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Full text of "Zentralblatt für Psychoanalyse. Medizinische Monatsschrift für Seelenkunde. II. Jahrgang 1911 Heft 2 November"

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Zentralblatt 

für 

Psychoanalyse. 

Medizinische Monatsschrift für Seelenkunde. 

Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. 

Herausgeber: Prof. Dr. Sigm. Freud. 

Schriftleiter: Dr. Wilhelm Stekel, Wien, Gonzagagasse 21. 


Unter Mitwirkung uon: 

Dr. Karl Abraham, Berlin; Dr. R. G. Assagioli, Florenz; Dr. Ludwig Binswanger, 
Kreuzlingen; Dr. Poul Bjerre, Stockholm; Dr. A. A. Brill, New-Vork; Dr. M. 
Eitingon, Berlin; Dr. D. Epstein, Kiew; Dr. S. Ferenczi, Budapest; Dr. Max Graf, 
Wien; Dr. Magnus Hirschfeld, Berlin; Dr. E. Hitschmann, Wien; Professor E. Jones, 
Toronto; Dr. Otto Juliusburger, Steglitz; Dozent C. G. Jung, Zürich; Dr. F. S. 
Krauss, Wien; Professor August u> Luzenberger, Neapel; Prof. Güstau Modena, 
Ancona; Dr. Alfons Mäder, Zürich; Dr. Richard Nepalleck, Wien; Dozent N. 
Ossipow, Moskau; Dr. Oskar Pfister, Zürich; Dr. James Putnam, Boston; Otto 
Rank, Wien; Dr. R. Reitler, Wien; Dr. Franz Riklin, Zürich; Dr. J. Sadger, Wien; 
Dr. L. Seif, München; Dr. A. Stegmann, Dresden; Dr. M. Wulff, Odessa; Dr. Erich 

Wulffen, Dresden. 


II. Jahrgang Heft 2. 

Nouember. 


Wiesbaden. 

Verlag uon J. F. Bergmann. 
1911 . 


Jährlich erscheinen 12 Hefle im Gesamt-Umfang uon 36 bis 
40 Druckbogen lahrespreise uon 18 



INSTlTUiJ \ 

QF 

PSYCHO-ANALYSIS 


LENDING LIBRARY y * 















Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden. 


Soeben erschien: 

Die klinische Untersuchung’ 
N ervenkranker. 

Ein Leitfaden 

der 

allgemeinen und der topischen und eine synoptische Zusammen¬ 
stellung der speziellen Diagnostik der Nervenkrankheiten für 
Studierende und. praktische Ärzte 

nach Vorlesungen 

von 

Dr. Otto Veraguth. 

Nervenarzt, Privatdozent der Neurologie an der Universität Zürich. • 

Mit 102 teils farbigen Textabbildungen und 44 Schematen und Tabellen. 


Preis gebd. Mk. 10.65. 


Aus dem Vorwort. 

Zweck dieses Buches ist: Einführung des Medizinstudenten 
und des nicht neurologisch spezialisierten Arztes in die theoretisch 
immer interessanter und praktisch immer wichtiger werdende 
Nervenheilkunde. { 

Eine solche Bestimmung verlangte Ausführlichkeit in der 
Behandlung der Untersuchungstechnik mit möglichst jeweiligem 
Hinweis auf die physiologische, anatomische und physiopathologische 
Begründung der optimalen Untersuchungsbedingungen und eine 
Darstellung der Lehren der topischen Diagnostik nach Gesichts¬ 
punkten, die vom Schema weg zum selbständigen Erfassen weisen. 

v Aus dem Bestreben, dem frisch an das Gebiet Herantretenden 
möglichst umfassende, aber in sich geschlossene Vorstellungsbilder 
zu bieten, sind etwelche Eigentümlichkeiten des Buches entstanden: 
Einfügung von bisher in Neurologiebüchern noch nicht behandelten 
Themen und von neuen Darstellungen altbekannter Tatsachen. . . . 

. . . Dem Charakter eines Einführungsbuches zuliebe sind 
viele anatomische Bilder, auch über die peripheren Nerven, bei¬ 
gegeben worden. . . . 





Originalarbeiten, 


i. 

Die Lehren der Freud-Schule. 

Von Havelock Ellis. 

Im Jahre 1895 erschien ohne Aufsehen zu erregen in Wien ein 
Buch, das „Studien über Hysterie“ betitelt und gemeinsam von zwei 
Autoren, Dr. Josef Breuer und Dr. Sigmund Freud, verfasst 
war. Es fehlte an einem Publikum zur Aufnahme des Buches und so 
erweckte es nur schwache Aufmerksamkeit und fand wenig Käufer. In 
England blieb es fast vollständig unbekannt, so dass es dem Schreiber 
dieser Zeilen zur Genugtuung gereicht, daran erinnern zu können, dass 
wohl die erste vollständige Darlegung der in diesem Buche enthaltenen 
Grundanschauungen in englischer Sprache im ersten Bande seiner eigenen 
„Studien über Sexualpsychologie“ im Jahre 1898 erschien. Und doch 
wurde mit diesen. Studien über Hysterie, wie ein aufmerksamer Leser 
imschwer bemerken konnte, eine neue Seite in der medizinischen 
Psychologie aufgeschlagen, und diese neue Seite war von bestrickendem 
Interesse. Ein Fall von Hysterie war nun nicht länger ein Ding, das sich 
mit einem Lächeln der Verachtung als unwürdig der Aufmerksamkeit 
eines Arztes abtun liess, noch konnte er bloss durch genaue Beschreibung 
der physischen Symptome erledigt werden, wie es die Schule Charcot’s 
getan hatte, zu welcher Schule Freud in seinen ersten Anfängen ge¬ 
rechnet werden kann. Er war ein Geheimnis, das man geduldig durch¬ 
forschen musste, ein Geheimnis, dessen Schlüssel oft weit zurück und 
vergessen in der Geschichte des Patienten lag; und diese medizinische 
Geschichte gewann, wenn sie geschickt, mit Wissen und Einsicht benützt 
wurde, nicht bloss psychologische Bedeutung, sondern auch etwas von 
dem Interesse eines Romanes. 

Die Priorität für die Erfassung der in jenem Buche enthaltenen 
Ideen und für die darauf aufgebaute Behandlung gebührt, wie Professor 
Freud anerkannt hat, dem älteren Autor Dr. B r e u e r. Nachdem er 
so den Weg gewiesen hatte, verschwindet Breuer von der psycho¬ 
analytischen Szene. Freud jedoch verfolgte, unabgeschreckt vom Aus¬ 
bleiben aller Sympathie und Aufmerksamkeit, den so gewiesenen Weg; 
er erreichte stets neue Gesichtspunkte und liess bald den Standpunkt des 

Zentralblatt für Psychoanalyse II*. 5 


62 


Havelock Ellis, 


ersten Buches hinter sich, so dass selbst jetzt die Formulierung seiner 
Lehren nicht als endgültig anzusehen ist. Nach etwa zehnjähriger Arbeit 
begann das Interesse an dem Schaffen F r e u d ’s Ausdruck zu finden, 
seine Bücher wurden begehrt und auch unter den Ärzten fanden sich 
einige erklärte iVnhänger. Während der letzten fünf Jahre hat diese 
Bewegung einen mächtigen Aufschwung genommen. Heute zählt Freud 
zahlreiche tüchtige Anhänger; unter diesen nimmt Jung in Zürich den 
ersten Platz ein, der zu den Methoden F r e u d ’s wichtige Bereicherungen 
gefunden hat. F r e u d ’s Psychoanalyse wird nun nicht nur in Öster¬ 
reich und der Schweiz verteidigt und angewendet, sondern auch in den 
Vereinigten Staaten, in England, Indien, Kanada und, wie ich nicht zweifle, 
in Austral-Asien. Die tiefgehende und allgemeine Bedeutung dieser Be¬ 
wegung fand ihre Anerkennung, als Freud eingeladen wurde, die Ver¬ 
einigten Staaten zu besuchen, um den Grad eines L. L. D. [doctor legum *■)] 
an der Clark-Universität zu empfangen und eine Reihe von Vorlesungen 
über Psychoanalyse zu halten. 

F r e u d ’s Lehren sind so weit ausgreifend, so neu und in manchen 
Punkten dem, was als gesichert überliefert wird, so völlig entgegen¬ 
gesetzt, dass sie nicht nur glühende Begeisterung, sondern auch bittere 
Feindseligkeit und Verachtung erregt haben, insbesondere in Deutschland. 
Die neue Schule steht inmitten der Wogen eines heissen Kampfes. Aber 
zwischen den Lagern der beiden unversöhnlichen Gegner finden sich 
noch viele, die der Ansicht sind, dass wir — mag es auch noch un¬ 
möglich sein, den Platz, den Freud in der Psycho-Pathologie einnimmt, 
endgültig zu bestimmen — ihm jedenfalls für die neuen Gesichtspunkte, 
die er ans Licht gebracht hat, unsere Dankbarkeit schulden und dass 
wir keinesfalls den Leitfaden fallen lassen dürfen, den er uns für die 
Durchforschung vieler noch im Dunkel liegender Wissensgebiete in die 
Hand gegeben hat. 

F r e u d ’s Lehren sind so ineinander verschlungen, dass es un¬ 
möglich ist, sie völlig und klar in wenigen Minuten darzulegen. Ein 
knapper Umriss einiger seiner wichtigsten Sätze kann immerhin von 
Nutzen sein. 

Nach der Ansicht F r e u d ’s liegen die grössten und bedeutendsten 
Teile des Gebietes der Psychologie in der Region des Unbewussten. Der 
wichtigste Teil der Aufgabe des Psycho-Pathologen im Sinne F r e u d ’s 
besteht darin, die Spuren der krankhaften Prozesse, die in dieser dunkeln 
Region vor sich gehen, zu entdecken und sie an die Oberfläche des 
bewussten Daseins zu bringen und dadurch krankhafte Vorgänge zu 
normalen umzubilden. Die dabei anzuwendende Technik ist das Um und 
Auf der Psychoanalyse. Freud führt die krankhaften Vorgänge, denen 
seine Untersuchung gilt — Hysterie, Zwangsneurosen und Verwandtes —, 
zurück auf in der frühen Kindheit liegende Wurzeln, auf eine infantile 
Disposition; darin liegt der Grund, warum sie dem ungeschulten Blick 
verborgen, im Unbewussten liegen. Die späteren psychischen Traumen, 
die in die Reihe der Ursachen der Hysterie oder Zwangsneurose ein- 
treten, können höchst bedeutsam sein, aber sie stehen immer insgeheim 
in Verbindung mit einem zugrunde liegenden, wenn auch verborgen 


■) Anmerkung des Übersetzers. 



Die Lehren der Freud-Schule. 


63 


bleibenden Trauma oder einer konstitutionellen Disposition, die von der 
Kindbeit oder frühen Jugend herrühren. 

Diese infantile Quelle späterer krankhafter psychischer Vorgänge 
ist nach der Ansicht F r eu d ’s sexueller Natur. Auf die infantile Sexualität 
und ihre Bedeutsamkeit für das ganze spätere Leben im Falle einer 
Erkrankung legt er sehr grosses Gewicht. Das Sexualleben des Kindes 
sieht er als sehr kompliziert an. Es besteht ursprünglich in blosser Be¬ 
rührungslust, Daumensaugen und Reiben der Genitalien und der urethralen 
und analen Öffnungen und anderer erogener Zonen. Später entwickelt es 
sich zu einem besonderen Interesse für die exkretorischen Tätigkeiten, 
der defäkatorischen sowohl wie der urinalen. Sobald es sich auf andere 
Personen ausdehnt, trachtet es sich im Falle des Knaben an die Mutter, 
im Falle des Mädchens an den Vater festzuknüpfen, desgleichen auch 
an die Geschwister des entgegengesetzten Geschlechtes; es sucht aber 
auch die Geschlechtsunterschiede in der Bedeutung, die sie für Er¬ 
wachsene haben, nicht zu beachten. „Man wird kaum fehlgehen“, sagt 
Freud, „wenn man jedem Kinde eine teilweise Eignung zur Homo¬ 
sexualität zuschreibt.“ Diese besondere Vorliebe kann auch zur be¬ 
sonderen Abneigung werden. Im Grunde ist sie jedenfalls ein Wunsch. 
Ein sexueller Wunsch ist, nach Freud’s Theorie, die Wurzel vieler 
psychopathischer und neuropathischer Zustände, die daher auf Störungen 
in der sexuellen Entwicklung zurückgleführt werden können. 

Im Fortgange der Entwicklung verschwindet der ursprüngliche 
sexuelle Wunsch ins Unbewusste und wird im Bewussten durch irgend 
ein anderes Zeichen seines Daseins ersetzt. Dies tritt unvermeidlich ein, 
denn bei zunehmendem Alter drängen die Gefühle, welche durch Scham, 
Ekel und die Moral hervorgerufen werden, den infantilen sexuellen Wunsch 
aus dem Gesichtsfelde des Bewusstseins. Einzelne Teilstücke der infantilen 
Form der Begierden können in gewissen Fällen als Perversionen fixiert 
werden und weiter bestehen. Die Perversion verhält sich zur Neurose wie 
das Positiv zum Negativ. In den Neurosen äussern dieselben Urimpulse 
ihre Wirkung, aber sie wirken vom Unbewussten aus. Selbst in dem 
Erstlingswerk von Breuer und Freud sind schon viele belehrende 
Fälle berichtet, die beweisen, dass die schmerzhaften physischen Sym¬ 
ptome tatsächlich mit früheren Episoden und Wünschen sexuellen Inhaltes 
in assoziativer Verbindung stehen, jedoch so, dass diese Verbindung dem 
Bewusstsein verloren gegangen ist und die ganze Intensität des ver¬ 
drängten Gefühles auf das physische Symptom übertragen wurde. Die 
Krankheit ist, nach Fr eu d ’s Worten, eine Flucht vor der unbefriedigenden 
Wirklichkeit in etwas, was zwar im biologischen Sinne schädlich, aber 
doch nicht ohne Vorteil für den Patienten ist, da er von der Welt be¬ 
trogen oder nicht mehr imstande, den Kampf mit ihr aufzunehmen, 
mit seinen umgeformten infantilen Wünschen sich wie in ein Kloster 
dorthinein zurückziehen kann. 

Dies ist eine auf das Äusserste abgekürzte Beschreibung der 
Lage der Dinge nach F r e u d ’s Auffassung, gegen welche dann der 
Arzt ankämpfen muss; sie ist, wie Freud mit Entschiedenheit ver¬ 
sichert, nicht qualitativ verschieden von dem Befund bei normalen 
Personen, wenn auch in der Intensität sehr gesteigert. Der Vorgang, 
durch welchen die Ärzte der Freud ’schen Schule diesen Zustand er- 

5* 


64 


Havelock Ellis, 


forschen und an das Licht des Bewusstseins bringen, womit zugleich 
seine Heilung erzielt wird, ist die berühmte Methode der Psychoanalyse. 

Anfänglich benützte Freud die Hypnose als Forschungsmethode. 
Doch hat er sie schon längst als willkürlich und selbst der Erforschung 
noch bedürftig aufgegeben, da ja in zahlreichen Fällen die Patienten 
überhaupt nicht hypnotisiert werden konnten. Er zieht es vor, den Pa¬ 
tienten im Normalzustände nach einer Methode zu erforschen, die er 
die kathartische nennt. Es scheint nicht gerade vielversprechend zu 
sein, dass ein Arzt dasjenige erfahren soll, was er wissen will, indem 
er den Patienten darüber befragt, der davon ebensowenig weiss. Doch 
Freud erinnerte sich daran, dass er in Nancy Bernheim gesehen 
hatte, der zu zeigen imstande war, dass ein Patient, wenngleich er von dem, 
was mit ihm in einem vorhergehenden hypnotischen Zustande geschehen 
war, scheinbar nichts mehr erinnern konnte, doch durch geschickte Be¬ 
handlung dahin gebracht werden konnte, die Kenntnis dieser Vorgänge 
wiederzugewinnen. Er fand, dass bei den ersten Gefühlserfahrungen, welche 
die Wurzel der Neurose dieser Patienten bildeten, derselbe Vorgang möglich 
war. Freud fordert den Patienten auf, alles auszusprechen, was ihm 
durch den Kopf geht, mag es auch beziehungslos oder albern erscheinen, 
während er diese Blasen, die aus der Tiefe des Seelenlebens aufsteigen, 
wachsam betrachtet, um jene herauszufinden, aus denen er auf die 
inneren Vorgänge schliessen kann. Jung entwickelte einen wertvollen 
Zweig dieser Psychoanalyse mit seiner Methode der freien Assoziation, 
die darin besteht, dass dem Patienten eine Wortreihe vorgelesen wird; 
dieser soll dann sogleich mit dem antworten, was ihm bei jedem Worte 
einfäll t. Die Resultate werden niedergeschrieben in der oft schon be¬ 
stätigten Erwartung, dass der Patient auf diesem Wege Geheimnisse ver¬ 
raten wird, die ihm selbst noch unbekannt sind. Diese Methode sieht 
Freud als das psychoanalytische Äquivalent der Qualitätsanalyse des 
Chemikers an. 

Während des Patienten wirkliche Geschichte so enthüllt und langsam 
und mühevoll an die Oberfläche gebracht wird — und Freud räumt 
ein, dass der Vorgang äusserst langsam und mühevoll ist —, wird der 
Patient in Stand gesetzt, sich der krankhaften Vorgänge bewusst zu 
werden und dies hilft ihm dazu, sich von ihnen freizumachen. Darum 
ist die psychoanalytische Methode kathartisch; Freud selbst macht 
darauf aufmerksam, dass sie gerade das Gegenstück zur hypnotischen 
Methode bildet, denn während die Hypnose etwas in den Patienten 
einzusetzen sucht, sucht die Psychoanalyse etwas zu entfernen. 

Diese Erfassung der Psychoanalyse war eine glanzvolle Idee, für 
die wir Freud allein zu Dank verpflichtet sind. Doch wurde, soweit 
ich davon unterrichtet bin, bis heute noch nicht darauf hingewiesen, 
dass Freud einen Vorgänger in dieser Idee hat, wenn auch nicht in 
ihrer klinisch-therapeutischen Anwendung. Im Jahre 1857 veröffentlichte 
Dr. J. J. G a r t h W i 1 k i n s o n , ein damals bekannter Anhänger der 
Swedenborg ’schen Mystik, einen Band mystischer Knüttelverse, die 
nach einer, wie er annahm, „neuen Methode“ geschrieben waren, der 
Methode der „Impression“. ,,Ein Thema wird gewählt oder nieder¬ 
geschrieben,“ schildert er, „sobald dies geschehen ist, so ist der erste 
geistige Eindruck, der dem Akte des Niederschreibens des Titels folgt, 
der Beginn einer Entfaltung des Themas, gleichgültig, wie seltsam und 


Die Lehren der Freud-Schulen. 


65 


fremdartig das Wort oder die Phrase sein mag.“ „Die erste Bewegung 
des Verstandes, das erste Wort, das kommt“, ist die Antwort auf 
den Wunsch des Geistes, das Subjekt aufzurollen.“ Die Fortsetzung ge¬ 
schieht auf dieselbe Weise und Garth Wilkinson fügt hinzu: „Ich 
fand immer, dass es mit einem untrüglichen Instinkte zu dem Subjekte 
führe.“ Die Methode war nach der Ansicht von Garth Wilkinson 
eine Art von Laissez-faire in der Exaltation, ein an die tiefsten un¬ 
bewussten Instinkte gerichtetes Gebot, sich Ausdruck zu finden. Ver¬ 
stand und Wille, so will es seine Unterweisung, sind ausgeschaltet; 
man vertraut einem „influx“, und die geistigen Fähigkeiten werden 
„Zielen zugewendet, von denen sie nichts wissen“. Garth Wilkinson, 
dies muss stets festgehalten werden, benützte, obgleich er Arzt war, 
seine Methode für religiöse und literarische und nicht für wissenschaft¬ 
liche oder medizinische Zwecke. Doch es ist leicht zu erkennen, dass 
sie im Wesen nichts anderes ist als die Anwendung der psychoanalytischen 
Methode auf das eigene Ich. 

Freud meint auch, dass wir die Methode der Psychoanalyse auf 
uns selbst anwenden sollen, und dies ist sogar eines seiner Lieblings¬ 
themen. Mit der Selbst-Psychoanalyse, deren Fürsprecher Freud ist, 
ist die Traumdeutung gemeint. Er stellt den Satz auf, dass der ganze Vor¬ 
gang der Hysterie und der anderen Neurosen mit grösster Genauigkeit 
an den Träumen normaler Personen studiert werden kann. „Auf die 
Frage“, sagt Freu d irgendwo, „wie man Psychoanalyse erlernt, könnte 
ich nur antworten, durch das Studium der eigenen Träume.“ Die Traum¬ 
deutung ist seiner Meinung nach der eigentliche und Hauptweg zur 
Kenntnis des Unbewussten und die unerschütterliche Grundlage der Psycho¬ 
analyse. Die Analogie zwischen Traum und Wahnsinn ist schon seit 
altersher bekannt. Freud hat ausgeführt, dass der psychische Prozess 
des Träumens, zum mindesten in einigen Fällen, grosse Ähnlichkeit mit 
dem Bilde der Hysterie und verwandter Krankheitsformen bietet; dass 
hier wie dort dieselben sexuellen Wünsche, dieselbe Verdrängung und 
Zensur walten, dass das Resultat bei beiden die Folge einer Verwandlung 
und des Gebrauches einer symbolischen Darstellung ist; auch bedarf der 
Traum zu seiner Deutung ebenso der Anwendung der Psychoanalyse bis 
auf sein nebensächlichstes Detail. F r e u d ’s grösstes und sorgfältigstes 
Werk, dem er vielleicht das meiste Gewicht zuschreibt, ist seine „Traum¬ 
deutung“. 

Wenn wir Freud’s Auffassung von Hysterie und anderen ver¬ 
wandten psychologischen Zuständen betrachten, denken wir natürlich zu¬ 
nächst an Janet, dem einzigen Forscher, der Anspruch darauf erheben 
darf, neben ihm genannt zu werden. Die Ähnlichkeit in manchen Punkten 
fällt in die Augen. Beide Forscher bestehen auf einer ausschliesslich 
psychologischen Erklärung, beide sind in ihren Erklärungen scharfsinnig 
und sorgfältig. Beide suchen den Schlüssel in einer psychischen Teilung. 
Doch während J a n e t ’s „Dissoziations-Zustände“ auf angeborener Un¬ 
fähigkeit zur Erreichung einer vollständigen psychischen Synthese be¬ 
ruhen, erklärt Freud die psychische Gegenwirkung dynamisch als einen 
Konflikt feindlicher psychischer Kräfte. Auch nimmt er für diesen Vor¬ 
gang ein viel weiteres Anwendungsgebiet in Anspruch, als es Janet 
für seine Theorie fordert. 


66 


Havelock Ellis, 


Freud ‘wurde, es ist kaum nötig, dies zu wiederholen, von den 
verschiedensten Gesichtspunkten aus kritisiert. Auch unter denen, die 
seine Theorie in einigen Punkten akzeptieren, finden sich viele, die 
keineswegs zugeben wollen, dass sexuelle Impulse bei psychopathologischen 
Prozessen eine so grosse Rolle spielen. In dieser Hinsicht hält Freud 
seinen Standpunkt mit Entschiedenheit fest. Er gesteht bereitwillig zu, 
dass er das Wort Sexualität in einem weiteren Sinne als dem gewöhn¬ 
lichen gebraucht; doch er versichert dabei, dass die Benützung in diesem 
weiteren Sinne ein Erfordernis ist. Er weist auch auf das Beweismaterial 
hin, das von S a n f o r d Bell und anderen Psychologen beigebracht 
wurde, die gezeigt haben, dass die sexuellen Gefühlsströmungen in Liebe 
und Eifersucht eine weit grössere Rolle im Leben auch ganz kleiner 
Kinder spielen, als man gemeiniglich anzunehmen geneigt ist. 

