpcl“ des Herakleitos anzudeuten.
Sehen wir uns nun das Vollblatt auf Seite 124
an, so braucht das unvorbereitete Auge Zeit, um
sich zurecht zu finden und an diese unerbittliche
Schwärze zu gewöhnen. Dann begreift es aber
auch die Bedeutung dieser Unergründlichkeit und
diesen halbsichtbaren Leib des zweifelnden Men¬
schen, der am nächtlichen Strande der Natur gewal¬
tiges Geheimnis zwar belauschen, aber nicht er¬
klären kann. „Und sehe ein, daß wir nichts wissen
können . . Die Kontraste sind hier bis zur
Grausamkeit gesteigert: über dem Schwarz des
Meeres und Himmels ziehen die langen Wolken¬
streifen verdämmernd hin; vom am Strande eine
schärfere, fast greifbare Helle, wie an „des Ufers
Hoffnung“; wohl etwas wirr und teilweise schon
hart niedergebeugt, aber doch nie mit den Händen
faßbar. Vor diesem Hoffnungslicht aber liegt der
schwarze Schattenriß des nackten Menschenkörpers,
dessen Haupt oben schon unsichtbar in der Nacht
des Unerforschlichen verschwindet, so daß seine
Kopfrundung nur noch hinten vor dem einen
Wolkenstreifen fühlbar bleibt, dicht über der ge¬
raden Horizontlinie. Bedarf dieses Büd noch wei¬
terer Erklärung? —
Auf dem Blatt Seite 117 sind eigentlich nur
zwei einfache Ton werte gegen einander gestimmt:
Vollschwarz als Schatten und darüber ein fun¬
kelndes, brütendes, kosmisches Licht — zeugendes,
zitterndes Allleben. Es dringt nach jeder Richtung
hin, gleichmäßig verteüt, ein ungeheures Auge.
Schroff hebt sich am Hintergründe die schwarze
Wand wagerecht, der Baumstamm dagegen vome
fast senkrecht aufstrebend gegen die befruchtende,
glühwarme Dämmerung ab, daneben die biegsamen
Leiber der Menschen in zarten Silhouetten von leise
atmendem Fleisch . ..
Dieses Liebespaar denkt nicht mehr an Liebe,
es lauscht nur. Kein Sehnen hier, nur ein stilles
Sichverlieren in des Augenblickes unaussprech¬
lichem Sein, ein wunschloses Hineinhorchen in
das All, ein auf sich Beruhen, eine freie Gebunden¬
heit in wortlosem Erkennen. Hier ist selbst alles
Wünschen vorübergehend zum Schweigen gebracht,
ist keine Rede vom „Anfang“ oder vom „Ende“
— der Augenblick ist Alles.
Mit diesem Versuch, einige der Johannsen-
schen Blätter zu verdolmetschen, mag es genug sein.
Es gibt zwei Möglichkeiten der künstlerischen
Buchillustration: die konkrete und die abstrakte.
Die erste ist traditionell und zum Teil schon ver¬
braucht, wenn auch stets eines größeren Publikums
sicher. Ihr genialster Vertreter ist Menzel. Die
zweite ist noch gänzlich unverbraucht, ihr Wirkungs¬
kreis muß naturgemäß ein viel kleinerer bleiben;
aber er kann, wenigstens für Liebhaber und Buch¬
sammler, vorläufig noch wachsen. Ja, ihre Mög¬
lichkeiten sind beinahe unerschöpflich, weil diese
sich noch über den textlichen Inhalt oder „Stoff“
hinaus steigern und ins Absolute oder Symbolische
erweitern lassen.
Die bisherige Buchillustration beruht auf der
Erzählung. Sie ist ihrem Wesen nach episch . Die
neue sucht die Stimmung. Sie ist eine buchkünst¬
lerische Lyrik.
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Chronik.
lfr. William Mitchells Geschenk illustrierter
alter Druckwerke an das British Museum.
Bereits im Jahre 1895 hatte Mr. Mitchell dem
Londoner Kupferstichkabinett eine wertvolle Samm¬
lung deutscher und anderer frühzeitiger Holzschnitte
geschenkt Vor kurzem überwies er nunmehr dem
British Museum gegen 150 mit alten Holzschnitten illu¬
strierte Bücher, von denen mehr als die Hälfte wichtig
ist für die Gtschichie der Buchillustration . Nur die
Berliner königlichen Sammlungen — dank der Be¬
mühungen des verstorbenen Dr. Lippmann — besaßen
eine annähernd vollständige Serie von Büchern mit
alten Holzschnitten. Durch obige Schenkung hat das
British Museum jetzt so ziemlich in der genannten
Spezialität die Berliner Kollektion eingeholt
Der Name Mr. Mitchells als eines hervorragenden
Sammlers wird hauptsächlich in Verbindung mit Dürer
und Holbein gebracht werden müssen. Die meisten
in seinem Besitz gewesenen, von Dürer illustrierten
Werke hatte er dem Museum schon 1895 überwiesen;
jetzt jedoch wurden alle noch vorhandenen Lücken
namentlich durch früher als 1511 erschienene Drucke
ausgefullt Unter letzteren sind besonders zu erwähnen:
„Hrosvite Opera'* (1501), „Quatuor Libri amorum“ von
Konrad Geltes (1502) und von demselben „Guntherus
Exlibris, ansgsfiihrt tob Marie Stüler-Wal de (f).
Ligurinus de gestis Imperatoris Friderici primi“ (Augs¬
burg 1507). Einige wenige Exemplare, zu denen dies
gehört, enthalten den seltenen Holzschnitt Dürers
„Philosophie* und eine andere, gleichfalls Dürer, aber
mit nicht genügenderBeweiskraft zugeschriebene Arbeit
„Apollo auf dem Parnaß.** Die gewöhnlichen Ausgaben
des genannten Buches, sowie auch das bisher in der
Bibliothek des British Museum aufbewahrte Exemplar
führen leere, unausgefullte Blätter an der Stelle, in
welcher bei dem Band aus Mr. Mitchells Besitz der
erwähnte Holzschnitt sich befindet. Das vorliegende
Exemplar ist außerdem um so interessanter, weil es
von der Hand des Augsburger Humanisten und Alter¬
tumsforscher Peutinger eine Dedikation enthält Peu-
tinger war der erste, der in dem Werke „Romanae
vetustatis fragmenta in Augustana Vindelicorum** (Augs¬
burg 1505) römische Steininschriften veröffentlichte. Ein
bleibendes Andenken erwarb er sich aber durch die
Erhaltung der nach ihm benannten „Tabula Peu-
tingeriana,“ einer Karte, welche die Militärstraßen durch
den größten Teil des weströmischen Reiches angibt
Peutinger erhielt sie von Konrad Celtes, und nach den
mannigfachsten Schicksalen erwarb Prinz Eugen von
einem Buchhändler die Karte und schenkte sie der
kaiserlichen Bibliothek in Wien, wo sie noch gegenwärtig
auf bewahrt wird (vergl Müler, Die Weltkarte des Casto-
rius, genannt die Peutingersche Tafel. Ravensburg 1888).
Von anderen seltenen Drucken sind in der Mit-
chellschen Schenkung vorhanden: Die Revelationen
St Brigittens in der deutschen Ausgabe von 1502 und
in der lateinischen von 1517; ferner Dürers Fortifikations-
werk in den beiden Ausgaben von 1527 und das über
die Messungen aus dem Jahre 1538.
Nicht minder entbehren des Interesses die aus
Pirkheimers Bibliothek hier vereinigten Bände, so na¬
mentlich Plutarch, Lucian und andere von Peypus
gedruckte, sowie mit der Pirkheimerschen, auf dem Titel
blatt angebrachten, aber gewöhnlich Dürer zugeschrie¬
benen Randleiste. Einige Bücher besitzen Bordüren
von Schülern Dürers, wie von Springinklee und
Erhard Schön.
Die Anzahl der vorhandenen, durch Holbein
Ülustrierten Werke beträgt 40. Mit Ausnahme der
Baseler Sammlungen dürfte kein Institut nunmehr so
vollständig sowohl in einzelnen Holzschnitten als auch
in solchen, die zur Illustration von Büchern dienen, wie
das British Museum ausgestattet sein. So finden wir
hierselbst vornehmlich eine Anzahl von frühen Baseler
Ausgaben, unter denen besonders die „Utopia** (1518) und
eine Reihe von Neuen Testamenten in fremden Sprachen
hervorgehoben werden müssen. Demnächst ist die
Sammlung reich an frühen in Lyon gedruckten Aus¬
gaben. Sie enthält nicht weniger als acht von den be¬
kannten elf Ausgaben des Totentanzes (1538 bis 1562),
sowie dieselbe Anzahl des mit alten Holzschnitten ver¬
sehenen Alten Testaments, wenn wir die drei lateinischen
Bibeln von 1538, 1544 und 1551 hinzurechnen. Recht
bemerkenswert sind außerdem fünf alte Büderbücher
mit kurzem Text
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Chronik.
85
Seltener, aber nicht so wichtig ist ein kleiner in
einem Band zusammengefaßter Satz mit Probedrucken
von acht Illustrationen des Vater Unsers von dem
Stecher mit den Buchstaben „C. V.“ bezeichnet und
ungefähr 1523 in zwei Ausgaben in schlechtem Druck
hergestellt In der „Precatio Domini“ von Erasmus
haben die Probeblätter in Basel deutschen, in dem
Satz der Mitchell-Sammlung französischen Text an
dem Kopf des Blattes, ein Umstand, der bisher noch
nicht zur Beschreibung gelangte. Derselbe „C. V.“ stach
in Metall die Evangelisten im Griechischen Testament
von 1524 und 1540 und lieferte, so weit es sich um die
vorliegende Kollektion handelt, nach Holbein die besten
Illustrationen. Der Meister „J. F.“ (Jakob Faber) ist in
der Sammlung nicht vertreten, dagegen Nikolas Bour¬
bon mit zwei aus Lyon, 1536 und 1538 datierten Drucken.
Von englischen Werken sollen als die bedeutendsten
genannt werden: Lelands „Naeniae“ (1542) mit dem
Porträt von Sir Thomas Wyatt in Holzschnitt, „A little
Treatise“ von Urbanus Regius (1548), Cranmers Ca-
techismus (1548), gleichfalls mit Holzschnitten versehen,
Halles Chronicle (1548—1550) mit dem großen Porträt
Heinrichs VIII. und der „Catechismus brevis“ (1553)
mit der außerordentlich hübschen Druckermarke Re¬
ginald Wolfes.
Aus dem XV. Jahrhundert weist die Mitchell-Samm¬
lung nur zwei, aber bedeutsame Werke auf: „Sanctae
Peregrinationes“ von Breydenbach in der ersten latei¬
nischen Ausgabe (i486) und einen prachtvollen „Schatz-
behalter“ (Nürnberg 1491) inKobergersOriginaleinband
mit den kolorierten Holzschnitten Wohlgemuths.
Unter den nicht zu häufig vorkommenden, in der
Kollektion vertretenen Drucken des XVI. Jahrhunderts,
in treuer Begleitung des Holzschnittes, sind erwähnens¬
wert: Bonaventuras „Legende des heiligen Franziscus“
(Nürnberg 1512) mit Holzschnitten von Wolf Frank,
Pinders „Speculum Passionis“ (1507), illustriert von
Schäufelein, die zweite Ausgabe des „Theuerdank“
(1519), Mans „Leiden Jesu Christi“ (Augsburg 1515),
illustriert von Schäufelein, Burgkmair und Breu, „Das
Leben von St. Ulrich, Simpertus und Afra“ (Augsburg
1516) mit Holzschnitten von Leonhard Beck, einige
Ausgaben von Sebald Behams Bibelholzschnitten und
Cranachs „Passional Christi und Antichristi."
Weechtlins Serie von Passions-Holzschnitten sind
vorhanden in der seltenen, undatierten Straßburger
Ausgabe mit seinem Namen auf der Titelseite. Ferner
gehört hierher die „Passion“ von Urs Graf (1507). Das
British-Museum besitzt bereits die noch seltenere Aus¬
gabe von 1506.
Mehrere Werke sind mit ausgezeichneten Holz¬
schnitten versehen von dem Augsburger, unter dem
Namen „Pseudo-Burgkmair" bekannten Künstler, dem
sogenannten „Petrarcha-Meister“ oder „Meister vom
Trostspiegel.“ Die beiden Bezeichnungen stammen aus
der illustrierten Übersetzung von Petrarchas „De Re-
mediis utriusqueF ortunae“, einer vonGrimm und Wirsung
vorbereiteten Ausgabe, die aber das Licht der Welt nicht
früher als 1532 erblickte, als sie nämlich durch Steiner
verausgabt wurde. Der Trostspiegel enthält zwei Holz¬
schnitte mit den Initialen „H. W.“, welche kürzlich von
Exlibris, ausgeführt von Marie Stüler-Walde (f).
Dr. Röttinger als „Hans Weidlitz“ identifiziert wurden,
einem Mitglied jener Straßburger Familie, die sich
später in Augsburg niederließ.
Endlich sind mehrere, nicht uninteressante Bücher
aus der Reformationszeit vorhanden, die fast alle de¬
korierte Titelblätter aufweisen. Namentlich will ich
noch ein sehr schönes Exemplar der „Contemplatio
Vitae et Passionis D. N. I.C.“ (Venedig 1557) erwähnen,
das durch Abbildungen von Dürers „Leben der Jungfrau“
illustriert ist.
London. O. v . Schleinitz .
Encyklopädien.
Von der Neuen Revidierten Jubiläumsausgabe
(14. Auflage) des Brockhausscken Konversations-
Lexikons sind die letzten Bände (14—16) erschienen.
Ich finde in meiner Bibliothek noch einen alten Brock¬
haus, der zu interessanten Vergleichen auffordert Es
ist die „siebente Originalauflage“ der „Allgemeinen
deutschen Real-Encyklopädie“, die an zweiter Stelle
den eingeklammerten Titel „Conversations-Lexikon“
führt, Leipzig 1827. Auf dem Titelblatt des ersten
Bandes steht als Motto folgender charakteristischer
Vers Calderons:
„Wie sie der Verfasser schrieb,
Nicht wie sie der Diebstahl druckte,
Dessen Müh' ist, daß er richte
Andrer Mühe stets zu Grunde.“
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86
Chronik.
Brockhaus muß also schon damals üble Erfahrungen
mit Nachdruckem gemacht haben. Im Vorwort der
VII. Auflage werden nur zwei s. Z. noch nicht voll¬
endete „ähnliche Werke“ erwähnt, die in Wien und
Köln erschienen. Aber auch direkte Nachbildungen
traten schon auf; so begann Pierers „Universal-Lexikon“
bereits 1824 in Altenburg zu erscheinen. Diejenige
Encyklopädie, in deren Titel das Wort „Konversations-
Lexikon“ zum ersten Male vorkommt, war Hübners
„Real-, Staats-, Zeitungs- und Conversadons-Lexikon“
(Leipzig 1704). Renatus Löbel und Chr. W. Franke
begründeten 1795 ein auf 6 Bände geplantes „Conver¬
sadons-Lexikon mit vorzüglicher Rücksicht auf die
gegenwärtigen Zeiten“. Als Verleger zeichnete F. A.
Leupold in Leipzig, der aber nach dem vierten Bande
absprang; der fünfte trug als Verlegerfirma den Namen
J. C. Weither in Leipzig, der sechste wieder einen
anderen: J. G. Herzog in Leipzig. Aber der eigent¬
liche Verleger dieses sechsten Bandes war bereits
F. A. Brockhaus, der 1808 das Lexikon gekauft hatte
und es nun rasch (mit „Nachträgen“ 1809 und 1811)
zu Ende führte. Die zweite, gänzlich umgearbeitete
Auflage (Altenburg und Leipzig 1812—1819, 10 Bände
in kl. 8°) redigierte Brockhaus selbst mit Unterstützung
seines Freundes Dr. L. Hain. Damit begann das
Konversadons*Lexikon so recht eigentlich seinen Sieges¬
lauf. Die dritte und vierte Auflage waren nur Be¬
arbeitungen; zur fünften (1819—1820, 10 Bände) wurde
bereits eine Anzahl von Fachgelehrten herangezogen
und der Bearbeitung ein bestimmtes wissenschaftliches
System zugrunde gelegt. Von der fünften bis zur
elften Auflage wurde der Titel „Conversadons-Lexikon“
nur als Zusatz für „Real-Encyclopädie“ gebraucht.
Exlibris, ausgeführt von Marie Stüler-Walde (f).
Erst die zwölfte Auflage (1875—1879, 15 Bände) führte
den Namen „Conversadons-Lexikon“ als Hauptdtel.
Bei der dreizehnten (1882—1887, 16 Bände) begann
der IUustradonsschmuck (ein eigener „Bilder-Adas“
zum Lexikon war schon früher erschienen); von der
vierzehnten ab wurde der Titel „Brockhaus’ Konver-
sadons-Lexikon“ angenommen — sie erschien 1892 bis
1895, hundert Jahre nach dem Beginn der ersten Auf¬
lage. Von ihr wurden 1898 eine „Revidierte“ und seit
1901 eine „Neue Revidierte Jubiläums-Ausgabe“ in den
Handel gebracht Letztere liegt nunmehr, bis auf den
noch ausstehenden Supplementband, beendet — und
in der Tat auch vollendet — vor.
Inzwischen ist auch Meyers Großes Konversations-
Lexikon (Leipzig, Bibliographisches Institut) in seiner
sechsten neubearbeiteten Auflage um zwei Bände ver¬
mehrt worden: den vierten und fünften. Im vierten
(„Chemnitzer bis Differenz“) nimmt „Deutschland“ den
Hauptraun ein, nämlich an 150 Seiten. In der Dar¬
stellung der Geschichte Deutschlands ist bereits der
Aufstand in China und der in Venezuela berücksichtigt
worden; der Abschluß bringt den Besuch des Kaisers
Wilhelm in Rom im Mai 1903. Bibliographisch vor¬
trefflich zusammengestellt und wohl lückenlos ist die
Literatur zur Geschichte Deutschlands. Dazu gehören
ferner sechs Geschichtskarten, beginnend mit einer
Karte Deutschlands um das Jahr 1000, eine Karte der
deutschen Mundarten, der Volksverbreitung in Mittel¬
europa, der Bevölkerungsdichtigkeit, der Mineralien,
der Klimate, der Kolonien u. s. w. Die farbigen Bei¬
lagen sind musterhaft ausgeführt; besonders erwähnt
sei das Blatt mit den Reichskleinodien. Die Bearbei¬
tung des Abschnitts „Deutsche Literatur“ zeugt von
guter Beherrschung des Ungeheuern Stoffes; sogar die
jüngsten Erfolge, wie Frenssens „Jörn Uhl“ und die
Überbrettl-Lyrik, hat der gewissenhafte Chronist notiert.
— Band vier umfaßt die Worte „Differenzgeschäfte“
bis „Erde“. Eine prachtvoll ausgeführte Tafel „Drei¬
farbendruck“ gibt die bildliche Erläuterung zu der
Texterklärung dieses graphischen Verfahrens, das auch
zum vierten Bande des Lexikons eine Anzahl Schmuck¬
stücke beisteuert (vergl. die Farbentafeln „Edelsteine“,
„Vögeleier“, „Elektrische Entladungen“). Den Artikel
„Dziatzko“ hätte ich mir ein wenig ausführlicher ge¬
wünscht; die große Bedeutung dieses Begründers der
modernen Bibliothekswissenschaft wird man vielleicht
erst in späteren Zeiten voll würdigen lernen. Unter
„E“ nehmen die Aufsätze „Eisenbahn“ und „Elektrizi¬
tät“ mit allem, was damit zusammenhängt, den breite¬
sten Raum ein; erklärende Tafeln und Textillustrationen
sind in Fülle beigegeben; eine besondere Beilage zeigt
die Entwicklung des Ebenbahnnetzes der Erde von
1840—1901 in anschaulichen Tabellen. A
Kunst
Meisterwerke der Porträtmalerei auf der Aus¬
stellung im Haag 1903. Herausgegeben von C. Hof
steede de Groot. Verlagsanstalt F. Bruckmann, A.-G.
in München. Fol. 65 Tafeln in Lichtdruck und 47
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Chronik.
87
Exlibris für Volksbibliotheken von Joseph Sobainsky.
Erster Preis im Preisaasschreiben des Deutschen Exlibris-Vereins.
Seiten Text In 200 Exemplaren gedruckt. (In Leinen¬
band 80 Mk.)
In ähnlicher Weise wie die große (Amsterdamer
Rembrandt-Ausstellung im Jahre 1898 und wie die
Brügge-Ausstellung hat vorjährig auch die vom Haager
Kunstverein veranstaltete Ausstellung altholländischer
Porträts die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde auf
sich gelenkt Dr. A. Bredius, dem umsichtigen und
verdienstvollen Direktor der Königl. Gemäldegalerie
im Haag, der an der Spitze des Komitees für die Aus¬
stellung stand, gelang es, wenn auch nach unsäglicher
Mühe, eine stattliche Reihe zum großen Teil der Öffent¬
lichkeit ganz unbekannter Bilder holländischer Meister
aus Privatbesitz aufzutreiben: aus holländischen Patri¬
zierfamilien, in denen noch mannigfach höchst interes¬
sante alte Ahnengemälde aufbewahrt werden, aus
Pariser, Berliner, Londoner Sammlerkreisen und end¬
lich aus dem Besitz polnischer Adelsgeschlechter, deren
Vorfahren die holländische Porträtkunst in ihrer Blüte¬
zeit zu schätzen wußten. So kam eine Ausstellung zu¬
stande, die schon deshalb für den Forscher wie für den
Kunstfreund im allgemeinen von großer Bedeutung
war, weil sie tatsächlich im wesentlichen Unbekanntes
bot, und bei den vielen, die sie nicht gesehen hatten,
wurde der Wunsch rege, die hauptsächlichsten Por¬
träts wenigstens in Reproduktion festzuhalten — ein
begreiflicher Wunsch, wenn man bedenkt, daß diese
höchst interessante Sammlung nach beendeter Aus¬
stellung wieder aufgelöst wurde und die einzelnen
Stücke auf vermutlich Nimmerwiedersehen in den
Privatbesitz zurückwanderten.
Nun ist es freilich ein eigen Ding um die Repro¬
duktion von Gemälden. Man hat ja versucht, die
BÜder alter Meister im Dreifarbendruck wiederzugeben
und hat in dieser Beziehung, vom graphischen Stand¬
punkt betrachtet, Erstaunliches geleistet Aber dennoch
nichts Künstlerisches. Die feine Ausbüdung des Hell¬
dunkel, die die ganze Stufenleiter der Farbentöne in
ihren diffizilsten Varianten umfaßt, läßt sich im farbigen
Druck tatsächlich nicht wiedergeben. Die Verlags¬
anstalt Bruckmann hat deshalb aus künstlerischem
Empfinden heraus bei ihrer Sammlung der interes¬
santesten Bilder jener Ausstellung auf mehrfarbige
Reproduktion verzichtet und das einfarbige Lichtdruck¬
verfahren gewählt
Die Photographie spielt hierbei eine große Rolle.
Der Lichtdrucker muß auch ein ausgezeichneter Photo¬
graph sein. Diese photographischen Aufnahmen hat
die Firma Bruckmann nun selbst besorgt und nach
ihnen eine Reihe von Lichtdrucken hergestellt, die
wahrhafte Meisterwerke ihrer Art sind. Sie geben
jede Nuancierung der Photographie wieder, jede Fein¬
heit der Zeichnung und Tönung, wirken aber viel künst¬
lerischer als diese, zumal, wenn wie hier, ein Papier
gewählt wird, das die Weichheit des Tons in voller
Schönheit wiedergibt.
Den Text zu dem neuen Bruckmannschen Werke
verfaßte einer der besten Kenner der holländischen
Malerei, Dr. C. Hofsteede de Groot, der auch die
Auswahl der Bilder getroffen hat In dem nur wenige
Zeilen umfassenden Vorwort äußert er bescheiden:
„Dieses Werk richtet sich mehr an den Betrachter als
den Leser. 11 Aber es muß gesagt werden, daß Dr. Hof¬
steede de Groot sich in den kurzen kritischen Erläute¬
rungen als ein hervorragender Kunsthistoriker erweist
Zudem gibt der Text den einzigen vollständigen (be¬
schreibenden) Katalog der Ausstellung.
Von Rembrandt sind 7 Porträts vorhanden, da¬
runter drei, die erst vor kurzem aufgetaucht sind: ein
sauber durchgefuhrtes Selbstbildnis aus seiner Jugend¬
zeit, das Porträt einer Dame aus der ersten Amster¬
damer Zeit des Meisters und zwei Neger in Halbfigur
aus dem Jahre 1661, die vielleicht als Neben gestalten
zu einer Anbetung des Christkinds durch die Weisen
des Morgenlandes komponiert wurden. Zwei weitere
Selbstporträts, deren Entstehungszeit etwa vier Jahre
auseinanderliegt, charakterisieren vortrefflich die Fort¬
schritte in der Entwicklung Rembrandts. Auch die
Amsterdamer Vorgänger Rembrandts sind gut ver¬
treten: Cornelis van der Voort mit zwei ausgezeichneten
Einzelporträts, Thomas de Keyser mit zwei Herren¬
bildnissen, von denen das eine die Vollkraft des
Künstlers zeigt, Bartholomeus van der Heist u. a. mit
dem frühest (1637) datierten Bilde des Meisters. Franz
Halssche Bilder sind achtfach reproduziert, frühe
Einzelporträts und einige aus der Greisenzeit, u. a. jenes
Bildnis, das bisher in England (der Besitzer ist Earl
Spencer in Althorp, der Sohn des berühmten Biblio-
phüen) für das Porträt de Ruyters gehalten wurde, das
Exlibris für Volk§bibliotheken von J. von Dutcsyska.
Zweiter Preis im Preisausschreiben des Deutschen Exlibris-Vereins.
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88
Chronik.
aber in der Tat einen einfachen Haarlemer Bürger
darstellt Von denen, die sich unter Rembrandtschem
Einflüsse entwickelten, seien Jacob Adriaensz Bäcker,
Arend de Gelder (mit einem schwach gezeichneten,
aber dekorativ wirksamem Herrenbild) und Govert
Flinck (ganz in Nachahmung des Meisters) genannt
Außerhalb Antwerpens finden wir den Genremaler
Jan Miense Molenaer mit zwei ganz ausgezeichneten
Familien gruppen vertreten, die eine interessante Ver¬
bindung von Porträt und Sittenstudie zeigen; ferner
den Deventer Porträtisten Gerard ter Borch den
Jüngeren (durch 5 Bildnisse vortrefflich charakterisiert),
seinen Schüler Caspar Netscher (ein Jugendwerk, noch
ganz unter Borchs Einfluß entstanden), Johannes Cor-
nelisz Verspronck (mit 4 tüchtigen Porträts), Johann
van Ravensteyn (dreifach), den als Maler fast unbe¬
kannten Peter Dubordieu aus Leiden, Michael van
Miereveit (mit einem sehr sauber und korrekt aus-
geführten Herrenporträt), Aelbert Cupy (Knabenbild
mit prächtiger Landschaft) u. a. —
Da das Werk nur in 200 numerierten Exemplaren
hergestellt wurde, wird es vermutlich bald vergriffen
sein. Abgesehen von seinem Inhalt ist es auch eine
glänzende graphische Leistung, die der bekannten
Kunstanstalt hohe Ehre einlegt. —bl—
Eine Reihe billiger Volksausgaben, das Lebenswerk
der Meister klassischer Kunst umfassend, beginnt bei
der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart zu erscheinen.
Man kann das Unternehmen nur mit aufrichtiger Freude
begrüßen. An monumentalen Sammelausgaben ein¬
zelner Künstler ist freüich kein Mangel, aber sie sind
für das große Publikum viel zu kostspielig; die soge¬
nannten Künstler-Monographien dagegen verfolgen
andere Ziele, können ihrer ganzen Anlage nach auch
naturgemäß nicht das Gesamtwerk eines Künstlers in
der Reproduktion berücksichtigen. Der Verlagsanstalt
schwebte der Gedanke vor, in ähnlicher Weise wie die
Klassiker der Literatur auch die Meister der büdenden
Kunst in wohlfeilen, gut ausgestatteten Ausgaben zu
vereinen. Mit Raffael und Rembrandt wurde der Anfang
gemacht Zu jedem Bande hat Adolf Rosenberg eine
knappe, aber durchaus erschöpfende biographische Ein¬
leitung geschrieben. Den Abbildungen liegen Original-
Photographien nach den Gemälden zu Grunde; die Re¬
produktionen sind in Autotypie ausgeführt Von Wich¬
tigkeit sind die drei Register: ein chronologisches
Verzeichnis der Bilder, eine auf den Namen der Büder
geordnete Liste und ein nach den Wohnorten der Be¬
sitzer der Originale geordnetes Verzeichnis. So büdet
jeder Band ein abgerundetes und im besten Sinne an¬
schauliches Bild des gesamten Schaffens eines Meisters,
zugleich ein praktisches Nachschlagewerk, das kein
Kunstfreund in seiner Bibliothek wird missen wollen.
Die Ausstattung, der geschmackvolle Leinenband,
Vorsatz, Papier und Druck, ist durchaus würdig. Der
Preis für das 202 Abbildungen enthaltende Raflaelbuch
beträgt M. 5, für Rembrandt (mit 405 Abbildungen)
M. 8. Von beiden Bänden wurden auch numerierte
Luxusausgaben in je hundert Exemplaren zu M. 25 und
M. 30 in Leder gebunden veranstaltet An weiteren
Veröffentlichungen sind in Vorbereitung: Michelangelo,
Dürer und Schwind. —g.
Englische Prachtwerke über Kunst . Wenige Jahre
haben in England, wie man „Times Literary Supple¬
ment“ schreibt, so zahlreiche Kunstpublikationen ge¬
bracht als der letzte Herbst
Im Jahr 1902 hat nur ein Verleger es unternommen,
eine „Edition de Luxe“ für 50 Guineen (über tausend
Mark) herauszugeben, und die fünf teuersten Bücher
der Editionscampagne erforderten damals zusammen
nur £ 150 (3000 M.). Aber im letzten Jahr hat der 50 Gui¬
neenkäufer die Wahl unter drei Publikationen, und die
Bücher, die fünf und zehn Guineen kosten (also 100 und
200 M.) sind jetzt so zahlreich wie vor einigen Jahren
diejenigen, die eine Guinee kosteten. Berensons „Dra-
wings of the old french Masters“, die Murray vor einigen
Monaten zu 15 Guineen herausgab, sind bereits ver¬
griffen und jetzt unter 20 Guineen nicht mehr zu haben.
1903 wurden allein zwei Miniaturenwerke ediert, die
einen Ladenpreis von 50 Guineen haben, also über
tausend Mark kosten (bei allem, was die artes liberales
angeht, rechnet der Engländer bekanntlich nach Guineen
zu 21 Shilling): Dr. Williamsons „History of Portrait
Miniatures“ und J. J. Fosters „Miniature Painters, Bri¬
tish and foreign“. Dabei fehlen übrigens die billigen
Publikationen über Kunst auch nicht auf dem englischen
Markt Das Zeitalter ist ebenso ein solches der billigen
wie der luxuriösen Bücher, und wer nur bescheidene
Mittel besitzt, wird finden, daß seinem Geschmack für
kunstvolle und Kunst-Publikationen niemals so sorgfältig
und so energisch Sorge getragen worden ist als heute.
In letzterer Beziehung können wir in Deutschland aller¬
dings getrost mit England konkurrieren; mit den Tausend
Mark-Publikationen möchte es aber bei uns etwas scheu
aussehen. M.
Von den in diesem Heft reproduzierten Exlibris
stammen drei von der armen, früh verstorbenen
Marie Stüler • Walde , deren anmutvolles und phantasie¬
reiches Talent sich auch in diesen Blättern in reizvoller
Weise dokumentiert Die beiden anderen Exlibris
geben die Entwürfe wieder, die der Deutsche Exlibris-
Verein bei seinem letzten Preisausschreiben mit ersten
Preisen bedacht hat —m.
Nachdruck verboten . — Alle Rechte Vorbehalten.
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin W. 15.
Alle Sendungen redaktioneller Natur an dessen Adresse erbeten.
Gedruckt von W.Drugulin in Leipsig für Velhagen & Klasing in Bielefeld und Leipzig auf Papier der Neuen Papier-Manufaktur
in Straßburg L EL
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor vön Zobeltitz.
8. Jahrgang 1904/1905. _ Heft 3: Juni 1904.
Die Bodleian Library in Oxford.
Von
H. A. L. Degener in London.
I.
einer, der jemals in Oxford und sollte, wenn er es irgendwie einrichten kann, wie
wenn auch nur auf kurze Zeit unsere Großväter zum Wanderstab greifen und
geweilt, zwischen seinen alten auf def alten Heerstraße von London her der
College-Mauern sinnend und Stadt sich nähern. Iffleys uralte normannische
im Sinnen genießend gewandelt Kirche ist, in stiller Abgeschiedenheit oben auf
ist, seine Luft mit vollen Zügen dem grünen Hügel versteckt unter schattigen
geatmet hat, wird jemals diese Stätten und Kastanien und Zedern, so recht dazu angetan,
die über ihnen ausgebreitete Weihe vergessen uns die hastende Welt mit allen ihren Kleinlich¬
können. Ein Eingeborener der schönen Isis- keiten vergessen zu machen und uns in die
Stadt würdigt vielleicht kaum ihre unbeschreib- Stimmung zu versetzen, in der allein wir all
liehen Reize; denn er kennt es nicht anders, das Feinartige, Eigentümliche, Unvergängliche
Es ist der Femgeborene, der sie ganz verstehen der weltentrückten und doch so weltbekannten
kann, der, sei es für kurzen Aufenthalt oder Stätte in vollen Zügen in uns aufnehmen, um
für das Leben, in ihr Rast macht, der mit ganz in dieser Welt fiir sich aufgehen können,
warmem Herzen, mit offenem Sinn und Gefühl Es gehört etwas von jener Veranlagung
für das Erhabene, Hehre, über dem Alltäg- dazu, die das selbstsüchtige kleine Ich auf-
lichen Stehenden zu ihr kommt. geben und sich dem faszinierenden Banne Jahr-
Der prosaische Geist des neunzehnten Jahr- hunderte alter Traditionen in die Arme werfen
hunderts ist ja leider auch in Oxford ein- kann; glücklich der, dem dies beschieden ist.
gedrungen und hat seine Spuren hinterlassen, Ein gütiges Geschick mag es dann noch
vieles Schöne zerstörend und der Stadt manches fügen, daß dieser erste Besuch auf einen jener,
ihrer Eigenart raubend. Die schrillen Pfiffe allerdings seltenen, glorreichen Sommertage fällt,
der Lokomotive und das Rasseln der Züge wenn am tiefblauen, wolkenlosen Himmel die
passen nicht zu dem Träumen in stillen Laub- langsam zum Horizont hinabsinkende Sonne
grotten am Rande samtweicher, frischgrüner Dome und Türme der Universitätsstadt, zu
Rasenflächen unter altehrwürdigen Baumriesen welcher der Weg hinunter fuhrt, gleichsam ver-
in den Gärten, die graue College-Mauern um- goldet. An Wiesen und Gärten und schmucken
geben. Wer Oxford zum ersten Male besucht, Häusern geht es vorbei; links unten glitzern die
z. f. B. 1904/1905. 12
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90
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
von Schilf und Weiden umsäumten klaren Wasser
der Themse und ihrer Arme am Fuße des
Boars-Hill. Bald erhebt sich vor uns stolz der
kräftig schöne, charakteristische Turm des
Magdalen College, zu dem uns die prächtige
Brücke über die zur Rechten und Linken sich
unter uns ausdehnenden lieblichen Aue des grünen
Cherwell fuhrt. Und hier, ganz nahe dem alten
Eastgate, das einstmals den Eingang in die
Stadt auf dieser Seite bildete, betreten wir die
mit nichts vergleichbare High-Street, die in
ihrer alten Glorie für immer erhalten zu sehen
der innigste Wunsch eines jeden sein muß, der
genug Sinn und Verständnis hat für jenes
schönere und lebenswerte irdische Leben, das
mit Recht verachtet, was nur dem Praktischen
und nicht auch dem Idealen dient. Wie ein
breites Band zieht sie sich in sanfter Kurve
bis zum alten Carfax-Turme hin. Eine Reihe
der ältesten Colleges, mit alten und neueren
privaten Bauten wechselnd, streckt sich an ihr
entlang. Einige der schönsten Kirchen erhöhen
das Stimmungsvolle des Bildes. Das Eigen¬
artige, das wir schon beim fernen Anblick
der Stadt empfanden, wirkt immer stärker
auf uns ein. Immer mehr wird der es zum
ersten Male Schauende gewahr, wie er so
etwas ganz neuem gegenüber steht, wie er
einer Fülle von Eindrücken unwiderstehlich sich
öffnet, die unverlöschlich bleiben und ihren
Einfluß stets üben werden, die einzigartig dieser
Umgebung eigen sind. Wir fühlen uns in einer
Atmosphäre, die, frisch wie der täglich neu¬
geborene Tag, doch voll zu sein scheint vom
Geist und von den Traditionen vergangener
Jahrhunderte, welche untrennbar sind von den
grauen Mauern jener wunderbaren gotischen
Bauten, aus denen sie unter dem wuchernden
Efeu und dem Schatten zahlreicher Bäume
emporsteigen in ihrer unvergänglichen Jugend¬
kraft. Wir fühlen, wie wir aus dem Alltags¬
leben herausgehoben werden, wie wir ganz in
die Arme der Alma Mater sinken, wie uns un¬
bewußt das Edelste in uns Sterblichen, der von
Gott verliehene Geist völlig erfüllt, wie es uns
unwiderstehlich drängt zum Sinnen und Nach¬
denken, zum Vertiefen in die Gedanken unserer
Vorfahren und Zeitgenossen, zum selbständigen
Forschen. Und so wie es uns heute ergeht,
erging es schon unseren Vorfahren, von denen
sich eine kleine Anzahl Auserwählter vor mehr
als [tausend Jahren an dieser gottbegnadeten
Stelle niederließ, um im beständigen Verkehr und
Austausch der Gedanken den Wissenschaften
und der Kultur des Geistes zu leben. Die
Fäden geistiger Bildung spannen sich von hier
aus und liefen hier wieder zusammen. Die flüch¬
tigen Gedanken wurden gefesselt und nieder¬
geschrieben. Der Drang nach Austausch und
Kenntnisnahme fremden Wissens wuchs, und
mit ihm kam unabweisbar das Bedürfnis nach
einer Bibliothek, die wieder mit dem Anwachsen
der Gemeinde sich mehr und mehr ausdehnen
musste.
Wie in Cambridge, so bestand auch in
Oxford von Alters her, sicherlich aber seit
dem XIII. Jahrhundert die Universität aus
einer Vereinigung von in sich selbst ab¬
geschlossenen , selbständigen, „Colleges“ ge¬
nannten Schulen, die noch bis auf den heutigen
Tag fühlbar die Absichten und Anschauungen
ihrer Gründer vertreten, wenn natürlich auch
die Stürme der Jahrhunderte und die Ent¬
wicklung in der Geschichte, in der Religion,
in der Verfassung und in den Anschauungen
des Landes ausgleichend und nivellierend ge¬
wirkt und die einzelnen kleinen Gemeinden trotz
der Unabhängigkeit ihrer inneren Verwaltung
mehr in die eine große Körperschaft der „Uni-
versity“ verschmolzen haben.
Bis in die Zeit König Alfreds zurück verlegt
die Sage — denn eine solche ist es zweifellos
— die Gründung der Universität durch sein
ältestes College, das „University College“, das
im Jahre 1872 die tausendjährige Gründung
mit einem großen Bankett feierte. Historisch
das älteste College ist „Merton“, dessen Statuten
in ihrer ersten Form vom Jahre 1262 datieren
und denen der anderen Schulen bei Gründung
oder Reorganisation als Vorbild gedient haben.
Wenn vielleicht auch „University College“ und
„Balliol College“ in ihren Stiftungen ein wenig
älter sein mögen, so finden wir doch in Merton
zuerst klar die Idee eines „College“ ausgeprägt
und verwirklicht; so z. B. das Recht der Selbst¬
verwaltung und der Wahl seiner Mitglieder,
das Recht, Besitz zu erwerben und ein eigenes
Siegel zu führen. Es sollte der Erziehung und
Pflege der dem öffentlichen Dienste sich wid¬
menden Gliedern der Geistlichkeit der englischen
Kirche dienen, die zu jenen Zeiten die Ärzte,
Künstler, Gelehrten und Staatsdiener stellten*
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
9»
Der Reichtum seiner Stiftungsgüter ermöglichte
den Wettstreit mit den ersten und bedeutend¬
sten Klosterschulen jener Zeit und erlaubte es
auch dem ärmsten Mitgliede, sich in gesicherter,
sorgenloser Lebenslage ganz den Studien hin¬
zugeben. Walter de Mertons Gründung änderte
das ganze Fundament der englischen Universität,
deren Anfänge wir wohl in das Ende des
XI. Jahrhunderts legen können. Heinrich I.,
König und Gelehrter, hatte seinen Palast hier in
Oxford (nahe der Beaumont-Street unserer Zeit),
und Theobald of Etampes hatte schon vor
1120 an hundert Schüler und Anhänger um
sich versammelt, die ihm in seinen Disputationen
mit den Klosterschulen zur Seite standen. Unter
Heinrich II. und während dessen Zwistigkeiten
mit Thomas Becket, dem von ihm erwählten
Erzbischof Von Canterbury, begann dann der
Zulauf ausländischer und die Rückkehr eng¬
lischer Studenten aus Paris. Als König Johann
1215 die Magna Charta, noch heute der Grund¬
stein der englischen Verfassung, Unterzeichnete,
war die Universität Oxford schon voll begründet,
und ihre Angehörigen hatten den Städtern im
steten Zwiste mit ihnen die vielen Privilegien
abgerungen, deren sie sich zum großen Teil
noch heute erfreuen. Kein Wunder, daß diese
Republik der Geister nicht nur bei dem stetigen
Aufblühen des Landes, sondern auch in Zeiten
von Krieg und Wirren an Ansehen, Macht
und Unabhängigkeit wuchs. Heinrich III.
schwor bei der Belagerung von Northampton,
die unruhigen Geister dieser demokratischen
Gemeinde hängen zu lassen, die sich seinen
absoluten Herrscherideen mehr oder weniger
widersetzten, und auch die Kirche mußte die
Erfahrung machen, daß sie bei diesen Studenten
und Gelehrten, die sie beschützt und großgezogen
hatte, nicht immer auf blinden Gehorsam
rechnen konnte. Vor allem waren es die
Dominikaner (1221) und dann die Franziskaner,
die sich in dem aufblühenden Zentrum des
englischen geistigen Lebens niederließen und
zahlreiche Schüler um sich scharten. Doch
bis zu Walter de Mertons Stiftung lebten,
lehrten und lernten sie in Mietswohnungen oder
in gemieteten Häusern, auch „Halls“ genannt,
und das so charakteristische, für die ganze ge¬
schichtliche und konstitutionelle Entwicklung
1 Vide Anstey Munimenta Acad. I. p. 227.
Englands überaus wichtige College-Leben be¬
gann erst dann, um sich bis auf unsere Tage
zu erhalten und seinen oft nicht genug gewür¬
digten, jedoch ungemein großen, fast unbewußten
Einfluß auszuüben.
Merton College machte, besonders in der
vorreformatorischen Zeit, eine ungestörte Blüte
durch, und wir zählen unter seinen Schülern,
die in ihrem späteren Leben zu Ansehen und
Ruhm gelangten, nicht weniger als achtund¬
zwanzig Erzbischöfe und Bischöfe, darunter
Bradwardine, Jewel und Hooper, außer einer
Menge großer Mathematiker, Ärzte und auch
Scholastiker.
Der in der ganzen Welt jedoch am be¬
rühmtesten gewordene Schüler des Merton
College ist zweifellos Sir Thomas Bodley, der
1563 aufgenommen und auch hier, seinem letzten
Willen gemäß, 1612 beigesetzt wurde. Der
Ruhm Oxfords als einer Stätte der Wissen¬
schaften ist zum guten Teil durch ihn in alle
Welt getragen worden, und es ist seine große
Stiftung, die Bodleian Library, die bis auf den
heutigen Tag Studenten und Gelehrte aus aller
Herren Länder nach Oxford führt
Wenn Sir Thomas Bodley in den Acta
Convocationis vom 24. Juli 1617 als „Gründer“
der Public Library gefeiert wird, so war er
doch streng genommen nur der Wieder -
Begründer der Universitäts-Bibliothek, allerdings
in einem großartigen Maßstabe, unter Aufwand
fast seines gesamten Vermögens und unter
Zuhilfenahme seiner zahlreichen freundschaft¬
lichen Beziehungen zu den Mächtigen unter
seinen englischen Zeitgenossen.
Eine Universitäts-Bibliothek (und das war
es, was Bodley neu begründete, wenn schon
in den erwähnten Acta Convocationis von einer
„Publik“ [„Öffentlichen“] Bibliothek gesprochen
wird) bestand bereits in den Anfängen der
Oxforder Universität. Es war um 1320, als
Bischof Thomas Cobham 1 von Worcester (ge¬
storben 1327) begann, Vorbereitungen zum
Bau des ersten besonderen Bibliotheksraumes
über dem Sitzungssaale des Senates der Uni¬
versität, der „Great Congregation“, in einer der
Seitenkapellen der Universitäts-Kirche St. Mary
the Virgin zu treffen. Nach Wood, dem
berühmtesten Forscher und Kenner des
alten Oxford, war schon vor dieser Zeit in
dieser Kirche selbst eine Anzahl Bücher unter
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92
Dcgener, Die Bodleian Library in Oxford.
bestimmten Regeln aufbewahrt worden, teils zum
Ausleihen an Studierende gegen Faustpfand,
teils an Ketten befestigt zum Lesen in situ.
Die uns bekannt gewordene früheste Schenkung
von Büchern für jene allerälteste Bibliothek
stammt von Bogerus de Insula, Kanzler der
Diözese von Lincoln (später bis zu seinem
Tode im Jahre 1235 Dean von York), der
zwischen 1217—1220 verschiedene Exemplare
der Bibel stiftete. Die Sage berichtet ebenfalls
von König Alfred, daß er nicht nur für die
Lehrer und das leibliche Wohl der Mitglieder
seiner Universität sorgte, sondern auch für eine
Bibliothek, von der wir allerdings keine Spuren
mehr finden können. Bischof Cobhams aus¬
führende Hand war Adam de Brome, der
Pfarrer der Kirche und der
Gründer von Oriel College
(1324), und ihm gelang es,
von Eduard II. die Einwillig¬
ung zu erlangen, die Kirche
und ihre Einkünfte auf sein
College zu übertragen. Als
Bischof Cobham 1327 unter
Hinterlassung beträchtlicher
Schulden starb, gaben seine
Testamentvollstrecker zu,
daß de Brome die verpfän¬
deten Bücher auslöste und
für sein College davon Be¬
sitz nahm. Nach de Bromes
Tode beanspruchte die Uni¬
versität die Herausgabe die¬
ser Bücher, und Studenten brachen 1337 in die
Kapelle ein, in der die Bibliothek sich befand,
und schleppten sie fort. Einige dreißig Jahre
später reklamierte die Universität mit Erfolg
auch das Gebäude selbst 1367 begann dann
schließlich endgültig der Bau des von Cobham
geplanten besonderen Bibliotheksaales und mit
König Heinrichs IV. freigebiger Hilfe wurde er
endlich 1409 beendet und eingerichtet.
In dieser langen Periode, die die Eifer¬
süchteleien, Eigensucht und Zwistigkeiten in
der Universität selbst und die Unruhen und
Wirren im Lande verursachten, war inzwischen
eine andere bedeutende Bibliothek nach Oxford
gekommen und für alle, die Belehrung suchten,
ein offener Born geworden. Bischof Richard
Aungerville (Richard de Bury, geboren 1281,
Bischof von Durham Dezember 1333, Schatz¬
meister des Königreichs und Lord Chancellor,
gestorben 14. April 1345) hatte während seiner
glänzenden Laufbahn große Reichtümer er¬
worben und wußte sie in vornehmster Weise
zu verwenden. Er war überzeugt, daß von
allen menschlichen Leidenschaften die edelste
das Lesen sei; der berühmte Verfasser des
„Philobiblon“ liebte die Bücher als die „Meister,
die da lehren, ohne Schelten und Schlagen,
ohne Strafen und Bezahlen“ und sammelte von
allen Seiten, was er nur erhalten konnte, zu
einer großen Bibliothek. Jeder ernsthaft nach
Wissen und Belehrung Begierige war wohl auf¬
genommen und verpflegt im
bischöflichen Palast zu „Bis¬
hofs Auckland“. Als Aunger¬
ville sein Ende näher kommen
fühlte, vermachte er seine
Bibliothek dem von ihm be¬
sonders begünstigten „Dur¬
ham College“ in Oxford, ge¬
gründet Ende des XIII. Jahr¬
hunderts für die Studenten,
die von dem großen Bene¬
diktinerkloster in Durham
und den anderen nördlichen
Klosterschulen kamen und
die nicht in Gloucester Hall,
dem College der Südenglän¬
der, eintreten konnten. Sie
stand jedermann zur freien Benutzung offen,
nur mit solchen Beschränkungen, die zu einer
geordneten Verwaltung und sicheren Aufbe¬
wahrung nötig waren. Duplikate konnten leih¬
weise gegen ein ihren Wert übersteigendes
Pfand ausgeliehen, Kopien durften nur in der
Bibliothek gemacht werden, ein Register war
zu führen und eine Examination und Zählung
der Bestände hatte jährlich zu geschehen. Eine
solche wichtige Bibliothek, die jedem so zugäng¬
lich war, diente durchaus den Zwecken der
Universität, auch wenn sie einem bestimmten
College gehörte.
J.Wells läßt es allerdings zweifelhaft (in seinem
„Oxford and its Colleges“), ob die Bibliothek
jemals nach Oxford kam; es sprechen jedoch
wichtige Gründe und anerkannte Autoritäten
für unsere Behauptung, ganz abgesehen von
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Sir Thomas Bodley.
Nach dem Ölgemälde von Cornelius Jansen, 1612, im Besitze der Bodlcian Library in Oxford.
Zeitschrift für Bücherfreunde Vlll.
Zu Dcgcitrr Die 1‘j^ügian Library Jn OxforiL
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
93
manchen, wohl nur durch eine solche Biblio¬
thek entstehenden Einflüssen auf die Verbreitung
von Wissen und Denken. Im XVI. Jahrhundert
löste Heinrich VIII. Durham College auf, und
seine Beamten zerstreuten die Bücherschätze
Richard de Burys in alle Winde; einige von
ihnen gingen sicher in Herzog Humphreys
Bibliothek über, andere nach Balliol College,
noch andere in den Besitz von Dr. George
Owen von Godstow, Leibarzt des Königs. Fast
alle sind aber spurlos verschwunden, bis auf
wenige, die wir noch jetzt in der Bodleiana
besitzen.
1209 konnte also Cobhams Bibliothek wirklich
als Universitäts-Bibliothek der Benutzung über¬
geben werden, und ein Jahr darauf, am
17. März, ließ Oriel College auch offiziell alle
seine Ansprüche auf diese Bücherei gegen
ein Schmerzensgeld von fünfzig Mark, das ihm
Erzbischof Arundel zahlte, fallen. Mit dem
Posten eines Cobham-Bibliothekars wurde der
des Kaplans der Universität vertraut und es
ihm 1412 zur Pflicht gemacht, jährliche Messen
für die Gönner der Universität und Bibliothek zu
lesen, zum Dank für erwiesene Wohltaten und
zur Anregung und Aufmunterung neuer Wohl¬
täter. König Heinrich IV. selbst war einer der
Haupt-Stifter und noch bis auf unsre Tage
wird seiner bei allen „Commemorationes Solen-
niores“ gedacht, zusammen mit Henry Prince of
Wales und seinen drei Brüdern Thomas, John
und Humphrey, Thomas Arundel, Erzbischof
von Canterbury, Philip Repington Bischof von
Lincoln, Edmund Earl of March und Master
Richard Courtenay. 1 Eine der von dem Könige
gewährten Vergünstigungen bestand aus einer
jährlichen Abgabe von £ 5 aus der Brot- und
Biersteuer, eine Abgabe, die im Werte allmählich
bis auf £ 6. 13. 4 stieg und deren Bezug auf
Bodleys Bibliothekar überging, der sie bis zum
Jahre 1856 apart ausbezahlt erhielt Neben Hein¬
rich IV. betätigte vor allem Herzog Humphrey
von Gloucester, den Thomas Hearne den
„frommen, guten und gelehrten Fürsten“ nennt,
sein großes Interesse an dem intellektuellen
Leben der Universität und dem Gedeihen ihrer
Bibliothek dergestalt, daß er vielseitig als wirk¬
licher Gründer derselben hingestellt wird, wozu
vor allem wohl der von der Universität aus-
* Vide Anstey, Munimenta Acad. L pp. 261—268.
7 Dissertations sur la Biblioth&que da Louvre, M£m.
gegangene Antrag Veranlassung gab, ihn den
Ehrentitel des „Gründers“ beizulegen, als man
ihn von der Absicht, einen neuen Bibliotheksaal
zu bauen, benachrichtigte. Sein Name steht
daher auch obenan in der Liste der Wohltäter
der Universität.
Im Jahre 1426 begann man nämlich mit
Erbauung der noch heute alle Freunde ruhig-
vornehmer Architektur entzückenden School of
Divinity. Die Mittel für diesen großen und
kostspieligen Bau gingen jedoch der unter¬
nehmenden Universität bald aus und man
wandte sich, wie oft schon zuvor und noch
öfters nachher, an alle wirklichen oder ver¬
meintlichen reichen Gönner mit dem Anliegen
um Beistand. Herzog Humphrey, den wir als
Schützer der Wissenschaften mehr bewundern
können wie in seinen Intriguen als kurzsichtiger
Politiker und als nicht immer glücklicher Feld¬
herr, beantwortete die Bitte mit fürstlicher Frei¬
gebigkeit. Seine reichen Geldgaben für den
Bau übertraf er durch seine Schenkungen an
Büchern für die Bibliothek. Zwischen November
1439 und dem Jahre 1446 schickte er gegen
600 wertvolle Manuskripte nach Oxford. Der
größte Teil derselben kam wohl aus Paris,
aus der Bibliothek der französischen Könige
Karl V. und Karl VI. im Louvre. Karl VII.
hatte diese wertvolle Bibliothek 1423 aufnehmen
lassen, und man hatte 853 Werke gezählt, alle
in prächtigster Ausführung. Als dann 1425
der Herzog von Bedford, Bruder des Herzogs
von Gloucester, als Regent von Frankreich im
Namen Heinrichs VI. diese Kleinodien 1425 visi¬
tierte, regte sich in ihm natürlich der Wunsch,
sie zu erwerben. Wie wir noch heute nach
für ihn hergestellten, prachtvollen Werken
schließen können, war er ein großer Bibliophile.
Bis 1429 konnte er der Versuchung wider¬
stehen; dann aber verabschiedete er Garnier
de Saint-Yon, den alten königlichen Bibliothekar,
und ließ die Schätze oder wenigsten einen
großen Trakt derselben nach England schaffen.
Bei seinem Tode 1435 dürfte die sorgsam ge¬
hütete Sammlung dann wohl aufgelöst worden
oder zum größten Teü an den Herzog von
Gloucester gekommen sein. Nach einem Be¬
richte Boivins* hatte der Herzog von Bedford
an Pierre Thierry 1200 Louisdor gezahlt; doch
de l’Academie des Inscriptions. Tome II p. 760.
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
ist diese Annahme, die durch kein einziges
Dokument belegt Werden kann, sehr anzu¬
zweifeln. Der Wert der Bibliothek wurde nach
der Inventur von 1423 auf ca. 300000 Francs
nach heutigem Werte (deux mil trois cent vingt
et trois livres quatre sols parisis) geschätzt.
In einer Zeit, da England, vielleicht zum Teil
durch Gloucesters Schuld, sein großes Reich
auf französischem Boden verlor, gewann es so
durch denselben Gloucester einen Schatz an
Wissen, der in seinen Folgen zweifellos viel zu
der späteren Blüte des britischen Weltreichs
beigetragen hat. Wenn religiöser Fanatismus
und schier unglaubliche Bigotterie auch ein
Jahrhundert später diese Quelle des Wissens zer¬
streute und in der Hauptsache zerstörte, so war
doch wenigstens die dem Wissen entsprungene
geistige Macht unzerstörbar begründet worden.
Das erste Dankschreiben für 129 Bände
datiert vom 25.November 1439, und ein anderes
Schreiben wurde am selben Tage an das Parla¬
ment gesandt, um es von der Gabe, „eintausend
Pfund und mehr wert an kostbaren Büchern 11
zu unterrichten. In dem Register of Convoca-
tions finden sich noch Einträge über 126 Bände
im Februar 1440, 10 Bände im November 1441,
139 Bände im Januar 1443 und für andere im
Oktober, 135 Bände im Februar 1444; ein wei¬
teres Dankschreiben für Gaben datiert aus dem
Februar des Jahres 1446, dem Jahre vor Glou¬
cesters tragischem Tode.
Alle diese reichen Vergrößerungen machten
natürlich, zusammen mit den Zuwendungen, die
gewiß von anderen Seiten in Befolgung dieses
glänzenden Beispieles einliefen, über die uns
aber leider Einzelheiten nicht überkommen
sind, den Raum in der St. Mary’s Kirche sehr
bald unzureichend, und wieder wandte sich der
Senat hoffnungsvoll mit einem Bittschreiben
vom 14. Juli 1444 an Herzog Humphrey, dies¬
mal die eigentliche Sache unter einer Schil¬
derung der Mißlichkeiten unzureichender Biblio¬
theksräume verschleiernd, und offerierte ihm
den Titel des Gründers der Bibliothek. Herzog
Humphrey verstand seine Oxforder Professoren
und kam ihnen wieder tatkräftig zu Hilfe, um
die Errichtung einer der wertvollen Bestände
würdigen Bibliothek zu ermöglichen. Sein Tod
und andere mißliche Umstände verzögerten leider
die Fertigstellung dieses Gebäudes über der
Divinity School beträchtlich, und die mehr als
600 Manuskripte Humphreys wurden inzwischen
1454 mit den anderen in der Bibliothek Cobhams
angekettet. Die letzten seiner Zuwendungen,
einige Manuskripte („Alle seine lateinischen
Bücher“) und £ 100 für die Vollendung der
„Divyne Scoles“ konnten nur nach jahrelangen
Schwierigkeiten erlangt werden. Schenkungen
von anderer Seite liefen regelmäßig bald mehr
bald weniger zahlreich ein, und das ständig sich
steigernde Interesse an der Oxforder Bibliothek
wurde durch die herannahende Epoche des
Humanismus und durch bedeutende Männer
wachgehalten, wie z. B. durch Bischof Thomas
Kempis, der nicht nur Bücher, sondern auch
1000 Mark für Vollendung des Gebäudes
stiftete. x
1488 konnte dann endlich die neue Biblio¬
thek eröffnet werden; es war ein würdiger Bau,
der schon damals mit jedem seinesgleichen wett¬
eifern konnte. Die Einrichtung der Regale und
Arbeitstische dürfte wohl sehr der jetzigen, durch
Bodley bevorzugten Anordnung geglichen haben;
denn wie Cowley (in der Pietas Oxon. p. 7)
ausführt, diente die noch erhaltene Magdalen
College-Bibliothek der vom Corpus Christi Col¬
lege zum Vorbilde, und von dieser wieder ent¬
lehnte Bodley seine Einrichtung.* Es war sicher
die noch jetzt so genannte College-Library, mit
den Büchergestellen im rechten Winkel zu den
Fensterwänden, Nischen für die Leser bildend,
in denen sie ungestört und von Büchern so zu
sagen eingeschlossen an kleinen Tischen arbeiten
konnten, die an den Regalen befestigt waren,
mit einem weiten Gang in der Mitte.
Die Eröffnung war auf den kläglichen Ver¬
fall des hohen, intellektuellen Lebens und der
fast ausschließlichen Pflege der Wissenschaften
in den Klosterschulen und auf den Universi¬
täten unter den oberen Zehntausend gefolgt.
Die Literatur des Mittelalters ging damit zu¬
grunde, und das Studium der Wissenschaften
machte einem wüsten Gemisch von Wissen
und Mystizismus Platz, in dem die Alchemisten,
Magiker und Sophisten alles wahrhaft Hohe
und Bedeutende mit ihren Torheiten zu ersticken
1 Anstey, Epistolae Acad., II. p. 533. — * J. W. Clark, The Care of Books. 2. Ed. p. 179 fr.
Digitized by CjOOQie
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
95
drohten. Trotz neuer Colleges sank die Zahl
der Studenten in Oxford auf ein Fünftel der
Besucherzahl des letzten Viertels des vierzehnten
Jahrhunderts, und „Oxforder Latein" kam in
denselben Verruf wie das, was wir in Deutsch¬
land „Küchenlatein“ nennen. Kurz bevor Guten¬
berg seine große Erfindung machte, die ja wie
bekannt von Caxton 1476 in England eingeführt
wurde, lag die literarische Produktion Englands
ganz im argen. Chaucers Tod hatte eine große
Lücke gerissen, und seine Nachfolger waren
geistige Durchschnittsmenschen oder gar
Schwächlinge, Vielschreiber ohne Originalität,
wie unter anderen Lydgate, der von dem
Benediktinerkloster Bury St. Edmunds oft nach
Oxford kam. Reginald Pecock, der glänzende
Bischof von Chichester, und ein anderer großer
Theologe, John Capgrave, brachten allerdings
gerade um diese Zeit die englische Sprache
auch als Sprache der Gelehrten in Theologie
und Geschichte zur Geltung, und wir können
durch die uns glücklicherweise erhaltenen
Paston-Briefe hindurch 1422 beginnend den Auf¬
schwung der englischen Sprache, das Tagen
einer neuen Aera, den Übergang der Bildung
von einer einzelnen Klasse in eine sich hoch¬
entwickelnde Bildung weiterer Kreise, wie z. B.
reicher Kaufleute, großer Grundbesitzer, des
Landadels u. s. w., verfolgen. Und allmählich
wuchs wieder das Interesse fiir die Erzeugnisse
der Literatur, vor allem an Kopien der be¬
deutenden Werke vergangener Zeiten. An
Stelle des kostspieligeren Pergaments trat mehr
und mehr billigeres Papier. Es wurde fast ein
Bedürfnis für den Reichen, sich eine Bibliothek
anzuschaffen, in der man die Meisterwerke aller
Zeiten Englands und des Kontinents um sich
versammelte, möglichst in besonders schön
geschriebenen, illuminierten Kopien, die nicht
mehr den Schreiberstuben der Klöster, sondern
den Bureaus bestimmter Buch-Gilden ent¬
stammten. Gerade diese um sich greifende
Wertschätzung einer Bibliothek, zusammen mit
dem sie wechselseitig fördernden, raschen Auf¬
blühen des Buchdrucks, verbreitete auch
unter weiten Volksschichten das Interesse an
einer für ihre Zeiten so glänzenden Samm¬
lung wie Duke Humphreys Library, Oxfords
Universitäts-Bibliothek. Richard III. (Richard,
Duke of Gloucester) bewies in der kurzen Zeit
seiner Herrschaft (1483—85) seine Vorliebe für
die Literatur in seinen Erlassen, daß keine Vor¬
schriften ein Hindernis sein sollten „für irgend
einen fremden Handwerker oder Händler, gleich¬
viel welcher Nationalität oder welchen Landes,
in dieses Reich irgendwelche Bücher, seien
es geschriebene oder gedruckte, einzufuhren,
zu verkaufen oder sonstwie zu handhaben.“ Er
mochte wohl auch hoffen, mit dieser und
anderen weitgehenden Konzessionen bei der
großen Menge der Gebildeten seines Reiches
sich Beliebtheit zu erkaufen und seine Herr¬
schaft zu befestigen; sein Tod auf Bosworth
Field machte allerdings diesen Bestrebungen
ein Ende. Unter seinem Nachfolger, Heinrich VII.,
endete der blutige Bruderkrieg und es begann
das Zeitalter des „New-Leaming“, diese ewig
wunderbare und glorreiche Periode des Huma¬
nismus, in der die Demokratie der Geister so
recht zur vollen Entfaltung und Macht kam.
Es war die Epoche der großen Entdeckungs¬
fahrten, die Zeit eines Columbus, Copernicus,
Sebastian Cabot, John Colet u. a. Oxford
konnte natürlich nicht zurückstehen; Reuchlins
Ruhm als Übersetzer des Thukydides drang
hierher, und Erasmus von Rotterdam selbst
kam von Paris im Jahre 1498, um unter Grocyn
griechisch zu studieren und an den Schätzen
der großen Bibliothek sich weiterzubilden. Er
war entzückt von seinem neuen Lebenskreis
und begeistert von seinen Lehren und Freunden
wie Grocyn, Colet, Linacre, Thomas More,
Erzbischof Warham und anderen. Unter
Heinrich VIII.blieb diese Blüte zunächst bestehen,
doch zeigten sich bald deutliche Spuren des Ver¬
falls und der Gährung. Der Geist des Volkes
dieser Zeit war noch nicht reif gewesen für eine
so große innere Entwicklungen ohne gründliche
Revolution; und diese Revolution kam mit der
Reformation, die auch in England begeisterte
Anhänger und ebenso begeisterte Gegner fand,
allerdings leider auch hier von vielen Großen
zur Förderung ihrer Sonderinteressen mißbraucht
wurde, wodurch in einem langen Kampfe
schließlich viel Gutes zerstört wurde, viel Altes
zugrunde ging, um Neuem Platz zu machen.
Oxford hatte sich schnell dem Humanismus
geöffnet, unterlag der Reaktion im Widerstand
gegen das Ketzertum aber auch verhältnismäßig
rasch und früh. Die Bibliothek gedieh durch
alle die Wirren hindurch ruhig weiter, bald von
dieser, bald von jener Richtung gefördert, oft
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96
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
auch von beiden und von ganz Fernstehenden.
Die stetig an wachsenden Schätze fanden Ver¬
ständnis und liebevolle Fürsorge und übten ihre
große, an kein Land, keine Partei und kein
Dogma gebundene Anziehungskraft unge¬
schwächt aus selbst in einer Zeit, in der sonst
der Stand der Wissenschaften und die Zahl
der Studierenden in Oxford auf ein klägliches
Niveau herabsanken.
Am 29. November 1449 schon war von dem
Senat der Universität eine Kommission zur
Prüfung der Bestände und zur Entgegennahme
eines jährlichen Berichtes seitens des Biblio¬
thekars eingesetzt worden, und es scheint, daß
diese Kommission ihre Pflichten regelmäßig aus¬
übte. Wie nötig eine Bewachung der Bücher
und Manuskripte und des Vermögens der
Bibliothek war, können wir aus den häufigen
Entlehnungen von Werken ersehen, für die
selbst bedeutende Gelehrte ungenügende Pfänder
hinterlegten und die sie dann oft genug auf-
gaben, da sie es vorzogen, sich mit den so er¬
haltenen Werken zum Nachteil der Gesamtheit
zu bereichern, wie uns Antony ä Wood be¬
richtet. Die Kapläne und Bibliothekare jener
Zeit waren 1449: John Fytzjamys; — 1457 bis
1462 Stephen Tyler (Tylere, Tylar); — bis 1506
John Foster (oder Förster); — 1506 bis 1513
John Weyte (Waytt); — 1513 bis I520(?) Adam
Byrkebeke, [Macray nennt ihn (nach Wood
Ms. F 27) Kirkebote], der es einführte, die
Bibliothek während der Universitäts-Gottesdienste
auch an Wochentagen geschlossen zu halten,
eine Regel, die heute noch unter ähnlichen
Umständen durch Schließung der Bibliothek
bis elf Uhr beachtet wird; — 1520 (?) bis 1521
William Smythe (Smyth, Smithe); — 1521 bis
1541 (?) Edmund Fletcher (Flecher, Flatcher,
Flaccher, Flacher); — 1541 bis i543(?)Whytt
(White) und vom 31. Oktober 1543 an Humphrey
Burneford (Burnford, Burforde). Unter ihm
brach über die große erste Oxforder Universitäts-
Bibliothek das Unheil herein.
Während der Regierung Heinrichs VIII, der
die Literatur sehr hoch schätzte, der Frois-
sarts Chroniken und die Romanze von Huon
von Bordeaux hatte übersetzen lassen, unter
dem ferner trotz aller päpstlichen Intriguen
William Tyndale 1526 erst das Neue Testament
und dann 1535 zusammen mit Miles Coverdale
die ganze Bibel ins Englische übertragen und
veröffentlichen konnte, hätte niemand daran
gedacht, die Reformation so zu übertreiben,
wie dies leider der fast maßlose Übereifer eines
John Knox und anderer Puritaner und die Be¬
schränktheit ihrer Anhänger herbeifiihrten. Der
Protestantismus gewann die Oberhand; leider
aber verloren seine geistigen Häupter mehr
und mehr die Kontrolle, und unter einer ge¬
wissen Anarchie der Regierungskommissionäre,
die Heinrich VIII. mit der Auflösung der Klöster
betraut hatte, kam es bei dem Unverstand und
der mangelnden Bildung der Helfershelfer und
Zeloten zu groben Übergriffen, zum Bildersturm
und zu sinnlosen Zerstörungen, die der guten
Sache nicht helfen konnten. Als dann im
Januar 1547 der Knabe Eduard VI. auf den
Thron kam und Lord Hertford (Duke of
Somerset) sich die Regentschaft anmaßte, wurde
es noch ärger, und die Krone hörte auf, ihren
versöhnenden Einfluß auszuüben. 1550 er¬
schienen die Schergen in Oxford und unter¬
zogen Duke Humphreys Library einer so
gründlichen Durchsuchung nach allem, was
man auch nur im entferntesten mit dem Papst
in Zusammenhang bringen konnte, daß sie in
ihrer beschränkten, völlig rohen und ungebildeten
Auffassung alle illuminierten Manuskripte und
Bücher zerstörten. Den Rest der Bibliothek
überließen sie den ihrem Vandalenzuge folgenden
Dieben und Diebsgenossen, die alles an sich
rissen, was noch nicht vernichtet war. Schneider
schnitten sich Maße aus den wertvollen Perga¬
mentbänden, Buchbinder fertigten Einbände
daraus, und nur ein kleiner Teil der Schätze
fand ein neues Heim unter fremden Dache.
Wenigen Werken aus der alten Universitäts-
Bibliothek hat man bis jetzt auf die Spur
kommen können. Darnach sind nur sieben
von Humphreys Manuskripten in die Bodleiana
gelangt, und zwar zunächst die drei: Valerius
Maximus, libri IV—IX, mit Kommentar von
D. de Burgo und einem Index von J. de Whe-
thamstede, mit dem Wappen Humphreys; —
die Übersetzung von Aristotelis „De republica“
von L. Aretino, mit Autograph -Dedikation
Aretinos an Herzog Humphrey; und Plinü
epistolae, die 1620 schenkungsweise durch
Dr. Robert Master der Bibliothek wieder zu¬
geführt wurden. Das British Museum, Oriel-,
St. Johns- und Corpus Christi College, die
Biblioth£que Nationale zu Paris, einige Privat-
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
97
Die Längsseite des alten Congregation House mit der ältesten Universitätsbibliothek Oxfords.
(Nach Jackson „The Church of S. Mary the Virgin, Oxford.)
Bibliotheken usw. haben unter ihren Schätzen
Werke, die sich alle deutlich als von dieser
Plünderung stammend nachweisen lassen. So
gründlich war damit vorgegangen worden, daß
die Regale, die Bänke und Tische, an denen
Generationen von Gelehrten in fleißigen Studien
sich vertieft hatten, für immer leer und ver¬
lassen blieben. Die würdigen Senatoren der
Universität wußten schließlich nichts besseres
damit anzufangen, als sie 1556 als Feuerholz
an den Meistbietenden zu verkaufen; bis zu
einem solchen Grade war ihnen jedes Verständnis
für die Wichtigkeit einer großen Bibliothek, für
die Würdigung der Gaben vergangener Wohl¬
täter verloren gegangen, für deren Seligkeit sie
alljährlich gebetet und Messe gelesen hatten.
Von einem Sturme der Entrüstung, der doch
bei solchem Vandalismus und seinem tragi¬
komischen Schlußereignis hätte im ganzen
Lande ausbrechen sollen, wird uns nichts be¬
richtet; nicht einmal in der Universität selbst
scheint es genug einsichtsvolle Männer gegeben
zu haben, die wenigstens den Versuch gemacht
hätten, zu retten, was zu retten war.
Glücklicherweise wurde in diesen Jahren ein
Knabe geboren, den Magdalen College vier
Jahre nach der gänzlichen Vernichtung der
z. f. B. 1904/1905.
Bibliothek als „Commoner“ aufnehmen konnte,
nachdem ihm sein Vater mit Aufwand von
großer Sorgfalt und Kosten in Deutschland und
in der Schweiz eine gründliche, umfassende
Vorbildung hatte angedeihen lassen, die bei dem
begabten Jüngling auf fruchtbaren Boden ge¬
fallen war.
Thomas Bodley entstammte einer alten
Familie, die in Dunscombe bei Crediton in
Süd-Devonshire begütert war und ihren Namen
wahrscheinlich dem im Domesday-Buche ge¬
nannten Bodleia (jetzt Budleigh) entlehnt hatte.
John Bodley selbst, der Vater von Thomas,
gehörte dem jüngeren Zweige dieser Familie
an, die in Exeter ansässig war, wo auch Thomas
gemäß seiner Autobiographie („written with
mine own Hand, Anno 1609 Dec n th J. B.“)
am 2. März 1544 (oder 1545) geboren wurde.
Seine Mutter war eine Tochter von Robert Hone
aus Otterey Saint Mary, nicht weit von Exeter.
Mit vielen anderen eifrigen Protestanten teilte
auch John Bodley das Los lästiger Über¬
wachung, schlechter Behandlung, steter Be¬
drückung und offen gezeigten Mißtrauens seitens
der mit der Thronbesteigung der Königin Mary
wieder mit Feuer und Schwert die Oberhand
gewinnenden Katholiken, und er fand es ratsam,
sich und die Seinen im Auslande in Sicherheit
zu bringen. Er wandte sich zunächst nach
Wesel, wo damals eine ansehnliche Kolonie
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
englischer Flüchtlinge sich aufhielt, und seine
Familie folgte ihm bald nach. Dann ging es
nach Frankfurt am Main und schließlich, wie
von Anfang an wohl beabsichtigt, im Mai 1557
nach Genf, wo damals die Kolonie englischer
Emigranten über hundert Familien zählte.
Zweifellos war John Bodley kein gewöhnlicher
Mann, weder an Mitteln noch an Geist, und
nahm überall in diesen drei Gemeinden eine
geachtete Stellung ein. Die in diesen Jahren
erblühende und die tüchtigsten Kräfte heran¬
ziehende junge Genfer Universität war eine vor¬
zügliche Gelegenheit für ihn zur gründlichen
Erziehung seines ältesten Sohnes Thomas, den
er zunächst mit zwölf Jahren in das Haus des
von Lyon zugewanderten berühmten Arztes
Philibert Sarrasin gab. Robert Constantin und
Phil. Beroaldus waren seine Lehrer im Grie¬
chischen, Ant. Chevalier im Hebräischen, Calvin
und Beza in der Theologie. So wohl die Familie
sich auch in Genf fühlte, so ergriff Bodley doch
mit Freuden und ohne Zögern die Gelegenheit
zur Rückkehr in die Heimat, in der 1558 die
Thronbesteigung Elisabeths eine Änderung der
bisherigen Zustände gebracht hatte. In der Ge¬
meinde zu St Bartholomew-the-Less kaufte er
sich an und starb wohl auch daselbst. Wir
hören nicht mehr viel von ihm, außer daß ihm
und Konsorten von Königin Elizabeth unterm
8. Januar 1560 die Erlaubnis zum Druck be¬
ziehungsweise zum Verlag der großen Genfer
Übersetzung der Bibel gegeben wurde, mit dem
Privileg für sieben Jahre zum ausschließlichen
Verkauf in dem Reiche der Königin; sie er¬
schien noch im gleichen Jahre, allerdings mit
einem Proviso, welches den Verkauf von den
Bischöfen von Canterbury und London ab¬
hängig machte, das heißt so gut wie unterband.
Nur eine Auflage scheint denn auch unter
diesem Privileg gedruckt worden zu sein (Genf
1561—62). Die Ausgabe selbst nennt, wenigstens
in den uns überkommenen Exemplaren, den
Namen John Bodleys weder auf dem Titel noch
sonstwie.
Thomas wurde auf jeden Fall zur Ver¬
meidung längerer Unterbrechung seiner Studien
sehr bald nach Oxford gesandt, wo er 1559 ins
Magdalen College eintrat, an dem Dr. Laurence
Humphrey, der „Chiefreader in Divinity“, Lehrer
und seit 1561 Präsident war, ein Leidensgenosse
und Freund der Bodleys aus der Genfer Zeit
her. Am 25. Juli 1563 erhielt er den Titel
eines Bachelor of Arts, nachdem er sich um¬
fassenden und vielseitigen Studien unter gün¬
stigen Umständen und Einflüssen gewidmet
hatte. Merton College erwählte ihn noch im
selben Jahre zum Probationer-Fellow und
machte ihn im folgenden Jahre zum Fellow,
damit für immer das für alle Zeiten berühm¬
teste Mitglied der Universität an sich knüpfend.
Der Titel eines Master of Arts folgte am
5. Juli 1566. 1569 wurde er ohne Gegen¬
kandidaten zu einem der Proktor-Posten erwählt
und füllte auch für einige Zeit die Stelle eines
Deputy Public Orator aus. In den ersten Jahren
hielt er öffentliche Vorlesungen über Griechisch,
später über Naturphilosophie, in beiden Fällen
nicht geringes Aufsehen erregend.
Wie es bei seiner umfassenden Bildung und
infolge seines Aufenthaltes im Auslande während
der flir dauernde Eindrücke so empfänglichen
Knabenjahre nicht zu verwundern war, be¬
friedigte jedoch den tatkräftigen, im besten Alter
stehenden Mann das beschauliche, etwas welt¬
abgeschiedene und flir ein bedeutendes Weiter¬
kommen nicht geeignete Leben eines zu jenen
Zeiten noch schlecht bezahlten Oxforder Pro¬
fessors nicht „Es verlangte mich immer mehr
danach, über See zu reisen, um vor allem
Kenntnis einiger modernen Sprachen zu er¬
langen und um meine Erfahrung als Welt- und
Geschäftsmann zu erweitern, da ich den festen
Entschluß gefaßt habe, mich mit aller Sorgfalt
dem öffentlichen Leben zu widmen ...“ Er
erhielt von der Regierung und von seinem College
die zum Reisen im Auslande nötige Erlaubnis
und blieb von 1576 an vier Jahre lang in Italien,
Frankreich und Deutschland, reiche Sprach-
kenntnisse erwerbend und sich mehr und mehr
zunächst zum Diplomaten und dann vor allem
zum weltmännischen Gönner der Wissenschaften
ausbildend. 1583 kehrte er nach England
zurück und wurde als ein Kammerherr (esquire
of the body, oder gentleman-usher) an den
Hof der Königin gezogen. Seinem Ehrgeiz
und seiner nicht abzuleugnenden Eitelkeit schien
dies zu behagen und zu weiterem Aufsteigen
in Macht und Ansehen zu reizen. 1585 begann
seine Karriere im Dienste des Staates als ver¬
trauter Gesandter, nachdem er 1584 vergeblich
versucht hatte, für den Bezirk von Hythe zum
Parlamentsmitglied gewählt zu werden. Wir
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
99
sehen ihn an den Höfen von Kopenhagen,
Braunschweig, Cassel und bei anderen deutschen
Fürsten, bei Heinrich III. von Frankreich zur Zeit
seines Zwistes mit dem Herzog von Guise und
anderswo, und der Kreis seiner Freunde, Gönner
und Bekannten wuchs beträchtlich. Wohl¬
gefällig und mit sich selbst zufrieden berichtet
er über seine Erfolge.
In London vermählte er sich 1587 mit einer
reichen Witwe, Anne Ball, Tochter des Bris-
toler Kaufherrn Carey, und erwarb dadurch
den größeren Teil seines beträchtlichen Ver¬
mögens, das ihm später so zustatten kam. Nach
dem Grabmonumente zu urteilen starb seine
Frau nur ein Jahr vor ihm selbst und wurde
am 12. Juli 1611 in der Kirche zu St. Bartholo-
mew-the-Less in London beerdigt. Wir hören
von ihr auffallend wenig; in seiner Autobio¬
graphie erwähnt Bodley sie nicht ein einziges Mal,
und auch in seinen zahlreichen uns erhaltenen
Briefen an James, seinen Bibliothekar, finden
wir ihrer nur zwei oder dreimal gedacht, wenn
ihre Krankheit ihn verhindert, sich seiner
Bibliothek in Oxford zu widmen. Ihr Einfluß
auf ihn scheint nicht groß gewesen zu sein.
Allerdings war Bodley nie in großer Eile, die
Verdienste anderer zu verkünden, und seiner
fast zur Manie gewordenen Hingabe an die
Errichtung der großartigen Bibliothek opferte
er alles, selbst in seinem Testamente die An¬
gehörigen seiner eigenen und seiner Frau
Familie fast ganz vergessend, besonders zum
Leidwesen der letzteren, von der ja ein großer
Teil der weltlichen Schätze Bodleys stammte.
Im Jahre 1588 ging Bodley nach dem Haag,
um als Vertreter Englands vertragsmäßig am
Staatsrat der Vereinigten Provinzen ständig
teilzunehmen. Seine Frau folgte ihm scheinbar
1589 dorthin; denn wir finden im Mai dieses
Jahres das Ansuchen des Sekretärs Windebank,
ein Schiff von Staats wegen zu ihrem sicheren
Geleite zur Verfügung zu stellen. Fünf Jahre
lang verblieb er auf diesem schwierigen Posten
zur höchsten Zufriedenheit seiner Königin und
der Regierung, die ihm in der Ausführung
seiner wichtigen Mission mehr und mehr in
beachtenswerter Weise freie Hand ließen. Im
Mai 1593 und dann nochmals im Mai 1595
kehrte er auf kurze Zeit auf seinen besonderen
Wunsch hin nach England zurück, um schließlich
im Juli 1596 ganz aus dem Staatsdienst aus¬
zutreten. Selbst das dringendste Zureden seiner
Freunde und der Minister, selbst die glänzendsten
Zusicherungen der höchsten Staatsämter, mit
denen man ihn schon mehrfach hingehalten
hatte, konnten seine Entscheidung nicht ändern.
Die ewige Eifersucht und Doppelzüngigkeit seiner
beiden erklärten Freunde, Cuil Lord Burleigh
und des Earl of Sussex, hatten im Verein
mit einer Krankheit im Jahre 1595 dem ehr¬
geizigen und etwas empfindlichen Manne die
Freude an der Sache verscherzt. Seine an¬
geborene Rastlosigkeit, gepaart mit seiner hohen
Intelligenz, trieben ihn zurück in das reichlich
Beschäftigung bietende unabhängige Leben des
von Sorgen freien Gelehrten und Beschützers
der Wissenschaften. Im Mai und Oktober 1598,
dann 1601 wurde er umsonst ersucht, sich
an Gesandtschaften nach Frankreich zu be¬
teiligen oder 1602 auf seinen Posten in den
Niederlanden zurückzukehren. 1601 und im
Januar 1604 wurde ihm der Posten des Staats¬
sekretärs angeboten; Bodley blieb aber fest
bei seinem Entschluß und hielt sich fern vom
Hof und von der Regierung. Er erwarb im
Mai 1597 auf 33 Jahre die Krondomaine zu
Middleton und zu Marden in der Grafschaft
Kent und verbrachte dort und auf seinen an¬
deren Besitzungen, vor allem in London, den
Rest seiner Tage, ganz aufgehend in der Vor¬
bereitung, Einrichtung und schließlich in der
Überwachung jener großartigen Stiftung, die
seinen Namen für immer in leuchtenden Buch¬
staben in die Geschichte der Menschheit und
Zivilisation eingeschrieben hat.
Den Plan seiner Stiftung mußte er schon
lange gefaßt haben; der enorme Aufschwung
Englands, die Blüte englischer Poesie und Prosa,
der schnell aufwachsende, begüterte und einem
gewissen Luxus ergebene Mittelstand ebenso
wie der steigende allgemeine Wohlstand des
ganzen Volkes trugen ohne Zweifel viel dazu
bei. Mit der Thronbesteigung Elisabeths 1558
kam plötzlich ein frischer, kräftiger Zug in die
Entfaltung des politischen, sozialen, religiösen
und intellektuellen Lebens Englands, der die
engen Gesichtspunkte der Tudorzeit hinwegfegte
und an ihre Stelle eine tiefgehende, offenherzige
Begeisterung für die schönsten Früchte des
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
West. Die Gebäude der Bodleian Library. Links die ursprüngliche Bibliothek mit dem West- und Ostflügel. Ost.
(Nach Loggan „Oxonia Illustrata**.)
Humanismus und der Reformation setzte. Der
Engländer wurde Engländer mit vollerem Be¬
wußtsein als je zuvor; er bekam aber auch ein
umfassenderes intelligentes Verständnis für die
geistigen Bewegungen und Strömungen außer¬
halb seines Inselreiches. Er hörte auf, plump
zu kopieren, sondern verarbeitete fremden Stoff,
assimilierte ihn, schuf aus sich selbst heraus
und baute auf erhaltenen Thesen nach eigener
Prüfung weiter. England wurde sich seiner
geistigen Schwächen bewußt und lernte gerade
dadurch erkennen, wo es wirklich stark war
und wo ernste Selbsterziehung zu hohem Ziele
führen konnte. Und mit ernsthaftem Eifer
machte man sich denn auch allenthalben an
die großen Aufgaben. Es war das berühmte
Zeitalter literarischer Sterne wie John Foxe, John
Knox, Edmund Spenser, Sir Philip Sidney,
Christopher Marlowe, Sir A. Ascham, W. Gilbert,
George Peele, Thomas Kyd, John Lyly, Ben
Jonson, Francis Bacon und William Shakespeare.
Unter solchen Zeitgenossen wuchs Thomas
Bodley auf, an ihren Begeisterungen konnte er
teilnehmen. Mit ihren Werken und ihrem Geiste
in Muße vertraut zu werden, hatte gerade er
bei seiner Veranlagung, seiner vorzüglichen Er¬
ziehung in seiner hohen Stellung und bei seinem
Wohlstände die reichste Gelegenheit. Auch
bei ihm bestätigte es sich, daß große Zeiten
große Männer schaffen.
Schmerzlich muß der Eindruck gewesen
sein, den der junge Bodley empfing, als er
bei seinem Aufenthalt in Oxford überall auf
die Spuren der zerstörten Bibliothek Herzog
Humphreys stieß, als er den großen, schönen
Bibliothekssaal verödet und verlassen fand.
Das wenige an Büchern, was in den verschie¬
denen College- und kleinen Privatbibliotheken
noch verblieben war, mußte gerade durch
seine Dürftigkeit die enorme Lücke täglich
doppelt fühlbar machen. Ohne eine gute
Bibliothek, deren Einfluß unmöglich ausbleiben
konnte, drohte der Aufschwung des geistigen
Lebens in Oxford wieder zurückzusinken in
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Dcgener, Die Bodleian Library in Oxford.
101
Die Bodleian Library. Interieur des ältesten Teils von Osten (oben) und Westen (unten), Anfang des XVII. Jahrhunderts.
(Nach Loggan „Oxonia Illustrau“.)
Sophisterei und Einseitigkeit; die Lehrer waren
meist ebenso wenig bemittelt als die Mehrzahl
der Studenten, so daß sie sich gerade Bücher,
deren sie am meisten bedurften, ob ihrer Kost¬
barkeit nicht anschaffen konnten. Auf seinen
Reisen konnte Bodley nicht umhin, mehr und
mehr noch den unendlichen Segen und Vorteil
großer Bibliotheken kennen zu lernen, sei es in
Italien, in Deutschland oder in Frankreich,
dessen Pariser Universität ja noch immer von
Alters her, als sie gewissermaßen Alma Mater
Matris Oxoniensis war, Beziehungen mit Oxford
unterhielt. Und das, was er sah und was er
selbst in so reichem Maße so glücklich genoß,
wollte er auch anderen zuteil werden lassen.
Wie sagt er doch gleich in seiner Auto¬
biographie?: „ .. . . Und wenn ich es auch für
mich als das Beste erkannte, mich von dem
höfischen Getriebe fernzuhalten und mein Denken
und Tun auf solche Dinge zu richten, die ich
selbst am meisten liebte, so hatte ich doch zu
bedenken, was meine Pflicht gegen Gott, die
Erwartungen der Welt, meine natürliche Ver¬
anlagung und mein eigenes Pflichtgefühl ver¬
langten, daß ich nicht ganz meine kleinen
Fähigkeiten verbergen durfte, sondern daß ich
auf die eine oder die andere Art den Platz
eines nützlichen Mitgliedes des Staates aus¬
zufüllen hatte; worauf ich denn für den Rest
meines Lebens mir genau überlegte, was ich
unternehmen könnte. Und nachdem ich alle
Wege, wie ich glaubte, gesucht hatte, die in
den Wald führten, um den geeignetsten zu
wählen, beschloß ich schließlich, meinen Stab
an der Bibliothekstür zu Oxford niederzusetzen .
Ich war vollkommen überzeugt, daß in meiner
Einsamkeit und Rast von den Geschäften des
Staates ich mich mit nichts Besserem beschäf¬
tigen konnte, als jenen Platz (der damals in
jeder Weise wüst und in Ruinen lag) zum
öffentlichen Gebrauche der Studierenden ein¬
zurichten. Um dies durchzufiihren, befand ich
mich in genügendem Maße mit jenen vier
Hilfsmitteln versehen, ohne die alle ich keine
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102
Degener, Die Bodleian I.ibrary in Oxford.
Hoffnung auf guten Erfolg haben konnte. Denn
ohne einige Kenntnis sowohl der gelehrten und
modernen Sprachen als verschiedener anderer
philologischer Literatur, ohne eine leistungs¬
fähige Kasse, um die Ausgaben aushalten zu
können, ohne einen groben Vorrat von ehren¬
werten Freunden, um den Plan zu fördern, und
ohne besonders gute Muße, einem solchen
Werke mich zu widmen, würde es sich nur als
ein vergeblicher und unbeträchtlicher Versuch
erwiesen haben. Wie gut aber ich in allen
meinen Anstrengungen gefahren bin und wie
umfassende Vorsorge ich für das Wohl und die
Bequemlichkeit aller Besucher der Bibliothek
treffen konnte, das was ich außerdem für den
Unterhalt gegeben habe und das was ich noch
später in Form einer Vergrößerung dieses
Platzes hinzuzufügen gedenke (denn das Projekt
ist fertig, und ob ich lebe oder sterbe wird es,
so Gott will, voll zur Ausführung gebracht
werden), alles das wird so wahr und im Über¬
maß fiir mich Zeugnis ablegen, daß ich es
nicht nötig habe, die Würde und den Wert
meiner eigenen Gründung bekanntzumachen...“
Auf jeden Fall also war sich Bodley seiner
Wichtigkeit bewußt, und wir können ihm schlie߬
lich diese harmlose Freude und Zufriedenheit
mit sich selbst verzeihen, da ja in der Tat sein
Werk in fast jeder Hinsicht einzigartig dasteht:
von Anfang an bis auf den heutigen Tag mit
Recht eine der berühmtesten Bibliotheken der
Welt, ein Mekka der Forscher und Wißbe¬
gierigen, jetzt an Umfang nur von fünf anderen
Bibliotheken übertroffen, nämlich der Bibliotheque
Nationale, dem British Museum, der Kaiser¬
lichen Bibliothek zu St Petersburg, der König¬
lichen Bibliothek zu München und der zu Berlin.
Am 23. Februar 1597 schrieb Bodley an
den Vice-Chancellor der Universität den be¬
rühmten Brief, der in großer Versammlung am
2. März verlesen wurde und in dem er sagte:
. .. „Da nun ehemals eine öffentliche Bibliothek
in Oxford existierte, an die uns noch, wie Sie
wissen, der verbliebene Raum erinnert und die
Statuten und Akten, so will ich die Mühen
und Kosten übernehmen, dieselbe wieder in
ihren früheren Zustand zu versetzen“. Dieses
hochherzige Angebot wurde natürlich mit Be¬
geisterung aufgenommen, und eine lebhafte
Korrespondenz schloß sich weiteren Briefen
Bodleys aus dem März desselben Jahres an, in
denen er den Wunsch äußerte, daß eine
Kommission ernannt werde, die die beste Art
der Ausstattung der Bibliothek beraten sollte,
und in denen er auch ein Angebot seines
Colleges, Merton, erwähnt, das nötige Holz zu
beschaffen. Im ganzen Lande machte natür¬
lich Bodleys Angebot und die Energie, mit
der er ans Werk ging, von sich reden; junge
begeisterte Autoren, wie z.B. Richard Haydocke
vom New College, widmeten ihm ihre Werke
(Haydocke seine Übersetzung von Lomazzos
Abhandlung über die Kunst des Malens mit
einem guten Porträt Bodleys auf dem Titel),
bedeutende Männer schrieben sich darüber,
und viele von ihnen dachten schon ernstlich
daran, welche wichtigen Bücher sie stiften sollten,
um sich dadurch einen Platz in der Rolle der
Wohltäter zu sichern.
Über zwei Jahre vergingen mit der Aus¬
stattung der alten, schönen Bibliothekshalle von
26.20 m Länge und von verhältnismäßig großer
Breite (9.75 m), an die erst später die Quer¬
hallen angegliedert wurden. Zehn Fenster aut
jeder Seite spenden reichliches Licht für die
Büchergestelle, die zwischen ihnen im rechten
Winkel zur Wand noch heute so wie zu Bodleys
Zeiten aufgestellt sind. Es sind in der Tat noch
dieselben Regale, neun 2,55 m hohe und ein halb
hohes Regal auf jeder Seite; wir sehen noch
Überreste der Vorrichtungen fiir die Stäbe, an
denen die Ketten der Bücher liefen, und die
der Neuzeit angehörigen Pulte ruhen auf den
ursprünglichen großen, ornamentierten Trägern,
während die eisernen Haken noch vorhanden
sind, mit denen die alten, 28 cm tiefen Pulte,
wenn hochgeklappt, festgehalten wurden. Eine
kurze Beschreibung des Raumes vor Anfügung
des Ostflügels gibt Cowley. Völlig modern sind
das niedrige hölzerne Gittertor, welches die
Besucher von dem größeren Teil der Bibliothek
abschließt, die Heizrohren und die Porträts an
den Wänden. Der Fußboden ist auch neueren
Datums, einige Zoll über dem alten, der etwas
tiefer als die Nischen auf jeder Seite lag. Die
Ostwand hatte ein großes Fenster mit Nischen
und die West wand war ganz ohne Fenster. Die
Bücher, ohne Zettel auf den Rücken, standen mit
den Seiten dem Leser zugewandt und waren an
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
103
Ketten befestigt, die an Stäben hingen, Manu¬
skripte gemischt mit gedruckten Büchern, haupt¬
sächlich der Größe, jedoch auch den Disziplinen
nach geordnet. Senkrechte, kleine Eisenplatten
mit kurzen Röhren hielten die Stäbe an den
äußeren Enden fest und waren durch Schlösser
zu öffnen oder zu schließen. An der Seite jedes
Gestelles war ein in der Mitte geteilter Rahmen
angebracht, der die Liste der auf dem be¬
treffenden Gestelle auf beiden Seiten unter¬
gebrachten Bücher enthielt.
In jeder Nische stand zwischen den Bücher¬
gestellen eine Doppelbank, mit einer ornamen¬
tierten Seitenlehne am inneren, dem Gange
zugewandten Ende. Die Pulte waren breiter
und aus einem Stück, nicht dreigeteilt wie
jetzt, und waren, wie bereits erwähnt, zum Auf¬
klappen eingerichtet Scheinbar wurden an¬
fänglich keine Bücher unterhalb der Pulte
auf die Regale gestellt, wie auch in vielen
anderen Bibliotheken jener Zeit, sondern es
geschah dies erst später, als der Mangel an
Platz immer größer wurde und als man es
aufgab, die Bücher an Ketten zu legen, eine
Einrichtung, die man in der Bodleiana 1757
abzuschaffen begann. Aus den Konten ersehen
wir, daß 1761 für das Fortnehmen der Ketten
von 1448 Büchern 724 Pence gezahlt wurden;
1769 wurden einige lange Ketten für je 2 Pence
verkauft, kurze zu i f / 2 Pence, und en masse
19 Zentner als altes Eisen für 14 Schillings der
Zentner. Die beiden Archive rechts und links
mit den halb aus durchbrochener Metallarbeit
bestehenden Türen scheinen die „grated
places,“ „grated roomes“ oder „grates“ zu sein,
von denen Bodley in seinen zahlreichen Briefen
an den Bibliothekar James spricht, zu welchen
schon damals die Leser keinen Zutritt hatten,
und in denen daher die Bücher nicht angekettet
wurden; dafür sollte jede Tür zwei „hübsche,
kleine Riegel haben, einen über und einen unter
dem Schlosse“. Die beiden, diesen benach¬
barten Studierräume der Bibliothekare sind
höchstwahrscheinlich identisch mit den zwei
„Closets for better bookes“, für welche auch
„chests“ oder „window desks“ unter den
Fenstern angebracht wurden.
Was die Einrichtung vor allem so lange
verzögerte und beträchtlich über Bodleys An¬
schlag hinaus verteuerte, war die notwendige^
gründliche Renovation des gesamten Daches,
das in sehr schlechten Zustand geraten war.
Bodley ersetzte es durch die noch heute mit
Recht so viel bewunderte Konstruktion. Die
Kreuzbalken und Streber sind reich mit ge¬
schmackvoll geschnitzten Arabesken geschmückt
Zwischen ihnen ist die Decke durch geschnitztes
Rahmenwerk gleichmäßig in Vierecke zerlegt,
von denen ein jedes in Farben gemalt das
Wappen der Universität trägt: eine aufge¬
schlagene Bibel mit sieben Siegeln zwischen
drei Herzogskronen und mit den Worten
„Dominus illuminatio mea“ auf den aufge¬
schlagenen Seiten. Die Knäufe der Kreuzungen
des Rahmenwerkes zeigen das Wappen Bodleys.
Eine ähnliche Decke wurde dann auch bei
Errichtung des Ostflügels der Bibliothek 1610
bis 1612 dort angebracht, ebenso wie in der
Galerie (erbaut 1613—1617). Im letzteren Falle
jedoch hatte man das Dach so schlecht werden
lassen, daß es nicht mehr repariert werden
konnte und 1831 ganz entfernt werden musste,
wobei man es dann leider durch eine einfache,
gegliederte Stuckdecke ersetzte.
Nachdem im Laufe dieser Jahre schließlich
alle die zahlreichen Schwierigkeiten überwunden
worden waren, die sich einem solchen Unter¬
nehmen boten und von denen der Kampf mit
den Unbilden der Witterung und die Be¬
schaffung der geeignetsten Bauleute und
Schreiner nicht die geringsten waren, konnte
Bodley am 25. Juni 1600 wieder an den Vice-
Chancellor freudige Nachricht geben, daß, da
alles jetzt für die Aufnahme einer bedeutenden
Bibliothek fertig sei, er sich energisch an das
Zusammenbringen einer solchen machen werde,
und daß er ein großes Register, eine Art Ehren¬
rolle, angelegt habe, in das die Namen aller Wohl¬
täter und Stifter nebst den Einzelheiten ihrer
Gaben eingetragen werden sollten. Diese zwei
großen Foliobände aus Pergament sind uns noch
erhalten und ihr Inhalt ist von ungemeinem In¬
teresse und von großer Wichtigkeit für die Ge¬
schichte der Bibliothek und die der zahlreichen
Gönner. Der jetzige Einband stammt aus den
Jahren 1649—1650; die vergoldeten silbernen
Buckel jedoch, mit den Wappen Bodleys und
der Universität, sind noch die ursprünglichen.
Viele der Eintragungen sind mit den farbigen
Wappen der verschiedenen Stifter geziert;
Band I umfasst die Jahre 1600 bis 1688, auf
den ersten neunzig Seiten die gedruckte Liste
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Degener, Die Bodlcian Library in Oxford.
104
„The Long Gallery".
Das dritte Stockwerk der Gebäude des „Schools Quadrangle", dessen Decke ehemals (bis zur Renovation 1831) ähnlich der Decke der
Humphreys Library geschmückt war. Enthält eine Sammlung von Gemälden und Modellen usw., die der Bibliothek gehören, außerdem einen
Teil der Bücher. Vorn in der Mitte Bodleys Chest oder Schatzkasten, dahinter eine Marmorbüste Bodleys.
der ersten vier Jahre enthaltend (Bodley begann
das Register persönlich im Jahre 1600, über¬
gab es aber erst Ende 1604 der Bibliothek),
während alle späteren Eintragungen hand¬
schriftlich geschahen. Ein den ersten Band
beginnender umfassender Titel gibt volle Aus¬
kunft über den Zweck des Registers und erwähnt
auch, daß Bodleys eigene Gaben nicht auf¬
gezählt seien, da er sie noch während des
Restes seines Lebens bedeutend zu vergrößern
hoffe. Band II beginnt 1692 und schließt 1795
mit Seite 216. Von 1796 an trat dann an
seine Stelle die Veröffentlichung der, wenn
auch nicht immer an Wert, so doch an Zahl
enorm gesteigerten Schenkungen in den ge¬
druckten jährlichen Ankaufskatalogen und Ab¬
rechnungen, und heutzutage werden nur noch
die bedeutendsten in den „Annual Reports to the
Curators“ erwähnt. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß auch in den ersten beiden Registerbänden
viele Gaben ausgelassen worden sind, sei es,
daß man allmählich sehr verwöhnt wurde, sei
es durch bedauerliche Nachlässigkeit der mit
den Eintragungen betrauten Personen. Nach
Bodleys Bestimmungen hätte der Bibliothekar
alles eintragen sollen, doch finden wir in den
Korrespondenzen usw. oft berechtigte Klagen
über die Rückständigkeit dieser Arbeiten.
Wenn nun die feierliche Eröffnung auch
erst mehr als zwei Jahre später stattfand, so
können wir doch mit einigem Rechte schon vom
Datum jenes Briefes, vom 25. Juni 1600 an, das
Bestehen dieser ältesten öffentlichen Bibliothek
Europas rechnen. Bodley selbst hatte schon
seit Jahren langsam gesammelt; jetzt sandte er
seinen geschäftskundigen und tätigen Agenten,
den Londoner Buchhändler John Bill, nach dem
Kontinent und kaufte durch ihn dort, wie er
selbst es in England tat, eine für jene Zeiten
große Menge wertvoller Werke auf. Er war in
seiner Wahl sehr sorgfältig und streng; er wollte
nur die besten Werke, die besten Ausgaben
haben; er überwachte unablässig die Anschaf¬
fungen bis ins Detail hinein persönlich; denn,
kurzsichtig und bis zu einem gewissen Grade be¬
dauerlich, wie wir jetzt sein Verhalten beurteilen
müssen, konnte er keinen Grund sehen: »meine
Ansicht zu ändern, solche Bücher wie Almanache,
Schauspiele und Theaterstücke und eine Un¬
menge alltäglicher Drucksachen sehr wenig
würdiger Dinge auszuschließen; und solches Zeug
zu handhaben, für das der Bibliothekar und
Unterbibliothekar sich zu gut halten sollten , es
für irgendjemand herauszusuchen. Ihr Nutzen
wird recht gering sein, verglichen mit dem
Schaden, den der Skandal der Bibliothek bringen
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
io 5
könnte , wenn es bekannt würde, daß wir die
Bibliothek mit Ballast {Baggage Books) voll -
gestopft haben . . . Je mehr ich darüber nach¬
denke, je mehr ist es mir zuwider, daß einer
solchen Sorte von Büchern ein Platz in einer
so vornehmen Bibliothek eingeräumtwerden sollte*
Kosten scheute Bodley nie, wenn es galt, gute
Bücher zu erwerben. „Sorgen Sie sich nicht,
Jo. Bill hat überall bekommen, was der Platz
bieten konnte; denn seine Kommission war
groß, seine Zeit lang und seine Zahlung sicher,"
schreibt Bodley an James; und ein andermal
lesen wir: „Denn er (Bill) war schon in Venedig,
Ferrara, Padua, Verona, Brescia, Mantua, Pavia,
Mailand, Florenz, Pisa, Rom usw. und kaufte
für mindestens vierhundert Pfund." Und wieder
an anderer Stelle: „Da ich in meinen Hoff¬
nungen auf Bücher aus der Türkei enttäuscht
worden bin, so beabsichtige ich baldigst einen
Gelehrten, der in den hebräischen und arabischen
Sprachen sehr gut unterrichtet ist, dorthin zu
senden, zu dem ausschließlichen Zwecke, Bücher
für die Bibliothek zu suchen ...." Und es ist
auch diesen zahlreichen, ausführlichen Briefen
Bodleys an seinen Bibliothekar, Dr. Thomas
James, erster „Keeper of the Publick Library",
zu verdanken, daß wir viel über seine Be¬
mühungen um die Bibliothek und die Sorgen
eines Bibliophilen jener Zeiten lernen können.
Das Material zum Anketten der Bücher wie
Haken, Schließen und Draht besorgte Bodley
immer in London und der Bedarf daran ist
beständig erwähnt Tischler- und Maurer-
Arbeiten werden oft behandelt; der gräßlichen
Unsitte des Ausspuckens (im zivilisierten Eng¬
land unserer Zeit traurigerweise immer noch
so verbreitet) glaubt er nur durch größere
Sauberkeit des mit dem Reinigen Beauftragten
abhelfen zu können, der auch das Verschimmeln
der Bücher durch sorgsames, genau vor¬
geschriebenes Säubern verhüten solle, „denn
für meine vier Mark Lohn kann ich das wohl
verlangen". Dann sind es wieder Instruktionen,
wie James voraussichtlichen Gönnern geschickt
um den Bart gehen, andere an gegebene,
aber noch unerfüllte Versprechen erinnern soll;
oder wie er den König oder den Herzog von
Braunschweig oder den Landgrafen von Hessen
(„es hat bisher keinen anderen jungen Prinzen
gegeben, der einer Majestät und dem Hofe
willkommener war...") auf seinem Wege von
Cambridge empfangen und welche Reden er
halten solle, um die oft bewährte Gunst der
hohen Herren zu erhalten und zu neuen Be¬
weisen herauszufordem. Zur Vorbereitung eines
solchen königlichen Besuches schreibt er: „.. ..
Nachdem die Bibliothek gut gekehrt und die
Bücher vom Staube gesäubert sind, ist der
Fußboden sorgfältig zu waschen und zu trocknen
und dann mit ein wenig Rosmarin einzureiben;
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io6
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
einen stärkeren Wohlgeruch würde ich nicht
gern haben ...“ Lange hatte er sich bemüht,
außerordentliche Privilegien vom König zu er¬
halten, der ihm auch versprach, er dürfe sich
aus den königlichen Bibliotheken heraussuchen,
was er für seine Bibliothek in Oxford wünsche:
„Ich habe eine Ordre des Königs in seiner
eigenen Handschrift und unter seinem Siegel,
für die Wahl irgendwelcher Bücher, die mir in
irgendwelchen seiner Häuser oder Bibliotheken
gefallen sollten.“ Soweit wir dies aber fest¬
stellen können, scheint aus diesem äußerst
weitgehenden Privileg nicht viel Vorteil ent¬
sprungen zu sein. James selbst bekam des
öfteren Auftrag, sich um den Erwerb gewisser
Bücher zu bemühen oder in den zahlreichen
Oxforder Buchläden nach solchen zu fahnden,
und beständig hatte er Listen der Neuerwerb¬
ungen an Bodley zu senden, der diese dann
an seine Agenten weitergab, um möglichst
den Ankauf von Duplikaten zu vermeiden;
soweit sich solche ansammelten, wurden sie
bei günstigen Gelegenheiten an Bodley von
Oxford, zwischen Heu und Papier in großen
Fässern wohlverpackt, zurückgesandt und ent¬
weder ausgetauscht oder verkauft. War es die
Schuld von James, der mit seinen Listen oft
rückständig war oder dieselben nicht genau
ausschrieb, oft übersehend, daß dem Brauche
jener Zeiten gemäß mehrere Schriften, sehr
häufig ganz verschiedene Thema behandelnd,
in einen Band zusammengebunden wurden,
so vergaß Bodley nicht, ihm dies zu verstehen
zu geben; denn so hoch ihn auch Bodley
schätzte, so hielt er ihm doch seine Meinung
nicht vor und betonte oft genug die Pflichten,
die er ihm und der großen Bibliothek, der Uni¬
versität und der ganzen Welt gegenüber habe.
Einen ewigen Kummer bereiteten ihm die
mangelhaften Kenntnisse James* im Hebräischen,
in welcher Sprache Bodley wie in vielen an¬
deren ein Meister war, noch von jener Zeit her,
als er in Genf studierte und im Merton College
lehrte und alte Manuskripte transkribierte. „Die
hebräischen Titel sind so falsch, daß man sie
mit Feder und Tinte gamicht verbessern kann;
man muß sie ganz neu schreiben; die Sache ist
ja so einfach“; so und ähnlich lauten seine Klagen.
Bald fing auch James an, sich über die Bürden
seiner Stellung zu beschweren, die für ihn zu
groß würden, und verlangte nach einem Assi¬
stenten. Bodley konnte das nicht einsehen,
schob späterhin die Schuld auf James’ unbe¬
gründete, öftere Abwesenheit ohne sein Wissen
oder auf seine Privatstudien, zu denen er ihm,
als seinen Pflichten der Bibliothek gegenüber
zuwider und schädlich, nur sehr ungern Er¬
laubnis gab; am meisten aber fürchtete er von
der Anstellung eines Unterbibliothekars Unsicher¬
heit für die Bestände der Bibliothek, die ja schon
früher mehrfach bestohlen worden war, selbst
von hochgelehrten Herren, so daß es schwer
schien, einen wirklich vertrauenswürdigen Mann
zu finden. Gegen 1607 trat endlich der erste
Sub-Librarian in der Person des Mr. Philip Price,
M. A., ein. Auch zur strengen Einhaltung der
Tage und Stunden, vor allem in den Univer¬
sitätsferien, an denen die Bibliothek für Leser
geöffnet sein sollte, mußte Bodley in seinen
Briefen verschiedentlich aufmerksam machen.
„Ich möchte meinen, es wäre wünschens¬
wert, daß in der Bibliothek gar keine Ferien
sein sollten .... mit Rücksicht auf die lange
Zeit, welche gute Studenten verlieren würden,
und da anzunehmen ist, daß solche Herren und
Fremde, die einige Zeit an diesem Platze zu
verbringen wünschen, vor allem die großen
Ferien dazu erwählen werden.“ So ist es ja
auch noch jetzt und in noch viel größerem
Maßstabe der Fall, da nicht nur die beson¬
deren Einzelstudien, sondern auch die Sommer¬
ferienkurse und die Ferien Vorlesungen für aus¬
ländische Lehrerinnen Hunderte von eifrigen
Studierenden nach Bodleys geheiligtem Schatz¬
hause ziehen. — Eine andere, wiederholt er¬
teilte briefliche Mahnung war es, unter keinem
Vorwand irgendein Buch auszuleihen: „ ... so
soll es jetzt auf keinen Fall geschehen, nach¬
dem die Statuten festgesetzt sind, weder für
ihn (Sir H. Savil, der darum nachgesucht hatte),
noch für irgend jemand, unter keinen Umständen.
Denn es kann nur absurd erscheinen und wie
ein Hohn, daß ein sorgfältiger Urheber guter
Regeln und Statuten der erste Verletzer der
Hauptpunkte werden sollte . ..“ Noch oft ist
dieses Thema diskutiert worden, und es werden
sich wohl immer wieder Vorkämpfer für den
Vorschlag finden, wie in alten Zeiten gegen
Pfand oder Bürgen Bücher aus der Bibliothek
auszuleihen. So weit es sich um Duplikate
handelt, kann man dieser Idee auch gern
zustimmen, im übrigen jedoch dürfte es eine
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
107
Ungerechtigkeit sowohl gegen die vielen Gönner
sein, die Bücher unter den bestehenden Be¬
dingungen schenkten, wie auch gegen die Leser,
die oft von weither nach Oxford kommen und
dann zu ihrem Nachteil finden würden, daß das
betreffende Manuskript oder Buch ausgeliehen
ist Bei einigen der großen Schenkungen
haben die Stifter allerdings besonders aus¬
bedungen, daß ihre Bücher unter bestimmten
Voraussetzungen entliehen werden können; so
z. B. der Earl ofPembroke, 1629, für eine An¬
zahl Manuskripte, Sir Thomas Roe, 1629, für
sechsundzwanzig griechische und drei andere
Manuskripte, Sir Kenelm Digby 1654. Einige
Ausnahmen wurden dann doch gemacht, zum
Teil unter Druck, wie 1654 an Seiden gegen
eine Kaution von £ 100; an Dr. Marshall, 1675,
Manuskripte „Homiliarum Saxonicarum quattuor
Volumina antiqua“ (geschrieben kurz nach der
normanischen Eroberung), die durch Marshalls
schnellen Tod fast verloren gingen, da er sie
an „Junius“ verliehen hatte, der sie behielt
und unter dessen Büchern sie bei seinem
Tode mit in die Bodleiana zurückkamen. Am
25. Oktober 1861 wurden zwei Manuskripte:
„Historia Hierosolymitana“ der französischen
Regierung durch Senatsbeschluß geliehen. 1886
wurde jedoch Bodleys Bestimmung feierlich
erneuert und noch dahin erweitert, daß kein
einziges Buch die Bibliothek verlassen dürfe,
da durch das Ausleihen verschiedene verloren
gegangen seien; und am 25. Oktober und
10. November 1887 wurde nochmals jedes
Recht des Verleihens irgendwelcher Bücher,
mit Ausnahme geringer Fälle, ein für allemal
abgeschafft.
Anlaß zu einer ziemlich lebhaften und er¬
hitzten Korrespondenz zwischen Bodley und
James, die fast zum Bruch zwischen beiden
führte, gab des letzteren Begehren nach höherer
Bezahlung anstatt der £ 5. 13. 4. vierteljährlich,
ein Verlangen, das mit dem für Bodley viel
schmerzlicheren Wunsche seines Bibliothekars
zusammenhing, Bodleys Statuten zu brechen
und sich „sehr unzeitgemäß und unvernünftig“
zu verheiraten. Was das Salär anbetraf, so
hatte Bodley schon eine Erhöhung vorgesehen,
„jedoch mit Bezug auf Ihre Heirat, so möchte
es doch geschehen, daß ich unter keinen Um¬
ständen darein willige, da ich es für absurd
halte ....“ Seine Vorliebe für James ließ ihn
schließlich seine eigenen Vorschriften übertreten
(die aber späterhin „unverletzlich“ innegehalten
werden sollten), und er willigte in die Heirat
ein, „obwohl ich niemals etwas mit größerem
Unwillen tat . . .“
Während dieser Anfangsjahre wie auch
später, soweit ihn Krankheit nicht behinderte,
war Bodley ein häufiger Besucher Oxfords, oft
nur für einen Tag, um selbst nach dem Rechten
zu sehen. Überall fand seine Aufopferung ge¬
bührende Anerkennung; Charles Fitzgeoffrey
besang z. B. den novae bibliothecae Oxon.
instauratorem“ in lateinischen Versen in seinem
kleinen Bande Epigrammata, und viele andere
Autoren folgten diesem Beispiele oder dedi-
zierten ihre Werke Bodley oder der Bodleiana.
Die Gaben an Geld und Büchern liefen reichlich
ein, vor allem zunächst von Herbert Westphaling,
Bischof von Hereford, Blound Lord Mountjoy,
Lord Cobham, Walter Cope; 81 wertvolle
Manuskripte kamen vom Dean und Konsisto¬
rium der Kathedrale zu Exeter, sodaß die
Büchergestelle sich schnell füllten. Am 8. No¬
vember 1602 konnte zur offiziellen Eröffnung
der Bibliothek geschritten werden, die schon
den glänzenden Bestand von 2500 wertvollen
Manuskripten und Drucken ihr eigen nannte
und von diesem Tage an zunächst den Mitgliedern
der Colleges und Halls, dann auch allen genügend
qualifizierten Personen zur Verfügung gestellt
wurde. Die Bezeichnung „publica bibliotheca“
scheint als gleichbedeutend der Bezeichnung
„communis bibliotheca“ betrachtet worden zu
sein, wie die alte Bibliothek genannt worden war,
als der ganzen Universität gemeinsam gehörig
zum Unterschied von den College-Libraries. In
der Vorrede zum ersten Katalog von 1605 gibt
James dann der Bibliothek gewissermaßen einen
nationalen, ja sogar internationalen Charakter
in den folgenden Worten: „Scire vis utendi
copiam? omnibus et singulis (ne peregrinis ex-
ceptis) de quibus bene sentit Academia, prae-
stito prius juramento de fide erga libros prae-
standa, Musarum janua aperta est, ingrediantur
et studeant quam diu velint“. Nachdem man
sich in der St. Marys Kirche versammelt hatte,
um über die Ordnung der Zeremonie zu be¬
raten,begaben sich der Vize-Kanzler, die Proktors,
die zur Überwachung der Bibliothek ernannten
Delegierten, zahllose Doktoren und Magister
und die vielen Gäste mit Bodley an der Spitze
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
Haken, wie er seit Bodleys Zeiten in Duke Humphreys Library zum
Auf halten der Tische an den Regalen benutzt wurde.
(Aus Clark, The Care of Books.)
in imposanter Prozession nach der Bibliothek,
an derem Eingänge Thomas James sie mit
einer kurzen Ansprache, „in quatribus ferme
versibus amplexus est omnia“ empfing. Ob
bei der Neueröffnung der Universitätsbibliothek
irgendwelche Bände aus ihrer zerstörten Vor¬
gängerin vorhanden waren, ist, wie Mr. Cowley
schreibt, noch nicht gelungen festzustellen. Mit
der Zeit kehrten auf jeden Fall außer den drei
oben erwähnten nach Cowley noch die folgenden
Werke zurück: 1634 gab Laud Msc. 558, ein
medizinisches Werk, in den Jahren 1459—60 im
Aufträge des Dean Gilbert Kymer von Salisbury
geschrieben und zwar zweifellos zum Geschenk
für die alte Universitätsbibliothek; — 1659
sandten Seldens Testamentsvollstrecker Msc.
Seiden B. 50, ein Kommentar zu Juvenal, ein
Geschenk des John Tiptoft, Earl of Worcester,
eines bekannten Beschützers der Wissenschaften
und besonderen Gönners der Bibliothek; — im
Jahre 1671 wurden die Mssc. Holton 15 und
36 gekauft, das erstere ein Sammelband mit
Eintragungen über das Ausleihen desselben
gegen Pfand 1461 — 1465, das zweite, Werke
des Nicholaus de Clemengiis, mit vier hand¬
schriftlichen Eintragungen des Herzogs Humph-
rey. Im Jahre 1897 wurde schließlich das
Msc. Duke Humphrey B. 1 erworben: Capgraves’
Autograph seiner Erklärung des Exodus. Das
Forschen nach den Resten der seiner Zeit
unglücklicherweise so in alle Winde zerstreuten
großen Sammlung ist wunderbarerweise erst
neuerdings ernsthaft begonnen worden, und wir
dürfen wohl hoffen, daß noch manches wert¬
volle Manuskript identifiziert werden wird.
Vom Eröffnungstage an traten auch Bodleys
Satzungen für die Verwaltung der Bibliothek
in Kraft, in der sie sich bis auf den heutigen
Tag, in Sinn und Form kaum wesentlich ver¬
ändert, erhalten haben. Die erste Niederschrift
derselben von Bodleys Hand finden wir auf
dem Archiv der Universität, und Heame
hat sie in seinen Reliquiae Bodleianae (1703)
abgedruckt Eine besonders dafür eingesetzte
Kommission beriet sie auf das sorgfältigste und
legte ihre Arbeit am 12. Juni 1610 dem ge¬
samten Senat vor, der diese endgültige Fassung
auch annahm, zu gleicher Zeit bestimmend,
daß jeder, der zur Bibliothek zugelassen wurde,
eine Steuer von 12 Pence zahlen mußte:
8 Pence für den Bibliothekar und 4 Pence
für den Unterbibliothekar. Dieses (einmalige)
Eintrittsgeld unterlag im Laufe der Jahre ver¬
schiedenen Schwankungen und wurde mit den
Matrikulationsgebühren verschmolzen, von denen
heute ein Teil der Bibliothek zu den Unter¬
haltungskosten überwiesen wird. So zahlten
z. B. 1632 vier Studenten (Untergraduates) für
Zulaß als Leser für die Jahre 1631—32 je 40
Schillings, und andere zahlten im folgenden
Jahre das gleiche; um 1713 wurden von Fremden,
denen die Benutzung der Bibliothek gestattet
wurde, je neun Schillings erhoben, wovon der
Bibliothekar 1 s., der zweite Bibliothekar 3 s. 6 d.,
der Kastellan 1 s. 6 d., der Registrar 2 s. und
der Diener des Proctor 1 s. bekamen. Gewöhn¬
liche Besucher, die nicht zum Lesen berechtigt
waren, sondern sich die Bibliothek nur ansehen
wollten, mussten an den Diener von 1720 an
je einen Penny entrichten, eine Gebühr, die
allmählich stillschweigend auf 1 s. stieg, bis
sie von den Kuratoren Mitte der sechziger
Jahre des XIX. Jahrhunderts auf drei Pence
festgesetzt wurde. Diese Besuchergebühr ist
heute die einzige noch erhobene direkte Ab¬
gabe, gering in Anbetracht der tatsächlich
kundigen und entgegenkommenden Führung
durch die Bibliothek, die Picture-Gallery, die
Radcliffe-Camera und zu der, eine herrliche
Aussicht auf Oxford gewährenden Laterne der
Camera. Die Beisteuer der Dozenten der Uni¬
versität ist schon seit Jahren zusammen mit
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
109
anderen für die Bibliothek besonders beiseite
gesetzten Abgaben von der Universität über¬
nommen und in dem Budget durch den festen
Zuschuß von jetzt £ 4165 ersetzt worden. Aus¬
länder oder andere der Universität nicht an¬
gehörende Personen, die zum Lesen auf der
Bibliothek nach gehöriger Qualifikation und
unter Bürgschaft zweier „Fellows“ von Colleges
zugelassen werden, sind überhaupt ganz frei
von irgend einer Abgabe. Am 21. Juni 1804
wurden verschiedene Universitätsabgaben neu
geregelt; die Gebühr der Graduates bei Zu¬
lassung zur Bibliothek wurde auf 11 Schillings
erhöht, nachdem dieselbe am 22. Januar 1780
als eine neue Einführung zur Verstärkung der
schon damals unzulänglichen Mittel für An¬
schaffungen auf jährlich 4 Schillings angesetzt
worden war, die alle zum Lesen Berechtigten
vom Ablauf des vierten Jahres nach Matri-
kulation an zu entrichten hatten.
Wie schon oben erwähnt, fehlte es nicht an
Gönnern. Der Ruhm der Bibliothek drang in
immer weitere Kreise; jeder war auch stets
einer Anerkennung und Würdigung selbst
kleiner Gaben sicher, obwohl Bodley mit Recht
alles Kriechertum streng vermied. Unermüdlich
brachte der Gründer seinen vollen persönlichen
Einfluß zu Nutz und Frommen der Bibliothek
zur Geltung. So schenkte der Earl of Essex
1600 den größten Teil der Sammlung des
Bischof Hieron. Osorius, die nach Mitteilungen
von Sir Wm. Monson, eines der Kapitäne unter
Essex, von der gegen Spanien kämpfenden
Flotte 1596 bei der Ein¬
nahme des offenen Platzes
Faro entführt und nach
England gebracht worden
war; „und viele von den
Büchern wurden der neu¬
errichteten Bibliothek Ox¬
fords geschenkt.“ 1 Sir W.
Raleigh, der Earl of North-
umberland, die Bischöfe von
Durham, Exeter und Ely,
Dame Alice Owen, der Earl
x Sir W. Monson, Account
of the Wars with Spain.
* Cowley citiert 1613, doch
wurden nach Macray die Statuten
am 12. Juni 1610 in endgültiger
Fassung angenommmen.
of Pembroke, Robert Cecil Viscount Cranbourne
und Sir George More sind einige wenige aus
der großen Menge jener, die in den ersten zehn
Jahren sei es Geld, sei es Manuskripte oder
gedruckte Bücher stifteten. Im Jahre 1604
ehrte der König den Gründer der Bibliothek
und diese selbst, indem er Bodley durch Er¬
hebung zum Knight adelte, und am 20. Juni
wurde durch königlichen Erlaß festgesetzt,
daß die Bibliothek nach ihrem Begründer
zu nennen sei: „ .... in perpetuum appelletur
Bibliotheca ex fundatione Thomas Bodley
Militis ....“, und daß sie zu ihrem Unterhalt
Grund und Boden und anderes Eigentum
besitzen und bis zur Höhe von 200 marks ver¬
walten könne. Der Name hat von diesem
Tage an nur kleinen Schwankungen unterlegen;
in dem ersten Entwürfe der Statuten, den
Bodley nach 1604 aufgesetzt hatte (abgedruckt
in Reliquiae Bodleianae) heißt es: „The Public
Library of this University“; in den endgültigen
Statuten (161 o ) 2 „Bibliotheca Publica Bodleiana“.
Wood spricht 1666 von „Bodlies Library“,
1687 von „Bodleys Librarie“, 1695 von „the
Bodleian Library“, und diese letzte Benennung
ist auch heute noch die allgemein übliche,
soweit nicht im lateinischen Begleittext dafür
von der Bibliotheca Bodleiana gesprochen wird.
Der (Ober) Bibliothekar heißt jetzt noch offiziell
„Bodleys Librarian“. —
1605 schenkte der Earl of Sackville, damals
Kanzler der Universität, die noch jetzt in der
Bibliothek links an der Wand vom Zugang zur
Das angebliche Exemplar Shakespeares von Ovids Metamorphosen. Venedig 1502. Aldus.
