Zentralblatt
für
Psychoanalyse.
Medizinische Monatsschrift für Seelenkunde.
Organ der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung.
Herausgeber: Prof. Dr. Sigm. Freud.
Schriftleiter: Dr. Wilhelm Stekel, Wien, Gonzagagasse 21.
Unter Mitwirkung uon:
Dr. Karl Abraham, Berlin; Dr. R. 0. Assagioli, Florenz; Dr. Ludwig Binswanger,
Kreuzlingen; Dr. Poul Bjerre, Stockholm; Dr. A. A. Brill, New-Vork; ;Dr. M.
Eitingon, Berlin; Dr. D. Epstein, Kiew; Dr. S. Ferenczi, Budapest; Dr. Max Graf,
Wien; Dr. Magnus Hirschfeld, Berlin; Dr. E. Hitschmann, Wien; Professor E. ]ones,
Toronto; Dr. Otto Juliusburger, Steglitz; Dozent C. G. Jung, Zürich; Dr. F. S.
Krauss, Wien; Professor August u. Luzenberger, Neapel; Dr. Alfons Mäder,
Zürich; Dr. J. Marcinowski, Haus Sielbeck a. Uklei, Prof. Güstau Modena, Ancona;
Prof. Morichau-Beauchant, Poitiers; Dr. Richard Nepalleck, Wien; Dozent N. Ossi-
pow, Moskau; Dr. Oskar Pfister, Zürich; Prof, Dr. James Putnam, Boston; Otto
Rank, Wien; Dr. R. Reitler, Wien; Dr- Franz Riklin, Zürich; Dr. J. Sadger,
Wien; Dr. L. Seif, München; Dr. A. Stegmann, Dresden; Dr. M. Wulff, Odessa;
Dr. Erich Wulffen Dresden.
II. Jahrgang Heft 12.
September.
Wiesbaden.
Verlag uon J. F. Bergmann.
1912.
Jährlich erscheinen 12 hefte im Gesamt-Umfang uon mindestens
40 Druckbogen zum Jahrespreise uon 18 Mark.
Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden.
Die
Sprache des Traumes.
Eine Darstellung
der Symbolik und Deutung des Traumes in ihren
Beziehungen zur kranken und gesunden Seele
für
Ärzte und Psychologen
von
Dr. Wilhelm Stekel,
Spezialarzt für Psychotherapie und Nervenleiden in Wien.
Treis Mk. 12.60, gebunden Mk. 14 .—.
Wenn der Volksglaube von altersher meint, dass Traume etwas Zukün-
tiges bedeuten, so beweist die neuere, besonders durch den Wiener Professor
S. Freud zu grossen Fortschritten gebrachte moderne Traum forsch ung, dass
sie Gegenwärtiges bedeuten; nämlich Gedanken, Wünsche und Triebe, die in
den Tiefen unseres Seelenlebens gegenwärtig sind. Dr. Stekel findet dafür
die Formel: „Der Traum ist eigentlich ein Spiel von Darstellungen im Dienste
der Affekte.“ Namentlich solche seelische Regungen sind das Bewegende dos
Traumes, welche wir uns selbst nicht eingestehen wollen und im Wachleben
unterdrücken; z. B. verbrecherische oder solche sexuelle Tendenzen, die wir
nicht gutheissen. Alle diese Affekte leben sich im Traum sozusagen aus, aber
nicht in ihrer wahren Form, sondern symbolisch maskiert, sodass sie nicht
leicht erkannt werden. ... Im Traum ist jeder Mensch ein Weltschöpfer. Und
wenn er eine schlechte Welt erschafft, so hat er die Verantwortung der schlim¬
men Weltordnung zu tragen, die sein Werk ist. Kommen im Traum schlechte
Geschöpfe vor, Bösewichler, Egoisten, rachsüchtige, schadenfrohe, hinterlistige,
raubgierige Menschen und Tiere, so hat der Träumer die Schlechtigkeit, die er
erfährt oder mit ansieht, im Grunde sich selbst zuzuschreiben. Es ist daher
nicht ganz richtig, zu behaupten, dass man für seine Träume nicht verantwort¬
lich sei. Diese und andere Erkenntnisse gehen jedem denkenden Leser des
überaus fasslichen und fesselnden StekeIschen Werkes auf, das einen grossen
Leserkreis verdient. Das 540 Seiten starke Buch enthält nahezu an 600 analy¬
sierte Beispiele. Allgemeine Sport-Zeitung.
Aeskulap als Harlekin.
Humor, Satire und Phantasie aus der Praxis.
Von
med. Dr. Serenus.
Preis Mk. 2.80.
Das Problem des Schlafes.
Biologisch und psychologisch betrachtet.
Von Dr. Ernst Trömner in Hamburg.
Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. Herausgegeben von Hofrat
Dr. L. Loewenfeld. München. Heit 84.
Treis Mk. 2.80.
Originalarbeiten
i.
Drei Romane in Zahlen.
Ein Beitrag zur symbolischen Verwendung von Zahlen im Leben und
im Traume.
Von Dr. J. Marcinowski, Haus Sielbeck a. Uklei.
Wohl keine der vielen symbolischen Verkleidungen, mit denen das
Unbewusste sein phantastisches Spiel treibt, stösst dem nüchternen Verstand
so vor den Kopf, wie die Symbolik der Zahlen. Keine macht so sehr den
Eindruck des völlig Willkürlichen, obwohl sie für den Träumer genau die¬
selbe Bedeutung und Überzeugungskraft besitzt wie andere Symbole, die als
Allgemeingut der Menschheit der Einsicht leichter zugänglich sind.
Die Beispiele, die ich hier beschreiben will, sind in ungewöhnlichem
Masse geeignet, die Berechtigung zu erweisen, Zahlen in einem tieferen Sinne
zu deuten. Es gewährt einen klaren Einblick in eine weitverbreitete Spielerei
und beweist, dass wir es mit Tatsachen und nicht mit willkürlichen Unter¬
stellungen zu tun haben, wenn wir bei der Traumdeutungsarbeit auf Grund
der Einfälle des Träumers allerhand rechnerische Kunststücke vorzunehmen
haben. Die vorliegenden Beispiele sind überdies — mit Ausnahme meiner genau
notierten Fragen — in all ihren Teilen ohne Einfluss des Arztes vom Kranken
selbst gedeutet worden. Fall I ist überdies die stenographische Niederschrift
während der Hypnose der Kranken, die gewohnt ist, kurz vor dem Wecken
die Träume der Nacht und damit ihre Angstzustände abzureagieren. Sie
hatte keinerlei Kenntnis davon, dass es sogenannte Zahlenträume gibt. Um
so beweisender sind die Aufzeichnungen, die ich wörtlich und in absoluter
Originaltreue, d. h. völlig ungeordnet und ungruppiert wiedergebe, in genau
der Reihenfolge, wie die Einfälle hintereinander kamen. Später, nach dem
Erwachen erzählte sie mir, dass sie als Kinder in diesen Zahlenphantasien
geschwelgt hätten. Diese Scherze sind auf eine Stufe zu stellen mit den
sogenannten Geheimsprachen der Schulkinder, der B-Sprache, der Erbsen-
Sprache und ähnlicher, über ganz Deutschland verbreiteter Schülergepflogen¬
heiten. Sie hätten, so berichtet sie, für jeden Buchstaben des Alphabetes
die entsprechende Zahl auswendig gewusst (das weiss sie übrigens auch jetzt
noch) und dann in Ziffern gesprochen oder richtiger schnell buchstabiert.
Wo wir Kinderspiele haben, die sich als Allgemeinbesitz des ganzen
Volkes finden und sich fast triebartig durchsetzen, da handelt es sich um
Zentralblatt für Psychoanalyse. II n . 44
620
Dr. Marcinowski,
ernste, tiefsinnige Gepflogenheiten früherer Jahrtausende, die im Laufe fort¬
schreitender Kultur zu Kinderspielen herabgesunken sind. Am deutlichsten
sehen wir das an Waffen und Geräten. Alter Männerbrauch erhält sich so
in kindischem Tun. Der Knabe macht heute mit Flitzbogen und Pfeilen
die Strasse unsicher, und auf dem Weihnachtsmarkt wird das alte heilige
Sch wirrholz als Waldteufel ausgeboten, Stück für Stück ’nen Sechser. Die
Julnacht gehört aber dazu; nie wird ein Kind mitten in unheiligen Sommer¬
nächten auf den Gedanken verfallen, den „Teufel“ schwirren zu lassen, zu
dem das Christentum alte Yolksgottheiten herabgewertet hat. Das alles
steckt in uns. Jahrtausendlanger Gebrauch hat Instinktkraft gewonnen und
äussert sich naturgemäss in einem Alter, das dem kulturgeschichtlichen
Wiederholungskursus entspricht, den unsere Jugendzeit entwicklungsge¬
schichtlich durchläuft. Zahlensymbolik ist auch solch alter heiliger
Kultgebrauch, der zum Kinderspiel herabsank und zum Aberglauben.
Meine Beispiele sind vom Zufall übrigens so reizend unterstützt, dass
sie fast unheimlich auf entsprechende Gemüter wirken müssen. Man wird
am Schluss sehr wohl verstehen, wie man dabei zu Aberglauben und Be¬
stimmungsvorstellungen gelangen kann.
I.
Der Traumtext im ersten Beispiele lautet:
.. . Ich habe dann noch viel durcheinander geträumt, darunter folgendes
Bild: ,,I c h kam zum Lehrter Bahnhof, W.... ’s riefen mir zu,
ich solle nur schnell machen, der Zug ginge 2,45. Ich wollte
aber nicht, und sagte, ich wollte erst zwei Stunden später mit
dem Schnellzug fahren um 1,15. (Der Mittagsschnellzug von Berlin
nach Sielbeck geht tatsächlich 1,15 von dort ab.) Das taten wir dann
auch und fuhren 3. Klasse. Es war auch noch etwas mit
11 d ab ei.“
Arzt: Das ist ja sehr eigentümlich. Was bedeuten diese Zahlen?
Können Sie sich dabei denken etwas?
Einfälle der Hypnotisierten:
2,45 bin ich öfter am Sonnabend nach H. (Vorort von Berlin,
wo Patientin wohnt) gefahren, an den Tagen, wenn A . . . später nach Hause
kommt. (A. ist ihr Gatte.) —
2,45 ist 3 / 4 3, d. h. es fehlt etwas an 3. —
3 ist mein Junge, mein 3. Kind, was ich erwarte. (Patientin ist in
anderen Umständen.) —
3 und 9 sind meine Lieblingszahlen, in Swinemünde habe ich immer
nur die Badezellen 3 oder 9 benutzt. —
Überhaupt habe ich die ungraden Zahlen gerne, mit Ausnahme
von 7. Auch die Zahlen, die sich durch 9 teilen lassen, wie 27 und 45,
auch 18. —
Ich werde jetzt 27 Jahre alt (3 X 9) und bekomme jetzt gerade meinen
3. Jungen. Sicher ist es einer, wie es mir Ben Akiba in Swinemünde
geweissagt hatte. Er hat mir ja auch die ersten beiden Kinder richtig
prophezeit. (Ben Akiba war eine interessante Badebekanntschaft von ihr.)
3 / 4 3 ist das Kind jetzt, d. h. es ist noch nicht ganz fertig, noch
nicht ganz 3.
Drei Romane in Zahlen.
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3 ist die „Erfüllung“, und daher dieser Junge, der mein grösster Wunsch
ist, wie ich ihn in der ganzen Kinderzeit schon gehabt habe. Ich erinnere
mich an die Puppe, die mir diesen Wunsch verkörperte, und wie ich meinen
Bruder habe totschlagen wollen, als er sie mir zerbrach. (Dieser Junge, ein
Kind von ganz bestimmter Art, ist geradezu eine fixe Idee von ihr, die ihr
Leben in hohem Grade beherrscht. Starke Beseitigungsideen gegen die
ersten beiden Kinder, die diesem Wunsche nicht entsprachen, machten sie
krank.) Nun weiter: 2 Uhr 45! — ist 4 + 5 = 9, ausserdem die 2 dazu¬
gerechnet = 11, und 11 ist gleich L. = Lena, mein Vorname. —
Arzt: Wieso das?
Patientin: Weil wir auf der Schule fliessend in Zahlen sprechen
konnten, indem wir die Nummern des Buchstabens im Alphabet statt des
Buchstaben setzten. —
4 5 schreibe ich immer fast zwangsweise gedankenlos in den Sand,
wenn ich mit Schirm oder Stock male. Das hängt so zusammen:
P ist gleich 15, und .3X15 = 45.
Als Backfisch hatte ich nämlich einen Verehrer, der mit Vaternamen
P.... hiess. Wenn ich mich Mutter träumte, und das tat ich wie gesagt
fast immer, so wandelte sich ja mein Name durch die Heirat auch in P.
Das war zu seinem Namen dann die zweite 15, und dazu kam als dritte 15
der Junge, also 3X15 = 45, meine wunscherfüllende Zahl (wunscher¬
füllend, weil 4 + 5=9). Ausserdem ist 2 X (4 + 5) = 2 X 9 = 1 8 und
1 + 8 gibt wieder 9. In 2,45 steckt also nicht nur mein jetziger Zustand
als unvollendete Schwangerschaft, als 3 / 4 3, sondern auch als 2 X (4 + 5),
nämlich als 2X9. Der Junge und ich sind aber als 1 + 8 = 9 dabei
noch ungeteilt.
Arzt: Ich denke, Sie sind 11 ? = Lena? Wieso sollen Sie denn
9 sein?
Patientin: Wieso ich 9 bin? — Ja, 11 ist mein Name Lena, 9
aber doch die mir eigene Zahl. Jeder Mensch hat doch eine Zahl,
die seine ganze Persönlichkeit ausdrückt. Wissen Sie das nicht?
Ich weiss jetzt gar nicht, wieso ich 9 bin, aber es ist so.
Doch, da fällt mir ein, wenn ich 9 schreibe, und das tue ich sehr
oft, so ist der obere Teil wie ein Ei, und das Schwänzchen daran wie ein
Samenfaden, der dort hineindringt.
Arzt: Aber 9 waren Sie doch schon als Kind, und das haben Sie
damals doch noch nicht gewusst.
Patientin: Das stimmt, ich war es schon als Kind. — Und jetzt
fällt mir ein, wie alles gekommen ist. Ich war immer die erste in der
Schule, wurde dann krank und fehlte lange Zeit. Als ich wiederkam, wurde
ich 9!?, und weinte furchtbar darüber. Meine Mutter tröstete mich und sagte
immer und hat es noch oft gesagt: „Du musst die 9 lieb haben. Das
ist doch eine so schöne Zahl, und Du bist mir viel lieber, wenn Du als 9|?
gesund bist, als wenn Du als 1|| krank wärest.“
Ich habe mir rasende Mühe gegeben, wieder heraufzukommen, aber es
gelang mir nicht. Einmal wurde ich sogar 11 i^, das war das tiefste. Dann
habe ich es wegen dieser 9 durchgesetzt, dass ich auf eine andere
Schule kam. —
44*
622
Dr. Maroinowski,
Ausserdem ist aber 9 auch Sonst noch mein Ideal, mein männ¬
liches I deal. —
Darum muss auch mein Junge 9 sein. —
9 ist im Alphabet das J. —
J ist mein Bruder Johannes, J sind Sie Herr Doktor. (Mein Vorname
ist Jaroslav.) Und J ist auch mein Vater, als Kind mein Ideal von
Männlichkeit. Ich wollte ebensolche 9 haben, als Mann sowohl wie als
Jungen, daher 2,45 = 2 X^ = 18. (18 = 1 + 8 = 9.)
Diese drei Ideale meines Herzens zusammengefasst 9 + 9 + 9=27 sind
nämlich auch wieder 9 = 2 + 7. —
Eigentlich bin ich ja gar nicht 11, (Lena) sondern 12, denn ich bin
Magdalena = M getauft. Das ist wieder 3, nämlich 12 = 1 + 2 = 3. —
Nun kommt noch eine andere Lieblingszahl von mir, das ist die 5.
5 wurde ich aber erst auf der Hochzeitsreise, nämlich: Ich war M = 12
und 1 + 2 = 3, also eigentlich auch 3. Dazu wurde ich durch den Familien¬
namen meines Mannes B.... = 2. Das gibt für mich als verheiratete
Frau, als Magdalena B ... . die Summe 3 + 2 = 5.
Damit ist es mir sehr merkwürdig ergangen. Auf der Hochzeitsreise
bekam ich eine, wie nennt man das doch, wenn es fortgeht?
Arzt: Einen Abort?
Patientin: Ja, das meine ich. (So stolpert sie stets in der ihr eigen¬
tümlichen Art über Komplexworte, hier Flagellationsszenen auf dem
Abort betreffend). Ich bekam plötzlich in Mentone eine sehr starke Blutung,
träumte in der Nacht, mein Mann wäre nach Monte Carlo gefahren, und
hätte auf „5 rot“ gewonnen. Ich erzählte ihm den Traum und bat ihn,
das zu tun. Lachend sagte er: „Gut, ich riskiere aber nur 5 Franks.“
Und was geschah? Er trat in den Saal, und als er am ersten Tisch auf
„5 rot“ setzen wollte, erscholl der Huf: „Rien ne va plus.“ Es war zu spät;
die Kugel rollte, „5 rot“ gewann vergebens! — Er ging an den zweiten
Tisch und auch da war es fast zu spät. Er warf das Geldstück rasch auf
den Tisch; es fiel daneben, mitten ins Roulette hinein, so dass es nicht galt.
Das Roulette blieb stehen, „5 rot“ hatte wieder vergeblich gewonnen. Er
ging an den dritten Tisch und sagte sich, das ist Unsinn, dreimal kommt
rot sicher nicht. Er setzt auf etwas anderes, die Kugel rollte, „5 rot“ ge¬
wann und er hatte abermals verloren! —
„5 rot“ heisst in der Sprache meiner Zahlensymbolik also: Magdalena
B.... blutet. — Dafür habe ich aber nachher auf 9 und 18 gewonnen.
Ich habe auch oft verloren. — Aber Sie kennen ja meine eigentümliche
Zwangsneigung, dass ich oft das Gegenteil von dem tun muss, was ich will.
So sind mir 2 6 und 2 9 Unglückszahlen, die habe ich auf schwarz oft
zusammengesetzt, in die Mitte von beiden.
Arzt: Warum sind das denn Unglückszahlen?
Patientin: Ja, 26 und 29 sind so furchtbar schwarze Zahlen,
aber ich w r eiss nicht, warum. —
Da weitere Einfälle nicht kamen, brach ich die Hypnose ab. Die Frage,
warum 1,15 zwei Stunden später war als 2,45, konnte sie mir
nicht beantworten. Am folgenden Tage fing sie in der Hypnose von selbst
Drei Romane in Zahlen.
623
zu sprechen an und brachte einen langen Nachtrag. Sie sagte, sie hätte in
ihrem Leben nie aufgehört, mit Zahlen zu spielen, nur noch nie davon ge¬
sprochen.
Die Hypnotisierte fährt fort: Der Tag, an dem ich träumte,
war der 27 und 2 + 7 = 9. Es war Kaisers Geburtstag. Ich habe den
Kaiser immer beneidet, weil er so viele Jungens hat. Der Kaiser hat oft
eine Rolle in meinen Träumen gespielt. —
Der 26. — gestern — war mein Hochzeitstag, kurz vor dem 27.,
d. h. dicht vor der 9. 26=2 + 6 = 8. Der 8. Februar ist ausserdem
mein Geburtstag, auch wieder dicht vor dem 9.
Am 7. 2. hatte A_ P.... Geburtstag, und 7+2 = 9. [ A_ P_
ist der Jugendverehrer, von dem schon die Rede war, vgl. 45 = 3X15.
(15 = P.)]
Alle geraden Zahlen bedeuten für mich immer etwas dickes, rundes,
Ei ähnliches = weibliches Symbol. Alle ungeraden, etwas langge¬
strecktes = mannliches Symbol. (Dies ohne Kenntnis der Stekel-
schen Deutungen.
A .. .. P . .. . ist A = 1, P = 15. Das gibt, die 1,15, den Schnellzug
des Traumes nach Sielbeck.
Der 26. September ist der Geburtstag meines Mädels, wieder dicht
vor dem 9. (2 + 6 ist bloss 8) d. h. dicht vor der „Erfüllung“. Es war ein
Mädel und ich wollte einen Jungen. —
Arzt: Ja, aber Sie haben doch ausserdem einen Jungen, wie ist es
mit dem?
Patientin: Ja, am 25. 2. 09 ist der Geburtstag meines Knaben.
2 + 5 + 2 ist zwar 9 und 09 dazu ist 18. (1 + 8 = 9.) Aber 25 erzielt
2 + 5 = 7, d. h. es ist nicht der richtige Junge, nicht der, den ich mir
gewünscht habe. Er ähnelt nicht den Idealen, die sich mir in der 9 ver¬
körpern. —
Und nun weiss ich auf einmal, wie das mit den Zügen ist. Wenn
ich damals mit dem Schnellzug 1,15 gefahren wäre, d. h. A... P...
= 1,15 geheiratet hätte, wäre ich schneller zu meinem Ziel, dem
„bestimmten“ Jungen gekommen. Ich kam aber erst auf dem Bahnhof
(Standesamt) an, als der Personenzug 2,45 ging. 2 = B . . . , ich heiratete
den B . . . , um zu 45 (4 + 5 = 9), d. h. dem Jungen zu gelangen. Der
Zug fuhr mir aber zu langsam, es dauerte zu lange, bis ich den Jungen,
den ich haben wollte, bekam. Darum liess ich ihn ohne mich weiter fahren,
und fuhr lieber zwei Stunden später, d. h. nachdem ich schon 2 Kinder
hatte, mit dem Schnellzug 1,15 nach Sielbeck, der eigentlich vor den zwei
Kindern hätte fahren sollen. —
Sielbeck ist nämlich in meiner Phantasie die 4 + 5, die 9.
Schreiben Sie einmal Sielbeck untereinander und die Zahlen daneben;
dann muss das herauskommen: S = 18
i = 9
e = 5
1 = 11
b = 2
e = 5
c = 3
k = 10
63 = und 6 + 3 = 9.
624
Dr. Marcinowski,
Bei Ihrem Namen ist das natürlich ebenso:
Erstens ist J = 9
und 31 = 12
das macht zusammen 21 und 2 + 1=3. [Vgl. M = (Magda¬
lena = 12 und 1 +2 = 3.]
Aber auch mein Mann hat am 4. 5. Geburtstag: das ist auch 4+5 = 9,
d. h. er ist gut. —
Nun muss ich Ihnen noch die 2,45 erklären. Das ist ebensowenig nur
der Vorortszug nach H...., wie 1,15, nur der D-Zug nach Sielbeck. Sie
wissen, dass ich kurz vor meiner Verlobung die Verbindung mit dem Leutnant
W. H. anstrebte, und wie ich unglücklich war, als daraus nichts wurde.
Nun habe ich einmal eine Zusammenkunft gehabt, die ist folgendermassen
zustande gekommen: [W. H. ist übrigens 22 +8 =30. Null ist Nichts, also
W. H. = 3j. Eines Tages bekam ich von ihm eine Karte, worauf er
sich selbst zu Pferde im Hippodrom im Tiergarten gezeichnet hatte. Es
stand weiter nichts darauf, als ganz klein zwischen den Reitwegen gekritzelt:
„Wochentags 2,45 nachm., Sonntags 10 Uhr vorm.“. Die Karte bekam ich
am Freitag. Ich habe dann sehr mit mir gekämpft, ob ich hingehen sollte,
bin aber den ersten Nachmittag noch nicht hingegangen. Aber 2 Tage
später (vgl. 2 Stunden später) bin ich dann am Sonntag durch den Tier¬
garten zur Kirche gegangen, zusammen mit der ahnungslosen F . . . F . . ..
Wir sahen ihn auf dem Hinweg nur kurz. Aber auf dem Rückweg, wo ich
allein ging, habe ich ihn lange gesprochen. 2,45 bedeutet also nächst 1,15
meine zweite Jugendliebe. Die Buchstaben seines Vornamens Wilhelm und
seines Vaternamens zusammengezählt ergeben übrigens 78 und 86, d. h.
7 + 8+ 8 + 6 = 29, also 2 + 9 = 11, meinen eigenen Vornamen (L = 11),
und auch der Tag, an dem ich ihn kennen lernte, war ein Glückstag, eine 9.
(1. 2. 1905 = 18 und 1 + 8 = 9.)
Der Unglückstag, der sich mit seinem Namen für mich verknüpft, er¬
gibt natürlich wieder 7. Nämlich: der 14. 6. 05 = 25 und 5 + 2 = 7,
das ist der Tag, an dem er nach Afrika ging. Aber am 2. 10. 1905
erhielt ich noch einmal einen letzten Gruss von ihm 2 +10+1 + 9 + 5 = 27
und 2 + 7 = 9.
2 3 ist auch so eine Lieblingszahl von mir. Ich bin geboren am 8.
2. 85 = 8 + 2 + 8 + 5 = 23 und 2 + 3 = 5.—
So habe ich noch viel mit Zahlen gespielt, ich will noch mehr davon
erzählen:
Mein Verlobungstag z. B. war am 10. 11. 05. Das gibt wieder¬
mal 26 und 2 + 6 = 8. Die Verlobung liegt nämlich kurz vor der 9,
vor der Erfüllung, und die Verlobung war eben keine ganze Erfüllung. Am
nächsten Tage, am 11. 11. 05, zusammen 27 und 2 + 7 = 9 fuhren wir
mit dem Schnellzug um 9 Uhr nach Lübeck. Sie sehen, wie sehr mir das
noch alles im Gedächtnis haftet, alles immer wieder 9. Eigentlich hatten wir
allerdings schon am selben Tage fahren wollen. Wir kamen aber zu spät,
denn wir hatten zu viel Besorgungen. Die Verlobung war nämlich um
3 Ub zustande gekommen, das ist 4,45, und das wiederum sind 2 Stunden
später wie 2,45 im Traum. Das Datum nehme ich auch gerne so:
11. 11. 05 = 1 + 1 + 5 + 2 + 4 +■ 5 = 18 und 1 + 8 = 9.
Drei Romane in Zahlen.
625
Mir sind noch viele solcher Daten geläufig:
So ist am 13. 3. 1901 der Tag meiner Einsegnung.
13 + 3 + 19 + 1 = 36. 3 + 6 = 9.
1 + 3 + 3 + 19 + 1 = 27. 2 + 7 = 9.
1 + 3 + 3+1+ 9 + 1 = 18. 1 + 8 = 9.
Unangenehm war mir auch der Antrag eines Franzosen, am 24. 5.
1904; dementsprechend ergibt 2 —j— 4 —(— 5 —+ 1 —|— 9 + 4 = 25, also 2 + 5 = 7.
Am 26. 1. 1906 war der Tag meiner Hochzeit, die mir nicht hielt,
was ich erwartet hatte. Das Datum ergibt deshalb auch die unglückliche 7,
die ich nicht mag, nämlich:
26 +T + 19 + 6 = 52. 5 + 2 = 7.
2 + 6 + 1 + 1+ 9 + 6 = 25. 2 + 5 = 7.
Und auch der Name meines Mannes gibt dementsprechend 7, nämlich
die Buchstaben des Vornamens zusammengezählt 80, des Vaternamens 53,
zusammen = 133, und 1 + 3 + 3 = 7.
Dann ist am 26. 9. 1907 Luisens Geburtstag; nur ein Mädel, also
auch nur 7:
26 + 9 + 19 + 7 = 61.
6 + 1 =
2+6+9+1+
9 + 7 = 34.
3 + 4 =
Meine guten
Jugendfreundinnen heissen:
G.
0.
7 + 14 = 21.
2 + 1 =
E.
F.
6 + 6 = 12.
1 + 2 =
A.
R.
1 + 17 = 18.
1 +8 =
H.
D.
8 + 4 = 12.
1 + 2 =
E.
D.
5+ 4= 9.
=
Die mir Unglück brachte und ich selbst, wir heissen beide M. D.
M.D. 12 + 4 = 16. 1 + 6 = 7.
Deshalb habe ich auch sofort Magdalena in Lena umgewandelt:
L.D. = li + 4 = 15.
(Vergl. 15 im Traum, 3X 15 = 45.)
Nun Sie, Herr Doktor! — J. M. ist wie gesagt = 9 + 12 = 21, das
gibt 2 + 1=3, also Güte. Aber nun werden Sie mich auslachen und
wieder von Übertragung reden. Alle Ihre Zahlen, wie ich sie auch fasse,
ergeben immer meinen Vornamen: 11 also L.