Zu welchen Schlussfolgerungen immer wir aber auch mit Hin¬ 
blick auf die Leistung F r e u d ’s gelangen mögen, daran kann kein 
Zweifel bestehen, dass seine Werke ein eingehendes Studium verlangen 
und dass wir es uns nicht länger gestatten dürfen, daran mit gleich¬ 
gültiger Verachtung vorbeizugehen. Dem nur das Englische beherrschenden 
Leser ist nun durch B r i 11 ’s Übersetzung von F r e u d ’s „Ausgewählte 
Schriften über Hysterie und andere Psychoneurosen“ (in New-York er¬ 
schienen) ein Zugang eröffnet worden, und in Kürze wird eine englische 
Übersetzung der neuen 3. Ausgabe der Traumdeutung erscheinen. Dem 
deutschen Leser seien die beiden fesselnden und glänzenden Bände von 
Freud’s „Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre“ besonders emp¬ 
fohlen, während ausgearbeiteteres Material von dem „Jahrbuch der psycho¬ 
analytischen Forschungen“ beigestellt wird, von dem mehrere Bände mit 
Beiträgen von Freud und seinen Anhängern schon erschienen sind. Ich 
selbst gehöre zu jenen, die überzeugt sind, dass Freud in einigen 
Fällen der Nachweis gelungen ist, dass seine Erklärungen sich mit den 
Tatsachen decken. Doch bin ich der Ansicht, dass er zu schnell ver¬ 
allgemeinert und dass er allzu streng jeden Erklärungsversuch ausschliesst, 
der nicht im Kreise seiner Theorie bleibt. Das ist insbesondere der Fall 
bei jenem Forschungsgebiete Freud’s, der Traumdeutung, das ich auch 
mit grösster Sorgfalt beobachtet habe. 

Jedenfalls hat Freud unseren Horizont erweitert und tiefer in 
gewissen psychischen Feldern geschürft, als irgend einer seiner Vorgänger. 
Wie bei Lombroso, dessen Theorien oft mangelhaft, ja sogar in ihren 
tatsächlichen Voraussetzungen falsch waren, wird es sich wohl auch 
bei Freud zeigen, dass e r die Zauber wirkende Hand des Genies besitzt, 
die allem, was sie berührt, Leben schenkt und einen neuen Antrieb zur 
Forschung verleiht, wofür wir nie dankbar genug sein können. 


n. 

Zur Frage der Genese des Eifersuchtswahnes. 

Von Dr. Hans Oppenheim —Berlin, 
ehemaligem Assistenten am „Berolinum“ (Lankwitz). 

In der Symptomatologie zahlreicher Psychosen, die mit der Bildung 
von Wahnvorstellungen einhergehen, spielt der Eif ersuchts wahn 
eine hervorragende Rolle; bekannt ist sein Auftreten besonders hei Alkoho- 
listen, aber auch im Verlaufe vieler anderer Geistesstörungen ist er, meist 
vergesellschaftet mit sonstigen Beeinträchtigungs- und Verfolgungsideen, 
häufig anzutreffen. Diese vielmalige Wiederholung der gleichen Wahnform 
in Psychosen verschiedensten Gepräges gibt zu denken und wird in uns 
die Vermutung einer verwandten oder ähnlichen Entstehung erwecken. 
Die folgenden Untersuchungen wollen einiges Licht in dieses Problem 
tragen. 

Was zunächst Zeit und Art des Auftretens von Eif ersuchts wahn 
innerhalb der einzelnen Psychose betrifft, so ist einmal die relative Spät- 
heit seiner vollkommenen Ausbildung, andererseits die starke Fixierung 
der einmal entstandenen Wahnidee bemerkenswert. Schon früh zwar, in 
den ersten Stadien der Psychose, kommen dem Kranken häufig wahn¬ 
hafte Vorstellungen in Form beunruhigender Vermutungen oder Verdachte, 
die sich auf die eheliche Treue seiner Frau beziehen, ohne indes vorerst 
zu der ausgeprägten Gestalt einer systematisierten Wahnvorstellung sich 
zu verdichten; diese Ausmodellierung vollzieht sich erst allmählich pro¬ 
portional dem Vorschreiten der psychischen Konflikte, um dann freilich 
eine durchaus umschriebene Form anzunehmen, deren Stabilität und Ver¬ 
harrungstendenz gegenüber berichtigenden Gegenvorstellungen eine ausser¬ 
ordentliche ist. Über die zeitlichen Beziehungen des Eifersuchts¬ 
wahnes lässt sich nur soviel sagen, dass die wahnhaften Einbildungen 
kaum minder häufig auf die Vergangenheit als auf gegenwärtige Verhält¬ 
nisse Bezug nehmen: ebenso wie der Kranke für den Augenblick seinem 
Weibe das Begehen strafwürdiger Fehltritte und ehebrecherischer Hand¬ 
lungen unterschiebt, bildet er auch anschuldigende Wahnvorstellungen, 
deren Inhalt von vergangenen Ereignissen seinen Ausgang nimmt. Diese 
letztere Form der Wahnbildung betrifft entschieden häufiger eine retro¬ 
spektive Umdeutung wirklicher ehemaliger Erlebnisse, die dann als so¬ 
genannte Erinnerungsentstellungen zum Vorschein kommen, als 
die freie wahnhafte Erfindung angeblich erlebter Vorgänge, wie sie Krae- 
p e 1 i n unter dem Namen Erinnerungstäuschungen versteht; das 


68 


Dr. Hans Oppenheim, 


Verhältnis ist hier ähnlich dem der „Illusion“ zur „Halluzination“ 
(Wer nicke). Mit anderen Worten: auf die Vergangenheit bezügliche 
Eifersuchtsideen entstehen meist durch „illusionäre Auslegung“ (Ziehen) 
tatsächlicher, als Anknüpfungssymptom dienender Ereignisse, seltener 
dagegen als dichterische Erzeugnisse der blossen Phantasie. Die Gefühls- 
betonung des Eifersuchtswahnes endlich bietet, da sie seinem Inhalte 
im allgemeinen adäquat ist, wenig Bemerkenswertes; nur wäre zu be¬ 
tonen, dass Eifersuchtsgedanken meist mit dem Tone zorniger Erbitterung 
oder drohender Rachsucht geäussert werden, während sie depressive Affekte 
seltener, eine mehr indifferente Stimmungslage nur in Ausnahmefällen 
begleiten. 

Soviel über die allgemeinen Eigenschaften des Eifersuchtswahnes. 
Wenn wir uns nunmehr, um unserer eigentlichen Aufgabe näher zu 
kommen, seinen besonderen, je nach der möglichen Entstehung ver¬ 
schieden zu deutenden Arten zuwenden, so lassen sich a priori fünf 
differente Kategorien der Eifersuchtsgenese aufstellen: nämlich 
Eifersuchtsideen erstens als autochthone Einfälle, sogenannte 
Delires d’emblee, zweitens als affektive Gedankenproduk¬ 
tionen, drittens und viertens als Beziehungs- resp. Er¬ 
klärungswahnvorstellungen und endlich fünftens als un¬ 
bewusste Komplexe sexueller Provenienz. Es kommt darauf 
an, festzustellen, welcher der hier aufgezählten Entstehungsmechanismen 
die weiteste Verbreitung aufweist und damit den Anspruch erheben kann, 
in der Lehre von der unbegründeten Eifersucht als „Vater des Gedankens“ 
zu gelten. 

Die in der Literatur verstreuten Bemerkungen über den Eifersuchts¬ 
wahn dürften, soweit sie Erklärungsversuche seiner Genese darstellen, fast 
ausnahmslos bei kritischer Würdigung ihres Erkenntniswertes dem Gefühle 
einer gewissen Unzulänglichkeit begegnen. Dies rührt daher, dass die 
Konstruktion des Eifersuchtswahnes in der Weise, wie sie bisher stets ver¬ 
sucht wurde, nämlich aus einer einfachen Wurzel, zeige sie auch das 
mannigfachste Aussehen, den Tatsachen nicht entspricht; die Eifersucht ist 
vielmehr ein komplexes Gebilde, aufgebaut aus mehreren, verschiedenen 
Wurzeln, unter denen die bisher angeführten vielleicht eine Rolle, sicherlich 
aber nicht die einzige und dominierende spielen. Man muss sich, um den 
Ursprung einer derart einseitigen und daher unzureichenden xVuffassung 
zu verstehen, vergegenwärtigen, in welches Teilgebiet des seelischen 
Lebens eigentlich der Eifersuchtswahn einzureihen ist; im Gegensatz 
zur üblichen Ansicht hegen wir die Meinung, dass nicht nur er, sondern 
die weitaus meisten, ja vielleicht sämtliche Wahnvorstellungen überhaupt 
in genetische Beziehung zu dem grossen Gebiet der Triebe zu setzen 
sind. Nicht der Intellekt ist der Boden, auf dem in letzter 
Linie die Wahnidee sich entwickelt und ihre Blüten 
treibt; das Trieb- und Wunschleben vielmehr gibt den 
Mutterboden ab für die Entstehung des Wahnes. Man ver¬ 
sperrt sich also von vornherein den Einblick in den Gesamtmechanismus, 
wenn man wie bisher die Entstehung des Eifersuchtswahnes ausschliess¬ 
lich aus intellektuellen Vorgängen heraus sich klarzumachen sucht, während 
man doch zu allererst das Triebleben des Kranken berücksichtigen und 
den überwertigen Einfluss der, wie vorwegnehmend gesagt sei, hier wirk¬ 
samen Psychosexualität dafür verantwortlich machen muss. In- 


Zur Frage der Genese des Eifersuchtswahnes. 


69 


dessen mögen zunächst die bisherigen Deutungen der Eifersuchtsgenese 
einer eingehenden Betrachtung und Abschätzung unterzogen werden. 

Die an den beiden ersten Stellen genannten eventuellen 
Vorgänge der Eifersuchtswahnbildung scheiden wegen ihrer ausserordent¬ 
lichen Unwahrscheinlichkeit bei unseren Überlegungen von vornherein aus. 
Denn ein plötzliches Auftauchen, eine sozusgen apoplektiforme Entstehung 
des ausgebildeten Eifersuchtswahnes ohne irgendwelche inzitative Ante- 
zedentien lässt sich, wie übrigens schon oben betont wurde, bei eingehender 
Psychoanalyse des Kranken wohl stets von der Hand weisen; ebenso 
schwer denkbar ist die Geburt eifersüchtiger Ideen aus einer pathologischen 
Stiinmungslage heraus, als Folgesymptom einer blossen depressiven Reiz¬ 
barkeit oder etwa eines einfachen Affektes des Misstrauens. Die Vor¬ 
herrschaft negativer Gefühlstöne oder krankhafter Gereiztheit, selbst wenn 
sie' sich auf umschriebene Objekte, z. B. die häuslichen Verhältnisse, be¬ 
zieht, vermag allein, ohne Mitwirkung begünstigender Komponenten 
(gleichgültiges oder abweisendes Verhalten der Frau, Impotenz des Mannes 
und ähnliches), nie ausgeprägte Eifersuchtsideen zu erzeugen; viel öfter 
wird durch die auf anderem Wege entstandene Eifersucht erst eine sekun¬ 
däre Verstimmung hervorgerufen. 

Anders steht es mit der Deutung von Eifersuchtsideen als Be- 
ziehungs- oder Erklärungswahnvorstellungen; ihre Auf¬ 
fassung in diesem Sinne ist keineswegs von der Hand zu weisen, als un¬ 
wahrscheinlich ohne weiteres abzulehnen; vielmehr erfreut gerade sie 
sich einer zahlreichen und kompetenten Anhängerschaft (Ziehen, 
K r a e p e 1 i n, W e r n i c k e u. a.). Schon unter physiologischen Ver¬ 
hältnissen basiert ja jeder eifersüchtige Verdacht auf einer Beziehungs¬ 
assoziation, die — gleichviel ob begründet oder grundlos — gewisse 
wirkliche oder vermeintliche Vorgänge mit dem ehelichen Leben im Sinne 
einer „Störung“ desselben in Verbindung zu bringen sucht. Um wieviel 
mehr scheint dies bei der krankhaften Eifersucht der Fall zu sein; imponiert 
sie doch als eine spezielle Form des Beziehungswahnes par excellence! Der 
Kranke „dichtet“, wenn ich so sagen darf, Aussenvorgängen, denen er 
seine besondere Beachtung schenkte, eine Beziehung auf die eigene Person 
(im weitesten Sinne) an; er konzentriert diese Vorstellungen der Be¬ 
einflussung auf ein ganz bestimmtes Gebiet seiner persönlichen Verhält¬ 
nisse, sein Eheleben; dieser Ideengang ruft die negativen Affekttöne der 
Unlust hervor, worunter die Transformation in Beeinträchtigungsideen 
zustande kommen muss. Zu dieser Analyse des vermutlichen Gedanken¬ 
ablaufes ist jedoch zu betonen, dass die geschilderte Entwicklung keines¬ 
wegs als im Bewusstsein des Kranken sich abspielend zu denken ist; 
vielmehr erfolgt der allmähliche Aufbau ohne jede freiwillige Mitwirkung 
unterhalb der psychischen Schwelle, sodass allein das Endprodukt, die 
Eifersuchtsvorstellung, bewusst oder, wie wir sagen, „aktuell“ wird. Ferner 
ist die Möglichkeit nicht auszuschliessen, dass erst die Umwandlung der 
ehelichen Beziehungsideen in solche des Ehebruches die gemütliche Ver¬ 
stimmung erzeugt, anstatt umgekehrt durch diese veranlasst zu sein; auch 
eine Gleichzeitigkeit, ein Paralielismus beider Akte wäre denkbar. — 
Mir scheint diese Definition der Eifersucht in Psychosen als eine nur um¬ 
schriebene Art des Beziehungswahnes unser Kausalitätsbedürfnis nicht 
befriedigen zu können; stellt sie doch eine blosse Verschiebung der Frage 
dar, ohne uns ihrer Lösung irgendwie näher zu bringen. Denn jetzt lautet 


70 


Dr. Hans Oppenheim, 


das Problem offenbar: wie kommt es und wie ist es zu verstehen, dass 
gewisse Eindrücke der Aussenwelt gerade mit dem Eheleben des Wahn¬ 
bildners verknüpft werden und nicht mit irgendwelchen anderen Kom¬ 
ponenten seines Daseins, wie z. B. Beruf oder Zukanftswünschen? Und 
gibt man selbst zu, dass eben nur solche Erlebnisse zur Wahnbildung ver¬ 
wandt werden, die das Verhalten der Ehefrau zu ihrer Umgebung s. 1. 
betreffen, so ist auch damit nur wieder die Frage nach dem eigentlichen 
Ursprünge der Eifersucht auf einen anderen Punkt eingestellt, doch nicht 
beantwortet. Die Annahme aber, jeder Eifersuchtswahn stütze sich auf 
einen schon vor dem Ausbruch der Psychose, zu Zeiten geistiger Gesund¬ 
heit, gehegten Zweifel an der Treue der Frau, der als Anknüpfungssymptom 
zum späteren Ausbau der Wahnvorstellung diene, entspricht selten dem 
wirklichen Vorgänge; meist fällt das Auftauchen von Eifersuchtsgedanken 
bereits in das Stadium der sich entwickelnden Geistesstörung. 

Näherliegend und — in zahlreichen Fällen — recht einleuchtend 
ist die zurzeit weit verbreitete Deutung des Eifersuchtswahnes als sekun¬ 
dären Erklärungsversuch gewisser gefühlsbetonter Eindrücke 
(Wernicke); es ist dies eine Auffassung, die schon wegen ihrer oft 
überraschenden Einfachheit, mit der sie das Punctum saliens beleuchtet, 
Beachtung verdient. Der Charakter der primären Vorgänge, die als ihre 
Erklärung Wahnvorstellungen eifersüchtiger Natur hervorrufen, ist natür¬ 
lich meist derart, dass er zu Gedanken über die Gattin tendieren muss; 
es handelt sich also um — wirkliche oder fiktierte — Ereignisse, die 
in irgendeiner Beziehung zum Eheleben des Patienten stehen und eben 
wegen dieser ihrer sexuellen Färbung einen nach wirkenden Eindruck, 
eine überwertige Erinnerung hinterlassen haben. Dabei ist zu beachten, 
dass ähnliche Wahrnehmungen, zumal wenn sie mit Unlustgefühlen ver¬ 
knüpft sind, mitunter schon normalerweise die Ursache zu argwöhnischem 
Zweifel an der Treue der Frau abgeben; während aber beim Geistes¬ 
gesunden solche gelegentlichen Einfälle durch korrigierende Überlegungen 
und Beobachtungen rasch wieder verdrängt werden, arbeitet sich der 
Kranke, ohne Rücksicht auf berichtigende Assoziationen, gleichsam in 
seinen Gedanken hinein, baut ihn weiter und weiter aus; er lässt sich, 
ungehemmt durch Widersprüche, von seinen Gefühlen einfach treiben 
(„Überwertige Idee“, als Erinnerung an ein oder mehrere in Zusammen¬ 
hang stehende affektvolle Erlebnisse). Ein paar Beispiele, der Wirklichkeit 
entnommen, mögen das Gesagte erläutern. Ein Trinker wird e i n mal, als er 
sich im Rausche seiner Frau nähern wollte, von der Empörten äbgewiesen; 
anstatt dass nun der wieder Ernüchterte dies Verhalten verzeihbar oder 
wenigstens erklärlich findet, spinnt er in seiner Einsichtslosigkeit und 
Kritikunfähigkeit, die eigne Schuld ignorierend und sie in vergrössertem 
Massstabe auf die Gattin abwälzend, Gedanken krankhaften Charakters, 
die jene trotz aller Beweise ihrer bisherigen Makellosigkeit der Neigung 
zu fremden Männern, ja sogar des Geschlechtsverkehres mit ihnen be¬ 
zichtigen und deshalb sie den Gatten abweisen lassen. Ganz ver¬ 
strickt in die „überwertige Idee der Schnapsnotwendigkeit“, gefangen 
gehalten von der traditionellen Auffassung der Unentbehrlichkeit, ja Selbst¬ 
verständlichkeit des Alkoholgenusses kann, wie Juliusburger in der 
„Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie“ (Bd. XIX, Heft 2) ausführt, 
der Potator, selbst abgesehen von seiner geistigen Minderwertigkeit, schon 
deshalb nicht zur Einsicht seiner Schuld gelangen, weil ihm eben der 


Zur Frage der Genese des Eifersuchtswahnes. 


71 


Gedanke einer Pflichtverletzung oder Ungehörigkeit, die seine als „natür¬ 
lich" aufgefasste Trunksucht zur Ursache haben könnte, gar nicht ein¬ 
kommt. Dem chronischen Alkoholisten wird schliesslich der Schnaps¬ 
genuss so zur zweiten Natur, dass ihm das Ungewöhnliche seines Tuns 
ganz aus dem Bewusstsein schwindet und er seine Ausschreitungen eher 
als alles andere denn als „Folgen des schädlichen Trinkens" aufzufassen 
geneigt ist. Also: das Naheliegende wird von der Hand gewiesen und 
Unwahrscheinliches zur Erklärung nicht nur herbeigeholt, sondern auch 
ins Masslose ausgebaut; darin unterscheidet sich u. a. eben die kranke 
Psyche von der gesunden, in unserem Falle der Gewohnheits- vom (rausch¬ 
erwachten) Gelegenheitstrinker. Ferner: einen Paralytiker im Anfangs¬ 
stadium überweist — natürlich wider seinen Willen — die Ehefrau einer 
geschlossenen Anstalt, weil er draussen durch seine Vergesslichkeit und 
Kritiklosigkeit in geschäftlichen wie moralischen Dingen sich und die 
Seinen in Gefahr bringt. Im Irrenhause vermisst bald der Kranke schmerz¬ 
lich die vielen Annehmlichkeiten des Familienlebens, insbesondere den 
Umgang mit seiner Gattin; er empfindet, dass auch sie unter seiner Ab¬ 
wesenheit leiden müsste; so bildet sich, vielleicht ohne sein bewusstes 
Zutun, in seinem Geiste die Folgerung: Entweder befriedigt mein Weib 
— gleichsam notgedrungen — nun ihre Leidenschaft an einem fremden 
Manne oder sie hat mich gar deshalb entfernt, um ungestört sich anderen 
hingeben zu können. Es hat sich auf Grund des affektvollen Erlebnisses 
die überwertige Idee des Ehebruches herausgebildet. Also auch hier ein 
Übersehen der wirklichen Ursache (der eigenen krankhaften Verfassung) 
und die Beiseitedrängung widerlegender Erinnerungsbilder (von der bis¬ 
herigen Treue der Frau); hieraus folgt als Erklärung für ein affekt- 
erregendes Erlebnis (die Internierung), die Entwicklung des Eifersuchts¬ 
wahnes, der nun weiter ausgebildet, mit erdichteten Zusätzen geschmückt 
und sogar, unter tendenziöser Transformation vergangener Ereignisse, in 
retrospektiver Richtung erweitert wird. Ähnlicher Beispiele aus psychiatri¬ 
schen Krankengeschichten sind Legion, und alle haben das gemeinsam, 
dass gewisse Eindrücke mit (in weitestem Sinne) sexuellem Einschläge 
und stark negativer Gefühlsbetonung durch die Annahme des Ehebruches 
gleichsam gerechtfertigt, für den Betroffenen selbst erklärt werden sollen, 
und dies unter einer meist unbewussten Beiseiteschiebung der wirklichen 
Ursachen. Dieser Entstehungsmodus des Eifersuchtswahnes, der zwar durch 
seine Unkompliziertheit imponiert, aber doch nicht überall den Tatsachen 
zu entsprechen scheint, leitet uns zu einer anderen, bisher kaum beachteten 
Auffassung über, die wir nunmehr eingehend erörtern wollen. Gleich 
hier sei vorgreifend betont, dass trotz der Häufigkeit ihres Auftretens 
überhaupt Eifersuchtsvorstellungen unkomplizierten Charakters zu 
den Ausnahmen gehören, dass vielmehr die überwiegende Mehrzahl 
ihrer Genese nach als äusserst zusammengesetzt und verwickelt sich 
darbietet; daher bedarf es fast immer erst einer sorgfältigen Analyse, 
eines verständnisvollen und zielbewussten Eindringens in die Gedanken¬ 
welt des Kranken, um aus dem Wust verhüllender Nebensächlichkeiten, 
unterstützender Momente und auslösender Umstände den eigentlichen Kern 
der Sache herauszuschälen. Ist dies aber gelungen, so macht die Ent¬ 
wirrung des übrigen Gewebes kaum mehr Schwierigkeiten; nicht selten 
ergibt sie sich fast von selbst und gestattet dann den ersehnten Einblick 
in den Ursprung und Aufbau des ganzen Wahnsystemes. 