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IIO
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
Duke Humphreys Bibliothek aufgestellte Büste
Bodleys. Dieses Jahr war auch besonders be¬
merkenswert durch das Erscheinen des ersten
Kataloges „auctore Thomas James ibidem
Bibliothecario“ mit einer Dedikation an den
Prinzen von Wales und mit einer interessanten
Einleitung über Ursprung und Wachstum der
Bibliothek und über das Leben Bodleys. Diese
Vorrede datiert vom 27. Juni 1605; der Katalog
in Großquart umfaßt 425 Seiten nebst Appendix
von 230 Seiten und wurde von Joseph Barnes
in Oxford verlegt. Manuskripte und gedruckte
Bücher waren zusammen aufgefuhrt, so wie sie
auf den Büchergestellen standen, eingeteilt in
Theologie, Medizin, Rechtswissenschaften und
Philologie mit Philosophie. An Ausländer wurde
dieser Katalog fiir zwölf Pence, die gleichzeitig
zum Zutritt berechtigten, verkauft, und nach
dem Besucherbuch wurden am 7. Februar 1624
auch zwei Exemplare an Deutsche verschenkt.
Eine neue Auflage brachte James mit Vorrede
vom 30. Juni kurz nach seinem Rücktritte im
Jahre 1620 heraus, und wir können aus der
Einleitung ersehen, wie schnell die Bibliothek
wuchs, denn er schätzte die Zahl der Bände
in diesem Jahre schon auf 16000. Für diese
neue Auflage war der Preis 2 s. 8 d., und zu¬
sammen mit dem 1635 erschienenen Appendix
und Catalogus Interpretum S. Scripturae fünf
Schillings. Der Druck allein kostete £ 112 10 s.
(Convoc. Reg. N. 23 f. 93). Die Klassifikation
war in dieser neuen Auflage fortgefallen und
die seitdem innegehaltene genaue alphabetische
Ordnung an ihre Stelle getreten. Eine gute
Vorstellung von der Vielseitigkeit der Bibliothek
können wir uns von James* Angaben machen:
3000 bis 4000 der Bücher waren französisch,
italienisch und spanisch; im ganzen waren weit
über 40 Sprachen vertreten; über hundert Folio-
und Quart-Bände in Griechisch, Lateinisch usw.
handelten über die Kriegskunst Zahlreiche,
immer größer und wertvoller werdende Kataloge
folgten diesen zwei ersten; wir werden darüber
später berichten.
Im Jahre 1606 trafen die ersten chinesischen
Bücher ein, zu denen sich dann noch eine sehr
beträchtliche und wertvolle Menge anderer ge¬
sellten, ebenso wie Chinesen selbst, von denen
einer Oxford im Jahre 1687 besuchte und An¬
laß zu einer Unterhaltung zwischen König
James II. und Hyde, dem Bibliothekar, gab, als
ersterer in diesem Jahre die Bibliothek besuchte.
1609 begann Bodley seine Stiftungen flir den
dauernden Unterhalt der Bibliothek durch An¬
kauf des Ritterguts Hindons bei Maidenhead,
das damals £ 91 10 s. und 1882, als es fiir
220000 Mark verkauft wurde, £ 220 einbrachte,
sowie durch Überweisung einigen Besitztums
in London, das 1853 für über 70000 Mark
(£ 3455 10 s.) veräußert wurde. 1610 mußte
schon an Vergrößerungsbauten der Bibliothek
gedacht werden, denn die wachsende Bücher¬
menge überfüllte den verfügbaren Raum, selbst
nachdem die Regale unter den Tischen nach
Bodleys eigenen Anweisungen besetzt worden
waren. Bodley schreckte trotz zunehmenden
Alters und häufiger körperlicher Leiden vor
den großen Mühen und Auslagen nicht zurück,
die mit einem solchen Beginnen verbunden
sind, und am 19. Juli 1610 wurde der Grund¬
stein zu dem Proscholium und dem darüber
befindlichen Ostflügel der Bibliothek gelegt,
der nach zwei Jahren schon zur Aufnahme
neuer Geschenke fertig war. Wenn auch,
neben vielen anderen, der Bischof von London
eine Summe Geldes, Ralph Sheldon £ 50,
Dr. Walter Bennet £ 5, der Lord-Treasurer im
Namen der Krone ebenso wie Lord Norreys
of Rycott das Bauholz beisteuerten, so kostete
der Neubau Bodley doch eine große Summe
Geldes. Thomas More schreibt in einem Briefe
vom 20. Oktober 1611 an Sir Ralph Winwood:
„Sir Thomas Bodley war kürzlich trotz vieler
für ihn fälligen Zahlungen genötigt, gegen
Schuldscheine zu entleihen und außerdem sein
Silbergerät für einige hundert Pfund zu verpfän¬
den und zu verkaufen, zur Beendigung seines
letzten Baues zur Bibliothek, der ihm im ganzen
£ 1200 kostet“ (nach heutigem Werte gegen
140000 Mark). Außer der offiziellen Annahme
der Statuten am 12. Juni, über die Bodley im
Oktober 1609 an den Vizekanzler geschrieben
hatte, und die am 27. Oktober desselben Jahres
vor dem Senat der Universität verlesen wurden,
war 1610 auch ganz besonders wichtig durch
das Abkommen Bodleys „founder of the
presente publique library of the University of
Oxford“ mit der „Stationers Company“ in
London, ein Abkommen, das mit dem später
folgenden Copyright (zum Schutz des geistigen
Eigentums) in engster Verbindung steht und
aus dem das letztere bis zu einem gewissen
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
III
Grade hervorging. Am 12. Dezember (bestätigt
durch den Senat am 27. Februar 1611 und
erweitert im Jahre 1612) verpflichtete sich die
Stationers Company, sicherlich erst nach langen
Präliminarien und unter vielseitigem, gewich¬
tigem Einfluß, je ein vollständiges Exemplar
aller von ihr (ihren Mitgliedern, den Verlegern)
verlegten Werke der Bibliothek zu überweisen,
unter der Bedingung, solche Bücher zum even¬
tuellen Neudruck entleihen zu können und auch
von anderen gegebene Bücher vergleichen und
kopieren zu dürfen. Das erste so gegebene
Buch kam im Jahr 1611 in die Bibliothek und
trägt Bodleys handschriftliche Notiz darüber.
Es ist ein anonymes Werk: „Christian Religion
substantiallie, methodicallie, plainlie, and profi-
tablie treatised“, gedruckt für Thomas Nean
von Felix Kingston, jetzt numeriert: 4 0 . R. 34 Th.
Dieses Abkommen wurde später durch das
Oberhofgericht, die „Starchamber“, bestätigt,
scheint aber schon 1614 und dann in erhöhtem
Maße von ca. 1630 an nur mangelhaft inne¬
gehalten worden zu sein, nach den vielen Klagen
zu schließen, die fortgesetzt von Bodleys Biblio¬
thekaren über die säumige Stationers Company,
die undankbaren und Vertragsbrüchigen Buch¬
händler und Buchdrucker, geführt wurden. Der
Vertrag (für den seiner Zeit Bodley der Com¬
pany für fünfzig Pfund Tafelsilber geschenkt
hatte) und sein Nachtrag, der auch die ver¬
änderten Neudrucke einschließt, waren jährlich
vor versammelter Company zu verlesen. Ver-
neuil, ein Hugenot aus Bordeaux, der seit un¬
gefähr 1618 Unterbibliothekar war, reiste oft
nach London, was der Kasse immer zwischen
ns. und 12 s. kostete, um sowohl allgemeine
Geschäfte der Bibliothek zu erledigen als auch
die Stationers Company aufzurütteln. 1688
unternahm Dr. Hyde, der Bibliothekar, die
Reise nach London selbst (mit einem Kosten¬
aufwand von £ 6. 5 s.), um die ausstehenden
Bücher einzutreiben und die Einhaltung des
durch das Parlament bestätigten Gesetzes zu
erzwingen. In Anerkennung der mit dem Ein¬
sammeln und Versenden verbundenen Mühen
war dem Bedel der Stationers Company schon
von 1613 an eine Gratifikation von £1. 6 s. 8d.
jährlich gezahlt worden. 1652 erhielt er für
einen Katalog der in den letzten zehn Jahren
(höchstwahrscheinlich nur von den Mitgliedern
der Stationers Company) gedruckten Bücher
eine besondere Vergütung von £ 2. — Im
Jahre 1726 schließlich emanzipierte sich die
Bibliothek in dieser Hinsicht ganz von der
Stationers Company und ernannte am 15. Ok¬
tober zunächst die Londoner Buchhändler
Will und John Innys zu ihren Agenten, an
deren Stelle aber schon am 12. November
der Oxforder Buchhändler John Brooks trat.
Die Copyright-Act hatte allmählich das ur¬
sprünglich private Abkommen ersetzt. Die erste
gesetzliche Verpflichtung der Stationers Com¬
pany, als der Vertretung sämtlicher privilegierter,
d. h. ausschließlich zur Ausübung des Berufes
berechtigter Drucker, je ein Exemplar aller
ihrer Drucke an die Bodleian Library, an Trinity-
College Library, Cambridge, und an die Royal
Library zu liefern, wurde mit Act 13 und 14
Charles II. c. 53 auf zwei Jahre festgesetzt und
dann von Zeit zu Zeit erneuert, bis zum Ab¬
schluß der „Copyright Act of 8 Queen Anne“,
1709, welche die Abgabe an neun Bibliotheken
erzwang. Es ging dies nicht ohne lebhaften,
aber vergeblichen Widerstand der Betroffenen
ab, die sich sogar bei der Vereinigung mit Irland
noch zu zwei Exemplaren mehr verpflichten
mußten, bis schließlich durch Gesetz unter
Wilhelm IV. die Zahl auf fünf reduziert wurde,
die auch gegenwärtig (5 and 6 Vict c. 45) bei¬
behalten worden ist. Die Vorteile, die für die
Bibliothek aus diesen Gesetzen entsprangen,
sind enorm, wenn auch natürlich damit manche
Arbeit verbunden und manches aufzubewahren
ist, was selbst heutzutage, wo wir so ganz
anderer Ansicht sind als Bodley in bezug auf
„Baggage Books“, als tatsächlich überflüssig
angesehen werden muß. Der Verlegerstand hat
allerdings zum Wohle der gesamten zeitgenös¬
sischen und zukünftigen Menschheit eine kleine
Extrasteuer zu leisten, für die man ihm viel¬
leicht doch noch gelegentlich mit größerem
Nachdruck und größerer Leichtigkeit in der
berechtigten Wahrung seiner Interessen auslän¬
dischen Nachdruckem gegenüber unterstützen
könnte. Nur das British Museum hat die Pflicht¬
exemplare unverlangt zu erhalten, während die
Bodleian ebenso wie die anderen drei Biblio¬
theken ihre Exemplare der betreffenden Werke
(d. h. Band, Teil oder Heft eines Bandes,
Pamphlet, Druckbogen, Musiknoten, Karten,
oder separat veröffentlichte Pläne) innerhalb
eines Jahres vom Datum des Erscheinens an
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112
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
zu verlangen haben. Um das Einsammeln,
Reklamieren und Versenden zu vereinfachen,
unterhalten diese vier Bibliotheken einen ge¬
meinsamen Agenten in London, dem die Bod¬
leian Library als ihren Anteil seit einer Reihe
von Jahren jährlich £ ioi zahlt. Schwierig¬
keiten gibt es jetzt fast keine mehr; die meisten
Verleger senden die Exemplare unaufgefordert
ein, Einberufungen werden pünktlich beachtet,
und nach Abzug jener Fälle, in denen ein An¬
spruch unberechtigterweise erhoben und ent¬
sprechend zurückgezogen wird, bleibt jährlich
kaum ein Fall übrig, der richterlicher Ent¬
scheidung bedarf. Selbst ohne diese Copyright-
Act jedoch würde die Bodleian Library fast
genau denselben Vorteil genießen, dank des
noch zu Recht bestehenden, jetzt natürlich nicht
geltend gemachten Abkommens Bodleys mit
der Stationers Company vom 12. Dezember
1610. Im folgenden Jahre, 1611, sandte
Bodley die große Glocke, die noch heutigen
Tages ihrer Bestimmung entspricht, beim Öffnen
und beim Schließen der Bibliothek die Tages¬
arbeit fleißiger Studierender ein- und auszu¬
läuten, wenigstens in der eigentlichen Bibliothek;
denn in der Camera muß diesen Zweck eine
ganz gewöhnliche, schrille Handschelle erfüllen,
die uns mehr an einen der die Straßen Londons
zur Nachmittagsteestunde durchwandernden
Muffinbäcker erinnert, statt in uns, wie der
feierliche Glockenklang in der Hauptbibliothek,
das Andenken an drei Jahrhunderte mensch¬
lichen Studiums wachzurufen. Über die große
Glocke schrieb Bodley später von Fulham
aus an James: „Was die Glocke betrifft, so
möchte ich sie neu gegossen und, falls meine
Freunde es für gut halten, etwas vergrößert
haben/* Es schien ihr nämlich ein Unglück
zugestoßen zu sein; auf jeden Fall wurden 1637
für das Aufhängen (vielleicht außerhalb der
Bibliothek über dem Gebäude) drei Pfund ge¬
zahlt, ebenso wie Glockenstricke im Jahre 1616
und öfters nachher angeschafft werden mußten.
Schließlich verschwand sie ganz und gar und
wurde erst im Juli 1866 aus einem Winkel
unter einer Treppe hervorgezogen und nach
sachkundiger Reinigung auf einen schnell dazu
angefertigten Glockenstuhl auf dem jetzigen
Ehrenplätze aufgestellt, um wieder wie ehemals
Dienst zu tun. Zur gleichen Zeit mit ihr war
Bodleys große massive, eiserne Kassette zur
Aufbewahrung der Bibliotheksgelder aufgestellt
worden, die jetzt in der Picture Gallery als
eine Kuriosität gezeigt wird.
Noch ehe der Ostflügel fertig war, trug
sich Bodley schon wieder mit Gedanken zu
weiteren Neubauten zur Vervollständigung des
riesigen Gebäudevierecks, das jetzt gänzlich
von der Bibliothek eingenommen wird, mit
Ausnahme der zwei obersten Stockwerke im
großen Turme, die dem Universitätsarchive
dienen. Es galt, die schon bestehenden, un¬
scheinbaren, halbverfallenen Bauten zu besei¬
tigen und durch andere, sich den schon errich¬
teten genau anpassende Neubauten zu ersetzen.
In einem Briefe vom 5. November 1611 an die
Universität drängte er mit Energie auf Annahme
dieses Planes und verpflichtete sich, falls die
Sache zur Ausführung komme, auf allen drei
Seiten ein gleichmäßiges, stilgerechtes drittes
Stockwerk, „eine sehr große Ergänzung für die
Aufnahme von Büchern“, aufführen zu lassen.
In seinem Testamente traf er dafür die nötigen
Bestimmungen, und die großen Initialen T. B.
in dem Simse am dritten Stockwerke ver¬
ewigen den Urheber derselben. Dienstag, den
30. März 1613, wurde der erste Stein zu diesem
Bau gelegt, am Tage nach Bodleys Beisetzung,
und Ende 1615 war das dritte Stockwerk fertig;
wenigstens findet sich am 25. November dieses
Jahres in dem Convocation-Register die Ver¬
buchung der Baukosten dafür mit £ 2497. 10 s *
Wood erzählt allerdings, daß der Bau sich
durch sechs Jahre hingezogen und daß die
Gelder von der Universität von allen Seiten
hätten zusammengebettelt werden müssen.
Bodley selbst hatte diese letzte große und
stolze Errungenschaft nicht mehr erleben können.
Sein jahrelanges Leiden an Gallenstein mit
hinzutretender Wassersucht und Skorbut, das
von seinem Arzte ganz falsch behandelt worden
sein soll, hatten ihn schon in den letzten beiden
Jahren gequält, und der rüstige Mann war sich
des nahenden Endes bewußt „Zum Zeugnis
hierfür habe ich diese Schriftstücke unter¬
zeichnet und gesiegelt mit meiner eigenen,
kranken Hand heute am 2. Januar 1613 ....“
mit diesen Worten schloß er sein Testament
In fast allen seinen Briefen an James vom
3. Juli bis zum 29. Oktober 1612 klagte er über
Krankheit Am 28. Januar 1613 verschied er
im achtundsechzigten Lebensjahre nach einem
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
1*3
tätigen, an Erfolgen und Ehrungen reichen
Dasein, auf ewig weiterlebend in seiner großen,
unendlichen Segen ausströmenden Stiftung, für
die er im Leben und nach seinem Tode wie
ein Vater gesorgt und der er fast sein gesamtes
großes Einkommen und Vermögen gewidmet
hatte. Sir John Bennet und William Hakewill
waren seine Testamentsvollstrecker, von denen
leider der erstere eine beträchtliche Summe für
sich verbrauchte. Der größere Teil des hinter-
lassenen Vermögens war für die Vollendung
der begonnenen Bauten und für eine Ausdehnung
der Bibliothek im Westen bestimmt und wurde
dementsprechend verwandt, und zwar auf den
Bau des Westflügels in der Zeit vom 13. Mai
1634—1640. Die Universität errichtete dazu
aus eigenen Mitteln und Geschenken den Unter¬
bau als neues „Convocation-House“ und „Apo-
dyterium“. Mit seiner Vollendung kam die alte
Treppe, über deren genaue Lokalität man sich
noch heute im Unklaren ist, in Wegfall und
wurde durch die neuen, jetzt allein in Be¬
nutzung befindlichen beiden Treppenhäuser in
zwei der inneren Ecken des Vierecks im S. W.
und N. W. ersetzt, die eine für öffentlichen, die
andere für Dienstgebrauch bestimmt Den
Rest seines nicht für jenen Neubau bestimmten
Vermögens hinterließ er zum größten Teil auch
der Bibliothek. £ 200 gingen an sein altes
College: Merton, eine Anzahl Legate an reiche
oder hochstehende und einflußreiche Freunde,
aber nur sehr wenig war für seine Verwandten,
von denen einige in recht bescheidenen Um¬
ständen lebten, und für seine Bedienten aus¬
gesetzt worden. In einem Briefe vom 4. Februar
1613, von einem Freund Bodleys, John Cham-
berlain, an Sir Dudley Carlton gerichtet, heißt
es, daß Bodley siebentausend Pfund der Biblio¬
thek hinterlassen habe; und nicht nur dieser
Schreiber, sondern auch andere Zeitgenossen
warfen ihm Undankbarkeit und übertriebene
Eitelkeit vor, die sich unter Hintansetzung aller
anderen Rücksichten und Verpflichtungen in
der Errichtung dieser Bibliothek zu sehr ge¬
fallen habe. Wieweit er jedoch schon zu Leb¬
zeiten, besonders auch wie weit seine vor ihm
gestoibene Frau 'schon für Verwandte usw.
gesorgt hatte, lässt sich nicht mehr feststellen;
da jedoch seine Frau durch ihren ersten Mann
ein beträchtliches Vermögen besaß, ist es
durchaus nicht unwahrscheinlich, daß sie dar-
z. f. B. 1904/1905.
über auch ziemlich weites Verfügungsrecht be¬
sessen und ausgeübt hatte.
Die Anordnung, seine Beisetzung im Merton
College mit großer Feierlichkeit und Pomp
auszufuhren und ein großes Festessen zu ver¬
anstalten, das allein £ 100 kosten sollte, ent¬
sprach nur den Sitten jener Zeit: es war der
Leichenschmaus der lachenden Eiben eines
späteren Zeitalters. Achtundsechzig (die Zahl
der Lebensjahre des Verstorbenen) arme Stu¬
denten erhielten neue Gewänder, allen Teil¬
nehmern an der Beisetzung waren schwarze
Mäntel oder Tuch für Überwurf und Mütze usw.
zu geben; „jedoch möchte ich nicht, daß die
gesamte Auslage für mein Festessen und Be¬
gräbnis die Summe von sechshundertsechsund-
sechzig Pfund dreizehn Schilling und vier Pence
übersteige“, heißt es im Testament. So zeit¬
raubend und weitläufig waren die Vorbereitungen
für die Beisetzung, daß dieselbe mit großem
Gepränge erst am 29. März stattfinden konnte.
Ein Monument an der Nordwand des Chores
der College-Kapelle bezeichnet die letzte Ruhe¬
stätte dieses großen Wohltäters der Menschheit,
dessen unvergänglichstes und vornehmstes
Monument er sich selbst in der nach ihm be¬
nannten Bibliothek errichtet hat, die heute noch
in seinem Geiste und auf fast denselben Grund¬
lagen immer weiter ausgebaut wird. Bei seinem
Tode wurde er in seltener Weise von seinen
gelehrten Zeitgenossen gefeiert; 188 Mitglieder
der Universität trugen zu den „Justa Funebria
Oxoniensis“ bei, und 52 Mitglieder des Merton
College priesen ihn in einer besonderen Samm¬
lung von Lobgedichten in „Bodleiamnema“,
denen Haies* „Oratio funebris“ angefügt wurde.
Bodley selbst hinterließ eine ziemlich umfang¬
reiche Korrespondenz, sowohl aus seiner poli¬
tischen Karriere wie aus der Zeit der Gründung
und Errichtung seiner Bibliothek her. Teil¬
weise sind sie veröffentlicht, so z. B. seine Auto¬
biographie und eine Auswahl seiner Briefe an
James, den Bibliothekar, mit zwei Briefen an
Bacon und von Laur. Bodley (dem Bruder von
Thomas) an Dr. James; vide Heame in dessen
„Reliquiae Bodleiana“. Die Bibliothek besitzt
noch eine große Menge imveröffentlichter Briefe,
und es ist zu hoffen, daß in nicht zu ferner
Zeit die gesamten Schriften Bodleys heraus¬
gegeben werden zur Ehrung des Gründers und
zur weiteren Aufklärung über die Geschichte
15
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
114
der Universität und über die politische Ge¬
schichte seiner Zeit —
Bodleys Aussaat trug reiche Früchte. Ein¬
heimische und Fremde strömten in immer
größeren Scharen herbei; an Gönnern fehlte es
nicht, viele wertvolle, alte Manuskripte und alte
und neue Bücher aus aller Herren Länder
kamen fast täglich hinzu und erhöhten be¬
ständig die Anziehungskraft der Bibliothek.
Das Arrangement mit der Stationers’ Company,
später an seiner Stelle die Copyright-Act,
brachten bei der schnell zunehmenden Tätigkeit
der englischen Verleger immer größere Mengen
herein. Verläßliche Statistiken vor 1883 exi¬
stieren leider nicht; von da an jedoch betrug
der Zugang 1 durch die Copyright-Act: 25499
Bände und Broschüren, Bücher, Zeitschriften in
vollständigen Bänden oder Heften, Atlanten und
Karten, Noten in vollständigen Bänden, Liefe¬
rungen oder einzelnen Stücken, und zum
Schmerze der Bibliothekare auch ein Stoß
Bilderbücher, Neujahrskarten und ähnliches
Zeug (ca. 2500 Stück per Jahr) i. J. 1883; 25929
i. J. 1884; 31792 i. J. 1885; 31012 i. J. 1886;
31584 LJ. 1887; 39481 i. J. 1892; 44583 i. J.
1894; 41935 i. J. 1897; 47143 L J. 1899 und
46682 i. J. 1902.
Ohne vorläufig auf den Wert des Wachstums
der Bibliothek Rücksicht zu nehmen, kann man
sich am besten über diesen aus folgenden
Zahlen ein Bild machen: Im Vorwort zum
zweiten Katalog 1620 gibt James die Zahl auf
16000 Bände an, ein Zuwachs in den achtzehn
ersten Jahren von 13500 Bänden. Eine hand¬
schriftliche Aufstellung von ca. 1649, jetzt in
dem Bibliotheksarchiv, zählt 5889 Folio-, 2067
Quart-, 4918 Oktav-Bände gedruckter Bücher
und 3101 Manuskripte, also nur 15975 im ganzen.
— Wood schätzte 1690 die Zahl der Manu¬
skripte auf 10141, doch dürfte ihm ein Irrtum
untergelaufen sein, da Bemards offizieller
Katalog von 1697 nur ca. 6700 angibt; 8
in Heames großem Tagebuch (in Manuskript)
Band XCI p. 256 findet sich folgende Auf¬
stellung fiir 1714*: „30169 vols. 05916 Mss.
1 Report from the Librarian, December 1888.
* Macray p. 157.
3 Macray p. 190,
vols., In all 36085". Ob die Zahl der Manu¬
skripte stimmt, ist allerdings sehr zweifelhaft;
bei dem früher allgemein, heute noch natur¬
gemäß bei Broschüren und Pamphleten üblichen
Gebrauche, verschiedene Werke in einen Band
zusammenzubinden, ist es immer sehr wichtig
zu wissen, ob solche Sammelbände als ein Band
(wie Heame es allem Anschein nach getan
hat) oder ob die darin vereinigten Werke ein¬
zeln gezählt wurden, wie es eigentlich bei
solchen Zählungen zweckmäßig ist, da ja nicht
die Zahl der Bände, sondern die Zahl der
Werke den Wert für den Studiengebrauch aus¬
macht. In Lascelles* „Account of Oxford 1821"
ist die Zahl der gedruckten Bücher mit
160000, die der Manuskripte mit 30000 ange¬
geben; erstere Ziffer bestätigt so ziemlich Pro¬
fessor S. P. Rigauds Angabe in einem Briefe aus
dem Jahre 1817, der 150000 zählt, die Zahl der
Manuskripte jedoch richtiger auf 10000—12000
schätzt Zur Zeit der Inauguration der Volks-
bibliotheks-Bewegung („Free Public Libraries")
verlangte das Parlament am 27. Oktober 1848
auch eine Aufstellung von Bodleys Librarian.
Am 9. Januar 1849 zählte man ca. 240000 Bände
gedruckter Bücher, doch gibt diese Aufstellung
den wirklichen Umfang der Bibliothek nur sehr
oberflächlich an, „da so viele Werke zusammen¬
gebunden worden sind", schreibt Dr. Bandinel ;
die Zahl der Manuskripte betrug ca. 21000. Auf
der Basis dieser Berechnung wurde 1867 eine
andere vorgenommen, die den großen Auf¬
schwung auf nahezu 350000 Bände zeigte, neben
einer Zunahme von ca. 5000 Manuskripten.
Diese Zahlen lassen keinen Zweifel darüber,
daß Clarkes’ Schätzung von 1819 (in seinem
„Repertorium Bibliographicum“) mit über 50000
Manuskripten eine irrige war. Auf Wunsch
der Kuratoren wurde schließlich der Bestand
von neuem Ende Januar 1885 aufgenommen und
trotz der oft unterschätzten großen Schwierig¬
keiten und der mit einer solchen Handhabung
fast jeden Bandes verbundenen enormen Arbeit
mit größtmöglicher Genauigkeit durchgefuhrt
Die Gesamtzahl der Bände, ausschließlich der
1626 Bände der handschriftlichen Bodleian-
Kataloge, belief sich auf 406159 gedruckte
Bücher und 26318 Manuskripte, außer unge¬
bundenen 1424 Manuskript-Fragmenten und
24988 Zeitschriften-Heften und Pamphleten, die
gebunden mindestens weitere 4000 Bände füllen
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Degener, Die Bodleian Librtry in Oxford.
IIS
würden. Heute, nach drei Jahrhunderten ihres
Bestehens, dürfte die Bibliothek nahezu 600000
Bände und weit über 30000 Manuskripte ent¬
halten, während die Zahl der einzelnen Werke
sicherlich über 2100000 beträgt, einschließlich
der sehr umfangreichen Kartensammlung. Den
enormen inneren und unersetzlichen Wert einer
solchen Riesensammlung, in der sich nicht nur
unter den Manuskripten, sondern auch unter
den Drucken eine große Menge Unica befinden,
und von deren Manuskripten viele noch gamicht
voll bekannt und benutzt sind, kann man schwer
überschätzen. Daß der jetzige Bibliothekar
auch Auftrag gegeben hat, alles, was unter den
Bestimmungen der Copyright-Act zu haben ist,
einzufordem (die anderen privilegierten Biblio¬
theken, außer dem British Museum, sind nicht
so genau und machen bei Platzmangel von
ihrem Recht des indirekten Refüsierens Ge¬
brauch) ist nur zu loben; denn sollte einmal
doch durch Feuer oder sonstwie die Sammlung
des British Museum ganz oder teilweise zerstört
werden, so sind die Früchte dieses Gesetzes und
die Opfer der Verleger wenigstens nicht ganz
verloren. Und wenn wir auch alle jetzt wohl
darin übereinstimmen, daß für unsere und die
nächsten Generationen die Weihnachtskarten,
die Kinderbilderbücher und Leporello-Albums,
die unzählichen, Papier und Druckerschwärze
mißbrauchenden Pamphlete vor allem in einer
solchen Sammlung ohne Wert sind, so wird
in einigen hundert Jahren der Forscher der
Kulturgeschichte, der Literatur und des Lebens
unserer Zeiten froh sein, solches Material zur
internen Kenntnis unserer Lebensweise so be¬
quem mit der gesamten Literatur an einer
Stelle vereinigt zu finden; in der Gegenwart
bauen wir weiter auf Vergangenem und leben
und schaffen für die Zukunft
Wie die Copyright-Act, so wurde das System
des Austausches um 1882 in geordnetere Bahnen
geleitet und umfaßte um 1888 über siebzig
Universitäten und Akademien; das Ergebnis
betrug 1888 gegen 3000 Dissertationen und
ähnliche Arbeiten, und es ist seitdem wesentlich
bestiegen.
Die Ankäufe bilden aber natürlich mit den
vielen Schenkungen den wertvollsten Teil der
ständigen Vergrößerung. Nachdem man bei
Anschaffungen in früheren Jahren sich an die
von Bodley selbst angegebenen Prinzipien hielt,
später jedoch von einem weiteren Standpunkte
ausging und auf allen Gebieten Anschaffungen
machte, ist man in den letzten vierzig oder
fünfzigjahren schließlich darauf zurückgekommen,
so weit es nur die leider ungenügenden Mittel
der Bibliothek gestatten, alle neuen wichtigen
ausländischen Werke zu kaufen und Lücken in
den Beständen an älterer Literatur so schnell
als möglich auszufüllen, Vorschlägen aus den
Kreisen der Leser weitgehend entgegenkommend.
Von den Anschaffungen in der Regel aus¬
geschlossen sind alle streng medizinischen
und naturwissenschaftlichen Werke, die jetzt,
mit Ausnahme von reiner Botanik in der Rad-
cliffe Library, erst im New-Museum, dann im
eigenen, modernen und schönen Bibliotheksbau
gesammelt werden, während Werke über reine
Botanik in den Botanical Gardens, und die
schöne Literatur und Werke zum Studium
moderner Sprachen vorwiegend in der reichen
Bibliothek des Taylorian Institute Aufnahme
finden, ohne die philologischen Standard-Werke
von der Bodleian auszuschließen.
Die für Ankäufe von Büchern, Manuskripten
und Münzen, in den früheren Jahrhunderten
auch von Kuriositäten, ausgegebenen Summen,
schwankten beträchtlich und die noch vor¬
handenen Rechnungsbücher geben darüber ein
mehr oder minder vollständiges Bild.
Zu den besonders interessanten oder umfang¬
reichen Ankäufen gehören, chronologisch ge¬
ordnet*, im Jahre 1640: £ 43 18 s. 10 d. für
„Books out of Italy“ an den Buchhändler
(„Stationen) Rob. Mertin; 1668: £ 44 für
hebräische Manuskripte und Bücher; 1671:
£9 10 s. für Sansons Karten; 1672: £ 50
für Joan Antiochenus’ Manuskripte; im Jahre
1673 wurde eine armenische Bibel und Testa¬
ment für £ 20 von einem Dr. Marshall er¬
worben; eine bemerkenswerte, wenn auch erfolg¬
lose Anstrengung, sich eine äußerst wichtige
Bibliothek zu sichern, wurde von den Kuratoren
im Jahre 1710 gemacht, als sie durch Dr. Rieh.
Bentley, den Erben des Dr. Isaac Vossius, für
dessen Bibliothek £ 3000 boten, für welche
Summe bald darauf die Bibliothek von der
Universität zu Leyden erworben wurde. 1742
und 1743 wurden 169 Goldmünzen für £ 158
S s. gekauft zu einem besonders niedrigen
1 Nach Macray, Annals.
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116
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
Preise, gemäß den Testamentsbestimmungen
des berühmten Altertumsforschers und Kultur¬
historikers Browne Willis. Ein billiger Ankauf
war 1750 der der Fust- und Schöffer-Bibel vom
Jahre 1462 auf Pergament, Band I, für £ 2
10 s.; der Band war leider nicht vollständig, da
einige Seiten am Schluß fehlten; als jedoch im
Jahre 1818 die Canonici-Manuskripte aus Venedig
in die Bibliothek gelangten, fanden sich auch
vierzehn der achtzehn fehlenden Blätter genau
dieses Exemplares vor. 1764 kaufte man für
nur £ 6. 6 s. die Editio princeps von Homers
Werken, Florenz 1488; 1789 wurde mit großem
Erfolg ein gedrucktes Bittschreiben, datiert vom
1. Dezember, ausgeschickt, um Gelder („on
loan“) zu Ankäufen aufzutreiben, zunächst beim
Verkaufe der Bibliothek Mapheo Pinelles zu
Venedig. 1800 sah den Ankauf wichtiger
Kartenwerke, entsprechend dem durch die
Ereignisse wesentlich gesteigerten Interesse in
Politik; £ 104 wurden für Maraldis und Cas¬
sinis zweibändigen Atlas von Frankreich, rund
£ 66 für eine Reihe des „Moniteur“ von 1789
an gezahlt Die wertvollen Manuskripte des
berühmten, am 14. September 1751 zu Amster¬
dam verstorbenen klassischen Philologen James
Philip d’Orville kosteten der Bibliothek im Jahre
1805 £ 1025; es waren 570 Bände griechische
und lateinische Klassiker, zahlreiche Text¬
kollationen, gedruckte Texte mit wertvollen
handschriftlichen Anmerkungen, 34 Bände Kor¬
respondenz von Vossius, Heinsius, Cuper, Paolo
Sarpi, Beverland und Briefe an d'Orville von
fast allen bekannten Gelehrten seiner Zeit,
38 Bände Adversaria (meistens rechtswissen¬
schaftlich) von Scipio und Alheric Gentilis, und
auch sechs türkische und arabische Manuskripte.
Die Perle der Sammlung war ein Manuskript
der Werke des Euclid, in Quarto, 587 Blatt,
geschrieben A. M. 6397 (— A. D. 889).
1804 wurde Sweynheyms und Pannartz’s
Bibel vom Jahre 1471 für £ 35 erworben;
1806 das Catholicon, Mainz 1460, für £ 63;
1808 die lateinische Bibel von Ulrich Zell,
Köln (1470) für £ 47. 5 s., und 1826 eine Stra߬
burger Ausgabe mit Mentelins’ Typen ohne
Datum für £ 94. 10 s. Eine wichtige Samm¬
lung folgte 1809 für £ 1000: Rev. Dr. Edward
Daniel Clarkes Manuskripte in deutsch, englisch
französisch, arabisch, persisch, äthiopisch, latei¬
nisch, griechisch usw., die er auf seinen weiten
Reisen an Ort und Stelle zusammengebracht
hatte und deren ältestes eine Abschrift der
Dialoge des Plato war, im Jahre 896 für den
Diakonus Arethas von Patras angefertigt, der
auch das oben genannte Manuskript des Euclid
hatte schreiben lassen.
Der größte Ankauf jedoch, den die Biblio¬
thek bis auf den heutigen Tag vollzogen hat,
fand 1817 statt. Das nötige Geld dazu wurde
von den Verwaltern der Radcliffe-Stiftung
(£ 2000) und von den Bankiers der Universität
entliehen und in vier Jahren zurückgezahlt Es
handelte sich um den Hauptteil der großen und
wertvollen Bibliothek, die der Venediger Jesuiten¬
pater Matheo Luigi Canonici (geboren 1727,
gestorben im September 1805 oder 1806) zu¬
sammengebracht hatte: 2045 Manuskripte für
£ 5444. Canonici war ein begeisterter Sammler
gewesen; zunächst von Statuen und Münzen
in Parma, das er bei der Vertreibung der
Jesuiten verlassen mußte und das sein Museum
versteigerte. In Bologna, wohin er sich dann
wandte, verstand er es, eine so wertvolle Aus¬
wahl von religiösen Wertgegenständen zu¬
sammenzubringen, daß es der Obere seines
Ordens für angebracht hielt, ihm dieselbe als
eines armen Mönches unwürdig zu verwehren,
weshalb er sie an einen römischen Prinzen ver¬
kaufte. Sein Sammeleifer war dadurch jedoch
nicht erstickt worden; er machte sich in Venedig
an die Gründung einer großen Bibliothek und
zwar mit Aufgebot aller ihm zur Verfügung
stehenden Mittel an Geld, Einfluß und Mithilfe
zahlreicher Jesuiten in aller Herren Länder. Es
hieß z. B., daß er allein über 4/000 Ausgaben
der Bibel in 52 Sprachen besaß, und Dibdin
(Bibliographical Decameron III, 429) erzählt,
daß sein Plan gewesen sei, bei Reinstitution
des Jesuitenordens diese Bibliothek dem Jesuiten¬
kollegium in Venedig zu schenken. Was die
Bodleian erwarb, waren: 1
I) 128 Bände in griechisch, meist aus dem
XV. und XVI. Jahrhundert, einige wenige früheren
Datums bis ins IX. Jahrhundert zurückgehend;
II) 311 Bände lateinischer Klassiker und Dichter
des Mittelalters, darunter ein Virgil aus dem
X. Jahrhundert; III) 93 lateinische Bibeln in Manu¬
skript, deren schönste die 1178 für die Kirche
S. S. Mary and Pancras in Ranshoven, und die
x Nach Macray, Annals p. 30a
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
117
in Frankreich von 1507 bis 1511 in fünf Bänden
geschriebene und illuminierte sind; IV) 232 Bände
lateinische Kirchenschriftsteller und Kirchen¬
väter; und V) 576 Bände lateinische Werke
über Medizin, Philosophie, Theologie, schöne
Literatur usw.; aber fast keine Geschichts¬
wissenschaft Dann kommt eine sechste Ab¬
teilung: 250 Bände liturgische Manuskripte,
meistens Horae, Breviaria, Psalters und einige
Meßbücher. 295 italienische und fünf spanische
Manuskripte bildeten eine andere Gruppe, von
der Graf Alessandro Mortara während seines
Aufenthaltes in Oxford einen peinlich genauen
und vollständigen Katalog anfertigte, dessen
Manuskript nach seinem Tode im Jahre 1858
für £201 angekauft und 1864 vonDr.H. Wellesley
mit einer ausführlichen Beschreibung der ge¬
samten Sammlung in Druck gegeben wurde.
Den Schluß bildete eine Sammlung von 135
orientalischen Manuskripten, hauptsächlich wert¬
volle hebräische Bücher auf Pergament eine
Anzahl biblische Werke und einige arabische
Manuskripte. Unter den Canonici-Büchern be¬
fanden sich auch fünfzehn Dante-Manuskripte,
die merkwürdigerweise, außer einem vom Ende
des XV. Jahrhunderts in der d’Orville-Kollektion
von 1805, die ersten der Bodleiana waren.
In „Notes and queries, first series, I, 154“
wird mit Bezug auf diese Manuskripte eine
amüsante Geschichte berichtet, die Girolamo
Gigli in seinem Vocabulario Cateriniano, das
noch vor Vollendung durch päpstliche Bulle
um 1717 unterdrückt wurde, ganz ernsthaft
erzählt: „In der Bibliothek zu ,Osfolk‘ (sic!)
befindet sich auch ein Manuskript der Divina
Commedia, in das ein florentiner Kaufmann,
gewissermaßen, um zur Verbreitung jener herr¬
lichen Literatur beizutragen und zur Reklame
für seine Delikatessen, eine Sendung seiner Käse
zum Export nach England eingeschlagen hatte.
Dies Manuskript kam so auf den englischen
Markt und schließlich in die Bodleiana. Es war
aber von dem Käsegeruche derart imprägniert
worden, daß es zu seiner Bewahrung vor den
Angriffen hungriger Mäuse beständig durch zwei
Fallen bewacht werden muß. Daher nennt man
es das ,Buch der Mausefallen*...“ Es bedarf
wohl kaum der Beteuerung, daß man in der
Bodleiana nichts von diesem wunderbaren Manu¬
skripte weiß. Sollten es die Mäuse doch ge¬
fressen haben? —
Andere wichtige Erwerbungen im Jahre
1817 waren noch: für £ 220. 10 s. ein Manu¬
skript von Suidas aus dem XV. Jahrhundert
und ein Exemplar der ersten gedruckten
Ausgabe des Pentateuch, Bologna 1482, für
£ 17. 10 s. Die sehr interessante und wichtige
Sammlung von lateinischen und deutschen Trak¬
taten und Pamphleten der deutschen Refor¬
mationszeit, die sich jetzt in fast einzigartiger
Vollständigkeit in der Bodleiana befindet, dar¬
unter viele Unica, wurde im Jahre 1818 be¬
gonnen mit dem Ankauf von 84 Bänden, viele
hundert Pamphlete aus den Jahren 1518 bis
1550 enthaltend, für £ 95. 15 s. Die Ankäufe
im Jahre 1819 sind bemerkenswert durch die
seltene, polnische Ausgabe der Radziwill-Bibel
von 1563, und durch die zweite Ausgabe,
Mainz 1459 (29. August), des Folio-Psalters Fust
und Schoeffers, für £ 70; [im Jahre 1824
brachte ein Exemplar dieses Werkes £ 136
10 s.; 1884 £ 4950 und würde jetzt zu noch
höherem Preise in Amerika schnell Käufer
finden], Der berühmte Codex Ebnerianus, ein
Manuskript des griechischen Neuen Testa¬
mentes, folgte 1820 für nur £ 150. Es besteht
aus 425 Blatt schön beschriebenen Pergamentes
in vorzüglichster Erhaltung, Klein-Quart, mit
elf reichen Miniaturen und zahlreichen Orna¬
menten und Zierleisten. J. W. Ebner von
Eschenbach zu Nürnberg, in dessen Besitz es
sich Mitte der ersten Hälfte des XVIII. Jahr¬
hunderts befand, ließ den alten, verdorbenen
Ledereinband mit goldenen Ornamenten, fünf
vergoldeten, silbernen Sternen und vier silbernen
Schließen durch einen kostbaren, ganzsilbemen
Einband unter Verwendung der alten Sterne
und mit Einfügung einer alten Elfenbein¬
schnitzerei (aus dem XII. oder XIII. Jahr¬
hundert wie das Manuskript) ersetzen. £ 500
wurden noch im gleichen Jahre für fünfzig
griechische Manuskripte aus dem früheren Be¬
sitz des Giovanni Saibante aus Verona aus¬
gegeben. Aus der Bibliothek des Jonas Wilh.
Te Water, Professor der Kirchengeschichte zu
Leiden, kamen 1823 für £ 375 hauptsächlich
theologische Bücher, und 1824 weitere mehr als
fünfzehnhundert Bände aus Holland von den
Bibliotheken der Gelehrten und Rechtswissen¬
schaftler Gerard und John Meermann im Haag,
meist zur Ergänzung der Lücken in aus¬
ländischer Geschichte und Rechtswissenschaft,
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118
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
für £ 925, erworben unter persönlicher Über¬
wachung des Haupt-Kurators jener Zeit Orien«
talia (Mss.) kamen 1825 aus der Sammlung
L. M. Langlis’, eines der Bibliothekare der Biblio-
th^que Royale zu Paris. Anno 1827 wurden
£ 332. 16 s. in Altona zweifellos gut angelegt
in einer sehr großen Kollektion von Universitäts-
Dissertationen, ca. 43400 Stück, meistens aus
Deutschland, viele aber auch aus Leiden und
Schweden; 1828 fügte man ihnen weitere
Tausende in 160 Bände gebunden hinzu, ähn¬
liche Mengen 1836 und 1837, vor allem aber
1846 noch 7000 Nummern solcher oft wert¬
voller Monographien und Abhandlungen, in
denen jetzt diese große Sammlung beständig
durch das oben erwähnte Austauschsystem
zwischen den Universitäten auf dem Laufenden
erhalten wird. Mit £ 350 kaufte man 1828
eine Sammlung von 153 nordischen Manu¬
skripten, hauptsächlich isländisch und dänisch,
von Finn Magnusen, und zu der jetzt so be¬
deutenden Sammlung derHebräica wurde 1829
mit dem Ankauf der berühmten David Oppen¬
heimer-Bibliothek zu Hamburg von über 5000
Bänden, von denen 780 Manuskripte, für £ 2080
der wirkliche Anfang gemacht; denn seit den in
der Selden-Bibliothek befindlichen hebräischen
Büchern (1659) war kaum etwas zum Ausbau
dieser wertvollen Abteilung getan worden. Jetzt
wurden 1845 von Professor Gesenius’ Bibliothek
zu Halle 483 Bände für £ 176. 14 s. 6 d. hin¬
zugekauft; 1848 weitere 862 Bände mit fast
1300 verschiedenen hebräischen Manuskripten
von Hermann Joseph Michael zu Hamburg (ge¬
boren 12. April 1792, verstorben 10. Juni 1846),
für £ 1030, einschließlich 110 Manuskripte auf
Pergament aus der Zeit von 1240 bis 1450;
und von 1850 an kamen fast jährlich in dieser
Richtung wichtige Neuerwerbungen hinzu, die
wir hier nicht alle aufzählen können und von
denen wir nur noch das Fragment eines Sama-
ritanischen Targum, Teile der Bücher Leviticus
und Numeri, und scheinbar das älteste der be¬
kannten Exemplare (1869 für £ 200) erwähnen
wollen. Im ganzen kann man den Zuwachs
auf diesem Gebiete allein seit 1829 auf gut
über 4000 Werke in Manuskripten schätzen,
über die Dr. Steinschneiders und Dr. Neubauers
große und vorzügliche Kataloge ausführlich
Aufschluß geben, und die schon, vor allem in
den dreißiger und vierziger Jahren, eine große
Menge Studierende der hebräischen Sprache
und Religion nach Oxford gezogen haben. —
Von 1834 bis 1841 wurden eine Anzahl frühester
Shakespeare-Ausgaben für über £ 265 erworben
(über sein Autograph weiter unten). Was Sir
Thomas als Ballast und als seiner Bibliothek
unwürdig verurteilt haben würde, dafür wurden
zum Teü 1873 ab wertvolle Bereicherung £ 101
14 s. 6 d. gezahlt, nämlich für ca. 19380
englische Pamphlete aus den Jahren 1600 bis
1820 über alle möglichen Gegenstände in Prosa
und Dichtung. — In Sanskrit-Manuskripten ist
die Bodleian jetzt ebenso eine der reichsten in
der Welt wie in den anderen Departements,
und obwohl sich schon seit 1666 eine große
Anzahl angesammelt hatte, meist unter den ver¬
schiedenen, geschenkten Sammlungen, so wurde
der wirkliche Anfang in großem Stile doch erst
1842 durch Ankauf der Sammlung von 616
Werken für £ 500 gemacht, darunter 147 Manu¬
skripte der Vedas, die Professor H. H. Wibon
in Indien zusammengebracht hatte. Außer
durch laufende Zukäufe wurde dann diese
Kollektion besonders durch die des Prof. Dr.
H. Mill 1849 für £ 385 (145 Sanskrit und 15
andere Mss.) und durch die 463 Manuskripte,
die Dr. E. Hultzsch in Madras gesammelt hatte
und für £ 200 verkaufte, vergrößert — 1843
brachte sechsundzwanzig äthiopische, siebzig
arabische und ein koptisches Manuskript: die
Sammlung des berühmten Reisenden James
Bruce aus Kinnaird für £ 1000 in die Biblio¬
thek. Die Bodleian erwarb dadurch auch ihr
zweites Exemplar von den drei bekannten
äthiopbchen Manuskripten des Buches Enoch,
die damals (und noch heute?) die einzigen
Manuskripte dieses Buches in Europa waren. 1 —
Sir William Ouseleys große Sammlung von 750
orientalischen Manuskripten, hauptsächlich per¬
sische, aber auch einige in arabisch, im Sanskrit,
Zend usw., wurde 1844 für £ 2000 erworben,
einer der größten Ankäufe, die die Bibliothek
bb zum heutigen Tage gemacht hat — Drei
Jahre später wurde ernsthaft damit begonnen,
die schon von Anfang an wichtige Kollektion
von Büchern und Pamphleten über Amerika
auszubauen, und dies geschah mit so viel
Geschick und Glück, daß jetzt die Bodleian Lib¬
rary auf diesem Gebiete sehr bedeutend bt und
* Macray, p. 344.
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
in vieler Hinsicht einzig dasteht, derart, daß
jeder Forscher in amerikanischer Geschichte
die Oxforder Sammlung unbedingt kennen sollte.
— Für Graf Alessandro Mortaras Bibliothek,
bestehend aus 1400 Bänden italienischer Lite¬
ratur in den schönsten Ausgaben und in vor¬
züglichster Erhaltung, gab die Bodleian 1852
£ 1000. Graf Mortara hatte lange Jahre in
Oxford gelebt, wo er einen weiten Kreis naher
und bewundernder Freunde besaß und wo er
sich als Privatgelehrter literarischen Studien
hingab, unter anderem auch den Katalog der
italienischen Manuskripte der oben erwähnten
großen Canonici-Sammlung verfassend. Er war
ein feiner Kenner seiner vaterländischen Lite¬
ratur und seine Sammlung bildete eine sehr
wesentliche Bereicherung der Bodleiana. — Die
bedeutendste Erwerbung im folgenden Jahre
war das einzige uns überkommene Exemplar
auf Pergament des berühmten Breviarium des
Kardinals Ximenes, von dem sogar auf Papier
nur fünfunddreißig Exemplare hergestellt worden
sein sollen, und fiir das die Bibliothek den sehr
mäßigen Preis von £ 200 zahlte. Ein weiterer
Teil der Sammlung Sir Gore Ouseleys: neun¬
unddreißig wertvolle persische und arabische
Manuskripte wurde im Jahre 1850 für £ 500
erworben; den Rest der Sammlung schenkte
im Jahre darauf, zusammen mit einigen an¬
deren Manuskripten, im ganzen 422 Bände,
Mr. J. B. Elliott. Ein Ankauf, dessen Authen¬
tizität oft bezweifelt und angefochten worden
ist, fand auf einer Auktion anno 1865 statt:
Aldus* Ausgabe von Ovids Metamorphosen,
Venedig 1502, auf derem Titelblatt das Auto¬
graph „W m Sh e “ oder wohl auch „W m Sh"“
119
zu lesen ist, das von Shakespeares* Hand sein
soll, dem dieses Exemplar gehörte. Auf der
Seite zur linken des Titels, die auf den zeit¬
genössischen Einband aufgeklebt ist, findet sich
folgende Bemerkung eingetragen: „This little
Booke of Ovid was given to me by W. Hall
who sayd it was once Will. Shakesperes.
T. N. 1682.“ Da die Echtheit des Autographen
seiner Zeit stark angezweifelt wurde, ging es
bei der Auktion für nur £ 9 an die Bodleian;
Dr. F. A. Leo hat in den Jahrbüchern der
Shakespeare Gesellschaft 1880 die Echtheit
ausführlich und mit Glück nachzuweisen ver¬
sucht. — Je £ 200 wurden für die „London
Gazette“ 1669 bis 1895 und für eine Sammlung
Londoner Zeitungen 1672 bis 1737 in neunzig
Bänden gegeben. — Die lange und wichtige
Reihe chinesischer Bücher, die 1606 begann
und beständig ansgedehnt worden war, wurde
1882 durch Ankauf von 607 Werken in 2566
Bänden für £ 110 von Mr. A. Wylie wesentlich
vergrößert. Und dies ist bis heute der letzte
Ankauf einer größeren Sammlung von Büchern
auf einem Gebiete und auf einmal geblieben.
Natürlich gehen die regelmäßigen Ankäufe an
Manuskripten, alten Büchern und vor allem an
allen wichtigen Neuerscheinungen wie von An¬
fang an so auch heute noch ununterbrochen
weiter, und zwar trotz der knappen Mittel, von
denen Saläre und Unterhaltungskosten leider
den größeren Teil verschlingen, in aufsteigender
Richtung. Das Einkommen ist ja, wie hinlänglich
bekannt, für die Aufgabe und Bedeutung der
Bibliothek recht unzureichend, und der Staat ver¬
nachlässigt hier seine Verpflichtungen dem All¬
gemeinwohl gegenüber in bedauerlicher Weise.
[Ein zweiter Artikel folgt]
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Die Porträtsammlung des Paulus Jovius.
Beiträge zur Ikonographie des Mittelalters und der Renaissance.
Von
Dr. Eugen Müntz (f).
lie die Jahrhundertfeiern der Entdeckung
Amerikas zu neuen Untersuchungen über
die Ikonographie des Christoph Colum-
bus anreizten, haben sie anderseits die
Aufmerksamkeit auf dasjenige Büdnis des großen
Seefahrers hingelenkt, welches den größten An¬
spruch auf Authentizität hat; nämlich auf das in
der Sammlung des Paulus Iovius befindliche, des
Mediziners, Praelaten, Polygraphen, gelehrten Ge¬
schichtsschreibers und eleganten Latinisten.
Bei dieser Gelegenheit erfuhr man auch, daß
die Überreste des Musaeum Iovianum noch exi¬
stieren und zwar in Como im Besitze der Familie
des Gründers.
War dieser Augenblick nicht günstig, die Ge¬
schichte dieser Sammlung aufzuhellen, unstreitig
der kostbarsten, die seit dem Sturze des römischen
Reiches zusammengebracht worden war? Weshalb
hat man vor den zahlreichen und wichtigen Fragen,
welche sie aufrollt, eine solche Aufgabe nicht zu
Ende zu führen versucht?
Ohne Anspruch darauf zu machen, den Stoff
zu erschöpfen, bin ich sicher, eine gewisse Zahl
unbedingt endgültiger Lösungen darzubieten. Dies
wird' wohl eine hinreichende Entschuldigung für
diese Untersuchung sein.
Die von mir benützten Quellen sind vor allem
die Darlegungen von P. Jovius selbst in seinen
Elogia virorum litteris illustrium und in seinen
Elogia virorum bdlica virtute illustrium , beide
Basel 1577, dann die Zeugnisse seinerZeitgenossen.
Die zahlreichsten Aufschlüsse verdanke ich jedoch
hauptsächlich der Gegenüberstellung der Bildnisse
seines Museums und der graphischen Dokumente,
aus denen sie hervorgingen.
Die Anlage einer Porträtgalerie berühmter
Männer — Herrscher, große Schriftsteller, Dichter,
Gelehrte, Künstler — war bei Jovius von seiner
Jugend an gewissermaßen eine fixe Idee. Er ver¬
wirklichte sie mit einem unerhörten Aufwande an
Eifer, Geld und Beharrlichkeit
Welchen Eingebungen folgte er, als er es
unternahm, die Sammlung zusammenzubringen,
die während eines Drittel Jahrhunderts seine
besten Kräfte in Anspruch nehmen sollte? Zweifel¬
los faßte er den ersten Plan bei der Berührung
mit dem römischen Altertum. Sollte ihm M. Terent
Varro mit seinen Imagines oder Hebdomades } die
außer dem Text siebenhundert Porträts griechischer
und römischer Berühmtheiten, jedes mit einer
Lobrede in Versen, enthielten, nicht zum Vor-
büde gedient haben? —
Aber ihm viel näher, in Italien selbst, zeigte
ihm eine ganze Reihe von Sammlern den einzuschla¬
genden Weg. v Der Gedanke, geschichtliche Büd-
nisse zu sammeln, war in der Tat nicht neu.
Lange vor Jovius hatten es Gelehrte oder Lieb¬
haber darauf abgesehen, kleinere oder größere
Bildersammlungen anzulegen. Im XIV. Jahrhundert
schmückte Giottino einen Saal des Palastes Orsini
in Rom mit Porträts berühmter Männer.
Dieses Ansehen der Büdnisse, das dem Mittel-
alter, wenn wir die Päpste ausnehmen, unbekannt
war, beweist, von welchem kleinen Ruhm die
Menschen des XV. Jahrhunderts eingenommen
waren: sie versenkten sich mit Vorliebe in den
Gedanken, ihre Züge der Nachwelt zu hinterlassen.
Der Realismus fand dadurch eine wertvolle
Stütze, denn nun entstand die Porträtkunst und
durchdrang allmählich alle anderen Arten der
Malerei.
Die Bildnisse der zwölf Kaiser waren höchst
wahrscheinlich die ersten historischen Büdnisse,
nach welchen die Renaissance suchte. E6 ist be¬
kannt, daß Petrarca eine kleine Sammlung römi¬
scher Münzen besaß, die er 1354 dem Kaiser
Karl IV. anbot Bald schmückten die kaiserlichen
Bildnisse als Gemälde oder in erhabener Arbeit
die meisten Rathäuser und Paläste in Italien,
Frankreich, Deutschland, England (Schloß zu
Hampton Court), Spanien, Skandinavien, Polen.
1540 malte u. a. Domenico Campagnola in der
Bibliothek zu Padua die Porträts berühmter Römer.
Allmählich erstreckte sich diese Vorliebe auf
historische Porträts aller Art König Karl VHL
sammelte schon eifrig die Büdnisse berühmter
Zeitgenossen.
Es ist bemerkenswert, daß die Münzen und
Medaülen mit den Bfldnissen lebender Herrscher
diesseits der Alpen sehr spät auftreten und be¬
stimmt erst durch die Propaganda von Italienern:
Peter von Maüand, Laurana, Nikolaus von Florenz,
Johann de Candida.
Unter den in Italien im XV. Jahrhundert aus-
geflihrten Porträtsammlungen verdient diejenige an
erster Stelle erwähnt zu werden, die Sixtus IV.
von den Brüdern Domenico und David Ghirlan-
dajo für die vatikanische Bibliothek ausftihren ließ.
Nach Steinmann sieht man dort heute noch die
Büdnisse der vier Kirchenväter, des heiligen Tho¬
mas von Aquino, des heiligen Buonaventuro, sowie
diejenigen des Aristoteles, Diogenes, Sokrates, Plato,
Cleobulus.
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Müntz, Die Portratsammlang des Paulos Jovius.
121
Der Herzog Friedrich von Urbino (f 1482)
ging einen Schritt weiter: er beauftragte den vlä-
mischen Maler Justus von Gent, seine Bibliothek
mit a8 Porträts von Philosophen oder Gelehrten
des Altertums, des Mittelalters oder der Renais¬
sance auszuschmücken. Die Bildnisse stellten dar:
den heiligen Hieronymus, heiligen Augustinus, hei¬
ligen Ambrosius, heiligen Gregor den Groben, Plato,
Aristoteles, Cicero, Seneca, Homer, Vergil, Dante,
Petrarca, Solon, Moses, Salomo, Bartolo, den hei¬
ligen Thomas von Aquino, Johannes Scotus, Alber¬
tus Magnus, die Päpste Pius II. und Sixtus IV.,
den Kardinal Bessarion, Euklid, Ptolemaeus, Boe-
thius, Hippokrates, Peter von Albano, Victorinus
von Feltre. Diese Porträts, von denen die meisten
jeder Authentizität ermangeln, befinden sich heute
teilweise im Museum des Louvre, teilweise im Pa¬
lazzo Barberini in Rom.
Bald fingen auch die Drucker und Verleger
an, den Werken die Porträts der Verfasser beizu¬
geben, so z. B. in dem von Paulus Florentinus
herausgegebenen, 1478 zu Maüand gedruckten
Breviarium der Dekrete und Dekretalen. In der
1490 in Venedig gedruckten Bibel ist der Über¬
setzer Mallermi, in seiner Zelle arbeitend, dargestellt
Die 1492 in Maüand gedruckte Theorie der Musik
des Franchino Gafori enthält das Porträt ihres
Verfassers. Dann finden wir die Porträts von
Boccaccio ( [Dekameron , Venedig 1490), von Ma-
succio (. Novellino , Venedig 1490), von Montagnana
(.Fasciculus medicinae , Venedig 1495). Dante ist
abgebüdet in den Ausgaben der göttlichen Ko¬
mödie von 1478 (Brescia, Florenz etc.), Savonarola
in seinen Predigten 1495, 1496 usw. Inzwischen
erschien 1497 in Ferrara das Werk des Fra Jacopo
Füippo Forestus von Bergamo: De plurimis Claris -
que sceledsque (sic) mulieribus . . . mit zahlreichen,
teils Phantasie-, teils authentischen Büdem.
Die deutschen Inkunabeln bieten uns außer
den mehr oder weniger fraglichen Porträts der
klassischen Schriftsteller diejenigen des Verfassers
des Spiegels der Weisheit, Augsburg i486, des
Kalenders , Augsburg 1489, vonGuilL Caoursin, Opera
ad historiam Rhodiorum spectantia t Ulmae 1496,
von Sebastian Brants Narrenschiff, Basel 1498.
Die Hartmann Schedelsche Chronik, (Nürnberg
1493) enthält die Porträts aller berühmten Männer
des klassischen Altertums. Adam und Jupiter, Cad-
mus, Aeneas und alle anderen sind darin in die
Tracht des XV. Jahrhunderts gesteckt Sie haben
nicht einmal die elementarsten Erkennungszeichen.
Sokrates trägt eine aufgekrempelte Pelzmütze, Nero
ist an seinem langen Barte (!) erkenntlich (Bl. CHI),
ebenso Trajan (BL CIX). Die Zeitgenossen sind
nicht besser behandelt; so gleichen die Päpste
Sixtus IV., Innocenz VHI. usw. Zug für Zug Ale¬
xander VI. (Bl. CCIJH vo.—CCLVH vo.). Als
Porträt Mohammeds IL (Bl. CCLVI vo.) bietet
uns einer der Zeichner Schedels dasjenige des
Kaisers Konstantin. Derselbe Holzschnitt stellt
zu gleicher Zeit Serapis, Faunus, Berengar, Saladin
Z. f. B. 1904/1905.
und Matthias Corvinus dar. In Frankreich finden
wir das Porträt Boccaccios im Livre des cos des
Nobles Homtnes , Paris 1483, von Guülaume de
Lorris oder Jean de Meung im Roman de la Rose
und in der Danse macabre, Paris und Lyon, von
Alain Chartier im Livre des Faits 1489, von
Vülon 1489 etc.
Kommen wir auf Italien zurück. Die Reihe
der wirklich glaubwürdigen inkonographischen Ver¬
öffentlichungen wird mit der Wiedergabe der Me¬
daillen eröffnet 1517 gab Andrea Fulvio seine
Illustrium Imagines, imperatorum ä illustrium vi-
rorum aut mulierum vultus ex antiquis numismati-
bus expressi: emendatum correptumque Opus per
Andream Fulvium diligentissimum antiquarium
(Rom, Mazzocchi, 12 0 . 130 S.).
1525 erschien in Straßburg des Hultichius
Imperatorum Romanorum Libellus (Medaillen der
römischen Kaiser und Kaiserinnen nach den Me¬
daillen, mit einigen Porträts deutscher Kaiser).
Später, 1549, erschien in Paris das illustrierte
Fragment eines Werkes von Jovius, das Leben
der zwölf Visconti. Diese Veröffentlichung übte
sicher einen großen Einfluß auf ähnliche Samm¬
lungen aus.
Der Biograph der italienischen Künstler, Georg
Vasari, der dem Jovius die Idee seiner Samm¬
lung von biographischen Notizen über die ausgezeich¬
netsten Maler, Büdhauer und Architekten der Halb¬
insel entlehnt hatte, richtete sich von der ersten 1550
erschienenen Ausgabe an nach seinem Vorbüde.
Einer ganzen Reihe von Biographien gab er als
Ergänzung Lobreden in Versen oder in Prosa zu.
Für L. B. Alberti gab er z. B. dasselbe Epigraph
wie Jovius wieder. Noch weiter ging er in der
zweiten 1568 erschienenen Auflage: unzählige Holz-
schnittbüder, von denen einige dem Musaeum
Jovianum entnommen waren, dienten ihm dazu,
jede biographische Skizze zu illustrieren.
Besonders wichtig ist der Prontuario de le
Medaglie de piü illustri e fulgenti huomini e donne
dal principio del Mondo insino al presente tempo,
con le lor vite in compendio raccolte, der 1553
von Guillaume Rouille in Lyon herausgegeben
wurde (zweite vermehrte Auflage 1577, lateinische
Ausgabe ebenfalls in Lyon 1581 mehreremale
wiedergedruckt). Der Verfasser dieser Sammlung
gibt in ziemlich fein geschnittenen Medaillons die
Büdnisse aller berühmten Persönlichkeiten vom
Ursprung der Welt bis zum XVL Jahrhundert,
darunter ganz phantastische Büder von Adam und
Eva, Noah, Sem, Ham, Japhet bis zu Paris,
Ulysses, Penelope.
1 SS9 veröffentlichte Andreas Gesner in Zürich
eine prächtige Sammlung: Imperatorum Romano¬
rum omnium orientalium ä occidentalium verissimae
imagines ex antiquis numismatis quam ßdelissime
delineatae, addita cujusque vitae descriptione ex
Thesauro Jacobi Stradae. Die großen Medaillons
16
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122
Müntz, Die Porträtsammlong des Paulos Jovius.
stellen die Kaiser von Julius Caesar bis auf Karl V.
dar; sie sind nicht alle sehr treu, stammen aber
von wichtigen Urkunden her. So sei z. B. nur
bemerkt, daß das Bild des Heraklius auf Blatt 67
die Wiedergabe des Medaillons ist, das dem Her¬
zog von Berry gehört hatte.
1560 ließ Marco Mantova Benavides von Pa¬
dua (f 1582) in Rom bei Lafreri die aus seiner
Sammlung ausgewählten IllustriumJurisconsultorum
Imagines in Kupferstich erscheinen.
Dann folgte 1569 die kostbare Sammlung von
Zanoi: Imagines quorundam principum et illustrium
virorum (Venedig).
x 573 gab Bernard Jobin in Straßburg die
Effigies Pontificum Romanorum . . . ab anno Christi
MCCCLXXVIIII ad aetatem usque nostram prae-
sidentium heraus, mit Text von Panvinio, deutsche
Übersetzung von Fischart Obwohl hie und da
unförmlich, scheinen die Holzschnitte von glaub¬
würdigen Unterlagen herzustammen. So ist z. B.
das Büd Julius II. die Wiedergabe des Rafaelschen
Porträts.
1580 erschienen in Genf die Icones , id est verae
Imagines virorum doctrina simul et pidate illustrium
von Theodor de Beza mit den Bildnissen der
Reformatoren.
Wenige Jahre später, 1585, erscheinen in Frank¬
furt die: Monumenta illustrium per Italiam, Galli-
am, Germanium , Hispanias , totum denique terra -
rum orbem eruditione d doctrina Virorum .
Wann Jovius, der Verfasser der Elogia Virorum
bellica virtute illustrium , zu sammeln anfing, ist
unbekannt Wir wissen nur, daß er seit 1521 eine
verhältnismäßig reiche Sammlung von Bildnissen
von Gelehrten besaß, u. a. von Pico della Miran-
dola, Angelo Poliziano, Marsilio, Ficino, Ermolao
Barbaro, Dante, Petrarca, Boccaccio, Leonardo
Bruni d'Arezzo, L. B. Alberti, Poggio, Argyropoulos,
Savonarola usw.
Die Art und Weise, wie Jovius seine Erwerb¬
ungen machte, war sehr einfach: er brandschatzte
seine Freunde, seine Gönner, alle diejenigen,
die mehr oder weniger auf ihren Ruf bedacht
waren oder mit seiner jetzt schmeichelnden, dann
wieder anzüglichen Feder zu rechnen hatten.
Zu dieser Zeit hatte der Gründer des Museums
wahrscheinlich auch das Programm aufgestellt,
das er bis zum Ende mit soviel Zähigkeit fest¬
hielt Dieses Programm gipfelte nicht in der Ver¬
einigung einer ikonographischen Sammlung, die
aus verschiedenen Elementen als Statuen, Büsten,
Medaillen, Bildern usw. bestand, sondern in der
Schaffung einer Galerie von Porträts, die auf
Leinwand gemalt und etwa anderthalb Fuß im
Geviert messen sollten „in linteo sesquipedali“.
Wenn die Freigebigkeit seines Bekanntenkreises
oder ein glücklicher Zufall irgend ein kost¬
bares Original (es waren solche von Mantegna,
Bellini, Rafael, Tizian und einer Menge anderer
berühmter Maler darunter) in die Hände des
Sammlers brachte, war es um so besser; aber sein
Ziel war ein größeres: da die Zahl der Originale
wesentlich beschränkt war, die Galerie aber so
vollständig als möglich werden sollte, so entschloß
sich Jovius kurzweg, alle Unterlagen, gleichviel
welcher Art, selbst die Medaillen, die er sich
in Originalen verschaffen konnte, als Gemälde
nachbilden (zuweüen nachempfinden) zu lassen.
Von den mit Hilfe von Medaillen hergestellten
Porträts wären diejenigen von Cosimo von Medici
dem Älteren, vom König Alfons von Neapel, von
Leo Baptist Alberti, von Savonarola, vom Kardinal
Ascanio Sforza zu nennen.
Zu Gunsten von Jovius sei gesagt, daß auch
Tizian nicht anders vorging, als Franz L ihn auf¬
forderte, sein Porträt zu malen. Auch er be¬
gnügte sich mit einer Medaille als Hauptunterlage,
um das wunderbare, jetzt im Louvre befindliche
Porträt zu malen. Und selbst in unseren Tagen
führen Bildhauer die Büsten unserer verstorbenen
Brüder nach einer einfachen Photographie aus.
So steht es um die Ikonographie am Ende des
XIX. Jahrhunderts!
Man hat dieses Verfahren, des die Autori¬
tät des Musaeum Jovianum in hohem Grade
schmälern könnte, bisher nicht genügend in An¬
rechnung gebracht. Es würde noch zur pinsel¬
mäßigen Wiedergabe eines Gemäldes hinreichen,
sogar zur Wiedergabe einer Büste oder Statue auf
der Leinwand; aber was soll man von Gemälden
sagen, die eine Miniatur, eine Medaille in einem
vierzig oder fünfzig Mal größerem Formate wieder¬
geben? Muß diese Übertragung nicht alle Treue
verlieren! —
Noch schlimmer: manchmal scheint es, als ob
Jovius ein Bild einzig und allein mit Hilfe von
zwei oder drei verschiedenen Unterlagen hat her-
steilen lassen, deren wesentliche Züge sich sein
Maler festzuhalten bestrebte. Wenn ich richtig
zwischen den Zeüen gelesen habe, so war dies
mit dem Porträt des Kaisers Friedrich Barbarossa
der Fall
Das ist der wunde Punkt des Musaeum Jovia¬
num. Die Ikonographen haben sich vor einem
solchen Interpretationssystem, das der individuellen
Phantasie des Kopisten soviel Spielraum gelassen
hat, sehr zu hüten.
Ich bin nicht abgeneigt zu glauben, daß der
von Jovius verwandte Maler (wofern es nicht der
vom Baseler Verleger der Elogia verwendete
Zeichner ist) zuweilen ein Emblem oder Attribut
zugefügt hat So ist Pandolfo Collenuccio (der
in Pesaro auf Befehl von Gian Sforza erwürgte
Humanist) mit dem Strick um den Hals dargestellt,
und Giuliano de Medici, das Opfer der Verschwö¬
rung der Pazzi, trägt den Dolch im Herzen.
So wenig wissenschaftlich ein solches Verfahren
auch ist, so sind hier die Bemühungen des Jovius
nicht ganz unfruchtbar gewesen. Dank seinem
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Müntz, Die Porträts&mmlnng des Paulos Jovius.
123
Zeugnisse brauchen wir keinen Zweifel mehr an
der Identifikation dieses oder jenes gemeiselten
oder gemalten Bildnisses zu haben, dessen Be¬
deutung uns sonst entgangen wäre. Darauf soll
später zurückgekommen werden.
In der Verwirklichung des ersten Teiles seines
Programms, dem Aufsuchen und der Wiedergabe
ikonographischer Dokumente, die sich in öffent¬
lichen oder privaten Gebäuden vorfanden, ent¬
faltete Iovius einen über alles Lob erhabenen
Eifer und Scharfsinn. Er benutzte die Siegesstand¬
bilder, die Grabdenkmäler von ganz Italien, die
Fresken der Kirchen, Paläste und Villen, die
Miniaturen der Manuskripte, die Medaillen, mit
einem Worte alle Materialien, die ihm der Ruf be¬
zeichnte oder die ihn sein Spürsinn entdecken ließ.
Ganz besonders merkwürdig ist der Ursprung
der Bildnisse der Sultane. Zur Zeit seines Aufent¬
haltes in Marseille hatte der berühmte Seeräuber
Chair-eddin Barbarossa dem Virginio Orsini als
Auswechselung ein Kästchen von Ebenholz und
Elfenbein gegeben, das die Bildnisse von elf Sul¬
tanen enthielt Die Sammlung stimmte vortreff¬
lich mit den, die Sultane einer früheren Zeit dar¬
stellenden Gemälden (oder Medaillen?) zusammen,
die Iovius schon besaß. Unser Sammler erreichte
auf inständiges Bitten, daß ihm Orsini seine Mi¬
niaturen lieh, um sie in einem größeren Formate
kopieren zu lassen: latioribus in tabulis ... pin-
genda.
Noch viel interessanter* war die zweite Erwer¬
bungsart: sie bestand darin, daß Iovius von seinen
unzähligen Bekanntschaften die Überlassung der
Originalporträts erlangte, die diesen gehörten.
Fürsten, Gelehrte, Künstler, einfache Liebhaber
wetteiferten miteinander, jeder seinen Stein zu
diesem Pantheon des antiken und modernen
Ruhmes herbeizutragen. Hier machte ihm der
Herzog Alfons I. von Ferrara das Porträt des
Arztes Niccolo Leoniceno zum Geschenk; dort
sandte ihm der Kardinal Ercole do Gonzaga die
Porträts seines Vaters, des Battista Mantovano und
des Pomponatius. Der Herzog Ercole II. von
Ferrara seinerseits wurde 1544 ersucht, das Por¬
trät des Alciati zu geben. Dann boten große
Herren oder berühmte Gelehrte ihre eigenen Büd-
nisse dar, so z. B. Fernando da Gonzaga (gemalt
von Domenico Giunti de Prato), Aretino (gemalt
von Tizian) und verschiedene andere.
Hier seien noch ihres Interesses wegen die
unter Nikolaus V. gemalten Fresken des Vatikans
erwähnt, die Karl VH von Frankreich, Niccolo
Fortebraccio, Antonio Colonna, Fürst von Salemo,
Francesco Carmagnola, Giovanni Vittelleschi, den
Kardinal Bessarion, Francesco Spinola und Battista
da Canneto darstellen. Diese Kopien waren auf
Veranlassung Rafaels hergestellt worden, als er
im Saal Heliodors die, wie man glaubt, von Piero
della Francesca gemalten Fresken entfernen ließ,
um an deren Stelle die Befreiung des heiligen
Petrus anzubringen; dem Julius Romanus von ihm
vermacht, wurden sie von diesem Jovius angeboten,
der sie mit begreiflichem Eifer entgegennahm.
Georg Vasari trug ebenfalls zur Bereicherung
des Museums bei, indem er Iovius die Tavola dei
Poeti antichi zum Geschenk machte.
Iovius empfing Geschenke bis aus dem Inner¬
sten Amerikas heraus; Ferdinand Cortez sandte
ihm sein Porträt kurze Zeit vor seinem Tode
(1547). In dem Testamente des Iovius ist außer¬
dem von einen Smaragd in Herzform die Rede,
welchen er von dem Eroberer Mexikos erhalten
hatte.
Aber dieser eifrige Sammler zögerte nicht,
auf eigene Kosten die Porträts berühmter Zeit¬
genossen anfertigen zu lassen, so z. B. dasjenige
des Anatomen Marc Antonio della Torre. Un¬
glücklicherweise starb della Torre, während man
an seinem Porträt arbeitete, und Iovius mußte sich
mit einem einfachen Entwurf begnügen.
Für die Persönlichkeiten nach dem XV. Jahr¬
hundert gibt Iovius nur gelegentlich die Quellen
an, aus denen er geschöpft hat, augenscheinlich,
weil diese Quellen allen zugänglich waren. Die
Aufgabe des Kritikers wird hier also eine schwie¬
rigere. Diese Reihe war überdies die kostbarste,
denn sie enthielt eine sehr große Anzahl Originale.
Obgleich Iovius am 13. Januar 1528 zum Bi¬
schof von Nocera dei Pagani in der Nähe von
Salemo ernannt worden war, verblieb er doch in
Oberitalien. In Como, seiner Geburtsstadt, er¬
richtete er sein Museum. Como hatte soviel Reize
für ihn, daß er seine letzten Jahre an den Ufern
des bezaubernden Sees verbrachte.
Iovius war darauf bedacht, das unschätzbare
ikonographische Museum, das er mit soviel Liebe
errichtet hatte, bildlich wiedergeben zu lassen.
Diese Tatsache ergibt sich aus seinem Briefe vom
14. September 1548 an Doni, in welchem esu.a.
heißt: „E volesse Dio, che di questa maniera si
potessero intagliare tutte le immagini, che io tengo
al Museo, almanco quelle degli uoraini famosi in
guerra“. (Und wollte Gott, daß ich auf diese
Weise alle die Bilder in Holz schneiden lassen
könnte, die ich im Museum habe, wenigstens jene
der berühmten Kriegsmänner.)
Tatsächlich wurden auch noch zu Iovius Leb¬
zeiten mehrere Teüe seiner Sammlung in Holz¬
schnitt wiedergegeben und zwar in Frankreich.
Iovius hatte an den Dauphin Heinrich von Frank¬
reich ein Exemplar seines „Lebens der zwölf Vis¬
conti“ geschickt, das mit prächtigen, die Por¬
träts dieser Fürsten darstellenden Zeichnungen
geschmückt war.
1549 unternahm Robert Estienne, von Geoffiroy
Tory unterstützt, die Herausgabe dieses Werkes.
Die Holzschnitte der Ausgabe von 1549 wie der¬
jenigen von 1552 zeigen eine viel feinere Aus¬
führung als die Baseler Ausgabe, von der noch
die Rede sein wird. Viele Einzelheiten an Ko¬
stümen und Nebensachen, die in den Baseler
Ausgaben fehlen, sind hier getreu wiedergegeben.
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124
Müntz, Die Porträtsammlung des Paulus Jovius.
Dagegen enthält die Ausgabe der Elogia Vi-
rorum bellica virtute illustrium , Florenz 1551,
keine anderen Holzschnitte als Initialen: man findet
nicht ein einziges Porträt darin. Das Gleiche
ist der Fall mit den Gli Elogi , vite brevemente
scritte duomini illustri di guerra (Florenz 1551):
sie enthalten außer dem Frontispiz und den Ini¬
tialen keine Holzschnitte.
Der Tod überraschte den eifrigen Sammler
in Florenz inmitten seiner Bestrebungen und
Träume: er starb bekanntlich am 11. Dezember
1552, nachdem er Anordnungen getroffen hatte,
die er für die Erhaltung so vieler Schätze für
ausreichend hielt; er hatte in der Tat in seinem
Testament förmlich verboten, daß jemals das
prachtvolle Ganze veräußert würde, das er sich
befleißigt hatte, in so vielen Jahren zusammen¬
zubringen.
vMv
Vor wie nach Iovius’ Tode sandten italienische
oder fremde Fürsten nach Como Künstler, die
mit der Nachbildung dieser kostbaren Dokumente
beauftragt waren.
Seit 1550 ließ Herzog Cosimo I. von Medici
dort Kopien ausflihren. Von 1552 an beschäf¬
tigte er daselbst zu diesem bestimmten Zwecke den
Maler Christoforo oder Christofano delT Altissimo.
Bis August 1553 hatte der Künstler 24 Porträts
kopiert Seine Kopien waren drei Zoll höher, als
ihm aufgetragen worden war. Am 7. Juli 1554
waren 26 andere Kopien fertig; jede wurde ihm
mit 5 Dukaten zu 7 Lire bezahlt
Von 1552—1568 kopierte Cristoforo delP Al¬
tissimo mehr als 280 Porträts. Aber welches
waren diese Porträts? Das ist das Problem, auf
dessen Lösung keiner meiner Vorgänger bedacht
war. Die Lösung ist jedoch infolge des Zeug¬
nisses des Vasari sehr leicht In der zweiten
Ausgabe seiner Vite de* piü eccellenti pittori etc.
(1568) gibt uns dieser Biograph das Verzeichnis
von ungefähr 200 „ritratti“ (Bildnissen), die zum
Museum Cosimos I. gehörten. Und es genügt,
einen Blick auf diese Liste zu werfen, um zu
Anden, daß sie beinahe ganz mit dem Katalog der
Sammlung des Paulus Iovius Ubereinstimmt
Es ist unmöglich, den Altissimo an Schwäch¬
lichkeit zu Übertreffen. Die von ihm kopierten
Büder des Musaeum Iovianum haben alle Kraft,
allen Ausdruck, alle Treue verloren.
Ein besonders lehrreiches Beispiel bietet das
Porträt des Leonardo da Vinci. Dieses Porträt,
das wir nur aus der Kopie in der Galleria degli
Uffizii in Florenz kennen, stammt zweifellos von
einer Zeichnung her, die sich heute in den könig¬
lichen Sammlungen zu Windsor befindet An¬
scheinend gibt der Kopist das so ausdrucksvolle,
von der Hand Leonardos selbst gezeichnete
Büdnis genau wieder, aber er hat es vollständig
verändert: vom Gesichtsausdruck bis zum Alter
der Persönlichkeit In der Zeichnung zu Windsor
sehen wir einen Mann noch in voller Kraft, mit
durchdringendem Blick und zusammengepreßtem
Munde: diese so charakteristische Physiognomie
hat sich in dem Gemälde in das Haupt eines
niedergebeugten, abgelebten Greises verwandelt
In diesem Falle kann man mit Recht sagen:
„traduttore — traditore“.
So mittelmäßig nun auch die Kopien des
Altissimo sein mögen, so zeigen sie doch
eine vernichtende Überlegenheit gegenüber den
der Baseler Ausgabe der Elogia beigegebenen
Holzschnitte, bei welchen zuerst der Zeichner und
dann der Holzschneider, der Versuchung, die
Persönlichkeiten zu dramatisieren, nachgebend,
mehr als einmal die Urbüder bis zu dem Grade
verändert haben, daß sie unkenntlich sind. Jakob
Burckhardt hat sich in seinen Beiträgen zur Kunst¬
geschichte von Italien (S. 467) etwas nachsichtiger
gegen die Holzschnitte der Baseler Ausgabe ge¬
zeigt: „Die Ausgabe in Holzschnitten kann man
öfter durch anderweitig erhaltene Bildnisse kon¬
trollieren und sie besteht dabei nicht schlecht“
Einer der seltenen gleichzeitig genauen, bestimmten
und deutlichen Holzschnitte ist das Porträt von
Caesar Borgia.
Die in Florenz beftndlichen Kopien wurden
für den Erzherzog Ferdinand (f 1595) angefertigt
Darunter waren die Bilder von Totila, Karl dem
Großen, Friedrich Barbarossa, Saladin, Albertus
Magnus, Cangrande I. della Scala, Giuliano de
Medici, John Hawkood, Ferdinand d*Avalos, Car-
magnola, Colleone, Prospero Colonna, Christoph
Columbus, J. Gattamelata, Alviano, Petrucci de
Siena, Pico della Mirandola, J. G. Trivulzio,
F. Cortez, Leva, Navarro, Ludwig XIL, der Connl-
table von Bourbon, Gaston de Foix, König Lud¬
wig IL von Ungarn, Tamerlan, Scanderbeg, Nie.
Orsini, Mulamethus Scerifus und mehrere Sultane.
Diese erst in Schloß Ambras aufgestellte, jetzt im
Museum in Wien befindliche Sammlung wurde
nach einem methodischen Plane 1576 begonnen
und gestattet, viele Lücken in der Reihe der nach
den Originalen der Sammlung von Iovius aus¬
geführten Holzschnitte zu füllen.
Eine Folge anderer Kopien wurde von Bernar¬
dino Campi für die Fürstin Hippolyta da Gonzaga
ausgeführt Man weiß nicht, wo diese Kopien
geblieben sind.
Der Kardinal Federigo Borromeo, der Gründer
der Ambrosiana in Maüand, ließ ebenfalls eine
Anzahl von Porträts kopieren.
Aber erst eine von dem Baseler Verleger Peter
Pema unternommene illustrierte Ausgabe der Elogia
setzte die an den Ufern des Comersees vereinigten
Schätze wirklich ins Licht Ihr verdankt das Mu¬
saeum Jovianum seine Popularität Perna wünschte
die Reproduktionen dieser reichen ikonographischen
Galerie allgemein zugänglich zu machen und
schickte einen Maler (Zeichner?) mit dem Auf¬
träge dahin, die interessantesten Porträts zu
kopieren. Nachdem diese Zeichnungen in Holz
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Müntz, Die Porträtsammlung des Paulus Jovius.
125
geschnitten waren, gab siePemavon 1575—1577
in zwei prächtigen Foliobänden heraus. Nagler
bezeichnet in seinem Künstlerlexikon 1847 XVTL
S. 368 ohne weiteres Tobias Stimmer als den
Zeichner der Porträts der Baseler Ausgabe.
In der Vorrede von 1575 erzählt Perna, wie
er zu der Idee kam, die Porträts der Sammlung
Iovius kopieren und schneiden zu lassen: „Has
Ioviani Musaei in omni genere literarum clariss.
virorum mutas quidem imagines, sed ad ipsum
prototypon summa fide expressas, ex suburbano
illo Novocomense, non minoribus quam in illud
traductae fuere sumptibus denuo productas, omnibus
omnium vel publicis vel privatis bibliothecis com-
municandas ... De meo vero Studio hoc unum
profiteor, qui majoribus prope, quam res mea
familiaris pateretur, impensis a nobüiss. pictore
Iovianas imagines exprimendas curavi ..."
Nach zwei Jahrhunderten, im Jahre 1780, be¬
stätigte der Graf Giovio diese Aussage; er erklärte,
daß die Zeichner oder Holzschneider, die be¬
auftragt waren, die für die Baseler Ausgabe be¬
stimmten Porträts zu reproduzieren, sich eigens
nach Como begaben, um diese Dokumente wieder¬
zugeben: „Vennero qui espressamente.“
Als praktischer Verleger hielt es Pema für
nützlich, unter den zahlreichen, von Iovius gesam¬
melten ikonographischen Dokumenten eine Aus¬
wahl zu treffen. Von den etwa 200 die Samm¬
lung der Literaturen und Gelehrten bildenden
Porträts ließ er nur 62 wiedergeben; von den
etwa 150 die Reihe der Feldherren bildenden
nur 128.
Welchen Erwägungen verdankt man diese Wahl?
Ließ man die schlecht gelungenen, veräucherten
und undeutlichen Gemälde beiseite oder opferte
man die Porträts der am wenigsten interessanten
Persönlichkeiten? Man wird sich zu der letzteren
Annahme hinneigen müssen. In der Tat erstreckt
sich die Weglassung hauptsächlich auf die Huma¬
nisten dritten oder vierten Ranges. Von den
fehlenden Berühmtheiten soll nur Erasmus hervor¬
gehoben werden. Aber sein BSdnis war diesseits
der Alpen zu verbreitet, als daß es der Baseler
Verleger für nötig hielt, es nochmals wieder¬
zugeben.
Außerdem opferte der ohne Zweifel von der
Zeit gedrängte Zeichner einfach alle Porträts,
welche den Schluß der Reihe der Gelehrten und
Literaten bildeten.
Die illustrierte Ausgabe der Elogia bezeichnet
den Gipfel des Rufes des Musaeum Iovianum.
Bis zum Ende des XVL Jahrhunderts versäumte
kein Fremder von Stande, der durch Como kam,
das Werk zu bewundern, an das der Name von
Paulus Iovius geknüpft war. Noch 1596 be¬
sichtigte es der Herzog Philipp von Pommern mit
dem lebhaftesten Interesse.
Wenige Jahre darauf, zu Anfang des XVTL
Jahrhunderts, brachte der Neubau der Aedes Io-
vianae die Vernichtung oder Zerstreuung der Fres¬
ken, Medaillen, Statuen, sowie der indischen und
amerikanischen Sammlung mit sich.
In der Folge wurde die Sammlung getrennt:
ein Zweig der Familie erhielt den Bestand an
Porträts der Literaten; die andere die Krieger¬
porträts mit einigen Porträts von Literaten, die
versehentlich in diesen Anteil geraten waren.
Unter den 1780 noch vorhandenen Porträts
waren nach dem Zeugnisse des Grafen J. B. Giovio
u. a. diejenigen von Molza, Alfons IL d’Este, Fran¬
cesco Pico della Mirandola, Giov. Manudo, Michel
Angelo, Leonardo da Vinci, Andrea del Sarto,
Valerio Vicentino, Battista Siciliano. Dagegen
waren die Porträts von Ariost und Albert de Carpi
verschwunden.
Vor etwa zwanzig Jahren, 1880, befanden sich
die Überreste des Musaeum Iovianum teils im Be¬
sitze der älteren durch den Marchese Giorgio
Raimondi Orchi und Pietro Novelli vertretenen
Linie, teils in demjenigen des jüngeren durch die
Giovio vertretenen Zweiges. Diese verkauften das
Porträt des Cosimo de Medici von Angelo Bron-
zino an den Prinzen Napoleon Bonaparte; sie be¬
sitzen noch das Porträt von Christoph Columbus.
Die Meinungsverschiedenheiten zwischen den
beiden Zweigen der Familie erschweren leider jede
Nachforschung nach den abhandengekommenen
Stücken.
Soweit das Geschichtliche des Musaeum Iovia¬
num. Nim noch ein kurzer Bericht über die Zu¬
sammensetzung desselben. Die Sammlung zerfiel
in vier Abteüungen: x. Verstorbene Gelehrte und
Dichter, 2. Lebende Gelehrte und Literaten,
3. Künstler, 4. Päpste, Könige, Heerführer usw.
Beim Tode des Iovius befanden sich in den
beiden ersten Abteilungen mehr als 200 Porträts,
in der vierten etwa 150. Was die dritte anbe¬
langt, so sind wir, da der Katalog nicht veröffent¬
licht worden ist, auf einige sehr unsichere Angaben
beschränkt Wir wissen indes aus einem Briefe
des Grafen Giovio vom 8. September 1780 an
G. Tiraboschi, daß sich die Porträts von Michel
Angelo, Leonardo da Vinci, Andrea del Sarto,
Valerio Belli und vom Musiker Battista Siciliano
darunter befanden.
Nach meinen Untersuchungen dürfte es also in
allen den Fällen nicht mehr angängig sein, auf
die Holzschnitte der Elogia zurückzugreifen, wo
man den Ausweg hat, glaubwürdigere Urkunden
unmittelbar zu Rate ziehen zu können. Diese
Urkunden sind glücklicherweise verhältnismäßig
zahlreich, und nun dürfte, nachdem die erste War¬
nung gegeben ist, kein Zweifel mehr darüber sein,
daß es den Ikonographen bald gelingen wird, das
wichtige Ganze wiederherzustellen, mit welchem
der Name Musaeum Iovianum verknüpft bleibt
Aber die Mängel dürfen uns nicht die Wich¬
tigkeit dieser Sammlung vergessen lassen, welche
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126
Müntz, Die Porträts&mmlong des Paulus Jovius.
die einzigen authentischen Porträts von Christoph
Columbus, Caesar Borgia, von so vielen Sultanen
oder anderen orientalischen Fürsten, von sovielen
Literaten oder Heerführern umschloß.
Wenn ich mich nicht täusche, dürfte hier zum
erstenmale auf den nahen Zusammenhang zwischen
den Porträts der Sammlung Iovius und den Kopien
hingewiesen sein, die sich noch in der Galleria
degli Ufftzii befinden. Es ist mir so möglich ge¬
wesen, wenigstens für die verschwundenen Porträts
auf Wiederholungen zurückzugreifen, welche sie
mit verhältnismäßiger Genauigkeit wiedergeben
und jedenfalls mit unendlich mehr Bestimmtheit
als die Holzschnitte der Baseler Ausgabe der
Elogia.
Bei den Literaten und Gelehrten gibt Iovius
nur ausnahmsweise die Herkunft der Porträts an.
Gewöhnlich erwähnt er den Begräbnisort Bei
denjenigen, deren Porträts er nicht besitzt und
die er am Schlüsse der Elogia aufzählt, gibt er
auch nicht den Begräbnisort an, was wohl dar¬
zutun bezweckt, daß er besonders auch die Grab¬
bilder heranzog.
In dieser Abteüung wurde die Galerie der
Porträts der Toten durch eine Reihe von Porträts
der Lebenden vervollständigt, nämlich: Bembo,
Battista Egnazio, J. Sadolet, G. Trissin, J. Fracastor,
H. Vida, G. P. Valeriano, Romolo Amaseo, Alciat,
M. A. Flaminio, Ph. Melanchthon, G. Vitali, Regi¬
nald Pole, Daniel Barbaro, Ant Mirandola, Phi¬
lander, Fasitelli und Basilio Zanchi. (Keines
dieser Porträts ist in der Baseler Ausgabe wieder¬
gegeben.) Diese Klasse war nach dem Alter ge¬
ordnet Bembo, geboren 1470, erschien als Äl¬
tester der Lebenden an der Spitze, und Zanchi,
geboren um 1501, als Jüngster am Schlüsse:
„Imagines autem eo seriatim ordine sedim obtinent,
ut dignitatem omnem, vel fortunae, vel generis,
ipse unus aetatis honos anteeedat“
Am Schlüsse seiner Elogia führt Iovius eine
ganze Anzahl von Männern auf, deren Porträts
er sich trotz aller Anstrengungen nicht verschaffen
konnte.
Porträtverzeichnis.
Literaten und Gelehrte.
Mittelalter: Albertus Magnus*, Baldo degli
Ubaldi*, Bartholus* Boccaccio, Dante* Petrarca*
Johannes Scotus, St Thomas von Aquino. —
Griechische Humanisten: Antonio da Lebrissa*,
Argyropoulos* Kardinal Bessarion*, Demetrius
Chalcondylas*, Emmanuel Chrysoloras*, Theodor
Gaza*, Georg von Trapezunt*, Johann Lascaris*,
Michael Marullus *, Marcus Musurus *. —Renaissance:
Donato Acciajuoh, Al. Achillini*, Andrea Matteo
Aquaviva, Rud. Agricola*, L. B. Alberti*, Hieron.
Aleander, Ambrosius der Camaldulenser, Kardinal
Ammänati, Pietro Aretino, Ariost*, Francesco Ar-
süli, Giov. Aurel. Augurello, Ermolao Barbaro*,
Antonio Beccadelli von Palermo, Füippo Beroaldo,
Bemardo Dovizio da Bibbiena, Flavio Biondo*,
Leonardo Aretino Bruni*, Guillaume Bud£*, Do¬
rn izio Calderini*, Elisio Calenzio, „Callimachus
experiens“ (Filippo Buonaccorsi)*, Antonio Cam-
pano*, M. A. Casanova*, Bald. Castiglione, G. M.
Cattaneo *, Lodovico Celio, Bartholomaeus Codes,
Pandolfo Collenuccio*, Kardinal Gasp. Contarini*,
Bernardino Corio, Agrippa Cornelius*, Lancino
Corti, Giovanni Cotta, Pietro Crinito, Pietro Can-
dido Decembrio, Filippo Decio*, Girolamo Donato*,
Kardinal Egidio von Viterbo, Erasmus, Marsilio
Ficino*, Kardinal Fisher*, Pompeo Gaurico*,
Fr. Maria Grapaldo, Pietro Gravina, Gregorio da
Tiferno, Kardinal Domenico Grimani, Guarino von
Verona, Camülo Guemo, Bened. Iovius*, Paulus
Iovius*, Benedetto Lampredi, Jacques Lefebvre
d’Etaples, Pietro Leoni*, Niccolö Leoniceno*,
Pomponio Leto*, Thomas Limacre, Cristoforo
Longolio*, Lorenzo Lorenzini, Nie. Machiavelli*,
Raf. Maffei da Volterra, Giasone del Maino*,
Giovanni Manardi*, Battista Mantovano gen. Spag-
nuoli*, Andrea Marone, Galeotto Marzio, Lor. de
Media*, Ph. Melanchthon, G. Merala, Pico della
Mirandola*, Giovanni Francesco Pico della Miran¬
dola, Francesco Maria Molza*, Thomas More*,
Andrea Navagero, Agostino Nifo, Cosimo Pazzi,
Niccolö Perotti* Fr. Phüelphus*, Albertus Pighius,
Alberto Pio di Carpi, Battista Pio, Platina* Gian
Franc. Poggio Bracdolini*, Angelo Poliziano*,
Petr. Pomponatius*, Giov. Pontano*, Guido Pos-
tumo, Jean Ruel, Rutilio, Marc. Ant Sabellico*,
Sannazar*, Savonarola*, Ercole Strozzi*, Ant Ti-
baldeo, Ant Tilesio, Leonico Tomeo*, M. A. della
Torre, Antioch. Tybertus, Lorenzo Valla, P. P. Ver-
gerio, M. I. Vida.
Heerführer und Staatsmänner.
Altertum: Alexander d. Große*, Artaxerxes n.
Mnemon*, Attila*, Hannibal*, Narses, Numa Pom-
pilius*, Pyrrhus*, Romulus*, Scipio Africanus*,
Totila*. — Mittelalter: Castracani Castruccio*,
Sciarra Colonna*, Eccelino da Romano*, Ugucci-
one della Faggiola*, Kaiser Friedrich Barbarossa*,
Gottfried von Bouillon*, Karl der Große*, König
Robert von Neapel*, Cano della Scala*, Martino
della Torre, Farinata degli Uberti*. — Sultane
und andere orientalische Fürsten und Heerführer:
Amurath n.*, Bajazet L*, Bajazet U.*, Moham¬
med I.*, Mohammed II.*, Selim L*, Soliman*. —
Verschiedene: Barbarossa L Arudsch*, Barbarossa D.
Chair-eddin*, Negus David* von Abessynien, Is-
mael* König von Persien, Kaitbai* Sultan von
Ägypten, Kansu-Gauri*, Muley-Hassan* Sultan
von Tunis*, Muley-Mohammed* König von Fez,
* bedeutet, daß das Portrat in der Baseler Ausgabe der Elogia wiedergegeben ist
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Chronik.
127
Saladin*, Sinas der Jude*, Thamasp L* König
von Persien, Tamerlan*, Tuman-Bey*, Sultan von
Ägypten.
XIV. und XV. Jahrhundert. Italien .
Giovanni Acuti* (John Hawkood), Kardinal
Alidosi*, Bartolommeo Alviano*, Alfons* von Ara¬
gon König von Neapel, Isabella von Aragon, Franz*
von Aragon, deren Sohn, Giov. Paol. Baglioni*, Mala-
testa Baglioni*, Orazio Baglioni* Daniel Barbaro,
Alberico Barbiano*, Giov. Bentivoglio, Caesar Bor¬
gia*, Braccio da Montone*, Vincentius Capellius*,
Carmagnola*, Kardinal JuLCesarini, Bart Colleone*,
Christoph Columbus*, M. A. Colonna, Kardinal
Pompeo Colonna*, Prospero Colonna*, Andrea
Doria*, Alfons d’Este Herzog von Ferrara*, Gatta-
melata*, Franc, de Gonzaga, Doge Antonio Gri-
mani*, Alvisio Gritti*, Doge Andrea Gritti* Papst
Martin V., Federigo da Montefeltro Herzog von
Urbino*, Nie. Orsini*, Pandolfo Petrucci* Nie.
Piccinino, Kardinal Pet Riario, Franc. Maria della
Rovere Herzog von Urbino*, Pietro Soderini*,
Pirro Stipiciano*, Teod. Trivulzio* Marschall von
Frankreich, Kardinal Giov. Vitelli* die Brüder
VitellL — Die Visconti: Erzbischof Ottone*, Mat-
teo der Große, Galeazzo L*, Azzo*, Luchino* Erz¬
bischof Giovanni*, Galeazzo II.*, Bemabö*, Gian
Galeazzo*, Giammaria*, Filippo Maria Visconti*.
— Die Sforza: Muzio Attendolo*, Francesco I.*,
Galeazzo*, Lodovico il Moro*, Kardinal Ascanio*,
Massimiliano*, Francesco EL* Sforza, dessen Frau
Christine von Dänemark. — Die Medici: Cosimo*
der Ältere, Giuliano I.*, Lorenzo* il Magnifico,
Piero IL*, Giovanni* der Führer der schwarzen
Bande, der Kardinal Ippölito*, Alessandro, Cosimo L
de Medici.
Deutschland^ Ungarn ,, Palen) Skandinavien .
Maximilian* deutscher Kaiser, Karl V.* deut¬
scher Kaiser, Ferdinand I. römischer König, Ba-
süius* moskowitischer Fürst, Christian* König von
Dänemark, Matthias Corvinus* König von Ungarn,
Kardinal Matth. Lang*, Ludwig* König von Un¬
garn und Böhmen, Philibert von Oranien, Georg
Scanderbeg*, Siegismund* König von Polen, Jo¬
hann Tamowskl — Heinrich VIEL* von England,
Jacob V.* von Schottland, Thomas Howard*
Herzog von Norfolk. — Tristan d’Acunha*, portu¬
giesischer Gesandter, Herzog von Alba*, Fernando
d’Avalos*, Alfonso d’Avalos*, Gonzalvo de Cor-
dova*, Fernando Cortez* Antonia da Leyva*
Hugo Moncada, Piedro Navarra*. — Karl VUL*,
Ludwig XIL* Franz L* Heinrich EL* Könige von
Frankreich. Verschiedene: Der Connetable von
Bourbon*, Franz von Bourbon, Karl der Kühne,
Gaston de Foix*, Marschall de Lautrec, Karl*
von Orleans, Sohn Franz L
Die Künstler.
Die Sammlung von Künstlerporträts wurde von
Iovius im Entwürfe stecken gelassen. Von dem
Enkel seines Bruders wissen wir, daß Iovius u. a.
die Porträts von Michel Angelo, Leonardo da
Vinci, Andrea del Sarto, Valerio Vicentino, des
Musikers Battista Sicüiano besaß. Die Porträts
von Michel Angelo und Andrea del Sarto sind
spurlos verschwunden; ebensowenig weiß man,
was aus dem Porträt des Vicentino geworden
ist Die Geschichte des Porträts von Leonardo
ist noch erbaulicher. Anstatt des Originals im
Musaeum Iovianum kennen wir dieses Bildnis nur
durch die Kopie desselben, die sich heute in der
Galleria degli Uffizi befindet
[Autorisierte Obersetzung von F. J. Kleemeier.]
&
Chronik.
Das Hohenzollem-Jahrbuch 1903.
Alljährlich können wir in diesen Heften auf eine
Publikation aufmerksam machen, die für die Biblio¬
philen Brandenburg-Preußens von besonderem Inter¬
esse ist: auf das bei Giesecke & Devrient in Leipzig
erscheinende Hohenzollem Jahrbuch, dessen siebenter
Jahrgang uns vorliegt, stattlich wie immer, ein Groß-
quartband von gegen 300 Seiten, geschmückt mit einer
Fülle von Kunstblättern, drei Farbendrucken und Text¬
illustrationen.
Die Reihe der Mitarbeiter eröffnet diesmal der
Historiograph des preußischen Staats, Geheimrat Rein¬
hold Koser , mit einer Schüderung des Berliner Hof¬
lebens um 1750, das der Glanz von Sanssouci freilich
völlig in den Schatten stellte, das aber gerade deshalb
intimer Reize nicht entbehrte. Berichte französischer
Diplomaten und die neuerdings bekannt gewordenen
Bruchstücke aus dem Briefwechsel der Prinzen und
Prinzessinnen bringen eine Anzahl bemerkenswerter
Züge zu diesem Thema; vor allem aber schöpft Koser
aus einem 1750 einsetzenden Tagebuche des Kammer¬
herrn der Königin Elisabeth Christine, des Grafen
Heinrich von Lehndorf; eines jungen Mannes, der mit
scharfer Beobachtungsgabe auch einen gesunden
Mutterwitz verband. Geheimer Staatsarchivar Dr. Lud¬
wig Keller berührt in seinem Beitrag „Der Große
Kurfürst in seiner Stellung zu Religion und Kirche“
Fragen, die zu eigentümlichen Analogien in der Gegen¬
wart führen. Die ikonographische Studie des Heraus¬
gebers Dr. Paul Seidel „Die Darstellungen des Großen
Kurfürsten gemeinsam mit seiner ersten Gemahlin“
bringen eine große Anzahl zum Teü bisher unbekannt
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128
Chronik.
gebliebener Abbildungen Friedrich Wilhelms und der
Luise-Henriette zur Anschauung. Es ist merkwürdig,
wie reich wir an guten Bildern des Großen Kurfürsten
und seiner Umgebung sind, wie wenig dagegen König
Friedrich II. dafür getan hat, seine Erscheinung und
seine Taten der Nachwelt in bildlicher Darstellung zu
überliefern. Von den zu Seidels Aufsatz gehörigen
Reproduktionen seien erwähnt: ein Ölgemälde von
Jan Mytens in Rennes, die Trauung Friedrich Wil¬
helms im Haag darstellend (Reproduktion nach einer
im Besitze der Königin von Holland befindlichen Kopie),
ein Gruppenbild der Kurfürstlichen Famüie nach einem
Ölgemälde desselben Meisters im Berliner Schlosse
und ein ausgezeichneter Dreifarbendruck: Friedrich
Wühelm und Luise-Henriette 1649 nach dem ölbÜde
von Matthias Czwiczek im Königsberger Schlosse.
Aus den übrigen Aufsätzen des Jahrbuchs sei als
besonders interessant für unsere Leser noch der Artikel
Dr. Bogdan Kriegers über „Die Hohenzollem und ihre
Bücher 41 hervorgehoben. Der Verfasser hat in dieser
Zeitschrift bereits eingehend über die Hausbibliotheken
der Hohenzollem berichtet; der erwähnte Artikel be¬
schäftigt sich hauptsächlich mit den Hohensollemschen
Exlibris. Das älteste ist das des Herzogs Albrecht
von Preußen, letzten Hochmeisters des Deutschen
Ordens (1490—1568), das in vier verschiedenen Exem¬
plaren erhalten ist Das eine der vier ist deshalb
doppelt erwähnenswert, weü es in einem lateinischen
Distichon eine Mahnung an den Leser enthält: „Aus
Herzog Albrechts Büchern stamme ich, der schwerdt-
gewaldg in Preußens Gefilden herrscht Du darfst
frei aus mir Dich belehren, drum thue es. Doch giebst
Du mich wieder, so sing dem Herzog dankbar ein
Lied“ — das Ganze eine niedliche Umschreibung des
grimmigen „Bücherfluchs 1 *. Das nächste authentische
Hohenzollem-Exlibris ist das des Prinzen Friedrich
von Brandenburg, späteren ersten Königs von Preußen.
Eis zeigt das kurfürstliche Wappen, von Orange¬
zweigen umgeben, im Spruchband „Fridericus D(ei)
G(rada) March, (io) Brandeb.(urgicus) Princ.(eps)
Halberst(adt) 11 — Fürst von Halberstadt war der Prinz
seit 1664. Ein zweites Exlibris Friedrichs I. stammt
aus seiner Kurprinzenzeit Die nächsten Hohenzollem-
Exlibris tauchen erst hundert Jahre später auf: die des
Prinzen Friedrich (1794—1863) und der Schwester der
Königin Luise, der Prinzessin Friderike von Mecklen-
burg-Strelitz. Ähnlich dem des Prinzen Friedrich ist
das Exlibris, das Kaisers Wühelm I. in seiner Jüng¬
lingszeit führte. Als Kaiser besaß Wilhelm I. kein
Bücherzeichen; Kaiserin Augustanur ein sehr schlichtes:
den Namen mit einer Umrandung. Kaiserin Friedrich
hatte zwei Exlibris: das erste für die Prinzess-Royal
stammt noch aus der Zeit vor ihrer Vermählung und
ist Londoner Ursprungs, das zweite wurde 1897 von
Sattler für die Cronberger Bibliothek gezeichnet Über
die Exlibris der regierenden Majestäten hat der Herr
Verfasser in diesen Blättern bereits gesprochen. Die
hübschen Exlibris der Prinzen Oskar, Adalbert und
August Wilhelm hat G. Otto in Berlin gezeichnet; das
Bücheneichea des Prinzen Eitelfritz wurde 1901 von
Giesecke & Devrient nach dem Totenschild auf dem
Grabmal Eitel-Friedrichs II., Grafen zu Hohenzollem,
hergestellt. Das Bibliothekzeichen des Prinzen Joachim
Albrecht ist 1899 von La Valette im Barockstil ent¬
worfen worden. Im weiteren berücksichtigt der
Kriegersche Artikel noch die Druckstempel und die
Super-Exlibris in den Hohenzollera-Bibliotheken. Das
älteste Super-Exlibris ist das des Herzogs Albrecht in
Preußen, dessen Stempel noch erhalten ist, das aber
wenig zur Anwendung kam. Es folgten das Porträt-
Exlibris des Kurfürsten Johann Georg und die mannig¬
faltigen Aufdrucke aus der Zeit des Großen Kurfürsten.
Von König Friedrich Wilhelm I. hat sich überhaupt
kein Buch nachweisen lassen, geschweige denn ein
Exlibris; dagegen trugen die Bücher seiner Gemahlin
Sophie-Dorothea verschiedene Super-Exlibris, meist in
Monogrammform. Der Aufsatz Dr. Kriegers schließt
mit verschiedenen eigenhändig geschriebenen Eigen¬
tumsvermerken. Übrigens sei bei dieser Gelegenheit
bemerkt, das wir in einem der nächsten Hefte einen
umfangreichen und reichÜlustrierten Aufsatz von Dr.
Stephan Kekule von Stradonitz bringen werden, der
das Thema der Super-Exlibris zum ersten male in er¬
schöpfender Weise behandelt.
Aus der reichen Fülle der sonstigen Beiträge des
Jahrbuchs seien noch erwähnt: Archivars Dr. G. Schuster
Studien zur Geschichte der Jugendzeit Kurfürst Frie¬
drichs II. von Brandenburg; die von Professor A. M.
Hildebrandt beschriebenen Stammbuch-Eintragungen
brandenburgischer Fürstlichkeiten; ein Gedächtnisblatt
für Roon aus der Feder des Professors Dr. Erich
Mareks (mit einer ausgezeichneten Reproduktion nach
Graefs Porträt Roons) — und ein mit vielen authen¬
tischen BUdnissen geschmückter Aufsatz von Dr. F. Arn¬
heim über Marie-Eleonore von Brandenburg, die Ge¬
mahlin Gustav Adolfs.
Die äußere Ausstattung des Bandes ist vorzüglich
wie immer. Ganz besonders gelungen ist die farbige
Wiedergabe des frühesten ölbüdnisses eines Hohen¬
zollem, des Porträts Kurfürst Joachims II. als Jüngling,
dessen Maler noch nicht ermittelt werden konnte.
—bl—
Buchausstattung.
Der Amtliche Katalog der Ausstellung des
Deutschen Reichs auf der Weltausstellung in St. Louis
ist im Verlage von Georg Stüke in Berlin erschienen:
ein äußerst stattlicher Quartband in grauem Leder mit
vornehm wirkendem ornamentalem Schmuck in Braun-
und Golddruck auf dem Vorderdeckel. Das Deckel-
büd wird rechts und links von einer hübschen schlichten
Borte eingerahmt Zwei wagerecht gestellte Ornament-
leisten teüen die Mittelfläche in drei Felder, in welchen
der Titel steht In der Mitte der oberen Leiste sieht
man einen Tempelbau in Gold, an gleicher Stelle in
der unteren Leiste den, im breiten Stil der ganzen
Ornamentik gehaltenen Reichsadler in dunklem Braun.
Die Leisten selbst stellen eine Art Steingefüge dar,
dem die Quadrierung des Rückdeckels entspricht Wie
der Einbandsentwurf, so stammt auch der gesamte
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Chronik.
129
Deckelxeichming von Franz S lassen zu Clara Viebigi Roman „Das schlafende Heer.*'
Nach dem Original reproduziert.
Buchschmuck von Peter Behrens .
Der Vorsatz in seinen Kirchen¬
fensterstil erinnert etwas an Lech¬
tere Eigenart AufdenVorblättem
mit den Druckvermerken wieder¬
holt sich in leichter Variation die
Ornamentik des Deckels, während
sich über den unteren Teil des
Haupttitels abermals ein außer¬
ordentlich schön stilisierter Reichs¬
adler in zarten Farbentönen aus¬
breitet, der in anderer Form
auch die Schmuckleiste des ersten
Blattes bildet Nun folgt der Ge¬
ländeplan der Ausstellung; die
weiße Rückseite wird durch ein
einfaches Ornament in perlgrau
belebt. Den Beginn des Textes
bildet das große Initial D in Rot
auf lichtbraunem, grau gemuster¬
tem Grunde. Jede Seite ist durch
graugrüne Doppellinien eingefaßt;
den Zeilenschluß und Beginn bei
Absätzen bezeichnen kleine graue
und braune Karrees. Von Orna¬
menten in gleichen Farben sind die
Überschriften umrahmt; hie und
da sind auch noch Schlußleisten
und Kapitelstücke eingefugt, alle
rein ornamental ohne figürliches
Beiwerk. Durch die Einheitlich¬
keit, auch durch die Strenge des
Stils gewinnt der Gesamteindruck
des Katalogs, im Gegensatz zu
dem für die Pariser Ausstellung,
dem Pankoks figurenreiche Sym¬
bolik etwas Zerflatterades und Un¬
ruhiges gab. Die Schrift ist wieder
die Schillersche Type, die man
auch für die englische Ausgabe
verwerten konnte und die mir —
im Gegensatz zu anderen — mit
ihren schönen Versalien immer
außerordentlich gut gefallen hat
Aus dem Inhalt sind für unsere
Leser die beiden buchgewerblichen Artikel von Arthur
Woemlein und Peter Jessen von Interesse.
Außer diesem großen Katalog ging uns noch ein
Sonderkatalog: Die Kaiserlich deutsche Reichsdruckerei
auf der Weltausstellung su St. Louis in deutscher und
französischer Ausgabe zu, Großquart, 25 Seiten stark,
in einem höchst geschmackvoll dekorierten Umschlag
von H. E. von Berlepsch - Valencias, von dem auch die
Dekoration der Titelseite und der übrige Buchschmuck
stammt Der leichten Grazie der Umschlag- und Titel¬
zeichnung entsprechen die herberen, an gotischeVor-
bilder sich anlehnenden Ornamente der Textseiten nicht
völlig. Gewährt das Ganze trotzdem den Eindruck
schöner Harmonie, so ist dies ein Verdienst des
Künstlers, der die mannigfachen Zeilenfüllungen,
Zwischenleisten, Schluß Vignetten auf das Glücklichste
Z. f. B. 1904/1905.
dem Druckbilde anzupassen verstanden hat Die Type
für diesen Katalog (für beide Ausgaben die gleiche)
hat Paul Voigt gezeichnet. Sie ist von starker künst¬
lerischer Wirkung, dabei gut ausgeglichen im Duktus
und klar lesbar. Wir können uns ehrlich freuen, daß
die Reichsdruckerei mit ihren Weltausstellungskatalogen
so glänzende Vorbilder der modernen Druckästhetik
geliefert hat —bl—
Ein schmächtiges Maroquinbändchen, dunkel von
außen und innen mit einem finster-weinroten Vorsatz
versehen, in dessen Mitte ein gespenstischer schwarzer
Kater als Exlibris Wache hält, liegt vor mir. Man
sieht es dem Bändchen von vorn herein an, daß es
etwas besonderes sein muss. Sein Exterieur ist ge¬
pflegt, der Text in beinah mitleidloser Schärfe und mit
17
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9
130
Chronik.
roten Initialen auf das schöne warmtönige büttenartige
Papier gedruckt, das der Inselverlag zu seinen Publi¬
kationen verwendet
Es ist auch wirklich ein seltner Bissen für litera¬
rische und bibliophile Feinschmecker, den Wilhelm
Schölermann uns vorsetzt; „Die Ballade vom Zucht¬
hause zu Reading, von C. j. j. (Zellenziffer Oscar
Wildes) in Memoriam C. T. W. Weiland Reiter in der
Königlichen Leibgarde t hingerichtet in Ihrer Majestät
Gefängnis am 7. Juli i8qö Des Buch wurde bei
Poeschel & Trepte in Leipzig in einer Auflage von
200 handnumerierten Exemplaren gedruckt. (Eine
zweite Auflage ist vor kurzem erschienen.) Die Über¬
tragung des englischen Originals wie die ganze sorg¬
same Ausstattung ist das Werk Wilhelm Schoeler-
rnanns. Es ist nicht leicht, den englischen Balladenton
wiederzugeben. Fontane hat das richtig erkannt und
seine englischen Balladenstoffe in deutsche Rhythmen
gegossen. Das durfte er als frei schaltender Dichter.
Anders steht es, wenn es gilt, eine sprachliche Eigenart
zugleich mit dem Stoff wiederzugeben. Da sind dem
Interpreten phonetische und Reimfesseln aller Art
umgelegt, und Glätte und Charakteristik laufen einander
strikte zuwider. Schoelermanns Übertragung gehört
fraglos zu den besten überhaupt. Er ist Wilde nichts
]
Exlibris von Dolly Friedeberg in Hamburg.
von seiner grausigen Meisterschaft der Lautmalerei
schuldig geblieben und ihm verständnisvoll in die Ge¬
fängnisstimmung gefolgt, die aus den düsteren Versen
spricht.
Wildes „Salome u und ihr theatralischer Erfolg hat
das Interesse für den genialen Verirrten wieder belebt
Allenthalben erheben sich Stimmen, die da meinen:
fünfzehn Jahr früher eingetreten, hätte ihm der nun
posthume Erfolg vielleicht die fünf Jahre in Reading-
Goal erspart Vielleicht! Der finstere dämonische
Grundzug seines Wesens hätte ihn wohl nie zu den
lichten Höhen einer abgeklärten Gefühls- und Denk¬
weise gelangen lassen. Und so nehmen wir diese Bal¬
laden wie farbenprächtige Sumpfblüten in die Hand
und lesen mit Schaudern vom tiefsten Menschenleid,
vom Mit-Leid, das alles bei ihm durchbrach, nur nicht
die künstlerische Form; das sich vom gestammelten
Gebet hinauf kristallisierte zum reinen Kunstwerk und
in ehernen Lauten die Anklage einer ganzen Zeit fest¬
gelegt hat:
„So wusch er mit blutiger Tränen Flut
die Hand, die gehalten den Stahl,
denn Blut allein kann löschen Blut
in heilender Todesqual:
so ward aus Kains gelbrotem Mal
das Siegel des Heiligen Gral!“ —m.
Aus Schweden geht uns ein Gedichtband von eignem
Reiz zu: „Maskros” von Arthur Siögren aus dem Verlag
der Ljusschen Aktiengesellschaft zu Stockholm. Nur
500 Exemplare stark, ist die Auflage auf Schreibpapier
in lateinischer Schreibschrift, frakturartig geschnörkelt,
schwarz mit roten Majuskeln gedruckt und reich mit
Buchschmuck durchsetzt Der Band stellt sich auf
15 Kronen. Arthur Siögren hat aber nicht nur die Verse
verfaßt, sondern sie auch eigenhändig gesetzt und den
Buchschmuck selbst ausgeführt. Die Kapitelköpfe und
Schlußstücke sind durchgängig in schwarzer und roter
Tinte mit der Feder gezeichnet. Das Material ist zu
kecken Kommawirkungen, zu Konturen, zu vollen Aus¬
füllungen, zu verschiedenartigster Schraffierung unend¬
lich abwechselnd ausgenutzt Hie und da tritt noch
als flache Kolorierung schwefelgelb hinzu, auf zwei
reizenden Landschaften auch noch violett Diese Land¬
schaften mit Mondschein, denen sich einige weitere
von stark impressionistischem Sdl in schwarz-rot-gelb
und ein prächtiges Tulpenbeet anschließen, haben alles
Dilettantische abgestreift. Auch unter den Zierleisten,
bei denen der malerische Löwenzahn besonders häufig
mit feinster Aussparung der Federkrone Verwendung
findet, ist manches Originelle und Entzückende. Am
wenigsten scheint mir das Figürliche gelungen. Der
Einband ist in weißem Pergamentpapier ausgeführt. Er
zeigt als Mittelfeld unter der roten Titelschrift auch
wieder Löwenzahn mit zart punktierter Kugel auf rot¬
gestricheltem Grunde, während bei Blättern und Stengeln
ein saftiges Grün hinzutritt Als Vorsatz ist weißes Papier
verwandt Abgesehen von der persönlichen und in sich
geschlossenen Wirkung des Buches, das die Empfin¬
dung eines Manuskriptes erweckt, scheint mir auch die
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Chronik.
131
Verwendung der Tintenkommas als Grund und Füllung
sehr originell und der Federzeichnung entsprechend.
—m.
Klimschs Jahrbuch (Klimsch & Co., Frankfurt a/M.)
ist nunmehr zum vierten Male erschienen und zeigt
sich auch diesmal wieder als ein eminent praktischer
Führer durch die letztjährigen Neuheiten auf dem Ge*
samtgebiet der graphischen Künste. Der höchst ge¬
schmackvoll gebundene Band umfaßt 243 Seiten in
Lexikonformat und eine große Anzahl illustrierender
Beilagen. Ein vortrefflicher Aufsatz von Friedr. Bauer
über die Ausstattung der Tageszeitungen leitet den
Textteil ein — ein Artikel, der die Beachtung unserer
Zeitungsverleger in hohem Maße verdient. Den Satz
wissenschaftlicher Werke behandelt W. Hellwig, die
neue Buchausstattung Emst Schur in einem feinen
kleinen Essay. Eine ganze Anzahl weiterer Artikel
beschäftigt sich mit allerhand Neuerungen: A. Weber
bespricht das Celluloid als Druckmaterial (Relief¬
prägungen), G. P. Meckel den Bleischnitt im Buch¬
gewerbe, von dem der Verfasser glaubt, daß er in Zu¬
kunft jeden anderen Plattenschnitt verdrängen wird;
der Entwicklung der Tiegeldruckschnellpresse gilt ein
Aufsatz von Ed. Kühnast; Müller-Guth behandelt die
Trockenstereotypie und ihre Anwendung in der Praxis,
Detl. Jürgen die Autotypie auf Stein, kein neues, aber
ein wenig bekanntes, sehr interessantes Verfahren —
F. Felsburg das Arbeiten mit der Kollodium-Emulsion,
die sich nunmehr auch das Feld der Autotypie erobert
hat, und Verbesserungen im Ätzprozeß — Emst Heine
die Druckpapiere für den Mehrfarbendruck, E. Donauld
den Druck auf waschbaren und wasserfest imprägnierten
Papieren, E. O. Guth den Druck von Doppeltonfarben,
über die Dr. R. Rübencamp sich eingehend ausläßt
Alle diese Aufsätze (denen sichnoch weitere anschließen,
auf die näher einzugehen der Raum verbietet) sind für
den Fachmann von höchstem Interesse; in der Biblio¬
thek unserer großen Buchdruckereien und Kunst¬
anstalten dürfte sich Klimschs Jahrbuch denn auch
bereits eingebürgert haben. Wie immer, so schließt
auch Band IV mit einer Fachchronik, einer Literatur¬
tafel und einer Patentliste ab. —g.
Die hier wiedergegebene Deckelzeichnung von F.
Stassen zu C. Viebigs glänzend geschriebenem Ost¬
marken-Roman „Das schlafende Heer " (Berlin, Egon
Fleischei & Co.) illustriert die alte Sage von dem unter
den Berghängen des Lysa Gora schlummernden Polen¬
heer, dessen Erwachen der fanatische alte Schäfer mit
heißer Sehnsucht erhofft — Die beiden Exlibris stam¬
men von einer talentvollen jungen Dame, Fräulein Dolly
Friedeberg , die in Worpswede und in den Ateliers der
Professoren Skarbina und Herkomer ihre künstlerische
Ausbildung fand, und deren gewandten Zeichenstift
wir unsem Freunden empfehlen möchten (Hamburg,
Sierichstraße 15). —bl—
Bibliographisches.
Professor Dr. Albert Hübl hat die Inkunabeln der
Bibliothek des Stiftes Schotten in Wien geordnet und
einen stattlichen Katalog darüber veröffentlicht (Wien,
Wilh. Braumüller 1904; Gr. 8°, X. + 270 S., M. 6). Die
Sammlung umfaßt 466 Nummern, unter denen sich
zahlreiche Seltenheiten befinden. Die Bibliothek ent¬
hielt 1470 durch den Abt Matthias Vinkh das erste
Druckwerk: dasCatholicon in der Ausgabe von Günther
Zainer, Augsburg 1469, das heute nicht mehr vollständig
ist Es folgten Leonards von Utino Quadragesimale,
von Franz Renner 1471 in Venedig gedruckt; die Prae-
parado evangelica des Eusebius Pamphilus,Köln, Ulrich
Zell, von 1473; die Pantheologia des Rainerus von Pisa,
2 Bde., Nürnberg, Sensenschmid und Kefer, 1473. Diese
vier Werke bildeten den Grundstamm der Stiftsbibliothek,
die sich schon in der ersten Hälfte desXVI. Jahrhunderts
durch Ankäufe und Geschenke beträchtlich vermehrte.
Ein großer Teil der Inkunabeln ist juristischen Inhalts,
das meiste Übrige gehört der Theologie an, doch auch
an weltlichen Werken fehlt es nicht Aeneas Sylvius ist
fünffach vertreten, Albertus Magnus durch sechs seiner
Schriften, darunter „De mysterio“, Johann Zainers erstes
Druckwerk, von dem noch acht andere Drucke in der
Stiftsbücherei vorhanden sind. Von Schoeffer gehört
der Bibliothek der Turrecremata von 1478 an, von Ren-
wich Breydenbachs Reisen. Gut vertreten ist Augsburg
als Druckerstadt: Baemler „Die 24 goldenen Harfen*'
1496, Pflanzmann, Dritte deutsche Bibel, Schönsperger,
Sachsenspiegel 1482 und die Bibeln von 1487 und 1490,
von Sorg zehn Bücher, von Günther Zainer sieben. Von
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Chronik.