1. Ihr Geburtstag fällt auf den 13. 11. 1868, das gibt:
13 + 11 + 18 + 68 = 110 und da Null gleich nichts, so auch 11,
oder 1 + 3 + 1 + 1 + 1 + 8 + 6 + 8 = 29, und 2 + 9 = 11,
oder 13. 11. 68. geschrieben dasselbe, nämlich:
13 + 11 + 68 = 92 und 9+ 2 = 11.
2. Weiter, Ihr Vorname Jaroslav, untereinander geschrieben ergibt
J = 9
a = 1
r = 17
o = 14
s = 18
1 = 11
a = 1
v = _ 21
das macht 92, und 9 + 2 = 11.
626
Dr. Marcinowski,
3. Ihr Vatersname desgleichen:
M = 12
a = 1
n = 13
o = 14
w = 22
s = 18
k = 10
i = _ 9
das macht 128, und 1 + 2 + 8 = 11 .
Meine Übertragung ist doch also so schicksalsbestimmt wie nur möglich.
Nun will ioh noch zum Schluss das Material so zusammenfassen, dass
der Traum, von dem wir ausgingen, seinen klaren Sinn erhält. Ich würde
etwa so sagen: „Also, gestern war mein Hochzeitstag, am 26 ten ; das ist
2+6=8, d. h. dicht vor der 9, meiner Glückszahl, der Zahl meiner
Wunscherfüllungen. Ich bin wieder in anderen Umständen, also auch kurz
vor der Erfüllung, und zwar 3 / 4 3, denn das dritte Kind wird doch nun endlich
der ersehnte Junge sein, die 9. Dann habe ich 2 Jungens, 2,45 = 2 X (4 + 5).
Wäre ich damals mit A. P. (1,15) zusammen gekommen, so wäre ich viel
schneller (mit dem Schnellzug 1,15) zu meinem Ziel gelangt. Nun
musste ich 2 Stunden (2 Kinder lang) warten, bis das dritte dran kommt.
Und 2,45 (= W. H.) habe ich mir entgehen lassen, bin erst 2 Tage später
hingegangen (2 Stunden später als 2,45.) Die 2, die böse 2, (das B =
mein Mann), das mich aufhält! Wenn das kommt (alle Sonnabend), dann
komme ich immer noch mit einem späteren Zuge (2,45) zurecht. Ach was,
kurz vor der Erfüllung ( s / 4 3) fahre ich noch schnell (Schnellzug 1,15) nach
Sielbeck. [Sie soll nämlich die Entbindung wegen drohender Puerperal psychose,
hier bei mir abmachen] und wenn ich (Lena = 11) zu ihm (J. M. = 9. 12.)
nach Sielbeck komme, wird alles gut werden, (denn Sielbeck ist ja 9) und
besser und eher, als wenn ich auf vergangener Hoffnung stehen bliebe.“ —
Die Deutung des Traumes in dieser Zusammenstellung wird dem Sinn
und dem Wortlaut nach von der Träumerin lebhaft bestätigt, und auch im
wachen Zustande als übereinstimmend mit ihren eigenen Ge¬
dankengängen und Phantasien befunden.
Ich möchte zum Schlüsse noch bemerken, dass ich in dem Protokoll
nicht ein Wort und nicht eine Zahl ausgelassen habe. Man könnte vielleicht
meinen, dass unter der erdrückenden Fülle von zutreffenden Rechenresultaten
auch solche zu verzeichnen gewesen wären, die nicht 9 oder 7 und 5 u. s.w. er¬
geben hätten. Ich erkläre ausdrücklich, dass von irgend einem solchen
Fehlversuch nicht die Rede war. Auch die schwierigen, langen Exempel,
wie z. B. die bei meinem Namen, waren dem Unbewussten also völlig geläufig.
Drei Romane in Zahlen.
627
Übrigens hatte die Analyse dieses Zahlentraumes eine verblüffend
starke Wirkung auf die Kranke. Ein wahrer Jubel von Befreiungsgefühlen
brach in ihr los. Drei Tage nach dem Traum findet sich in ihrem Tage¬
buch 1 * * ) die Notiz: „Mir ist dadurch erst mein ganzes Krankheitsbild klar
geworden, sein Aufbau. Ich will nun alles ehrlich aufschreiben. Das meiste
wissen wir zwar schon; aber ich sehe erst heute vollständig klar von Anfang
bis zu Ende. Ich wäre nie so krank geworden, wenn ich W. geheiratet
hätte. Den habe ich heiss und leidenschaftlich geliebt.“ .... „Durch die
Zahlenanalyse und die eigentümliche, erst so wirr anmutende Zusammen¬
stellung der Exempel sind mir auf einmal alle Lebensbeziehungen klar ge¬
worden. Es ist, als ob das Unbewusste sie mir in Zahlensprache vorge¬
sprochen hätte.“ .... „Mein Vater hatte gedroht, er würde W, wenn er
als Freier ins Haus käme, die Marmortreppe hinunterwerfen. Damit
hängt bestimmt meine Absicht, mich aus dem Fenster zu stürzen,
zusammen ; denn ich träumte nachts immer, dass W. die Treppe herunter¬
fliegt. Und noch eins wird mir klar. Ich hatte doch die unselige Zwangs¬
vorstellung, hinter die wir nicht kommen konnten, Häuser bis auf den
letzten Stein in Gedanken abbauen zu müssen. Ich wollte die Treppe
abtragen, um die Drohung des Vaters zu verhindern/ 4 — ,,Meine Ehe
ist wie ein Verhängnis. Mein Schwiegervater hatte meine Mutter sehr
lieb gehabt, und die beiden Männer hatten verabredet, dass ich einen B.
heiraten solle. Ich habe einen „Ableger“ von meiner Frau, sagte mein
Vater. Ich war stets ausser mir über diesen Ausdruck und kam mir
immer wie verkauft vor an ein untrennbares Schicksal. So verlobte ich
mich gleich nach der Geschichte mit W, und redete mich in eine Liebe
hinein, die gar nicht eine innere Notwendigkeit war. Das war vielmehr
ausschliesslich ein Racheakt und daneben allerdings auch der Trieb nach
sinnlicher Liebe, der durch meine Liebe zu W. aufgeflammt war. Daher
sollte der Junge auch durchaus W ähnlich sehen, und als er das nicht tat,
war ich enttäuscht und sage, es ist nicht der richtige, den ich mir von klein auf
an gewünscht habe, und verfolge ihn in Gedanken mit meinem Todeswunsche
für das B... sehe Gesicht, das ich an ihm nicht sehen mag.“ — „Der Rache¬
akt an meinem Vater soll ihm einfach zeigen, was er an mir angerichtet hat.
80 wurde ich krank und wäre dem Wahnsinn verfallen, wenn die Analyse
mich nicht gerettet hätte.“ — »Die Angst vor der Irrenanstalt ist lediglich
die Verkörperung der Wunsch Vorstellung: Ich will fort von dem Manne, der
eigentlich nicht der rechte ist, dahin, wo er mich nicht wieder heraus¬
bekommt, und dahin, wo ich ungestört meinen Trieben freien Lauf lassen
kann.“ — „Die anderen Angstvorstellungen, die Beseitigungswünsche und all
das, sind mir ja alle klar. Aber nun kommt der grosse Wendepunkt.: die
Liebe zu W. hatte ich natürlich als ehrsame Ehefrau wahnsinnig unterdrückt.
Jetzt lernte ich in Dr. Marcinowski den Mann kennen, der in mir die
Erinnerung an W. herausreisst. Er hat auch im Gesicht eine gewisse Ähn¬
lichkeit, denn er erinnert mich immer wieder an ihn. Ja Dr. Marcinowski
ist W., aber so, wie ich mir W. für später als Idealbild vorgestellt habe,
1 ) Ich bin gezwungen, wesentliche Tede der Tagebuchaufzeichnungen fort¬
zulassen. Teils weil sie zu anderen Teilen der ausgedehnten Neurose gehören und
hier nur verwirren würden, teils weil die Träumerin sonst für andere kenntlich
werden könnte, so leider auch die inhaltreichen traumatischen Beziehungen zu den
guten und den bösen Freundinnen. Zu dem hier Niedergeschriebenen gab sie ihre
Einwilligung.
628
Dr. Marcinowski,
nicht, wie er wirklich war. W. war der Mann, der meine Sinne voll¬
kommen befriedigt hätte. In unseren geistigen Neigungen hätten wir nicht
zueinander gepasst.“ — „Er ist nun der gereifte, geistig hochstehende Mann,
nach dem ich mich mein ganzes Leben gesehnt. Das war nun wohl die
schärfste Klippe, dieses Begegnen. Ihm habe ich es aber auch zu ver¬
danken, dass ich sie umschifft habe, und nicht wieder in Krankheit darüber
versank. Ich sehe klar, das sagt alles.“
Damals: Ich habe W. nicht bekommen, aus Wut den B. genommen,
und bin dann aus Rache krank geworden.
Jetzt: Ich kann den Mann nicht erringen. Das Schicksal will
es nicht. Ich lasse mich aber nicht wieder überrumpeln,
sondern will bewusst mein Schicksal tragen.
„Ich habe viel an meinem Mann gut zu machen und will ihn so lieb
haben, wie es in meinen Kräften steht. Meine Kinder will ich so führen,
dass sie mit offenen Augen ihr Leben leben. Das was ich bei ihm ge¬
lernt habe, soll den Kindern ein heiliges Gut werden. Ich will glücklich
machen und werde dabei glücklich sein!“ — „Fühlt Ihr nun alle, wie ich
mich befreit habe? Wie ich gesund werde?“ — „Und die zarte Freundschaft
zu meinem Arzt und Führer, die so leicht ein wilder Brand in meinem aus¬
gehungerten Herzen werden konnte, die will ich als ein heiliges Erinnern
mit mir nehmen; denn das darf ich jetzt — ich bin ja durch sie und an
ihr gesund geworden. Morgen geht es heim! O, wie bin ich so stolz und
so froh!“ —
Die Klippe war scharf gewesen, das stimmt. Die kleine, leidenschaft¬
liche Frau war aber gereift und gewachsen in der Analyse und hatte
tapfer entscheiden gelernt, statt feige zu verschleiern. Sie hatte
vor allem alle falsche Scham abgelegt und vornehme Natürlichkeit dafür ein¬
getauscht, und das hat sie vor Rückfällen geschützt. Offenes, ehrliches Be¬
kennen und Anerkennen des Tatsächlichen hatte der Übertragung auf mich
die krankhafte Spannung, hatte ihr die Kraft genommen, das Ungesunde.
Ich war zum „Werkzeug“ herabgesunken, an dem sich die Kranke aus dem
Abgrund herausgeholfen. Nun hatte der Mohr seine Schuldigkeit getan, und
ich konnte ihr das Werkzeug zeigen und seine Gesetzmässigkeiten erklären.
Das Brauchbare an dem Gefühl blieb, das andere konnte sie ruhig fallen
lassen. Als sie fuhr, hinterliess sie folgende Zeilen, die das starke Auf¬
stehen einer fast verloren geglaubten Seele schön wiedergeben. Es ist zu¬
gleich ein Zeugnis dafür, dass man als Arzt, auch „ohne zu beschämen“,
„Übertragungen“ begegnen und sie heilen kann — das „Menschlichste“ an
uns, wie Nietz’sche es nennt. Sie schrieb:
„Ich kann Dir trotz allem Geschehen
Stolz in die Augen seh’n.
Denn etwas Grosses im Leben
Vollbewusst aufzugeben,
Heisst: „Kämpfen und Ringen.“
Nur dann kann’s gelingen
Zu überwinden,
Wege zu finden,
Sich zu befreien. —
Denn, was wir sollen,
Drei Romane in Zahlen.
629
Müssen wir wollen,
Ehrlich treu.
Nicht schwanken und biegen,
Entscheiden — und siegen.“ —
II.
Im Anschluss an diesen schicksalsschwangeren Traum will ich nun
von einer zweiten Zahlensymbolik berichten, die im Gegensatz zu dem ersten
Traum von einer Kranken geliefert wurde, die niemals mit Zahlen ge¬
spult hat. Auch hier enthalten die wenigen Zahlen fast das gesamte
Schicksalsmaterial, den Roman der Träumerin. Auch hier liegt ein Be weis
für die Berechtigung unserer Traumanalysen vor; denn in diese Zahlen
kann der Analytiker auch beim besten Willen und selbst
bei „verruchtester“ Phantasie nichts hineindeuten. Hier ist
man eben völlig in der Hand des Träumers, und ganz und nur auf das
angewiesen, was er selber an Einfällen bringt.
Übrigens habe ich die Empfindung, dass gerade diesem Wiederspiegeln
des ganz persönlichen Schicksals in einem Traume eine starke, überzeugende
Kraft innewohnt; es liegt etwas, ich möchte sagen, Unausweichbares darin.
Ebenso auch in den eigentümlichen Serienbildungen, die ich, je tiefer ich zu
schauen lernte, desto häufiger feststellen kann. Mit solchen Traumserien
begleiten die Kranken unsere Arbeit und spiegeln deren Wirkungen genau
wieder. Wir sehen, wie dieselben Motive sich gemäss unserer Gespräche
ändern und in stets neuen Verkleidungen dies innere Arbeiten der Seele wie
Antworten an den Arzt hervortreten lassen. Wie wäre es möglich, in all
ihrem bunten Wechseln immer wieder gerade das herauszudeuten, was im
Innenleben der Kranken tatsächlich gerade vorgeht, wenn es nicht ebenso
tatsächlich im Traume zu lesen stände! Ein solches Ratenkönnen
und Hineinlegen und Unterschieben wäre ja für sich ein viel
wunderbareres Vermögen, eine viel erklärungsbedürftigere
Erscheinung, als die immer einfacher und klarer von uns
herausgearbeitete Trau msy mbo 1 ik selbst. —
Doch nun zu unseren Zahlen. Sie werden verständlicher, wenn ich die
Hauptdaten der Krankengeschichte vorausschicke.
Frau E. M. ist eine überzarte kleine Frau, durchaus hysterischen
Charakters, seit Jahren von pseudo-organischen Zuständen beherrscht, fast
dauernd im Bett, weil dauernd ein allgemeiner, schmerzhafter Spasmus aller
Muskeln und Eingeweide sie quält: heftige Kolik der Gebärorgane, des
Darmes, Schlaflosigkeit, Überempfindlichkeiten aller Sinnesorgane, Unfähigkeit
zu geordneter Nahrungsaufnahme, viel Erbrechen u.s.w. Krank war sie seit der
frühesten Kindheit, die sie als „unverstandenes“ Mädchen unter schwersten
Enttäuschungen ihres kleinen Kinderherzens durchmachte und in der sie ihre
krampfhaften Zustände dadurch erwarb, dass sie sich andauernd in Rollen
hineinzwingen und ihre Beschwerden unterdrücken musste. Ihre schwersten
Traumen waren folgende: 1. Die heftige Zurechtweisung seitens des leiden¬
schaftlich geliebten Vaters, als sie bei ihrem ersten Angstanfall (7 Jahr)
während des Abendbrotes die Familie störte. Vorher, mit 3 V 2 Jahren,
hatte sie eine grosse Ungerechtigkeit erlitten. Ohne eine Ahnung oder
630
Dr. Marcinowski,
irgendwelche Verständnismöglichkeit für das Frevelhafte ihres Beginnens, hatte
das Mädelchen sich über den Hof zum Eselstall hingetrudelt und dort voller
Entzücken in dem Anblick des Grauchens geschwelgt, während man sie angstvoll
suchte. Strafe, Zwang zum Verzeihung bitten und ähnliche erzieherische Mass¬
nahmen lösen noch heute in der Erinnerung stärkste Affektbetonungen aus.
Hann folgen in der Mädchenzeit verschiedene stark gefühlsbetonte Szenen, die
die leidenschaftliche Liebe zum Vater und zum Bruder klar zum Ausdruck
bringen. So ein Geldgeschenk vom Vater für eine mehrwöchige Vertretung
der verreisten Mutter, das als Beleidigung empfunden wurde—sehr bezeichnend
für die Bolle, in die sich das Mädchen hineingeträumt hatte. Für diese war
„Bezahlung“ allerdings ein Schimpf. Später, als erwachsene Frau, brach sie
zusammen, als ihr unter nichtigen Vorgängen ein vorübergehender Aufenthalt
im Fremdenstübchen bei ihrem Vater versagt wurde. Das kam allerdings der
Vernichtung ihres heiligsten Lebensinhaltes, der Ausschliessung von ihrer stärksten
Liebesquelle gleich, und in der Nacht darauf folgte logischerweise ein furchtbarer
Angstanfall und ein Versuch zur Selbstentleibung. Wir sehen, der Familien¬
roman spielt seine übliche Bolle. Dazu kommt das eigentlich Schicksals¬
bestimmende in Gestalt der ihr von den Eltern aufgeredeten Verbindung mit
einem, allerdings für ihre ganze''Art sehr ungeeigneten Gatten. — Aber gemäss
ihres Komplexes war sie ein gehorsames Kind, obwohl sie sich noch auf dem
Wege zum Standesamt überlegte, ob sie sich nicht noch im letzten Augen¬
blick durch irgend eine phantastische Fälschung der Unterschrift einer
rechtlich bindenden Eheschliessung entziehen könne. Die Ehe war denn
auch danach geworden und bildete jenen unentrinnbaren Schicksalsspruch,
als den wir sie in dem Traumbilde gekennzeichnet finden werden. Die Kranke be¬
nutzte ihre Krankheit als Waffe, um sich dem Schicksal, das heisst hier dem
Mann, zu entziehen. Die spastischen Erscheinungen äusserten sich entsprechend
als Vaginismus; auch Erbrechen als Ausdruck des Widerwillens hoben im Laufe
der Jahre die Ehe als solche auf, während ein reiches Mass von hausfrau¬
licher Pflichterfüllung, soweit der Körper das zuliess — also eigentlich mehr
in der Theorie — die Familie dafür entschädigen sollte. Der Vater war mittlerweile
gestorben; an seine Stelle war der ältere Bruder getreten. Ihrem eigenen
Sohne, dem einzigen Kinde, war sie eine vorzügliche Mutter. Sie konnte mit
Becht sagen, der Junge wäre ihr ein und alles und fülle ihren ganzen
Lebensinhalt aus. Wenigstens traf das bisher zu und hat erst durch die
Berührung mit mir eine andere Gestalt angenommen, da ich durch die Über¬
nahme der Behandlung in der bekannten, gesetzmässigen Weise zum stell¬
vertretenden Nachfolger des Vaters wurde und als lebendes Idealbild der
Träger ihrer zurückgedämmten Affektbetonungen werden musste.
Ich gebe mit diesem Abriss der Krankengeschichte zugleich einen un¬
gefähren Überblick über den Standpunkt der Analyse. Was ich hier ange¬
deutet habe, war der Kranken mit allen dazu gehörigen Einzelheiten klar
bewusst geworden.
Ich gebe nun den Traumtext wieder: „Ich traf meinen Bruder auf
der Strasse und fragte ihn nach dem Befinden meiner kleinen Schwester,
die ein Baby bekommen hatte. „Na, es geht“, meinte er, und fügte
lachend hinzu: „Aber heutzutage mache ich die Geschichte nicht mehr für
30 — 40 M. Ich schreibe jetzt andere Bechnungen.“ Damit begrüssten
wir eine sehr einfache aber ordentlich gekleidete Frau (die Frau des
Kutschers, der schon meinen Vater gefahren hatte). Er deutete auf mich
und sagte: „meine Schwester“. Dann war er verschwunden. — Die Frau
Drei Romane in Zahlen.
631
sagte: „Mögen sie es sich auch gerne schön und bequem in ihrem Hause
machen? Ah, Sie wollen Blumen kaufen? — Ich nickte.“ —
Nach einer Weile träumte sie weiter: „Ich war in meinem Zimmer und
lag zu Bett, hatte aber Besuch und die Tür war offen. Frau Dr. ging fort
und ich sprach mit Herrn W. über Unterhaltungsgabe. „Her eine lernt es
nie, der andere spät,“ sagte der. — „Ach, Reden können bedeutend noch lange
keine Unterhaltung führen,“ war meine Antwort. Im gleichen Augenblick
sah ich Herrn Dr. in Frau W’s. Zimmer gehen. Er nickte uns zu; ich tat
aber, als sehe ich es nicht, merkte aber, wie forschend seine Augen auf uns
gerichtet waren. Ich sagte: „Da geht unser Quälgeist, der ruht nicht,
bis man die 2910 Stufen (Neunundzwanzig — zehn gesprochen, wie bei
Telephonummern) glücklich hin auf geklettert ist.“ Diese Zahlen sah ich
gross und leuchtend in der Luft vor mir schweben und mit
tiefem Bangen wachte ich auf. Es war wie das Mene Tekel
und als wollten sie mir sagen: „Wir sind Dein Schicksal, Du
entrinnst uns nicht! Wolle nichts anderes!“
Die letzten Worte beziehen sich darauf, dass ich der Kranken oftmals
gesagt hatte, sie sei mit ihrem falschen Bemühen wie das Bäumchen, das
immer andere Blätter haben wollte; sie solle doch nicht immer anders
sein wollen, als der liebe Gott sie geschaffen habe.
Und nun muss ich allerdings die Lösung der eigentlichen Schicksals¬
frage bis zuletzt aufsparen, denn bis zu ihr spitzt sich die Geschichte erst
zu, wenn ich die Einfälle der Träumerin wieder wörtlich und genau in der
Reihenfolge bringe, wie ich sie von ihr erfahren habe. Ich bemerke aus¬
drücklich, dass die Patientin von Zahlenträumen nichts, kaum die Tatsache
selbst wusste, dass es so etwas gab.
Bedeutsam war bereits das Datum des Traumes selbst. Es fiel auf
den Geburtstag ihres Vaters. Kein Wunder, wenn ihr in dieser
Nacht ihr ganzes Leben noch einmal im Traume wach wurde.
Darauf entdeckte sie, dass die Ziffern des vollen Geburtstagsdatums in
der Quersumme 29 ergaben.
17. 2. 1837 = 1 + 7 + 2 + 1 + 8+ 3 + 7 = 29.
Gestorben war der Vater im Jahre 1907 und der Unterschied von
70 Jahren entspricht der Summe 30 und 40, von der der Bruder ge¬
sprochen hatte. Sie fährt fort:
Nun ist ferner 2 + 9 = 11.
Aus diesen Zahlen ist durch entsprechende Umstellung das Jahr meines
heutigen Traumes herzustellen.
2 + 9 = 11 1912
Die Stufen, die ich hinaufklettern soll, sind durch die Trennung von
2910 in 29 und 10 gewissermassen als Zehn er stufen bezeichnet. Das
führt auf einen merkwürdigen Zufall in unserer Familie. Die Geburtsjahre
liegen da nämlich immer um 10 Jahre auseinander. Es wurde geboren :
\
632 Dr. Marcinowski,
mein Vater
im
Jahre
1837
meine Mutter
1847
mein Mann
1857
mein Bruder
>>
j?
1867
mein Vater starb
1907
Die Träumerin hat also eine gewisse Berechtigung, das Leben bis su
dem Ende, wo ich sie nicht mehr quälen kann, in Stufen von je 10 Jahren
einzuteilen, in Stufen, die zu gleicher Zeit ihre persönlichen Herzensbeziehungen
wiederspiegeln.
Zu dem Wort „Quälgeist“ sagt sie:
1 . Mein Leben ist eine Qual, die ich auf mich nehmen muss, weil
ich es mir selber geschaffen habe; denn es war Unrecht, wie ich meine Ehe
eingegangen bin. Also: keine Ruhe, bis alle Stufen überwunden sind und
ich im Tode wieder bei meinem Vater bin. So träume ich an seinem
Geburtstag. 2. Und auch der Doktor ruht nicht, bis ich eine andere
Lebensauffassung bekommen habe.
Nun fällt mir ferner ein, fuhr die Träumerin fort, in diesem Jahr gibt
es einen 29. 2. Es ist ein Schaltjahr, ein wichtiges Jahr in meinem Leben.
Am 10. 1 . ist der Geburtstag meines Mannes.
Am 10. 2 . ist mein Verlobungstag.
Am 29. 6. ist der Tag meiner Ziviltrauung. Von meinen Gedanken
bei der Unterschrift sagte ich Ihnen schon, das war im Jahre 92, eine Um¬
kehrung von 29, der Zahl meines Vaters. Die ganze Jahreszahl meines
Hochzeitsdatums 1892 erscheint mir merkwürdig zugespitzt, indem schon die
18 (= 2 X 9) die 29 enthält, also: 1892 = (2 X 9) 92.
Am 29. 3. so sagte mein Junge mir, würden die Ferien anfangen. Das
bringt die wichtige Entscheidung seiner Versetzung, von der viel abhängt.
Aber auch für mich kann der Tag viel bedeuten, denn es ist vielleicht der
Tag meines Scheidens von hier. Meine Abreise ist ja von seiner Reise¬
begleitung abhängig. Kann ich noch länger bleiben, so wird verabredeter-
massen der 29. 4. mein Abreisetag, das ist der letzte Termin, denn am 1. Mai
habe ich Personal Wechsel.
Auf das 29i e Jahr fiel die Unterleibsoperation, die mir so unsagbar
viel Qualen vorher und nachher gebracht hat.
29 -f- 10 = 39. Im 39. Lebensjahr erlebte ich jene fast tödliche
diphtherische Erkrankung, die mich dann zum erstenmal nach Sielbeck und
damit an die Wende meines Lebens führte.
29 500 M. betrug das Kapital, das Vater auf unserem Hause stehen
hatte, zu 3 1 /s % wurde es verzinst, d. i. die Hälfte zwischen 30 und 40 für
tausend. 35 000 M., d. h. die Mitte zwischen 3 und 4000 M. beträgt der
Mietpreis unserer jetzigen Wohnung.
Die Hausnummer unseres Elternhauses war 55 und 5 + 5 = 10.
Unsere eigene Hausnummer ist 32 und 3 + 2 = 5, das ist die Hälfte
von 10 .
Mein Mann ist gerade 55 Jahre geworden, also auch hier stimmt 10.
3 — 4000 M. betrug übrigens die Summe, die mein Vater und später
mein Bruder für sein Fuhrwerk ausgab. Jetzt fährt mein Bruder Auto und
er ist „ungenügsam“ geworden. Er will sich nicht mehr mit den bisherigen
Verhältnissen wie seine Eltern (in die 30 er und 40 er Jahre fallen die Geburts¬
tage von Vater und Mutter) „begnügen“. Auch drückt 30 und 40 die bis-
Drei Romane in Zahlen.
633
herige Zeit seiner Ehe aus. Er ist jetzt 45 Jahre alt und gemäss meiner
alten Kinderliebe will ich ihn ungenügsamer sehen und mir mit ihm mein
Heim blumiger gestalten. So mein Traumwunsch und die Erklärung für
das Auftreten der Kutschersfrau und ihr Gerede.
3 und 4. Die Zahlen 3 und 4 enthalten aber auch Anspielungen auf
die schwersten seelischen Verwundungen meines Lebens, soweit sie nicht
mit meiner Ehe zu tun haben, sondern sich in meiner Familie abspielen.
So liegt zwischen 3 und 4 meine erste Erinnerung.
Ich war 3 1 /2 Jahr, als ich das erstemal an meinem Vater irre wurde,
wie ich wegen der Eselsgeschichte durchaus um Verzeihung bitten sollte.
3 + 4 = 7. In mein siebentes Jahr fällt mein erster Angstanfall mit
dem Traum vom schwarzen Mann. Ich war damals so furchtbar davon
betroffen, dass ich Schelten erntete statt Liebe und Tröstung, als ich in
meinem grauenvollen Zustand nach dem Vater rief. Ich hatte „gestört“!
Dann war es wieder zwischen 30 und 40, nämlich in meinem 34.
Lebensjahr, als mir in meinem Elend ein kurzer Unterschlupf im Hause
meines Vaters verweigert wurde; das Kind war durch sein Kranksein zum
lästigen Störenfried geworden. Kein Wunder, dass mein Bruder nur mit
Mühe und Not meinen verzweifelten Selbstmord verhindern konnte. —
Nun aber soll ein reicheres Leben beginnen. Mit alle dem, was diese
Zahlen ausdrücken, will auch ich mich nicht mehr begnügen. Aber mein
Schicksal steht als drohendes Mene Tekel an der Schwelle von 1912 (vgl.