72 


Dr. Hans Oppenheim, 


Das Ergebnis nun, das unsere Untersuchungen und Überlegungen 
an zahlreichen teils eigenen, d. h. in unserer Anstalt beobachteten, teils 
der Literatur entnommenen praktischen Fällen gezeitigt haben, lässt den 
Werdegang der pathologischen Eifersucht, sowohl bezüg¬ 
lich ihrer Grundursachen als der Hauptbedingungen für ihr Zustande¬ 
kommen, in einem ganz anderen Lichte erscheinen als es das Studium der 
bisherigen Deutungsarten verbreitete. Zunächst sind wir, um es nochmals 
zu betonen, zu der Überzeugung gelangt, dass der Ursprung aus dem 
Triebleben, wie er oben für die meisten, wenn nicht alle Wahn¬ 
vorstellungen — soweit es sich nicht um sekundäre Erklärungs¬ 
wahnvorstellungen handelt — als höchstwahrscheinlich angegeben 
wurde, wenigstens beim Eifersuchtswahne unbedingte und ausnahmslose 
Geltung hat. Das Triebleben des Kranken, meist selbst krankhaft alteriert, 
produziert die Eifersuchtsidee als psychische Umformung gewisser, gleich 
zu besprechender Regungen; es „zwingt“ gleichsam seinem Träger jene 
Gedanken auf, die dieser dann — freilich unbewusst — weiter ausbaut 
und ergänzt. Dass nicht der Intellekt den Boden für den Eifersuchtswahn 
abgibt, erhellt ja schon aus jenen Fällen, in denen von einem Intelligenz- 
defekte im weitesten Sinne nicht die Rede sein kann, wie bei manchen 
geistig hochstehenden Alkoholisten; bildet doch keineswegs der Schwach¬ 
begabte oder Ungebildete allein den Kreis der pathologischen Eifer¬ 
süchtigen ! Da also der Trieb der Erzeuger des Eifersuchtswahnes ist, 
erklärt sich auch ohne weiteres seine eingangs erwähnte Eigentümlichkeit, 
gegenüber korrigierenden Einflüssen ein durchaus refraktäres Verhalten 
zu zeigen — eine Eigentümlichkeit, die er aus ebendemselben Grunde mit 
den meisten anderen Wahnideen teilt. Seine Beharrungstendenz 
entspricht eben nur einer Haupteigenschaft seines ursprünglichen 
Materiales, der enormen Überwertigkeit und Stabilität der Triebe, die ja — 
wie besonders F r e u d’s und seiner Schüler Untersuchungen gezeigt haben 
— leichter in die verschiedensten Transformationen und Sublimierungen 
übergehen als ihre Auslösehung oder auch nur Unterdrückung gestatten. 
Dazu kommt noch ein Faktor, der als Mitursache der Festigkeit der 
Wahnidee gleichfalls wohl zu beachten ist: ich meine die Uner- 
w ii n s c h t h e i t einer Korrektur für den Wahnbildner selbst *). Denn 
da seine Eifersucht nur ein Ausfluss des Trieblebens ist, muss dem 
Kranken jede Widerlegung oder Berichtigung seiner Wahnideen, mag sie 
nun von anderer Seite oder durch eigene psychische Reaktionen erfolgen, 
offenbar höchst unwillkommen sein; würde doch die Aufgabe seines 
Wahnes für ihn gleichbedeutend sein mit dem Verzicht auf eine Äusserung 
der mächtigsten Komponenten seines seelischen Daseins, seiner Triebe! 
Dass diese Fixation der Wahnidee durch „Willensvorgänge“, dieser gleich¬ 
sam absichtliche Widerstand des Kranken durchaus im Unterbewusst- 

U Dazu siehe Juliusberger (Referat über W u 1 f f e n: Gerhart Hanpt- 
mann vor dem Forum der Kriminalpsychologie): Die wahnhaften Schöpfungen sind 
unterbewusste Vergegenständlichungen aus dem Unterbewussten hervorbrechender 
Wünsche. Solange die letzteren an der Herrschaft bleiben und das Kommando 
führen, kann keine Korrektur der Wahngebilde eintreten — nicht weil eine Schwäche 
der Intelligenz vorliegt, sondern weil die Korrektur an der Macht der Wünsche, 
also der Energie des Willens scheitert. Das Unterbewusste wünscht und will eben 
keine Korrektur, bis andere Wünsche die Oberhand gewinnen und ein Ausgleich 
stattfinden kann. Man darf nicht vergessen, dass der Wille oder der Wunsch 
das Primäre, die Wurzel — der Intellekt das Sekundäre, also die Krone darstellt. 



Zur Frage der Genese des Eifersuchtswahnes. 


73 


sein spielt, brauche ich wohl nicht erst zu betonen. Also: der \\ahn 
haftet einmal, weil sein Bildner an ihm festhalten muss, und zweitens, 
weil er an ihm festhalten will; der Grund für dieses „Müssen und 
„Wollen“ aber liegt in der Überwertigkeit des determinierenden Triebes. 

-— Was hier und im folgenden vom Eifersuchtswahne des Mannes gesagt 
ist, gilt natürlich mutandis mutatis in gleichem Masse von dem der Frau, 
der nur wegen seiner relativen Seltenheit gegenüber jenem bisher nicht 
besonders gewürdigt wurde; ist doch auch der Alkoholismus, auf dessen 
Boden er sich so überaus häufig entwickelt, beim weiblichen Geschlechte 
ungleich seltener anzutreffen. 

Welcher Trieb ist nun das wirksame Agens bei der Entstehung des 
Eifersuchtswahnes ? Schon die Form der Wahnidee, die ja durch die 
Eigenart ihres Stoffes, des Verhältnisses zwischen Mann und Weib, d. h. 
dem Liebenden und der Geliebten, deutlich erotische Züge aufweist, 
musste unsere Aufmerksamkeit besonders auf den Sexualtrieb und 
seine Variationen lenken. Es unterliegt unseres Erachtens in der Tat 
keinem Zweifel, dass die unendliche Macht des Dranges nach Liebe bzw. 
seiner Äquivalente, eines Dranges, dessen Befehlen die gesamte lebende 
Natur fast blindlings zu gehorchen pflegt, auch als die Mutter dieses 
unnatürlichen Kindes, des Eifersuchts wahnes, anzusehen ist. Freilich nicht 
der Liebestrieb in seinem sozusagen „normalen“ Verhalten, dessen Grenzen 
übrigens kaum sicher festzulegen sind; sondern, wie sich bei näherer 
Betrachtung der verschiedensten Fälle stets wieder ergab, die abnorm 
gesteigerte oder gleichzeitig abgeänderte sexuelle Libido. Fast ausnahms¬ 
los liess sich nachweisen, dass diese Hyperlibido bereits ab origine, 
in der individuellen Anlage des betreffenden Kranken vorhanden war, wenn¬ 
gleich die Tatsache nicht zu bestreiten ist, dass gewisse der hier in Betracht 
kommenden Psychosen, so die Paralyse in ihren Anfangsstadien und be¬ 
sonders der chronische Alkoholismus, Wieder ihrerseits eine Steigerung 
des Geschlechtsbedürfnisses zu bewirken imstande sind. Eine originäre 
Steigerung der Sexualität wird also das Fundament jedes Eifersuchts¬ 
wahnes bilden. 

Im speziellen sind es zwei Varietäten der Libido sexualis, die bei 
der Bildung der pathologischen Eifersucht miteinander konkurrieren: 
erstens eine ausgesprochene polygame bzw. polyandrische 
Neigung, zweitens und besonders ein dem Sadismus entstam¬ 
mender Komplex; letzterer wird uns alsbald noch ausführlich be¬ 
schäftigen. Die polygame Anlage des Mannes erhellt ebenso wie 
die entsprechende der Frau, deren Wesen am besten durch das Wort 
„Dirnenphantasie“ gekennzeichnet wird, in den Fällen wahnhafter Eifer¬ 
sucht aus verschiedenen Daten, deren Nachweis freilich häufig auf er¬ 
hebliche Schwierigkeiten stösst. Dennoch scheint sie kaum je ganz zu 
fehlen, und die Unmöglichkeit des jedesmaligen Beweises für ihr Vorhanden¬ 
sein erklärt sich zum Teil aus dem uns Kulturmenschen anerzogenen, 
unüberwindlichen Widerstreben vor der Aufdeckung derartiger „Seelen¬ 
geheimnisse“, zum anderen aber aus ihrer eben oft vollkommenen „Sub¬ 
limierung“ bzw. „Transformierung“, deren Stammkomplex seinem Träger 
selbst nicht mehr zum Bewusstsein kommt. Eine solche Transformation 
der polygamen Veranlagung stellt nun auch der Eifersuchtswahn dar, 
und zwar ist der Entstehungsmodus im einzelnen wohl so zu denken, 
dass unbewusst die Sucht nach vielen, d. h. neuen und fremden Liebes- 


74 


Dr. Hans Oppenheim, 


Objekten, von ihrem Träger als unwürdig und frevelhaft abgelehnt oder, 
wie der Fachausdruck lautet, „verdrängt“ und auf den Partner als nächst¬ 
stehenden sexuellen Komplizen übertragen, „projiziert“ wird. Mit anderen 
Worten: Weil der Gatte nicht polygam sein will, was er doch ist; 
weil er einen Trieb als unmoralisch von sich weist, den er als „Trieb“ 
eben nicht unterdrücken kann, so legt er einfach die ihm unbequeme Last 
auf die Schultern seines intimsten Genossen im Glück und Unglück, seiner 
Frau, und klagt diese damit desjenigen Vergehens an, das eigentlich er 
selbst zu verantworten hätte; nicht anders beschuldigt die Gattin, indem 
sie ihre eigenen Dirnenwünsche überträgt, den schuldlosen Mann des Ver¬ 
kehrs mit anderen Frauen! — Mit dieser Betrachtung berühren wir be¬ 
reits eine neue Konstituente des Eifersuchtswahnes, den sogenannten 
Schuldkomplex, der indessen erst später eingehender gewürdigt werden soll. 

Eine nicht minder bedeutende Rolle als die polygame Veran¬ 
lagung spielt sicherlich das oben erwähnte sadistische Moment; 
wir gehen sogar soweit, anzunehmen, dass in keinem Falle krank¬ 
hafter Eifersucht die sadistische Komponente vermisst wird. An sich 
wird dies Auftreten eines sexuell-perversen Faktors nach dem Studium 
der Sexualtheorie Freud’s jedenfalls kaum überraschen; ist 
doch durch sie die allgemeine Verbreitung einer Anlage im Sinne 
aktiver Algolagnie fast bewiesen, einer Anlage, die im Leben des 
Erwachsenen nur deshalb nicht immer zur vollen Entwicklung und Be¬ 
tätigung gelangt, weil sie durch die erzieherischen Einflüsse einer ge¬ 
läuterten Moral verdrängt und grossenteils sublimiert worden ist. Schon 
das naive Empfinden des Volkes bringt ja in der Definition des Begriffes 
„Eifersucht“ als einer „Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was 
Leiden schafft“ 1 ) so treffend das Charakteristische dieses eigenartigen 
Gemütszustandes zum Ausdruck; es ist in der Tat ein Wühlen, ein 
Schwelgen in Dingen, die dem Opfer schmerzliche Wunden, leider nicht 
immer nur psychisch, schlagen müssen. Ob diese ewige Wiederholung der 
gleichen unsinnigen Anklagen, dieses hartnäckige Festhalten an denselben 
beleidigenden Vorwürfen trotz aller Beteuerungen und Gegenbeweise der 
Frau beim Peiniger in der Tiefe seiner Seele, im Unterbewusstsein nur 
gewisse positive Affekttöne auslöst, ob nicht vielleicht auch e r unter 
dieser unbarmherzigen Quälerei der geliebten Person — denn nur das 
geliebte Objekt kann ja Eifersucht erwecken! — mitleidet und erst 
sekundär an diesem Eigenschmerze sich berauscht, ist bei der ausserordent¬ 
lich nahen Verwandtschaft und häufigen Koinzidenz von Sadismus und 
Masochismus in weiterem Sinne an ein und demselben Individuum a priori 
nicht von der Hand zu weisen; am wahrscheinlichsten ist, dass beide 
Vorgänge gleichzeitig, aber in dem einzelnen Falle mit verschieden grossem 
Anteile statthaben 2 ). Gerade bei der wahnhaften Eifersucht ist, wie 

0 Der Satz soll von Schleiermacher sein. Anm. der Schriftleitung. 

2 ) Nach Niederschrift dieses Satzes kommt mir eine — das tatsächliche 
Bestehen derartiger psychischer Vorgänge bestätigende — Bemerkung Bleulers 
in die Hände, die — einem Vortrage in der ordentlichen Winterversammlung des 
Vereins schweizerischer Irrenärzte in Bern vom 27. November 1910 entstammend — 
sich in Nr. 43 der Psychiatrisch-Neurologischen Wochenschrift 1910/11 findet. 
Bleuler erklärt darin: „Sexualität ist stets ambivalent.“ Dabei versteht er 
unter „Ambivalenz“ die gleichzeitige Neigung in der Richtung zweier scheinbar 
entgegengesetzter Extreme (z. B. Sadismus und Masochismus) und unterscheidet 
drei Arten derselben, nämlich: 1. die affektive x4mbivalenz, 2. die voluntäre 
Ambivalenz (sog. „Ambitendenz“) und 3. die intellektuelle Ambivalenz. 



Zur Frage der Genese des Eifersuchtswahnes. 


75 


wir meinen, diese Lust am Quälen, diese dem eigenen Ich uneingestandene, 
da unbewusste Freude am Leidensehen des Opfers, eine Freude, die ja 
nichts anderes bedeutet als den Durchbruch eines lange zurückgehaltenen, 
tief wurzelnden Triebes, in keiner Weise zu verkennen; denn während 
der geistesgesunde Eifersüchtige nach mehr oder minder langen Aus¬ 
einandersetzungen mit der Gattin zu einem baldigen Ende der peinlichen 
Situation hindrängt, gefällt sich umgekehrt der vom Eifersuchtswahn Be¬ 
fangene in der Aufrechterhaltung des Status quo, in der möglichst aus¬ 
gedehnten Fortdauer der gegenseitigen gespannten und zu häufigen Reibe¬ 
reien führenden Beziehungen. Der krankhaft Eifersüchtige gefällt sich 
auch stets in der Beschuldigung einer mehrfachen, vielseitigen Untreue 
und begnügt sich nie wie der Gesunde mit dem Gedanken an Ehebruch 
mit einer einzigen fremden Person. Selbst in dem Falle, dass die doch 
unschuldige Gattin, nur um den aufgeregten Mann zu beruhigen, ein er¬ 
dichtetes Geständnis ablegt, lässt der Kranke von seinen Anklagen nicht 
ab, sondern tobt und grübelt unablässig weiter. — Der Unterschied 
zwischen der normalen und pathologischen Eifersucht besteht also kurz 
gesagt darin, dass jene den Konfliktsstoff — meist zufällig und wider¬ 
strebend — findet, während diese ihn — oft absichtlich und sehn¬ 
süchtig — sucht; dass ferner jene unter den augenblicklichen Verhält¬ 
nissen leidet, diese dagegen sich gefällt; endlich dass jene ein 
rasches Ende des unerquicklichen Zustandes, sei es selbst ein Ende 
mit Schrecken, herbeizuführen sucht, während diese ihn nach Möglichkeit 
zu verlängern strebt. In diesem ganzen Verhalten der wahnhaften 
Eifersucht ist unseres Erachtens der sadistische Komplex, das 
Sichausleben eines lang zurückgehaltenen sadistischen Triebes für jeden 
Vorurteilslosen kaum zu leugnen; einen weiteren Beweis für seine Mit¬ 
wirkung sehen wir schliesslich in dem Verhalten derartiger Kranker 
innerhalb der Anstalt. Da ihnen hier nämlich eine Realisierung 
ihrer sadistischen Neigungen zur Unmöglichkeit gemacht ist, drängt sich 
die andere Komponente der Algolagnie hervor, der Masochismus, um 
wenigstens in seiner sublimierten Form unter dem Zwange des Augen¬ 
blickes auf seine Kosten zu kommen. Daher zeigt der Kranke in der Anstalt 
häufig eine tiefe Demut, eine fast hündische Unterwürfigkeit; er gibt 
sich sogar dem Pflegepersonal gegenüber friasslos zuvorkommend, gehorsam, 
selbst untertänig; kurz, er dienert und katzbuckelt vor jedem, mit dem 
er in Berührung kommt, indem er auf diese Weise sich gleichsam als un¬ 
schuldiges Opfer fremder Niedertracht in den Mittelpunkt des allgemeinen 
Interesses und Mitleids zu rücken sucht. 

Bei der Besprechung des Einflusses einer polygamen Anlage auf die 
Eifersuchtswahnbildung haben wir bereits ein weiteres Moment gestreift, 
das nach dem Ergebnis unserer Untersuchungen schliesslich gleichfalls 
zu diesem Erfolge beiträgt, den sogenannten „S c h u 1 d k o m p 1 e x“. 

Worin besteht nun das Wesen dieses eigenartigen Komplexes? 
Wie schon oben angedeutet, handelt es sich hierbei im wesentlichen um 
den psychischen Prozess der Abwälzung einer eigenen Last und ihrer 
Übertragung auf die Schultern des Partners; genauer gesagt: ein 
Schuldgefühl, sei es als Ausfluss begangener Fehltritte, bestehender 
Mängel oder verbotener Wünsche, also ein Gefühl lästigen Druckes oder 
innerer Spannung, dessen einfache Löschung im Vorstellungskreise wegen 


76 


Dr. Hans Oppenheim, 


der Überwertigkeit seiner Gefühlsbetonung versagt, wird auf unbewusstem 
Wege aus der eigenen Psyche verdrängt und nach aussen projiziert, 
d. h. es wird in umgewandelter Form als ein der Anklage wertes Ver¬ 
gehen, gleichsam in erweiterter iVn Wendung des Grundsatzes: Geteilte 
Schuld ist halbe Schuld, derjenigen Persönlichkeit überwiesen, die auch 
sonst an Freud und Leid des eben Bedrängten den ersten, grössten und 
innigsten Anteil hat, also dem Ehegenossen. Dass die auf diese Weise 
dem Gatten bzw. der Gattin, wenn ich so sagen darf, „angedichtete“ Ver¬ 
fehlung gerade das Gebiet des Ehelebens betrifft, ist bei der be¬ 
sonderen Art der Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, deren Alpha 
und Omega ja das sexuelle Moment in seinen verschiedensten Variationen 
bildet, nicht eben verwunderlich. Dazu kommt ferner der Umstand, dass 
die vom Wahnbildner abgelehnte Schuld selbst meist der sexuellen 
Sphäre entstammt und daher diesen ihren Grundcharakter auch in ihrer 
Umformung nicht verleugnet. Welche besondere Gestalt das Schuldgefühl 
im einzelnen annimmt, hängt von den speziellen Verhältnissen ab; sehr 
häufig begegnet man bei der Psychoanalyse einem Gegensätze in 
der sexuellen Veranlagung der Ehegatten, indem Leidenschaft¬ 
lichkeit und Hyperhedonie auf der einen, Frigidität oder Impotenz auf 
der anderen Seite sich gegenüberstehen. Dabei ist jedoch zu bemerken, 
dass die eifersüchtige Person selbst nie sexuell frigid ist — vielmehr, 
wie oben betont, stets eine angeborene Hypersexualität aufweist —, 
während dies beim Partner sehr wohl der Fall sein kann. Frigidität des 
oder der Eifersüchtigen ist immer nur eine scheinbare; sie ist nichts 
als verdrängte Libido, als niedergezwungene Sexualität, sozusagen faute 
de mieux, wenn nämlich ein geeignetes Objekt nicht vorhanden ist. Der 
Schuldkomplex im besonderen beruht meist entweder auf der als 
Ungehörigkeit empfundenen Hypersexualität oder auf verbotener Neigung 
zu einer fremden Person *) oder endlich auf einer krankhaften Abnahme der 
Potenz, wie sie besonders beim Alkoholiker einzutreten pflegt; auch Kom¬ 
binationen dieser Komponenten der Schuld — z. B. gesteigerte Libido 
und gleichzeitige Impotenz beim Trinker — tauchen hier und da auf. 
Eine über grosse sexuelle Begehrlichkeit wird innerlich als 
strafwürdige Ungebühr ausgelegt und in veränderter Gestalt auf den 
Partner in der Ehe abgewälzt. Ganz ähnlich wirken verbotene Ge¬ 
lüste und begangene Vergehen, die gleichfalls dem sexuellen Triebleben 
angeboren, als lästige Empfindungen, deren Unterdrückung infolge ihrer 
Überwertigkeit nicht gelingt — eine Überwertigkeit, die sich eben aus 
ihrer Herkunft vom Triebleben erklärt; sie werden daher in derselben 
Weise verdrängt und auf ein aussenstehendes Subjekt projiziert. Der 
impotente Alkoholiker 1 2 ) endlich benutzt den Alkohol als Quelle 
mühelosen Lustgewinnes, zu dem er auf geschlechtlichem Wege nicht 
gelangen kann; das wurmt ihn in seinem Selbstbewusstsein, und er ver¬ 
drängt die ihm so peinliche Empfindung. So resultiert aus unbewussten 
psychischen Vorgängen als Endeffekt der Eifersuchtswahn, als 
dessen bedeutsamste Wurzeln wir die sadistisch -maso- 

1 ) Siehe Otto Juliusburger: Bemerkungen zur Psychologie der Zwangs¬ 
vorstellungen und Verwandtenehe. (Centralblatt für Nervenheilkunde u. Psychiatrie. 
20. Bd. 1909.) 

2 ) Siehe Karl Abraham: Die psychologischen Beziehungen zwischen 
Sexualität und Alkoholismus. (Zeitschrift für Sexualwissenschaft. VIII. Heft. 1908.) 



Zur Frage der Genese des Eifersuchtswahnes. 


77 


chistischenTriebkräfteund ein eigenartiges Gefühl der 
Schuld im Individuum ansprechen. 

Nachtrag: 

Die vorliegende Arbeit war seit längerer Zeit abgeschlossen und 
nur aus äusseren Gründen der Schriftleitung nicht überreicht worden, 
der sie bereits angekündigt war; erst jetzt erhielt ich Kenntnis von der 
bedeutsamen Arbeit F r e u d’s: Psychoanalytische Bemerkungen über einen 
autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dem. paranoides) 
(Jahrbuch für psychoanalytische und pathologische Forschungen, 1911, 
Bd. 3), sowie 'von den Ausführungen S. Ferenczi’s: Über die Rolle 
der Homosexualität in der Pathogenese der Paranoia (ibid.). Beide Autoren 
erklären den Eifersuchtswahn aus der Projektion des Gefallens am eigenen 
Geschlecht, also aus einer verdrängten und auf den Partner projizierten 
Homosexualität. „Die Eifersüchtige z. B. verdächtigt (nach Freud) 
den Mann, mit all den Frauen, die ihr selbst gefallen, infolge ihres über¬ 
stark gewordenen, disponierenden Narzismus und ihrer Homosexualität.“ 
Der gleiche Mechanismus gilt auch mutatis mutandis für den eifer¬ 
süchtigen Mann. In eine eingehende Würdigung der hier erwähnten An¬ 
schauungen von Freud und Ferenczi kann ich nach Beendigung 
meiner Arbeit nicht mehr eintreten; nur das eine glaube ich bemerken 
zu müssen, dass die Theorie von Freud und Ferenczi wie mir scheint 
nicht den Elementen des Eifersuchtswahns gerecht wird, welche wir 
unseren obigen Darlegungen gemäss aus dem sadistisch-masochistischen 
Komplex herleiteten. Übrigens wird 0. Juliusburger an dieser Stelle 
demnächst eingehend auf die einschlägigen Fragen zu sprechen kommen. 


Zentralblatt für Psychoanalyse. II 2 . 


6 



in. 

Mantik und Psychanalyse. 

Von Herbert Silberer. 

Die mantischen Künste, also jene Prozeduren, die man in früherer 
Zeit anwandte, um Aufschlüsse über zukünftige Geschicke zu erhalten, 
waren stets so beschaffen, dass neben der rein manuellen, nach irgend 
einer Regel ausgeführten Verrichtung auch dem von dieser Regel un¬ 
abhängigen Zufall ein entscheidender Einfluss auf den Ausgang der 
mantischen Handlung eingeräumt wurde. Ja, die manuelle Verrichtung 
war gleichsam nur das Material, welches dem Zufall geboten wurde, 
damit er Gelegenheit habe, sich darin zu offenbaren. Indem ich hier den 
„Zufall“ nenne, begehe ich eigentlich einen Fehler. Man erwartete ja 
nicht, dass das blinde Ohngefähr die Lose regieren solle. Da man die 
Weissagung den Göttern und Dämonen oder einer göttlichen Entzückung 
der Seele zuschrieb, hoffte man vielmehr dadurch, dass man unkontrol¬ 
lierten Einflüssen die Tür öffnete, eine überirdische Einwirkung ins Spiel 
zu bringen. Diese überirdische Macht lenkte — nach der alten Vor¬ 
stellung, worauf die Mantik aufgebaut ist — die fallenden Lose, die 
fliegenden Vögel und Wolken, das pendelnde Metall, sie gab der 
stammelnden Pythia die Worte ein, brachte im glitzernden Kristall 
Visionen hervor usf. 