132
den alten Baseler Druckern stehen Amerbach, Furter
und Kesler im Vordergrund, von den Kölnern Quentell
und Zell, von den Nümbergem Creußner, Hochberger,
Sensenschmidt und Koberger. Von Peter Drach aus
Speier ist fast alles vorhanden, auch das Meiste aus der
Straßburger Zeit vor 1500. Unter den fremdländischen
Drucken stößt der Leser auf viel Interessantes aus
Bologna, Brescia, Ferrara, Forli, Löwen, Lyon, Mai¬
land, Neapel („Cato moralissimus“, Matth. Moravus 1488),
Paris (Bartholomaeus Pisanus, Summa de casibus con-
sciendae, des Dreiblatts Gering, Crantz, Friburger),
Padua, Parma, Pavia, Rom (acht Werke von Stephan
Plannck), Treviso, Venedig (39 Drucker), Vicenza und
Voghera. Bei 24 Werken ist Ort und Drucker noch
nicht eruiert.
Die bibliographische Beschreibung ist von um¬
fassender Genauigkeit; immer sind zum Vergleich Hain,
Copinger, Panzer, Pellechet, Brunet u. a. angezogen;
Typen, Rubrizierung, Kustoden, Wasserzeichen, Er¬
haltung, Einband, Eintragungen sind sorgfältig notiert.
Die Register enthalten Verzeichnisse der Drucker, der
Drucke nach Ort und Drucker, der Druckjahre, der
Inkunabeln mit Holzschnitten, der früheren Besitzer
und des Standorts. Abgesehen davon, daß bei dem
Mangel einer allgemeinen Katalogisierung jede Einzel¬
publikation zur Inkunabelkunde von Wert ist, dürfte
der vorliegende Band, da er mannigfache Abweichungen
von den großen Repertorien notiert, auch den Biblio¬
theken und Sammlern hilfreiche Dienste erweisen.
- —bl—
Aus dem Verlage der um die Kenntnis alter
Druckwerke sich längst rühmlichst bekannt gemachten
Firma J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel) in Straßburg
liegen uns zwei Neuigkeiten zur Anzeige vor. „Dü
Holzschnitte zum Ritter vom Tum K \ herausgegeben
von Rudolf Kautzsch , bilden das 44. Heft der vor¬
trefflichen „Studien zur Deutschen Kunstgeschichte“;
das Heft ist aber auch einzeln erhältlich (M. 4;
80 Exemplare mit den Holzschnitten auf altem Papier
ä M. 8). Dr. Kautzsch gibt in der Einleitung zu den
(ausgezeichnet ausgeführten) Reproduktionen der Illu¬
strationen eine eingehende Untersuchung der 1493 von
Michael Furter in Basel gedruckten deutschen Aus¬
gabe des Buchs, als dessen Verfasser wir den Chevalier
de la Tour-Landry kennen, und als dessen Übersetzer
der Ritter Marquart vom Steyn gilt Nach einer kunst¬
geschichtlichen Erläuterung und Besprechung der ein¬
zelnen Bilder, in denen der Zeichner keineswegs
sklavisch dem Text folgt, sondern sich mitunter von
diesem gänzlich frei macht, geht der Verfasser der
Frage nach: wer war der Künstler? Seine Kunst ist
echte Illustrationskunst In Basel war eine solche bis
zum Jahre des Drucks nicht zu Hause. Aber schon ein
Jahr später erschien von derselben Künstlerhand die
Illustration des „Narrenschiffes“, und noch werden im
Baseler Museum die Holzstöcke einer nicht veraus¬
gabten Terenzausgabe autbewahrt, die von diesem
Zeichner stammen, späterer Holzschnitte gleicher Hand
nicht zu gedenken. Daniel Burckhardt hat vermutet,
daß kein Geringerer als Dürer, der um 1492 in Basel
gewesen ist, der Zeichner dieser Blätter sei oder doch
wenigstens der hauptsächlichsten. Für diese Hypothese
sprach sich Friedländer aus, dagegen Werner Wei߬
bach. Kautzsch gibt einen neuen Fingerzeig. Er ist
mit Friedländer der Ansicht, daß der Ursprung der
Baseler Illustrationskunst jener Epoche in Nürnberg zu
suchen sei und man es möglicherweise mit Jugend¬
arbeiten von Schäufelein, Hans Baidung oder Hans
Süß von Kulmbach zu tun habe. Das sind freilich nur
Vermutungen. Wichtiger ist die Kenntnis des Wesens
jener Kunst, die diese reizvollen Büder schuf, und dazu
büdet die Kautzsche Publikation einen bemerkens¬
werten Beitrag.
Als Heft 9 der Heitzschen Neudrucke des XV.
und XVI. Jahrhunderts erschien: „Mundus novus.
Ein Bericht Amerigo Vespuccis an Lorenzo de Medici
über seine Reise nach Brasilien in den Jahren 1501/02“,
herausgegeben von Emil Samow und Kurt Trüben -
hoch . Ein Exemplar der überaus seltenen Folioausgabe
des „Mundus novus “ (man kennt nur noch ein zweites
Exemplar im Britisch Museum), die im Antiquariat auf
5—8000 M. berechnet wird, wurde bei einer Neu¬
bearbeitung des Faches „Amerika“ in der Frankfurter
Stadtbibliothek aufgefunden. Es ist dorthin mit der
Bibliothek des Frankfurter Schöffen Maximilian zum
Jungen um 1690 gelangt; als erster Besitzer ist Her-
manus Barchusen Rostochianus handschriftlich ein¬
getragen, und durch Typenvergleich konnte festgestellt
werden, daß Barckhusen in Rostock auch der Drucker
dieses Vespucdbriefes gewesen ist Eine Untersuchung
des Druckes, der wohl 1505 fertig gestellt wurde, und
der beiden bekannten Ausgaben gibt der Frankfurter
Bibliothekar Dr. Samow, während sein Mitarbeiter
Dr. Trübenbach sich in dem anschließenden Essay mit
der Entstehungsgeschichte, dem Inhalt, der Zuverlässig¬
keit und Authentizität der verschiedenen Vespuccischen
Reiseschilderungen beschäftigt Dann folgt die genaue
Nachbildung des interessanten Fundes, die auch den¬
jenigen Fachgelehrten, die das Original nicht vor
Augen haben, eine Nachprüfung ermöglicht Schon in
dieser Tatsache liegt der hohe Wert der Heitzschen
Reproduktionen, die durch ihre wissenschaftliche
Glossierung auch von den nicht fachmännisch ge¬
bildeten Bibliophilen dankbar begrüßt werden können.
Gerade diese seien auf die angezeigten Neuheiten be¬
sonders aufmerksam gemacht Ein Verlag wie der
Heitzsche wird in der Hauptsache mit den großen
Bibliotheken rechnen müssen; es scheint uns aber
Pflicht der wohlhabenderen Bibliophilen, auch ihrerseits
derartige Bestrebungen zu unterstützen. —bl—
Nachdruck verboten. — Alle Rechte Vorbehalten .
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin W. 15.
Alle Sendungen redaktioneller Natur an detaen Adresse erbeten.
Gedruckt von W. Drugulin in Leipzig für Velhagen & Klasing in Bielefeld und Leipzig auf Papier der Neuen Papier-Manufaktur
in Straßburg i. E.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
8. Jahrgang 1904/1905. - Heft 4: Juli 1904.
Die Bodleian Library in Oxford.
Von
H. A. L. Degener in London.
II.
ie erwähnte Vernachlässigung
der Bodleian - Bibliothek von
Seiten des Staats ist schon seit
vielen Jahren bitter beklagt wor¬
den. Keine Gelegenheit hat man
Vorbeigehen lassen, ohne darauf
hinzuweisen; einige Male hat man für be¬
stimmte Zwecke durch besondere Bittschreiben
größere Summen aufgetrieben; es ist aber nie
gelungen, die Fonds für regelmäßige An¬
schaffungen dauernd auf eine angemessene
Höhe zu bringen. Iin Verhältnis zu der lite¬
rarischen Erzeugung und den Preisen alter
Bücher war die Bibliothek zur Zeit Bodleys
besser mit Mitteln zu Ankäufen versehen als
jetzt. Durch besondere Abkommen mit Merton-
College und All Souls College, die jährlich von
1882 an £ 300, beziehungsweise £ 1000, zu dem
allgemeinen Fonds der Bodleian Library bei¬
tragen sollten, glaubte man, die Finanzen wesent¬
lich gebessert zu haben. Leider waren jedoch
beide Colleges, vor allem durch den großen
Rückgang in den Erträgnissen des Grund¬
besitzes, bald nicht mehr fähig, diesen Ver¬
pflichtungen voll nachzukommen. Der Beitrag
von All Souls College fiel 1885 auf £ 200,
1886 auf £ 300 und 1887 auf Null; 1899
konnten wieder £ 100, 1900 £ 150, 1901 £ 350
z. f. B. 1904/1905*
und 1902 £ 150 geleistet werden, während
Merton College’s Beisteuer allmählich auf £ 281
17 s. 6 d. gefallen ist. Trinity College kam
1898 der bedrängten Kasse mit einer Gabe von
£ 150 zu Hilfe, die seitdem jährlich erneut
worden ist, und Magdalen College überwies in
den Jahren 1893 bis, 1900 im ganzen £ 781
6 s. 2 d. an den allgemeinen Fonds.
Wenn nun auch, wie gesagt, die Bibliothek
sich seit Jahren nach einem Gönner in großem
Maßstabe, ähnlich dem Gründer oder Mason,
vergeblich umgesehen hat, der sie mit einem
großen Vermächtnis in die Lage versetzen
würde, die stetig zufließenden reichen Bücher¬
gaben auch adle ohne Ausnahme schnell und
in einer den Lesern wirklich nützlichen Weise
zu verarbeiten und Lücken auszuflillen, die sich
sowohl unter den alten Beständen noch immer
befinden wie unter den neuen nicht vermeiden
lassen, so hat die Bibliothek doch keine Ur¬
sache, sich über nicht betätigte lebhafte Teil¬
nahme seitens weiter Kreise und Tausender
von Gönnern zu beklagen. Wie oben erwähnt,
hatte Bodley selbst von Anfang an mit der
tätigen Mithilfe anderer gerechnet und mit
feinem Verständnis für die kleinen Schwächen
der Menschen alles getan, was reiche Leute ver¬
anlassen konnte, der Bibliothek Schenkungen zu
18
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134
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
überweisen. Wir haben schon einige dieser
Gönner genannt und wollen jetzt noch, abge¬
sehen von Bodleys fürstlicher Freigebigkeit, in
Anlehnung an die chronologische Aufstellung
in „Pietas Oxoniensis“ die hauptsächlichsten
Schenkungen aufführen.
Mit einem Schreiben aus „Greenewich“ vom
25.Mai 1629 sandte William Herbert Earl ofPcm-
broke und Kanzler der Universität, Vorfahre des
als Sammler berühmten Thomas Herbert, eine
wertvolle Sammlung von 242 griechischen Manu¬
skripten, die die berühmte Bibliothek des Giacome
Baroni in Venedig gebildet hatte und die von
dem „Stationer“ oder Buchhändler H. Feather-
stone nach England gebracht worden war, dem
sie der Earl für £ 700 im April 1629 abgekauft
hatte, ehe sie, wie ursprünglich beabsichtigt,
für die Königliche Bibliothek erworben werden
konnte. Bischof William Land, ein warmer
Gönner der Bodleiana, scheint den Earl dabei
beraten zu haben und übernahm es auch, die
Handschriften nach Oxford schaffen zu lassen,
zusammen mit 29 Manuskripten (davon 26 in
griechisch), die Sir Thomas Roe schenkte.
William Herberts Bruder, Philip 4 th Earl of
Pembrokc und ebenfalls Kanzler der Universität,
folgte diesem Beispiel und gab 1649 die be¬
rühmte, 1645 in Paris in 9 Bänden gedruckte
Polyglottenbibel. Beide Brüder sind „the incom-
parable pair of brethren“, denen die First-Folio-
Ausgabe der Werke Shakespeares gewidmet
ist. Im Jahre 1633 (nach Cowley, 1635 nach
Macray) begann William Land [1573 bis 1645],
seit 1630 Kanzler der Universität und seit 1633
Erzbischof von Canterbury, seine großartigen
Schenkungen, denen die Bodleian Library einen
beträchtlichen Teil ihrer wertvollsten Schätze
verdankt. Wood sagt von ihm, er sei ein so frei¬
gebiger Wohltäter der Wissenschaften gewesen,
daß er wenig oder nichts für seinen eigenen
Gebrauch behielt. Und es ist mit Sicherheit
anzunehmen, daß nur die politischen Wirren
jener Zeit, die im Jahre 1640 auch Laud zu
einem Gefangenen machten und ihn am
10. Januar 1645 auf das Schafott führten, seinen
fürstlichen Gaben Einhalt taten. Nahezu 1300
Manuskripte stammen von ihm, und zwar in
anglosächsischer, arabischer, armenischer, äthio¬
pischer, chaldäischer, chinesischer, deutscher,
englischer, französischer, griechischer, hebräi¬
scher, irischer, italienischer, lateinischer, per¬
sischer, russischer, syrischer und türkischer
Sprache. Darunter befindet sich der berühmte
Codex Landianus, die Apostelgeschichte in
griechischem und lateinischem Paralleltext,
Quarto, 227 Blatt, aus dem Ende des siebenten
Jahrhunderts stammend (nach Tischendorf) und
höchstwahrscheinlich dasselbe Exemplar, das
Bede zu seinem berühmten Kommentar be¬
nützte, da er dieselben 74 eigentümlichen Les¬
arten zitiert, die sich in diesem Kodex finden.
Berühmt sind auch die Anglosächsische Chronik
bis 1154, aus dem Kloster von Peterborough;
das irische Pergament-Manuskript mit dem
Psalter von Cashcl\ Cormacs Glossar , Gedichten
der Heiligen Columb-kill und Patrick , sowie
Papst Gregorins* Pastorale aus dem IX. Jahr¬
hundert. Unter den im Jahre 1635 geschenkten
46 lateinischen Manuskripten, die „e Collegio
Herbipolensi“ [Würzburg] stammten und 1631
vor den Schweden gerettet worden waren,
befand sich auch ein wundervolles Missale , auf
Pergament gedruckt von Jeorius Ryser 1481,
mit illuminierten Initialen. So groß war der Zu¬
wachs der Bibliothek, daß schon 1638 an eine
Einrichtung des unteren Teiles der Bibliothek
zur Aufnahme von Lauds Sendungen mit einem
Aufwande von £ 300 gegangen werden mußte.
Lauds Freund, Sir Kenelm Digby (1603 bis 1665),
folgte seinem Beispiele. Sir Kenelm war der
Sohn von Sir Everard Digby, dem die Teil¬
nahme am Gunpowder-Plot im Jahre 1606 den
Kopf gekostet hatte; er war ein Mann von
ungewöhnlicher Person und Erscheinung, von
ausgesucht feinem Benehmen und leichter,
natürlicher Vornehmheit. Während seines aus¬
gedehnten Pariser Aufenthaltes hatte er eine
ausgewählte Bibliothek zusammengebracht, für
die Le Gascon und andere berühmte Meister
die Einbände lieferten. Bei seiner Rückkehr
nach England ließ er diese Schätze zum größten
Teil in Paris. In den Bürgerkriegen wurde
dann, so heißt es, seine ältere Bibliothek in
England von den Roundheads verbrannt, und
als er 1665 starb, reklamierte die französische
Krone die noch in Paris befindliche Sammlung
unter dem „Droit d’aubaine“, bis sie schließlich,
nachdem der Earl of Bristol sie fiir 10000
Kronen angekauft hatte, vier Jahre nach dessem
Tode im April 1680 in London versteigert wurde.
Ein mit den erzielten Preisen versehenes Exem¬
plar des Auktionskataloges befindet sich im
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
British Museum. Der Ankauf kann jedoch seiner
Zeit nicht alles eingeschlossen haben, was
Digby in Paris besessen hatte; eine beträcht¬
liche Anzahl von Büchern muß in Paris zurück¬
geblieben sein, wo wir sie jetzt in der Biblio-
th&que Nationale und in der Bibliotheque
Mazarine finden. Die ihm von seinem Lehrer
Thomas Allen hinterlassenen Manuskripte und
Drucke schenkte er mit anderen auf Lauds
Veranlassung hin 1634 der Bodleian, insgesamt
238 Manuskripte, alle auf Pergament und in
uniformen, mit seinem Wappen geschmückten
Einbänden. Sie sind von großem Interesse
und Werte und beziehen sich hauptsächlich
auf die Anfangsgeschichte der Wissenschaften
in England, auf englische Geschichte, früh¬
englische und früh-französische Poesie: meistens
von englischen Schreibern. Zwei weitere Manu¬
skripte, die zur Schenkung gehört hatten, aber
abhanden gekommen waren, nämlich: Roger
Barons opnscnla und W de Morbecks lateinische
Übersetzung von Proclus 9 Kommentar zu Plato
wurden 1825 für £ 82 10 s. angekauft. Roger
Baron, Grosteste, Will. Beade, John Eschyndon
(Ashton), Roger von Hereford, Richard Walling-
ford, Simon Bredon, Thomas von New-Market
befinden sich unter den Autoren. Thomas
Allen selbst war ein häufiger Gönner der Bod-
leiana gewesen, und unter den Büchern, die ihm
einst gehörten, die aber nicht in Sir Kenelms
beziehungsweise in den Besitz der Bodleian
übergingen, befanden sich auch die zwei Teile
von Abbot John Whethamstedes Granarium,
die einst in Duke Humphreys Bibliothek ge¬
wesen waren.
In einem Briefe aus Gothurst vom 7. No¬
vember 1654 an Dr. Gerard Langbaine schreibt
Sir Kenelm, daß er Laud auf dessen Anerbieten
vor Jahren (1639) zwei Koffer mit [36] ara¬
bischen Manuskripten zur Weiterbeförderung
an die Universität übergeben habe, diese
seien jedoch verloren gegangen. Sie wurden
aber später unter den von Laud geschenkten
Manuskripten entdeckt und sind jetzt von
diesen ausgeschieden und den Digby-Manu-
skripten angereiht worden. —
Am 25. Januar 1640 starb in seiner Woh¬
nung im Christ Church College zu Oxford
Robert Burton , alias Democritus junior , den
135
Dibdin nicht mit Unrecht zu den bedeutendsten
Bibliomanen jener Zeit zählt und bestimmte
testamentarisch: „irgendwelche Bücher, die die
Universitäts-Bibliothek noch nicht hat, soll sie
nehmen.“ Darunter befand sich gerade eine
Menge solcher Schriften, die Bodley als un¬
würdig seiner Bibliothek bezeichnet hatte, deren
oft großen Wert jedoch Burton besser zu schätzen
gelernt hatte. Damals kam auch das eine der
zwei jetzt bekannten Exemplare von Venus and
Adonis vom Jahre 1602 in die Bodleiana. Die
von ihm gleichzeitig hinterlassenen £ 100 wurden
allmählich im Betriebe der Bibliothek mit auf¬
gebraucht anstatt seinem Wunsche gemäß an¬
gelegt zu werden, um von den Zinsen Ankäufe
zu machen. Eine Kuriosität, die auch John
Evelyn 1654 sah und in seinem Tagebuche be¬
schreibt, wurde 1653 von dem Ostindienhändler,
Richard Davydge geschenkt: der vollständige
Koran in arabisch, auf ein türkisches oder ara¬
bisches Priestergewand, aus Kaliko gefertigt,
„so ausgezeichnet geschrieben, wie es durch
Druck nicht annähernd so gut hätte gemacht
werden können.“ Die 22 griechischen und
2 russischen Manuskripte, die William Herbert
Earl von Pembroke seiner Zeit für sich aus
der Baroni-Sammlung für eigenen Bedarf zu¬
rückbehalten hatte, wurden später von Oliver
Cromivell gekauft und von ihm 1654 der Biblio¬
thek vermacht.
Im gleichen Jahre starb am 30. November
John Seiden (1584 bis 1654), „ein Fürst im
Reiche der Literatur*^ wie ihn sein Freund
Ben Jonson nannte, „der in jeder Richtung
von Gelehrsamkeit am besten unterrichtete
Mann“, wie Erzbischof Laud von ihm sagte.
Er war nicht nur in England, sondern auch im
Auslande als tüchtiger Philolog, Rechtshistoriker,
Altertumsforscher, Heraldiker, als Linguist,
Staatsmann usw. bekannt; ein fruchtbarer Ge¬
lehrter und stets ein maßvolles, kluges Mitglied
des Parlamentes, unzugänglich für alles, was
eines streng rechtschaffenen Mannes unwürdig
war. Die ihm 1647 vom Parlament zuerkannte
Entschädigung von £ 5000 für unter der Mo¬
narchie erlittene Schäden soll er nie ange¬
nommen haben. Nach der Hinrichtung Karls I.
am 30. Januar 1649 zog er sich ganz vom
öffentlichen Leben zurück, bis er zu Whitefriars,
im Hause der verwitweten Gräfin Elisabeth von
Kent, mit der er heimlich vermählt gewesen
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136
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
sein soll, starb. Die von ihm angesammelte,
sehr wertvolle Bibliothek war besonders reich
an Klassikern, in exakten Wissenschaften, Theo¬
logie, Geschichte, Rechtswissenschaft und hebrä¬
ischer Literatur. Es war ursprünglich sein
Wille gewesen, den größten Teil der Bodleian
Library zu vermachen, die ja auch schließlich
1658 über 8000 Bände erhielt, jedoch ereigneten
sich in den letzten Jahren vor seinem Tode Dinge,
die ihn veranlaßten, seinen ursprünglichen Willen
zu ändern und nur eine bestimmte Anzahl Manu¬
skripte und Bücher sofort nach seinem Tode
der Bibliothek überweisen zu lassen. Die Ent¬
scheidung über den Hauptbestand dagegen über¬
ließ er seinen Testamentsvollstreckern. Über
der ganzen Angelegenheit schwebt eine bis
heute noch nicht behobene Unklarheit. Sicherlich
scheinen die orientalischen und griechischen
ebenso wie einige, besonders bezeichnete latei¬
nische Manuskripte und die talmudischen und
rabbinischen Werke, soweit nicht schon in der
Bibliothek, bald nach seinem Tode dorthin
gelangt zu sein. Ob die Geschichte wahr ist,
daß es Seiden abgeschlagen worden war, ein
zum Ausleihen zulässiges Manuskript anders als
gegen eine Kaution von £ 1000 zu entnehmen,
eine Bedingung, die ihn tief gekränkt haben
mag, oder ob die skandalöse Art, mit der die
wenig würdigen Mitglieder des Magdalen College,
sich ihrer Unterschlagung bewußt, in rechts¬
widriger Weise eine Summe von £ 1400 ihrer
Bestimmung entzogen und für sich verwandten,
Seldens Rechtsgefiihl schwer verstimmte und
ihn gegen die Gewissenhaftigkeit und Ehrlich¬
keit der Oxforder Universitätsmitglieder im all¬
gemeinen mißtrauisch gemacht hatte, läßt sich
nicht mehr feststellen. Auf jeden Fall kam
ein Teil der Sammlung sofort nach seinem
Tode, der große Hauptteil aber erst im Jahre
1659 durch endgültige Entscheidung bezw. Be¬
stätigung des Willens durch die Testaments¬
vollstrecker in die Bodleian Library. Leider
war jedoch ein Teil durch Ausleihen in
London und durch ein Feuer im Temple, wo
Seiden eine Wohnung gehabt hatte, ver¬
nichtet worden. Nach verschiedenen Berichten
hatten die Testamentsvollstrecker die Biblio¬
thek zunächst der „Society of the Inner Temple“,
einer berühmten Gilde von Rechtsgelehrten, an-
geboten, mit der Bedingung, daß ein geeignetes
Gebäude dafiir in einer bestimmten Frist er¬
richtet würde. Letzteres geschah jedoch nicht,
und so wurde denn schließlich des Testators
ursprünglicher Wunsch ausgefiihrt, unter der
Maßgabe, daß sämtliche Bücher anzuketten
seien. Die Bibliothek von Lincolns* Inn erhielt
eine Anzahl juristische Werke, das College of
Physicians eine Reihe wichtiger Medicina.
£ 72 erschienen in den Rechnungen für 1660
als Renumeration und Reisekosten Barlows,
des Bibliothekars, für Beschaffung der Bücher,
£ 34 für Fracht von London und £ 25. 10 s.
für Ketten. Um alle die mit der Übernahme
verbundenen Kosten zu bestreiten, wurden
innerhalb der Universität im ganzen £ 143. 13 s.
gesammelt. Unter Seldens Büchern, die jetzt
in der Bodleiana sind, befinden sich einige, die
früher Ben Jonson, Dr. Donne und dem be¬
rühmten Bibliophilen Sir Robert Bruce Cotton,
dessen ehemalige Schätze an Manuskripten
einen der Hauptanziehungspunkte der Bibliothek
des British Museum bilden, gehört hatten. Viele
der über 350 Manuskripte und 8000 Bücher sind
äußerst wertvoll und schließen mancherlei Unica
ein, so z. B. sechsundzwanzig frühenglische Volks¬
sagen und Romanzen, Edmund Spencers Exem¬
plar des Howleglas und anderes mehr.
Thomas Lord Fairfax hatte bei seinem
Tode im November 1671 der Bibliothek außer
28 sehr wertvollen Manuskripten frühenglischer
Werke (Chaucer, Gower u.s.w.) in schöner
Literatur und Geschichte auch die wundervolle
Roger Dodsworth-SB.mm\ung vermacht, und im
Jahre 1673 kam die Bibliothek in Besitz dieser
Schätze. Dodsworth war ein unermüdlicher
Sammler wichtigen genealogischen Materiales
gewesen, mit dem Resultate, daß seine authen¬
tischen Notizen über Genealogie hauptsächlich
der Familien- und Kirchengeschichte Yorkshires
und des Nordens Englands 161 Folio- und Quart-
Bände füllten. Um Dodsworth in die Lage zu
versetzen, sich seinen Forschungen ohne Sorgen
hingeben zu können, hatte der literatursinnige
Lord ihm eine Jahresrente von £ 40 ausgesetzt.
Als Oxford am 24. Juni 1646 vor Fairfax
kapitulierte, bewies er schon damals seine
Hochschätzung für die herrliche Bibliothek,
indem er sie durch eine starke Wache vor den
Plünderungen seiner rauhen Krieger und des
Stadtvolkes schützen ließ. Die Geschichte, die
ein gewisser F. J. De La Croix 1769 in seinen
„Aneqdotes Angloises“ über eine Plünderung
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
137
der Bibliothek und Zerstörung durch Feuer auf
Befehl Cromwells erzählt, beruht offenbar auf
der Einbildung dieses Autors oder auf einem
wunderbaren Gemisch verschiedener Ereignisse.
Ein Zeitgenosse von Fairfax berichtet: „Er war
ein Verehrer der Wissenschaften, und hätte er
sich nicht so besonders um die Bibliothek be¬
müht, so würde sie wohl zerstört worden sein.“
Kanonenkugeln hatten auf jeden Fall während
Bischof von Lincoln, mit der wichtigen Kollek¬
tion von jetzt in 54 Bänden vereinten Manu¬
skripten und vielen Druckwerken. Darunter
befinden sich u. a.: ein römisches Missale,
Paris 1684, das König James II. gehört hatte
und wertvolle Beigaben in Druck und hand¬
schriftlichen Noten enthält, sowie ein Exemplar
des ersten bekannten Werkes der Oxforder
Drucker: „Exposicio Sancti Jeronimi in Simbolo
Die Bodleian Library, von Olten und Norden gesehen.
der Belagerung ihre Mauern erreicht und ihre
Spuren wurden noch im XVIII. Jahrhundert an
den Mauern gezeigt
Colonel Edward Vemon schenkte 1677
den als das „Vemon-Manuskript“ bekannten
enormen Band, eine unschätzbare Sammlung
englischer Prosa- und Poesie-Stücke aus dem
XIV. und XV. Jahrhundert. Dr. Thomas Marshall
folgte 1685 mit 159 meist orientalischen Manu¬
skripten, zusammen mit gedruckten Büchern,
und 1691 der am 8. Oktober verstorbene frühere
Bibliothekar [1652 bis 1660] Dr . Thomas Barlow,
Apostolorum“, im Druck beendet am 17. De¬
zember 1468 [? statt 1478 ?]. Die nächsten
Geber, in einer langen Reihe besonders Be¬
merkenswert, waren 1708 Rcv. H. Jones mit
91 Manuskripten, hauptsächlich zur englischen
Geschichte; 1714 Erzbischof Dr. N. Marsh von
Armagh mit 744 meist orientalischen Manu¬
skripten; 1736 Bischof Dr. Thomas J. Tanner
mit über 600 Manuskripten außer vielen sehr
wichtigen englischen Drucken, unter den Manu¬
skripten wertvolle Briefe von und an Bischof
Sancroft aus den Bürgerkriegen und zur Kirchen-
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
und Literaturgeschichte des XVII. Jahrhunderts,
unter den Drucken wertvolle Inkunabeln in jetzt
einzig bekannten Exemplaren. Als Tanner im
Dezember 1731, vier Jahre vor seinem Tode
(am 14. Dezember 1735), von Norwich nach
Oxford übersiedelte, fielen leider seine Bücher
beim Transport ins Wasser, und manches mag
infolgedessen zerstört worden sein, ebenso wie
wir heute bei vielen dieser Werke die Spuren
dieser zwanzigstündigen Einweichung noch allzu
deutlich bemerken können.
Das für die Bibliothek größte Ereignis des
XVIII. Jahrhunderts jedoch, soweit es Ge¬
schenke betrifft, war im Jahre 1756 die Über¬
weisung der enormen Sammlung von 5000 Manu¬
skripten, in großer Vielseitigkeit mit Bezug auf
Gegenstand, Sprache und Alter, zusammen mit
vielen Büchern, Münzen, Medaillen, Siegeln,
Bildern und Kuriositäten, die der am 6. April
1 755 verstorbene Bischof Dr. Richard Rawlinson
der Bibliothek vermacht hatte.
Seit Bodley, Laud und Seiden ist Raw¬
linson der größte Wohltäter der Bodleian ge¬
wesen, und in späteren Jahren sind ihm nur
Gough und Douce nahegekommen. Schon zu
seinen Lebzeiten hatte er beständig die Schätze
der Oxforder Universitätsbibliothek vermehrt;
sein Name erscheint in den Jahren 1733, 1734,
1735» 1737» I73 8 » 1739 und 1750 in dem großen
„Register of Benefactors“ aus Anlaß von be¬
sonders umfangreichen und wertvollen Gaben
an Münzen, Büchern und Bildern. Einige hun¬
dert Bücher und die meisten Bilder von Hol¬
beins Meisterhand stammen neben einigen Manu¬
skripten aus diesen Jahren.
In seinem letzten Willen vom 2. Juni 1752
vermachte er der Universität seine sämtlichen
Manuskripte (außer Privatpapieren und Briefen),
alle Bücher auf Pergament oder Seide, alle
Dokumente, Akten usw., alle Bücher mit
Notizen, im ganzen ca. 1900 Bücher und ver¬
schiedene Antiquitäten. Seine Musikliteratur
ging an die Musikschule der Universität, seine
Reisetagebücher sind zum größten Teil unter
den Manuskripten erhalten.
Dr . Richard Rawlinson war am 3. Januar
1690 als vierter Sohn des Sir Thomas Rawlin¬
son, 1705—1706 Lord-Mayor in London, ge¬
boren worden und war jüngerer Bruder des
gleichfalls als Büchersammler und Bibliomanen
berühmten Thomas Rawlinson, aus dessen Biblio¬
thek bei ihren mehr oder weniger unfreiwilligen
Versteigerungen in den letzten Jahren und nach
dem Tode des Sammlers zahlreiches an Richard
Rawlinson überging. Er reiste viel in England
wie auch durch Frankreich, Holland, Deutsch¬
land, Italien, Sizilien, Malta und andere Länder,
von wo er beim Tode seines Bruders Thomas
1726 zurückkehrte. Von seinen Rechten und
Pflichten als Geistlicher hielt er sich meistens
fern, liebte es auch nicht, als solcher bezeichnet
zu werden, trotz seiner Stellung als Bischof
der „Nonjurors“, und führte fast durchaus das
Leben eines Privatgelehrten und Sammlers; er
war Mitglied der Royal Society und der So¬
ciety of Antiquaries. Für Oxford, wo er Student
in St. Johns College gewesen war, hatte er
immer eine leicht zu erklärende Vorliebe be¬
wahrt, und seinem ausdrücklichen Wunsche
gemäß wurde er auch dort in der St. Giles*
Kirche begraben, während sein Herz in einer
Marmorurne in der Kapelle seines alten College
aufbewahrt wird. Seine großen Sammlungen
hatte er mit feinem Geschmack und sicherem
Urteil zusammengebracht, auf den Auktionen er¬
standen oder aus den Haufen von Makulatur bei
Trödlern, aus dem Packpapier beim Krämer, beim
Antiquitätenhändler und aus ähnlichen Verstecken
hervorgezogen. Er beschränkte sich auf kein
bestimmtes Gebiet, wenn er auch den Geschichts¬
wissenschaften mit ihren Zweigen den Vorzug
gab. Seine reichlichen Mittel setzten ihn in die
Lage, gute Preise zu zahlen, da wo Konkurrenten
ihm entgegentraten und es seinem unermüdlichen
Spürsinn und ausgedehnten Verbindungen nicht
gelang, wertvolle oder wichtige Sachen billig
aufzufinden. Was er an gedruckten Büchern
nicht der Bodleiana hinterlassen hatte, wohl
weil es meistens Duplikate der dort vorhandenen
Werke waren, wurde in einer Reihe langer
Auktionen vom 29. März 1756 an versteigert:
zunächst 9405 Bündel Bücher für £ 1161.18s.6d.;
dann am 3. März 1757 über 20000 Pamphlete
usw., die nur £ 203. 13 s. 6 d. erzielten. Die
Bücherpreise lagen damals sehr darnieder; schon
bei den Auktionen seines Bruders z. B. erzielten
äußerst wertvolle Drucke wahre Spottpreise,
z. B. 1726 Caxtons „The Histories of King
Arthur and his Knights“ £ 2. 4 s. 6 d. [1885
£ 1950], während über zwanzig andere Caxtons
für wenige Schillinge pro Stück weggingen.
Über 10000 Holzschnitte, Gravüren usw.
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
139
brachten gar nur £ 163. 10 s. 3 d., ein trostloses
Ergebnis, vor allem auch in Hinsicht auf die
Mühe, die auf das Sammeln derselben ver¬
wendet worden war. Unsere zeitgenössischen
Sammler werden wünschen, bei jener Auktion
zugegen gewesen zu sein, wo 103 Dürer-
Drucke für £ 1. 10 s. 6 d., 24 Rembrandt-
Stücke flir £ 3. 5 s., 69 Blatt Hollar für 11 s.
6 d. verkauft wurden. In der Bibliothek König
Georgs III. im British Museum befinden sich
mit den erzielten Preisen versehene Exemplare
der Auktionskataloge, die interessantes Material
zur Geschichte der Bücherpreise liefern.
Besonders hervorragend in der großartigen
Manuskriptsammlung Rawlinsons ist eine An¬
zahl biblische Handschriften, über 130 Missale,
Horae und ähnliche Werke, meist aus Ni¬
colas Joseph Foucaults Kollektion; griechische
und lateinische Klassiker, die mittelalterlichen
und frühenglischen Dichter und Schriftsteller
und englische Geschichte sind glänzend ver¬
treten. Macray gibt eine ausführliche Be¬
schreibung, die auf der erst unter Coxes
Bibliothekarschaft (1860 bis 1881) ausgefiihrten
vollständigen Katologisierung und Klassifikation
aufgebaut ist, und der wir am besten kurz
folgen: A) 500 Bände hauptsächlich englische
Geschichte, einschließlich einige Theologia.
Darunter befinden sich 1) die berühmten und
hochwichtigen Thurloe State Papers , 67 Bände,
die Judge Thurloe während der Revolution in
den Decken einiger Dachzimmer in Lincolns*
Inn aufbewahrt hatte; 2) die Miscellaneous
Papers von Samuel Pepys, 25 Bände, seine
Korrespondenz, Material und Notizen über Admi¬
ralitätsangelegenheiten usw.; dann viele andere
Schriften aus Pepys* Besitz einschließlich inter¬
essanter Dock- und Hafenrechnungsbücher aus
der Zeit Königs Heinrichs VIII. und der Königin
Elisabeth. Wie bekannt, befindet sich Pepys
Bibliothek (mitsamt dem berühmten, in einer
Art Stenographie geschriebenen sechsbändigen
Tagebuche), die er hauptsächlich während der
Zeit seiner Tätigkeit als Staatssekretär der
Admiralität von 1673 an sammelte, jetzt in
genau derselben Ordnung, in der sie der fast
pedantisch genaue Pepys hinterlassen hatte, in
einem feuersicheren Raume in Magdalene Col¬
lege zu Cambridge. B) 534 Bände Heraldik, Ge¬
nealogie, englische und irische Geschichte,
Topographie und einige Klosterakten. Sehr
interessant ist darunter die Sammlung von Visi¬
tationsbüchern, Briefen, Erlassen, Berichten usw.,
die einstmals den Bischöfen von London, Comp-
ton und John Robinson, gehörten und sich auf
die kirchlichen Streitigkeiten und religiösen und
politischen Wirren in der zweiten Hälfte des
XVI. Jahrhunderts beziehen. Zu den irischen
Manuskripten gehören Tigernachs Annals, An¬
nalen von Ulster , die Leben der Heiligen, die
Wappen irischer Familien, irische Gedichte, das
bekannte Life of St. Columba by Magnus
O'Donnell, 1532, und vieles andere. — C) 989
Manuskripte verschiedener Art, hauptsächlich
Recht, Geschichte, Theologie und einige Me-
dicina. — D) Gegen 1400 Manuskripte Miscelle-
neous, die erst 1861 gewissermaßen entdeckt,
d. h. aus ihren Verstecken und Aufbewahrungs¬
plätzen, in die sie 1755 geschafft worden waren,
hervorgezogen wurden. Wir finden unter ihnen
vor allem Werke über Geschichte, Reisen, Bio¬
graphien und theologische Streitschriften von Sir
Thomas Browne, Maittaire, Peter le Neve, Ash-
mole (dem großen Wohltäter Oxfords), vonTheo-
logen wie Grascome, Gandy, Fitzwilliams, Dean
Granville und anderen Nonjurors; Rechnungen
des Royal Surveyor of Works 1532 bis 1545; eine
Masse Manuskripte in fremden Sprachen, viele
davon Berichte von päpstlichen Nuntien nach
Rom oder von Gesandten an ihre Höfe, z. B. nach
Venedig und von J. J. Zamboni an den Herzog von
Modena und Kurfürst von Hessen-Darmstadt;
und schließlich eine Unmenge Heamiana. —
E) Über 100 Bände Briefe, einschließlich der
ungewöhnlich ausgedehnten Korrespondenz
Hearnes mit Anstis, Bragford u. a.; die Korre¬
spondenz Rawlinsons mit Dr. Thomas Turner,
Bischof Francis Turner, Philip Lord Wharton
und Sir Edmond Warcupp; zwölf Bände Briefe
von G. J. Vossius, 3 Bände von Professor
Dr. John Polyander of Kerckhoven und andere
interessante Briefschaften. — F) 246 Bände
Poesie, einschließlich Chaucer, Hoccleve, Lyd-
gate, Capgrave und Rolle of Hampole. —
G) Ungefähr 220 Bände Predigten, hauptsächlich
von bedeutenden Geistlichen der Nonconformists
und Nonjurors. — H) und I) Biblische und
klassische Manuskripte, Missale, Horae und
andere Kirchenbücher, darunter ein großartiges
Manuskript der Evangelien St. Johannis und
Lucae aus dem VIII. Jahrhundert, in Halb-
Unzialen, ein prächtiger Psalter mit Kommentar
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
140
Die Radcliffe Camera.
des Hlg. Bruno aus dem XI. Jahrhundert,
ein ebenso interessanter und schöner Psalter
aus den Jahren 1360—1380, im Aufträge des
Prior Stephen Derby für die Christ-Church
Cathedral zu Dublin geschrieben und mit
Miniaturen geschmückt, von denen namentlich
die zu den Psalmen 34, 53, 69, 81 und 98
bemerkenswert sind. — K) Eine kleine, aber
wertvolle Sammlung von Statuten, Urkunden,
Gründungsakten usw. von Colleges, Klöstern,
Kirchen, Schulen usw. — L) 138 Bände Manu¬
skripte des Nonjuror Dr. Thomas Smith. —
M) Gegen 150 kleine Bände, in die der uner¬
müdliche Sammler und scharfe Beobachter
Thomas Hearne seine Notizen über Tages¬
ereignisse, bedeutende Zeitgenossen, mit denen
er reichlich Gelegenheit hatte, in Berührung zu
kommen, persönliche Reminiszenzen, Anekdoten,
historische Studien, bissige und sarkastische
Bemerkungen über viele Leute, die ihm, den
Nonjuror und Gegner der Hannoverischen
Thronfolge, von akademischem oder politischem
Standpunkte aus nicht angenehm waren, ein¬
trug. Kaum ein einziger Gegenstand, mit dem
Hearne irgendwie in Berührung kommen konnte,
fehlt in diesen Tagebüchern, die im Juli 1705
anheben und am 4. Juni 1735, sechs Tage vor
seinem Tode, abschließen. Sie sind
voller interessanten Notizen. Im Jahre
1701 erhielt Hearne, 23 Jahre alt
und Mitglied von St Edmunds Hall-
Oxford, den Posten als Janitor in
der Bodleian Library; 1712 rückte er
zum zweiten Bibliothekar auf und als
solchen („de jure“) betrachtete er sich
bis an sein Lebensende, obwohl er
gezwungen wurde, am 23.Januar 1716
sein Amt niederzulegen, da ihm sein
Gewissen als Nonjuror nicht zuließ,
der Hannoverischen Dynastie den
Untertaneneid zu leisten. Regelmäßig
finden wir in seinen Tagebüchern die
Notiz, daß ihm an dem und dem
Tage das ihm von Rechtswegen zu¬
stehende Salär fällig geworden, aber
nicht gezahlt worden sei. Selbst die
Zusicherung der Bibliothekarstelle
konnte ihn nicht zur Leistung des
Eides bewegen; so lebte er von 1716
an ganz seinen Altertumsforschungen,
fleißigen literarischen Studien und
dem Sammeln einer beträchtlichen Menge von
Manuskripten und Büchern, deren Katalog mit
den gezahlten Preisen noch vorhanden ist.
Seine Manuskripte und Tagebücher hatte er
dem Sohne des Bischof Bedford vermacht,
von dessen Witwe sie Rawlinson 1747 für
nur £ 105 kaufte; seine Büchersammlung
(6776 Bündel) wurde im Februar 1736 von dem
Buchhändler Thomas Osbome in London ver¬
auktioniert. — N) Eine umfangreiche Sammlung
von Nachträgen, Ergänzungen und Verbesse¬
rungen, die Rawlinson zu Woods „AthenaeOxon“.
gemacht hatte; eine Menge Gravüren, Porträts,
Gemälde und römische, persische, italienische und
englische Münzen. — O) Eine große Anzahl alter
Urkunden, Erlasse und Dokumente, die Rawlin¬
son angehäuft hatte, mit den Kupferplatten, die
er von einigen zu Illustrationszwecken hatte an¬
fertigen lassen. — P) Kuriositäten, Siegel und
ähnliche Dinge, die jetzt zum großen Teil in
dem Universitäts-Museum aufbewahrt werden.—
R) Eine interessante Reihe alter Almanache,
175 Bände, von 1607 bis 1747 gehend, die 1846
von Sir Robert H. Inglis durch eine Serie
von 1747 bis 1768 ergänzt wurde, während
Dr. D. Laing 1842 das wahrscheinlich einzige
Exemplar eines kleinen, 6 x / a cmX4y a cm
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
141
Innere Ansicht des großen Lesesaals in der Radclifle Camera.
messenden „Almanacke for XII yere, after the
lalytude of Oxenforde“ schenkte, den Wynkyn
de Worde, „in the fletestrete“ 1503 gedruckt
hatte. Aus dieser kurzen Aufstellung geht schon
zur Genüge hervor, wie wichtig und vor allem
auch wie vielseitig die Bereicherung der Bod-
leiana durch Rawlinsons Hinterlassenschaft war.
Macray gibt noch eine Liste der hauptsäch¬
lichsten Bibliotheken, aus denen Rawlinsons
Manuskripte stammen; wir wollen von diesen
sechsunddreißig Bibliotheken nur die des Her¬
zogs von Chandos, die des Henry Earl of
Clarendon, des Bischofs Compton, Nie. Jos.
Foucault, Mantagu Earl of Halifax, Lord
Somers, Erzbischof Ussher, Erzbischof Wake
und Sir James Ware erwähnen. —
Dr. Richard Rawlinsons großartiger Schen¬
kung folgten noch im gleichen Jahre (1755) die
bedeutenden Legate des Archidiakonus Richard
Fumey, von James St Am and und von George
Z. f. B. 1904/1905.
Ballard: frühe Ausgaben der Klassiker, vier¬
undvierzig Bände Briefe von bedeutenden
Männern jener Zeit, ältere und neuere Manu¬
skripte usw. Vier Jahre später kam ein
großer Teil der State-Papers Edward Hydes,
„the great Earl of Clarendon“, in die Bibliothek,
die 1753 dessen Großenkel, Henry Hyde, Lord
Combury, Sohn von Henry Hyde, Earl of
Rochester, der Bodleian bei seinem Tode im
Mai 1753 von seinem Vater hinterlassen hatte;
weitere Teile folgten später und noch im
Jahre 1888 trafen die letzten Ergänzungen dieser
für die Geschichte Englands und seiner inneren
und auswärtigen Politik so ungemein wichtigen
Dokumente ein. — Henry Dawkins schenkte
über 60 syrische, griechische und arabische
Manuskripte, viele davon sehr alt und ungemein
wertvoll. Außerdem sandte in diesem Jahre
Stationers Hall das erste Mal Musikverlag ge¬
mäß den Vorschriften der Copright-Act an die
Bodleian; diese von da an regelmäßig werdenden
Sendungen wurden bis 1845 aufgespeichert, da
keine Zeit und Kräfte zu ihrer Erledigung
19
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142
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
vorhanden waren, bis in jenem Jahre Rev.
H. E. Havergal mit ihrer Sichtung begann und
sie in 300 bis 400 Bände einbinden ließ. Der
bekannte Altertumsforscher Browne Willis ver¬
machte der Bibliothek 1760 seine Manuskripte,
59 Folio-, 48 Quart- und 5 Oktavbände, alle
voller wertvollem Materials für die kirchliche
Topographie Englands und Wales*. Schon bei
Lebzeiten hatte er der Bodleian kostbare
Manuskripte zugewandt, ebenso wie Münzen,
von denen bei seinem Tode noch viele teils als
Geschenk, teils zu einem geringen Preise zum
Kauf angeboten wurden. Münzen, und zwar
über 3000, bildeten auch neben einer Anzahl
Bücher den Hauptteil der testamentarischen
Schenkung Charles Godwins im Jahre 1770.
Die Testamentsvollstrecker des 1774 ver¬
storbenen Professors Rev. Dr. Thomas Hunt
gaben in den Jahren 1774 bis 1776 über 200
wertvolle orientalische Manuskripte; 1794 ver¬
machte Dr. Thomas Knight seine schöne
Sammlung von Medaillen und englischen Münzen,
und seine Erben gaben 1795—96 sechsund¬
vierzig Bände, meistens Folio, mit wichtigem
Stoff zur Topographie von Northampton-
shire, den John Bridges zusammengetragen
hatte. Die Musiksammlung wurde 1801 ganz
bedeutend an Zahl und Wert durch das Ver¬
mächtnis Osbome Wights, M. A., New College,
vermehrt: 209 Manuskripte außer vieler ge¬
druckter Musik, darunter zahlreiche alte Werke.
Im Jahre 1805 hinterlegte Dr. Holmes den
letzten Band, No. 142, der großen Manuskript¬
kollektion der Septuaginta in der Bodleiana;
dies Riesenwerk, 1798 begonnen, sollte alle be¬
kannten Manuskripte des griechischen Textes
umfassen, und trotz großer innerer und äußerer
Schwierigkeiten wurde es auch durch alle
Bibliotheken hindurch während siebzehn Jahren
ausgefuhrt. Die Clarendon Preß, die Oxforder
Universitätsdruckerei, verlegte dann das wich¬
tige Werk in 5 würdigen Foliobänden in den
Jahren 1798 bis 1827.
Ein für die Bodleiana wichtiges Datum
wurde der 20. Februar 1809, der Todestag
Richard Goughs (geboren zu London 21. Ok¬
tober 1735, gestorben zu Enfield 20. Februar
1809), des berühmten Topographen und Alter¬
tumsforschers. Sein beträchtlicher Wohlstand
hatte ihn befähigt, bei seiner guten Bildung und
großen Begabung eine ausgedehnte und wich¬
tige Bibliothek und Sammlung von Karten,
Handzeichnungen, Stichen, Münzen und Anti¬
quitäten zusammenzubringen. Im Jahre 1804
hatte er seine gesamten Schätze dem British
Museum als Geschenk angeboten, mit der Be¬
dingung, für einige Sachen das Gebrauchsrecht
zu behalten. Sein Angebot war aber von den
Autoritäten am Museum unverständlicherweise
nicht so freudig aufgenommen worden, wie es
Gough erwartet hatte, und so wurde nichts aus
der Schenkung; an ihrer Stelle traten dann die
Bestimmungen seines Testaments aus dem
Jahre 1799 in Kraft, demzufolge die Bodleian
Library über 3700 Bände, alle Karten und
Gravüren und die Originalkupferplatten, die zur
Illustration seiner eigenen Werke gebraucht
worden waren, erbte. Dies waren alle seine
topographischen Bücher und Manuskripte, alles
was sich auf anglosächsische und nordische
Literatur bezog, und unter den Platten vor
allem die äußerst wertvollen zu den „Sepulchral
Monuments“ und zur „British Topography: or
an historical Account of what has been done
for illustrating the Topographical Antiquities of
Great Britain and Ireland.“ Das Manuskript
zu einer dritten, wesentlich erweiterten und ver¬
besserten Auflage dieses großartigen Werkes
wird jetzt in der Bodleian aufbewahrt. Die
große Reihe von Karten, topographischen
Drucken und Zeichnungen füllt viele Bände im
größten Folioformat. Die Manuskripte und
Bücher sind geordnet unter: Allgemeine und
kirchliche Topographie, Naturgeschichte, Graf¬
schaften , Länder. Die anglosächsische und
nordische Literatur („zum Gebrauche des Pro¬
fessors für anglosächsisch“) zählt 227 Werke.
Ganz außerordentlich wertvoll und verhältnis¬
mäßig zahlreich sind die gedruckten Bücher
zum englischen Kirchendienst vor der Refor¬
mation, zusammen mit einigen Manuskripten.
Die Missale, Breviaria, Manuale, Horae, Psalter,
Hymnen usw. zählen ca. hundertundzehn;
darunter vor allem solche für den Gebrauch
in den Diözesen von Salisbury, York, Rouen,
Rom und Hereford. Das wohl einzige Exem¬
plar auf Pergament des „Missale ad usum
eccles. Herfordensis“, Folio, Rouen, 1502,
gelangte unter den Büchern K. Hearnes
durch Rawlinson in die Bibliothek. Sechzehn
starke Foliobände in Goughs* Sammlung be¬
sitzen noch ganz besonderes Interesse: es sind
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
M 3
ca. 2000 Zeichnungen in Farben von Kirchen-
denkmälem, die meistens in den Revolutions¬
zeiten mehr oder weniger zerstört wurden, alle
aus Frankreich, hauptsächlich aus Paris, aus der
Normandie, Valois, Champagne, Bourgogne, Brie,
zu Beauvais, Chartres, Vendome und Noyon, die
von einem M. Gagni&res, Erzieher im Hause des
Grand Dauphin, stammen, der sie mit vielen
anderen Bänden gleicher Art 1711 Louis XIV.
schenkte. Diese große Sammlung befindet sich
jetzt in der Bibliotheque Nationale; während
der Revolution verschwanden davon 25 Bände,
von denen auf unaufgeklärte Weise sechzehn
in Goughs Besitz kamen.
Der Wert des Goughschen Vermächtnisses
ist nur von wenigen anderen erreicht oder
übertroffen worden, und zwölf Jahre lang mußte
dann die Bodleian trotz vieler kleinerer, oft
sehr wertvoller Gaben auf eine neue große
Zuwendung warten. Es war dies die Stiftung der
berühmten und ausgedehnten Sammlung eng¬
lischer dramatischer Literatur und Poesie, die
Edmund Malone 1812 seinem Bruder Richard
Lord Sundertin hinterlassen hatte, der sie 1815
der Bodleian schenkte, wohin sie 1821 nach
Vollendung der neuen, durch James Boswell
besorgten Ausgabe von Malones Shakespeare
überführt werden konnte. Fast alle der 800
Bände sind berühmt ob ihrer Wichtigkeit und
Seltenheit. First Quartos von vielen von
Shakespeares Plays, Second Quartos von an¬
deren, Werke Barnfields, Beaumonts, Fletchers,
Chapmans, Deckers, Greenes, Heywoods, Ben
Jonsons, Lodges, Massingers, John Taylors,
Whetstones, sind einige der Perlen, von denen
einige einstmals in königlichem Besitze gewesen
sind. Im Laufe der Jahre sind dann noch
viele wichtige Manuskripte Malones selbst, eben¬
so wie viele Briefe von ihm und an ihn hinzu¬
geschenkt oder gekauft worden.
Dreizehn Jahre vergingen wieder, ehe die
nächste großartige Schenkung an Büchern
und Manuskripten der Bodleian zufiel. Diesmal
war es das Resultat des Sammeleifers eines
Lebens: 16480 Bände, eine Anzahl Frag¬
mente frühenglischer Werke, einschließlich
zweier Unica von Caxton, 393 Manuskripte,
von denen viele glänzend illustriert, 98 Ur¬
kunden, eine große Menge wertvoller Hand¬
zeichnungen und Staatsstücke, eine schöne
Sammlung von Münzen und Medaillen: alles
mit Aufwand von viel Geschmack, Wissen und
Geld von Francis Douce (geboren 1757, ge¬
storben 30. März 1834) zusammengebracht und
fast alles von ihm der Bodleian Library ver¬
macht Dort soll das herzliche Entgegenkommen
und der Empfang seitens Dr. Bandinels, des
Bibliothekars, auf Douce bei seinem Besuch mit
Isaac D’Israeli im Jahre 1830 einen entschei¬
denden Eindruck gemacht haben. Dem British
Museum hinterließ er nur weniges, darunter
jenen Band der Werke Albert Dürers, der einst
dem Bildhauer Nolleken gehört hatte, und jenen
mysteriösen Koffer, „Mr. Douces Papers“ ent¬
haltend, der erst am 1. Januar 1900 geöffnet
werden durfte, jedoch zu allgemeiner Ent¬
täuschung nichts von literarischem Werte ent¬
hielt, dafür aber eine Anzahl rein persönlicher
Schriftstücke, vielleicht auch viel Geklatsch und
für einige seiner Zeitgenossen wenig Erfreu¬
liches. F. Douce hatte 1812 seine Stellung als
Keeper of the Manuskripts im British Museum
wegen einiger Reibereien mit einem der Trustees
aufgegeben und seit jener Zeit eine Abneigung
gegen das Museum beibehalten.
Douces reicher Vater hatte dem jüngeren
Sohne Francis nur wenig hinterlassen; der Bild¬
hauer Nolleken jedoch machte ihn zu seinem
Erben, und nach heutigem Werte betrug Douces
Vermögen gegen Mk. 2000000, dessen Ein¬
künfte nebst Kapital er zum größten Teil und
oft zum Nachteile seiner Familie auf seine
Sammlungen verwandte.
Seine glänzende Bibliothek bereicherte die
Bodleiana gerade auf vielen Gebieten, auf denen
sie bis dahin ziemlich arm gewesen war. So
stammen z. B. die meisten der schönsten Illu¬
minationen von Missalen von ihm her. Der
sogenannte „Charlemagne Psalter“ (wohl aus
dem IX. Jahrhundert und aus der alten Biblio¬
thek der französischen Könige) auf purpurnem
Pergament, die Horae, die Guilio Clovio(?)
zu Anfang des XVI. Jahrhunderts fiir Leo-
nora Gonzaga, Herzogin von Urbino, ange¬
fertigt, die Horae aus dem Besitze der Maria
de Medici, die Horae, die 1527 fiir B. Sforza,
Sigismund des Ersten von Polen Gemahl, be¬
endet wurden, sind einige der vielen preis¬
losen Juwelen. In Bibeln (englisch und franzö¬
sisch), Gebetbüchern und Psaltern ist die Samm¬
lung sehr reich, ebenso in Büchern über Ge¬
schichte, Biographie, Antiquitäten, Sitten- und
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144
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
Kulturgeschichte, schöne Künste, frühfranzösische
Literatur, bisher nur spärlich in der Bodleian
vertreten. An wertvollen Inkunabeln betrug der
Zuwachs 511 Nummern, von denen vielleicht
die schönste ein prächtiges Exemplar von Plinii
Naturgeschichte in der italienischen Übersetzung
des Christoforo Landino ist, die Nie. Jansen
1476 zu Venedig auf Pergament druckte. Der
Wert vieler der Werke aus Douces Bibliothek ist
wesentlich erhöht durch die sauberen, sorgfäl¬
tigen handschriftlichen Noten, Erläuterungen,
Berichtigungen und Hinweise auf Quellen, die
alle von einem tiefen Verständnis und um¬
fassender Belesenheit zeugen. Für den Forscher
liegt in diesen Bänden noch manches Goldkorn
begraben, und ihre Benutzung im Vorzug vor
anderen Exemplaren ist immer der Mühe wert.
Douces Stiftung ist bis heute für die Bod¬
leian Library die letzte ihrer Art gewesen. Die
Zeiten scheinen vorbei zu sein, in denen ein
Bibliophile seine Mission voll verstand, in
denen er erkannte, daß es übertriebener Egois¬
mus ist, Schätze mit Hilfe seiner Mittel an
Die Bodleian Library. Innere Ostseite des Quadrangle.
Geld, Stellung und Geist zusammenzubringen,
um nur sich selbst daran zu erfreuen, nur einer,
wenn auch noch so edlen Manie sich hinzu¬
geben und um sie nach seinem Tode, ent¬
weder gleichgültigen und unbefähigten Erben
zu vermachen oder um sie unter dem Hammer
des Auktionators in alle Winde zerstreuen zu
lassen, statt sie einem öffentlichen Institute zu
überweisen, wo sie bis auf späte Geschlechter
eine frische, starke Quelle der Bildung, des Er-
bauens und des Genusses werden können, Segen
über Hunderttausende ausströmend.
In kleinerem Maßstabe finden wir allerdings
noch manche wertvolle Schenkung. So z. B. die
prächtige Serie historischer Stücke und Hand¬
zeichnungen, die nach ihrem Geber am 4. Mai
1837 die Sutherland-Kollection genannt wurde:
die Folioausgaben von Clarendons „History of
the Rebellion“, von „Clarendons Life“ und von
Burnets „History of my Ovon Times“ in sechs
Bänden, alle drei durch 19224 Porträts von allen
Personen und Ansichten und Karten von allen
Plätzen, die in den Werken erwähnt werden
oder damit im Zusammenhang
stehen, auf 61 Extragroßfolios
ausgedehnt Der Wert einer
solchen Zusammenstellung ist
evident. Alexander Hendras
Sutherland hatte damit im
Jahre 1795 begonnen und nach
seinem Tode am 21. Mai 1820
hatte seine Gattin und Gehilfin
das große Werk mit Aufwand
von viel Mühe und Geld fort¬
gesetzt. Im ganzen dürften
über £ 20000 darauf verwandt
worden sein; viele der Illu¬
strationen sind jetzt wohl
Unica geworden und oft die
einzigen authentischen Zeugen
vergangener Jahrhunderte.
1838 schenkte Sir George
Bowyer 87 Bände italienischer
Städteverfassungen, zum Teil
gedruckt, zum Teil in Manu¬
skript; in den Jahren 1839,1842
und 1843 folgten wertvolle Er¬
gänzungen. Sechsundzwanzig
Foliobände Manuskripte zur
Geschichte und Topographie
Shropshires kamen im Jahre
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Degcncr, Die Bodleian Library in Oxford.
145
Die Bodlejian Library von Süden (vor der Restauration).
1840 (oder 1841) von Rev.
John Birchdale Blakeway; die
Königin schenkte im selben
Jahre (1841) von einem großen
Funde bei Cuerdale in Lanca-
shire 136 frühfranzösische und
anglosächsische Münzen, und
der am 5. Januar 1841 ver¬
storbene Rev. Dr. Robert
Mason vom Queens College
hinterließ der Bodleian Library
die Summe von £ 36000 zur
höchstwillkommenen und stark
benötigten Verstärkung der
Fonds, gleichzeitig seinem
College zu einer neuen Biblio¬
thek £ 30000 vermachend.
Diesem großen Wohltäter zu
Ehren wurde ein Raum, der
der Aufnahme wertvoller illu¬
strierter Werke dient, der
Mason-Room genannt Fast ein Neuntel des
Gesamteinkommens der Bodleian-Bibliothek
stammt aus diesem Vermächtnis. Wie im Ver¬
hältnis vollkommen ungenügend dieses Gesamt¬
einkommen fiir die großen Aufgaben der Biblio¬
thek ist, scheint weder den staatlichen
Autoritäten, noch seit Masons Zeiten den
reichen Privatleuten voll zum Bewußtsein ge¬
kommen zu sein, trotz aller Anstrengungen
seitens des Bibliothekars und anderer Kenner
der Verhältnisse. Hier ist noch ein weites und
dankbares Feld fiir die großherzige Freigebig¬
keit eines Carnegie oder fiir die Mitglieder des
reichen englischen Hochadels, die auffallend
wenig von ihren großen Schätzen dem All¬
gemeinwohl widmen. Als rühmliche Geldspen¬
den, die seitdem der Bibliothek zugeflossen,
sind nur noch die £ 1400 eines ungenannten
Mitgliedes des All Souls College aus den Jahren
1887 bis 1902 und £ 675 vom Trinity College
aus den Jahren 1898 bis 1902 anzufuhren.
Auch an besonders großen Bücherspenden
hat es seit jener Zeit gefehlt; von den vielen
kleineren Gaben müssen wir jedoch noch
einige nennen. Sir William Walker schenkte
1845 265 arabische, persische und sanskrit-
Manuskripte, die sein Vater gesammelt hatte,
als er General in Indien war. Aus Deutsch¬
land und zwar aus dem durch Luther berühmt
gewordenen Karthäuser-Kloster zu Erfurt
stammte die Gabe von 58 Manuskripten, meistens
mittelalterliche Predigten und theologische Ab¬
handlungen, die nach 1805 in den Besitz von
Sir William Hamilton gelangt waren, dessen
Söhne sie im Jahre 1857 der Bodlein zuwiesen.
Eine glänzende Reihe von 425 persischen und
arabischen Manuskripten nebst einer großen
Sammlung orientalischer Münzen, Siegel und
Waffen schenkte J. B. Elliott aus Padua 1859,
der das meiste von dem englischen Botschafter
in Persien, Sir Gove Ouseley, gekauft hatte.
Über 760 Stücke englischer Essayisten, meist
dem XVIII. Jahrhundert angehörend, und eine
große Reihe wertvoller Zeitschriften gab 1862
durch Testament Rev. F. W. Hope, durch den
ja auch die Oxforder Professur fiir Zoologie be¬
gründet wurde und der der Universität die
enorme Porträtsammlung und Kunstbibliothek
seines Vaters vermachte: über 20000 Porträts
und 4000 Bände. Ca. 700 Bände Bücher und
Manuskripte und einige tausend Porträts waren
das Vermächtnis Captain Montagu Montagues
im Jahre 1863, darunter ca. 90 Ausgaben und
Übersetzungen des Psalters, Manuskripte der
Klassiker, z. B. der Werke des Anakreon, Horaz,
Juvenal, und viele Autographen berühmter
Leute. Bedeutend als Autographen und für die
Geschichtsforschung sind auch die mehr als 500
Originalbriefe aus der Zeit der Königin Elisabeth
und James’ I., die Hon. G. M. Fortescue 1872
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
I46
schenkte; es befinden sich darunter Briefe von
James I., Königin Elisabeth, Bacon, Buckingham,
Bischof Williams und anderer Berühmtheiten.
In den Jahren von 1875—1888 schenkte General
Sir Charles Warren einige tausend orientalische
Münzen, und zwischen 1888—1898 kamen in
die Bibliothek als vornehmes Geschenk von
J. Haworth (of Bowdon, Cheshire) eine große
Menge wertvoller griechischer Papyri-Frag mente
aus der Ptolomäer-Zeit, die Professor W. M.
Flinders Petrie in Ägypten entdeckt hatte, eben¬
so wie der große und prächtig geschriebene
Papyrus der zweiten Iliade, 10 Blatt, wahr¬
scheinlich aus dem II. Jahrhundert n. Chr.
stammend. Petrie hatte dieses wichtige Manu¬
skript im Februar 1888 in einem Begräbnisplatz
zu Hawara in Fayum gefunden; der linke Rand
der Blätter trägt eine fortlaufende Reihe von
kritischen Anmerkungen und der rechte Rand
gelegentliche Scholia; das Committee of the
Egypt Exporation Fund vergrößerte 1896 und
1900 diese anwachsende und jetzt sehr bedeu¬
tende Sammlung von ägyptischen Literatur¬
denkmälern. 1896 schenkte Petrie auch eine
Serie von 502 Alexandrinischen Münzen aus
der Römerzeit. Unter den 38 wichtigen grie¬
chischen und lateinischen Papyri des Jahres 1900
befindet sich das berühmte Blatt Aoyla lr]öoö
aus dem II. oder III. Jahrhundert, mit, wie es
heißt, Aussprüchen Jesu. Bei der großen Selten¬
heit von lateinischen Handschriften aus den
ersten Jahrhunderten nach Christi sind diese zu
den Oxyrhynchus-Papyri gehörigen besonders
bemerkenswert
Für immer bedeutend in den Annalen der
Bodleian wird das Jahr 1895 bleiben; denn in
ihm und im Jahre darauf schenkte Jane Lady
Shelley, des Dichters Schwiegertochter, die
Shelley-Kollektion, die von der Bibliothek jetzt
als eine der größten Schätze, vor allem in den
Augen der Engländer, gehütet wird. Die Kol¬
lektion besteht aus: Handschriftlichen Briefen
Shelleys, seiner zweiten Frau und anderer; zehn
Werken des Dichters im Manuskript; ver¬
schiedenen Ausgaben seiner Werke; dem Exem¬
plare der Werke des Sophokles, das seine
Hände umschlungen hielten, als der Tod ihn
jäh in der Bucht von Spezia ereilte; zwei
Porträts von Shelley und einem von Mary
Wollstonecraft Shelley von Reginald Euston
nach einer Totenmaske; einer Berlocke mit
Locken von Shelley und Mary, und aus Shelleys
Uhr mit Kette und fünf Siegeln.
Die Feier des dreihundertjährigen Bestehens
der Bibliothek am 8. November 1902 wurde
festlich in akademischer, alten Traditionen ge¬
treuer Weise am 8. und 9. Oktober begangen.
Da der 8. November mitten in das arbeits¬
reichste Studiensemester fällt, hatte man die
Festlichkeiten um einen Monat vorausgenommen.
Nach kontinentalen Begriffen, nach den Ideen
Deutscher, die Altehrwürdiges, den Geist der
Jahrhunderte in sich Tragendes in poesievollem
Gefühle gern mit einem Nimbus umkleiden, mußte
die Feier freilich einen etwas nüchternen Ein¬
druck machen, und wir glauben, daß auch die
zahlreich versammelten ausländischen Ehren¬
gäste und Abgesandten fremder Regierungen,
Universitäten und gelehrter Gesellschaften im
Grunde ihres Herzens etwas enttäuscht waren.
Die Feier brachte übrigens der Bodleiana eine
größere Menge wertvoller Gaben, von denen die
zahlreichen kunstvollen Glückwunschadressen,
darunter viele Meisterstücke der Kalligraphie,
Druckkunst, Illustration und Illumination und
der Buchbinderei, besonders zu erwähnen sind,
ebenso wie das wichtigste Geschenk des Jahres:
das berühmte sogenannte Bakhshali-Manuskript,
ein Arithmetik-Werk in Sanskrit, auf siebzig
kleine Buchenrindenblätter geschrieben, 1881
an der Nordwestgrenze von Indien entdeckt
und von Dr. A. F. R. Hoemle, einem geborenen
Deutschen, der Bodleiana zur Jubelfeier ge¬
stiftet.
Die Hoffnung, die alle bei dieser seltenen
Gelegenheit hatten, denen das Gedeihen der
Bibliothek am Herzen liegt, hat sich aber
leider noch nicht erfüllt. Weder Carnegie
noch irgend ein anderer Krösus des englischen
Weltreiches hat sich bereit gefunden, Masons
Beispiel folgend, durch einige Millionen die
Bibliothek mit einem Einkommen zu versehen,
das sie voll in den Stand setzen würde,
der stetig wachsenden Rückstände Herr zu
werden und den steigenden Bedürfnissen zu
genügen. Alle Bemühungen der beiden letzten
Bibliothekare, unterstützt von den Kuratoren
und anderen, sind in dieser Hinsicht erfolglos
geblieben, und selbst Gladstones Rat und Hilfe
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
haben nichts erzielt. Zwischen ihm und dem
Bibliothekar Mr. Nicholson, der ihn dafür inter¬
essiert hatte, kam es zu längerer Korrespon¬
denz, und er schlug vor, einfach direkt an
solche Leute heranzutreten, deren Reichtum,
Liberalität und Neigung sie für diesen Zweck
geeignet erscheinen ließen. Er nannte sogar
solche Kandidaten, aber trotzdem fielen die
Pläne auf unfruchtbaren Boden, und auch hier
bewieß sich der Mangel an Opferwilligkeit in
großem Stile, den man als Vorwurf den eng¬
lischen Magnaten nicht ersparen kann, die sich
in jeder Weise hierin von den Amerikanern
überflügeln oder von den in England ansässigen
und naturalisierten reichen Deutschen beschämen
lassen. Die meisten und größten der Millionen¬
stiftungen, deren sich England erfreuen kann,
rühren von Ausländem her, wie die Cassels,
Beits, Wernhers, Rothschilds, Goerzs, Monds,
Brunners u. a.
Neben der steten beträchtlichen Zunahme
an Manuskripten und Büchern haben aber auch
zu Zeiten mehr oder minder wichtige Abnahmen
stattgefunden, sei es durch Abgabe, durch Aus¬
tausch, durch Verkauf oder leider auch durch
Diebstahl. So wurden im Jahre 1736 vier Bände
Manuskripte, die zu Bischof Moores Bibliothek ge¬
hörten, aus der Bodleiana ausgeschieden und dem
University College Cambridge zurückgegeben,
ebenso 1740 ein Exemplar von den Werken
des Byzantinischen Geschichtsschreibers Pachy-
medes an das Emmanuel College Cambridge,
von wo es verschwunden war; allerdings zahlte
das College dafür £ 4. 4 s. Entschädigung. Am
4. März 1814 gingen einige Rechnungs- und
Geländebücher an ihre früheren Eigentümer
University und Magdalen College Oxford über,
am 15. November 1810 die Manuskript - Re¬
gister Bischofs Richard Kellawe von Durham,
1311—1316, und teilweise auch die Bischofs
Richard Bury 1338—1342, aus Rawlinsons Kol¬
lektion an die Kanzlei der Bischöfe von Durham;
am 9. November 1821 die Kirchenbücher von
Newington (Kent) und Bures (Suffolk) an ihre
alten Gemeinden. Das Ansuchen seitens des
Dean und Consistoriums zu Lichfield um Rück¬
gabe des Chapter-Book für die Jahre 1321 bis
1356 (Ashmole Ms. 794) wurde im Jahre 1884
abgeschlagen.
M7
Austausch von Dubletten hat öfters statt¬
gefunden, so mit Queens College 1693 und
wieder im Jahre 1695 in bezug auf die Dupli¬
kate aus Bischof Barlows Sammlung. Der
jedoch meistens eingeschlagene Weg schon in
den ersten Jahrzehnten, ja schon in den Vor¬
bereitungsjahren unter Bodley selbst, sich von
Dubletten zu befreien, war, sie zu verkaufen. Wir
haben freilich schlagende Beweise, daß dabei
leider oft der literarische Wert recht mangel¬
haft beurteilt wurde. Handschriftliche Noten
berühmter Leser und Vorbesitzer schien man
entweder zu übersehen oder gering zu achten
und den Wert früherer Ausgaben gegenüber
neueren „verbesserten“ oft ganz und gar zu ver¬
kennen. So ist es z. B. über allen Zweifel er¬
haben, daß die Ausgaben von 1601 und 1617
von Fulkes „Annotations on the Rhemish New
Testament“ im Jahre 1620 noch in der Biblio¬
thek waren, dann aber der dritten Ausgabe von
1633 zu Liebe ausgeschieden wurden, bis im
Laufe des XIX. Jahrhunderts die fehlenden
Exemplare wieder erworben wurden. Im Katalog
von 1635 finden wir den berühmten First Folio
der Werke Shakespeares vom Jahre 1623,
dessen Wert jetzt ca. 35000 Mk. beträgt; als
aber später der Third Folio kam, trennte man
sich von den früheren Ausgaben, bis der First
Folio unter den Malone-Büchern 1821 wieder
in die Bodleiana kam. Verkäufe von Dupli¬
katen haben bis fast in die letzten Jahre statt¬
gefunden, soweit sie überhaupt möglich waren,
da viele Schenkungen einen Verkauf direkt
ausschließen oder von vornherein für etwaige
Dubletten einen anderen Empfänger oder
Erben einsetzen. Groß sind die Erträge nie
gewesen, vor allem nicht während der letzten
vierzig Jahre. Soviel wie wir jetzt feststellen
können, fanden die ersten Verkäufe im Jahre
1623 und 1629—30 statt und ergaben £ 5.
15 s. 6 d., beziehungsweise £ 5. 15 s. 4 d.;
eine größere Auktion fand 1676 statt, aus Anlaß
deren ein Edmund Pritchard £ 2. 17 s. 6 d. für
seine Bemühungen erhielt. Im Jahre 1790 erzielte
man £ 120 für Duplikate bei Chapman & King
in London, und kleinere Beträge erscheinen in
den Rechnungen für 1793, 1794 und 1804. Im
Jahre 1862 befreite man sich in einer größeren
öffentlichen Auktion in London von den An¬
sammlungen vieler Jahre in angekauften, durch
nachträgliche Schenkungen ersetzten Werke,
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148
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
Die Duke Humphreys Library, von Osten gesehen.
und erzielte die beträchtliche Summe von £ 766
2 s. 6 d.; es folgte am 12. April 1865 noch eine
andere Auktion, deren Erträgnis auf £ 750
18 s. 6 d. kam. Unter beiden befanden sich
wertvolle Werke wie Guil. de Saonas Rhe-
torica Nova, aus der berühmten St Albans-
Druckerei 1489 (£ 110. 5 s.), Chettles Kind-
Hearts Dream, 1593 (£ 101), Deckers Guls
Home-Booke, 1609 (£ 81). Seitdem sind nur
für verschiedene geringe Beträge Dubletten
verkauft worden, und auch die Gepflogenheit,
die von Stationers Hall kommenden Sendungen
durchsehen und vieles davon als unbrauchbar
ausscheiden zu lassen, wie es z. B. noch 1790 ge¬
schah, ist nicht mehr geübt worden.
Am betrüblichsten sind die Verluste durch
Diebstahl. In früheren Jahren trugen zweifellos
die weniger strenge Einhaltung der Regel, nichts
auszuleihen, oder die schwankenden Bestim¬
mungen darüber viel dazu bei, ebenso wie bis
zum heutigen Tage die sprichwörtliche Ge¬
dankenlosigkeit gelehrter Herren, die vergessen,
entliehene Bücher zurückzugeben. Der erste
Diebstahl, von dem wir wissen, geschah im
Jahre 1624, und seitdem sind viele Bibliotheks¬
besucher zu öfterem der Versuchung unterlegen,
sich von den nicht angeketteten Büchern einige
anzueignen oder gar zu dem barbarischen Mittel
zu greifen, aus Bänden Teile herauszuschneiden,
wie dies vor ungefähr sechzig Jahren geschah,
als zwei äußerst seltene Traktate von Thomas
Churchywids: „Epitaph of Sir P. Sidney“ und
„Feast full of sad Cheere“, verschwan¬
den. Hunderte von Manuskripten und
Büchern, viele davon unersetzbar, sind
auf diese Art im Laufe der Jahrhun¬
derte fortgekommen oder sind ver¬
stümmelt worden, und es scheint uns,
als ob die Bodleiana durch diesen
Frevel mehr gelitten hat als ihre
große Schwesterbibliothek im British
Museum. Im Jahre 1891 entwendete
einer der jungen Angestellten („Boys“
genannt) außer anderen Werken 37
wertvolle Traktate aus der Mather-
Kollektion. Der Dieb wurde jedoch
nach nicht langer Zeit gefaßt und fast
alle Werke wurden wiedererlangt.
Das Verbrechen führte zu einer noch
schärferen Überwachung der jüngeren
Angestellten, die mit 15 und 16 Jahren
als Lernende in die Bibliothek eintreten, um dort
für die verschiedenen Bibliotheksarbeiten syste¬
matisch trainiert zu'werden und dann allmäh¬
lich je nach Befähigung und Leistung in die
dauernden Beamtenstellungen aufzurücken. Als
die Anfang der neunziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts sich immer wiederholenden Ent¬
wendungen von der ca. 8000 Werke zählen¬
den offenen Handbibliothek in dem Lesesaal
der Radcliffe Camera nicht nachließen, sah
sich der Bibliothekar veranlaßt, die gesamte
Handbibliothek vom 19. März 1895 an unter
Verschluß zu bringen, trotz der damit verbun¬
denen großen und oft gerügten Unannehmlich¬
keiten. Leider währten die Diebstähle fort; bis
zu dreißig Bände verschwanden im Jahr, so
lange noch Regale offen blieben. Der Vor¬
schlag einer Anzahl regelmäßiger Leser, einen
Fond zu schaffen, aus dem die Entwendungen
ersetzt werden konnten, wurde abgelehnt, zu¬
nächst des Prinzipes wegen und dann auch aus
dem Grunde, daß manches jener Werke über¬
haupt nicht wieder beschafft werden konnte. In
den letzten beiden Jahren sind 5492 Bände wieder
allgemein zugänglich gemacht und Schlüssel zu
den verschlossenen Regalen den über alle Zwei¬
fel erhabenen Personen auf deren Antrag zur
Verfügung gestellt worden. Glücklicherweise
haben sich auch in den letzten Jahren keine
Verluste auf diese Art bemerkbar gemacht. Zu
den Dieben gehörten, soweit man sie hat
feststellen können, zu allen Zeiten nicht nur
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
149
Oxforder Studenten, sondern auch Ausländer,
zum Beispiel zu Anfang des XVHL Jahrhun¬
derts ein gewisser (J. U.) Meurer aus Württem¬
berg, über den sich Heame heftig erboste.
Das schlechte Gewissen oder der Wunsch
Dritter, Übeltaten ihrer Mitmenschen gut zu
machen, sind auch der Bodleian behilflich ge¬
wesen, ihr entwendete Schätze wiederzuzuflihren.
Unter Rawlinsons Manuskripten finden wir einen
Psalter aus dem XV. Jahrhundert mit der In¬
schrift von Dr. Bliß’s Hand: „Stolen from the
Library and restored by Dr. Laurence, Juni 20 4
1802, who purchased it at an auction in London.“
Nach einer wichtigen Versammlung der sämt¬
lichen Mitglieder der Universität in den Fünf¬
zigern des XIX. Jahrhunderts entdeckte man in
einem Büchergestelle nahe dem Ausgang aus
der Bibliothek einen kleinen wertvollen Band,
der von einem Leser und Teilnehmer an der
Versammlung am 14. Februar 1807 nicht
zurückgegeben worden war, wie man bei
Nachforschung herausfand. Zur gleichen Zeit
fand sich an ähnlicher Stelle zwischen andere
Bücher hineingezwängt ein Quartband wieder,
den man schon lange aufgegeben hatte. Und
1851 erwarb die Bibliothek von einem Bres¬
lauer Buchhändler ein Manuskript R. Saadials:
eine arabische Übersetzung in hebräischer Schrift
des Jesaia, das 1789 der Jenaer Professor
Hen. E. G. Paulus, der bekannte Autor des
„Leben Jesu“, kopiert hatte (Ponocke Ms. 32)
und das seitdem verschwunden war, bis es
nach Paulus Tode 1850 in deutschem Ein¬
bande und nach sorgfältiger Verwischung der
Spuren seiner früheren rechtmäßigen Eigen¬
tümer wieder auftauchte. Doch genug von
dieser Schattenseite menschlicher Schwächen
und Undankbarkeit! —
direkten Nachschlagegebrauch der Leser. Es
ist dies ein altes Axiom, und trotzdem ist eine
allen wirklich berechtigten Ansprüchen gerecht
werdende Katalogisierung in vielen Bibliotheken
vernachlässigt worden oder doch in argem
Rückstand, selbst in großen und reich vom
Staate unterstützten Büchereien, wie zum Bei¬
spiel in der zweitgrößten Bibliothek der Welt,
der Biblioth&que Nationale.
Bodley als echter Bibliophile war von An¬
fang an mit weitem Blick auf einen genauen
Katalog flir seine Gründung bedacht und, wie
schon weiter oben erwähnt, sparte er weder Mühe
noch Zeit, weder Geld noch Ermahnung an
James, seinen Bibliothekar, diesen Katalog
stets auf dem Laufenden zu halten, trotz aller
Schwierigkeiten, die aus dem oft großen
Andrang von Neuanschaffungen oder aus den
vielen fremdsprachlichen Manuskripten und Wer¬
ken entstanden. Spätere Generationen haben
den Kampf um das Vollkommene fortgefiihrt
und auch etwas recht Brauchbares und vom
Idealen nicht allzu Fernes erreicht. Wenn
heute ein vollständiger und durch Nachträge
wie im British Museum auf dem Laufenden
gehaltener Generalkatalog der Bodleiana nicht
existiert, so ist das ausschließlich die Schuld
des Staates, der die für ein solches Werk in
die Hunderttausende gehenden Kosten nicht be¬
willigen will, Kosten, die natürlich weder die
verarmende Universität noch die mageren Ein¬
künfte der Bibliothek tragen können.
Die ungenügende Anzahl von Assistenten,
im Anfang auch die kurzen Arbeitsstunden,
vielleicht auch nicht zu leugnender Mangel an
Fleiß Einzelner: alles das mußte gerade bei dem
oft viel Zeit kostenden Katalogisieren eine Menge
von Rückständen schaffen, die nachfolgende
^ 4 ^
Wie allgemein anerkannt,
sind nächst den Beständen
an Büchern und deren guter
Auswahl und Menge der
wichtigste Teil einer Biblio¬
thek, vor allem wenn sie
die gesamten Wissens- und
Literaturzweige umfaßt, die
Kataloge , sowohl die für
den internen Gebrauch der
Beamten wie die für den
Z. f. B. 1904/1905«
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Eine Anzeige Caxtons. Unicum in der Bodleian Library.
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
150
Generationen im Vorwärtskommen hinderte.
Es wurden kurzsichtig einige Hundert Pfund
an Salären gespart, um dann später das
Doppelte und mehr dafür ausgeben zu müssen,
der großen Unannehmlichkeiten und direkten
und indirekten Verluste, die dieses System mit
sich bringen mußte, nicht zu gedenken. Oft genug
hat man dies eingesehen; leider geschah es hier
aber wie bei so vielen anderen Dingen im Leben,
daß Mangel an Energie und Schwachherzigkeit
die zielbewußte Ausführung verhinderte. Fast
allen Bibliothekaren muß man mehr oder
weniger diesen Vorwurf machen; erst Mr.
Henry Octavius Coxe (1860 bis 1881) räumte
tüchtig auf und konnte trotzdem nicht sein
Werk beenden, bis es schließlich seinem Nach¬
folger, dem jetzigen Librarian, gelang, mit
eiserner Energie und besonderem Organisations¬
talent der Rückstände Herr zu werden. Ihm
ist es geglückt, Mittel und Wege zu finden,
im Anschluß an das Werk seines Vorgängers
die handschriftlichen alphabetischen Gesamt¬
kataloge zu vervollständigen, klassifizierte
Kataloge zu schaffen und eine Anzahl Kataloge
über bestimmte Spezialgebiete im Druck er¬
scheinen zu lassen. Früher waren ganze große
Bibliotheken, die in der Bodleiana aufgingen,
völlig oder zum großen Teil einfach unkatalo-
gisiert beiseite gestellt worden, bis sie nach
Menschenaltem verarbeitet wurden, von den
Karten-, Stich* und Münzsammlungen ganz zu
schweigen, wie zum Beispiel von Richard Raw-
linsons Stiftung, die über hundert Jahre lang
mehr oder weniger unverarbeitet blieb, ebenso
ein Teil von Douces Geschenk u. a. m.
Die Regeln für das Katalogisieren, Klassi¬
fizieren und Aufstellen der Manuskripte, Bücher,
Stiche, Karten und Münzen haben in den Jahr¬
hunderten mannigfachem Wechsel unterlegen.
Schließlich folgte man bis zum Oktober 1882
einer Norm, die auf den berühmten Regeln des
British Museum aufgebaut sein sollte, und von
der für den gesamten Stab ein Vorschriften¬
exemplar zur Hand war. Viele Unrichtig¬
keiten und unsystematische Abweichungen
hatten sich natürlich eingeschlichen, so daß es
sich Mr. Nicholson sofort zur Aufgabe machte,
unter Konsultierung anerkannter Autoritäten
auf den Regeln der „Library Association of
the United Kingdom“ und der „American
Libraiy Association“ einen Kodex von 56 Regeln
aufzustellen, der nach reiflicher Durcharbeitung
im Januar 1885 endgültig als alleinige Richt¬
schnur eingeführt und sich trotz seiner schein¬
baren Kompliziertheit vorzüglich bewährt hat,
auch von den meisten englischen Bibliotheken
adoptiert und von vielen ausländischen Biblio¬
theken zur Konsultierung verlangt worden ist.
Die verschiedenen Kuriositäten, Altertümer,
Skulpturen, Gemälde usw., die im Laufe der
Jahrhunderte der Bodleian zugingen, sind all¬
mählich mit nicht sehr zahlreichen Ausnahmen
den verschiedenen Spezialsammlungen der Uni¬
versität überwiesen oder vermacht worden, und
sie hier eingehend zu behandeln, würde über
den Plan unserer Skizze hinausgehen. Die Ge¬
mäldegalerie enthält manches bedeutende Stück,
vor allem vom historischen Standpunkte aus,
darunter auch die Porträts fast aller Bibliothe¬
kare; jeder, der Oxford besucht, sollte auch
diese sich ansehen.
Zwei Abteilungen jedoch, die zur Bodleiana
gehören, können wir bei ihrer großen Bedeutung
nicht übergehen, wenn auch die eine wenigstens
den Bibliophilen im allgemeinen nicht inter¬
essiert: es sind die weltberühmte, reiche Musik¬
sammlung und das große Münzkabinett
Das letztere zählt viele tausend Stück, dar¬
unter äußerst wertvolle Münzen und Medaillen
aller Völker und Zeiten. Schenkungen sowohl
wie Ankäufe vermehrten dieSammlung beständig,
und vor allem der jetzige Bibliothekar hat sich,
von Spezialisten unterstützt, um ihre fachmän¬
nische Ordnung sehr verdient gemacht Erz¬
bischof Laud schenkte den ersten größeren
Stock, fünf Kästen voll, im Jahre 1636, zu¬
sammen mit einem ausführlichen Katalog im
Manuskript Ralph Freke erweiterte die Samm¬
lung beträchtlich und Ashmole fertigte 1658
bis 1666 einen vollständigen Katalog der rö¬
mischen Münzen an. Francis Wise widmete
seinem Katalog viele Jahre und gab ihn 1750
unter dem Titel: „Nummorum aut scriniis Bodl.
catalogus ..in Druck. Douce ist auch hier
unter Hunderten von Stiftern einer der größten,
und Ashmoles Sammlung vermehrte bei ihrer
Überführung hierher im Jahre 1861 das Kabinett
sehr bedeutend.
Die Musikabteilung schlägt schon mehr in
das Gebiet des Bibliophilen ein. Bände könnten
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
151
über die hier versammelten Schätze geschrieben
werden, vor allem über die älteren Werke, z. B.
die älteste musikalische Komposition Englands
von ca. 1225 und aus der Mitte des XIII.
Jahrhunderts („Sumör is icomen ln") mit vier¬
eckigen Noten, einen Sang nach einem französi¬
schen epischen Gedicht, in Brügge (?) um 1338
geschrieben. Auch Originale von berühmten
Komponisten vieler Länder und fast aller Zeiten
finden sich hier vereint, darunter Manuskripte von
Händel, Henry Purcell, Playford, Cerft, Greene,
Corelli, Giovanni Buononcini u. a. Falconer Madan
weist in seinem vorzüglichen Allgemeinen Kata¬
log besonders darauf hin, daß englische Musik
im Manuskript von der Reformation an bis zum
Ende des XVIH Jahrhunderts hervorragend
reichlich vertreten ist. Musikalische Denkmäler
aus der Renaissance sind bekanntlich äußerst
selten; es finden sich sonst nur noch Bruchstücke
in den Bibliotheken zu Mömpelgard, Dijon,
Cambrai, Brüssel, im Vatikan und im Britischen
Museum. Die ersten Einkäufe wurden schon
1602 gemacht; das Abkommen mit Stationers’
Hall hat zudem stetig neue Mengen jedweder
Musik in die Bibliothek (einschließlich der
Music-School Library) seit 1759 gebracht, die
allerdings bis 1845 aufgestapelt wurden, in
welchem Jahre der Rev. H. E. Havergal erst mit
ihrer Ordnung begann und einen großen Teil
in 300 bis 400 Bände binden ließ. Im Jahre
1822 wurde der Rest aufgearbeitet und seitdem
werden die jährlich über 2000 zählenden Zu¬
gänge ziemlich regelmäßig geordnet.
«Ml
Nach diesem Überblick über die sämtlichen
Schätze der Bodleian Libraiy, in der die Unica
nach Tausenden zählen, in der unter den
Druckern viele nur hier zu finden sind, scheint
es angebracht, auch einiges über die Gewänder
dieser Geistesprodukte zu sagen. Man kann
wohl mit Recht behaupten, daß frühere Gene¬
rationen verhältnismäßig viel mehr für einen
guten dauerhaften Einband ausgaben als wir;
die schweren, ganzledemen Bände kosteten viel
Geld und man sparte nur dadurch, daß man
eine Anzahl Werke in einen Band vereinigte,
Werke, die man heute unbedingt besonders
binden würde, abgesehen von der jetzt befolgten
systematischen Ordnung.
Seit 1882 ist Kalbsleder für Rücken oder
vollständigen Einband ganz abgeschafft worden
und an seine Stelle sind je nach Notwendigkeit
das fast unverwüstliche Maroquinleder, starke,
dauerhafte und billige Leinwand und Buckram
getreten. Alles überflüssige Verzieren und
Vergolden der Einbände hat man auch fallen
lassen. Eine enorme Menge Karten ist auf¬
gezogen und in äußerst zweckentsprechender
Form gebunden worden. Besondere Aufmerk¬
samkeit und Anwendung aller modernen Er¬
findungen werden bei Preservierung und Binden
der Manuskripte gebraucht Die Gewohnheit,
fiir verschiedene Klassen verschiedene Farben
des Einbandes zu wählen, wurde aus prak¬
tischen Gründen nur noch bei orientalischen
Manuskripten und bei einer gewissen Klasse von
Musik gepflegt. Aber trotz aller bei dauerhafter
Arbeit angestrebten Sparsamkeit verschlangen
die Bindearbeiten doch noch 1902 £ 1132. 8 s.
1 d. im regelmäßigen Betrieb, nach Aufarbeitung
oder unter Außerachtlassung aller Rückstände.
Unter neuen Einbänden sind als Prachtwerke
höchstens noch die der Glückwunschadressen
zur Jubelfeier und ähnliche Sachen bemerkens¬
wert Unter den alten jedoch befinden sich
viele äußerst wertvolle oder interessante Ar¬
beiten, Handarbeiten in allen Sorten von Leder,
mit porträtgetreuen Figuren, eigenartigen Sym¬
bolen, schönen Verzierungen, kunstvollen Be¬
schlägen in Bronze, Messing, Silber und Gold,
mit Edelsteinen besetzt, in Stickerei usw., mit
berühmten oder eigenartigen Mottos von den
Händen berühmter Meister oder aus dem Besitz
von Fürsten und Bibliophilen.
Hiermit nehmen wir Abschied von den
reichen Beständen dieser kostbaren alten und
doch sich ewig verjüngenden Bibliothek und
wollen nur noch, so weit es der Raum ge¬
stattet, eine chronologische Bibliographie aller
gedruckten Kataloge der Bodleiana geben, die
in sich selbst den besten Einblick in die auf¬
gestapelten Schätze gewährt
1604: Benefactions: „Munificentissimis atque
optimis cuiusvis ordinis, dignitatis, sexus, qui
bibliothecam hanc libris,... ampliarunt, Thomas
Bodleivs eques auratus, honorarium hoc volumen,
in quod huiuscemodi donationes ... referuntur.
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152
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
... dedit, dedicavit.“ [London] 1604, folio,
PP* W + 9 1 + [4]. Nur in einem Exemplar auf
Kosten Bodleys und unter seiner Überwachung
im Frühsommer von 1604 auf Pergament ge¬
druckt Es enthält die Schenkungen von 1600 bis
1604, jedoch mit bescheidener Auslassung von
Bodleys eigenen Gaben. Spätere Geschenke sind
bis 1688 handschriftlich nachgetragen und in
einem zweiten Bande bis 1794 gedruckt worden.
Von 1794—1885 gab man eine gedruckte Liste
der hauptsächlichsten Geschenke heraus, doch
kehrte man 1885, durch ihre Menge und die
Kosten veranlaßt, zu der handschriftlichen, in
nur einem Exemplare bestehenden Liste zurück.
1605: Der erste (allgemeine) Katalog: „Ca-
talogus librorum bibliothecae publicae quam
vir omatissimus Thomas Bodleivs ... instituit
... secundum quatuor Facultates ... auctore
Thoma James... Bibliothekario. Oxoniae, Apud
Josephum Bamesium. 1605." Klein 4 t0 , pp. [8] +
655 + [67]. Dem Prinzen Heinrich von Wales ge¬
widmet Enthält alle Manuskripte und Bücher in
der Ordnung ihrer Aufstellung auf den Regalen
nach den vier Fakultäten: Theologie, Medizin,
Jus und Philosophie („Arts“) mit alphabetischem
Autoren-Register und Nachtrag. Die Vorrede
gibt eine interessante Geschichte der Bibliothek
und folgenden Census: 1601: 800 Bände; 1602:
1600 Bände; 1604: 3200 Bände. Sir Thomas
bezahlte alle Kosten des Druckes.
1620: Zweiter (allgemeiner) Katalog: „Cata-
logus universalis librorum in Bibliotheca Bod-
leiana ... Auctore Thoma James S. Th. Doctore,
ac nuper Proto-Bibliothecario Oxon. Oxoniae,
.. . J. Liebfield & J. Short, Academiae Typo-
graphi, Impensis Bodleianis. 1620/* Klein 4 t0
pp. [16] + 539 + [1] + 36. In alphabetischer
Ordnung nach Autoren. Mit Anhang. Eine
zweite Auflage des Appendix erschien 1635
(Oxford, kl.-4 t0 pp. [4] + 208), enthaltend die
Neuerwerbungen von 1620 bis 1635, die John
Rouse auf 3000 schätzte.
Im gleichen Jahre gab der Unterbibliothekar
John Vemeuil infolge einer nicht autorisierten
Ausgabe eine Neuauflage von Dr. James 1 Liste
von Werken der Bibelkommentationen heraus,
unter dem Titel „Catalogus interpretum S. Scrip-
turae ... in Bibi Bodleiana ... editio correcta
... 1635.“ KI.-4« 0 , pp. 55 +Dl-
1637: „A Nomenclator of such Tracts and
Sermons as have beene printed or translated
into English upon any place of holy Scrip-
ture. Opera, Studio & impensis J. V. Oxford,
W. Turner, 1637.“ i6®° pp. [156], Sig. A bis
F ia G*. Eine zweite, vergrößerte Auflage
(Oxford, H. Hall, 1642) fügt im Titel hinzu
„Now to be had in the most famous and Pu¬
blique Library of Sr. Thomas Bodley in Oxford“
und gibt des Verfassers vollen Namen: John
VerneuiL
1674: „Catalogus impressorum librorum BibL
Bodl.... Curä ... Thomae Hyde ... Proto-
bibliothecarii. Oxonü e Theatro Sheldoniano.“
1674. Folio pp. [12] + 478 + [2] + 272 + [2]. Erz¬
bischof Sheldon gewidmet. Dieser Katalog
soll sechs Jahre zum Zusammenstellen, ein Jahr
zur Revison und zwei Jahre zum Druck bean¬
sprucht haben. Die Kosten der Auflage von
1000 Exemplaren beliefen sich auf £ 409 5 s.
Hyde verlangte die Ehre für das alle Druck¬
sachen umfassende Werk, während der Haupt¬
teil der Arbeit doch wohl von E. Prichard, dem
Janitor, geleistet worden war.
1697: „Catalogi librorum manuscript . . .
Anglia et Hibemiae in unum collecti, cum
indice alphabetico. Oxoniae, e Theatro Shel¬
doniano. 1697“ (wirklich 1698). Folio pp. [34] +
374 + 32, [index].... In diesem großen und
interessanten Werke Dr. Edward Bemards
handelt nur das erste Drittel (Vol. L Part I.)
von der Bodleiana, während der Rest die
Manuskripte in Oxford Colleges, Cambridge, den
Kathedral- und Privat-Bibliotheken in England,
und in irischen Bibliotheken betrifft; nach
Humphrey Wanley im ganzen 30000 Titel.
Wanley fertigte die Indices an und wurde
Herausgeber nach Bemards Tode am 12. Ja¬
nuar 1696 (1697). Eine Biographie Bodleys
und Geschichte der Bodleiana gehören zur Ein¬
leitung. Mit interessantem Frontispiz.
1738: „Catalogus impressorum librorum Bibi.
Bodl. in Acad. Oxon. Volumen Primum (Vo¬
lumen Alterum). Oxon. e Theatro Sheldon.
1738.“ Folio, pp.[i6] + 6u + [i] und pp. 714 +[2].
Nach der Vorrede von Joseph Bowles und
seinem Nachfolger Robert Fysher mit Beihilfe
Emmanuel Langfords verfertigt, obwohl Heame
wiederholt behauptet, daß er in der Tat den
Katalog von 1702 bis 1715 vorbereitete.
1750: „Nummorum antiquorum scriniis Bod¬
leianis reconditorum catalogus cum commen-
tario tabulis aeneis et appendice [by Francis
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
iS3
Wise, B. DJ. Oxonii, e Theatro Sheldon.
1750.“ Folio, pp. [2] + XIV+[2] + 343 + [13].
1759: „A Catalogue of the Several pictures,
statues, and busto’s in the picture gallery ad-
joining to the Bodleian Library. Oxford, printed
for N. Bull, 1759.“ Dies ist der erste dieser
Kataloge, von dem 16 weitere Auflagen er¬
schienen, zuletzt 1881.
1780: „A Catalogue of Books purchased for
the Bodleian Library in 1780; with an Account
of Monies collected for that Purpose.“ [Oxford.]
(1780?). 4*° pp. 4.
Weitere regelmäßige Ausgaben erschienen
bis 1826 in Folioformat, enthaltend die ge¬
kauften Bücher und Rechnungen; Schenkungen
sind von 1796 bis 1805 zugefügt. Vom Jahre
1862 an fielen die Listen der Ankäufe und die
Abrechnungen fort und es verblieb die bis 1885
jährlich veröffentlichte Liste der Schenkungen.
1787: „Bibliothecae Bodleianae codicum
manuscriptorum Orientalium, videlicet He-
braicorum, Chaldaicorum, Syriacorum, Aethio-
picorum, Arabicorum, Persicorum, Turcicorum,
Copticorumque catalogus, jussu Curatorum Preli
Acad. a Joanne Uri confetus. Pars Prima.
Oxonii, a typographeo Clarendoniano. 1787.“
Folio pp. 11+ 327+[43, Indices]. Der „Pars
Prima“ ist vollständig in sich selbst, enthaltend
2400 Manuskripte.
1835 *• — dasselbe — „Pars Secunda Arabicos
complectens. Confuit Alexander Nicoll... edit
absolvit et catalog. Urianum aliquatenus amen-
davit E. B. Pusey... Oxonii, e typogr. Acad.
1835.“ Folio: pp. V+[3] + 730 + 9 plates.
1795: „Notitia editionum quoad libros Hebr.
Gr. et Lat quae vel primariae, vel saec. XV.
impressae, vel Aldinae, in Bibliotheca Bod-
leiana adservantur. Oxonii, e typogr. Clarend.
1795.“ 80 pp. [4] + 60.
1806: „Codices manuscripti, et impressi cum
notis manuscriptis, olim D’Orvilliani, qui in
Bibi. Bodl. apud Oxon. adservantur [by T. Gais-
fordj. Oxonü, e typogr. Clarend. 1806.“ 4 t0
pp. V+[i]+100. Hauptsächlich griechische
und lateinische Klassiker.
1812: „Catalogus sive notitia manuscriptorum
qui a ceL E. D. Clarke comparati in Bibliotheka
Bodleiana adservantur. Pars prior ... [by T.
Gaisford]. Oxonii, e typogr. Clarend.: 1812.“
4 t0 PP* [ 4 ]+io 5 + [i]* Enthaltend griechische,
lateinische und französische Manuskripte.
1815: — ditto — „Pars posterior“ [by A.
Nicoll], 4 t0 pp. [4]+ 22. Enthält die orientali¬
schen Manuskripte.
1814: „A Catalogue of the Books relating
to British Topography, and Saxon and Northern
Literature, bequeathed to the Bodleian Library,
in the year MDCCXCIX. by Richard Gough,
Esq., F. S. A. Oxford, at the Clarendon Press.
1814.“ 4 t0 pp. 4+459 [incl index] + [i]. Haupt¬
sächlich von Dr. Bandinel zusammengestellt;
Dr. Philip Bliß verfertigte pp. 1 bis 136 Ma¬
nuskripte und Bücher.
1832: „Catalogus criticus et historico-litera-
rius codicum CLIIL manuscriptorum Borealium
praecipuae Islandicae originis, ... in Biblioth.
Bodl.. .., auct. (qui et libros ipsos collegerat)
F. Magnaeo, Islando. Oxonii, e typogr. Acad.
1832.“ 4 to pp. [ 4 ] + S6*
1834: „Catalogus dissertationum academ.
quibus nuper aucta est Bibi. Bodl. MDCCCXXXH.
Oxonii e typogr. acad. 1834.“ Folio: pp. [2] +
448 + [64]. Enthält ca. 43400 Universitäts-
Dissertationen aus dem XVH. und XVIII. Jahr¬
hundert, hauptsächlich aus Deutschland, latei¬
nisch und deutsch, die 1827 erworben worden
waren. In zwei Alphabeten der Praesides, nach
den Sprachen getrennt.
1836: „Catalogus of early English Poetry
and other miscellaneous works illustrating the
British Drama, collected by Edmond Malone,
Esq., and now preserved in the Bodl. Library.
Oxford, at the University Press; 1836.“ Folio:
pp. VIIL + 52. Die kurze Biographie Malones
im Vorwort stammt von J. Boswell Enthält
viele wichtige Werke über Shakespeare und das
Elisabethanische Drama, auch 28 Manuskripte.
1840: „Catalogue of the Printed Books and
Manuscripts, bequeathed by Francis Douce,
Esq., to the Bodleian Library. Oxford, at the
Univ. Press: 1840.“ Folio: pp. VL+3H + [i ]+4
plates of facsimile. Die Manuskripte und Bruch¬
stücke früher Drucke wurden von Rev. H. O.
Coxe, der Rest von H. Symonds und Rev.
A. Brown katalogisiert.
1843: „Catalogus librorum impressorum Bibi.
Bodl. in Acad. Oxon. Volumen primum (se-
cundum, tertium). Oxonii, e typogr. Acad.
1843.“ Folio: pp.(l,A.—EOX+834: (H, F.—O.)
[2] + 924; (HL, P.—Z.) [2] + 899 + [1]. Mit Vor¬
rede von Dean Gaisford, gezeichnet von
Dr. B. Bandinel, der Hydes und Fyshers
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
Vorreden wieder abdruckt Die Gough- und
Oppenheimer-Dissertationen- und Douce-Samm-
lungen sind nicht darin enthalten. Keines der
nach 1837 erschienenen Bücher ist aufgenommen
und auch nicht alle aus den Jahren 1835 bis
1837, soweit in der Bibliothek. Begonnen im
Jahre 1837 von ^ ev * A. Browne, M. A., (Buch¬
staben P. bis R. und Anfang von S.), Rev.
H. Cary, M. A., (Buchstaben F. bis K. und
Teil von L.), und Rev. A. Hackman, M. A.
Die Druckkosten beliefen sich auf £. 2990 12 s.,
die vorbereitenden Kosten der Zusammenstellung
auf ca. £. 2000.
1851: Fortsetzung zum Vorigen: „Catalogus
impress, librorum quibus aucta est Bibi Bodl.
annis MDCCCXXXV—XLVH. (Catalogi_
volumen quartum). Oxonii, e typogr. Acad.
1851." Folio: pp. [4]+1024.
1845: A descriptive, analytical and critical
Catalogue of the manuscripts bequeathed unto
the University of Oxford by Elias Ashmole ...
Also of some additional Mss. contributed by
Kingsley, Shnyd, Borlase, and others. By
W. H. Black... Oxford, at the Univ.-Press:
1845." 4 to pp. [2] + coli. 1522+p. [1]. Die Ma¬
nuskripte waren seiner Zeit im Ashmolean-
Museum, wurden aber 1860 nach derBodleiana
überfuhrt Ein Index erschien unter dem Titel:
(1866:) „Index to the Catalogue of the Mss.
of E. Ashmole... (by Rev. W. D. Macray).
Oxford, Clarendon Press: 1866" 4 t0 pp. [4]+188.
Beide Bände zusammen bilden Part X. des
Hauptkataloges der Bodleian-Manuskripte.
1852— 1860: „Catalogus librorum Hebrae-
orum in Bibi Bodl. jussu curatorum digessit
et notis instruxit M. Steinschneider. BerolinL
1852—60." pp. [4] + coli CXXXIL+pp. [2] + colL
3104+pp. C. Enthält alle hebräischen Bücher
der Bodleian und [in Klammem] auch eine
große Anzahl damals noch nicht dort befind¬
licher. Der Verkauf dieses wichtigen Kataloges
brachte der Bibliothek bis in die neunziger Jahre
hübsche Summen ein.
1853— 1900: „Catalogus codicum manuscript
Bibliothecae Bodleianae.“ — 1853 wurde unter
diesem Haupttitel die Serie der Kataloge der
Bodleian-Manuskripte begonnen, die noch nicht
abgeschlossen ist Alle sind von der Clarendon
Press gedruckt, uniform in quarto.
Pars prima: Conf. H. O. Coxe. pp. [4] +
coll 908+pp. [2]+ ‘911*—‘961* (index)+ [1].
Alle griechischen Manuskripte (außer den
D’Orville, Clarke und Canonici, die aber im
Index aufgefiihrt sind), und die Adversaria
von Casaubon, Grabe, Langbaine und St Amand.
— Partis secundae fase . primus . Conf. H. O.
Coxe. (Cat Cod. Mss. Laud. Cod. Lat et
Miscell.). 1858: pp. [4] + coll. 528. — 1885
erschien, von J. Madan herausgegeben, der
Index und colL 529 bis 534. — Pars tertia: Cod.
Gr. et Lat Canonic. complectens. Conf.
H. O. Coxe. 1854: pp. [4] +coli 872+pp.
‘872’—‘918*. (index). Pars quarta: Cod. . . .
Th. Tanneri . . . complect Conf. A. Hackman.
1859: pp. [2] + coli. 794+pp. *796*—‘i 176* (index).
— Partis qidntaefasc.L — V.: Ricardi Rawlinson
Codices. Conf. G. D. Macray. 1872—1900,
ca. pp. [12] + coli 2508 + pp. 670 + [10]. —
Pars sexta: Codices Syriacos, Curshunicos,
Mendaeos, complectens. Conf. R. Payne-Smith,
1864: pp. IX. + [1] + coli 680 + 4 coloured
plates. — Pars septima: Codices Aethiopici.
Digessit A. Dillmann. (1848): pp. [4] + 87 +[i].
Erst später in die Serie eingereiht ebenso wie:
Pars octava: Codices Sanscriticos complect
Conf. Th. Aufrecht 1864: pp. VIIL + 578.
Zuerst 1859 unter dem Titel: „Cat cod. Mss.
Sanscrit postved. Auct Th. Aufrecht.
Pars I.“ erschienen. — Pars ttona: Codices
a .. K. Digby .. 1634 donatos, complectens.
Conf. G. D. Macray. 1883: pp. [2] + coli.
254+pp. *256? —*287’+ [1]. — Pars decima:
Ashmole (siehe oben). — Pars undecima: Ca-
talogo dei Manoscritti Italiani... di codici
Canoniciani Italici... compil dal Conte Aless.
Mortara. 1864. pp. XIV.+coli. 294+[2] +coli
‘*295*, , *296 , + < 297 , +*3i6\ Erst später dieser
Serie eingereiht — Pars duodecitna: Catalogue
of the Hebrew manuscripts in the Bodleian
Library and in the College Libraries of Ox¬
ford, includ. Mss. in other languages which are
written with Hebrew characters,... and a few
Samaritan Mss. Compiled by Ad. Neubauer.
With 40 facsimiles. 1886: pp. XXXIL+coll.
1168. Die Faksimiles waren separat veröffent¬
licht worden, jedes mit einem Blatt Erklärungen.
— Pars tertia decima : Catalogue of the Per-
sian, Turkish, Hindüstani, and Pushtü Mss. in
the Bodleian Library. Begun by Prof. Ed.
Sachau ... continued ... by H. Eth6. Part L:
The Persian Mss. 1889: pp. XU.+colL 1150+
p. DL[i].
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
155
1857: „Conspectus codd. Mss. Hebraeor. in
Bibi. BodL Appendicis instar ad. catall. libror.
et Mss. Hebr.... digessit M. Steinschneider.
Berolini excudit M. Friedlaender. 1857.“ 4'°,
pp. VIII. + 32.
1865: „Catalogue of a collection of early
Newspapers and Essayists, formed by the late
J. Th. Hope, and presented ... by Rev. F. W.
Hope. Oxford, Garendon Press, 1865.“ 8 T0 pp.
[6]+ 178. Von J. H. Bum verfaßt; behandelt
fast ausschließlich englische Zeitschriften.
1869—76: „Calendar of the Garendon State
Papers... in the Bodl. Library. Vol. L To
January 1649. Ed by the Rev. O. Oyle ...
and W. H. Bliss, under the direction of the
Rev. H. O. Coxe. — Garendon Press: 1872.“
8 V0 : pp. Vü.+[i]+ 620+ 16. — Vol. II. To
the end of 1654. Ed. by the Rev. W. D. Macray.
1869: 8 TO : pp. VIDL+ 540.—Vol.HL 1655—1657.
Ed. by ... W. D. Macray. 1876: 8”: pp.XVL
+488.
1876: „A catalogue of Chinese Works in
the Bodleian Library, by Jos. Edkins. Oxford,
Garendon Press: 1876.“ 4* 0 : pp. [2]+coli. 46.
1878: „Calendar of Charters and Rolls pre-
served in the Bodleian Library. Ed. by
W. H. Turner under the direction of the Rev.
H. O. Coxe. Garendon Press: 1878.“ 8 vo : pp.
XXIL+[2]+849+[1 ]•
1878—80: „Catalogue ofPeriodicals contain-
ed in the Bodleian Library. Part I: English Pe¬
riodicals. Clarendon Press.“ 8 T0 : pp. [2] +141 + [1].
— Part HI: Foreign Periodicals, etc.: 8 T0 : pp.
[2] + 158. — Part IL: Colonial Periodicals, ist
bis jetzt noch nicht erschienen.
1881: „A catalogue of Japanese and Chinese
Books and Mss. lately added to the BodL
Libry ... prepared by Bunyiu Nanjio ... Ga¬
rendon Press: 1881.“ 4*° p. [i] + colL 48+p. [1].
1888: „Catalogue of the Mohammadan Coins
preserved in the Bodl Libiy ... By St Lane-
Poole. With four plates. (Index der Geschenke
und Ankäufe von E. [W.] B. Nicholson. Ga¬
rendon Press: 1888.“ 4* 0 pp. XVL + SS + [1]+4
plates.
1895—97: „A Summary Catalogue of Wes¬
tern Manuskripts in the BodL Libry at Oxford
which have hitherto been catalogued in the
Quarto Series. With references to the Oriental
and otherMss. ByJ. Madan. Vol. UL: Collections
received during the XVUL Century ... Ga¬
rendon Press: 1895.“ 8 T0 : pp.DC + [3]+65i + [i].
Die ersten beiden Bände sollen eine neue
Auflage des Old-Catalogue von 1679 enthalten, in
dem die Manuskripte von 1 bis 8,7x6 numeriert
sind. Dieser Band enthält 8,717 bis 16,669.
— Dasselbe. — Vol IV.: „Collections receiv¬
ed during the first half of the XIX. Century.
No. 16,670—24,330. 1897.“ 8 T0 : pp. XVI+
723+ [i]-
1899—1902: „Early Bodleian Music. Dufay
and his contemporaries. Fifty compositions
(... A. D. 1400 to 1440) transcribed from Ms.
Canonici misc. 213, in the Bodl Libry... by
J. F. R. Stainer and C. Stainer. With an intro-
duction by E. W. B. Nicholson ..., and a cri-
tical analysis of the music by Sir John Stainer.
London and New-York: 1898 [1899].“ 4*°: pp.
XIX.+ [3]+ 8 plates + 207+[1]. —
1901 [02]: „Sacred and Secular Songs, to-
gether with other Ms. compositions ... from
about A.D. 1185 to about A.D. 1505. With
an introd. by E. W. B. Nicholson, and tran-
scriptions into modern musical notation by J. F.
Stainer and C. Stainer.“ Edited by Sir John
Stainer.“ VoL L: Facsimiles. London and New-
York: 1901(1902).“ 4*°. pp. XXVUL + [2] + 223
+ [i]. — VoL U.: Transcriptions: London: 1901
(1902): pp.XU.+[2]+ 219+[5]. —
Dies sind die bis jetzt im Druck vorliegen¬
den Kataloge. In der Presse befinden sich
und werden zum Teil in allernächster Zeit er¬
scheinen:
„Catalogue of the Hebrew Mss.“ VoL U.
by A. Neubauer and A. E. Cowley.
„Catalogue of the Persian, etc. Mss. Part U.,
by Prof. H. Ethö, containing the Turkish,
Hindüstänl, and Pushtu Mss., with the ad¬
ditional Persian ones and tables, index &c. to
the entire work.“
„Catalogue of the Armenian Mss.," by the
Rev. S. Baronian.
„Summary Catalogue of Western Mss.,“
Vols. V. and VI.
„Catalogue of the Dravidian Mss.,“ by the
Rev. G. U. Pope.
Wenn diese Kataloge nun auch den bei
weitem größten und sehr hoch anzuschlagenden
Teil der Veröffentlichungen der Bodleian Library
bilden, so sind sie doch nicht die einzigen.
Wie es allen Beamten zur Erlangung fester An¬
stellungen als Assistenten und fiir höhere Posten
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Dcgener, Die Bodleian Library in Oxford.
156
zur Pflicht gemacht wird, Vorlesungen in der
Universität zu belegen und in der Universität
zu graduieren, so ist auch schon seit langen
Jahrzehnten ihre literarische Tätigkeit über die
Grenzen ihrer Bibliotheksarbeiten hinaus an¬
geregt worden. Die Kuratoren haben es nie
einem Bibliothekar zum Vorwurf gemacht, pri¬
vater literarischer Arbeit nachzugehen, wie es
Bodley seinem Adlatus James gegenüber mehr¬
fach und nicht ganz mit Unrecht tun mußte.
Von großem Interesse dürfte eine Liste der
Hauptbibliothekare sein, gewöhnlich „Bodleys
Librarian“ genannt, ebenso wie die einiger der
bedeutendsten Sub - Librarians, deren Fähig¬
keiten und Begeisterung für ihre Arbeit den
Wissenschaften unschätzbare und dauernde
Dienste geleistet haben. Dreizehn Librarians
haben seit 1600 in der Bodleian geherrscht.
Ihre Vorgänger in der alten Universitätsbibliothek
haben wir schon weiter oben erwähnt
Bodleys Wahl scheint zweifellos eine glück¬
liche und den Umständen sehr entsprechende
gewesen zu sein.
Von 1600 (?) bis 1620 war Thomas James,
M. A.,D. D., „Keeper of the Vniuersitie Librarie,“
wie ihn Bodley immer nannte, oder „Biblio-
thecarius", wie er von 1613 an hieß.— Im ersten
University Calendar (vom Jahre 1810) wird
dann der bis auf den heutigen Tag beibehaltene
Titel ,»Bodleys Librarian“ gebraucht Wegen
Krankheit zog sich James 1620 zurück und
starb im August des Jahres 1629.
Wenn er auch zunächst direkt unter Bodleys
Anleitung arbeitete, so sind wir ihm doch auch
für viele originale Einrichtungen zu Dank ver¬
pflichtet Es ist in nicht geringem Maße auch
sein Verdienst, daß die ganze Organisation und
Nützlichkeit der Bodleiana auf so fester Grund¬
lage aufgebaut ist Seine „Underkeepers“, gegen
deren erste Einsetzung sich ja Bodley ziemlich
lange sträubte, waren Philip Price (1607? bis
1613); J- Berry (1613 bis 1614?), John Vemeuil
(1614? bis 1647), ein Huguenot von der Uni¬
versität zu Montauban, der sich in vieler Hin¬
sicht um die Bibliothek verdient machte. Es
folgten sodann als Keepers:
1620—1652: John Rouse (Russe), M. A.,
der bis zu seinem Tode am 3. April 1652,
78 Jahre alt, auf dem Posten verblieb.
1652—1660: Thomas Barlow, M. A., D. D.,
der 1660 bei seiner Ernennung zum Lady
Margaret Professor of Divinity zurücktrat, 1675
Bischof von Lincoln wurde, im 84. Jahre am
8. Oktober 1691 starb und der Bodleiana viele
sehr wertvolle Bücher und Manuskripte hinter¬
ließ.
1660—1665: Thomas Lockey, D. D., der
vierzehn Jahre vor seinem Tode die Stellung
aufgab, um Canon von Christ Church College
zu werden.
1665—1701: Thomas Hyde, M. A., D. D.,
der schon Underkeeper seit 1659 war. Dieser
berühmte Orientalist ist zweifellos einer der
bedeutendsten Bibliothekare gewesen, trotz ab¬
fälliger Urteile seitens Wanleys und H. Prideauxs.
Im November 1695 sandte er an die Stationers
Company eine Abschrift des Abkommens
zwischen ihr und Bodley, damit sie es besser
befolgen sollten, nachdem er schon zum Zwecke
gründlicher Ermahnung persönlich im Jahre 1688
in London gewesen war. Mit Rücksicht auf
Krankheit und mit dem Wunsche, sich ganz
literarischer Tätigkeit zu widmen, trat er 1701
vom Amte zurück und starb am 12. Februar
1702(3). Underkeepers zu seiner Zeit waren
auch William Crabb(e) und dessen drei Söhne
John, Brook(e) und Joseph.
1701—1719: John Hudson, M. A., D. D.,
der mit 194 Stimmen gegen Professor J. Wallis
(mit 173 Stimmen) erwählt worden war. Er
wurde beständig von seinem berühmten Assi¬
stenten, dem 1703 zum Janitor erwählten Thomas
Heame, angegriffen, der ihm grobe Vernach¬
lässigung der Bibliothek und Unfähigkeit vor¬
warf, und, so weit wir es beurteilen können,
nicht mit Unrecht Er war zweimal verheiratet,
was Heame veranlaßte, im Übereifer von ihm
zu schreiben: „Der Doktor hat ein loses, ver¬
schwenderisches und unreligiöses Leben geführt,
wie ich oft gehört habe. Die Familie, in die
er geheiratet hat, taugt gar nichts und ist genau
so geizig, falls dies möglich ist, wie er selbst."
Es kam zwischen beiden Männern oft zu
Reibereien, und Hudson drohte Heame ver¬
schiedentlich mit Entlassung, die dann schlie߬
lich auch im Jahre 1716 von den Kuratoren
gegen den Nonjuror autorisiert wurde, aller¬
dings auf Grund einer ungerechten Behauptung:
wegen Pflichtvergessenheit Auf jeden Fall
bestätigen auch andere Zeitgenossen, so z. B.
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
157
Z. C. Uffenbach in sehr ausgesprochener
Weise in seinen Briefen und seinen lebens¬
wahren Reisebeschreibungen, daß unter
Hudson viele gute alte Einrichtungen
sowohl wie die ganze Bibliothek arg ver¬
nachlässigt wurden und unter den An¬
gestellten Unwissenheit viel zu hervor¬
tretend war. Nach Hudsons Tode wurde
1719—1729: Joseph Bowles Biblio¬
thekar, ein Freund, Assistent und
Schmeichler Hudsons. Er begann einen
neuen Katalog zu drucken, eine Arbeit,
zu welcher nach Des Maizeauxs Zeugnis,
der viel gutes über ihn gehört hatte,
niemand besser geeignet war. Sein Sub-
Librarian von 1719 bis 1746 war Francis
Wise, M. A., B. D., der nach seinem
Rücktritte zum ersten Bibliothekar der be¬
rühmten Radcliffe Library im Jahre 1748
ernannt wurde. Auf Bowles folgte
1729—1747: Robert Fysher, M. B., der
trotz seiner Hingabe an seine Pflichten
durch die großen Mühen der Herausgabe
des von Bowles begonnenen Kataloges
und durch häufige Krankheit an der
genauen Führung der Register und
Aufarbeitung der Neuerwerbungen stark
behindert wurde. Er starb am 4. No¬
vember 1747.
10. November 1747—1768: Humphrey
Owen, D. D. Er war ein arbeitsamer
Mann, der es mit seinen Pflichten sehr genau
nahm. Seinen verstorbenen Vorgänger nahm
er stets in Schutz, selbst gegen seinen Freund
Rawlinson, dessen großartige Schenkung den
Ehrenplatz unter den Gaben einnimmt, welche
die Bodleian unter Owen empfing.
1768—1813: John Price, B. D., der schon
vor 1757 als Janitor im Dienste der Bibliothek
und 1761—63 Sub-Librarian, 1765—67 Deputy-
Librarian an Owens Statt war. Gegen ihn
richtete sich das gedruckte Denkschreiben an
die Kuratoren „mit Bezug auf den Zustand
der Bibliothek“, das Professor Dr. Thomas
Beddoes am 31. Mai 1787 veröffentlichte und
das zu einem ziemlich langen und heftigen
Pamphletkampfe zwischen den Parteien führte.
Abwesenheit von seinem Posten, verspätetes
oder gänzlich unterlassenes Öffnen der Biblio¬
thek, verschwenderische und Mangel an Kennt¬
nissen offenbarende Ankäufe, Nachlässigkeit
Z . t B. 1904/1905.
Der heilige Lukas bei der Arbeit
Aus einem reich illuminierten Manuskript des XII. Jahrhunderts in der Bodleiana.
und Unhöflichkeit u. s. w. wurden ihm vor¬
geworfen. Als teilweise Folge wurde 1788
bestimmt, daß in Zukunft anstatt eines zwei
Sub-Librarians zu ernennen seien. Dagegen
finden wir in Nichols „Illustrations of the Lit.
History of the XVIII. Century“, Vol. VI. 471 ff.
ein viel günstigeres Urteil über Price. Es
wird dort seinem Entgegenkommen und seinen
Anstrengungen zugeschrieben, daß Gough die
Bodleiana zur Erbin einsetzte. Allerdings wird
auch hier festgestellt, daß im großen ganzen
die Bibliothek stagnierte, viele und schwere
Rückstände sich aufsammelten und der Ausbau
vernachlässigt wurde, wie man z. B. aus dem
schnellen Aufsteigen der Auslagen fiir An¬
schaffungen und dem Anschwellen der Kataloge
nach seinem Tode ersehen könnte. Sein Nach¬
folger war sein Pate Bandinel.