Anfang) und dies Schicksal will ich mit all seinem selbstgeschaffenem Elend
ruhig und tapfer tragen, so wie Sie es mich gelehrt haben. (Heilungstraum.}
Ich möchte es bildlich so darstellen:
29 Ehe 92
10
Die Zahlen 29 und 92 (mein Hochzeitsjahr) rahmen es ein, und in
der Mitte steht die 10 1 ), das Datum meines Verlobungstages und des Geburts¬
tages meines Mannes. Der fällt auf den 10. 1. und 10 + 1 gibt 11,
(gleich 2 + 9). So wird mein Mann (10 + 1) mit gleicher Zahl die Fort¬
setzung meines Vaters (2 + 9).
Zu 29 als Schicksalszahl sind nun noch weitere Belege zu ver¬
zeichnen. Dass die Quersumme von meines Vaters Geburtsdatum 29 ist,
sagte ich schon. 17. 2. 1837 = 29.
Aber auch meiner Mutter Todestag hat die gleiche Quersumme:
21 . 10. 1897 = 29, und enthält übrigens auch die zweite Zahl, die
10 in sich.
Der Hochzeitstag der Eltern fiel auf den 25. 4. — Quersumme 29.
Mein Vater starb am 12. 7. — Quersumme 19 und zwar nach der
Mutter, also als 2. und der Tod ergibt die Auflösung = 0. Diese 4 Zahlen
i) Ich füge hinzu, dass 10 das Symbol der Ehe selbst ist, die Nebeneinander¬
stellung von 1 (Phallus) und 0 (Vagina).
634
Dr. Marcinowski.
1, 9, 2 und 0, aus denen sich 2910 zusammensetzt. Kein Wunder, wenn
ich danach dem Jahre 1920 als einem für mich vielleicht sehr kritischen
entgegensehe.
2910 1920
Von dem Geburtstagsdatum meines Vaters ausgehend, versuchte ich dann,
welche Zahl sich bei Ihrem Geburtstag, Herr Dr., ergab. Nach alledem war
ich schon nicht mehr überrascht, dass auch die Quersumme dieses Datums
(13. 11. 1868) 29 ergab. Ist das nicht wie eine Bestätigung meiner Über¬
tragung des väterlichen Idealbildes auf ihre Person und wie ein Beleg zu
der inneren Berechtigung dazu? (ganz wie bei Fall I, vgl. Seite 626).
Und nun hatte ich einen weiteren Einfall. Es lockte mich, die
Anzahl der Buchstaben von den Worten „Sanatorium Haus Sielbeck
am Uklei“ zusammenzuzählen, und siehe, auch das ergab 29 !
Dasselbe versuchte ich mit Ihrem Namen, wie er auf dem Titelblatt
ihrer Bücher steht, und auch da kamen 29 Buchstaben heraus. Dasselbe
probierte ich nun erst bei ihrer Frau und dann bei meinen Familienange¬
hörigen und stets mit dem gleichen überraschenden Ergebnis.
Hier die Tabelle:
1. Sanatorium Haus Sielbeck am Uklei.29.
2. Dr. med. J. Marcinowski, Haus Sielbeck . ..29.
3. Helene Marcinowski, Haus Sielbeck.29.
4. mein Vater: Dr. med. Wilh. 1 ) Erich Schulze 2 ) in Berlin . 29.
5. meine Mutter: Manon Schulz e-Lange man n in Berlin . . 29.
6. mein Mann: Hermann Johannes Müller, in Berlin ... 29.
7. ich selbst: Marie Müller, geb. Schulze in Berlin .... 29.
8. dazu: Sohn August Wilhelm Müller, Berlin .29.
9. mein ältester Bruder: Dr. med. E. Schulze, prakt. Arzti. Berlin 29.
10. seine Frau: Emma Schulze geb. Alberti in Berlin ... 29.
11. meine Schwester: Auguste Madretzki-Schulze, Danzig . . 29.
12. ihr Mann: Direktor Karl Madretzki in Danzig .... 29.
13. mein 2. Bruder: Privatdozent Dr. E. Schulze, Breslau . . 29.
14. seine Frau: Verena Schulze-Pranitz in Breslau .... 29.
15. meine 2. Schwester: Louise Mendelsohn-Schulze, Berlin . 29.
16. ihr Mann: Dr. jur. Berthold Mendelsohn, Berlin .... 29.
Alle diese Zahlen ergaben sich ohne weiteres Probieren bei der ersten
Niederschrift und sind nicht etwa die Auswahl des Zutreffenden aus einer
Reihe von spielerischen Versuchen. In mir muss also die Tatsache bereits
festgestellt gelegen haben, als die Einfälle mich auf forderten, das zu versuchen.
Hier etwas hinzuzufügen wäre abschwächen.
1) Mein Vater pflegt seinen Vornamen stets so abzukürzen.
2) Die Namen der Familienmitglieder sind selbstverständlich durch andere von
genau gleicher Buchstabenzahl ersetzt; die Vornamen sind zum Teil unverändert.
Drei Romane in Zahlen.
635
Mein Vater 17. 2.
Meine Mutter 25. 7.
Mein Bruder
Mein Mann
Ich selbst
Mein Junge
2 . 1 .
10 . 1 .
27. 4.
21 . 6 .
= 3] [5 + 3 + 3 = 11
Noch eine kleine Zahlen Spielerei möchte ich hieran anschliessen. Die
Geburtstage meiner Familienangehörigen und die Quersummen der Daten sehen
folgendermassen aus:
1837 = 29
1847 = 34
1867 = 25
1857 = 23
1871 = 30
1893 = 30
Man sieht, die endgültigen Quersummen sind bei meiner Mutter und ihrem
ältesten Sohne dieselben, nämlich beidemal 7, und auch bei mir und meinem
Jungen dieselben, beidemal 3, und die Zahlen von mir und meinem Mann
und meinem Jungen zusammen ergeben die Zahl meines Vaters 11.
So gut wie ich übrigens aus den Quersummen von meines Vaters
Geburtstag 2 + 9 = 11 machen kann, kann ich auch umgekehrt 9 — 2 = 7
nehmen und erhalte damit die Zahlen von Mutter und Bruder mit ihrem
inneren Gehalt von 3 + 4.
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass ich in der „fröhlichen
Wissenschaft“ von Nietzsche zwei Lieblingsstellen habe, die Sternenfreund-
schaft und die Media vita. Die beiden Aphorismen tragen die Nummern
279 und 324, darin ist sowohl die 2 ... 9, als auch die 3 ... 4 enthalten.
Zum Schluss noch kurz einen dritten Zahlentraum von ganz ähnlichem Auf¬
bau. Auch er gehört zu denen, die ich Heilungsträume nenne, d. h. die
Patientin befindet sich in der Ablösung von der Übertragung auf den Arzt
und drückt das im Traum aus. Sie lebt in unverstandener nnd unbefriedigter
Ehe, und hatte in den letzten Jahren Angstzustände und Zwangsvorstellungen.
Es war mir gelungen, einen grossen Teil davon bereits aufzulösen und vor
allem das Verhältnis der Ehegatten untereinander wesentlich zu ändern, da
der Mann auf meine Darlegungen sehr gut einzugehen verstand.
Traumtext:
Es war in H., ich ging mit meinem Mann auf dem „Breiten¬
weg“. Wir kamen an der Luisenschule vorbei, wo ich zur Schule gegangen
bin. Es gongte gerade dreimal. Ich hatte das Gefühl, als ob es das
Sanatorium (Lebensschule) wäre, aber ich war schon lange fort. Ich sagte
zu meinem Mann: „Lass uns mal dort Vorbeigehen, vielleicht treffen wir
dort Bekannte.“ Wir mussten erst durch die Schule durch und dann mussten
wir durch einen Weg, der vom Regen aufgeweicht war und worin man versank.
Wir konnten nur mühsam vorwärtskommen. Als wir den Weg beinahe
beendet hatten und er anfing, besser zu werden, bemerkte ich plötzlich, dass
ich meinen Ring verloren hatte. Ich sagte es meinem Mann und der sagte:
„Der Herr hier, der gerade etwas auf hebt, hat ihn vielleicht gefunden.“ Ich
drehte mich um und sah, wie sich ein Herr gerade bückte. Ich frug ihn,
ob er meinen Ring gefunden hätte. Darauf gab er ihn mir. Mein Mann
zog ein Taschenbuch heraus und sagte: „Damit sie glauben, dass uns auch
der Ring gehört, hier steht es aufgezeichnet (Datum unklar), ein Ring mit
einem Smaragd und 26 Brillanten.“ Dabei ein Menschenauflauf, der sich
sofort zerstreute. Mein Mann fasste in die Tasche und ich hörte Geld
Zdntralblatt für Psychoanalyse. II 18 .
45
636
Dr. Marcinowski,
klappern, und hatte das Gefühl, mein Mann wollte ihm Geld zur Belohnung
geben. Ich sagte darauf: „Geld kannst Du dem doch nicht geben, lass Dir
doch die Adresse sagen.“ Der Herr sagte sie auch, aber ich weiss sie
nicht mehr. Wir gingen weiter und ich dachte: „der Weg war so dunkel
und aufgeweicht, dass du den Bing nie wieder bekommen hättest, wenn der
Herr ihn nicht sofort gefunden hätte. —
Erkl ärung:
Der Traum versetzt sie in ihre Heimatstadt H.. in der sie sich
im Gegensatz zu ihrem jetzigen Wohnort sehr wohl gefühlt hat. Das drei¬
malige Gongen erinnert sie an unseren hiesigen Tafelruf, und zugleich an
die Tatsache, dass sie „drei“ Kinder habe. Zu Bing: bringt sie als Einfälle
das Volkslied „Ach, wie ist’s möglich dann“, und die Stelle aus der Glocke:
„Mit dem Gürtel, mit dem Schleier“. — Das drückt den Beginn ihrer Ehe
aus, die Verlobung (Liebeslied) und dann die Erkenntnis, dass sie sich ge¬
täuscht habe. — Der Wahn riss entzwei! Sie wirft schliesslich den Bing
fort oder verliert ihn, was auf dasselbe herauskommt. Das bedeutet: die
innere Gemeinsamkeit der durch den Bing verbundenen Ehe ist verloren
gegangen. Es kam ihr in der „Lebensscbule“ des Sanatoriums eigentlich erst so
recht zum Bewusstsein, wieweit diese Entfremdung gediehen war und in welchem
„Sumpf“ sie sich zu verlieren gedroht hatte. Mühsam ging der dunkle Weg der
Analyse durch den „aufge weichten“ Boden, bis es allmählich besser wurde. —
Der Mann, der den Bing aufhebt und ihr wiedergibt, bin ich. Das
Gespräch wegen des Finderlohnes bezieht sich auf eine Erörterung mit ihrem
Mann, bei der sie festgestellt hatten, dass es sich mit Geld nicht belohnen
liesse, was ich an der Frau getan hätte. Der Gatte macht seine Besitz¬
rolle an der Ehefrau geltend, die ihm ein Wertstück, ein Schatz von Edel¬
steinen dünkt, der Träumerin ein erwünschter Beweis seiner Liebe. — Es
stecken selbstverständlich noch eine Menge Einzelheiten hinter diesen Bildern,
die ich aber unerörtert lasse, weil ich hier nur das Wesentliche für die
Analyse der Zahlen herausholen will. Die Schule wurde als Lebensschule
übrigens auch der Ehe gleichgesetzt. Der Weg durch diese malt also ncch
mehr, als bloss die Arbeit der analytischen Behandlung. Der Bing gilt ihr
ferner nicht nur als verlorenes Glü ck, sondern auch als die damit ver¬
lorene Gesundheit, und diese Verdichtung in ein Symbol bedeutet ihr
den inneren Zusammenhang von beiden.
Nun zu den Zahlen: Die Patientin hat seit ihrer Kindheit eine
eigentümliche Zwangsneigung: Wo sie Zahlen sieht, an Taxameterdroschken
z. B., da muss sie die Quersumme davon ziehen und ist totunglücklich, wenn
eine ungerade Zahl dabei herauskommt. Sie muss dann solange an anderen
Zahlen weiter probieren, bis sie eine Zahl mit gerader Quersumme erwischt:
dann erst ist sie ruhig. Diese Zwangshandlung ist eine Art Orakelfrage an
den lieben Gott, ob er ihr gnädig sei oder nicht. Als Kind hatte sie deutlich
das Gefühl, nun sei alles gut und wieder in Ordnung, sobald das Orakel
mit einer geraden Zahl antwortete. Augenscheinlich liegt irgend eine kind¬
liche Schuldphantasie dem zugrunde, die ich indessen über Wichtigerem noch
nicht herausanalysieren konnte.
Ganz im Gegensatz zu dieser Zwangsneigung, die sie bei der Erörte¬
rung des Traumes völlig vergessen hatte, erschien ihr vor einigen Tagen, als
die Patientin des Falles I mit ihr davon sprach, die Zahl 9 auch als ihre
Drei Romane in Zahlen.
637
ausgesprochene Lieblingszahl, ohne dass sie dafür Gründe anzugeben ver¬
mochte. 7 und 13 dagegen waren ihr unangenehm.
In der nächsten Nacht träumte sie prompt ihren ersten Zahlentraum.
Sie sah auf der Strasse einen Gegenstand liegen, ein Herz in Goldpapier
fest eingewickelt. Sie war sehr bange, dass irgend ein anderer es eher be¬
merken würde wie sie selbst. Es gelang ihr, es vor den anderen zu erreichen,
hob es auf und steckte es rasch und heimlich zu sich. Zu Hause an ge¬
kommen, sah sie, dass es die Nummer 913 trug und ein Schlüsselloch hatte.
Der Schlüssel von ihrem Schmu c kk asten (!) passte dazu, sie schloss
auf und wollte nachsehen, was in dem Herzen drin war, — da wachte sie
zu ihrem grossen Bedauern auf, ehe sie den Inhalt feststellen konnte.
Das Herz 913 enthält sowohl Glück (9) wie Unglück (13) und ist
zusammengenommen 9 + 1 + 3 = 13, also auch gerade nichts Glückver-
heissendes. Viel mehr hatte sich damals nicht ergeben.
Jetzt aber sollte die Zahl in ihrer ganzen Bedeutung zutage treten.
Sie hatte augenscheinlich im Unbewussten (nicht etwa in der Bewusstheit)
gegen lü Tage lang daran gearbeitet, diese Zahlenbeziehung im Geheimen
festzustellen. Nun erschien plötzlich der Traum und die Einfälle kamen
nacheinander heraus, wie ich sie hier gebe. Auch sie sind, wie bei den
beiden anderen Träumen, dadurch gekennzeichnet, dass nur solche Einfälle
kamen, die das positive Ergebnis 9 hatten. Fehlversuche, wie man sie, im
Bewusstsein spielend, dann leicht macht, waren nicht darunter.
Nun zu den Zahlen selbst. Die Patientin besitzt nun tatsächlich einen
Ring mit einem grossen Smaragd, um den herum 26 kleine Brillanten grup¬
piert sind. Niemals ist sie auf den Gedanken gekommen, diese winzigen
Sternchen zu zählen, was übrigens auch sehr mühsam ist. Sie war äusserst
erstaunt darüber, dass ihr Unbewusstes im Traum von der Zahl Kenntnis
hatte, und sehr verblüfft, dass der Traum mit den tatsächlichen Verhältnissen
übereinstimmte. An diesen Ring knüpften sich peinliche Erinnerungen für
die Ehegatten, die die Frau noch nicht verwinden konnte. Die 26 + 1 Steine
= 27 ergeben wieder als endgültige Quersumme 2 + 7=9, und die übrigen
Einfälle erweisen diese Zahl wie in dem anderen Traume als Schicksals¬
zahl. Übrigens mit 26 Jahren'(26 Brillanten) wurde siekrank. Das 7. Jahr,
in dem sie den Ring geschenkt erhalten hatte, war 1908 = 27 und 2 = 7 = 9.
Das Geschenk hätte also eigentlich ein glückbringendes sein sollen. Das
hätte auch gestimmt, wenn das Geschenk, wie erwähnt am 24. 12. 1908
gemacht worden wäre. (2 + 4 + l + 2 + l-|-9+8 = 27 und 2 + 7=9.)
Aber das richtige Datum, der 31. 12. 1908 ergibt nur 25, d. h. 2 + 5 = 7,
also eine Unglückszahl. Gottlob hat die Träumerin damals nichts davon
geahnt, sonst hätte ihr die Bedeutung der damit verknüpften Erlebnisse noch
schwerwiegender auf der Seele gelastet.
Dieses Datum, der 31. 12. 1908 ist wohl stellvertretend für das im
Traum „vergessene“ zu setzen.
Weitere Einfälle der Patientin ergaben noch:
Auch das Wort „Sylvester“ hat übrigens . . . . = 9 Buchstaben.
Mein Geburtstag fällt auf den 22. 12. 1874 = 27 = 9 „
Wir waren „Zwillinge“, dieses Wort hat . = 9 „
Ich heisse „Elisabeth“, macht ebenfalls . . = 9 „
Ihre Vaterstadt „H.“, desgleichen . . = 9 „
Die Strasse, auf der der Traum spielt, der „Breite
Weg“ hat.=9 „
45*
638
Dr. Marcinowski, Drei Romane in Zahlen,
Daher wird es nicht mehr wundern, dass der 8. Oktober, d. h. der Tag,
an dem sie in Sielbeck eintraf, dieselbe Zahl enthält, nämlich 8 + 10 = 18
und 1 + 8 = 9.
Ihre drei Kinder sind geboren am 30. 3., 19. 3. und 13. 4. Zusammen-
gezählt: 30 + 19 + 13 + 3 + 3 + 4 = 72 und 7 + 2 = 9.
Nun zählte sie die Buchstaben ihres Vornamens und Vater¬
namens in Zahlenwerte umgesetzt, wie die Träumerin I, zusammen. Das
ergab die Summe von 151 = Quersumme 7; nein, unverheiratet wollte sie
nicht bleiben.
Nun vertauscht sie in der Ehe den Namen des Vaters mit dem des
Mannes, der hat 2 Punkte mehr, also 153 und 1 + 5 + 3 = 9. Aber wie
das Herz Nr. 913 geteilt war in die Zahlenwerte 9 und 13, so auch ihre Ehe.
Der Hochzeitstag war am 9. 2. 1895 gewesen. Teilen wir das in die
Werte 9 und 2. 1895, so ergibt das für die zweite Hälfte die Quersumme
25 und 2 + 5 = 7.
Das entspricht also den Werten 9 und 13 im ersten Traum.
Das ganze Hochzeitsdatum zusammengerechnet ergibt 34 und 3 + 4 = 7.
Nein, glückbringend war der Tag bisher nicht gewesen; aber von nun
an solle die 9 herrschen in ihrem Leben!
II.
Experimentelle Träume 1 ).
Von phil. Dr. Karl Sclirütter, Wien.
Ich habe eine grosse Versuchsreihe auf dem Gebiete der experi¬
mentellen Träume entriert, über welche an dieser Stelle zum ersten
Male literarischer Bericht erstattet wird. Nur wenige Proben sollen hier
wiedergegeben werden. Ebenso werde ich es vermeiden, theoretische
Schlüsse zu ziehen. Dieselben werden in der seinerzeit in Buchform
erfolgenden Publikation zu finden sein.
Zum Zwecke der Experimente wurden die Versuchspersonen in
den tiefen hypnotischen Schlaf versetzt, der bekanntlich durch vollständige
Bewusstlosigkeit und nachträgliche Amnesie gekennzeichnet ist. Darauf
habe ich ihnen entsprechende Traumsuggestionen erteilt. Nach Verlauf
von etwa 4—5 Minuten fingen die Medien spontan zu träumen an. Auf
meinen Befehl gaben die Personen Beginn und Ende des Traumes durch
bestimmte Bewegungen zu erkennen, so dass die Dauer des bewussten
Traumvorganges exakt gemessen werden konnte. Nach dem Erwachen
wurde der Inhalt des Traumes mitgeteilt. In einer anderen Versuchsreihe
träumten die Medien in der auf den Experimentalabend folgenden Schlaf¬
nacht. In diesen Fällen wurde — ebenfalls auf Grund einer posthypno¬
tischen Suggestion — der Traum in der Frühe von den Versuchspersonen
aufgeschrieben und mir übergeben.
Die Experimente zerfallen in zwei Gruppen.
1. Gruppe: Den Versuchspersonen wurden 3—7 Worte als Vor¬
stellungserreger mitgeteilt und dazu der Befehl, von ihnen zu träumen.
D Diese Publikation gilt als vorläufige Mitteilung.
pbil. Dr. Karl Schrötter, Experimentelle Träume.
639
Weiter wurden Vorstellungen mit wirklichen oder suggerierten Leibreizen
kombiniert. Diese Versuchsreihe entstand auf Anregung des Dozenten
der Wiener Universität Dr. Hermann Swoboda, der bereits vor
3 Jahren den praktischen Zahnarzt Herrn Eduard Wolf (gegenwärtig
in Zabern i. Eisass) veranlasste, einige Experimente im selben Sinne zu
unternehmen. Die 1. Gruppe kann das Interesse der Psychoanalytiker nur
teilweise in Anspruch nehmen. Unter diesem Gesichtswinkel habe ich
eine Auswahl getroffen, die im folgenden mitgeteilt wird.
1 . Experiment. Hier tritt ein aktueller Komplex (Wunsch¬
phantasie) mit besonderer Klarheit hervor.
Versuchsperson Herr Fr., stud. phil., 22 Jahre.
Suggestion: Sie werden träumen: vom Nobelpreis, von Herrn
Mayer, Leutnant H., Stalehner, dem Bilde: Die Hochzeitsreise von Schwind
und dem Hause auf dem Michaelerplatz (das vom Architekten Loos erbaute).
Leib reiz: Die linke Hand der Versuchsperson wurde unter das
Gesäss gerückt, so dass der Arm einwärts gerollt und in Schiefstellung
gebracht wurde.
Traumdauer: 3 Minuten 16 Sekunden.
Traum (in der Hypnose): Ich stehe vor einem Marmorhaus
mit grünen Marmorplatten. Ich will eintreten. Der Portier verlangt von
mir eine Karte. Wie mir schien: eine Eisenbahnkarte. Ich habe keine.
Da kommt Mayer und sagt, er wolle mich mitnehmen, er gehe für seinen
Bruder den Nobelpreis abholen, und zwar den für Chemie. Die Situation
verwandelt sich. Ich stehe auf einem dreieckig zugespitzten Platz, wo
ein Militärbegräbnis stattfindet. Mir gegenüber wieder ein marmornes
Haus. An einem Glasfenster Fräulein E., welche die Scheiben putzt, in
einem schwarzen Harlekinskostüm. Sie putzt mit der linken Iland in
der Stellung (Sie wissen ja!) so schief nach einwärts, wie sie immer
geht. Ich gehe in eine Seitengasse und begegne Sie. Sie tragen ein grosses
Bild und sagen: Das ist die Hochzeitsreise von Schwind.
Analyse (die notwendig unvollständig ist, da ich die Technik
der Traumanalyse nur unvollkommen beherrsche): Herr F. ist ganz be¬
herrscht von dem Komplexe seiner Liebe zu Fräulein E. Diese aber
ist die Geliebte des Leutnant H., der F. aufgegeben wurde. F. rächt sich
an dem Nebenbuhler, indem er ihn sterben lässt, denn statt von ihm,
träumt er von einem — Militärbegräbnis. Und in der Nähe befindet sich
Fräulein E. in einem schwarzen Harlekinskostüm. Schwarz bedeutet die
Trauer um den Toten. Das Harlekinkostüm ist wohl zum Teil darch das
Suggestionswort Stalehner bedingt, wo Maskenbälle stattfinden, die F.
besucht hat. Andererseits wird aber durch die Gegensätzlichkeit der
Kleidung jener Schimmer von Hoffnung zum Ausdruck gebracht, der F.
nach Hinwegräumung des Gegners übrig bleibt. Deswegen kommt auch
die Hochzeitsreise am Schlüsse. Zu Beginn des Traumes konnte F. nicht
fahren. Er hatte keine Eisenbahnkarte. Man beachte noch die Schmähung,
die darin liegt, wenn F. Fräulein E. zum Dienstmädchen erniedrigt, sowie
die geschickte Verwertung des Leibreizes im selben Sinne (die „schiefe
Stellung“). Auch das Scheibenputzen ist determiniert. Nicht allzu lange
Zeit vor dem Traume wurde der Leutnant im Militärspitale auf Syphilis
behandelt. Die Diagnose erwies sich später als irrtümlich. F. zweifelte
aber innerlich an dieser Richtigstellung und meinte einmal scherzweise:
640
phil. Dr. Karl Schrötter,
„Wenn der sich auf eine Glasscheibe setzt, entsteht ein Quecksilberspiegel.“
Den muss E. nun abputzen. Daher auch der Pleonasmus: Glasfenster.
2. Experiment. An diesem Versuche kann — mutatis mutandis
— die feine Verwebung der Tagesanknüpfungen demonstriert werden.
Versuchsperson Herr Fr.
Suggestion: Sie werden träumen von einem Biber, der franzö¬
sischen Revolution, Rom, einer elektrischen Lampe, von einem Bilde,
das in meinem Zimmer hängt, und von einem Schmuckkästchen.
Traumdauer: 3 Minuten.
Traum (in der Hypnose): Ich fahre in einem Kahn auf einem
grossen dunklen Teich allein; plötzlich sitzt neben mir eine Dame; wir
fahren, es wird heiss. Marmorbauten umgeben uns ringsumher: Wir sind
in Rom. Und dann bin ich wieder auf dem Teich und komme auf eine
weite Ebene, wo eine elektrische Bahn fährt. Da drängen Leute darauf
zu. Ich frage einen Herrn in einem braunen Pelz, was da los sei. Er
sagt: Wir fahren zur französischen Revolution. Ich erkläre ihn für einen
Narren. Er bekräftigt es aber und fordert mich auf mitzufahren. Wir
kommen nach Paris. Ich steige aus und gehe ins Theater, wo gerade der
erste Akt der Jungfrau von Orleans gegeben wird.
Bemerkung: Kahn am Teich: Auf 2 Bildern, die in meinem
Zimmer hängen, sind Teiche (besser kleine Seen) abgebildet. Auf dem
einen ist es finster als Ausdruck eines heranziehenden Gewitters.
Elektrische Lampe als elektrische Bahn realisiert. Gedränge
der Leute: vielleicht durch eine Reproduktion von Rembrandts Schar-
wache, die in meinem Zimmer hängt, suggeriert. Brauner Pelz =
Biber pelz; in unserem Falle eine literarische Assoziation. Jungfrau
von Orleans: In meinem Zimmer befindet sich ein Bildnis Schillers.
Hauptsächlich jedoch bedingt durch das Schmuckkästchen, das im
I. Akt 4. Auftritt Agnes Sorel dem Könige bringt.
3. Experiment. Um die Wirkung der Klangassoziationen zu
zeigen.
Versuchsperson Frl. B., stud. med., 20 Jahre.
Suggestion: Sie werden träumen: von Frl. Vlasta Mach, von
dem med. Zänker und von dem Sänger aus dem anatomischen Institut
(ebenfalls ein stud. med., dessen Namen ich nicht kannte, wohl aber
Versuchsperson, wie sich zeigen wird). Alle drei Personen werden sich
auf Grund von Klangassoziationen ihrer Namen in etwas anderes ver¬
wandeln. Sie werden beim Träumen nichts davon wissen. Darauf erteilte
ich ihr eine Belehrung darüber, was Klangassoziation sei.
Traum (in der folgenden Nacht): Sie wollten eine musikalische
Soiree geben und versprachen mir viel Schönes; ich kam. Anwesend waren
Dr. P., Frl. M., Vlasta Mach, der Werner Seifert (Namen des singenden
stud.) und der med. Zänker. W. Seifert sang sehr schön aus Siegfried.
Da fingen Seifenblasen an, ihm aus dem Munde zu steigen. Zänker fing
sie auf und spielte Tennis mit ihnen; indessen verwandelte er sich in
einen gewissen Zamirowits, eine Bekanntschaft vom Tennisplätze. Seifert
ging nach und nach ganz in die Seifenblasen auf. Da sagte ich Ihnen:
Sie als Chemiker müssen doch wissen, wie das möglich ist. Darauf ant¬
worteten Sie: Da müssen Sie einen Drogisten fragen. Woher soll ich den
Drogisten nehmen? Da sehe ich plötzlich, wie statt Vlasta Mach, d. h.
Experimentelle Träume.