Betrachten wir einige Arten der Mantik etwas näher. Zunächst die 
Geomantie oder Punktierkunst, die besonders in der Hexen- und 
Astrologenzeit des nachmittelalterlichen Europa im Schwange war. Man 
machte, ohne zu zählen, vier Reihen Punkte in den Sand (auf die Erde, 
daher „Geomantie“). Dann zählte man die Punkte ab und setzte in ein 
Diagramm für jede gerade Anzahl zwei, für jede ungerade einen Punkt. 
Nehmen wir an, ich hätte in den Sand zuerst 8, dann 11, dann 10, dann 
14 Punkte gemacht, also zuerst eine gerade Anzahl, dann eine ungerade, 
und zweimal je eine gerade Anzahl. Ich muss also ins Diagramm eine 
Figur einzeichnen, die (von oben nach unten betrachtet) aus 2 ~f— 1 —j— 2 —{— 2 
Punkten besteht, wie Fig. 1 zeigt. 

Die ganze Prozedur nehme ich viermal vor, erhalte also vier Figuren, 
die ich nebeneinander stelle. Sie heissen „Mütter“. Aus diesen ,,Müttern“ 
werden ebensoviele „Töchter“ gewonnen, indem man die oberste (hori¬ 
zontale) Punktreihe der Mütter zu einer ersten Figur zusammentut, die 
zweite Reihe zu einer zweiten etc. Man erhält damit z. B. folgende 
Tafel (Fig. 2): 


Mantik and Psychanalyse. 


79 


Darin sind die oberen vier Figuren die „Mütter , die unteren vier 
die daraus abgeleiteten Töchter. Die Figuren wurden nun entweder als 
solche schon gedeutet, denn jeder der sechzehn überhaupt möglichen 
Gestalten entsprach irgend ein Begriff wie „Freude , „Weg , „Verlust etc. 
oder sie wurden, wenn man ganz kunstgerecht vorgehen wollte, in ein 
astrologisches Schema gesetzt, so dass eine Art Horoskop entstand, dessen 
„Häuser“ statt mit Gestirnen mit den geomantischen Figuren besetzt 
wurden, die man sich allerdings wieder mit den Gestirnen in einer 
magischen Korrespondenz stehend dachte. Letzterer Gedanke war schon 
deshalb konsequent, da man billigerweise verlangen musste, dass ein 
geomantisches Horoskop einem zu gleicher Zeit gestellten astrologischen 
nicht widersprechen dürfe. War das Horoskop fertiggezeichnet, so konnte 


* 

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Figur 1. 


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* * 

* * 

* 


Figur 2. 


man ans Deuten gehen. Es wäre für unsere Zwecke ganz überflüssig, wollte 
ich beschreiben, wie man hierbei verfuhr; wichtig ist indes, zu konstatieren, 
dass, wiewohl das Einträgen der Gestirne oder der geomantischen Figuren 
ins Schema rein mechanisch erfolgte, die Deutung des Horoskops doch 
der Intuition oder wenigstens dem kombinatorischen Geist des Deuters 
einen nicht unbeträchtlichen Spielraum Hess, so zwar, dass nicht nur 
zwei verschiedene Menschen ein und dasselbe Horoskop verschieden deuten 
würden, sondern dass auch ein und derselbe Mensch bei verschiedener 
psychischer Verfassung einmal vorzugsweise dies, ein andermal vor¬ 
wiegend jenes in dem Horoskop erblicken müsste; manchmal werden die 
Zeichen „zu ihm sprechen“, ein andermal stumm sein. 

Betrachten wir in dem Gesamtvorgang vom Streuen der Punkte 
angefangen bis zur endlichen Deutung des fertigen geomantischen Horo¬ 
skops die Verteilung der geregelten und der „zufälligen“ oder von der 
„Eingebung“ abhängigen Elemente, so finden wir zuerst ein Element der 
zweiten, unbestimmten Gruppe (das ohne Überlegung und Zählen er¬ 
folgende Hinwerfen der Punkte auf den Sand); dann ein Element der ersten, 
bestimmten Gruppe (das Zeichnen der Mütter); dann als vreitere Elemente 
der bestimmten Gruppe das Bilden der Töchter aus den Müttern und 
das Übertragen aller Figuren in das Horoskop; ein Element der un¬ 
bestimmten Gruppe sehen wir in jener Freiheit, mit welcher der Deuter, 
nach der momentanen, gleichsam zufälligen „Eingebung“ verfahrend, die 
Figuren auslegt; daneben geht ein Element der bestimmten Gruppe einher, 
indem sich der Ausleger an die astrologischen Regeln und die Grund¬ 
bedeutungen der einzelnen Figuren zu halten hat. 


6 











80 


Herbert Silberer, 


Man bemerkt hier nicht bloss die Vermischung der Elemente beider 
Gruppen, sondern sieht sehr lebendig vor sich, was ich oben von dem 
Verhältnis dieser beiden Gruppen zueinander sagte, nämlich, dass jene 
Elemente, die wir als die „bestimmten“ bezeichnen, gleichsam das Material 
für die Betätigung oder Manifestierung der anderen abgeben. 

Um rasch noch einige andere Arten der Mantik durchzugehen, halte 
ich mich an die Definitionen eines Fachmanns „aus der Zeit“, D. Georg 
Pictorius aus Villingen 1 ). Bei einer der vielen Gattungen der Hydro- 
m a n t i e füllt man einen Becher mit Wasser und hält, nach voraus¬ 
gegangenen Beschwörungssprüchen, mit dem Finger an einem Faden einen 
Bing darüber. Der Ring beginnt nun zu pendeln und gibt durch die An¬ 
zahl von Schlägen an den Rand des Bechers den Orakelspruch kund. 
Man hat hier das Element der vorerwähnten unbestimmten Gruppe in 
den unwillkürlichen Bewegungen der Hand zu suchen. Dass, wie Pic¬ 
torius erzählt, die Hydromantie von Betrügern missbraucht zu werden 
pflegte, geht uns nichts an, denn der Betrüger macht das unbestimmte 
Element zu einem bestimmten, indem er den unwillkürlichen Impulsen 
willkürliche unterschiebt, also jene Versuchsanordnung, die uns einzig 
und allein interessiert, gänzlich aufhebt. 

Die Kapnomantie wurde in der Weise ausgeübt, dass man, 
wie Cardanus schreibt, Samen von schwarzem Mohn und Sesam auf 
glühende Kohlen warf und Zauberformeln dabei murmelte. Ein reiner 
Knabe oder eine schwangere Frau sah nun verschiedene Figuren in dem 
Rauche, aus denen das Orakel entnommen wurde. Bei dieser mantischen 
Kunst sind drei Elemente der unbestimmten Gruppe gehäuft: die Rauch¬ 
bildung, die Apperzeption von Bildern in dem Qualm und die deuterische 
Kombination dieses Bildermaterials. 

Bei der Koskinomantie, welche zur Ermittlung von Dieben, 
Auffindung von verlorenen Gegenständen etc. gebraucht wurde, spielen 
wieder die unwillkürlichen Bewegungen die Hauptrolle. Man lässt zwei 
Personen, jede mit ihrem Mittelfinger eine Zange halten, worin ein Sieb 
ziemlich labil eingeklemmt ist. Nachdem einige Zauberworte gesprochen 
worden, nennt man die Namen der verschiedenen verdächtigen Personen etc. 
Das Sieb bezeichnet den richtigen Namen oder Ort, indem es sich bei 
Nennung desselben dreht. 

Bei der 0 n y c h o m a n t i e 2 ) bestreicht man einem kleinen Knaben 
den Nagel des Zeigefingers oder die Handfläche mit Russ und öl, und 
indem man einige Zaubersprüche murmelt, lässt man ihn auf den Nagel 
oder die Handfläche sehen. Die Bilder, die er nun darin erblickt, dienen 
als Orakel. Cardanus will, dass der Knabe den bestrichenen Nagel 
oder die Handfläche an die Sonne halte, damit in dem Reflex ihrer Strahlen 
Bilder und verschiedene Farben zum Vorschein kommen. Bei dieser 
mantischen Kunst erscheint die hypnotisierende Wirkung des Glanzes, 
welche später Braid der wissenschaftlichen Forschung unterwarf, zu 
dem Zwecke ausgenützt, um den Schauenden von der Willkür frei zu 
machen und die Wege der Inspiration zu öffnen. Der Mittel, die zur 

U „De speciebus magiae ceremonialis . . . epitome.“ Gedruckt in mehreren 
Ausgaben der magischen Schriften des Henricus Cornelius Agrippa von Nettesheim 
(XVI. Jahrhundert). Deutsch 1855 bei J. Scheible in Stuttgart. 

2 ) Jedenfalls richtiger als das in der erwähnten Agrippa-Ausgabe gebrauchte 
Wort „Onimantie“. 



Mantik und Psychanalyse. 


81 


Hervorrufung von Ekstasen dienen sollten, gab es ja bekanntlich schon 
im frühesten Altertum unzählige. 

Zur Lekanomantie 1 ) gehört ein rundes mit Wasser gefülltes 
Glasbecken. Um dieses werden Kerzen herumgestellt, und man lässt einen 
unschuldigen Knaben oder eine schwangere Frau hineinblicken. Der 
Schauende gewahrt in dem Wasser allerlei Bilder, zumeist von grosser 
Deutlichkeit. 

Die bei den Alten offiziell geübte Opferschau und die Vogel¬ 
schau sind zu bekannt, als dass ich sie beschreiben müsste; ich will 
nur hervorheben, dass dabei das unbestimmte Element hauptsächlich in 
rein äusseren Naturdingen und Naturereignissen liegt. Ebenso bei der¬ 
jenigen Geomantie, die aus Erdbeben und meteorologischen Vor¬ 
gängen, bei der Ichthy omantie, die aus dem Anbeissen oder Nicht- 
anbeissen der Fische, bei der Pyromantie, die aus dem Verhalten 
des Feuers, bei der Aeromantie, die aus der Richtung und Stärke 
der Winde ihre Sprüche zog. 

Man sieht, dass die Mantik zwei prinzipiell verschiedene Wege 
einschlagen kann, um den unbestimmten Elementen Eingang in die 
mantische Handlung zu verschaffen. Sie kann nämlich diese unbestimmten 
Elemente entweder im äusseren Naturgeschehen (Vogelflug, Wehen des 
Windes etc.) oder aber in dem Menschen suchen. In dem einen Falle lässt 
sie Dinge hineinspielen, auf die der Weissagende keinen Einfluss hat; 
in dem zweiten Fall zieht sie Handlungen hinein, auf die der Seher 
zwar auch keinen bewussten Einfluss hat, die aber dennoch unter 
der*Mitwirkung seiner Psyche zustande kommen. Mit anderen 
Worten: in dem zweiten Falle bedient sich die Mantik des Unbewussten 
im Menschen und zwängt es systematisch zur Äusserung. So z. B. überall, 
wo es auf die unwillkürlichen Bewegungen, auf phantasmenhafte Apper¬ 
zeption, Visionen etc. ankommt. 

Wenn es meine Sache wäre, im Sinne der alten Mantik selbst 
zwischen den beiden Gattungen der unbestimmten Elemente ihrem Werte 
nach eine 'Entscheidung zu treffen, so würde ich mich ohne Zaudern zu¬ 
gunsten der psychischen Gattung aussprechen. Denn, wofern überhaupt 
ein hellseherisches Moment irgendwie auftreten kann, ist sein Erscheinen 
im psychischen Apparat doch noch weniger unwahrscheinlich als in den 
Vorgängen der äusseren Natur; man könnte ja, um vorsichtshalber nicht 
alles Unbewiesene von vornherein als unmöglich zu erklären, immerhin 
jene Möglichkeit eines telepathischen Vorganges ins Auge fassen, die 
z. B. Dr. Wilhelm Stekel in seiner „Sprache des Traumes“ (XLVI. Ka¬ 
pitel) erwähnt. Es ist jedoch mein Vorhaben nicht, mich mit diesen 
Fragen zu beschäftigen. Es interessiert uns nicht, was die mantischen 
Künste für die Weissagung, sondern das, was sie für die Psychanalyse 
bedeuten. Und hier muss ich abermals den unbestimmten Elementen der 
psychischen, nicht der physischen Gattung die Palme reichen. Es ist 
uns gleichgültig, ob sie durch die Erschliessung des Unbewussten die 
Mantik förderten. Wichtig ist für uns, dass sie überhaupt das Unbewusste 
erschliessen. Ein gleiches ist ja das Ziel der Psychanalyse. Vielleicht 


U In der erwähnten Ausgabe steht zwar „Gastromantie“; die Überschriften 
des III. und IV. Kapitels dürften jedoch verwechselt sein. 



82 


Herbert Silberer, 


kann die Psychanalyse aus den mantischen Praktiken einigen Nutzen 
ziehen. 

Die Psychanalyse will, wenn sie dem Unbewussten zu Leibe geht, 
das von ihm haben, was die Mantik als störenden Ballast empfand, weil 
sie ganz andere Zwecke verfolgte und für diesen Ballast nicht jenes 
tiefe Interesse hatte, das er verdient. Die Psychanalyse begnügt sich 
sozusagen mit weniger und findet daher ihre Versuchsbedingungen viel 
eher erfüllt als die Mantik, welche das Unmögliche begehrte, dass die 
schauende Person vollkommen „rein“ sei, also eine gänzlich ungetrübte, 
oder sagen wir: komplexlose Seele besitze. Ihr war wohlbekannt, 
dass die Wünsche und Begierden und Leidenschaften, kurz alles was auf 
der Lust-Unlustlinie in der Seele bewusst oder unbewusst hausen mag, 
sich in den Gesichten wiederspiegeln. Daher die minutiösen Vorschriften 
der Vorbereitungen zur mantischen Handlung, der äusseren Reinigungen, 
die natürlich als Symbole der inneren aufzufassen sind, usf. Bei 
H. C. A g r i p p a finde ich im III. Buch de occulta philosophia im 
LV. Kapitel eine hierher passende schöne Stelle aus Boethius zitiert: 


Tu quoque si vis 
Lumine claro 
Cernere verum 
Tramite recto 
Carpere callem: 
Gaudia pelle, 


Pelle timorem, 
Nec dolor adsit, 
Spemque fugato. 
Nubila mens est 
Vinctaque frenis 
Haec ubi regnant. 


Den göttlichen Einfluss, dessen wir als Orakelsteller bedürfen, er¬ 
langen wir nur, „quando nos absolvimus ab impedimentis aggravantibus, 
a carnalibus et terrenis occupationibus et ab omni externa agitatione“. 
Mit dem Begriff eines Mysterienpriesters, eines Sehers, eines Propheten 
ist innig die Forderung eines reinen, vom Irdischen losgelösten Lebens¬ 
wandels verknüpft. Die goetischen Zauberer aber bedienten sich vor¬ 
zugsweise kindlicher und jungfräulicher Personen, um sie durch Lekano- 
mantie, Kapnomantie u. dgl. das schauen zu lassen, was ihrem eigenen 
trüben Auge verschlossen war. Ganz folgerichtig! Ob sie mit dieser 
Praktik die Aufschlüsse erhielten, die sie suchten, bleibe dahingestellt; 
das Interessante für uns ist die Denkrichtung in den hier zugrunde 
liegenden Vorstellungen. 

Aus all den Reinheitsvorschriften und Gebräuchen geht eigentlich 
schon hervor, dass, wer unvorbereitet die Wahrheit erfahren will, deren 
reines Licht deshalb nicht zu sehen erhoffen darf, weil sich die 
trübe Wolke seiner eigenen Seele davor legt; dass er 
also statt im Grunde des Sees in seinem Busen (im Grunde des eigent¬ 
lichsten lekanomantischen Gefässes!) das Wahre zu erblicken, die Sedi¬ 
mente seines irdischen Wesens dort erschaut. Diese Sedimente, das, 
was „am Grund der Seele ruht“, zu sehen, ist nun gerade das Bestreben 
der Psychanalyse. Die Mantik rechnet also von altersher mit jenen Er¬ 
scheinungen, die der Lehre von den Komplexen zugrunde liegen. 

Nach den obigen Darlegungen hindert uns nichts, die mantischen 
Praktiken der Seelenanalyse dienstbar zu machen, indem wir das, was 
die Mantik als störenden Nebenerfolg betrachtete, zum Ziel der Versuche 
machen. Es ist mir nicht bekannt, dass dies bisher geschehen wäre, 



Mantik nnd Psychanalyse. 


83 


obgleich die Sache interessant nnd gar nicht so fernliegend ist. Um so 
weniger fernliegend, als man ja an eine psychologische Prüfung auto¬ 
matischer Phänomene sowie auch an die psychanalytische Wertung patho¬ 
logischer Visionen, Halluzinationen etc. herangegangen ist. In ersterer 
Hinsicht wäre namentlich auf französische Psychologen wie z. B. J a n e t 
hinzuweisen, in der zweiten auf Freu d und die Zürcher Schule. Nicht 
weit von der Mantik entfernt sind das automatische Schreiben und Klopfen 
(auch das „Tischrücken“); ja beides kann insofern den mantischen Künsten 
beigezählt werden, als es abergläubische Leute zur Genüge gibt, die in 
den sogenannten „spiritistischen Seancen“ auf diesem Wege wahrsagerische 
Aufschlüsse sich erwarten. Da die besagten automatischen Äusserungen 
der unterbewussten Psyche sogar in eben jenem „spiritistischen“ Milieu 
(wo sie also als mantisch gelten konnten) von wissenschaftlicher Seite 
aufgesucht und psychologisch (fruchtbar) behandelt worden sind — ich 
erinnere nur an Th. Flournoy’s vortreffliche Studie „Des Indes ä la 
Planete Mars“ —, und da ferner die psychische Mechanik der aber¬ 
gläubischen Praktiken durch Freud’s Schriften dem Verständnis so nahe¬ 
gerückt erscheint: ergibt sich wie von selbst die Idee, die mantischen 
Methoden wenigstens versuchsweise zu psychanalytischen Zwecken zu 
gebrauchen. 

Von diesem Gedankengang ausgehend, habe ich probiert, nicht bloss 
das automatische Schreiben, das, wie gesagt, schon mehrfache 
psychologische Untersuchungen erfahren hat, zur Psychanalyse heran¬ 
zuziehen, sondern auch die Lekanomantie ähnlich zu gebrauchen. 
Die Visionen, welche diese oben definierte mantische Kunst durch eine 
Versuchsperson lieferte, machte ich in analoger Weise zu Ausgangs¬ 
punkten von Assoziationsketten, wie man in der Traumanalyse verfährt. 
Die Versuchsperson wurde auch unabhängig von den lekanomantischen 
Versuchen analysiert, wobei aus naheliegenden Gründen ein Hauptaugen¬ 
merk auf die Träume gelegt wurde. Auf diese Weise konnte ich mir 
eher ein Verständnis des durch die Lekanomantie zutage tretenden Mate¬ 
rials versprechen, als wenn ich meine Informationen bloss aus dieser 
Quelle geholt hätte. Um andererseits die Entwickelung der Ergebnisse 
nicht zu fälschen, hütete ich mich nach Möglichkeit, sie durch aus dem 
übrigen Material hergenommene Deutungen zu beeinflussen. 

Leider erfuhren die Versuche, die anfangs nur langsame Fort¬ 
schritte zeigten, später aber desto ergiebigere Resultate versprachen, je 
mehr sie an Zusammenhang gewannen, einen vorzeitigen Abbruch infolge 
unerwarteter äusserer Umstände. Hoffentlich werden die Experimente 
nach Behebung jener Störungen, nach mehrmonatiger Pause jene Fort¬ 
setzung finden, deren sie bedürfen, um ihren vollen Ertrag zu liefern. 
Die bisher gewonnenen Einsichten sind allzu lückenhaft. Man wird also 
nur einen zaghaften Anfang, nicht eine abgeschlossene Untersuchung 
vor sich sehen, wenn ich mir in einem nächsten Artikel erlauben werde, 
das Wichtigste aus meinen lekanomantischen Experimenten mitzuteilen. 



Mitteilungen 


' i. 

Analyse eines Falles von Namen vergessen. 

Von Prof. Ernest Jones, übersetzt von J. Th. v. Kalmar. 

Die folgenden Ausführungen sind ein Beispiel dafür, wie fein die 
Fäden sind, die unterbewusste Gedanken verbinden. 

Eine Dame, im Bestreben sich des Namens einer intimen Freundin 
zu erinnern, fand zu ihrer Überraschung, dass sie sich nur deren Zunamen 
ins Gedächtnis rufen konnte; als Vorname tauchte der Ersatzname 
Isidore (Isidor) auf, der jedoch sofort als unrichtig verworfen wurde. 
Der richtige Name, den ich nicht kannte, war I s a b e 11 Brown. Wie 
man sieht, bestand der Gedächtnisfehler nur im Ersatz der Silbe „b e' 11“ 
durch „dore“. 

Ich forderte sie auf, zu dem Worte Brown zu assoziieren, und 
sofort erschienen in ihrer Vorstellung die beiden Namen Owlie und 
Lien. Es ist zu bemerken, dass die beiden ersten Buchstaben des 
ersten Wortes und der letzte Buchstabe des zweiten in Brown enthalten 
sind. Das einzige fremde Element bildet in beiden Fällen die Silbe 
„1 i e“, ausgesprochen „1 y“ (Lüge), was wir uns merken wollen. Die 
beiden Worte waren Kosenamen von zwei Freundinnen der in Frage 
stehenden Dame, die mit ihr zusammen wohnten und in deren Gesell¬ 
schaft sie Miss Brown immer zu sehen pflegte. Von ersterer sagte sie, 
dass dieselbe gegenwärtig ihre erste Schwangerschaft durchmache, auch 
sei sie bezüglich des Ausganges sehr ängstlich, da gewisse Kennzeichen 
in der Gestalt ihrer Freundin in ihr den Verdacht hervorgerufen hatten, 
dass eine Anomalie des Beckens Schwierigkeiten bei der Niederkunft 
hervorrufen könnten. Sie erwähnte dann eine andere Freundin, Dora D., 
die ähnliche Merkmale aufwies und auch Isidora Duncan, die be¬ 
rühmte klassische Tänzerin, die sie persönlich kannte und deren voll¬ 
kommene Gestalt sie sehr bewunderte. 

Der Ersatzname Isidore erinnerte sie an das Lied „B e a u t i f u 1 
,1 s i d o r e‘ Lee“ (Lee wird wie „ly“ ausgesprochen). Ich sagte ihr, der 
richtige Titel des Liedes sei „B e a u t i f u 1 ,A n n a b e 11‘ Le e“, so dass 
sie eine zweite Erinnerungsverfälschung begangen hatte. Offenbar war 
eine Verdrängung gegen die beiden Silben Ann und Bell tätig. Der 
Name Annabell löste in ihrem Gedächtnis den Namen von Owlie’s 
Schwester A n n i e S y b i 1 aus, der ja eine direkte Zusammenziehung 


Analyse eines Falles von Namenvergessen. 


85 


von Anna I sab eil darstellt, und sofort tauchte in ihrer Erinnerung 
der richtige Name der „M iss Brown Isabel V auf. 

Sie hatte vor kurzer Zeit mit Annie Sybil einen peinlichen Streit 
gehabt, in den unglücklicherweise auch die Schwester der letzteren ver¬ 
wickelt worden war. Sie hatte es immer bedauert, dass die ihr un¬ 
sympathische Schwester einen kräftigeren Körperbau habe und für die 
Ehe mehr geeignet war als die andere, der sie so zugetan war. Die Motive 
der iVmnesie waren also zwei miteinander verbundene unlustbetonte Kom¬ 
plexe, einer die Sorge wegen Owlie’s Schwangerschaft, der andere der 
Umstand, dass die verhasste Schwester in dieser Beziehung vorteilhafter 
veranlagt sei. 

So weit die Analyse. Ich will nun in folgendem eine „Rekonstruktion“ 
der Symptomhandlung versuchen. Die Namen, deren sich die Behandelte 
zuerst erinnerte, nämlich Isidore — — Brown, der eine falsch, der 
andere richtig, wurden beide sofort mit der Silbe „ly“ assoziiert. Die 
unterdrückte Silbe war „bell“. Das Wort „belly“ *) jedoch drückte sym¬ 
bolisch genau die mit der Schwangerschaft der Freundin verbundenen 
unlustbetonten Gedanken aus. 