1813 —1860: Bulkeley Bandinel, M. A.,
D. D., seit 1810 Sub - Librarien. Bei seiner
21
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15«
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
Ernennung traten die neuen Statuten in Kraft
und des Librarians Salär wurde auf £ 400 er¬
höht. Unter ihm wuchs die Bibliothek gewaltig;
er schied von ihr nur infolge zunehmender
Altersschwäche nach fünfzigjähriger Dienstzeit,
neunundsiebzig Jahre alt, schweren Herzens, und
starb sieben Monate später. Seine Unter¬
gebenen fürchteten und verehrten ihn; von ge¬
winnender Liebenswürdigkeit ihm angenehmen
Lesern gegenüber, war er gegen weniger Glück¬
liche meistens von einer oft gerügten Unhöflich¬
keit. Zu seinen bedeutendsten Sub-Librarians
gehörten: Dr. Henry Cotton (1814—1822),
Dr. Philip Bliß (1822—1828), Professor Stephen
Reay (1828—1860), William Cureton (1834 bis
1837), der 1837 als Assistent Keeper of Mss. in
das British Museum übertrat, wie schon vor
ihm zwei berühmte Sub-Librarians: H.H.Baber
0 797—1807), von 1812 bis 1837 Keeper of
the Printed Books, und (Sir) Henry Ellis (1798
bis 1800), späterer Principal Librarian and
Director. Als Bandinels Nachfolger wurde ein¬
stimmig erwählt:
1860—1881: Henry Octavius Coxe, M. A.,
von 1838 ab Sub - Librarian. Er starb nach
jahrelangem Leiden am 8. Juli 1881, tief¬
betrauert von der ganzen Universität und von
der gelehrten Welt aller Länder. Während
der Zeit seiner Tätigkeit in der Bodleiana
hat sich diese an Raumumfang und Inhalt
fast verdoppelt, und die meisten der wich¬
tigen Neuerungen, die sie jetzt zu der für den
Studierenden wertvollsten und angenehmsten
großen Bibliothek machen, sind unter ihm ent¬
standen. Unter ihm wurde auch das Stipend
des Librarians im Jahre 1873 von £ 700 auf
£ 1000, das der Sub-Librarians von £ 300 auf
£ 400 erhöht, letzteres später für den Senior-
Sub-Librarian auf £ 500. Coxe zur Seite
standen als Sub-Librarians eine Reihe der be¬
deutendsten Wissenschaftler ihrer Zeit, so z. B.:
Professor Dr. Robert Payne Smith (1860—65),
Professor Dr. Friedrich Max Müller (1865 —67),
Dr. Alfred Neubauer (1873—99), Professor Dr.
Ingram Bywater (1879—80), Falconer Madan,
M. A., seit 1880, jetzt Senior-Sub-Librarian, der
sich einen Namen als Palaeographist gemacht
hat. Nach einem kurzen Interregnum wurde dann
im Februar 1882 Edward Williams Byron Nichol¬
son, M. A. (geboren 1850) zum Librarian erwählt,
der vorher neun Jahre lang Librarian and Super¬
intendent des London Institution gewesen war.
Seine aufopfernde Tätigkeit für das Wohl und
Gedeihen der ihm unterstellten Bibliothek in
allen ihren Zweigen ist reich gesegnet gewesen.
Wenn genügende Kapitalien zur Verfügung
ständen, würde die Bodleiana heute wohl höher
unter den größten Bibliotheken der Welt stehen
als an fünfter Stelle. Die innere Organisation
ist so vorzüglich und so gefestigt, der Stab
schließt so tüchtige Kräfte ein, daß sie selbst
ungewöhnlichem Zuwachse völlig gewachsen
sein würde. Die größere Schwierigkeit würde
der Raum bieten, der schon seit Jahren immer
beschränkter geworden ist und den man in Kürze
nur durch umfassende Neubauten wird schaffen
können, sei es durch Anbau, sei es (so phan¬
tastisch es auch klingen mag) durch unter¬
irdische Gewölbe im inneren Hof und zwischen
der Bodleian und der Camera.
Wie bekannt war der räumliche Umfang der
Bibliothek Thomas Bodleys ihrem Inhalte ent¬
sprechend ein mit dem heutigen verglichen ganz
unbedeutender. Bodley hatte zunächst zwischen
1598 und 1600 mit beträchtlichen Kosten den
großen, noch heute in aller Welt als „Duke Hum-
phreys Library“ berühmten Saal mit der schönen,
hochinteressanten Decke über der alten Divinity-
School wieder einrichten lassen, der von Westen
nach Osten sich erstreckt, 86 Fuß lang und
32 Fuß breit ist, auf jeder Längsseite zehn Fenster
hat und fast unverändert erhalten ist. Für den
Zweck einer Bibliothek mit der wesentlichen
Unterstützung von Humphrey,Duke of Gloucester,
erbaut und 1480 beendet, hatte diese Halle seit
der Zerstreuung der alten Universitäts-Bibliothek
und Versteigerung der Ausstellung verödet da¬
gestanden. Durch Bodleys Anstrengungen er¬
blühte dann neues Leben aus diesen Ruinen.
Die herrliche Divinity-School, die mit großem
Aufwand und vollkommenem Geschmack im
fünfzehnten Jahrhundert (1445 bis 1480) er¬
richtet worden war, muß zu jener Zeit, als alle
Fenster mit buntem Glas gefüllt und die un¬
zähligen Skulpturen in bestem Zustande waren,
einen märchenhaft schönen Eindruck gemacht
haben, den sie auch noch heute nicht ganz
verloren hat.
Wie vorauszusehen war, genügte der Raum
für die anschwellende Menge von Literatur bald
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
159
nicht mehr, und Bodley legte am 16. Juli 1610
den Grundstein zu dem Proscholium mit dem
neuen Ostflügel der Bibliothek darüber, ein
Bau, der sich vollkommen harmonisch innerlich
und äußerlich an die Divinity-School und Duke
Humphreys Library anschloß und im Jahre 1612
fertiggestellt wurde. Eine Inschrift an der Front
dieses Gebäudes verherrlicht Bodleys Werk:
„Quod feliciter vortat. Academici Oxoniens. hanc
bibliothecam vobis reipvblicaeqve literatorvm T.
B. P.“ Das vornehm schöne, große Ostfenster
enthält einige wertvolle Paneele historisch inter¬
essanten Buntglases. 1613 bis 1619 wurde mit
einem Kostenaufwand von £ 2497. 10 s - ^ as
dritte Stockwerk über den alten Examinations-
gebäuden aufgeführt, die „Bodleian Picture
Gallery“. Im Laufe der Jahre wurde auch
diese Galerie zur Aufbewahrung von Büchern in
Wandgestellen benutzt, während sie sonst noch
zur Ausstellung von Gemälden, Skulpturen,
Modellen, Antiquitäten und Reliquien dient, die
der Bodleiana zu verschiedenen Zeiten geschenkt
und nicht inzwischen mit den Sammlungen im
Ashmolean Museum vereinigt worden sind.
Eine der interessantesten Reliquien ist Bodleys
„Chest“, ein starker eiserner Koffer, mit den
Wappen der Universität und Bodleys in Malerei,
an dem besonders die ungewöhnliche Schönheit
der Arbeit der mächtigen Schlösser auf der
Innenseite des Deckels bemerkbar ist. Er
sollte zur Aufnahme der Verwaltungsgelder der
Bibliothek dienen, wurde vom 20. Mai 1613
an zusammen mit dem Schatzkasten der Uni¬
versität im Corpus Christi College aufbewahrt,
1622 aber nach der Bodleiana zurückgebracht
Das Quergebäude im Westen der Bibliothek
über dem Convocation House, das Erzbischof
Laud erbaut hatte, wurde am 13. Mai 1634
begonnen und war im Jahre 1640 zur Aufnahme
der jetzt dort aufbewahrten Schätze fertig.
Seldens Bücher und Manuskripte wurden hier
im Jahre 1659 aufgestellt, und noch heute wird
dieser große Saal nach Seiden benannt. Leider
zeugt die äußere Architektur dieses West¬
flügels von einer sehr bedauerlichen Gleich¬
gültigkeit und beleidigt noch jetzt trotz einiger
Änderungen das Auge. Durch sie wurde der
gesamte Bau, der anders zweifellos einer der
vollkommensten seiner Art sein würde, für
immer verdorben. Daß Bodleys Ziel, gutes
Material und schöne, vollkommene Form bei
seinen Bauten zu erreichen, hier so vernach¬
lässigt wurde, ist leider kein ehrenvolles Denk¬
mal, das sich jene Zeit gesetzt hat.
Allmählich dehnte sich dann die Bodleiana
auf die anschließenden „Schools“, die Lehrsäle
der verschiedenen Disziplinen, aus und ver¬
drängte diese so im Laufe der Jahre ganz und
gar aus dem Viereck des harmonischen im¬
posanten Baues. Nur die Überschriften über den
Türen zu den einzelnen Sälen sind uns als
Zeugen hinterblieben, während ihren Zwecken
jetzt die „New-Schools“ in der High-street
dienen.
Der Platz war von Alters her von Gebäuden
eingenommen, die als Hörsäle der gesamten
Universität benutzt wurden und von denen uns
noch Skizzen in zeitgenössischen Werken be¬
kannt sind. Thomas Hokenorton, Abbot von
Osney, scheint um 1439 den ersten Versuch
gemacht zu haben, sie alle in einem Ge¬
bäude an der jetzigen Stelle zu vereinigen.
Im Jahre 1532 wollte man den Bau wesent¬
lich verbessern und ausdehnen, aber die kirch¬
lichen Unruhen jener Zeit machten trotz großen
Aufwands an Geld den Plan zunichte, und
so verwandelte man den Bauplatz in einen
Garten und Schweinemarkt: „pig-market“, wie
heute noch das Proscholium in Erinnerung
jener Tage im Volksmunde heißt. 1554 endlich
erhielt die Universität die Stiftung des Platzes
vom Christ Church College und 1558 wurde mit
den Reparaturen begonnen. Doch war schlie߬
lich auch hier Bodley der Reformer und
Wiedererwecker zu neuem Leben. Denn es
ist so gut wie sicher, daß wenigstens ein Teil
der ehemaligen „Natural Philosophy School“
sein Werk ist, und er beschäftigte sich ernst¬
haft mit dem Plan und den Einzelheiten des
beabsichtigten Neubaus des ganzen Quadrangels.
Er schrieb darüber an den Vice-Chancellor,
und in seinem Testamente hatte er auch die
Summen zum Bau des dritten Stockwerkes vor¬
gesehen, falls die beiden unteren Geschosse
durch Subskription erbaut werden sollten.
Viele innere Beweise sprechen dafür, daß
Bodley noch soweit kam, die eine Ecke des
Vierecks zu errichten, gewissermaßen als Muster
für die weitere Ausführung des ganzen Blockes,
zu dem der Grundstein am Tage nach Bodleys
Beisetzung im Merton College gelegt wurde.
Der Architekt, mit dem schon Bodley in reger
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i6o
Dcgener, Die Bodleian Lil>rary in Oxford.
Beziehung stand, war Thomas Holt aus York,
der 1624 in Oxford starb. Ihm verdankt die
Universität hauptsächlich die Erhaltung und
Wiederbelebung der gotischen Architektur,
an der sie so reich ist und in der er Meister¬
haftes leistete, so z. B. in der schönen Decken¬
wölbung in dem Proscholium.
Das jetzige Viereck der „Schools“, das
heute mit den ursprünglichen Bibliotheksbauten
ein Ganzes bildet, verdient besondere Beach¬
tung. Der heutzutage fast stets verschlossene
Hauptzugang ist von Catherine-Street her unter
dem großen, massiven, viereckigen Turme, der
nach außen hin nur unwesentlich aus dem
Mauerwerk des Gebäudes hervortritt, während
er nach innen deutlich als ein in sich selbst
abgeschlossenes Werk erkenntlich ist. Bodley
war lebhaft an seiner schnellen Fertigstellung
interessiert, wohl weil er in ihm König James I.
ein Denkmal setzen wollte. Die Fassade im
Hofe bringt die fünf Hauptformen der archi¬
tektonischen Ordnung zur Veranschaulichung:
die toskanische, dorische, jonische, korinthische
und römische Säulenordnung. Der untere Teil
der Säulenschäfte ist reich mit Arabesken ver¬
ziert, und über dem Fenster des dritten Stock¬
werkes befindet sich ein großes Denkmal König
James* I., zur Seite Idealfiguren der Religion
und des Ruhmes. Die Architektur mag von
Holt herrühren, während der Grundgedanke
und die Angaben der Einzelheiten sicher von
Bodley stammen. Im Süden und Norden be¬
finden sich Zugänge zum Innern des Vierecks,
während im Westen der Zutritt durch das
Proscholium führt. Das Treppenhaus in der
Südwestecke wurde sicherlich nach Vollendung
jenes Teiles angebaut; denn noch heute kann
man in seinem Inneren an den zwei Seiten im
Süden und Westen dieselben Verzierungen
sehen, die die Mauern dieser Seiten außen
schmücken. Wo sich früher der Aufgang zur
Bibliothek für die Leser befand, der jetzt in
diesem Treppenhaus liegt, hat sich noch nicht
genau feststellen lassen. Ähnliche viereckige
Vorbauten befinden sich in den anderen drei
Ecken des Quadrangels und enthalten Treppen
für den internen Verkehr.
Die Nordseite des Divinity-School-Baues
und das Nordende des Westflügels stehen
frei nach einem kleinen Platze zu, der nördlich
vom „Sheldonian Theater“ und „Ashmolean-
Building“ abgeschlossen wird, deren Unter¬
geschosse jetzt auch zum Aufbewahren von
Büchern der Bodleiana benutzt werden. Die
Südseite und das Südende und die Westseite des
Westflügels sind vom Garten des Exeter College
umgeben, ein Umstand, der schon oft die
Autoritäten der Bodleian mit großer Sorge
um die Sicherheit der ihnen anvertrauten
Schätze erfüllt hat, sollte dort einmal ein
Brand ausbrechen, wenn zuzeiten der öfters
wiederkehrenden Universitäts- und College-
Festlichkeiten daselbst große Feuerwerke ab¬
gebrannt werden.
Die Last der Bücher auf den Gestellen,
an den Wänden und auf den Galerien in
Duke Humphreys Library hatte Sprünge in
der wundervollen Decke der Divinity-School
verursacht und große Beängstigung unter den
Kuratoren hervorgerufen. Sir Christopher Wren
der berühmte Architekt, wurde deshalb 1700
befragt, da das Verankern der Decke und Be¬
festigen der Gestelle direkt an den Wänden frei
vom Boden, das einige Jahre zuvor unter
Dr. Aldrichs Leitung geschehen war, ein Heraus¬
drücken der Südwand verursacht hatte. Auf
seine Anordnung hin wurden nach sorgfältigster
Untersuchung des ganzen Mauerwerkes die
großen Strebepfeiler aufgeführt, die wir jetzt,
zum Teil unter Epheu versteckt, im Exeter
College-Garten sehen. 1877 glaubte man wieder
ein Senken und Nachgeben der Seitenmauer
und einen Druck auf die Decke der Divinity-
School bemerken zu können, weshalb ein Teil
der Gestelle beseitigt wurde, ebenso wie die
Galerie und die schönen geschnitzten Treppen zu
ihnen; ein freiliegender Fußboden wurde ein¬
geschoben. Glücklicherweise stellte sich bei
genauem Vergleichen der neuen mit den von
Wren gemachten Messungen heraus, daß die
Sorge unbegründet gewesen war.
In den Jahren 1876 bis 1884 endlich wurden
die sämtlichen Gebäude einer gründlichen Re¬
novation im Äußeren unterzogen, die der Uni¬
versität £ 26440. 2 s. 11 d. kosteten, von denen
allein £ 6181. 9 s. 1 d. auf den Turm kamen.
Alle Vorkehrungen wurden getroffen, sowohl Bar¬
barismen früherer Renovateure zu beseitigen wie
auch eine Wiederkehr des Verwittems und Zer-
bröckelns des Steines zu vermeiden. Auf die
innere Einrichtung der verschiedenen „Schools“
zur Aufnahme der wachsenden Bücherflut und
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
auf die dadurch notwendig werdenden beträcht¬
lichen Ein- und Umbauten wurden große Summen
verwandt, und es wurde dabei immer im Auge
behalten, die ursprüngliche Form der Gebäude
wiederherzustellen. Allerdings hat der ganze Bau
nach unserm Geschmack durch die glatte Ver¬
kleidung der Außenmauem einen guten Teil an
malerischem Reize verloren, den die verwitterten
Mauern, in denen man die großen, zum Bau
verwandten Sandsteinblöcke sehen konnte, be¬
saßen. Unsere Bilder sind nach Aufnahmen
vor der Renovation gemacht worden und be¬
sitzen deshalb besonderen Wert.
Eine ungemein wertvolle Erweiterung erfuhr
die Bodleiana 1860 durch Annahme seitens der
Kuratoren des von den Radcliffe-Trustees ge¬
machten Angebotes (zuerst von Dr. [Sir] H.
W. Acland 1856 angeregt), das schöne Gebäude
der Radcliffe Library als Lesesaal der Bodlei¬
ana für immer zu leihen. Es war Dr. Rad-
cliffes ursprüngliche Idee gewesen, ehe er zum
Bau einer eigenen Bibliothek sich entschied,
einen Flügel an die Bodleiana anzubauen; nach
dem Übergang der medizinischen und natur¬
wissenschaftlichen Literatur der Radcliffe-Library
in das Universitätsmuseum kam man also ge¬
wissermaßen auf des hochherzigen Stifters ersten
Plan zurück. Die nötigen Umbauten, die Ver¬
legung der Treppe aus der Mitte des Gebäudes
an die Seite, die Einrichtung des Erdgeschosses
und des Hauptsaales geschahen auf Kosten der
Universität, die Unterhaltung des Gebäudes
aber bestreiten die Radcliffe-Trustees.
Die Radcliffe Library, jetzt auch als
„Camera“, „Camera Bodleiana“ oder „Camera
Radcliviana“ bekannt, wurde auf Kosten des
im Jahre 1714 verstorbenen Dr. John Radcliffe,
Leibarztes von William III., Mary II, Königin
Anna und Prinz Georg von Dänemark, in
der Zeit vom 17. Mai 1737 bis 13. April
1749 mit einem Aufwande von £ 40000 er¬
baut Der Bau ist insofern interessant, als
er vom architektonischen Standpunkte aus so
ganz von allem abweicht, was ihn umgibt.
Frei auf einem Platze errichtet, erhebt er sich
wie auf Arkaden erbaut zu beträchtlicher Höhe,
weithin sichtbar, ein Wahrzeichen Oxfords, eine
berühmte Aussicht über die ringsherum zu
seinen Füßen liegende Universitätsstadt ge¬
während. Die Grundform, der Grundstock und
das Erdgeschoß bilden ein doppeltes Achteck,
161
mit breiten massiven Pfeilern zwischen den acht
weiteren Öffnungen, die jetzt mit vom Boden
bis fast zur Decke reichenden Fenstern gefüllt
sind. Der Durchmesser beträgt hundert Fuß.
Das obere Stockwerk ist völlig rund, mit
korinthischen Dreiviertel-Säulen verziert, mit
einer Balustrade versehen und von einer ge¬
räumigen und schönproportionierten Kuppel ge¬
krönt Eine elegante, leichte Wendeltreppe
führt zum Lesesaal, mit einer Büste von Gibbs,
dem Architekten, geschmückt. Die Höhe des
Domes beträgt vom Fußboden des Saales 84 Fuß,
und gern verliert sich das Auge im Aufblick
zu ihm, wenn der Lichterglanz am Abend ihn
in Halbdunkel hüllt Rings um das Gebäude
läuft in Drittelhöhe zwischen der äußeren Wand
und den Bogenpfeilern im Inneren eine breite
Galerie, die wie das erste Stockwerk mit
Pulten und Büchergestellen ausgestattet ist,
während das Erdgeschoß der Aufnahme von
Büchern dient Da das ganze Gebäude feuer¬
sicher und mit Ausnahme eines unterirdischen
Ganges vollkommen von den anderen Biblio¬
theksgebäuden getrennt ist, ist es mit Gas
erleuchtet und dient seit dem 27. Januar 1862
als Lesehalle für die Bibliothek, von 10 Uhr
früh bis 10 Uhr abends geöffnet. Nur neue
Bücher werden hier aufbewahrt, und das Ge¬
bäude ist jetzt schon so ziemlich vollständig
damit angefüllt, soweit es mit berechtigter
Rücksicht auf die Architektur und gefälliges
Aussehen möglich ist. Über 130000 Bände
dürfte der Bestand zählen, von denen die größte
Zahl im Erdgeschoß untergebracht ist Die
Camera sowohl wie Duke Humphreys Library
und ein Teil der anderen Räume werden jetzt
(seit 1861) durch Heiß Wasserrohren, meistens
mit Schiefer verkleidet, gewärmt, nachdem man
zunächst 1821 mit einem kleinen Heißluftapparat,
der 1845 ausgedehnt wurde, begonnen hatte.
Vor jener Zeit gab es keine künstliche Heizung,
und wir können noch in manchem Berichte
lesen, welche Leiden Beamte und Leser im
Winter auszustehen hatten, wenn es hart in
den weiten Räumen fror, die damals gewiß auch
noch zugiger waren, als sie es allesamt leider
noch heute sind.
Wie schon mehrfach erwähnt wurde, ist die
Bodleian Library weder ein Staatsinstitut noch
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162
Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
bildet sie direkt einen Teil der Universität,
sondern ist dieser nur affiliert und wird von
ihr finanziell unterstützt, hat aber eine selb¬
ständige Verwaltung, eigene Einkünfte, die von
dem Vermögen der Universität ganz unab¬
hängig sind, und ein eigenes Budget. Ehe
wir nun zum Abschluß unserer kurzen Ge¬
schichte der Bibliothek kommen, wollen wir
hier noch als interessantes Beispiel den allge¬
meinen Rechnungsabschluß pro 1902 abdrucken,
wie ihn Bodleys Librarian im Annual Report
of the Curators veröffentlicht. Dies wird den
Lesern den besten Einblick in die finanzielle
Lage der großen Bibliothek gewähren.
Die Einnahmen betrugen: Dividenden und
Zinsen £ 1825. 9 s. 2 d. (1 £ == 20 Mk. 40),
Mieten und Grundbesitz £ 416. 11 s. 4 d., Lord
Crewes Vermächtnis £ 70, regelmäßige Beisteuer
der Universität £ 4165, Vermehrung derselben
(an Stelle von Zinsen) £ 900, verschiedene beson¬
dere Bewilligungen zusammen £ 492. 12 s. 10 d.,
Beischüsse von All Souls College £ 150, von
Merton £ 281. 17 s. 6 d., von Trinity £ 150,
zwei Privatzuschüsse £ 55. 5 s., Abgaben von
Besuchern der Bodleian £ 114. 15 s. 9 d. und
der Radcliffe Camera £ 52. 19 s. 10 d. Ver¬
käufe und Extras £ 47. 19 s. 9 d., Vortrag von
1901: £ 510. 8 s. (Ein selten günstiger Fall,
da meistens Defizits vorhanden sind.) Gesamt¬
einkommen £ 9232. 19 s. 2 d.
Die Ausgaben kamen auf: Saläre für Biblio¬
thekar und zwei Unter-Bibliothekare £ 1700,
Pension für einen Unterbibliothekar £ 250;
Säläre für 16 Assistenten, 16 Unterassistenten,
Kastellane, Tischler und Copyright-Agent £3175.
10 s. 5 d.); Reparaturen, Gestelle, Reinigung usw.
£ 522. 6 s. 9 d., Feuerung, Licht und Wasser
£ 238. 12 s. 8 d., Druck der Kataloge, An¬
noncen, Formulure und Akzidenzen, Porti, Tele¬
phon £ 374. 15 s. 5 d.j Ankäufe von Manu¬
skripten £ 118. 7 s., von Büchern £ 1305. 4 s.
6 d., für Umtausch mit ausländischen Biblio¬
theken u. s. w. £ 217. 10 s., für Photographien
£11. 19 s. 11 d., für Münzen £ 12. 13 s.; für
Buchbinderarbeiten £ 1132. 8 s. 1 d.; gegen
Feuersgefahr £ 2. 18 s. 4 d.j Gesamtausgaben
£ 9061. 17 s. 4 d.
So sind wir denn zum Ende unseres kurzen,
schnellen Ganges durch die weiten Räume und
große Geschichte der, wenn nicht mehr größten,
so doch sicherlich interessantesten und an¬
ziehendsten Bibliothek unserer Zeit gekommen.
Auf die Tausende von Schätzen einzugehen,
verbot uns der Raum; man müßte Bände an¬
füllen, um dieser Aufgabe nur annähernd
gerecht zu werden. Die gleiche Schwierigkeit
macht es, Abbildungen zu wählen, die von
allem besonders Bermerkenswerten eine um¬
fassende Darstellung gewähren. Sie sind schwer
zu erhalten; wir glauben aber, daß die, die wir
gewählt haben, unseren Leser eine gute Idee
geben werden von dem Äußeren und Inneren
der Gebäude, eine Idee, wie man sie sich oft
selbst bei persönlichem Besuch an Ort und
Stelle kaum gleich gut machen kann. Ein Teil
der Gebäude ist verdeckt durch College-Gärten;
beim Betrachten des Innern aber werden unsere
Sinne vielfach durch das pulsierende Leben
ringsum abgelenkt. Denen jedoch, die doch so
glücklich waren, sei es zum kurzen Besuch, sei
es im Verfolg ihrer Studien, an Ort und Stelle
zu verweilen, denen, so hoffen wir, werden
unsere Bilder unverlöschliche Erinnerungen neu
beleben, denn jene Glücklichen haben noch den
großen Vorteil, daß in ihnen auch das wieder
wach wird, was wir leider nie im Bilde werden
festhalten können. Wir meinen die Atmosphäre,
die diese Räume erfüllt und diesen Ort umweht,
die in unsere Seele eine feine Melodie grub,
alt wie die Jahrhunderte, die hier ruhen, frisch
und süß wie der sprossende Frühling; eine Me¬
lodie, die von neuem erklingt, wenn der Anblick
der Bilder dieser Stätte die Saiten unserer
Seele wieder in Schwingungen versetzt.
Nach der auf eigene Art und Weise von
Frangois de Bonivard, dem Gefangenen von
Chillon, gegründeten kleinen öffentlichen Biblio¬
thek zu Genf ist die Bodleiana die erste öffent¬
liche Bibliothek der Welt gewesen, und ihrer
großen Aufgabe, Können und Wissen aufzu-
speichem und dem literarischen, mit Gaben
des Geistes schaffenden Arbeiter seine Hand¬
werkzeuge zusammenzubringen, zu ordnen und
zu verwalten, ist sie nicht nur von Anfang an
in treuer Ausführung des Planes ihres Be¬
gründers glänzend gewachsen gewesen, sondern
sie hat auch in unzähligen Fällen direkt an¬
regend gewirkt und zum Forschen und Denken
begeistert.
Leider sind ihre Verwalter fast beständig in
der Ausführung ihrer Pläne behindert worden,
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Degener, Die Bodleian Library in Oxford.
163
und es war traditionell geworden, daß mit
schweren Rückständen aufzuräumen war, ehe an
ein Vorwärtskommen mit den neuen Aufgaben
gedacht werden konnte. Dem jetzigen Biblio¬
thekar, seinem Vorgänger und seinen beiden
Stellvertretern, ebenso wie einigen der be¬
deutendsten der höheren Assistenten gebührt
der Ruhm, enorme Massen von Rückständen in
den letzten dreißig Jahren bewältigt und die
Bibliothek auf eine Höhe der Leistungsfähigkeit
gebracht zu haben, die sie nie zuvor einge¬
nommen hat. Trotzdem ist man noch nicht
mit den Resultaten zufrieden und man hat sich
jetzt das Ziel stecken können, an Verbesserungen
in Einzelheiten zu denken, deren Ausführung
die Nutzbarkeit der Bibliothek noch wesentlich
erhöhen wird. Wenn auch die Mittel zu An¬
schaffungen in einem Mißverhältnis stehen zu
der ungeheuren Produktion wichtiger Werke, die
in keiner erstklassigen Bibliothek fehlen dürften,
so ist es den Leitern doch gelungen, mit gutem
Geschick das Beste und unumgänglich Not¬
wendigste herauszugreifen, und wenn irgend
möglich wird nach den Vorschlägen der Leser
alles Gewünschte angeschafft. Auf einem
Gebiete auf jeden Fall kann kein Forscher
und Gelehrter umhin, nach der Bodleiana zu
wallfahren und dort an den Quellen zu
schöpfen: das ist in bezug auf die enorme
Menge von Manuskripten aller Diszipline und
in bezug auf die vielen Inkunabeln und Er¬
zeugnisse der englischen Presse vor den Bürger¬
kriegen.
Ob die Universität durch sich selbst in der
weiten Welt das hohe Ansehen errungen hätte,
das sie jetzt genießt und das sie in England
stets genossen hat, ist mehr als fraglich, vor
allem bei dem zähen Festhalten an mittelalter¬
lichen Methoden und bei der fast unverständ¬
lichen Schwerfälligkeit, Neuerungen einzuführen
und sich mehr den streng wissenschaftlichen
Forschungsweisen zu erschließen. Die Bod¬
leiana hat ihr zu dieser Stellung verholfen und
ihren Ruhm in alle Welt getragen, wie sie auch
dem ganzen Leben der Universität in vieler
Hinsicht ihren Stempel unverkenntlich aufge¬
drückt hat.
Möge über der Bodleiana immer ein gün¬
stiger Stern scheinen, damit sie ihre segens¬
reiche Aufgabe ungestört, und nicht wie vor
Bodleys Zeiten grausam unterbrochen, fortsetzen
kann, zu Nutz und Frommen lebender und
kommender Geschlechter. Wie mir, dem Schrei¬
ber, so werden auch anderen die Bibliothekare
Mr. E. W. Byron Nicholson, M. A., Mr. F.
Madan, M. A., und Mr. A. E. Cowley, M. A.,
mit unermüdlicher Gefälligkeit bei ihren Studien
zur Seite gestanden haben, und es gebührt
ihnen der wärmste Dank, den ihnen schließlich
die ganze Universität schuldet. Denn es ist
nicht zum wenigsten ihr Verdienst, wenn durch
das Leben, das sie mit den frischen Geistes¬
werken aller Völker in den alten Born des
Wissens leiten, neues Leben auch in das seit
Jahren stagnierende Blut der Universität kommt.
Deutsche, amerikanische und andere Univer¬
sitäten sind Oxford weit vorausgeeilt, selbst die
neueren englischen Universitäten leisten meist
mehr und Tüchtigeres. Gerade an der Bodleiana
aber werden die, die jetzt für eine Ära des ge¬
sunden Fortschritts in der Universität streiten,
einen guten Rückhalt finden. Reich wie die
Bibliothek an Traditionen und an traditionellen
Lehren und Methoden ist, baut sich gerade in ihr
das Neue auf dem Alten auf und entwickelt
sich das Alte zum Neuen, stagniert aber nicht.
Und unvermeidlich lassen die Forscher aus
allen Ländern, die nicht durch die Lehren der
heutigen Universität Oxford, sondern durch die
Schätze der Bibliothek zu Tausenden angezogen
werden, im persönlichen Verkehre mit den
Dozenten und Studierenden den Keim des Fort¬
schrittes zurück, der schon, wenn auch schwer
so doch sicher auf dem etwas recht hart
gewordenen Boden Wurzel schlagen und ge¬
deihen wird.
Deshalb Ehre dem edlen Wiederbegründer
der Bodleiana und allen denen, die mit Rat,
Arbeit und Tat an dem großen Werke geschafft
haben und noch schaffen!
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Denkwürdige Gebetbücher.
Von
L. Schneider in Cöln.
abent sua fata libelli! — Wie oft ge¬
denken wir dieses Wortes, wenn wir in
privaten oder öffentlichen Büchersamm¬
lungen ein vergilbtes Pergament, merk¬
würdige Inkunabeln oder einen interessanten Druck
früherer Tage in den Händen halten! Vor unseren
Augen zaubern jene „stummen Munde“ neues Leben
in längstvergangene Zeiten, und die Menschen er¬
stehen aus ihren Schlummerstätten, die einst gelebt,
als jene schwarzen Zeichen auf das Papier oder
Pergament geschrieben oder gedruckt wurden, und
die ewige Einheit alles Menschenleides und alles
Menschenglücks verbindet die Lebenden mit den
Geschiedenen, Wir lernen verstehen, wie damals,
zu anderen Zeiten in anderen Lebensverhältnissen,
geliebt und gehaßt wurde, und so webt das eine,
das Ewige, sein Band um zeitlich Getrennte.
„Der Schauder ist der Menschheit bester Teil!“
er macht demütig, dankbar, vertrauend, wenn er
uns überkommt beim Vertiefen in vergangenes,
großes, in tiefes Leid. Und wer könnte sich
dieses Schauders erwehren, wenn er Blätter in
den Händen hält, auf die in welterschütternden,
schweren Stunden, in denen die Mitlebenden Gottes
Weltgericht gekommen wähnten, ein verzweifeltes
Antlitz sich geneigt, ein starres, tränenloses Auge
geruht hat? Wem wurde dieser Schauder nicht
zur Ehrfurcht vor den kleinen, unscheinbaren
Zeugen aus alter Zeit, wenn ihm ein Zufall am
selben Tage die Gedenkblätter der durch blinden
Wahn Geopferten und das fromme Wort derer
zugefiihrt, die Tausende dahingemordet in Fanatis¬
mus und unseliger Verblendung? —
Die Niederlande sind reich an solchen Erin-
nerungsblättem; dort liegt auch das Gebetbuch
der Katharina von Medici und das Gebetbuch der
Familie Coligny,
Ersteres, eine der Perlen in dem musterhaft
verwahrten Königlichen Bibliothekschatze im Haag,
stammt aus der Hinterlassenschaft Wilhelms V., der
sein Leben 1795 m der Verbannung beschloß.
Wie eine Inschrift im Buche selbst besagt,
war es im Jahre 1750 von seinem früheren Be¬
sitzer, dem Hofprediger Royer, dem Prinzen als
Geschenk verehrt worden. Diese Inschrift lautet:
„Son Altesse Mons , * r le Prince d* Orange et
Nassau a requ le 24* Aoüt 1730, des mains de
Mr. Royer , Pasteur de f Eglise Wallonne de La
Haye, les Heures de CäthMne de Medicis Mcre
de Charles IX. Roy de France , sous le Regne du -
quel\ et a pareil jour Van 1572, lest fait le Mas -
sacre de la S te Barthelemie, dans lequel fut tui
Gaspar de Colligny , Pere de Louise de Colligny ,
Epouse de Guillaume F r Prince d y Orange“
Nach dem Frieden von Amiens wurde das
Buch Eigentum des Staates.
Die kostbare Handschrift stammt aus der
Sammlung, welche die französischen Souveräne
seit Karl V. (1340) angelegt haben. In der ersten
Hälfte des XVIII. Jahrhunderts ist es mit noch
anderen wertvollen Handschriften, zumal kleineren
Formates, nach Holland gekommen. Die Königliche
Bibliothek im Haag besitzt aus derselben Sammlung
die Heures du Connetable de Bourbon, der 1527
Rom eroberte und daselbst starb. Diese Bücher
sollen von einem französischen Geistlichen, dem
nahen Verwandten eines der Bibliothekare der
Königlichen Bibliothek zu Paris, entwendet und
nach Holland gebracht worden sein. Die noch
vorhandene diplomatische Korrespondenz der
französischen Regierung mit ihrem Gesandten im
Haag beweist jedoch nur, daß jener Geistliche Zu¬
tritt zu den Sälen mit den reichen und kostbaren
Sammlungen gehabt hat. — Die geraubten Bücher
wurden in Holland verkauft; soviel ist jedenfalls
erwiesen, und gingen dadurch in Privatbesitz über.
Daß sie nicht energisch zurückverlangt werden
konnten, lag wohl in den politischen Verhältnissen,
vielleicht auch in schwierig auszulegenden Gesetzes¬
bestimmungen über die Rückgabe käuflich er¬
worbenen Eigentums, wahrscheinlich auch in langer
Verheimlichung des kostbaren Besitzes.
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Schneider, Denkwürdige Gebetbücher.
165
Das herrliche, kalligraphisch wertwolle Juwel der
Königlichen Bibliothek im Haag, die „Heures“
der Katharina von Medici, ist für jeden Biblio¬
graphen zumal interessant durch seine kostbare
Ausstattung. Die goldnen Schließen des Gebet¬
buches sind aus den verschlungenen Buchstaben
C und H (Chath£rine und Henri) und dem in
schlechtem Latein verfaßten Spruche: So gedenke
ich des Verblichenen — Sic memor extincti —
gebildet Den schwarzen Einband zieren zwei
umgekehrte goldene Fackeln.
Louis Gosse, der Redakteur der „Gazette des
Beaux Arts“ schrieb 1877 in der „Chronique des
arts“ Nr. 33 über diese „Heures“: Cest un delicieux
bijou. L’execution des miniatures, qui est proche
de Jean Cousin, est d’une finesse extreme. Je
dirai meme qu’aucun autre monument, meme les
Heures du Connetable de Montmorency de 1459,
appartenant ä la Collection Firmin-Didot, ne se
rapproche autant du style pseudo-michelangelesque
de Cousin, du moins d’aprfcs le peu que nous
connaissons de sa main ..Jean Cousin, geboren
1501 zu Soucy bei Sens, zuerst bekannt geworden
als Glasmaler (vergl. Didot „Etüde sur J. C.“ und
„Recueil des oeuvres choisies de J. C.“), zeichnete
sich später auch durch seine Miniaturen zu ver¬
schiedenen, zum Teil noch erhaltenen Gebetbücher
aus, z. B. zu den Heures von Franz L, zu den
Heinrichs II., den des Großstallmeisters Claude
Gouffier usw. und wahrscheinlich auch zu dem
genannten Gebetbuch der Maria Stuart
Wenige Stunden später, nachdem ich jenes
denkwürdige Buch gesehen, hielt ich das Gebetbuch
der Coligny in der Hand. Um seines Glaubens
willen fiel Admiral Coligny in der Mordnacht des
24. August 1572. Das Gebetbuch mit seinen
teuren Erinnerungen war von ihm bis an sein Ende
heilig gehalten worden; es umfaßt die Chronik
der Familien Mailly und Coligny und Aufzeich¬
nungen von des Admirals eigner Hand, dazu in
erschütternder Kürze, von seiner Witwe nieder¬
geschrieben, die Kunde seines Mordes.
Schon Biömstahl berichtet in seiner „Reise
durch Europa und den Orient a (Teil V S. 376)
von diesem merkwürdigen Buche, das sich 1773
ebenfalls in der Bibliothek des genannten Hof¬
predigers Royer befand. Nach seinem Tode kam
es in den Besitz seines Sohnes, J. Th. Royer, und
wurde im April 1816 mit dessen ganzer Bibliothek
durch B. Scheurleer und A. Bakhuyzen zum Verkauf
gebracht Im Katalog der zu versteigernden Bücher
war es mit Nr. 49 bezeichnet Der Reichsarchivar
I. C. de Jonge kaufte es, überließ es aber 1822
Herrn F. A. van Rappard, von welchem es sein
Sohn, Ritter von Rappard, Archivar des Reich-
archives in Utrecht erbte.
Sind die Heures der Katharina merkwürdig
und interessant als Handschrift, so zeichnet dieses
Z. f. B. 1904/1905.
Buch sich vor allem durch die feinen, seltenen
Typen der Druckerei von Thielemann Kerver aus.
Kerver war ein Deutscher, der mehrere schöne
Breviere in verschiedenen Sprachen herausgegeben
hat Der Druck unseres Buches wurde 1497 be¬
gonnen, und, wie die Notiz unter dem Zeichen
des Druckers auf der letzten Seite des Bandes
besagt 1500 vollendet Die Holzschnitte und
Vignetten des Werkes stammen von der Hand des
berühmten französischen Holzschneiders Jollet
Die Initialen sind in Gold und Farben ausgeführt.
Das Buch ist aus der Familie de Mailly in die
der Coligny übergegangen. Die Mutter des Ad¬
mirals, Louise von Montmorency, war in erster Ehe
mit Fern de Mailly, Herrn von Conty, vermählt
Letzterer hat auch in dem Buche, dem Titelblatt
gegenüber, die Geburt zweier seiner Kinder ein¬
getragen und seine Gemahlin hat später diese
Notizen im Kalender der Heures unter den Monaten
September und Oktober wiederholt Sie fügt nach
dem Tode ihres Gemahls hinzu: Feu Mesf de Conty
leur pere trepasa a millan la veille de nouel mil V ct XI.
Auf der folgenden Seite meldet sie die Geburt
einer nach dem Tode des Vaters geborenen Tochter.
Im Jahre 1514 vermählte sie sich zum zweiten
Male mit Gaspard de Coligny, Herrn von Coligny,
Andelot, Chatillon sur Loing, Ritter des Königs¬
ordens, Marschall von Frankreich. Sie fährt fort,
in das ihrem Herzen teure Buch auch die Geburt
der Kinder aus dieser zweiten Ehe einzutragen;
so von „Pierre de Coulligny a Chatillon“, von
Odet de Coligny, dem späteren Erzbischof, der
unter dem Namen Kardinal de Chatillon bekannt
ist Auch er ist wie seine Brüder zum reformierten
Bekenntnis übergetreten, nach welchem Schritt er
aller seiner Ämter entsetzt wurde. Am 16. Februar
1518 zeichnet Luise die Geburt Gaspards, des
späteren Admirals, ein.
Ihre zweite Tochter Albertine Agnes vermählte
sich mit dem Fürsten von Nassau, Statthalter von
Friesland, dessen Sohn König der Niederlande
wurde.
Weiter wird der Geburtstag von Francois de
Coligny vermeldet Dieser Fra^ois, Herr von
Andelot, Generalobrist der Armee, war der erste
der Familie, der sich der Reformation zuneigte.
Auch den Tod ihres zweiten Mannes trägt Louise
in ihrem Gebetbuche ein.
Nun folgen zwölf Aufzeichnungen von der
Hand des Admirals. Die erste berichtet den Tod
der Mutter: Madame la mareschalle de Chastillon
mourut a paris le XIV. Juing 1547 • Dann kommt
die Anzeige seiner ersten Vermählung mit Char¬
lotte de Laval, darauf die Geburt seines ersten
Sohnes 1549 usw.
Als viertes Kind wurde ihm Louise geboren,
die vierte Gemahlin Wilhelm I., Prinzen von Oranien,
Mutter des Prinzen Friedrich Heinrich, Großmutter
Luise Henriettes, der Gattin des großen Kur¬
fürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Der
Admiral schreibt: Le XXVIII* de Septembre 1555
22
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1 66
Schneider, Denkwürdige Gebetbücher.
fut nee a ung samedy Loyse de Coulligny ma fiUe
entre cinq et six Aeures du matin a Chatillon. Nach¬
dem ihm seine Gemahlin noch vier Kinder ge¬
boren, starb sie, und der Admiral vermählte sich
zum zweiten Male; seine eigenhändige Eintragung
in das Gebetbuch der Mutter lautet: Le XXV.
jour de mars 157/ Ledt % Sir , admiral fut marie
et tspouza en secondes nosces jaqueline dautremont
a la röchelte. Diese zweite Frau war die Unglück¬
liche, die jene Schreckensnacht überlebte und den
Mord des Gatten zu verzeichnen hatte: Le 24Daoust
1572 este mis a mort Feu monseigr et mari gas -
pard de Chatillon admiral de fransse , avec beaucoup
de la noblese fransaise et du peuple> aiant laisse sa
desolee fame grosse de 5 mois. — Später zeigt sie
auch die Geburt des Schmerzenskindes am 21. De¬
zember 1572 an.
Die Pietät, mit welcher das Andenken der
Mutter vom Admiral geehrt wurde, ist rührend:
ihr Gebetbuch war es, in das der Protestant die
wichtigsten Gedenktage seines Lebens einzeichnete.
Die Schreibweise des Namens Coligny ist im Buche,
mit zwei Ausnahmen, de Coulligny. Die gewohnte
Bezeichnung für den Ermordeten ist bei uns ge¬
wöhnlich: der „greise Admiral“. Er war aber
damals tatsächlich ein Mann von 54 Jahren, in
der Vollkraft seines Lebens, der erst 16 Monate
vor seinem Tode zum zweiten Male in die Ehe
getreten war. Der Geschichte blieb nur sein
Todesjahr, nicht sein Geburtsjahr im Gedächtnis.
Auch mag der vertrauliche Name, mit welchen die
Soldaten zu ihm aufjubelten, viel zu der Bezeich¬
nung „der greise Admiral 11 beigetragen haben.
Wie das Buch in den Besitz des Hofpredigers
Royer gekommen, ist unbekannt. Die Vermutung
liegt nahe, daß es ebenfalls unter den entwendeten
und in Holland verkauften Büchern gewesen ist,
zumal es nachweislich nicht mit der Bibliothek
des oben genannten Prinzen Friedrich Heinrich ver¬
kauft wurde. Der in der Königlichen Bibliothek
im Haag noch befindliche, von der Hand Kon¬
stantin Huygens (vergl. die „Chronik" dieses Heftes)
verfaßte Katalog der prinzlichen Bibliothek enthält
den Titel des Buches nicht
Und doch widersprechen rührende, auf das
hintere Schutzblatt geschriebene Worte der Ver¬
mutung, das Buch habe das Schicksal der Heures
Katharinens geteilt: Vre tres hu’ble d tres .
(dies Wort ist nicht mehr vorhanden) varld la Fon¬
taine. Vrd tres humble d tres obaissant serideur
Charles Martin.
Haben treue Diener das Gebetbuch der Ahne
aus dem Nachlaß der Coligny bewahrt und es
Luise bei ihrer Vermählung als letzte und kost¬
barste Gabe der Treue mit in die neue Heimat
gegeben? Oder überreichten sie es der Vielgeprüften,
Lebensmüden, die in früher Jugend den Vater,
zwölf Jahre später den Gemahl hatte ermorden
sehen müssen, als sie am Abend ihres Lebens
noch einmal das Land ihrer Geburt besuchte?
Wer weiß es! Das Buch mit dem schwarzen, sehr
einfachen Einbande (wohl eine Erneuerung des
ursprünglichen), auf Pergamentpapier gedruckt mit
Initialen in blauer und roter Farbe — spricht von
so großem, unmenschlichem Leide, daß es auf
Fragen von untergeordneter Bedeutung gar keine
Antwort hat.
Fernab von den Stätten, an denen diese Bücher
aufbewahrt werden, in einer Stadt, die gar keinen
ersichtlichen Zusammenhang mit den Zeiten Katha¬
rinas und Colignys aufweist, die den Übergang
des Altertums zum Mittelalter vermittelt, einer Stadt,
in der die Steine von Byzantinern und Goten und
von wilden Parteikämpfen sprechen, in Ravenna
und zwar in der dortigen Bibliotheca comunale,
die erst 1714 gegründet wurde, befindet sich das
Gebdbuch der Maria Stuart aus ihrer französischen
Zeit: handschriftlich, in Pergament, mit wundervollen
Miniaturen, die wohl ebenfalls, wie schon erwähnt,
von Jean Cousin herrühren. Zeit, Ausführung, Ver¬
gleichung mit andren beglaubigten Miniaturen von
seiner Hand, sprechen sogar sehr bestimmt für seine
Autorschaft. War dies Buch das letzte Gebetbuch,
das die schottische Maria unter den Händen
hielt, als sie das Schafott bestieg?
Einen schlußfesten Beweis, daß es ihr gehört
habe, konnte ich nicht erhalten, auch keine, wenn
auch noch so legendarische Geschichte desselben.
Es wird in allen Werken über jene interessante
Bibliothek als Gebetbuch der Maria Stuart be¬
zeichnet, so auch in dem umfassenden Dizionario
corografico ddl Jtalia von Professor Amato AmatL
Selbst von dem Herrn Bibliothekar der Bibliotheca
classense wurde mir keine weitere Auskunft zu teil.
Da aber kein innerer oder äußerer Grund der
Angabe widerspricht\ dies sei das Gebetbuch Marias
gewesen, lebt auch ihre Gestalt mit der ganzen
Macht ihres Schönheitsadels vor uns auf, wenn
dies Büchlein in unsren Händen ruht
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Die Nenien und andere Einzeldrucke zimbrischer Sprache
der „Sette Comuni“ von Vizenza.
Von
Alfred Baß in Leipzig.
ls ich im 6. Hefte des vorigen Jahrganges
der „Zeitschrift für Bücherfreunde“ einen
kurzen Abriß der bedeutendsten Denk¬
würdigkeiten aus dem Lande der Zimbem
veröffentlichte, beschloß ich auch gelegentlich über
die Nenien dieser Sprachinseln auf italienischem
Gebiete zu berichten. Wenn diese auch nicht
eine so bedeutende Stellung als literarische Druck¬
werke einnehmen, wie es die verschiedenen Aus¬
gaben des kleinen Katechismus erfordern, so sind
sie doch ihrer Eigenart wegen nicht minder
interessant und verdienen aus verschiedenen Grün¬
den der Vergessenheit entrissen zu werden. Nicht
nur, daß diese einzelnen Blätter in einer, zum Teile
wenigstens noch beschränkteren Auflage als die
Katechismen verbreitet und daher außerordentlich
selten geworden sind, sondern weü sie in sprach¬
licher und volkskundlicher Hinsicht mancherlei
hochwichtige Aufschlüsse zu geben vermögen. An
erster Stelle stehen die Nenien, das sind Toten¬
zettel, die gewisse Denkschriften und Lieder zur Er¬
innerung an liebe Verstorbene bilden. Diese Nenien
sind noch heute in den Sette Comuni gang und
gäbe und entstammen teüweise der „Cimbricha
Druke“ in Siege-Asiago oder irgend einer anderen
Druckanstalt in Padua oder auch einer benach¬
barten Stadt Sämtliche mir zugänglichen derar¬
tigen Einzeldrucke sind in der zimbrischen Mund¬
art und in italienischer Übertragung gegeben.
Gewöhnlich steht die Mundart an erster Stelle, die
Übersetzung rechts davon, seltener umgekehrt
Die Rückseite dieser Einblattdrucke ist in allen
Fällen frei. Die in meinem Besitze befindlichen
Erzeugnisse der beiden Druckereien in Siege sind
sämtlich in Großbuchstaben angefertigt und auf
weißes Papier gedruckt; eine Druckerei in Padua
verwendet dagegen buntes Papier und bedient
sich auch der gewöhnlichen Schrift.
Meist geht dem eigentlichen Gedichte oder
Denkspruche eine mehrzeilige Einführung voraus,
die uns mit der Persönlichkeit des Verstorbenen
bekannt macht, während das Lied in wahrhaft
rührenswerter Art den erlittenen Verlust beklagt
Einige dieser Sprüche haben den noch jetzt leben¬
den ehrwürdigen Zimbem Herrn Dott Julius
Vescovi-Slege zum Verfasser.
Aber nicht nur Leichenlieder gibt es in dem
Gebiete der vizentinischen Zimbem: wir haben auch
mehrere andere Einzeldrucke erhalten, die den
Festen der Freude gewidmet sind, vor allem
Lieder zur Feier der Primiz, d. h. zur Einführung
eines neuemannten jungen Priesters. Freundes¬
hand hat in solchen Fällen ein weihevolles Lied
zur erhöhten Stimmung des Tages durch den
Druck vervielfältigen lassen, so daß den Teü-
nehmem der Feier auch eine Erinnerung an die¬
selbe gegeben werden kann. Begreiflicherweise
erhalten sich derartige Gedenkblätter nur zu selten
längere Zeit nach ihrer Entstehung, und wir müssen
es mit Freuden begrüßen, wenn der Zufall uns
eine Reihe solcher Blätter aufbewahrt hat Trotz
meines mehrmaligen Aufenthaltes in den „Sieben
Gemeinden“ gelang es mir nur sehr wenige Blätter
zu erwerben; teüs waren dieselben Familienbesitz
oder überhaupt nicht mehr aufzufinden. Die vor¬
handenen konnte man aber wenigstens abschrift¬
lich benutzen, und so vermochte ich es doch
immerhin, mir eine größere Zahl derartiger Lieder
zu verschaffen. Durch die gütige Vermittlung des
Herrn Profi D. A. Baragiola in Padua sowie der
Gemeindeverwaltung von Siege-Asiago wurden mir
mehrere Einzelblätter zur Verfügung gestellt und
danke ich den Genannten auch an dieser Stelle
für ihr freundliches Entgegenkommen.
Obschon es nicht möglich ist, alle diese Lieder
und Sprüche im Rahmen einer kurzen Erläuterung
hier abzudrucken, so seien doch mehrere in dieser
Anzeige eingeschaltet, wodurch dem Leser wenigstens
eine greifbare Unterlage für eigene Studien ge¬
geben werden kann.
Die folgenden beiden Gedenksprüche von Herrn
Dr. J. Vescovi sind wohl schon anderweit zum Ab¬
druck gelangt, sie seien aber ihrer charakteristi¬
schen Form halber hier ebenfalls nebst neuhoch¬
deutscher Übertragung wiedergegeben. Genau der
Vorlage folgend ist links der zimbrische Text dar¬
gestellt; rechts folgt die italienische Version und
die Verdeutschung.
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168
Baß, Die Nenien und andere Einzeldrucke zimbrischer Sprache der „Sette Comuni“ von Vizenza.
HENNESLE Giovannina / cara figlia del Cav. Jacopo Rigoni /
LIBA TOCHTAR VUN KAV. JÄKEL VUN RIGEN
UN LUZIET VUN MÜLLARN
NOCHENT GAENTET NEÜNZEN JAAR
IN MORGONT VUN DRAIZENEN HÖBIOT
TAUSENK ACHTHUNDART UN NEÜNZK
STIRBE
VORPORGENEZ SMECKTEGEZ GENSELE
PLÜMLE
VOR MINSCHE GAPRACHT IN VRÖMEDA HEARDA
IN BELZ VATAR UN MUTTAR
LIGEN LAR EHAR
IARN TROST — IARE GARDINGEN
VLUDARTE IN HÜMMEL
SIN HOANEGEZ UN SELEGEZ LAND
O GUTA — O UNNA — O DORPARMEGA TOCHTAR
BOANTEN DIZZAN ARMEZ FANT
AF DIN GRAB
LOADEG ABELEGET
DIN VATAR KSEL
D. J. VUN B.
d di Lucia Molini / non ancora compiuti i dieci-
nove anni / nel mattino del tredici luglio / mille
ottocento novanta / mori. / Nascosta odorosa pri-
mula / fiorellino / per poco portato in terra stra-
niera / nel quäle padre e madre / ponevano il
loro orgoglio / la loro consolazione — le lor
speranze / volo* al cielo / sua unica e fortunata pa-
tria / O buona — o tenera — o pietosa figlia /
piangendo questo povero pegno / sulla tua tomba /
mestamente detone / l’amico di tuo padre / G.
D. V.
Übertragung.
Hannchen / teure Tochter des Herrn Jakob
Rigoni* / und Lucia Moloni* / noch nicht vollendet
19 Jahre / am Morgen des 13. Juli / 1890 / ver¬
storben. / Bescheidenes gefälliges Gänse- / Blüm¬
chen / vor kurzem gebracht in die fremde Erde /
in welche Vater und Mutter / legten ihre Zier /
ihren Trost — / ihre Hoffnung / flog in den Him¬
mel / seine einzige und selige Heimat / O gute /
o sanfte — o fromme Tochter / weinend hat dieses
arme Pfand / auf dein Grab / betrübt niedergelegt /
deines Vaters Freund / Dr. J. V.
HENNESLE
NUN AN JAHR INKINGE
DA DU VLUDERSTE IN HÜMMEL
ZU LEBEN FROA AN EBEGEZ LEBEN
ELLENT
LAZZENTEN VRAUNTE UN KSELLEN
O DU
SELEGA TOCHTAR
LUK MIT KINDLEGAR LIBE
AF DINE
UNTRO ASTEN VAIAR-ALLO AN GALAZZANA MUTTAR
BOANANDEZ GASCHBISTARDE
TUA UN PIT
AZ A TROFFA VOM HÜMMELSEN TOABAZZARE
DORLINNARE
IAR LOAD — IARE PAINE
ZU GADENKEKOT
VOM HENNESLEN VON RIGEN
IN XIV. HÖBIOT M D CCC XCI
DR. J. von B.
Giovannina / un anno gia’ trascorse / che tu
volasti in cielo / per vivere lieta una etema vita /
desolati / lasciando parenti ed amici / O tu / figlia
beata / guarda pietosa / sui tuoi / inconsolabile
padre — derelitta Madre / piangenti fratelli / fa e
prega / che una stilla di celeste rugiada / lenisca /
il loro cordoglio — le loro pene / A memoria /
di Giovannina Rigoni / il 14 Luglio 1891 / Dr.
G. V.
Übertragung.
Hannchen / nun ging ein Jahr hin / da du
flogst in den Himmel / um dort froh ein ewiges
Leben zu leben (verbringen) / elend / lassend
Eltern und Freunde. / O du / selige Tochter /
blicke mit kindlicher Liebe / auf deinen / untröst¬
lichen Vater, (deine) allein gelassene Mutter /
(deine) weinenden Geschwister / tue eine Bitte /
daß ein Tropfen Himmelswasser / lindere / ihr
Leid ihre Pein / Zum Gedächtnis von Hannchen
Rigoni / am 19. Heumonat (Juli) M. D. CCCXCX /
Dr. J. V.
1 Rigen, Müller u.a. sind volkstümliche Eindeutschungen.
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Baß, Die Nenien und andere Einzeldrucke zimbrischer Sprache der „Sette Comuni von Vizenza.
Wenn wir die Namen der hier verzeichneten
Zimberleute betrachten, dürfen wir nicht glauben,
daß die Träger derselben adelige Leute seien; sie
nennen sich z. B. zwar Julius von Bischofarn, auf
italienisch Giulio Vescovi, die deutsche Form des
Namens deutet aber nur die volkstümliche Sitte
an: vom Geschlechte der Bischofarn derjenige,
der den Namen Julius hat Der Name ist also
eigentlich zu lesen Julius aus dem Geschlechte der
Bischofarn; dieser letzte Name ist natürlich nur
die Übersetzung des italienischen Vescovi.
’Z MAAL VUN XXIX HÖBIOT MCM
VORFLUCHENA HANT
DORSLAGE
IN GROAZHERZEGEN IN GUTEN KUNEG
UMBERTdenI.sten
JUCKENTEN UN VORDREENENTEN IN PAINE UN LOAD
’Z GANZE BELLOSE LANT
BAAREKOT UN RECHTEKOT
LHBE UN PARMHERZEKOT VOR SIN VOLK
BARN HÖRT AN DE VURAR VUN SIME LEBEN
DARARME- DAR UNGALÜCKE- DAR UNTROASTENE
VANTEN SILLETAN IN IM
SICHERN SCHERM BOHENNA UN PESTA HÖLFE
OH GOTT1 SEI MIT DIAR DE LHBE UN SCHÖNE SELA
LUG DARHÖARE DORPARMEG
’Z HETEGE FITTEN
GAMISCHT MIT BOANACH AN ZEGARN
VUMME BELLOSEN VOLKE
DARLÖSE DE GROAZA ORRENA SUNTE
IN SELEGA EVEGA VRIDE
BELA LOFE OCH ÜBER IN STERCHE UN TROAST
DAR GUTEN VORLAZZENEN KUNEGEN
MARGERETA
Vairtegentensich ka SLEGE 17. August in Kartag vumme
gatötcn Kuneg, an Alter , dorrateten de sinte un herze vun
Siben Kamhtn nia gatreent vumme Bellosen Lante.
La sera XXIX luglio MCM / esacranda mano /
uccise / U magnanimo ü buono Re / Umberto L /
gettando e sconvolgendo in angoscia e dolore /
tutta ITtalia / Verita* e giustizia / amore e pieta*
per ü suo popolo / furono sempre le guide della
sua vita / II povero — Tinfelice — lo sconsolato /
costantemente trovarono in lui / sicura difesa pronto
migliore aiuto / Oh signore! Sia teco la cara e
bella anima / guarda esaudisci pietoso / le intense
preghiere / miste al pianto alle lagrime / del popolo
italiano / redimi ü grave orribüe delitto / in beata
perenne pace / che ridondi anche a sollievo e
conforto / della buona desolata regina / Marghe-
rita / Celebrandosi in Asiago il 17 Agosto 1900
i funerali / del Re ucciso, un Vecchio , interpretando
i sentimenti e ü cuore / dei Sette-Comuni insepa-
rabüi dallTtalia.
Übertragung.
Am Abend vom XXIX. Heumonat MCM / (hat)
eineverfluchteHand / erschlagen / den großherzigen,
den guten König / Humbert den Ersten / in Kum¬
mer und Schmerz ganz und gar auflösend / das
ganze Welschland / Wahrheit und Gerechtigkeit /
Liebe und Müde für sein Volk / waren immerdar
die Führer seines Lebens / der Arme, der Un¬
glückliche, der Bedauernswerte / fanden stets in
ihm / sicheren Schirm, sowie die beste Hüfe. / O
Gottl Bei dir sei die liebe und schöne Seele /
Lausche, erhöre barmherzig / das heftige Bitten /
vermischt mit Weinen und Zähren / des welschen ‘
Volkes. / Löse 1 die große schreckliche Sünde auf/
in seligen ewigen Frieden / dessen Stärke und Trost
übergehe auch / zur guten verlassenen / Königin /
Margareta. /
Bei der Gedächtnisfeier zu Siege am 17. August
am Sterbetag vom / toten König, ein Alter,3 der
die Gefühle des Herzens von / den nimmer von
Welschland getrennten Sieben Gemeinden wiedergibt
In einer der folgenden Nummern vorliegender werden, um dem Leser somit das Büd von dem
Zeitschrift sollen noch einige Lieder oben bezeich- eigentümlichen dichterischen Schaffen der letzten
neter Art nebst den Übersetzungen wiedergegeben Zimbem zu vervollständigen.
1 welsch d. h. italienisch. * d. h. verwandele. 3 Hiermit meint der Verfasser sich selbst.
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Chronik.
Weltliteratur.
Die letztjährigen Veröffentlichungen über Heinrich
von Kleist haben unsre bisherige Auffassung über den
Menschen und Dichter vielfach verändert Aber auch
Steigs verdienstvolle Kleistbücher haben noch keinen
Abschluß gebracht; besonders die „Nachprüfungen 11
des Schlußkapitels in „Kleists Berliner Kämpfen“
dauern fort und haben, u. a. durch Houben und Walzel,
auch bereits zu bemerkenswerten Korrekturen geführt.
Dr. Bert hold Schuhes „Neue Studien über Heinrich
von Kleist ' (Heidelberg, Winters Universitätsbuch¬
handlung. 8°, 91 S. M. 2) sind in der Hauptsache
„Nachprüfungen“. Die Broschüre umfaßt fünf Ab¬
schnitte. Der erste: „Die Ehrung der Erbprinzessin
von Oranien“ versucht die Anachronismen Kleists im
„Prinzen von Homburg“ in bezug auf die politischen
Verhältnisse der Niederlande als beabsichtigt dar¬
zustellen, um unter dem Drucke der Napoleonischen
Herrschaft die franzosenfreundliche Empfindlichkeit
der Regierung zu schonen — eine Auffassung, die
schwerlich allgemein geteÜt werden dürfte. Im zweiten
Stück „Kleist, der Sänger der Königin Luise“ bespricht
der Verfasser die drei Fassungen des Luisengedichts
von 1810 und stimmt Zolling bei, daß die Blankverse
(die zweite Fassung) der Königin überreicht worden
seien, nicht das Sonett, wie Steig glaubt; das voraus¬
gegangene, von Steig entdeckte „Rosensonett“ aber
stamme überhaupt nicht von Kleist, sondern von Fouqud.
Die Beweisführung Schulzes hat vieles für sich, ent¬
scheidend ist sie aber nicht, zumal wir wissen, daß im
höfischen Leben jener Tage ein so umständliches
Zeremoniell, wie Schulze es als Vorbereitung für die
Überreichung des Luisengedichts konstruiert, nicht
nötig war. Recht interessant ist der dritte Abschnitt,
der sich mit Kleists wissenschaftlichen Kenntnissen be¬
schäftigt Die geistigen Nährquellen Kleists behandelt
auch das vierte Kapitel; in der „Familie Schroffenstein“
sieht der Verfasser den Einfluß Schillers und Kants.
Daß das Schroffenstein-Urbild, die „Familie Ghonorez“,
nicht vor 1801 begonnen worden sein konnte, haben
schon Herrn. Conrad und Eug. Wolff nachgewiesen;
letzteren zitiert der Verfasser überhaupt nicht, obwohl
erst Wolffs textkritische Untersuchungen eine Ver¬
folgung der Entstehung der Druckfassung in allen
Einzelheiten ermöglicht hat. Der Schlußabschnitt geht
noch einmal der Frage der Entstehungszeit des „Prinzen
von Homburg“ nach und lehnt Matkowskys in der
„National-Zeitung“ niedergelegte groteske Auffassung
der Persönlichkeit des Kurfürsten energisch ab.
In den neuen „ Kleist-Studien “ von Spiridion
Wukadincruic (Stuttgart, Cotta; 8°, 192 S.; M. 2) ver¬
einigt der Verfasser zwei bereits in Zeitschriften er¬
schienenen Essays mit drei bisher ungedruckten
Arbeiten. Der Nachweis, daß Ludwig Wieland der
Verfasser der von Eug. Wolff entdeckten angeblichen
Jugendlustspiele Kleists „Das Liebhabertheater“ und
„Coquetterie und Liebe“ sei, ist mit vielem Scharfsinn
geführt In dem Kapitel „Das Käthchen von Heilbronn“
untersucht der Verfasser, was Kleist an Hilfsmitteln
über den Somnambulismus zur Verfügung stand und
bekannt gewesen mochte, und teilt des weiteren eine
englische Ballade „Lord Heinrich und Käthchen“ mit,
von der er glaubt, daß sie diejenige Quelle gewesen
sei, die Kleist zur Einführung des Somnambulismus in
seine Dichtung Anregung gegeben habe. Auch in
dem Abschnitt über den „Prinzen von Homburg“ führt
er eben interessanten Quellennachweis. In Dresden
war Kleist durch Gotth. Hernr. Schubert die Welt des
Okkultismus erschlossen worden; da lernte er vielleicht
auch eb s. Z. vielgerühmtes Buch des Hallenser
Professors Reü über die „Anwendung der psychischen
Kurmethode auf Geisteszerrüttungen“ kennen und fand
b ihm Bemerkungen über das Nachtwandeb, die ihm
für das Drama verwendbar Schemen mochten. Die
Studien über „Guiskard“ beschäftigen sich mit der
mutmaßlichen Entstehung des Fragments und ver¬
suchen ebe Fortsetzung zu ergründen, selbstverständ¬
lich nur auf der Basis von Hypothesen, die mannig¬
fachen Widerspruch hervorrufen, nichtsdestoweniger
aber geistreich und scharfsinnig sbd. —bl—
Die Cottasche Buchhandlung, die sich durch ihre
große Jubiläumsausgabe vonGoethesWerken eb schönes
Denkmal setzt, begbnt nunmehr auch mit eber gleich
wohlfeüen und ebenso vorzüglich ausgestatteten Säkular¬
ausgabe von Schillers sämtlichen Werken . Als Heraus¬
geber des Gesamtwerkes zeichnet Eduard von der Hellen;
für die Herausgabe der einzeben Bände wurden Rieh.
Fester, Gustav Kettner, Albert Köster, Jakob Mbor,
JuL Petersen, Erich Schmidt, Osk. Walzel und Rieh.
Weißenfels gewonnen. Die Ausgabe ist auf 16 Bände
geplant und m der äußeren Ausstattung genau so ge¬
halten wie der Jubüäums-Goethe: b Gr.^8°, auf starkem
Papier, mit den klaren und deuUichen Typen der Verlags¬
gesellschaft Union gedruckt Dem Text liegt ebe sorg¬
fältige Kritik der Gesamt-Überlieferung zu Grunde; der
Variantenapparat fallt fort, wohl aber sbd jedem Bande
gemebverständliche Ebleitungen und Anmerkungen
beigegeben. Bei dem erstaunlich billigen Preise von
M. 1,20 für den broschierten Band (b Leben M. 2, b
Halbfranz M. 3) ist zu hoffen, daß auch dieser Schiller,
der am 9. Mai 1905, dem 100jährigen Geburtstage des
Dichters, beendet vorliegen soll, im deutschen Hause
willkommene Aufnahme finden wird.
Der erste Band enthält der Gedichte ersten Teil,
mit Einleitung und Anmerkungen von Eduard von
der Hellen und ebem Lichtdruck: Danneckers Büste
Schillers. Die Gedichte erscheben hier zum ersten
Male b der Anordnung, wie Schiller sie 1804 für
ebe Prachtausgabe veranstaltet hatte, die nicht zu¬
stande kam; auf den großen Zug und die Febheit dieser
Anordnung hat bereits Gustav Kettner b der „Viertel¬
jahrsschrift für Literaturgeschichte“ aufmerksam ge¬
macht Der Anhang enthält diejenigen Gedichte, die
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Chronik,
171
Schiller für die vier [Bücher der erwähnten Ausgabe
ausgeschieden hatte; der zweite Band soll als Nachlese
auch die von Schiller in den Sammlungen von 1800 und
1803 ausgeschlossenen Gedichte bringen.
Weiter erschienen inzwischen Band IV „Don Carlos“,
herausgegeben von Richard Weißenfels, und Band VII:
„Braut von Messina“, „WÜhelm Teil“, „Semele“,
„Menschenfeind“ und „Huldigung der Künste“, mit
Einleitung und Anmerkungen von Oskar Walzel.
—bl—
Ein Buch für das deutsche Volk nennt Fritz Jonas
seine neueste Schillerstudie: „ Schillers Seelenadel“
(Berlin, F. S. Mittler & Sohn; 8°, 231 S., M. 3). Wie
schon der Titel besagt, handelt es sich nicht um eine
Biographie, sondern um eine Charakteristik Schillers,
um die Zeichnung seiner Persönlichkeit durch seine
eigenen Worte und das Urteil seiner Freunde. In neun
Kapiteln versucht Jonas die Natur des Menschen und
Dichters zu ergründen; als Grundzug seines Wesens
bezeichnet er seine Willenskraft und seinen sprudelnden
Freiheitsdrang, während er in den weiteren Abschnitten
den Adel seiner Gesinnung und seines Empfindens unter
den mannigfaltigsten Verhältnissen charakterisiert: in
Not und Sorge, in Freundschaft und Liebe, in seiner
Arbeitsweise und seiner Weltanschauung. Das Buch
hat dem Forscher selbstverständlich nichts Neues zu
sagen; aber es ist so interessant, mit soviel Feingefühl
und so viel Verständnis mosaikartig zusammengetragen,
daß es seine Freunde finden wird. Besonders der Jugend
sei es empfohlen. Die Ausstattung ist recht hübsch;
das kartonierte Exemplar trägt eine Deckelzeichnung,
wie man sie zu Schillers Zeit bei den Almanachen und
Taschenbüchern liebte. —bl—
Seit Heinrich Steinhövel, ungefähr ein Jahr nach
Erscheinen des Druckoriginals, zum ersten Male das
Dekameron des Boccaccio verdeutscht hat, sind weit über
fünfhundert Jahre verflossen, und in dieser langen Spanne
Zeit haben sich zahlreiche neue Übersetzer gefünden.
Aus meiner eigenen Bücherei erwähne ich eine Klein¬
oktavausgabe Frankfurt 1646, einen „Kern der lustigen
Erzählungen des Boccaz“ o. O. 1762, eine Übersetzung
von 1854, die von Dr. W. Soltau, Berlin 1860 und eine
Volksausgabe von G. Körner, Leipzig 1881. Die Frank¬
furter Ausgabe „Zweyhundert Newe Historien“ fußt auf
Steinhövels Übertragung und gibt noch andere Ge¬
schichten dazu, die von 1762 ist ziemlich schlüpfrig, die
übrigen Verdeutschungen sind schlecht, mit Ausnahme
derSoltauschen, die sich aber einer ängstlichen Prüderie
befleißigt Für prüde Gemüter ist das Dekameron frei¬
lich nichts; das Tridentiner Konzil von 1557 nahm sich
denn auch ihrer an und setzte das Buch auf den Index,
und eine Anzahl moderner Staatsanwälte tat desgleichen.
Aber Gott sei Dank sind wir doch heute so weit, daß einem
Verbote des Dekameron binnen kurzem regelmäßig
die Freigabe folgte und daß eine unserer ersten Verlags¬
firmen es versuchen kann, eine neue Ausgabe in statt¬
lichem Gewände und zu billigem Preise auf den Markt
zu bringen.
Das Dekameron des Insel-Verlags in Leipzig er¬
scheint in Kleinoktav zu drei Bänden, sauber gedruckt
in Drugulins Offizin und mit hübschem Titelrahmen und
einer Umschlagvignette von Walter Tiemann versehen.
Der Preis für diese Ausgabe beträgt 10 M. broch., doch
hat der Verlag auch noch eine entzückende Luxus¬
ausgabe (Mk. 30 gebd.) für Bibliophüen auf den Markt
gebracht Als Übersetzung hat man die Schaumsche
gewählt, die der Sprache des Originals wohl am besten
gerecht wird und die Dr. K. Mehring einer sorgfältigen
Durchsicht unterworfen hat —bl—
Buchausstattung.
Aus dem Verlage von Albert Langen in München
gingen uns u. a. folgende Neuigkeiten zu: Von Werken
deutscher Autoren Otto Erich Hartlebens Novellen¬
band „Liebe kleine Mama“ mit einem flott und modern
getuschten eleganten Frauenkopf auf dem Titelblatt,
und ein hübsch gebundener Breitoktavband des¬
selben Verfassers: „Von reifen Früchten t meiner Verse
zweiter Teil“, von dem schon die zweite Auflage vor¬
liegt Der Einband ist in blauem Englischleinen aus¬
geführt; eine leichte Ährenvignette schließt den Titel
ein; Schrift wie Zeichnung sind goldgepreßt; filziges
englisches Vorsatzpapier leitet harmonisch zum Text
hinüber. Von den Franzosen ist ein Bändchen der
nachgrade unleidlich faden Skizzen Marcel Prdvosts —
es führt den geschmackvollen Titel „Brautnachf* —
mit flotter Umschlagzeichnung versehen. Aus dem
Norden liegen ebenfalls zwei Bände bei der Sendung.
Zu einem Drama von Kunt Hamsun „Königin Tamara“
hat Th. Th. Heine eine seiner preziös zierlichen Rah¬
mungen gezeichnet und das magere typographische
Schwarz durch ein keckes Gelb belebt. Endlich muß
ich noch die sorgsame Ausstattung von Bjömstjeme
Bjömsons Epos „Amljot Gellind'* mit Buchschmuck von
Olaf Gulbransson erwähnen. Letzterer ist dem nordi¬
schen Charakter des Heldenliedes angepaßt und besteht
in Kapitelköpfen in Holzschnittmanier und in Culs-de-
lampes und Initialen mit Drachenschnittmotiven. Die
eigentlichen Buchstaben in den Initialen und die ge¬
wundene Seitenrahmung sind in rot ausgeführt Das
bräunlich trübe, kleiderstoffmäßige Muster des Deckels
will mir wenig gefallen und auch die zu zierlich gezeich¬
neten A. L.'s des mißfarbenen Vorsatzpapiers passen
nicht sonderlich zu dem kräftigen Büttenton, den guten
Typen und dem wuchtigen Inhalt
Auch der Inselverlag in Leipzig bringt manches
Neue. Drei Bände von Robert Browning: „Auf dem
Balkon“ und „In einer Gondel“ sowie die „ Tragödie
einer Seele“ in der Übertragung von F. C. Gerden, und
„Pippa geht vorüber ", von H. Heiseier übersetzt Die
Rahmung, die Umschlag- und Innentitelschmückung
stammen von Walter Tiemann . Die kleine, nur 500
Exemplare umfassende Ausgabe dürfte bald vergriffen
sein, denn die Zahl der Verehrer Brownings in Deutsch¬
land nimmt täglich zu. Im gleichen Verlage erschienen
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172
Chronik.
Umschlagzeichoung von AdolfMensel zu der dritten Auflage des
•»Spanischen Liederbuchs" von E. Geibel und P. Heyse.
ferner drei Bücher mit Buchschmuck von Heinrich
Vogeler , dem unermüdlich Fleißigen. Oskar Wildes
„Granatapfelhaus“ und ein Gedichtband von Irene
Forbes-Mosse: „Peregrinas Sommerabende, Lieder für
die Dämmerstunde sowie dreißig Übersetzungen aus dem
Französischen, Englischen und Dänischen “ Vogelers
Kunst liegt in dem sinnigen Verweben selbst geschauter
Natur mit innerer Märchenstimmung. Seine Meer-
ungeheuer sind zierlich gemustert, seine Bäume haben
knorrige Gesichter, seine Menschen wachsen blüten¬
gleich und lÜienschlank auf dem weichen Grund. Es
wäre Hohn, auch nur zu vermuten, daß diese Wesen
ein ordentliches Mittagessen genießen: sie leben wohl
von den wunderfeinen Blättchen und Knospen, mit denen
der Künstler seine Bäume überrieselt und tragen Kleider
aus den krausen Pflanzenarabesken, die beinahe alle
Vollbilder Vogelers überspinnen, wie ein zarter Flor,
der sich schmückend zwischen Natur und Auge senkt
—m.
Dem schönen Heierlischen Werke über Schweizer
Trachten schließt sich nunmehr gleichwertig das präch¬
tige „ Westfälische Trachtenbuch“ an, das die jetzigen
und damaligen westfalischen und schaumburgischen
Gebiete umfaßt und im Velhagen & Klasingschen
Verlage (Bielefeld, Leipzig und Berlin 1904; M. 30)
erschienen ist Vierundzwanzig Tafeln in Farbendruck
nach Originalzeichnungen von Jobs. Gehrts sowie zahl¬
reiche Textabbildungen sind dem erläuternden Worte
Professors Dr. Franz Jöstes eingefügt worden. Um
ihretwillen hat man wohl auch zu dem spiegelndem
Kartonpapier greifen müssen, gegen das sowohl Buch¬
ästheten wie auch Augenärzte soviel einzuwenden haben.
Doch muß hervorgehoben werden, daß die ungewöhn¬
lich großen, schwarz und scharf gedruckten Typen die
angebliche Schädlichkeit sehr vermindern. Das „West¬
fälische Trachtenbuch“ ist aber mehr als ein bäuerliches
Modejouraal und eine Vorlage für Bühnengarderobiers.
Es ist eine prächtig gefaßte Quelle zum Volksstudium
eines Teües des niederdeutschen Gebietes überhaupt.
Neben dem bunten Flitterstaat finden wir charakte¬
ristische Landschaftsaufhahmen, hochgieblige, durch
dunkles Balkennetzwerk belebte Bauernhöfe, Entenfallen
im dichten Grün, Ackergerätschaften urväterischen Ge¬
präges. Dann wieder Hausrat aller Art, Truhen und
Bettschränke, Spinnräder und Küchengerätschaften,
Brotschragen und bunte Glasfenster. Endlich auch
die besonderen Details des Frauenputzes: silberne
Fingerringe, Filigrankreuze und zierlichste Anhänger,
Gadderken genannt, die wohl aus den Fingern eines
Hirzel oder Lallique stammen könnten; schwere
Schließen und endlich in großer Zahl Stickmuster von
Haubenböden. Bei der großen Rolle, die dieser mehr
oder minder winzige Kopfputz gerade beim west¬
falischen Bauerakostüm spielt, ist das nicht zu ver¬
wundern. Alles, was die Ravensbergerin, das Mäd¬
chen aus dem Iburger Kreise, die stattliche Frau um
Bückeburg an Phantasie besitzt, flüchtet in diese kleine
runde Fläche, die mit goldener Cantille, mit Metall-
flittera, Perlen, Chenille und Seide reich ausgestickt
wird. Vielfach wiederholt sich diese erfinderische
Sorgfalt noch bei den Rundkrägelchen, die in manchen
Gegenden getragen werden. Bei den handbreiten
brochierten Taffetbändem, den blumigen Tüchern und
farbenfrohen Schürzen kann man wohl Geschmack im
Auswählen haben, aber „schaffen“ läßt sich da nichts.
Eine starke Bewegung macht sich in den oberen
Ständen geltend, um dem Volke die charakteristischen
Trachten seiner Provinz zu erhalten. Die Einen
wollen das engere „Heimatsgefuhl“, das durch die
Freizügigkeit sehr geschmälert ist, dadurch stärken;
die Andern haben nur die rein künstlerische Seite im
Auge. Ich glaube nicht, daß Überlebtes sich neu be¬
leben läßt. Bauerntracht ist von jeher etwas sehr kost¬
spieliges, eine „echte“ Bauernhochzeit sogar zuweilen
direkt Ruinöses gewesen. Wer einmal Gelegenheit hat,
die standesgemäße Ausstattung z.B. einer Rodenbergerin
mit ihrem quantitativ sinnlosen und überdies unprak¬
tischen Prunk zu sehen, der kann, schon aus wirtschaft¬
lichen Gründen, der Neubelebung der „Tracht“ nicht
ohne Bedenken das Wort reden. Deshalb ist es
doppelt verdienstvoll, jetzt, gleichsam vor Toresschluß,
in einem so sorgsam ausgefuhrten Werke, wie das
„Westfälische Trachtenbuch“ es ist, noch einmal die
ganze bunte Pracht abzuschildern, ehe sie in der Wirk¬
lichkeit verblaßt, und in Wort und Bild einen Volks¬
stamm zu kennzeichnen, dessen Kinder eine so große
Rolle im geistigen und wirtschaftlichen Leben Deutsch¬
lands spielen.
Daß die Ausstattung dieses Prachtwerks im besten
Sinne eine glänzende ist, braucht kaum noch hervor¬
gehoben zu werden* Die ausgezeichnet ausgefuhrten
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Chronik.
173
Farbendrucke stammen aus der Offizin von Angerer
& Göschl (Wien), Brend’amour, Simhart & Co. (Mün¬
chen), Büxenstein & Co. (Berlin), Meisenbach, Riffarth
& Co. (Schöneberg). Die Firma Büxenstein lieferte
zugleich den Druck, J. W. Zanders in Berg.- Gladbach
das Papier, H. Fikentscher in Leipzig den sehr ge¬
schmackvollen Einband. Für die Subskribenten des
schönen Werkes fertigte W. Collin in Berlin den wunder¬
vollen schweinsledernen Einband im Grolinstil. — m.
Verschiedenes.
Die auf Seite 172 wiedergegebene reizende Titel -
seichnung Adolph Menzels schmückte die erste Auflage
des „ Spanischen Liederbuchs“ von Emanuel Geibel und
Paul Heyse und ziert den Deckel der soeben erschie¬
nenen dritten (Stuttgart, Cotta; Mk. 3.—). Es mußten
lange Jahre vergehen, ehe man an diese neue Auflage
denken konnte — aber sie dürfte rascher vergriffen
werden als die frühere. Der Inhalt des Bändchens
gliedert sich in geistliche und weltliche Lieder; ein
Anhang enthält noch 23 provengalische Lieder in der
Übersetzung von Heyse. Man weiß, daß auch Geibel
ein Meister der Übersetzung war. Befangene Nach-
bÜdung war ihm fremd; gab er eine Übertragung, so
war sie auch sein geistiges Eigentum. In dieser Be¬
ziehung ähnelt ihm Heyse, von dessen Verdeutschungen
fremdsprachiger Dichtungen vieles getrost dem Schatze
der deutschen Literatur einverleibt werden kann.
Während die spanischen Lieder dem Volke ent¬
stammen und dies auch in ihrer äußeren Form nicht
verleugnen, sind die Troubadour-Lieder fast ausnahms¬
los Produkte aristokratischer Kunst. Heyse hat sich
getreu an das Metrum und den Versbau gehalten, und
dadurch tritt das Fremdartige im Stil und in der
Gedankenwelt noch stärker hervor und erhöht den Reiz
dieser eigentümlichen Dichtungen, in denen sich die
Blütezeit des französischen Ritterwesens wiederspiegelt
Zu gleicher Zeit wurde bei Cotta die zweite Auflage
der Gesammelten Dichtungen von Wilhelm Hertz ver¬
ausgabt (Mk. 6.—), einWiederabdruck der Ausgabe vom
Jahre 1900, neben den lyrischen Gedichten, Balladen
und Romanzen auch die größeren epischen Dichtungen
„Lanzelot und Ginevra“, „Jungdietrich“, „Heinrich von
Schwaben“ und „Bruder Rausch“ enthaltend, die uns
die mittelalterliche Dichtung in ihrer ewigen Jugend
gewissermaßen näher rücken. —g.
Christian Hieronymus Esmarch und der Göttinger
Dichterbund. Nach neuen Quellen aus Esmarchs hand¬
schriftlichem Nachlaß von Adolf Langguth. Mit sechzig
Schattenrissen aus Esmarchs Nachlaß und mit seinem
Büde. Hermann Paetel, Berlin (10 M., gebd. 11,50 M.)
Der verdienstvolle Bibliothekar an der Königlichen
Bibliothek Adolf Langguth, dem wir so manche aus¬
gezeichnete Goetheschrift zu verdanken haben, hat so¬
eben die Literatur- und Kulturgeschichte des XVI 11 . Jahr-
hunderts um ein Werk von dauerndem Wert bereichert,
Z. f. B. 1904/1905.
indem er die in ihrer Art einzig dastehenden Tagebuch¬
aufzeichnungen Christian Hieronymus Esmarchs, eines
Mitglieds des Göttinger Hainbunds, herausgegeben und
sie mit einem lichtvollen, anregenden und lehrreichen
biographisch-kritischen Kommentar begleitet Wir
erhalten hier ein treues und unverfälschtes Büd der
bisher noch nicht erschöpfend genug gewürdigten
Episode unserer Literatur, die als die Zeit des Göt¬
tinger Dichterbundes, des „Hains“, bezeichnet wird.
Der Verfasser bringt uns einen Mann geistig nahe,
der mit vielen bedeutenden und namhaften Persön¬
lichkeiten in Berührung stand. Durch seinen neun¬
jährigen Aufenthalt im Hause des Finanzministers
v. Stemann zu Kopenhagen war Christian Hieronymus
Esmarch in der Lage, gar manche bedeutsame Vor¬
gänge im Hof- und Staatsleben Dänemarks, wo zu jener
Zeit die hohen Ämter meist Deutschen anvertraut
waren, die ihrerseits engste Fühlung mit der deutschen
Literatur hielten und selber literarisch tätig waren, zu
schildern und zu beobachten. Esmarch erscheint uns
gleichsam als ein Vamhagen von Ense des XVIII. Jahr¬
hunderts, nur mit dem Unterschied, daß er viel objek¬
tiver, vorurteilsloser und charaktervoller war als der
verärgerte und verbitterte Geheime Legationsrat vom
Hofe Friedrich Wilhelms IV. Indem Langguth es
unternommen hat, den Spuren Esmarchs im Leben
und in der Literatur nachzugehen, hat er mehr geleistet
als eine Biographie oder eine literargeschichtliche
Abhandlung — vor unseren geistigen Augen tauchen
zahlreiche, uns lieb gewordene geschichtliche und
literarische Persönlichkeiten jener Zeit auf und wir
lernen ihr Fühlen und Denken besser kennen als dies
bisher der Fall war. Er hatte das Glück, daß ihm ein
reiches handschriftliches Material, so z. B. von der
greisen Enkelin Esmarchs Frau Maria von Wartenberg,
der das treffliche Buch auch die sechzig höchst ori¬
ginellen Schattenrisse verdankt, sodann von deren
Nichte Frau Elisabeth von Wartenberg geb. Esmarch,
Tochter des Rechtslehrers Professor Karl Esmarch,
und von dem Oberbibliothekar an der Königlichen
Bibliothek zu Kopenhagen Justizrat Dr. Bruun zur
Verfügung gestellt wurde. Mit großem Geschick und
Geschmack hat er den eigenartigen Stoff behandelt
und verarbeitet, und die volkstümliche Weise seiner
Darstellung erhöht noch den Wert des prächtigen
Werkes. Die einzelnen Kapitelabschnitte, wie z. B.
„Dänemark in der deutschen Literatur“, „Christian
Hieronymus Esmarch als Mitglied des Hains“, „Schick¬
sale und Bedeutung des Hains“, „Das Briesche Haus“,
„die Beziehungen Christian Hieronymus Esmarchs zu
dem berühmten Koptologen Georg Zoega“ u. a. m.
wird niemand ohne Nutzen lesen und gewiß dem Ver¬
fasser dankbar sein, daß er uns auf ein Gebiet der
Literatur- und Kulturforschung geführt hat, auf dem
noch so manches zu erhellen ist und der Forschung
voraussichtlich noch so mancher bedeutsamer Gewinn
erwächst.
Die Ausstattung des Werkes ist originell und vor¬
nehm. Der Titelaufdruck in Goldschrift und die Me¬
daillonsilhouette Esmarchs geben dem Buche ein
geschmackvolles Aussehen und prägen ihm im Verein
23
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*74
Chronik.
mit dem Druck auf starkem Papier, sowie den sechzig
Silhouettenbeigaben, den Stempel des Altmodischen
auf, der Zeit entsprechend, die das Werk behandelt
A. K.
„Aus Adolf Stahrs Nachlaß “ teilt Ludwig Geiger
eine stattliche Anzahl von Briefen mit (Oldenburg,
Schulzesche Hofbuchhldg. A. Schwartz; 8° LXIX und
356 S. M. 5). Als Einleitung gibt Professor Geiger ein
kurz gefaßtes Lebensbild Stahrs, der „keiner der
führenden Geister gewesen, aber tüchtiges auf den
verschiedensten Gebieten geleistet hat, die er nach¬
einander betreten 14 . Das ist zweifellos richtig, und
zweifellos ist es Unrecht, über ihn und Fanny Lewald,
seine Gattin — das gemeinsame „zweiköpfige Tinten¬
tier 44 — mit wohlfeilem Spotte hinwegzugehen. Geiger
versucht keine jener literarischen „Ehrenrettungen 44 ,
wie Stahr selbst sie geliebt hatte; aber zu einer ge¬
rechten Beurteüung des Menschen, Dichters und
Politikers legt das Buch immerhin Grund. Es ist auch
kulturgeschichtlich von nicht geringem Interesse. Unter
den Briefschreibem begegnen wir Namen wie Gutzkow,
Lasalle, Kinkel, Bettine von Arnim, Alexis, Macaulay,
Quinet, Richard Wagner, Therese v. Bacheracht,
Theodor Döring, Freytag, Spielhagen — und wie auf
das Geistesleben der vierziger Jahre, so fallen auch auf
die Zeiten politischer Erregung in der Reaktionsperiode
mancherlei neue Streiflichter. Als Erläuterung zu den
Briefen hat der Herausgeber, dem man für seine Arbeit
dankbar sein muß, eine Anzahl Anmerkungen bei¬
gefügt. A
„Glück und Unglück der berühmten Moll FlancUrs",
ein dem größeren Publikum bisher so gut wie unbe¬
kannt gebliebener Roman De Foes , ist zum ersten Male
in deutscher Sprache bei Albert Langen in München
erschienen. „Moll Flanders“, die Geschichte einer
Kurtisane und Hochstaplerin, ist gewissermaßen der
Niederschlag jener Epoche, da De Foe an den beiden
torystischen Skandalblättem „Mist’s Journal“ und
„Applebee's Journal“ tätig war — Blättern, in denen
ein Hauptgewicht auf Verbrechergeschichten gelegt
wurde. Minto erzählt in seiner Lebensskizze De Foes,
daß dieser ein besonders lebhaftes Interesse für den
berüchtigten Straßenräuber Jack Sheppard gehabt
habe, der ihm vor seiner Hinrichtung sogar seine an¬
gebliche Autobiographie übergeben ließ. So heißt es
auch auf dem Tittelblatt von „Moll Flanders 44 : „nach
ihren eigenhändig niedergeschriebenen Memoiren“.
Der Roman steht literarisch auf ziemlich tiefem Niveau,
ist aber sittengeschichtlich recht interessant Hedda
und Arthur Moeller-Bruck haben ihn ausgezeichnet
übersetzt, und der Verleger gab dem Buche im Titel¬
blatt, Druck und in den geschmacklosen Vignetten
ganz die Ausstattung der Entstehungszeit —bl—
Die Reisewerke des Verlags F. A. Brockhaus in
Leipzig zeichnen sich immer durch eine Ausstattung
aus, an der sich der Bibliophile von Herzen erfreuen kann.
Das ist auch der Fall bei den neuesten uns vorliegenden
Werken der Firma. Das eine führt uns in den Norden,
das andere in das ferne Asien. Kapitän Otto Sverdrup
schildert in „ Neues Land 4 (2 Bde., gebd. Mk. 20) seine
Reise in jene Polargegenden, in denen einst Franklins
Expedition ein so grauenhaftes Ende fand. Aber Sver¬
drup war glücklicher als seine Vorgänger; er hat seinem
Könige auf friedlichem Wege, wenn auch unter man¬
cherlei Nöten und Entbehrungen, ein „neues Land 44
von nahezu 300000 Quadratkilometern erobern können.
Der wackere Kapitän ist auch ein ganz vortrefflicher
Erzähler, sein Buch wird jung wie alt fesseln — ja,
auch die Jungen, denen man diesen nordischen Robinson
getrost auf den Geburtstagstisch legen kann. Für uns
ist die Ausstattung von besonderem Interesse. Die
beiden Bände sind sehr geschmackvoll in gelbbraunes
Leinen gebunden und tragen auf dem Vorderdeckel
in einer ornamentalen Umrahmung das Farbenbild
eines Nordpolfahrers. Reich ist auch der illustrative
Schmuck. Von den insgesamt 225 Abbildungen sind
69 Separatbilder außerhalb des Textes fast ausnahmslos
ausgezeichnete Reproduktionen nach photographischen
Aufnahmen. Dazu kommen neun Karten der neuerwor¬
benen Gebiete.
Ein ebenso glänzendes Reise werk ist Sven Hedins
neue Publikation „Im Herzen von Asien. Zehntausend
Kilometer auf unbekannten Pfaden“ (2 Bde., geb. Mk. 20).
Ist Sverdrup dem Publikum noch neu als Erzähler, so
ist Hedin schon ein guter Bekannter. Sein SchÜderungs-
talent offenbart sich auch in diesem Werke von der
besten Seite. Er ist immer interessant, ob er uns von
seinen monatelangen Fahrten auf dem Tarim erzählt
oder von der Durchquerung der tibetanischen Alpen
oder von seinen Abenteuern im Reiche des Dalailamas.
Lhassa zu erreichen war freilich auch ihm nicht ver¬
gönnt; aber es erging ihm besser als dem phantastischen
Landor: man transportierte ihn einfach zurück. Die
wissenschaftliche Ausbeute der letzten Reise Hedins
bleibt einem besonderen Werke vorenthalten; hier ist
er nur der Erzähler, doch einer, dem man mit Freuden
lauscht Das Buch ist in ähnlicher Weise ausgestattet
wie das Sverdrupsche. 407 photographisch getreue
Abbildungen schmücken es, darunter 154 Separat- und
Vollbilder und acht Dreifarbendrucke; dazu kommt
auch hier eine Anzahl Karten. Beide Werke wurden
in der Brockhausschen Offizin gedruckt und gebunden.
L.
Bibliographisches.
Heinrich Stümcke hat' in seinem Buche „Hohen*
zollemfürsten im Drama . Ein Beitrag zur vergleichen¬
den Literatur- und Theatergeschichte“ (Leipzig, Georg
Wigand 1903; Gr. 8°, XV. und 305 S.; Mk. 5,50) zum
ersten Male denVersuch unternommen, eine Zusammen¬
stellung aller derjenigen deutschen wie fremdsprach¬
lichen dramatischen Erzeugnisse zu geben, die sich mit
den markantesten Persönlichkeiten aus der Vergangen¬
heit des Hohenzollemhauses beschäftigen: mit dem
Großen Kurfürsten, Friedrich III. resp. I., Friedrich
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Chronik.
175
Wilhelm I. und Friedrich II. Ich bedaure, daß der
gegebene Raum zu karg bemessen ist, um das ausge¬
zeichnete Werk eingehender beurteilen zu können.
Dr. Stümcke hat mit bibliographischer Gründlichkeit
ein ungeheures Material durchstöbert, um annähernde
Vollständigkeit erreichen zu können. Vorarbeiten waren
nur wenig vorhanden: für Deutschland ein paar Schul¬
programme, für das Ausland so gut wie nichts. Es
handelte sich zudem nicht allein um eine Aufzählung
aller Hohenzollemdramen; Stümcke hat sich auch die
Mühe gemacht, die meisten zu lesen und gibt nach stoff¬
geschichtlichen und dramaturgischen Gesichtspunkten
eine kritische Würdigung jedes einzelnen Werkes, so
weit es ihm zugänglich wurde. Auch die Einteüung
des Buches in Stoffgruppen kann man nur loben; die
Lektüre gewinnt dadurch, zumal der Verfasser sich des
Vorzugs einer flüssigen, nie doctrinär werdenden Dar¬
stellung rühmen kann. Die erläuternden Anmerkungen
sind am Beschluß des Bandes zusammengefaßt, eine
neue Mode, über deren Zweckmäßigkeit sich streiten
läßt; sicher ist es praktischer, die erklärenden Noten
auf der Seite zu geben, zu der sie gehören. Die Biblio¬
graphie und Chronologie, die mit einem 1683 zu Königs¬
berg aufgeführten Lustspiel beginnt und mit Lauffs
„Doeberitz“ 1903 abschließt, verzeichnet genau, welche
Stücke nur als Manuskript gedruckt sind, ferner die
Erstaufführungen, die kritischen Quellennachweise, die
Verleger usw.
In ähnlicher Weise hat Hermann Gaehtgens tu
Ysentorff „Napoleon /. im deutschen Drama“ behandelt
(Frankfurt a.M., Moritz Diesterweg; 8° VIII. und 149 S.;
Mk. 3). Das Buch ist ein deutsches Gegenstück zu
Lecomtes 1900 erschienenem „Napolöon et Tempire
racontös par le thöätre,“ das nicht weniger als 596 fran¬
zösische Napoleonsdramen auffuhrt. Gaehtgens-Ysen¬
torff legt aber einen höheren Wert auf die literarische
Beurteilung als der Franzose, der sein kritisches Urteü
meist nur in wenige Worte kleidet. In bezug auf Ge¬
nauigkeit der Inhaltsangabe steht der Deutsche dem
Franzosen nicht nach; ein Zusammenfassen der Hand¬
lung würde hie und da zweckmäßiger gewesen sein als
die etwas eintönig werdende Wiedererzählung der Vor¬
gänge Akt für Akt Der Verfasser bespricht 52 Na¬
poleonsdramen, die er folgendermaßen ein teilt: Spott-
undTendenzdramen, Liebesdramen, St Helena-Dramen,
Dramatisierte Geschichte, Napoleon als Nebenfigur.
Die Chronologie beginnt mit 1799 (dem satirischen
Drama eines Anonymus) und endet mit 1903 („St. Helena“
von Arnold Ott). Sein kritisches Resumö schließt Gaeth-
gens mit den Worten: „Eine befriedigende Lösung des
Napoleons-Dramas wird sich nur innerhalb des Episoden¬
dramas finden lassen,“ d.h. im metaphysischen Problem,
wenn eine starke dichterische Persönlichkeit es behan¬
delt AA
Ein Neudruck nach einem einzigen überlebenden
Exemplar hat mehr als Kuriositätswert; er hilft die
fliehende und wechselnde Physiognomie der Zeit fest-
halten. So dürften die hundert Exemplare des neu¬
gedruckten Katalogs der Huygenschen Bibliothek , un¬
längst bei W. P. van Stockum und Zoon im Haag er¬
schienen, kaum der Nachfrage genügen. Der genaue
Titel des faksimilierten Kataloges lautet: Catalogus
Variorum 6r* Insignium in omni Facultate 6t* Lingua
Librorum, Bibliothecae Nob. Amplissimique Viri Con-
stantini Hugenii Zulichemii, &* Toparchae &* dum
viveret. Serenissimi Arausionensi Principis Concilii
Praesidi . Quorum auctio habebitur Hagae- Comitis in
Officina Abrahami Troyel, Bibliopolae op de groote
Zael van't Hof. Ad diem Lunae zj. Martius 1688.
Hagae-Comitis, Apud Abrahamum Troyel\ Bibliopo-
lam, 1688. (M. 10 gebd.)
Constantin Huygens, dem man als Dichter auch ein
Denkmal in Haag gesetzt hat, der Vater des berühmten
Mathematikers und Astronomen, war Sekretär und Ge¬
heimrat bei den Prinzen Friedrich Heinrich, Wilhelm II.
und Wühelm III, von Oranien. Seine Bibliothek wurde
1688 im Großen Saale im Haag versteigert. Erst vor
einigen Jahren aber kam durch einen glücklichen Zufall
das Original des Katalogs dieser Versteigerung im
Museum Meermanno-Westreenianum an das Tages¬
licht und wurde als wertvoller Beitrag zur Kenntnis
jener Zeit begrüßt. Denn mehr noch als der Satz
„Sage mir, mit wem Du umgehst“, gÜt das Wort
„Sage mir, was Du liest.“ Der Katalog Constantin
Huygens gibt ein getreues BÜd von seiner Persön¬
lichkeit, die von einer Vielseitigkeit war, wie wir sie
bei keinem seiner Zeitgenossen finden. So weist der
Katalog eine seltene Auslese aus allen freien Künsten auf
und gewährt wie kein zweiter Einblicke in das intime
Leben eines schöngeistigen Holländers des XVII. Jahr¬
hunderts. Schon aus diesem Grunde hat ein Neu¬
druck nach dem einzigen Exemplar seine Berech¬
tigung. Er ist peinlich genau hergestellt und selbst die
Druck- und sonstigen Fehler sind beibehalten worden.
Darunter gibt es einige, die wohl der Untersuchung
durch genaue Kenner der Zeit wert wären. Man
muß es Herrn van Stockum junior lassen, daß er
sich die allergrößte Mühe gegeben hat, seinen Neu¬
druck dem Originale nachzubilden. Das Material ist
ein ins Graue spielendes, gerissenes Gandernpapier;
die Typen, wenn auch keine Originale aus dem
XVII. Jahrhundert, ähneln doch denen des Originals
aufs Haar. Dr. S. G. de Vries, der Leiter der Uni¬
versitätsbibliothek zu Leyden, hat uns die Geschichte
der Auktion dieser Sammlung erzählt. Das Vorwort
Stockums entnimmt seiner Arbeit folgende Details:
Das Testament Constantin Huygens vom 2. Oktober 1682
bestimmte, daß durch Entscheid des Loses seine
Bücher, seine Instrumente, Kunstblätter und dergleichen
unter seine drei Söhne geteüt werden sollten, mit
Ausnahme seiner musikalischen Kompositionen, die er
seinem Sohn Christian vermachte, als von seiner Hand
herrührend, mit der Weisung, sie in Ehren zu halten.
Nach seinem 1687 erfolgten Tode wurde die Ver¬
teilung der Bücherei vorgenommen. Die Leydener
Universitätsbibliothek besitzt den authentischen Be-
sitzteilungsaktus. Darauf ließen die Söhne — ein
Grund wird nicht ersichtlich — den größten Teil der
Bücher durch Abraham Troyel, den Haager Antiquar,
verkaufen. Einige Notizen darüber findet man in
einem Briefwechsel zwischen den Brüdern Constantin
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176
Chronik.
und Christian aus dem Oktober 1687, der in die „Oeuvres
compl&tes de Chr. Huygens, tome IX“ aufgenommen
wurde.
Das Äußere des eleganten Quartbandes präsentiert
sich, getreu den Bänden jener Zeit, mit einem Deckel
und Innenvorsatz von blaurotem Kamm-Marmor
ohne Kapitalband, unbeschnittenem Buchkörper und
weißpergamentnem Rücken mit schwarzem Titel-
aufdruck.
Catalogue of early German and Flemish Woodcuts
preserved in the department of Prints and Drawings
in the British Museum by Campbell Dodgson , M. A.
Vol. I. London 1903.
Der über 500 Seiten starke Hochquartband in
ernstem schwarzem Kaliko ist der erste Beginn einer
Katalogisierungderreichen Holzschnittschätze deutscher
wie flämischer Herkunft, auf die das British Museum
mit Recht stolz ist und in deren Qualität und Quantität
allein die Berliner Kgl. Bibliothek ihm vorangestellt
werden kann. Auch die wertvolle Gabe Mr. Mitchells,
der 1895 dem British Museum etwa 1200 der schönsten
Blätter aus der Dürerzeit schenkte, ist diesem Katalog
bereits einverleibt, doch soll die Sammlung im Anhang
zum letzten Bande nochmals einzeln geführt werden.
Die drei Bände des Katalogs werden die Periode von
ca. 1460 bis Mitte des XVII. Jahrhunderts, also die
Anfänge und die Blüte der Holzschneidekunst bis
zu ihrem ersten Niedergange umfassen, unter Aus¬
schluß aller Schwesterkünste, wie der Zeichnung oder
des Kupferstichs. Mr. Colvin, der dem Kataloge eine
Einleitung mitgegeben hat, vertritt mit Recht den Stand¬
punkt, daß die Verschiedenheit des Technik Ursprungs
hier eine strengere Teilung, als die üblich gewordene,
fordert. Hat sich doch der Holzschnitt aus dem Zeug¬
druck, der Kupferstich aber aus dem Gewerbe des
Goldschmieds entwickelt Auch schließt sich ersterer
bedeutend inniger der Druckkunst und dem Buch über¬
haupt an.
Im ersteren Teil sind die Primitiven der Xylo¬
graphie, deren Blätter fast nie einen Namen tragen,
deshalb nach dem behandelten Subjekt geordnet
Vom zweitenTeil, der dasXVI.Jahrhundertbehandelt, an
ist nach den Meistern und ihren Schulen gruppiert
worden, und zwar chronologisch bei dem Einzelnen,
nicht nach Subjekten, wobei oft Anfänger- und Meister-
Arbeiten nebeneinander zu stehen kommen. Grade
bei Dürer, der naturgemäß den breitesten Raum in
dem Bande einnimmt und der seine Blätter bald sorg¬
fältig, bald gar nicht datierte, ist eine solche zeitliche
Anordnung sehr wünschenswert Von manchen andern
Meistern der Zeit, wie Traut, Burgkmair u. a. existierte
bisher überhaupt noch keinerlei Katalog, so daß hier
Mr. Dodgsons Arbeit als grundlegend zu betrachten
ist Neben allen diesen Original-Holzschnitten enthält
die Sammlung auch noch eine Anzahl von Büchern
mit eingefügten Holzschnitten und Wiedergaben von
Blättern aus andern Sammlungen. Sie werden im
Katalog an entsprechender Stelle kurz erwähnt
Mr. Dodgson leitet den 1. Teil des I. Bandes durch
eine historische Einführung in die Holzschnittkunst,
ihre Tradition und Technik im allgemeinen ein und
kommt hierauf auf die Sammlung des British Museum
im besonderen zu sprechen. Dann folgen die Primi¬
tiven bis zum Ende des XVI.Jahrhunderts. Der 2. Teil
wird wiederum durch einen kurzen historischen Essay
eingeleitet und umfaßt in seinem Katalog die Nürn¬
berger Schule und ihr Haupt, Albrecht Dürer. Über
letzteren ist noch ein Anhang beigefugt, der die Reihen¬
folge von Dürers Werken bei Bartsch, Heller, Passa-
vant und Dodgson vergleichend aufstellt
Fünfzehn Holzschnittreproduktionen, ganzseitigund
auf Kartonpapier, sind als Charakteristika dem Texte
beigegeben, so ein Farbschnitt des Christuskindes aus
dem XV. Jahrhundert, anonym; eine ganz primitive
Arabeske aus derselben Zeit; ein Probeabzug des
Titelblatts von Dürers wunderbarer Kleiner Passion
mit ihrer kraftvollen Type; Springinklees Heiliger
Ambrosius; Erhard Schöns Katharine und Wenzeslaus
und andere mehr. Die ziemlich genaue Beschreibung
jedes einzelnen der erwähnten Blätter mit Maßangaben
usw. gestaltet das Buch zum Handwerkszeug jedes
Freundes der Holzschneidekunst vergangener Zeit
_ — g-
Den kulturhistorisch interessantesten, eine noch
unausgeschöpfte Zeit behandelnden Arbeiten muß die
Monographie des Herrn Dr. Ulrich Schmid zugerech¬
net werden: „Otto von Lonsdorf Bischof von Passau,
1254—65“, (Würzburg, Göbel und Scherer 1903). Sie
beschäftigt sich nicht nur mit der privaten und poli¬
tischen Geschichte des Kirchenfürsten, sondern eröffnet
auch große allgemeine Durchblicke auf die kirchen¬
politischen Zustände während der „kaiserlosen, der
schrecklichen Zeit“. Das Buch umfaßt Bischof Ottos
Vorgeschichte bis zur Wahl, seine Stellung als Reichs¬
fürst wie als Kirchenfürst und zur Kurie und einiges
aus seinem Privatleben bis zu seinem Tode. Das Sup¬
plement enthält die Stammtafel, eine kurze Bücherliste,
Dokumente in Faksimile u. a, m. Der Sammelfleiß
des Autors geht schon aus dem Verzeichnis der selbst¬
durchforschten Quellen und des herangezogenen vor¬
handenen literarischen Materials hervor.
Eine Anzahl Städtebilder aus alten Topographien
und Trachtenabbildungen sind dem Texte eingestreut.
Zierleisten und Initialen im Sattlerschen Geschmack
rühren von einem Freunde des Verfassers, Rudolf
Schiestl, her, ebenso wie die hübsche, in schwarz, rot
und gelb gehaltene Umschlagzeichnung, die sich als
Innentitel wiederholt. E. G.
Nachdruck verboten. — Alle Rechte Vorbehalten .
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin W. 15.
Alle Sendungen redaktioneller Natur an denen Adresse erbeten.
Gedruckt von W. Drugulin in Leipzig für Velhagen & Klasing in Bielefeld und Leipzig auf Papier der Neuen Papier-Manufaktur
in Straßburg i. E.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
8. Jahrgang 1904/1905. - Heft 5: August 1904.
Die französischen Exlibris von heute.
Von
Octave Uzanne in Paris.
H §H| ch habe oft daran gedacht, eine ganze
Reihe von kleinen Artikeln zu schreiben,
§§|§ die sich mehr mit einer gewissen ober¬
flächlichen Büchemäscherei als mit ernsthafter
Bibliophilie beschäftigen sollten. Ich wollte
sie unter dem Sammeltitel „Die Fassade des
Buches" herausgeben. Es
hätte mir viel Spaß ge¬
macht, in dieser eigenar¬
tigen Sammlung die ver¬
schiedenen Elemente zu be¬
leuchten, aus denen jedem
gedruckten und broschier¬
ten Werke seine eigene Phy¬
siognomie erwächst Ich
meine, sein greifbares Äus¬
sere, sein Deckel und dessen
typographische oder illu¬
strative Ausschmückung,
seine Verlagskartonnierung
mit origineller Handver¬
goldung, besonders sein
Kunsteinband, trage er ein
Sinnbild oder ein Wahr¬
zeichen. Zu den Beigaben
des Buchäußeren hätte ich
endlich auch das Exlibris
gerechnet ein Eigentums¬
zeichen, das sich dem Titel-
z. f. B. 1904/1905.
Abb. x. Ges. L. Leb&que.
blatt eng anschließt. Es gehört sicher zu den
Aushängen der Fassade und zwar nicht zu den
bedeutungslosen.
Wieviele von den Bücherfreunden kennen
von den Büchern, die sie mühsam erwerben
und eifersüchtig bewachen, nicht mehr als
die erwähnten Äußerlich¬
keiten. Ich halte es nicht für
übertrieben, wenn ich sage,
daß es sogar der Mehrzahl
so geht von denen, die
seltne und teure Scharteken
schätzen, gerade wie die
Antiquare ihre wertvollen
Nippsachen lieben, ohne je
daran zu denken, sie auch
in Gebrauch zu nehmen.
Leute, die sich vom Mark,
dem geistigen Inhalt des
Buches, nähren, denken erst
in zweiter Linie an die äus¬
sere Schönheit einer Aus¬
gabe. Sie begehren Bände,
die sich leicht öffnen und
benutzen lassen, deren Ge¬
brauch keinerlei Vorsicht
erheischt. Gleicht doch ein
kostbares Buch einer wohl¬
geputzten Schönen, deren
24
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Uzannc, Die französischen Exlibris von heute.
178
seidne und samtne Pracht man bei allzu stürmi¬
scher Zärtlichkeit zu zerknittern furchtet. Alles,
was der Eitelkeit des Besitzers schmeichelt, ist
ausschließlich repräsentativ und oberflächlich.
Deshalb wäre es folgerichtig gewesen, eine
Reihe von Werkchen über die „Fassade“, das
„Gesicht“ des Buches, zu schreiben, die sich
einzig und allein auf die Begutachtung des
Äußeren beschränkt hätte, jenes Äußeren, das
den Bibliophilen anlockt.
Von diesem Plan bleibt mir für diesmal nur
das Thema der Exlibris zurück, und zwar
werde ich mich speziell mit den zeitgenössischen
französichen Exlibris beschäftigen, die man von
allen Enden der Welt zum Austausch begehrt
Sind doch die deutschen, die englischen, die
italienischen, vor allem die amerikanischen
Exlibris-Sammler genau so unternehmungslustig
und geschäftsklug und weitsichtig geworden,
wie die Briefmarkensammler — und das will
viel sagen . . .
Hat sich die Vorliebe für Exlibris in
Frankreich in den letzten Jahren ebenso stark
Abb. 3. Exlibris Marie Moye.
Ger. Henry Andr6.
Abb. 2. Exlibris J. Kirman.
entwickelt, wie sich dies an ihrer Wiederbelebung
in England und den Vereinigten Staaten, in
Deutschland und Skandinavien, ja selbst in
Rußland beobachten läßt? Ich glaube kaum.
Im Lande Dante Gabriel Rosettis, Rusldns
und Morris’ nahm die Vorliebe für Buchkunst
und Eignerzeichen einen großen Aufschwung.
Es wurden Wettbewerbe veranstaltet, um die
graphische Ausdrucksmöglichkeit der Book-
plates zu erneuern und ihnen aus dem heral¬
dischen Stil herauszuhelfen, dessen vornehme
Gotik seit den Zeiten des alten vortrefflichen
Meisters Shembom sie allein beherrschte.
Währenddessen verhielten sich unsere Lieb¬
haber und Künstler ziemlich gleichgültig und
bemühten sich nicht einmal, die Kunst des
Exlibris wieder auf die Höhe des XVIII. Jahr¬
hunderts zurückzufuhren. Das war die Zeit
des höchsten Ruhmes der französischen Buch¬
eignerzeichen gewesen. Frangois Boucher,
Moreau-le-Jeune, Eisen, Choffard, der Buch¬
künstler Lajoue, Gravelot, Cochin und andere
Berühmtheiten schufen kleine Meisterwerke, die
dazu ausersehen waren, die Bücher der großen
Sammler wie Crozats, wie des Baron von Thiers
und der Herzogin von Bouillon, de la Roche-
foucault-Beyers, Poisson de Marignys, Boucherat
du Feys, des Abb 6 Leblanc und Anderer mehr
zu schmücken. Es handelte sich gewöhnlich
um adlige Wappenschilde, untermischt mit
Muschelrahmen, ohne Steifheit oder Trivialität:
um einen allegorischen Vordergrund, auf dem
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Uzanne, Die französischen Exlibris von heute.
179
Herkules den Ritterschild stützt, Minerva den
Einklang des Wappens bewacht oder Putten
sich zwischen der Helmzier und den massen¬
haften Kriegstrophäen haschen. Dazwischen
Tiere und Blumen, Tauben und Rosenguirlanden,
Adler, die eine Herzogskrone verteidigen, und
Hunde, die als Sinnbild der Treue sich vor
das Gebälk der Säulenordnung gestreckt
haben. Man verfugte über eine außerordent¬
liche Abwechselung. Jeder Künstler folgte
seiner Laune, und dabei schuf er diese ent¬
zückenden, zierlichen, geschmackvollen Vig¬
netten, vollkommen in bezug auf ihre Heraldik
und von bester Wirkung durch ihre unvergleich¬
lich köstlichen Rokokorahmen.
Auch waren die Bücherfreunde sehr geschickt
im Auffinden geeigneter Motti, von denen mir
einige im Gedächtnis haften geblieben sind.
Zum Beispiel: „Vita sine letteris mors est“;
„His me consolor“; „Fallitur hora legendo“;
„Dulce desipere in loco cum libro“; „Mieux
vaut m’avoir amy“; „Tel je suis qu’on m’envie“;
„La meilleure Provision ä cet humain voyage:
Ut quiescat!“; „E meco porto il sole“; „Eli-
minat et illuminat.“ Endlich unter einem Stern
im dunklen Himmel: „Les ombres me font
l r 6 clat!“ —
Ich bedürfte eines ganzen Bandes, um der
liebenswürdigen Kunst, der epikuräischen Weis¬
heit, dem galanten Schöngeist der Exlibris vor
der Revolution gerecht zu werden. Merk¬
würdigerweise findet man, daß ein biblio¬
graphischer Versuch niemals gemacht worden
ist, obwohl das Material dazu reichlich vorhanden
wäre. Die Nationalbibliothek zu Paris besitzt in
ihrer Abteilung für Stiche eine Exlibris-Samm¬
lung aus älterer Zeit, deren Zahl vielleicht über
zwanzigtausend beträgt. Diese Vorräte wären
leicht durchforschbar. Stattdessen schlummern
sie unter dem Staub der Vergessenheit, und
niemand befaßt sich damit, aus so vielen
Wundem der Stichelkunst die Stücke heraus¬
zusuchen, die es wohl verdienten, durch Neu¬
drucke belebt zu werden. Die Überzahl der
Eignerzeichen schuf im XVIII. Jahrhundert eine
Art Karneval der Heraldik, wie man scherzend
gesagt hat. Obwohl die Künstler alle Ehrfurcht
vor der ernsten Wappenkunst des XD. bis
XVI. Jahrhunderts hatten, verringerten sie
dennoch das Würdevolle und travestierten
es sogar ein wenig, indem sie den Linien
mehr Grazie abzugewinnen suchten.
Heute steht die Exlibris-Kunst Frankreichs
gewiß nicht mehr auf ihrer damaligen Höhe.
Die großen Künstler haben es fälschlich ver¬
achtet, sich der Schöpfung neuer Bucheigner¬
zeichen zu widmen, und von Beginn des
XIX. Jahrhunderts bis zum heutigen Tage
• HENRY - ANDRE INV DEL SC 1893-
Abb. 5. Exlibris A Geoffroy.
Ge*. Henry Andr6 1893.
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i8o
Uranne, Die französischen Exlibris von heute.
Abb. 6. Exlibris E. und J. de Goncourt
Ges. Gavarni.
kann man die Geschichte des Exlibris in
scharfen Umrissen kurz zusammenfassen.
Unter dem ersten Kaiserreiche treten die
Vignetten seltener auf und sind interesselos;
nur wenig Illustrationen sind darunter. Man
Abb. 7. Exlibris Franc* Copp£e.
Ges. A. Bouvenne.
findet viel mehr Druckmarken in Buchstaben
in einem mageren Rahmen von Doppellinien
oder von wertlosen Ornamenten. Kommt
einmal ein zeichnerischer Entwurf vor, so
handelt es sich gewöhnlich um Steingravierung
oder Kupferarbeit mit der Wiege und stellt
meistens einen Troubadour unter dem Zucker¬
barett oder eine keusche griechisch drapierte
Muse vor, mit hochgeschnürtem Busen, die
sich an den Schaft einer gestürzten Säule
lehnt Das alte Schildmotiv erscheint noch
öfter, stets in einer unvermeidlichen Trümmer¬
landschaft. Später, so gegen 1820 oder 1830,
rückt die Romantik den mittelalterlichen
Geschmack noch mehr in den Vordergrund.
Die Vignetten der Bücherfreunde zeigen dann
Domportale, Rosetten, Klöster, schaurige
Grüfte oder auch einfach Totenköpfe als
Sinnbild der ewigen Weisheit. Beispielsweise
einen Schädel auf einem alten Folianten und
darüber: „Hodie mihi, cras tibi/*
Ich will mich nicht lange bei den roman¬
tischen Exlibris aufhalten. Sie sind von
bedauernswert kindlichem Ungeschmack in
ihrem neuritterlichen oder altertümelnden
Stil mit phantastischer Heraldik. Oder sie
sind so schablonenmäßig gehalten, daß man
sich nicht einmal über sie ärgern kann. Man
müßte lange suchen, um zwischen 1825 und
1850 hundert Stück zu finden, die einer
Neuausgabe würdig wären.
Während der zweiten Hälfte des zwei¬
ten Kaiserreichs bemerkt man schon einen
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Uzaime, Die französischen];Exlibris von heute.
181
Abb. io. Exlibris E. Olive.
Ge*. J. C.
Aufschwung in der Welt der Bücherfreunde.
Während gewisse Liebhaber die kleine Maro¬
quinetikette mit Wappen oder einfach ihren
Namen in Goldpressung in einem Oval erkoren,
um ihre Erfindungsgabe nicht zu überanstrengen,
wandten sich einzelne Literaten, Dichter, Künst¬
ler, Finanzgrößen und Rentiers an die Meister
der Feder und des Stiftes, um wahrhaft feine
und bewundernswerte Exlibris zu erhalten.
Die Zeit von 1860 bis zum 1870 er Krieg
war fruchtbar an hübschen und eigenartigen
Zeichen. Poulet-Malassis, der Verleger, der
gerade die „Fleurs du Mal“ von Baudelaire,
die „Emaux et Cam6es“ von Th£ophile Gautier
und die „Po^sies“ von Theodore de Banville
veröffentlicht hatte und durch und durch fein?
gebildet war, erbat sich vom Malerradierer
Braquemond das eigenartige Zeichen, das er
dem Deckel aller Bücher einfügen wollte, die
er einst besessen. Da zeich¬
nete der Meister ihm ein
offenes Buch, von seinen An¬
fangsbuchstaben P. M. flan¬
kiert und umrankt von dem
triumphierenden Ausruf: „Je
l’ai!“ (Abb. 19.) Das ist der
wahre Wahlspruch des Be¬
sitzers, der Schrei des Herzens
und des sieggekrönten Samm¬
lers, der endlich das heißbe¬
gehrte Zeichen den Fächern
seiner Sammlung einreiht,
dieses Wort „je Tai!“
Victor Hugo besaß zwar
keine nennenswerte Bücher¬
sammlung, aber er nahm doch
die Arbeit des Stechers Bou-
venne an, auf der die Türme
von Notre-Dame abgebildet
Abb. xi. Exlibris Victor Hugo.
Ge*. A. Bouvenae.
waren mit seinem Monogramm, weiß auf dem
dunklen Grunde des Portals, während die Worte
„Exlibris Victor Hugo“ von gleißenden Blitz¬
strahlen quer über den Himmel geschrieben
erschienen (Abb. 11). Th^ophile Gautier, der
vornehme Bewunderer verschwundener Zivili¬
sationen, verlangte einen priesterlich eigenartigen
Entwurf. Er wählte die Fassade eines Isistempels
mit seinem Monogramm und dem Wahrzeichen
der alten Egypter am Giebel (Abb. 22). Besseres
ließe sich wohl kaum für den Verfasser des
„Romans einer Mumie“ finden.
Das Bucheignerzeichen der Brüder Edmond
und Jules de Goncourt stammt von Meister
Gavarni, dem großen Lorettenzeichner; es ist
'4t 1 SI L’AMOUR NE VIENT QUI LE TIJRLUPINE
LART RAMPE IC 1 BAS.SE
kl JRA1NE ET CL0P1NE
1
ZÄNNE, Bibliophi Io* ophe
■ft'
Abb. 12. Exlibris Octave Uzanne. Rad. Mass6 nach Guerin.
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182
Uzanne, Die französischen Exlibris von heute.
einfach und doch beredt Zwei Finger einer
Hand weisen auf ein Blatt, das den Namens¬
zug der Unzertrennlichen, nur durch den Tod
Geschiedenen trägt (Abb. 6). Jules de Goncourt
unternahm es, dieses originelle Zeichen sorgsam
zu gravieren und er war ein ausgezeichneter
Stecher. Die Abzüge zierten alle Bände, die
leider nach dem Tode Edmond de Goncourts
vor sieben oder acht Jahren verauktioniert und
in alle Winde zerstreut wurden.
Man wird sich wundem, hier den Namen
L6on Gambettas ab Bibliophilen genannt zu
lesen, denn dieser unstäte Mann konnte keine
richtige feste Bibliothek besitzen. Dennoch
besaß er eine Vignette, die sein Freund, der
Maler Le Gros, für ihn erfand: Zwei Hände
zerbrechen einen symbolischen Stock, während
der gallische Hahn kräht und auf den Strahlen
einer unsichtbaren Sonne die Devise zu lesen
ist: „Wollen heißt Können !*• (Abb. 34.)
Für den braven Dichter Frangois Copp6e
gibt es nichts geeigneteres als die strahlende
Leyer mit seinem Namenszug als Mittelpunkt,
die Bouvenne ihm als Exlibris verehrte (Abb. 7).
Armand Baschet, der schriftstellernde Diplomat,
Abb. 13. Exlibris E. Castilion.
Gez. A. Bouvenne 188*.
der sein Leben den Archiven Venedigs widmete
und Venetianer in tiefster Seele war, der Casa¬
novas Memoiren durchsah und ihre Herkunft
bestätigte, fand den Ausdruck seines persön¬
lichen Besitzempfindens im Löwen von St Mar¬
kus, der in der Mitte eines heraldischen
Gürtels steht mit der Devise: „Custos vel
ultor!“
Hunderter von Seiten bedürfte ich, wollte
ich alle merkwürdigen Exlibris der berühm¬
ten oder berüchtigten Männer Frankreichs
vor und nach dem Kriege von 1870/71 hier
vorführen. Ich erwähne nur die Vignetten
des Malers Bida für den großen Finanzmann
Felix Solar und die der Brüder Tissandier,
alle beide Luftschiffer, welche Ballons, hoch
über den irdischen Nichtigkeiten schwebend,
darstellten. Ferner das Exlibris des Dichters
Deschamps: ein ruhender Esel, vom Kupfer¬
stecher Flameng geschaffen. So gab es
noch viele, deren Originalität in Zeichnung,
Spruch oder Text bestand.
Tatsächlich versuchte nahezu Jeder wäh¬
rend dieser fruchtbaren Zeit von 1860 bis
1880 seine Erfindungsgabe anzuspomen, um
im engbegrenzten Raum der gestochenen
Platte alles das auszudrücken, was der Beruf,
die Geistesrichtung, das Eigenartige des
Namens hergaben. Es entstanden sogar
häufig daraus Wortspiele und Wortwitze; so
schrieb ein gewisser Charles Monselet auf
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Uzanne, Die französischen Exlibris von heute.
183
Abb. 15. Exlibris Fr. Sarcey.