641
in ihrer blauen Bluse der Drogist sitzt, bei dem ich einzukaufen pflege:
es schien mir, als ob er Wlastl Mladenov heisse — — — —.
Bemerkung: Die Situation schliesst genau an einen der letzten
Abende an, wo alle anwesenden Personen anwesend waren ausser
Werner S. und med. Zänker, den ich Frl. B. am selben Tage vorgestellt
hatte. 'Siegfried hatte Versuchsperson vor drei Tagen in der Oper
gehört. „Da müssen Sie einen Drogisten fragen“ ist die
nahezu wörtliche Wiederholung des Ausspruches eines Professors. Es
ist schliesslich eine charakteristische Eigentümlichkeit der suggerierten
Träume, dass der Hypnotiseur darin eine Rolle spielt. Ich als Che¬
miker: Ich selbst bin mag. pharm.
4. Experiment. Frl. B. In der folgenden Nacht.
Suggestion: Im ersten Teil des Traumes wird alles abnorm
klein, im zweiten abnorm gross sein.
Traum: Wir (Sie, Fr. und ich) sitzen heim Wimberger. Sie
hypnotisieren mich. Ich weiss nichts von mir. Wie ich erwache, steht
ein Pfaffe vor mir und sagt: Die Seele gehört dem Himmel und muss
vor Ihnen gerettet werden und ähnliches. Ich sage nichts. Sie antworten:
„Das ist ja meine Frau!“ Darauf der Pfaffe: Eher geht ein Kamel durch
ein Nadelöhr, als die Ihre Frau ist. Ich sage: „0, durch ein Nadelöhr
kann ich schon kriechen“; darauf ziehe ich eine grosse Nadel heraus
und krieche durch. Indem ich das tue, werde ich so klein, wie ein
kleiner Finger. Darauf sagen Sie zu mir: „Sie müssen das ja auch können,
Sie Gletscherfloh!“ Dann gehen wir alle fort. Wir sind ganz klein und
geben zwischen unsere Schultern — wir sind eingehängt — eine Lupe,
damit wir uns sehen können. Da bitte ich Sie um eine Zigarette. Sie
nehmen eine heraus, die ist ungeheuer gross, ebenso die Zündholzschachtel
— wie ein Haus. Wir gehen auf den Stephansplatz. Dort ist ein Plakat:
3 Worte: Gessler, Altvater, Jägerndorf. Ich sage: Gehen wir auf den
Bisamberg; mit 3 Schritten (einer über die Donau) sind wir dort. Denn
wir sind durch die Lupe ungeheuer gross geworden.
Bemerkung: Am Vorabend waren wir im Restaurant Wim¬
berger, wo ich die Unvorsichtigkeit beging, die Dame coram publico zu
hypnotisieren. Darüber regten sich zwei Herren auf, denen ich ant¬
wortete: Frl. B. ist ja meine Frau.
Also wieder eine wörtliche Wiederholung. Auch das: „Sie
Gletscherfloh“ stammt vom Vorabend. Ein Angeheiterter rief ihr
— sie ist sehr klein — dieses Scherzwort zu. Eingehängt sind wir
drei nach Hause gegangen. Von einer Lupe hat der Angeheiterte ge¬
sprochen. Am Bisamberg war sie selbigen Tages. Dort hat sie auch
einen Geistlichen getroffen. Auch das Plakat ist eine Tages¬
anknüpfung.
Die 2. Gruppe habe ich ganz selbständig in Angriff genommen.
Ihr liegt die Freud’sche Fragestellung zugrunde. Ein latenter Traum¬
inhalt, ähnlich jenen, die Freud und seine Schule durch ihre Methode
der Traumanalyse entdeckt haben, wird als Traumsuggestion verwendet.
Die Technik des Experimentes ist die nämliche wie in Gruppe 1. Es
muss ausdrücklich bemerkt werden, dass die Versuchspersonen Freud’s
Forschungen nicht kannten, noch vom Sinne ihrer Träume eine Ahnung
hatten.
642
phil. Dr. Karl Schrötter,
5. Experiment. Versuchsperson Frl. B.
Suggestion: Sie werden träumen, dass Sie mit Ihrem Freunde B.
sexuell verkehren und zwar zunächst auf normale und dann auf ab¬
normale Weise. Sie haben die Suggestion zu vergessen und dann
symbolisch davon zu träumen. Eine weitere Erklärung wurde
nicht gegeben.
Traum (in der Hypnose): Ein Sonntagnachmittag. Ich erwarte
meinen Freund B., dessen Namenstag wir gemeinsam feiern wollen. Er
bringt eine Flasche Wein mit, in einen Mantel eingeschlagen. Auf seine
Bitte nehme ich ein Glas aus der Kredenz und halte es ihm hin, er schenkt
ein. Dabei erschrecke ich, schreie auf und lasse das Glas fallen, so dass
es zerbricht und der Wein weit über den Fussboden verschüttet wird. Ich
ärgere mich sehr über B., weil er mir den Teppich ganz verdorben habe.
Da tröstet er mich: „Ich werd’s schon wieder gut machen, gib mir noch
ein Glas her, dass ich einschenken kann.“ Ich hole ein zweites Glas,
in das er mir mit Vorsicht noch den Rest aus der Flasche giessen will.
Aber heim ersten Tropfen, der in das Glas rinnt, reisst er die Flasche weg.
Bemerkung: Die eigentümlichen, schwer zu beschreibenden,
wollüstigen Bewegungen der Träumerin gehörten deutlich dem latenten
Inhalt an.
6. Experiment. Versuchsperson Frl. B.
Suggestion: Sie werden träumen, dass Sie mit einem Manne
auf französische Weise verkehren. (Der Versuchsleiter wusste, dass ihr
diese Art des Verkehrs unter dem wiedergegebenen Namen bekannt sei.)
Hinzugefügt wurde diesmal nichts.
Traum (in der Hypnose): Mir war, als ob sich vom oberen Augen¬
rand eine Masse über mich senken würde, die mich am Sehen verhinderte
und sich dann wie schwere Flügel über meine Schultern senkte. Ich
hüllte mich ganz darin ein, als ob es ein Domino wäre und ging auf einen
Maskenball, um B. zu suchen. Ich trat ein. Ein Gewimmel von Menschen,
die durcheinander schwirrten, Lärm, Gestank, Kerzen brannten. Da sah
ich — eigentlich sah ich nichts — B. in einer Ecke mit einem Frauen¬
zimmer. „Ah, Du bist da, ich wusste, dass Du kommen wirst.“ Dann
wollte er mir die Hand geben, zog sie aber wieder zurück und suchte in
den Taschen nach seinen Handschuhen. Er fand sie nicht. Da nahm er
eine Zigarette heraus und steckte sie in den Mund. Ich wollte sie ihm
entreissen und verbrannte mich dabei heftig. Er sagte: „Was machst Du
denn da?“ -
Traumdauer: 4 Minuten 5 Sekunden.
Bemerkung: Die Dame führte spontan den ersten Satz des
Traumes auf einen starken Kopfschmerz zurück, der sie vor Beginn der
Hypnose tatsächlich bedrückte. Sicherlich ist dieser Reiz verwertet, doch
ist die Symbolisierung der Stellung bei dem Akte vollkommen klar. (Flügel
über die Schultern = Beine; Masse = fremder Körper, sowie das „nicht
sehen können“.) Man beachte noch: das Gewimmel der Menschen = Ge¬
heimnis nach Freud und die brennenden Kerzen. Zum Tatsächlichen
muss noch bemerkt werden, dass an dem Experimentabend ihr Freund B.
eine Redoute besuchte und sie den Wunsch äusserte, ihn dort zu über¬
raschen.
Experimentelle Träume.
643
7. Experiment. Versuchsperson Frl. E., mag. pharm., 24 Jahre.
Suggestion: Sie werden träumen, dass Sie mit Ihrer Freundin L.
homosexuell verkehren. Sie werden die Suggestion vergessen und dann
träumen. (Kein Auftrag zur Symbolisierung.)
Traum (in der folgenden Nacht): Ich sitze in einem kleinen,
schmutzigen Kaffeehause, in der Hand eine riesige französische Zeitung.
Ausser mir sind fast keine Leute da, nur ein paar Hausierer. Zweimal
fragt mich ein Weib mit stark jüdischem Jargon: „Bedarfen Se nix zu
gebroochen?“ Ich antworte gar nicht und verschanze mich hinter meine
Zeitung. Da kommt sie ein drittes Mal; ärgerlich lege ich das Blatt aus
der Hand, da erkenne ich in ihr eine Bekannte, L.; in der Hand trägt sie
eine schäbige Reisetasche, worauf ein Zettel klebt, bedruckt mit den
Worten: „Nur für Damen!“ Angezogen ist sie wie ein altes Weib, mit
schmutzigen Lumpen, ein Tuch um den Kopf. „Magst Du nicht mit mir
kommen, ich bin auf dem Weg nach Hause.“ Ich verlasse mit ihr das
Kaffeehaus, wir gehen durch unbekannte Strassen, finden uns aber bald
in Mariahilf, wo sie wohnt. Unterwegs hängt sie sich in mich ein, mir
ist es zwar unangenehm, aber ich will sie nicht kränken und dulde es.
Vor ihrem Haus zieht sie aus einem Fetzen einen riesigen Schlüsselbund
hervor, sucht einen Schlüssel heraus und gibt ihn mir. „Den vertraue
ich nur Dir an; er sperrt die Tasche hier. Du wirst ihn vielleicht gerne
benutzen. Nur schau, dass ihn mein Mann nicht in die Hand bekommt,
das vertrag ich nicht; er ist so indiskret und will immer in meinen Sachen
herumkramen, aber ich kann das nicht leiden.“ „Ich versteh kein Wort,
was Du da redest.“ „Verrat mich nur nicht, mein Mann darf nichts er¬
fahren.“ Dann geht sie ins Haus und lässt mir den Schlüssel in der Hand.
Bemerkung: Frl. L., die Freundin, ist Jüdin, Träumerin arischer
Abkunft.
8. Experiment. Versuchsperson Frl. E.
Suggestion: Sie werden träumen von der Erfüllung des stärksten
Wunsches, der Sie gegenwärtig beherrscht.
Leib reize: 1. Versuchsleiter strich zweimal mit seiner Hand
über die Mitte des Unterarms der Dame. 2. Desgleichen zwickte er sie
zweimal in die Knöchel des linken Fusses. Das geschah während des
Träumens.
Vorbemerkung: Ich kannte den stärksten Wunsch der Ver¬
suchsperson. Es ist dieselbe Dame, die im Traume des Herrn F. (siehe
1. Experiment) eine Rolle spielt. Sie liebte einen Leutnant, doch war
an eine Verbindung aus äusseren Gründen sclrwer zu denken.
Traum (in der Hypnose): Ich fahre nach Dalmatien. Meine Mutter
und Leutnant H. sind mir bis Gravosa entgegengekommen. Vom Molo aus
gehen wir in einem Wildbach (der aber eigentlich zu unserer Campagne
in Lastua gehört); da der Weg sehr schlecht ist, hänge ich mich in den
Leutnant ein. Mit den Worten: „Damit Du mit keinem anderen Arm in
Arm gehst“, zerhaut er mir mit dem Säbel den linken Arm und zwar
der Länge nach. Es fängt an, heftig zu regnen. Wir sollten nach Hause.
Da klemme ich mir in einer Felsspalte den linken Fuss ein, meine Mutter
geht fort, um einen Schirm zu holen, unterdes wickelt mich H. in seinen
Wettermantel; und wir bleiben allein, um meine Mutter zu erwarten.
644
phil. Dr. Karl Schrötter,
Bemerkung: Schon die Fahrt nach Dalmatien bedeutet die
Wunscherfüllung. Denn Leutnant H. weilte dort. Die Mutter protegierte
das Verhältnis, doch waren die jungen Leute in ihrer Gegenwart nie auf
dem „Du“-Fusse. Die Worte „Damit Du mit keinem anderen . . enthalten
eine wichtige Beziehung zur Übertragung, worüber später.
9. Experiment. Versuchsperson Frl. E.
Suggestion: Träumen Sie, was Ihren gegenwärtigen psychischen
Status symbolisiert.
Traum (in der Hypnose): Ich gehe durch einen herbstlich ge¬
färbten Wald. Dann steigt der Weg an, es ist kalt und eisig. Neben mir
geht jemand, den ich nicht sehe; ich fühle nur einen Händedruck; da
verspüre ich einen starken Durst. Ein Quell rauscht daneben. Ich will
trinken, da ist über dem Quell ein Zeichen wie auf den Giftfläschchen.
Knochen, die sich überkreuzen und ein Totenkopf.
Bemerkung: der Traum gibt die unglückselige Stimmung wieder,
in der sich Versuchsperson befand, als sie erfuhr, dass Leutnant H.
syphilitisch sei.
10. Experiment. Versuchsperson Herr Fr.
Suggestion: Träumen Sie, dass Sie mit Ihrer Stiefmutter sexuell
verkehren. In verkleideter Form.
Traumdauer: 2 Minuten.
Traum (in der Hypnose): Mein Vater ist gestorben und liegt auf¬
gebahrt in einem grossen Sarge. Da kommt ein junges Mädchen herein,
die ich nicht kenne. Ich fange mit ihr zu tändeln an und werde hand¬
greiflich. Sie wehrt ab und sagt, sie sei meine Schwester. Da steht auf
einmal hinter mir mein Vater und sagt mir etwas, was ich nicht ver¬
stehe; und durch die Türe kommt mein kleiner Bruder herein.
Bemerkung: Herr Fr. hat seine Mutter in frühem Kindesalter
verloren. Seit 10 Jahren hat er eine Stiefmutter, von der nur ein Kind
stammt: der kleine Bruder, wie er ihn stets nennt. Schwestern hat Fr.
keine. Doch ist es bemerkenswert, dass er seine Jugendgedichte stets an
eine „Schwester“ richtete.
Ich habe fernerhin die Symbolisierung körperlicher Vorgänge
untersucht.
11. Experiment. Versuchsperson Frl. B.
Vorbemerkung: Die Dame leidet an hartnäckigem Kopfschmerz,
den ich ihr gelegentlich in der Hypnose wegnahm.
Suggestion: Sie werden davon träumen, wie das Kopfweh
schwindet.
Traum: Ich gehe auf dem Ring mit einem riesig grossen Hut, der
im Winde flattert und den er mir zu entreissen droht. Ich halte ihn, aber
er fliegt weg und alle Leute sehen mich an. Da steige ich in ein vorbei¬
fahrendes Automobil; es mussten aber Rosshaare in dem Polster sein;
denn es ritzte die Hände.
Bemerkung: Das letzte Moment ist durch einen Leibreiz bedingt,
indem ich die Schläferin an den Handflächen kitzelte.
12. Experiment. Versuchsperson Herr Fr.
Suggestion: Sie haben Zahnschmerz und leichten Harndrang.
Im Verlaufe von 5 Minuten werden Sie etwas träumen.
Experimentelle Träume.
645
Traum: Wir waren im Prater beim Watschenmann. Den habe
ich so lange gehaut, bis sein Gesicht immer grösser und grösser wurde.
Dann sind wir in einem Kahn in ein Wirtshaus gefahren, wo wir viel
getrunken haben.
Traumdauer: 1 Minute 20 Sekunden.
Bemerkung: Die Symbolik des Kahnfahrens ist klar. Der Schluss
enthält die Motivierung des Harndrangs.
Wie bereits angedeutet, habe ich auch das Phänomen der „Über¬
tragung 1: (vom Medium auf den Hypnotiseur) beobachtet. Diese Er¬
scheinung wird durch den folgenden Fall illustriert.
13. Experiment. Frl. B.
Vorbemerkung: Frl. B. sollte zu den Ferien verreisen, wollte
aber in Wien bleiben. Darauf bezieht sich die
Suggestion: Sie werden träumen von der Erfüllung Ihres
Wunsches, hierzubleiben.
Traum (in der folgenden Nacht): Ich packe meinen Koffer zur
Abreise. Unter der Wäsche fällt mir ein Handtuch durch seine Faltung
auf. Ich versuche, darauf wie auf einer Ziehharmonika zu spielen. Da
das nicht gelingt, werfe ich das Handtuch wütend auf den Boden, setze
mich zum Schreibtisch und schreibe auf grossen Konzeptbogen seitenlang
immer ein und dasselbe Wort. Ich stehe dabei unter dem Eindrücke, eine
Zwangshandlung zu vollziehen. Daher halte ich mich für irrsinnig und
will mir das Leben nehmen. Den Versuch, mir mit einer Nagelfeile die
Pulsadern zu durchfeilen, gebe ich auf, denn eigentlich ist’s nicht so
arg mit meiner Verrückheit. Aber ich setze ein Telegramm auf: „Kann
nicht nach Hause kommen. Bin paralytisch. Diskretion Ehrensache.“
Hauptsächlich kommt es darauf an, dass niemand von meinem Zustande
etwas merkt. Besonders muss ich mich vor Dr. Schrötter als Psychologen
hüten. Am besten, er erfährt von meinem Entschluss, in Wien zu bleiben,
gar nichts. Da erhalte ich einen Brief von Ihnen: „Es wird mich freuen,
am Ostermontag mit Ihnen einen Ausflug zu machen, etwa nach Steinhof.
Um 8 Uhr bei der Universität.“ Da dachte ich, Sie wollten mich in die
Irrenanstalt bringen. Sie lauern mir auf, ich wage mich nicht auf die
Strasse. Aber das früher aufgesetzte Telegramm muss ich doch aufgeben!
Voll Angst verlasse ich das Haus, finde vor dem Tor einen Einspänner,
in dem Sie mich erwarten. Mit Gewalt ziehen Sie mich in den Wagen,
halten meine Hände fest umklammert und starren mich -— wie hei der
Hypnose — unverwandt an. Mir wird unter diesem starren Blick fürchter¬
lich unheimlich, meine Angst steigt und steigt, ich mache mich los, reisse
den Wagenschlag auf und springe bei voller Fahrt aus dem Wagen. Im
Stürzen fängt mich ein Bekannter, ein Regimentsarzt, auf.
Bemerkung: Der Traum wendet sich in seinem Tone ganz an
mich. Die Dame selbst bringt folgende Einzelheiten bei: Am Vortage hat
sie Wäsche geordnet, in einem Lokale Ziehharmonika spielen gehört und
ein Gespräch am Nebentische belauscht, wo von verschiedenen Wahn¬
sinnsformen die Rede war. Sie hat ferner spielerisch unbewusst Figuren
auf ein Papier gezeichnet, und als sie es bemerkte, gesagt: „Verrückt!“
Deutlich ist der Sinn des Traumes: Wenn ich verrückt werde, kann ich
hierbleiben. Die Verrücktheit wird in enge Beziehung zur Hypnose ge-
646
phil. Dr. Karl Schrötter, Experimentelle Träume.
bracht. (Populär: Durch Hypnose wird man verrückt.) Sehr klar ist auch
der Durchbruch einer Schwangerschaftsphantasie (bei Versuchsperson keine
Seltenheit). Hierher gehört: „Diskretion Ehrensache“ und „dass niemand
von meinem Zustande etwas erfährt“. Gewisse Rücksichten verbieten es,
über diesen ziemlich leicht verständlichen Traum mehr Licht zu ver¬
breiten.
Zum Schlüsse berichte ich noch einen Wecktraum.
14. Experiment. Frl. E.
Suggestion: Sie sind sehr müde, es ist morgens und Sie sind
erst spät nach Hause gekommen. Ich werde in ein paar Minuten durchs
Zimmer gehen. Davon werden Sie erwachen.
Traum: Ich sitze in der Universitätsbibliothek und bin über dem
Buche eingeschlafen. Der Diener geht fortwährend auf und ab und bringt
Stösse von Büchern. Damit weckt er mich auf. Ich schimpfe und sage:
So lassen Sie mich doch schlafen, aber er kommt immer wieder.
Mitteilungen
i.
Selbstbestrafung wegen Abortus.
Yon Dr. J. E. Gr. von Emden, Haag (Holland).
Frau X., aus gutem bürgerlichen Milieu, ist verheiratet und hat
mehrere Kinder. Sie ist zwar nervös, aber brauchte nie eine energische
Behandlung, da sie dem Leben doch genügend gewachsen ist. Eines Tages
zog sie sich in folgender Weise eine momentan ziemlich imponierende,
aber vorübergehende Entstellung ihres Gesichtes zu.
In einer Strasse, welche zurecht gemacht wurde, stolperte sie über
einen Steinhaufen und kam mit dem Gesicht in Berührung mit einer
Hausmauer. Das ganze Gesicht war geschrammt, die Augenlider wurden
blau und ödematös, und da sie Angst bekam, es möchte mit ihren Augen
etwas passieren, liess sie den Arzt rufen. Nachdem sie deswegen beruhigt
war, fragte ich: „Aber warum sind Sie eigentlich so gefallen?“ Sie er¬
widerte, dass sie gerade zuvor ihrem Manne, der seit einigen Monaten
eine Gelenkaffektion hatte, wodurch er schlecht zu Fuss war, gewarnt
hatte, in dieser Strasse gut aufzupassen, und sie hatte ja schon öfters
die Erfahrung gemacht, dass in derartigen Fällen merkwürdigerweise ihr
selber dasjenige passierte, wogegen sie eine andere Person gewarnt hatte.
Ich war mit dieser Determinierung ihres Unfalles nicht zufrieden
und fragte, ob sie nicht vielleicht etwas mehr zu erzählen wusste. Ja, —
gerade vor dem Unfall hatte sie in einem Laden von der entgegengesetzten
Seite der Strasse ein hübsches Bild gesehen, das sie ganz plötzlich als
Schmuck für die Kinderstube sich wünschte und darum sofort kaufen
wollte: da ging sie geradeaus auf den Laden zu, ohne auf die Strasse zu
achten, stolperte über den Steinhaufen und fiel mit ihrem Gesicht gegen
die Hausmauer, ohne einmal den leisesten Versuch zu machen, sich mit
den Händen zu schützen. Der Vorsatz, das Bild zu kaufen, war gleich
vergessen und sie ging eiligst nach Hause.
„Aber warum haben Sie nicht besser zugeschaut?“ fragte ich.
„Ja“, antwortete sie, „es war vielleicht doch eine Strafe! Wegen
der Geschichte, welche ich Ihnen schon im Vertrauen erzählt habe.“
„Hat diese Geschichte Sie denn immer so gequält?“
„Ja — nachher habe ich es sehr bedauert, mich selbst boshaft,
verbrecherisch und unmoralisch gefunden: aber ich war damals fast ver¬
rückt von Nervosität.“
643
Dr. J. E. G. Emden, Selbstbestrafung wegen Abortus.
Es hatte sich um einen Abortus gehandelt, welchen sie mit Ein¬
verständnis ihres Mannes, da sie beide wegen den pekuniären Verhältnissen
von mehr Kindersegen verschont bleiben wollten, von einer Kurpfuscherin
hatte einleiten und von einem Spezialarzt hatte terminieren lassen.
„Öfters machte ich mir den Vorwurf: aber du hast doch dein Kind
töten lassen, und ich hatte Angst, dass so etwas doch nicht ohne Strafe
bleiben konnte. Jetzt da Sie mir versichert haben, dass mit den Augen
nichts Schlimmes vorliegt, bin ich ganz beruhigt; ich bin nun so wie so
schon genügend gestraft.“
Dieser Unfall war also eine Selbstbestrafung einerseits um für ihre
Untat zu büssen, andererseits aber um einer vielleicht viel grösseren un¬
bekannten Strafe, für welche sie monatelang fortwährend Angst hatte, zu
entgehen.
In dem Augenblick, als sie auf den Laden losstürzte, um sich das
Bild zu kaufen, war die Erinnerung an die ganze Geschichte mit all ihren
Befürchtungen, welche schon während der Warnung ihres Mannes sich in
ihrem Unbewussten ziemlich stark regte, ganz dominierend geworden und
hätte vielleicht in einem etwa derartigen Wortlaut Ausdruck finden können.
iVber wofür brauchst du einen Schmuck für die Kinderstube, du
hast dein Kind umbringen lassen! Du bist eine Mörderin! Aber gewiss,
die grosse Strafe naht!
Dieser Gedanke wurde nicht bewusst, aber statt dessen benutzte sie
in diesem, ich möchte sagen psychologischen Moment die Situation, um
den Steinhaufen, der ihr dafür geeignet schien, in unauffälliger Weise
für die Selbstbestrafung zu verwenden: deswegen streckte sie beim Fallen
auch nicht einmal die Hände aus, und war sie nicht stark erschrocken.
Die zweite, wahrscheinlich geringere Determinierung ihres Unfalles ist
wohl die Selbstbestrafung wegen dem unbewussten Beseitigungs¬
wunsch gegen ihren, allerdings in dieser Affaire mitschuldigen Manne.
Dieser Wunsch hatte sich verraten durch die vollkommen überflüssige
Warnung, in der Strasse ja gut aufzupassen mit dem Steinhaufen, da der
Mann, eben weil er schlecht zu Fuss war, sehr vorsichtig ging.
H.
Ein Fall von „clejä vir 1 .
Von Dr. S. Ferenezi (Budapest).
Eine Patientin erzählt mir in der Analysenstunde einen Traum aus
ihrer Brautzeit; ihr Bräutigam erschien ihr damals mit kurzgeschorenem
englischem „Zahnbürsten-Schnurrbart“. Unmittelbar vor dieser Traum¬
erzählung sagte mir die Patientin, wie sehr und wie unangenehm sie durch
das Geständnis ihres Bräutigams berührt worden sei, dass die Männer
nicht, wie die Frauen, „jungfräulich“, sondern nach verschiedentlichen
erotischen Erfahrungen die Ehe schliessen. Auf meine Frage, was ihr
zur Zahnbürste einfalle und ob sie an der Mundpflege des Bräutigams nichts
auszusetzen hatte, gesteht sie mir, dass er tatsächlich manchmal „nach
schlechtem Magen“ gerochen hätte. Ich kombiniere die gelieferten Ein-
Dr. S. Ferenczi, Ein Fall von „ddjä vuV
649
fälle und gebe der Vermutung Ausdruck, dass diese Geruchsempfindlich¬
keit bei ihr wohl auch durch die ihr unangenehme Vorstellung gesteigert
worden sein konnte, der Bräutigam könnte den Geruch anderer Frauen
an sich tragen. In diesem Moment ruft die Patientin aus: „Das, was jetzt
hier vorgeht, ist mir pünktlich so einmal schon vorgekommen. Ihre Worte,
Ihre Stimme, diese Möbel gerade in dieser Ordnung, alles war schon einmal
da!“ Ich erkläre ihr, dass das der bekannte psychische Eindruck des
„dejä vu“ sei, und eine Bestätigung meiner Vermutungen bedeuten könne.
„Ja, wir (ich und meine Schwestern) kannten diesen Vorgang schon als
Kinder“, sagte die Patientin, „wir pflegten zu sagen: wahrscheinlich
kommen uns Dinge manchmal so bekannt vor, weil wir sie irgend einmal,
wo wir noch Frösche waren, gesehen haben können.“ Ich mache
die Patientin darauf aufmerksam, dass sie, wie sie noch „ein Frosch“
(Embryo) gewesen sei, tatsächlich in intimster Berührung mit einem
Frauenleib (mit dem der Mutter) sich befunden hätte und zwar in der
Nähe von Organen und Exkreten, deren Geruch ihr (wie ich es schon
weiss) sehr widerwärtig ist. Daraufhin bringt mir die Patientin einige
ihrer infantilen Sexualtheorien (Storchfabel mit Froschteich, Geburt auf
analem Wege etc.) und eine Reminiszenz an den Körpergeruch der Mutter,
den sie verspürte, wenn sie sich in ihr Bett legen durfte.
Den Traum, das „dejä vu“ und die Einfälle dazu konnte ich dann
als wertvolle Bestätigungen der von mir lange vermuteten ziemlich starken
(unbewussten) homosexuellen Fixierung der Patientin verwerten, die sich
im Bewusstsein u. a. auch in übertriebener Aversion gegen Frauengerüche
äusserte. Zugleich bekräftigte der Fall meine bei früheren Anlässen ge¬
machte Erfahrung, dass zwischen „dejä vu“ und Traum oft ein intimer
Zusammenhang besteht. Allerdings fand ich bisher diesen Zusammenhang
nur zwischen dem „dejä vu“ und einem Traume der ihm voraus¬
gegangenen Nacht; dieses Beispiel zeigt aber, dass auch längst
vorausgegangene Träume mit einem aktuellen „dejä vu“ Zu¬
sammenhängen können. Nehmen wir die ursprüngliche Erklärung Freud’s
hinzu, wonach die Sensation des „dejä vu“ zumeist die Erinnerung an
einen unbewussten Tagtraum bedeutet, so können wir zusammen¬
fassend sagen: das „dejä vu“ ist den „passageren Symptom¬
bildungen“ (s. dieses Zentralbl. Juli-Heft 1912) zuzuzählen und
bedeutet immer eine Bestätigung aus dem Unbewussten.