Es ist anzunehmen, dass der Gedanke an Miss Brown die Be¬ 
handelte unbewusst an ihre gemeinsame Freundin * 2 ) erinnerte und dass 
das Erfassen der unterdrückten Silbe „b e 11“ durch seine Assoziation 
mit dem unlustbetonten, mit ihrer Freundin in Verbindung stehenden 
Komplexe verhindert wurde, der durch das Wort „belly“ einen guten 
Ausdruck fand. Dennoch kamen diese Gedanken in dem Gedächtnisfehler 
zum Ausdruck. Der Akzent wurde zuerst von der ersten Silbe des Wortes 
„bell y“ auf die zweite „1 y“ verlegt, die gleichzeitig die zweite Hälfte 
von Owlie’s 3 ) Namen bildet. Diese Silbe jedoch war nicht geeignet, 
mit dem nicht vergessenen „Isi“ verbunden einen Namen zu bilden und 
in gefährlicher Nähe des widrigen Wortes. Es trat eine weitere Ver¬ 
schiebung ein, indem „s i e“ durch „d o r e“ ersetzt wurde. Dora war 
der Name einer Freundin, die ähnliche Merkmale aufwies wie Owlie, 
in Verbindung mit „Isi“ jedoch ergab sich der Name einer anderen Frau, 
Isidora, welcher keiner Zensur obliegen musste. Die Behandelte 
schmückt dadurch ihre Freundin mit der Schönheit (beautiful Isidore Lee) 
und Gesundheit der berühmten Tänzerin. 

Doch will der unterdrückte unlustbetonte Gedanke irgendwo seinen 
Platz finden. Er kommt in einer Kompromiss-Bildung zum Ausdruck, 
indem er den letzten Buchstaben von Isidora in „e“ verwandelt. „Dore“ 
wird genau so ausgesprochen wie „d o o r“ (Tor), d. h. die Öffnung (Aus¬ 
gang), der ja alle Besorgnis galt. 

Ein breiteres Licht fällt auf die Analyse, wenn man in Erwägung 
zieht, dass die Behandelte eigene Affekte auf ihre Freundin projiziert, 
was ja schon ziemlich deutlich erkenntlich ist. Sie ist selbst verheiratet, 
hat aber keine Kinder. Ein auf infantile Wurzeln zurückgehender Komplex 

v ) Das Wort Belly = Bauch wird in guter Gesellschaft nicht gebraucht und 
peinlichst vermieden. 

2 ) In diesem Zusammenhänge ist auch auffällig, dass der Vokal von Brown 
(ow) auch der Hauptvokal in Owlie ist. Die beiden Worte wurden direkt assoziiert. 

3 ) Da die betreffende Dame auch deutsch versteht, mag auch die Assoziation 
bellen = to howl eine Rolle gespielt haben. Man spricht auch von Frauen, 
die während ihrer Schwangerschaft heulen (howl). 



86 Ein Traum, der das Gegenteil einer Wunscherfüllung zu verwirklichen schien. 

„Die Angst vor dem Kinde“ ist unzweideutig erkennbar. Ihre 
Identifizierung mit der Freundin wurde dadurch erleichtert, dass sie 
einerseits den Gatten ihrer Freundin sehr bewunderte und andererseits 
der Freundin selbst ausserordentlich ergeben war. Sie zeigte eine ziem¬ 
lich betonte Tendenz zu Homosexualität und spielte in dieser Freundschaft 
die männliche Rolle. Dies wirkte wahrscheinlich auch bestimmend auf 
die Wahl der männlichen Form „Isidore“ statt der der weiblichen 
„Isidora“. 

Nachtrag: Nach der Geburt des erwarteten Kindes teilte die Ana- 
lysandin diese Neuigkeit mehreren Freunden mit, wobei sie sich jedesmal 
neuerlich versprach. Sie sagte: „Frau M . . . hat ein Kind bekommen.“ 
Frl. M. war ihre Freundin vor ihrer Hochzeit und wohl eifersüchtig wegen 
der Hochzeit. Aber M . . . ist auch der Name der Analysandin. 


II. 

Ein Traum, der das Gegenteil einer Wunscherfüllung 
zu verwirklichen schien, zugleich ein Beispiel eines 
Traumes, der von einem anderen Traum gedeutet wird. 

Von August Stärcke, Willem Arntszhoeve (Holland). 

Weygandt (Monatsschr. f. N. u. Ps.) hat gegen Freud den 
Ein wand erhoben, dass manche Träume direkt das Nicht gewünschte 
darstellen. Obgleich dieser Vorwurf nur gemacht werden kann hei Ver¬ 
nachlässigung des Unterschiedes zwischen latentem und manifestem Traum¬ 
inhalt, und von Freud selbst schon in der ersten Ausgabe der Traum¬ 
deutung durch interessante Beispiele widerlegt worden ist, kann es, bei 
den wunderbar schiefen Begriffen, die manche Fachgenossen noch über 
dieses Kapitel hegen, seinen Nutzen haben, einen solchen Traum mit¬ 
zuteilen, in welchem diese Differenz scharf zum Ausdruck kommt. 

Ein Arzt träumt: 

„Ich habe und sehe an meinem linken Zeigefinger 
einen syphilitischen Primäraffekt an der letzten Pha- 
1 a n g e.“ 

Das wäre nun wirklich das letzte, das sich einer wünschen könnte! 

Der Träumer hatte nie Lues; eine venerische Infektion wäre auch 
überhaupt das Schrecklichste, was ihm passieren könnte. 

Einfälle zu diesem Traum: (Diese Einfälle kamen nicht in der 
angegebenen Reihe, sondern, wie überhaupt alles, was aus dem Un¬ 
bewussten auftaucht, mehr oder weniger alle zugleich. Auch sind es 
keine definierte Vorstellungen, sie treten hervor in „Heniden“-Form 
[W eininger]; erst bei der sprachlichen Übersetzung kommt das scharf 
definierte Bild zustande.) 

I. In J a c o b i ’s Atlas der Hautkrankheiten steht ein Bild von 
einem solchen Finger; er hatte diese Abbildung kurz vorher noch gesehen. 

II. Der Professor der Dermatologie sagte, das Wort Syphilis stammte 
von sus = Schwein und philis = Liebe.' 



Ein Traum, der das Gegenteil einer Wunscherfüllung zu verwirklichen schien. 87 

Um die Bedeutung des Wortes „sus“ zu verstehen, müssen wir 
zurückgreifen auf einen Traum, der einige Tage vorher geträumt war: 

Der Traum „Susi“ lautet: 

„Es war da ein Pferdchen, das herum rannte und 
auf mich zu kam und mir die beiden Vorderpfoten um 
den Hals legte.“ 

Einfälle zum Traume „Susi“: 1. Gleich beim Erwachen weiss er, 
dass dieses Pferdchen „Susi“ sei, das dressierte Maultier des Zirkus 
Corty Althoff, das er kurz zuvor gesehen hatte. Jener Maulesel gibt 
seinem Zureiter einige Fusstritte mit den Hinterhufen, das war eins von 
seinen Künstchen (im Traum genau das Umgekehrte). 

2. Die Schwiegerschwesterchen (holl. = „zusje“) werden jetzt zu 
gross, um noch auf seinen Knien zu sitzen. Das wird ihm unangenehm 
gewesen sein. 

3. S u z e war der Name der Hauptperson eines erotischen Kom¬ 
plexes vor einigen Jahren her. Sie legte aber nicht ihre Arme um seinen 
Hals, sondern gab nicht undeutlich zu verstehen, dass ihr Herz schon 
von einem anderen eingenommen war. Es war eine rasch vorübergehende 
Kälberliebe von ihm gewesen (sie kommt im zweiten Traum als 
Schweineliebe zurück). Sie war Indo-Europäerin (Bastard- 
Maulesel). Wenn sie erzürnt war, stampfte sie mit dem Fuss, 
wie ein Pferd; in ihrem Familiennamen kommt übrigens auch die Silbe 
„h o r s“ vor (engl, „horse“ = Pferd). Einer Gebärde erinnert er sich 
noch von ihr: Sie schlug einmal mit den Händen auf die Knie, das war 
ihm besonders unangenehm vorgekommen. An diese Gebärde war er 
neulich erinnert worden: die Clown im Zirkus machten sie wiederholt. 

4. Eine Schwester (holländisch: „zuste r“, „z u s j e“) zu haben, 
war längere Zeit in seiner Jugend ein lebhafter Wunsch. Hieran knüpft 
ein kleines Ereignis. Eine kleine Kusine, sie mag 5 oder 6 Jahre alt 
gewesen sein und er selbst 7 oder 8, spielte oft im Hause seiner Eltern. 
Es war ein ihm lieber Gedanke, sie möchte als seine Schwester ins Haus 
kommen. Eines Tages ging sie vor ihm die Treppe hinauf und ent- 
blösste plötzlich ihren Hinterteil. Das kam ihm sehr niedrig und gemein 
vor, von da an mochte er sie nicht mehr leiden und verdrängte sie aus 
seiner Phantasie. 

Hiermit ist zwar bloss das „kulturelle“, noch nicht das „unbewusste“ 
Material aufgedeckt; das genügt aber für unseren Zweck. 

Der Traum „Susi“ hat sich dargestellt als die Kondensation dreier 
Wunscherfüllungen, die drei übereinander gelagerten Komplexen ent¬ 
sprechen. Erstens kommt das Pferdchen (hors) Susi (Suze) ihm 
ein Liebeszeichen geben, zweitens hat er eine Schwester (zusje—Susi) 
und drittens entblösst sie ihm nicht den Hinteren, sondern zeigt ein nor¬ 
males Verhalten. Die durchsichtigen weiteren Beziehungen auf „Verlegung 
nach oben“, „Ersetzung durch Gegenteil“ und die Zweideutigkeit der 
„Vorderpfote“ übergehe ich hier, da sie bewusstseinsunfähig und also bloss 
hypothetisch blieben. Ausserdem sind die unbewussten tiefsten Komplexe 
fast bei jedem Traum und jedem Symptom dieselben; nur das „kulturelle“ 
Material variiert; ist einmal diese Stereotypie konstatiert, so kann die 
Mitteilung des Grundmaterials in der Folge fortbleiben. 

Jetzt wird auch die Bedeutung des syphilitischen Geschwürs 
im zweiten Traum mit einem Schlage klar! Der Traum hat ein neues 


88 Ein Traum, der das Gegenteil einer Wunscherfüllung zu verwirklichen schien. 


Symbol gefunden, das alle drei Komplexe zugleich vertreten kann. Er hat 
sich jetzt die Liebe der „s u s“ (S u z e, z u s t e r) an den Finger ge¬ 
zaubert, wie einen Verlobungsring. Nicht an den vierten Finger, denn 
dieser ist schon von einer anderen Liebe eingenommen, die er auch 
behalten möchte; an den Zeigefinger, denn mit dem Zeigefinger schwört 
man (holl, „zweeren“ bedeutet sowohl „einen Eid schwören“ als „ein 
Geschwür haben“) und zwar, „auf die Spitze getrieben“! 

Verfolgen wir die Analyse des Syphilistraumes: 

III. Aus der Zeit seiner Werbung erinnert er sich, dass er einmal, 
da das umworbene Mädchen eine Coryza hatte, gegen sie den Wunsch 
äusserte, sie möchte ihn infizieren. Die Infektion ist im Traume 
da. Früher hatte er manchmal geäussert, wenn er ein Mädchen wahrhaft 
liebte, so würde er sogar eine venerische Infektion gar nicht zählen. 

Die Schwere der Infektion im Traum ist also ein Gradmesser von 
der Heftigkeit der gewünschten Liebe, ebenso wie der Sitz des Geschwüres. 

IV. Es fällt ihm ein, dass Primäraffekt auch prima affectio 
geschrieben werden und dann die erste Liebe bedeuten kann. 

Jetzt wird auch deutlich, warum dieselben Wunscherfüllungen noch¬ 
mals geträumt wurden: der zweite Traum ist eben vollständiger 
als der erste. 

Die Struktur der aufgedeckten Traumgedanken kann man sich wie 
folgt denken: 


Maulesel Susi 


Besuch im Zirkus 


' \ \/ 

Pferdchen Suze 
(hors) 

Zuster 

i , 

Wunsch eine Schwester zu 


Sus philis syphil. Prim affekt. 


/ 


/ 


/ 


Atlas Jakobi 


haben, um sie lieben zu können / 

t 


/ 

Wunsch der 
Infektion 
/ 


Unbewusste Partialtriebe 


erste Liebe 
(prima affectio) 


Hier müssen wir die Mitteilung der Analyse abbrechen. Das wider¬ 
liche Geschwür hat sich inzwischen als Symbol dargestellt und als Ver¬ 
treter von mit grossem Affekt belegten Wunscherfüllungen. 


in. 

Der Traum eines Coitus interruptus. 

Von Dr. Alfred Meisl. 

Nach einigen einleitenden Bemerkungen erzählt Herr N. den Inhalt 
eines Traumes der vergangenen Nacht: „Er sollte einen leeren Korb zu 
der Schwester seiner Frau bringen, stieg zu diesem Zwecke in einen 
Strassenbahnwagen und fuhr eine Strecke weit. Da erinnerte er sich, 
den Korb zu Hause vergessen zu haben, stieg deshalb aus und bestieg 





Der Traum eines Coitus interruptus. 


89 


einen in entgegengesetzter Richtung verkehrenden Wagen, um nach Hause 
zu gelangen. Nun gab es allerlei Hindernisse auf der Fahrt, er musste 
wiederholt aussteigen, andere Wagen besteigen, um vorwärts zu kommen. 
Er konnte es ja tun, da er Besitzer einer Jahreskarte wäre. Endlich blieb 
der Wagen, in dem er fuhr, stecken und konnte nicht weiter. Er musste 
aussteigen und den weiteren Weg zu seiner Frau zu Fuss zurücklegen. 
Da sah er, dass vor dem Wagen das Geleise aufgerissen war, zwischen 
den Schienen in der Erde eine tiefe Grube klaffte, das aufgewühlte 
Erdreich ringsum den Boden bedeckte und schlüpfrig machte, so dass 
die aussteigenden Passagiere leicht in Gefahr kamen, auszugleiten. Er 
sah auch, wie Damen, die ausgestiegen waren, ausrutschten, und sich 
krampfhaft anhalten mussten, um nicht in die Grube zu fallen.“ 

Die oberflächliche Deutung des Traumes war nicht schwer: Der 
Träumer steigt ein, fährt eine Strecke weit, muss aussteigen, weil er den 
leeren Korb zu Hause vergessen hat. Er fährt hin und her und muss 
vor dem Ziele aussteigen. Das Aussteigen ist mit Gefahren verbunden, 
die ihm dunkel vorschweben. Der Trauminhalt war eine in der Sprache 
des Traumes abgefasste, lebendige und treue Darstellung eines ehelichen 
Coitus interruptus, in welcher selbst der Trauungsschein, die Jahreskarte, 
nicht fehlte, sowie der äussere Anlass, das Vergessen des leeren Korbes, 
des Kondoms. 

Den Beweis, dass die Deutung des Traumes die richtige war, hatte 
der Träumer selbst geliefert. Er erzählte nämlich vor Beginn des Traum¬ 
berichtes, dass er mit einer Erektion aus einem durchaus nicht lasziven 
Traume erwacht sei. Er musste auch, der Wahrheit die Ehre gebend, 
zugestehen, dass er den Coitus interruptus ausübe, wenn er ein Kondom 
zu nehmen vergessen habe. 


IV. 

Aus dem Tagebuch eines Neurotikers. 

Von Dr. W. Stekel. 

Ich veröffentliche diese Tagebuchstelle eines an Zwangsneurose 
leidenden 25 jährigen Juristen, weil sie eine gar nicht seltene symbolische 
Darstellung der Krankheit und die Rolle des Neurotikers als Schauspieler 
illustriert. 

„Einen unangenehmen Traum hatte ich heute in der Nacht. Ich 
sah am Fussboden inmitten meines Zimmers eine ekel¬ 
hafte Ratte. Ich versuchte sie durch vielen Lärm zu 
verscheuchen — jedoch vergebens. Sie liess sich gar 
nicht beängstigen — ja sie ging aggressiv gegen mich 
vor. Ich setzte indessen meinen unnützen Kampf fort. 
Plötzlich verliess die Ratte ihre Stelle und ich sah 
sie mit Blitzesschnelle am Fussboden laufen. Sie ist 
irgendwo verschwunden — nur aber schien es, dass sie 
in mich hi nein gesprungen ist. Ekel und Angst er¬ 
fasste mich.“ 



90 


Aus dem Tagebuch eines Neurotikers. 


„Was für ein wunderschönes Symbol! Diese Ratte — das ist die 
Krankheit —, die mich verzehrt. Ich suche sie zu vertreiben, jedoch 
umsonst, denn sie ist ein Teil von mir selbst. Ich bin aufgestanden mit 
einer starken Unruhe. Ein quälender Gedanke erwachte in mir, dass 
ich durch meine Krankheit das Leben meiner Eltern verkürze. Ich be- 
schliesse am selben Tage einen Brief zu schreiben, um ihnen Mut ein- 
zuflössen. In solchen Momenten eines inneren Zwiespalts tritt nun der 
Komödiant in mir sehr deutlich an den Tag. Sogar in solchen Augen¬ 
blicken spiele ich, und wäre es auch im Mangel an Zuschauern vor einem 
Spiegel. In der Seele ein Kampf, und ich schaue in den Spiegel, ob 
er mir gut zu Gesicht steht. Vor meinen Augen taucht ein Bild auf 
— einmal gesehen —, darstellend Hamlet im Momente eines Seelen¬ 
kampfes. Die Augenbrauen zusammengezogen, tiefe vertikale Runzeln 
um die Mundwinkel. Sehe ich ihm nicht ähnlich? Ich stellte mich vor 
den Spiegel und betrachtete mit Wohlgefallen die tiefen Runzeln in den 
Mundwinkeln auf meinem Gesichte. Mit einer gewissen Freude habe ich 
festgestellt, dass die Krankheit auf meinem Gesicht bereits Spuren hinter¬ 
lassen hat. Und in meiner Phantasie sah ich mir mit Vergnügen das 
Bild an, wie der Blick meiner Mutter mit einem schmerzlichen Aus¬ 
druck diese Spuren des Leidens auf meinem Antlitz verfolgt. Und doch 
ist kaum ein Augenblick verflossen, seit meine Seele von starker Unruhe 
über meine Mutter erfüllt war.“ 


Referate und Kritiken. 


Dr. Oskar Pfister, Psycho-Analysis and child-study. In 
“School Hygiene“. Vol. II. Nr. 8. (Fortsetzung.) 

Der Autor hält sich auch in diesem zweiten und letzten Teile 
konsequent sein Ziel vor Augen, bei den englischen Pädagogen vor allem 
das Interesse an den Leistungen und Erfolgen der Psychoanalyse zu 
erwecken. Er verweilt daher nicht lange bei theoretischen Erörterungen, 
sondern demonstriert an einfachen und — nach gewonnener Einsicht — 
leicht übersehbaren Beispielen den Vorgang der Verdrängung und die 
umfassende Bedeutung der Sexualität. Die treffliche Auswahl der Beispiele 
und die sichere Darstellung lassen die Hoffnung zu, dass der Artikel 
nicht ohne Eindruck auf seine Leser bleiben wird. 

Dr. Hanns Sachs. 

Prof. Felix Asnaurow, „Algolagnie und Verbrechen.“ Im 
„Archiv für Kriminalanthropologie und Kriminalistik“, herausgegeben 
von Dr. Hans Gross in Graz, Band 38, Verlag F. C. W. Vogel. 
Erschienen auch unter dem Titel „Passivisme et criminalite“ in „Archives 
d’Anthropologie criminelle“. Lyon und Paris. 

Der Verfasser macht für die sexuelle Frühreife und die späteren 
manifesten sadistischen und masochistischen Perversionen die Prügel- 



Referate und Kritiken. 


91 


strafe verantwortlich und begründet es an einigen Fällen seiner persön¬ 
lichen Erfahrung. „Fast alle von mir gekannten Masochisten im Alter 
von 10—50 Jahren gestanden mir, dass die erste Züchtigung ihnen zu¬ 
gleich mit der grössten Erniedrigung und Scham auch die grösste Wonne 
bereitet hätte. Auch die stärkste Züchtigung wirkt schliesslich doch nur 
sexuell exzitierend.“ Der Verfasser tritt energisch für die Abschaffung 
der Prügelstrafe in Schule und Haus auf. 

Wenn auch die Aufklärung des Masochismus mit diesen elementaren 
Tatsachen nicht erschöpft ist und das Festhalten an gewissen Perversionen 
wohl einen komplizierten Mechanismus voraussetzt, so bilden doch die 
Ausführungen in vorliegender Schrift neuerdings eine teilweise Bestätigung 
für die in der Psychoanalyse gemachte Beobachtung der Fixierung infan¬ 
tiler Eindrücke. Rosenstein. 

Prof. Felix Asnaurow, „Die sexuelle Seuche in Russland.“ 
In „Sexual-Probleme“, Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexual¬ 
politik, 6. Jahrgang, 7. Heft, VII. 1910. 

Der Verfasser zeigt das Zunehmen der sexuellen Verbrechen in 
Russland und bringt die Erscheinung in Zusammenhang mit der schweren 
politischen und sozialen Reaktion während der letzten Jahre. Auch die 
Selbstmordstatistik weist enorme Ziffern auf. So ist die Zahl der Selbst¬ 
morde in den Jahren 1907—1909 (den Jahren der Reaktion) mehr als 
dreimal so gross als die korrespondierende Zahl der drei vorangegangenen 
Jahre. — Der vom Autor aufgezeigte interessante Zusammenhang von 
politischer Reaktion, Sexualverbrechen und Selbstmord erforderte selbst¬ 
redend eine genauere psychoanalytische Untersuchung, die sich vornehm¬ 
lich auf die Kausalbeziehungen erstrecken müsste, was natürlich nicht 
den Intentionen der bloss darstellenden Schrift entsprach. 

Rosenstein. 

Georg Büttner, „Das Wesen der Seel e.“ Modernes Verlags¬ 
bureau Curt Wigand, Berlin-Leipzig 1910. 

Ein Versuch zur Lösung des psychophysischen Problems. Der Ver¬ 
fasser sieht das Gemeinsame aller physischen und psychischen Er¬ 
scheinungen in der „Energie“. Das Empirische an dem äusseren 
Geschehen ist bloss Bewegung, die dahinter vermutete Kraft (die 
physische Energie) erschliessen wir nur in Analogie mit den Wider¬ 
ständen, die unser Körper den Bewegungen der Aussenwelt entgegen¬ 
stellt. Wir erleben die Kraft nicht als physische, sondern als psychi¬ 
sche Energie. Aus den Differenzierungen in den Bewegungsverhältnissen 
schliessen wir auf Differenzierungen der Energie selbst, ohne dass uns 
diese „direkt“ zugängig wären, während uns in der Psyche die Energie 
unmittelbar differenziert erscheint, entsprechend unseren Emp- 
findungs- und Gefühlsqualitäten. Dies ist der phänomenale Unterschied 
der psychischen und physischen Energie, ihrem Wesen nach sind beide 
identisch. Beim Nebenmenschen nehmen wir psychische Energie durch 
Nachempfinden wahr (also durch Einfühlung), je tiefer wir in der organi¬ 
schen Welt hinabsteigen, desto empfindungsärmer nehmen wir sie an; 
diese Annahme ist nur bedingt durch die Unfähigkeit des Nachempfindens. 
Bestünde diese Unfähigkeit nicht, wäre die Fähigkeit des „Nachempfindens“ 


92 


Referate und Kritiken. 


eine unbeschränkte, dann kämen wir zur Annahme einer Allbeseelung. 
So gelangt der Verfasser zur Postulierung einer Psyche auch des An¬ 
organischen und weiter zur logischen Identität des bloss phänomenal 
verschiedenen physischen und psychischen Geschehens unter dem gemein¬ 
samen Begriffe der Energie. 