Ges. C. DemengroU
den Vorhang, der seine Bücherei halb verhüllte:
„Livres amonceles“ anstelle von „Livres ä
Monselet“. Pelerin de la Touche ließ sich
als Pilger darstellen; Jules Cousin, der Direktor
der Biblioth£que Camavalet, erwählte sich als
Sinnbild die langbeinige Schneckensorte, die
die Franzosen cousins“ nennen. Zahlreiche
Beispiele strömen mir von allen Seiten zu,
komische und anmutige und amüsante, von der
leicht beschwingten Satire bis zur groben Über¬
treibung. So symbolisierte sich die Gräfin No 6
durch eine Arche Noah und Mr. Basket durch
einen Weidenkorb, auf den er schrieb: „Ich
gehe zu Markte“. Rechtsanwalt Jacob hatte
eine Leiter, auf der Engel Bücher emportrugen:
„Echelle de Jacob“; H. J. Ashbee, eingedenk
seiner englischen Abkunft, eine Esche und eine
Biene (Abb. 26).
Ein Elsässer, namens Wolf, wählte einen
hungrigen Wolf mitten unter alten Scharteken,
zum Zuschnappen bereit, mit dem Ausruf:
„Quaerens quem devoret“ (Abb. 30). In einigen
Exlibris drückte sich eine gewisse Philosophie
und der unerbittliche Egoismus des vornehmen
Sammlers aus. Der leidenschaftliche, jetzt schon
lange verstorbene Bibliophile Paul Arnaudet
heftete in alle seine Bücher die offnen, aber
wenig entgegenkommenden Worte: „Nunquam
amicorum“.
Auch der Advokat Fr6d6ric Raisin hatte
zur Versinnbildlichung seines Namens gegriffen,
als er seine beiden netten und geistvollen Buch¬
eignerzeichen stechen ließ. Das eine ist ganz
dekorativ gehalten und trägt seinen Namen
auf einem Untergrund von Weinreben mit dem
Wahlspruch: „Inter Folia Fructus“ (Abb. 14).
Das andere entwarf der berühmte Tiermaler
und Radierer Evert van Muyden; es zeigt den
Fuchs aus der guten alten Lafontaineschen
Fabel, wie er sich auf ein geöffnetes Buch
mit der Rebe der Weisheit stützt und die ihm
unerreichbaren Trauben mit seinem verächt¬
lichen „Hs sont trop verts“ abtut (Abb. 24).
In dieser zweiten Hälfte des XIX. Jahr¬
hunderts legen die Bucheignerzeichen Zeugnis
von unbegrenzter Erfindungsgabe ab. Nach
der Heraldik kamen die bibliophilen Porträts
auf. Da gibt es zahlreiche Bildnisse, die außer
dem Kopfe nur noch den nachgebildeten
Namenszug ihres Besitzers tragen. Übrigens
war dies nicht einmal ganz neu, denn schon
hundert Jahre vorher hatte der Abbö Perrault
und mit ihm eine Anzahl andrer französischen
Gelehrten diese Idee praktisch ausgeführt und
Abb. 16. Exlibris Alb. Hallier.
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184
Uzanne, Die französischen Exlibris von heute.
Abb. 17. Exlibris Rene Pincebourde.
Gei. L. Lebeque.
zwischen 1760 und 1789 findet man verhältnis¬
mäßig viele Exlibris mit Bildnissen der Besitzer.
Eines der merkwürdigsten aus den späteren
Sammlungen ist das des Graveurs und Zeich¬
ners Henry Liviöre. Der Künstler wurde durch
Charles Courtry auf einer hübschen Radierung
dargestellt, das Barett auf dem Schädel und
die Pfeife im Munde, während der gefällige
Hintergrund einzig durch Rauchkringel aus¬
gefüllt wird. Im Vordergrund sagt ein Distel¬
blatt schlicht: „Ex libris meis“ (Abb. 20).
Viele Bibliophilen verdammen solche Bild¬
nisse, solche sorgfältig gewählten Kunstwerk-
chen, solche Wortspiele, solche originellen
Legenden und sinnbildlichen Darstellungen.
Diese Sammler strengster Richtung wollen nur
das Bucheignerzeichen in seiner absoluten ernsten
Einfachheit gelten lassen. Sie begnügen sich,
den Namen mittels eines erhabenen Eisens in
das Leder pressen zu lassen, so wie es die Alten
taten. Ich muß sagen, daß diejenigen, die so
sprechen, keine Künstler sind, sondern viel¬
mehr die Geldprotzen der kostbaren Einbände
und der Bücher „berühmter Herkifnft“; oder
auch Feinde jeglicher Erneuerung in der
Kunst.
„Es ist bemerkenswert“,
schreibt einer der letzteren,
Mr. Henri Böraldi, der schon
mehrere Arbeiten über den
Einband und den Kupferstich
veröffentlicht hat, „daß heut¬
zutage die wahren Bibliophilen
sich bemühen, ihre Bücher so
wenig als möglich durch die
Einfügung ihres Exlibris zu ver¬
unzieren. Ihre Exlibris sind
so klein als irgend möglich.
Gewöhnlich laufen einfache
Rahmungslinien um den Namen;
der Buchbinder fertigt sie an“;
— und er fährt fort: „Die
Nicht-Bibliophilen aber haben
riesige Exlibris, auf denen sich
Wappen, Namenszüge, Em¬
bleme , Wahlsprüche, Rätsel¬
worte, Kriegsbilder breit ma¬
chen; sie beschweren den
ganzen Innendeckel wie rich¬
tige Plakate. Man müßte sich
hüten, solches Zeug in kost¬
bare Bücher zu verteilen.“ Die
Schlußworte lauten: „Wenn
man das Exlibris zum Wertmesser für die
bibliophile Stärke seines Besitzers machen
könnte, so käme wohl, um in Balzacscher Art
zu formulieren, der Ausspruch zu Tage: ,Der
Wert eines Bibliophilen verhält sich im um¬
gekehrten Verhältnis zur Größe seines Exlibris/“
Dieses Paradoxon kann augenscheinlich nur
mühsam von etwelchen kaltherzigen zeitge¬
nössischen Sammlern aufrecht erhalten werden,
L £ S
CHATS
NOIRS
Abb. 18.
Anonymes Exlibris
„Les Chats Noirs*'.
Abb. 19. Exlibris Poulet Malassis.
Gei. Braquemond
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Zeitschrift für Bücherfreunde VI11.
Zn Uzanne : Die französischen Exlibris von heute .
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• • » « .
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Uzarine, Die französischen Exlibris von heute.
185
Abb. 21. Exlibris Dr. Escoube.
Gez. Filicien Rops.
die einen gewissen strengen Jansenis¬
mus im Einband lieben, die nur
schwer zu öffnende Bücher vornehm
nennen und endlich bis zu dem
Schlüsse kommen, daß Bücher über¬
haupt nicht dazu da sind, um gelesen
zu werden. Ich bin genau der ent¬
gegengesetzten Ansicht Man kann
dem Exlibris gar nicht Freiheit genug
lassen; Grenzen gibt es da nicht
festzustellen. Jeder Bibliophile soll
sich bemühen, Besseres zu finden
als seine Vorgänger und soll sich
der großartigen Reproduktionstech¬
niken des Tages bedienen, des Farb¬
stiches, der Phototypie, des Licht¬
drucks, der farbigen Steinzeichnung,
um seine Bücher mit einem Exlibris
zu schmücken.
Wahrhafte Bücherfreunde, deren
Namen genannt zu werden verdient,
gehören nicht zu den bibliophilen
Mumien, die ihre Bücher nicht anzu¬
rühren wagen, aus Furcht, sie zu
beschmutzen. Wahrhafte Bücher¬
freunde sind die wahrhaft Gebildeten,
sind die Kunstfreunde, die Liebhaber
neuer Stile und unverbrauchter Aus¬
schmückung und für diese wird das
rechteckige Blättchen des Exlibris noch lange
eine der Lieblingsformen sein, in die sie ihre Per¬
sönlichkeit und ihren Geschmack für kommende
Zeiten gießen können. Diese gräßlichen Leder¬
brocken mit ihrem Namen in Goldpressung,
deren Einfachheit uns gerühmt wird, sind so
4GU«S
Abb. aa. Exlibris Th. Gautier.
Gez. A. Bouvenne.
Z. f. B. 1904/1905.
häßlich, aufdringlich und gewöhnlich wie die
Aufschriften in einer Apotheke oder Konditorei.
Man muß jedes ästhetische Gefühl eingebüßt
haben, um sie an der Schwelle, eines schönen
Werkes zu dulden; sie zu loben und zu em¬
pfehlen, nenne ich kurzweg eine Barbarei.
Gibt es heutzutage einen Sammler, dem
sein Exlibris völlig genügt? Das ist zweifel¬
haft, denn viele haben sich verschiedene Exem¬
plare kurz hintereinander anfertigen lassen. Die
graphischen Künste sind so verschiedenartig
in Ausführung und Ausdrucksmitteln und in
ihrer Richtung, sie besitzen so viele Verehrer
aller Farben, daß selbst die bestberatensten
Sammler nicht mehr wissen, an wen sie sich
wenden sollen und morgen dessen überdrüssig
sind, was sie heute bestellten. Augenblicklich
verursacht in Frankreich tatsächlich die Wahl
die Qual. Man kann keine bestimmte Strömung
25
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186
Uzanne, Die französischen Exlibris von heute.
Abb. 2y Exlibris Pr. R. Bonaparte.
nennen, denn es gibt mehr Einzelindividuen als
Schulen.
Leider fehlt es an Initiative. Überdies ver¬
kennen die Illustratoren zum Teil die Stärke
der Bewegung, die sie schaffen könnten, und
der Kundschaft, die damit zu gewinnen wäre.
Sie verschmähen es, sich völlig einer Klein¬
kunst zu ergeben, die doch so viel große Kunst
umschließt und zu der keineswegs Jeder be¬
rufen ist.
Berufsmäßige Exlibris - Künstler sind nur
Ausnahmen. Der Mann, der in den Jahren
von 1872 bis 1880 am meisten fiir das Buch¬
eignerzeichen in Frankreich tat, war ein be¬
scheidener Künstler, Bücherfreund und Ikono-
graph. Er hieß Aglaüs Bouvenne und starb
1903 im Alter von 76 Jahren. Bouvenne war
ein eifriger Sammler. Er hatte damit begonnen,
Abb. 24. Exlibris F. Raisin.
Gez. E. van Muyden.
gute Stiche und seltne Bücher zu sammeln
und hat mit allen Malern und Schriftstellern
des zweiten Kaiserreichs in Verbindung ge¬
standen. Er war ein Freund Victor Hugos
geworden, nachdem er ein interessantes Buch
über dessen Porträts und Karikaturen verfaßt
hatte. Um seinen Unterhalt zu verdienen, hatte
Bouvenne eine Anstellung in der großen Stein¬
druckerei von Lemercier inne, aus der so viele
Meisterwerke der Steinzeichnerei hervorgingen.
Mit etwa dreißig Jahren hatte er sich
dem Exlibris gewidmet und mit wahrer
Leidenschaft hunderte von Mono¬
grammen, von Zeichnungen mit Wahl¬
sprüchen für die bekannteren seiner
Zeitgenossen entworfen. Seine Arbeiten
würden allein einen ganzen Band füllen.
Er erfand und gravierte Exlibris für
Victor Hugo (Abb. 11), Theophile Gautier
(Abb. 22), Jules Cousin, Mme. de Noe,
Champfleury, Frangois Copp£e (Abb. 7),
Ch. Benoit, Edouard Castillon (Abb. 13),
Charles Asselineau, Philippe Barty und
für mich. Eine Monographie seiner
Arbeiten wäre sehr interessant, denn
dieser Künstler war ein Original, das
den Nachruhm wohl verdiente. Fünf¬
zehn Jahre arbeitete Bouvenne liebevoll
an seinen Büchermarken. Er wartete
nicht einmal auf Bestellung, sondern
kam schon dem Wunsche entgegen und
bot kleine Marken allen denen an, die
ihm eifrige Sammler zu sein schienen.
Sein guter Willen war grenzenlos und
Abb. 25. Exlibris des Vicomte Henry de M6rona.
Ges. Henry Andr6.
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Uzanne, Die französischen Exlibris von heute.
187
Abb. 26. Exlibris Ashbe e.
er half unter den Sammlern die Vorliebe für
die persönlichen Bucheignerzeichen verbreiten.
Darum sollte sein Name von denen allen geehrt
bleiben, die jetzt Proben dieser Einzelkunst
sammeln.
Aber ich muß wiederholen: solche unter¬
nehmenden, uneigennützigen, geschmackvollen
Künstler wie Bouvenne sind große Ausnahmen.
Das ist sehr bedauerlich, denn wenn jede Zeit
und jedes Land auch nur zehn solcher Leute
hätte, so stände die Exlibris-Kunst heute auf
einer ganz anderen Stufe der Entwicklung.
Es fehlt gewiß nicht an Exlibris-Zeichnern
von Talent bei uns; aber es ist schwer, beinahe
unmöglich, sie zu gruppieren, einzureihen, ihre
Manier zu umgrenzen. Zu den der Moderne
zuneigenden Dekorateuren, die sich ein wenig
den letzten Kunstäußerungen der englischen
Synthetiker nähern, kann manL.OUvierMerson,
Adolphe Giraldon, L6on Rudnicld, Vemeuil,
de Feure, Belville, Eugen Courboin rechnen,
sowie den größten Teil der Reklamekünstler
und der Zeichner von Buchumschlägen. Zu
denen, die an der alten leichten, gefälligen
pariserischen Art festhalten, zählen wir Henri
Boutet, GiacomelU (Bücher und Vögel), Bac,
M&iret, Henri Pille, Gerbault, L6on Leb&que
(Abb. 1 und 17), Andr6 des Gachons u. a. m.
Die großen Künstler und Radierer schufen
nur gelegentlich Eignerzeichen. Unter diesen
gehört F&icien Rops noch zu den Fleißigsten.
Es gibt von seiner Hand Marken für Frau
Clapisson, für Dr. Filleau, für Armand Sylvestre,
Abb. 27. Exlibris Madame A. France.
Gez. F. Calmette.
zwei für mich selbst und eine für Dr. Escoube.
Letztere stellt Minerva dar, die das Haupt
Prud'hommes als Sinnbild des Spießertums
hochhält, während eine Putte die Worte „Ecce
Homais" souffliert (Abb. 21). Es ist dies ein
Wortspiel, in dem an Stelle von „Ecco Homo"
„Homais" gesetzt ist, der Name des gewöhn¬
lichen und prosaischen Apothekers, mit dem
Flaubert in seiner „Madame Bovary" allem
Platten, Banalen und Schwunglosen ein ewiges
Denkmal gesetzt hat
Fernand Calmette entwarf für die Bibliothek
von Frau Anatole France eine hübsche deko¬
rative Kartusche (Abb. 27), und Henri Chapront
Abb. 28. Exlibris Coureau.
Gez. H. Andre 1894.
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i88
Uzarme, Die französischen Exlibris von heute.
Abb. *9. Exlibris Abel Picard.
Ges. Henry Andre.
zeichnete für die Stadtbibliothek von Rochefort
einen Buchschmuck in neuenglischem Stil, der
erwähnt zu werden verdient (Abb. 32). Nennens¬
wert ist ferner das Exlibris mit dem kaiser¬
lichen Adler des Prinzen Roland Bonaparte
(Abb. 23) und das „Les Chats Noirs“ genannte,
das anonym erschienen ist (Abb. 18), sowie die
Bucheignerzeichen für Emil Olive von J. C.
(Abb. 10) und für Luden Dorbon von Apoux
(Abb. 33), die alle modern und recht hübsch
sind. Da ist ein anderes von J. Kirman, das sehr
drollig einen Faun in einer Punschterrine zeigt
(Abb. 2) und endlich die Marke von Albert
Abb. 30. Exlibris Wolf.
Gcz. E. van Muyden.
Hallier, dem sogenannten „Oedipus von Le
Mans“, der für Frankreich den Herrscher der
Rätsel auf der letzten Seite der Zeitungen
bedeutet, denn in seiner Hand ruhen alle
Auflösungen (Abb. 16). Eine eigenartige
Berühmtheit, die da durch ein Exlibris ge¬
feiert wird.
Ich will aber nicht länger zögern, von
einem Künstler zu reden, der seit etwa zehn
oder zwölf Jahren sich eingehender mit der
Schöpfung von zahlreichen gedankenvollen,
satyrischen, sinnbildlichen, berufsmäßigen und
freien Exlibris befaßt hat.
Es ist Mr. Henry Andre .
Mehrere Abbildungen aus seinen Werken
sind diesem Artikel beigegeben. Der verliebte
Hahn unter einer Sonnenfinsternis erklärt
die erotische Bibliothek des Herrn Coureau
(Abb. 28). Der hübsche Entwurf „A tous les
vents je s&me“ zeigt auf schwarzem Grund
das Zerstäuben der zarten Rispen eines vollen
Grashalms; er gehört Herrn A. Geoffroy,
der Kunstkritiker und Kupferstichhändler ist
(Abb. 5). Dr. Albert Lepage ziert seine Bücher
durch den Tod, dem ein Arzt als Diener folgt
(Abb. 8). Eine ästhetisch und literarisch veran¬
lagte Dame, Frl. Marie Moye, hat eine hübsche
Frau, die mit einer Feder tändelt und sich
mit den Worten „Sainte Litterature“ umkränzt
(Abb. 3). Endlich hat Herr Charles Guinot
Abb. 31. Exlibris A. Bovet.
Gez. E. van Muyden.
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Uzanne, Die französischen Exlibris von heute.
I89
einen Totenschädel mit dem Wahrspruche
„Baste!“ (Abb. 9) und Herr Abel Picard eine
Vignette von Büchern, Raben und den be¬
rühmten pariser Bouquinisten-Quais am Seine-
Ufer (Abb. 29). Eigentlich müßte man bei
jedem dieser Entwürfe die Absichten des
Künstlers erklären, die Gedankenverbindung
aufdecken und die Übereinstimmung des Berufs
des Sammlers mit den Sinnbildern der Vignetten
feststellen. Das würde aber recht weit fuhren
und viel Zweck hätte es auch nicht.
Henry Andr6 heißt eigentlich Schultz und
ist deutscher Abkunft. Er war eine der Stützen
der Wiedergeburt des Exlibris in Frankreich.
Er nahm diesen Kunstzweig gegen 1890 auf
und warf sich leidenschaftlich in die Bresche,
in der Hoffnung, die Pfade zu ebnen und zahl¬
reiche Bücherfreunde zu werben. Gegen hun¬
dert Entwürfe fertigte er für alle mehr oder
minder berühmten Sammlungen und bemerkte
bald mit Trauer, daß das Absatzgebiet recht
beschränkt war und daß sich unter den Samm¬
lern wertvoller Bücher nicht so viele Kunst¬
freunde befanden, als er angenommen hatte.
Henry Andr6 verdient trotzdem Lob und Er¬
mutigung. Sein Talent ist abwechslungreich,
Cf LlVM MT A
lüCiEN DoRßoN
Abb. 33. Exlibris L. Dorbon.
Ge*. Apout.
Abb. 32.
Exlibris der städtischen Bibliothek zu Rochefort
Ge*. H. Chapront.
angenehm, sowohl rein zierend als auch anek¬
dotisch. Er hat Geschmack und Liebe zu
seiner Kunst: das sind Eigenschaften, die man
achten muß.
Am Schluß dieser nur zu knappen und natur¬
gemäß unvollständigen Mitteilungen können leider
keine optimistischen Betrachtungen angefügt
Abb. 34. Exlibris L6on Gambetta.
Ge*. De Gros.
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igo
Uzanne, Die französischen Exlibris von heute.
Abb. 55. Exlibris E. Audeoud.
Gez. E. van Muyden 1894.
werden über den augenblicklichen Stand der
Exlibris-Kunst in einem Lande, das doch
so viele erstklassigen Künstler besitzt. Gewiß,
wir haben ein paar amüsante, frei und zwanglos
geschaffene Exlibris-Exemplare, ironisch und
witzig zugleich. Aber die Meisterkünstler haben
sich leider Gottes fern gehalten. Wir suchen
umsonst nach Blättern, unter denen die Unter¬
schrift Mersons, Besnards, Lawens, Detailles,
Steinlens, Wilettes oder Ch^rets stände. Ich bin
überzeugt, daß es nicht an diesen Künstlern
liegt, sondern daß einfach kein Bibliophile daran
gedacht hat, sich an sie zu wenden. Sicher¬
Abb. 36. Gez. M. Dumont
lieh hätte keiner von ihnen gezögert, sein
Talent in den Dienst solcher Arbeit zu stellen,
wenn sie ihm nur vorgeschlagen worden wäre.
Man muß also die Sammler selbst anklagen.
Frankreich könnte in der ersten Reihe der
Exlibris-Kunst stehen und bleibt weit hinter
England und Amerika zurück, und wenn die
Bildchen, die Frankreichs Bücher zieren, immer
noch gesucht sind, so verdanken sie dies we¬
niger ihrem hohen Kunstwert als ihren feinen,
leichten, witzigen, liebenswürdigen und meist
anspruchslosen Eigenschaften.
[Nach dem Manuskript in das Deutsche übertragen.]
Exlibris E. Martin. Gez. L. Robin.
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Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
Von
Dr. Rudolf Beer in Wien.
er eigenartige Reiz, der in der Er¬
schließung, der wissenschaftliche Wert,
der in der richtigen Erläuterung älterer
Handschriftenkataloge liegt, haben seit einiger
Zeit allmählich größere Anerkennung gefunden.
Allerdings mehr theoretisch als praktisch.
Immerhin dürfte der Kreis jener zünftigen
Literarhistoriker, welche die Bearbeitung solcher
Verzeichnisse „von Büchertiteln“ als eine rein
bibliographische oder bibliothekarische Tätig¬
keit auffassen, sich immer mehr verengen.
Ist ja doch ein derartiges Urteil gleichbedeutend
mit dem Geständnis des Unvermögens, die
Bedeutung jener Erzeugnisse in ihrem vollen
Umfange, das heißt nach der kultur- und kunst¬
historischen, insbesondere aber nach der literar¬
historischen Richtung, mit einem Worte, als
Zivilisationsspiegel zu schätzen.
Wesentlich zur entsprechenden Würdigung
alter Handschriftenkataloge haben Muster¬
leistungen beigetragen, die aus ihrer Inter¬
pretation entstanden. An erster Stelle ist hier
Leopold Delisles klassisches Werk über die
reichste Handschriftensammlung der Welt:
„Le Cabinet des Manuscrits de la Biblioth£que
Imperiale“ (1866 ff. in vier Bänden) zu nennen.
Der französische Altmeister der Handschriften¬
kunde hat es verstanden, die Geschichte der
Handschriftenfonds der Pariser National¬
bibliothek unter Zuhilfenahme der alten Kata¬
loge in glänzender Weise darzustellen, die ur¬
kundlichen Nachrichten in das richtige Licht
zu setzen, ihren Zusammenhang mit dem
geistigen Leben nachzuweisen und für die
Geistesgeschichte des Mittelalters sowie der
Renaissance ein hervorragendes Quellenwerk
zu schaffen. Gleichfalls verdienstlich und auf¬
schlußreich reiht sich die Arbeit Pierre de
Nolhacs über die Geschichte eines Bestandes
der Vaticana dem eben genannten Standard-
work an. Speziell mit dem griechischen Hand¬
schriftenbestand einer großen westeuropäischen
Bibliothek befaßt sich das treffliche Werk von
L
Charles Graux „Essai sur les origines du fonds
grec de TEscurial, Episode de l’histoire de la
renaissance des lettres en Espagne“ (Paris 1880).
Alten Bücherlisten und Nachrichten über Hand¬
schriftenerwerb ist hier mit feinem Verständ¬
nis für die geistigen Strömungen Leben ein¬
gehaucht worden, so daß der Essai wirklich
als eine Darstellung eines Teils der spanischen
Renaissance hingestellt werden kann. Ein be-
besonderer Vorzug des Werkes, das als reifste
Leistung des früh der Wissenschaft entrissenen
französischen Forschers betrachtet wird, liegt
darin, daß die nach strengen genetischen und
chronologischen Gesichtspunkten geführteUnter-
suchung die Urkunden und Nachrichten über
die Geschichte der griechischen Handschriften
des Eskorial in fast lückenloser Folge heran¬
zieht und erläutert „Fast lückenlos“ natürlich
mit Rücksicht auf jene Quellen, die bei Ab¬
fassung der Arbeit erreichbar und zu verwerten
waren. Graux hat im Verlaufe seiner Dar¬
stellung wiederholt darüber geklagt, daß ihm
eines der wichtigsten Hilfsmittel zur Erkenntnis
des primären Bestandes der Eskorialhand-
schriften, das Original - Verzeichnis der von
Philipp II. gesammelten und dann zum großen
Teil dem Kloster überwiesenen Bücher , nicht
mehr zur Verfügung stehe. Dieses in mehr¬
facher Beziehung merkwürdige Manuskript, ein
Handexemplar des Königs, in das dieser selbst
Bemerkungen eingezeichnet hatte, war Jahr¬
hunderte hindurch in der Bibliothek des Eskorial
aufbewahrt und noch vor etwa zwei Menschen¬
altem von dem bekannten belgischen Forscher
Louis Prosper Gachard eingesehen worden.
Seither ist dieser Katalog verschollen, und alle
Bemühungen, ihn wieder aufzufinden, blieben
erfolglos.
Nicht dieses Verzeichnis, wohl aber ein für
die Geschichte der Gründung der Eskorial-
Bibliothek gleichfalls sehr aufschlußreiches In¬
ventar ist vor Jahren in den Eskorialakten, die
im Madrider Palast-Archiv aufbewahrt werden,
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192
Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
von mir aufgefunden und soeben vollinhaltlich
veröffentlicht worden. 1 Aus den dem eigent¬
lichen Inventar vorangehenden Urkunden er¬
hellt, daß über die Schenkung ein förmlicher
Notariatsakt ausgestellt wurde, als dessen inte¬
grierender Bestandteil das Handschrifteninventar
erscheint Die Übergabe der Manuskripte er¬
folgte am 2. Mai d. J. 1576. Hierbei inter¬
venierte der königliche Schatzmeister Hemando
de Briviesca als Bevollmächtigter Philipp II.,
in dessen Auftrag die Büchersammlung dem
Prior und den Abgeordneten des Klosters San
Lorenzo überwiesen wurde. Schon aus dem
Datum ergibt sich, daß in dem Inventar,
welches als Übergabsinstrument diente, keines¬
wegs sämtliche Handschriften verzeichnet sein
können, die Phüipp II. dem Kloster gewidmet
hat Der König ließ es sich bis in seine
letzten Lebensjahre angelegen sein, die Kloster¬
bibliothek durch ebenso stattliche wie kost¬
bare Handschriftenwidmungen zu vergrößern,
und insbesondere können die reichen Samm¬
lungen Diego Hurtado de Mendozas und
Isabellas der Katholischen, deren Einverleibung
erst nach dem erwähnten Zeitpunkte erfolgte,
in unserem Inventare nicht verzeichnet sein.
Gleichwohl enthält dieses schon die ansehn¬
liche Zahl von mehr als 1800 Manuskripten,
die insgesamt mindestens 4000 Einzelschriften
(in lateinischer, griechischer, hebräischer, kasti-
lianischer, portugiesischer, katalanischer, ita¬
lienischer, französischer, deutscher, arabischer,
chinesischer, türkischer und persischer Sprache)
bergen. Über die Schwierigkeiten, welche die
Erläuterung dieses Verzeichnisses bot, zu
sprechen, ist hier nicht der Ort Nur soviel
sei bemerkt, daß der ungemein ausgedehnte
und weitverzweigte Stoff, der Gelegenheit
bietet, sich de rebus omnibus et quibusdam
aliis zu verbreiten, besonnenes Maßhalten em¬
pfahl. Feststellung der Schriften unter Hinweis
1 „Die Handschriftenschenkung Philipp II. an den
Eskorial vom Jahre 1576. Nach einem bisher unveröffent¬
lichten Inventar des Madrider-Palastarchivs“. Jahrbuch der
kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiser¬
hauses, Band XXIII, Heft 6 (Urkunden), Wien 1903. — Dem
gegenwärtigen Redakteur des Jahrbuches, Kustos Dr. Heinrich
Zimmermann , spreche ich für vielfältiges Entgegenkommen
und werktätige Unterstützung bei dieser Arbeit auch hier
meinen besten Dank aus. — * Vgl. Spanische Literatur¬
geschichte (Sammlung Goeschen) I, 38 ff. und die‘Literatur¬
angaben S. 41, Anm. I.
auf die zugänglichsten Hüfsbücher, eventuell
Identifizierung mit den noch vorhandenen
Manuskripten, mußte auch dort als ausreichend
erscheinen, wo sich die Versuchung zu längeren
Exkursen verlockend einstellte. Auch die ein¬
leitenden Bemerkungen konnten nicht alle
Fragen berühren, die sich an eine eingehende
Würdigung eines so reichen und zum Teil
noch sehr wenig durchforschten Handschriften¬
bestandes schließen, zumal, dem Charakter der
Publikationsstelle gemäß, den kunstgeschicht¬
lichen, die Bilderhandschriften betreffenden
Nachforschungen breiter Raum zugewiesen
werden mußte.
Es scheint darum sehr angezeigt, die Be¬
deutung des nunmehr den Fachkreisen durch
den Druck zugänglich gemachten Inventares vor
einem größeren Forum in den wichtigsten
Zügen zu skizzieren und an diesem neu ge¬
wonnenen Exempel die Probe auf die Be¬
hauptung zu machen, daß solche alte Bücher¬
verzeichnisse wirklich Bilder zeitgenössischer
Kultur darstellen. Eine solche Skizze, die Lichter
auf den Stand und die Pflege der Geisteswissen¬
schaften in Spanien während des XVI. Jahr¬
hunderts wirft, kann als eine Art Gegenstück
zu Untersuchungen über die Leistungen der
Spanier auf dem Gebiete der exakten Wissen¬
schaften gelten, Untersuchungen, deren Haupt¬
ergebnisse von mir an anderer Stelle zusammen¬
gefaßt wurden.*
Was zunächst bei der Durchsicht unseres
Inventares aufiallt, ist einerseits die Marke
der Universalität, die der Handschriftensamm¬
lung aufgeprägt ist, andrerseits die umsichtige
Auswahl, durch welche die hervorragendsten
damals erreichbaren Denkmäler der Litera¬
turen und Wissenschaften vereinigt erscheinen.
Schon aus der oben gegebenen Aufzählung
Namenszug König Philipps II. von Spanten.
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Philipp II. König von Spanien.
Nach dem Gemälde von Coello im Berliner Museum.
Zeitschrift für Bücherfreunde VIll
Zu Beer. Zur Geschichte der Eskorial - Bibliothek.
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Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
193
der Sprachen sieht man, daß die wichtigsten
Literaturen des Abend- und Morgenlandes
vertreten waren — freilich in sehr verschie¬
denem Umfange. Es mag überraschen, daß
bei den bekannten Beziehungen Philipp H. mit
England die englische Literatur fast völlig
leer ausgeht. John Gowers „Confessio amantis“
ist das einzige Werk, das hier in Betracht
kommt und dieses, bezeichnend genug, in einer
spanischen Übersetzung; nicht einmal diese ist
direkt nach dem Originale angefertigt, sondern,
wie unser Inventar bestätigt, durch ein portu¬
giesisches Mittelglied gegangen. Sehr dürftig
ist auch, was von der deutschen Literatur in
dem Inventar vorkommt Eine einzige Schrift
ließ sich mit Sicherheit identifizieren, die
„Nachfolge Christi“ von Thomas a Kempis;
ein anderes Stück unter den „tudescos de
mano“ darf man für einen „Theuerdank“
halten.* Stattlich vertreten sind die romanischen
Literaturen, am besten natürlich die spanische;
in merkwürdigem Reichtum präsentieren sich
auch die orientalischen Sprachen; am aller¬
reichsten ist der Bestand der griechischen
Manuskripte (über 500, darunter viele Misch¬
handschriften, zusammen etwa 2000 Einzel¬
schriften enthaltend). Berücksichtigt man die
Fächer der Wissenschaften und die Haupt¬
gattungen der Literatur, so überrascht in ein¬
zelnen Abteilungen der Reichtum des ge¬
sammelten handschriftlichen Materials: in der
Theologie eine ziemlich geschlossene Reihe
der wichtigsten Werke, angefangen von der
Bibel und den ältesten Vätern bis herauf zu
zeitgenössischen Erbauungsschriften (Teresa de
Jesus) und den Akten des Tridentiner Konzils;
in der Literatur von Homer angefangen bis zu
den Werken der Schriftsteller, die sich um
Philipp IL scharten (Päez, Diego Gracian,
Juan de Malara u. a.); in der Architektur von
Vitruv bis Juan Bautista de Toledo, der be¬
kanntlich an den Plänen des Eskorial mit¬
arbeitete, usw. usw.
Angesichts eines so reichen Handschriften¬
schatzes, der durch Philipp II. dem Eskorial
zugewendet wurde, drängt sich die Frage auf:
hat der König bereits überkommenes Gut vor¬
gefunden, das er nur nach einzelnen Richtun¬
gen hin vervollständigte, oder hat er aus
eigenem Antriebe neu gesammelt? Kurz —
stehen wir vor Ausbau oder Aufbau?
Die Beantwortung der Frage ist wichtig.
Pflege der Wissenschaft und Literatur geht ja
Hand in Hand mit der Sammlung der Hilfs¬
mittel für diese, und ein Rückblick auf die Hand¬
schriftensammlung des königlichen Hauses in
Spanien gestattet gewiß einen Schluß auf die
Hauptströmungen, wenn man will, auf die
Hauptpflegestätten der spanischen Literatur
im Mittelalter.
Der Zeitraum, in dem die Pflege des
Schrifttumes von den alten spanischen Klöstern
und Kirchen auf das Königshaus überging,
läßt sich ziemlich genau feststellen. Er fällt
zusammen mit der Regierung Alfons X., des
Gelehrten (geb. 1220, regierte von 1252 an,
gest. 1284). Die außerordentlich mächtige litera¬
rische Wirksamkeit dieses Königs hat im ge¬
samten Schrifttume der Spanier tiefgehende
Spuren hinterlassen, und redende Denkmäler
seiner Tätigkeit sind in großer Zahl heute
noch erhalten. Ihm folgen sein Sohn Sancho IV.
(1284—1295), sowie Alfons XL (1312—1350),
und auch von diesen finden sich verschiedene
Werke in zum Teil sehr kostbaren, heute noch
erhaltenen Manuskripten im Inventare ver¬
zeichnet. Nichts liegt näher als die Annahme,
daß sich diese wertvollen Denkmäler im Be¬
sitze des Königshauses vererbt haben, und
doch wäre diese Annahme falsch. Nicht
weniger als acht prächtige Handschriften der
berühmten Gesetzsammlung Alfons X., der
Partidas, wurden dem Könige von einem
Rechtsgelehrten, dem Dr. Burgos de Paz, erst im
Jahre 1574, und zwar zweifellos zu dem Zwecke
dargebracht, eine Lücke in der bereits in An¬
griff genommenen, für den Eskorial bestimmten
Handschriftenbibliothek zu ergänzen. Die mit
verschwenderischer Pracht ausgestatteten Ge¬
sänge Alfons X. zu Ehren der Jungfrau Maria
mußten von Philipp II. aus der Kathedrale
von Sevilla, der sie der Autor testamentarisch
vermacht hatte, beschafft werden. Andere
Werke des gelehrten Königs waren zur Zeit,
in der die erste große Schenkung an den
Eskorial erfolgte, überhaupt nicht zu erwerben;
ihre Zuwendung erfolgte zum Teil erst später,
ja rücksichtlich einiger Schriften mußte man
1 Auf den Umstand, daß es sich natürlich nicht um eine Handschrift (de mano), sondern um einen Pergamentdruck
der Karl V. dedizierten Erstausgabe handelt, komme ich noch zurück.
Z. f. B. 1904/1905. 26
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194
Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
sich mit Kopien behelfen, da die Originale
nicht zu gewinnen waren. Daraus erhellt, daß
von einer fortlaufenden Büchervererbung im
königlichen Hause, von einer Art Patrimonial-
Bibliothek der spanischen Krone im Mittelalter
nicht gesprochen werden kann. Auch was die
Schriften anlangt, die auf direkte oder indirekte
Anregung Juan II. (1407—1454) angefertigt
wurden, läßt sich eine bestimmte Forterbung
im Besitze des Königshauses vorläufig noch
nicht feststellen. Andererseits ist gerade unser
Inventar das erste Zeugnis, auf Grund dessen
die Bibliothek Juan D. in gewissen Teilen er¬
kannt werden kann. Doch liegen bisher keiner¬
lei Nachrichten vor, welche diese heute im
Eskorial aufbewahrten Handschriften als stän¬
digen Kronbesitz — etwa durch Vermittlung
Isabellas der Katholischen — dartun würden.
Etwas deutlicher tritt das Schicksal der
Bücher hervor, welche Karl V. nach Spanien
mitgenommen hat. Von einem Teile derselben
wissen wir bestimmt, daß sie in den Besitz
Philipp II. und durch die Schenkung dieses
Königs an den Eskorial gelangten. Wir kommen
auf diesen Punkt noch zurück. Jedenfalls muß
festgehalten werden, daß man in dem Augen¬
blicke, da die Gründung einer Biblioteca Real,
einer königlichen Hausbibliothek, geplant wurde,
die in dem oben skizzierten Umfange alle wich¬
tigen Literaturen und sämtliche Hauptfächer der
Wissenschaft umspannen sollte, vor einer ganz
neu zu lösenden Aufgabe stand. Vollständig klar
wird diese Tatsache, wenn man die zahlreichen
Aktionen verfolgt, die auf die Beschaffung eines
so umfassenden Bücherapparates abzielten.
In erster Linie ist zu beachten, daß man
zunächst an eine königliche Hausbibliothek
schlechthin, keineswegs an eine Klosterbücherei
dachte. Gleich zu Beginn der Regierung
Philipp II., lange vor Inangriffnahme des Es-
korialbaues, war der königliche Kaplan und
Chronist Juan Päez de Castro offiziell zur Er¬
stattung eines Gutachtens über die Gründung
dieser Bibliothek eingeladen worden, und dieser
Bericht hat sich heute noch erhalten. Päez
verweist auf die Wichtigkeit der Büchersamm¬
lungen im allgemeinen, und aus seinen Dar¬
legungen geht klar hervor, daß der zu grün¬
denden Bibliothek der Charakter einer öffent¬
lichen, der Forschung zugänglichen Sammlung
innewohnen sollte: „Große Bedeutung besitzen
die königlichen Bibliotheken. Die Bücher
werden von gelehrten Männern aufgesucht,
diese wieder von jenen, die ihre Schüler sein
wollen, diese wieder brauchen Schreiber und
Druckereien und die letzteren ihrerseits das
nötige Material: Papier, Pergament usw. Im
Dienste der mit den Bibliotheken zusammen¬
hängenden Aufgaben steht eine Reihe von
Handwerkern. Auch Schreiber, die aller
Sprachen mächtig sind, werden benötigt, so
daß viele Leute ihr Brot finden". Man sieht,
daß die Bedeutung der Bibliotheken als
Kulturträger richtig erfaßt und der Wunsch
ausgesprochen wird, die geplante Neugründung
allgemeiner Benützung zugänglich zu machen.
Hiermit hängt zusammen, daßV alladolid alsStätte
für die königliche Bibliothek empfohlen wird.
„Dort nehmen Eure Majestät zu wiederholten
Malen Aufenthalt, dort befinden sich der könig¬
liche Gerichtshof, die Universität, eine Reihe
von Schulen und Klöstern, dort beobachtet man
den Zusammenfluß von Angehörigen aller Na¬
tionen". Auch auf die Einrichtung des künftigen
Bibliothekbaues, auf Sicherung vor Feuersgefahr,
nimmt Päez in seinem Berichte Bedacht. Es sind
vortreffliche, durchwegs zweckentsprechende
Gedanken, die in diesem Memorial niedergelegt
werden, und namentlich das, was Päez vor
dritthalb hundert Jahren über die wirtschaftliche
Bedeutung der Bibliotheken schreibt, wendet
sich heute noch an alle diejenigen, die über
Aufwand flir öffentliche Bibliotheken innerhalb
des Staatshaushaltes zu bestimmen haben.
Philipp hat denn in der Tat die Vorschläge
seines Ratgebers, die auch Hinweise auf Bücher¬
beschaffung (in Rom, Venedig und Florenz) ent¬
halten, praktisch durchgeführt 1 und ist nur in
1 Etwa anderthalb Jahrhunderte später hat wieder ein Herrscher aus dem Hause Habsburg (und gleichfalls in
spanischer Sprache) sich sehr entschieden über die Bedeutung der Bibliotheken für das allgemeine Wohl ausgesprochen.
„Atendiendo ä lo muy necessario“ schreibt Karl VI. an den Staatsrat von Spanien und der Niederlande am 25. Sept 1723,
„que es al bien de mis pueblos y al buen goviemo de todos mis reynos una biblioteca publica para el uso y servicio
de mis vasallos y ministros . . para cuyo efecto he mandado construir en mi ciudad de Viena el famoso edifizio que
se estä perficionando y comprar los libros que . . . faltan, he destinado para la manutenzion y conservazion de ella
una nueva renta . . , u Näheres bei L. P. Gachard, Notice des manuscrits, concemant Phistoire de la Belgique qui
existent ä la Biblioth&que Imperiale de Vienne, Bruxelles, 1864 S. II f.
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Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
195
einem Punkte von ihnen abgewichen — in der
Wahl des Ortes.
Etwa ein Lustrum nach Erstattung des
eben erwähnten Gutachtens hatte das Eskorial-
bau-Projekt greifbare Gestalt angenommen.
Über die Gründe, welche den König veran¬
lagten, dort auch die königliche Bibliothek
unterzubringen, liegen keine urkundlich be¬
glaubigten Nachrichten vor. Wahrscheinlich
wollte der König einen Ort wählen, der von
der Residenzstadt Madrid nicht so weit ent¬
fernt lag wie Valladolid. Daß er kein lebhaft
bewegtes Verkehrszentrum, sondern vielmehr
ein Örtchen in abgeschiedener Einöde zu dem
gedachten Zwecke ausersah, hierzu mögen
wohl ähnliche Erwägungen veranlaßt haben,
wie jene waren, die das General-Reichsarchiv
in einer abgeschiedenen Festung (zu Simancas)
aufstapeln ließen. Man weiß, daß die unab¬
sehbaren Massen höchst wichtiger Urkunden
des Generalarchivs zu Simancas — heute be¬
rechnet man sie auf 30 Millionen Stücke —
sich während aller Stürme, welche die ge¬
prüften spanischen Lande durchbrausten, un¬
versehrt erhalten haben.
Mit der Feststellung der Aufbewahrungs¬
stätte hängen konkrete Vorschläge zusammen,
welche der königliche Chronist Ambrosio de
Morales — ein um die spanische Geschicht¬
schreibung hochverdienter Gelehrter — um
die Mitte der 60er Jahre bezüglich Anlage der
Bibliothek und der Büchererwerbungen er¬
stattete. Das Gutachten gipfelt in dem Satze,
daß in San Lorenzo „Universidad y hombres
de letras y exercicio de ellas“ eine Stätte
finden müßten. Dieses Studium Universale,
das die Neugründung aufnehmen sollte, bildet
tatsächlich den Angelpunkt aller Aktionen, die
auf Büchererwerb abzielten; inwieweit sie von
Erfolg gekrönt waren, ist ja bereits in allge¬
meinen Zügen angedeutet worden. Morales
beschränkt sich keineswegs auf theoretische
Erörterungen oder auf die Hinweise geeigneter
Vorbilder (die Vaticana in Rom, die Bibliothek
Franz L, die Marciana in Venedig, die Lau-
rentiana in Florenz). Man habe in Spanien
vielfältig Gelegenheit, reiche Beute bei der
„Bücheijagd“ zu gewinnen. Speziell wäre die
Sammlung des kurz vorher verstorbenen
Gonzalo P£rez (des Vaters des unglücklichen
Antonio) ins Auge zu fassen. Da gäbe es
Handschriften von allergrößtem Werte, die der
Berichterstatter zum Teile auch namentlich
anfuhrt. Diese Manuskripte — griechische
und lateinische — finden sich nun sämtlich in
unserem Inventare wieder; noch aufschlußreicher
wird eine andere Andeutung, die sich in dem
Gutachten des Morales findet „Viele alte
Originale der Bibliothek P6rez“ — bemerkt er
— „stammen aus der Sammlung der Könige
von Neapel“. In der Tat hatte Gonzalo, wie
wir aus einer anderen Quelle wissen, von dem
in Valencia verstorbenen Herzog von Kalabrien
einen Teil der herrlichen aragonesischen Biblio¬
thek, einer der kostbarsten, die im ausgehen¬
den Mittelalter vorhanden war, testamentarisch
zugewiesen erhalten. War von den Überresten
dieser namentlich an miniierten Prachtkodices
reichen Sammlung und ihren gegenwärtigen
Aufbewahrungsstätten die Rede, so nannte
man bisher Paris und Valencia, wohl auch
Wien. Nur von einer einzigen Handschrift
wußte man nach einem ziemlich veralteten
Zeugnis, daß sie sich im Eskorial befinde.
Das nunmehr erschlossene Inventar belehrt
uns aber eines Besseren. Den ausdrücklichen,
hier gebotenen Hinweisen gemäß, kam eine
sehr stattliche Zahl von Manuskripten der
neapolitanischen Bibliothek — wohl zum größten
Teile durch die Sammlung Gonzalo P6rez —
in den Eskorial, und wir erhalten hiermit einen
wichtigen Fingerzeig, von welchem Gesichts¬
punkte aus Bilderhandschriften des Eskorial
aus dem Quatrocento zu prüfen seien. Dieser
Hinweis ist gewiß nicht überflüssig; unter
sämtlichen Kunstobjekten, welche Museen und
Bibliotheken Spaniens bergen, sind die Bilder¬
handschriften wohl am meisten vernachlässigt
worden.
Sieht man schon aus diesen kurzen Bemer¬
kungen über die Geschichte eines Teiles der
aragonesischen Bibliothek, wie Bücherschicksale
Menschengeschicke begleiten, so ist das noch
in viel höherem Maße bei der Einverleibung
der Bücher des unglücklichen Prinzen Don
Carlos der Fall. Die Katastrophe im Königs¬
hause läßt auch in der Geschichte der Privat¬
bibliothek Philipps ihre Spuren zurück. Don
Carlos hatte — vornehmlich unter der Leitung
eines trefflichen spanischen Humanisten, Hono-
rato Juan, — historische und linguistische
Studien betrieben, deren Anfänge Gutes erhoffen
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196
Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
ließen. Juan hatte mit dem Prinzen katala¬
nische und valencianische Dichter gelesen, etwas
Latein mit ihm getrieben, ja aus einer noch
erhaltenen Dedikation in einer griechischen
Handschrift könnte geschlossen werden, daß
der Prinz auch mit den Elementen des Grie¬
chischen bekannt war; unter Juans Leitung
und offenbar zum Unterrichte des Prinzen war
der in Alcalä aufbewahrte Prachtkodex mit
den in Alfons X. Aufträge zusammengestellten
astronomischen Tafeln von Meistern der Kalli¬
graphie und Miniaturkunst abkonterfeit worden.
Der jugendliche Prinz besaß selbst eine
Bücherei mit ansehnlichem Handschriftenbe-
stande (vorzüglich historische Schriften, Chro¬
niken u. dgl.); die von Morales verfaßten Akten
der Kanonisation des heiligen Diego, bei
welcher Carlos intervenierte, in einer bilderge¬
schmückten Handschrift niedergelegt, verleihen
der prinzlichen Sammlung auch eine persön¬
liche Note. Nach dem tragischen Tode des
Prinzen wurde dessen Besitz in einer Ver¬
steigerung veräußert; Philipp sicherte sich bei
einzelnen Objekten — wie wir durch ein noch
erhaltenes Inventar wissen — das Vorkaufs¬
recht. Die Handschriften des Don Carlos er¬
scheinen nun der Mehrzahl nach in unserem
Inventare, das hierdurch, wie bemerkt, ein
Stück Hausgeschichte wiederspiegelt.
Weitere Handschriftenerwerbungen für den
Eskorial, von deren Ergebnissen unser Inventar
gleichfalls Kunde gibt, stehen im Zusammen¬
hänge mit wissenschaftlichen Missionen, die
im Aufträge Philipp II. ausgeführt wurden.
Ziemlich mannigfaltig waren die Aufträge, die
der Herausgeber der berühmten Antwerpener
Polyglotte, Arias Montano, anläßlich seiner
Reise nach Antwerpen im Jahre 1568 erhielt;
in einer am 25. März des genannten Jahres er¬
lassenen Instruktion trifft der König bezüglich
der Tätigkeit des Gelehrten bei der Heraus¬
gabe der Bibel einige Bestimmungen und ver¬
fügt ferner, daß eine gewisse Summe zum An¬
käufe von Handschriften und Druckwerken
verwendet werden soll, deren Acquisition der
König von Montanos Sammeleifer erhofft.
Diese Bücher waren für San Lorenzo bestimmt
und es heißt in der königlichen Instruktion
ausdrücklich: „Diese bilden einen der wert¬
vollsten Schätze, die ich den Klosterbrüdern
zu schenken wünsche.“
Die Mission Montanos war in mehrfacher
Beziehung von Erfolg begleitet Selbst Graux
war der Umstand entgangen, daß Montano,
wie aus zeitgenössischen Berichten hervorgeht
in Antwerpen eine sehr wertvolle Sammlung
von griechischen Handschriften für den Eskorial
erwerben konnte. Er wußte, daß er bei dieser
Aquisition einem speziellen Wunsche seines
königlichen Herrn entsprach. Philipp hatte
noch als Prinz Vorliebe für griechische Hand¬
schriften gezeigt und einen gewissen Jacobus
Diassorinus, einen geschickten griechischen
Kopisten, mit der Herstellung verschiedener
Manuskripte betraut die, mit Miniaturen zier¬
lich ausgeschmückt, heute noch im Eskorial
vorhanden sind. Ebenso wertvoll waren einige
Erwerbungen, die Montano in zwei nieder¬
ländischen Örtchen, in Breda und Hoogstraeten,
machte. Die Listen der äußerst kostbaren
zum Teile mit prächtigen Illustrationen ge¬
schmückten Handschriften, die Montano —
wie aus seiner Korrespondenz hervorgeht —
nach Spanien zu senden versprach, waren
seit geraumer Zeit bekannt. Aber auch Gachard,
der das Urkundenmaterial genau kannte und
im Eskorial selbst die einschlägigen Unter¬
suchungen pflog, vermochte nicht zu sagen,
ob die versprochene Sendung wirklich erfolgte.
Unser Inventar gibt nun die entscheidende,
bejahende Antwort Die in Montanos Liste
erwähnten Handschriften finden sich hier fast
sämtlich verzeichnet Bemerkenswert ist aller¬
dings, daß sich keines dieser Manuskripte heute
mehr im Eskorial befindet, ein Umstand, auf
den wir noch zu sprechen kommen werden.
Einen weiteren bedeutenden Zuwachs erfuhr
die Bibliothek im Jahre 1570. Zwei Namen,
die uns bereits bekannt sind, treten hier auf
den Plan. Juan Päez, dessen erster Entwurf
betreffs der Bibliotheksgründung skizziert wurde,
war gestorben und Philipp D. verfügte sofort,
daß dessen Büchersammlung, deren Reichtum
und Wert bekannt war, von zuständiger Seite
in Augenschein genommen und inventarisiert
werde. Auf Grund dieses Inventares hätte
man die Werke auszuwählen, deren Erwerb
für den Eskorial wünschenswert wäre. Zur Aus¬
führung einer solchenMission erschien demKönige
niemand geeigneter als Ambrosio de Morales.
In der Tat hatte sich der König nicht ge¬
täuscht. Der Gelehrte hebt in dem Berichte
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Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
197
über seine Mission zunächst hervor, daß die
Bücher des verstorbenen Dr. Päez sehr wert¬
volle Handschriften, nicht bloß lateinischer,
sondern auch griechischer und arabischer
Werke enthalten. Er würde den Erwerb der¬
selben für den Eskorial mit Freude begrüßen.
„Ich höre allerdings manchmal die Behaup¬
tung, daß solche Handschriften in Kloster¬
bibliotheken nichts anderes seien als Kuriosi¬
täten. Das ist aber nicht richtig. Es ist
meine Überzeugung, daß solche Bücher auch
in der Klosterbibliothek des Eskorial ihren
rechtmäßigen Platz haben, denn die Bücherei
des Real Monasterio muß auf der gleichen
Höhe stehen wie alle anderen Einrichtungen,
die sich in ihr finden. Daher haben die
Bücher, die Se. Majestät ihr zuwenden will, in
ihr auch eine würdige Stätte." Dieses Gut¬
achten, das bezeichnend ist für die Intentionen,
welche bei der Zusammenstellung der Biblio¬
thek als maßgebend angesehen wurden, fand
volle Berücksichtigung; in der Tat finden wir
die Bücher der Bibliothek Päez — soweit sie
uns bekannt geworden — in unserem Eskorial-
inventare wieder.
Ambrosio de Morales hatte, wie wir sehen,
wiederholt Gelegenheit gehabt, seine ausge¬
breiteten Kenntnisse bei der Bibliotheksschöp¬
fung zu betätigen und hierbei besonderes Ver¬
ständnis bewiesen. Dieser Umstand ließ ihn
auch als die geeignetste Person erscheinen,
eine systematisch angelegte Erwerbungsmission,
die sich auf Klöster und Kirchen Nordspaniens
erstrecken sollte, zu übernehmen. Die Ergeb¬
nisse seiner Reise sollten die Lücken ergänzen,
welche die früheren Erwerbungen — fast aus¬
schließlich Gelegenheitskäufe — offengelassen
hatten. Im Mai des Jahres 1572 trat Ambrosio
de Morales seine Reise an, bei der er eine
eingehende, in einem königlichen Handschreiben
niedergelegte Instruktion im Auge behalten
sollte. Das Forschungsgebiet hatten Leön,
Galizien und Asturien zu bilden. Sowohl
Handschriften wie auch alte Druckwerke „be¬
sonders die seltenen und kostbaren, die sich
in den Kirchen und Klöstern jener Gebiete
finden", seien eingehend zu untersuchen und
hierüber sei dem Könige ein detaillierter Be¬
richt zu erstatten. Der Reisebericht des ge¬
lehrten Morales ist im Druck veröffentlicht
worden; auch die Ergebnisse der Mission, das
heißt, die auf Grund des Berichtes von Philipp
für den Eskorial erworbenen Handschriften
der von Morales besuchten Klöster, lassen
sich mit urkundlicher Treue in dem Schenkungs¬
verzeichnisse wenigstens zum Teile feststellen.
Unmittelbar an diese umfassende Erwerbungs¬
mission schließt sich noch ein spezieller Auf¬
trag, welcher die Bibliothek des im Jahre 1573
verstorbenen Bischofs von Plasencia, des
Generalinquisitors Pedro Ponce de Leon be¬
traf. Auch von dieser an Werken Isidors v.
Sevilla, Konzilienhandschriften und historischen
Manuskripten reichen Bibliothek lassen sich
eine Reihe von Stücken im Inventare erkennen.
Allerdings sind die bezüglichen Forschungen
noch nicht abgeschlossen, da das handschrift¬
liche Verzeichnis der Bücher Ponces noch
nicht allgemein zugänglich gemacht worden ist
Der Einverleibung anderer, namentlich an
griechischen Handschriften reicher Bücher¬
sammlungen, so der von Matteo und Marco
Dandolo, Francesco Patrizzi u. a., sei hier nur
kurz mit der Bemerkung gedacht, daß auch
diese Erwerbungen für den Eskorial im Inven¬
tare von 1576 genau verzeichnet zu finden
sind.
Prüft man die zur Gründung der Eskorial-
bibliothek getroffenen Maßnahmen, Ankäufe,
Forschungsreisen und hält man das zum ersten
Male zugänglich gemachte Inventar der Hand¬
schriftenschenkung daneben, so sind die wich¬
tigsten Hilfsmittel geboten, um die Bibliotheks¬
schöpfung auf zuverlässiger Grundlage zu be¬
urteilen.
Wir sahen bereits, daß von einer spanischen
Kronbibliothek im Mittelalter nicht gesprochen
werden kann. Der mächtige Bücherapparat,
mit dem Alfons X. gearbeitet hatte, und über
den auch manche seiner Nachfolger verfügten,
war in späterer Zeit zerstreut worden. Die
erste königliche Bibliothek, über die wir ganz
bestimmte, urkundliche Nachrichten besitzen,
ist die Isabellas der Katholischen. Doch diese
kommt im vorliegenden Falle deswegen nicht
in Betracht, weil sie geraume Zeit (bis gegen
Ende des XVI. Jahrhunderts) in dem ADcazar
de Segovia unbeachtet und unbenützt aufbe¬
wahrt worden war. Was nun die Bücherei
Karl V. anlangt, so wissen wir ganz bestimmt,
daß er prächtige Bücherschätze nach Spanien
brachte, die zum Teile in Simancas, zum
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Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
I98
Teile in Yuste aufbewahrt wurden. Genaue zutraute, diese Beobachtungen richtig verwerten
Inventare über diesen Besitz sind vorhanden, zu können. In demselben Jahre noch (1543)
harren jedoch noch der vollständigen Ver- ging Prinz Philipp seine erste Ehe ein und
öffentlichung. Karl V. ließ es beim bloßen war nach zwei Jahren schon Witwer; die
Besitz von Büchern nicht bewenden; es ist wichtigsten Fragen, die sein Haus und die
eine urkundlich bezeugte Tatsache, daß er Weltpolitik betrafen, mußten ihn so sehr be-
emste Studien betrieb, so namentlich auf schäftigen, daß von einem wissenschaftlichen
astronomischem Gebiete — ja er entschloß sich Studium kaum die Rede sein konnte. Von
in seinen letzten Lebensjahren zu ernster lite- diesem Gesichtspunkte aus, mein* ich, muß
rarischer Tätigkeit, von der noch die Rede auch die Bibliotheksgründung betrachtet werden,
sein wird. Zweifelhaft ist, ob er je den Ge- Sie stellt sich etwa der durch Philipp voll¬
danken faßte, die weitverstreuten Bestandteile zogenen Ausgestaltung des Reichsarchivs zu
seines Bücherbesitzes zu sammeln und eine Simancas und anderen im Dienste des wissen-
Kronbibliothek zu gründen. schaftlichen Großbetriebes ausgefiihrten Unter-
Ein solches Projekt blieb seinem Sohne nehmungen zur Seite: sie war eine Einrichtung,
Vorbehalten. Daß dieser persönlich wissen- die allgemeinen geistigen Interessen diente,
schädliche oder literarische Studien betrieben Nur so erklärt sich die universelle Bedeutung,
hätte, läßt sich nicht erweisen. Es ist dies welche die Bibliothek ihrer Zusammensetzung
ein Punkt, der bei Beurteilung der von Philipp nach besitzt. Es war keine Konvents-Biblio-
vorgenommenen Bibliotheksgründung erwogen thek, nicht im Sinne des Mittelalters, nicht im
werden muß. Wir wissen, daß Philipp in Sinne der Renaissance, und es mochte auch
seiner Jugendzeit das Lateinische ziemlich be- in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts
herrschte, dagegen waren seine Kenntnisse im noch als etwas Groteskes angesehen werden,
Italienischen und Französischen mangelhaft. Klosterbrüdern eine wohlgeordnete Reihe von
Die Studienbibliothek des Prinzen ist genau arabischen, persischen und — chinesischen
bekannt; sie bestand vorzüglich aus Druck- Büchern zu schenken. Was Philipp im Sinne
werken — ein Zurückgehen auf die Text- hatte, war die Gründung einer Reichsbibliothek,
quellen, Anfänge zur Sammlung von Hand- und zwar — das ist ja in dem Gutachten des Am¬
schriften, lassen sich auf Grund des erhaltenen brosio de Morales ausdrücklich hervorgehoben
Verzeichnisses noch nicht feststellen. Dieser — zu Nutz und Frommen der Wissenschaft im
Umstand einerseits, andrerseits die Erziehung weitesten Sinne, den dieser Begriff umspannt
und Ausbildung Philipps, über die wir ziemlich Die Bibliothek ist die Schöpfung eines Staats¬
gut unterrichtet sind, lassen die Intentionen, die mannes, nicht eines direkt an der Wissenschaft
ihn später bei der Gründung der königlichen Interessierten. Man könnte nun annehmen,
Bibliothek leiteten, ziemlich klar erkennen. daß der König sich begnügte, diese oder jene
Als sechszehnjähriger Jüngling, also in einem Erwerbung zu ratifizieren, unter den einen oder
Alter, das gemeiniglich dem Studium gewidmet den anderen Ankaufsakt seine Unterschrift zu
ist, war er bereits Reichsverweser in den spa- setzen, die Gesamtanlage der Bibliothek jedoch
nischen Landen. Mit Rücksicht auf eine In- seinen Ratgebern und Helfern zu überlassen,
struktion, welche sein in politischen Dingen Diese Annahme entspräche aber nicht den
so weit blickender Vater dem jugendlichen Tatsachen. Wenn zu irgend einer Zeit und in
Prinzen zurückließ, bemerkt Maurenbrecher irgend einem Staate alle Fäden in der Hand
sehr zutreffend: es sei für des Sechszehn- des Monarchen vereinigt waren, so war dies
jährigen geistige und politische Fähigkeiten in Spanien unter Philipp II. der Fall,
ein schwer wiegendes Zeugnis, daß Karl ihm [Ein «weiter Artikel folgt-]
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Die Bibliothek der Marquise von Pompadour.
Von
Max Harrwitz in Berlin.
HTMls vor einigen Wochen eine Notiz des
Pariser Blattes „Gil Blas“ durch einige
HESkn deutsche Zeitungen ging, daß ein Ka-
wMBkM talog der Bibliothek der Marquise
de Pompadour vor kurzem in Paris „unter
einem Haufen verstaubter Bücher“ aufgefunden
wurde und wegen seiner Seltenheit und hohen
Interesses dem historischen Museum der Stadt Paris,
dem Mus£e Camavalet, geschenkt worden sei,
wobei besonders die in dem Exemplar vorhan¬
denen handschriftlichen Preisnotierungen hervor¬
gehoben wurden, da griff ich zu dem in meinem
Besitz befindlichen Exemplar dieses Kataloges
aus dem Jahre 1765, um die Preisangaben zu ver¬
gleichen. Denn auch mein Exemplar besitzt den
Vorzug der mit Tinte am Rande beigefügten Er¬
stehungspreise. Ich stellte nur unwesentliche Diffe¬
renzen fest, die beweisen, daß es sich um Preis¬
notierungen seitens verschiedener Katalogbesitzer
und nicht etwa der Auktionsfirma handelt
Bei dieser Gelegenheit machte ich die erneute
Beobachtung, daß der für seine Zeit vorzüglich
durchgearbeitete Auktionskatalog in mehrfacher
Beziehung unsere Aufmerksamkeit verdient
Wer hätte der einstigen Fleischerstochter und
späteren berüchtigten Maitresse Ludwigs XV. ein
so vielseitiges literarisches Interesse zugetraut?
Dieser „ Catalogue des livres de la bibliotheque de
feite Madame la Marquise de Pompadour, Dame
du Palais de la Peine“, welcher „chez Jean
Th. Herissant, Imprimeur du Cabinet du Roi, Maison
et Bätimens de Sa Majest£ et Jean Thomas Heris¬
sant fils, Libraire, meme maison“, im Jahre 1765,
also in dem Jahre nach dem Tode der Besitzerin, die
am 15. April 1764 starb, erschienen ist, verzeichnet
auf 403 Seiten 3525 Bücher, 235 Musikalien und
36 Kupferstichwerke. Dieselben sind in 7 Haupt-
abteüungen eingeteüt, nämlich in: Theologie, Juris-
prudence, Sciences et Arts, Belles-Lettres, Histoire,
Musique und Estampes. Diese Hauptteüe zerfallen
ihrerseits in zahlreiche Unterabteüungen, z. B.
Theologie in 8, die im ganzen 84 Nummern auf-
fiihren, Sciences et Arts in 4 und zwar: Phüosophie,
Medecine, Math£matique und Arts, die jedoch
jede wiederum unter sich in Abteilungen syste¬
matisch eingeteilt sind, z. B. Medecine in: Medecins
anciens, Medecins modernes und Anatomie et
Chirurgie. Mathematiques ist in 6 Teile zergliedert,
wobei neben Mechanique et Optique auch die
Musique (nur Bücher über Musik) erwähnt seien.
Unter Arts ist auch „Art militaire etc.“ registriert
Der Schwerpunkt der Sammlung sind natürlich die
,,Beiles Lettres“ einerseits und die „Histoire“, welche
darauf folgt Erstere teilt sich in Grammaires,
Rh£torique, Po£tique, Mythologie, Romans usw.,
die wiederum in vielerlei Rubriken nach Sprachen
usw. eingeteüt sind. Da fehlt es nicht an Portes
grecs sowie latins, italiens, espagnols, anglais und
anderen. Die „Portes Allemands etc.“, welche uns
besonders interessieren könnten, umfassen aller¬
dings nur die No. 1440 bis 45 und bestehen aus
Haller (2 mal), Fables et Contes, avec un discours
sur la Litterature Allemande, ferner Lichtwehrs
Fabeln, Gessners Le premier Matin und Holberg,
und alle diese sind obendrein nur in französischer
Übersetzung vertreten. Desto großartiger sind die
französischen Poeten vorhanden, die von No. 611
bis 1280 reichen und, nach Regierungszeiten
geordnet, obendrein zahlreiche sehr umfangreiche
Sammelbände unter einer Nummer vereinigt ent¬
halten. Bei näherer Durchsicht entdeckt man
namentlich hier große Seltenheiten, viele Früh¬
drucke, die kaum heutzutage noch Vorkommen; sie
gingen damals bündelweise für einige Sols weg.
Auf die Preise werde ich später noch zu sprechen
kommen.
Eigenartig ist die Einteüung der Romane,
nämlich: Anciens Romans grecs et latins; Romans
d'amour, de chevalerie, h£roTques, moraux et poli-
tiques, satyriques, comiques (fac£ties); Contes des
fees et merveilleux; voyages imaginaires etc. In
der Geschichtsabteilung ist die Geographie, Heral¬
dik, „Antiquit£s (Medailles, Descriptions d'anciens
Monuments etc.)“ einbegriffen.
Die „Histoire sacr£e“ geht von No. 2455 bis
2511 und verzeichnet fast nur umfangreiche, zum
Teü vielbändige Werke. Die „Histoire profane“
teüt sich in Histoire ancienne und moderne, welche
ihrerseits sich gliedern in 7 resp. 3 Unterabtei¬
lungen. Die Histoire de France, die in eine
ganze Reihe von Kapiteln zerfällt, umfaßt allein
449 Nummern und die Histoire etrang£re 262
Nummern. Unter letzteren findet sich Allemagne
mit No. 3084 bis 3108 vertreten, alle in französischer,
italienischer und lateinischer Sprache; über Italien
und über England enthielt die Bibliothek mehr.
Jedoch findet man 4 Bücher über Preußen, weiter¬
hin unter „Histoire des pays du nord“ apart ver¬
zeichnet neben Schweden, Dänemark, Polen, Ungarn
und Rußland.
Sehr wertvolle Werke sind unter der Über¬
schrift „Histoire litteraire, academique et biblio-
graphique“ vereinigt. Hier ist z. B. unter No. 3386
die Histoire et Memoires de PAcademie Royale
des Sciences von Beginn an (1666) bis 1740 ge¬
nannt, welche laut Beischrift mit 900 Livres 2 Sols
bezahlt wurde; hier ist ferner unter No. 3404
die „Collection complette du Mercure Galant
et de France“, von 1672 bis 1764, die 600
Livres brachte, ferner zahlreiche Zeitschriftenreihen,
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200
Harrwitz, Die Bibliothek der Marquise von Pompadour.
bibliographische Werke, Bibliothekskataloge usw.
Es folgen Biographien und Extraits historiques,
darunter Bayles Dictionnaire historique et critique,
4 Folianten von 1720, ein Werk, das bekanntlich
der Schrecken unserer heutigen Antiquare darstellt,
da seine Geringwertigkeit nicht im rechten Ver¬
hältnis zu seiner unbescheidenen Raumforderung
steht; damals brachte es 180 Livres! Den Schluß
bilden, wie oben erwähnt, zahlreiche Musikalien,
dabei viele Opern, und als letzte Abteilung die
„Estampes**, die mit dem „Cabinet du Roi“ be¬
ginnen, einem Werke, das aus 24 Folianten besteht
und nach den näheren Angaben ein Sammelwerk
aus Katalogen, Plänen, Ansichten usw. gewesen
zu sein scheint, wofür 912 Livres 2 Sols bezahlt
wurde. Die „Estampes* 4 verzeichnen viele wertvolle
Gallerie- und Kupferstichwerke.
Dem interessanten Katalog ist eine ausführ¬
liche Table des Auteurs beigegeben, die sich in¬
sofern als praktisch erweist, als hinter jedem Schrift-
stellemamen die einzelnen Büchertitel mit Angabe
der Katalognummer verzeichnet sind. Außerdem
erleichtern zahlreiche Hinweise, und zwar oft recht
notwendige, den Gebrauch dieses Registers. Bei¬
spielsweise wird von de Moli&re auf Pocquelin,
von de Mirabeau auf Riquetti verwiesen, von Sans-
Soucy auf Fr£deric, von de la Serre auf Puge usw.
fort, unentbehrliche Verweisungen also. Zu diesem
Autorenregister tritt noch ein zweites recht umfang¬
reiches, das diejenigen Schriften alphabetisch ver¬
zeichnet, die anonym erschienen sind.
Was nun die bibliographische Beschreibung der
Werke betrifft, so ist sie natürlich eine höchst
primitive. Lediglich der abgekürzte Titel mit
Angabe des Autors, des Übersetzers, Ort und Jahr,
Anzahl der Bände und Format finden sich überall
notiert. Hierzu kommen noch fast immer der
Namen des Verlegers oder Druckers, Einbände,
Hervorhebung bei Ausgaben auf großem Papier
und bei einzelnen Exemplaren noch die Angabe
„lave“, „regle**, welche durch die Buchstaben
/ resp. r gegeben wird. Neben diesen Abkürzungen
werden laut Erklärung am Schluß auch „gr. pap.**
(=* grand papier), pap. imp. (= papier imperial),
p. £ (= petit format), mar. r. (= maroquin rouge),
mar. bl. («*= maroquin bleu), mar. cit (= maroquin
citron), v. (= veau), v. f. («= veau fauve), v. 6 c.
(= veau 6caille), d. s. tr. («= dore sur tranche),
T. (= Tragödie), C. (=» Comödie), O. (= Opera),
B. (= Ballet), P. (= Pastorale), I. (■= Italienne),
H. (= HeroYque) benutzt Seitenzahlen, Andeu¬
tungen über Seltenheit usw. fehlen vollständig, von
sonstigen Erklärungen ganz zu schweigen. Im
Gegenteil finden sich Zusätze wie „et autres piöces**.
Nur über Mängel findet sich bei hervorragenden
Stücken hin und wieder vermerkt: „Le frontispiöce
manque** oder „Le premier feuillet rötabli ä la
main“ und ähnliche vereinzelte Notizen.
Recht interessant ist, wie bereits angedeutet,
ein Vergleich der damals erzielten Preise mit den
heutigen Preisnotierungen, wozu ein derartiges
Exemplar eines so seltenen und interessanten
Auktionskataloges geradezu anreizt Es werden nicht
viele Verzeichnisse von Bücherversteigerungen mit
gewissenhaft geführter Preisliste aus so früher Zeit
erhalten sein; im Handel kommen sie wenigstens
nicht häufig vor.
Bei Preisvergleichen darf man natürlich das
stete Sinken des Geldwertes nicht außer acht
lassen. Immerhin imponieren Preisdifferenzen, wie
beispielsweise die frühen Moliöre-Drucke von
1661—76 (Paris bei Barbin, Ribou, Quinet und
Trabouillet), die damals in einer Kollektion von
24 Stück nur 6 Livres 19 Sols, also ca. 7 Francs
(1 Livre ä 20 Sols entspricht ungefähr 1 Franc)
brachten, aber heut wohl mit ca. eintausend Francs
bewertet würden. Das Exemplar des unlängst auf¬
gefundenen Auktionskataloges gibt 6 Livres 20 Sols
als Zuschlagspreis an. Vergleichshalber sei erwähnt,
daß bald nach Molares Frühausgaben das „Thö-
ätre de Dorimond**, Paris bei Ribou 1661, 2 Duo¬
dezbände, mit 12 Livres, also fast dem doppelten
Preis bezahlt wurden. Das Pariser Auktionsver¬
zeichnis gibt 10 Livres an. Hingegen brachte eine
neuere Moliöre-Ausgabe (Paris, Prault, 1734, in
6 Quartbänden auf großem Papier, die Summe von
79 Livres und andere Duodezausgaben (Paris 1739*
8 Bände) 20 Livres und (Amsterdam 1744,4 Bände)
16 Livres 19 Sols, woraus genugsam hervorgeht,
daß frühe Drucke Molares nicht geschätzt waren;
sie brachten nicht soviel als andere Dramatiker
derselben Zeit und derselben Verleger.
Unter No. 1014 findet sich eine Ausgabe des
Racine auf großem Papier, 3 Quartbände, Paris
bei David 1763. Dieselbe ist mit folgender Note
versehen: „H n’y a qu’un pareil Exemplaire sur
papier de Hollande, lequel est dans la Bibliothöque
de M. le Duc de Choiseul.“ Diese Ausgabe wurde
mit 75 Livres bezahlt, während die seltenen Pariser
ersten Drucke von 1664—91 in Duodez und Quart
als Kollektion von 14 Stück nur 6 Livres 2 Sols
und die Elze vier-Ausgabe von 1678 in 2 Bänden
nur 9 Livres 1 Sol ergaben. Unter No. 645
wurde „L’Eperon de Discipline“ von Ant du Saix,
1532, 4 t0 mit 5 Livres 1 Sol bezahlt; eben dieses
Exemplar, mit dem Wappen der Marquise de Pom¬
padour geschmückt, erzielte im H6tel Drouöt vor
einiger Zeit 890 Francs.
Überhaupt brachten die wenigen Werke des
XVL Jahrhunderts verhältnismäßig geringe Preise,
so z. B. No. 637 Octavien de S. Gelais et Blaise
d’Avriol, La chasse et le döpart d’amours, Paris 1509,
fol, nur 9 Livres, No. 638—41 Werke von Jehan
Bouchet aus den Jahren 1531, 1533 und 1536
nur 4 Livres 1 Sol; 9 Livres 1 Sol; 13 Livres
und 6 Livres 5 Sols: Kostbarkeiten, die heute in
Paris einen heißen Kampf im Hotel Drouöt er¬
regen würden. Die Oeuvres de Marot (No. 649),
La Haye 1731, brachten hingegen (auf großem
Papier) 60 Livres 19 Sols. Was würde wohl heut
die No. 622 erzielen, die „Le Roman de la Rose,
en vers, commence par Guill. de Lorris et achevö
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Harrwitz, Die Bibliothek der Marquise von Pompadour.
201
par Clopinet dit de Meun“ verzeichnet als Manu¬
skript auf Pergament, 163 Blatt, „avec figures en
miniatures et cadres historiques et allegoriques
(gr. in-4 0 . Maroquin citron)? Damals fand es für
84 Livres einen neuen Besitzer, während die wert¬
volle gedruckte Ausgabe von 1538, 2 Bände 8°.
mit handschriftlichen Notizen ganze 5 Livres
19 Sols ergab.
Überblicken wir die Preisnotierungen, nach
höheren Resultaten suchend, so finden wir im all¬
gemeinen alte Bekannte. Da ist Buflfon et d'Auben-
tons Histoire naturelle, Paris 1749, 9 Quartbände
und Supplement, Höchstpreis 128 Livres 19 Sols;
Catesbue, Histoire naturelle de la Caroline, de la
Floride et des isles de Bahama, vom Jahre 1731—54,
2 Bände in folio: 391 Livres 12 Sols; andere
Naturgeschichten wie Albin-Derthams Oiseaux 1750:
154 Livres, und Merians Insectes 270 Livres, aller¬
dings alle in hervorragenden, kolorierten Exem¬
plaren. Diderot und d’Alemberts Encyclopaedie
brachte es sogar auf 560 Livres 3 Sols; sie war
noch im Erscheinen und der Ersteher erhielt die
Fortsetzung nach Erscheinen geliefert. Auch das
bekannte Blondelsche Architekturwerk
erreichte 178 Livres 19 Sols.
Fernerhin finden sich notiert: unter
No. 583 ein Ovid, traduit par Banier,
figures par Picart, Amsterdam, Wetstein,
1732, 2 volumes in-fol., grand pap.,
mar. v. mit 151 Livres; No. 1313
Tasso, Florenz 1724, 6 Folianten: 90
Livres 19 Sols, und No. 1314 derselbe
mit den Bildern von Gian B. Piazetta,
Venedig 1745, in-fol. gr. pap. mar. d
compartim. avec fig. color. en minia¬
tures: 480 Livres, anscheinend ein
Hauptstück der Sammlung nach da¬
maliger Anschauung. Ein Amadis de
Gaule (No. 1628), Paris 1560 et suiv.,
24 volumes, dont douzeprem. in-8°,
les 13 —21 in-16 0 et les 21 — 24 in-8°,
kostete dagegen nur 120 Livres, und Le
Roman des Romans von du Verdier,
Paris 1626 et suiv., 7 Bände in 14
gebunden (No. 1635) mit der voran¬
gehenden Nummer, die keinen Inter¬
essenten fand, (Histoire de Don Belianis
de Grece, traduit... 1625) zusammen
144 Livres.
Sodann wurde die französische Aus¬
gabe des Dekameron von Boccaccio,
vom Jahre 1757, 5 Bände in Oktav, mit
den Gravelotschen Kupfern (No. 2021
des Kataloges): gr. pap., mar. verd,
lav. regl., prem. 6preuves, bis auf
160 Livres gesteigert Die bekannte
Genfer Ausgabe des Voltaire in 20
Oktavbänden vom Jahre 175 7 erzielte 72
Livres (No. 2282), während an anderer
Stelle des Kataloges, nämlich unter
No. 1122 eine Sammlung von sehr
Z. f. B. 1904/1905*
frühen Einzeldrucken dieses Autors, beginnend
mit Oedipe 1719, und Schriften über Voltaire aus
dieser Zeit, zusammengefaßt als Theätre de M.
Arrouet de Voltaire, im ganzen 40 Piecen, dar¬
unter viele Seltenheiten, nur 42 Livres erreichten.
Umfangreiche Werke brachten höhere Beträge, so
das Dictionnaire geographique von Bruzen de la
Martini£re 1726, n Folianten: 100 Livres 10
Sols; der große Atlas, Amsterdam, Blaeu, 1663, in
13 Foliobänden, obwohl Band 1 fehlte: 148 Livres
19 Sols; die Gallerie agreable du monde, ein
Kartenwerk von 66 Teilen in 35 Folios gebunden,
452 Livres 19 Sols. Auch Zeitungsreihen, wie die
No. 2452: Gazette de France, beginnend mit
Dezember 1631, 122 Quartbände, und No. 2453:
Gazettes de Hollande, 1691—1762, 72 Quartbände,
wurden schon damals als wertvoll erkannt und
mit 300 resp. 100 Livres bezahlt
Bei No. 2468: Cereraonies et coutumes religieuses
des Peuples du monde, avec figures par Picart,
9 Foliobände, hat der Druckfehlerteufel sein Spiel
getrieben, indem die Ausgaben als in Amsterdam,
Bemard, 1769 gedruckt aufgeführt wird. Hier ist
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202
Hamvitz, Die Bibliothek der Marquise von Pompadour.
natürlich die weniger gute Ausgabe vom Jahre 1739
gemeint; sie brachte zusammen mit den unter
2469 verzeichneten und dazugehörigen Superstitions
679 Livres 19 Sols, vermutlich, weil es sich um
ein Exemplar auf grobem Papier handelte. Das¬
selbe gibt von der Histoire de France par P£re
Daniel, nouvelle Edition augmentee, Paris 1755,
17 Quartbände, ebenfalls grand papier, die
256 Livres erreichte, und den Memoires de Conde,
6 Quartbände vom Jahre 1743.» die auf grobem
Papier 149 Livres 19 Sols ergaben. Diese Wert¬
schätzung der Ausgaben „grand papier“ kommt
natürlich bei den Kupferstichwerken besonders zur
Geltung und so hat der Preis von 440 Livres
3 Sols für die Trofei di Octaviano Augusto 1753
zusammen mit den Vedute di Roma nichts Auf¬
fälliges, ebenso wie derjenige von 300 Livres für
die Gallerie de Versailles 1752.
Viel interessanter sind natürlich wirkliche Selten¬
heiten und Unica. So findet sich unter No. 2266
Folgendes verzeichnet: „Recueil de differentes
choses, Ouvrage plus connu sous le nom de Me¬
moires du Marquis de Lassay, commen^ant vers
l’an 1663 et finissant au mois d’Octobre 1726
(Imprime au Chateau de Lassay le 15. Juin 1727)“
in -4 0 mar. r. Es brachte nur 40 Francs, obwohl
diese Ausgabe in wenigen Exemplaren hergestellt
und sehr selten ist. Die No. 2907 führt Mem.
du Marquis de Dangeau ou Journal de la Cour
de Louis XIV. auf, commen9. en 1684 et finissant
en 1720, ein Manuskript, bestehend aus 58 Quart¬
bänden; hierfür wurde der Höchstpreis von
800 Francs gegeben. Es fehlte jedoch auch nicht
an Nummern, die nichts oder fast nichts ergaben,
also keinen Liebhaber fanden. Das Theätre de
Bandeau de Somaise: 3 Duodezbändchen von 1660,
brachten zusammen 1 Sol, also 5 Centimes; ganze
Pakete von derartigen kleinen Theaterstücken aus
dem XVII. Jahrhundert gingen gemeinsam fiir
3—5 Livres fort; sie waren einfach nach dem
Anfangsbuchstaben des Titels zusammengeordnet.
Zahllose Seltenheiten fanden hierbei keine Beach¬
tung. Aber auch das „rien“ oder „sans prix“
findet sich hin und wieder notiert, so z. B. bei
No. 1945 fiir „Les quinze Joies de mariage, par
Fran9. de Rosset, Paris 1620 in-12 0 “, und sogar
die Nummern i960—63 zusammengefabt, darunter
Werke von Crebillon le fils und d’Argens’ Nonnes
galantes, erhielten kein Gebot.
Diese Zusammenfassung von Nummern, wie sie
auch heut bei Bücherversteigerungen üblich ist,
findet sich an verschiedenen Stellen des Kataloges.
Doch auch die Versteigerung ausser der Reihenfolge,
die auf Wunsch eines Reflektanten häufig erfolgt
und einem anderen, nach der Nummernfolge des
Kataloges rechtzeitig und dennoch zu spät ein¬
treffenden Reflektanten dadurch entgeht, war be¬
reits damals Unsitte. So ist z. B. vermerkt, dab
No. 2512 mit No. 461 zusammen verkauft wurden.
Die Handhabung der Versteigerung befindet
sich übrigens noch in den Anfängen. Zwar geht
aus der Einleitung hervor, dab die Auktion durch
Plakate angezeigt werden wird, sowie „POrdre des
Vacations, par les Listes que Pon distribuera chaque
Semaine“, aber es ist doch praktischer, wie jetzt
üblich, wenn die Angabe der Nummern mit Nennung
des Tages im Katalog enthalten ist In diesem
Vorwort wird bereits auf die Bedeutung der Samm¬
lung und auf einzelne Fächer besonders hinge¬
wiesen. „La collection des Romans est encore
tr£s-considerable; et ceux qui ont dans ce genre
le goüt des Exemplaires rares et curieux, trouveront
ä le satisfaire. L'Histoire foumit aussi plusieurs
divisions assez abondantes, telles que celles de
l’Histoire de France et de PHistoire Litt£raire.
Dans celle-ci, le Recueü des Mercures est un des
plus complets et des plus riches en extraordinaire
qu'ü y ait peut-etre en Europe ....“ usw. Es wird
dann noch einiges über andere Gebiete gesagt,
die Erhaltung und Einbände gerühmt und auf die
Register gebührend aufmerksam gemacht Über
die Besitzerin wird mit Stillschweigen hinweg¬
gegangen; nur die Beifügung „Dame du Palais
de la Reine“ auf dem Titel macht auf den Namen
der früheren Besitzerin aufmerksam. Aus der Ein¬
leitung ist noch erwähnenswert, dab den Grundstock
der Sammlung das Cabinet des verstorbenen Herrn
von Beauchamps, Auteur des Recherches sur le
Theätre de France, bildet, wodurch sich die Reich¬
haltigkeit der Abteilung Theater erklärt
Zum Schlub noch eine Beobachtung eigener
Art Die Erfindung der „extra illustrierten“ Werke,
die sich neuerdings bekanntlich in Amerika zu
einem wahren Sport ausgebildet hat, war bereits in
den Tagen der Pompadour nichts neues. Unter
No. 2848 steht verzeichnet: Les glorieuses Con-
quetes de Louis le Grand, avec des Plans .. par
Seb. de Pontault, Seigneur de Beaulieu, Paris
1680, 4 Foliobände „On y a joint une grande
quantite de Portraits de Nanteuil“, also eine Extra-
Illustrierung par excellence. Das Werk brachte
230 Livres 2 Sols, wurde demnach extra hoch
bezahlt.
Leider findet sich bei allen Preisnotierungen
nirgends der Name des Erstehers genannt Nur
einmal fand ich bei der No. 404, die mit 27 Livres
bezahlt wurde, die Andeutung M. d. La. dabei
geschrieben. Sollte dies vielleicht zugleich der
Bibliophile gewesen sein, dem der Katalog gehörte
und der die sorgfältige Notierung der Preise durch¬
geführt hat. Ein unermüdlicher Bücherfreund ist
er jedenfalls gewesen, da er vom ersten bis zum
letzten Tage aushielt Nur die Addition der
Auktionspreise war ihm doch eine zu langweilige
Tätigkeit, obwohl es ihn lebhaft interessierte, zu
wissen, was die Bibliothek einbrachte. Die ersten
Seiten sind von ihm sorgfältig addiert; es hatten
die ersten unbedeutenden 120 Nummern bereits
2032 Livres 14 Sols nach seiner Rechnung ergeben.
Auch mir würde es Spab machen, zu erfahren,
welche Gesamtsumme einkam; ich kann ihm sein
Interesse nachempfinden. Begnügen wir uns mit der
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von Schleinitz, Ein neu veröffentlichter Gesang zu Byrons „Don Juan“.
203
Gewißheit, daß der Erlös ein beträchtlicher gewesen
ist für eine Bibliothek, für die heute freilich viele
Hunderttausend Francs zu erzielen wären. Nach
dem „Releve des d£penses de Mad. de Pompadour“,
veröffentlicht durch Le Roi, hat die Besitzerin selbst
dafür nur 12,500 Francs ausgegeben, während sie für
Flitterkram 1,300,000 Francs, für Küche und Keller
3,504,800 Francs, für Komödien und Feste
4,000,000, für Wagen und Pferde 3,000,000 Francs
usw. verbraucht hat Im ganzen soll sie der fran¬
zösischen Nation rund 40 Millionen gekostet haben,
aber nach ihrem eigenen Geständnis hat sie „pen-
dant tout mon regne“ nur 150,000 Francs den
Armen gegeben. Ihr Universalerbe, der Marquis
de Marigny, ihr leiblicher Bruder, hatte sich sehr
beeilt, die Bibliothek zu Geld zu machen, obwohl
er sicherlich als General-Intendant der königlichen
Gebäude und Gärten sein gutes Einkommen
gehabt haben wird. Es ist vielleicht sein einziges
Verdienst, daß er der Wissenschaft und der gebil¬
deten Welt diese aufgespeicherten Bücherschätze
wieder zurückgab.
4P
Ein neu veröffentlichter Gesang zu Byrons „Don Juan“.
Von
Otto von Schleinitz in London.
er sechste Band von Mr. Emest Hartley
Coleridges Ausgabe von Byrons poeti¬
schen Werken (John Murray. London.
6 Schilling) befaßt sich ausschließlich
mit dem „Don Juan“. In der Einleitung bespricht
der Herausgeber die beim Erscheinen des Ge¬
dichtes bekanntlich so außerordentlich verschieden¬
artig gefällten Urteile über das Poem. Das Werk
wurde in folgenden Abschnitten anonym in London
publiziert:
Gesang I und II i. J. 1819 (T. Davison).
„ III, IV und V i. J. 1821 (T. Davison).
„ VI, VH und VIII i. J. 18 2 3 (Hunt & Clarke).
„ IX, X und XI i.J. 1823 (John Hunt).
„ XU, XIII und XIV später i. J. 1823 (J. Hunt).
„ XV und XVI i. J. 1824 (John & H. L. Hunt).
Ein untergeschobener, unechter XVII. Canto kam
1829 und 1838 ein Gesang von 20, nicht von
Byron herrührenden Stanzen, heraus. Das Wichtigste,
was uns die neue Ausgabe bringt, besteht in einem
bisher nicht veröffentlichten und nun zum ersten
Male gedruckten echten XVII. Canto des „Don Juan“.
Der Einfluß Byrons auf die moderne Dichtung
war von welthistorischer Bedeutung. Zu einer Zeit,
da in Europa die Literatur sich überwiegend der
Romantik des Mittelalters zuneigte, trat Lord
Byron als Dichter der Revolution auf, als der
Vertreter der Unzufriedenheit mit dem Bestehen¬
den, und gab allen Klängen des Hohns und
des Hasses, des Zweifels und der Verzweiflung,
allen Disharmonien des Lebens und der Natur
einen so erschütternden und beredten Ausdruck
wie kein anderer Dichter vor ihm. Hinsichtlich
der zeitgenössischen Kritik sind wohl jedenfalls
die Lobspenden Goethes und Walter Scotts die
bedeutendsten und interessantesten für uns. Die
dem Genie Byrons gezollte Bewunderung steigerte
sich durch das Interesse an seiner Persönlichkeit,
in der die Charaktere des „Faust“ und des „Don
Juan“ sich in seltener Weise durchdrangen und
deren Spiegelbild man in beiden Dichtungen
wiederfand.
Das Manuskript des neu veröffentlichten XVIL
Don Juan-Gesanges wurde seinerzeit bei Trelawny,
in Byrons Gemach in Missolunghi, aufgefunden und
alsdann mit andern Papieren des Dichters dessen
Freunde Hobhouse übergeben. Von diesem gelangte
es an seine Tochter, Lady Dorchester. Byron ver¬
ließ 1809 als weltschmerzlicher Misanthrop London
in Begleitung von Hobhouse, um seine große Reise
nach Portugal, Spanien, Malta, Griechenland und
Kleinasien anzutreten. Er durchschwamm den
Hellespont von Sestos nach Abydos, besuchte Kon¬
stantinopel und Athen und kehrte nach den mannig¬
fachsten Abenteuern 1811 nach England zurück.
Der eigentliche Ursprung und das Fundament
des „Don Juan“ reicht bis zum Jahre 1799 zu¬
rück, d. h. in eine Zeit, als Byron noch in Dalwich
auf der Schule war und dort einen Aufsatz vorlas
über den 1795 stattgehabten Schiffbruch der „Juno“.
Diese Arbeit gestaltete sich nach und nach zu
der berühmten Dichtung aus.
Im XVI. Canto spielt die Geistergeschichte
und die Vision des Dichters, dem der Mönch und
und die Herzogin Fitz-Fulke erscheint. Moore,
Byrons Freund, erzählt uns, daß während eines
Besuches in Newstead im Jahre 1814 Byron
tatsächlich glaubte, den Geist eines Mönches in
der Abtei gesehen zu haben, der dort seit Auf¬
hebung der Klöster umgehen sollte. Byron äußerte
zu dem ungläubigen Thomas Moore: „Manche, die
mit ihren Lippen leugnen, daß Tote wieder auf¬
erstehen können, bekennen es dennoch durch ihre
Furcht . . .“ und läßt die schöne Adeline in Be¬
ziehung auf den Geist des Mönches singen:
„And expell’d the friars, one friar still“
„Would not be driven away“
„Though he is not seen by day“
„He stül retains his sway“
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204
von Schleinitz, Ein neu veröffentlichter Gesang zu Byrons „Don Juan“.
Die beiden achtzeiligen Stanzen des XVI. Canto,
an den sich dann der XVIL anreiht und jenen
weiter ausspinnt, aber die Situation noch immer
nicht zum Austrag bringt, lauten:
„And Juan, puzzled, but still curious, thrust
His other arm forth — Wonder upon wonder!
It press’d upon a hard but glowing bust,
Which beat as if there was a warm heart under.
He found, as people on most trials must,
That he had made at first a silly blunder,
And that in his confusion he had caught
Only the wall instead of what he sought“
♦
„The ghost, if ghost it were, seem’d a sweet soul
As ever lurk’d beneath a holy hood:
A dimpled chin, a neck of ivory, stole
Forth into something much like flesh and blood;
Back feil the säble frock and dreary cowl
And the reveal’d — alas that e’er they should,
In full, voluptuous but not o’ergrown bulk,
The phantom of her frolic Grace — Fitz Fulke.“
*
Als Byron über die hier waltende laxe Moral zur
Rede gestellt wurde, zitierte er Voltaires Worte:
„La pudeur s’est enfuite des coeurs et s’est refugi^e
sur les lfcvres. Plus les moeurs sont depraves, plus
les expressions deviennent mesurees; on croit
regagner en langage ce qu’on a perdu en vertu.. .“
Der XVÜ. Gesang (den Sigmar Mehring kürz¬
lich recht gut verdeutscht hat) beginnt moralisierend
und endet mit drei Stanzen, die das Verhältnis
Don Juans zur Herzogin behandeln. Über dem
Wohlgefallen erweckt der Dichter ein Gefühl des
Grauen in uns: er ist eben heimisch in allen Ab¬
gründen und Höhen. Wenngleich die Meister¬
schaft in Behandlung des Versbaues im XVL
Canto mehr zutage tritt, so weist doch auch das
neu hinzugefügte Gedicht ebenbürtige Stellen auf.
Die besten hierunter enthält der Vers 9, 10 und
11. Sie lauten folgendermaßen:
„Pythagoras, Locke, Socrates — but pages
Might be filled up, as vainly as before,
With the sad usage of all sorts of sages,
Who in his life time, each, was deemed a Bore!
The loftiest minds outrun their tardy ages:
This they must bear with and, perhaps much more;
The wise man’s sure when he no more can share it, he
Will have a firm Obit on posterity.“
♦
„If such doom waits each intellectual Giant,
We little people in our lesser way;
In Life’s small rubs should surely be more pliant
And so for one will I — as well I may —
Would that I were less bilious — but, oh, fie on’t!
Just as I make my mind up every day,
To be a „totus, teres", Stoic, Sage,
The wind shifts and I fly into a rage.“
*
„Temperate I am — yet never had a temper;
Modest I am — yet with some slight assurance;
Changeable too — yet somehow ,Idem semper 4 :
Patient — but not enamoured of endurance;
Cheerful — but some times rather apt tho whimper:
Mild — but at times a sort of »Herculus furens 4 :
So that I almost think that the same skin
For one without — has two or three within.“
*
Gerade darin liegt die Macht der Byronschen
Poesie, daß man allenthalben, so auch wieder
in diesen Stanzen, den unmittelbaren Eindruck
seines eigenen Seelenzustandes empfindet, daß sein
innerstes Wesen deutlich vorherrscht Byron war
so sehr ein ursprünglicher, subjektiver Dichter,
daß selbst seine große Kunstfertigkeit nur als an¬
geborenes Talent erscheint Im „Don Juan“ treibt
er gewissermaßen Übermut mit diesem. Leider
bieten seine Heidinnen meistens nur ein schwaches
und schwankendes Bild, während er selbst mit
gigantischem Trotz auf Menschenkraft baut Der
anziehendste Frauencharakter ist jedenfalls Aurora
Raby, hinter der sich Lady Melbourne, die Tante
von Byrons Gattin, verbirgt.
Edward John Trelawny (1792—1881), der in
Missolunghi das verschollene Manuskript fand,
übergab es John Cam Hobhouse, den Testaments¬
exekutor des Dichters. Trelawny war der gemein¬
same Freund von Byron und Shelley, neben denen
er in Rom ruht, nachdem er sich zuvor durch letzt¬
willige Verfügung in Gotha hatte verbrennen lassen.
Durch sein vortreffliches Buch „Records of Shelley,
Byron and the Author“ bleibt er für immer mit
seinen Freunden verbunden. Die besten englischen
Biographien über Trelawny haben W. M. Rossetti,
Mathilde Blind und Swinebume geschrieben. Der
jetzt erschienene Band ist dem letzteren, der zum
zweiten Triumvirat der Praeraphaeliten gehört, ge¬
widmet Bume-Jones, Morris und Swinebume sind
diese drei. Millais, der mit Rossetti und Holman
Hunt dem ursprünglichen Dreibund der Prae¬
raphaeliten angehörte, hat das Andenken Tre-
lawnys in seinem berühmten, in der Tate Gallery be¬
findlichen Bilde „Die Nordwest Passage“ verewigt
Hobhouse, der Freund Byrons, der als Parla¬
mentarier, Schriftsteller und Staatsmann eine her¬
vorragende Rolle in England spielte (1786—1869)
sah den Poeten 1822 zum letzten Male. Als er
in Pisa Abschied von ihm nahm, sagte Byron zu
ihm: „Wenn du gehen wülst, hättest du nicht
kommen sollen!“ Hobhouse schrieb zum Teil für
Byron die Notizen zu „Chüde Harold“; das Werk
wurde ihm dafür auch vom Dichter gewidmet Auf
Veranlassung Hobhouses wurde die Autobiographie
Byrons vernichtet, während er dagegen ein, seinen
Freund rechtfertigendes Manuskript verfaßte, das
sich noch im Besitz der Lady Dorchester befindet
Hauptsächlich behandelt die erwähnte Handschrift
die Trennung Lady Byrons von ihrem Gemahl
Byrons heroischer Tod in Griechenland hatte die
allgemeine Sympathie für ihn bereits verstärkt
Durch Moores Darstellung seiner Lebensgeschichte
wurde das Urteil dauernd zu seinen Gunsten und
gegen Mrs. Beecher-Stowe umgewandelt.
Alles in allem bleibt „Don Juan“ das gro߬
artigste epische Gedicht Byrons und sein Meister¬
werk. Hier entfaltet sich des Dichters reich be¬
gabte Natur in glänzender Mannigfaltigkeit und
Freiheit, zugleich aber gibt es uns den voll¬
ständigsten Eindruck seiner Persönlichkeit
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Aus einem alten Buchladen*
lirzlich ist in Edinburg ein reizendes
kleines Buch von E. M. Williamson:
„Bits from an old Book Shop“ erschienen,
das der Verfasser allen Bücherliebhabern
widmet und das diesen hiermit bestens empfohlen
werden soll. Sie werden mit der Lektüre des
Werkchens sicher einige Stunden angenehm und
nützlich verbringen, denn der Verfasser schreibt
außerordentlich unterhaltend und beherrscht seinen
Stoff. Er teilt ihn in folgende Kapitel ein: i. Die
Freuden des Bücherverkaufens. 2. Wie ich Buch¬
händler wurde. 3. Die kleine rote Flagge. 4.
Bücherliebhaber. 5. Annehmlichkeiten beim Bücher¬
kauf. 6. Der Wert alter Bücher. 7. Die edle
Kunst der Bücheijagd. 8. Unter dem Hammer.
9. Der ideale Buchhändler. 10. Schatten alter
Buchhändler. 11. Jedes Buch zwanzig Pfennige.
12. Exzentrische Kunden. 13. Erfolgreiche Bücher.
14. Zehn Pfennig Leihgebühr täglich. 15. Leiden
und Freuden eines Verfassers. Die Abschnitte
über den englischen Buchhandel, seine Vertreter
und „Customers" werden dem Leser viel Neues
und Interessantes bieten; hier sei nur Einiges
herausgehoben, was besonders für alle „Lover of
books“ bestimmt ist
Von allen menschlichen Schwächen ist die
Sucht, alte Bücher zu sammeln, am meisten ver¬
zeihlich. Im ersten Stadium dieser Passion be¬
gnügt sich der Bücherliebhaber damit, nur die¬
jenigen Bücher zu kaufen, die er wirklich liest.
Dann kauft er Bücher, die er zu lesen beabsichtigt,
und wenn sich seine Schätze ansammeln, hofft er
sie zu lesen; allmählich bringt er aber Bücher in
schönen Einbänden und von hohem Alter, wo
möglich in unbekannten Sprachen heim, die er
nicht lesen kann. Das Vergnügen, das man im
Sammeln alter Bücher findet, wird niemals schaL
Ist man einmal ein Bücherliebhaber, so wird man
es wahrscheinlich immer bleiben. Bei heran¬
nahendem Alter wird der Mann, der sein Ver¬
gnügen in athletischen Leibesübungen gefunden
hat, nicht mehr imstande sein, seiner Neigung
nachzugeben; aber der Bücherliebhaber wird Er¬
quickung und Freude in der Gesellschaft seiner
stillen Freunde finden, die sich im Laufe der
Jahre auf seinen Büchergestellen vereinigten. Das
geistige Leben mancher Menschen ist am tiefsten
und reichsten, wenn die physischen Kräfte bereits
ihren Höhepunkt überschritten haben. Welch ein
Genuß muß es dann sein, auf einen unerschöpf¬
lichen Schatz der besten und höchsten Lebens¬
kraft aller Zeitalter zurückgreifen zu können und
Freuden zu genießen, die selbst dann empfunden
werden, wenn der Sand der irdischen Lebensuhr
langsamer rinnt! Es ist eine der angenehmsten
Lebenserfahrungen eines glücklichen alten Mannes;
ich habe mehrere solche gekannt, die Bücher¬
sammler gewesen sind . . .
Es ist eine wohlbekannte Tatsache, daß in
vielen Fällen, wenn ein sein ganzes Leben hin¬
durch in Amt oder Geschäft stehender Mann
plötzlich seine Tätigkeit aufgibt, um seine alten
Tage zu genießen, diese Veränderung ihm ernst¬
lich schadet oder ihn sogar tötet. Aber der
Mann, dessen Geist mit Kenntnissen bereichert
ist und der Bücher liebt, der eine Freude daran
findet, seltene Ausgaben oder ausgewählte Stiche
zu sammeln, braucht ein solches Schicksal nicht
zu fürchten; er kann sich zu jeder Zeit von seiner
Tätigkeit zurückziehen und dann noch glücklich
sein und weiter sammeln.
Man kann nicht viel Sympathie für einen
Mann haben, der Bücher lediglich wegen ihres
Geldwertes sammelt. Er mag keine Ahnung von
dem schönen Inhalt seiner Bücher haben, sie
niemals gelesen oder nie daran gedacht haben,
sie zu lesen, mag keinen der eigentlichen Gründe
kennen, weshalb gewisse Werke wertvoll sind, und
doch kann er auf den Pfennig genau taxieren,
wieviel ihm diese Ausgabe oder jenes Exemplar
auf einer Auktion bringen dürfte. Der wirkliche
Bücherliebhaber aber hält wenig von dem Geld¬
werte; er schätzt ein Werk nach seinem Inhalte
oder weil er es mit einer auf den Verfasser
* Bits from an old Book Shop by R. M. Williamson . 12°. (119 p.). Edinburgh and Glasgow 1904, John Menzies
& Co. London, Simpkin, Marshall, Hamilton, Kent & Co. Ltd. 6 d net
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206
Kleemeier, Aus einem alten Buchladen.
bezüglichen Gedankenreihe oder mit seinem An¬
denken in Verbindung bringt
Das Vergnügen, in einem alten Buchladen
herurazustöbern, gleicht dem Trinken aus einem
Quell, dessen Wasser klar und kühl hervorsprudelt
Jedesmal, wenn man die alte Bude besucht, ist
ein neues Werk dazugekommen, kann man einen
neuen Schatz durchsehen, hat man etwas gefunden,
worüber man mit dem Verkäufer sprechen kann.
Selbst wenn es nicht neue Bücher sind: sind die
alten nicht wie liebe Freunde, die nur darauf
warten, daß man sie anschaut? Man befindet
sich in guter Gesellschaft mit einem guten Buche
und man freut sich, wenn man es erwerben und
sich daran ergötzen kann.
Der absolute Handelswert eines Buches ist
eine Frage, die niemand richtig beantworten
kann. Es gibt Bücher über Bücher, aber es gibt
kein Werk und kann auch keines geben, das den
wahren Wert eines alten Buches festsetzen kann.
Kein Mensch, und möge seine Erfahrung noch
so grob sein, kennt mehr als den annähernden
Wert einer beschränkten Anzahl von Werken.
Die Preise seltener Werke ändern sich auf den
Auktionen fortwährend; die Moden und Launen
der Sammler ändern sich, und die Verzeichnisse
der Antiquare sind zuweilen irreführend. Der
Wert wohlbekannter, aber seltener literarischer
Schätze steigt jedes Jahr. Diese Wertsteigerung
verdanken wir vielfach den amerikanischen Mil¬
lionären. Geld, folgert der Millionär, kann ihm
alles verschaffen, was sein Herz begehrt Wenn
er also den Ehrgeiz faßt, sich eine Bibliothek zu-
fculegen, so beauftragt er seine Agenten in London,
Edinburg, Paris, Leipzig, München usw. und läßt
zu jedem Preise einkaufen. Wenn nun zwei oder
drei Millionäre auf der Jagd nach denselben
Seltenheiten sind, so ist leicht zu verstehen, daß
ein Buch, das vor fünfzig Jahren noch zehn
Pfund kostete, bald mit hundert bezahlt wird.
Das Alter allein ist kein Maßstab für den
Wert eines Buches. Ein Exemplar von „Waver-
ley M von Walter Scott, 3 Bände 1814, wurde 1892
in London für 162 JE verkauft. Beim Verkauf
der Gibson Craig Library 1888 kostete ein un¬
beschnittenes Exemplar desselben Werkes nur zehn
Guineen. Ein kleines Buch von Charles Lamb
„Prince Dorus“, eine Kindergeschichte mit neun
kolorierten Tafeln, die 1811 zum Preise von 1 sh
6 d erschien, brachte beim Verkauf der Northamp-
ton Library 62 £. Ein Exemplar von Fitzgeralds
Übersetzung von Omar Chajjam 1859, das einst
aus Quaritchs Zweipence-Box herausgefischt wurde,
wurde 1902 von Quaritch selbst für 58 JE verkauft.
Von den vielen ersten Ausgaben des XIX. Jahr¬
hunderts werden nur wenige von Sammlern ge¬
schätzt und bezahlt. Zu den am meisten ver¬
langten ersten Ausgaben moderner englischer
Schriftsteller gehören die von Shelley, Keats,
Scott, Lamb, Meredith, Byron, Wordsworth, Tenny-
son, Stevenson, Dickens und Thackeray. Sogar
ein so neues Werk wie „Loma Doone“ von
R. D. Blackmore, 3 Bände 1869, wurde 1900 für
37 £ verkauft.
Von wertvollen ersten Ausgaben früherer lite¬
rarischer Meisterwerke muß es noch viele Exem¬
plare geben. Für Fust und Schoeffers Psalterium
auf Pergament 1459 wurden 4950 £ gezahlt. Die
berühmte Mazarinbibel auf Pergament brachte
4000 £, ein Exemplar desselben Werkes auf
Papier 3900 £. Auf der Roxburghe-Auktion 1812
kam der berühmte Dekameron von Valdorfer auf
2260 £; 1902 wurde ein Caxton „The Ryal
Book usw.“ für 2225 £ losgeschlagen. Diese
Preise gehören freilich zu den höchsten jemals
auf Auktionen gezahlten.
Die erste Folioausgabe von Shakespeares
Werken erschien 1623. Im Jahre 1901 kostete ein
Exemplar 1720 £. Dieses Exemplar, von Bedford
in Maroquin gebunden, befindet sich jetzt in der
Scribner Library in New-York. Von der ersten
Folioausgabe wurden etwa 600 Exemplare zum
Preise von 1 £ gedruckt. Im Jahre 1756 kostete
ein Exemplar 3 Guineen, 1787 10 £, 1807 34
Guineen; dasselbe Exemplar kostete auf der Rox-
burghe-Auktion 100 £.
Das erste in gaelischer Sprache gedruckte
Buch war „The Book of Common Order“ von
John Knox, ins Gaelische übertragen von J. Cars¬
well, gedruckt von R. Lekpruik, Edinburg 1567.
Ein unbedeutend defektes Exemplar dieses sehr
seltenen Werkes kostete in alten schottischen
Marokko gebunden 1902 500 £.
Diese kostbaren Frühdrucke, die die Wogen
der Zeit uns noch übrig gelassen haben, sind sehr
begehrt und verdienen wohl, der Nachwelt er¬
halten zu bleiben; aber äußerst selten kommen
solche zum Vorschein. Der gewöhnliche Mensch
muß sich mit Faksimile-Reproduktionen begnügen.
Nur die „upper ten“ der Buchhändlerwelt können
hoffen, solche Schätze zu kaufen und zu ver¬
kaufen, die oft das Vielfache ihres Gewichtes in
Goldwert sind. Es macht jedoch viel Vergnügen,
etwas von diesen kostbaren Bänden zu wissen,
darüber zu schreiben oder zu sprechen. Der
Zauber des Alters, der Reiz der Seltenheit, das
Gewicht des Goldwertes, die geheimnisvolle An¬
ziehungskraft, welche die Literatur ausübt: alles
vereint sich, um dem Verehrer bibliographischer
Kenntnis Freude und Genugtuung zu gewähren.
Wenige Bücher haben soviel Vergnügen be¬
reitet und soviele Ausgaben erlebt als „The Com-
pleat Angler“ von Isaac Walton. Die erste Aus¬
gabe in 12° 1653 kostete 1 sh 6 d und erzielte
1896 415 £.
Eine Dame fragte einmal in einem Laden
nach einem Exemplar von Robinson Crusoe.
Ohne Zweifel kaufte sie es für einen Schilling,
aber sie würde den Buchhändler für verrückt ge¬
halten haben, wenn er ihr ein Exemplar der
ersten Ausgabe von 1719—20 in drei Bänden
vorgelegt und 206 £ dafür verlangt hätte, welcher
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Kleemeier, Aus einem alten Buchladen.
207
Betrag auf einer Auktion tatsächlich einmal dafür
gezahlt wurde.
Im Jahre 1786 gab ein Ayrshirer Ackersmann
in Kilmamock auf Subskription eine Sammlung
seiner Gedichte zu dem bescheidenen Preise von
drei Schillingen für das Exemplar heraus. Das Buch
war in Oktav (9:6 Zoll) in unansehnlichem
mit Papier überzogenen Pappband. Ich werde
niemals den Tag des Jahres 1898 vergessen, an
dem in einem mit hervorragenden Buchhändlern
und Burns-Enthusiasten fast überfüllten Auktions¬
lokal der ehrwürdige Edinburger Auktionator Mr.
Dowell ein absolut vollständiges unbeschnittenes
Exemplar der „Poems, chiefly in the Scottish
Dialect“ von Robert Bums, Kilmamock 1786,
unter den Hammer brachte. Die Gebote stiegen
rasch von 50 £ ab auf 500 £, bis zuletzt nur
zwei Bieter übrig waren. Schließlich wurde das
Exemplar mit lautem Beifall dem Mr. Sabine,
einem Londoner Buchhändler, für 545 Guineen
zugeschlagen. Dieses selbe Exemplar befand sich in
verschiedenen Händen und kostete 1870 8 £ 10 Sh.,
1880 60 £. Von dem Kümamock-Burns soll
es nur noch zwei vollständige Exemplare geben.
Das zweite Exemplar befindet sich jetzt in Bums’
Cottage Museum, Ayr. Es wurde im Juli 1903 von
G. S. Veitch für, sage und schreibe, 1000 £ gekauft.
Zuweüen erlangen Bücher einen übertriebenen
Wert durch Beigaben, die nicht ursprünglich dazu
gehörten, z. B. Autographen, handschriftliche Zu¬
sätze, Exlibris, Bilder usw. Auch Bücher, die sich
früher im Besitze literarischer und anderer Be¬
rühmtheiten befunden haben, werden deshalb
höher bewertet Es gibt Kenner, die ihre Auf¬
merksamkeit besonders auf die Sammlung illu¬
strierter Bücher mit Holzschnitten von Bewick
oder mit Stichen von Cruickshank, Rowlandson usw.
richten. „The Sporting Magazine“ mit Tafeln, in
über 155 Bänden, wird mit 2 £ per Band bezahlt
William Blakes „Songs of Innocence and of
Experience“ 8° 1789—94 mit 54 Illustrationen
wurde 1902 für 216 £ verkauft Die Schönheit
und das Alter des Einbandes eines Buches erhöhen
seinen Wert bedeutend. Es erfordert aber ein
besonderes Studium, um die Arbeit eines alten
Einbandes richtig zu würdigen und zu schätzen.
Zu allen Zeiten sind die größten, besten und
liebenswertesten Männer Bücherliebhaber gewesen.
Alle, die sich der edlen Knechtschaft des Ein¬
flusses alter Bücher unterworfen haben, können
Anspruch auf die Verwandtschaft mit großen
Geistern der Vergangenheit und Gegenwart machen.
Jeder wirkliche Bücherliebhaber will die Bücher,
welche er liebt, auch besitzen. Jahr für Jahr fügt
er seiner Sammlung neue Lieblinge hinzu, und
jedes weitere Buch ist ihm eine neue Quelle der
Freude. Das Vergnügen, eine Bibliothek für sich
selbst zu besitzen, gleichviel wie klein sie ist, ist
ein reiner und unverfälschter Genuß.
Der Blumenliebhaber findet ein großes Ver¬
gnügen daran, seine Blumenbeete herzurichten,
den Samen zu säen und die jungen Pflanzen zu
pflegen, lange bevor seine Mühen durch die lieb¬
lichen Farben der Rose oder Hyazinthe belohnt
werden. Der Bücherliebhaber hat eine besondere
Freude daran, in den alten Buchläden herum-
zustöbem und auf gewünschte Bücher zu fahnden,
und muß gewöhnlich lange warten, bis seine
Arbeit durch den Kauf und das Studium der er¬
sehnten Werke gekrönt wird. Man möchte sich
z. B. eine Moxow-Ausgabe von Keats oder einen
ausgewählten Pickering für seine Bibliothek ver¬
schaffen und kann viele frohe Tage in manchem
Winkel und mancher Ecke verbringen, bevor man
den gesuchten Band im Triumph nach Hause trägt.
Das halbe Vergnügen ginge bei der edlen
Kunst der Bücherjagd verloren, wenn man weiter
nichts zu tun hätte, als einfach einem Händler den
Auftrag zu geben, dieses Werk oder jene Aus¬
gabe zu besorgen. Das große Vergnügen besteht
in der Ungewißheit, ob man auch wirklich erlangt,
was man wünscht: die zu überwindenden Schwierig¬
keiten verleihen den Bemühungen erhöhte Würze.
Die Leute, die das Sammeln und Aufbewahren
von merkwürdigen und interessanten Dingen zu
ihrem Steckenpferde gemacht haben, verdienen
Lob. Der Sammeltrieb beginnt, wenn wir als
Kinder Knöpfe, Glasperlen, Marbeln und als
größere Kinder Bilder, Ansichtspostkarten oder
Briefmarken sammeln. Wir haben Sammler von
Exlibris, China, Schmucksachen, Stichen, Antiqui¬
täten, Gemälden, Uhren, Waffen, antikem Silber,
alten Schlüsseln, Miniaturen, Porträts, Violinen
und Merkwürdigkeiten aller Art. Aber der Bücher¬
sammler ist, glaube ich, der vornehmste aller
Sammler. Sein Werk kann nie vollendet, seine
Sammlung nie vollständig werden, und das Ver¬
gnügen des Büchersammelns kann sich fast jeder¬
mann gestatten.
Gewisse Bücherjäger widmen ihre Energie der
Sammlung von Büchern einer bestimmten Gattung.
Der Enthusiast für erste Ausgaben ist wohlbekannt.
Keine andere Ausgabe der Werke eines Autors
wird eines Platzes in der Bibliothek eines solchen
Steckenpferdreiters würdig befunden. Er kennt
jede Einzelheit bezüglich Erscheinungsjahr, Illu¬
strationen, Umfang, Format usw. einer editio
princeps. Seine stolzeste Freude ist es, auf ab¬
gelegenen Pfaden und an den unwahrscheinlich¬
sten Orten zu jagen und für einige Pence die
Werke aufzutreiben, die ebenso viele Pfund wert
sind. Von anderen werden wieder Privatdrucke
gesammelt Wenn der Verfasser seinen Namen
eigenhändig auf das Buch geschrieben, hat der
Eigentümer doppelten Grund, sich zu freuen.
Ein Liebhaber hatte es fertig gebracht, über
fünfhundert Werke über das Angeln zu sammeln.
Er müßte vielleicht die dreifache Anzahl eijagen,
bevor er der glückliche Besitzer aller Werke über
diesen Gegenstand sein könnte. Man sollte
meinen, daß Bücher über Arithmetik keine große
Anziehungskraft auf den Ehrgeiz eines Sammlers
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208
Kleemeier, Aus einem alten Buchladen.
ausüben würden; aber ich kannte einen alten
Herrn, der jedesmal, wenn er in den Laden kam,
fragte, ob ich etwas in dieser Beziehung hätte; sein
Fach war eben immer Arithmetik. Ein Mann mag
Dundee, ein anderer Birmingham, York oder Kirk-
caldy im Kopfe haben und stets Jagd auf Bücher
machen, die in seiner Lieblingsstadt gedruckt
und herausgekommen sind oder darüber handeln.
Ich kannte einen andern Herrn, der nur nach
Dichtern suchte. Solche gewöhnliche Dichter wie
Longfellow, Wordsworth, Tennyson oder Byron
wollte er aber nicht haben. Bücher, die „in der
Bibliothek jedes Gentlemans gefunden werden“,
glänzten auf den Büchergestellen meines Dichter¬
jägers durch Abwesenheit Dafür gab es aber
keinen unbedeutenden Dichter, der nicht in seiner
Sammlung einen Ruheplatz gefunden hätte. Man
würde in englischen Literaturgeschichten vergebens
die Namen der Poeten suchen, deren Erzeugnisse
er schätzte. Die Tatsache, daß sie vergessen und
von den volkstümlichen Verfassern in Schatten
gestellt waren, gab ihnen in seinen Augen einzig
Wert und Bedeutung.
Ein wohlbekannter Edinburger Buchhändler
hatte seit vielen Jahren Werke über Hymnologie
gesammelt Er wird nun als Autorität auf diesem
interessanten und wichtigen Gebiete angesehen.
Ein Buchhändler in Peterhead hatte eine
reiche Sammlung alter Balladen und eine einzige
und wertvolle Sammlung von Ausgaben der
Psalmen zusammengebracht
Der Duodezimosammler kauft nur die kleinsten
Ausgaben. Viele griechische und lateinische
Klassiker wurden in den auserlesensten und zier¬
lichsten Pergamentbändchen herausgegeben. Alte
französische und italienische Werke mit schmucken
Illustrationen und reizenden Einbänden findet man
in den winzigsten Ausgaben. Im Englischen
haben wir Pickerings Diamantklassiker und die
Neudrucke von Dove, Constable und anderen.
Die Vorliebe für winzige Bücher hat einen Antrieb
gewonnen durch die Herausgabe auf Indiapapier
gedruckter populärer Werke, während Ausgaben
wie The World's Classics, The Century Library,
The Temple Classics dem Geschmacke für Miniatur¬
bibliotheken dienen wollen.
Der übliche Oktavband bleibt jedoch das be¬
vorzugte Format; der große schwerfällige Folio¬
band der Elisabetheischen und späteren Perioden
ist fast ganz verschwunden. Bücher in Folio
werden nur selten und nur dann herausgegeben,
wenn die dazu gehörigen Illustrationen dies er¬
fordern. Die alten, in unverwüstliches Leder ge¬
bundenen Predigtbände in Folio sind sowohl in
Bibliotheken als in den Buchläden seltener ge¬
worden, aber ihre Seltenheit steigert gewöhnlich
nicht ihren Wert
Das mit Büchern verknüpfte Interesse ist so
vielseitig, daß es sich fast an jede Klasse von
Menschen wendet Es gibt soviele verschiedene
Arten von Sammlern als es Typen von Menschen
gibt Schach und Golf haben ihre Anhänger, die
jedes aufzutreibende Buch über ihren Lieblings¬
zeitvertreib sammeln. Golf hat seine Meister¬
spieler, aber auch seine Dichter; über Schach und
Damespiel gibt es eine ganze Bibliothek.
Die Literatur erhebt ihre Freunde über das
gemeine Einerlei des täglichen Lebens; die Klein¬
lichkeiten, Eifersüchteleien und niedrigen Schwächen
der Menschheit scheinen in Gegenwart der Bücher
zu verschwinden. Die Seelen der Alten, die
Geister der Weisen, Guten und Großen jedes
Zeitalters und Landes sind in ihrer ruhmwürdigen Un¬
sterblichkeit immer in der Hülle der Werke gegen¬
wärtig, welche die Gestelle einer Bibliothek füllen.
In geringerem Grade stellt ein alter Buchladen
eine große Bibliothek dar. Der Laden ist nur
das Mittel zur weiteren Verteilung der Schätze
der Literatur, aber sein Inhalt wechselt fort¬
während. Die Regale werden täglich durch frische
Bände belebt, und der alte Laden wird durch
Leben und Mannigfaltigkeit verherrlicht Die
Leute, die durch ihre Lernlust dazu getrieben
werden, einem Buchladen ihre Kundschaft zu
schenken, sind solche von höherem Typus. Es ist
nicht nötig, daß sie reich oder arm, berühmt oder
unbekannt sind, denn im Bereiche eines alten
Buchladens herrscht eine erfreuliche Gesinnung
sozialer Gleichheit, wie man sie sonst nirgends
findet. Die niedrigen Schranken von Klasse und
Glauben verschwinden angesichts der Unsterblich¬
keit Ruhig und still, aber unwiderstehlich üben
die Bücher ihren Einfluß auf den menschlichen
Geist aus. —
Diese knapp gefaßten Auszüge aus dem reichen
Inhalte des Buchs mögen genügen. Wer einen Six-
pence für die Bits from an old Book Shop aus¬
gibt — der Preis ist erstaunlich billig — wird es
nicht bereuen.
Leipzig. F. J. Kleemeier .
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Der „Almanach du Bibliophile“ fiir 1901.
Mit der gewohnten Verspätung — diesmal sogar
von i x / 2 Jahren — ist der vierte Jahrgang des von
Edouard Pelletan in Paris seit 1898 herausgegebenen
Almanach du Bibliophile “ erschienen, dessen künst¬
lerische Ausschmückung Eugen Grasset übertragen
worden war. Laut Absicht des Herausgebers soll
dieser Almanach für das Jahr 1901 die Intelligenz, —
natürlich speziell die französische — des verflossenen
Jahrhunderts verherrlichen, ähnlich wie der vorher¬
gehende, von Steinlen dekorierte Almanach für 1900
dies in Bezug auf die mechanische Arbeit, mit be¬
sonderer Berücksichtigung der letzten Pariser Welt¬
ausstellung, getan hatte. Und in einer Reihe von
Essays über die französische Poesie (Coulangheon),
Kunst (G. Geoffroy), Kritik (Hamei), Geschichte (Ana-
tole France), Wissenschaft (Berthelot), Philosophie (G.
Seattles) im XIX. Jahrhundert, sowie über das Werk
Auguste Comtes (E. Corra), ist diese Idee in sehr ent¬
sprechender Weise zur Ausführung gelangt Etwas
aus diesem Rahmen fallen die restlichen fünf Aufsätze,
die mehr dem eigentlichen Charakter des Almanach
entsprechen und von lebhaftem bibliophilem Interesse
sind. Allerdings handelt es sich hierbei weniger um
streng wissenschaftliche Untersuchungen als um knappe,
unterhaltende, trotzdem aber ernste Causerieen. So
weist Gustave Larroumet unter dem Titel „Une super-
cherie litöraire" daraufhin, daß das bekannte „Para¬
doxe sur le Comödien“ Diderots gar nicht den be¬
rühmten Encyklopedisten zum Verfasser hatte, sondern
das Machwerk eines gewissen Naigeon sei, welcher
dazu einen ganz kurzen Aufsatz Diderots „Observations
sur l’art du Comddien“ benutzt hat; Pierre Dauze be¬
spricht die öffentlichen Bücherauktionen während des
vorigen Jahrhunderts und versucht daraus einige
Folgerungen für die Zukunft zu ziehen; d'Eylac und
M. Bröal widmen dem verstorbenen Bibliophilen
Eugene Paillet sowie dem Kunstschriftsteller und
Maler Ary Renan warme Nachworte; E. de Crauzat
plaudert über die französischen Exlibris, und last not
least unterzieht Clement-Janin die 1891 erschienenen
französischen Publikationen für Bibliophilen einer
strengen und wohlverdienten Kritik. Diesen letztem
Ausführungen über die zahlreichen, mit solcher ver¬
schwenderischer Pracht und so zweifelhaftem, künst¬
lerischem Geschmack ausgestatteten dditions de luxe
des französischen Buchmarkts, sowie der diesbe¬
züglichen Polemik des Verfassers mit Louis Morin
Z. f. B. 1904/1905.
dürfte wohl jeder modemeBibliophile mit Vergnügen bei¬
stimmen, um so mehr als derartige unpartensche und
durchaus gediegene Rezensionen übermoderne Buch¬
kunst aus französischem Munde nicht allzu häufig sind.