Interessant ist auch die infantile Theorie meiner Patientin über das
„dejä vu“. Diese führt das unerklärliche Bekanntheitsgefühl auf ein früheres
Leben zurück, in dem ihre Seele im Körper eines anderen Tieres (Frosch)
gesteckt habe. Die Vermutung Freud’s, dass es eine solche Theorie
geben könnte, bestätigt sich also 1 ).
Man kann übrigens die seit undenklichen Zeiten so hartnäckig
verteidigte Lehre von der Seelen Wanderung als mythologische Pro¬
jektion der sich uns immer bestimmter auf drängenden Erkenntnis auf fassen,
dass die menschliche Seele unbewusste Erinnerungsspuren der phylogenen
Entwicklung beherbergt.
U Freud, Psychopath, d. Alltagslebens. (S. Karger, Berlin. IV. Aufl.)
650 Frau Dr. Marg. Stegmann, Ein Fall von Namen vergessen.
III.
Ein Fall von Namenvergessen.
Von Frau Dr. Marg. Stegmann, Dresden.
Eine Studentin der Theologie erzählte mir, ihre Schwester sei zu
ihr zu Besuch gekommen; sie habe sich aber immer befangen gefühlt,
wenn sie sie mit Kollegen bekannt gemacht habe, denn sie hätte mit ihnen,
die nur zu fachsimpeln verstanden, nicht reden können. Zum erstenmal
sei sie nicht eingeschüchtert worden, sei etwas aus sich herausgegangen,
als sie heute mit ihr eine Doktorin der Physik besucht habe, die sehr
nett über allgemeine Fragen geplaudert hätte. Die Kollegin wollte den
Namen der Physikerin nennen, hatte ihn aber zu ihrem grossen Erstaunen
total vergessen und musste ihn erst auf einer Visitenkarte wieder nach-
lesen. Die Theologin hatte vorher mit mir über Freud gesprochen, von
dessen Theorien sie einiges, ihr unglaublich dünkendes gehört lind ge¬
lesen hatte. Ich schlug ihr vor, das Vergessen dieses Namens mit ihr
zu analysieren, um zu sehen, wieweit ihre Aufrichtigkeit gegen sich
selber gehe und um ihr die Richtigkeit der Freu d’schen Ansicht über
das Vergessen zu beweisen.
Als ich sie zunächst nochmals die Umstände des Besuches bei der
Physikerin genau erzählen liess, sagte sie, die Dame sei in Schwarz ge¬
wesen, denn ihr Vater sei kürzlich gestorben. Mit dieser Bemerkung war
für mich der Fall aufgeklärt. Die Schwester der Theologin lebt in einer
kleinen Stadt bei ihren Eltern. Die Mutter ist geisteskrank (wahrscheinlich
manisch-depressiv), lebt aber im Hause, weil der Vater sie durchaus nicht
in eine Anstalt geben will. Die Schwester ist gezwungen, der Pflege der
Mutter zu leben, hat keinerlei geistige Anregung und kann nichts lernen.
Dem Vater verbirgt sie, dass sie unter dem Zustand leidet; nur wenn die
Studentin in die Ferien kommt, macht sich ihre Entbehrung Luft m einer
Explosion von Schmerz. Die Theologin selbst empfindet den Zustand
der Schwester um so schmerzlicher, als sie sich sagt, dass sie die Be¬
vorzugte ist und dass ihre Schwester studieren könnte, wenn sie es nicht
täte. Der Tod des Vaters würde die Schwester frei machen, denn die
Mutter könnte dann in einer Anstalt versorgt werden. Ursache des Namen¬
vergessen s war also der beim Anblick der um ihren Vater trauernden
Physikerin in meiner Bekannten aufgestiegene und sofort verdrängte
Wunsch, ihr Vater möchte sterben, ein Wunsch, der natürlich mit den
religiösen und menschlichen Grundsätzen der Theologin aufs schärfste
kontrastiert. Im Verlauf der Analyse war der Dame bezeichnenderweise
eingefallen, ich meine wohl, sie hätte gewünscht, dass statt des Vaters
der Physikerin ihre Mutter hätte sterben sollen. Aber, fiel ihr selber
sofort ein, für ihre Schwester hätte das nichts geändert, weil sie dann
doch beim Vater bleiben müsste. — Der Name der Physikerin unterscheidet
sich nur durch einen Buchstaben von meinem Namen, was ein Motiv
mehr zur Verdrängung gewesen sein mag, da die Theologin oft mit mir
über den Konflikt der Schwester gesprochen, und ich die Ansicht vertreten
hatte, es sei nicht richtig, dass ein ganzes junges Leben und eine Zukunft
für ein altes geopfert werde.
Dr. Rudolf Reitler, Zwei Versprechen, von denen das zweite das erste deutet. 651
IV.
Zwei Versprechen, von denen das zweite das erste
deutet.
Von Dr. Rudolf Reitler, Wien.
Einer meiner Patienten befand sich in einem deutlichen Konflikt
zwischen Ablehnung der Freu d’schen Lehren und deren Anerkennung.
Er war einer jener sich überschlau dünkenden Menschen, welche immer
mit überlegenem Lächeln die Gescheiteren sein und deshalb von vorn¬
herein die Möglichkeit nicht zugeben wollen, dass ein anderer mehr von
ihrem inneren Seelenleben ergründen könnte, als sie ohnedies von sich
selbst schon wüssten.
Nun häuften sich aber die Beweise für die Richtigkeit der psycho¬
analytischen Arbeitsmethode derart, dass mein Patient — allerdings unter
beständiger Wahrung seines ungläubigen Standpunktes — denn doch seiner
Hochachtung vor den geistvollen Konzeptionen Freud’s Ausdruck ver¬
leihen musste. Aber bei aller Anerkennung der Genialität vertrat er doch
noch immer die Meinung, die Dinge müssten doch nicht gar zu kom¬
pliziert erklärt werden, es könne alles viel einfacher zugehen. Zum Be¬
weise für diese „einfachen“ Erklärungsmöglichkeiten erzählte er mir eines
Tages triumphierend folgendes Versprechen.
Er habe soeben in einer Apotheke gegen seinen Stockschnupfen
Form an-Watte kaufen wollen. Der Apotheker riet ihm aber, er solle es
lieber mit einer Bormentholsalbe versuchen, von der bloss ein stecknadel¬
kopfgrosses Teilchen in die Nasenöffnungen eingerieben werden dürfe.
„Also nur spinatkopfgross?“, fragte der Patient, indem er die kleine
Salbentube misstrauisch betrachtete, „und das soll schon wirken?“ „Nur
stecknadelkopfgross“, korrigierte der Apotheker. „Nur spinatkopfgross?“,
wiederholte kopfschüttelnd mein Patient und merkte erst durch das Ge¬
lächter der Umstehenden sein hartnäckig festgehaltenes Versprechen.
Schliesslich liess er sich doch die schon von ihm erprobte Forman-
Watte geben, da er zu dem neuen Mittel kein rechtes Vertrauen hatte
und beschloss auf dem Wege in meine Ordination, mir sofort dieses Ver¬
sprechen zu erzählen, zum Beweise, wie „einfach“ alles erklärt werden
könne. Er habe nämlich gerade vorher in einer Restauration zu Mittag
Spinat gegessen und dadurch sei doch sein Versprechen ohne weiteres
hinlänglich verständlich.
„Das Spinatessen“, erwiderte ich, „kann doch Ihnen an und für
sich keinen gar so starken Eindruck gemacht haben, dass damit Ihr späteres
Versprechen in der Apotheke genügend erklärt wäre; da muss noch etwas
anderes dahinter stecken.“ „Absolut nicht“, sagte der Patient und lächelte
höhnisch triumphierend. Dieses überschlaue Lächeln kannte ich schon.
Es trat immer dann auf, wenn der Patient einerseits zwischen Misstrauen
zu den Lehren und andererseits Hochachtung vor der Person Prof. F r e u d’s
hin- und herpendelte. Ich schloss somit, dass „der Spinat“ irgend etwas
Zentralblatt für Psychoanalyse. II J *. 46
652 Dr. Rudolf Reitler, Zwei Versprechen, von denen das zweite das erste deutet.
direkt mit der Person Freud’s zu tun haben müsse. Und nun fiel mir
ein, den Patienten zu fragen, ob er nicht vielleicht in der Arbeit F r e u d’s
„Über den Traum“ (Grenzfragen zwischen Nerven- und Seelenleben) jenen
Traum gelesen habe, in dem der Professor an der Table d’höte sitzt, es
wird Spinat gegessen usw.
„Richtig ja!“ sagte der Patient, „und ich erinnere mich jetzt sogar
ganz deutlich, dass ich mir heute mittags, in der Restauration, als ich
im Zweifel war, welches Gemüse ich wählen sollte, nur deshalb Spinat
bestellte, weil ich gerade vorher im Freud den Spinat gelesen hatte.“
Jetzt wäre an mir die Reihe gewesen, überlegen zu lächeln, aber
bevor ich meine Befriedigung äusserte, frug ich zur Vorsicht nochmals:
„Was haben Sie im Freud gelesen?“
„Den Spinat habe ich gelesen“, wiederholte arglos mein Patient.
Er hatte sich also zum zweiten Male versprochen oder präziser
ausgedrückt einen charakteristischen, stilistischen Fehler gemacht. Richtig
hätte er ja doch sagen müssen: „Ich habe ,über‘ oder ,vom Spinat 4 ge¬
lesen“, tatsächlich aber sagte er, er habe im Freud „den Spinat“ ge¬
lesen. Mein Patient verfügte sonst über eine geradezu tadellose Rede¬
gewandtheit, und als ich ihn auf seinen lapsus linguae aufmerksam machte,
wollte er ihn zuerst abstreiten, musste aber, nachdem ich ihn an die
von mir provozierte Wiederholung erinnert hatte, schliesslich doch zu¬
geben, dass die fehlerhafte Stilisierung einer unterdrückten Schmähungs¬
tendenz entsprang.
In Wien und wohl auch in ganz Süddeutschland dient „Spinat“
ebenso wie „Kohl, Holler, Kraut und Rüben“ zur geringschätzigen Be¬
zeichnung eines minderwertigen Geistesproduktes. Wenn daher mein
Patient sagte, er habe im Freud „den Spinat“ gelesen, so drückte er
damit seine Ablehnung aus und zwar in einer unziemlich geringschätzigen
Form, die er sich im Bewussten nie gestattet hätte.
Die psychischen Zusammenhänge waren nunmehr klar. Am Vor¬
mittage empfand er bei der Lektüre der Traumdeutung Zweifel und Miss¬
trauen, und als er dann in der Restauration ebenfalls in eine Zweifel¬
situation geriet, nämlich welches Gemüse er wählen sollte, wurde aus
naheliegenden Gründen die Erinnerung an den „Freud’schen Spinat“ ge¬
weckt. Und später wurde ihm schliesslich in der Apotheke statt der
erprobten Forman-Watte eine ihm unbekannte Salbe empfohlen, die ihm
kein rechtes Vertrauen einflösste. Und dieses Misstrauen in die Pleil-
wirkung war das tertium comparationis, welches die Parallele zu der
Freud’schen Psychoanalyse herstellte und zu dem Versprechen „spinat¬
kopfgross“ statt „stecknadelkopfgross“ führte.
Die Analyse wäre jedenfalls nicht so beweiskräftig ausgefallen,
wenn der Patient in der Ordination nicht das zweite Versprechen pro¬
duziert hätte, in welchem das Wort „Spinat“ in seiner herabsetzenden
Bedeutung angewendet worden war.
Ernst Marcus, Psychische Beeinflussung der Menstruation.
653
J.
Psychische Beeinflussung (1er Menstruation.
Von Ernst Marcus.
Ein Mädchen verliebt sich in einen Mann, wird jedoch durch ver¬
schiedene Umstände gezwungen, ein Jahr lang in einer anderen Stadt
zu leben als er. Dort bleibt ihr die Menstruation aus; der untersuchende
Arzt findet keinerlei organische Ursache. Nach 9 Monaten tritt die Men¬
struation wieder ein; das Ausbleiben hat somit Schwangerschaft, also
einen stattgehabten Koitus symbolisiert. Ihre Angabe, dass sie zu jener
Zeit noch keinerlei Koitusgedanken, überhaupt noch keine bewussten
sexuellen Phantasien gehabt hat, gewinnt dadurch einige Wahrscheinlich¬
keit, dass sie ohne weiteres zugibt, nach der Trennung recht intime Be¬
ziehungen zum Geliebten gehabt zu haben. Sie ist überhaupt gar
nicht prüde.
Dasselbe Mädchen erzählt von einer Bekannten, der auch die Men¬
struation 9 Monate lang ausgeblieben ist und sich dann von selbst wieder
einstellte. Über diesen Fall ist mir nichts Näheres bekannt.
In einem dritten Fall erscheint psychische Beeinflussung der Peri¬
odendauer wahrscheinlich. Ein Mädchen hat ganz regelmässig zu lange
Perioden, die Menstruation tritt um 3—4, manchmal auch um 7—8, ja
einmal um 10 Tage verspätet auf. Nun war sie einmal unvorsichtig und
lebt in der grössten Angst, die Menstruation könnte ihr ausbleiben. Sie
wird nervös, schaut sehr schlecht aus und fürchtet besonders für den
Fall, die Menstruation könnte sich wieder verzögern, in solche Angst
zu geraten, dass sie sich etwas antäte, obwohl vielleicht gar kein Grund
dazu vorhanden wäre. Die Menstruation tritt schon am 27. Tage auf.
Die Annahme, dass sie nur durch ihren intensiven Wunsch den Ablauf
der Periode beschleunigt habe, gewinnt dadurch an Wahrscheinlichkeit,
dass die nächsten Menstruationen wieder verspätet eintreten.
Schliesslich ist mir noch ein Fall bekannt, wo die Menstruation
infolge von Angst verfrüht kam. Ein Mädchen sollte einen nicht ganz
leichten Klettersteig gehen und schämte sich, ihre Angst ihrem Begleiter
zu zeigen. Im letzten Moment kam ihr die Menstruation um 8 Tage
verfrüht. An einen Abstieg auf diesem Wege war demnach nicht zu
denken. Ob der Vorgang nur den Sinn hatte, den Abstieg unmöglich zu
machen, oder ob es sich um einen Vorgang analog den Angstpollutionen
und Angstenuresen gehandelt hat, d. h. ob er auch lustbetont war, mag
dahingestellt bleiben. Hervorheben möchte ich nur, dass das Mädchen
unter jeder Menstruation ausnehmend schwer zu leiden hat.
Zum Schluss möchte ich noch bemerken, dass ich sehr wohl weiss,
dass in allen diesen Fällen die psychische Beeinflussung der Menstruation
nur wahrscheinlich, keineswegs aber gesichert ist.
46*
654
Referate und Kritiken.
Referate und Kritiken.
Bleuler, Dementia praecox oder Gruppe der Schizo¬
phrenie. Aus dem Handbuch der Psychiatrie Aschaffenburg’s.
Deuticke, Leipzig u. Wien 1911.
Bleuler hebt zuerst die Verdienste K r a e p e 1 i n’s hervor, welchem
man die Kenntnis der Krankheitsgruppe verdankt. „Ein wichtiger Teil des
Versuches, die Pathologie weiter auszubauen, ist nichts als die Anwendung
der Ideen F r e u d’s auf die Dementia praecox.“ (Ref. Züricher Schule,
speziell Jung neben Bleuler.) Bleuler verwirft den so oft miss¬
verstandenen Namen Dementia praecox und schlägt Schizophrenie
vor, weil die Spaltung der verschiedenen psychischen Funktionen eine
ihrer wichtigsten Eigenschaften ist. Somit wird das Psychologische in
der Betrachtung des klinischen Bildes in das Zentrum des Interesses
gerückt. — Zuerst werden die Grundsymptome, Störungen der ein¬
fachen Funktionen behandelt (in den Assoziationen: Verlust des Zusammen¬
hangs; Neigung zu Stereotypien, Sperrung. Affektivität: Gleichgültigkeit
bis zur scheinbaren gemütlichen Verblödung, Defekt der Modulationsfähig¬
keit, Verlust der Einheitlichkeit der Affekte). Bei den Störungen der zu¬
sammengesetzten Funktionen ist namentlich das Verhältnis zur Wirklich¬
keit gestört, das Binnenleben erhält ein krankhaftes Übergewicht (Autismus),
dann die sogenannte Demenz. „Der Schizophrene ist nicht blödsinnig
schlechthin, sondern er ist blödsinnig in bezug auf gewisse Zeiten, Kon¬
stellationen, gewisse Komplexe.“ Die intellektuelle Leistung wechselt mit
den Komplexen.
Das 2. Kapitel enthält die akzessorischen Symptome (Sinnes¬
täuschungen, Wahnideen, Gedächtnisstörungen, Alterationen der Persön¬
lichkeit etc.), die körperlichen Symptome, die katatonen Symptome und
die akuten Syndrome, welche sehr sorgfältig und systematisch behandelt
werden; in diesen 100 Seiten steht viel wertvolles psychoanalytisches
Material! Bleuler vertritt (2. Abschnitt) seine bekannte Einteilung der
Schizophrenie in die 4 Gruppen: Paranoid, Katatonie, Hebephrenie und
Schizophrenia simplex. Die Schizophrenie umfasst für ihn die Mehrzahl
der bisher als funktionell bezeichneten Psychosen; „sie ist nicht vor¬
läufig als Spezies einer Krankheit aufzufassen, sondern als Genus, im
gleichen Sinne wie die organischen Geisteskrankheiten“. „Innerhalb dieser
Gruppe kennen wir noch keine natürlichen Grenzen; was man bis jetzt
für Grenzen ausgab, sind Grenzen von Zustandsbildern, nicht von Krank¬
heiten.“ Bleuler erkennt keine absolute Abgrenzung nach dem Nor¬
malen, sondern im Gegenteil alle Übergänge der Schizophrenie zum Nor¬
malen. Latente Schizophrenien mit sehr wenigen Symptomen können unter
verschiedenen Einflüssen akut werden. Der K r a e p e 1 i n’sche präsenile
Beeinträchtigungswahn gehört zur Schizophrenie, ein grosser Teil der
ganz schlimmen Formen der Zwangszustände, der sogenannten juvenilen
Psychosen, ebenso. — Die Differentialdiagnose wird sehr ausführlich be¬
handelt. Von den Schizophrenen sind 90«/o erblich belastet; andere mög¬
liche ätiologische Momente werden besprochen; psychische Ursachen der
Krankheit selbst nimmt Verfasser als sehr unwahrscheinlich an; „psychi-
Referate und Kritiken.
655
sehe Erlebnisse können aber unzweifelhaft schizophrene Syndrome be¬
wirken“. Bleuler bekennt offen unsere gründliche Unwissenheit in
Sachen der wahren Ätiologie.Der 10. Abschnitt behandelt die
Theorie der Psychopathologie der Schizophrenie. Bleuler führt, wie
oben erwähnt, eine ganz neue Einteilung der Symptome (primäre und
sekundäre) ein. Fast die gesamte bis jetzt beschriebene Symptomatologie
der Dementia praecox ist eine sekundäre, in gewissem Sinne zufällige.
Zu den primären Symptomen zählt Bleuler gewisse körperliche Sym¬
ptome (gewisse Fälle von Hirnlähmung und Stoffwechselstörung, die
Pupillendifferenz, der Tremor in akuten Zuständen, Anomalien des Vaso-
motorius, die Ödeme), manche katatonen Anfälle und im psychischen ein
Teil der Assoziationsstörung, „soweit es sich um Herabsetzung und
Nivellierung der Affinitäten handelt“. (Bleuler spricht auch von einer
primären Lockerung der Assoziationen), Benommenheitszustände, manische
und melancholische Anfälle, mit Jahrmärker nimmt Bleuler als
wahrscheinlich an, dass eine Disposition zu Halluzinationen und zur
Stereotypie zu den primären Symptomen gehören. Auf dieser Grundlage
würden sich nach Verfassers Ansicht die bekannten sekundären Symptome
entwickeln, die psychischen Konflikte wickeln sich in einem schon spezi¬
fisch veränderten Milieu ab. „Die Spaltung ist die Vorbedingung der
meisten komplizierten Erscheinungen der Krankheit; sie drückt der ganzen
Symptomatologie ihren besonderen Stempel auf. Hinter dieser syste¬
matischen Spaltung in bestimmte Ideenkomplexe aber haben wir vorher
eine primäre Lockerung des Assoziationsgefüges gefunden, die zu einer
unregelmässigen Zerspaltung so fester Gebilde wie der konkreten Begriffe
führen kann. Mit dem Namen der Schizophrenie wollte ich beide Arten
der Spaltung treffen, die in ihren Wirkungen oft in eins verschmelzen.“
Die Genese des Inhaltes der Wirklichkeitstäuschungen (317—356)
enthält einen wichtigen Anteil B 1 e u 1 e r’s und J u n g’s am psycho¬
analytischen Aufbau der Dementia praecox-Symptomatologie. „Der sexu¬
elle Komplex steht meist im Vordergrund, bei vielen Kranken konnten
wir ausschliesslich sexuelle Komplexe finden. So sehr wir uns dagegen
sträubten, wurden wir um so sexueller in unserer Auffassung, je mehr
Erfahrung wir hatten. Ich muss namentlich gegenüber Einwänden, die
oft gemacht werden, betonen, dass wir uns mehr als genug gehütet haben,
die Kranken durch unsere Fragen auf das sexuelle Gebiet zu führen.
Immerhin kommen, namentlich bei Männern, seltener bei Frauen, auch
andere Komplexe zur Geltung, ohne dass die Sexualität anders dabei
beteiligt wäre, als wie bei jedem beliebigen Gedanken, der natürlich auch
seine Assoziationen an diesen grössten Ideen und Gefühlskomplexen hat;
bei einzelnen Männern wurde der sexuelle Komplex durch die anderen
gerade in den Hintergrund gedrängt. Trotz der vielen Einzelheiten, die
uns die Psychoanalyse aufgeklärt hat, wäre es noch zu gewagt, die ganze
Symptomatologie unter einem einheitlichen Gesichtspunkte zusammen¬
fassen zu wollen. Eine vorläufige Formulierung unseres Wissens mag
aber am Platze sein. Die in die Augen fallende Symptomatologie ist sicher
zum Teil (möglicherweise ganz) nichts anderes als der Ausdruck eines
mehr oder weniger verunglückten, Versuches, aus einer unerträglichen
Situation herauszukommen“ (Autismus, Dämmerzustände, Flucht in die
Krankheit). Zusammenfassend drückt sich Bleuler folgendermassen aus :
„Wir nehmen einen Prozess an, der direkt die primären Symptome macht;
G56
Referate und Kritiken.
die sekundären Symptome sind teils psychische Funktionen unter ver¬
änderten Bedingungen, teils die Folgen mehr oder weniger missglückter
oder auch geglückter Anpassungsversuche an die primären Störungen.“
Vielleicht ist die Hirnstörung auf eine schemische oder anatomische
Ursache zurückzuführen? So wirken am häufigsten beide Ursachen bei
Kreierung der psychotischen Symptomkomplexe zusammen. . . . „Was der
schizophrene Krankheitsprozess ist, das wissen wir nicht.“ Die Deutung
der anatomischen Befunde ist unbekannt. Die Therapie kann den
Umständen gemäss nur kurz behandelt werden: Erziehung und Herstellung
des Kontaktes mit der Wirklichkeit ist die allgemeine Aufgabe der Be¬
handlung.
Die Schizophrenie Bleulers ist ein grundlegendes Werk, welches
eine grosse Objektivität und ein umfangreiches Wissen (die Bibliographie
umfasst 850 Nummern) mit Vertiefung und Bereicherung des Stoffes
vereinigt. A. M a e d e r.
Drs. Menzerath et Ley, L’etude experimentale des asso-
ciations d’idees dans les maladies mentales. Imprimerie
van der Haeghen, Gand. Rapport presente au VI Congre beige de
Neurologie et de Psychiatrie.
Die Verfasser heben die Bedeutung der Assoziationsexperimente für
die Psychiatrie hervor. Die Methode hat den Nachweis der „unbe¬
wussten Assoziationen“ geliefert, ihren Einfluss auf das „soziale und
geistige Verhalten“ des Individuums, ihren Wert für die Erforschung der
Affektivität gezeigt. „Der Assoziationsversuch ist ein ausgezeichnetes
Instrument der Psychoanalyse geworden.“ Die Verfasser besprechen
kurz und bestätigen im ganzen die Resultate der Zürcher Schule; sie gehen
nirgends über dieselben hinausi). Aus diesem Grunde eignet sich das
Buch als erste Einführung für französische Leser in das grosse Gebiet
der Komplexforschung. Es ist schade, dass die Autoren vor der Deutung
der Symbole, welche in den von ihnen aufgenommenen Assoziationen
zahlreich vertreten sind, Halt gemacht haben; vieles wäre ihnen nicht
entgangen, was so deutlich zu sehen ist. Die belgischen Kollegen wollen
bei den Assoziationen der Dementia praecox - Kranken keine Äusse¬
rungen der Affektivität gefunden haben (im Gegensatz zu Jung). Dabei
vergessen sie, dass sie selbst verschiedene Male z. B. auf das Lachen
der Versuchspersonen aufmerksam gemacht haben, welches gewiss eine
Äusserung des Affektes ist; die von ihnen häufig nachgewiesene „Komplex¬
hemmung“ ist auch ein Affekt Vorgang. Wenn sie manchmal Komplexe
bei den Schizophrenen nicht gefunden haben, ist es einfach, weil sie sie
nicht gesehen haben; denn sie sind in ihren Assoziationen nachweislich
enthalten. Sie haben vor der Inkohärenz Halt gemacht, ohne sich zu be¬
mühen, diesen scheinbaren Unsinn zu enträtseln. Hinter den mehrfach
konstatierten „Wiederholungen“ des Reizwortes (Haftenbleiben) stecken
z. B. im Falle 5 deutliche Komplexäusserungen. Die 5. der Schluss¬
bemerkungen: Die Verlängerung der Assoziationszeit könne andere als
Komplexursachen haben, z. B. bei Kranken, welche einem besonderen Be-
l ) Die bekannte Arbeit des Utrechter Arztes Schnitzler gegen die Kom
plexdiagnostik wird als eine Experimentalstudie mit „manifester Voreingenommen
heit“ mit Recht charakterisiert.
Referate und Kritiken,
657
dürfnis gehorchen intelligente Antworten zu geben, beruht auf einem
Missverständnis. Diese Einstellung des Kranken ist eben der Ausdruck
eines Intelligenzkomplexes (deswegen die Verlangsamung), wie
der technische Ausdruck lautet. Dieser Komplex zwingt seinen Besitzer
ein besonderes Verhalten anzunehmen, das sich im Leben ebensowohl
wie im Experimente zeigt.
Menzerath und Ley haben den Wert der Assoziationen für eine
verfeinerte Diagnostik mancher unklaren Krankheitsbilder (Mischzustände
des manisch-depressiven Irreseins, latente Schizophrenien etc.) gut er¬
kannt und sich dessen bedient.
Die Verf. machen auf eine mögliche Fehlerquelle in der Aufnahme
der Assoziationen aufmerksam; nämlich die mehr oder weniger unbewusste
Betonung einzelner komplexanregenden Reizwörter seitens des Experi¬
mentators. Aus dem Grunde hat Menzerath die optische Methode
(mittels des Kartenwechslers) eingeführt und empfängt die Schallwellen
(die Reaktion) in einem R ö m e r’schen Schalltrichter. Durch diese tech¬
nische Vervollkommnung ist eine grössere Objektivität in der Führung des
Experimentes ermöglicht. Allerdings bleibt eine Seite der Frage un¬
beachtet, und zwar der Einfluss dieser komplizierten Apparate auf die
Einstellung des Kranken. Die Atmosphäre des Laboratoriums dürfte im
allgemeinen auf den Kranken nicht sehr günstig einwirken und dadurch
ein künstliches Element in das Experiment einführen, dessen Bedeutung
zu untersuchen wäre. Der Modus operandi J u n g’s ist so einfach und
natürlich wie möglich.