Wir sehen hier eine Verbindung von Energetik, Panpsychismus 
und Identitätsphilosophie, ohne dass man den begrifflichen Konklusionen 
besondere Originalität oder Geschlossenheit zuschreiben konnte. Doch 
berechtigen einige gute Beobachtungen zu der Annahme, dass der Ver¬ 
fasser manches Wertvolle in der Zukunft bringen wird, wenn er nur, 
statt die schon bestehende philosophische und psychologische Literatur 
zu ignorieren, mehr auf dieser Grundlage aufbauen wollte! 

Am -Schlüsse des Büchleins versucht der Verfasser die Nutzbar¬ 
machung einiger Sätze aus der Physik für die Psychologie und kommt 
zu einigen interessanten Analogien. So wird z. B. der Satz vom Parallelo¬ 
gramm der Kräfte auf psychische Tendenzen angewendet, auch der aus 
der Physik stammende Begriff der „Spannungen“ wird nicht ohne Erfolg 
auf psychische Verhältnisse übertragen. Die Erörterungen darüber bilden 
den wertvollsten Teil der Schrift und liefern mehrere nicht unbefriedigende 
Resultate auf dem Gebiete der psychischen Dynamik. 

Rosenstein. 


Binet, Le Diagnostique Judiciaire par la Methode des 
Association s. 

B i n e t macht zuerst einige allgemeine Bemerkungen über den Wert 
der Assoziationsmethode, welche er mit der Psychoanalyse vergleicht. Er 
erkennt den Scharfsinn der Anhänger, die Feinheit ihrer Deutungen, ihr 
Interesse für das wirklich Psychologische an, findet aber bei allen „das 
gleiche literarische und mystische Gepräge wie bei Freu d“. „Man er¬ 
schrickt durch den Mangel an Kontrolle. Eine Wissenschaft ohne Kon¬ 
trolle ist wie ein Volk ohne Sitten; es ist der Anfang der Entartung.“ 
Zur Illustrierung bespricht er zwei Arbeiten von den amerikanischen 
Forschern Yerkes, Berry, Henke und Eddy über Assoziations¬ 
versuche. Es dünkt uns, dass der Verfasser Besseres hätte wählen 
können, um die Methodik der Komplexdiagnostik und ihren allgemeinen 
Wert einzuschätzen. Allerdings wäre seine Kritik nicht so rund und 
elegant ausgefallen. 

B i n e t macht sich die Sache leicht; wenn er die Arbeiten J u n g ’s 
in die Hand nehmen würde (speziell die Broschüre über die Tatbestands¬ 
diagnostik — Marhold, Halle), könnte er sich überzeugen, dass kritischer 
Geist auch bei den Anhängern der Assoziationsmethode Vorkommen kann. 

Die Versuche der amerikanischen Forscher enthalten einen grossen 
Fehler, in den die meisten Experimentalpsychologen geraten. Sie arbeiten 
unter künstlichen Bedingungen in der „ambiance“ des Laboratoriums 
und sie wollen die Resultate ihrer Experimente auf das reale Leben aus¬ 
dehnen. Es ist sehr naiv, einen diagnostischen Assoziationsversuch an¬ 
zustellen, indem man den Versuchspersonen Mäuse und Karten zeigt mit 
dem Auftrag, das Gesehene in ihren Assoziationen zu dissimulieren. Die 
Züricher Schule mit Jung an der Spitze hat sich von Anfang an bemüht, 
sich in möglichst natürlichen Bedingungen zu bewegen, wie es bei 


Referate und Kritiken. 


93 


Ärzten begreiflich ist. Der diagnostische Wert des Assozia- 
tionsversnches liegt in dem Nachweise der Affekte, 
welche während des Experimentes zum Ausdruck kommen 
(Komplexzeichen). Man kann nicht erwarten, dass eine beliebige \ersuchs- 
person sich für eine Maus oder eine Spielkarte so sehr interessieren kann, 
um einen starken Affekt beim Dissimulieren der Objekte zu entwickeln. 
Ganz anders steht es mit dem Verbergen von stark gefühlsbetonten Er¬ 
lebnissen. I < ! ! i? I 'i 

Die amerikanischen Experimentatoren machen keine Angaben über 
die Qualität der Reaktionen, sie begnügen sich mit einer Statistik der 
Zeitverhältnisse. Es ist ein zweiter grosser Fehler, den sie begangen haben. 

Tausende von Experimenten, welche in der Züricher Klinik mit 
einer vollkommeneren Technik gemacht worden sind, liefern überzeugende 
Resultate. B i n e t beanstandet den gänzlichen Mangel an Kontrolle. Eine 
Kontrolle hat man doch; denn die Versuchspersonen bestätigen sozusagen 
ausnahmslos die Deutung des Experimentators. Sie teilen die gefühls¬ 
betonten Erlebnisse ausführlich mit, welche Spuren ihrer unerledigten 
Tätigkeit in den Störungen des Assoziationsexperimentes hinterlassen haben 
(Komplexzeichen). Binet sollte in den Arbeiten Jung’s die Bedenken 
des Verfassers über die Verwendung des Assoziationsexperimentes in der 
Tatbestandsdiagnostik lesen. Jung erhob selbst Einwände gegen die 
Einführung der Methode in die juristische Praxis, sogar nachdem es ihm 
gelungen war, einen Dieb zu entlarven und zum Geständnis der Tat zu 
bringen. (Also doch eine Kontrolle 1 ).) 

Ref. macht den Verfasser des französischen Aufsatzes noch darauf 
aufmerksam, dass seine vierte Bemerkung Seite 383 unberechtigt ist, 
denn der Experimentator stellt als Hauptbedingung des Versuches die 
Mitteilung des ersten Einfalls auf das Reizwort. Wenn er merkt, dass die 
Versuchsperson prinzipiell nach Überlegung reagiert, kann er das ge¬ 
lieferte Material nicht verwerten. Er hängt also zum Teil vom guten 
Willen der Versuchsperson ab. Dies ist eine zweite Einschränkung der 
Verwertbarkeit des Experimentes. 

Dr. A. M a e d e r. 

Dr. Hermann Aub, Die Hysterie des Mannes. Verlag von 
Ernst Reinhardt. München 1911. 

Dieses Buch ist für Laien bestimmt und soll aufklärend wirken. 
Diesem Zwecke scheint es mir vollkommen zu genügen. Aub stellt sich 
auch teilweise auf den Standpunkt F r e u d ’s und versucht eine Ver¬ 
mittlung zwischen alten und neuen Lehren. Wesen, Heilmethoden, Sym¬ 
ptome und Übergangsformen der Hysterie werden eingehend abgehandelt, 
ebenso wie die Hysterie beim Militär und die Beziehungen der männlichen 
Hysterie zur Philosophie, Literatur, Kunst und Musik. In dem Kapitel 

1 ) Auf einer Abteilung der Klinik wurde ein Diebstahl begangen. Die sechs 
in Verdacht stehenden Pflegerinnen wurden nach der Assoziationsmethode unter¬ 
sucht. Zwei konnten gleich von den anderen getrennt werden und als verdächtig 
erklärt werden; die Geständnisse der beiden brachten die Sache ins Klare. Die 
eine war die Diebin, die zweite, ihre Freundin, war in die Sache eingeweiht. Dieser 
Fall zeigt sehr klar die zurzeit bestehende Grenze der Verwendbarkeit des Experi¬ 
mentes in der juristischen Praxis; die Technik erlaubt eben nicht, mit Sicherheit 
den Mitwissenden vom Schuldigen zu unterscheiden. 

Zentralblatt für Psychoanalyse. 11* 


7 



94 


Referate und Kritiken. 


„Die Hysterie des Kindes“ verweist der Autor auf die Diskussion der 
„Wiener psychoanalytischen Vereinigung“ „Über den Selbstmord“ und 
bestätigt besonders die Wichtigkeit meiner Ausführungen. Stekel. 

Havelock Ellis, Geschlecht und Gesellschaft. Grundzüge 
der Soziologie des Geschlechtslebens. Autorisierte deutsche Übersetzung 
besorgt von Dr. Hans Kur eil a. II. Teil. Würzburg. Curt Kabitzsch, 
A. Stuber’s Verlag. 1911. 

In der E 11 i s eigenen enzyklopädischen Art werden in diesem Bande¬ 
eine Reihe wichtigster Themen abgehandelt: Die Orgie, der Ursprung 
und die Entwickelung der Prostitution, die Ursachen der Prostitution, 
die gegenwärtige Haltung gegenüber der Prostitution, die Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten, Ehe und Ehescheidung, die Wissenschaft der Fort¬ 
pflanzung. Als den interessantesten Beitrag möchte ich das 11. Kapitel 
der Liebeskunst bezeichnen, welches eine grosse Menge interessanten 
Materials vorbringt und im Originale nachgelesen werden muss. Besonders 
bedeutsam erscheint mir, dass E11 i s auf eine Gemeinschaft hinweist, 
in der der Coitus reservatus allgemein üblich war und bei der das Ver¬ 
fahren keine schlechten Folgen gezeitigt hat. Es war dies die sogenannte 
Male continence, die von N o y e s begründet wurde und darin bestand, 
dass jeder Mann der Ehemann jeder Frau war, aber nicht mit jeder 
Kinder zeugen durfte. Es gab zweierlei Arten von Kohabitationen, einen 
propragativen und befruchtenden. Es war Pflicht der Männer, den Orgas¬ 
mus bis zu einer Stunde auszudehnen. Angeblich soll eine ausserordentlich 
geringe Zahl von nervösen Erkrankungen sich ergeben haben und nur zwei, 
die etwas übertrieben, hätten nervöse Störungen gezeigt. Diese inter¬ 
essante Beobachtung würde auf den grossen Einfluss des psychischen 
Konfliktes für das Zustandekommen einer Angstneurose neben der soma¬ 
tischen Schädigung hin weisen. Stekel. 

Dr. Max Marcuse, Die Gefahren der sexuellen Abstinenz 
für die Gesundheit. Leipzig, Verlag von Johann Ambrosius 
Barth, 1910. 

In dieser gross angelegten Studie wird fast die gesamte wissen¬ 
schaftliche Literatur über diesen Gegenstand abgehandelt und das pro 
und contra der Abstinenz sorgfältig erwogen. Verfasser weist an Hand 
der Literatur und an Hand interessanter eigener Beobachtungen den 
Schaden der sexuellen Abstinenz nach und nimmt ziemlich heftig Stellung 
gegen jene Ärzte, die die Onanie als unschädlich erklären. Er bezeichnet 
sie insgesamt nach dem Beispiele Nyströms als „Onanie-Advo¬ 
katen“. Während er sonst einen ausserordentlich kritischen und un¬ 
parteiischen Standpunkt einnimmt, scheint er mir in der Onaniesache 
entschieden zu weit zu gehen. So sagt er: „Und ich weiss nicht, ob 
die Intelligenz oder das Gefühlsleben jenes Professors den grösseren 
Defekt aufweist, der im Kreise seiner Schüler erklärte: Die Onanie mässig 
ausgeübt, hat sehr viele Vorteile, besonders für studierende Jünglinge; 
es wird dabei Geld und, was noch wertvoller ist, Zeit erspart; man 
entgeht allen unangenehmen Verbindlichkeiten und Verhältnissen, macht 
niemanden unglücklich und läuft nicht Gefahr, venerische Krankheiten 
zu 6rwerben.“ 


Referate und Kritiken. 


95 


Und gleich darauf meint er, dieser Professor hätte nur „mit aller 
Schamlosigkeit“, was andere Ärzte und Nichtärzte denken, gesagt. 
Dem ist entschieden entgegenzuhalten, dass, wenn der Onanie-Advokat 
eine schlechte Rolle spielt, der Onanie-Staatsanwalt keineswegs eine 
bessere zu spielen scheint, denn es handelt sich hier um Überzeugungen 
und wissenschaftliche Ansichten, aus denen man weder dem Anhänger 
noch dem Gegner einen Vorwurf machen darf. Jedenfalls betont Marcuse 
die Notwendigkeit des geschlechtlichen Aktes der Onanie gegenüber ganz 
ausserordentlich energisch, wobei nicht verschwiegen werden soll, dass 
einzelne seiner Argumente entschieden Richtigkeit haben, wie z. B. das 
Argument, dass die Onanie sehr leicht zum Onanismus, d. h. zur Un- 
mässigkeit führt. Exzesse aller Art sind ja sicherlich schädlich. Die 
Vorsätze des Onanisten, mässig zu bleiben, seien nichts als Vorsätze, 
und er unterliege trotz aller Vornahmen der Versuchung, in die Un- 
mässigkeit zu verfallen. 

Ausser zu „Onanismus“ könne die Abstinenz auch zu perversen 
Handlungen führen und vorhandene krankhafte Triebe verstärken. Es gebe 
auch eine Pseudohomosexualität, ebenso wie es eine angeborene Homo¬ 
sexualität gebe. „Die Bewegung, die von dem sogenannten Wissenschaftlich¬ 
humanitären Komitee vor zirka 10 Jahren ins Leben gerufen wurde und 
ihren geistigen Führer in Magnus Hirschfeld hat, leugnet bekannt¬ 
lich die Möglichkeit, anders als infolge der angeborenen Anlage zur 
Homosexualität zu gelangen, durchaus. Sie wird in dieser Auffassung 
auch durch objektivere Autoren unterstützt, wie z. B. durch N ä c k e. Aber 
mit der übergrossen Mehrzahl der Sachkundigen halte ich es für zweifel¬ 
los, dass in einem sehr erheblichen Umfange junge Leute beiderlei Ge¬ 
schlechts, bis vor kurzem überwiegend freilich junge Männer, in den 
letzten Jahren aber in beträchtlicher Zahl auch Frauen und Mädchen, 
zur Homosexualität, die zunächst erst noch eine Pseudohomosexualität 
ist, d. h. sich in homosexuellen Handlungen erschöpft, verführt werden, 
dass dann aber weiterhin von ihnen ein Teil durch Gewöhnung, die bei 
der Notwendigkeit einer Abstinenz leicht erfolgt, allmählich zu echten 
Homosexuellen wird. Und selbst, wenn man für diese Gruppe der ge¬ 
wordenen Homosexuellen eine gewisse angeborene Veranlagung als Be¬ 
dingung annimmt und zugibt, so wird dadurch die Tatsache, dass die 
Homosexualität auch eine Abstinenzerscheinung sein kann, nicht an Be¬ 
deutung verlieren.“ 

Verfasser kommt schliesslich zu dem Schlüsse: „Nach dem 
gegenwärtigen Stande der Wissenschaft und Praxis 
ist die geschlechtliche Enthaltung eine gewichtige 
Ursache geistiger und körperlicher Krankheiten.“ 

S t ek e 1. 

Dr. Cli. von Härtlingen, Kritische Tage und Träume. Zeit¬ 
schrift für Psychotherapie und medizinische Psychologie. III. Band 
1. Heft. 1911. 

Mitteilung eines Traumes, der sich mit Hilfe des Periodenschiebers 
von S w o b o d a auf kritische Familientage zurückführen lässt. Wenn 
ich auch den Wert dieser Forschungen für die Psychoanalyse des Traumes 
nicht hoch einschätze, so halte ich ihn vom psychologischen Standpunkt 

7* ' 


96 


Referate und Kritiken. 


für ausserordentlich bedeutsam und würde nur wünschen, dass diese 
Untersuchungen einmal konsequent an einem grösseren Materiale aus¬ 
geführt werden. S t e k e 1. 

S. Rahmer, Nicolaus Lenau als Mensch und Dichter. Ein 
Beitrag zur Sexualpathologie. Verlag von Karl Curtius, Berlin. 

Rahmer ist ein ärztlich gebildeter Germanist. Mit seinen medizi¬ 
nischen Kenntnissen ragt er unter Seinesgleichen hervor, die ihr ein¬ 
schlägiges Wissen doch nur aus irgend einem Lehrbuch schöpfen, unter 
den Ärzten hinwieder zeichnet er sich durch starkes literarisches Forschen 
aus. Seine neueste Spezialität ist die Ehrenrettung ausgesprochen kranker 
Poeten. Heinrich v. Kleist unternahm er, als vollständig Gesunden zu 
erweisen, ja geradezu als königlich preussischen Normaldichter zu 
präsentieren, und auch bei Lenau geht er jetzt ähnliche Wege. Das Ver¬ 
fahren Rahmer’s ist von klassischer Einfachheit, wie ich schon in 
meinem Kleistbuche nachweisen konnte. Zunächst sei festgestellt., dass 
Rahmer von der just bei solchen Themen so hochwichtigen Frage der 
Belastung und Entartung gar nichts versteht oder mindestens ein even¬ 
tuelles Wissen bis zur Unkenntlichkeit zu verbergen weiss. Belastung 
scheint bei ihm erst zu beginnen, wenn so und soviele Fälle von 
Geisteskrankheiten in der Familie stattgefunden haben. Von den Stigmen 
der Belastung, die bei Kleist und Lenau in geradezu überwältigender 
Fülle Vorkommen, sieht er entweder nichts oder will sie nicht sehen. 
Was sonst dem Psychologen von entscheidender Wichtigkeit, Briefe und 
einzelne Lebenszüge, auch die bestbeglaubigten, gelten ihm nichts, wenn 
sie für Belastung seiner Objekte zu sprechen scheinen, hingegen beweist 
er deren Gesundheit aus den — Dichterwerken, selbst wenn diese soviel 
Pathologisches enthalten, wie abermals die von Kleist und Lenau. Dann 
freilich kommen Behauptungen heraus wie etwa die folgenden: „Lenaus 
Dichtungen verraten Eigenschaften, die zweifellos einer geistig und sitt¬ 
lich hochstehenden Persönlichkeit angehören von ursprünglich gesundem 
Empfinden, Denken und Wollen. Dahinter steckt kein Gezeichneter, here¬ 
ditär Belasteter, Minderwertiger, kein Neuropsychopath mit irgendwelchen 
geistigen und sittlichen Defekten. Dazu rechnet die Ursprünglichkeit, die 
Wahrheit und Tiefe des Empfindens, der angeborene Natur- und Freiheits¬ 
sinn. Seine Fähigkeit der Vertiefung in die umgebende Natur wird Lenau 
immer eine hohe und in gewissem Sinne universale Bedeutung verleihen. 
Der Geist freier, männlicher Überzeugung, der frische Hauch der Freiheit 
durchzieht seine ganze Poesie und kommt zum hinreissendsten und 
jubelnden Ausdruck in den Albigensern. Niemals ist Lenau kleinlich und 
stets frei von jeder gemeinen Empfindelei, niemals ist sein Fühlen ober¬ 
flächlich. Sein Wollen und Streben ist stets gross, ebenso ist er stets 
wahr, gefühlswahr und aufrichtig. Psychologischer Bestand und funk¬ 
tionelle Leistung können sich niemals widersprechen. Lenau ist von 
Haus aus gesund, das lehrt uns die Kenntnis seiner Poesie, und es 
ist ganz widersprechend, wenn sein Schwager behauptet: ,er brachte 
die Belastung zum Irrsinn mit auf die Welt 4 .“ Liest sich das nicht wie 
die Antwort eines Graphologen in einem deutschen Familienblatte, wobei 
es natürlich viel minder auf Wahrheit als darauf ankommt, den ver¬ 
ehrten Abonnenten zufrieden zu stellen? 


Referate und Kritiken. 


97 


Aber auch im einzelnen dünkt mich eine Fülle zu bemängeln. 
R a h m e r ist ein moderner Mensch und hat ganz richtig herausgefühlt, 
dass die alte Pathographie, wie sie Möbius schuf, eine Ergänzung 
heischt im Sinne der Erotik, seitdem uns Freud deren überragende 
Bedeutung durch seine Forschungen aufgedeckt hat. Darum verspricht 
auch der Titel von Rahmer ’s Buch einen „Beitrag zur Sexualpsycho¬ 
logie“. Worin besteht nun dieser Beitrag? Zunächst darin, dass der 
Autor des langen und breiten auseinandersetzt, dass die Paralyse, an 
welcher Lenau zugrunde ging, Syphilis voraussetzt, und dann auf Grund 
dieser richtigen Prämisse des Dichters ganzes Liebesieben aus der In¬ 
fektion mit Lues erklärt. Zum zweiten, dass Rahmer die „Entdeckung“ 
vorträgt, Lenaus jahrelanges Verhältnis mit Sophie habe durch die 
physische Entsagung nervöse Schädigungen hervorgerufen im Sinne der 
Freud ’schen Angstneurose. Einen Punkt, den so ziemlich alle Bio¬ 
graphen klar durchschauten und mehr weniger deutlich auch ausge¬ 
sprochen haben, wenn begreiflicherweise auch nicht mit dem modernen 
Terminus F re ud ’s. Es hat also Rahmer genau wie unsere ärztlichen 
Gegner von den Freud’schen Entdeckungen just das Oberflächlichste 
akzeptiert, dasjenige, was selbst der Beschränkteste sogleich erfasst; die 
weitaus wichtigeren infantilen Beziehungen, zumal den Kernkomplex jeder 
Neurose, aber auch des Gesunden, die erotischen Verknüpfungen mit Vater 
und Mutter, lehnt er ebenso hochnäsig ab, wie so viele andere Un¬ 
verständige. Für diese entscheidenden Beziehungen, die ich in meinem 
Lenau-Buch per longum et latum, besonders in ihrer Wichtigkeit für des 
Dichters Leben ausgeführt habe, hat Rahmer nur die „vornehme“ Ab¬ 
lehnung: „Der Schluss auf den Hass und die Ablehnung des Vaters ist 
ebenso kühn, als die Folgerung auf mütterlichen Inzest absurd ist.“ 

Weil er von jenem wichtigsten Punkt nichts wissen mag oder 
wirklich nichts weiss, wird natürlich seine Schilderung vom Liebesieben 
Lenau’s dürftig und völlig unzureichend. So bleibt ihm z. B. das Ver¬ 
hältnis mit Berta „sehr dunkel“ und findet er bloss „eine Summe von 
Rätseln und von Widersprüchen und ein tiefes Dunkel in der Beurteilung 
und Bewertung von Lenau’s Persönlichkeit“. Von den übrigen Liebes¬ 
beziehungen des Dichters behandelt er einzig zwei ausführlicher, die er 
beide aus Lenau’s Infektion mit Syphilis zu erklären versucht. Weil 
dieser im Jahre 1844 an manifester Paralyse erkrankte, verlegt unser 
Autor, auf einzelnen vagen Briefstellen fussend*), die Infektion mit Lues 
in das Jahr 1831. Und weil der Dichter damals frisch angesteckt ge¬ 
wesen, habe er die Beziehung zu Schilflottchen gelöst. Über Sophie 
Löwenthal aber fabuliert er: „Wenn die Beziehung der beiden einen 
Charakter annahm, der uns zunächst unverständlich ist, so erklärt er 
sich dadurch, dass Lenau in den ersten Jahren der Freundschaft noch 
schwer leidend war, dass er notgedrungen den Sexual verkehr mied und 
zwischen sich und ihr absichtlich eine Mauer errichtete, gegen die er 
später vergeblich losstürmte.“ Schade nur, dass diese merkwürdige Mauer 


U So führt er z. B. folgende Worte Lenau’s an: „Es hilft alles nichts. 
Der gewisse innere Riss wird immer tiefer und weiter. Es 
hilft alles nichts. Ich weiss es, es liegt im Körper, aber, aber.“ Den letzten Satz 
druckt Rahmer gesperrt, den vorstehenden aber vom inneren Riss, der schlechter¬ 
dings zur Infektion nicht stimmt und von allen Biographen auf das Verhältnis mit 
Berta bezogen wird, übergeht er mit Stillschweigen. 