Das äußere Gewand des Almanachs — gedruckt
in der Imprimerie Nationale, Paris — steht auf der
Höhe der rühmlichen Tradition des Pelletanschen Ver¬
lags, dessen Veröffentlichungen sicherlich zum Besten
gehören, was auf diesem Gebiet jetzt in Frankreich
erscheint. Gutes Papier, klarer, schöner Druck, wenn
auch größtenteils mit traditionellen Typen, geschickte
Verteilung der Druckmassen und eine sehr geschmack¬
volle Verwendung des Buchschmucks ist ihnen allen
gemein. In der Wahl des letztem bleibt E. Pelletan
stets Franzose und zieht, im Gegensätze zu der kräfti¬
geren, rein ornamentalen Dekoration englischer und
deutscher Bücher, die illustrative Richtung vor. Die
echt französische Vorliebe für die geistreiche Illustra¬
tion, für die elegante, flotte Zeichnung manifestiert sich
überall deutlich, doch wird sie niemals zum Selbst¬
zweck, sondern bleibt stets maßvoll dem Text als
Zierstück untergeordnet. Und indem Pelletan auf
diese Weise der nationalen Eigenart treu bleibt, be¬
weist er wieder die alte Wahrheit, daß in der Kunst,
und hier speziell in der Buchkunst, jeder nach seiner
Manier selig werden kann, besonders wenn man
sich Zeichner wie Dunki, Bellenger, Bellery-Desfon-
taines, Steinlen u. a. zu Hilfe nimmt.
Im Großen und Ganzen gilt das Ebengesagte
auch für unsem Almanach. Die 30 Zeichnungen
Eugene Grassets, die ihn schmücken, sind von
E. Froment Fils in gradezu wunderbarer Weise zwei-
und vierfarbig in Holz geschnitten. Sie bestehen aus
vier, die Poesie, Wissenschaft, Geschichte und Philo¬
sophie repräsentierenden Hors-textes, 12 Kopfleisten
und Culs-de-lampe zu den erwähnten zwölf Aufsätzen,
einem Kalenderblatt für jedes Vierteljahr und dem
Umschlag. Das bedeutende dekorative Talent Grassets
ist zur Genüge bekannt, um hier besonders hervorge¬
hoben zu werden. Wie in seinen Plakaten, Panneaux
d^coratifs, Buchumschlägen etc., erscheint auch hier
seine Hauptstärke in der originellen Komposition und
in der Farbe zu liegen, während die Zeichnung selbst
nicht immer einwandsffei ist, besonders in den weib¬
lichen allegorischen Figuren der Hors-textes. Aber die
feine harmonische Farbenzusammenstellung ist durch¬
weg von größtem Reiz, die Komposition der einzelnen
Entwürfe äußerst sinn- und phantasiereich und die
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210 Chronik.
dekorative Behandlung selbst der kleinen Culsdelampe
bei aller Diskretion sehr wirkungsvoll. Die schöne
allegorische Umschlagszeichnung — schwarz und matt¬
rot auf grauem Papier — spricht die dem Almanach
zugrundeliegende Idee des Sieges der Intelligenz über
das rein Materielle deudich und künstlerisch aus,
während die Kopfleisten — graugelb und blaugrün —
die sechs verschiedenen Regierungsformen Frankreichs
im XIX. Jahrhundert und seine vier bedeutendsten
Kunstepochen: Neoklassicismus, Romantik, Schule der
Pamassiens und des Symbolisten-Realismus prächtig
symbolisieren. Mit wieviel Geist und Witz ist z. B. die
Restauration und die bourgeoise Julimonarchie illu¬
striert, wie entzückend stimmungsvoll die romantische
Poesie dargestellt 1 In einigen dieser kleinen dekora¬
tiven Bildchen steckt mehr schöpferisches Talent als
in mancher großen bemalten Leinwand. Natürlich
konnte nur ein solcher meisterhafter Holzschnitt wie der
Fromentsche allen Feinheiten der Grassetschen Kom¬
positionen gerecht werden und sie unverstümmelt
wiedergeben.
Mit der bleibenden Erinnerung an ein wahrhaft
schönes und lesenswertes Buch legt man den Almanach
aus der Hand.
Der nächste Jahrgang, also für 1902, soll in Kurzem
mit Holzschnitten von Paul Collin erscheinen.
Moskau. P. Ettinger.
Weltgeschichte.
Cotta in Stuttgart verausgabte von Theodor Undners
Weltgeschichte kürzlich den dritten Band (broschiert
5,50 Mk.), der bis 1450 reicht. Die Kultur des Orients
beginnt zu stagnieren, teilweise auch zurückzugehen;
Westeuropa hat die Kultur, die es als Erbschaft über¬
nommen, gänzlich der Kirche überlassen: das Papst¬
tum gibt der Darstellung die Einheit. Das XIII. Jahr¬
hundert bereitet die Wendung vor; das bare Geld
kommt zur Herrschaft, die Ausbildung des Bürger¬
tums beginnt; der Versuch, sich aus der Bevormundung
der Kirche herauszuarbeiten, ändert die allgemeine
Weltanschauung, geistiges und staatliches Leben bilden
zwei nebeneinander herlaufende Grundströme der Ent¬
wicklung.
Der Band gliedert sich in drei Bücher. Das erste
Buch schildert den Kampf der letzten Staufer mit dem
Papsttum bis zum Tode Konradins. Das zweite gibt
ein umfassendes Bild der abendländischen Kultur im
XIII. Jahrhundert; die Allmacht der Kirche, der
Widerstand gegen sie und ihr Sieg, die Ausbreitung
von Kunst und Wissenschaft, Rittertum und Minnesang
und ihr Einfluß auf das Laientum, die Wirkung der
Kreuzzüge und die Entwicklung des Handels, Städte
und Bürgertum, die Besiedelungsversuche im Osten
und die Anfänge der Hansa. Einen noch gewaltigeren
Kulturabschnitt umspannt das dritte Buch, das den
Niedergang der politischen Macht des Papsttums und
die Eigenentwicklung der europäischen Staaten dar¬
stellt Der Band schließt mit dem Ende der Konzile
im April 1449. Anscheinend triumphiert das Papst¬
tum auf der ganzen Linie, und doch haben sich unter
der gleich gebliebenen Oberfläche mächtige Wand¬
lungen vollzogen: die kirchliche Idee hat einen schweren
Schlag erlitten, der Zwiespalt zwischen Welt und Kirche
klafft weiter denn je. Und während das Baseler Kon¬
zil im Todeskampf liegt, wird zu Mainz die neue Kunst
geboren, die auch das Laientum zu vollem Anteil an
dem Geistesleben befähigt: der Buchdruck.
Die Literaturangaben sind auch in diesem Bande
wieder so zahlreich (sie umfassen 10 Druckseiten), daß
man sie w ohl als eine Bibliographie zur Geschichte der
Zeit von 1200—1450 bezeichnen kann.
Auch von der Helmoltschen Weltgeschichte (Biblio¬
graphisches Institut, Leipzig) liegt ein neuer Band vor:
der achte (in Halbleder gebunden 10 Mk.). Er bildet
zum großen Teil die rein zeitliche Fortsetzung des
siebenten Bandes, anderenteils aber auch dessen in¬
haltliche Ergänzung. Diese beiden Bände bilden also
ein Ganzes. Zunächst wird die politische und Kultur¬
geschichte Westeuropas von der Entstehung der Gro߬
mächte bis zur Gegenwart in vier Abteilungen fort¬
geführt: Professor Dr. Arthur Kleinschmidt gibt eine
gedrängte Übersicht über das Zeitalter der Revolution,
des ersten Napoleon und der Reaktion; Professor
Dr. Hans v. Zwiedineck Südenhorst schildert die Neu¬
gestaltung in Europa in staatlicher und gesellschaft¬
licher Hinsicht zwischen 1830 und 1859; dann folgt die
Erzählung der Ereignisse, die in der Einigung Italiens
und Deutschlands gipfeln (1859— 1866) und die Dr . Heinr .
Friedjung bearbeitet hat, und schließlich unterrichtet
Dr. Gottl. Egelhaaf in knapper Fassung über die Zeit¬
läufte von 1866 bis 1903. Den Abschluß des Bandes
bildet ein Essai des Professors Dr. Rieh . Mayr , in dem
die Entfaltung von Kunst, Wissenschaft und Bildungs¬
wesen von den Tagen der Scholastik an bis zur Wende
des letzten Jahrhunderts eine glänzende Darstellung
findet. Der Anhang bringt eine Würdigung der ge¬
schichtlichen Bedeutung des Atlantischen Ozeans aus
der Feder des Professors Dr. Karl Weule.
Dem Bande sind wieder zahlreiche Beilagen bei¬
gegeben, so u. a. an Kunsttafeln: Reproduktionen der
Dondorfschen Lithographie des Gemäldes von Isabey
„Der Wiener Kongreß“, der Adamschen Lithographie
„Radetzkys Begegnung mit Victor Emanuel nach der
Schlacht bei Novara“, aquarelliert von Fr. Kulnigg,
und des Blanchardschen Kupferstichs nach Dubufes
Gemälde „Der Pariser Kongreß 1856“. Dazu kommen
7 farbige Karten und eine Anzahl Porträttafeln, poli¬
tische Karikaturen, Faksimiles von Bruchstücken be¬
rühmter Dokumente u. a. m. H.
Der Buchdrucker und Sprachmeister Johann
Friedrich Schiller.
Zu dem trefflichen Aufsatz von Alfred Börckel über
die interessante Persönlichkeit des Buchdruckers und
Sprachmeisters Johann Friedrich Schiller kann ich zu
dem Absatz S. 62 (Zeitschrift für Bücherfreunde, Mai
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Chronik.
211
1904) einen Nachtrag geben, der Börckels hier aus¬
gesprochenes Urteil etwas modifiziert Er sagt:
„Etwas Konkurrenzneid hat hier zweifellos das ab¬
fällige Urteil (über Schillers Vetter als Übersetzer) be¬
einflußt; auch die Verleger— es waren die ersten Firmen
Deutschlands —, für die Schiller übersetzte, teilten
es nicht“
Nun, die Verleger ließen Schillers Übersetzungs¬
deutsch durch die ersten deutschen Stilisten korrigieren.
Am 19. Februar 1779 schreibt Georg Joachim Zollikofer,
der berühmte Kanzelredner, an den Phüosophen und
Schriftsteller Christian Garve aus Leipzig (Briefwechsel
zwischen Garve und Zollikofer, herausgegeben von M.
und S., Breslau 1804, S. 252 fr.): „Müßiggehen kann ich
nicht; gesellschaftliche Vergnügungen genieße ich mit
vieler Mäßigung, weit seltener als viele andere meines
Standes und vielleicht seltener als ich es tun sollte; und
oft gehen doch ganze Wochen und mehrere Wochen
nacheinander hin, ehe ich nur ein Buch zur Hand
nehmen oder etwa eine halbe Stunde lesen kann. Und
nun, da ich kaum angefangen habe, kommt schon
wieder eine Korrektur von Robertsons Geschichte von
Alt-Griechenland. Schiller in London hat sie gemacht
und seine Sprache ist öfters undeutsch . Diese Fehler
soll ich ihr benehmen, so wie wir es mit seiner Geschichte
von Amerika gemacht haben-, —eine mühsame,undank¬
bare Arbeit, die ich aber doch nicht wohl von mir ab¬
lehnen konnte . Das Buch selbst läßt sich im Englischen
sehr gut lesen, zeichnet sich aber doch weder durch
die Stellung und Verbindung der Begebenheiten, noch
durch die philosophische Behandlung und Benutzung
derselben besonders aus. Übrigens ist die Orthographie
der griechischen Namen so fehlerhaft, wie man sie
eigentlich nur von einem Franzosen erwarten könnte,
und daraus muß ich fast schließen, daß der Verfasser
seine Geschichte nicht aus den Quellen geschöpft hat.“
Aus diesem Briefe geht sicher hervor, daß Zollikofer
und Garve die Schillersche Übersetzung von Robert¬
sons Geschichte von Amerika auf gutes Deutsch hin
korrigiert haben, wie es jetzt Zollikofer im Aufträge des
Verlages mit Robertsons Geschichte von Alt-Griechen¬
land tut. Wir sehen dabei, daß Zollikofer das englische
Original zur Hand hat und auch dem englischen Text
ganz gewachsen ist Daß diese Männer, von denen die
anonymen Herausgeber des Briefwechsels sagen, „daß
ihre Briefe als ein Denkmal der Empfindungs- und
Denkungsart zweier der edelsten Männer Deutschlands
zu betrachten sind,“ maßgebende Beurteiler der Über¬
setzungskunst von Schillers Vetter waren, sagt uns
schon das Konversationslexikon oder dem, der sich
genauer über sie orientieren will, die Allgemeine
Deutsche Biographie. Im Übrigen scheint es mir auch
ganz zweifellos zu sein (Zeitschrift für Bücherfreunde,
Mai, S. 59), daß Johann Friedrich Schiller dem Verkauf
von Württembergischen Landeskindern an fremde
Mächte nicht fern stand. In den amerikanischen Zeit¬
schriften, welche die geistigen Beziehungen der Union zu
Deutschland pflegen, als Americana Germanica, Modem
Language notes, in den Büchern von Kapp und Lowell
über den Soldatenhandel deutscher Fürsten ist darüber
authentisches Material zu finden. Wenn ich mich recht
erinnere, hat ein Aufsatz von James Taft Hatfield und
Elfrieda Hochbaum „The influence of German Revo¬
lution upon German Literature“ in Americana Germa¬
nica (1899 und 1900) auch Johann Friedrich Schiller
als Unterhändler beim Soldatenverkauf erwähnt
M. M.
Zur Herstellung der mittelalterlichen
Miniaturen.
Henri Martin, der gelehrte Bibliothekar der Biblio-^
th£que de f Arsenal in Paris, hat eine interessante Ent¬
deckung in Beziehung auf die illuminierten Manuskripte
des Mittelalters verzeichnet. Martin hat sich seit 20
Jahren das Studium der Miniaturen zur Aufgabe ge¬
macht, und wohl wenige werden mehr Erfahrung diesem
Gegenstand entgegenbringen als er. Er sagt, wie wir
dem „Athenaeum“ entnehmen: „Es fiel mir auf, daß die
Ränder der Manuskripte, namentlich am unteren Teüe,
so energische Radierungen tragen, daß das Pergament
oft seine ganze Dichte verlor. Was hat man denn wohl
auf solche Weise, wenn auch nicht überall, so doch fast
überall, wegschaffen wollen?“ Ferner bemerkte der
Pariser Gelehrte, daß sich stets auf den Seiten Kratz¬
ungen befanden, auf denen eine wichtige Miniatur an¬
gebracht war; eine gewissenhafte Prüfung zeigte Spuren
von Schrift sowohl als Zeichnung, die man ganz und
gar auszulöschen unternommen hatte. Es ging daraus
hervor, daß irgend Jemand eine flotte Skizze als Vor¬
lage für die Miniaturmaler hingezeichnet hatte. Ein Ver¬
gleich dieser Skizzen, soweit sie erkenntlich waren, mit
der ausgeführten Zeichnung gab die Sicherheit, daß sie
unmöglich von ein und derselben Person herrühren
können. Die Skizzen sind meist eine viel bedeutendere
zeichnerische Leistung als die Ausführung.
Es ist also als wahrscheinlich anzunehmen, daß das
Haupt der Schule oder des Ateliers, in dem illuminierte
Manuskripte hergestellt wurden — und man muß voraus¬
setzen, daß dies stets ein bedeutender Künstler war —
zuerst das Manuskript, dessen Minderung bestellt war,
durchlas und seine Skizzen selbst einzeichnete, wobei
er hie und da auch schriftliche Anweisungen für den
ausführenden Künstler beifügte. Man kennt ja ganz
genau die ungleichmäßige künstlerische Fertigstellung
der illuminierten Manuskripte. Schon ein Blick in die
Schätze der öffentlichen Bibliotheken und privaten
Sammlungen läßt Verschiedenheiten in der Qualität der
Ausführung erkennen. Diese Tatsache beweist, daß
um die Ausführung eines illuminierten Manuskripts
gewöhnlich mehrere Angehörige eines Ateliers bemüht
waren. Als Belege für seine interessanten Schlüsse führt
Martin z. B. an: In einem Manuskript des beginnenden
XV. Jahrhunderts findet sich eine Miniatur, den heiligen
Petrus darstellend. Der Meister des Ateliers hat den
Heiligen mit einer Tiara ohne Krone an den Rand
gezeichnet und daneben „Petrus“ bemerkt, denn er
mußte die Verwechslung vermieden haben, da in dem
gleichen Bande mehrere Frauen mit hohen Mützen gleich
Tiaren von ihm vorgezeichnet waren. Eine bekannte
Bibel von 1317 enthält 176 sehr wertvolle Miniaturen;
24 schwach erkennbare Vorlagzeichnungen konnten an
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212
Chronik.
Exlibris gcz. von L. Pasternak.
den Rändern noch unterschieden werden, von denen
die meisten Beischriften trugen wie z. B.: „DanielsVision,
wie er einen in Linnen gekleideten Mann sieht mit
goldenem Gürtel wie am Rande vorgezeichnet.“ Henri
Martin hat seine wertvollen Entdeckungen jüngst der
Pariser „Acad&nie des Inscriptions“ vorgetragen; sein
Vortrag wird im Druck erscheinen, hoffentlich mit einigen
faksimilierten Belegen. M. M.
Walter Paten
Walter Pater: Imaginäre Porträts. Deutsche
Übertragung von Felix Hübel. Leipzig, Insel-Verlag.
— Die Renaissance . Studien in Kunst und Poesie.
Leipzig, Eugen Diederichs.
Wir treten bei Pater nicht in die freie Natur, um
frei mit freien Gewalten zu ringen. Auch will hier nicht
der Einzelne Machtworte sprechen, die den Erschei¬
nungen Gesetze geben und sie zwingen sollen, ihm zu
dienen.
In Ruhe sind diese — Erkenntnisse — gewonnen,
in stiller Stube, in der Dämmerung. Und diese Er¬
kenntnisse haben sich gefestigt. Sie sind Anschauungen
gew orden. Sehnsucht und Erinnerung heißen die Talis¬
mane, die diese Worte heiligen.
Als diese Anschauungen heraustreten und Fleisch
werden sollten, hatten sie keinen Kampf mehr zu be¬
stehen. Sie wollten es nicht. Sie dürsteten nicht
danach. Alles war vorgefaßt. Und manchmal schien
es, wie in einem heiligen Plan beschlossen. Was ge¬
schaut war, rechtfertigte sich. Unentschieden bleibe,
wo der Grund hierzu lag.
Schönfärberische Formeln begegnen uns selten.
Gegen diese Erstarrung sucht Pater sich fernzuhalten.
Fern und frei zu einer natürlicheren Art der Empfin¬
dung. Nichts Gekünsteltes. Das ist das Lobenswerte,
weil es das Lebendige ist. Halten sie sich —
Pater und alle, die in gleichen Bahnen wandeln —
diese Distanz immer noch offen, so wirken sie nicht
hemmend; so liegt in ihren Worten für viele Trost,
Versöhnung und auch die Aufmunterung, ihrer Zeit
mit diesen — gleichen — Sinnen nachzugehen.
Eine natürliche Einfachheit, eine natürliche
Feinheit und Freiheit: Beides zu einem besonderen
Charakter vereint und über das bloße Gefallen hinaus¬
gehoben.
Pater will nicht erschöpfen, will nichts Bleiben¬
des geben. Nur andeuten wäll er: Bedeutungsloses
wird damit zu Bedeutendem. So führt er, ohne auf¬
dringlich zu unterstreichen, zu dem Gegenstand hin,
den er in Liebe umschließt; deutet immer darauf
hin, als auf die Quelle seiner Worte. Durch das
feine Gewebe der Wortlinien, die wohl ermüden
und die Dinge vielleicht verschleiern könnten,
schimmert — um deswillen schützen wir diese Art
gegen leichtfertige Nachahmer, die sich auch bei
uns schon melden — eine ruhige Liebe, ein tiefes
Erkennen und — eine feste Sehnsucht Und dieses
alles in strömende Worte gebracht: ein ruhiges
Fließen, wie ein Bach unter beschatteten Bäumen
dahinfließt
Die W T ege sind nun offen. Wenigstens nach der
Vergangenheit hin. Vielleicht auch nach vorn, in die
Zukunft Doch ist es schon gut, sich nach rückwärts
gedeckt zu wissen. Es ermutigt, es tröstet, ein so
liebevolles Auge, ein so teilnehmendes Herz zu finden
für so entlegene Zeiten. Diese Sehnsucht, die in
Pater lebt, wird fruchtbar werden können, in Zukunft.
Es wird dann sein, wenn diese Liebe, dieses Er¬
kennen, dieses Sehnen nicht die Schönheit des Lebens
in der Vergangenheit sieht, sondern vielmehr und bei¬
nahe ausschließlich der Gegenwart dienen will. Höher
als Schönheit steht das Undefinierbare, dieses Tiefst-
Unbestimmte, wozu sie sich als Geheimnis der Zukunft
— und auch der Vergangenheiten — enthüllt
Exlibris gcz. von A. Frhr. von Fölkersam.
Digitized by LjOOQle
Chronik.
213
So aber ist der Sinn nicht: Kampf, Wechsel,
Erneuerung, Schaffen. Sondern: Ruhe, Sehn¬
sucht, Erinnerung, Genießen, Wissen.
Emst Schur.
Buchschmuck.
Den Aschaffenburgern ist ein Konkurrenz¬
unternehmen in München erstanden. Meyer &
Seitz versenden ihr erstes „Münchener Gold -
und Buntpapiere“ - Heft, nach Entwürfen von
Otto Hupp ausgeführt. Im Gegensatz zu den
meisten neueren Versuchen, vermeidet Hupp
die reizvollen Zufälligkeiten des Marmors gänz¬
lich und wendet sich mehr den strenggeglieder¬
ten, sich gleichmäßig wiederholenden Mustern
zu. Er wird sogar oft etwas kleinlich in seinen
zweitönigen Flecht- oder Keimblattmustem oder
jenen, die an zahllose petit-fers gemahnen.
Andere wieder zeigen einen freien Fluß, eine
kecke Farbenstellung von Ocker, Indigo und
Weiß, von Schiefer, Englischrot und Mode, von
Corinth und Grün oder Ultramarin auf Graublau.
Letzteres Muster (No. 64—67) wirkt überhaupt
in allen Farbenstellungen und auch in Gold¬
pressung gefällig und belebt Auch die geflamm¬
ten Quadrate (No. 47—49) und die mit Gold¬
arabesken durchsetzten petit-fer Sonnenblumen
(No. 34—37) sind neu und pikant und besonders
für Oktavbändchen geeignet. Dann wieder
trifft man auf absolute Tapetenmuster (No. 62,
No. 16—19), wie sie aus unserm Buchschmuck
längst verbannt sein sollten. Die Mustersamm- Exlibri* ger. von Leopold Niepca.
lung steckt in einem Umschlag, der in netten,
lesbaren Lettern Inhalt und Firma trägt, und eine Art Geduld und Glück zum Ziel führen. Was aber soll das
von Verlagsmarke: ein Kamel, zierlich schabrackiert, Äffchen Nachahmung dabei? — —m.
zieht einen Korbschlitten, in dem ein Rokokopärchen _
sitzt. Ein Äffchen führt die Zügel; die Glücksgöttin
auf geflügelter Kugel bildet die Puppe des Schlittens. L. Petzendorfer, Schriftenatlas , Neue Folge: Mo-
Soll es eine Allegorie sein, so begreife ich wohl, daß deme Schriften , Lieferung 1—8; je 1 Mark. Verlag
von Julius Hoffmann, Stuttgart.
Wer sich mit dem reichhaltigen Thema des höchst
aktuellen modernen Schriftwesens beschäftigt, wird
diese neue Veröffentlichung warm begrüßen. Denn
sie ist das Vielseitigste und wohl auch Beste, was auf
diesem Gebiete bisher geboten wurde. Der Heraus¬
geber des früher erschienenen, anerkannt guten
„Schriftcn-Atlas“ hat diesem die hier genannte Samm¬
lung „Neue Folge“ moderner Typen folgen lassen und
in bedeutender Menge nur solche Schriften gewählt,
die leicht lesbar , also praktisch brauchbar sind. Den
unklaren und undeutlichen Gebilden krauser Phantasie
begegnet man nicht. In diesem Werke finden wir
erfreulicherweise auch interessante Neuigkeiten des
Auslandes; denn neben den besten Erzeugnissen von
16 größeren deutschen Schriftgießereien erscheinen
solche aus Frankreich (1), England (6) und Amerika (1).
Die bis jetzt erschienenen 8 Hefte enthalten zahl-
Exübris ge*, von G. G. reiche, sehr gefällige ganze Alphabete, Folgen von
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Chronik.
214
Initialen, Monogramme und Titelschriften von Max
Jos. Gradl, Eugen Gradl, Peter Schnorr, Maurice Du*
fresne, H. deWaroquier, A. A. Taurbayne, Wm. Morris,
Bruce Rogers, Geo. W. Jones, Ethel Larcombe, die
sog. Hohenzollern-Initialen der Bauerschen Gießerei
in Frankfurt a. M., sehr originell gezeichnete Vor¬
namen und Dreibuchstaben-Monogramme von H. No¬
wak, Entwürfe von Lewis F. Day, Firmentafeln und
Schriftenschilder von M. J. Gradl, von dem auch der
schön gezeichnete Umschlag herrührt u. a.
Die Vielseitigkeit, Fülle und Güte des Gebotenen
verdienen alle Anerkennung, sowohl bezüglich der
Zeichner als auch des kunstsinnigen Verlags, der
seine Auswahl mit großem Geschick getroffen und das
Ganze in gediegener Ausstattung herausgebracht hat.
Den Erzeugnissen der vorgeführten Schriftgießereien
ist der ihnen gesetzlich zustehende Schutz hinsichtlich
Schnitt und Guß gewahrt; doch werden alle Berufe,
die mit Schrift und Einschlägigem zu tun haben, un¬
endlich viele Anregungen in dieser Publikation finden.
K. E. Graf zu Leiningen - Westerburg .
Unter den praktischen Wiederbelebern des Buch¬
äusseren hat PaulKersten , der vor kurzem von Breslau
nach Berlin übersiedelt ist, sich einen ersten Platz er¬
rungen. Er gehört zu den wenigen, denen ihre Be¬
gabung es erlaubt, die buchästhetische Forderung zu
erfüllen, daß Entwurf und Ausführung aus einer Hand
stammen sollen. Diese Zeitschrift hat schon öfters
verkleinerte Reproduktionen seiner Arbeiten ge¬
bracht. Nunmehr hat Kersten sich entschlossen, ein
auf sechs Lieferungen berechnetes Werk im Verlage
von Wühelm Knapp, Halle a. S., erscheinen zu lassen,
von dem bereits drei Lieferungen zu dem beispiellos
billigen Preise von je 1 M. vorliegen. Jede Lieferung
enthält acht auf hellen Karton aufgezogene Entwürfe
von Buchdeckeln nebst den zugehörigen Rücken in
Originalgröße und farbiger Ausführung. Es handelt
sich im wesentlichen um Ganzlederbandentwürfe, Saffian,
genarbtes Maroquin oder dergleichen, die durch goldene
Linienornamente und petit-fers-Verzierungen belebt
werden. Doch läßt sich so manches Muster auch aus¬
gezeichnet zur Dekoration von Ganzleinen und Perga¬
mentdeckeln verwenden. Ernste, duffe Grundtöne,
denen hier und da mosaikartig andere Farben in Gold¬
konturierung eingesprengt sind, wiegen vor. Corinth-
rot und Myrthengrün, Indigoblau und Steingrau wechseln
ab. Bald spielen die leichten goldenen Linien über die
Fläche hin oder überspinnen netzig einen Teil der¬
selben, bald teilen sie sie in geometrisch-arabeske
Felder. Ein drittes Genre endlich bilden die petit-fers
mit pflanzlichen Motiven. Doch bei allen dreien ist
eine strenge Stilisierung durchgeführt, dem Emst des
Materials entsprechend, den man nicht so leicht über¬
drüssig wird, wie manchen freikünstlerischen Entwurf
moderner Herkunft. Die „ Modernen Entwürfe künst¬
lerischer Bucheinbände“ sind nicht nur vorbildlich für
viele guten Buchbinder ohne eigene Gestaltungskraft,
sie geben auch dem oft durch die bunten Verlags¬
deckel schwankend gewordenen Geschmack des Bücher-
Bucheinband von Julius Hager in Leipzig.
freundes einen sicheren Halt. Leider ist es unterlassen
worden, den einzelnen Tafeln den Preis beizufügen,
auf den sich ein Band der betreffenden Ausführung
stellen würde. —m.
Ein recht empfehlenswertes Büchelchen ist die
„ Zeitgemäße Buchdruckkunst “ von Carl Emst Poeschel,
einem der Besitzer der bekannten Leipziger Drucker¬
firma Poeschel & Trepte (Leipzig, Poeschel & Trepte;
M. 1). In sechs Kapiteln spricht sich der Verfasser
über Schrift, Schmuck, Satz, Druck und Farbe, Papier
und Buch in verständlicher und verständiger Weise
aus, um in einigen Schlußworten noch einmal das
Resultat seiner Erörterungen zusammenzufassen. Das
kleine Buch ist zunächst für Lehrlinge und Gehilfen
bestimmt, denen es reiche Belehrung bringen wird;
es dürfte aber auch Besitzer und Leiter von Druckereien
und über die Fachkreise hinaus alle Bücherfreunde
interessieren. —m.
Bei J. C. C. Bruns in Minden ist ein neuer Band
Gedichte des Prager Poeten Oskar Wiener unter dem
Titel „Balladen und Schwänke“ erschienen. Ich möchte
hier nicht näher auf den Inhalt des Buches eingehen,
sondern nur auf die von Richard Teschner herrührende
Ausstattung hinweisen. Den Umschlag des stattlichen,
fast quadratischen (22X23 cm) Bandes ziert eine Litho¬
graphie in Farben: ein Musikant entlockt seiner mit
roten Rosen umrankten Harfe alte und wundersame
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Chronik.
215
Bucheinband von Julius Hager in Leipzig.
Melodien, deren Weisen gleichsam durch den Klang
der Töne unsem Augen vorgezaubert werden und nun
im Rahmen der Harfe erscheinen. Das erste Blatt,
das sonst zumeist den Schmutztitel trägt, hat hier ein
hübsches Exlibris, in das der Besitzer nur seinen Namen
einzuzeichnen braucht. Diese Idee, im Buche selbst
für die handschriftliche Eintragung des Besitzemamens
eine Stelle in Form eines Bibliothekzeichens zu geben,
hatte bis jetzt erst einmal Verwirklichung gefunden, in
Ed. Stuckens, seinerzeit auch in diesen Blättern be¬
sprochenen Balladen, illustriert von Fidus. Wunder¬
voll und von ausgezeichnet koloristischer Wirkung ist
das Titelblatt: der mit dem fiedelnden Teufel sein
zänkisches Weib verwettende Schneider. Die vielen
teils den Text illustrierenden, teils nur als Buchschmuck
figurierenden Bilder und Vignetten sind gut gezeichnet
und wirken fast alle wie Lithographien. Der Preis des
Buches ist M. 3.— resp. M. 3,50. Sg.
Verschiedenes.
Die Firma Otto Janke in Berlin veröffentlicht
ihren Verlagskatalog ; die Erscheinungen des Verlags
von 1843— ! 9°4 enthaltend. Der Katalog ist ein
glänzender Beweis für die Tätigkeit der altrenommierten
Firma, ist aber zugleich auch literarhistorisch sehr
interessant und gewährt ein gutes Bild über die Roman¬
produktion von der Mitte des vorigen Jahrhunderts ab.
Viele Namen von gutem Klang sind durch Otto Janke
eingeführt worden. Willibald Alexis, Meißner, Roquette,
Otto Ludwig sind mit fast ihren gesamten Werken
vertreten; in der „Roman-Zeitung“ begannen u. a.
Friedrich Spielhagen („Problematische Naturen“) und
Wilhelm Raabe („Hungerpastor“) ihre literarische Lauf¬
bahn. Von den Romangrößen der fünfziger, sechziger
und siebziger Jahre fehlt kaum einer. Damals stand
noch Theodor Mündts schreibselige Gattin Luise Mühl¬
bach auf der Höhe ihrer Leihbibliothekserfolge; Brach¬
vogel begann die Kette seiner vielgelesenen Er¬
zählungen, ebenso Wachenhusen und Georg Hesekiel,
dem sich etwas später Hiltl und Adami anschlossen.
Der historische Roman war seinerzeit Trumpf; Julius
Bacher, Ed. Breier, Oettinger, Herib. Rau, Louis
Schneider, Max Ring, H. v. Maltitz waren seine älteren
Vertreter im Jankeschen Verlag, die neueren Karl
Berkow, Graf Wusso Bredow, Samarow, A. v. d. Elbe,
L. Heidheim, Ludovika Hesekiel, Math. Raven. Mit
ihren Erstlingswerken erschienen dort auch Dahn,
Wilh. von Hillern, Luise v. Frangois, Bogumil Goltz,
Galen u. a.; vielfach finden wir August Becker, Adelheid
v. Auer, Gutzkow, Leop. Kompert, Willkomm, Kühne,
Kümberger, Kurz, H. Smidt, Springer, Rosegger, die
Lewald, Lingg verzeichnet. Möllhausen folgte mit Glück
den Spuren Gerstäckers; auch halb verschollene Namen
wie Marc Anton Niendorf, Ulrich Graf Baudissin, Bernd
von Guseck, Arthur Stahl tauchen auf. Dazu in Masse
die neueren: Jensen, Wiehert, Leixner, Heiberg, Golo
Raimund, Telmann, Schweichei, E. Junker, Voß —
und jüngere Talente zu Haufen. Von Ausländern die
einst viel verschlungenen Werke der Braddon, Wood,
Ouida, Yonge, Schwartz, von Ponson du Terrail und
anderen französischen Autoren des zweiten Kaiserreichs.
Strodtmann führte J. P. Jacobson in trefflicher Über¬
setzung ein, Jockai verlegte zahllose seiner Romane
bei Janke; Tolstoi, Turgenjew, Dostojewski, Gorki,
Sienkiewicz, Bjömson, Bergsöe fehlen nicht.
-bl-
Von den seitens der Akademie der Wissenschaften
in Krakau periodisch herausgegebenen Berichten der
„Kommission zur Erforschung der Geschichte der Kunst
in Polen“ ist vor kurzem Heft III des VII. Bandes in
einem stattlichen,reich illustrierten Folioband erschienen.
Es enthält genaue Berichte über sämmtliche im Jahre
1890 abgehaltenen Sitzungen der beregten Kommission,
sowie einige wertvolle, originelle Abhandlungen. Von
diesen letztem streifen zwei auch bibliophile Interessen,
auf welche ich hinweisen möchte. Äußerst interessant
ist der Aufsatz von Professor M. Sokolowski über volks¬
tümliche Holzschnitte in Polen aus neuerer Zeit, ein
Thema das hier wohl überhaupt zum ersten Mal be¬
handelt worden ist. Ferner erwähnenswert ist die Ab¬
handlung von Dr. Felix Kopera über „Miniaturen aus
Handschriften polnischer Herkunft in der Kaiser¬
lichen öffentlichen Bibliothek in St. Petersburg.“ In
genannter Bibliothek wurden seinerzeit mehrere bedeu¬
tende polnische Büchersammlungen, so z. B. die be¬
rühmte Zaluskische Bibliothek überführt, in welcher
sich zahlreiche seltene und kostbare mittelalterliche
Manuskripte befanden. Herr Dr. Kopera hat als erster
die Miniaturen und Initialen einer ganzen Reihe von
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216
Chronik.
Bibeln, Evangelien, Bibelkodexen, Gradualen, Mis-
salen usw. vom künstlerischem Standpunkte aus unter¬
sucht, beschrieben und zum Teil photographisch auf¬
genommen. Im Heft I des VII. Bandes der erwähnten
Berichte — erschienen 1902 — behandelte er die aus
dem XI—XII. Jahrhundert stammenden Miniaturen,
im gegebenen Heft folgen solche aus dem XV. Jahr¬
hundert, das in der Petersburger Bibliothek reichlich
vertreten ist, während der letzte Teil seiner Arbeit im
nächsten Band der Berichte veröffentlicht werden soll.
Die beiden Aufsätze der Herren Sokolowski und
Kopera sind mit zahlreichem Illustrationsmaterial ver¬
sehen , und die typographische Seite der ganzen
Publikation macht einen entsprechend gediegenen
Eindruck. P. E.
Der ehemalige Hochaltar in der Karmeliterkirche
zu Hirschhorn a. N. Ein Beitrag zur Kunst - und
Kulturgeschichte des XVIII. Jahrhunderts. Von
Walter Thornae. Mit 16 Lichtdruck tafeln und 8 Auto¬
typien im Text, nach photographischen Originalauf¬
nahmen von Ernst Gottmann . Heidelberg 1903. In
Kommission bei Gustav Köster.
„Wenn das kunstliebende Publikum, anstatt sich
sein Urteil aus allgemeinen Kunstgeschichten mit mehr
oder weniger schlechten Abbildungen zu holen, oder
Kollegs über Raphael und Michelangelo zu hören, sich
lieber ein wenig mit den einheimischen Denkmälern
befassen wollte, allerdings nicht, um sie zu restaurieren,
sondern um sie zu studieren, so würde es mehr lernen
und vielleicht auch die Erzeugnisse unserer eigenen,
künstlerisch regsamen Zeit mit feinerem Auge prüfen,
als es bis jetzt geschieht. . .“ so schließt der Verfasser
das Vorwort seines Buches. Nach dem, was er von
ausgezeichneten Reproduktionen seinem historisch¬
kritischen Texte einverleibt, scheint es allerdings ein
tiefer Schade zu sein, der den deutschen Kunstdenk-
mälem der Barockzeit zugefügt ist, als man den präch¬
tigen Hauptaltar zu Hirschhorn zerstörte. Er teilte
das Schicksal zahlloser katholischer Kunstschätze in
der Periode der Säkularisation. Ein Teil des Altars
wurde als Brennholz versteigert, anderes, so die
großen Figuren gingen in verschiedenen Privatbesitz
über. Einen großen Teil der ehemaligen Besitztümer
des schon 1803/05 aufgehobenen Karmeliterklosters
erwarb beim Abbruch der Kirche in den vierziger
Jahren der Gasthalter Langbein. Neben Kunstgegen¬
ständen befinden sich auch genaue Zeichnungen, Stiche,
ein Säulenbruch, Einzelheiten von der Hand eines
Kunstschreiners in Feder und Tusche entworfen in
seinem Besitz. Andere Dokumente werden im Kreis¬
archiv zu Heppenheim auf bewahrt. Wir haben es hier
mit einer höchst bedauerlichen Barbarei einer ver¬
ständnislosen Übergangszeit zu tun und müssen Walter
Thornae dankar sein, daß er durch sein Buch dem
Kunstgeschichtskreis der Neckarstädte ein neues, fast
vergessenes Blatt einfiigt. H.
Die heutige Retrospectiv-Wissenschaft ist von der
Aufzählung zur Durchleuchtung, von der dickleibigen
und kurzsätzigen Sammelgeschichte zur Monographie
gelangt. Es genügt nicht, ein Kunstwerk zu beschreiben
und das Leben seines Schöpfers knapp datiert hinzuzu¬
fügen: im Einzelwerk und seinen Geistes- oder Stoff¬
verwandten soll eine ganze Zeitspanne, ein Menschen¬
typus, eine gesellschaftliche Ordnung sich spiegeln.
Ein Werk herauszugreifen oder ein Ereignis und in
sorgsamer Forschung Dazugehöriges aufzuspüren und
zu gruppieren, das lockt unsere Gelehrten von heute.
Eine derartige Aufgabe, geschickt gestellt und glänzend
gelöst, hat sich Dr. Emil Schaefer in seinem reich
illustrierten Buche: Das Florentiner Bildnis (München,
Verlagsanstalt F. Bruckmann 1904. Preis 7 M.) ge¬
wählt. Das blühende, feinsinnige Florenz, das Giotto
und Ghirlandajo, Pontormo und Lionardo schauten,
ersteht in einer Reihe von Porträts. Von den Anfängen
der Bildnismalerei auf Fresken und Andachtsbildem
bis zu den Profan- und Profilporträts des Quattrocento
ziehen Condottieri und Gelehrte, süße und traurige
Frauen und stolze Fürsten an uns vorüber. Von der
konventionellen Form der Primitiven wie Giotto führt
der Weg zur Verinnerlichung und Subjektivität, letztere
in Pontormo, erstere in Lionardo gipfelnd, dessen
wundervolle Mona Lisa dem Buche 'gleichsam als
Schutzgöttin vorangestellt ist, — führt dann weiter zu
der steifen spanischen Grandezza, die unter Eleonore
di Toledo und Cosimo I. ihren lähmenden Einzug ins
lachende Toskana hielt. — Es war schon nicht leicht,
eine charakteristische Auswahl aus dem überreichen
Material der Galerien zu treffen. Noch schwerer das
einmal erwählte in den Text so einzufügen, daß der
Zusammenhang gewahrt blieb und er dennoch nicht
als Legende zu einem Bilderbuch wirkte. Das Werk
liest sich leicht und flüssig und interessiert durch seine
Belebtheit. Das ist lobenswert bei einem Thema, dessen
Einzelheiten so überaus bekannt sind wie bei diesem.
H.
Eigenartig, aber nicht schön ist der Buchschmuck
von A. Weisgerber zw „Maria, Traum einer Liebe“ von
Hanns Holzschuher , Verlag von Herrmann Seemann
Nachf. in Leipzig 1903. Halb in Goldschnitt-, halb in
Radiermanier gearbeitet, mit breiten unbearbeiteten
Flächen dazwischen, bekommen die Figuren etwas
Grobes und Unfertiges, Besonders die Umschlagzeich¬
nung, die einer aufgeklebten Oblate gleicht, wirkt wie
eine Illustration von Wilhelm Busch, nur daß hier die
Komik gänzlich unbeabsichtigt ist. —m.
Nachdruck verboten. — Alle Rechte Vorbehalten .
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin W. 15.
Alle Sendungen redaktioneller Natur an dessen Adresse erbeten.
Gedruckt von W. Drugulin in Leipzig für Velhagen & Klasing in Bielefeld und Leipzig auf Papier der Neuen Papier-Manufaktufr
in Straßburg i. E.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
BÜCHERFREUNDE.
Monatshefte für Bibliophilie und verwandte Interessen.
Herausgegeben von Fedor von Zobeltitz.
8. Jahrgang 1904/1905. - Heft 6: September 1904.
Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
Von
Dr. Rudolf Beer in Wien.
n.
in eigentümlicher Unstern hat
über der Katalogisierung der
Handschriften des Eskorial ge¬
waltet Es existiert heute noch
kein Gesamtverzeichnis, das
uns über die in der berühmten
Bibliothek aufgespeicherten Manuskripte Kunde
gäbe, und nur einzelne Bestände, gerade solche,
bei denen man es am wenigsten erwarten sollte,
nämlich die griechischen und arabischen, sind
in brauchbaren gedruckten Verzeichnissen kata¬
logisiert worden. Der Grund für diese bedauer¬
liche Tatsache liegt nicht etwa darin, daß die
Bibliothek des Eskorial der Forschung unzu¬
gänglich geblieben war. Einzelschriften, welche
die Bibliothek behandeln und sich speziell
mit Manuskripten beschäftigen, sind in großer
Zahl vorhanden; ebenso wurde wiederholt der
Versuch unternommen, einen Generalkatalog
anzulegen, auch zu veröffentlichen, es ist aber
bei diesen Versuchen geblieben. Unter solchen
Umständen gewinnen natürlich die handschrift¬
lichen Verzeichnisse des Manuskriptenbestandes,
die sich in manchen europäischen Bibliotheken
finden, für den Forscher besonderen Wert
Einer der genauesten und vollständigsten dieser
Kataloge liegt in der Hof - und Staatsbibliothek
München. Dem besonderen Zuvorkommen der
z. f. B. 1904/1905.
Bibliotheksdirektion verdankt es der Schreiber
dieser Zeilen, daß er dieses aufschlußreiche
Manuskript geraume Zeit benutzen durfte und
so in die Lage gesetzt war, für die Erläuterung
des Schenkungsinventares vom Jahre 1576
auf einer zuverlässigen Grundlage aufzubauen.
Dieses Inventar ist nunmehr das erste gedruckte
Verzeichnis, das über den Gesamtbestand der
Eskorialhandschriften quellenmäßige Aufschlüsse
vermittelt; „Gesamtbestand“ natürlich insofern,
als darin alle jene Handschriften verzeichnet
sind, welche bis zum Jahre der Anlage des
Kataloges von Philipp II. vereinigt worden waren.
Fehlen in dem Verzeichnisse auch die späteren
Erwerbungen, so enthält dieses Dokument
andererseits wieder viel mehr, als auch der
genaueste Katalog der heutigen Bestände zu
bieten vermöchte, denn es sind darin auch alle
jene Manuskripte verzeichnet, die bei dem
furchtbaren Brande, welcher das Kloster und
namentlich die Bibliothek im Jahre 1671 heim¬
suchte, zu Grunde gegangen waren.
Bei dem nunmehr folgenden Überblick
über die wichtigsten Manuskripte der einzel¬
nen Bestände sind einige Fächer mit Absicht
nicht berücksichtigt worden. So die orienta¬
lischen Handschriften, deren richtige Wür¬
digung sich meiner Kompetenz entzieht, ferner
29
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218
Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
die griechische Abteilung, die in dem hier
mehrfach zitierten Buche von Charles Graux
sorgfältige Behandlung erfahren hat Graux
hat es auch nicht unterlassen, hervorzuheben,
welchen wichtigen Faktor die griechischen Es-
korialenses bei den während der zweiten
Hälfte des XVI. Jahrhunderts eifrig betriebenen
humanistischen Studien in Spanien bildeten.
Bevor noch die Handschriften katalogisiert
waren, gestattete Philipp II. bereits, Abschriften
aus den von ihm erworbenen griechischen
Codices zu nehmen, und einzelne griechische
Stücke, so z. B. der berühmte Dioskorides aus
der Bibliothek Päez de Castro, heute leider
verloren, haben bei gelehrten Arbeiten, so bei
der Übersetzung des griechischen Textes
durch Andres de Laguna, den hervorragenden
spanischen Arzt (Antwerpen 1555), vortreff¬
liche Dienste geleistet (Graux Seite 99).
Prüft man die übrigen Fonds, die bis zu
einem gewissen Grade als bodenständiger Teil
der ganzen Sammlung angesehen werden
können, so gelangt man zur Erkenntnis,
daß wir im wesentlichen nichts anderes vor
uns haben, als eine ziemlich homogene Weiter¬
entwicklung jenes Handschriftenstockes, mit
dem im Mittelalter spanische Klöster und
dann auch spanische Privatbibliotheken in der
Regel ausgestattet waren. Dem mittelalter¬
lichen Konvent durften, wie die eigentlichen
Kirchengeräte, auch Bibel, Psalter, Lektionar,
Flos Sanctorum nicht fehlen. In der Mehr¬
zahl der Fälle treten auf spanischem Boden
Gregors des Großen Moralia und Isidors
Etymologien hinzu. Die Fürsorge für reicheren
literarischen Apparat brachte dann andere
Schriften Isidors, Werke der lateinischen
Dichter usw. zusammen. Charakteristisch für
die ältere spanische Klosterbibliothek ist der
Umstand, daß man Ildefonsos Lob der Jung¬
frau und des Beatus von Liebana Auslegung
der Apokalypse mit Vorliebe zu beschaffen
suchte. Im XHL und XTV. Jahrhundert er¬
fahren die Konvent- und Kirchenbibliotheken
eine Ausgestaltung durch Hinzutreten eines
mitunter ziemlich reichen scholastischen und
kanonistischen Apparates. Die Sammlung
vulgärsprachiger Werke blieb in der Mehrzahl
der Fälle den Privatbüchereien der Granden
und Bibliophilen des XV. und XVL Jahrhunderts
Vorbehalten.
Wer in Philipp H. den Herrscher sieht, in
dem nationales Interesse zum mindesten eben¬
so sehr sich verkörpert als das monarchische
Prinzip, den wird es nicht überraschen, daß
das nationale Element auch in der von ihm ge¬
gründeten Bibliothek ausschlaggebend ver¬
treten war. Dieser Umstand verleiht gleich
dem ersten Bestände, der uns entgegentritt,
dem lateinischen, ein ganz eigenartiges Ge¬
präge. Die lateinischen Handschriften sind nach
Fächern eingeteilt (Theologie 233 Bände, Phi¬
losophie mit Unterabteilung: Alchimie 92,
Medizin 24, Mathematik 16, Jurisprudenz 66,
Geschichte 98, Redner 87, Dichter 70, zu¬
sammen 686 Handschriftenbände). Die Tätig¬
keit des alten spanischen Kloster-Skriptoriums
kommt natürlich am besten in der „Theologie"
zum Ausdruck. Die Werke Isidors, des spa¬
nischen Kirchenvaters par excellence, sind in
so vielen und so ehrwürdig alten Hand¬
schriften vertreten, daß man wohl kaum an
einem anderen Orte eine gleich erlesene Aus¬
wahl solcher Textquellen finden dürfte. Unter
Philipps II. Auspizien wurde ja die große Aus¬
gabe der Werke des fleißigen Bischofs von
Sevilla, „des letzten Literatoren des römischen
Reiches", vorbereitet, die allerdings erst nach
des Königs Tode, 1599, erschien. Eine nach
modern philologischen Gesichtspunkten herge¬
richtete kritische Ausgabe der Werke Isidors
ist, wie hier gelegentlich bemerkt sei, noch
immer nicht vorhanden: das philippinische
Erbteil ist in dieser Beziehung noch nicht aus¬
genutzt worden.
Von außerordentlichem Werte waren ferner
die Handschriften spanischer Konzilien, mit denen
Philipp seine Bibliothek ausstattete. Sie hatten
nach der Provenienz aus Lugo, Sevilla, Albel-
da, Millan de Cogolla ihre eigenen Namen:
Lucensis, Hispalensis, Albeldensis und Aemili-
anus. Die beiden an erster Stelle genannten
Handschriften sind verloren. Von dem im
Jahre 976 vollendeten Albeldensis behauptet
ein kundiger Beurteiler, Paul Ewald, dieses
Manuskript sei „für alle Zeiten ein herrliches
Denkmal mittelalterlicher Kunstfertigkeit". In
der Tat läßt sich altspanisches Wesen, Leben
und Treiben kaum aus irgend einem Denkmale
mit solcher Unmittelbarkeit erkennen, als aus
diesem überaus reich mit Miniaturen ausge¬
statteten Kodex, von denen leider nur ein
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Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
219
verschwindend kleiner Teil durch Nachbildung
bekannt geworden ist. Diesem Kleinode steht
die zweite noch erhaltene Konzilien-Hand-
schrift, der Aemilianus, an Pracht der Aus¬
stattung wenig nach.
Nicht minder wichtig erscheint ein Hinweis
auf die sogenannten „Apringius“-Handschriften
des Eskorial Sie enthalten, wie wir heute
wissen, tatsächlich den Kommentar des Beatus
von Liebana zur Apokalypse und sind gleich¬
falls reich mit Illustrationen ausgestattet
Dieser Bilderzyklus bildet den einzigen Ab¬
schnitt aus der Geschichte der älteren spani¬
schen Miniaturmalerei, welcher bisher ein¬
gehende Berücksichtigung und zwar von zwei
sehr zuständigen Kunstlichtern erfahren hat, von
Leopold Delisle und Theodor Frimmel. Beide
Gelehrte haben umfangreiche Listen von Hand¬
schriften dieses Werkes zusammengestellt: die
bereits in unserem Inventare namhaft ge¬
machten und heute noch erhaltenen Pracht¬
codices des Eskorial fehlen in diesen Ver¬
zeichnissen.
Ein weiteres Beispiel, wie die Angaben des In-
ventares für die Geschichte der archaischen
Periode der spanischen Miniaturmalerei ausge¬
nützt werden können, bietet die im Inventare ent¬
haltene Beschreibung eines Aratus-Kodex. Es
wird ausdrücklich versichert, die Phänomena
seien „cum picturis optimis“ ausgestattet ge¬
wesen. Dieses Eskorialmanuskript gehörte offen¬
bar zu den reich illustrierten Aratusexemplaren,
mit denen sich die Kunstgeschichte bereits
eingehend beschäftigte, und die jüngst durch
Georg Thiele (in dem Werke „Antike Himmels¬
bilder", Berlin, 1898) sorgfältige Erläuterung
erfahren haben. Es ist anzunehmen, daß der
Eskorialensis zu derselben Gruppe der schön
ausgestatteten spanischen Handschriften ge¬
hörte, von denen noch ein Exemplar in der
Madrider Nationalbibliothek erhalten ist. Leider
ist es bisher nicht möglich gewesen, über das
Schicksal des im Inventare verzeichneten,
heute aber anscheinend verschollenen Eskorial-
exemplares näheres zu ermitteln.
Außer prächtigen Denkmälern des früh¬
mittelalterlichen spanischen Skriptoriums finden
wir Handschriften in großer Zahl vereinigt,
deren Entstehen den mächtigen Impulsen ver¬
dankt wird, die Alfons X. gegeben hat Diese
Impulse kamen in erster Linie den nationalen,
d. h. den Schriften in der Vulgärsprache zu
Gute, sind aber auch in der Gruppe der latei¬
nischen Manuskripte deutlich wahrnehmbar.
In einem mächtigen Sammelwerke sind die
Taten und Wunder der Heiligen seit Konstantin
dem Großen von Bemardo de Brihuega,
einem der literarischen Helfer des gelehrten
Königs, niedergelegt worden. Groß ist ferner
die Zahl der lateinischen Chroniken und Ge¬
setzsammlungen, deren Niederschrift gleichfalls
auf Anregung Alfons X. hin erfolgte, und die
nämlichen Einflüsse machten sich auch bei der
Übersetzung arabischer medizinischer Werke
ins Lateinische geltend.
Aus dem XTV. und XV. Jahrhundert
stammen zahlreiche kanonische und domisti-
sche Schriften, auch die lateinische klassische
Literatur ist vortrefflich vertreten — die
schönsten Exemplare der letztgenannten Kate¬
gorie stammen allerdings, wie wir jetzt genau
feststellen können, aus der aragonesischen
Bibliothek zu Neapel Einzelne von Philipp IL
dem Eskorial überwiesene lateinische Manu¬
skripte sind auch literarische Denkmäler der
großen religiösen Fragen undVerfassungskämpfe,
welche das ausgehende Mittelalter und die be¬
ginnende Neuzeit bewegten. Die Akten des
Baseler, des Florentiner, ja auch schon des
Tridentiner Konziles sind vorhanden, selbst die
„Acta colloquii Wormatiae inter catholicos
et eos, qui sunt confessionis Augustanae, anno
1567"
Aus dem Charakter der Büchersammlung,
die ja ursprünglich als königliche Hausbibliothek
angelegt war, erklärt sich das Vorhandensein
zahlreicher Manuskripte, die in direkter Be¬
ziehung zu den Trägem der spanischen Krone
stehen. Gerade von diesen Reliquien ist vieles
heute verloren, und das Inventar repräsentiert
daher bis jetzt den einzigen urkundlichen Beleg,
der uns die Sammlung von Stücken dieser Art
bezeugt. Die Handschrift, welche Gedichte
über Ferdinand den Katholischen von Johannes
Michael „Magonus“ (so in der Urkunde) ent¬
hielt und, wie das Inventar versichert, mit
Bildern ausgeschmückt war, vermochte ich in
den heutigen Beständen nicht wiederzufinden.
Der Autor ist offenbar identisch mit J. M.
Nagonius,dessen Gedichte zum Lobe Maximilian L
heute in der Wiener Hof bibliothek aufbewahrt
werden. Dieses Manuskript enthält nun eine
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220
Beer, Zur Geschichte der EskorUl-Bibliothek.
vortreffliche Titelminiatur, und es ist anzuneh¬
men, daß auch die Eskorialenser Handschrift,
zweifellos ein Dedikationsexemplar, sich durch
vorzüglichen Bilderschmuck auszeichnete. Chro¬
niken und sonstige historische Abhandlungen,
welche die Regierungszeit der „katholischen
Könige“ behandeln, sind in stattlicher Reihe
vertreten. Ebensowenig fehlen in dieser —
lateinischen — Abteilung literarische Reminis¬
zenzen an die gewaltige Gestalt des „Cäsar“
(Karl V.); so des Cerutti aus Novara Gedichte
über des Kaisers Rückkehr aus Afrika, Epi¬
gramme, die anläßlich des Einzuges Karls V. in
Mailand gedichtet wurden, Gelegenheitsgedichte
des spanischen Humanisten Juan Verzosa, Epi¬
taphe von Juan Calvete de Estrella, eines Fran-
ciscus Crassus usw. usw. Die Historiographie
Karls V. vertritt im Inventare mehrfach Nikolaus
Mameranus aus Luxemburg, über dessen
fleißige Geschichtschreibung uns Georg Voigt
in einem anziehenden Aufsatze belehrt hat,
ohne jedoch die Eskorialenser Manuskripte
der Schriften dieses diensteifrigen Historio¬
graphen zu kennen. Ebenso merkwürdig sind
die Manuskripte, die sich auf Philipp ü. be¬
ziehen, Schriften, die mit seinen Studien Zu¬
sammenhängen, auch persönliche Erinnerungen
aus seiner Jugendzeit, die er als reifer Mann
mit einer Sorgfalt aufbewahrt hatte, die uns
rührt Ein Arzt, Matthias Haco, stellte ihm
ein Horoskop, das er lange Zeit bei sich be¬
halten und für die Bibliothek des Eskorial reser¬
viert hatte. Auf die Zeit seiner Studien weist
eine wenig bekannte Übersetzung der lyrischen
Poesien des gefeierten spanischen Dichters
Jorge Manrique. Die lyrischen Kompositionen
dieses ernsten, tiefempfindenden Dichters waren
viel gelesen worden, und es stimmt mit ander¬
weitigen Nachrichten, die uns von eifrigen Stu¬
dien des Prinzen auf dem Gebiete der lateinischen
Sprache berichten, — sein Lehrer Siliceo kon-
versierte mit ihm stundenlang in lateinischer
Sprache — wenn wir dieses Handexemplar
der lateinischen Übersetzung von Philipp in
Ehren gehalten sehen. Die Manuskripte der
lateinischen Abteilung, die eine solche persön¬
liche, auf den Gründer bezügliche Note tragen,
ein Carmen genethliacum von Juan P£rez, Ge¬
dichte des schon erwähnten Cerutti, eines
Aureüus Albucius über den Einzug Philipp II. in
Italien, ein lateinisches Huldigungsgedicht der
Universität Alcalä usw. erhalten mannigfaltige
Ergänzung in den vulgärsprachigen Abteilungen,
und wir kommen hierauf noch zu sprechen.
So reich diese Serie von literarischen Re¬
miniszenzen auch sein mag, sie tritt zurück
hinter der imposanten Fülle von Denkmälern,
welche die nationale Historie und Literatur be¬
treffen, und man würde Philipp entschieden
unrecht tun, wollte man glauben, daß er seine
Person und die Erinnerung an seine unmittel¬
baren Vorgänger auf dem spanischen Throne
mit Absicht habe in den Vordergrund rücken
wollen. Auch in der Sammlung der lateinischen
Schriften zeigt der Herrscher weiten historischen
Blick. Von den Chroniken alfonsinischer Zeit
wurde schon gesprochen. Die Denkmäler
reichen aber in frühe Jahrhunderte des Mittel¬
alters zurück. Neben Isidor sind die ältesten
nationalen Historiker, Sebastian von Sala-
manca, Sampirus von Astorga, Pelagius von
Oviedo, Julian von Toledo berücksichtigt; ferner,
was uns besonders interessiert, auch die alt¬
ehrwürdige lateinische Chronik — die Gesta —
vom Cid. Das Inventar führt von den letzteren
eine bisher unbekannte, heute, wie es scheint,
verlorene Abschrift dieser Chronik an, die be¬
kanntlich für die Beurteilung des ältesten
Denkmales der spanischen Literatur, des Poema
del Cid, von Bedeutung ist Was unter den
lateinischen Chronisten der späteren Zeit Name
und Bedeutung hatte, Rodericus von Toledo,
Lucas von Tuy, Alfons von Valencia, ist hier
vertreten, auch minder bedeutendere, so die
Katalanen Johannes Margarit und Petrus Camp.
Man sieht aus diesen wenigen Andeutungen,
daß schon in der lateinischen Abteilung das
Gerüst aufgeführt war, um den Bau einer
Darstellung spanischer Forschung, namentlich
auf dem Gebiete der Geschichte, wie sie in
den lateinischen Schriften niedergelegt wurde,
aufzuführen. Das hat denn auch der erste
große Literarhistoriker Spaniens gar wohl er¬
kannt Das gewaltige Werk „Bibliotheca
Hispana vetus“ des Nicolas Antonio bietet an
zahlreichen Stellen Nachrichten, die direkt
und einzig allein aus den Eskorialmanuskripten
geholt wurden.
In noch viel höherem Maße gilt dies aber
für die vulgärsprachige Literatur. Überblickt
man die erstaunliche Fülle spanischer Manu¬
skripte, die Philipp schon bis zum Jahre 1576
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Beer, Zar Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
221
zusammengebracht hatte, und die in unserem
Inventare ziemlich gut katalogisiert, nach
Fächern geordnet vorliegt, so wird sofort
klar, daß hier ein reiches Material nationaler
literarischer Produktion vereinigt ward; das
Verzeichnis, welches diese Sammlung wieder¬
spiegelt, kann, wenn man will, trotz mancherlei
Lücken als erster Grundriß der spanischen
Literaturgeschichte angesehen werden. Um
gleich wieder bei Nikolas Antonio zu bleiben:
die Bibliotheca nova des überaus kenntnis¬
reichen Gelehrten — in der von P6rez Bayer
besorgten Ausgabe 1788 erschienen — bildet
heute noch das unentbehrliche Nachschlage¬
werk fiir die spanische Literatur des XVI. und
XVIL Jahrhunderts, und Antonio sowohl wie
auch insbesondere P6rez Bayer haben in erster
Linie aus dem Material geschöpft, das durch
Philipp im Eskorial vereinigt worden war. Ja,
es wäre leicht zu zeigen, daß die beiden aus¬
gezeichneten Gelehrten trotz allen Fleißes und
großer Genauigkeit dieses Material keineswegs
erschöpft haben.
Dies im einzelnen nachzuweisen, ist freilich
hier nicht der Ort. Doch lohnt es der Mühe,
wenigstens in großen Zügen zu skizzieren, was
an nationalen Literaturdenkmälern einem so
mächtigen Faktor wie des Königs Majestät da¬
mals erreichbar war; lehrreich ist andererseits
auch die Feststellung dessen, was in der Samm¬
lung spanischer Manuskripte an wichtigeren
Denkmälern der Literatur fehlt, was also zu
Philipps Zeit nicht bekannt oder auch ihm, dem
Könige, wie seinen forschungseifrigen Helfern
unerreichbar blieb.
Zu den letzteren gehören die Denkmäler
der spanischen Heldensage — wir meinen die
alten „Gesta", die, später umgearbeitet, zum Teile
in der Prosaauflösung der Chroniken, zum Teile
in der Umdichtung der Romanzen weiter fort¬
lebten. Über diese hatte bereits in der ersten
Hälfte des XV. Jahrhunderts der Markgraf von
Santillana verächtlich geurteilt, „daß sich an
ihnen nur Leute niedrigen und dienenden Stan¬
des ergötzen". Es darf bezweifelt werden, ob
selbst die gelehrtesten Mitarbeiter des Königs
bei der Zusammenstellung der Eskorialbiblio-
thek von dem Reichtum der altspanischen
Epopöe überhaupt eine Vorstellung hatten, von
jenem Reichtum, den die bis jetzt aufgefundenen
Proben mehr ahnen denn erkennen lassen.
Andere Denkmäler der älteren spanischen
Dichtung wurden vielleicht mit Absicht der
königlichen Bibliothek nicht einverleibt Zu
diesen gehören die zum Teile lockeren, ja un¬
verschämten, zum Teile streng die Zustände
geißelnden satirisch politischen Dichtungen,
die unter dem Namen Coplas del Provincial
und Coplas de Mingo Revulgo bekannt sind,
vor allem das Buch „von der guten Liebe" des
Erzpriesters Juan Ruiz, zweifellos eines der
größten, aber auch eines der losesten Dichter,
den die spanische Literatur des Mittelalters
aufzuweisen hat. Bezeichnend ist ferner, daß,
abgesehen von den Gralerzählungen, die Ritter¬
romane in der königlichen Sammlung fehlen;
noch bezeichnender ist der Umstand, daß in
einigen kleineren, früher angelegten Listen der
königlichen Sammlung das Vorhandensein sol¬
cher Romane in der königlichen Bibliothek be¬
stätigt wird, daß sie aber bei der Revision des
Handschriftenmateriales, als deren Ergebnis
sich der Inventarbestand vom Jahre 1576 dar¬
stellt, ausgeschieden worden waren. Daraus
ergibt sich die beachtenswerte Schlußfolgerung,
daß schon ein Menschenalter vor dem Er¬
scheinen des Don Quijote diese Romane nicht
mehr für würdig befunden wurden, in einer
Bibliothek zu figurieren, die ja doch ihrer An¬
lage gemäß den „universellen Studien" zu dienen
hatte.
Sind die gekennzeichneten Lücken aus den
angedeuteten äußeren Umständen erklärlich,
so überrascht andererseits das Fehlen von
Schriften, deren Nichtaufnahme durch kein
solches Motiv begründet war. In erster Linie
gehört dazu der Graf Lucanor des Infanten
Don Juan Manuel, eines der berühmtesten
Bücher der älteren spanischen Literatur, ferner
die frommen Gesänge Gonzalo Berceos, die gewiß
in Abschriften erreichbar waren. Ebensowenig
ist Ifugo Löpez de Mendoza, der erste Mark¬
graf von Santillana, Verfasser vortrefflicher
lyrisch-didaktischer Poesien, vertreten. Die Text¬
geschichte der genannten Schriften ist aller¬
dings noch nicht genügend aufgehellt, um sichere
Schlüsse in dieser Beziehung zu gestatten.
Diesen negativen Schlußfolgerungen steht
nun eine Fülle positiver Angaben gegenüber,
die unser Inventar über den Bestand der könig¬
lichen Bibliothek an spanischen Manuskripten
bietet Lassen wir zunächst Zahlen sprechen.
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222
Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
Die Theologie umfaßte 73, die Philosophie 71,
Jurisprudenz 43, Mathematik 7, Medizin 8, Ge¬
schichte 109, Dichtung und Grammatik 2 6,
Jagd 5 Handschriften; das gibt einen Gesamt¬
stock von 342 Bänden. Die Bedeutung der
Sammlung wird erst recht klar, wenn wir nicht
nur zählen, sondern auch wägen. Die hier ver¬
einigten Stücke sind zum Teile durch ihre
Ausschmückung (als Miniaturenhandschriften)
insbesondere aber dadurch von größtem Werte,
daß sie vorzügliche Textquellen liefern. Es
ließe sich eine lange Reihe von Schriften der
alt- und mittelspanischen Literatur zusammen¬
stellen, deren urkundliche Grundlage in erster
Linie, ja manchmal einzig und allein, aus den
Handschriften zu holen ist, die Philipp IL dem
Eskorial überwiesen hat
War auch Philipp ü. auf das Vorhandensein
der Handschrift, die das älteste Denkmal der
spanischen Nationalliteratur, das Poema del
Cid, überliefert, nicht aufmerksam gemacht
worden, so ließ er doch den Sang vom Grafen
Feman Gonzalez, der den alten Epen zwar
nicht durch Versart oder Stil, wohl aber durch
den nationalen Stoff und den patriotischen,
kampffrohen Geist nahesteht, in den Eskorial
bringen. Dieses kostbare Manuskript ist heute
mit anderen Denkmälern der älteren spanischen
Dichtung, mit einem Totentanz, mit den Sprü¬
chen des Rabbi Santob und mit einem Kate¬
chismus in Versen vereinigt. Der neueste Heraus¬
geber des Totentanzes, Karl Appel, hatte
bereits erkannt, daß diese Sammelschrift früher
gesondert in drei Teilen bestanden haben
müsse, und tatsächlich führt unser Inventar
diese Teile selbständig und getrennt an.
Schon früher wurde angedeutet, daß das
Werk Alfons X. des Weisen im Schenkungs¬
inventar durch zahlreiche, kostbare, zum Teile
miniierte Exemplare vertreten ist. Eine be¬
sondere Stellung unter diesen nehmen die vier
mächtigen Folianten ein, welche die auf Geheiß
dieses Königs zusammengestellte Weltgeschichte
enthalten. Dieses Monumentalwerk steht in der
ganzen historischen Literatur des Mittelalters
ohne Gleichen da, ist bis zum heutigen Tage
nur in ganz geringen Bruchstücken bekannt,
und die Madrider Akademie der Geschichte,
die schon vor Jahren daran ging, das Material
zu einer Ausgabe dieses Werkes zu sammeln,
hat durch Veranstaltung einer solchen noch
eine Ehrenpflicht zu erfüllen. In erster Linie
werden hier die Eskorialhandschriften ma߬
gebend sein, da außer dem genannten vollstän¬
digen Exemplare in vier Bänden noch eine
Reihe Abschriften von Teilen desselben vor¬
handen sind, die Philipp IL gleichfalls in den
Eskorial bringen ließ.
Verschieden von dieser Weltgeschichte ist
die „Chronik Spaniens“ Alfons X., über deren
Textgeschichte, Umarbeitung und Redaktionen
uns in jüngster Zeit ein verdienter spanischer
Literaturhistoriker, Ramön Menöndez Pidal, unter
Heranziehung einiger von Philipp IL dem Esko¬
rial geschenkten Exemplare unterrichtet hat
Auch diese Chronik harrt noch in ihrer ursprüng¬
lichen Gestalt der Veröffentlichung.
Die weitausgreifende legislatorische Tätig¬
keit des gelehrten Königs ist bekannt Die be¬
kannteste Frucht derselben—die „Siete Partidas“
Alfonsos — liegt uns bereits seit geraumer Zeit
in einer brauchbaren Ausgabe vor, und es ist
hierdurch möglich geworden, diese Gesetz¬
sammlung nach verschiedenen Richtungen, nicht
zuletzt als kulturhistorisches Quellenwerk zu
würdigen. Bei der erwähnten Ausgabe dieses
Werkes sind zahlreiche Handschriften des Esko¬
rial herangezogen worden, die unser Inventar
bereits anfuhrt
Unter den kleineren „Opusculos legales“
Alfons des Gelehrten, wäre des auf sein Ge¬
heiß 1276 vom „Meister Soldan“ zusammen¬
gestellten Ordenamiento de Tafurerias zu ge¬
denken, dessen Strafbestimmungen Spiele und
Spielhäuser betreffen. Von diesen kleineren legis¬
latorischen Sammlungen sind alte Exemplare
noch heute im Eskorial aufbewahrt.
Anders verhält es sich freilich, wie schon
erwähnt, mit den astronomischen Werken
Alfons X. Da das zu Alcalä aufbewahrte
Exemplar für den Eskorial nicht zu erwerben
war, mußte des Don Cärlos Lehrer, Honorato
Juan, eine Nachbildung dieser Handschrift
hersteilen lassen, von der schon gesprochen
wurde.
Glücklicher war Philipp H. bei der Erwer¬
bung der „Lieder zu Ehren der Jungfrau Maria“
seines großen Vorfahren auf dem spanischen
Throne. Die Eskorialbibliothek besitzt zwei
ganz besonders schön ausgestattete Exemplare
dieser Gesänge, die beide bereits in dem In¬
ventar vom Jahre 1576 erscheinen. Die eine
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Beer, Zar Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
223
dieser Handschriften, die nicht weniger als
1292 Miniaturen und Vignetten enthält, darf
als eine der Hauptfundgruben für die Kenntnis
der spanischen Kunst- und Kulturgeschichte
bezeichnet werden. Die ungemein wechselnde
Fülle vortrefflich ausgeflihrter Bilder bietet
neben architektonischen Motiven zahlreiche
Darstellungen von Waffen, Ornaten, Kleidern,
Hausrat, Musikinstrumenten; ja die ganze spa¬
nische Gesellschaft aus der zweiten Hälfte des
XIII. Jahrhunderts, Könige, Magnaten und Ritter,
Prälaten und Kleriker, wie auch die niederen
Stände, ebenso Juden, Sarazenen sind in vor¬
trefflichen Typen von kunstgeübter Hand hier
festgehalten worden. Mit einem Worte, wer
altspanisches Leben studieren will, muß auf
diese in ihrer Art einzig dastehende Quelle zu¬
rückgehen; es ist zu bedauern, daß die Pracht¬
handschrift bis jetzt nur in einem verhältnis¬
mäßig sehr kleinen Teile reproduziert wurde,
und auch diese Reproduktionen nur in einer
nicht leicht erreichbaren, sehr kostspieligen
Edition (in der von der spanischen Akademie
besorgten Ausgabe der Cantigas) begraben
wurden.
Auch von den auf direkte oder indirekte
Veranlassung Alfonsos hergestellten Über¬
setzungen verschiedener Werke (so z. B. Calila
et Dimna, Bocados de oro) ließ Philipp II.,
wie unser Inventar bezeugt, wertvolle, für die
Kenntnis der bezüglichen Texte maßgebende
Handschriften in den Eskorial bringen. Andere
kostbare literarische Reliquien des gelehrten
Königs kamen nach 1576 in die Konvents-
Bibliothek, so die Prachthandschrift des Lapi-
dario (Steinbuchs) und das ebenso reich mit
Büderschmuck ausgestattete, über Schach,
Würfel- und Brettspiel handelnde Werk, welches
bis heute unveröffentlicht geblieben ist. Durch
die Sammlung der genannten und noch mancher
anderer hier nicht erwähnter Schriften des
größten literarischen Phänomens auf dem
Throne Castiliens war Alfons X. ein Denkmal
von erstaunlicher Größe gesetzt worden. Seit
den Tagen des Infanten Don Juan Manuel
(Neffen des Königs), der die Größe und Be¬
deutung seines Oheims bewundernd begriffen
und von dieser Bewunderung auch durch die
eigene literarische Tätigkeit Zeugnis abgelegt
hat, war dem Andenken Alfons des Gelehrten
wohl niemand so gerecht geworden als Philipp H.
Auf die von ihm veranstaltete Sammlung
alfonsinischer Werke baut sich denn auch die
erste wissenschaftliche Erforschung der liter¬
arischen Tätigkeit des großen Königs auf, eine
Erforschung, die Nicoläs Antonio in Angriff ge¬
nommen und Pärez Bayer weitergefiihrt hatte.
Seither sind die Literarhistoriker immer wieder
zu diesen Quellen für die alfonsinische Litera¬
turepoche, deren einschneidende Wichtigkeit
für die Gesamtentwicklung des nationalen
Schrifttums man immer deutlicher erkannte, zu¬
rückgekehrt, ohne den Gegenstand vollständig
erschöpfen zu können. Monumentale Werke
des Königs erwarten ihre endliche Verwertung
und Veröffentlichung; das Gebäude, zu dem
Philipp H. die Grundsteine legte, ist noch
immer nicht aufgefiihrt.
An der Hand des Inventares kann dargetan
werden, daß Philipp II. mit ähnlicher Sorgfalt
auch die späteren Literaturperioden berücksich¬
tigt, d. h. Textquellen für hervorragende litera¬
rische Erscheinungen des XTV. und XV. Jahr¬
hunderts in seine Sammlung aufnehmen ließ.
Die wichtigsten Werke, die mit Sancho IV.
(Alfonsos Sohn und Nachfolger) in Beziehung
stehen, so der merkwürdige, unter dem Namen
Castigos e documentos bekannte Fürstenspiegel,
die Übersetzung der Schrift des Philosophen
Seneca „De Ira“ sind bereits in unserem Inven-
tare verzeichnet Ebenso finden sich Exem¬
plare des Jagdbuches Alfons XI. (1312—1350),
die auf Veranlassung dieses Königs zusammen¬
gestellte Reichschronik, ferner die Übersetzung
des französischen Romanes de Troie, die der
Herrscher kurz vor seinem Lebensende an¬
ordnete. Auch ein Exemplar der sogenannten
Crönica general de 1344, deren hervorragende
Wichtigkeit für die altspanische Sagenkunde
erst jüngst erwiesen wurde, und deren Ab¬
fassung, wie sich aus der Datierung ergibt, in
die Regierungszeit Alfons XI., des Wieder-
erweckers der Erinnerungen der altspanischen
Heroenzeit, fällt, ist in einem wertvollen Exem¬
plare von Philipp erworben worden.
Auch aus der politisch so reich bewegten
Epoche, die auf die Regierung des tatkräftigen
Alfons XL folgte, sind Werke in zum Teil kost¬
baren Handschriften von Philipp zum Zwecke
ihrer Einverleibung in die Biblioteca Real ge¬
sammelt worden, und auch bei diesen lassen
sich mannigfache Beziehungen zu den Trägern
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224
Beer, Zar Geschichte der EskorUl-Bibliothek.
der kastiüschen Krone feststellen; das gilt
namentlich von Juan IL (1407—1454) sowie
Enrique IV. (1454—1474), ja schon an
Pedro den Grausamen (1350—1369) werden wir
durch die Handschrift der „Proverbios morales"
erinnert, welche der Jude Santob aus Carrion
an diesen König gerichtet hat — ein bemerkens¬
wertes Beispiel älterer Spruchdichtung, das vor
kurzem den Gegenstand einer eingehenden
Quellenuntersuchung bildete (von Leopold Stein,
Berlin 1900).
Im Zusammenhang mit der ausgebreiteten
Übersetzungstätigkeit, die unter Juan IL, zum
Teil auf seine direkte Veranlassung sich ent¬
faltete und auf die wir noch zu sprechen kom¬
men, stehen die gelehrten Erläuterungen, die der
Doktor Diaz aus Toledo zu den Sprüchen
Senecas verfaßte. Diese Sammlung der Prover¬
bios „dirigidos al rey don Juan" sind in mehreren
handschriftlichen Exemplaren von Philipp IL
dem Eskorial geschenkt worden, und diese
Tatsachen, zusammengehalten mit dem Um¬
stand, daß im Laufe des XVI. Jahrhunderts von
dieser und den verifizierten Sprüchen des
Markgrafen Santillana mehr als ein Dutzend
gedruckte Ausgaben erschienen, zeugen für die
Beliebtheit, deren sich die gnomische Poesie in
Spanien während jener Zeit erfreute. Gleichfalls
auf Veranlassung Juan IL verfaßte der könig¬
liche Beichtvater Lope de Barrientos, Bischof
von Cuenca, einen Traktat über die Weissagung
(eine Art von Fortsetzung eines Traumbuchs);
auch diese Schrift, in welcher der Autor
Divination und streng katholische Lehre in Ein¬
klang zu bringen versuchte, war auf Philipps
Geheiß in den Eskorial gebracht worden. Außer¬
dem erscheint eine Handschrift der allegorischen
Vision, welche der Sekretär Juan IL, der be¬
gabte und formgewandte Dichter Juan de Mena
vornehmlich in Anlehnung an Dante verfaßt
hatte, und die unter dem Namen Las Trecientas
(nach der Zahl der coplas) bekannt sind.
Aus der Zeit Heinrich IV. stammen einige
historische Werke, auf deren Abfassung der
König selbst Einfluß genommen hat. Pedro de
Escavias, sein Guarda- Mayor und Staatsrat,
stellte ein Repertorium der spanischen Herrscher
zusammen; sein Chronist, der Lizentiat Diego
Enriquez de Castilla, eine Darstellung der Er¬
eignisse unter Heinrichs Regierung; an dieses
Manuskript schließt sich ein Exemplar der
Edades del Mundo, welches ihr Verfasser, Pablo
de Santa Maria, zusammen mit einer weit¬
schweifigen Glosse demselben König gewidmet
hatte.
Die hier erwähnten, wie noch eine Reihe
anderer Schriften spanischer Autoren des
XV. Jahrhunderts (so des durch seine Chronik
bekannten Diego de Valera, dessen lange
schriftstellerische Tätigkeit noch bis zur Zeit
Isabellas der Katholischen reicht) sind heute
noch im Eskorial so vollständig vorhanden, wie
sie Philipp laut Zeugnis unserer Urkunden in
das Kloster bringen ließ. Bei manchen Stücken
läßt sich auch der Weg, auf dem sie in den
Besitz des Königs kamen, ziemlich genau ver¬
folgen, z. B. bei einem Exemplar der unter
dem Namen „Vision deleytable" bekannten
allegorischen vielfach moralisch-doktrinären Ein¬
schlag aufweisenden Enzyklopädie des Bacca-
laureus Alonso de la Torre. Die betreffende
Handschrift des für Karl von Aragon, Prinz
von Viana verfaßten Werkes war alter Besitz
des Herrscherhauses, da sie bereits Karl V.
von seiner Mutter Johanna geerbt hatte.
Sehr zu bedauern dagegen ist, daß zwei
Exemplare spanischer Versionen des Gral¬
romans, die unser Inventar anfuhrt, spurlos aus
dem Eskorial verschwunden sind. Es ist bezeich¬
nend, daß durch den Verlust dieser Textzeug¬
nisse bisher das Studium der handschriftlichen
Quellen für den spanischen Gral unmöglich
gemacht wurde.
Dafür finden sich heute noch zahlreiche
Beweise einer überaus regen Übersetzertätigkeit,
die etwa um Mitte des XIV. Jahrhunderts kräf¬
tig einsetzend, ungeschwächt Jahrhunderte hin¬
durch fortdauert und ihren Höhepunkt, wie
gleichfalls aus unserem Inventare hervorgeht,
in der Regierungszeit Juan II. von Castilien
erreicht So enthält z. B. die Abteilung Sa-
grada Escritura Übersetzungen der Bibel, der
Schriften des Johannes Chrysostomus, Augus-
tinus, Hieronymus, Gregorius Magnus, Cassianus,
Isidorus, S. Bemardus und Thomas v. Aquino,
die Sektion Philosophie solche von Plato,
Aristoteles (diese natürlich durch Mittelglieder)
Cicero, Boetius, Seneca (Sohn), Benedikt XIII.;
die Historia bringt solche aus Caesar, Sallust,
Livius, Quintus Curtius, Valerius Maximus, Hero-
dian, B6noit, Boccaccio; unter den Poeten er¬
scheinen Terenz, Ovid, Vergil, Lucan, Seneca
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Beer, Zur Geschichte der Eskorial»Bibliothek.
225
(tragoediae), Boccaccio in spanischem Gewände.
Wir erhalten wertvolle Nachweise über weniger
bekannte uud seltene Übersetzungen (so des
Gottesstaates Augustins); die Tätigkeit mancher
Übersetzer, insbesondere die Einflußnahme
Juans II., tritt uns deutlich entgegen. Eine
Monographie über die spanische Ubersetzungs¬
tätigkeit in den letzten Jahrhunderten des
Mittelalters, die noch nicht geschrieben ist,
(ebensowenig wie eine solche für das einschlägige
französische Gebiet) erhält in unserem Inventare
wertvolle Anhaltspunkte.
Nicht minder aufschlußreich wird unser In¬
ventar für die Beziehungen Karls V. und Phi¬
lipps II. zur schönen und zur wissenschaftlichen
Literatur. Wie es noch keine erschöpfende
politische Geschichte der beiden Monarchen
gibt, so fehlt es auch an Studien, welche jene
Beziehungen erhellen und zu dem lesenswerten
Werke des Grafen Puymaigre, La cour litteraire
de Don Juan IL (Paris 1873), ein Gegenstück
liefern würden, das gewiß nicht minder anziehend
und ergebnisreich ausfallen müßte. 1
Bereits früher wurde erwähnt, daß Karl V.
gern astronomische Studien trieb, und es ist
bekannt, daß sein Lehrer Petrus Apianus, auf
gut deutsch Peter Benewitz (Bienewitz), für ein
dem Kaiser gewidmetes Werk „Astronomicum
caesareum“ den Adel und eine Ehrengabe von
3000 Dukaten erhielt. Der gelehrte Alonso de
Santa Cruz, den Karl V. zu seinem „Maestro
de Astronomfa y Cosmograffa“ ernannt hatte,
erläuterte das genannte Werk; die Handschrift
dieser „Declaracion“ befand sich, wie wir sicher
wissen, noch in Philipps Besitz, obwohl sie —
vielleicht aus ganz bestimmten Rücksichten —
nicht dem Eskorial überwiesen worden war.
Ähnlich verhält es sich mit zwei wertvollen
Handschriften, die lebhaft an die französische
Jugendlektüre Karls V. und die Vorliebe für
Übersetzungen gemahnen, die er an seinem
Lebensabend bekundete. In einem Verzeich¬
nisse der Privatbibliothek Philipps IL, dessen An¬
lage mehrere Jahre vor der durch unser In¬
ventar dokumentierten Handschriftenschenkung
erfolgte und das wertvolle Bücher anfuhrt,
deren Obhut einem gewissen Juan de Sero-
jas anvertraut worden war, finden sich zwei
Exemplare des Chevalier d&ibdrd des Oli-
vier de la Marche, beide mit Miniaturen ge¬
schmückt, das eine den Originaltext, das andere
die spanische Übersetzung enthaltend. Diese
zwei Handschriften sucht man in unserem
Schenkungsinventar vergeblich; es bleibt hier
stumm und gleichwohl redet es für den Hören¬
den eine verständliche Sprache. Die kostbaren
Manuskripte waren keineswegs verloren, denn
sie wanderten, wie ich bestimmt nachweisen
kann, nach Philipps II. Tod in den Eskorial.
Der König, der seiner mit großen Opfern
gegründeten Bibliothek Kleinodien allerersten
Ranges zuwendete, hat bei diesen zwei eben
genannten Handschriften gezögert und sie fiir
sich behalten. Die Erklärung hierfür findet
sich in den Briefen des kaiserlichen Kammer-
herm Wilhelm van Male, die über das Privat¬
leben Karls manche anziehende Einzelheiten
enthalten. Der Schreiber, ein armer Flamänder,
der während der letzten Lebensjahre des
Kaisers zu diesem in nähere Beziehung trat,
versichert, daß Karl V. das oben erwähnte
Gedicht persönlich in spanische Prosa übersetzte
und fugt hinzu, daß das Gelingen dieser Über¬
tragung ganz speziell d^m Kaiser zu verdanken
sei, während das Umgießen der spanischen
Prosaredaktion in Verse Fernando de Acuiia im
Aufträge des Kaisers besorgte. Wie Karl selbst
einen Akt der Pietät vollzog, indem er das
Gedicht, dessen Held sein Urgroßvater Karl
der Kühne, dessen Verfasser ein treuer Diener
Philipps und Karls von Burgund sowie der
burgundischen Habsburger gewesen, so waren
offenbar auch Philipp H. diese literarischen
Reliquien teuer, und es wird darum verständ¬
lich, warum er sich derselben nicht entäußem
wollte, nicht einmal zu Gunsten seiner Lieblings¬
schöpfung.
Zwischen der Zeit, da Prinz Karl eine um¬
fangreiche französische Jugendlektüre zur Ver¬
fügung stand, auf die wir noch zurückkommen,
1 Auf die Ausbildung und den Unterricht Karls V. bezügliche Daten findet man in Gusb Strakosch - Graßmanns
jüngst (1903) erschienener, umsichtig gearbeiteter Schrift: „Erziehung und Unterricht im Hause Habsburg“. Die eigent¬
lichen Beziehungen des Herrschers zur Literatur, speziell zur spanischen, fallen außerhalb des Rahmens dieser Darstellung.
Speziell zu berücksichtigen sind für Karl der Einfluß des niederländisch-burgundischen Hofs, der mit dem jungen Kaiser
in Spanien seinen Einzug hielt, der vorwiegend französische Einschlag bei seiner Ausbildung, namenüich das reiche
Stoffmaterial, das sich durch die Feldzüge des Kaisers ergab.
Z. f. B. 1904/1905» 30
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Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
und den Tagen, da der alternde Herrscher
beider Hemisphären sich in die Einsamkeit zu¬
rückzog und durch die Übersetzung eines ihm
besonders ansprechenden Werkes jene Studien
wieder wachrief, liegt eine Welt von Taten und
Ereignissen. Auch diese spiegeln sich zum
Teile in den Handschriften wieder, die Philipp II.
laut Zeugnis unseres Inventars dem Eskorial
zuwendete.
Von umfassenderen geschichtlichen Werken
wäre zunächst die Historia des Archidiakonus von
RondaLorenzo de Padilla zu nennen, deren schön
ausgestattetes Exemplar noch heute im Eskorial
aufbewahrt wird. Die Darstellung wird bis
auf Philipp II. geführt und ist bis jetzt nur zum
Teil veröffentlicht worden.
Erwähnenswert sind ferner die Kommen¬
tarien des Luis de Zuhiga y Avila, welche
die Geschichte der Feldzüge Karls V. in
Deutschland während der Jahre 1546 und 1547
behandeln, wahrscheinlich auf Grund von Daten
und Mitteilungen, die der Kaiser selbst zur
Verfügung gestellt hatte. Der Vollständigkeit
wegen sei erwähnt, daß eine französische Be¬
schreibung der Reisen und Züge des jungen
Kaisers, verfaßt von Jean de Vandenesse, seinem
„Controleur“, sich ursprünglich im Besitz
Philipps IL befunden hat, jedoch nicht in den
Eskorial gelangte. Vielleicht ist das in den
älteren Verzeichnissen der königlichen Haus¬
bibliothek angeführte Exemplar identisch mit
dem, das heute in der Madrider National¬
bibliothek aufbewahrt wird.
Daß die Beschreibungen der ersten Züge
Karls — auch die in Spanien und von Spanien
aus unternommenen — in französischer Sprache
verfaßt wurden, ist leicht verständlich. In
diesem, dem jungen Fürsten vertrauten Ge¬
lände erscheint eine Schilderung des Einzugs
Karls in Castilien, sowie ein Diarium der Expe¬
dition gegen Tunis vom Jahre 1535, das ich
Vorjahren im Eskorial selbst konsultiert habe.
Auch ein handschriftliches Exemplar einer Ge¬
schichte des Gonzalvo de Cordoba, des „Gran
Capitan“, wird im Inventar angeführt und aus¬
drücklich bemerkt, daß sie mit den gedruckten
Beschreibungen der Züge des berühmten Feld¬
herrn (z. B. der im Auftrag Karl V. von Heman
P£rez del Pulgar verfaßten) nicht identisch sei.
Auch an die tiefeinschneidenden religiösen Wir¬
ren unter Karls Regierung werden wir durch
eine Abschrift der Akten des Tridentiner Kon-
cils erinnert
Eine gewisse persönliche Note weisen einige
Werke auf, die dem Kaiser selbst von den
Herausgebern gewidmet wurden. Einen guten
Bekannten begrüßen wir in dem Theuerdank.
Daß er in dem alten Inventar unter den „Hand¬
schriften“ erscheint, mag niemand überraschen,
der diesen wahrhaft kalligraphischen Druck
einmal gesehen; als ein Kuriosum darf aber be¬
trachtet werden, daß der Druck heute noch im
Eskorial unter den Manuskripten aufbewahrt
wird. Der Umstand, daß das Exemplar die
Holzschnitte illuminiert enthielt, kann hierfür
kaum als Entschuldigung gelten. Ein reich illu¬
striertes genealogisches und heraldisches Werk in
Großfolio widmete dem Kaiser etwa um das Jahr
1532 Gonzalo Fernandez de Oviedo y Valdes;
das Prachtwerk kann heute noch im Eskorial
studiert werden. Während ein französisches
Epitaph der Mutter des Kaisers, Johanna, gilt,
hat dem Andenken des Monarchen selbst der
Italiener Graf Giulio Landi Dialoge moralisch¬
philosophischen Inhalts gewidmet, die im In¬
ventar genau verzeichnet sind und meines
Wissens bis heute nicht näher bekannt wurden.
Ebensowenig weiß man bis jetzt Näheres über
ein „Memorial de principes“, also wohl einen
Fürstenspiegel, den ein Diego Lopez de Haro
dem Kaiser nach Flandern schickte. Über¬
haupt sollen die eben gebotenen ganz kurzen
Nachweise aus der merkwürdigen Inventars¬
urkunde, die hier zum erstenmale der Öffent¬
lichkeit übergeben werden, nur zeigen, wie durch
das neu erschlossene Verzeichnis auch Streif¬
lichter auf das Verhältnis des Kaisers zur
Literatur und zu ihren Vertretern geworfen
werden.
So sicher es ist, daß manche Werke nur
in den Besitz des Kaisers gelangten, weil den
Verfassern um den wiederholt gewährten
klingenden Lohn für die Widmung zu tun war,
daß ferner andere Werke aus Karls Besitz, z. B.
handschriftliche Ordensstatuten (Toison und
Jarrettere), wie auch die zum Teil prachtvollen
Devotionarien mit der Literatur im engeren
Sinne nichts zu tun haben, ebenso sicher
können wir annehmen, daß der Kaiser auf die
Tätigkeit gewisser Schriftsteller (Acuna, Zuniga,
van Male, Santa Cruz und andere) bestimmenden
Einfluß genommen hat. In direkter Beziehung
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Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
227
mit den Neigungen des Kaisers stehen die
mehrfach angeführten militärischen Beobach¬
tungen, deren Manuskripte Philipp IL aufbewahrt
hatte, ein Jagdbuch, das des Kaisers Leib¬
jäger Valeriano zusammengestellt, endlich als
interessantestes dieser Art, die Chronik seines
Hofnarren Don Francesillo, die man in Spanien
einer vollständigen Publikation gewürdigt hat.
Wenn weit bedeutendere Vertreter der
spanischen Literatur unter der Regierung des
Kaisers, ein Garcilaso de la Vega und Boscan
oder, was noch näher läge, Luis de Zapata mit
ihren Werken in den Handschriften nicht er¬
scheinen, so erklärt sich dies wohl aus dem
Umstande, daß deren Schriften bereits in ge¬
druckten Ausgaben Vorlagen und von Philipp
in diesen ersten Editionen dem Eskorial über¬
wiesen wurden. Es ist nicht uninteressant, daß
wir, abgesehen von jenem noch unveröffent¬
lichten Teil des Schenkungsinventars vom
Jahre 1576, das die Druckwerke anführt, einen
alten Katalog der Impressen des Eskorials an
einer Stelle finden, die leicht zugänglich ist: in
der Wiener Hofbibliothek.
Kaiser Leopold I. hatte im Jahre 1671 durch
Vermittlung des langjährigen österreichischen
Gesandten am Madrider Hofe, Grafen F. E.
Pötting, einen Katalog der Impressen anfer¬
tigen lassen; dieses Verzeichnis, fein säuberlich
ausgestattet und übersichtlich geordnet, wie es
sich für das Handexemplar eines Herrschers
schickt, erweist sich in verschiedener Beziehung
als ein nützliches Hilfsmittel, denn es gestattet,
den sehr ansehnlichen Bestand an alten Druck¬
werken, den die Eskorialbibliothek in erster
Linie der Freigebigkeit Philipp II. verdankte,
abzuschätzen, im einzelnen natürlich den ver¬
schiedensten literarhistorischen und bibliogra¬
phischen Studien seltenes Material zuzuführen.
Fast dritthalb Jahrhunderte sind verstrichen,
seitdem der Kaiser dieses wertvolle Manuskript
zusammenstellen ließ, und wir sind diesseits der
Pyrenäen, nachdem wir es in Manchem so weit
gebracht haben, in der Kenntnis einer der er¬
lesensten spanischen Büchereien nicht um einen
Schritt vorwärts gekommen.
Wenn schon zu Karls V. Zeit gute Aus¬
gaben von Werken der zeitgenössischen Lite¬
ratur den Manuskripten vorgezogen wurden, so
gilt das natürlich in noch höherem Maße für
die Zeit Philipps II. Wie gerade von diesem
Monarchen Meisterwerke der Typographie
Unterstützung fanden, lehrt das eine Beispiel
der Antwerpener Polyglotte. Es wäre daher
verfehlt, jene Angaben des Inventars der Hand¬
schriftenschenkung, die sich auf die Philippi¬
nische Zeit beziehen, etwa als Abbild der lite¬
rarischen Interessensphäre und der Sammler¬
tätigkeit des Königs zu betrachten. An der
Hand gewisser noch erhaltener Verzeichnisse
wäre leicht nachweisbar, daß Philipp bereits
als jugendlicher Prinz über eine stattliche Samm¬
lung der erlesensten Druckwerke verfugte, unter
denen sich nur ganz wenige Manuskripte be¬
fanden; gerade dieses Mißverhältnis mag für
den reiferen Mann ein Ansporn gewesen sein,
sich nach älteren ungedruckten Textquellen für
seine Bibliothek umzusehen — ungedruckten
Texten der Vulgärsprachen, der lateinischen,
griechischen, arabischen Sprache usw. Der
Hinweis hierauf erschiene überflüssig, wenn man
bei Betrachtung von Philipps Werdegang diesem
Umstande bisher einige Aufmerksamkeit ge¬
schenkt hätte; aber auch die sonst vortreffliche
Studie Wilhelm Maurenbrechers „Die Lehr¬
jahre Philipps II. von Spanien“, erschienen in
Räumers Historischem Taschenbuch VI. 2,
(1883), hat dieses Moment ganz unberücksich¬
tigt gelassen.
Charakteristisch für Philipp als Sammler ist
der große Zug, der seinen einschlägigen Unter¬
nehmungen innewohnt. In der königlichen Haus¬
bibliothek befand sich nicht ein griechisches,
nicht ein arabisches Manuskript, als Prinz
Philipp zu sammeln anfing; nach tausenden
zählten sie, als der König sein im Interesse der
Eskorialbibliothek unternommenes Werk im we¬
sentlichen vollendet hatte. Auch sonst gewinnt
das, was bei Karl als Liebhaberei erscheint, als
ein Trostmittel für das Alter, bei seinem Sohne
zielbewußte Ausdehnung, und man erhält aber¬
mals den Eindruck, daß nicht so sehr der Biblio¬
phile als vielmehr der Staatsmann sammelte.
Dieser große Zug in des Königs Sammler¬
tätigkeit läßt sich vortrefflich aus unserem In¬
ventar, wenn wir es als Ganzes betrachten,
erkennen, viel weniger, wie schon bemerkt, aus
jenen in der Schenkung enthaltenen Hand¬
schriften, welche seiner eigenen Zeit ange¬
hören.
Nur wenn man ganz besonders genau zu¬
sieht, verrät eine oder die andere Angabe des
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228
Beer, Zur Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
alten Verzeichnisses jene großangelegten Unter¬
nehmungen, die zweifellos zu dem Erfreulichsten
gehören, das der König vollbrachte.
So kann man z. B. in einzelnen historischen
Relationen, die sich in Philipps Hausbibliothek
befanden und in späterer Zeit dem Eskorial
überwiesen wurden, Stücke der heute den
Namen Libros de Verzosa führenden, ebenso
umfangreichen wie wichtigen Akten - Samm¬
lung erkennen, die Philipps Initiative ihren Ur¬
sprung verdankte. Im Jahre 1562 hatte der
König den bereits genannten, aus Zaragoza
stammenden Juan de Verzosa nach Rom ent¬
sendet, um aus den italienischen Fundstätten
alle jene Urkunden zu sammeln oder abschrei¬
ben zu lassen, die auf Karl V., auf Philipp
selbst und die von ihnen beherrschten Lande
Bezug hatten. Der König wies seinem Dele¬
gierten, dem Direktor des zu gründenden
Archives, jährlich 500 Goldscudi an — „splen-
dido salario per quel tempo“, wie der ehemalige
päpstliche Archivar Isidoro Carini bemerkte.
Als Ergebnis der Arbeiten Verzosas liegen
zwanzig, zum Teil sehr starke Folianten mit
tausenden und tausenden von Urkunden vor,
die zuerst im Eskorial, dann im Staatsarchiv
zu Simancas Aufnahme fanden und jetzt noch
als Forschungsquelle dienen.
Was das Inventar sonst an historischen
Werken in spanischer Sprache aus Philipps
Zeit anführt, ist dürftig, und ein verifizierter
Panegyrikus des königlichen Chronisten Gerö-
nimo de Contreras, zu Ehren Philipps in Neapel
verfaßt, mag hier nur deshalb Erwähnung finden,
weil er anderweitig nicht bekannt zu sein scheint.
Etwas bedeutender ist die Auslese auf an¬
deren Gebieten: genannt seien ein linguistisches
Werk von Fernan Perez de Oliva, eine staats¬
rechtliche Untersuchung des Juan Päez de
Castro, den wir als Berater des Königs bei der
Gründung des Eskorials kennen gelernt haben,
eine Spruchsammlung des gelehrten spanischen
Humanisten Juan de Malara, militärische Werke
des königlichen Sekretärs Diego Gracian, sowie
des Cristöbal de Estrella, letzteres „El Exul“
betitelt, im Aufträge Philipps verfaßt und mit
allerlei Figuren ausgestattet. Im übrigen er¬
scheint in der spanischen Abteilung und unter
den Schriften der Philippinischen Zeit nur ein
Name von Bedeutung, und dieser gehört einer
Frau: Teresa de Jesus. Das Inventar verzeichnet
die Avisos y consejos der berühmten Heiligen;
das Exemplar ist, wie das Inventar ausdrück¬
lich angibt, mit der Unterschrift der Verfasserin
versehen.
Sucht man nach Manuskripten, die mit
Philipp direkt, mit seinen Reisen, Schicksalen,
Plänen zusammenhingen, so findet man weit
mehr in der italienischen Abteilung — natürlich
ist immer festzuh^lten, daß wir von den Hand¬
schriften sprechen. Man kann sich des Ein¬
druckes nicht erwehren, daß auch auf den
spanischen, an südliche Sonne und azurnen
Himmel gewöhnten Fürsten das klassische Land
einen Zauber übte, der Während seines ganzen
Lebens nachwirkte. So wird es erklärlich, daß
er literarische Andenken an dieses Land, das
er in Jünglingsjahren durchreist, und das ihn
mit rauschendem Jubel empfangen hatte, noch
als bejahrter Mann hochhielt und zusammen
mit den größten Kostbarkeiten in dem stillen
grauen Kloster bergen ließ, wo sie ein so strenges
Milieu umgeben sollte. Ein italienisches Gedicht,
1548 verfaßt, schildert den prunkvollen Einzug,
den der jungendliche Prinz in Genua hielt. Von
einer Commedia, und zwar GPInganni des Niccolo
Secchi, die im Jahre 1547 vor Philipp in Mailand
aufgeführt wurde, hatte er ein handschriftliches
Exemplar aufbewahrt. Ihr gesellte sich ein
Exemplar der Commedia Alessandro des Ales-
sandro Piccolomini, gleichfalls Manuskript, zu;
ebenso war ein schon früher verfaßter Fürsten¬
spiegel des M. Giovanni Maria Memmo in
Prachtausstattung, auf Pergament, in dunklem
Goldstoff gebunden, dem Prinzen dediziert, sorg¬
fältig von ihm gehütet worden; merkwürdig
ist, daß eine sonst unbekannte Schrift Stephen
Gardiners, Bischofs von Winchester, über den
Einzug der Normannen in England eigens für
Philipp ins Italienische übersetzt wurde. Dieses
Stück befindet sich heute noch im Eskorial.
Das Nämliche gilt von den Sonetten, welche
die „Academicos transformados“ von Mailand
dem König Philipp zugeeignet hatten; auch
bei diesem Manuskript wird die prachtvolle Aus¬
stattung des Einbandes hervorgehoben.
Kein Wunder, daß der König, als er den
Plan zum Bau des Eskorials faßte, sich der
ragenden Denkmäler italienischer Architekten
erinnerte und aus ihren Studienmappen die
heimischen Meister Anregungen schöpfen ließ.
Der berühmte Pellegrino Tibaldi aus Bologna
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Beer, Zur Geschichte der Eskorial*Bibliothek.
229
der selbst an den Plänen des Eskorials mit¬
arbeitete, ist durch Handzeichnungen vertreten;
wir erfahren auch, daß Philipp schon 1574
im Besitze eines handschriftlichen Exemplares
des groß angelegten Werkes des Francesco de
Marchi, Deila architettura militare, war, das erst
1599 in Druck erschien.
Von dem erwähnten Gesichtspunkte aus be¬
trachtet, sind die eben angeführten Stücke die
interessantesten der italienischen Handschriften¬
abteilung des Inventars. Sonst läßt diese Ab¬
teilung sowohl mit Rücksicht auf die Zahl der
in ihr enthaltenen Manuskripte, wie auch auf
die Auswahl derselben manches zu wünschen
übrig und kann sich in keiner Weise mit der
spanischen Abteilung messen. Wir finden
zwar Manuskripte der Werke Petrarcas und
Boccaccios, auffallenderweise jedoch keinen
Dante. Allerdings geht aus dem bereits er¬
wähnten, für Kaiser Leopold I. hergestellten
Katalog der Druckwerke hervor, daß der Esko¬
rial schon in früher Zeit zwei gedruckte Aus¬
gaben der Commedia besaß. In ähnlicher
Weise mag auch sonst der Bestand an Druck¬
werken die stark klaffenden Lücken der italie¬
nischen Manuskriptenabteilung ergänzt haben.
Das wertvollste dieser letzteren stammte aus
der Bibliothek der aragonesischen Könige zu
Neapel. So ein Plinius De naturali Historia in
italienischer Übersetzung in zwei Bänden, ein
zweites Exemplar derselben Schrift, dessen herr¬
liche Ausstattung ausdrücklich hervorgehoben
wird, ferner das Fechtbuch des Maestro Ponce,
gleichfalls mit Bildern versehen. Es ist zu be¬
achten, daß bei den letztgenannten Codices die
Neapolitaner Provenienz im Inventar speziell
hervorgehoben wird. Dieser neugewonnene
Hinweis mag ebenso wie so manches andere
im Inventar gebotene Angabe, Handschriften¬
forschem und Bibliographen Anregung geben.
In noch viel höherem Maße gilt das von
der französischen Abteilung. Das Inventar
legt hier Fragen vor, deren Beantwortung mit
den uns heute zu Gebote stehenden Mitteln
nicht gelingen will.
Der jetzige Bestand an französischen Eskorial-
manuskripten ist überaus geringfügig. Einige
Schriften Alain Chartiers, Marots Übersetzung
der Metamorphosen, der Jouvencel des Jean
de Bueil (dieses Exemplar allerdings ein Pracht¬
stück allerersten Ranges) zwei Regiments de
princes, endlich ein Arbre de Batailles Boners,
insgesamt etwa ein Dutzend Stücke: das ist so
ziemlich alles, was die Eskorialbibliothek heute
an französischen Handschriften aufweisen kann.
Nun vergleiche man aber die Angaben der
französischen Abteilung unseres Schenkungs¬
inventars. Es verzeichnet etwa hundert fran¬
zösische Codices, fast ausschließlich, soweit wir
überhaupt feststellen können, besonders wert¬
volle Exemplare.
Man könnte zunächst daran denken, daß
die Dezimierung des ehemals so bedeutenden
französischen Handschriftenbestandes anläßlich
des furchtbaren Brandes im Jahres 1671 er¬
folgt sei. Aber es wäre doch auffällig anzu¬
nehmen, daß gerade dieser eine Teil bei dem
Feuer weitaus erheblicher mitgenommen worden
sei als alle anderen, und zudem haben wir
bestimmte Nachrichten, daß eine große Zahl
sehr kostbarer französischer Handschriften, die
unser Inventar anführt, schon vor dem Brande
nicht mehr im Eskorial waren. Ich kann an
dieser Stelle die betreffende Frage, die mit den
Katalogisierungarbeiten des Eskorials zusammen¬
hängt, nicht eingehend behandeln und nur kurz
bemerken, daß ein Verzeichnis des Gesamtbe¬
standes der Eskorialhandschriften, dessen Re¬
daktion noch vor Mitte des XVII. Jahrhunderts
fällt, in zwei Exemplaren vertreten ist: einem
Manuskript der Mailänder Brera und in einer
noch genaueren Copie der Hamburger Stadt¬
bibliothek, die ich beide durch längere Zeit
konsultierte. Schon in dieser Katalogredaktion
fehlen nun die meisten der französischen Hand¬
schriften, die unser Inventar anführt.
Ich meine, die Frage nach dem Verbleib
dieser kostbaren Handschriften muß im Zu¬
sammenhang mit der logischerweise noch näher¬
liegenden Untersuchung betreffs der Provenienz
des französischen Fonds in Philipps Privatbiblio¬
thek behandelt werden. Das Vorhandensein
eines solchen Schatzes von mittelfranzösischen
Texten in der Privatbibliothek des Königs mag
für den ersten Augenblick überraschen. Von
der Vorliebe Philipps für die französische Lite¬
ratur wissen wir nichts, ja es liegen ziemlich
übereinstimmende Zeugnisse dafür vor, daß er
in der französischen Sprache nur mäßig be¬
wandert war. Keine der französischen Privat¬
oder Korporations-Bibliotheken, aus der Philipp
seine Handschriftenschätze erwarb, konnte sich
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230
Beer, Zur Geschichte der Eskorial-BiMiothek.
auch nur im Entferntesten eines solchen Be¬
sitzes rühmen.
Eine kleinere Zahl französischer Texte hatte
Arias Montano aus den niederländischen Städt¬
chen Breda und Hoogstraeten einzusenden ver¬
sprochen. Die Frage, ob sie wirklich an Philipp
und durch ihn an den Eskorial gelangt sind,
hat bereits Gachard aufgeworfen, mit vieler
Gelehrsamkeit erörtert, jedoch unentschieden
gelassen; sie wird durch unser Inventar im be¬
jahenden Sinne beantwortet, weil fast sämtliche
Manuskripte, deren Einsendung Montano an¬
kündigte, sich in unserem Inventar finden.
Hierdurch ist jedoch nur das Vorhanden¬
sein eines kleinen Bruchteils des französischen
Bestandes erklärt. Woher die meisten der
übrigen stammen, kann bei genauerer Unter¬
suchung des Inhaltes der Manuskripte kaum
einem Zweifel unterliegen. Wir finden da einen
Libro de tres virtudes dirigido a madama de
Borgona, das heißt also, eine Copie der bekann¬
ten Schrift der Christine de Pisan, welche Mar¬
gareten, der Gattin Philipps des Kühnen, zuge¬
eignet war, ferner eine sonst nicht näher nach¬
gewiesene Schrift über die Aufrechterhaltung
des burgundischen Hauses; wir bemerken
mehrere Schriften des von uns bereits erwähn¬
ten burgundischen Edelmannes Olivier de la
Marche, der unter Philipp von Burgund und
später unter Karl dem Kühnen diente, dann
den Recueil des Histoires de Troie, den Raoul
Le Fövre, Kaplan Philipps von Burgund ver¬
faßte. Zu beachten ist auch, daß ein aller¬
dings wahrscheinlich aus Breda stammendes
Exemplar des Romanes Gillion de Trazegnies
(Roman eines französischen „Grafen von
Gleichen“), der Philipp dem Guten von Bur¬
gund dediziert wurde, in unserem Inventar ver¬
zeichnet erscheint, eine Abschrift, die bei den
jüngsten gründlichen Forschungen über diesen
Text noch nicht berücksichtigt werden konnte.
Wird schon aus diesen Angaben klar, daß der
Hauptstock des französischen Eskorialbestandes
von dort herstammt, woher ihn Philipp, wenn
wir die allgemeinen Besitzverhältnisse erwägen,
erhalten haben mußte, nämlich aus dem bur¬
gundischen Hausschatz, so wird diese Annahme
noch besser durch die Tatsache begründet,
daß Karl V. eine stattliche Anzahl von Büchern
nach Spanien mitnahm. Interessant ist in
dieser Beziehung eine Anmerkung, die wir in
der eben erwähnten, vor dem Brande ange¬
legten Inventarredaktion bei einem Exemplar
der Bouccachardiere des Jean de Courcy fin¬
den: fue tomado en la presa del rey Fran¬
cisco por el emperador, das heißt also, es
war ein Manuskript, welches von Karl V. bei
Gefangennahme des Königs Franz I. erbeutet
wurde.
Bei diesem Punkte stockt allerdings der
Gang der Untersuchung. Ein Inventar der von
Karl V. nach Spanien gebrachten Handschriften¬
schätze existiert, ist aber noch nicht veröffent¬
licht, und es war mir leider nicht vergönnt,
aus der im Archiv zu Simankas aufbewahrten
Urkunde mehr als einige Stichproben auszu¬
heben; so ließ sich feststellen, daß die fran¬
zösische Übersetzung des Tratado de gentileza
y nobleza von Diego de Valera, ferner die
Chronik von Frankreich des Enguerrant Mon-
strelet, desgleichen auch die bereits erwähnte
Schrift über die „Conservacion“ des burgundi¬
schen Hauses, dann die französische Über¬
setzung der Commentarien Caesars über den
Bürgerkrieg, das Statutenbuch des Hosenband¬
ordens — sämtlich im Schenkungsinventar
verzeichnet — von Karl V. ebenso nach Spa¬
nien gebracht wurden, wie das von uns bereits
besprochene Exemplar des Chevalier D 61 ib£rd
des Olivier de la Marche; darüber hinaus sind,
wie die Verhältnisse heute liegen, nur Vermu¬
tungen zulässig.
Immerhin scheint eine derselben begründet
genug, um ihr hier Raum zu gönnen. Verzeich¬
nisse des Hauptstocks der Burgundisch-Habs¬
burgischen Bücherei, nämlich das Inventar der
Bibliothek der Erzherzogin Margarete, der
Tante Karls V. (vom Jahre 1523) und Karls V.
selbst (vom Jahre 1536) sind genau bekannt.
Nun ergeben sich zwischen einzelnen Stücken,
die in dem französischen Teil des Schenkungs¬
inventars beschrieben werden, und analogen
Handschriften, die in den eben erwähnten In-
ventaren angeführt erscheinen, auffallende Kon¬
kordanzen. Hier Identifikationen vorzunehmen
wird man um so leichter verlockt, als tatsäch¬
lich nicht festzustellen ist, woher Philipp, ab¬
gesehen von der erwähnten Sendung Montanos
aus den Niederlanden, eine so reiche Sammlung
französischer Manuskripte hätte erhalten können,
wenn nicht durch Karls V. Vermittlung aus der
Hausbibliothek seiner Ahnen. Gleichwohl wird
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Beer, Zar Geschichte der Eskorial-Bibliothek.
231
eine besonnene Forschung mit dem endgültigen
Urteil hierüber noch zurückhalten müssen.
Soviel ist jedoch sicher, daß man in den
Niederlanden schon allein mit Rücksicht auf die
Handschriften, welche Karl V. nach Spanien
hatte bringen lassen, diesen „d^pouillement" der
burgundischen Hausbibliothek, die Entnahme
kostbarer Handschriften, welche den Stolz des
Landes bildeten, mit scheelen Augen betrach¬
ten mußte. Die Obhut über die alte burgun-
dische Hausbibliothek war damals dem tr£sorier
Viglius anvertraut, der seines Bibliothekaramtes
in ebenso energischer als umsichtiger Weise
waltete. Schon Gachard hat in seinen wert¬
vollen Beiträgen zur Kunde der niederländischen
Geschichtsquellen darauf hingewiesen, daß
Arias Montano, bei der Entnahme von Hand¬
schriften aus Breda und Hoogstraeten von nie¬
mand geringerem als dem Herzog Alba unter¬
stützt, einen energischen Widersacher eben in
jenem Viglius fand.
Die Handschriften aus Breda und Hoog¬
straeten kamen, wie erwähnt, wirklich in den
Eskorial. Es ist nicht anzunehmen, daß die
von den Niederlanden aus erhobenen Rekla¬
mationen deshalb verstummten: sie mögen nach¬
her nur noch nachdrücklicher geltend gemacht
worden sein. Hält man nun hiermit die Tat¬
sache zusammen, daß nicht ein einziges jener
niederländischen Bücher sich in den späteren
Listen des Eskorials nachweisen läßt, so ergibt
sich eine sehr einfache Erklärung für ihr Ver¬
schwinden: sie wurden wieder zurückgestellt.
Diese Erklärung ließe sich demnach auf andere
Stücke der französischen Abteilung des Schen¬
kungsinventars ausdehnen und damit wäre die
Antwort auf die oben aufgeworfene Frage
gegeben, warum mit einem Male soviel kost¬
bares burgundisches Erbgut in der Privat¬
bibliothek Philipps und unmittelbar darauf im
Eskorial auftaucht, um bald nachher, wie die
späteren Verzeichnisse dartun, aus dieser Samm¬
lung zu verschwinden.
Diese Bücherschicksale, die vermutungsweise
hier angedeutet wurden, im einzelnen auf Grund
der vorhandenen zum Teil bereits genannten
Belege aufzuhellen, bleibt späteren Unter¬
suchungen Vorbehalten.
In höherem Maße noch gilt dies von anderen
Beständen der Philippinischen Handschriften¬
schenkung, die hier bloß genannt, nicht geprüft
wurden, insbesondere von den hebräischen,
arabischen, persischen und chinesischen Manu¬
skripten. In der vorliegenden Darstellung ist ja
nur der Versuch gemacht worden, an einzelnen
Proben zu zeigen, daß das vor kurzem zugäng¬
lich gemachte Schenkungsinventar vom Jahre
1576 als Beitrag zur Kenntnis der spanischen
Kultur während der Hochblüte der Nation be¬
trachtet werden kann. Es unterliegt keinem
Zweifel, daß weitere Studien auf den ange¬
deuteten Gebieten dieses Urteil noch befestigen
werden.
Die gewiß sehr instruktive Vergleichung des
nunmehr dokumentarisch bekannt gewordenen
ersten Bestandes der Eskorialmanuskripte mit
ähnlichen Sammlungen jener Zeit — der fran¬
zösischen Krone, des österreichischen Erzhauses,
der italienischen Staaten usw. — bildet ein
weiteres Angebinde für die künftige Forschung.
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Die großen deutschen Verlagsanstalten.*
Georg Hirth und sein Kunstverlag.
Von
Eduard Engels in München,
... Warum ich überhaupt Bücher schreibe,
da ich doch nichts dabei verdiene und mich
von der gewöhnlichen Autoreneitelkeit frei weiß?
Denn wirklich, es ist mir ganz gleichgültig,
was das große Publikum und die sogenannten
Kritiker von mir sagen — je weniger, desto
besser! Am liebsten wäre
es mir, ich könnte als
namenloser, aber ewig lei¬
stungsfähiger Athlet und
Papa einer sich unausge¬
setzt vermehrenden Familie
auf Heinsens glückseligen
Inseln dahinleben.
Nein, meine publizisti¬
schen Leidenschaften ent¬
springen dem Bedürfnis,
denen, die davon profitieren
wollen, etwas von meiner
angeborenen Lebenslust
und Gesundheit mitzuteilen.
Wie diese Gaben selber
von meinen beiden Eltern
stammen, so kommt von
ihnen auch jenes Bedürfnis
der Mitteilsamkeit, der
Altruismus. Wodurch ich
es eigentlich verdient habe,
daß ich jeden Abend mit den Hühnern schlafen
gehen mag und jeden neuen Tag mit dem
Frohmut des ungeschwächten Gockels begrüße
— das weiß Gott, ich verstehe es nicht! Und
noch weniger verstehe ich es, warum ich dann
mich freudig plage, die nächtens abgeklärten
Gedanken zu Papier zu bringen, anstatt — was
meine Mittel mir erlauben würden — zum
Frühschoppen zu gehen usw. Das alles ge¬
schieht instinktiv, triebartig, darum ist es gar
nicht mein Verdienst, und ich weiß mir nicht
anders zu helfen, als durch unbegrenzte Dank¬
barkeit gegen meine Erzeuger und gegen Gott,
unter welchem hehren Namen ich alles ver¬
stehe, was ich nicht begreife; mit Dankbarkeit
aber auch gegen meine Mitmenschen und die
hohen Behörden, welche mir ein relativ ruhiges
und beschauliches Dasein gönnen, anstatt mich
zu foltern, als Hexe zu verbrennen oder nach
Sibirien zu schicken.
Da nun aber der Mensch nicht bloß Kinder
erzeugen kann und mit
Fug und Recht seine un¬
bändige Freude daran hat,
sondern auch das Zeug be¬
sitzt, um auf anderer Leute
Kinder als Lehrer, Prediger
und Traktätleinverfasser
suggerierend einzuwirken,
so wünsche ich mir als
wohlwollende Leser vor¬
nehmlich eine Anzahl junger
Menschlein, um ihnen in
allerhand Variationen meine
Philosophie der Gesundheit
beizubringen. Diese läßt
sich in aller Kürze so
zusammenfassen: Lebe,
schlafe, trinke, arbeite, liebe,
turne, handle und denke
so, daß du als gebildeter
Mensch Freude an dirselber
haben kannst, — daß du
werden mögest dem Staate und der Gesell¬
schaft, auch etlichen Vereinen, ein nützliches
Mitglied, deinem Volkstum und deiner Mutter¬
sprache ein treuer Minnesänger, der Freiheit
und Menschlichkeit ein treuer Kämpfer, der
Armut und Unerfahrenheit ein gütiger Berater,
dem Humor und der Duldsamkeit ein williger
Beschließer, der Heuchelei und Lüge ein un¬
erbittlicher Kammerjäger, der Bosheit und dem
Hochmut ein grimmiger Verächter, der Volks¬
verdummung und dem Aberglauben ein un¬
barmherziger Scharfrichter, allen anständigen
Idealen ein treuer Schildknappe, vor allem
der Entlastung, insbesondere der erblichen,
ein kluger Sämann. Grolle nicht über deine
Georg Hirth.
♦) Vergl. Z. f. B. Jahrg. II, 371 ff. und Jahrg. IV, 78 ff.
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Drei Soldaten. Nach H. Schäufelin.
(Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch. Band L)
Zeitschrift Jür Bücherfreunde VIIl.
Zu Engels: Georg Hirth und sein Kunstzrrlng.
Digitized by VjöO^iC
Digitized by LjOOQle
Engels, Die großen deutschen Verlags&nstalten.
233
Ahnentafel, und glaube mir: es ist besser, von
einem gesunden Bauern als von einem kranken
Raubritter abzustammen. Mit deinem Zorn
aber verfolge die Schweinehunde, die dir unter
einfältigen Vorspiegelungen das Leben verekeln
und die Kraft deiner körperlichen und geistigen
Muskeln lähmen wollen. Es gibt kein anderes
Wesensgesetzen wahrhaft künstlerisch entwickel¬
tes Menschtum. Aus jeder Zeile sprüht die
Wärme der Überzeugung: zuerst kommt das
Leben, und dann noch einmal das Leben, und
dann noch tausendmal das Leben, und dann
kommt erst, was ich mit diesem Leben anfange,
wozu ich es benutze, wie ich es „nutzbar“,
Aus Hans Bois „Die Monate.'*
(Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch. Band m.)
Heil auf dieser Welt als inbrünstige Dankbarkeit
für die Wohltat des Lebens und standhafte
Überwindung alles dessen, was diese Wohltat
beeinträchtigen kann — auch des Todes ...
In diesen Worten haben wir den ganzen
Georg Hirth: seine fast renaissancemäßige
Lebenstüchtigkeit, sein rassiges Deutschtum,
seine Ritter-Georg-Draufgängerei, seinen stram¬
men und originellen Humor, sein aus eigensten
Z. f. B. 1904/1905.
„nützlich“ mache. Das Kapital ist alles und
die Zinsen — sind eben bloß Zinsen. Golden
muß es in den Tiefen unserer Schatzkammer
glänzen, unermeßlich viel und unermeßlich
Schönes, Reiches, Herrliches muß sich da
sammeln, mit glänzenden Augen muß man an der
Türe stehen und die Pracht betrachten, stolz
muß man sein, stark, froh, frei, zum Ver¬
schwenden befähigt und aufgelegt. Und ist
31
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234
Engels, Die grollen deutschen Verlagsanstalten.
* f
Etüde d’apr&s nature par Aat Watteau.
(Hirth, Le* grands Illustrateur*. Vol. VL)
dann des Reichtums genug getürmt, so daß
man verschwenden darf, ohne ärmer zu werden,
schenken aus einem überschwänglichen, nicht
mehr zu bändigenden Macht- und Glücksgefühl
heraus, dann soll man mit vollen Händen in
die goldenen Gaben greifen, die Fenster öffnen
und auf die Gasse hinausschleudem was sich
gerade zum Wurfe darbietet: Juwelen, Münzen,
Schmuckgerät, Kostbarkeiten ohne Zahl, damit
auch die lieben Mitmenschen sich freuen und
der Jubel des Volkes an die Wölbungen des
Himmels schlage ...
Wie in aller Welt kam aber Hirth zu solcher
Lebensauffassung und der entsprechenden Wirk¬
samkeit? Stammte er nicht aus der Bieder¬
maierzeit — geboren am 13. Juli 1841 —?
Erblickte er nicht in einem abgelegenen Welt¬
winkel — zu Gräfentonna im Herzogtum Gotha
— das Licht der Sonne ? Deutete nicht alles,
was er ursprünglich unternahm, auf keineswegs
künstlerische Absichten und Ideale ? Es
ist seltsam genug, was für verzwickte
Wege Menschen von starker Tempera¬
mentsveranlagung manchmal geführt
werden, ehe sie bei sich selber an¬
langen! Georg Hirth war bis zu seinem
21. Jahr Zögling der Perthesschen Geo¬
graphischen Anstalt in Gotha und lebte
dann in Leipzig, wo er sich volks¬
wirtschaftlichen Studien widmete und
drei Jahre lang die „Deutsche Turn¬
zeitung“ redigierte. Nachdem er im
Feldzug von 1866 eine schwere Ver¬
letzung bei Langensalza erlitten, siedelte
er als Mitglied des königl. statistischen
Seminars und Sekretär der Viktoria-
National-Invalidenstiftung nach Berlin
über. Hier begründete er 1867 den
„Parlamentsalmanach“ und 1868 die
„Annalen des Norddeutschen Bundes“,
die seit 1871 „Annalen des Deutschen
Reiches“ genannt wurden. 1869—1870
war er Mitglied der Kommission zur
weiteren Ausbildung der Statistik des
Zollvereins. 1870 begab er sich als
Redakteur der „Allgemeinen Zeitung“
nach Augsburg, eine Stellung, die er
aber schon 1871 verließ, um sich
dauernd in München ansässig zu machen.
Das „Tagebuch des deutsch-franzö¬
sischen Krieges“, die „Freisinnigen An¬
sichten der Volkswirtschaft“ sowie die Grün¬
dung des Verlags Knorr & Hirth zur Heraus¬
gabe der „Münchener Neuesten Nachrichten“
bezeichnen die ersten Etappen seiner Münchener
Wirksamkeit.