Trotz dieser geringen Einschränkungen ist das Werk Menzerath’s
und L e y’s sehr zu begrüssen. Es ist ein fruchtbarer Weg, den die Autoren
gehen. A. M a e d e r.
Psychische Studien. Monatliche Zeitschrift. 3. Heft, 39. Jahrgang.
Leipzig, Oswald Mutze.
Das Heft enthält unter anderem einen Aufsatz von Schrenck-
Notzing: „Die Phänomene des Mediums Linda Gazerra“, in dem der
Verfasser — ohne die mediumistische Fähigkeit der genannten Lalienerin
zu negieren — doch die bisher veröffentlichten Beweise hierfür als un¬
genügend bezeichnet. Ausserdem findet sich eine Mitteilung von Dr. Franz
Freudenberg über K r a 1 l’s Buch „Denkende Tiere. Beiträge zur
Tierseelenkunde auf Grund eigener Versuche“, in dem bewiesen sein soll,
dass sich im Tier „alle psychischen Fähigkeiten des Menschen, sowohl die
intellektuellen als auch die moralischen“ vorfinden, wenn sie geweckt
werden. Gaston Rosenstein.
„Psiclie.“ Rivista di studi psicologici. Firenze, Via degli Alfani 46.
Eine neu erschienene italienische Zeitschrift, die sich die Ver¬
breitung psychologischer Kenntnisse zur Aufgabe macht. I. Heft (Jänner-
Februar 1912). Dieses enthält: Einen Aufsatz von Guido Villa über
Introspektion. Gegenüber den deutschen Experimentalpsychologen will der
Autor die synthetische Betrachtung der Psyche mehr in den Vordergrund
rücken und der Introspektion zu ihrem Rechte verhelfen. — Francesco
de S a r 1 o schreibt über das Werk Alfred Bine t’s. — Antonio
Renda publiziert einen Artikel über die Irrtümer der Psychologie und
658
Referate und Kritiken.
fordert Aufstellung von Regeln, uni die Täuschungen der Selbstbeobachtung
zu korrigieren, z. B. die Berücksichtigung einer Art „persönlicher Gleichung“
für den Psychologen. — Ein Vortrag G. Heyman’s über das künftige
Zeitalter der Psychologie ist ins Italienische übersetzt. — A s s a g i o 1 i
bespricht die Chancen der psychologischen Forschung in Italien.
II. Heft (März-April 1912). Das vorliegende Heft beschäftigt sich
mit dem Unbewussten und der Psychoanalyse. Eine Arbeit von Professor
Enrico Morselli berichtet über J u n g’s Assoziationsmethode. Der
Autor erhebt dagegen mehrere Einwendungen, er greift das Jung’sche
Reizwortschema an, meint, man müsse auf gewisse Komplexe schon durch
die Wahl des Reizwortes Rücksicht nehmen, sonst kämen keine Komplex-
reaktionen zustande und glaubt, dass der Konflikt zwischen verschiedenen
indifferenten Prädikaten, die alle zum Reizworte einfallen, eine Verlänge¬
rung der Reaktionszeit bewirke, so dass aus dieser nicht immer auf
Komplexe zu schliessen sei. Sonderbarerweise betrachtet er die Jun g’schen
Assoziationsexperimente als eine unwesentliche Veränderung der bisher
von anderen durchgeführten Experimente; die Technik hält er für sehr
unvollkommen. A s s a g i o 1 i antwortet im selben Hefte und rechtfertigt
die Methode, indem er unter anderem auf die erheblichere Verlänge¬
rung der Reaktionszeit nach Komplexen im Gegensätze zu der Verlängerung
nach anderen störenden Ursachen hin weist. — Weiterhin schreibt Assa-
gioli über die Psychologie des Unbewussten und stellt die Entwicklung
und die wichtigsten Lehren der Freud’schen Psychoanalyse dar. Einen
grossen Teil der Gesetze und Mechanismen bestätigt er durch eigene
Erfahrung, aber er erhebt Bedenken gegen einige unbewiesene Symbol-
deutungen und insbesondere gegen die Zurückführung höherer geistiger
Tätigkeiten auf sexuelle Triebfedern; damit greift er die in der Psycho¬
analyse seiner Meinung nach zur Gewohnheit gewordenen oberflächlichen
Erledigungen schwerwiegender philosophischer und religiöser Probleme an.
Die Therapie zerlegt er in zwei Teile. Der erste Teil soll die Verdrängungen
aufheben, der zweite Teil soll sich mit der Reedukation des Patienten
beschäftigen, die entgegengesetzten Tendenzen in ihm angleichen und
seine Fähigkeit zur Hemmung und Selbstkontrolle stärken. Das psycho¬
analytische Verfahren scheint ihm für den ersten Teil der Behandlung
sehr vorteilhaft, aber zur „psychagogischen“ Beeinflussung ungenügend.
Bezüglich seiner Stellung zum Unbewussten vertritt er die an anderem
Orte mitgeteilte Ansicht, dass es ein Unbewusstes im eigentlichen Sinne
des Wortes nicht gibt, sondern nur ein „Nebenbewusstes“, ein uns nicht
bewusstes Bewusstsein, ein zweites Bewusstseinszentrum. —
Wir können auf die verschiedenen Einwände hier nicht näher ein-
gehen, sie müssten mit grösserer Ausführlichkeit, als im Rahmen eines
Referats möglich, behandelt werden; zum Teil treffen sie ja tatsächlich
Fragen über den Wirkungsbereich der Psychoanalyse, die in Zukunft aus¬
führlich diskutiert werden müssen. Nur einen Punkt wollen wir ganz
in Kürze aufgreifen: A s s a g i o 1 i streitet der Wissenschaft das Recht
ab, in Problemen der sexuellen Ethik zu entscheiden, denn eine „Wertung“
könne nur das „moralische Bewusstsein“ vollziehen. — „Entscheiden“
will nun die Psychoanalyse zunächst auch nichts, aber es ist gänzlich
1 ) „II subcosciente“. Firenze, Biblioteca Filosofica, 1911. Referat im Zentral¬
blatt für Psychoanalyse. II. Jabrg.
Referate und Kritiken.
659
unerfindlich, warum die Psychologie und insbesondere die Psychoanalyse,
die schon wertvolle Vorarbeit geleistet hat, vor dem Problem der Wertung
und des moralischen Bewusstseins Halt machen sollte. Es ist
auch nirgends ersichtlich, wo die Grenze liegt zwischen der „berechtigten
Bekämpfung pseudomoralischer Vorurteile“ und der „unberechtigten Ent¬
scheidung in Problemen der Sexualethik“. Übrigens hat die Psychoanalyse
ethische Entscheidungen niemals geliefert, wohl aber ist es ihre Aufgabe,
zu untersuchen, wie die Entscheidungen in jedem einzelnen Falle durch
das Unbewusste determiniert werden.
Das Heft enthält ausserdem eine von Assagioli ins Italienische
übersetzte frühere Arbeit Freu d’s über Psychoanalyse und eine Biblio¬
graphie der bisher erschienenen wichtigsten psychoanalytischen Schriften.
Gaston Rosenstein.
Dr. C. Widmer - Zofingen, Die Rolle der Psyche hei der
Bergkrankheit und der psychische Faktor bei Steig¬
ermüdungen. Münch, med. Wochenschr. 1912, Nr. 17.
Verf. schildert Beobachtungen, die er bei ca. 50 Sportsexpeditionen,
die meist in Höhen von 2000, oft auch 3000 Meter führten, und bei Militär¬
übungen gemacht hat. Er findet als Basis aller Ermüdungs Vorgänge die
Psyche und konstatierte bemerkenswerte Gedächtnisstörungen bei Berg¬
touren: ein Botaniker hat beispielsweise den Namen einer bekannten
Pflanze vergessen, ein Arzt kann das Wort für Eosin nicht mehr finden.
Ganze Lebensperioden sollen sogar dem Bewusstsein verloren gehen
können, so dass normale Menschen imstande seien, Kartengrüsse an Ver¬
storbene, z. B. an abgeschiedene Mütter und Frauen zu richten. Verfasser
findet für diese, nicht im einzelnen analysierten Erscheinungen, bei denen
so offenkundig die Wunscherfüllung des Unbewussten tätig ist, die all¬
gemeine Erklärung, dass die psychische Sphäre eingeengt und viel Ober¬
flächliches an Bildung, Anstand, Sittlichkeit weggeschmolzen sei, während
nur das bleibe, was den einzelnen „nahe an ge he“.
Auffallend war ihm das unvermutete Zutagetreten der Sexualität
auch „hei Personen von bester Erziehung und tiefsittlichem Empfinden“.
„Es ist dann, als wäre nichts anderes mehr da, wovon man sprechen
könnte“, und wie der Tourist vorher dem vergessenen Namen liachstudiert
habe, so suche nun das zutage getretene Sexualgefühl nach den Vor¬
stellungen, die es eben noch in Zucht und Schranken hielten. In diesen
letzteren seien die Elemente der Erziehung und Bildung auffallend wenig
zu finden, dafür aber irgend ein dunkles Axiom, dem sich das Individuum
mit seiner Moral und seinem Sexualgefühl verpflichtet glaube, und von
dem es seine Sexualsphäre immobilisieren und seinen ganzen Lebens¬
inhalt dominieren lasse. Ohne Mühe könne dieses Axiom auch als gesund-
und krankmachendes Motiv für viele organische Affektionen erkannt werden.
Den Ausfall an Vorstellungskomplexen, der die Gedächtnisstörungen
bedingt, betrachtet Verf. als weise Zweckmässigkeit, da dadurch vielerlei
Motivierungen zu Willensimpulsen wegfallen und der herrlichen Automatic
des Unterbewussten Platz machen. Das Merkbarwerden dieser letzteren,
welche Gleichgewicht, Tempo und Rhythmus der Körperarbeit von selbst
reguliert, sei das, was die erstaunliche Leichtigkeit und die felsenfeste
Sicherheit in den Bergen verleihe. Die Bergkrankheit bestehe darin, dass
660
Referate und Kritiken.
das „Unterbewusste plötzlich durch einen Zufall durchlöchert und vom
Bewusstsein kontrolliert werde“, mit anderen Worten, dass das gefahr¬
volle oder mühselige der Situation plötzlich vom Bewusstsein registriert
werde.
Die interessanten Ausführungen berühren die Probleme bloss, ohne
sie zur Lösung zu führen. Der Name F r e u d’s ist nirgends genannt; wären
seine Forschungen nicht schon lange bekannt, so möchte man von einer
teil weisen Vorahnung derselben reden. Interessant ist der Unterschied
in der Auffassung der Bergkrankheit und konsequenterweise der Unfälle
in den Bergen, die von der Freu d’schen Schule für Wirkungen unbe¬
wusster Komplexe gehalten werden, während sie der Verf. aus dem Auf¬
hören der Herrschaft des Unterbewussten herleitet. Doch dürfte zwischen
Freu d’s Unbewusstem und des Verf. Unterbewusstem ein wesentlicher
Unterschied bestehen. — Das die Sexualgefühle beherrschende „dunkle
Axiom“ des Verf. ist nicht erst, wie er sagt, beim 20 jährigen Unteroffizier
und dem 15 jährigen Backfisch zu finden, sondern es ist von Freud
schon bei dem 5 jährigen Hans in Wirksamkeit gezeigt worden, wo von
Einfluss der Erziehung und Bildung allerdings noch kaum gesprochen
werden kann. Freud und seine Schule haben es aufgeklärt und seine
phylogenetische und volkspsychologische Wurzel nachgewiesen.
Dr. Marg. Stegmann, Dresden.
Dl\ J. Mourly Vold, „Über den Traum“. Experimental¬
psychologische Untersuchungen. Herausgegeben von 0.
Klemm, Privatdozent an der Universität Leipzig. Zweiter Band.
Leipzig 1912. Verlag von Johann Ambrosius Barth. Preis geh. Mk. 11.—
Von dem umfangreichen Werk des verstorbenen norwegischen Philo¬
sophen und Psychologen John Mourly Vold über den Traum liegt
nun der zweite (letzte) Band vor. Die Zusammenstellung der Arbeit aus
dem hinterlassenen Schriftenmaterial besorgte auf Wunsch der Schwester
des Verstorbenen Privatdozent 0. Klemm.
Bevor ich auf die Besprechung des zweiten Bandes eingehe, muss
ich zur Information des Lesers einige Worte über den ersten sagen, nicht
ohne gleich vorauszuschicken, dass der zweite Band grossenteils weit
interessanter und inhaltreicher als der erste ist, den man als eine starke
Zumutung an die Geduld des Lesers bezeichnen muss.
Mühsam und unter langatmigen, sich beständig wiederholenden und
nach allen Richtungen verflechtenden methodologischen Erörterungen wird
im ersten Band in mehreren hundert Druckseiten etwas bewiesen, das
ohnehin niemand bezweifelt; nämlich dass somatische Reize in den Inhalt
der Träume eingehen. Der Verfasser wandte zum Erweise dieser Tatsache
Reizungen der Füsse der Versuchspersonen an; es wurden entweder die
Fussgelenke (eines oder auch beide) für die Nacht mit einem Band um¬
wunden oder aber die Füsse in Strümpfe gesteckt. Dann wurden die
Träume der Versuchsnächte mit solchen anderer Nächte verglichen und
ihr erhöhter Gehalt an solchen Momenten konstatiert, welche auf die,
Fussreizung mehr oder minder deutlich hinweisen. In einer Zusammen¬
fassung der Ergebnisse von Versuchen mit Reizung einer Unterextremität
heisst es (Bd. I S. 214) bezüglich dieses Hinweises: „Am bestimmtesten
trat der Reizcharakter derjenigen Traumpunkte hervor, in denen das
Referate und Kritiken.
661
Subjekt oder Andere starke rhythmische Untergliedbewegungen (wie Laufen)
. . . zeigten — von solchen „starken“ Punkten enthielt die Versuchsreihe
zwölfmal soviel als die Normalreihe —, schwächer trat der Reizcharakter
der verwandten schwächeren Bewegungen (wie einfaches Gehen) und
Positionen (wie einfaches Stehen) hervor; am schwächsten . . . erschien;
der Versuchscharakter der abstrakten und dinglichen auf die Bewegungen
hinweisenden Motive.“ Aus den Ergebnissen der Versuche mit Reizungen
beider Füsse sei folgendes zitiert 1 ): „Das Träumen einer Passivbewegung
[z. B. Reiten, Fallen] wird durch eine Reizung der Füsse (Beine) aus¬
gelöst, indem die von diesen ausgehende Spannung sich auf den Gesamt¬
körper fortpflanzt. Die meisten passiven Bewegungen im Wachzustände
beziehen sich entweder auf beide Füsse (Unterglieder) oder auf keinen
von diesen. Daher werden die auf beide Füsse (Beine) bezüglichen Passiv¬
bewegungen im Traume vornehmlich durch eine Reizung beider Füsse
(Beine) ausgelöst.“ Es lässt sich nicht leugnen, dass in Beobachtungen,
wie den hier beispielsweise angeführten, gewisse bisher nicht bekannte
Feinheiten liegen. Von einem der Form nach so gross angelegten Werk
wie Mourly V o 1 d’s ist man jedoch geneigt, mehr zu erwarten als einige
Subtilitäten innerhalb eines an sich recht untergeordneten Gebietes. Wenn
noch angedeutet worden wäre, dass die Untersuchungen sich nicht mit
dem inneren Wesen der Träume, sondern mit den Bausteinen derselben
befassen. Davon ist aber nicht die Rede.
Der Herausgeber mochte wohl selbst den Mangel gefühlt haben.
Anstatt nun das Unerlässliche zu tun und zu den von Freud nun einmal
gemachten grundlegenden Entdeckungen in irgendein ausgesprochenes Ver¬
hältnis zu treten, hat er es für angebracht gefunden, in der Vorrede zum
zweiten Band folgendes zu sagen:
„. . . Besonders in unserem Zeitalter der Traumanalyse, wo nament¬
lich bei vielen, die in dem Fahrwasser der Freud’schen Psychoanalyse
segbln, sich Hypothesen und Beobachtungen oft ununterscheidbar mischen,
werden die Untersuchungen Mourly V o 1 d’s mit ihrer schlichten Mit¬
teilung des empirischen Materials und ihren vorsichtig abgewogenen Inter¬
pretationsversuchen sich dauernd ihre Stellung behaupten.“
Das ist freilich bequem. Selbst zugegeben, dass mancher unberufene
Vertreter der Psychanalyse in ihrer Anwendung übers Ziel schiesst: darf
deshalb die Sache selbst ignoriert werden? Es liegt im Wesen einer
neuen Wissenschaft, sich tastend vorwärts zu bewegen. Untersuchungen
wie jene Mourly V o 1 d’s haben es dagegen leicht, sich in den aller-
sichersten Bahnen der Statistik zu bewegen. Und trotz ihrem Anschein
der Unangreifbarkeit wären sie an verschiedenen Stellen anfechtbar, wenn
man so ganz penibel sein wollte. Um nur eins zu erwähnen: es wird
bei der Wertung des Einflusses der den Traumnächten vorhergehenden
Tageserlebnissen die Periodenlehre nicht berücksichtigt; weder experi¬
mentell noch rein theoretisch. Es widerstrebt mir aber, kleinlich zu
mäkeln.
Die erste Hälfte des zweiten Bandes bringt, kurz gesagt, eine Fort¬
setzung der Körperreiz versuche neben zufälligen Beobachtungen und
solchen an kranken Personen. Die Versuche mit Handreiz ergeben im
i) Die Beispiele in eckigen Klammern rühren von mir her.
662
Referate und Kritiken.
allgemeinen ähnliche Gesetzmässigkeiten wie jene mit Fussreiz. Sehr
hübsches Material bringen die Rückenreiz-Träume des Verfassers.
Das Interessanteste enthalten die letzten beiden Kapitel. Nicht, dass
sie etwas den Psychanalytikern wesentlich Unbekanntes brächten; aber
sie bieten schönes Material und auch einige daraus gezogene Folgerungen
zur Bestätigung mancher Erfahrungen und manchen Satzes. So wird
z. B. der vorwiegend erotische Charakter des Schwebetraumes erkannt
(der zumeist ein Erektionstraum ist, worin M o u r 1 y V o 1 d und Dr. Paul
Federn Übereinkommen). Es werden Träume mitgeteilt, welche die von
mir im Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische For¬
schungen 1911 erläuterte Schwellensymbolik aufweisen, und entsprechend
interpretiert. Es werden ganz feine Bemerkungen über das Sprechen im
Traum gemacht; es wird der habituellen Träume gedacht und schliesslich
auch das Problem der Vererbung von Träumen angeschnitten.
Das Überraschendste aber ist, dass der Autor mit seiner „schlichten
Mitteilung des empirischen Materials und ihren vorsichtig abgewogenen
Interpretationsversuchen“ dazu kommt, just eine der gewagtesten Ver¬
mutungen einiger Psychanalytiker wahrscheinlich zu machen: dass näm¬
lich in manchen Träumen Erinnerungen an die eigene Geburt auftauchen.
Herbert Silberer.
Prof. H. Vogt, Über Erziehung der Gefühle. Kritische Be¬
trachtungen zur modernen Psychotherapie. Med. Klinik. Nr. 15. 1912.
Der Aufsatz ist im wesentlichen eine Polemik gegen D u b o i s, der
als Ursache der Neurosen Denkfehler annehme. Seine Auffassung sei
rein „intellektualistisch“, woran auch seine „Dialektik der Gefühle“ nichts
ändere. Das Dogma von der Heilung durch Belehrung sei nicht aufrecht
zu erhalten. Man wirke nur durch das Gefühl auf das Gefühl.
„Und so — fährt Vogt fort — kann auch der erfolgreiche, mit-
fortreissende Arzt, der vielen hilft, sie „belehrt“, erzieht, überredet, sie
aufrichtet, tröstet, ihnen Lebensklugheit verleiht, der Gefühlswirkung nicht
entraten. Er nähert sich damit dem suggestiven Moment, das D u b o i s
aus seiner ganzen Lehre und angeblich auch aus seiner praktischen
Tätigkeit mit grosser Leidenschaft verbannt. Es ist wohl heutzutage kein
Zweifel mehr darüber, dass eine strenge Trennung der suggestiven und
der rein logisch belehrenden Vorgänge in der Erziehungstherapie über¬
haupt nicht durchführbar ist, dass das inadäquate Moment überall in das
adäquate ohne scharfe Grenzen überfliesst. Ohne alle Frage liegt in der
praktischen Seite der D u b o i s’schen Therapie eine ganze Reihe von
suggestiven Momenten, denn schon der affektiv mitfortreissende, sich um
das Schicksal seiner Kranken eingehend kümmernde, tröstende und be¬
lehrende, menschenfreundliche Arzt kann das Suggestivmoment von sich
nicht abstreifen. Wozu auch? Und wozu etwas von sich stossen, dem
wir alle, von der Wiege bis zum Grabe, unterworfen sind und dem wir
wohl einen Teil des Besten in uns verdanken? In gewiss weitestem Sinne
machen wir den Kranken, sei es durch die Ausschaltung der Hemmungen
im hypnotischen Schlafe, sei es durch den Appell an das Gefühl in der
affektiv mitfortreissenden lebendigen Rede, eben empfänglich oder, wenn
wir wollen, suggestibel für das, was wir ihm sagen, wir machen ihn
empfänglich für gute Lehre, für Trostworte, für die Kraft des inneren
Referate und Kritiken.
663
Widerstandes, für die frohe, vorschauende Lebensbetrachtung, für einen
gewissen Stoizismus im „Kampfe mit dem verfluchten Objekt“. Das alles
liegt aber nicht allein in der kühlen, logischen Denkarbeit, es wird erst
fruchtbar durch den Appell an das Gefühl, durch die Erziehung der
Gefühle.“
Wir sehen, dass Vogt sich ganz auf dem Standpunkt der Psycho¬
analyse gestellt hat, die er nicht nennt und erwähnt, als oh sie nicht
existieren würde — und das Phänomen der Übertragung mit zahmen Worten
umschreibt. Uns ist aber jede Bestätigung willkommen, mag sie von
welcher Seite immer Zuströmen. S t e k e 1.
Dr. Oskar Simon, Arzt in Karlsbad, „Die Karlsbader Kur im
Hause.“ Berlin 1912. Julius Springer.
Wir entnehmen zur Charakterisierung der trefflichen Schrift des
bestbekannten Internisten und Chemikers folgende Stelle: „Angeregt
durch die Untersuchungen Freu d’s über die Konversion psychischer
Erlebnisse in Störungen der physiologischen Magenfunktionen bei der
Hysterie, fahndete ich nach ähnlichen Momenten hei der nervösen
Dyspepsie und war überrascht, wie ungeheuer häufig der nervöse
Dyspeptiker mit Abnormitäten seiner Vita sexualis im Kampfe liegt,
wie oft der Coitus interruptus, Syphilidophobie und ganz besonders die
Onanie die Quelle aller Leiden ist. Speziell bei der nervösen Dyspepsie
des jugendlichen Mannesalters zwischen 20 und 30 Jahren kann man fast
mit Sicherheit dem Patienten gegenüber, auch ohne Eingeständnis des¬
selben, Aberrationen seines Trieblebens behaupten. Ohne Psychoanalyse
im Sinne Freu d’s zu betreiben, konnte ich durch blosses Betonen der
Wichtigkeit und Examinierens in bezug auf das Sexualleben das Ver¬
trauen der Kranken, die sich erkannt sahen, gewinnen und damit die halbe
Heilung erzielen. Die Konversion eines psychischen Ekels nach einem
Schock in physisches Unbehagen und Verringerung des Appetits mit Herab¬
setzung der sekretorischen Magenfunktionen lässt vieles Dunkle in der
Mechanik des Zustandekommens der nervösen Dyspepsie aufhellen. Es
ist jedenfalls das grosse Verdienst Freud’s, die üblichen leeren Schlag¬
worte von Überarbeitung, Sorgen und fehlerhafter Ernährung als die
wichtigsten Ursachen der Neurasthenie im allgemeinen, ebenso die Über¬
treibung der L a h m a n n’schen Prinzipien in ihrer allgemeinen Geltung
erschüttert zu haben und Störungen des intensivsten Triebs, wie sie nur
zu oft als Folge unserer ganzen gesellschaftlichen Einrichtungen eintreten
müssen, als die Hauptquelle der Neurosen und damit auch der nervösen
Dyspepsie erkannt zu haben.“ Dr. E. H i t, s c h m a n n.
Jan Nelken, „Psychologische Untersuchungen an De¬
mentia praecox -Kranke n.“ Journal f. Psychol. u. Neurol.
1911, Bd. 18.
Der Zweck der schönen Arbeit ist, die Resultate der Psychoanalyse
eines einfachen, klinischen Falles von Schizophrenie zu zeigen. Viele
psychische Mechanismen, welche dieser Psychose, den Neurosen und den
Träumen Normaler gemeinsam sind, zeigen sich besonders lehrreich in
diesem Fall, so in erster Linie die Verdrängung und die Wunscherfüllung.
Diese Psychose ist eigentlich eine mittels dem Patienten fast durchsichtiger
664
Referate und Kritiken.
Symbolik durchgeführte Abreagierung des Verdrängten, eine hindernislose
Wimscherfüllung alles (hauptsächlich sexuell) in der Realität Entbehrten.
Die Psychoanalyse konnte alle Symptome streng determinieren, jede Wahn¬
idee, jede Halluzination. Die Versündigungs- und Verunreinigungsideen
der Patientin stehen in Zusammenhang mit dem Onanie- und Schwanger¬
schaftskomplex. Dr. E. Hitschmann.
Dr. M. Friedmann, Über die Psychologie der Eifersucht.
Grenzfragen des Nerven- u. Seelenlebens, Nr. 82. J. F. Bergmann,
Wiesbaden.
Dr. K. Birnbaum, Krankhafte Eifersucht und Eifersuchts¬
wahn.
Arbeiten, die nicht schlecht die Erscheinungen der Eifersucht, nament¬
lich in der Pathologie beschreiben, die aber trotz aller Definitionen,
trotz Berichten über die Eifersucht im Tierreich oder die Entwicklung
der Eifersucht im Gange der Kulturentwicklung von einem psychologischen
Tiefergehen ins Problem nichts ahnen.
Wer bei diesem Thema nicht den Ursprüngen der Regung im Kinde
nachspürt, den Ödipus-Komplex, die Eifersucht zwischen Geschwistern im
„Familienroman“, den Einfluss homosexueller Neigung heranzieht, muss
an der Oberfläche dieser psychischen Erscheinung verbleiben. Und auch
von dem vollen Verständnis für den Anteil der Ichgefühle an der
seelischen Dynamik der von Fried mann mitbehandelten nicht rein
erotischen (z. B. Berufs-) Eifersucht sind wir noch ziemlich weit — es
heisst also zunächst psychoanalytisch arbeiten!
Dr. E. Hitschmann.
Freud, Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben
der Wilden und der Neurotiker. I. Die Inzestscheu. Imago,
Heft 1.
Jung und seine Schüler haben den Nachweis geliefert, dass die
Phantasiebildungen Frühdementer in auffallender Weise mit den Kosmo-
genien alter Völker zusammenstimmen, von denen die ungebildeten Kranken
gar keine Kunde haben konnten. Ähnlichen Analogien begegnen wir in
den Märchen und Mythen. Sie zeigen uns eine Symbolik, die wir aus
den Träumen und Symptomen der Neurotiker kennen. Ein alter Satz be¬
stätigt sich aufs neue: „Die Geschichte des Menschen ist eine Miniatur¬
ausgabe der Geschichte der Menschheit.“ Es ist das bekannte biogenetische
Grundgesetz Haeckel’s. Freud kam nun auf die Idee, das Geschlechts¬
leben jener Völkerstämme einer vergleichenden Untersuchung zu unter¬
ziehen, die von den Ethnographen als die zurückgebliebensten, armseligsten
Wilden beschrieben werden, nämlich der Ureinwohner Australiens. Seine
Untersuchungen sind noch nicht beendet, aber die erste Probe seiner
Ergebnisse liegt schon vor uns. Sie nennt sich: „Über einige Überein¬
stimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker. 1. Die Inzest¬
scheu“ und ist in der vornehm ausgestatteten und sehr reichhaltigen
neuen Zeitschrift „Imago“ erschienen, die Hugo Heller in Wien verlegt
und welche die Anwendung der von Freud begründeten Methode der
Seelenerforschung (Psychoanalyse) auf die Geisteswissenschaften pro¬
pagiert.
Referate und Kritiken.