98 


Referate und Kritiken. 


bloss in der Phantasie des Autors existiert. Errichtet hat sie nämlich 
niemals der Dichter, sondern, wie aus den Briefen und Liebeszettein 
ganz fraglos hervorgeht, stets bloss Sophie. Überhaupt versteht es 
R a h m e r sehr gut, seine vagen Hypothesen als absolute Wahrheit aus¬ 
zugeben. So schreibt er z. B. S. 77: „W as unzweifelhaft fest¬ 
st e h t, ist, dass Lenau an Syphilis erkrankte, dass die syphilitische Er¬ 
krankung in das Jahr 1831 fiel, dass sie die Ursache war für den Ver¬ 
zicht auf das Schilflottchen und für die tiefe Depression, die sich von 
Ende 31 bis tief hinein in das Jahr 1834 verfolgen lässt.“ In Wahrheit 
jedoch steht nur ein einziges „unzweifelhaft fest“, dass Lenau Lues 
gehabt haben muss, weil ausschliesslich diese in 5—15 Jahren eine Para¬ 
lyse zu erzeugen vermag. Dass aber die Ansteckung genau 12 Jahre vor 
Ausbruch der Psychose erfolgt sein muss, ist ebenso erst präzise zu 
erweisen, wie dass sie den Verzicht auf Lottchen begründete oder gar 
die Ursache seiner Depression war, die ja bei Lenau konstitutionell, ein 
Stigma der Belastung war und bald stärker, bald leichter eigentlich das 
ganze Leben lang währte. Mehr als einmal zeigt R a h m e r die be¬ 
denkliche Gabe, bloss das im Gedächtnis aufzubewahren, was zu seinen 
Theorien stimmt, Entgegenstehendes aber zu vergessen oder, wenn er es 
im Zusammenhang zitieren muss, schlankweg zu übersehen. 

Zusammenfassend möchte ich sagen: Das Büchlein Rahmer’s 
ist weder „ein Beitrag zur Sexualpathologie“, noch Neues zum Ver¬ 
ständnis Lenau’s erbringend. Trotz allen aufgewandten Fleisses sieht 
Rahmer die entscheidenden Ursachen nicht, ja führt in einer Reihe 
von Punkten direkt in die Irre. J. S a d g e r. 

D. N. A. W yrubow, Die psychotherapeutischen Auf¬ 
gaben eines Sanatoriums für Nervenkranke. Moskau 1910. 

Die veränderten Gesichtspunkte, von denen aus heutzutage die 
Ätiologie der Neurosen betrachtet wird, sind nach Wyrubow’s Meinung 
vor allem massgebend für die Anforderungen, die man an ein modernes 
Sanatorium stellt. Glaubt man nicht mehr an Intoxikation, an Störung 
der Gewebschemie als Ursache der Neurose, so wird man physikalisch¬ 
diätetische Kuren allein für unzureichend erklären; nimmt man an, dass 
die Neurosen psychogener Natur sind, so hat sich das Sanatorium vor 
allem mit Psychotherapie zu befassen, oder, wie W y r u b o w sich aus¬ 
drückt, man verlangt nicht nur Mittel, um die krankhaft veränderte Tätig¬ 
keit des neuropsychischen Organismus indirekt zu beeinflussen, sondern 
auch Methoden, um die Krankheitserscheinungen unmittelbar zu be¬ 
kämpfen“. Interessant sind Wyrubow’s Erfahrungen in statistischer 
Beziehung. So nehmen die Psychastheniker und Hysterischen im Sana¬ 
torium an Anzahl den ersten Platz ein, etwa 30<>/o liefern die Zyklo- 
thymiker, eine geringe Frequenz weisen die Neurastheniker auf und sehr 
wenige Fälle sind es nur, die als reine Zwangsneurosen bezeichnet werden 
müssen. Diese Statistik ist wegen der Anwendung der einzelnen Methoden 
der Psychotherapie wuchtig, die für Wyrubow eben eine Summe von 
psychotherapeutisch wirksamen Faktoren sind, welche allesamt gleiches 
Bürgerrecht gemessen sollen, will man wirklich Erfolge haben. Die Iso¬ 
lierung von der gewohnten Umgebung, die „mit Wohlwollen durchtränkte 
Atmosphäre des Sanatoriums“, die alten Methoden der Suggestion im 


Referate und Kritiken. 


99 


Wachzustände wie in der Hypnose, die Methoden von Breuer und 
Freud, die von Dubois, alle diese Faktoren müssen die Waffen 
hergeben, keine Methode darf pedantisch und ausschliesslich als Panazee 
gelten. Wyrubow’s Erfahrungen lehren, dass die zyklothymischen Er¬ 
krankungen psychotherapeutisch die einfachsten sind, da eine Psycho¬ 
analyse ausgeschlossen ist und nur „Erforschung der Persönlichkeit des 
Kranken und Erforschung seines Zustandes“ unerlässlich sind, um dem 
Kranken die Orientierung zu erleichtern. Hypnotische Suggestion muss 
zu Hilfe genommen werden, um unangenehme Sensationen, Schlaflosig¬ 
keit etc. zu bekämpfen. Viel komplizierter gestaltet sich die Behandlung 
der Psychastheniker. Es sind dies festgefügte, schwer entwirrbare Krank¬ 
heitsbilder, die gewöhnlich seit längerer Zeit bestehen. Zuerst kommt 
die detaillierteste Psychoanalyse. Die Gedankengänge und Empfindungen 
dieser Kranken haben oft ganz inadäquate Ursachen. Grober Aberglauben 
ist hier gerade bei hoher Bildungsstufe und Intelligenz anzutreffen, Träume 
spielen eine sehr grosse Rolle. Dabei ist die Dechiffrierung der Träume 
oft besonders schwer. So erzählt W yrubow, wie eine Patientin lange 
Zeit Völlig unangreifbare Träume angab. Es stellte sich dann heraus, dass 
sie jahrelang ein Traumbuch benutzte und daher bereits im Traume 
mit fertigen Symbolen arbeitete. Erst dieses Traumbuch gab 
die Möglichkeit, die Träume in wissenschaftlicher Weise zu deuten. Durch 
die Traumdeutung soll den Träumen das Geheimnisvolle genommen werden 
und ausserdem soll der Kranke lernen, seine Träume selbst zu deuten. 
Bei den Psychasthenischen spielt die Verdrängung nach Wyrubow 
nicht jene grosse Rolle wie bei den Hysterischen, auch nicht in der 
Bildung der Phobien, die gewöhnlich an physiologische Vorgänge oder 
deren Störungen anknüpfen. Hier hält Wyrubow direkte naturwissen¬ 
schaftliche Belehrung im Sinne von Kausalzusammenhängen in physio¬ 
logischen Dingen für angebracht. Zum iVnlass könne irgend ein kleiner 
Erfolg in der Behandlung eines Symptoms genommen werden. Bei der 
Hysteriebehandlung setzt Wyrubow diee Psychoanalyse an die erste 
Stelle. Alle Verdrängungen sollen aufgedeckt werden, die zu Krankheits¬ 
symptomen geworden sind. Die sog. Widerstände sind hier die Haupt¬ 
schwierigkeit, die nur durch das allmählich einsetzende Vertrauen zum 
Arzte geringer wird. Wyrubow warnt vor forciertem Ausfragen. Lang¬ 
sam, nur an dasjenige anknüpfend, wovon der Kranke selbst zu sprechen 
beginnt, lassen sich die anfangs zusammenhanglosen, jedoch sehr wert¬ 
vollen Stücke des Mosaikbildes — der ganzen Persönlichkeit des Kranken 
und der krankhaften Abweichungen — sammeln und dann rekonstruierend 
zusammenfügen. In bezug auf das Ausfragen wirft Wyrubow der 
Freud ’schen Schule zu tendenziöse Betonung des Sexuellen vor. Er 
leugnet nicht die Bedeutung des Sexuellen für die Entstehung von Neurosen, 
möchte aber den Begriff des Sexuellen viel weiter gefasst Avissen. Ebenso 
schädlich sind zu rasche Zusammenfassungen, Schlüsse, die dem Be¬ 
wusstsein des Kranken fremd sind, ihm aufoktroyiert erscheinen und 
kein Gefühl des Gesundens in ihm hervorrufen. Bei sehr ungeduldigen 
und viel kurierten Kranken zieht Wyrubow für den Anfang die Zu¬ 
lässigkeit der hypnotischen Suggestion zur Diskussion heran, namentlich 
gegen allgemeinere Erscheinungen, wie Kopfweh, Schlaflosigkeit, Ver¬ 
stimmung etc. Die Hypnose hält Wyrubow auch für anwendbar zur 
Überwindung des ersten, aber nur des ersten Widerstandes, und zwar 


100 


Referate und Kritiken. 


in, /sehr seltenen Fällen. Die Zwangsneurosen sind am schwersten zu 
behandeln. Eine ganze Reihe von bereits sekundären Symptomen, von 
Abwehrhandlungen nach Freud, ist es, die den Kranken zum Arzt 
führen. Ein ganzes kompliziertes Rituale ist es, welches das Leben 
des Kranken vom Aufwachen bis zum Schlafengehen erfüllen. Auch 
hier gilt das Prinzip: am Anfang war die Psychoanalyse. Die ersten 
Anzeichen der Erkrankung sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle 
schon im Alter von 4—6 Jahren zu finden. Häufig ist die Reinlichkeit 
und Dinge, die damit Zusammenhängen, Gegenstand der Neurose. Der 
Kern ist gewöhnlich ein Ereignis aus dem Geschlechtsleben, der daraus 
hervorgehende Affekt das Gefühl von moralischer Beschmutzung. Nach 
Freud werden diese Ideen in Ideen von physischer Verunreinigung trans¬ 
formiert. Dennoch ergeben sehr vernachlässigte Fälle oft keine günstigen 
Resultate. Überhaupt soll nach Wyrubow bei dieser Neurose ausser 
der Psychoanalyse die D u b o i s - Methode angewendet werden, wobei das 
Überzeugen von der Absurdität der Symptome natürlich wegfällt. Die 
Kranken sind davon ohnehin überzeugt. Das Überführen ins Sanatorium 
ist hier an sich ein wirksamer Faktor. Daher sind Besuche von Ver¬ 
wandten etc. zu verbieten. Jedenfalls sollte die Heilungsdauer auf viele 
Monate bemessen werden. 

Dass in einem Sanatorium auch alle physikalischen Heilmethoden 
zur Bekämpfung von Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit etc. zur Hand sein 
müssen, Verstehe sich von selbst. Dr. Jenny Adler-Herzmarck. 

Kostyleff, Les derniers travaux de Freud et le prob lern 
de l’hysterie. Archiv de Neurologie. 1911. Heft I u. II. 

Eine eingehende Analyse der letzten Arbeiten F r e u d ’s bis zum 
Bruchstück einer Hysterieanalyse. (Dora.) Der Autor hält die Methode 
Freud ’s fast ausserordentlich „suggestiv“. In gewissen Schlüssen jedoch 
sei er nicht Herr seiner Methode und scheine über die Grenzen seiner 
Wissenschaft gegangen zu sein. Das Fragment der Hysterieanalyse er¬ 
leuchte ebenso die Wichtigkeit der Psychoanalyse, als es auch die Irr- 
tümer verrate, in die man sich verstricken könne. S t e k e 1. 


Aus Vereinen und Versammlungen. 

Bericht über den III. Psychoanalytischen Kongress 
in Weimar am 21. und 22. September 1911 

von Otto Rank (Wien). 

I. Professor James J. Putnam (Boston): Über die Bedeutung der 
Philosophie für die weitere Entwicklung der Psychoanalyse. 

Redner hebt als nächste Aufgabe der psychoanalytischen Forschung, die bis 
jetzt vorwiegend therapeutische Ziele verfolgte, die Beschäftigung mit dem normalen 
Seelenleben, das Aufsuchen der Urquellen des Denkens, Ftihlens, Handelns im ge- 



Aus Vereinen und Versammlungen. 


101 


sunden Menschen hervor. Zwar wurden bereits die Erfahrungen und Einsichten aus 
der Kindheit des Einzelnen auf die Kindheit der primitiven Völker übertragen und 
wenn auch den Kinderwünschen zweifellos eine ungeheuere Wirkung zukomme, so 
haben doch die Regungen der erwachsenen Seele gleichfalls ein Anrecht in Betracht 
gezogen zu werden: die ethischen Gefühle, welche sich mächtig in die tiefen Seelen¬ 
regungen einmengen, und das logische Denken; dabei wird insbesondere auf Hegels 
Logik hingewiesen, deren tiefer Wahrheitsgehalt sich immer wieder aufs Neue er¬ 
weist. Schliesslich betont Redner, dass er damit das Unbewusste keineswegs aus- 
schliessen möchte, vielmehr meine, man dürfe sich im Handeln auf die uns vertraut 
gewordenen Regungen des Unterbewusstseins verlassen. 

II. Professor Dr. E. Bleuler (Zürich-Burghölzli): Zur Theorie des Au¬ 
tismus. 

Von Freud’s „Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Ge¬ 
schehens“ (Jahrbuch Ill/l) ausgehend, präzisiert Redner seinen in Bezug auf den psy¬ 
chologischen Zusammenhang dieser Dinge etwas abweichenden Standpunkt. Dem 
Freud’sehen Begriff des Lustprinzips, der zu enge erscheine, wird das autistische 
Denken gegenübergestellt und als dessen Gegensatz das realistische Denken (Freud’s 
Realitätsprinzip) bezeichnet. Insbesondere betont Redner seine abweichende Auf¬ 
fassung der phylogenetischen Stellung des autistischen Denkens, das nach ihm eine 
spät erworbene Funktion sei, während Freud sie als Rest einer primären Arbeits¬ 
weise des psychischen Apparats auffasse. Es werden schliesslich die Unterschiede 
zwischen realistischem und autistischem Denken hervorgehoben, sowie auf die Not¬ 
wendigkeit und Zweckmässigkeit des letzteren im Seelenleben hingewiesen. 

III. Dr. J. Sadger (Wien): Über Masturbation. 

Redner führt die ungeheuere Verbreitung der Masturbation auf drei Haupt¬ 
gründe zurück: 1. die Allgemeinheit und Intensität der Geschlechtsempfindung über¬ 
haupt; 2. ihre besondere Eignung als allzeit parates Ausdrucksmittel für jegliche 
Art von Sexualgenüssen und 3. ihre Wirkung als Trost- und Beruhigungsmittel. 

Die wahie Bedeutung erhalte die Masturbation nicht durch das pheriphere 
Tun, sondern durch die begleitenden Gedanken und Vorstellungen (Phantasien). Aus 
der Verzweiflung über die Unrealisierbarkeit dieser (Inzest-)Phantasien erklären sich 
auch die schweren Depressionszustände, von denen der masturbatorische Akt oft 
gefolgt ist, wie man anderseits der Depression scheinbar durch den peripheren Akt 
entrinnen kann, weil einen die Phantasien aus der unbefriedigenden Gegenwart in 
die lustvollste Kindheitszeit zurückführen. Die letzten Bedingungen der Selbst¬ 
befriedigung wurzeln in der Säuglingspflege mit ihren notwendigen Reizungen der 
äusseren Genitalien durch die Pflegepersonen. Ob man dem Kind die Masturbation 
abgewöhnen kann, hängt von seiner Konstitution und den Fähigkeiten der Eltern 
ab; das Kind gibt diese Lustquelle nur aus Liebe zu jemand auf. Die Abgewöhnungs¬ 
mittel, die nur auf das Exekutive gerichtet sind, müssen unwirksam bleiben; nur 
durch Eingehen auf die begleitenden Phantasien ist eine therapeutische Wirkung 
möglich. Jede habituelle Masturbation hat zwangsartigen Charakter, ist die ein¬ 
fachste Form einer Zwangshandlung. 

IV. Dr. Karl Abraham (Berlin): Die psychosexuelle Grundlage 
der Depressions- und Exaltationszustände. 

In fünf analysierten Fällen konnte Redner die Ähnlichkeit im Aufbau der 
Depressionszustände und der Zwangsneurose konstatieren. In allen Fällen nahm 
die Depression ihren Ausgang von einer die Liebe paralysierenden Hasseinstellung 
und auch die Unfähigkeit, sich für die hetero- oder homosexuelle Einstellung zu 
entscheiden, fand sich regelmässig. Ferner zeigte sich der Anteil des Projektions- 


102 


Aus Vereinen und Versammlungen. 


mechanismus bei manischen Patienten. Der Gedanke: ich kann die Menschen nicht 
lieben, ich muss sie hassen, wird verdrängt und nach aussen projiziert in der Form : 
die Menschen können mich nicht lieben, sie müssen mich hassen und darum bin ich 
unglücklich. Damit ist die eigentliche Liebesunfähigkeit beseitigt und wird ver¬ 
mittels einer falschen Verknüpfung auf irgend eine geistige oder körperliche Minder¬ 
wertigkeit geworfen. Von hier aus ergeben sich Einblicke in die Psychogenese der 
Rachephantasien (Richard III), aus denen die Schuldgefühle des Patienten stammen, 
anderseits ihre wahnhaften Selbstvorwürfe, hinter denen sich der Wunsch verbirgt, 
ein Verbrecher grossen Stils zu sein. Auch auf das masochistische Geniessen des 
Depressionszustandes wird hingewiesen, der so einen versteckten Lustgewinn liefert. 

Manisches und depressives Stadium stehen unter der Herrschaft der gleichen 
Komplexe. Die Manie bricht aus, wenn die Verdrängung nicht mehr Stand hält 
und ihre Lustgefühle stammen aus der frei werdenden Hemmungsersparnis. Die 
Ideenflucht ermöglicht das Hineingelangen in einen anderen lustvollen Vorstel¬ 
lungskreis. 

V. Dr. S. Ferenczi (Budapest): Einige Gesichtspunkte zur Frage 
der Homosexualität. 

Nachdem der Redner kurz zusammengefasst hat, was die Psychoanalyse bis¬ 
her über die Genese der Homosexualität ergeben hat, kommt er zu dem Schluss, 
dass weder der Gesichtspunkt der allgemeinen Bisexualität, noch das frühe hetero¬ 
sexuelle Stadium später homosexuell Gewordener, noch endlich die narzissistische 
Einstellung darüber Aufschluss gebe, wie ein Individuum dazu komme, manifest 
homosexuell zu bleiben. Man müsse von der echten Inversion, die zweifellos durch 
konstitutionelle Momente bedingt sei, eine Objekthomosexualität unterscheiden. Im 
Gegensatz zum echt Invertierten, der einen umgekehrten Ödipuskomplex entwickelt, 
hat der Objekthomosexuelle einen zu starken normalen Ödipuskomplex, vor dem er 
flüchtet. Diese Homosexuellen suchen nicht die Liebe des Mannes, sondern flüchten 
vor der Liebe zur Frau; sie sind nicht Invertierte (Perverse), sondern Zwangsneu¬ 
rotiker. Die Normalen sind den umgekehrten Weg gegangen; sie haben auf die 
Homosexualität ganz verzichtet und sind zu Zwangsheterosexuellen geworden. 

VI. Dr. H. Körb er (Berlin): Über Sexualablehnung. 

An der Hand eines Falles eines 24jährigen Mädchens, das an Anorexie und 
Dyspepsie litt und seit 2 Jahren verlobt, stets vor der Heirat zurückschreckt, wird 
gezeigt, dass die kulturellen Hemmungen und Erlebnisse durchaus nicht hinreichen, 
um die Ablehnung genetisch zu deuten. Vielmehr ist es die allzustarke Veranke¬ 
rung im Familienkomplex, welche den später zu bewusster Betätigung drängenden 
Sexualtrieb jedesmal an der Schwelle schon abweist. Dabei kann das Überwiegon 
eines Partialtriebes oder der Autoerotismus unterstützend hinzutreten. Die Auf¬ 
hebung der Sexualablehnung auf psychoanalytischem Wege angelt in der Möglich¬ 
keit, die Pat. aus dem Familienkomplex zu lösen und in diesem Sinne sind die Ver¬ 
wandtenehen vielleicht als Selbsterlösung von der Sexualablehnung anzusehen. ‘Die 
Sexualablehnung, die sich psychologisch durch ein Steckenbleiben im Familienkom¬ 
plex erklärt, schrumpft als Sexual Verdrängung zu einem Teilproblem der Verdrängung 
überhaupt zusammen. Von hier aus erklärt sich auch ihre Weiterwirkung ins Bio¬ 
logische hinein. 

VII. Dr. Hanns Sachs (Wien): Die Wechselwirkungen zwischen 
Psychoanalyse und den G e iste s wissen schäften. 

Die Psychoanalyse tat den ersten Schritt auf dem Gebiete der Geisteswissen¬ 
schaften, als ihre Technik auf die biographischen Mitteilungen und die Werke be¬ 
rühmter Dichter angewendet wurde. Eine engere Beziehung entstand, als sich in 


Aus Vereinen und Versammlungen. 


103 


Sitte und Sprache, Brauch und Religion die Bestätigung der durch die Analyse beim 
Träumer und Neurotiker gefundenen Resultate nachweisen liess. Durch systematische 
Berücksichtigung des Unbewussten, das bei allen diesen Erscheinungen schöpferisch 
tätig war, und durch die Kenntnis seiner Ausdruckstechnik müssen sich auf zahl¬ 
reichen Gebieten, wie Etymologie, Religionswissenschaft, Kunst- und Literatur¬ 
geschichte, Ästhetik, Folklore, Kultur- und Sittengeschichte, Philosophie, wertvolle 
Erkenntnisse zu tage fördern lassen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden 
einige Probleme aufgezählt, deren Behandlung besonders wünschenswert und Erfolg 
versprechend erscheint. 

Zum Schluss ergeht die Mitteilung, dass zur gründlichen und einheitlichen 
Bearbeitung dieser hochwichtigen Wissensgebiete die Gründung einer Zeitschrift ge¬ 
plant ist, deren ausschliessliche Aufgabe die Pflege der Anwendung der Psycho¬ 
analyse auf die Geisteswissenschaften sein soll. Als Redakteure sollen Herr Otto 
Rank und der Vortragende fungieren, das Amt des Herausgebers zu übernehmen 
hat sich Herr Professor Freud bereit erklärt. (Autor-Referat.) 

VIII. Prof. Dr. S. Freud (Wien): Nachtrag zur Analyse Schrebers 
(Jahrbuch III/l). 

Ein in der Publikation unaufgeklärt gebliebenes Detail der Wahnbildung, das 
Sehrebers Verhältnis zur Sonne betrifft, wird auf den Vaterkomplex zurückgeführt 
und als mythologisch bedeutsam erwiesen. Es handelt sich um Schrebers Be¬ 
hauptung, dass er ungeblendet in die Sonne blicken könne, ein Vorzug, den die 
Alten nur einem einzigen Tiere, dem Adler, einräumten, der seine Jungen auf die 
Weise einer Probe ihrer echten Abstammung von der Sonne unterzogen haben soll, 
dass sie ohne zu blinzeln in die Sonne sehen mussten. Das menschliche Vorbild 
dieses Brauches findet sich bei den Kelten, welche die Echtheit der Abstammung 
vom Rhein erprobten, indem sie ihre Kinder dem Fluss iiberliessen; und afrikanische 
Stämme, welche sich der Abkunft von Schlangen rühmen, setzen ihre Kinder dem 
Biss dieser Tiere aus, um so ihre Echtbürtigkeit zu prüfen. Diese Ordalien ruhen 
auf einem Gedankengang, der dem Totemismus angehört, und den man so aus- 
drücken kann, dass der Totem (der Ahnherr) seinem Abkömmlung nichts tut. Wenn 
also der Adler ein Kind der Sonne ist, so muss sich das darin zeigen, dass die Sonne 
ihm nichts tut. Schreber hat also einfach mit seiner Behauptung, ungeblendet in 
die Sonne blicken zu können, den mythologischen Ausdruck für sein Kinderverhält¬ 
nis zur Sonne wieder gefunden und bestätigt uns so, dass die Sonne nur ein Sym¬ 
bol des Vaters ist. 

Es erweist hier Jung’s Satz seine volle Berechtigung, dass die mythen¬ 
bildende Kraft der Menschheit nicht erloschen ist und sich unter den Bedingungen 
der Neurose wieder geltend macht. Aber auch die religionsbildenden Kräfte der 
Menschheit sind nicht erloschen und kommen bei den Neurotikern, insbesondere bei 
den Zwangskranken, immer wieder zum Vorschein (vgl. Zwangshandlungen und 
Religionsübung, Kleine Schriften II.). Hier wäre eiue Anknüpfung an das uralte 
System des Totemismus gegeben. Wir finden also in Traum und Neurose nicht 
nur das Kind mit seinen Impulsen weiterlebend, sondern auch — nach dem biogeneti¬ 
schen Grundgesetz — den wilden und den primitiven Menschen. 