Es hätte aber sonderbar zugehen müssen,
wenn ein Mann wie Hirth in der Kunststadt
München, wo gerade König Ludwig IL seine
großartige Schönheitsbegeisterung entfaltete,
seiner statistischen und politischen Tätigkeit
nicht untreu geworden wäre. Richard Muther
— beiläufig bemerkt ein Landsmann Hirths —
hat einmal geschrieben: „Wenn ich mich selber
frage, wie ich zur Beschäftigung mit der Kunst
gelangte, so taucht das Bild Anton Springers
auf, des temperamentvollen Leipziger Professors.
Ich wurde Kunsthistoriker, weil Springer ein
anregender Lehrer, ein gewaltiger Redner war.
Doch ein anderer hätte es auch fertig gebracht,
mich zum Mathematiker, zum Astronomen zu
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Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
235
machen.“ Wie Muther mit Springer, so mag
es Hirth mit München ergangen sein. Berlin
hätte ihn vielleicht zum Parlamentarier gemacht,
München machte ihn zum Kunstenthusiasten.
Das ist ja das Wunderbare an der Isarstadt,
daß sie, der Himmel mag wissen wodurch,
die Kunst geradezu suggeriert. Man geht um¬
her, man mischt sich unter die Menschen, man
trinkt auf dem Keller sein Bier, man schwingt
auf der Redoute das Tanzbein und — hoPs
der Kuckuck — man hat auf einmal ein künst¬
lerisches Verhältnis zum Leben ehe man noch
daran gedacht hat, sich mit der Kunst zu be¬
fassen! Alles berechnende, geschäftskluge, ver¬
standesmäßige, streberische, selbstquälerische,
enthaltsame, mit einem Wort kunstwidrige
Wesen schwindet, und ein fröhlicher Realismus
der Sinne, der sich des Sonnenscheins, der
grünenden Erde, der heiteren Geselligkeit, der
paradiesischen Liebe, der gedeckten Tafel, des
bunten Schmuckwerks an allen möglichen und
unmöglichen Dingen erfreut, hat die verlassene
Stelle eingenommen. In München lernt man
„empfinden“ was Kunst ist; in München wird
„lebendig“, was sonst meist angelesen oder an¬
gedrillt ist In München wird die Kunst Be¬
dürfnis, natürliches Bedürfnis, von dem man
nicht viel Redens macht, gerade so wie man
anderwärts Luft, Licht, Kleidung, Speise und
Trank als etwas Selbstverständliches betrachtet
Und nun muß man sich die besondere
Situation vorstellen, die Hirth in der Isarstadt
um die 70 er Jahre antraf. Daß König Lud¬
wig damals seinen Aufstieg nahm, wurde be¬
reits gesagt. Auf seine Anregung wurden die
Kostbarkeiten der Reichen Kapelle und der
k. Schatzkammer allgemein zugänglich gemacht
und in gediegenen Publikationen veröffentlicht
Was das bedeuten will, sagt Stockbauer, mag
der einzige Umstand beweisen, daß nach dem
Ausspruch aller Kenner, z. B. des Franzosen
Labarte, diese Schatzkammern das schönste,
kunstvollste und reichste Material an Kunst¬
werken enthalten, welches aus der Renaissance
und der späteren Zeit überhaupt übrig geblieben
ist. Staunend vor Entzücken standen die
Münchener Altmeister des Kunstgewerbes vor
diesen Kostbarkeiten und eine neue Welt der
Kunst und Technik ging ihnen auf. Das male¬
rische Element, welches sich in diesen Werken
zeigte, kam wie eine Inspiration einem Zuge
Die Trägheit Nach H. Burgkmair.
(Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch. Baad I.)
der Zeit entgegen; hatte doch die Pilotyschule
gerade die Betonung der Farbe zum Schibbo-
leth ihrer Eigenheit erhoben und verblüfften
deren Schüler, wie Makart, mit ihren Leistungen
das ganze damalige Deutschland.
Es war aber nicht nur eine königliche
Laune, was dem München der 70 er Jahre eine
künstlerisch so gehobene Stimmung verlieh,
es waren auch die Bestrebungen der Stadt
selber, die nach langjährigen Bemühungen
ihrem ersten Erntefest entgegenging. Der 1851
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236
Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
gegründete Verein zur Ausbildung der Gewerke
hatte das Zusammengehen von Kunst und
Handwerk, von Wissenschaft und Technik auf
sein Programm geschrieben, und München
wurde die erste deutsche Stadt, wo man nicht
bloß das Bedürfnis empfand, Kunst und Leben
durch das Kunsthandwerk zu vermählen, son¬
dern wo man auch mit Begeisterung und Hin¬
gabe auf die Befriedigung dieses schönen
Wunsches hinarbeitete. Eine Zeitschrift wurde
gegründet, eine Schule wurde ins Leben ge¬
rufen, Männer wie Franz Seitz und Lorenz
Gedon stellten ihre ganze Kraft in den Dienst
der guten Sache; eine große Deutsche Kunst¬
gewerbe-Ausstellung, die erste ihrer Art, wurde
veranstaltet — es war, wie’s einst zur Zeit der
Abraham 'Temers fkcu&t
Erfreuliche Lektüre. Nach D. Teniers.
(Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch. Band V.)
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Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
23 /
Bildnis einer alten Frau. Nach Rembrandt van Rijn.
(Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch. Band IV.)
Renaissance in Deutschland gewesen sein muß,
als Hutten die Worte schrieb: „O Jahrhundert,
die Geister erwachen, die Studien blühen, es
ist eine Lust zu leben
In diese Renaissance-Stimmung kam nun
unser Ritter Georg hinein, sah sich das Schau¬
spiel eine Weile an und erkannte mit unzweifel¬
hafter Gewißheit, daß hier Männern seines
Schlags, Renaissance-Naturen, die das Leben
in all seinen Äußerungen als Ganzes empfinden
und leben, ein wahrhafter idealer Wirkungskreis
offen stehe. Was er später über Lorenz Gedon
und den alten Seitz geschrieben, das gilt auch
für ihn: der kränklichen und zimperlichen Kunst¬
pflege, welche sich mit einem ländlich netten
Staflfeleibild begnügt, standen die Seitz und
Gedon fast feindlich gegenüber. In ihnen war
vielmehr wieder aufgelebt jener alte göttliche
Kunstgeist, der da über alles menschliche
Wesen und Schaffen seine Fittige ausbreitet
und, indem er dem kleinsten wie dem größten
Dinge von Menschenhand den Stempel künst¬
lerischer Empfindung verleiht, unser ganzes
Dasein verschönert, adelt, in höhere Regionen
erhebt
Mit der Begeisterung eines Reformators
und der Zähigkeit eines an den Sieg seiner
Ideale glaubenden Propheten trat Hirth in die
Bewegung ein. Und wie die Reformatoren ihre
wichtigste Aufgabe darin gesucht, den großen
Schichten des deutschen Volkes nahezutreten
und durch die Kunst des Buchdrucks auf sie
einzuwirken, so erkannte auch Hirth, daß nur
aus der Begeisterung der ganzen Nation für
die Herrlichkeiten der Kunst und durch die
guten Vermittlerdienste des Buchdrucks ein
nachhaltiger Aufschwung des ästhetischen
Lebens in Deutschland zu erzielen sei. Da
man aber damals noch keine eigene Kunst
besaß oder auch nur begehrte, sondern schon
froh war, „der Väter Werk“, vor allem die
deutsche Renaissance, zu neuem Leben er¬
stehen zu sehen, so richtete Hirth seine Auf¬
merksamkeit zunächst auf die unerschöpflichen
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238
Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
Vorratskammern des XVI. und XVII. Jahrhun¬
derts, um aus ihnen das Schönste und Köst¬
lichste vor die große Öffentlichkeit des schaffen¬
den und genießenden Publikums zu tragen. Er
gründete den „Formenschatz“, jenes im Laufe
der Jahre zu einem schier unermeßlichen Reper¬
torium gediehene Sammelwerk von Nachbil¬
dungen nach Gemälden, Architekturen, Wand-
und Glasmalereien, Möbeln, Schmiedearbeiten,
Waffen, Stickereien, Webereien, Druckerzeug¬
nissen, Bucheinbänden, Rahmen, Gebrauchs¬
gegenständen aller Art. Ich habe es gewagt,
sagte er im Vorwort des ersten Bandes, an
ein großes, allgemeines Bedürfnis zu glauben
und zum ersten Male versucht, die klassischen
Arbeiten unserer alten Meister in einer beispiel¬
los billigen Ausgabe (das einzelne Blatt stellte
sich auf etwa 10 Pfennige) populär zu machen.
Und nun fahre wohlgemut hinaus ins wogende
Leben, du schmuckes Schi ff lein mit den launigen
Gaben unserer trefflichen Ahnen. Ergötzet
euch daran, ihr Neuen, und schauet in Dank¬
barkeit zurück nach den Schöpfern dieser
dreihundertjährigen Formenherrlichkeit, nach
den „großen Meistern im kleinen Raum“; mögen
ihr Geist und ihre Kunst über uns und unsere
Kinder kommen! —
Vom Formenschatz liegen jetzt 26 Jahr¬
gänge vor. Nachdem die ersten sich aus¬
schließlich der Renaissance gewidmet, wenden
die folgenden, entsprechend dem bekannten
„Repetier-Kursus“, den unser Kunstgewerbe
durchgemacht, nach und nach auch den
Schöpfungen des Barock- und Rokokozeitalters,
der Empire- und Biedermaierkunst ihre Aufmerk¬
samkeit zu. Auch die Werke der sogenannten
„hohen“ Kunst finden allmählich Eingang,
die orientalische Kunst bleibt nicht aus, und
als die „Moderne“ sich des Kunsthandwerks
bemächtigt, richten sich sogar die Berlepsch,
Erler, Pankock, Riemerschmied, Eckmann, Van
de Velde usw. häuslich neben den Oppenort,
Boucher, Meissonier, Jamnitzer, Peter Candid,
Holbein und Dürer ein. Es ist gar nicht zu
schildern, was für eine Fülle köstlichen Materials
der Formenschatz während der 26 Jahre seines
Bestehens aufgestapelt hat, was für ein Ver¬
mögen er in die Hände derer geliefert, die
sich jeden Monat eines seiner billigen Hefte
angeschafft haben und wie unfaßbar jedem
Besitzer dieses Vermögens der Gedanke ist,
auch nur eine Stunde ohne dasselbe hauszu¬
halten. Wer hat Zeit, die Museen der ganzen
Welt abzulaufen, wer Gelegenheit in die Privat¬
sammlungen der Mäcene einzudringen, wer
auch nur die Kraft des Gedächtnisses, das Zer¬
streute zusammenzufassen und nutzbringend zu
verarbeiten? Aber da kommt nun der Formen¬
schatz, reist im Fluge durch die beiden Hemi¬
sphären, öffnet mit seinem Zauberschlüssel alle
noch so verborgenen Schatzkammern und streut
über die Werkstätten, Schulen, Studierstuben
des halben Kontinents seine ungezählten Blätter
aus, die man nur zu sammeln braucht um zu
jeder Stunde in Frankreich, Spanien, Italien,
England, Skandinavien, Deutschland, Japan,
Mesopotamien, Ägypten, Syrien, im Altertum
oder in der Neuzeit, in der Zeit Napoleons
oder Karls V., im Jahrhundert des vierzehnten
Ludwig oder des Großen Karl seine Studien
machen zu können. „Ordnung“ lehrt uns natür¬
lich auch hier wieder „Zeit gewinnen“. Es ist
keineswegs dasselbe, ob ich am Ende jedes
Jahres dem Buchbinder die zwölf Lieferungen
des abgelaufenen Jahrgangs zum Binden über¬
gebe, oder ob ich mir für jeden Stil und fiir
jeden Kunstzweig Mappen anlege, in die ich
die Blätter jedes Heftes in chronologischer und
systematischer Anordnung verteile, so daß ich
zuletzt in der Lage bin, je nach Bedarf ein
Faszikel „Römische Keramik“, „Orientalische
Webereien“, „Deutsche Möbel des XVI. Jahr¬
hunderts“, „Waffen der Barockzeit“, „Bauten
der italienischen Hochrenaissance“ usw. vorzu¬
legen. — Wenn einmal der Formenschatz ab¬
geschlossen ist, hat man noch immer Zeit, den
Buchbinder zu rufen.
Aber wird denn ein Werk wie der Formen¬
schatz, das sich ein Vierteljahrhundert gehalten,
ohne zu ermatten, jemals zum Abschluß kom¬
men ? Ich glaube, seine Popularität ist so groß,
das Bedürfnis, welches er befriedigt, so unab¬
weisbar, dazu seine Findigkeit im Aufspüren
von Kunstschätzen so erprobt, daß wir noch
viele Jahre die Freude haben werden, ihn die
Monatsvisite, die er uns seit 26 Jahren macht,
wiederholen zu sehen. Ja, der Formenschatz
allein genügt nicht einmal, alles das herbei¬
zuschaffen, was die interessierten Kreise an
Reproduktionen alter und neuer Kunstwerke
besitzen möchten. Das „Kulturgeschichtliche
Bilderbuch“, die „Meisterholzschnitte aus vier
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Engels, Die großen deutschen Verlagsanstallen.
239
Jahrhunderten“, „Der Stil in den bildenden Vertiefung in das stille Weben der alten
Künsten und Gewerben aller Zeiten“ haben ihm Meister bereichert nicht bloß unseren guten
im Laufe der Jahre Gesellschaft leisten müssen, Geschmack und unser geschichtliches Wissen,
damit er unter der Last seiner Kostbarkeiten sondern sie bewirkt auch, indem wir die lang-
nicht zusammenbreche. same Kulturarbeit verschiedener Jahrhunderte in
Das Kulturgeschichtliche Bilderbuch spricht kunstgeweihter Lebensfülle so recht anschaulich
zu uns in der künstlerischen Ausdrucksweise vor Augen haben, daß wir in unseren Erwar-
der Zeiten, die es vorführt. Es besteht aus tungen geduldiger und versöhnlicher, in unserem
Faksimile Wiedergaben von alten Holzschnitten, Gemüte selbst ruhiger und froher werden.“
Kupferstichen, Radierungen und Zeichnungen. Umfaßt das Kulturgeschichtliche Bilderbuch
Gegenstände der Reproduktion sind namentlich sechs große Bände, so begnügt sich die Samm¬
lung von „Meisterholz¬
schnitten“ mit einem
einzigen Bande. Man
unterscheidet beim
Holzschnittbekanntlich
den Nachschnitt der
für den Hochdruck be¬
rechneten Zeichnung
auf Holz und die freie
Übersetzung eines be¬
liebig anders gearteten
Originals in die Tech¬
nik der Holzschneide¬
kunst. Die Zahl der
letzteren Werke ist Le¬
gion, die der ersteren
immerhin in gewisse
Grenzen eingeschlos¬
sen. Die Hirthsche
Publikation verfolgt nun
den Zweck, die Ge¬
schichte des Nach¬
schnitts und also die
Zeichnung für den
Solis, Amman, Stirn- Unbekannter Meister: Italien 1549—56. Hochdruck von ihren
_ . . . _ (Bartsch, Bücherornamentik II.) ..
mer,Goltzius,deBruyn, Anfängen bis zu ihrer
Sadeler, Cr. de Passe, Callot, Hollar, Merian, Umgestaltung im XIX. Jahrhundert (Tonschnitt)
Abr. de Bosse, Stef. della Bella, Potter, Boucher, zu veranschaulichen. Alle Phasen dieser Ent-
Watteau, Schmidt, Chodowiecki — liefern in Wicklung in den verschiedenen Zeiten und Län-
überreicher Fülle den Stoff zu diesem Werke, dem werden durch charakteristische Beispiele
welches an Originalität und an kunsthistorischem der hervorragendsten Meister illustriert, wobei
Wert von keinem ähnlichen übertroffen wird, von der Reproduktion allzubekannter Blätter
Überall, sagt Lübke, sollte dieses prächtige Abstand genommen und selteneren Werken
Bilderbuch im deutschen Hause unter den durchweg der Vortritt eingeräumt wird. Im
Bücherschätzen einen Ehrenplatz haben und ganzen gelangen 200 Tafeln zur Vorführung
Hirth selbst hat den Geist des Werkes hübsch und zu jeder einzelnen gibt Richard Muther
illustriert, indem er die Vorrede mit den Worten eine fach- und sachgemäße Erläuterung. Für
beginnt: „Diese Blätter gehören dem Zauber- denjenigen, der sich wissenschaftlich mit
kreise an, in welchen wir uns aus dem herzlosen den vervielfältigenden Künsten befassen will,
Getriebe des Tages flüchten. Die andächtige bietet das Werk im Verein mit dem vorher
Porträts berühmter und
interessanter Persön¬
lichkeiten, Kostüm-
und Genrebilder, Dar¬
stellungen von Jagden,
Kriegs- und Gerichts¬
szenen, Spielen, Tän¬
zen und Bädern, Fest¬
zügen, Gastmählem,
Reisen; Schilderungen
des höfischen Lebens,
Städteansichten und
Marktbilder, endlich
moralische und poli¬
tische Allegorien, My¬
sterien, Kuriosa usw.
Hervorragende Meister
dreierjahrhunderte und
verschiedenerNationen
— ich nenne aus der
großen Zahl nur die
Namen Dürer, Burgk-
mair, Cranach, Holbein,
Schäufelin, Beham,
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Leiste von Jost Ammann (Sieg. Feierabend 1572.)
(Bartsch, Bücherornamentik II.)
besprochenen das besondere Interesse, daß er
sich ohne viel Schwierigkeiten darüber belehren
kann, wie der Holzschnitt aus primitiven An¬
fängen zu immer feinerer Durchbildung empor¬
wächst, um dann vom Kupferstich verdrängt
zu werden, der seinerseits die mannigfachsten
Schicksale erlebt und zuletzt die Wiedergeburt
des Holzschnitts nicht verhindern kann.
„Der Stil in den bildenden Künsten und
Gewerben aller Zeiten“ ist gewissermaßen eine
systematische und chronologische Ausgabe des
„Formenschatz“ mit reichlicher Detailausführung.
Wer den Formenschatz noch nicht besitzt, dem
rate ich, den „Stil“ sofort anzuschaffen, denn
hier wird ihm die Mühe des Ordnens der
Blätter erspart und dazu eine überaus hübsche
Einteilung nach Stoffgebieten an die Hand ge¬
geben. Der „Stil“, von dem bisher nur eine
Abteilung vorliegt, hat sich nämlich folgendes
Programm vorgesetzt: I. Der schöne Mensch
in der Kunst aller Zeiten. 2. Sitten und
Kostüme. 3. Tiere, Mythen und Fabelwelt.
4. Die Pflanze. Allgemeine Ornamente. 5. Äußere
Baukunst. 6. Innere Dekoration. Wand- und
Deckenmalerei. 7. Stickerei und Weberei.
8. Das Möbel. Tischlerei. Holzschnitzerei.
9. Geräte und Werkzeug. Musikinstrumente.
10. Gefäße. Keramik. 11. Schmiede- und
Schlosserarbeit. 12. Heraldik. Wehr und
Waffen. 13. Schmuck, Medaillen u. dergl.
14. Allegorien. Genre. 15. Schrift, Druck,
Bücherornamente, Exlibris. 16. Die Land¬
schaft. — Der vorliegende erste Band „Der
schöne Mensch in der Kunst aller Zeiten“ hält
denn auch das Versprechen, welches Hirth^bei
der Ankündigung des großangelegten Unter¬
nehmens gemacht, daß er nämlich „durchaus
nicht aus dem kolossalen Klischeevorrat der
bisherigen Publikationen“ schöpfen wolle. Als
Besitzer des Formenschatzes und des ge¬
nannten Bandes „Stil“ kann ich versichern,
daß ich den letzten um keinen Preis missen
möchte und die folgenden Bände bestimmt an-
schaffen werde. Hoffentlich wird die Veröffent¬
lichung nun fortgesetzt! Ist doch bereits mehr
als ein Jahr verflossen, seit „der schöne Mensch“
zum Abschluß gelangte!
Um die praktische Anwendung des in
allen diesen Tafelwerken Gebotenen an einem
Unbekannter Meister: Deutsches Kartenspiel.
(Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch. Band II.)
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Engels, Die großen deutschen Verlagsanstallen.
241
konkreten Beispiel darzutun, hat Hirth eine gerade
für ihn besonders geeignete Aufgabe zu lösen
unternommen, indem er das Prachtwerk „Das
deutsche Zimmer, Anregungen zu häuslicher
Kunstpflege" schrieb. Hier lernen wir ihn in
seiner ganzen Eigentümlichkeit und Bedeutung
kennen, nämlich als einen jener seltenen Kunst¬
schriftsteller, denen die Kunst nicht Philologie,
sondern unmittelbares Leben und natürliches
Lebensbedürfnis ist. Wir haben heute gut
dozieren und schreiben, wie man Kunst und
Leben in eins verschmelzen, wie man das Kunst¬
gewerbe der „hohen Kunst" zur Seite stellen,
wie man der Wohnung ein künstlerisches
Gepräge geben soll: in zwanzig Jahren lernt
sich manches. Aber als Hirth sein „Deutsches
Zimmer" schrieb, hatte man noch keine Ge¬
legenheit gehabt, derlei Dinge zu lernen, da
mußte man seiner Zeit beträchtlich voraneilen,
um überhaupt den Mut, geschweige denn die
Ideen zu einem solchen Buche zu gewinnen.
Sehr richtig nimmt Hirth seinen Ausgang von
der Farbe, diesem wichtigsten Element aller
Dekoration. In einem großen, schönen Kapitel
schildert er dann die Entwicklung der Formen
bis in die Barockzeit und wendet sich schlie߬
lich den Hauptstücken der Dekoration, den
Wand- und Deckenbekleidungen, den Türen,
Aus Jost Ammans Frauentrachtenbuch.
Ein füraemen Weib in der Moscaw. Frankfurt 1586. (München 1880.)
Z. f. B. 1904/1905.
Aus Jost Ammans Kartenspielbuch.
Nürnberg 1588. (München 1880.)
Öfen, Kaminen, Schränken, Sitzmöbeln, Tischen,
Betten, Beleuchtungskörpern, Gläsern und Ge¬
schirren, Rahmen usw. zu. Auch hier gibt es
wieder prachtvolle Reproduktionen von Kunst¬
werken und ganzen Interieurs, die allein schon
geeignet sind, dem Werke viele Freunde zu
werben, ganz abgesehen davon, daß es einen
hohen Genuß gewährt, einen so originellen und
und tätigen Kunstfreund wie Hirth, dessen
ganzes Haus bis zum Dach hinan mit Kunst¬
schätzen gelullt ist, über die Wohnungsausstat¬
tung reden zu hören. — Karl Rosner hat das
Werk in einer Abhandlung über den Klassizis¬
mus, den Biedermeierstil und die Moderne sehr
geschickt bis zur Gegenwart fortgesetzt.
Als das Bayerische Gewerbemuseum im
Jahre 1877 eine Ausstellung von Arbeiten der
vervielfältigenden Künste veranstaltete, war, wie
man in einem alten Jahrgang der Bayerischen
Gewerbezeitung lesen kann, ein Hauptanziehungs¬
punkt des allgemeinen Interesses die Sammlung
von Titelblättern und Buchverzierungen, welche
J. F. Butsch in Augsburg ausgestellt hatte.
Kurze Zeit darauf erschien diese Sammlung
3 *
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242
Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
in zwei stattlichen Bänden im Hirthschen
Verlag unter dem Titel: „Buchomamentik der
Renaissance“. Butsch und Hirth haben mit
diesem Werke der Buchillustration neue Bahnen
gewiesen, und unsere ganze moderne Druck¬
ausstattung hat durch diese Publikation den
nachhaltigsten Anstoß erfahren.
Liebhaberei flößen mir Sympathie für Ihr
Unternehmen ein: seit Jahren plage ich mich
vergeblich mit Versuchen zu einer Reform des
Buchdrucks; vergeblich, sage ich, denn was ich
als Praktiker etwa erreicht habe, kann den
Kenner nicht befriedigen, und ähnlich wird es
wohl der Mehrzahl meiner Kollegen von der
Crispin de Passe: Porträt.
(Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch. Band III.)
Später erschien dann jenes denkwürdige „Kunst“ (sit venia verbo) ergehen. Der Grund
Buch, welches Richard Muthers Freundschaft dieser Mißerfolge liegt nicht so wohl im Mangel
mit Georg Hirth begründen sollte: „Die Deut- an gutem Willen, sondern in der ganzen Ent-
sche Bücherillustration der Gotik und Früh- Wicklung des Bücherwesens, das sich nicht mit
renaissance“ von R. Muther. In einem Brief einem Male auf den Kopf stellen läßt. Der
an den Verfasser sagte Hirth: Nicht bloß tiefgehendenDegenerierung, der vollkommenen
kunstgeschichtliches Interesse und antiquarische Kunstentfremdung, welcher der Buchdruck im
e ffeict quam getaut iHufin*dtirpe*creatam^
f^JlarcJno fätuLntfis Jmyät amorc süi .
Q^feqmo etptriKsflri guem retinehit amercs
Q dmcuh ccttuyii nurs ifj/f rumpcit atrop .
^ GgfimpmdrfgflrJplSiiM
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Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
243
Laufe der Jahrhunderte anheimgefallen ist, sind
sich eben nur sehr wenige bewußt Wie alle
Vervielfältigung ein künstlerisches Gepräge nur
dadurch bewahrt, daß sie die künstlerische
Hand, welche das Original geschaffen, immer
noch deutlich erkennen läßt, so stelle ich an das
Buch als Kunstwerk die ideale Aufforderung,
daß es in Schrift und Illustration den Charakter
künstlerischer Handschrift trage. Das ist in
Wirklichkeit das Geheimnis des Zaubers, welche
die Inkunabeln auf uns ausüben, in denen uns
hunderte nach den Druckarten verschiedene,
ursprünglich wirklich geschriebene „Charak¬
tere“ entgegentreten. Nicht anders verhält es
sich mit dem anspruchsvollen Linienholzschnitt
jener goldenen Zeit, welcher Strich für Strich
die Hand des zeichnenden Künstlers wieder-
giebt und nach der Arbeit der Illuministen voll¬
ständig den Eindruck der kolorierten Feder¬
zeichnung macht. Papier und Einband vollenden
das künstlerische Gepräge dieser ehrwürdigen
alten Bücher: hier ist alles „Styl“, gleichviel,
ob uns in deutschen Landen noch gotische
oder im Süden noch antikisierende Formen
entgegentreten. Mit dem XVI.Jahrhundert schon
beginnt die „Enthandschriftlichung“ des Buches,
wenn ich so sagen darf, und heute, nach un¬
säglichen Irrfahrten des Druckes und der Illu¬
strationen, sagt man nicht mehr: „er druckt wie
geschrieben“, sondern: „ er schreibt wie
gedruckt“, — der Eine druckt und der Andere
schreibt ohne Kunst und Charakter. ... So
betrachte ich denn Ihre Publikation, die mir
längst als ein Bedürfnis erschienen, auch als
ein Beispiel zur Läuterung unseres Geschmacks.
Sie ordnet sich, von ihrer selbständigen wissen¬
schaftlichen Bedeutung ganz abgesehen, als
ein hochwillkommenes Glied in die Reihe jener
Veröffentlichungen ein, die ich im Verein mit
meinem Freunde Butsch begonnen habe und
welche, richtig verstanden, ja doch mit der
Zeit einen gewissen geschmackbildenden Ein¬
fluß auf die typographische Praxis ausüben
wird....
Das Muthersche Werk gehört zu den nütz¬
lichsten, ja unentbehrlichsten Büchern, die ich
kenne. Vor seinem Erscheinen waren die Werke
von Panzer, Hain und Ebert, sowie die Weigel-
schen Lagerkataloge fast die einzigen Hilfsmittel,
über die der Sammler und Freund des alten
Holzschnittes verfügen konnte. An ihre Stelle
setzte nun Muther ein Nachschlagebuch, das
nicht nur dem Kunstgelehrten im engeren
Sinne, sondern auch dem Bibliophilen Rech¬
nung trug und überdies als beinahe abschlu߬
reife Vorarbeit zu einer „Geschichte der Bücher¬
illustration“ gelten konnte. Bei der Illustration
war der Schwerpunkt auf die Inkunabeln
gelegt: die ersten 160 Tafeln bieten eine so
ziemlich vollständige Übersicht über die Kunst¬
entwicklung des XV. Jahrhunderts. Bei den
Illustrationen der späteren Zeit konnte vielfach
auf die früheren Publikationen im kunst¬
geschichtlichen Bilderbuch Bezug genommen
werden.
Ihren krönenden Abschluß fanden die typo¬
graphischen und phototypischen Bemühungen
Hirths in der köstlichen „Liebhaberbibliothek
alter Illustratoren“, jener jetzt auf 13 Bänd¬
chen gediehenen Sammlung, welche sich die
Wiedergabe ganzer Druckwerke der alten Zeit
zur Aufgabe stellte und zunächst Jost Ammans
„Frauentrachtenbuch“, das „Kartenspielbuch“,
„Wappen- und Stammbuch“, dann Tobias
Stimmers „Bibel“, Virgil Solis* „Wappenbüch¬
lein“, Cranachs „Wittenberger Heiligtumsbuch“,
Jost Ammans „Stände“, Dürers „Kleine
Passion“, Hans Holbeins „Altes Testament“
und „Totentanz“, Burgkmaiers „Leben und
Leiden Christi“, Altdorfers „Sündenfall“ und
endlich das „Hallesche Heiligtumsbuch“ zur
Veröffentlichung brachte. Für 3, 5, 7, höch¬
stens 10 Mark erhält man hier getreue Nach¬
bildungen von Werken, die teilweise außer¬
ordentlich selten und teuer sind — von Cranachs
Heiligtumsbuch sind nur drei Exemplare be¬
kannt — und deren Originale man angesichts
der geradezu mustergültigen Reproduktion nicht
einmal sonderlich zu vermissen glaubt Auch
die Mappe mit den prachtvollen „Randzeich¬
nungen Dürers zum Gebetbuch Kaiser Maxi¬
milians“ gehört hierher. Bekanntlich wurde
das Gebetbuch als Prachtwerk seltenster Art
in Augsburg auf Pergament gedruckt. Er¬
halten sind drei Exemplare, unter denen nur das
Münchener die Randzeichnungen besitzt Den
Text hat Hirth aus begreiflichen Gründen nicht
wieder produziert, vielmehr hat er das Ganze als
eine Art Familienchronik ausgestattet — und in
der Tat: diese köstlichen alten Zierleisten eignen
sich unnachahmlich zum Schmuck wertvoller
und sinniger Familien-Aufzeichnungen.
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Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
244
Ornament und Illustration (Simson erschlägt die Philister) aus Tobias Stimmers Bibel. Basel 1576.
(München 1881.)
Es würde zu weit führen, wollte man auf
manche anderen Publikationen des Hirthschen
Verlags, wie „Die Monogrammisten“ von Nag¬
ler, „Dürers Aufenthalt in Basel“ von Daniel
Burckhardt, „Peter Flötner“ von Reimers, „Ge¬
schichte der Wandteppichfabriken“ von M.Mayer,
„Ludwig Hohenwang“ von Butsch, P. P. Rubens
„Antike Charakterköpfe“, „Bilder aus der
Lutherzeit“, „Das Wunder von Maria Zell“, Jost
Ammans „Ehebrecherbrücke des Königs Artus“
und „Allegorie auf den Handel“, „Anleitung
zur Technik der Ölmalerei“ von A. Hauser,
„Album für Frauenarbeit“, „Fugger-Inventarium“,
„Kunsthistorische Wanderungen durch Bayern“
von Riehl, „Leonardo da Vinci“ von Paul
Müller-Walde usw. näher eingehen. Dagegen
muß ausführlich der bedeutenden Rolle ge¬
dacht werden, die Georg Hirth im Kampf um
die Münchener Moderne gespielt und des
Systemwechsels auf der ganzen Linie, der
sich seitdem in seiner publizistischen Wirksam¬
keit vollzogen hat. Wir haben schon vorher
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Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
245
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Titel von Virgil Soli* Wappenbüchlein. Nürnberg 1555.
(München 1886.)
gesehen, wie Hirth mit
Muther bekannt wurde, nun
müssen wir verfolgen, wie
sich die im Zeichen der
Renaissance geschlossene
Freundschaft im Zeichen der
,Sezession* weiter entwickelte
und ihre kostbare Frucht,
Muthers „Geschichte der
Malerei im XIX. Jahrhun¬
dert“ zeitigte.
Um die Mitte der acht¬
ziger Jahre begann es in
München zu gähren. Gerade
diejenigen, die am sichersten
die altmeisterlichen Kunst¬
mittel beherrschten, wiesen
nun darauf hin, daß man
den Alten nicht ähnlich
sei, wenn man sie sklavisch
kopiere. Es gälte, gleich
ihnen original zu sein, dem
eigenen Auge zu trauen,
neue, selbständige Kunst zu
schaffen. Max Liebermann,
der von 1879—1884 in Mün¬
chen weilte, hatte das Pro¬
gramm des Impressionismus
nach Deutschland gebracht
Uhde stellte Freilichtbilder:
den Leierkastenmann, die
Näherinnen, die Trommler
aus. Gotthard Kuehl und
Freiherr von Habermann,
Graf Kalckreuth und Heinrich Zügel, Dill und
Weißhaupt erließen Manifeste. Muther bekannte,
daß er sich jetzt erst selbst entdeckt: Ich hatte
über Kunstgeschichte geschrieben, jetzt erlebte
ich sie. Statt Mumien auszugraben, konnte ich
den Schaffenden dienen, ich konnte mitkämpfen
für die großen Ziele des Zeitalters. Und daß
ich es durfte, habe ich Hirth zu danken. Die
ganze Münchener Kritik war in der Hand
alter Herren. Moriz Carriöre, K. A. Regnet,
Adalbert Swoboda und Friedrich Pecht be¬
trauerten den Abfall von der wahren Kunst,
deren Priester Cornelius und Piloty waren. Ein
einziger, Hermann Helferich, gab in einem
Berliner Blatt, der Nation, den Sorgen und
Hoffnungen der Jugend Ausdruck. Hirth wagte
es — es war wirklich ein Wagnis — mir die
„Neuesten Nachrichten“ zu öffnen. Es regnete
Drohbriefe, es wurde intriguiert und geschimpft.
Ein Transparent mit der Inschrift: „WennVor¬
sicht die Mutter der Weisheit, ist Muther der
Vater des Blödsinns“ bewahre ich noch jetzt
als heiteres Souvenir. Doch schon 1888 war
der Sieg entschieden. Im Jahre 1893 in meiner
Geschichte der Malerei zog ich das Fazit aus
dem, was ich in jener begeisterten Kampfzeit
lernte.
Unterdessen hatte sich die Sezession von
der Künstlergenossenschaft getrennt. Unter der
Führung des unvergeßlichen Piglheim bezog
sie 1892 in der Prinzregenten-Straße ihr Heim.
Und wieder hatte Hirth den Weg geebnet
Immer voll Feuer und Begeisterung, beratend
und anspornend, schrieb er die ersten Artikel,
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246
Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
die den Funken in das Pulverfaß warfen. „Der
Zeit ihre Kunst.“ Das war der Inhalt des
Programms, das wir damals bei Paulus redi¬
gierten. Im Jahre 1894 rollte der Stein weiter.
Otto Eckmann war in Kopenhagen gewesen.
Er erzählte mir viel von Theodor Bindesböll,
schwärmte viel von Möbeln und Teppichen,
von Buchdeckeln, Töpfen und Gläsern. In
Frankfurt bei Bangel ließ er seinen eigenen
Nachlaß versteigern.
Er, Thomas Theodor
Heine und Peter Beh¬
rens hingen die Male¬
rei an den Nagel, um
Kunstgewerbemänner
und Illustratoren zu
werden. Die Sezession
ahnte damals nicht,
wohin das hinauswollte.
Sie ließ die Abtrün¬
nigen ziehen. Die Zer¬
splitterung der Künste
hatte so lange gewährt,
daß man die Synthese
sich gar nicht vorstellen
konnte. Doch Hirth
war der Herausgeber
des Formenschatzes.
Er teilte mit Ruskin
die Ansicht, daß jeder
Gegenstand Kunst sei,
dem man die Freude
seiner Erzeugung an¬
merkt. Er fühlte, daß
eine riesige Summe
künstlerischer Kraft, im
Käfig der Ölmalerei
eingeschlossen, des
Pförtners harrte. So
gründete er 1896 den
modernen Formenschatz, die „Jugend“.. ..
Es könnte vielleicht unbegreiflich erschei¬
nen, wie eine ehrliche Renaissancebegeisterung
— von welcher Hirth ausging — neben einer
ehrlichen Sezessionsbegeisterung — bei welcher
Hirth anlangte — zu bestehen vermag. Tat¬
sächlich würde bei jedem anderen ein solcher
Wechsel berechtigtes Mißtrauen erwecken; bei
einem so eminent „lebendigen“, d. h. entwick¬
lungsfrohen Naturell wie Hirth bedeutet er nur
einen Beweis mehr fiir die Echtheit seiner
durchaus im Leben wurzelnden Kunstliebe.
Das Leben ist alles und die Theorie ist gar
nichts. Die Kunstmoden wechseln, die Kunst
bleibt immer die gleiche. In tausend Masken
verbirgt sich stets der nämliche Kern. „Es
kann gar nicht nachdrücklich genug betont
werden, daß der enge Anschluß an die Re¬
naissance eine Notlüge war, weil wir im Laufe
der Zeiten in kunststilistischer Hinsicht total
auf den Hund gekom¬
men waren. Nun kann
man zwar — der Not
gehorchend, nicht der
Tugend — eine Zeit¬
lang dergleichen Alter¬
tümeleien mit Nutzen
betreiben, aber sich
zuletzt allen Ernstes
einbilden, daß man sein
eigener Urgroßvater
sei, — nein, diesen
,Mumienschanz‘ mache
ich nicht mit, dagegen
bäumen sich meine
j ugendlichen Gefühle
auf, das ist unnatürlich,
affektiert!“ Und: „Die
Münchener Renais¬
sance-Bewegung hatte
für Deutschland doch
eine viel größere Bedeu¬
tung, als die jungen
Leute von heute zu¬
geben möchten. Durch
ihre antiquarische Basis
vermittelte sie nämlich
den direkten Anschluß
an eine wirklich da¬
gewesene hohe Ent¬
wickelung des Kunst¬
gewerbes, und daß diese vorwiegend deutsch
war, muß als ein weiterer, unschätzbarer
Gewinn betrachtet werden. Künstler, Archi¬
tekten und Handwerker haben damals durch
den intimen Umgang mit guten, alten Sachen,
durch tausende von Restaurierungen und
sorgsame, intelligente Nachbildungen praktisch
gelernt. Daß man in der Freude über
diesen hauptsächlich technischen und stilisti¬
schen Gewinn sehr häufig „alt“ mit „künst¬
lerisch“ verwechselte, vieles übernahm, weil es
Die Hochzeitstänser. Nach H. Aldegrsver.
(Hirth, Kulturgeschichtliches Bilderbuch. Band n.)
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Engels, Die großen deutschen Verlagsanstalten.
247
ehrwürdig war und den geliebten Stil atmete,
ist entschuldbar. Nicht entschuldbar ist es
aber, wenn man den Stil über die freie künst¬
lerische Entwicklung stellt"
Das besagt alles in allem nichts anderes
als: Platz da für das Leben! Und wo da eine
Inkonsequenz liegen soll für einen Menschen,
der das Leben so stark empfindet wie Hirth,
werden wohl selbst jene Leute nicht nach-
weisen können, die über die Ideale von 1876
noch immer nicht hinausgediehen sind. Wir
anderen aber freuen uns, daß es so gekommen
ist, wie es kam, und daß aus dem Hirth des
Formenschatzes, des Kunsthistorischen Bilder¬
buches, der Liebhaberbibliothek usw. der Hirth
der „Jugend", der „Wege zur Kunst", „Wege
zur Freiheit" und der Mutherschen Publika¬
tionen geworden ist.
Über die „Jugend" ist vor drei Jahren an
dieser Stelle ausführlich gehandelt worden.
Ihr großes und unbestreitbares Verdienst be¬
steht darin, den neuen deutschen Illustrations¬
stil und neuen deutschen Kolorismus geschaffen
zu haben. Alles was an Farbenfreude jetzt in
unseren Zeitschriften, Plakaten, graphischen
Wandbildern, Zimmereinrichtungen, Straßen¬
szenen, Damenkleidern usw. lebendig ist, geht
zu einem großen Teil auf die Anregungen
der ,Jugend" zurück. Ohne ihre Vermittler¬
dienste hätten die Künstler lange Ausstellungen
veranstalten können, ehe sie das Publikum ge¬
wannen; durch die Hefte der „Jugend" aber
kamen die modernen Ideen unter die Menge,
verblüfften zuerst, fesselten später und wurden
zuletzt als schön und nachahmenswert an¬
erkannt.
Die Muthersche Geschichte der Malerei im
XIX. Jahrhundert ist seit Jahren vollständig
vergriffen und wird heute mit 140—160 M.
antiquarisch, statt mit 80 M. neu bezahlt Da
Zahlen beweisen, so braucht man weiter kein
Wort darüber zu verlieren, wie töricht jene
„Mutherhetze" war, die das Erscheinen des
Werkes einst begleitete. Hirth macht über
Muther und seine Beziehungen zu ihm in
seinen „Aphorismen" folgende interessanten
Mitteilungen: Am meisten habe ich von der
Malerei und verwandten Dingen in der Mün¬
chener Alten Pinakothek gelernt, I. in der
Galerie selbst, 2. bei Alois Hauser, 3. bei
Adolf Bayersdorfer, 4. bei dem gelehrten und
leidenschaftlichen Richard Muther. Am nächsten
hat mir freilich Muther gestanden (oder viel¬
mehr ich ihm); seine Gabe, sich und andere
über die schwierigsten Probleme der Kunst¬
geschichte aufzuklären, war und ist geradezu
phänomenal. Eiserner Fleiß, durchdringender
Verstand, bis zu Tränen rührsame Begeisterung,
leicht verletzende Ehrlichkeit, nie fehlende Ge¬
wandtheit und Bereitschaft zu helfen, ein ge¬
borener Lehrer und Kunstagitator. Als er in
das Münchener Kupferstichkabinett berufen
ward, war es sein Erstes, die vielen Tausende
von Blättern und Büchern genau kennen zu
lernen und neu zu ordnen, eine Riesenarbeit,
die er in unglaublich kurzer Zeit bewältigte.
Seine Bemühungen, die altehrwürdige Anstalt
zu modernisieren und in ein förmliches gra¬
phisches Museum zu verwandeln, sind leider
mit seinem Weggang von München ad acta
der versäumten Gelegenheiten genommen wor¬
den. Dann kamen neben seiner beruflichen
Tätigkeit und zahlreichen antiquarischen Ar¬
beiten seine Studien zur Geschichte der Malerei
im XIX. Jahrhundert, jenem grundlegenden
Werke, durch welches die moderne Kunst in
der Literaturgeschichte hoffähig ward. Nur
ein kühner und universeller Geist, wie Muther,
konnte dieser Aufgabe ,mit solcher Plötzlich¬
keit* gerecht werden. In vielen Punkten bin
ich nicht mit ihm einverstanden, da ich gerade
bei den bedeutendsten und stärksten Künstlern
den direkten Zusammenhang mit Literatur und
Kultur nicht sehen kann; ja mir scheint, daß
Turner, Courbet, Millet, Böcklin, Leibi u. a. erst
dann recht groß werden, wenn sie sich die
gesamte Kulturaffaire den Buckel hinaufsteigen
lassen, d. h. wenn sie sozusagen — Bauern
werden. Aber natürlich ganz getrennt und
losgelöst vom Geistesleben ihrer Zeit kann man
sich ihre Kunst auch nicht denken. Muther
hat doch im großen und ganzen recht; und
wenn er sich dagegen sträubt, eine neue Auf¬
lage seines epochemachenden Werkes zu ver¬
anstalten, ist darin kaum eine Absage an seine
kunsthistorischen Prinzipien zu erkennen. Die
zeitgenössische Kritik über dieses Buch ist
interessant; an dem Geschrei, das einer im
Ärger von sich gibt, kann man merken, ob er
ein Esel ist oder nicht. ..
Gemeinsam mit Muther gab Hirth noch die
beiden „Ciceroni" für die Alte Pinakothek in
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248 Engels, Die gToßen deutschen Verlagsanstalten.
Unbekannter Meister: Lyon 1570.
(Bartsch, Bücherornamentik II.)
München und für die Berliner Gemäldegalerie
heraus. Im Gegensatz zu den herkömmlichen
Galeriekatalogen, die mehr für den Fachmann
bestimmt sind, haben sich diese beiden Bände
die Aufgabe gestellt, diejenigen, welche nicht
gerade Kenner oder Kunstgelehrte sind, im
Anschluß an die Gemälde in das Verständnis
der Meister und der Schulen einzufiihreiL Und
da man zu einem Verständnis älterer Kunst¬
werke am ehesten auf historischem Wege ge¬
langen kann, so ist an die Stelle der systema¬
tischen Vollständigkeit der Kataloge hier eine
mehr geschichtliche Darstellung getreten, welche
zwischen den zerstreuten Werken der Samm¬
lungen das verknüpfende Band aufweist, die
einzelnen Bilder im Zusammenhang der Schule
und im vollen Fluß des Kunstlebens der Epochen
zu begreifen sucht Es gibt nicht leicht etwas
Gefälligeres und Geistvolleres zu lesen, als die
Mutherschen Betrachtungen, und wenn man
schon überhaupt im Angesicht von Kunst¬
werken lesen soll, so wüßte ich nicht, was
ich lieber in die Münchener Pinakothek und
das Berliner Museum mit¬
nähme als diese beiden
Bändchen. In dem Ber¬
liner Cicerone nimmt
außer Muther auch Hirth
das Wort und zwar zu
einer überaus beherzigens¬
werten Belehrung über
Kunstgenuß und Kunst¬
verständnis , Stil und
malerische Charakteristik,
malerische Auffassungen
und Techniken, Wege zur
Kennerschaft usw.
Damit sind wir bei
der neuesten Publikation
unseres Verlages, den
„Wegen zur Kunst" und
den „Wegen zur Frei¬
heit" von Georg Hirth
angelangt. Der erste
Band liegt bereits abge¬
schlossen vor, der zweite
ist im Erscheinen be¬
griffen. In beiden tritt
Hirth als der drachen¬
tötende Ritter Georg auf,
als der er all sein Lebtag
am liebsten die Feder geführt hat. Bald müssen
ihm die Leute von der Lex Heinze-Fraktion,
bald die bayerischen Landtags-Kunstkenner,
bald die bösen Kritiker, bald die Streber,
Mucker, Dunkelmänner, Banausen als Sünden¬
böcke dienen. Alles was einer gesunden,
natürlichen, freien, fröhlichen Entwickelung in
Kunst und Leben im Wege steht, wird er¬
barmungslos zerprügelt und zerstochen. Aber
es wird nicht ausschließlich Krieg geführt: es
wird auch erzählt, geplaudert, doziert, Propa¬
ganda gemacht, von der Rednertribüne auf die
Massen eingewirkt. Böckün, Turner, Bayers-
dorfer, Hauser, Seitz, Gedon, Ludwig II., Prinz¬
regent Luitpold werden uns vorgestellt, Vor¬
schläge zur Verschönerung Münchens werden
gemacht, wie der Zeichenunterricht betrieben
werden muß, wie die vlämische und hollän¬
dische Kunst mit einander verwandt sind, wie
Bilder betrachtet sein wollen, was das Illusions¬
rohr ist, das und noch vieles andere wird uns
vorgetragen. Einen sehr breiten Raum nehmen
physiologische Abhandlungen ein und das
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Schmidt, Ein unbekannter Grolierband in der Großherzoglichen Hof bibliothek zu Darmstadt.
249
erinnert mich daran, daß ich ja noch gar nichts
von den umfangreichen Werken Hirths über
„Energetische Epigenesis “, „Aufgaben der
Kunstphysiologie“, „Lokalisations-Psychologie“,
„Das plastische Sehen als Rindenzwang“ usw.
gesagt habe. Auch fällt mir ein, daß die
beiden prachtvollen Kataloge seiner eigenen
Sammlung: „Deutsch Tanagra“ und „Kunst¬
gewerbe, graphische Künste, Ölgemälde“ noch
nicht erwähnt sind. Weiter erinnere ich mich
der „Jugendspielkarten“, der „Riesenpostkarten“
der schönen Sonderdrucke aus der „Jugend“,
des Märchenbuchs ohne Worte, der köstlichen
Briefbogenserien mit Vignetten von Dürer,
Aldegrever, Boucher usw. Schließlich-
leuchtet mir ein, daß man über die Ergebnisse
dieses ganzen reichen Verlegerlebens überhaupt
nicht mit einiger Vollständigkeit, geschweige
denn Gründlichkeit berichten kann und daß es
am Tätlichsten sein dürfte, das Unmögliche
gar nicht erst zu versuchen, sondern tunlichst
bald mit französischem Abschied zu ver¬
schwinden. Nur noch ein einziges Wort muß
ich notwendig Vorbringen; es hat den Vorzug,
von Hirth selbst herzurühren: „Die Muse der
bildenden Künste ist ein schillerndes Weib,
das sich dem einen als strenge keusche Wäch¬
terin edelster Menschlichkeit, dem andern
als treulose Verführerin zu sinnlos-heimlichen
Schwelgereien offenbart Sie hat auch Kost¬
gänger, welche gerade diese ihre Doppelnatur
lieben und mit der Schillernden frohgemut auf
allen Pfaden der Tugend und des Lasters
wandeln, — die ihrer Minne Sold heute in der
Entsagung Seligkeiten und morgen in be¬
rauschenden Genüssen finden. Wenn ich dir
raten darf: verwahre alles, was die Treulose
dir geschenkt, in der Erinnerung zart gewebten
Schleiern, doch dein deutsches Herz — das
gib der Treuen!“
Hirths ganzes Leben scheint mir eine fort¬
währende Verwirklichung dieses goldenen
Wortes zu sein. Wir anderen werden von
seiner Tätigkeit am meisten profitieren, wenn
wir es recht klug bedenken und es auch recht
fröhlichen Herzens befolgen.
4?
Ein unbekannter Grolierband
in der Großherzoglichen Hofbibliothek zu Darmstadt.
Von
Dr. Adolf Schmidt in Darmstadt
B n einem interessanten Aufsatz über zwei
unbekannte Groiierbände der Biblioteca
Mediceo-Laurenziana in Florenz, der zu¬
erst in englischer Sprache in der Zeit¬
schrift „The Printing Art“, Cambridge, Mass., August
1903, dann italienisch in der „Rivista delle Bib-
lioteche e degli Archivi“ VoL XV Nr. 1, Januar
1904, erschienen ist, spricht der gelehrte Vorstand
der Laurenziana, Professor Guido Biagi , seine
Verwunderung darüber aus, daß nach dem um¬
fangreichen Buche von Le Roux de Lincy^ „Recher-
ches sur Jean Grober“, Paris 1866, und den vielen
Nachträgen, die der Vicomte de Grouchy in seiner
Veröffentlichung „A propos d'un livre de Jean
Grober“ in dem „Bulletin du Bibbophüe“, Paris
1894, dazu gebracht hat, immer noch Bände mit
Grobers Einband unbekannt und verborgen ge¬
blieben seien. So merkwürdig scheint mir das
nun gerade nicht, so lange nicht auch die Biblio¬
theken des Auslandes in dieser Beziehung so ge-
Z. f. B. 1904/1905.
nau durchforscht worden sind als die Frankreichs.
Die Landsleute des berühmten Bibliophilen wissen
ja allerdings die Bücher mit der Eigentums¬
bezeichnung Jo. Groberii et Amicoram“ schon
lange zu schätzen, und die Preise, die dafür be¬
zahlt wurden, haben allmählich eine solche Höhe
erreicht, daß sie die Fälscher geradezu verlockten,
ihre Künste auch an diesen Einbänden zu ver¬
suchen. Bei uns ist es aber noch nicht gar lange
her, daß man diesen kostbaren Resten eines ver¬
feinerten Geschmackes mehr Beachtung schenkt,
und so mag vielleicht gerade in deutschen Bibho-
theken noch manches Buch aus Grobers Samm¬
lung verborgen sein. Mir war schon seit Jahren
ein fast unversehrt erhaltener Grolierband bekannt,
den ich in der Großherzogbchen Hofbibbothek in
Darmstadt unbeachtet und unbeschützt unter
anderen Büchern entdeckt hatte. Biagis Aufsatz
veranlaßt mich, ihn endlich einmal bekannt zu
geben. An der Echtheit ist nicht zu zweifeln,
33
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Schmidt, Ein imbekannter Grolierband in der Großherzoglichen Hofbibliothek zu Darmstadt
Ein unbekannter Grolierband in der Großherzoglichen Hofbibliothek zu Darmstadt.
denn er befand sich bereits zu einer Zeit im Besitz
der Bibliothek, in der die Nachahmung alter Ein¬
bände noch nicht lohnend genug war.
Der Einband schmückt ein Buch, das Grober
besonders hoch geschätzt zu haben scheint, da er
es in Handschrift und verschiedenen Drucken
mehrfach besessen hat: des Grafen Castiglione
Schrift „II Libro del Cortegiana“, Venetia heredi
d'Aldo Romano e d’Andrea d’Asola suo suocero,
1 533 s ln 8°. (Höhe 17, Breite 10 cm.) Das
Werk des italienischen Staatsmannes und Schrift¬
stellers, dessen Züge uns Raffael in dem berühm¬
ten Bilde des Louvre erhalten hat, war wohl so
recht ein Buch nach dem Sinne des französischen
Edelmannes, der in seinem Leben dem von Castig¬
lione aufgestellten Ideal des Gentiluomo nahezu¬
kommen suchte. Das Buch ist tadellos erhalten.
Auf dem Titelblatt und am Schlüsse ist in der
Marke des Aldus der Anker silbergrau, der Del¬
phin blau mit Gold gemalt Die kleinen einge¬
druckten Initialen auf Blatt 3 zu Anfang der
Widmung, sowie zu Beginn der vier Bücher Blatt
ia, 48a, 114b, 165a sind mit groben goldenen
Buchstaben übermalt Diese Ausstattung gleicht
genau der eines zweiten Exemplars in der Biblio¬
thek des Mr. Furby in Edinburgh, das Le Roux
de Lincy S. 199 unter Nr. 59 beschreibt Dab
Grober denselben Druck zweimal besessen hat,
ist nicht auffallend und auch bei anderen Werken
der Fall. Den 1527 in aedibus Aldi et Andreae
soceri gedruckten Virgil besab er nicht weniger
als fünfmal; gedruckte und geschriebene Inschriften
in manchen Groberbänden beweisen, dab er Bücher,
die er doppelt und mehrfach besab, an seine
Freunde verschenkte. Die Worte „Groberii et Ami-
corum“ waren für ihn keine leere Redensart und
bezogen sich nicht nur auf das Verleihen seiner
Bücher.
Dem wertvollen Inhalt entspricht der reizende
Einband in braungefärbtem Schafleder. Zu Anfang
und zu Ende sind wie gewöhnlich bei Grober¬
bänden sieben leere Schutzblätter mitgebunden,
von denen wie sonst das dritte von auben ein
Pergamentblatt ist, dessen andere Hälfte auf die
Innenseite der Deckel geklebt ist Der Schnitt
ist vergoldet Der feste Rücken hat fünf erhabene
Bünde, goldene Linien teilen ihn in Felder ein;
Titel und sonstige Zierraten sind wie bei den
meisten Groberbänden nicht aufgedruckt Aller
Schmuck ist auf die beiden Deckel verwendet;
Grober wird seine Bücher nicht wie wir mit dem
Rücken nach auben aufgestellt, sondern, wie es in
mittelalterlichen Bibliotheken Sitte war, auf Pulten,
bald auf dem hinteren Deckel, bald auf der Vorder¬
seite aufgelegt haben.
Auf beiden Deckeln bilden goldene Doppel-
bnien drei parallele rechteckige Rahmen; die Ecken
des mittleren sind kreisförmig abgerundet, ein
rautenförmiger Rahmen, dessen Spitzen den mitt¬
leren rechteckigen berühren, ist durch den inneren
Rahmen durchgesteckt. Der durch die Rundung
der Ecken des mittleren Rahmens entstandene freie
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Chronik.
251
Raum ist durch Arabesken ausgefiillt, die mit
Vollstempeln gedruckt sind, die Mitte der Deckel
durch eine ebenso gedruckte Kartusche, in der
vom der Titel
IL CORTEGIANO
DEL CONTE BAL
DESAR CASTI
GLIONE.
steht, hinten der Wahlspruch
PORTIO MEA DO
MINE SIT IN
TERRA VI
VENTI
VM
Auf dem Vorderdeckel befinden sich unten zwischen
den beiden äußeren Rahmen die Worte
IO. GROLIERH ET AMICORVM.
Mit den einfachsten Mitteln: ein paar geraden
und abgerundeten goldenen Linien und wenigen
Vollstempeln ist eine ungemein elegante reizvolle
Wirkung erzielt. Das Hauptverdienst kommt aber
dem Zeichner, nicht dem Buchbinder zu, denn
es darf nicht verschwiegen werden, daß die Aus¬
führung durch die Hand des Vergolders nicht ganz
auf der Höhe des Entwurfes steht: eine Beobach¬
tung, die man übrigens auch bei anderen Grolier-
bänden machen kann. Die Rahmen überschneiden
sich manchmal, wo der eine unter dem anderen
verschwinden müßte, die Arabesken sind nicht
ganz symmetrisch eingesetzt, und in der Eigen¬
tumsbezeichnung hat der Arbeiter die Verteilung
der Buchstaben nicht genau berechnet, so daß
ihm das M in AMICORUM auf die Arabeske ge¬
raten ist. Aber diese kleinen Schönheitsfehler
kommen gegenüber der entzückenden Gesamt¬
wirkung, die jede Überladung vermeidet, kaum
in Betracht. Die Verzierungen dieses Bandes
tragen noch ganz den Charakter der älteren Ein¬
bände Groliers, die vermutlich in Italien, vielleicht
in der Werkstätte der Aldi in Venedig angefertigt
sind.
Das Exemplar des Mr. Furby, das in zitron-
gelben Maroquin gebunden ist, weicht insofern
von dem unsrigen ab, als die Vorderseite nur den
Titel aufweist, während die Eigentumsbezeichnung
und der Wahlspruch sich auf der Rückseite be¬
finden, eine Eigentümlichkeit, die bei Grolierbänden
nicht häufig ist
Wie der Band in die Hofbibliothek gekommen
ist, habe ich nicht feststellen können. Groliers
Bibliothek wurde bekanntlich nach seinem Tode
1565 unter mehrere Erben verteflt; der größere
Teil, etwa 3000 Bände, blieb aber noch hundert
Jahre lang im Besitz der Famüie M£ry de Vic in
Paris vereint, die sie erst im Jahre 1675 ver¬
steigern ließ. Es waren noch glückliche Zeiten
fiir die Sammler, als man die prächtigsten Stücke
für wenige Franken erwerben konnte, und es ist
begreiflich, daß die meisten Bibliophilen in Paris
sich die Versteigerung zu Nutz gemacht haben.
Noch im XVIII. Jahrhundert und zu Beginn des
XIX. waren die Preise, die für Grolierbände be¬
zahlt wurden, bei aller Wertschätzung nicht über¬
mäßig hoch; erst nach 1830 beginnen sie eine
früher ungeahnte Höhe zu erreichen, so daß nur noch
die reichsten Sammler sich den Luxus eines echten
Grolier leisten können. Ein späterer Besitzer des
Darmstädter Bandes hat, vermutlich zu Ende des
XVII. Jahrhunderts, der Innenseite des Vorder¬
deckels ein kleines rotes Siegel, wahrscheinlich
mit einem Siegelringe aufgedrückt, das 10 mm
hoch, 7 mm breit ist und als Wappenbild, das
auch auf den beiden Flügeln der Helmzier wieder¬
kehrt, drei Rosen auf Schrägbalken zeigt. Von
demselben Besitzer dürfte auch die Zahl 78, die
mit Tinte auf das erste weiße Blatt geschrieben
ist, herrühren. Mir ist es nicht gelungen, dieses
Wappen einem bestimmten Bibliophilen zuzuweisen;
vielleicht ist einem der Leser dieser Zeilen das
kleine Siegel in einem anderen Buche in Verbin¬
dung mit einem Namen begegnet.
Chronik.
Zur Geschichte der Zeitungen.
Zur Geschichte der Zeitungen liegen einige Neu¬
heiten vor. Zunächst eine hübsche Studie von Emst
Consentius „Die Berliner Zeitungen bis zur Regierung
Friedrichs des Großen" (Berlin 1904, Haude & Spener-
sche Buchhandlung [F. Weidling]. 8°. 127 S.). Salomon
geht über die ältesten Berliner Zeitungen ziemfich
flüchtig hinweg. Von den erhaltenen Resten der soge¬
nannten Berliner Zeitungen (Ort und Drucker sind
nicht angegeben) der Jahre 1617—1620 hat ihm nichts
Vorgelegen; Consentius konnte wenigstens die 18 Num¬
mern des gleichen Unternehmens von 1626 genauer
untersuchen und feststellen, daß sie in Berlin gedruckt
worden sind. Opel vermutet, daß die Zeitung von 1619
von dem brandenburgischen Botenmeister Christoph
Frischmann herausgegeben wurde, der auch mit dem
bekannten Augsburger Korrespondenten PhiÜpp Hain¬
hofer in Verbindung stand. Christoph starb aber schon
im Februar 1618 und nach seinem Tode wurde sein
Bruder Veit Frischmann kurfürstlicher Botenmeister.
Daß Veit der Herausgeber der Zeitung von 1628 war,
ist erwiesen; Opel fand auch noch eine Nummer der
Zeitung von 1631. Im Jahre darauf erhielt er eine
neue Konzession, die er altershalber 1655 abtrat Von
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^ 'J ’• (J ,
Blatt 7 aus dem Stammbuch für die Freunde
von Velhagen & Klasings Monatsheften.
diesem Jahre ab erschienen die Berliner „Ordinär- und
Postzeitungen“ im Verlage des Druckers Christoph
Runge, von dem 1686 das Privileg an Zeitler aus
Frankfurt a/O. überging. Die Witwe Runges behielt
noch einige Jahre den Druck, bis sie 1704 ihre Offizin
an Johann Lorentz verkaufte, der nunmehr der Avisen-
drucker Berlins wurde. Sein Konkurrent wurde Joh.
Andr. Rüdiger, der schon 1704 mit seinem „Diarium“
den Versuch machte, in das Zeitungsgewerbe einzu¬
dringen; am 25. Februar 1721 erschien an Stelle der
Lorentzschen Zeitung die erste Nummer des Rüdiger-
schen Blattes, der späteren Vossischen Zeitung. Wenige
Jahre später, 1727, wurde auch das erste Berliner
Intelligenzblatt, die „Frey- und Anzeigungs-Nachrichten*‘
verausgabt, und vom 30. Juni an endlich erschienen,
als Fortsetzung des schon 1735 begründeten Potsdamer
„Mercurius“, die „Berlinischen Nachrichten von Staats¬
und gelehrten Sachen“ bei Ambrosius Haude. Damit
beginnt ein neuer Abschnitt im Zeitungswesen Berlins.
Die „ Geschichte der St. Petersburger Zeitung 1727—
1902“ hat als Festgabe zur Feier des 175 jährigen Be¬
stehens der Zeitung ein Redakdonsmitglied, Carl Eich-
hom, ausführlich und anregend beschrieben (St. Peters¬
burg 1902. Gr. 8°. IX und 256 S.). Die „St. Peters¬
burger Zeitung“ trat zwei Jahre nach Peters des Großen
Tode ins Leben. Der erste Jahrgang ist verschollen,
doch steht das Gründungsjahr fest. Ihr erster Redak¬
teur war der Würtemberger Christ. Friedr. Groß, der
sich 1741 erschoß, nachdem er schon lange vorher
seinen Posten an Gerh. Friedr. Müller, den Vater der
russischen Geschichtsschreibung, abgetreten hatte. Die
erste große Reform des Blattes versuchte der Direktor
Domaschnew; besser gelang es Heinrich von Storch,
der 1804 die Oberaufsicht über die akademischen
Zeitungen erhielt Erst 1831 wurde die Zeitung in ein
Tagesblatt umgewandelt und einige Jahre später er¬
folgte die Trennung von der Akademie der Wissen¬
schaften; seit 1858 war das Blatt dem bisherigen Chef¬
redakteur Dr. Meyer von Waldeck in Pacht gegeben
worden, dessen Nachfolger, im Verein mit Dr. John
Baerens, Paul v. Kügelgen wurde.
Das Buch Eichhorns ist in mehr als einer Beziehung
interessant. Diese Geschichte der ältesten deutschen
Zeitung Rußlands ist auch ein Kulturbild von hohem
Reiz. W. G.
Bibliographisches.
Als Bibliothek von Biedermann ist von den Erben des
am 6. Februar 1903 in Dresden verstorbenen Geheimen
Rats Dr. Gustav Woldemar Freiherm von Biedermann
ein Katalog von 254 Seiten Großoktav im Verlage von
F. W. v. Biedermann in Leipzig herausgegeben worden,
der in mehrfacher Beziehung Beachtung verdient. Die
hier verzeichnete Büchersammlung geht zurück auf drei
Generationen der im Königreich Sachsen heimischen
Freiherrlich von Biedermannschen Familie: den Ge¬
heimen Rat und Präsidenten des Geheimen Finanz¬
kollegiums Dr. Traugott Andreas (1743—1814), den
Amtshauptmann Dr. Gustav Heinrich (1789—1862), der
auf seinem Rittergut Niederforchheim eine stattliche
Bücherei anlegte, und vor allem auf den Geheimen
Rat Dr. Gustav Woldemar Freiherr von Biedermann
(geb. am 5. März 1817 in Marienberg), der die vom
Großvater und Vater ererbte Sammlung systematisch
zum Zweck seiner wissenschaftlichen Studien erweiterte.
Von Hause aus Jurist und an der Organisation der
sächsischen Staatseisenbahnen hervorragend beteiligt,
hatte sich Freiherr von Biedermann, nach eigenen poe¬
tischen Versuchen, seit den fünfziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts als einer der Ersten neben Salomon
Hirzel, Heinrich Düntzer und Gustav von Loeper der
Beschäftigung mit Goethes Leben und Wirken zu¬
gewandt, eigene umfassende Sammlungen angelegt und
selbst eine ganze Reihe wertvoller Publikationen zur
Digitized by LjOOQle
Chronik.
253
Goetheforschung beigesteuert. Diesem seinem Sammel¬
gebiet verdankt der vorliegende Katalog in erster Linie
seine Bedeutung; er repräsentiert eine sehr wertvolle
Vorarbeit zu der abschließenden Goethe-Bibliographie,
die immer noch ein frommer Wunsch ist. Fast ein
Drittel der insgesamt 6365 Titel umfaßt einen „Goethe¬
schriftenschatz“ von 1767—1903, darunter viele seltene
Einzeldrucke und Ausschnitte, sowie eine Abteilung
„Goethekunde“; und in den übrigen Abteilungen (wie
Länder- und Völkerkunde, Literaturwerke, Kunst, Ge¬
schichte und Saxonica) sind alle Bücher, von denen man
weiß, daß Goethe sie gekannt hat, nach Biedermanns
Aufzeichnungen durch ein G gekennzeichnet. Die ein¬
zelnen Bände sind mit einem neu angefertigten ein¬
fachen Bücherzeichen versehen. Über das Schicksal
der Bibliothek ist noch nicht entschieden, eventuell
ist eine Auktion vorgesehen. Möge es gelingen die
Sammlung als Ganzes und wennmöglich dem Inlande
zu erhalten. —pf.
Die von Karl Dziatzko begründete „Sammlung
bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten" wird nach dem
Tode des bisherigen Herausgebers von Professor
Dr. Konrad Haebler weitergeführt; sie ist inzwischen
auch in einen anderen Verlag übergegangen, zu Rudolf
Haupt in Halle a. S., und hat damit zugleich eine
bessere Ausstattung angenommen. Das erste Heft
unter Haeblers Redaktion, das 17. der ganzen Folge
(M. 3,50), ist Dziatzko gewidmet, dessen Porträt in
vortrefflicher Heliogravüre das Heft schmückt Dr.
Alfr. Schneider-Göttingen gibt eine Bibliographie der
Veröffentlichungen Dziatzkos, die wohl lückenlos ist,
und hierauf folgen die beiden hinterlassenen Arbeiten
des Verstorbenen: der Vortrag „Die Göttinger Bibliothek
in westfälischer Zeit“ und die scharfsinnige Unter¬
suchung über den „Drucker mit dem bizarren R.“
Hain hat den R-Drucker für einen Kölner gehalten,
ebenso Madden; Panzer glaubte Mentelin in ihm zu
erkennen; Proctor führt ihn allerdings als Straßburger
Drucker an, enthält sich aber einer Namensbezeich¬
nung. Erst H. Helbig vermutete in dem R-Drucker
Mentelins Schwiegersohn Adolph Rusch (Ruesch, auch
Rausch genannt), und diese Vermutung ist nunmehr
durch einen glücklichen Fund, den Diatzko mitteilt,
zur Gewißheit geworden. Wir benützen die Gelegen¬
heit, die „Sammlung“, die unter Haeblers Leitung
noch weiter ausgebaut und zu einem internationalen
Mittelpunkt der Forschung auf dem Gebiete des Buch-
und Bibliothekswesens gemacht werden soll, bestens
zu empfehlen. —bl—
Heft I des vierten Bandes N. F. der Abhandlungen
des kriminalistischen Seminars an der Universität
Berlin enthält eine höchst interessante historisch-biblio¬
graphische Studie: „Goblers Karolinen-Komtnentar und
seifte Nachfolger" von Dr. Hermann U. Kantorowicz
(Berlin, J. Guttentag. 8°. 72 S.; M. 1,50). Der Ver¬
fasser gibt seinem Exkurs den Untertitel „Geschichte
eines Buchs“, d. h. er schüdert die merkwürdigen
Schicksale, die Goblers Kommentar vom Erscheinen
ab bis auf die Gegenwart erlebt hat und versucht eine
Ehrenrettung für den Kommentar in ähnlicher Weise,
wie sie einst Wächter für Goblers Übersetzung geführt
hat. In der Tat ist die Geschichte der Goblerschen
Carolina ganz eigenartig. Nachdem Damhuder das
Werk in seiner Praxis rerum criminalium gehörig aus¬
geplündert hatte, geriet es so vollkommen in Ver¬
gessenheit, daß der Gießener Kriminalist Koch in der
letzten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts größte Mühe
hatte, ein Exemplar davon auszutreiben. Kochs Urteil
über Goblers Werke lautete vernichtend, und auf
dieses Urteil stützten sich die Nachfolger (es ist er¬
staunlich, was der Verfasser von der Flüchtigkeit der
Gelehrten berichtet), bis Wächter und Abegg dieser
Unterschätzung energisch entgegentraten. Im Anhang
der Studie teilt Dr. Kantorowicz einige bibliographische
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254
Chronik.
Bleistiftnotizen von alter Hand mit, die er in seinem
Exemplar gefunden hat und die neues Licht in die
Streitfrage der editio princips der Carolina bringen.
—bl—
Die Sammlung der mittelalterlichen Miniaturen
des Germanischen Nationalmuseums zu Nürnberg hat
in Dr. E. W. Bredt einen ausgezeichneten Katalogisierer
gefunden (Nürnberg 1903. 8°. 150 S. und i6Taf.) Die
Sammlung ist nicht groß, gewährt aber einen guten
Überblick über die Entwicklungsgeschichte der mittel¬
alterlichen Miniaturmalerei Deutschlands und gestattet
auch lehrreiche Vergleiche mit der Kleinmalerei anderer
Länder. Die Katalogisierung ist chronologisch, Zustand,
Bild- und Omamentstil, Figürliches, Technik finden
genaueste Beschreibung, ln bezug auf die Charakteristik
des Ornaments sagt der Verfasser im Vorwort mit
Recht, daß die allgemeinen Begriffe angelsächsisch,
romanisch, karolingisch usw. durchaus nicht genügen,
daß es unhaltbar ist, bei einer geschichtlichen Würdigung
des Ornaments die Klassifizierung nach Stilen beizube¬
halten. Dr. Bredt hat sich mit einigen neuen Bezeich¬
nungen beholfen, die den Weg zu einer zweckmäßigeren
Nomenklatur andeuten und jedenfalls den Vorzug
haben, daß man sich ein ziemlich genaues Bild der
beschriebenen Miniatur entwerfen kann, was schlie߬
lich die Hauptsache ist. Auf den ikonographischen
Teil näher einzugehen, ist hier leider nicht möglich.
Aber wir möchten doch betonen, daß der Bredtsche
Katalog nicht allein ein brauchbarer Wegweiser durch
die Miniatursammlung des Museums ist, sondern auch
eine nützliche Unterlage für die Forschung auf diesem
Gebiete, für die man den Verfasser dankbar sein muß.
—bl—
Professor Dr. Konrad Haebler hat seinen For¬
schungen zur Geschichte der spanischen und portu-
gisischen Druckkunst in der „Bibliografia IbJrica del
Siglo XV. Enumeraciön de todos los libros impresos
en Espaha y Portugal hasta el aho de 1300 con notas
criticos“ (Haag, M. Nijhoff, und Leipzig, K. W. Hierse-
mann. 1904. VIII, 385 S.; M. 20) eine Fortsetzung ge¬
geben, die sich würdig an die Monumentalwerke des
gleichen Verfassers, die „Early Printers of Spain and
Portugal“ und die „Tipografia Ibörica“ anschließt Die
Bibliographie enthält ein nach den Verfassernamen
(resp. Stichworten) geordnete Aufzählung sämtlicher
auf der iberischen Halbinsel im XV. Jahrhundert
entstandenen Druckwerke in 743 Nummern. Die biblio¬
graphische Beschreibung ist mustergültig; der Anhang
bringt eine alphabetische Übersicht der einzelnen
Offizine mit einem Register ihrer Drucker und hin¬
weisend auf die in der „Tipografia Ibörica“ gegebenen
Faksimileproben. Die Haeblerschen PubÜkationen
über die iberischen Drucke ermöglichen in ihrer Ge¬
samtheit nunmehr einen vollständigen Überblick über
die Tätigkeit der spanisch-portugisischen Pressen in
der Inkunabelperiode und ebenso über den literarischen
Charakter des Landes in jener Zeit Übrigens sei be¬
merkt, daß der Preis des oben genannten Werkes
demnächst erhöht werden dürfte, sich also rasche An¬
schaffung empfiehlt Die Bibliotheken namentlich
werden die „Bibliografia“ nicht entbehren können.
—bl—
Verschiedenes.
Zwei ausländische Gäste in deutscher Nachdichtung
bringt uns der Verlag von Schuster & Loeffler in Berlin,
ausländisch, aber keineswegs fremd: Emile Verhaeren
und d Annunsio. Erster er ist im engen Kreise der
Poesieliebhaber, letzterer sogar dem großen Publikum
längst bekannt.
Von Emile Verhaeren, dem kraftvollen Lyriker,
dessen vlämisches Blut die welsche Zuckerbäckerei
belebt und stärkt, hat Stefan Zweig einen Band „Aus-
gewählte Gedichte“ übertragen, zu denen Thio van
Rysselberghe ein prächtig gelungenes Schmuckblatt er¬
funden, originell und maßvoll zugleich, das auf Um¬
schlag und Innentitel, sowie leicht variiert als Kapitel¬
titel Verwendung gefunden hat. Eine Nachbildung der
Porträtbüste des Dichters durch Charles van der Stap-
pen ist dem Innentitel vorangestellt Die Druckfarbe
des Textes ist ein tiefes Grau, das auch bei dem Orna¬
ment des Innentitels Anwendung gefunden hat, während
die Zierstäbchen am oberen Seitenrand und die Um¬
schlagzeichnung tief schwarz reproduziert wurden. Die
Titelschrift zeigt ein kräftiges schlichtes Rot Die Auf¬
lage ist nur beschränkt: 350 handschriftlich numerierte
Exemplare auf holländischem Bütten zum Preise von
5 M., von denen die ersten 50 nicht in den Handel
kommen, und 25 Luxusexemplare auf Japan zum Preise
von 20 M. mit Signaturen von Rysselberghe, Verhaeren
und Zweig; auch von diesen sind die ersten 5 nicht im
Handel.
Die zweite Veröffentlichung des Verlages, im glei¬
chen Format und grauem Umschlag wie die vorige,
sind die „Gesänge“ von Gabriele dAnnunsio in Nach¬
dichtung von Else Schercke und mit Buchschmuck von
E. M. Lilien . Das vorangestellte Porträt des Autors
in der Vallottonschen Schwarz-weiß-Manier dünkt mich
nicht besonders glücklich; diese grob geschnittenen
Porträts streifen schon beinah die Karikatur. Desto
geschmackvoller gestaltet sich der innere Buchschmuck,
bei dem sich üppig-phantastische Pfianzenornamente
im Verein mit nackten Menschen der sinnlich-leiden¬
schaftlichen Poesie Annunzios anschließen. Lilien
beherrscht in hohem Grade die Anwendung der voll¬
schwarzen Fläche; gleichgültig, ob sie den Hintergrund
bildet oder im Vordergrund steht: stets weiß er durch
sie den Raum zu gliedern und zu beleben; sie hat bei
ihm etwas unheimlich Wesensvolles. Eine zweite Eigen¬
tümlichkeit sind bei ihm die Größenverhältnisse, da
wo Blumen und Menschenleiber vermischt werden.
Obwohl letztere winzig neben den großen Häuptern der
ersteren scheinen, hat man nie die Empfindung eines
Mißverhältnisses. Es ist, als seien es die Gedanken der
Menschlein, die riesengroß über ihnen emporwüchsen.
Annunzio verdankt seinen Ruf im wesentlichen der
blühenden Pracht seiner Sprache. Das kommt in
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Chronik.
255
der Übertragung nicht voll heraus,
kann vielleicht im konsonantenreichen
Deutsch nicht so heraus kommen. Wo
ein kräftigerer Gedanke zu finden ist,
wie z. B. in „Gorgo“, ist auch die Über¬
tragung recht gelungen. Für reines
gereimtes „Silbenwogen“ ist die Über¬
setzung eine furchtbare Richterin.
Die Auflagebedingungen gleichen
genau denen des Verhaerenbandes: 350
Exemplare auf Bütten ä 5 M. und 25
auf Japan ä 20 M. Von einer persön¬
lichen Unterschrift ist nichts gesagt.
Doch wie ich Signor d’Annunzio kenne,
wird er keinem Käufer ein Autogramm
vorenthalten und auch E. M. Lilien
wird sich erbitten lassen. —m.
Als dritten Teil ihrer allgemeinen
Länderkunde verausgabte das Biblio¬
graphische Institut zu Leipzig: Süd-und
Mittelamerika von Prof. Dr. W. Sievers.
Auch diese zweite Auflage ist gänzlich
umgearbeitet worden. Die Trennung
der Länderkunde Amerikas in zwei
Bände erwies sich schon wegen der
Fortschritte der geographischen For¬
schung als notwendig; zudem sind
Nord- und Südamerika so grundver¬
schiedene Lande, daß ihre Sonder¬
behandlung sich eigentlich von selbst
verstand. Das umfangreiche Stoff¬
gebiet ist nach den Einzellandschaften
gegliedert. Südamerika teilt sich in die
beiden Hauptabschnitte: das unge¬
faltete Land des Ostens und das
gefaltete Land des Westens. Dazu
kommt als dritter Abschnitt Mittel¬
amerika, Festland und Inseln. Voran
geht die Erforschungsgeschichte des
Landes und in einer allgemeinen Über¬
sicht die Darstellung der geographischen Größe, des
Klimas, der Pflanzen- und Tierwelt, der Bevölkerung, der
politischen, wirtschaftlichen und Verkehrsverhältnisse.
Die äußere Ausstattung harmoniert mit der der
übrigen Bände. Wieder ist der Bilderschmuck unge¬
mein reich. Außer 144 Textillustrationen bringt der
Band 11 Karten und 20 Tafeln in Holzschnitt, Ätzung
und Farbendruck von A. Goering, E. Heyn, W. Kuhnert,
K. Oenicke und O. Winkler. Ausgezeichnet gelungen
sind die Dreifarbendrucke, besonders die Tafeln „Der
Cotopaxi“ und die Ansicht von Buenos Aires. 4.
Eine reizende Idee künstlerischer Reklame hat die
Redaktion von „Velhagen & Klasings Monatsheften“
ausführen lassen: eine Art Stammbuch, das in vielen
tausenden von Exemplaren durch die Sortimentsbuch¬
handlungen umsonst verteilt wird und das sich gewiß
mancher als Andenken aufheben dürfte. In einer nied-
Exlibris, gez. Franz Stassen.
liehen Queroktav-Mappe liegen 32 lockere Blätter, die
Autographen und Zeichnungen literarischer und künst¬
lerischer Mitarbeiter der Monatshefte enthalten. Den
Vorderdeckel der Mappe schmückt ein hübsches Orna¬
ment mit der Inschrift „Stammbuch für die Freunde
von Velhagen & Klasings Monatsheften“, die Rückseite
ein Kranz mit dem Monogramm der Verlagsfirma.
Auf den Blättern finden wir Verse und Widmungen
von Hugo Salus, Richard Voß, Frieda von Bülow,
Fritz von Ostini, Georg von Ompteda, Josef Lauff,
Rudolf Stratz, Ida Boy-Ed, Carl Busse u. a., sowie
Zeichnungen von Max Liebermann, Dettmann, Ober¬
länder, Hirzel, Harburger, Jos. Israels, Adam, Bartels,
Skarbina, Thoma, Hans am Ende, Zügel, Defregger
und Schoenleber. Das letzte Blatt endlich enthält in
einer Umrahmung die Abonnementseinladung. Das
Ganze ist allerliebst, sinnig in der Idee, künstlerisch in
der Ausführung und sicher auch zweckentsprechend,
wie eine praktische Reklame es sein soll.
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Chronik.
256
Das umseitig wiedergegebeneneue Exlibris Franz
Stassens für den Goethe- und Shakespeare-Forscher
Hermann Türck dürfte eines der charakteristischsten
Werke des bekannten Zeichners sein. Zur Erklärung
des gedanklichen Inhalts der Zeichnung sei bemerkt,
daß das Blatt eine sinnliche Darstellung der Grund¬
gedanken von Türcks vortrefflichem und allgemein
bekanntem Schaffen darbieten will. Die Kopfleiste
zeigt den Sündenfall und den Pandoramythos, die
untere Eros, die Menschenliebe, welche dem vom
Geier gequälten Prometheus Trost hinüber lächelt. Das
Mittelbild zeigt den dreißigjährigen Hamlet und den
alten von der Sorge gequälten Faust, während die ver¬
söhnende Mitte der mit der eleusinischen Rosendornen¬
krone bekränzte Christus einnimmt L. B.-W.
Der wundervollen Übertragung von Wildes Zucht¬
hausballade läßt Dr. Wilhelm Schölermann nunmehr
ein zweites Kabinettsstück folgen: Grashalme von Walt
Whitman (Eugen Diederichs, Leipzig 1904, Druck
von Breitkopf & Härtel). Schon das Äußere ist ge¬
schmackvoll und gepflegt ohne Übertreibung. Der
Deckel ist mit genarbtem elfenbeinweißem Perga¬
ment bezogen und trägt den Titel und ein Ornament
in Goldpressung. Innen haftet SchÖlermanns Exlibris:
Minerva am blauen Meer. Das Ornamentmotiv des
Deckels variiert sich beim Innentitel; es stammt von
F. H. Ehmke. Das Druckpapier ist elfenbeintönig, die
lateinische Druckschrift hübsch und scharf. Eine Auf¬
nahme des Dichters nach dem Leben steht dem Band
voran. Es folgt eine „Einführung“ von Schölermann,
die dem Leser Whitmans Eigenart näher bringen
soll. Walt Whitman gehört zu den wenigen Dichtern
der neuen Welt, die das Charakteristische fest gehalten
haben, deren Arbeiten nur in Amerika, dem Lande
der ungebrochenen Natur und der unbegrenzten Mög¬
lichkeiten wurzeln. Whitmans Gedichte umspringen
wie edle und treue Hunde die mühseligen Schritte des
Pioniers; sie vergeistigen und verinnerlichen die grob¬
stofflichen Wild-West-Geschichten und geben dem
Abenteuer die Weihe des Erlebnisses. Ich kenne das
Original und seine metrische Eigenart nicht; die Über¬
tragung ist in ganz freien Versen ohne Reim gehalten,
so daß man mehr an rhythmische Erzählungen als
an Gedichte erinnert wird. Der starke, gute und treue
Geist, der aus den Zeilen spricht, macht auch uns
Deutschen diesen Uramerikaner sympathisch, der aller¬
dings dem modernen Yankee meilenfern steht.
_ —m.
Eine ansprechende Neuschöpfung von Georg Bar-
loesius ist das kleine Heft „Die Dorfmusikanten“, Volks¬
stück in drei Aufzügen von Heinrich Sohnrey, dar¬
gestellt durch den Verein zur Förderung deutsch¬
evangelischer Volksschauspiele (gegründet 1900), Berlin
Neues Königl. Opemtheater (Kroll). Ohne auf das in
letzter Zeit öfters besprochene Stück und den Verfasser
selbst einzugehen, sei nur auf die Publikation als solche
mit ihrem Bildschmuck hingewiesen, der sehr gefällig
ausfiel: Randleisten, Vollbilder, Kopf- und Schlu߬
stücke in Braun, Grün, Schwarz und Weiß, in passender
Beziehung zum Inhalt des Dramas und im Geschmack
der Biedermeierzeit gehalten.
Das zwanzigseitige Heft enthält einen Aufruf, den
Theaterzettel mit Spielerverzeichnis, kurze Aktinhalts¬
angaben und ein Volkslied aus dem Stücke. Die Schlu߬
illustration gibt eine Ansicht der Wartburg. Zufolge der
recht gelungenen Illustrationen bildet das Heft eine
hübsche Erinnerung, die gegenüber anderen Pro¬
grammen und Theaterzetteln den Vorzug hat, gern
aufgehoben, statt nach dem Gebrauch weggeworfen zu
werden. L.-W.
Als eine bibliophile Nippessache, beinahe als eine
buchästhetische Spielerei präsentiert sich ein Quer-
Oktavband in blauem Saffian, der in feiner goldner
Rahmung dem Titel „Das Ährenfeld“ trägt und eine
Reihe poetischer Gedanken von Paul Remer enthält.
Verlegt ist das Büchlein bei Schuster & Löffler, Berlin
und Leipzig 1904, gedruckt bei Seydel & Co. in Berlin.
Es ist durchweg tongelbes geschöpftes Papier, drei¬
seitig unbeschnitten, oben mit Goldschnitt zur Verwen¬
dung gekommen, auch beim Vorsatzpapier, das ein
abgepaßtes Dessin in drei Schattierungen von Gelb —
eine hinterm Kornfeld sinkende Sonne — darstellt.
Diese Zeichnung stammt wie der gesamte Buchschmuck
und die Schrift von Max Fröhlich. Letztere ist bei aller
Sorgfalt der Durchbildung und Feinheit des Entwürfe
doch recht schwer zu lesen und durch die leidige
Neuerung, die angefangenen Zeilen durch Zierstäbe zu
Ende zu setzen, unübersichtlich; die kleinen Seiten mit
den großen Buchstaben sehen auch überfüllt aus. Jede
Seite wird außerdem durch eine große Initiale in ge¬
ziertem Felde begonnen. Hier sind nicht nur die Bild¬
chen — landschaftliche, häusliche und figürliche Dar¬
stellungen, wie der Text sie erfordert — mannigfach
und belebt, sondern es stehen auch die schlichten voll¬
schwarzen Majuskeln in vornehmer schöner Deutlich¬
keit und guter Raum Verteilung in den Quadraten.
Einzelne Blumenquadrate teilen den Text in Abteilungen
und schließen ihn ab. Schuster & Löffler verwenden
unendliche Sorgfalt auf die Ausstattung ihrer Publi¬
kationen und haben viel zur Hebung des allgemeinen
Geschmacks auf diesem Gebiet beigetragen; sie werden
gewiß auch noch die Schönheit strengen Maßhaltens
schätzen lernen. Im übrigen wird man sich gern in die
größeren Schönheiten versenken, in das körnerschwere,
cyanengeschmückte Ährenfeld eines ganzen Dichters.
Nachdruck verboten . — Alle Rechte Vorbehalten,
Für die Redaktion verantwortlich: Fedor von Zobeltitz in Berlin W. 15.
Alle Sendungen redaktioneller Natur an dessen Adresse erbeten.
Gedruckt von W. Drugulin in Leipzig für Velhagen & Klasing in Bielefeld und Leipzig auf Papier der Neuen Papier-Manufaktur
in Straßburg i. E.
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ettfcbrift für Bücberframde t $ t
*t.*t.*(. i k. i k.*. i k. < k. i k. 4 k*(. Organ der OefeUfcbaft der Bibliophilen.
VIII. Jahrgang.
BEIBLATT
April 1904.
Erstes Heft.
Abonnementspreis für den Jahrgang 36 M. (21,60 FL ö. W., 45 Fr., 36 sh., 21,60 Rb.}, für das Quartal (drei Hefte) 9 M.
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x /x Seite.60 Mark. */ 4 Seite .15 Mark.
V* Seite ...... 30 Mark. */« Seite.8 Mark.
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der Bibliophilen und Abonnenten der Z. f. B. nur 26 Pf.).
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Redaktionelle Sendungen: Manuskripte, Bücher, Kataloge etc. ge fl. su richten an den Herausgeber: Fedor von Zobeltitz, Berlin W. x5
Unlandstr. 33 (Sommer: Spiegelbei ’ ~ * ” * * .
Anneigen an
Unlandstr. 33 (Sommer: Spiegelberg bei Topper, Rgbz. Frankfurt a. O.).
die Verlagshandlung: Velhagen & Kinsing, Abteilung für Inserate, Leipzig, Hospitalstr. rj.
Gesellschaft der Bibliophilen.
Das Jahrbuch der Gesellschaft für 1903 (Jahrgang V) gelangt im Laufe des Mai zur Versendung;
wir ersuchen um gefällige Angabe von veränderten Adressen bis zum 15. ApriL
Zugleich erlaubt sich der Vorstand, an die Einsendung des Jahresbeitrags für 1904 (M. 8,05) zu
erinnern. Derselbe ist nach S 3 der Satzungen bis zum 31. März pränumerando und im ganzen
an die persönliche Adresse des Unterzeichneten Sekretärs einzuzahlen; rückständige Beiträge werden
vom 15. April an durch Postnachnahme, zuzüglich Gebühren, eingezogen.
Als neue Mitglieder sind in der Zeit vom 13. Januar bis 15. März 1904 der Gesellschaft
beigetreten:
351. Alfred Leber , cand. me<L, Heidelberg, Blumenstr. 8.
358. Theodor Braun , cand. jur., Leipzig, Flossplatz I3' 1 *
731. Universitäts-Bibliothek , Erlangen.
732. Willy Kurth , Charlottenburg, Kantstr. 49.
733. Kurt Petzei, cand. jur., Charlottenburg, Kantstr. 130**
734. Dr.ph. n. E. Liebheim , Leipzig - Gohlis, Poetenweg 8.
735. Dr. Julius Zeitler, Leipzig-R., Dresdenerstr. 76“-
736. Frau Dr. Franz Bamberger, Mainz, Kaiserstr. 63.
737. Dr. Harry May ne , Leipzig, Fregestr. 34.
738. Moritz St. Goar, Buchhändler, Frankfurt a. M., Jung¬
hofstraße 5.
Die Mitgliederzahl betrug demnach am 15. März 1904: 738.
Weimar, Wörthstr. ao. Der Vorstand
L A.
Dr. Carl Schttddekopf.
Rundfragen.
An dieser Stelle kommen die aus den Kreisen der Gesellschaft der Bibliophilen und der Leser der Zeitschrift
für Bücherfreunde eintreifenden Anfragen, sowie die Antworten darauf zum Abdruck. Einsendungen für diese
Rubrik an: Arthur L , JelUnek in Wien VII, Kirchengasse 35.
Fragen.
127. Wer kann uns ein Porträt des Dichters Fried¬
rich von Logau nach weisen? evtl den Künstler, die
Jahreszahl und den Aufbewahrungsort angeben?
Verlagsanstalt F. Bruckmann, München.
128. Welche Literatur gibt es über die „dichterische
Behandlung des Verbrechens“?
Dr. J. Stern, Berlin.
Z. f. B. 1904/1905. I. Beiblatt. —
Antworten.
114. a) „In Verlegung“ bedeutet sicherlich impensis,
sumpdbus. Siehe M. Heyne, Wörterbuch III, 1215.
114. b) Die auf dem Titelblatt des „Geistlichen Mai“
1549 und 1550 genannte Jacobe Herzogin in Bayern
ist, wie auch Koekebakker, Beiblatt zu Heft 11, richtig
vermutet, nicht die berühmte Jacobaea von Bayern,
Herzogin von Holland und Hennegau (geb. 1401, +1436),
sondern Jacobaea Maria (Tochter des Markgrafen
1 — 1
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Beiblatt.
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Die Bibliothek Kürschner.
Die umfangreiche Bibliothek des verstorbenen
Geheimen Hofrats Professor Josef Kürschner wird
im Laufe des Frühjahrs durch G G. Boemer in
Leipzig zur öffentlichen Versteigerung gelangen.
Die Versuche, die Bibliothek, wie viele andere in
den letzten Jahren, als Ganzes in Amerika unter¬
zubringen, scheiterten glücklicherweise; es ist also
Hoffnung vorhanden, daß die in bezug auf deutsche
Theatergeschichte fast einzig dastehende Sammlung
der deutschen Gelehrtenwelt wenigstens teüweise
erhalten bleibt
Josef Kürschner wurde im Jahre 1853 zu Gotha
geboren. Anfänglich zum Mechaniker bestimmt,
widmete er sich jedoch nach beendeter Lehrzeit
vollständig der literarischen Tätigkeit Seine erste
größere Arbeit war eine Monographie des be¬
rühmten Schauspielers Ekhof Mit neunzehn Jahren
war er Theaterkritiker in Gotha, später ging er
nach Berlin und Stuttgart Sein literarisches Wirken
an diesen Orten ist wohl allgemein bekannt; ich
erinnere nur an die Herausgabe der „Deutschen
Nationalliteratur" und an die Gründung des „Lite¬
ratur-Kalenders". Die letzten Jahre seines selten
arbeitsreichen Lebens verlebte er zurückgezogen
in seiner Villa in Eisenach. Auf einer Erholungs¬
reise verschied er plötzlich am 29. Juli 1902.
In der Gothaer Zeit legte er den Grundstein
zu seiner Bibliothek, die er Jahrzehnte hindurch
mit unermüdlicher Ausdauer und großen pekuniären
Opfern zu vervollständigen bemüht war. Er war
ein echtes Sammlergenie, das die verborgensten
Seltenheiten aufzustöbem wußte. Von seinen
zahlreichen Reisen kehrte er fast niemals zurück,
ohne das eine oder andere kostbare Werk erworben
zu haben. So wurde dieser stolze Bau durch ein
Menschenalter hindurch Stein für Stein zusammen¬
getragen und aufgerichtet An die Bibliothek schließt
sich eine Autographen-Sammlung und eine kleine
Anzahl kostbarer Kunstgegenstände in würdiger
Weise an.
Die deutschen Zeitschriften der vorklassischen,
klassischen und romantischen Periode sind in
staunenswerter Anzahl vertreten. Es ist hier nicht
der Ort, dieselben vollständig aufzuführen, doch
möchte ich einige der wichtigsten hervorheben:
Gottscheds „Täterinnen“, „Das Angenehme mit
dem Nützlichen", Bodmers „Discourse der Mahlern",
„Olla Potrida", „Teutscher und Neuer teutscher
Merkur", Nicolais „Bibliothek der schönen Wissen¬
schaften und der freyen Künste" und Fortsetzung,
„Der Freimütige“, „Chronik von Berlin“ von
Tlantlaquatlapatli, „Berlinische Monatsschrift" von
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Gedike und Biester, „Berlin“ von Rhode, „Das
Deutsche Museum“ von Dohm und Boie; weiter
die zahlreichen periodischen Schriften Wekherlins
und Rebmanns, „Der Gesellschafter“ von Gubitz,
„Die Tröst-Einsamkeit“ (Zeitung für Einsiedler),
„Die Wünschelruthe“ und hundert andere Journale,
deren Aufzählung die Beschränktheit des gegebenen
Raumes verbietet
Die die Zeitschriften gleichsam ergänzenden
Almanache und Jahrbücher sind gleichfalls in
guter Vollständigkeit vorhanden. Voran der „Göt¬
tinger Musenalmanach“, von dem Goedeke sagt:
„Es ist kein bedeutender oder imbedeutender
Dichtemame jener Zeit, der nicht mit einem Bei¬
trage auftrete/* Ferner „Der Vossische Musen¬
almanach“, Schillers „Musenalmanach“, Jacobis
„Iris“, Nicolais „Kleyner, feyner Almanach“,
Reichards „Theater-Kalender“ u. a. m. Die theater¬
geschichtliche Sammlung enthält fast alles von
Bedeutung; hunderte von Nummern daraus bildeten
eine Zierde der Wiener Musik- und Theater-Aus¬
stellung im Jahre 1892. Die lokale Theaterge¬
schichte der einzelnen Städte ist mit besonderer
Liebe und Sorgfalt ausgebaut; es ist erstaunlich,
wie viele Schriften und Schriftchen über die Neu-
berin und ihre Gesellschaft, die Ackermannsche,
die Kochsche, die Döbbelinsche und zahlreiche
andere Schauspielgesellschaften vorhanden sind.
Jedes dieser Schriftchen ist an und für sich eine
Rarität; es wird kaum noch eine Bibliothek geben,
in der so sie zahlreich vorhanden sind.
Daß es in der Kürschnerschen Bibliothek eine
spezielle „Iffland“ - Abteilung gibt, ist fast selbst¬
verständlich. Außer der nach über hundert Nummern
zählenden Literatur sind auch zahlreiche Briefe, eine
Marmorbüste, mehrere Porträts und Medaillen vor¬
handen. Äußerst interessant ist ein Tagebuch
Ifflands, dessen prächtiger Einband den Aufdruck
trägt: „Meine Bemerkungen über die Kunst, die
(Die Bibliothek Kürschner — Kleine Mitteilungen.)
Welt und mich. Mannheim 1782.“ Die deutsche
Literatur der klassischen und romantischen Periode
ist durchweg gut vertreten. Die Abteilungen Goethe,
Schiller, Lessing und Maler Müller sind mit beson¬
derer Sorgfalt gesammelt und enthalten viele inter¬
essante Erst- und Frühdrucke.
Die Handschriften-Sammlung umfaßt beinahe
den ganzen literarischen Nachlaß Maler Müllers,
der die zahlreichen Umarbeitungen des Faust aus
der römischen Zeit enthält; ferner den von Ber-
tuch geschriebenen, zwischen ihm und Wieland ab¬
geschlossenen Vertrag, betreffend den „Teutschen
Merkur“, datiert Weimar, den 6. Oktober 1782,
Briefe von Goethe, Lessing, Heine, Tieck, Grillparzer,
Richard Wagner, Mendelssohn-Bartholdy, Liszt,
Brahms usw.
Von den Kunstgegenständen sind das herrliche
Goethe-Porträt Gerhards von Kügelgen zu erwähnen,
das auf der obengenannten Wiener-Ausstellung die
allgemeine Bewunderung erregte, ferner zahlreiche
Öl- und Pastellgemälde, Stiche und Medaillen von
Iffland, Koch, den beiden Demoiselles Ackermann,
Devrient u. a.
Etwas abseits von diesen Gebieten, doch nicht
minder interessant, ist eine nur in zwei Exemplaren
existierende Sammlung von Flugschriften, Broschüren,
Einblattdrucken, Karikaturen und Photographien
auf den Krieg 1870/71 bezüglich. Fürst Bismarck
gab seinerzeit Auftrag, alles was in diesem Krieg
an Flugschriften und Ähnlichem in irgend einer
Sprache erschien, für seinen Privatbesitz zu sammeln.
Der damit Beauftragte benutzte die Gelegenheit
und stellte ein zweites Exemplar für sich zusammen.
So kam eine nach tausenden zählende Sammlung
von Pamphleten und Karikaturen zusammen. Sie
ist ein wichtiges Kulturdokument aus ernster Zeit,
und es wäre nur zu wünschen, daß sie ihren ge¬
bührenden Platz in Deutschland fände und nicht
in das Ausland wandert G. N.
Kleine Mitteilungen.
Einen Katalog, den jeder Bibliophile mit Vergnügen
in die Hand nehmen wird, veröffentücht das Berliner
Kunstgewerbe-Museum aus Anlaß seiner Ausstellung
europäischen Porzellans des XVIII\ Jahrhunderts . Die
Ausstattung des nur 20 Pfennige kostenden Katalogs ist
völlig im Stile der Zeit gehalten, auf grauem Papier mit
altertümlichen Typen gedruckt (Otto von Holten) und
mit Vignetten im Genre Meils und Schellenbergs ge-
geschmückt
Die Firma Wald. Zachrisson in Göteborg gibt seit
einigen Jahren einen Boektryckeri-Kalender heraus, von
dem uns die Ausgabe 1902—1903 vorliegt: mehr
eine Art Jahrbuch über die Entwicklung der nordischen
Kunst auf dem Gebiete des Buchdrucks und der Gra¬
phik als ein schlichter Kalender. Der stattliche Band
in seinem weißleinenen Deckel, den die Figur Guten¬
bergs in Rot schmückt, enthält eine Fülle interessanter,
reich illustrierter Artikel zur Geschichte der modernen
Typographie und des Buchschmucks. Der saubere Satz
stammt aus der Hausoffizin und zwar wurden die klaren,
schönen und leicht lesbaren Typen auf der Lanston-
Schriftgießmaschiene gegossen.
Von dem Katalog der Freiherrlich von Upper -
heideschen Kostümbibliothek sind die Doppelhefte 19/20
und 21/22 erschienen (Berlin, Frz. Lipperheide), um¬
fassend die Literatur über Kriegstrachten und Trachten
für besondere Veranlassungen.
Ein neues Großquartheft von Dreifarben-Druck-
proben ging uns aus dem graphischen Institut von Julius
Klinkhardt in Leipzig zu. Die Blätter veranschaulichen
die eminenten Fortschritte, die in letzter Zeit grade
auf diesem Gebiete der Reproduktionstechnik gemacht
wurden. Neu ist, daß man nunmehr auch direkt nach
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(Kleine Mitteilungen — Kataloge — Inserate.)
der Natur aufzunehmen yermag, wodurch die oft be¬
trächtlichen Kosten für Zwischenoriginale gespart werden
und die Naturtreue auf das fast Vollkommenste ge¬
wahrt bleibt.
Die Deutsche Dichter-Gedächfnis-Stiftung in Ham-
burg-Großborstel, deren segensreiche Tätigkeit man mit
großer Freude begrüßen kann, veröffentlicht seit kurzem
eine Hausbücherei, die zu billigem Preise Meisterwerke
der Weltliteratur in ausgezeichneter Ausstattung bringt.
Band I und II, den „Götz“ und „Michael Kohlhaas“
enthaltend, liegen uns vor. Das gelblich getönte holz¬
freie Papier, der große klare Druck und der solide und
praktische, abwaschbare Einband sind durchaus zu
rühmen. Zum „Kohlhaas“ hat Emst Liebermann eine
Anzahl prächtiger Vollbilder entworfen.
Jacques Rosenthal in München zeigt uns an, daß
der Preis für die noch vorhandenen Exemplare von
Graf Apponyis Hungarica-Katalog auf 50 Mk. erhöht
worden ist.
Eine internationale Bibliothekaruersammlung soll
anläßlich der Weltausstellung in St. Louis dort von der
American Library Association veranstaltet werden.
Kataloge.
Deutschland und Österreich-Ungarn.
Ottosche Buchhandlung in Leipzig. No. 553. Neue
Sprachen,
Max Perl in Berlin W. No. 48. Theatergeschichte,
Kostüm, Oper , Kunst,
Jos, Baer &• Co, in Frankfurt a. M. No. 492. National¬
ökonomie 11 : Sozialismus, Komunismus, Anarchis¬
mus. — No. 494. Bibliotheca Swedenborgiana,
J, Sc heikle in Stuttgart. No. 358. Alte Literatur, Selten¬
heiten, Kultur und Sitte 9 Bücher für Bibliophilen,
I. Teil A—H.
J, Taussig in Prag. No. 131. Curiosa % Erotika, Ritter¬
und Räuber-Romane,
C, Troemer (E. Harms) in Freiburg i. Br. No. 23.
Geschichte, Geographie, Militaria .
F. E, Lederer (F. Seliger) in Berlin C. No. 73. Alte
Drucke , Curiosa , Varia,
Emst Carlebach in Heidelberg. No. 262. Geschichte
und Geographie, — No. 263. Kurpfals, Rheinpfalz,
Mannheim, Heidelberg, Neckarthal, Bergstraße:
Bücher, Bilder, Autographen.
H, Hugendubel in München. No. 15. Länder-und Völker¬
kunde,
K. Th, Völcker in Frankfurt a./M. No. 245. Ältere
deutsche Literatur und Flugschriften,
List &• Francke in Leipzig. No. 359. Grossbritannien,
Niederlande , Skandinavien,
M. Edelmann in Nürnberg. No. 19. Curiosa, Kultur
und Sitte, — No. 20. Liebe, Ehe, Sexualismus,
Rieh, Bertling in Dresden-A. No. 48. Hymnologie,
Liturgik, Geistliche Musik, Volkslieder,
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und Bildung entsprech- Stellung, am liebsten als
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schäften und Verwandtes.
Theod. Ackermann in München. No. 529. Theater und
Musik. — No. 528. Bibliothecaphilologica classica II.
Th. Kampffmeyer in Berlin SW 48. No. 419. Theologie
und Philosophie .
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Inkunabeln und seltene hebräische Drucke . — No. 49.
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Adolf Goering in Basel. No. 292. Naturwissenschaften.
No. 293. Ausländ. Belletristik und Sprachwissen¬
schaft. Anzeiger 178/179. Varia , Theologie, Philo¬
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rich Gruppe. Zur hundertsten Wiederkehr seines Ge¬
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Neu herausgegeben unter Mitwirkung der Herren
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Druck von W. D r u gul in in Leipzig.
Mit einer Extrabeilage von S. Fischer, Verlag In Berlin.
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«ttfdmft für Bücherfreunde fit
*fc*t*t'*t*t*l*i*i*j.*t<t Organ der OcfcUfcbaft der Bibliophilen.
VIII. Jahrgang.
BEIBLATT
Mai 1904.
Zweites Heft.
Abonnementspreis für den Jahrgang 36 M. (21,60 Fl ö. W., 45 Fr., 36 sh., 21,60 Rb.), für das Quartal (drei Hefte) 9 M.
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*/i Seite.60 Mark.
V* Seite.30 Mark.
V4 Seite.15 Mark.
x /s Seite.8 Mark.
Kleine Anzeigen (Desiderata und Angebote): die gespaltene Petit-Zeile 50 Pf. (für Mitglieder der Gesellschaft
der Bibliophilen und Abonnenten der Z. f. B. nur 25 Pf.).
Beilage-Gebuhr 40 Mark. — Schluß für die Anzeigenannahme jedes Heftes am io. des vorhergehenden Monats.
Redaktionell* Sendungen: Manuskript«, Bücher, Kataloge etc. gell, zu richten an den Herausgeber: Fedor von Zobeltit 's, Berlin IV. 15.
Uhlandstr. 33 (Sommer: Spiegelberg bei Topper, Rgbz. Frankfurt a. O.).
|yf**r/£>'*]an|die Verlagshanalung: Velhagen & Klasing, Abteilung für Inserate, Leipzig, Hospitalstr. 27.
Rundfragen.
An dieser Stelle kommen die aus den Kreisen der Gesellschaft der Bibliophilen und der Leser der Zeitschrift
für Bücherfreunde eintreffenden Anfragen, sowie die Antworten darauf zum Abdruck. Einsendungen für diese
Rubrik an: Arthur L. Jellinek in Wien VII\ Kirchengasse 35.
Fragen.
129. Wer besitzt oder kann nachweisen ein Exemplar
von: Der Holzhauer oder die drei Wünsche . Eine kom.
Oper. Berlin, Himburg, 1772, und Der Holzhäuer oder
die drei Wünsche. Berlin, Reimer, 1772. Beides sind
Übersetzungen von: Guichard et Castet, Le bücheron
ou les trois souhaits. Paris 1763. Die Übersetzer sollen
J. J. Eschenburg (Minor, Weiße, S. 190; Schmid, Chro¬
nologie, herausgegeben von Legband, S.216) und Wulff
(Schlösser, Götter, S. 293) sein. Welche Ausgabe ist
von Eschenburg, welche von Wulff besorgt? Nicht zu
verwechseln mit einer dritten Übersetzung von J. H.
Faber. Frankfurt a. M., Andrea, 1774.
A. L. Jellinek, Wien.
130. Ist etwas Genaueres bekannt über die Ver¬
breitung und den Wert des sehr merkwürdigen Buches
„ Nachtwachen . Von Bonaventura. Penig 1805 bey F.
Dienemann und Comp .“ das F. N. J. Schelling zu¬
geschrieben wird, und ist seit der Festschrift von Hubert
Beckers „Schellings Geistesentwicklung“, München 1875,
etwas über dieses Buch veröffentlicht worden?
O. Bobertag , Breslau .
131. Wo ist Näheres über Franz Gewey , den Ver¬
fasser eines 1805 in Wien aufgeführten Schauspiels
„Der seltsame Prozeße zu finden?
J. Loßar, Wien.
132. Wer besitzt oder kann nachweisen ein Exem¬
plar von:
a) „Herrn Heinrich Held’s hinterlassene neu er¬
fundene Prosodia. Stargard bei Jacob Heunig“ (ange¬
führt im Michaelis-Meßkatalog, Leipzig 1661);
Z. f. B. 1904/1905. 2. Beiblatt — I
b) Held, „Poetische Lust und Unlust" (zitiert von
Georg Neumark im „Fortgepflanzten musikalisch-poeti¬
schen Lustwald“, Jena 1657, in der „Zuschriftlichen Vor¬
rede“ und von Neumeister „De poeds germanicis huius
saeculi praecipuis“ 1695, S. 48);
c) Monsieurs Cavaliers Guck in die Welt, zusammen¬
getragene Scherz-Studien ."
Dr. G . Minde-Pouet, Bromberg.
133. Es gibt verschiedene Ausgaben von Schriften
Friedrich des Großen aus den Jahren 1740—1760 mit der
Bezeichnung „Au donjon du chäteau. Avec privil^ge
d’Apollon“, [Vgl. Frage No. 37], die jedoch nicht alle
im Potsdamer Schloß hergestellt wurden, vielmehr
französische und andere Nachdrucke sind. Woran er¬
kennt man die echten Potsdamer Original-Ausgaben?
Welche Wasserzeichen hat das Papier? Die Angaben,
die ich darüber fand, sind unzureichend.
Max Harrwitz, Berlin.
134. Laut freundlicher Mitteilung der Großenkelin
von Knebel, Frau Dr. Buchholz in Jena, soll sich das
Manuskript der Properz-Übersetzung Karl Ludwig von
Knebels entweder in der Königlichen Bibliothek in
Berlin oder im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar be¬
finden. Nach eingezogenen Erkundigungen bei den
betreffenden Direktionen ist jedoch die gewünschte
Handschrift daselbst nicht vorhanden. Kann jemand
mitteilen, wo sich das genannte Manuskript tatsächlich
befindet? Leo Rosenzweig, Wien.
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Beiblatt
(Rundfragen — Rundschau der Presse.)
Antworten«
130. Ein Neudruck der „Nachtwachen" ist in der
„Bibliothek deutscher Curiosa", Lindau, Verlag Ludwig
1877. Bd. 2/3 erschienen. Neuere Mitteilungen über
das merkwürdige Buch, dessen Verfasserschaft neben
Schelling auch E.Th. A.Hoffmann zugeschrieben wird:
Rud. Seidel, Zeitschrift für deutsches Altertum 1879,
XXIII, S. 203—205.— Erich Schmidt\ Vierteljahrsschrift
für Literaturgeschichte 1888, I, S. 502, R. M. Meyer,
Euphorion 1903. X, S. 578—588, und HMichel, Narional-
Zeitung (Berlin) 1904. No. 20, 26. Eine, wie es scheint,
bisher wenig beachtete Nennung auch in den „An¬
sichten der Literatur und Kunst 1803.“ (Privatdruck
der Gesellschaft der Bibliophilen, herausgegeben von
G. Witkowski 1903) S. 63.
A. L Jellinek, Wien,
Rundschau der Presse.
Von Arthur L. Jellinek in Wien.
Oie nachfolgende Übersicht versucht, die in Tagesblittern, Wochen- und Monatsschriften enthaltenen Aufsätxe und Abhandlungen,
soweit sie für die Leser unserer Zeitschrift in Betracht kommen, in sackUck*r Anordnung ru verzeichnen. Nur das Wichtigere aus den Ver¬
öffentlichungen der letzten Monate kann berücksichtigt werden. Absolute Vollständigkeit zu erreichen liegt für den einzelnen Bearbeiter
außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Die Zeitschriften sind nach Bänden, Jahrgängen, Heften oder Seiten, je nach der leichteren Auf¬
findbarkei t. citiert. Gleichmäßigkeit ist hierin nicht angestrebt. Zusendung von Sepnratabdrücken und Anaachnitton an die Adresse des
Bearbeiters (Wien VII, Kirchengasse 35) erboten.
Buchdruck . Buchhandel.
Bargum, G., Kalenderwesen und Kalenderliteratur in
Deutschland.
Börsenblatt fiir den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 55.
Dauze, P., Un si&cle de ventes publiques de livres.
Almanach du Bibliophile . 1903. IV, S. 255—274.
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Goldfriedrich, J., Denkschrift betreffend die Be¬
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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 42. Beilage.
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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 32, 41, 47.
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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 39.
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Zentralblatt für Bibliothekswesen. 1904. XXI,
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Bonn 1903.
Zentralblatt für Bibliothekswesen . 1904. XXI,
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Miniaturen. Buchausstattung. Einbände.
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Rivista delle Biblioteche e degli Archivi. 1904. XV,
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legende. Limburgs Jaarboek. 1903. VIII, 1, IX, 1,2.
Von den
Bei der in denTagen vom 7.—20. April in Köln a. Rh.
unter Leitung der Firma 7 . M. Heberle {H. Lempertz ’
Söhne) stattgefundenen Auktion der Bibliothek H. Lern -
pertz sen. (vgl. Zeitschrift für Bücherfreunde 1904,
Heft XII, S. 494—499) war die Beteiligung der Käufer
eine sehr rege. Für die Seltenheiten und Kostbarkeiten
waren die Preise durchgängig hohe. Den höchsten Preis
der Auktionen erzielte das mit 84 kolorierten Feder¬
zeichnungen versehene Pergamentmanuskript „Leben
Jesu mit Armenbibel x \ XIV. Jahrhundert, das vom
Antiquar Ludwig Rosenthal-München um M. 36x0 er¬
worben wurde. Der Kodex stammt aus dem Besitze
von Karl Simrock und ging in der im Jahre 1877 ver¬
anstalteten Auktion seiner Bibliothek um M. 100 in den
Besitz von H. Lempertz sen. über. Habent sua fata
libelli I Weiter wurde bezahlt: No. 2020 „DerEntkrist“
aus dem Jahre 1336, Fragment von 13 Blättern mit eben¬
so vielen feinen Federzeichnungen M. 1500; No. 2026
„Speculum Monachorum “, Papiermanuskript aus der
1. Hälfte des XV. Jahrhunderts mit 7 höchst inter¬
essanten Federzeichnungen, M. 1200; No. 2058, eine
Federzeichnung „Gott Vater mit dem Jesusknaben “ aus
einem Kodex des X. Jahrhunderts, M. 410; No. 2072,
ein Blatt äus den von I. Schoeffer in Mainz gedruckten
Decretalien GregorüIX. mit herrlicher Miniatur, M. 255;
No. 1453 „ Bertholdus, Horologium devotionis “ (Co-
loniae, Zell, ca. X488) mit 14 Metall- und 24 Holz¬
schnitten, M. 175; No. 1465 „Legende van sinte Dympnen“
(Delft, Eckert de Homberch, ca. 1500) M. 355; No. 1479
Auktionen.
Bulle des Papstes Sixtus IV. gegen die Türken, Elin¬
blattdruck von 1480, M. 340, welch gleichen Preis
No. 1483 erzielte, eine bisher unbekannte St Ursula-
Legende, vielleicht in Straßburg ca. 1496 gedruckt;
No. 1572 Teuschlein, in Augustinum Index (Nuremb.,
Koberger, 1517) mit prachtvoller Titeleinfassung und
blattgroßem Holzschnitt von Albrecht Dürer, M. 315;
No. 1578, die seltene erste Ausgabe in tschechischer
Sprache des Werkes von Erasmus von Rotterdam über
die Belehrung der Vorbereitung zum Tode, mit Holz¬
schnitten, M. 185; No. 1579 Ranzovius, Res gestae
Friderici II., regis Daniae, 1589, in einem exceptio«
nellem Exemplare, M. 270; No. 1583 Gengenbach, „Disz
ist ein iemerlich clag vber die Todten fresser “ (Augs¬
burg 1522) M. 96; No. 1623 Josephus Flavius, Historia
septem fratrum Macabaeorum , ein sehr seltenes Holz¬
schnittwerk vom Jahre 1517, M. 155; No. 1624 „ Eyne
schone swerliche Hystorie von sent Irmgard, bynnen
Collen {Köln) ny yrst gedruckt Unicum, M. 190;
No. 1660 Hans von Rüte, „ Wie Noe von win vber-.
wunden “ (Bern 1546) M. 230; No. 1708 „Die Mutter
Gottes mit dem Kinde il ein Metallschnitt ca. 1470, ein
außerordentlich kostbares Stück, M.6X5; No.2o8x/*fiw
Christus am Kreuze, eine herrliche Miniaturmalerei auf
Seide aus dem 1. Viertel des XVI. Jahrhunderts, wahr¬
scheinlich von Lucas v. Leyden herrührend, M. no;
No. 2182 Neudörfers „ Unterweisung Kunstlichs vnnd
artlichs Schreibers kalligraphisches Manuskript vom
Jahre 1557, M. 175; Urkunde des Kölner Erzbischofs
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Beiblatt
Engelbert I. vomJahre 1218, M. 305 und No. 2295 Tramfix¬
brief der Stadt Köln vom Jahre 1513, M. 205; No. 2343
Urkunde des MainzerErsbischofs vomjahre 1212, M. 115;
No. 2377 ein Papierdokument Rudolf IV. von Oesterreich,
Gründers der Universität, mit eigenhändiger Unterschrift
vom Jahre 1361, M. 185. Ein kostbares Stammbuch von
Jac. v. Scherpemeel aus den Jahren 1570—1589 mit 53
vorzüglich in Farben, Gold und Süber gemalten Wappen¬
miniaturen ging für den Preis von M. 485 weg. In der
umfangreichen Abteilung der Einblattdrucke und fliegen¬
den Blätter wurden gleichfalls bei den seltenen Stücken
hohe Preise erzielt So wurden bezahlt für: No. 2505
„ Triumph des Kunigks von Gutschin" vom unbekannten
Monogrammisten mit dem Namen Jesu, M. 100 (erwarb
das Germanische National-Museum in Nürnberg) M. 100;
No. 2518 „Der Barfüser Secten- vndKuttenstreit “ 1577,
mit Holzschnitt von Tob. Stimmer, von größter Selten¬
heit, M. 205; No. 2529 „ Die zehen gebot gottes. Der
glaub. Das Pater noster. Ave Maria. Die süben dot
sund. Die ffunff sinn.“ Haus- und Gebettafel aus dem
Anfänge des XVI. Jahrhunderts, M.90; No.2691 „ Oratio
de Omnibus sanctis", ein ganz in Kupfer gestochenes
Blatt aus dem Anfänge des XVI. Jahrhunderts, M. 380;
Na 2729 Ham Sachs, „Die achtzehn Schön einer Junck -
frawen" M. 100(Germanisches National-Museum in Nürn¬
berg); No. 2730 Ham Sachs, „Die eytel vergenklich
Freudt und wollust dieser Welt “ M. 140 (Germanisches
National-Museum in Nürnberg); No. 2731 Hans Sachs,
„Din tadintadin ta diz la dinta, guter Strewsand, gute
Kreide, gute Dinta“, M. 95 (Germanisches National-
Museumin Nürnberg); No. 2798 Wandkalender „So man
zeit nach der gebürt Christi 1552, gedruckt zu Zürich,
M. 125, ein anderer aus demselben Jahre, No. 2799, M. 105;
No. 2800 und 2801 je M. 76 „Der Pauren Kalender 1567“;
No. 2829 ein gedruckter „Aufrufdes Papstes Clemens VII.
zur Unterstützung des Königs Ferdinand von Ungarn
gegen die Türken“ vom Jahre 1529, M. 115; No. 1219
„Die Sammlung von Wasserzeichen und Papierproben
von H. Lempertz sen.“, welcher dieses in seinen letzten
Lebensjahren sein Hauptinteresse widmete, ging um
505 M. in den Besitz einer rheinischen Papierfabrik
über. J. Sch.
In Paris hatte der Verkauf der Bibliothek des Barom
A. de Claye zahlreiche Liebhaber in das Hotel Drouot
gelockt. Es erzielten: Bossuet\ „LApocalyfsd 1 , Paris
1689, schön gebunden, Fr. 300; „Heures de Besangon",
Paris, Sim. Vostre 1512, Einband Trautz-Bauzonnet,
Fr. 1665; „Horae in laudem B. V. M. secundum con-
suetudinem EccL Parisiensis“ 1527, Fr. 1240; Corneille,
„Imitation de J.-C", 2 v., 1653—56, Einband Derome,
Fr. 555; Montesquieu, „De TEsprit des loix", Genf 1748,
Fr. 435; Montaigne, Essays, 1588, 1. Ed., prachtvoller
Einband, Fr. 2320; dasselbe, Amsterdam, Elzevier, 1659,
3 v., Einband Derome, Fr. 510; La Rochefoucault, „Ri-
flexiom ou sentences et maximes morales", Paris 1665,
Einband Mercier, Fr.700; „ Oraisonfunlbre de...prince
de Condi" par Bossuet, 1687, Fr. 1620; P. Virgüii Opera,
Amsterdam 1676, Elzevier, Fr. 375; „Heures de Notre -
Dame “ ... par Pierre Gringoire, Paris, Jehan Petit, 1528,
(Von den Auktionen.)
Einband Lortic, Fr. 700; „ Marguerites de la Margue-
rite ...royne de Navarre", Lyon 1547, Einband Trautz-
Bauzonnet, Fr. 850; „LesOdes d‘ Olivier de Magny" 1559,
schöner Einband von Trautz-Bauzonnet, Fr. 790; „Les
diverses Poisies deM.Jean Vauquelin", Caeni6o5, Fr. 700;
Im Fontaine, „Fables choisies", Paris 1868, Illustr. von
Chauveau, Fr. 880; „Oeuvres de Corneille", Paris 1644,
Fr. 740; dasselbe Paris 1654, Fr. 690; Molüre, „Le
Midecin malgri luy", Paris 1667, i.Ed., Fr.305; Molüre,
„Amphitryon", 1668, und „Le Mariage forci", 1668, in
1 Bde,, Fr.700; Molüre, „Oeuvres“, Paris, JeanGuignard
fils, 2 v., Einband Trautz-Bauzonnet, Fr. 1350; Racine,
„Oeuvres", Paris 1676, 3 v., Fr. 760; dasselbe Paris 1697,
Fr. 600; „LHeptamerone des nouvelles ..." Paris 1559,
2. Ed., schöner Einband von Trautz-Bauzonnet, Fr. 1180;
Le Sage, „Diable boiteux “, Paris 1707, 1. Ed., Fr. 400;
Le Sage, „Gil Blas", Paris 1747, Fr. 380; „ Tacitus",
Amsterdam 1640, Elzevier, Fr. 400; „Anacrion, Sappho,
Bion et Moschus", trad. par Montonnet de Clairfons,
Paris 1774, Vignetten von Eisen, Fr. 2250; Boccaccio,
„Decamerone" , Londra 1757/61, 5 v. ülustr., Fr. 685;
Dorat, „Les Baisers" 1770, illustr. von Eisen, Fr. 1650;
Dorat, „Fables nouvelles" 1773, Vignetten von Mariliier,
Einband Cuzin, Fr. 905; La Borde, „Choixde Chamom"
ülustr., 4 v., Paris 1773, Fr. 3500; La Fontaine, „Contes",
Paris 1762, Ed.desFermiers glnöraux, Einband Derome,
Fr. 2195; La Fontaine, „Fablest\ Paris, Didot, 1787, 6 v.,
Fr. 1290; Montesquieu, „Tempie de Gnide", Fig. von
Eisen, Paris 1772, Fr. 640; Ovid, „Mitamorphoses",
Paris 1767—1771, 4 v., Fig. von Eisen, Moreau, Bou¬
cher u. a., Fr. 820; Privost, „Manon Lescant", Amster¬
dam 1753, 2 v., Fig. von Gravelot, Fr. 540; Rabelais,
„Oeuvres", Amsterdam 1741, 3 v,, Fig. von Picart,
Fr. 2800; Swift, „Gulliver", Paris, Didot, 1797, Fig. von
Lefebvre, 4v., Fr.620; Dumas, „TroisMousquetaires",
auf China, mit Illustr. von Maur. Leloir, Sonderab¬
zügen und einer Originalkomposition, schöner Einband,
Fr. 1150(1); ähnliche Liebhaberexemplare von Werken
von Flaubert, Anat. France, Gautür, Hugo, Maupas¬
sant, Richepin u. a. erzielten gleichfalls hohe Preise;
die Originalausgabe von Dumas „Dame aux Camilias",
Paris 1848, 2 v. in 8°, Papier Holland, mit den Couver-
türen und einem Porträt des Verfassers, graviert von
Jules Jacquemart, brachte sogar — 1030 Fr.!