665
In dieser hochinteressanten Arbeit führt Freud den Nachweis,
dass die Wilden keineswegs jenem schrankenlosen erotischen Ausleben
ergeben sind, wie die Phantasie des Ungebildeten und Halbgebildeten es
gewöhnlich anzunehmen pflegt. Im Gegenteil! Die Sexualität unterliegt
bei den Naturvölkern so viel Einschränkungen und sie behindernden Vor¬
schriften, dass die Naturvölker in dieser Hinsicht viel weniger Freiheit
gemessen als die Kulturvölker. Die Möglichkeit, eine bestimmte Ehe ein¬
zugehen, ist durch den Totemismus sehr beschränkt. Was ist nun der
Totem? In der Regel ein Tier, seltener eine Pflanze oder eine Naturkraft,
welche in einem besonderen Verhältnis zur ganzen Sippe steht. Der
Totem ist erstens der Stammvater der Sippe, dann aber auch ihr Schutz¬
geist und Helfer, der ihnen Orakel sendet und, wenn er sonst gefährlich
ist, seine Kinder kennt und schont. Die Totemgenossen stehen dafür unter
der heiligen Verpflichtung, ihren Totem nicht zu vernichten und sich
seines Genusses zu enthalten. An Boden und Örtlichkeit ist der Totem
nicht gebunden, die Totemgenossen wohnen mit anderen Totemgenossen
gemischt, aber Mitglieder desselben Totem dürfen einander nicht heiraten.
Eine Überschreitung dieses Gebotes wird mit dem Tode Oestraft.
Freud sieht in dieser Erscheinung eine künstliche Inzestschranke,
welche den Vater vor der Konkurrenz des Sohnes schützt, da der Totem
sich nur durch die Mutter vererbt. Ist die Mutter vom Stamme Känguruh,
so ist es auch der Sohn, während der Vater beispielsweise Emu bleibt.
Känguruh und Känguruh dürfen sich nie verbinden, während dies zum
Beispiel für Vater (Emu) und Tochter (Känguruh) möglich wäre. Dazu
kommt noch eine weitere Einschränkung durch die sogenannten „Phratrien“;
dies sind Heiratsklassen, die ebenfalls nicht untereinander heiraten dürfen.
Es kann schliesslich durch beide Einschränkungsformen, Totem und die
Phratrien, so weit kommen, dass einem Manne nur ein Zwölftel aller
Weiber des Stammes zur Auswahl bereitstehen, wenn er heiraten will.
Diese Einrichtungen führt Freud auf die Inzestscheu zurück. Diese
Annahme stützen einige merkwürdige Sitten der Wilden. So muss bei ge¬
wissen Stämmen der Knabe in einem bestimmten Alter das mütterliche
Heim verlassen und in das „Klubhaus“ übersiedeln. Zum Essen darf
er nach Hause kommen; ist aber die Schwester zu Hause, so muss er
sich in der Nähe der Tür setzen oder überhaupt fortgehen. Begegnen
sich Bruder und Schwester im Freien, so muss sie weglaufen oder sich
seitwärts verstecken. Ja der Bruder wird nicht einmal den Namen seiner
Schwester aussprechen, oder er wird sich hüten, ein geläufiges Wort
zu gebrauchen, wenn es als Bestandteil in ihrem Namen enthalten ist.
Zwischen Mutter und Sohn herrscht sehr grosse Zurückhaltung, sie dürfen
sich meist nicht duzen.
Die interessantesten Verbote beziehen sich auf die Schwiegermütter.
Der Schwiegersohn vermeidet jeden intimen Verkehr mit der Schwieger¬
mutter. Wenn sie sich zufällig begegnen, so tritt das Weib zur Seite und
wendet dem Eidam den Rücken, bis er vorüber ist. Bei anderen Stämmen
dürfen sie nur dann miteinander sprechen, wenn irgendeine Schranke,
zum Beispiel die Einfassung des Krals, zwischen ihnen ist. Sie sprechen
ihren Namen niemals aus. Bei manchen Stämmen dürfen sie nie in dem¬
selben Raume weilen und nur durch dritte Personen miteinander ver¬
kehren.
666
Referate und Kritiken.
Dies merkwürdige Verhältnis erfordert eine psychologische Erklärung.
Verraten uns doch die zahllosen Schwiegermutterwitze, dass auch bei
den Kulturvölkern das Verhältnis zwischen Eidam und Schwiegermutter
eine ausserordentlich starke Gefühlsbetonung hat. Es ist jedenfalls „bipolar“
und setzt sich aus feindlichen und zärtlichen Regungen zusammen. „Ein
gewisser Anteil dieser Regungen“, führt Freud aus, „liegt klar zutage.
Von seiten der Schwiegermutter die Abneigung, auf den Besitz der Tochter
zu verzichten, das Misstrauen gegen den Fremden, dem sie überantwortet
ist, die Tendenz, eine herrschende Position zu behaupten, in die sie sich
im eigenen Hause eingelebt hatte. Von seiten des Mannes die Entschlossen¬
heit, sich keinem fremden Willen mehr unterzuordnen, die Eifersucht gegen
alle Personen, die vor ihm die Zärtlichkeit des Weibes besassen, und
— last not least — die Abneigung, sich in der Illusion der Sexualüber¬
schätzung stören lassen. Eine solche Störung geht wohl zumeist von der
Schwiegermutter aus, die ihn durch so viele gemeinsame Züge an die
Tochter mahnt und doch all der Reize der Jugend, Schönheit und psychi¬
schen Frische entbehrt, welche ihm seine Frau wertvoll machen.“
Andere Motive gehen tiefer in das unbewusste Seelenleben und zeigen
das Bestreben der Eltern, sich in ihre Kinder einzufühlen, mit ihnen
eins zu werden, so dass sie sich schliesslich mit den Kindern vollkommen
identifizieren. „Man sagt, die Eltern bleiben jung mit ihren Kindern;
es ist dies in der Tat einer der wertvollsten seelischen Gewinste, .den
Eltern aus ihren Kindern ziehen. Im Falle der Kinderlosigkeit entfällt
so eine der besten Möglichkeiten, die für die eigene Ehe erforderliche
Resignation zu ertragen. Die Einfühlung der Mutter in die Tochter geht
so weit, dass sie sich in den von ihr geliebten Mann mitverliebt, was
in grellen Fällen infolge des heftigen seelischen Sträubens gegen diese
Gefühlsanlage zu schweren Formen neurotischer Erkrankung führt. Eine
Tendenz zu solcher Verliebtheit ist bei der Schwiegermutter jedenfalls
sehr häufig, und entweder diese selbst oder die ihr entgegenarbeitende
Strebung schliessen sich dem Ge wühle der miteinander ringenden Kräfte
in der Seele der Schwiegermutter an. Recht häufig wird gerade die un¬
zärtliche sadistische Komponente der Liebeserregung dem Schwiegersöhne
zugewendet, um die verpönte zärtliche um so sicherer zu unterdrücken.“
Nachdem Freud alle anderen Motivierungen dieser Eigenarten wider¬
legt, kommt er zum Schlüsse, die Inzestscheu der Wilden sei ein infantiler
Zug, der sich beim Neurotiker wiederfinde. Da bekanntlich alle unsere
Forschungen über die Inzestneigungen grosser Ablehnung und heftigem
Widerstande begegnen, so müssen wir glauben, dass diese Ablehnung
noch ein Produkt der tiefen Abneigung des Menschen gegen seine einstigen
Inzestwünsche ist. Es ist daher wichtig, an den wilden Völkern zeigen
zu können, dass sie die zur späteren Unbewusstheit bestimmten Inzest¬
wünsche noch als bedrohlich empfinden und der schärfsten Abwehr-
massregeln für würdig halten. St ekel.
Otto Rank, Der Sinn der G r i s e 1 d a f a b e 1. Imago. Heft I. S. 34 ff.
Nach dem wundervoll klaren und schönen Aufsatze von Prof. Freud
ist die Arbeit Ranks besonders hervorzuheben. Sie geht davon aus,
dass die'Neurotiker fast immer an der Überwindung des Familienkomplexes
scheitern. Es zeigte sich, dass dieser Komplex auch für Sage, Mythos
Referate und Kritiken.
667
und Dichtung von grösster Bedeutung ist. War im Anfänge der psycho¬
analytischen Bestrebungen gerade dieses gehäufte Zusammentreffen wichtig,
so wird es jetzt die Aufgabe des Psychoanalytikers sein, das Wie, die
verschiedenen psychischen Wege, welche zu dieser Erscheinung führen,
zu erforschen. Der Verfasser zeigt nun in einer ausgeführten Analyse der
Griseldafabel, wie sich der Inzestwunsch in den verschiedenen Bearbei¬
tungen äussert und welchen komplizierten Überbau er wählt. Er weist
die Unzulänglichkeit aller bisherigen Motivierungsversuche nach und deckt
die psychischen Tendenzen, welche zur Bildung der Sage führten, scharf¬
sinnig durch einen bisher übersehenen, typisch wiederkehrenden Zug der
Erzählung auf. In allen Bearbeitungen des Griseldastoffes von Boccacios
Erzählung bis zu Hauptmanns Drama wird dasselbe Motiv in verschiedener
Auffassung und unter wechselnder Beteiligung psychischer Komplexe nach¬
gewiesen. Besonders klar und scharfsinnig erscheint die Erklärung der
Motivdoublierungen. Dr. Theodor Reik.
Dr. E. Hitschmann, Zum Werden des Romandichters. Imago.
Heft I. S. 49 ff.
Dr. Hitschmann untersucht psychoanalytisch eine Novelle des
Wiener Dichters Jakob Wassermann, „Schläfst du, Mutter?“ Der infantile
Hass gegen den Vater und die auf die Mutter fixierte Libido des Helden
der Erzählung, eines kleinen Knaben, treten in verschiedenen Formen klar
hervor. Ebenso bricht sich die sexuelle Neugierde des Kindes in Gedanken
und Träumen Bahn. Das Thema von der Herkunft der Kinder verbindet
sich auf interessante Art mit dem Problem des Todes bei diesem Knaben.
Dr. Hitschmann sieht in allen diesen Zügen mit Recht intuitive Be¬
stätigungen der Freud’schen Psychoanalyse. Dr. Theodor Reik.
Dr. Oskar Pfister, Anwendungen der Psychanalyse in
der Pädagogik und Seelsorge. Imago. Heft I. S. 56.
Pfister hebt einleitend die grosse Bedeutung der Freu d’schen
Erkenntnisse hervor. Er betont den Einfluss, den die neue analytische
Methode auf die Seelsorge hat und zeigt in vielen Beispielen (Lügen¬
haftigkeit, Kleptomanie, Tierquälerei, Symptomhandlungen etc. etc.), wie
schön seelsorgerische Aufgaben, welchen man früher verzweifelt gegen¬
überstand, auf diesem Wege gelöst werden können. In dem Schlussabsatz
„Allgemeine Bemerkungen über die Bedeutung der Psychanalyse für
Pädagogik und Seelsorge“ werden in scharfen Umrissen die Aufgaben ge¬
zeichnet, welche den beiden Disziplinen aus der Tiefenpsychologie F r e u d’s
erwachsen. Dr. Theodor Reik.
Otto Rank und Dr. Hans Sachs, Entwicklung und Ansprüche
der Psychoanalyse. Imago. Heft I. S. 1.
Diese einleitende Abhandlung der beiden Redakteure der „Imago“
versucht es, auf wenigen Seiten ein Bild der Entwicklung und der ferneren
Aussichten der Psychoanalyse zu geben. Jeder, der einmal versucht hat,
den ungeheuren Stoff der psychoanalytischen Resultate in komprimierter
Form darzustellen, wird die Geschicklichkeit, populäre Fassung und in¬
struktive Gedrängtheit bewundern, womit die beiden Autoren ihre schwere
Aufgabe gelöst haben. Dr. Theodor Reik.
Zentralblatt für Psychoanalyse. II 12 .
47
668
Referate und Kritiken.
A. J. Storfer, Zwei Typen der Märchenerotik. Sexual-
Probleme. April 1912. S. 257.
Storfer würdigt einleitend die Verdienste Freud’s, welchen auch
die Anregung zu der neuen, psychologisierenden Art, das Märchen zu
betrachten, zuzuzählen ist. Der Verfasser belegt die These, dass die
verkappte Realisierung eines Wunsches der wesentliche Inhalt der Märchen
sei, durch die Analyse zweier einander verwandter Märchentypen. Er
erzählt erst ein offenes erotisches Märchen und zeigt, wie sich die Zensur
in andersartigen Wendungen desselben Stoffes bemerkbar macht. Ein be¬
sonderer Typus des Märchens ist jener, in welchem ein Rätsel im Mittel¬
punkt steht. Storfer weist darauf hin, dass die Psychoanalyse die
treibenden Momente des Examenstraumes aufgedeckt hat. Indem er die
Verbindung dieses Einzeltraumes zum Kollektivpsychischen schlägt, kommt
er zu folgendem aufschlussreichem Resultate: „Der Mythus oder das
Märchen, dessen Held Rätsel zu lösen hat, ist der Examenstraum eines
Volkes.“ Auch bei anderen Beispielen vermag er den erotischen Hinter¬
grund des Märchens aufzudecken. Storfers Artikel stellt eine inter¬
essante und wertvolle Bereicherung der Arbeiten von Rank, Ricklin
und Ahr ah am dar. Dr. Theodor Reik.
Dr. Alfred Kobitsek, Symbolisches Denken in der che¬
mischen Forschung. Imago. Heft I. S. 83.
Dr. R o b i t s e k nimmt das autosymbolische Phänomen, wie es
S i 1 b e r e r beschrieben hat, zum Ausgangspunkt und liefert ein sehr
anziehendes Beispiel der Psychogenese wissenschaftlicher Forschungen.
Es handelt sich um die Strukturtheorie August Ivekub e’s. Der
Forscher gab selbst Aufschluss über die Entstehung dieser und der
Benzoltheorie. Beide sind während des Traumes konzipiert. Die Träume
werden erzählt und in den Zusammenhang des psychischen Erlebens cin-
gereiht. Dabei treten bedeutsame Regressionen und infantile Erinnerungen
zutage. R o b i t s e k’s Arbeit ist als Anfang einer Psychoanalyse wissen¬
schaftlicher Forschung zu begrüssen. Es ist zu hoffen, dass auf diesem
Gebiete wie auf vielen anderen die psychoanalytische Methode wertvolle
Ergebnisse zu liefern vermag. Bedeutende Philosophen (Nietzsche,
Descartes, Pascal) und Naturforscher (Darwin) haben Selbst¬
bekenntnisse gegeben, welche noch einer psychoanalytischen Bearbeitung
bedürfen. Dr. Theodor Reik.
F. Karsch-Haak, Das gleichgeschlechtliche Leben der
Naturvölker. E. Reinhardt, München 1911.
Das Werk ist eine sehr stark erweiterte Ausgabe der Arbeit des¬
selben Verfassers „Uranismus oder Päderastie und Tribadie bei den Natur¬
völkern“ (Jahrb. für sex. Zwischenstufen, Leipzig, Jahrg. II). Es ent¬
hält eine mit erstaunlichem Fleisse zusammengetragene Sammlung des
einschlägigen Materials (das'Literaturverzeichnis umfasst allein 60 Seiten!).
Als ein Vorzug erscheint es, dass der Autor auf keinem vorgefassten
Standpunkt steht, der ihn im Interesse der Theorie die natürliche Lage
der Dinge verkennen lassen könnte. Er begnügt sich mit der möglichst
genauen Konstatierung der Tatsachen, die beste Art, gewisse auch heute
Referate und Kritiken.
669
noch verbreitete Auffassungen des homosexuellen Problems ad absurdum
zu führen. Es ist nun kaum noch möglich, die gleichgeschlechtlichen Er¬
scheinungen als Produkt einer dekadenten Kultur anzusehen; es zeigt sich
vielmehr, dass bei allen Völkern niedriger und niedrigster Entwicklungs¬
stufen solche beobachtet worden sind. Ebenso werden die dafür heran¬
gezogenen Erklärungsgründe entkräftet, als wäre der Uranismus lediglich
die Folge von Weibernot, ein Mittel gegen Übervölkerung und dergleichen.
Der Verfasser hat den Tatsachenbeweis erbracht, dass die Homosexualität
eine allgemeine Veranlagung des Menschen ist, unabhängig von dem Grade
seiner Kultur, unabhängig von der Lage und dem Klima seines Wohn¬
sitzes, unabhängig endlich von den ihm umgebenden sozialen Verhält¬
nissen. — Aus der Fülle interessanter Mitteilungen seien nur einige der
auffallendsten erwähnt, so das überaus häufige Transvestitentum. Die
Anpassung an das fremde Geschlecht beschränkt sich jedoch bei manchen
Völkern nicht nur auf die Kleidung; von den Tschuktschen und anderen
arktischen Völkern wird berichtet, dass auf „übernatürliche Eingebung“ hin
Männer sich weiblichen Beschäftigungen hingeben, weibliche Bewegungen
und Stimmen annehmen und nach erfolgter „Geschlechtsänderung“ sich mit
einem Manne verheiraten. Wie bei den Tschuktschen werden auch bei
den Dajaks auf Borneo die Homosexuellen als für den Priesterstand be¬
sonders geeignet angesehen; bei allen Naturvölkern aber (mit ver¬
schwindenden Ausnahmen) konnte tolerante Stellung der Homosexualität
gegenüber festgestellt werden. Die gleichgeschlechtliche Betätigung besteht
meistenteils in der Pädikation; bei vielen Indianerstämmen wird vorzugs¬
weise Fellation betrieben. Auch die reichlichen Angaben über die sonder¬
bare Einrichtung der Mikaoperation bei den Australiern sei erwähnt; dies
ist die Bezeichnung der Verstümmlung, die an Jünglingen und Knaben
mittels eines Schnittes durch die Unterseite des Penis vorgenommen wird,
um künstliche Hypospadie zu erzeugen. Der tiefste Grund dieser Sitte
ist wohl die homosexuelle Veranlagung, die auf diese Weise die Ver¬
stümmelten zu Trägern doppeltgeschlechtlicher Genitalien macht; tat¬
sächlich wird der durch die Operation hervorgerufene Einschnitt dazu
benutzt, um durch Aufnahme der Genitalien von Knaben den Geschlechts¬
akt auszuführen. — Die allgemeine Einleitung, die unter anderem eine
Übersicht bringt über die das homosexuelle Problem behandelnde ethno¬
logische, soziologische und medizinische Literatur, nimmt von den psycho¬
analytischen Forschungen noch keine Kenntnis.
Julius von Kalmar.
Dr. Stefan von Mäday, k. u. k. Oberleutnant d. R., Assistent am
Physiologischen Institut der Universität Innsbruck, Psychologie
des "Pferdes und der Dressur. Berlin, Paul Parey.
Um die Psyche eines Tieres begreifen zu können, ist es vor allem
notwendig, sich über die Fähigkeiten desselben klar zu werden, um seinen
Handlungen nicht Motive zu unterschieben, die falsch sein müssen, da
sie der Natur des Tieres widersprechen. Der Verfasser geht also vom
wilden Pferde aus, das nur im Wege der Anwendung seiner ursprünglichen
Fähigkeiten, Instinkte und Gewohnheiten abgerichtet werden kann, nicht
aber im Wege der Einimpfung ihm fremder menschlicher Fähigkeiten.
Die Sinnesorgane des Pferdes werden daher auf ihre Funktion geprüft.
47*
670
Aus Vereinen und Versammlungen.
Dann unterzieht Mäday die geistigen Fähigkeiten: Verstand, Orien¬
tierungsvermögen und Gemüt, einer Untersuchung. Weitere Kapitel widmet
er den Ausdrucksbewegungen und dem Temperament und Charakter. Auf
diesen Grundlagen baut der Verfasser seine Theorien der „Einwirkung
auf das Pferd“ und der „Dressurhilfen“ auf. Es ist im Rahmen eines
kurzen Referates selbstverständlich unmöglich, näher auf das Buch ein¬
zugehen, in dem eine Fülle von Beispielen — teils selbsterlebt, teils aus
107 Autoren zitiert — zur Illustration herangezogen ist. Wichtig er¬
scheint es mir aber, auf die Ausblicke hinzuweisen, die das Buch er¬
öffnet. Die psychischen Gesetze, die für ein Tier als richtig erkannt
werden, müssen evolutionistisch auch für höhere Entwicklungsstufen
Geltung haben. Insbesondere die Psychologie des Kindes und seiner Er¬
ziehung hat allen Grund, nach Analogien im Tierreich zu suchen. Auch
der Psycholog, dem Pferde fernliegen, wird das Buch Mädays daher
mit Interesse lesen, den Pferdeliebhaber wird es entzücken.
Julius v. Kalmar.
Ernst Trömner, Über motorische Schlafstörungen (spe¬
ziell Schlaftic, Somnambulismus, Enuresis noc¬
turna) 1 ). Zeitschr. f. d. ges. Psychiatrie u. Neurologie 1910. S. 228.
Unter dem Namen „motorische Schlafstörungen“ fasst Verf. moto¬
rische Reaktionen motorisch erregbarer Gehirne auf Reize bekannter oder
unbekannter Art während des Schlafes zusammen, Reaktionen, die weder
mit Träumen noch mit Wacherinnerungen Zusammenhang erkennen lassen.
Im Gegensatz dazu stellt er an drei Stellen sensorische Schlafstörungen
(der Terminus wird nicht ausdrücklich gebraucht), wie Träume, Hören von
Stimmen, Alb, sensorische Erregung bei motorischer Hemmung, die oft aus¬
drücklich peinlich empfunden wird.
Das Schlafsprechen hält Verf. wenigstens nicht immer für
eine Äusserung von Träumen, weil sich die Patienten an Träume nicht
erinnern, auch wenn man sie sofort weckt, weil sie angeben, überhaupt
wenig zu träumen und weil in lebhaften Träumen meist motorische
Hemmung besteht. Die Unstichhaltigkeit der ersten beiden Argumente
ist daraus klar zu erkennen, dass auch für die gesprochenen Worte selbst
Amnesie besteht, das dritte gibt sich selbst nicht als allgemein gültig.
— Schlafwandeln tritt in drei Formen auf: 1. planlose, 2. planvolle,
3. Angsthandlungen; diese bilden fliessende Übergänge zum Pavor noc-
turnus. Angstvolles Herumlaufen und Schreien mit folgender Amnesie,
also, wie Verf. schliesst, ohne Träume, stellt er in Gegensatz zu Angst
und Albträumen, bei denen gerade die motorische Hemmung peinlich
empfunden wird. Alle diese Störungen werden auf eine Dissoziation, eine
Spaltung der Hirntätigkeit zurückgeführt, waches Sensorium bei gehemmtem
Motorium und umgekehrt.
Anderer Art sind motorische Schlafstörungen, die in Form von
Zwangsimpulsen und zwar meist rhythmischer Natur auftreten (Schlaftic
[Oppenhei m], Jactatio nocturna [Zapper t]). Zwangsbewegungen, die
D Nach einem auf der vierten Jahresversammlung der Gesellschaft deutscher
Nervenärzte in Berlin im Oktober 1910 gehaltenen Vortrag.
Referate und Kritiken.
671
allgemein nur im wachen Zustande auftreten, werden oft auch heim
Einschlafen oder Erwachen, manchmal auch im tiefen Schlaf beobachtet
(Trömner, Zappert, Ungar, Stamm, Oppenheim). Sie sind
ausgesprochen „neuropathischer Genese“ und dürften auf eine „dissoziierte
Erregung des Grosshirns“ zurückzuführen sein.
Sehr ausführlich behandelt Yerf. Enuresis nocturna. Zusammen¬
hang mit Epilepsie besteht im allgemeinen nicht, in 28o/o der Fälle fehlte
jedes neuropathische, hereditäre oder konstitutionell verantwortliche
Moment, auch in den anderen Fällen hatte keines der als konstitutionell
schwächend anzusehenden Momente dominierenden Einfluss. Verf. kommt
zu dem Resultat „Reflexinfantilismus“. Es handelt sich wieder um eine
Art Dissoziationszustand und zwar entweder so, dass hei schlafendem
Kortex das im Thalamus gelegene Blasenzentrum wacht, oder es handelt
sich, analog dem Nachtwandeln, um einen motorischen Rindenvorgang
bei gehemmtem Sensorium.
Wie aus dem Vorstehenden ersichtlich, wird immer nur nach neuro¬
logischer, nie nach psychischer Ätiologie gefahndet. Im Gegensätze dazu
rät Verf. fast ausschliesslich psychische Therapie, nämlich hypnotische
Suggestion. In der bei weitem überwiegenden Mehrzahl der Fälle hat er
Heilung oder wenigstens Besserung erzielt. Misserfolge sind Schuld des
Hypnotiseurs. Bei den Störungen der 2. Gruppe sind auch sedierende,
hydropathische Massregeln von Vorteil. Das spezifische Heilmittel dieses
„funktionellen Neurosen“ jedoch ist die hypnotische Suggestion, die auch
der Wachsuggestion vorzuziehen ist, weil sie allgemeiner, sicherer und
schneller wirkt. Sie erfüllt nicht nur die Forderungen des „tuto, cito et
iucunde“, sondern auch des „nil nocere“. Marcus.
Aus Vereinen und Versammlungen.
Dr. Karl Sclirötter: „Zur Psychologie und Logik der Lüge“.
Vortrag, gehalten am 31. Januar 1911 in der Philosophischen Gesellschaft an
der Universität zu Wien. Enthalten im 24. Jahresbericht (1911) der Philosophischen
Gesellschaft an der Universität zu Wien. Leipzig 1912, J. A. Barth.
Der Autor beginnt mit einer logischen und psychologischen Untersuchung des
Urteils, stellt den Unterschied von Ausdrucks- und Tendenzurteilen fest und leitet
zunächst aus dem letzten die Lüge ab. Damit aus dem Tendenzurteil eine Lüge
werden, muss ein anderes Urteil oder eine „Urieilsmöglichkeit“ vorhanden sein, die
dem Tendenzurteile widerspricht. Und dieses zweite Urteil muss mit dem sogenannten
„Wahrheitsbewusstsein“ ausgestattet sein. Beim Lügen sind neben dem ausge¬
sprochenen Tendenzurteile andere Urteilsmöglichkeiten im Bewusstsein vorhanden.
Die Wahrinhalte suchen bisweilen sprachmotorischen Ausdruck, drängen sich
in die Rede, so dass wür uns infolgedessen versprechen: die Lüge besteht in einem
672
Aus Vereinen und Versammlungen.
Verdrängungsversuche des Wahrinhaltes und seine Ersetzung resp. Entstellung
durch ein Tendenzurteil.
Der Verfasser unterscheidet drei Hauptformen der Lüge:
1. Die Abwehrlüge. Diese wird provoziert. Der Wahrinhalt ist immer
ein peinlicher, ein Inhalt, dessen Anerkennung üble Folgen nach sich ziehen würde,
deshalb wird er abgewehrt. — Fehlreaktionen lassen die schlimme Absicht erkennen.
„Peinliche Bewusstseinsinhalte haben überhaupt keine grossen Chancen reproduziert
zu werden. Die mit ihnen verbundene Unlust selbst, die Scham, endlich neue
Tendenzen, die über früher herrschende den Sieg errungen haben, bewirken eine
dauernde Verdrängung“.
2. Die Interessefälschung. Die Gruppe unterscheidet sich von der früheren
durch das Moment der spontanen Entstehung. Im ersten Falle will der
Lügner sein Ich schützen, im anderen Fall will er es durchsetzen, also sein Ziel
erreichen. Bei der Abwehr ist der ersetzende Inhalt etwas Negatives, bei der
Interessefälschung enthält er positive Daten. Der Wunsch hat die Fähigkeit, die
Illusion des Wahrheitsbewusstseins zu erzeugen. Sowohl Affekt als Gewohnheit
verdrängen die korrigierenden Elemente, so dass oft keine Gegenvorstellung auf¬
kommt. Wichtig werden diese Feststellungen zur Erklärung der Suggestion, des
Demagogen, des Reklamemachers.