IX. Dozent Dr. C. G. Jung (Zürich): Beiträge zur Symbolik. 

Ausgehend von dem Gegensatz, in welchem die hysterischen Phantasien zu 

denen der Dementia praecox stehen, wird darauf hingewiesen, dass zum Verständnis 
der letzteren historische Parallelen herangezogen werden müssen, da bei der Dementia 
praecox der Kranke an Reminiszenzen der Menschheit leide. Seine Sprache benütze 


104 


Aus Vereinen und Versammlungen. 


im Gegensatz zur Hysterie alte und allgemeingültige Bilder, die uns merkwürdiger¬ 
weise zunächst doch unverständlich seien. 

An dem Fall einer 34jährigen Neurotica wird nun gezeigt, wie eine rezente 
Phantasie durch historisches Material belegt und verständlich gemacht werden kann. 
Die Phantasie der Pat., die das Aufhängen eines ihr unerreichbaren geliebten Mannes 
an den Geschlechtsteilen zum Inhalt hatte, und die sich auch bei einem 9jährigen 
Knaben als symbolischer Ausdruck seiner unbefriedigten Libido (Hangen und Bangen 
in schwebender Pein) fand, ergibt mit entsprechenden ethnologischen Überlieferungen 
und mythologischen Parallelen von dem durch Hängen oder Schinden geopferten 
Frühlingsgott zusammengehalten den Sinn einer Opferung der Sexualität, an der 
man hängt, von der man nicht loskommen kann und die in den alten Kulten als 
Phallusopfer der grossen Mutter dargebracht wurde. 

X. Otto Rank (Wien): Über das Motiv der Nacktheit in Dichtung 
und Sage. 

Es werden einige in Dichtung und Sage typisch wiederkehrende Verdrängungs¬ 
formen des Nacktheitsmotives aufgezeigt, die entsprechend der ihnen zugrunde 
liegenden Perversionsneigung der Exhibition in zwei Gruppen zeifallen. 1. Als Ver¬ 
drängungsform der Schaulust erscheint subjektiv das Motiv der Blendung 
(Godiva), objektiv das Motiv der Unsichtbarkeit (Melusine) als Strafe für den 
verpönten Anblick der Nacktheit. Auf den Schaulustigen übertragen wird das Motiv 
der Unsichtbarkeit anderseits zur Wunscbphantasie, welche wieder der Befriedigung 
der Schaulust dient (Gyges). 2. Als Verdrängungsform der eigentlichen Exbibilions¬ 
neigung, der Zeigelust, erscheint das Motiv der Hemmung (Nacktheitsträume), 
objektiviert als Fesselung, welche die schamhafte Flucht vereitelt und endlich das 
Motiv der körperlichen Entstellung, welche den ursprünglich lustvollen Anblick 
des entblössten Körpers abscheuerregend macht. 

XI. Dr. Poul Bjerre (Stockholm): Zur Ra d i k a 1 b e h an d 1 u n g der 
chronischen Paranoia. 

Eine unverheiratete Frau von 53 Jahren suchte mich Mitte Dezember 1909 
wegen einer Struma auf. Es kam an den Tag, dass sie seit zehn Jahren einer 
Veischwörung ausgesetzt war, die von einem Frauenbund in Stockholm geleitet 
wurde, und die über ganz Europa verbreitet war. Dieses unerschütterlich fest orga¬ 
nisierte Wahnsystem wurde aufgelöst. Eine vollständige Heilung mit Krankheits¬ 
einsicht trat im Frühjahr 1910 durch die Blosslegung einiger Identifizierungsprozesse 
ein und besteht noch ohne jede Spur von Rückfall. — Die theoretische Diskussion 
setzt die Bedeutung einer Reihe von Mechanismen auseinander. Die Krankheit trat 
durch den Untergang einer 20jährigen Sublimation ein und der Wahn wurde einige 
Jahre später als eine Art Heilungsversuch aufgebaut. (Autoref.) 

XII. Dr. J. N e 1 k en (Zürich): Über Phantasien bei Dementia praecox. 

Redner berichtet über seine Untersuchungen der Phantasien eines Dementia 

praecox-Kranken und hebt als zentrale Phantasie den Inzestgedanken hervor, ob¬ 
wohl die Geschichte des Pat. die ganze Mythologie enthält. Er kommt zu dem 
Ergebnis, dass die Schizophrenen an Inzestphantasien in wenig verhüllter Form 
leiden und weist darauf hin, wie in diesen Fällen die individuellen Inzestphantasien 
in den Inzestphantasien der ganzen Menschheit zerfliessen. Pat. projiziert den Kern¬ 
komplex auf das ganze Universum und gebraucht dazu die uralte symbolische Bilder¬ 
sprache. Seine Geschichte spiegelt den circulus vitiosus des Libidoproblems wieder. 


Varia. 


105 


Dr. C. G. Jung: Bericht über das Vereinsjahr. 

Geschäftliche Beratungen. 

1. Es wird beschlossen, das bisher jeden zweiten Monat erschienene „Korre¬ 
spondenzblatt der Internationalen psychoanalytischen Vereinigung* aufgeben zu 
lassen in dem „Zentralblatt für Psychoanalyse“, das nunmehr den Mitgliedern der 
„Internationalen psychoanalytischen Vereinigung“ als offizielles Vereinsorgan zugeht. 

2. Die panamerikanische „General-Association“, deren Mitglieder über ganz 
Amerika verstreut sind und nur einmal jährlich Zusammenkommen, wird neben der 
bereits bestehenden Ortsgruppe New-York als selbständige „Ortsgruppe“ der „Inter¬ 
nationalen Psa. V.“ angegliedert. 

3. Der bisherige Präsident der „Internationalen Psa. V.“, Dr. C. G. Jung in 
Zürich und der Zentralsekretär Dr. Franz Riklin (Zürich) werden per Akklamation 
wieder gewählt. 


Varia. 

Die Bedeutung der Vokalfolge. Es ist sicherlich oft beanstandet worden, 
dass, wie S t e k e 1 behauptet, in Träumen und Einfällen Namen, die sich 
verbergen, durch andere ersetzt werden sollen, welche nur die Vokalfolge 
mit ihnen gemein haben. Doch liefert die Religionsgeschichte dazu eine frappante 
Analogie. Bei den alten Hebräern war der Name Gottes „tabu“; er sollte weder 
ausgesprochen, noch niedergeschrieben werden; ein keineswegs vereinzeltes Beispiel 
von der besonderen Bedeutung der Namen in archaischen Kulturen. Dies Verbot 
wurde so gut eingehalten, dass die Vokalisation der vier Buchstaben des Gottes¬ 
namens HV"P auch heute unbekannt ist. Der Name wird Je ho v ah ausgesprochen, 
indem man ihm die Vokalzeichen des nicht verbotenen Wortes Adonai (Herr) 
verleiht. (S. R e i n a c h, Cultes, Mythes et Religions. T. I, p. 1, 1908.) 

Freud. 

Goethe über einen Fall von Konversion. „Und leider, versetzte der Arzt, 
der in Wilhelms Ausrufung nur eine menschenfreundliche Teilnahme zu hören 
glaubte, ist diese Dame mit einem noch tieferen Kummer behaftet, der ihr eine 
Entfernung von der Welt nicht widerlich macht. Eben dieser junge Mensch nimmt 
Abschied von ihr; sie ist nicht vorsichtig genug, eine aufkeimende Neigung zu 
verbergen; er wird kühn, schliesst sie in seine Arme und drückt ihr das grosse mit 
Brillanten besetzte Porträt ihres Gemahls gewaltsam wider die Brust. Sie empfindet 
einen heftigen Schmerz, der nach und nach vergeht, erst eine kleine Röte und 
dann keine Spur zurücklässt. Ich bin als Mensch überzeugt, dass sie sich nichts 
weiter vorzuwerfen hat; ich bin als Arzt gewiss, dass dieser Druck keine üblen 
Folgen haben werde, aber sie lässt sich nicht ausreden; es sei eine Verhärtung 
da, und wenn man ihr durch das Gefühl den Wahn benehmen will, so behauptet 
sie, nur in diesem Augenblick sei nichts zu fühlen; sie hat sich fest eingebildet, 
es werde dieses Übel mit einem Krebsschaden sich endigen, und so ist ihre Jugend, 
ihre Liebenswürdigkeit für sie und andere völlig verloren.“ 

(Aus: Wilhelm Meisters Lehrjahre.) S t e k e 1. 

Ein anderes treffendes Wort Goethes. „Es ist eine schauderhafte Emp¬ 
findung, wenn ein edler Mensch mit Bewusstsein auf dem Punkte steht, wo er über 



106 


Varia. 


sich selbst aufgeklärt werden soll. Alle Übergänge sind Krisen, und ist eine Krise 
nicht Krankheit? Wie ungern tritt man nach einer Krankheit vor dem Spiegell“ 

(Aus: Wilhelm Meisters Lehrjahre.) 

Goethe äussert sich über die Macht infantiler Eindrücke: „Gesetzt, das 
Schicksal hätte einen zu einem grossen Maler bestimmt, und dem Zufall beliebte 
es, seine Jugend in schmutzige Hütten, Ställe und Scheunen zu verstossen — 
glauben Sie, dass ein solcher Mann sich jemals zur Reinlichkeit, zum Adel, zur 
Freiheit der Seele erheben werde? Mit je lebhafterem Sinn er das Unreine in 
seiner Jugend angefasst und nach seiner Art veredelt hat, desto gewaltsamer 
wird es sich in der Folge seines Lebens an ihm rächen, indem es sich, inzwischen 
dass er es zu überwinden suchte, mit ihm aufs innigste verbunden hat. Wer 
früh in schlechter, unbedeutender Gesellschaft gelebt hat, wird sich, wenn er 
auch später eine bessere haben kann, immer nach jener zurücksehnen, deren 
Eindruck ihm, zugleich mit der Erinnerung jugendlicher, nur selten zu wieder¬ 
holender Freuden geblieben ist.“ 

(Aus: Wilhelm Meisters Lehrjahre.) S t e k e 1. 

Religion und Medizin. Dr. Lilienstern 1 ) erzählt von einer Reise 
um die Erde: „In Skutari bei Konstantinopel sah ich, wie islamitische Priester 
für das Wohl ihrer Anhänger ärztlich tätig sind. Eine mohammedanische Sekte, 
die der tanzenden Derwische, verbindet mit ihren Gebetübungen mämlich auch 
die Behandlung von Kranken und speziell von kranken Kindern. Ich wohnte einem 
Gottesdienst dieser Derwische bei. Die Übung bestand darin, dass deren 12—14 
in einem Halbkreis um einen Scheikh herumstanden und, von einem Fuss auf den 
andern tretend, sich nach rechts und links neigend, in immer rascherem Tempo 
ihren einförmigen Gebetskanon (Lau elau-ha, Lau elau-ha, Lalla il Allah) im Chor 
skandierten. Sie erregten sich, je länger je mehr, durch ihre Bewegungen und 
erschienen zuletzt kongestioniert in Schweiss gebadet und erschöpft. Auf den 
psychiatrischen Beobachter machten die Männer den Eindruck von manisch, 
katatonisch oder hysterisch Erregten. Nach der Übung, die ungefähr l l / 2 Stunde 
dauerte und bei der sich die Erregung zuletzt ausserordentlich gesteigert jhatte, 
wurden kranke Kinder hereingebracht, auf die der Scheikh sich mit einem, ge¬ 
legentlich auch mit beiden Füssen stellte, um sie auf diese Weise von ihren 
Übeln zu befreien! 

Auf der Rückfahrt nach Konstantinopel sprach ich mit zwei Fransiskaner- 
mönchen, die diese Krankheitsbehandlung der Mohammedaner als mittelalterlichen 
Aberglauben bezeichneten. Ich -wies den Mönchen gegenüber darauf hin, dass 
doch in allen Religionen für Kranke gebetet werde und dass durch solche Gebete 
besonders bei erregten oder nervösen Kranken sicher auch eine gewisse Beruhigung 
erzielt werden könne. Die Heilungen von Lourdes seien mir unter diesem Gesichts¬ 
punkte immer bis zu einem gewissen Grade verständlich gewesen. Gegen diese 
meine Auffassung wandten die Mönche lebhaft protestierend ein, dass in Lourdes 
hauptsächlich Heilungen von Tuberkulose und nicht von nervösen Zuständen 
beobachtet -werden und empfahlen mir zur besseren Orientierung die periodischen 
Veröffentlichungen aus Lourdes. 


x ) Neurologisches und Psychiatrisches von einer Reise um die Erde. Münch. 

med. Wochenschr. 1910. Nr. 37. 



Varia. 


107 


Eine andere Art der Heilung durch religiöse Suggestion, die ich auf meiner 
Reise kennen lernte, gehört dem buddhistischen Kult an. Im Asakusa-Kwannon- 
Tempel zu Ueno-Tokio sah ich die Holzstatue des Heilgottes Binzuru. Es soll 
früher ein Kunstwerk der Holzskulptur gewesen sein: jetzt sind an dem armen 
Gotte kaum mehr der Rumpf und die Extremitäten zu unterscheiden. Die 
Kranken reiben nämlich diejenige Stelle des Bildwerkes, 
an der sie selbst zu leiden glauben. Es muss eine starke Heilkraft 
in diesem Stück Holz stecken, sonst wäre der bedauernswerte Gott nicht so ab¬ 
gerieben, „mehr noch als ein lebendiger, vielbegehrter Arzt bei uns“, bemerkt bei 
der Beschreibung dieses Götzen Hirschberg. 

Im aufgeklärten Amerika tritt an die Stelle Binzurus die vielleicht 
etwas fortgeschrittenere Form der Christian science. Schon vor acht 
Jahren, als ich zum ersten Male das Land bereiste, war viel von ihr die Rede. 
Inzwischen ist sie ja unter dem Namen des Gesundbetens in Deutschland in 
Aufnahme gekommen. Bei meinem letzten Aufenthalt hörte ich nun, dass pich 
jetzt Ärzte, darunter ein bekannter Internist aus Boston, mit einer Abart der 
Christian science, dem „E manuel-movement“ liiert haben. Die Ärzte 
überweisen ihre Kranken den Geistlichen zur „psychischen“ 
Behandlung, während umgekehrt von den Geistlichen die 
Kranken gelegentlich zu den Ärzten geschickt werden, aber 
natürlich nur dann, wenn ihrer „Diagnose“ nach eine körperliche Behandlung nötig 
ist. Es ist bekannt, dass die amerikanischen Geistlichen, durch Attraktionen aller 
Art, gegenseitig konkurrierend, ihre Kirchen füllen wollen. Wenn sie zu diesem 
Zwecke auch die Krankenbehandlung in ihr Arbeitsgebiet aufnehmen, so ist das 
für sie eben nur eines von den vielen Mitteln, die der Zwpck heiligt. Was die 
Ärzte dagegen, die mit ihnen gemeinsame Sache machen, zu ihrer Rechtfertigung 
anführen, weiss ich nicht.“ 

Dr. Lilien stein weiss offenbar nicht, dass die gemeinsame Arbeit von 
Priester und Arzt manchmal sehr schöne Resultate bringen kann, wie das Beispiel 
Pfisters beweist. Es kommt eben auf den Priester und den Arzt an. 

Dr. W. St. 

Wir ersuchen alle unsere Leser, die Rubrik Varia dadurch zu bereichern, 
dass sie uns interessante Stellen aus Dichtern, Philosophen und Zeitungen einsenden. 


Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die Manuskripte nur auf einer Seite 
zu beschreiben und Änderungen der Adresse der Redaktion rechtzeitig mitzuteilen. 


Die Korrekturen werden immer direkt an den Verleger und nicht an den 
Schriftleiter gesendet. 





108 


Literatur. 


Literatur. 

(Abkürzungen: R?== Referat gesucht; ß = das Buch ist bei der Redaktion einge¬ 
laufen.) 

Schröder: „Das Fortlaufen der Kinder.“ (Monatsschrift bei Kriminalpsychologie. 
1911. 5. Heft.) 

Dupre et Logre: „Hysterie et mythomanie.“ (Annales medico - psychologiques. 
1911. Nr. 2.) 

L. Jakobsohn: „Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte der Neurologie 
und Psychiatrie im Jahre 1910. (S. Karger-Berlin.) 

J. Berse: „Bewusstseinstonus“. (Wiener med. Wochenschr. 1911. Nr. 40.) 

Dr. Julius Bauer: „Zur Kenntnis der neuropathischen Disposition des Rücken¬ 
markes.“ (Ibidem.) 

Prof. Binswanger (Jena): „Pathogenese und Therapie der Epilepsie 
und Hysterie. (Zeitschrift für ärztl. Fortbildung. 1911. Nr. 18.) 

Boerner: Beitrag zur Sexualbiologie der Tiere. (Berliner tierärztliche 
Wochenschrift. 1910. S. 939.) (Referat gesucht.) 

E. Dupre et M. Nathan: Le langage musical. (Paris, librairee Felix Alcan. 
1911.) 

Robert Hessen: „Zur Hygiene des Schülerselbstmordes“. (Die neue Rundschau. 
September 1911.) 

Seur Jean ne des Anges: „Memoiren einer Besessenen.“ Mit einem Vorwort 
von Hanns Heinz Evers. Verlag Robert Lutz. 1911. 

Ernst Mach: „Psychisches und organisches Leben.“ (Österr. Rundschau. 1. Ok¬ 
tober 1911.) 

Rehwaldt: „Über respiratorische Affektsymptome. (Pyscholog. Studien. 1911. 
Band VII. Heft 3.) (R?) 

De Soiner: „Etudes psychologiques des quelques delires.“ Bulletin de la Societe 
de Medicine mentale de Belgique. 1911. Juin). (R?) 

Aclier: „Recent freudian Literature.“ (Amer. Journal of Psychol. 1911. 
22. VII.) 

Feit er mann: „Contribution ä la connaissance de 1’Ätilogie des 
Phobies et sur la Psychotherapie.“ (Journ. de Neuropathologie et de 
Psych. ment, du nom. de S. S. Korsakoff. livre 5—6. 1910.) 

Grete Meisel-Hess: „Di e In te 11 ekt u eilen.“ (Roman. Berlin. 1911. Oster- 
held & Comp. 1911.) 

Otto Rank: Die Loheng rinsage. Ein Beitrag zu ihrer Motivgestal¬ 
tung und Deutung. (Schriften zur angewandten Seelenkunde. 13. Heft. 
Leipzig und Wien. 1911. Franz Deuticke.) 

Max Flesch: Über die Sexualität im Kindesalter. (Sexualprobleme. Okt. 1911.) 
Fehlinger: Die Entstehung der Exogaraie. (Ibidem.) 

Lippa Bay: Der Eunuch. (Ibidem.) 

Barriere: Die Kunst zu verführen. Studien über den modernen Donjuanismus. 
Leipzig. G. Thieme. 1911.) (R?) 

Busch an: Vom Jüngling zum Mann. (Stuttgart. 1911. Strecker und Schröder.) 
Siebert: Der Student und die sexuelle Frage. (München. Verlag Lehmann. 1911.) 
Storfer: Zur Sonderstellun g des Vatermordes. Eine rechtsgeschicht¬ 
liche und völkerpsychologische Studie. (Schriften zur angewandten 
Seelenkunde. Heft XII. Franz Deuticke. Wien und Leipzig.) 



Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden. 


Soeben erschien: 

Spezielle Diagnostik 
und Therapie 

in kurzer Darstellung mit Berücksichtigung aller 
Zweige der praktischen Medizin. 


« Bearbeitet von 

Prof. Dr. J. A meth-Münster i. W., IDr. H.JBeutte nmüller-Bad Liebenstein, 
Prof. Dr. E. B1 o c h-Freiburg i. B., Prof. Dr. F. Fromme-Berlin, Stabsarzt 
Dr. W. Guttm ann-Mülheim-Kuhr, Oberstabsarzt Dr. H. H;ase n[knopf-Strass¬ 
burg, Sanitätsrat Dr. Max Joseph-Berlin, Primärarzt Dr. H. Kajxosi-Breslau, 
Oberstabsarzt Prof. Dr. F. Kayser-Köln, Geh. Sanitätsrat Prof. Dr. E. Leser- 
Frankfurt a. M., Prof. Dr. J. Kaeck e-Frankfurt a. M., Prof. Dr. F. Schi eck, 
Göttingen, Prof. Dr. S. Schoenborn -Heidelberg, Dr. Max Senator -Berlin, 
Prof. Dr. L. W. Web er-Göttingen. 


Herausgegeben von 

Stabsarzt Dr. Walter Güttin ann 

in Mülheim-Ruhr. 

- Preis geh. Mk. 10.65. ■ 


Das vorliegende Buch ermöglicht auf allen Gebieten der praktischen 
Medizin eine schnelle Orientierung über diagnostische und therapeutische Fragen 
und ersetzt so die einzelne Zweige der Medizin behandelnden Kompendien. Die 
grosse Ausdehnung des behandelten Stoffes machte prägnante Kürze in der Dar¬ 
stellung erforderlich. Dieses Postulat ist von den Autoren und dem Herausgeber 
in durchaus befriedigender Weise erfüllt worden. Dem Praktiker ist die An¬ 
schaffung des Buches sehr zu empfehlen. Er wird besonders aus den thera¬ 
peutischen Massnahmen wertvolle Angaben für seine Tätigkeit finden, da nur 
solche Heilverfahren erwähnt sind, die auf Grund eigener Erfahrungen der Ver¬ 
fasser als empfehlenswert erscheinen. Im Rezeptanhang sind bewährte Rezepte, 
nach ihren Wirkungen geordnet, zusammengestellt, die bei verschiedenen Krank¬ 
heiten zur Anwendung kommen. 









Inhalts-Verzeichnis des II. Heftes. 


Seite 

Originalarbeiten: 

I. Die Lehren der Freud-Schule. Von Havelock Ellis .... 61 

II. Zur Frage der Genese des Eifersuchtswahnes. Von Dr. Hans 

Oppenheim . 67 

III. Mantik und Psychanalyse. VonHerbertSilberer .78 

Mitteilungen: 

I. Analyse eines Falles von Namen vergessen. Von Prof. Er ne st 

Jones ... . . . • . 84 

II. Ein Traum, der das Gegenteil einer Wunscherfüllung zu verwirk¬ 
lichen schien, zugleich ein Beispiel eines Traumes, der von einem 
anderen Traum gedeutet wird. Von AugustStärcke . . . . 86 

III. Der Traum eines Coitus interruptus. Von Dr. AlfredMeisl . . 88 

IV. Aus dem Tagebuch eines Neurotikers. Von Dr. W. St ekel . . , 89 

Referate und Kritiken: 

Dr. Oskar Pfister: Psycho-Analysis and child-study.90 

Prof. Felix Asnaurow: „Algolagnie und Verbrechen“ ...... 90 

-„Die sexuelle Seuche in Russland“ ... 91 

Georg Büttner: „Das Wesen der Seele“ ............. 91 

Bin et: Le Diagnostique Judiciaire par la Methode des Associations . . 92 

Dr. Hermann Aub: Die Hysterie des Mannes ......... 93 

Dr. Havelock Ellis: Geschlecht und Gesellschaft ........ 94 

Dr. Max Marcuse: Die Gefahren der sexuellen Abstinenz für die Ge¬ 
sundheit .■ ..94 

Dr. Cb. v. Hartungen: Kritische Tage und Träume.95 

S. Rahm er: Nicolaus Lenau als Mensch und Dichter.96 

D. N. A. Wyrubow: Die psychotherapeutischen Aufgaben eines Sana¬ 
toriums für Nervenkranke. 98 

Aus Vereinen und Versammlungen. 

Bericht über den III. Psychoanalytischen Kongress in Weimar am 21. u. 

22. September 1911.100 

Varia.. 105 

Literatur.108 


Druck der Königl, ünivereitätsdruckerei H. Stürtz A. G. Würzburg.