Aus anderen Pariser Auktionen der letzten Monate
seien erwähnt: Collection Henri Mahou — La Borde,
„Choix de Chamom", Paris 1773,4 v., Fr. 1400; Molüre,
„Misantrope", Paris 1667, Fr. 210; „Amphitryon", Paris
1668, Fr. 330, „Bourgois Gentilhomme", Paris 1671, Ein¬
band Lortic, Fr. 1000; Rabelais, „Songes drdlatiques",
Paris 1565, Einband Dura, Fr. 1100. —g.
Der Katalog der vom 3a Mai bis 4. Juni bei
C. G. Boemer in Leipzig stattfindenden Versteigerung
des wertvollsten Teils der Bibliothek Josef Kürschner
ist in vortrefflicher Ausstattung, reich illustriert, bei
Drugulin gedruckt, 215 Seiten stark, soeben erschienen.
Der Großoktavband bringt ein Porträt Kürschners und
als Einleitung eine kurze, mit liebevoller Hand ge¬
schriebene Biographie des Varstorbenen aus der Feder
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Beiblatt.
(Von den Auktionen — Kataloge.)
des Professors A. Sauer in Prag. Ü ber die Bibliothek
selbst berichteten wir bereits, doch seien an der Hand
des Katalogs noch einige Nachträge gestattet. Am
umfangreichsten sind die Abteilungen „Zeitschriften“
und „Deutsche Theatergeschichte“. Letztere umfaßt
allein über 1000 Nummern, ist reich an Seltenheiten
und enthält auch die Kollektion Iffland mit Büsten,
Medaillen, Porträts, einer stattlichen Briefsammlung,
Manuskripten, Theaterzetteln und Erstdrucken. Höchst
bedeutsam sind die Nachlässe von Maler Müller und
Götz. Von Maler Müller finden sich neben den Hand¬
schriften der metrischen Fassung seines Faust-Dramas
und der „Iphigenie“ (die Kürschner als Privatdruck
der ,Gesellschaft der Bibliophilen* herauszugeben be¬
absichtigt hatte) zahlreiche ganz unbekannt gebliebene
Manuskripte neben höchst interessanten Briefschaften
und Konzepten. Von Joh. Nie. Götz liegen die Hand¬
schriften fast aller seiner Werke nebst einer umfang¬
reichen Korrespondenz vor. Auch Manuskripte von
Hebbel, Immermann, Fr. Schlegel, Zach. Werner,
Richard Wagner werden, wie die anderweitigen Auto¬
graphen, die Handschriftensammler interessieren. Die
Kollektion Wagner, mit einer vollständigen Literatur
über den „Ring“, vielen Pamphleten und Karikaturen,
enthält 226 Werke. Gut vertreten ist Goethe, Schiller
weniger. Die selten gewordenen Erstdrucke Gottsched¬
scher Werke sind beinahe vollzählig da; auch sonst
verzeichnet der Katalog viele literarische Raritäten.
Erwähnt sei schließlich die fast durchweg vorzügliche
Erhaltung der Bücher. A
Bei Leo Liepmannssohn in Berlin findet am 19.
und 20. Mai eine Auktion von Autographen fürstlicher
Persönlichkeiten, Staatsmänner, Heerführer, Gelehrter
und Dichter statt, die dem Katalog zufolge interessant
zu werden verspricht — Am 6. Juni und den folgenden
Tagen werden in München bei Hugo Helbing die Samm¬
lungen des verstorbenen Geheimrats Dr.J. von Hefner *
Alteneck versteigert (dabei auch Bücher und Kunst¬
blätter). Auf den Katalog kommen wir noch zurück.
—m.
Kataloge.
Deutschland und Österreich-Ungarn.
Louis Steffen in Hildesheim. No. 10. Kunst.
Karl W. Hiersemann in Leipzig. No. 298. Prähistorik.
Jos. Baerdr* Co. in Frankfurt a/M. Frankfurter Bücher¬
freund III 10/12. — Neue Erwerbungen. — Essay:
Nikolaus von Frankfurt“ (Schluß mit Bibliographie).
— No. 495. Agrargeschichte, Bodenfrage.
J. Heß in Ellwangen. No. 65. Medizin. — No. 64.
Rechts- und Staatswissenschaft.
J. St. Goar in Frankfurt a/M. No. 92. Deutsche Lite¬
ratur, Kulturgeschichte t alte Stiche und Drucke.
J. Rickersche Univers.-Buchh. in Gießen. No. 47. Philo¬
sophie (Kant).
E. Kantorowicz in Berlin W. 9. No. 50. Kunst und
Wissenschaft.
Emil Hirsch in München. No. 44. Autographen.
— 8
Süddeutsches Antiquariat in München. No. 53. Bio¬
graphien, Memoiren , Porträts, Bibliographie, Biblio¬
thekswesen,Buchhandel, Geschichte der Wissenschaften
(Bibi K. v. Wurzbach f).
Otto Harrassowitz in Leipzig. No. 278. Philosophie und
Pädagogik (Bibi. Rud.Haym). — No. 277. Gramma¬
tiken, Lexika, Chrestomathien.
J. Eckard Mueller in Halle. No. 104. Theologie. —
No. 105. Philosophie, Pädagogik.
Gilhofer Ranschburg in Wien I. Anz. No. 70. Alte
Drucke, Seltenheiten , Varia.
Hugo Helbing in München. No. 49. Porträts, Kupfer¬
stiche, Radierungen, Holzschnitte, Lithographien. —
No. 48. Französische Schule. — No. 46. Italienische
Schule. — No. 42. Ansichten, schwarz und farbig. —
No. 43. Dürer, Originalkupferstiche und Holz¬
schnitte. — Anz. No. 5. Bücher. — Anz. No. 6/7.
Kupfer, Radierungen , Holzschnitte usw.
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Theologie.
Frz. Deuticke in Wien I. No. 62. Die österreichisch¬
ungarische Monarchie.
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Jahrhundert.
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schiedenen Wissenschaßen.
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Genealogie, Heraldik, Kunst , Alpines, Varia.
Frd. Schöningh in Osnabrück. No. 50. Literarische
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bis su d4n wirklichen Kunstwerken, die im Dienst der Reklame
entstanden. Vor allem widmet er der Plakatkunst des In- und
Anslandes eine eingehende Abhandlung, bespricht dann die Kunst
des illustrierten Buchumschlags, die Binladungszeichnungen der
dungsaeichnungen der
Kunstsalons, Theaterprogramme, Geschäftskarten, ja sogar Wein¬
etiketten, Reklamekalenaer, Musterbücher. Lesezeichen zu Re¬
klamezwecken. Reklamebildchen ä la Liebig und Stollwerck, das
Inseratenklischee u. s. w. Diese Monographie bildet in ihrer fes¬
selnden Darstellung und in ihrer prächtigen bildlichen Aus¬
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rigen Geschäftsmann, für den Freund dieser ganz eigenartigen
Kunstzweige, für jeden Freund moderner Graphik, endlich für die
zahlreichen Sammler derartiger Kunstwerke eine Quelle reicher
Anregungen.
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Der Verfasser, der bekannte Kunstgelehrte Georg Bnss,
begleitet diese „Waffe der schönen Frau*" in höchst anregender
Weise durch alle Länder und alle Jahrhunderte, Ja Jahrtausende,
denn die Geschichte des Fächers ist fast so alt wie die Geschichte
der Menschheit Besonders interessant sind seine Schilderungen
aus den letzten Jahrhunderten, in denen der Fächer eine so
wesentliche Rolle im geselligen Leben spielte. Die Monographie
ist erstaunlich reich illustriert, aber auch mit erlesenem Geschmack.
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moderner Künstlerfächer, die in der vollen Farbenpracht der Ori¬
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Meyerheim, Hans Bohrdt, Fischer-Cörlin, Anton von Werner u. s. w.
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van Eyck, Hubert (1370—
1426) und Jan (1390—1440) 3.
Giotto (1266—1337 .... 4.
Memling (1430—1494) . . 3 -
Verrocchio (1436—1496) . . 3.
Botticelli (1446—1510) ... 3.
Ghirlandajo (1449—1494) . . 2.
Donatello (1386—1466) ... 3.
Pinturicchio (1454—1513) . . 4.
Mantegna (1431—1506) . . 3.
Leonardo da Vinci (1452—
tSi 9 ). 3 -
Michelangelo (1475—1564) . 3.
Raffael (1483—1520). ... 3.
Correggio (1494—1534). . . 3 -
Ti*i»n ( 1476 / 77 — 1576 ) ... 3-
Tintoretto (1518—1594) . . 4.
Veronese (1528—1588)... 3.
Dürer (1471—1528) .... 3.
Holbein d.j. (1497—1543) . 4
Jeder
Band ist in
sich abge¬
schlossen
und
Goldschnitt.
~ Rembrandt (1606/7—1669) . 3.—
— Terborch (1617—1681) und
— Jan Steen (1626—1679 . . 3. —
van Ostade, Adriaen (1610—
— 1685) und Iaack( 1621-1649) 3.—
— Watteau (1684—1721 ... 3.—
— Chodowiecki (1726—1801) . 3.—
— 111. Kunst des 19. Jahrhunderts.
11. Knust des 17. n. 18. Jahrhunderts.
Tiepolo (1696—1770) . .
Rubens (1577—1640) . .
Velazquez (1599—1660).
Murillo (1617—1682) . .
van Dyck (1599—1641).
Teniers d.j. (1610—1690)
Frans Hals (1580—1666)
Canova (1757—1822) . . . . 3.—
Thorwaldsen (1770—1844) . 3. —
Phüipp Veit (1793—1877) . . 3. —
Schinkel (1781—1841) . . . 3. —
Rethel (1816—1859 .... 3.—
M. v. Schwind 1804—1871). 3.—
Hokusai (1760—1849) ... 4.—
Millet (1814-187 5) u. Rousseau
(1812—1867).4.—
Ludwig Richter (1803—1884) 4, —
Fr. PreUer (1804—1878) . . . 4. —
Menzel (geh. 1815).3. —
mographien
Vautier (1829—1898) .... 3.
Knaus (geb. 1829). 3 -
E. v. Gebhardt (geb. 1838) . . 3.
Herkomer (geb. 1849) ... 4.
M. v. Munkacsy (1846—1900) 3.
Leibi (1844 —1900).3.
, Reinhold Begas (geb. 1831). 3.
1 Bume-Jones (geb. 1833) . . 4.
| Walter Crane (geb. 1845) • • 4 -
I Defregger (geb. 1835) ... 4,
I Grützner (geb. 1846) .... 3.
I Gysis (1842—1901) .... 4.
Adolf Hildebrand (geb. 1847) 3.
| Lenbach (geb. 1836) .... 4.
F. A. v. Kaulbach (geb. 1850) 4.
! A. v. Werner (geb. 1843) . . 4.
| Wereschtschagin (geb. 1842) 3.
Liebermann (geb. 1847)... 3.
Koner (geb. 1854).3.
Prell (geb. 1854).3.
Klinger (geb. 1857).4.
Uhde (geb. 1848).4.
Stuck (geb. 1863).4.
Thomm (geb. 1839)...... 4.
Eberlein (geb. 1847) .... 3.
Hans von Bartels (geb. 1856) 5.
Mackensen (geb. 1866) VǤ
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der Bibliophilen und Abonnenten der Z. f. B. nur 25 Pf.).
Beilage-Gebühr 40 Mark. — Schluß für die Anzeigenannahme jedes Heftes am 10. des vorhergehenden Monats.
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Uhlandstr. 33 (Sommer: Spiegelberg bei Topper, Rgbz. Frankfurt a. O.J.
Anzeigen an die Verlagshandlung: Velhagen £3 Kinsing, Abteilung für Inserate, Leipzig , Hospitalstr. 37.
Gesellschaft der Bibliophilen.
Seit dem Januar dieses Jahres haben sich die in Leipzig wohnenden Mitglieder unsrer
Gesellschaft zu einem Bibliophilen-Abend vereinigt. In den Monaten Oktober bis Mai sollen
diese Zusammenkünfte regelmäßig am ersten Dienstag stattfinden; sie zählen bereits fünfzig
ständige Teilnehmer. In zwangloser Form wurden, unter Leitung des stellvertretenden Vor¬
sitzenden unsrer Gesellschaft, Mitteilungen aus dem weiten Gebiete der Bibliophilie geboten:
über Fragen aus der Geschichte des ältesten Buchdrucks (Herr Burger , Bibliothekar des Börsen¬
vereins), über hervorragende neue französische, englische und holländische Erscheinungen (Herr
Dr. Tönnies , Direktor des Buchgewerbemuseums), eine glänzende Rops-Sammlung (Herr Adolf
Weigel), japanische Drucke (Herr Professor Dr . IVilkowski), die hervorragendsten Stücke der
Sammlung Kürschners (Herr Nebenhay ), eine auserlesene Kollektion von Exlibris (deutscher
Exlibris-Verein), mikroskopische Drucke (Herr Adolf Weigel) und vieles andere. Ein Abend
wurde durch eine anregende Diskussion über die Ausstattung unserer Klassikerausgaben (Referent
Herr Ernst Wiegandf) ausgefüllt.
Die Zusammenkünfte boten eine Fülle des Interessanten und gewährten den Teilnehmern
reiche Anregung und Belehrung, zumal durch die Gelegenheit zum Austausch von privaten
Mitteilungen und Erfahrungen der einzelnen Sammler. Auch für die so wünschenswerte
Vermehrung der Mitgliederzahl unsrer Gesellschaft erweist sich die gesellige Vereinigung
überaus erfolgreich.
So haben sich diese Bibliophilen-Abende bereits in den ersten fünf Monaten ihres Bestehens
als eine nützliche und erfreuliche Einrichtung bewährt, und es kann unsem Mitgliedern an
andern Orten, wo ihrer eine größere Zahl vorhanden ist, nur dringend empfohlen werden, dem
Beispiel der alten Buchhandelstadt Leipzig zu folgen.
Der Vorstand.
Z. f. B. 1904/1905. 3. Beiblatt.
— 1 —
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Beiblatt.
(Rundfragen — Rundschau der Presse.)
Rundfragen.
An dieser Stelle kommen die aus den Kreisen der Gesellschaft der Bibliophilen und der Leser der Zeitschrift
für Bücherfreunde eintreffenden Anfragen, sowie die Antworten darauf zum Abdruck. Einsendungen für diese
Rubrik an: Arthur L. Jellinek in Wien Vif Kirchengasse
Fragen.
135. Wo wurde bereits über Wesen und Geschichte
der Vaudevilles wissenschaftlich gehandelt?
R. Klemt, Paris.
136. Wer besitzt eine Ausgabe von K. E. Schubert,
Inkle und Yariko, Singspiel nach dem Französischen.
Cassel 1798? Nach Goedeke [V 2 , S. 255] ist das Stück
auch enthalten in: K. E. Schubert, Schauspiele mit
Gesängen. Breslau 1779. E. Kreisler , Wien.
137. a) Ist eine Zusammenstellung der einst zur
Bibliothek des Bastards Anton von Burgund gehörigen
Bücher versucht worden?
137. b) Wer beschäftigt sich mit burgundischen
Handschriften des XV. Jahrhunderts?
Julius Braun, Breslau.
138. Wer kann ein Porträt der Dichterin Luise
Brachmann nachweisen? Die Familie derselben be¬
sitzt keines. Dr. Junge, Weißenfels.
139. Welche Literatur gibt es über die Sage der
Königin Semiramis? Dr. Gertrude 2?., Dresden.
140. Wo finden sich (ernste) Mitteilungen, Auf¬
sätze, Kataloge u. dgl. über das sog. Geheime Kabinet
in Neapel. K. Freund, Wien.
Antworten.
131. Franz Xaver Gewey , geb. 14. April 1764 in
Wien als Sohn des Universitäts-Syndikus, studierte
mit Ratschky im Löwenburgischen Konvikt, veran¬
staltete im Verein mit Perinet im Herbst 1782 im
Theater am Neustift „Zum weißen Fasan“ Studenten-
Vorstellungen, die Fr. Ludwig Schröders Beifall er¬
hielten. Schröder gewann ihn auch ganz für die Bühnen¬
schriftstellerei. Er starb in Wien als Kanzlist der
Hofkanzlei am 18. Oktober 1819.
a) Theater-Zeitung 1819, No. 131.
b) Gräffer, Kleine Wiener Memoiren III, S. 23 und
Neue Wiener Tabletten S. 57, 271.
c) Castellis Memoiren 1864, 3, S. 216.
d) Wurzbach 5, S. 164 f.
e) Ein Wiener Stammbuch 1898. S. 112 (E. Homer).
Dr. E . Homer, Wien.
Geweys Schauspiel „Der seltsame [od. seltene?]
Prozeß“, Anekdote in 3 Akten, wurde aufgeführt im
Theater an der Wien am 22. Oktober /So/, ein 2. Teil
25. Oktober 1809. Gedruckt wurde das Stück in
Leipzig bei Joachim, der 2. Teil in Wien bei Wallis¬
hauser 1802. Siehe Voll, Verzeichnis der Schauspiele
in Wien, Fembach, Theaterfreund, Brümmer, Lexikon I,
S. 141. A.L.J.
139. Über die Sage der Semiramis: Fr.Lenormant,
La legende de Semiramis. Memoire de mythologie
comparative. Paris 1872. — F. Liebrecht, Philologies
XXIV, S. 180 ff. — Meier, Zeitschr. f. deutsche Philo-
logie XXIV. S. 397. — W. Hertz, Zeitschr. f deutsches
Altertum XXVII, S. 12 f. — M. Chalansky, Rußki,
Philolog. Vjestnik XI (1884), S. 233—245. — C. F.
Lehmann, Beiträge zur alten Geschichte . 1901. I,
S. 256—281, der das Verhältnis der Sage zur Geschichte
untersucht A. L. J .
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Von Arthur L. Jellinek in Wien.
Die nachfolgende Übersicht versucht, die in Tagesblättern, Wochen- und Monatsschriften enthaltenen Aufsätze und Abhandlungen»
soweit sie für die Leser unserer Zeitschrift in Betracht kommen, in sachlicher Anordnung zu verzeichnen. Nur das Wichtigere aus den Ver¬
öffentlichungen der letzten Monate kann berücksichtigt werden. Absolute Vollständigkeit zu erreichen liegt für den einzelnen Bearbeiter
außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Die Zeitschriften sind nach Bänden, Jahrgängen, Heften oder Seiten, je nach der leichteren Auf-
findbarkeit, citiert Gleichmäßigkeit ist hierin nicht angestrebt Zusendung von Separatabdrücken und Ausschnitten an die Adresse des
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S. 179—182.
Eckardt, J. H., Anfeindungen des Buchhandels in
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Beiblatt.
(Von den Auktionen.)
Von den Auktionen.
Am 19. und 20. Mai fand in Leo Liepmannssohns
Antiquariat, Berlin, Bernburgerstraße 14, unter sehr
starker Beteiligung aus Sammler- und Händlerkreisen
die Versteigerung einer ungewöhnlich reichhaltigen und
interessanten Autographensammlung statt Die er¬
zielten Preise waren durchschnittlich normal. Wurden
auch manche besonders hervorragende Stücke durch
den Sammlerehrgeiz in die Höhe getrieben, so bot sich
dafür bei andern Nummern wieder günstige Gelegen¬
heit zu billigem Kauf, ln Folgendem geben wir eine
kleine Auslese aus den erzielten Preisen: No. 50 .Königin
Luise, eigenhändiger Brief mit Unterschrift, 3 x / 2 Seiten.
8°. M. 205. No. 64: Kaiser Friedrich, eigenhändiger
Brief mit Unterschrift (aus dem Jahre 1879) an Man-
teuffei, 3^/ 4 Seiten gr. 4°, inhaltlich sehr bedeutend, M. 200.
No. 196 und 197: Schill, 2 interessante, auf sein Frei¬
korps bezügliche Briefe von je 3 Seiten folio, zusammen
M. 200. No. 515: Nietzsche , L. a. s., 4 Seiten, an Karl
Fuchs, M. 160. No. 516: Derselbe, L. a. s., 4 Seiten,
M. 100. No. 517: Derselbe, L. a. s., 3 Seiten, M. 105.
No. 457: Richard Wagner, sehr merkwürdiger eigen¬
händiger Brief aus dem Jahre 1848, mit Vorschlägen
zur Lösung der politischen Verwickelungen, 1 3 / 4 Seiten
gr. 4°. M. 320. No. 655: Grillparzer, L. a. s., x Seite
gr.4 0 mit Adresse an den Schauspieler Laroche, M.160.
No. 709: Gottfried Keller , L. a. s., 2 Seiten gr. 8°. M. 50.
No. 7 co: Derselbe, L. a. s., 3 x / 2 Seiten gr. 8°. M. 104.
No. 722: Theodor Körner, eigenhändiges Manuskript
mit Namen, 27 Seiten 4°, ungedruckt, von Körner mit
16 Jahren geschrieben, M. 151. No. 745: Conrad Ferd.
Meyer, L. a. s., 4 Seiten und 2 Visitenkarten mit 12
eigenhändigen Zeilen, M.31. No. 750: Derselbe, L. a. s.,
4 Seiten und 1 Postkarte, M. 30. No. 753: Derselbe,
2 L.a.s. von zusammen 5 Seiten, M.30. No. 829: Goethe,
eigenhändiges Gedicht, 12 Zeilen und Unterschrift, an
den Landschaftsmaler Roesel, M.310. No. 836: Schiller,
eigenhändiges Manuskript aus dem Plan au den „Mal¬
tesern“, 2 enggeschriebene Seiten 4 0 . M.605. No. 968:
Beethoven, eigenhändiges Musikmanuskript, 4 Seiten
qu.-folio, aus der frühen Wiener Zeit (gegen 1795) mit
Studien verschiedener Art, M.940. No. 970: Derselbe,
eigenhändiges Musikmanuskript, 1 Blatt qu.folio, Skizzen
zu den „Ruinen von Athen“, M. 100. No. 976: Brahms,
eigenhändiges Musikmanuskript, 2 Seiten qu.-fol. M. 505.
No. 982: Chopin, eigenhändiges Musikmanuskript (Ma¬
zurka), M. 600. No. 1009: Liszt, eigenhändiges Musik¬
manuskript (Der 18. Psalm), 20 Seiten gr. folio, M. 280.
No. 1028: Schubert , eigenhändiges Musikmanuskript,
3 Lieder für eine Singstimme mit Pianofortebegleitung,
14 Seiten qu. fol. M. 901. No. 404: Luther, eigen¬
händiger Brief mit voller Unterschrift lateinisch, an
Christoph Langenmantel in Augsburg, 1 Seite folio,
mit eigenhändiger Adresse und Siegel, M. 1680.
—n.
Am 22. April versteigerte Sotheby in London eine
Reihe von Thackeray-Reliquien: Zeichnungen Thacke-
rays, ehemals das Eigentum seines Schulkameraden und
lebenslänglichen Freundes J. F. Boyes, 1600 M.; ein
Thackeray von seinen Freunden geschenktes silbernes
Tintenfaß, 1020 M.; eine silberne Punschbowle, ge¬
widmet von den Verlegern des „Pendennis“ und „Va-
nity Fair“, 2000 M. Anderweitige Objekte erreichten
folgende Preise: Shakespeares autographische Namens¬
zeichnung in dem Buche eines seiner Zeitgenossen,
des Mr. Thomas Bragge, 1600 M. Da nur vier bis
fünf wirklich echte Unterschriften Shakespeares be¬
kannt sind, so würde der bewilligte Preis ein viel
höherer gewesen sein, wenn die Autenthizität über
jeden Zweifel erhaben hätte bewiesen werden können.
Der Käufer war Mr. A. Jackson. „Englands Helicon“,
von John Bodenham, erste Ausgabe, 1600, von dem nur
wenige Exemplare bekannt sind, enthaltend Gedichte
von Shakespeare, Spencer u. a. 1600 M. (Quaritch);
die „vierte Shakespeare Ausgabe“, Folio, in guter Ver¬
fassung, 1580 M. (Maggs); „Vindication of Natural
Diet“, ein philosophisches Gedicht von Shelley, sehr
selten, 1660 M. (Atkinson).
Am 23. April verauktionierte dieselbe Firma den
Rest mehrerer Bibliotheken, deren Verkauf sechs Tage
in Anspruch genommen und rund einen Erlös von
240000 M. eingebracht hat Die wichtigste Nummer
in der Auktion bestand in einem Exemplar des „Second
Part of Henrie the Fourth, written by William Shake¬
speare“, 1600, erste Quart-Ausgabe und äußerst selten.
Das Stück besteht aus 43 Blättern incl. Titel, in guter
Verfassung, obgleich der Titel etwas verblaßt und das
letzte Blatt ausgebessert ist Mr. Stevens kaufte das
Werk für 20,700 M. Aljer Wahrscheinlichkeit wird es
nach Amerika gehen. Die genannte Summe stellt den
höchsten Preis dar, der je für eine derartige Quart-
Ausgabe bezahlt wurde. Im April 1899 erzielte ein
Exemplar von „King John“, 1591 gedruckt, 10,200 M. ;
1901 ein Exemplar von „Titus Andronicus“, 1611,
12,400 M. Das Roxburghe-Exemplar von „Henrie the
Fourth“ kam 1812 auf nur 44 M. Heber besaß zwei
Exemplare derselben Ausgabe, die mit 192 M. resp. mit
800 M. bezahlt wurden.
Ein anderes interessantes und mit 12,400 M. von
Quaritch erstandenes Werk ist „LOeuvre d'Antoine
Watteau, peintre du Roy“, ungefähr 1735 heraus¬
gekommen, 2 Foliobände mit 273 Stichen. Im Jahre
1901 wurde ein Exemplar desselben Werkes höher,
d. h. mit 13,300 M. bezahlt.
Das begehrteste Objekt in der gleichfalls ver¬
auktionierten Thorpe-Bibliothek bestand in dem
Original-Haftbefehl, durch den John Bunyan am
15. März 1674 dem Bedford-Gefängnis überliefert wurde
und woselbst er sein so berühmt gewordenes Buch
„The Pilgrim’s Progress“ begann. Der Haftbefehl ist
von dreizehn Richtern unterzeichnet, unter denen
sechs Baronets sind. Das Papier befand sich ca.
200 Jahre in dem Besitz der Familie Chauncy; dies
Dokument wurde kürzlich bei einer Auktion so voll¬
ständig übersehen, daß Mr. Thorpe es für 40 M. an¬
kaufen konnte. Mr. Quaritch zahlte 6100 M.
„De imitatione Christi“ des Thomas a Kempis,
ca. 1471 von Zainer gedruckt, erste Ausgabe, intakt,
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Beiblatt.
1800 M.(Pickering); Biblia, Wittenberg, Hans Luft, 1541»
ein von Martin Luther benutztes Exemplar, Stellen von
St. Johannis in der Handschrift des Reformators,
680 M. (Lyle); George Hibberts ähnliches und jetzt
im British Museum befindliches Exemplar, erzielte
früher 6340 M. Die erste Folio-Ausgabe Shakespeares
mit mehreren Blättern in Faksimile und drei Blättern
aus der Folio-Ausgabe von 1632, erwarb Mr. Sotheran
Für 3620 M.
Ein Band, enthaltend fünf Traktate, seiner Zeit in
der Bibliothek von Edmund Spencer befindlich, dann
1578 von letzterem an Gabriel Harvey geschenkt,
2040 M. (Sabin); Caxtons „The Ryal Book, or Book
for a King“, ein Werk, von dem nur fünf Exemplare
bekannt sind .unvollständig insofern, als elf Blätter durch
Faksimile ersetzt und Fünf ausgebessert sind, 5900 M.
(Brooke); „Vitas Patrum“, die seltene Ausgabe mit
gotischen Buchstaben, übersetzt aus dem Französischen
ins Englische von Caxton, 1495, einer ^ er besten Drucke
Wynkyn de Wördes, 3020 M. (Quaritch); Heinrich VIII.
„Assertio Septem Sacramentorum ad versus Martinum
Lutherum“, 1521, des Erzbischofs Cranmer Exemplar,
seine autographische Namensunterschrift enthaltend,
1800 M. (Quaritch); der Originalkontrakt zwischen
Jacob Tonson und John Dryden, betreffend die Über¬
setzung Virgils, 420 M. (Quaritch); Ben Jonsons
„His part of King James .... His Honorable cities of
London the 15. of March 1603“, 2320 M. (Quaritch);
Bien Jonsons „Chloridia. 1630“, selten und
vielleicht einzig in diesem Zustande der Erhaltung,
3000 M. (Quaritch); John Marstons „Wat you will“,
1607, sehr selten, 2300 M. (Quaritch). George Chap-
mans „The Widdowes Teares“, 1612, erstand Mr.
Quaritch Für 2120 M. und „The Return from Pamassus
or the Scourge of Simony“, 1616 Für 2120 M.
Am 3. Mai verauktionierte Sotheby eine kleinere
Sammlung wertvoller Bücher und Manuskripte, ver¬
sehen mit Miniaturen und reichen Illuminationen. Ein
Manuskript aus dem Beginn des XVI. Jahrhunderts
„Horae Beatae Mariae Virginis“, 130 Seiten mit 17 voll¬
seitigen Miniaturen und schönen Randverzierungen,
angefertigt in Frankreich von Nicolas Rosex, genannt
Nicolas von Modena, bekannt als hervorragender
Kupferstecher, 14,400 M. (Quaritch); ein künstlerisch
mit 12 Miniaturen ausgestattetes Manuskript aus dem
XIV. Jahrhundert, anglo-französischen Ursprungs,
illuminiert in rot, blau und gold auf schachbrett¬
förmigem Grund, 5000 M. (Quaritch); eine aus dem
Jahre 1480 stammende Bilderhandschrift, französisch,
mit 25 guten Miniaturen und 133 Blättern, mit Rand¬
leisten dekoriert, 3600 M. (Quaritch); ein anderes
Manuskript aus dem Jahre 1490, flämisch, zwei Minia¬
turen und sämtliche 290 Blätter mit illuminierten Rand¬
leisten, 1420 M. (Leighton); eine anglo-französische
Handschrift aus dem Beginn des XV. Jahrhunderts,
192 Blätter mit 13 schönen Miniaturen, 2600 M.
(Quaritch); ein aus dem Jahre 1489 herrührendes,
durch 22 prachtvolle Miniaturen dekoriertes hollän*
disches Manuskript, 2800 M. (Allsop); „Psalterium cum
(Von den Auktionen.)
Canticis“, Manuskript aus dem Jahre 1480, schön illu¬
miniert und einige vollseitige Miniaturen, 1820 M.
(Quaritch); „Officia cum Calendario“, französische
Handschrift aus dem XV. Jahrhundert mit 7 kleinen
Miniaturen, 1220 M. (Leighton); Thomas a Kempis
„Libellus Consolatorius“, 1471, editio princeps 1700 M.
(Monckton). —
Ein Teü der wertvollen Bibliothek des Mr. J. W.
Ford wurde am 7. bis 9. Mai von Sotheby in einer
dreitägigen Auktion verkauft. Die bedeutendsten Ob¬
jekte und die dafür gezahlten Preise waren folgende:
T. Bewick „A general History of Quadrupeds“, 1790,
erste Ausgabe, besonders schön ausgestattet und in
einer Erhaltung wie nur noch etwa zwei Exemplare
bekannt sind, 1020 M. (Stevens); Dresser „History of
the birds of Europe“, 1871—96, mit 700 kolorierten
Stichen, 1080 M. (Hopkins). Unter den verauktionierten
Autographen sind die bemerkenswertesten: Ein bisher
nicht veröffentlichter Brief von Oliver Goldsmith an
seinen Onkel mit der Bitte um 20 £ Stl, 1120 M.
(Robson); ein aus dem Jahre 1764 datierter und an
Mr. John Dodesley gerichteter Brief Goldsmiths, eine
Quartseite, enthaltend die Bitte um einen Vorschuß
von 10 Guineen mit dem Versprechen, die bereits fällige
Arbeit bald abliefern zu wollen, 520 M. (Stevens);
„Imprese illustricon espositione et Discorsi del ser
Jeronimo Ruscelli“, Venedig, 1566, aus der Bibliothek
Königs Jacob VI. von Schottland, prachtvoll gebunden,
1500 M. (Mac Martin); Jacque le Moyne, dit le Mor-
gues „La Clef des Champs“, 1586, ein äußerst seltenes
Buch, von dem nur ein Exemplar bekannt ist und zwar
im British Museum, aber unvollständig,610 M.(Quaritch)
„The grete Herball“, 1526 gedruckt, 810 M. (Quaritch);
Alexander Pope „The Dunciad“, erste Ausgabe, zuerst
in Dublin, dann 1728 in London gedruckt, 1000 M.
(Sampson); G. Tuberville „The Booke of Faulconerie“,
1575, erste Ausgabe, 800 M. (Sotheran).
Die Mitte Mai bei Sotheby in London abgehaltene
Auktion von Autographen enthielt namentlich einen von
Lord Nelson an Lady Hamüton geschriebenen Brief,
der schließlich nach einem scharfen Wettbewerb von
Mr. Hamilton Für 20600 Mark erworben wurde. Das
Interesse Für das Dokument war deshalb ein so hohes,
weü man annimmt, daß dies der letzte vollständige
Brief Nelsons an Lady Hamilton war. Ein unvoll¬
endetes, in seiner Kajüte gefundenes Schreiben an
diese Dame befindet sich im Besitz des British Museum.
Seiner Eigentümlichkeit wegen erscheint es angezeigt,
den Hauptinhalt im englischen Originaltext wiederzu¬
geben. Derselbe lautet wie folgt: „I am anxious to
join the fleet, for it would add to my grief if any other
man was to give them the Nelson touch, which we say
is warranted never to faü. I have read my Emma
with much interest your letters which I got at Merton,
but I must have many others afioat. I do feel by my-
self; what you must have feit at not hearing from me
from Jan. 29 to after May 18I fancied that they had
been stopt by the Admiralty on the account of Sir
John's Orders.“ ... „I mention all these circumstances
— 7 —
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Beiblatt.
(Von den Auktionen — Kataloge.)
that my dearest Emma should never think that her
Nelson neglects or forgets her for one moment No,
I can truly say, you are always present where so ere
I go. I have this letter ready in case 1 should fall in
with anything from Lisbon homewards steering May
God bless you my best my only beloved, and with my
wärmest affections to H oratio be assured I am for ever
your most faithful and affectionate. . . . Der oben
angegebene Name des Erwerbers „Hamilton“ ist jeden¬
falls ein pseudonymer und der eines bis jetzt nicht be¬
kannten Sammlers oder Händlers. Einen sehr inter¬
essanten Brief Wellingtons, datiert den 19. Juni 1815,
und am Morgen um 4 Uhr nach der Schlacht ge¬
schrieben, adressiert an seinen Privatsekretär, Sir
Charles Flint in Brüssel, zw ei und eine halbe Oktavseite,
in dem es unter anderm heißt: „What do you think
of the total defeat of Buonaparte by the British Army?“
erstand gleichfalls Mr. Hamilton und zwar für 2020 M.
Es braucht wohl kaum hinzugefügt werden, daß auch
dieser BriefWellingtons die von der gesamten britischen
Nation mit einer verschwindend kleinen Ausnahme
geteilte Ansicht vertritt, daß das englische Heer
allein die Schlacht von Waterloo gewonnen habe.
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Eine umfassendere, von reichem Bilderschmuck begleitete Würdigung unseres großen
I Meisters Arnold Böcklin fehlte bisher vollständig. Zum ersten Male wird in der Monographie,
welche diese Zeilen ankündigen sollen, beides vereinigt: eine gründliche, auf eingehenden
Studien fußende Darstellung des Lebens und des künstlerischen Werkes von Arnold Böcklin und,
was gerade für das Verständnis seiner Eigenart dringend geboten erscheinen mußte, die Begleitung
dieses Textes, den Fritz von Ostini schrieb, durch ausgezeichnete Reproduktionen seiner hervor¬
ragendsten Gemälde . Nicht weniger als 104 Abbildungen bringt der Band nach den jetzt über
alle Welt verstreuten Bildern des großen Schweizers, nach Studien und Zeichnungen; mit land¬
schaftlichen Jugendschöpfungen des Zwanzigjährigen, der sich grad mit Mühe und Sorge die
Erlaubnis zum Eintritt in die Düsseldorfer Akademie erkämpft hatte und noch stark unter dem
Einfluß des trefflichen Schirmer stand, hebt die Illustration an, und sie schließt mit Werken der
letzten Zeit, in der Böcklin endlich — endlich! — zur allgemeinen Anerkennung gelangt war.
So entrollen Text und Büd vor uns ein Künstlerleben, das in unserer Zeit völlig einzigartig ist:
ein Leben ganz erfüllt von ewigen Kämpfen und ewigem Ringen, nicht zuletzt gerade deshalb
unermeßlich reich, und dennoch durchsetzt von Enttäuschungen und Bitternissen, die nur ein
Mann, der auch als Mensch groß war, überwinden konnte. All sein Lebtag ist Böckling
eigentlich auf Dornenpfaden gewandelt. In seiner Pariser Studienzeit hat er mit seinem Freunde
Koller zusammen gehungert, das Glück seiner jungen Ehe wurde ihm durch die peinlichsten
Sorgen vergällt, nirgendwo konnte er festen Fuß fassen, nirgendwo schätzte man seine Eigenart,
nirgendwo fand er volle Anerkennung. Sechzig Jahre war der Meister alt, als endlich die
Wandelung eintrat, als man ihn recht zu ehren, dann zu bewundern begann, schließlich vielleicht
auch zu vergöttern über alles Maß und Ziel hinaus. Und als so der Ruhm zu ihm kam, da
waren es schwere Sorgen in der Familie, die ihm den Vollgenuß verbitterten. Erst wenn man
das alles weiß, vermag man die wunderbare Fülle, den unvergleichlichen Reichtum seines
Schaffens, vermag man die Tiefe des Gemüts, die aus seinen Werken zu uns spricht, recht zu
würdigen. Denn er, der größte Maltechniker unserer Zeit, war ein Poet von Gottes Gnaden,
seine besten Werke sind nichts als in Farben umgesetzte Gedichte von grandiosem Schwung.
Tiefernst, wie seine „Toteninsel", seine „Pieta“, von sonnigster Helle, wie seine „Insel der
Seligen", märchenhaft, wie sein „Schweigen im Walde", phantastisch, wie seine „Najaden" oder
seine „Kentauren". Und noch eins: in Italien ist er groß geworden, in Italien ist er gestorben
und aus der Antike hat er geschöpft — im Kern seines Wesens und seiner Kunst aber blieb
er ein deutscher Mann. So deutsch, daß man ihn z. B. in Frankreich bis heute nicht verstanden
hat Darum aber ist Arnold Böcklin uns so wert und wird uns wert bleiben, für alle Zeiten,
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x / 4 Seite.15 Mark.
Vs Seite.8 Mark.
Kleine Anzeigen (Desiderata und Angebote): die gespaltene Petit-Zeile 50 Pf. (für Mitglieder der Gesellschaft
der Bibliophilen und Abonnenten der Z. f. B. nur 25 Pf.).
Beilage-Gebühr 40 Mark. — Schluß für die Anzeigenannahme jedes Heftes am io. des vorhergehenden Monats.
Redaktionellt Sendungen: Manuskripte. Böcher. Kataloge etc. ge ft. au richten an den Herausgeber: Fedor von Zobtltitz, Berlin W. 15.
Unlandstr. 31 (Sommert Spiegelberg bei Topper. Rgbs. Frankfurt a. O.).
Anzeigen an die Verlagshandlung: Felhagen & Kinsing, Abteilung für Inserate, Leipzig , Hospitalstr. 27.
Gesellschaft der Bibliophilen.
Als neue Mitglieder sind in der Zeit vom 15. März bis 15. Juni 1904 der Gesellschaft beigetreten:
739. Dr. phil. Victor Manheimer, Göttingen, Nikolausberger-
weg 491-
740. Frau Dr. Clara Schilling - Reif, Erlangen, Bismarck¬
straße 281L
741. Carl Er gang, Ingenieur, Magdeburg, Spielgarten¬
straße 2 !•
742. Stadtbibliothek , Bromberg, Danzigerstr. 19.
743. Dr. H. N. Antoine-Feilt, Rechtsanwalt, Hamburg,
Börsenhaus, Adolphsbrücke 4.
744. Dr. med. Edmond Förster, Halle a. S., Psychiatrische
Klinik.
745. Dr. Paul Trommsdorff , Königl. Bibliothekar, Char¬
lottenburg 2, Goethestr. 87.
746. Wilhelm Julius Klink har dt , Verlagsbuchhändler,
Leipzig, Liebigstr. 6.
747. Fräulein Hedwig Leistikow, Assistentin an der Stadt¬
bibliothek, Bromberg, Danzigerstr. 31.
748. L. Sluzewski, Buchhändler (L F. E. Bote & G. Bock),
Posen.
749. Stadtbibliothek, , Stettin, Klosterstr. I.
750. Richard Löffler , Buchhändler, Leipzig, Seeburgstr. 45.
751. Erich Reiss, Berlin W. 62, Wichmannstr. 8al-
752. Richard Kosson, Buchhändler (i. H. Friedrich Vieweg
& Sohn), Braunschweig.
753. Albert Wesselski, Steiermark. Landes-Ingenieur, Graz,
Landhaus.
Die Mitgliederzahl betrug demnach am 15. Juni 1904: 753.
Die Versendung des V. Jahrbuchs der Gesellschaft für 1903 erfolgt im Laufe des Juli.
Weimar, Wörthstr. ao. Der Vorstand
L A.: Dr. C. Schüddekopf.
Rundfragen.
An dieser Stelle kommen die aus den Kreisen der Gesellschaft der Bibliophilen und der Leser der Zeitschrift
für Bücherfreunde eintreffenden Anfragen, sowie die Antworten darauf zum Abdruck. Einsendungen für diese
Rubrik an: Arthur L. Jelünek in Wien VII, Kirchengasse 35.
Prägen.
141. Welche Bibliothek besitzt die im Jahre 1768
erschienene älteste deutsche Übersetzung von Gold¬
smiths Landprediger? Leo Reidel , Prag.
142. Wo gibt es literarische oder archivalische
Quellen über die namentlich im XVIII. Jahrhundert
und speziell in Leipzig bestandenen interessanten Be¬
ziehungen zwischen Buchdruckern und Studenten?
Dr. H. Uehlin, Leipzig.
143. Welche dramatischen Bearbeitungen der Stoffe
Z. f. B. 1904/1905. 4. Beiblatt —
a) Korfiz Uhlfel dt, b) Nero, c) Prinz Eugen, d) Ludwig
der Bayer, e) General York sind bekannt?
IV. Kosch , Prag Weinberge.
Antworten.
109. Giordano Bruno in der Dichtung: a) Leopold
Schefer , Göttliche Komödie in Rom. (Novelle) 1843.
b) Adolf Stern, Die letzten Humanisten. (Roman) 1881.
c) Adolf Wilbrandt, Giordano Bruno. Trauerspiel 1874.
Dr. Hermann Ullrich , Brandenburg a. H.
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Beiblatt
(Rundfragen — Rundschau der Presse.)
130. Eine neue Ausgabe von Bonaventuras „Nacht¬
wachen“, die ich mit Einleitung und Anmerkungen
versehen habe, wird in einigen Monaten in B. Behrs
Verlag, Berlin, erscheinen.
Dr. Hermann Michel , Berlin.
142. Über die Beziehungen der Studenten zum
Buchhandel im allgemeinen zahlreiche Angaben im
„Archiv für Geschichte des Buchhandels“. Leipzig,
besonders I, 33; IV, S. 16, 17; VI, S. 11, 46, 51; VIII,
S. 52 f. ; X, 230, 231; XIV, 122 ff. A. L.J.
143. b) Über Nero-Dramen: Paludan , Zeitschrift für
deutsche Philologie XXV, S. 341; Reinhardstoettner,
Jahrbuch für Münchener Geschichte III, S. 302, Erich
Schmidt , Zeitschr. f. deutsches Altertum XXIV, S. 85;
J. Bolte , Danziger Theater 1895, S. 29, 145 f.; E. Rod ,
Revue des deux Mondes 1901, LXXI, 4, S. 219—38;
f.Engel, Preußische Jahrbücher 1901, CV, S. 468—487.
c) B. G. Wetterstrand, Graf Eugenius Sp. Jena 1807;
Prechtler, Prinz Eugen. 1846; M. Greif, Prinz Eugen.
1880; F. Zehender, Prinz Eugen in Reutlingen. Frauen¬
feld 1888.
d) /. N. Lengenfelder , 1780; Uhland , 1819; A. v.
Ar et in, 1870; K. W. Voigt, 1837; K. Nissel, 1859;
P. Heyse , 1859; H. Rüstige , 1860; M. Greif, 1891.
e) E. Wiehert, 1858; O. F. Gensichen , 1881; E. Wolff,
1873; H. Blum, 1884. A. L. Jellinek.
Rundschau der Presse.
Von Arthur L. Jellinek in Wien.
Die nachfolgende Übersicht versucht die in Tagesblättern. Wochen- und Monatsschriften enthaltenen Aufsätze und Abhandlungen,
soweit sie für die Leser unserer Zeitschrift in Betracht kommen, in sackKcJur Anordnung zu verzeichnen. Nur das Wichtigere aus den Ver¬
öffentlichungen der letzten Monate kann berücksichtigt werden. Absolute Vollständigkeit zu erreichen liegt für den einzelnen Bearbeiter
außerhalb des Bereiches der Möglichkeit Die Zeitschriften sind nach Bänden. Jahrgängen. Heften oder Seiten, je nach der leichteren Auf-
findbarkeit, citiert Gleichmäßigkeit ist hierin nicht angestrebt. Zusendung von SeparatabdrOcken und Ausschnitten an die Adresse des
Bearbeiters (Wien VII, Kirchengasse 35) erbeten.
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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
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Von den Auktionen.
Die Auktion Kürschner.
Für die bücherliebenden Kreise brachten die letzten
Tage des Mai und des Anfangs Juni eine Auktion von
ungewöhnlichem Interesse: die Versteigerung der
schönen und wertvollen Sammlungen des am 29. Juni
1902 jäh aus dem Leben geschiedenen Geheimen
Hofrats Professors Joseph Kürschner in Eisenach. Für
die Leser dieser Zeitschrift ist Kürschner kein Fremder.
Eine so markante und in der deutschen literarischen
Welt so bekannte Persönlichkeit bedarf keiner bio¬
graphischen Skizzierung. An Kürschner konnte keiner,
der sich mit deutscher Literatur beschäftigt, vorüber¬
gehen. Wer aber ein sonderliches Interesse für den
eigenartigen Lebensgang und das charakteristische
Hineinwachsen seiner Persönlichkeit in seine Lebens¬
aufgaben hat, der möge das treffliche Vorwort des
Professors Dr. A. Sauer in Prag lesen, des dem Auk¬
tionskataloge der Firma C. G. Boemer in Leipzig
vorausgeschickt ist. Selten ist ein Selfmademan, wie
es doch Kürschner zweifellos gewesen, von einem
Gelehrten so scharf Umrissen gezeichnet und sind seine
Bestrebungen so warm anerkannt worden, wie dies an
bezeichneter Stelle geschehen ist; die Vorrede Sauers
ist von treuer Freundschaft diktiert.
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Wem es vergönnt gewesen ist, die Räume zu be¬
treten, in denen Kürschner die letzten Jahre seiner er¬
folgreichen Tätigkeit verbracht hat, dem wird deutlich
zum Bewußtsein gekommen sein, daß dort ein Mann
gewirkt hat, der ganz der deutschen Literatur, ihren
Schöpfern und ihren Schätzen ergeben gewesen ist.
Kürschner war ein Sammler in des Wortes wahrster
Bedeutung, davon zeugten die langen Reihen von
Büchern und Zeitschriften in den wohlgeordneten
Spinden, die wertvollen Bilder, Plaketten und Medaillons,
die von den Wänden herabblickten und den Räumen
ein weihevolles Gepräge gaben. Das traute und mit aus¬
gesuchter Bequemlichkeit ausgestattete Heim Kürsch¬
ners liegt in lichter Höhe oberhalb der Stadt Eisenach
auf halbem Wege zur sagenumwobenen Wartburg. Wie
in des Verblichenen Leben die Literatur an erster
Stelle stand, so hatte er in seiner Behausung den
Bücherschätzen den schönsten Platz angewiesen. Bei¬
nahe das ganze erste Stockwerk diente der Aufbe¬
wahrung der kostbaren Sammlungen. Im Mittelpunkte
des Gebäudes fesselte der große, lichtdurchflutete
Bibliothekssaal, der auf breiten Repositorien die seltenen
Zeitschriftenreihen und wertvollen Einzelausgaben be¬
herbergte; eine bequeme Galerie erleichterte den
Zugang zu den oberen Regalen. Auf ausladenden
Tafeln war der Bequemlichkeit Rechnung getragen,
um die mannigfachsten Werke zur Vergleichung neben¬
einanderlegen zu können. Während in diesem mächtigen
Saale die deutsche Literatur im allgemeinen vorwaltete,
trug das anstoßende Gemach den Charakter eines dem
Theater und seiner vielgestaltigen Geschichte besonders
geweihten Raumes. Kürschners Vorliebe für Iffland und
Richard Wagner tritt in den reichen Sammlungen von
Literaturwerken, Porträts, Briefschaften usw. zutage.
Hier, in diesem Gemach, glänzten das köstliche Öl¬
porträt Goethes von Gerhard von Kügelgen, die
reizenden Pastellbilder der beiden Demoisselles Acker¬
mann und die Büste Ifflands. Intimere Reize gewährten
die mit großem Fleiße gesammelten Briefschaften
Ifflands, Götzes u. a. Der eigentliche Arbeitsraum lag
jenseits des Bibliothekssaales und zeigte uns Kürschner
als begeisterten Freund seiner engeren Heimat, des
schönen Thüringens. Neben der zum unmittelbaren
Gebrauch bestimmten Handbibliothek fielen hier inter¬
essante Werke zur Geschichte der Musik, sowie statt¬
liche Reihen von sorgsam eingebundenen Theaterzetteln
in die Augen. Die weiteren Räume dieses Stockwerkes
enthielten, kritisch gesichtet und übersichtlich auf¬
gestellt, den Rest der Bibliothek.
Es lag natürlich nahe, daß Kürschner seine Samm¬
lungen gern als geschlossenes Ganze der Nachwelt
erhalten wissen wollte, indessen sollte dieser Wunsch
nicht in Erfüllung gehen; die dahinzielenden Be¬
mühungen führten zu keinem Resultat. Die Literatur-
freunde konnten es daher mit Genugtuung begrüßen,
daß die mit so unendlicher Mühe aufgespürten Selten¬
heiten zur öffentlichen Versteigerung gelangten, und
daß die reichbesetzte Tafel ihnen Gelegenheit zur Er¬
langung leckerer Bissen, jedem nach seinem Ver¬
mögen, bot.
Im nachstehenden wollen wir versuchen, ein an-
(Von den Auktionen.)
näherndes Bild von dem Reichtume der Kürschner-
schen Sammlungen und von den Auktionsergebnissen
zu zeichnen.
Der Auktionskatalog war mit der an den Boerner¬
sehen Katalogen bekannten Eleganz gedruckt und
mit dem Porträt Kürschners sowie 5 Lichtdrucktafeln
geschmückt Die Bücheraufhahmen sind zum großen
Teil recht geschickt gemacht, nur hätten wir ge¬
wünscht, daß die Epitheta omantia nicht gar so häufig
den einzelnen Nummern beigefugt wären, da etwas
weniger in dieser Beziehung mehr ist als zuviel.
Manches von den als „Prachtexemplar** bezeichneten
Büchern dürfte einer strengen Kritik des wirklichen
Bücherliebhabers kaum standhalten. Die Auktion hatte
begreiflicherweise ein ziemlich zahlreiches Publikum
angelockt, darunter eine ganze Anzahl in der literarischen
Welt wohlbekannter und geschätzter Gelehrten, die
zum Teil bis zum Schluß der Auktionswoche ihren
Platz innehielten. Es erübrigt eigentlich zu sagen, daß
die größeren Antiquariate Deutschlands ihr ungeteiltes
Interesse an der Bedeutung dieser Auktion durch ihre
Anwesenheit betätigten und teils für das eigene Lager,
teils im gegebenen Aufträge ihre Ankäufe machten.
Vertreten waren Herren aus Berlin, Leipzig, Frank¬
furt a/Main, Dresden, Heidelberg und Wien. Einer
der eifrigsten Käufer von den anwesenden Antiquaren
war Herr Adolf Weigel aus Leipzig, der in den Kämpfen
um scheinbar unbedeutende und doch höchst wichtige
und interessante Gelegenheitsschriften zur Theater¬
geschichte, um Theaterzettel und Kuriosa, die seltenen
Erstausgaben und Zeitschriftenserien gewöhnlich den
Sieg davon trug. Als besonders zu nennende Auftrag¬
geber figurierten das Freie Deutsche Hochstift in Frank¬
furt, das Goethe- und Schillerarchiv in Weimar sowie,
wenn wir recht berichtet sind, einige größere Biblio¬
theksinstitute in Nordamerika. Nicht unerwähnt möge
bleiben, da dies bei Leipziger Bücherauktionen bisher
nur wenig der Fall gewesen ist, daß auch einige Ver¬
treterinnen des schönen Geschlechts dem interessanten
Ereignis beiwohnten und ihre Einkäufe machten.
Die erste Gruppe der „Zeitschriften** brachte als
Hauptstück den „Teutsehen Merkur ", leider in einem
Exemplar, an dem der Schluß fehlt (No. 134). Der
Preis dieser für die zeitgenössische Literatur wichtigen
Zeitschrift, der in antiquarischen Katalogen nicht
viel über 400 M. angesetzt zu werden pflegt, stieg hier
auf 480 M. Von weiteren interessanten Serien seien
genannt No. 2 „Abend-Zeitung" in einem nicht uner¬
heblich defekten Exemplar, mit 95 M.; No. 9 die
„Göttinger gelehrten Anzeigen " mit 180 M.; das
„Schlegelsche Athenaeum“ (No. 15) mit 68 M.; die „Be¬
lustigungen des Verstandes und Witzes " (No. 20) mit
29,50 M.; Berlin ", eine Zeitschrift von Rhode (No. 24),
mit 61 M.; die „Nicolaische Allgemeine Deutsche
Bibliothek " (No. 29) zu dem verhältnismäßig billigen
Preise von 175 M.; der „Bote aus Thüringen " von
Salzmann (No. 39) mit 64 M.; Seyfrieds „Chronic von
Berlin ", die bekanntlich äußerst selten ist, für 80 M.
(No. 51); „Deutsche Chronik " 1774—1777 von Schubart
(No. 53) für 170 M.; die „Discourse der Maklern** (No. 59)
für 54 M.; der „BerlinerFreimüthige“ in 22 Bdn. (No. 75)
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(Von den Auktionen.)
für 125 M.; Moritz’ „ Magazin zur Erfahrungsseelen-
künde “ (No. 87) für 22 M.; die „ Iris “ von Jacobi
(No. 100) für 68 M.; das „ Deutsche Museum “ 1776—
1791 (No. 148) für 95 M.; Gottscheds „Das Neueste
aus der anmuthigen Gelehrsamkeit “ (No. 155) für
72 M.; die „Schreibtafel“ von Schwan (No 171) für
50 M.; die „Vernünftigen Tadlerinnen “ von Gottsched
(No. 177) für 56 M.; die hochgeschätzte und stetig im
Preise steigende Einsiedlerzeitung „ Trösteinsamkeit “
von Achim von Arnim in einem schönen Exemplare
für 205 M. (No. 184); Grünthals „ Wöchentliche Wahr¬
heiten für die Herren in Wien “ (No. 195) für 50 M.;
„ Wirtembergisches Repertorium “ von Schiller (No. 201)
für 130 M.; die „ Wünschelruthe, ein Zeitblatt 1818 Ht
(No. 210) mit Beiträgen von Arnim, Brentano usw. für
18 M.; die „Zeitung für die elegante Welt “ (No 217),
leider wie fast immer in einem unvollständigen Exem¬
plar, für 93 M.; die „ Zigeunerin “ von Jungendres
(No. 220) für 21 M.
Von der zweiten Gruppe, die als „ Bibliotheks¬
werke“ bezeichnet ist, nennen wir nur No. 252 „All¬
gemeine deutsche Biographie“ zu dem verhältnismäßig
billigen Preise von 310 M.; No. 278 Haym „Die roman¬
tische Schule 11 im Originaldruck für 27 M.; No. 309
Menzels „Illustrationen zu den Werken Friedrichs des
Großen“ für 55 M.; No. 315 Muthers „Geschichte der
Malerei“ für 145 M.; No. 316 Naglers „Künstler¬
lexikon“ für 300 M.; No. 318 Kürschners „National-
litteratur " für den sehr billigen Preis von 170 M.j
No. 348 Schopenhauers Handexemplar der Jonesschen
„Übersetzung des Hindu-Gesetzbuches“ für 8i M.
Die „Almanache“ boten an hervorragenderen
Nummern 394 „Musenalmanach“ von Boie, Voß,
Goekingk usw., eine fast vollständige Reihe für 135 M.;
No. 397 „Musenalmanach“ von Voß, ebenfalls eine fast
komplette Serie für 170 M.j 398 Schillers „Musen¬
almanach für 1797 — 1800“ für 28 M.; 400 Nicolais
„Eyn feyner kleyner Almanach “ für 60 M.
Es folgt der „handschriftliche Nachlaß und die
Literatur von Maler Müller ", die von ganz besonderer
Wichtigkeit und Reichhaltigkeit sind und für die Faust¬
literatur hervorragendes Interesse haben. Es wurden
hier zunächstim Einzelangebot für die „Fausthandschrift“
(No. 429) 1110 M. gesteigert und sodann der ganze
Nachlaß mit dem Selbstporträt, dem Brief Lottchen
Karners, der Jugendliebe des Dichters, und den ge¬
samten Briefschaften Müllers für zusammen 4710 M.
an das Hochstift in Frankfurt verkauft
Der nachfolgende „Nachlaß von Johann Nicolaus
Götz“ hat seine Bedeutung einerseits in den Original¬
handschriften fast aller Dichtwerke des liebenswürdigen
und doch so wenig bekannten Dichters, anderseits in
der großen Korrespondenz der berühmtesten Zeit¬
genossen an und über den Dichten Es steht zu hoffen,
daß diesem interessanten Mann von dem Ersteher
des Nachlasses ein würdiges Denkmal in der Literatur¬
geschichte bereitet wird. Es gingen fort: No. 457
Gedichte, Oden, Epigramme und Sentenzen auf 1391 Bll.
für 910 M.; No. 458 Original-Manuskript von 446 S.
vermischter Gedichte für 85 M.; No. 461 die „Familien¬
korrespondenz“ für ebenfalls 85 M.j No. 462 Korre¬
spondenz zwischen Götz und Boie für 115 M.; N<
465, ein höchst interessanter Brief Herders vom 18. Sej
tember 1780 für 66 M.; 473, ein nicht minder präcl
tiges Schreiben von Wieland aus dem Jahre 1784 a*
Götz für 85 M. Als Kuriosum sei hierbei erwähni
daß die No. 471 des Buchhändlers Schwan „Briefe ai
Götz“ aus den Jahren 1770—75 usw., welche ganz be
sonders für die Geschichte des Buchhandels int er
essant sind, für 115 M. nach Heidelberg gingen.
Die „Manuskripte“ (No. 475—479) boten zwei hoch
interessante Nummern: 476 Hebbels Bühnenmanuskripi
seiner „Agnes Bemauer** mit einem eigenhändigen
Schreiben des Dichters an den Intendanten des Königl,
Theaters in Stuttgart — Erstehungspreis 61 M. — und
478 Friedrich von Schlegel, „ Vom Werth des Studiums
der Griechen und Römer " usw. 1795 — Erstehungspreis
560 M.
Die von Kürschner besonders gepflegte Richard
Wagner-Gruppe führte leider nicht zu einem Resultate
bezüglich der eigenhändigen Partitur Wagners „Gast¬
mahl der Apostel“, Dresden 1843, die keinen Bieter fand.
Dagegen gingen die interessanten Briefe Wagners
(No. 481) für 205 M. fort und die sogenannte Wagner-
bibliothek, eine mit Verständnis und Sorgfalt zusammen¬
gestellte, möglichst vollständige Sammlung der Werke
Wagners und der Literatur über ihn, für 295 M.
Die nun folgende Goethe-Gruppe brachte als Attrak¬
tionsstück das prächtige Ölporträt unseres Dichter¬
heroen (No. 490) von Gerhard von Kügelgen. Wenn
auch unserer norddeutschen Art entsprechend nicht,
wie einst bei der Versteigerung des Titurel in Wien,
der Schreiber dieses ebenfalls beigewohnt hat, ein
Beifallssturm nach dem Zuschlag für 9210 M. losbrach,
so sah man doch auf den Gesichtem der sämtlichen
Anwesenden, wie sich die Spannung löste, und wie
man mit Befriedigung von der Bewertung dieses Pracht¬
stückes Kenntnis nahm. No. 494 die von Goethe selbst
besorgte Ausgabe seiner Schriften 1787—90 erzielte
86 M.; die große Weimarer Ausgabe (No. 496) 460 M.;
No. 504 Faust 1787 42 M.; No. 508 ein Faustmanuskript
aus dem XVIII. Jahrhundert 15 M.; No. 515 die erste
Ausgabe der „ Geschwister " 13 M. und des „Groß-
Cophta“ (No. 519) 23 M.; No. 523 „Die Leiden des
Jungen Werthers“ 1774 87 M. und die französische Über¬
setzung des Werther von 1776 (No. 525) 66 M.; No. 543
(Mercier) „Neuer Versuch über die Schauspielkunst a
52 M.; No. 545 Propyläen21 M., und No. 555 „Wilhelm
Meisters Wanderjahre“ 11 M.
„Deutsche Literatur und Übersetzungen“ nennt sich
die nächste Abteilung, aus der wir hier nur die
hervorragenderen Stücke nennen wollen: No. 620
Bettina von Arnim „Die Günderode“ 1840 13 M.;
No. 631 „Deutsches Balladenbuch“ mit Holzschnitten
nach Ludwig Richter 27 M.; 636 Bechsteins „Märchen¬
buch“ mit Holzschnitten nach Ludwig Richter, von
bekannter Seltenheit, 44 M.; 671 Brentano „Der Gold¬
faden“ 16 M.; 673 Gockel Hinkel und Gakeleia 53 M.;
686 „Hudibras“ mit den reizenden Zeichnungen nach
Atkinson 19,50 M.; 705 Cranz „Die Ochsiade“ 25 M.;
718 „Dschinnistan“ von Wieland 28 M.; 743 Förster
„Die Sängerfahrt“, bekanntlich eins der seltensten
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Stücke der romantischen Schule, 60 M.; 778 Gleims
„Preußische Kriegslieder“ 22 M.; 793 Gottscheds
„Nöthiger Vorrath zur Geschichte der deutschen Dicht¬
kunst“ 1757—65 50 M.; 799 Gottschedinn „Sämtliche
kleinere Gedichte“ 15 M.; 804 Grillparzer „Werke“
31 M.; 818 Karoline von Günderode „GesammelteDich¬
tungen“ 26 M.; 830 Hauff „Der Mann im Monde“, die
bekannte seltene erste Ausgabe, 25 M.; 833 Friedrich
Hebbels „Tagebücher“, große nicht im Handel befind¬
liche Ausgabe auf Schreibpapier, 27 M.; 837 Heine
„Rechtmäßige Originalausgabe“ 1861—63 33 M.; 859
Hermes „Sophiens Reise von Memel“ 1770—72 14 M.;
870 £. T. A. Hoffmann „Phantasiestücke“ 1814 41 M.
(auf die Hoffmannschen Bücher sollen für jede einzelne
Nummer bis zu 32 Aufträge Vorgelegen haben!);
896 Immermann „Schriften“ 80 M.; 922 Heinrich von
Kleist „Erzählungen“ 1810 20 M.; 933 Klopstock
„Messias“ 1760—69 13 M.; 954 Korium „Die Jobsiade“
1799 28 M.; 999 Lavater „Vermischte Physiognomische
Regeln“, 103 Tafeln auf Kartons, 34 M.; 1001 Aquarelle,
Brustbild von Lavaters Tochter Nanette 76 M.; 1005
„Physiognomische Fragmente“, unbeschnitten, zu dem
immerhin billigen Preise von 175 M.; 1022 Lenz „Der
Hofmeister“ 1774, von bekannter Seltenheit, 38 M.;
1025 Lessing, von Lachmann & Muncker herausgegeben,
38 M.; 1028 „Der Dämon“, erste Ausgabe des Jugend¬
werkes Lessings, mit dem Namen des Schauspielers
Eckhof auf dem Titel, 40 M.; 1044 „Vademecum an
Pastor Lange“ 1754 115 M.; 1084 Menzel „Gedenk¬
buch“ 1861 34 M.; 1087 Montaigne „Gedanken und
Meinungen“ (von Bode) 6 Bde. 40 M,; 1100 Musäus
„Volksmärchen“ mit Holzschnitten nach Ludwig Richter
31 M.; 1103 Nicolai, die bekannte kulturhistorisch so
merkwürdige „Beschreibung einer Reise durch Deutsch¬
land“ 27 M.; 1140 Ramler „Poetische Werke“ 1800
31 M.; 1152 Josef Richter, Verfasser der Eipeldauer-
Briefe, „Sämmtliche Schriften“ 26 M.; 1154 „Ludwig
Richter-Album“ 1851 55 M.; 1156 Rompiers „erstes
gebüsch seiner Reimgetichte“ usw. 75 M.; 1163 Scherer
„Studentenliederbuch“ 16,50 M.; 1166 eine allerliebste
Silhouette von Schillers Frau in prächtigster Ausführung
85 M.; 1189 Schillers „Räuber“ zwote verbesserte Auf¬
lage 1782 86 M.; 1191 Dasselbe Neue verbesserte Auf¬
lage, Mannheim 1782 26 M.; 1225 Schlegel „Lucinde“,
von bekannter Seltenheit, 30 M.; 1226 Schleiermachers
„Vertraute Briefe über Lucinde“ 10,50 M.; 1227
Schlegels „Deutsches Museum“ 31 M.; 1253 Sperontes
„Singende Muse an d. Pleiße“ 13,50 M.; 1284 Tieck
„Romantische Dichtungen“ 19 M.; 1290 Wackenroder
„Herzensergießungen“ zu dem exorbitanten Preise von
32 M.; 1314 Voß „Luise“ mit Kupfern von Chodowiecki
20 M.; 1318 und 19 Julius von Voß „Lustspiele“ 53 M.;
1350 Heinrich Leopold Wagner „Confiskable Er¬
zählungen“ 32 M.; 1351 „Die Kindermörderin“ 1776
60 M.; 1385 Wieland „Sämmtliche Werke“ 75 M.;
1402 Lucian, übersetzt von Wieland 25 M.
Die „ Gelegenheitsdruck*“, die dieser Abteilung
angefügt waren, bezeugten die größte Originalität, er¬
zielten jedoch mit Ausnahme der „Laufinaschine des
Freiherm Carl von Drais“ (No. 1445) nur geringe Preise.
Die verschiedentlichen Porträts in Kupferstich,
Z. f. B. 1904/1905. 4. Beiblatt
(Von den Auktionen.)
Holzschnitt, Lithographie, Silhouetten erzielten durch¬
gängig räsonable Preise. No. 1446 Galletti, Ölgemälde
auf Leinwand, ging mit 65 M. fort.
Die Autographen waren gleichfalls im allge¬
meinen mäßig bewertet Die voraufgehenden Stamm¬
bücher enthielten nicht besonders bemerkenswertes.
No. 1501 „Album deutscher Dichter“ 1849—59, eine
auserlesene Sammlung der berühmtesten Zeitgenossen
in poetischen und prosaischen handschriftlichen Stücken
auf 43 losen Blättern in Karton wurde von einem
Berliner Privatmann für 310 M. ersteigert Ferner
gingen fort 1523 Geliert für 32 M.; 1532 Grillparzer
305 M.; 1535 Anastasius Grün 42 M.; 1549 Jean Paul
32 M.; 1563 Maler Müller 51 M.; 1569 Pückler-Muskau
43 M.; 1572 Rahel Varohagen 41 M.; 1587 Uhland
(ein ganz unbedeutendes kleines Blättchen) 19 M.;
1592 Wieland, Kontrakt mit Bertuch betreffend den
„Deutschen Merkur“ 125 M.; 1608 Johannes Brahms
42 M.; 1641 äußerst liebenswürdiges Schreiben des
Fürsten Bismarck 160 M.(l). Die Echtheit des Goethe¬
briefes (No. 1529) wurde stark angezweifelt
Hierauf folgte die Gruppe „Deutsche Theater-
geschickte' 1 mit wirklich kostbaren und teilweise kaum
wieder aufzufindenden Piecen, von denen wir gerne
gewünscht hätten, daß sie zusammengeblieben und
den Intentionen des früheren Besitzers gemäß ver¬
wertet werden möchten. Diese Abteüung war bekannt¬
lich das Paradepferd Kürschners. Wenn auch für
einzelnes gute Preise erzielt wurden, so hielten sich
doch die Angebote außer für Iffland in mäßigen Grenzen.
Für Iffland war ein Liebhaber aus Stuttgart erschienen,
der hoffentlich mit dem gesamten Material auch die
Aufgabe übernommen hat, eine dieses größten Schau¬
spielers würdige Biographie zusammenzustellen. Von
den einzelnen Nummern dieser Gruppe nennen wir
nun folgende: No. 1684 Dramaturgische Blätter von
Schreiber 61 M.; 1687 Bühnengenossenschaft 70 M.;
1690 Ephemeriden 53 M.; 1697 Litteratur- und Theater¬
zeitung 1778—84 57 M.; 1701 Deutsche Schaubühne,
trotz ihrer Unvollständigkeit, 100 M.; 1708 Theater¬
journal für Deutschland von Reichard 125 M.; 1713 die
sehr seltene „Allgemeine Theaterzeitung“ 205 M.; 1724
Marmorbüste Ifflands 370 M.; Ifflands Briefsammlung
1774—18*4 1750 M.; 1725 Ölgemälde, Brustbild, 420 M.;
1726 Pastellporträt unter Glas und Rahmen 200 M.;
1727 Wachsrelief in lebhaften Farben unter Glas
270 M.; 1751 Tagebuch Ifflands von höchstem Interesse
1655 M.; 1752 11 eigenhändige Briefe Ifflands 130 M.;
1832 Cumberland „Der Jude“, mit Korrespondenz
Ifflands 31 M.; 1869 „Annalen der deutschen National¬
schaubühne zu Berlin“ 35 M.; 1888 Kostüme auf dem
königl. Nationaltheater in Berlin mit lfflanddarstellungen
33 M.; 1909 sämtliche Theaterzettel der königlichen
Schauspiele und Opern zu Berlin 1821—72 32 M.;
1910 321 Theaterzettel des königl Nationaltheaters zu
Berlin 1793—1803 200 M.; 1982 Devrient, Dramatische
Schriften 86 M.; 2008 Lenz, Anmerkungen übers Theater
1774 31 M.; 2085 Charlotte Ackermann, Brustbild, Öl¬
gemälde 360 M.; 2087 Dorothea Ackermann, ebenso,
310 M.; 2118 Ölgemälde, Brustbild von Conrad Eck¬
hof 120 M.; 2137 Biographie der Neuberin 145 M.;
— 9 —
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Beiblatt
(Von den Auktionen — Kataloge.)
2145 Schuchsche Schauspielergesellschaft 31 M.;
2164 Nicolini, Versuch einer Beurteilung der panto¬
mimischen Oper des Herrn Nicolini 22 M.; 2216 Velten,
Wider J. J. Wincklers Schrift von Frau Velthemin 52 M.;
2219 Hagen, Geschichte des Theaters in Preußen
31 M.; 2235 Uhde, Stadttheater in Hamburg 26 M.;
2249 Reinhard, hannövrische Schauspielergesellschaft
37 M.; 2254 Einblattdruck Harlekin 1720 37 M.;
2263 Möser, Harlekin 25 M.; 2266 Stranitzky, OUapatrida
1722 52 M.; 2318 Nachricht von der Eröffnung des
neuen Theaters in Leipzig 1766 28 M.; 2352 Repertorium
des großherzoglichen Hoftheaters in Mannheim 1779—
1885 180 M.; 2353 Verzeichnis der 1776—1806 zu
Gotha und Mannheim aufgefiihrten Stücke 420 M.;
2380 Lütgendorf, kurbairisches Nationaltheater 62 M.;
2483 Schink, dramaturgische Fragmente 36 M.; 2489
Schroeder, Beitrag zur deutschen Schaubühne 30 M.;
2534 Noverre, Briefe über die Ballette 44 M.; 2550
Theater der Deutschen 1766—*84 120 M.; 2554 Theater¬
kalender 1755—94 und 1796—1800 125 M.; 2617 Klemm,
Wienerische Dramaturgie 1776 35 M.; 2633 Sonnenfels,
gesammelte Schriften 60 M.; 2644 historisch-kritische
Theaterchronik 1774 50 M.; 2712—15 Zettelträger¬
gedichte 1763 —79 36 M.
Zuletzt gelangte die Karikaturensammlung vom
Krieg* 1870—71 (No. 2724) zur Versteigerung. Fürst
Bismarck hatte seinerzeit eine Sammlung aller Flug¬
schriften, Karikaturen, Depeschen, Bilderbogen, soweit
sie sich auf den Krieg 1870—71 bezogen, vornehmen
lassen, und bei dieser Gelegenheit wurde ein zweites
Exemplar, das fast ebenso vollständig war, zusammen¬
gestellt Dieses zweite Exemplar ist das Kürschnersche.
Aller Humor, aller Spott, aller Haß, aller Patriotismus
jener Tage kommt in zum Teil höchst feinsinnigen
Blättern zum Wort, und die Sammlung bildet somit
eine Fundgrube für den Kulturhistoriker, wie sie über¬
haupt nicht wieder zusammengebracht werden kann.
Von der Großartigkeit dieses Materials zeugen die
nachstehenden Zahlen: 228 Einblattdrucke und Serien,
schwarz und koloriert; 218 Blatt französischer Kari¬
katuren und Flugblätter; 94 humoristische Gedichte
und Musikalien; 350 Photographien, Schlachtenbilder,
Porträts; 191 Blätter Kriegsdepeschen; 121 humoristische
und satirische Broschüren, Pamphlete, Vexierbilder;
197 zum Teil kolorierte Photographien usw. Die Samm¬
lung brachte 720 M.
Wenn wir auch nur in kurzen Zügen den Lesern die
Entwicklung dieser interessanten Versteigerung vor die
Augen stellen konnten, so wird man doch daraus er¬
sehen können, ein wie wichtiges Ereignis die Auktion
Kürschner in der literarischen Welt war und wie auch
in Deutschland der Ruf einer hervorragenden Bücher¬
sammlung die Koryphäen der Wissenschaft und des
Buchhandels Zusammenzufuhren vermag. Es wäre in
der Tat zu wünschen, wenn das Auktionswesen, für das
Leipzig einen so vorzüglichen Platz bietet, durch weitere
interessante Verkäufe n^p belebt würde. Eine Renais¬
sance des Auktionswesen liegt im Interesse aller Biblio¬
philen. — Das pekuniäre Gesamtresultat der Auktion
Kürschner beläuft sich auf rund 54000 Mark, eine statt¬
liche Summe, die den Besitzern großer Sammlungen zu
erwägen geben sollte, den Weg der öffentlichen Ver¬
steigerung bei beabsichtigter Verwertung ins Auge zu
fassen. —g.
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turgeschichte, Belletristik, Zeitschriften.
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pläne). — No. 77. Jesuitismus (Orden, Klöster, Papst¬
thum, Inquisition, Sekten).
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und Sitte, Kuriosa.
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VIII. Jahrgang.
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August 1904.
Fünftes Heft.
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Abonnementspreis für den Jahrgang 36 M. (21,60 Fl. ö. W., 45 Fr., 36 sh., 21,60 Rb.), für das Quartal (drei Hefte) 9 M.
Anzeigen
x /x Seite.60 Mark.
x /t Seite.30 Mark.
x / 4 Seite.15 Mark.
x /g Seite.8 Mark.
Kleine Anzeigen (Desiderata und Angebote): die gespaltene Petit-Zeile 50 Pf. (für Mitglieder der Gesellschaft
der Bibliophilen und Abonnenten der Z. f. B. nur 25 Pf.).
Beilage-Gebuhr 40 Mark. — Schluß für die Anseigenannahme jedes Heftes am 10. des vorhergehenden Monats.
Redaktionelle Sendungen: Manuskripte. Bücher, Kataloge etc. gefl. *u richten an den Herausgeber: Fedor von Zobeltitz , Berlin W. 15.
Uhlandstr. 33 (Sommer: Spiegelberg bei Topper, Rgbz. Frankfurt a. O.).
Anzeigen an die Verlagshandlung: Velkagen & Klasing, Abteilung für Inserate, Leipzig , Hospitalstr. 27.
Rundfragen.
An dieser Stelle kommen die aus den Kreisen der Gesellschaft der Bibliophilen und der Leser der Zeitschrift
für Bücherfreunde eintreffenden Anfragen, sowie die Antworten darauf rum Abdruck. Einsendungen für diese
Rubrik an: Arthur L. JelUneh in Wien VII \ Kirchengasse j£,
Fragen.
144. ln welcher öffentlichen oder privaten Biblio¬
thek sind folgende, insgesamt anonym erschienene
Werke von Heinrich Gottfried von Bretschneider zu
finden ?
1) „Familiengeschichte und Abenteuer des Junkers
Ferdinand von Thon“. 2 T. Nürnberg 1775/76. 8°.
2) „Papüloten“. Frankfurt a./M. 1769.
3) „Graf Esau“, ein Heldengedicht. 1768. 12 0 .
4) „Lemberger Musenalmanach“. Lemberg 1788.
5) „Theodor“, Wien bei Degen (ohne Jahreszahl).
6) „Catalogus nonnullorum librorum rariorum“.
Pesth 1781.
7) „Die Religion mit philos. Augen betrachtet“.
Wien 1774.
8 ) „Die freiwillige Beisteuer“, ein Vorspiel Lem¬
berg 1793.
9) „Liebe und Wein in Asien“, eine komische Oper.
Frankfurt a./M. 1793.
10) „Antwort eines polnischen Edelmanns in der
Republik an einen Freund in Galizien auf die
Anfrage: Was von einer Vereinigung Galiziens
mit Ungarn zu halten sei“. Warschau 1790.
J. Pawluch, Wien,
145. Wo ist ein Aufsatz von Aug, Kopisch: „Berlin
und Potsdams Urzeit“, abgedruckt?
M. Jaeckel, Berlin,
146. Wer besitzt folgende Werke: C, C, L, Hirsch ■
feld, Das Landleben, Leipzig, S. L. Crusius 1776 und Id.,
Von der Gastfreundschaft Eine Apologie für die Mensch¬
heit. Leipzig, Weidmann 1777? E, Sch. in K.
Z. f. B. 1904/1905. 5. Beiblatt —
Antworten.
106. Ein Exemplar des seltenen Buches „Meine
Geschichte ehe ich geboren wurde...“ befindet sich in
der Königl. Bibliothek zu Berlin (unter Klausur).
M. Harrwitz, Berlin,
140. Nachfolgende Werke enthalten Mitteilungen
über das „Geheime Kabinet u in Neapel:
Roux, Herculanum et Pomp6i. Vol. VIII. Paris 1863.
Famin, Peintures, statu es 6rotiques form an t la Collec¬
tion au cabinet secret du Mus6e de Naples. 1836.
4° mit 60 Tafeln. j Gamber, Paris.
Fauconney, Le Musde secret de Naples. Paris,
Offenstadt & Cie. 1904. 8° mit 50 Abbildungen.
A, L.J.
141. Die deutsche Übersetzung des „Landprediger
von Wakeßeld von 1768 scheint nicht die älteste zu sein.
Das Staatsarchiv zu Posen besitzt eine solche von 1767,
erschienen Leipzig bei M. G. Weidmanns Erben und
Reich.
Prof. Dr. Warschauer, Archivrat, Breslau,
141. Eine deutsche Übersetzung des „ Landpre -
diger " von Joh. Joach. Christoph Bode erschien schon
1767 in Leipzig; Nachdruck Frankfurt und Höchst
1777, Bamberg 1780 und öfter. Gleichfalls 1767 erschien
eine deutsche Übersetzung des Romans von Joh.
Gottfr. Gellius in Leipzig. p % Vt g
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Rundschau der Presse.
Von Arthur L. Jellinek in Wien.
Die nachfolgende Obersicht versucht, die in TagesblMttem, Wochen* und Monatsschriften enthaltenen Aufsatxe und Abhandlungen,
soweit sie für die Leser unserer Zeitschrift in Betracht kommen, in seukücktr Anordnung tu verzeichnen. Nur das Wichtigere ans den Ver¬
öffentlichungen der letzten Monate kann berücksichtigt werden. Absolute Vollständigkeit tu erreichen liegt für den einzelnen Bearbeiter
außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Die Zeitschriften sind nach Bänden, Jahrgängen, Heften oder Seiten, je nach der leichteren Auf-
findbarkeit, citiert. Gleichmäßigkeit ist hierin nicht angestrebt. Zusendung von Separatabdrücken und Ausschnitten an die Adresse des
Bearbeiters (Wien VH, Kirchengasse 35) erbeten.
Schrift-, Buch - unc Bibliothekswesen.
Buchdruck. Buchhandel
Ahn, Fr., Die Druckerpresse Widmanstetters zu Graz.
Mitteilungen d. österr. Vereins f Bibliothekswesen.
1904. VIII, S. 144—149.
Da uze, P., Les dditions originales contemporaines.
Revue Biblio-Iconographique. 1903. X, S. 321—330,
373-382, 432 — 439 - 1904* XI, S. i—6, 105—110,
157—164.
Gen sei, W., Die Einführung der Steindruckerei in
Berlin.
Velhagen &* Klasings Monatshefte. 1904. XVIII, 2,
S. 451—460.
Hennig, P., Die graphischen Künste auf der Großen
Berliner Kunstausstellung 1904.
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 103, 124.
Hölscher, G., Die Buchkunst auf der Düsseldorfer
Ausstellung.
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 122.
Pochhamtner, A., Über die Entwickelung der Noten¬
schrift. Die Musik . 1903. II. Bd. 6. S. 346—354.
Schlotke, O., Wie sollen Bücher gedruckt werden?
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 126, 127.
Vouilli^me, E., Neue Arbeiten zur Inkunabelkunde.
Zentralblatt für Bibliothekswesen. 1904. XXI,
S. 245, 284—286.
Bibi, V., Der evangelische Landhaus-Buchhandel in
Wien.
Mitteilungen d. österr. Vereins f. Bibliothekswesen.
1904. VIII, S. 11—22, 65—74, 122—133.
Gr ölig, M., Bücher-Schicksale.
Mitteilungen d. österr. Vereins f Bibliothekswesen.
1904. VIII, S. 35 — 38 , 77 —84.
Kleemeier, J. F., Bücherpreise — Bücherschicksale.
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 89.
[Über M. Grolig „Aus meiner Büchersammlung* 1 .]
35ojähriges Jubiläum der Wagnerschen Universitäts-
Buchhandlung in Innsbruck 1554—1904.
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 136.
Loserth, G., Zur Statistik der Bücherpreise.
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft .
1903. LX, S. 358—369. — Börsenblatt für den deut¬
schen Buchhandel. 1904. No. 132.
Mac Lehose, R., Net books. Why it is not practi-
cable to make a reduction in their price to Librairies.
Library . 1904. V, S. 52—58.
Reininger, J., Die Wiegendrucke in der Bischof
Frintschen Bibliothek für den Klerus der Stadt
St. Pölten.
Mitteilungen d. österr. Vereins f Bibliothekswesen.
1904. VIII, S. 105—121.
Tippmann, Fr. X., Ein buchhändlerischer Reform¬
versuch im XVIII. Jahrhundert
Mitteilungen d. österr. Vereins f. Bibliothekswesen.
1904. VIII, S. 85—87.
Wissowa, G., Buchhandel und Wissenschaft.
Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik.
1904. 3, F. XXVII, S. 218—229. K. Bücher
s. 546—551-
W o e r n 1 e i n, A., Katalogdrucke der Reichsdruckerei
für die Weltausstellung St Louis 1904.
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. 1904.
No. 116.
Buchausstattung. Einbände. Miniaturen.
Braun, E. W., Die Buchausstellung des Kaiser Franz
Josefs-Museums in Troppau.
Evangelischer Hausfreund. 1904. No. 16. (vgl.
Mitteilungen d. Vereins f. Bibliothekswesen. VIII,
S. 158—160.)
Enschede, J. W., Een Hollandsch Boek over William
Morris.
Tydschr. v. Book- en Bibliothekswesen. 1904. II,
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Beiblatt.
(Von den Auktionen.)
Von den Auktionen.
Am 23. Juni beendete Sotheby in London eine
dreitägige Auktion sehr wertvoller Bücher und illumi¬
nierter Manuskripte aus verschiedenem Besitz. Be¬
sonderes Interesse erregte ein bisher nicht gekanntes
und auch daher von Sidney Lee nicht beschriebenes
Exemplar der ersten Folio-Ausgabe (1623) Shake¬
speares. Mit Ausnahme einiger ausgebesserter Blätter
befindet sich das Buch in gutem Zustande. Auf dem
Ansatzblatt steht in Handschrift, aus dem Jahre 1772
datiert, der Vermerk, daß der damalige Besitzer dies
Werk für 5 Guineen erworben hatte. M. Pickering,
der jetzige Käufer, zahlte 19000 M. Derselbe erstand
gleichfalls das sehr seltene, von S. Daniel 1687 heraus¬
gegebene Buch „The Tragedy of Philostas“, von dem
nur noch ein Exemplar und zwar das imBritish-Museum
bekannt ist, für 6co M. Oliver Goldsmith „The Vicar
of Wakefield“, 1766, tadelloses Exemplar der ersten
Ausgabe 1740 M.; Omar Khayydm „Rubäyät“, über¬
setzt von Fitzgerald, 1859, erste Ausgabe 800 M. (Ste¬
vens); Charles Lamb „Prince Dorus“, 1811, 800 M.
(Stevens); „The second part of Merry Drollery“,
1662—63, das einzig bekannte Exemplar des zweiten
Teils 700 M. (Jackson); drei erste Ausgaben von fol¬
genden Werken Alexander Popes: „The Rape of the
Lock 11 , 1714, nur drei Exemplare bekannt, 860 M.
(Sabin); „The Dunciad“, 920 M. (Sabin) und „An Essay
on Criticism“, 1711, unbeschnitten, die erste und seltenste
aller Veröffentlichungen Popes, 1200 M. (Jackson);
J. Ruskin, „Poems“, 1850, 740 M. (Zaehnsdorf); Shake¬
speare „Macbeth“, 1731, gedruckt in „Edinburgh for
Allan Ramsay“ und verkauft für einen Schilling, 500 M.
(Perkins). Zwei erste Ausgaben Shelleys „Zastrocci“,
1810, 440 M. (Stevens) und „St. Irvyne, or the Rosicru-
cian“ 1811, 600 M. (Maggs). Ein vollständiger Satz von
Sheridans Schauspielen in 6 Bänden, 980M. (Pickering).
Die erste Ausgabe desselben Autors von „School of
Scandal“, unbeschnitten mit Errata auf der Rückseite
des letzten Blattes, 700 M. (Pickering); Sir K. Steele
„The Christian Hero“, 1701, erste Ausgabe, 880 M.
(Jackson); Nicolay D’Arfeville „Navigation du Roy
Jacques Cinquiesme du nom“, 1583, 720 M. (Perkins);
J. Milton „Paradise Lost“, 1667, eine vorzügliche erste
Ausgabe mit dem seltenen Originaltitelblatt, 5900 M.
(Pickering); Edmund Spenser „The Faery Queene“,
1590—96, schönes Exemplar der ersten Ausgabe mit
dem unbedruckten Zwischenraum auf Seite 232, der
in den späteren Auflagen ausgefüllt wurde, 4800 M.
(Pickering).
Von den Manuskripten sind die erwähnenswertesten
und die dafür gezahlten Preise folgende.* Bret Harte,
„A first family of Tasajara“ 1891, 200 Seiten, 420 M.
Von demselben „A Client of Colonel Harbottle“, 1890,
40 Seiten, 310 M. und „Through the Santa Clara Wheat“,
60 Seiten, aus dem Jahre 1890 stammend, 440 M., sämt¬
lich von Mr. Keary erworben. Eine burgundische
Handschrift aus dem Beginn des XV. Jahrhunderts,
202 Blätter mit 13 schönen Miniaturen, 2040 M. (Delaine).
Ein interessanter holographischer Brief von John
Keats an Miss Jeffrey, Juni 1819, über Literatur und
häusliche Angelegenheiten handelnd, 840 M. (Evelyn).
Folgende drei Ruskin-Manuskripte: „Lectures on Ar-
chitecture and Painting“, 1853, bekannt als die „Edin-
burg-Vorlesungen“, 217 Blätter mit Skizzen und Zeich¬
nungen, 4000 M. (Braßman); „The Exile of St Helena“,
14 Folioblätter, 420 M. (Moseley) und „Fors Clavigera“,
September 1883, veröffentlicht unter dem Titel „Dust
of Gold“, 11 Folioseiten, 420 M. (Moseley). Das Kor¬
rekturexemplar von Walter Scotts „The Lady of the
Lake“, 1810, das der Verfasser für die zweite Auflage
benutzt und das zahlreiche Änderungen in der Hand¬
schrift Walter Scotts enthält, 1100 M. (Johnson).
Zu der letztgenannten Kategorie von Auktions¬
objekten gehörte ferner Tennysons erste Korrektur
seines „Enid und Nimue“ 1857, ungebunden, 4200 M.
(Rook). Ursprünglich war ein Satz von 6 Korrektur¬
bogen hergestellt worden, die aber bis auf den vor¬
liegenden und dem im British Museum befindlichen,
verloren gegangen sind. Der erstgenannte Satz stammte
aus dem Besitze von Lady Simeon, deren verstorbener
Gatte ein Freund und Nachbar Tennysons war. Später
erhielt das Gedicht einen andern Namen und erschien
1859 unter dem Titel „Vivien“ in den „Idylls of the
King“. Aus diesem Grunde sind in den Bibliographien
über Tennyson häufig Verwechselungen und Unklar-
heiten entstanden. „The Charge of the Light Brigade“,
mit Änderungen in der Handschrift des Dichters, 2000 M.
(Rook); „Maud and other Poems“, gleichfalls mit
Korrekturen, 300 M. (Rook). Unter dem Namen des
Käufers verbirgt sich ein Händler, der für große ameri¬
kanische Finanziers sämtliche Tennyson-Handschriften
erwarb. „The Cotter s Saturday Night, a Scottish Poem“
in der Handschrift Robert Bums, 20 Stanzen auf vier
Folioblättem, 10000 M. (Sabin); R. Bums „Poems,
chiefly in the Scottish Dialect“, 1793 gedruckt, mit dem
Exlibris von Patrick Heron, 3000 M. (Macmartie). Sir
Philip Sidney, holographischer Brief an M. Plantin, ent¬
haltend eine Anfrage über seltene Bücher in gutem
Zustande, 2400 M. (Sabin); Tasso, das Falconieri-Manu-
skript, Briefe und Gedichte aus den Jahren 1556—1593,
1320 M. (Selby). Das Privat-Notizbuch von John
Ballantyne, des Verlegers von Walter Scott, gibt nament¬
lich interessante Aufschlüsse über die, die „Waverley
Novels“ betreffenden geschäftlichen Abschlüsse. Unter
dem 3. Januar 1821 findet sich mit der Handschrift
Ballantynes folgende Eintragung in seinem Tagebuche:
„This day, 15 years ago, I came to Edinburgh a penny-
less man, with no prospect beyond the servitude of
clerkship. Through Sir Walter Scott, and Sir Walter
Scott alone, I am worth at least seven thousand pounds,
and of course independent“ Der Erlös für dies Tage¬
buch betrug 460 M. (Quaritch) und für die gesamten
drei Auktionstage 157, 524 M. 0 . v. S.
— 6 —
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Beiblatt.
(Kleine Mitteilungen.)
Kleine Mitteilungen.
Am 28. und 29. Juni fand in London , 20. Hanover-
Square, eine von der hiesigen Gesellschaft geleitete
Exlibris-Ausstellung statt, deren Charakteristik von
dem Vorstande mit Recht als „Pictorial-Book-Plates“
bezeichnet wurde. Außer solchen älteren Bibliotheks¬
zeichen finden wir aber auch gute heraldische Exlibris
vertreten, wie denn überhaupt die Ausstellung allgemein
als eine recht gelungene geschätzt wurde.
Der Ehrensekretär der Gesellschaft, Mr. W. H.
K. Wright, dem das Hauptverdienst für das Zustande¬
kommen der Ausstellung gebührt, hatte, gleichwie in
früheren Jahren, so auch diesmal eine große Anzahl inter¬
essanter Blätter aus seiner Privatkollektion gesandt.
Mr. G. Potter zeigte unter verschiedenen gesuchten
Beispielen aus der Epoche von Horace Walpole auch
das Exlibris des letzteren sowie dasjenige von Joseph
Priestley. Die Bibliothekszeichen von Anna Damer
und H. F. Bessborough, das letztgenannte von Barto-
lozzi hergestellt, sind ausgezeichnete und von Sammlern
viel begehrte Kupferstiche.
Mr. C. W. Sherboms Ausstellungsobjekte bleiben
als Stiche gewiß unübertrefflich, sie leiden aber etwas
unter dem Umstande des Monotonen, weil ihre Inspira¬
tion zu häufig in der Vergangenheit wurzelt Die
Exlibris von W. P. Barret für die Königin und Prin¬
zeß Victoria sind zweifellos schöne Werke. Das der
Ersteren zeigt Schloß Windsor bei prachtvollem Sonnen¬
licht, während darunter Schloß Elsinore und das Meer
bei zartem Mondlicht dargestellt sind. Das Ganze ist
in hochpoetischer Stimmung aufgefaßt
Von deutschen, auf der Ausstellung befindlichen
Bibliothekszeichen bemerkte ich vor allem eins des
Grafen von Leiningen-Westerburg (A. Stoehr), des
Kunstgewerbe-Vereins zu Halle a. S., von C. Th. Nau¬
mann mit dem Motto „Jedes gedruckte Wort ist ein Lob
Gutenbergs“; ferner die von Max Bach, F. Horak und
eine große Anzahl von B. Höroux angefertigter Exlibris.
Zu dieser Kategorie von Werken gehören ferner die
Bibliothekszeichen folgender Besitzer: Dr. Raimund
Schmidt, Dr. Rudolf Neumann, Alfred Probst, Dr. Hans
Oppermann, Dr. jur. Ludwig Hubert, Arthur Liebsch
(Leipzig), Oscar Leuschner und Georg Hiltl. Auch
möchte ich das interessante Exlibris des Architekten
Klaus Röhlinger nicht unerwähnt lassen.
O. v. S.
Made in Germany. Bibliothekare, Verleger und
Buchhändler in England sind zur Zeit durch eine Ange¬
legenheit in Anspruch genommen, welche die deutsche
Industrie wohl interessieren mag. Seit einer Reihe
von Jahren hat man jenseits des Kanals bemerkt, daß
das Leder, welches die englischen Buchbinder für
Ledereinbände verwenden, in der Qualität bedeutend
zurückgeht. Ganz geringsortige Häute, die unter der
Marke „Morocco first quality“ benutzt wurden, haben
sich nachher als gewöhnliche Ziegenfelle entpuppt. Ein
Komitee hat sich daher gebildet (in dem Bibliotheken
und Firmen vertreten sind, die jährlich ungefähr £ 6000
[M. 120000] für Ledereinbände ausgeben), dem die
Society of arts ihren Beistand verleiht, um die Frage
des Buchbinderleders zu prüfen. Die Ursache der
Verschlechterung scheint daran zu liegen, daß die
Engländer bei der Bereitung des Leders schädliche
Chemikalien anwenden. In einem von dem Komitee
versandten Zirkular heißt es nun unter anderem: „Wenn
englische Fabrikanten von leichtem Leder zu apathisch
sind, um für eine bessere Sorte von Buchbinder¬
leder zu sorgen, haben wir dann in diesen Tagen
schärfster internationaler Konkurrenz nicht zu furchten,
daß der Amerikaner und der Deutsche nur zu bereit
sind, in die Bresche einzuspringen? In der Tat, wir
sind von den besten Autoritäten bereits informiert, daß
drei deutsche Firmen durch ihre Londoner Agenten
die Garantie versprochen haben, passendes Leder ge¬
gerbt und frei von schädlichen Substanzen zu liefern
und eine beglaubigte Analyse beizulegen. Wir wissen,
daß diese deutschen Häuser, sofort nachdem der Be¬
richt der Society of Arts über die Verschlechterung
des Buchbinderleders veröffentlicht wurde, auftraten,
und daß sie für das verflossene Jahr bereits getan
haben, was ein oder zwei englische Häuser sich jetzt
für die Zukunft zu überlegen Vorhaben.“ — Hoffen
wir, daß die rührigen Deutschen das Feld erobert
haben, ehe die Engländer zu einem Entschluß kommen,
ihre Fabrikationsweise zu ändern. Auch hier ist „Made
in Germany“ eine Ehrenbezeichnung. M.
Die bekannte Antiquariatsfirma von Breslauer &*
Meyer in Berlin löst sich auf Herr Edmund Meyer
wird in der Potsdamerstr. 27 b das in- und ausländische
Sortiment, zugleich mit einem hauptsächlich moderneren
Antiquariat, fortführen. Herr Martin Breslauer eröffnet
Unter den Linden 16 11 ein neues Geschäft, das aus¬
schließlich dem Vertrieb von Seltenheiten, frühen
Drucken, Holzschnittbüchem und Manuskripten dienen
wird. Der letzte Katalog der alten Firma umfaßt das
Räumungsmaterial (3000 Werke aus allen Wissen¬
schaften) zu herabgesetzten Preisen. — m.
Im Museum Plantin-Moretus su Antwerpen findet
eine „Ausstellung des modernen Buches 11 statt. Eröff¬
nung Sonnabend den 16. Juli, Schluß am 15. Oktober;
Eintritt 1 Fr., unentgeltlich Sonntag und Donnerstag.
—n.
Im Beiblatt von Heft 4 sind unter Kataloge*' drei
Druckfehler stehen geblieben, die die Leser wohl schon
selbst korrigiert haben. Es muß heißen „Rdtif“ (statt
„Rölif“), „Varia“ (statt „Vonia“) und „Frauen“ (statt
„Freuen“).
- 7 —
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Beiblatt.
(Kataloge — Inserate.)
Kataloge.
Deutschland und Österreich-Ungarn.
Rieh. Härtel in Plauen. No. 20. Städteansichten, Land¬
karten usw. speziell Sachsens.
Alfr. Würzner in Leipzig. No. 155. Protestantische
Theologie.
Adolf Weigel in Leipzig. MitteiL für Bücherfr. No. 18.
Varia . Mit Bericht über die Auktion Kürschner.
Heinr. Lesser (Ph. Brand) in Breslau II. No. 295.
Silesiaca.
K. Th. Völcker in Frankfurt a. M. No. 248. Occultismus.
Friedrich Meyer in Leipzig. No. 57. Allgemeine
Literatur, Almanache, Porträts, Zeitschriften.
Wilh. facobsohn Sr* Co. in Breslau V. No. 197. Philo¬
logie, Pädagogik , Varia.
Theod. Ackermann in München. No. 532. Beschreibende
Naturwissenschaften. — No. 53. Militaria.
Max Perl in Berlin W. No. 52. Geschichte, Kunst,
Literatur, Musik, Kuriosa, Varia.
Victor Eytelhuber in Wien VIII. No. 12. Varia.
M. Edelmann in München. No. 22. Kunstgeschichte,
Kunstgewerbe, Architektur, Archeologie, Kunst¬
blätter.
f. Scheitle in Stuttgart No. 359. Alte Literatur, Selten¬
heiten, Kulturgeschichte, Kuriosa, Facetien (Buch¬
stabe H—R).
Breslauer Sr* Meyer in Berlin W. 35. Räumungskatalog:
Aus allen Wissenschaften, darunter Bibliothekswerke,
Zeitschriften, Convolute, Karikaturen, Publikationen
fremder Pressen, Kostümblätter usw.
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(mit einer Abteüung: Philippinen). — Frankfurter
Bücherfr. IV, 1/2: Handschriftenkunde, Miniatur¬
malerei, Kalligraphie. Mit Essai: Die Buchdrucker¬
zeichen des Theodor de Borne.
Ausland.
Franc. Perrella in Neapel. No. 8. Bibi. Settembrini I.
J. Gamber in Paris. No. 25. Varia.
Leo S. Olschki in Florenz. Bull. No. 49. Alte Drucke,
Seltenheiten.
Inhalt - des Hauptblattes.
(Heft 5 — August 1904.)
Die französischen Exlibris von heute. Von Octave
Uzanne. Mit 37 Abb. — Zur Geschichte der Eskorial-
Bibliothek I. Von Rudolf Beer. Mit 2 Abb. — Die
Bibliothek der Marquise von Pompadour. Von Max
Harrwitz. Mit Abb. — Ein neu veröffentlichter Gesang
zu Byrons „Don Juan“. Von Otto von Schleinitz. —
Aus einem alten Buchladen. Von F. J. Kleemeier. —
Chronik: Der „Almanach du Bibliophile“ für 1901. —
Weltgeschichte. — Der Buchdrucker und Sprach-
meister Johann Friedrich Schüler. — Zur Herstellung
der mittelalterlichen Miniaturen — Walter Pater. —-
Buchschmuck. — Verschiedenes.
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Die Aufnahme einer Adrette kostet in dieser Rubrik
für einmal z Mk. und für das Jahr (X2 Hefte) zo Mk.
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Sammlung:
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Monographien zur Erdkunde:
Die Lüneburger Heide
von Dr. Richard Linde.
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Aufnahmen und einer farbigen Karte, eoeeoooo
Preis 4 Mark.
Sin eigenartiges Stück deutscher Erde schildert dieser
neueste Band der von A. Scobel herausgegebenen geographischen
Monographien. Der Maler Morgenstern und der Dichter Theodor
Storni waren es. welche die Schönheiten der Heide entdeckten,
dieser merkwürdigen Landschaft mit den weichen Linien und den
Farbenkontrasten, blaudämmernd in der Morgenfrühe, purpurn im
Sonnenuntergang. Auf braunem Grundtone weifte Birken mit
hellgrünen Blättern, dunkler Kiefernwald, rote Heidhügel; und wie
eine Böcklinsehe Farbenphantasie ragen hohe Wacholder empor,
lebende graugrüne Obelisken, dazwischen die rote Heide, den
lichtblauen Äther darüber — ein Bild von unmittelbarster farbiger
Gewalt. Geschichte und Kultur, Volkstum und Landschaft sind
meisterhaft geschildert und ausgezeichnet illustriert, wozu der
Verfasser xiz künstlerische Aufnahmen selbst angefertigt hat.
Nicht nur dem feinsinnigen Hamburger, sondern auch jedem
deutschen Naturfreunde wird der Band willkommen sein.
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Beiblatt
Die erste große Monographie über Arnold Böcklin.
(Verlag von Velhagen & Klasing in Bielefeld und Leipzig.)
Arnold Böcklin.
Von Fritz von Ostini.
= Mit 106 Abbildungen und einem farbigen Titelbild. ■ ' ■ -
1) Bibliotheksausgabe in dem bekannten Einbande der Monographien: 4 Mark,
2) Geschenkausgabe in festem Einbande mit reicher Goldpressung: 5 Mark.
Eine umfassendere, von reichem Bilderschmuck begleitete Würdigung unseres groben
Meisters Arnold Böcklin fehlte bisher vollständig. Zum ersten Male wird in der Monographie,
welche diese Zeilen ankündigen sollen, beides vereinigt: eine gründliche, auf eingehenden
Studien fußende Darstellung des Lebens und des künstlerischen Werkes von Arnold Böcklin und,
was gerade für das Verständnis seiner Eigenart dringend geboten erscheinen mußte, die Begleitung
dieses Textes, den Fritz von Ostini schrieb, durch ausgezdehnete Reproduktionen seiner hervor¬
ragendsten Gemälde. Nicht weniger als 104 AbbUdungen bringt der Band nach den jetzt über 1
alle Welt verstreuten Bildern des groben Schweizers, nach Studien und Zeichnungen; mit land¬
schaftlichen Jugendschöpfungen des Zwanzigjährigen, der sich grad mit Mühe und Sorge die
Erlaubnis zum Eintritt in die Düsseldorfer Akademie erkämpft hatte und noch stark unter dem
Einfluß des trefflichen Schirmer stand, hebt die Illustration an, und sie schließt mit Werken der 1
letzten Zeit, in der Böcklin endlich — endlich! — zur allgemeinen Anerkennung gelangt war. j
So entrollen Text und Bild vor uns ein Künstlerleben, das in unserer Zeit völlig einzigartig ist:
ein Leben ganz erfüllt von ewigen Kämpfen und ewigem Ringen, nicht zuletzt gerade deshalb
unermeßlich reich, und dennoch durchsetzt von Enttäuschungen und Bitternissen, die nur ein
Mann, der auch als Mensch groß war, überwinden konnte. All sein Lebtag ist Böcklin
eigentlich auf Dornenpfaden gewandelt In seiner Pariser Studienzeit hat er mit seinem Freunde ,
Koller zusammen gehungert, das Glück seiner jungen Ehe wurde ihm durch die peinlichsten
Sorgen vergällt, nirgendwo konnte er festen Fuß fassen, nirgendwo schätzte man seine Eigenart,
nirgendwo fand er volle Anerkennung. Sechzig Jahre war der Meister alt, als endlich die
Wandelung eintrat, als man ihn recht zu ehren, dann zu bewundern begann, schließlich vielleicht
auch zu vergöttern über alles Maß und Ziel hinaus. Und als so der Ruhm zu ihm kam, da
waren es schwere Sorgen in der Familie, die ihm den Vollgenuß verbitterten. Erst wenn man
das alles weiß, vermag man die wunderbare Fülle, den unvergleichlichen Reichtum seines
Schaffens, vermag man die Tiefe des Gemüts, die aus seinen Werken zu uns spricht, recht zu
würdigen. Denn er, der größte Maltechniker unserer Zeit, war ein Poet von Gottes Gnaden,
seine besten Werke sind nichts als in Farben umgesetzte Gedichte von grandiosem Schwung.
Tiefernst, wie seine „Toteninsel", seine „Pieta“, von sonnigster Helle, wie seine „Insel der
Seligen 4 , märchenhaft, wie sein „Schweigen im Walde", phantastisch, wie seine „Najaden“ oder
seine „Kentauren". Und noch eins: in Italien ist er groß geworden, in Italien ist er gestorben
und aus der Antike hat er geschöpft — im Kern seines Wesens und seiner Kunst aber blieb
er ein deutscher Mann. So deutsch, daß man ihn z. B. in Frankreich bis heute nicht verstanden
hat Darum aber ist Arnold Böcklin uns so wert und wird uns wert bleiben, für alle Zeiten,
als der größte deutsche Maler des XIX. Jahrhunderts.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen .
J
Für die Anzeigen verantwortlich: K. Dieckmeyer, Leipzig. Hospitalstr. 27. Verlag von Velhagen & Klasing. Bielefeld und Leipzig.
Druck von W. Drugulin in Leipzig.
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eitfcbrift für Bücherfreund« fff
ftftftftftflflftftftft Organ der Gcfellfcbaft der Bibliophilen.
BEIBLATT
VIII. Jahrgang. Sechstes Heft.
September 1904.
Abonnementspreis für den Jahrgang 36 M. (21,60 FL ö. W., 45 Fr., 36 sh., 21,60 Rb.), für das Quartal (drei Hefte) 9 M.
Anzeigen
x /i Seite.60 Mark. x / 4 Seite ..15 Mark.
x / a Seite.30 Mark. x /g Seite.8 Mark.
Kleine Anzeigen (Desiderata und Angebote): die gespaltene Petit-Zeile 50 Pf. (für Mitglieder der Gesellschaft
der Bibliophilen und Abonnenten der Z. f. B. nur 25 Pf.).
Beilage-Gebühr 40 Mark. — Schluß für die Anzeigenannahme jedes Heftes am 10. des vorhergehenden Monats.
Redaktionelle Sendungen: Manuskripte, Bücher, Kataloge etc. gefL zu richten an den Herausgeber: Fedor von Zobeltitn , Berlin W. 15.
Unlandstr. 33 (Sommer: Spiegelberg bei Topper, Rgbz. Frankfurt a. O.).
Anneigen an die Verlagshandlung: FeIkagen b Klasing\ Abteilung für Inserate, Leipzig, Hospitalstr. >7.
Gesellschaft der Bibliophilen.
Unsre Gesellschaft hat wiederum einen schweren Verlust erlitten. War ihr in Joseph
Kürschner ein Mitbegründer von hervorragendem Organisationstalent entrissen worden, so be¬
trauert sie jetzt in Alexander Meyer Cohn, der am II. August im besten Mannesalter dahin
ging, einen ihrer tatkräftigsten Gönner und Freunde.
Als Eigentümer der wertvollsten, in Privatbesitz befindlichen Sammlung von Autographen
zur Geschichte der deutschen Literatur trug der Verstorbene unsrer Gesellschaft seit ihrer
Begründung das regste Interesse entgegen. Der äußerst sorgsame, als Privatdruck erschienene
Katalog seiner Sammlung, dessen Neubearbeitung er leider nicht mehr vollenden konnte, und
mehrere auf Kaiser Wilhelm I. und Goethe bezügliche Manuskriptdrucke bewiesen seine Vorliebe
fiir Bibliophilie; eine Reihe von Schenkungen vorzüglich ausgewählter und erhaltener Erst¬
ausgaben deutscher Klassiker an ein befreundetes Institut verzeichnen die letzten Bände des
Goethe - Jahrbuches.
In mehreren Gesellschaften als Vorstandsmitglied und Schatzmeister unermüdlich tätig,
hat Alexander Meyer Cohn auch der unsrigen in uneigennütziger Gesinnung und vornehmer
Form einen großen Dienst erwiesen; ohne seine Unterstützung wäre der Erwerb und die Druck¬
legung des „Deutschen Anonymen-Lexikons" schwierig, wenn nicht unmöglich geworden. Allem
äußeren Schein abhold hat der Verstorbene noch auf unsrer letzten Generalversammlung, an
der er als gern gesehener Gast teilnahm, einen öffentlichen Dank abgelehnt; trauernd rufen
wir ihn nun dem Freunde, dessen Andenken wir stets in Ehren halten werden, in die frühe
Gruft nach.
Weimar, Grunstedterstr. 16.
Der Vorstand
L A.:
Dr. Carl Schüddekopf.
Z. f. B. 1904/1905. 6. Beiblatt.
I
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Beiblatt
Rundfragen.
An dieser Stelle kommen die aus den Kreisen der Gesellschaft der Bibliophilen und der Leser der Zeitschrift
für Bücherfreunde eintreffenden Anfragen, sowie die Antworten darauf zum Abdruck. Einsendungen für diese
Rubrik an: Arthur L. JelUnek in Wien VII, Kirchengasse jg.
Fragen.
147. Die Zeitschrift: Unser Planet Blätter für
Unterhaltung.... Grimma.Jahrgang 5 (1834) ist
weder an den Wiener Bibliotheken, noch an den Biblio¬
theken zu Berlin, Leipzig, Dresden, München, Göt¬
tingen und in Grimma selbst zu finden. Wer könnte ein
Exemplar nachweisen?
Dr . F. Arnold Mayer, Wien.
148. Wer ist der Verfasser der „Familie Abrav astet
Schauspiel vor etwa zehn Jahren erschienen?
H. P.
149. Welche Zeitungen und Zeitschriften, letztere
besonders kritisch-literarischer Richtung, gab es um
das Jahr 1819 in Hamburg?
WelcheTheatergeschichten behandeln diese Epoche
der Hamburger Bühne? Al. Degasperi.
150. Wo findet sich Literatur über die sog. Schütz-
Dreherische Puppenspielgesellschaft?
Karl Schramek, Wien .
Antworten.
144. 3) Ein Exemplar von Bretschneiders Helden¬
gedicht „Graf Esau“ 1768 befindet sich in der Haifischen
Universitätsbibliothek. (Sign. Dd 382. 8°.)
Dr. Ph. Losch, Halle.
Rundschau der Presse.
Von Arthur L. Jellinek in Wien.
Die nachfolgende Übersicht versucht, die in Tagesblattera, Wochen- und Monatsschriften enthaltenen Aufsätse und Abhandlungen,
soweit sie für die Leser unserer Zeitschrift in Betracht kommen, in sachlicher Anordnung zu verzeichnen. Nur das Wichtigere aus den Ver¬
öffentlichungen der letzten Monate kann berücksichtigt werden. Absolute Vollständigkeit zu erreichen liegt für den einzelnen Bearbeiter
außerhalb des Bereiches der Möglichkeit. Die Zeitschriften sind nach Bänden, Jahrgängen, Heften oder Seiten, je nach der leichteren Auf-
findbarkeit, citiert Gleichmäßigkeit ist hierin nicht angestrebt Zusendung von Separatabdrücken und Ausschnitten an die Adresse des
Bearbeiters (Wien VH, Kirchengasse 35) erbeten.
SchriftBuch- und Bibliothekswesen.
Schrift
Andreas, F. C., H. Colfitz, Die Entstehung des Awesta-
Alphabetes.
Verhandlungen des XIII. Internat. Orientalisten¬
kongreßes. Hamburg 1902. — Leiden, Brill. 1904.
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Revue des Revues. 1903. XLVII, S. 17—36.
E. B., Drevne-vavilonskija pismena i ich sochranenie.
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Iswestija po literal., naukam i bibliografii. 1904.
VII, S. 13-14-
Hald vy, J., Über Ursprung des semitischen Alphabets.
Verhandlungen des XIII. Internat. Orientalisten¬
kongreßes. Leiden, Brill. 1904. S. 199—200.
Kühl, Dr. G., Die Entwicklung der Schrift.
Papier-Zeitung. 1903. No. 86. S. 3079. 3080.
No. 88. S. 3150. 3151. No. 91. S. 3274. 3275. No. 93.
S. 3348 - 3349 - No. 96. S. 3458. 3459. No. 98.
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Digitized by t^ooQle
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L. E. Gandouin — du Dr. van den Corput.
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Schweizer. Blätterf. Exlibris-Sammler. 1904. III,
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Gerster, L., Reding von Biberegg [und sein Exlibris
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s. 38—41.
Leiningen-Westerburg, K. E. Graf zu, Exlibris des
französischen Seminars zu Berlin von Daniel Chodo-
wieckl Exlibris . 1904. XIV, S. 7.
Leiningen-Westerburg, K. E. Graf zu, Neue Ex¬
libris. Quartalsbericht [mit Anhang: C. V. H. de
Rozsnyay, Budapest].
Exlibris. 1904. XIV, 14—30.
Pozujakov, N., Moj „Exlibris.“ [Mein „Exlibris“.]
Izvestija po literature, naukam i bibliografii.
1903, XI, S. 7 — 8 -
[Exlibris mit Bftcherflüchen.]
Scheuermann, W., Elsäßische Exlibris.
Straßburger Post. Unterhaltungsblatt. 1904.
No. 237, 264. (6. 13. III).
(Rundschau der Presse.)
Stiebei, H. Ed., Ein neues Exlibris von Vergil Solis.
Exlibris. 1904. XIV, S. 8.
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Süddeutsche Monatshefte. 1904. I, S. 808—812.
Müller, H. v., Zwei unvollendete Singsspiele von
E. T. A. Hoffmann [v. Renegat-Faustina].
Die Musik. 1903. III, i, S. 27—40.
Gebhardt, Br., Caroline von Humboldt
Velhagen &* Klasings Monatshefte. 1904. XVIII,
2, S. 686—700.
Heilborn, E., Von Storm und Keller.
Nation. 1904. XXI, No. 37.
Stoeßl, O., Gottfried Kellers Wohlwollen.
Die Zeit. 1904. XXXIX, No. 502.
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Süddeutsche Monatshefte. 1904. I, S. 782—808.
Meyer, R. M., Friedrich v. Logau.
Die Nation. 1904. XXI, No. 39.
Hauffen, W., Johannes Matthesius zu seinem 400.
Geburtstag.
Deutsche Arbeit. 1904. III, S. 747—749.
Platzhoff-Legeune, Eine vergessene Korrespondenz
der Frau von Stael (H. Meister).
Deutsche Bundschau. 1904. CXX, S. 153—156.
Barth, R., Der Akademiker Mommsen.
Die Nation. 1904. XXI, No. 47.
Krauß, R., Neun Briefe von Eduard Mörike.
Die Zeit. 1904. XXXIX, S. 3—6.
Blei, F., Novalis. Freistatt. 1904. VI, No. 21.
Engel, W., Edgar Poe.
Bühne und Welt. 1904. VI, 2, S. 837—844.
Prompt, Sur une Edition peu connue des „Nouvelles
Remarques" de Pradon.
La Bibliofilia. 1904. VI, S. 78—84.
Schwalb, M., Racines Esther.
Die Nation. 1904. XXI, No. 41, 42.
Holzer, R., Ferdinand Sauter.
Die Zeit. 1904. XXXIX, No. 501.
Kilian, Eug., Zur Revision des Schlegel-Tieckschen
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Bühne und Welt. 1904. VI, 1, S. 513—516.
Mehring, S., Ist der neue Schiller-Fund echt? Eine
Untersuchung der Form.
Die Nation. 1904. XXI, No. 39.
Blümner, H., Telljubiläum und Tellausstellung in
Zürich.
Bühne und Welt. 1904. VI, 2, S. 913—933.
Francke, O., Eine Travestie auf Schillers „Wilhelm
Teil“.
Bühne und Welt. 1904. VI, 2, S. 551—554.
Blei, Fr. Heifrich Peter Sturz.
Die Zeit. 1904. XXXIX, S. 6—7.
Vischer, F. Th., Briefe aus Italien. Mitgeteilt von
Rob. Vischer.
Süddeutsche Monatshefte. 1904. I, S. 380—397,
472—481, 721 — 733 .
Zwei Briefe Friedrich Th. Vischers an Weltlich.
Süddeutsche Monatshefte. 1904. I, S. 751—754.
Die Verlegung der Universität Tübingen nach Stutt¬
gart. Memoire von Friedrich Th. Vischer an
den württembergischen Kultusminister L.v.Golther.
Mitgeteilt von Rob. Vischer.
Süddeutsche Monatshefte. 1904. I, S. 734—750.
Von den Auktionen.
Anfang August bezeichnet in der Regel und so auch
diesmal den Schluß der einigermaßen belangreichen
Londoner Bücherauktionen. Im ganzen war die Saison
keine zu günstige für England, da allgemein in Geschäfts¬
kreisen über Mangel an Geld geklagt wird und infolge
dieser Tatsache einige bereits zur Auktion angesetzte
große Bibliotheken zurückgezogen wurden. Wenn auch
im Verfolge politischer und wirtschaftlicher Einwir¬
kungen die Mittel ftir die Käufer mehr beschränkt er¬
schienen, so bleibt trotzdem für gute Bücher die Nach¬
frage eine beständig rege, um so mehr, als amerikanische
Händler für ihre Kundschaft meistens unlimitierte Auf¬
träge besitzen. Doch auch in England ist ftir wirklich
seltene Objekte soviel Geld vorhanden, daß man ge¬
trost immer noch „von seinem Ersticken im Reichtum“
sprechen kann.
— 4 —
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Beiblatt.
In der ersten Augustwoche gelangten nachstehende
literarische Seltenheiten zör Auktion bei Sotheby:
Robert Bums, das Originalmanuskript „The Brig of
Ayr“, in der Handschrift des Dichters, gerichtet an
John Ballantyne, 7 x / 4 Folioseiten, 3400 M. (Sinclair).
Die Origin al-Kilmarnock-Ausgabe von Bums Gedichten,
1786, obgleich in vorzüglicher Verfassung, brachte
nicht mehr als 4400 M. Vor zwei Jahren erzielte ein
gleiches Buch in der Auktion bei Sotheby den Preis
von 10800 M., während bei Dowall in Edinburgh ein
derartiges Exemplar sogar mit 20000 M. bezahlt wurde.
Von andern interessanten Werken sollen nachstehende
erwähnt werden: Eine erste, aber sehr unvollständige
Shakespeare-Folio-Ausgabe, 8400 M. (Waller). Eine
dritte, gleichfalls sehr defekte Folio-Ausgabe aus dem
Jahre 1663 erstand Quaritch für 1040 M. Derselbe erwarb
eine vierte Folio-Ausgabe, datiert 1685, für 1300 M.;
„Shakespeares Werke“ nebst Glossen, im Jahre 1747
sorgsam der Quartausgabe von Oxford, 1744, nachge¬
druckt, auf durchschossenen Blättern reichlich mit hand¬
schriftlichen Bemerkungen von Dr. W. Dodd, dem Ver¬
fasser von „The Beauties of Shakespeare“, versehen,
2620 M. (A. Jackson). Eine Serie von autographischen
Briefen Robert Brownings, gerichtet an A. Domett in
Port Nelson, Neuseeland, 1840—77, erwarb Quaritch
für 3000 M.; George Chapmans „Seaven Bookes of
the Iliades of Homere“ und „Achilles Shield“, in einem
Bande, 1598, erste Ausgabe, 5840 M. (Quaritch); Ori¬
ginalausgabe von Thackerays „Vanity Fair“, 1847—48,
1500 M. (Hornstein); Lord Kingsboroughs „Andquities
of Mexico“, 1830—48,1200 M. (Quaritch). Die erste
Ausgabe von Daniel Defoes „The Fortunes and Mis-
fortunes of Moll Flanders“, 1721, erwarb Sotheran für
2600 M.
Ein Hombuch aus der Zeit der Königin Anna, in
großen gotischen Buchstaben, 300 M. (Maggs).
„Narraüve of the operations in the Peninsula“, 63 Folio¬
seiten in der Handschrift des Herzogs von Wellington,
dauert 28. Dezember 1811, erstand Quaritch für 1080 M.
Die vier Hefte von D. G. Rosetds „The Germ“, 1850,
erste Ausgabe, 650 M. (Maggs); 150 Theaterzettel, in
denen Edmund Kean als Mitspieler genannt ist,
daderend von 1814—33, erzielten 710 M. (Lazarus).
Aus der bei Hodgson abgehaltenen Auktion will ich
nicht unerwähnt lassen „Tales of My Landlord“, 1816,
erste Ausgabe Walter Scotts, 1500 M. (Hornstein).
Schließlich bemerke ich noch, daß das bei Sotheby
zurückgezogene Manuskript von Miltons „Paradise
lost“ für den ungeheuren Preis von 100000 M. in
amerikanische Hände und zwar aller Wahrscheinlich¬
keit nach in den Besitz von Mr. Pierpont Morgan
überging. In der betreffenden Auktion fehlten nur
wenige hundert Mark an der limitierten Summe von
5000 £. Wenn man erwägt, daß nur das erste Buch
des Gedichtes, 18 Blätter klein-quart, und auch diese
nicht einmal von dem Poeten selbst, sondern nur von
einem Schreiber herstammen, so muß zweifellos der
Erwerbspreis als ein vollständig phantastischer be¬
zeichnet werden. Der ganze Wert des Manuskripts
beruht nur darin, daß in dieser Fassung der erste ge¬
druckte Text des „Verlorenen Paradieses“ hergestellt
— 5
(Von den Auktionen — Inserate.)
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Bd. 72
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Mit 101 Abbildungen, darunter vier farbige
Einschaltbilder.
Bibiiothekausgabe In dem bekannten Einbande der
Monographien: 4 Mark.
Geschenkausgabe In festem Einbande mit reicher Gold¬
pressung: 5 Mark.
Zum erstenmale wird hier in zusammenhängen¬
der Darstellung über den künstlerischen Werdegang
eines jeden der beiden Männer, über ihre schweren
Kämpfe, über ihre künstlerischen Absichten und ihr
reiches Innenleben ein helles Licht verbreitet. Zahl¬
reiche vortreffliche Abbildungen fügen sich als
beredter Kommentar in die lebendige, hie und da
fast dramatische Darstellung ein und veranschau¬
lichen uns die Entwicklung beider Künstler von
ihren Anfängen bis zur höchsten Reife.
Zu beziehen durch alle Buchhandlungen.
Verlag von Velhagen & Klasing in Bielefeld n. Leipzig.
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Beiblatt.
(Von den Auktionen — Kataloge — Inserate.)
wurde. Der Buchhändler Samuel Simmons erwarb
seiner Zeit die Handschrift für ioo M. Gleichfalls
nicht uninteressant zur Geschichte des Werkes dürfte
es sein, zu erfahren, daß das „Imprimatur“ des Erz¬
bischofs Shelden nur mit Mühe und Not zu erlangen
war, weil „The paradise lost“ als nicht kirchlich genug
angesehen wurde. In dem betreffenden Auktions¬
kataloge der Firma Sotheby befand sich zur Sache
folgende Notiz: „Das Manuskript ist Eigentum von
Henry Clinton Baker in Bayfordbury und befindet sich
in seiner Familie seit 1772. Sein Ur-Ur-Groß vater
W. Baker erbte es von Richard Tonson, dessen Tochter
einen Baker geheiratet hatte.“ v. S.
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die Schönheiten der Heide entdeckten, dieser merkwürdigen Landschaft mit den weichen Linien und den
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phantasie ragen hohe Wacholder empor, lebende graugrüne Obelisken, dazwischen die rote Heide, den licht¬
blauen Äther darüber — ein Bild von unmittelbarster farbiger Gewalt Geschichte und Kultur, Volkstum
und Landschaft sind meisterhaft geschildert und ausgezeichnet illustriert, wozu der Verfasser 111 künstlerische
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Neu herauagegeben unter Mitwirkung der Herren
Archivrat von Mülverstedt,
Hauptmann Heyer von Roseofeld, Premier-Lieut.
Qritzner, L. Clerkus, Prof. A. M. Hildebrandt,
Min.-Bibliothekar Seyler und Anderen.
Ist nun bis Lieferung 493 gediehen, weitere 50—60 werden
es abschliessen.
Subskriptions-Preis für Lieferung z—zzz 4 M. 4,80,
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Monographie einzeln ab, ebenso von dem Wappenbuch jede
Lieferung und Abteilung, und empfehlen wir, sei es zum
Behufs der Auswahl oder Kenntnisnahme der Einteilung etc.
der Werke, ausführliche Prospekte, die wir suf Verlangen
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