Die 3. Gruppe verdankt ihre Entstehung einer Mannigfaltigkeit von drei
Momenten, der Lust am Fabulieren, der Tendenz, unser Ich in den Mittelpunkt zu
rücken, endlich der Gesamtheit unserer Wünsche. Die meisten Phantasielügen er¬
weisen sich als Wunschlügen und sind ausgesprochene, anderen Personen mitgeteilte
Wachträume. Der Phantasielügner teilt sie aber nicht als Traum mit, er nimmt
für sie den Glauben in Anspruch, den man Tatsachen zollt. Das erst verschafft
ihm volle Befriedigung. Die von Freud angegebenen Motive (Ehrgeiz und Erotik)
werden vom Verfasser bestätigt. Andere Phantasien aber verdanken ihre Entstehung
nur einem dunklen Erlebnisdrange. Beim Phantasielügner sind die Tendenzen un¬
bewusst er ist auf einer kindlichen Denkstufe zurückgeblieben. Aber die korri¬
gierenden Elemente bleiben normalerweise erhalten, es besteht keine Erinnerungs¬
täuschung; diese ist erst der pathologischen Vergröberung, der Pseudologia
phantastica Vorbehalten. Das Problem des unbewussten Wunsches wird gestreift,
aber dessen Erörterung für einen anderen Zusammenhang Vorbehalten.
Der Autor hat das Problem genau studiert und sehr wertvolle begriffliche
Gliederungen gegeben. Der Aufsatz ist anregend geschrieben, die Formulierungen
mit mehreren Beispielen erläutert. Wichtig scheint mir vor allem die Feststellung
der „Verdrängung von Wahrinhalten“ und ihres teilweisen Misslingens, die mir
auch für andere psychoanalytische Gedankengänge wichtig scheint und vielleicht
eine Erweiterung der Verdrängungslehre repräsentiert. Gaston Rosenstein.
Kongress für Familienforsclmng, Vererbungs- und Regenerationslelire.
Giessen 9.—13. April 1912.
Bericht von Dr. Lilienstein, Bad Nauheim.
Wenn man aus der Ankündigung des Kongresses und der Liste der Vor¬
tragenden, die sich aus Ärzten, Juristen, Genealogen etc. zusammensetzte, hätte
schliessen wollen, so hätte mancher vielleicht nicht erwartet, dass hier auf rein
Aus Vereinen und Versammlungen.
673
biologisch-naturwissenschaftlicher Grundlage, die so viele geisteswissen
schaftlichen Gebiete berührenden Fragen der Vererbung erörtert werden würden.
Allerdings bot die Führung Sommers, der als Organisator dieser Kongresse an¬
gesehen werden muss, schon die Garantie, dass die naturwissenschaftliche Forschungs¬
methode in jeder Hinsicht zur Geltung kommen musste.
Mit einem Überblick über die Geschichte und den Zweck des Kongresses
eröffnete Sommer die Verhandlungen, die folgende Teilgebiete umfassten:
1. Methodik und Vererbungsregeln. 2. Normale und geniale Anlagen. 3. Ab¬
norme Anlagen. 4. Kriminelle Anlagen. 5. Erforschung bestimmter Familien.
6. Vererbungslehre und Soziologie. 7. Vererbung und Züchtung. 8. Regeneration.
Medizinischesinteresse boten zunächst die Vorträge von Dr. F. Hammer (Stutt¬
gart) und Dr. Römer (lllenau). Hammer wies an einzelnen Krankheitsbildern die
Bedeutung der Mendel’schen Vererbungslehre für den Menschen nach. So ent¬
spricht die Vererbung der Pigmente der Augen, des Haares und der Haut durchaus
derjenigen bei den Tieren. Die dunklere Pigmentierung „dominiert“ über die hellere,
der Albinismus lässt „rezessive Vererbung“ erkennen. Dominierend sind ferner Hypo-
daktylie, bestimmte Formen des Stars, Teleangiektasie, Hypotrichosis, Diabetes
insipidus u. a. Dominierend, aber auf ein Geschlecht beschränkt (wie die Hörner
bei männlichen Tieren) sind Hämophilie, Farbenblindheit, Pseudohypertrophie der
Muskeln. Römer hob die Bedeutung der Methodik für die psychiatrische Forschung
hervor. Er behandelte die Forderungen, die von Irrenärzten an statistische Erhebungen
gestellt werden müssen. Er betonte die Notwendigkeit des Ausbaus der Medizinal¬
abteilung bei den staatlichen statistischen Ämtern nach der psychiatrischen Seite
hin und verlangte die Einrichtung einer psychiatrischen Abteilung im Reichsgesund¬
heitsamt. Als Grundlage für statistische Erhebungen demonstriert Römer ein Ein¬
teilungsschema der Psychosen, das in badischen Irrenanstalten eingeführt ist.
Auch der Vortrag von Wilh. Ost wald ist erwähnenswert. Ostwald findet
auch bei der Entwicklung der Genies die biologischen Vererbungsgrundsätze be¬
stätigt, nach denen sich in jedem Individuum die Eigenschaften seiner Vorfahren
nicht durch die Kreuzung ständig ändern; es findet sich vielmehr stets eine endliche
Zahl von bestimmten, ihrerseits fast unveränderlichen Elementen als Mosaik. Betz
(Mainz) verbreitet sich über den Begriff des Durchschnittsmenschen und konstatiert,
dass es fast unmöglich ist, einen Typus desselben zu umschreiben.
Mehr auf empirischer Grundlage beruhten die Vorträge, die sich mit abnormen
und kriminellen Anlagen befassten. Der Augenarzt Dr. Crzellitzer aus Berlin
hat mittels seiner Familienkarte Erhebungen in den Familien von Augenkranken
(Kurzsichtigkeit, hochgradige Übersichtigkeit, Schielen, Augenzittern und Star) an¬
gestellt. Bei 31 %> fand sich direkte Vererbung. Mit dem „Intensitätsindex“ gibt
Crzellitzer den Grad der Häufung erblicher Krankheiten bei Geschwistern an.
Dannenberger (Goddelau) beschreibt die bekannte Mikrozephalenfamilie Becker
aus Bürgel.
Erziehungsfragen bei abnormen Anlagen mit Rücksicht auf die Rassenhygiene
behandelten Dannemann und Berliner (Giessen). Dabei wird vor allem der
günstige Einfluss ärztlich geleiteter oder beaufsichtigter Spezialanstalten hervor-
gehoben, nur weist Dannemann noch darauf hin, dass auch nach der Ent¬
lassung aus diesen Anstalten die Zöglinge im Auge behalten werden müssten, um
eventuell ihre Fortpflanzung durch dauernde Internierung hintanzuhalten. Den
radikaleren Vorschlägen Oberholzers (Breitenau b. Schaffhausen), der eine
Sterilisierung bei gewissen psychiatrischen Krankenkategorien befürwortete, wurde
indessen von allen Seiten lebhaft widersprochen. Berliner demonstrierte noch
674
Aus Vereinen und Versammlungen.
Bilder aus der Arbeitslehrkolonie für Jugendliche, Steinmühle bei Homburg, deren
konsultierender Arzt er ist.
Von den Familien, fleren Stammbäume unter biologischen Gesichtspunkten
erforscht wurden, seien die Habsburger und die Familie von Schillers Mutter er¬
wähnt. Bei den ersteren fand Strohmayer bestätigt, dass die morphologischen
Merkmale der Habsburger (starke Unterlippe und Prognathismus inferior) Dominante
im Sinne Mendels sind. Forst (Wien) hat die Ahnentafel des österreichischen
Thronfolgers Franz Ferdinand bis in die 15. Generation verfolgt. Die theoretische
Ahnenzahl beträgt in dieser 16848, in Wirklichkeit finden sich in ihr bei Franz
Ferdinand nur 1514 Ahnen. „Ahnenverluste“, wie diese Differenz genannt wird,
hat jeder Mensch, da ja die tatsächlich vorhandene Zahl von Menschen (z. Zt. Karls
des Grossen z. B.) nicht für die theoretische Ahnenzahl genügen würde. Bei Inzucht
wird der Ahnen Verlust naturgemäss grösser. Mit der Familie von Schillers Mutter
beschäftigte sich Sommer (Giessen), der Blutsverwandte von ihr in Esslingen
kennen gelernt und untersucht hat und bei einem Mädchen eine ganz ungewöhn¬
liche Übereinstimmung in der Gesichtsbildung mit Schiller fand.
Einen wertvollen Beitrag über den Zusammenhang von Hereditätsforschung
und Soziologie brachte Weinberg (Stuttgart). Der Einfluss des Milieus auf die
Lebensersc^einungen der menschlichen Gesellschaft ist in neuerer Zeit gründlich
studiert worden. Dadurch wurde die Vererbungslehre etwas in den Hintergrund
gedrängt. In der Fruchtbarkeit der minderwertigen Elemente sieht Weinberg
keine so grosse Gefahr, weil ihr die grössere Sterblichkeit derselben Elemente ent¬
gegensteht. Roller (Karlsruhe) gibt einen geschichtlichen Überblick über die Wand¬
lungen der Lebensdauer in Deutschland seit dem Mittelalter, die nach seiner Ansicht
von Bedeutung für die rechtlichen und sozialen Zustände gewesen sind. Macco
(Steglitz) hat die Archive von Aachen, Köln, Düsseldorf, Brüssel, Wetzlar etc.
durchforscht und das Schicksal der Aachener Schöffenfamilien verfolgt, das ihm in
soziologischer Hinsicht interessant und typisch zu sein schien. Das Anschwellen
der Vermögen und der Beginn des Wohllebens führte in diesen Fällen meist rasch
zum Verfall.
Die Erfahrungen, die Gisevius (Giessen) bei der Tierzüchtung gesammelt
hat, lassen erkennen, dass entgegen der allgemeinen Annahme, auch die Inzucht eine
Steigerung wertvoller Eigenschaften und eine Regeneration bewirken kann. Voraus¬
setzung ist dabei aber, dass die Inzucht nicht wahllos, sondern mit Auslese erfolgt.
Über die Bewegung, die in England zur Regeneration des Volkes eingesetzt
hat, dem Eugenic movement unter Sir Francis Galton, wird durch einen
Bericht dieser Gesellschaft, den Sommer zur Verlesung bringt, Kenntnis gegeben.
Den Schlussvortrag hielt Sommer über Renaissance und Regeneration. Er weist
darauf hin, dass abgesehen von einer grossen Reihe von Momenten, die zu einer
solchen Kulturblüte führen, die sozialen und politischen Verhältnisse, der Land¬
schafts- und Volkscharakter usw. auch biologische Momente wesentlich mit-
wirken: 1. Die Periodizität, die sich in der ganzen organischen Natur und be¬
sonders beim Menschen überall nachweisen lasse. Ganz besonders günstig für die
Entstehung der Renaissance sei 2. die Vermischung von reingezüchteter Militär¬
aristokratie mit einer reingezüchteten Bürgeraristokratie in Florenz um die Mitte
des 15. Jahrhunderts gewesen.
Varia.
675
Varia.
Zur Symbolik der Schlange und der Kravatte. Eine sehr bezeichnende
Zeichnung überreichte eine 19 jährige Manische dem Anstaltsarzte:
Die Verwendung der Kravatte als phallisches Symbol im Sinne der Freud-
schen Ausführungen ist vollkommen klar. H. R.
Der bekannte Lyriker und Arzt, Hugo Salus stellt uns das folgende, noch
nicht veröffentlichte, Gedicht zur Verfügung:
Der Knabe.
Was ist’s nur, was des Knaben Auge bannt?
Was zwingt ihn, vor der Mutter Bild zu stehn,
Es trocknen Munds und keuchend anzusehn!
Dies Bild King doch seit je an dieser Wand.
Wo los’ das Kleid den weissen Hals umspannt,
Wölbt sich ein Hügelpaar: das anzuseh’n,
Drängt es den Knaben vor dem Bild zu stehn.
Ach, wär’s nur nicht zu hoch für seine Hand!
Wie oft er auch die eigne Brust berührt,
Ob sie geheimnisvoll und weich und mild
Zu Hügeln schwillt: nie hat er was verspürt!
Da kommt die Mutter. Er umarmt sie stumm.
Nie dacht’ er an die Mutter vor dem Bild!
Nun schluchzt er auf und weiss doch nicht, warum . . .
Psycho- Analyse Roosevelts. Unter den verschiedenen Würzen des jetzt
in Amerika mit grösster Erbitterung geführten Kampfes um die Präsidentenwürde
verdient eine unsere besondere Aufmerksamkeit. Es. wurde nämlich der Versuch
gemacht, die Persönlichkeit des einen der beiden Vorkämpfer in die Beleuchtung der
modernen Psychologie zu rücken. In der Wochenausgabe der „New York Times“
676
Varia.
(24. März 1912), einem der bedeutendsten amerikanischen Blätter, erschien ein aus¬
führlicher Artikel von Dr. Morton Prince unter dem Titel „Roosevelt, durch die
neue Psychologie analysiert“ 1 ). Der Aitikel, der die erste Seite des Blattes einnimmt,
hat wie zu erwarten stand, erhebliches Aufsehen erregt. Um europäische Leser
mit dem Gegenstände vertraut zu machen, ist es notwendig, eine kurze Darstellung
des Standes der Wahlkampagne zu geben. Eines der feststehendsten Regierungs-
Prinzipien Amerikas ist von der Zeit Washington^ an stets das ungeschriebene
Gesetz gewesen, dass kein Präsident öfter als zweimal dieses Amt innehaben soll.
Da der Präsident grossen Einfluss auf die administrative Durchführung der Wahlen
hat, ist es augenscheinlich der Zweck dieses Prinzips zu verhindern, dass irgend¬
wann ein Einzelner versuche, sich durch demagogische Mittel an das Volk zu wenden,
um so zum tatsächlichen Diktator zu werden. Die Furcht vor einer Diktatur scheint
in Amerika bemerkenswert stark zu sein und man geht von der Ansicht aus, dass
jeder, der dem eben erwähnten Prinzipe nicht anhängt, ein Veräter der heiligsten
Güter seines Landes sei und nicht mehr als Ehrenmann gelten könne. Zur Zeit als
Roosevelts zweite Amtsdauer zu Ende ging, im Jahre 1908, kündigte er formell an,
dass er „unter keinen Umständen nochmals als Kandidat auftreten werde“. Selbst¬
verständlich wurde er als künftiger Präsident nicht mehr in Rechnung gezogen,
aber nach der Rückkehr von seiner berühmten afrikanischen Reise mischte er sich
mehr und mehr in die Politik ein, und allmählich wurde es klar, dass er willens
war, sich wiederum der Wahl zu unterziehen. Wie eben gesagt, geschah dies nur
langsam und schrittweise. Abweisung nach Abweisung wurde verlautbart, während
seine Freunde das Gefühl des Landes erforschten, um zu erfahren, ob es möglich
wäre, das Volk zu einem Bruche mit dem 120 Jahre lang ununterbrochen gepflogenen
Brauche zu bewegen, ohne dabei seine rebuplikanische Überzeugung allzusehr zu
verletzen. Der gegenwärtige Präsident Taft war Roosevelts intimster Freund und
als der letztere im Jahre 1908 zurücktrat, war es ausschliesslich sein Einfluss, durch
den Taft als sein Nachfolger gewählt wurde. Seine Absicht scheint es gewesen
zu sein, in absentia durch Taft zu regieren, der das von Roosevelt begonnene Werk
zu Ende führen sollte. Taft zeigte jedoch unmittelbar nach seiner Wahl seine Un¬
abhängigkeit von seinem Vorgänger und folgte seinen eigenen Plänen, die ihm wo
nicht die sensationelle Popularität Roosevelts, so doch das Vertrauen de3 amerika¬
nischen Volkes erworben haben.
Roosevelt entrüstete sich bei seiner Rückkehr nach Amerika über Taft’s Politik,
brach die frühere Freundschaft ab und begann bald ihn in ungemässigter Sprache an¬
zugreifen. Der Zwist der beiden wurde in letzter Zeit ungewöhnlich bitter und
persönlich; so hat zum Beispiel Roosevelt in einer seiner letzten Reden Taft be¬
zeichnet wie folgt: „ein Undankbarer, ein Unterdrücker der Wahrheit, ein unehr¬
licher Freund und kein Gentleman“. Taft, obwohl er anfangs zu diesen Angriffen
schwieg, begann zu erwidern und hat Roosevelt einen „Neurotiker“ und einen
„Heuchler“ getauft.
Dr. Prince geht auf diese persönlichen Beziehungen zwischen den beiden
Antagonisten nicht oder doch nur oberflächlich ein, aber er versucht die Entwicklung
von Roosevelt’s Gesinnungsänderung in der Frage einer dritten Amtsführung nach¬
zuweisen. Seine These ist, dass Rooseveit’s übermächtige Herrsucht anfänglich durch
seinen Ehrsinn in Schach gehalten wurde, dass sie ihn aber nun mit Hilfe ver-
i) Wir möchten bei dieser Gelegenheit betonen, dass wir mit der Tendenz,
die Psychoanalyse zu Eingriffen in das Privatleben zu benützen, durchaus nicht ein¬
verstanden sind. Die Redaktion.
Varia.
677
schiedener Freunde und unterstützt durch seinen Ärger über Taft’s Haltung, über¬
wältigt hat. Er meint, dass Roosevelt’s Wunsch ein drittes Mal Präsident zu werden,
zuerst verdrängt war, dass er sich aber durch eine Anzahl von Handlungen verriet,
welche jenen, die Freud in der „Psychopathologie des Alltaglebens“ beschreibt,
durchaus analog sind. Der Widerstand und die Hemmungen wurden nach und nach
besiegt, so dass der Wunsch schliesslich mittelst einer Reibe von Rationalisierungen
mit den höheren Instanzen des vollen Bewusstseins vereinbart wurde. Die ver¬
schiedenen Stadien dieses Prozesses verfolgt er bis ins feinste Detail und manche
der von ihm mitgeteilten Beispiele von Roosevelt’s Verlesen, Verdrehen, Missver¬
stehen, von seinen Spreeh- und Schreibfehlern etc. sind mit bemerkenswerter Gründ¬
lichkeit und Genauigkeit analytisch verwertet; natürlich waren sie durch den alles
andere überwältigenden Wunsch determiniert, der schnell an die Oberfläche gelangte.
Dr. Prinee verweist aus Höflichkeit manche Wünsche und Motive ins Unbewusste,
die eher vorbewusst oder völlig bewusst waren; er gestand mir privat, dass er
wirklich die letztere Ansicht für die richtige halte. Es ist jedoch wahrscheinlich,
dass der Ehrgeizkomplex anfänglich einem gewissen Grade von Verdrängung unter¬
worfen war, bis die im Volke vorwaltende Gefühlseinstellung es möglich machte,
ihn offen auszusprechen. Ernest Jones.
Dr. L. H. Eisenstadt veröffentlicht in den „Deutschen Nachrichten“ vom
28. April und vom 4. Mai 1912 einen Aufsatz: „Über die Sterblichkeit der Post-
und Eisenbahnbeamten“, dem wir folgende für uns wertvolle Stelle entnehmen.
„Hier bekommen wir auch einen Schlüssel zum Verständnis für das massenhafte
Auftreten der Nervenkrankheiten und namentlich der Neurasthenie bei den Post¬
beamten. Für die Anhänger der Lehren des Wiener Nervenarztes Prof. S. Freud
bleibt es recht zweifelhaft, ob die ungeheuere Verbreitung dieser Krankheiten bei
den Beamten, Lehrern, Lehrerinnen, Beamtinnen, weiblichen kaufmännischen An¬
gestellten als ein Zeichen fortschreitender angeborener Degeneration des Nerven¬
systems zu deuten ist. Sondern es handelt sich meist um rein erworbene Zustände,
die auf die starken von unserer Kultur verlangten Hemmungen des Trieblebens
zurückzuführen sind. Prof. Freud 1 ) sagt zwar von seinen Lehren, dass kein
deutscher Psychiater sie anerkenne. Aber weshalb strömen ihm aus den Reihen
der praktischen Ärzte immer mehr Anhänger zu? Weil sie aus der Praxis heraus
sich von der Wahrheit seiner Anschauungen über die Entstehung der Neurose über¬
zeugen. Es ist ja auch zu bedenken, dass die Postbeamten, wenn auch nicht so
peinlichst ausgewählt wie die Lokomotivführer, dennoch sämtlich vor dem Eintritt
in ihre Laufbahn ärztlich untersucht und gewiss bei vorhandenen schweren Nerven¬
erkrankungen gar nicht zu ihrer Laufbahn angenommen werden.“
Med.-Rat. Prof. Dr. P. Näcke, Bemerkungen zu den Freud’sehen Symbolen.
H. Gross’ Archiv Bd. 47, kleinere Mitteilungen.
Vieles an den „sog. Symbolen“ Freud’s, „d. h. Bildern, Worten, die den innern
und speziell den sexuellen Komplex mehr oder weniger sicher anzeigen“, hält Verf. für
richtig, meint aber, es werde darin, wie auch sonst in den Freud’schen Theorien,
alles masslos übertrieben. Und er empfiehlt, das „Phantastische, rein Willkürliche der
Traumdeutungen“ bei Freud, Steckei, Bl euler nachzulesen. In Bleulers Dem.
praecox wird behauptet, das Träumen von Schlangen, Rüben, Degen usw. bedeute
stets den Penis. Weil Näcke selbst und seine Umgebung nicht von Schlangen
*) Über Psychoanalyse F. Deuticke 1912.
678
Varia.
träumt, hält er SchlangeDträume überhaupt für sehr selten! Was übrigens nichts
gegen die von der Freud sehen Schule behauptete symbolische Bedeutung beweisen
würde. Allein der Verf. hat einen besseren Gegenbeweis. Ihm träumte, er sehe
auf seinem linken Oberschenkel, etwa in der Mitte, nach oben eine längliche, ovale,
sich bewegende Geschwulst. Er betrachtet sie mit Neugier und sieht wie sie sich
öffnet und daraus ein langes, irgendwie gefärbtes Bing in Windungen sich ent¬
wickelt. Er verfolgt das Ende und findet richtig, ganz nahe dem Knie zustrebend,
einen Scblangenkopf.
Die sexuelle Natur dieses Traumes bestreitet Verf., da er dabei nichts Sexuelles
träumte oder fühlte und „die Schlange ausserdem mit dem Kopf nach aussen, nicht
nach dem Körper sich wandte.“
Den ersten Teil seiner Begründung hätte sich Näcke gewiss erspart, wenn
er an seine eigene Definition für das Wort Symbol gedacht hätte; jeder Freud’sehe
Abc-Schüler wird darüber lächeln; denn wenn der Traum seinen sexuellen Inhalt
direkt darstellen wollte, wozu brauchte er denn noch ein Symbol? Und was den
zweiten Teil anbetrifft, so bleibt, da Näcke ja keine Frau ist, nicht einzusehen,
warum die Schlange sich mit dem Kopf nicht nach aussen, sondern dem Körper
zu hätte wenden müssen, wenn sie ein Symbol für den Penis sein wollte. Nach
dieser Begründung dürfen wir wohl mit Näcke, wenn auch in umgekehrtem Sinne,
fortfahren und sagen: So wird es sich gewiss auch in vielen anderen Fällen verhalten!
Hübsch ist übrigens in der Traumerzählung die genauere Ortsbestimmung für das
Phänomen: „etwa in der Mitte“.
Verf. erwähnt noch kurz die Angstträume und das Beschmieren mit Kot bei
Geisteskranken. Er beschränkt sich hier auf die Behauptung, dass die sexuelle
Deutung häufig nicht zutreffe und verzichtet auf Beweise.
Dr. Mary Stegmann.
Zur Genealogie des „Feigenblattes“. Dass gerade das Feigenblatt zum
Verhüllen der Scham teile benützt wird, findet in der symbolischen Identifizierung
des Genitales mit einer Feigenfrucht seine Erklärung. Siehe dazu folgendes Distichon
des Archilochos:
„Recht gutherzige Feige am Fels, eine Speise für viele
Krähen: die Fremden den Schoss öffnende Pasiliphe.“
(Zit. nach „Ars Amandi“ v. Richard Nordhausen. S. 30.) Ferenczi.
Metaphysik = Metajjsyeliologie.
„Hoch iiber’m Firmament sucht ich die Quelle
Von Vorbestimmung, Paradies und Hölle.
Da sprach mein weiser Lehrer: Freund, in dir
Allein sind Kismet, Paradies und Hölle“.
Sinnspruch 0 m ar’s d es Zeltenmachers [geb. 1025—1050, gest. 1123]. Deutsche
Verlagsanstalt, 1909.) Ferenczi.
Paracelsus an die Arzte. „ . . . Und lasst euch das keinen Scherz sein,
ihr Ärzte, ihr kennt die Kraft des Willens nur zum kleinsten Teil. Denn der
Wille ist ein Erzeuger solcher Geister, mit welchen die Vernunft
nichts zu schaffen hat.“ [Paraselcus, Paramirum, Tract. IV. cap. 8.] (Dieser
Spruch enthält die Vorahnung des Unbewussten, dem man rationell nicht beikommen
kann.) Ferenczi.
Varia.
679
Goethe über den Realitätswert der Phantasie beim Dichter. „Es scheint,
da wir Dichter bey der Theilung der Erde zu kurz gekommen sind, uns ein wich¬
tiges Privilegium geschenkt zu seyn, dass uns nämlich unsere Thorheiten bezahlt
werden/ [Brief an Schiller v. 15. Dez. 1795. Reclam Nr. 4148—4150. S. 168.]
Ferenczi.
Frank Wedekind hat der Neuauflage seiner Novellensammlung „Feuerwerk“, die
kürzlichbeiGeorgMüllerin München erschienen ist, eine Einleitung „üb er Er otik“
vorausgeschickt, der wir einige Stellen entnehmen, welche sich mit unserer Auf¬
fassung des Themas in weitgehendem Masse decken. „Unsere Jugend hat es nun
aber meiner Ansicht nach gar nicht in erster Linie nötig, sexuell aufgeklärt zu
werden. Eine genauere Aufklärung über Vorgänge und Gefahren der Sexualität
hätte jedenfalls nicht das Haus, sondern die Schule zu besorgen. Das Haus, die
Familie aber hat die heranwachsende Jugend vor allem darüber aufzuklären, dass
es in der Natur überhaupt gar keine unanständigen Vorgänge gibt, sondern nur
nützliche und schädliche, vernünftige und unvernünftige. Dass es in der Natur
aber unanständige Menschen gibt, die über diese Vorgänge nicht anständig reden,
oder die sich bei diesen Vorgängen nicht anständig benehmen können. Die Be¬
fürchtung, dass ernste Gespräche über Erotik und Sexualität der heran wachsenden
Jugend Schaden zufügen können, ist das Ergebnis einer grossen Selbsttäuschung.
Die Eltern vermeiden solche Gespräche nicht etwa, wie sie sich einreden, aus Furcht,
ihren Kindern damit zu schaden, sondern weil sie selber unter sich über erotische
Fragen nicht sprechen können, weil sie ernst darüber zu sprechen nicht gelernt
haben . . . Denn auf keinem anderen Gebiete wuchert so viel Aberglauben, auf keinem
anderen Gebiete sind so viel grundfalsche „Wahrheiten“ im Umlauf, um uns zu den
widersinnigsten Tollheiten zu verleiten, wie auf dem der Erotik und Sexualität . . .
Aber gerade die rohen zotigen Menschen unter uns sind die unversöhnlichsten,
hartgesottensten Feinde einer ernsten ehrfurchtsvollen Ergründung erotischer Fragen,
weil sie dadurch um ihre billigsten, beliebtesten Wirkungen gebracht werden. . . .
Der erste Ertrag der sexuellen Aufklärung der Jugend wird sich dann darin zeigen,
dass wir nicht mehr für unanständig halten, was nicht nur den allerfeinsten, aller¬
abgeklärtesten Anstand erfordert, sondern was zugleich neben unserem Broterwerb
vielleicht das allerwichtigste Gebiet unseres irdischen Daseins repräsentiert. Nach¬
her werden wir auch ohne Schwindelanfälle und Herzbeklemmungen ermessen
können, wie wenig oder wie viel wir Kindern davon mitteilen können, die sich in
ihrer Unwissenheit innig danach sehnen, ernst und ehrfurchtsvoll über ihre Uranfänge
sprechen zu hören.“
Schliesslich sei noch ein Ausspruch des Dichters vermerkt, der wie aus tiefer
psychoanalytischer Einsicht, oder was dem ungefähr nahekommt, aus unvorein¬
genommener Ansicht der wirklichen Lebensverhältnisse heraus geprägt scheint: „Die
Familie ist ein Bündnis, in dem aus purer Angst, dass es scheitern könnte, über
die Gefahren, die ihm drohen, immer erst dann offen gesprochen werden darf, wenn
es daran gescheitert ist.“ (Rank.)
Diderot schreibt gelegentlich einer Kritik von Thomas: Essai sur le caractere,
les moeurs et l’esprit des femmes dans les differentes siecles (1772) in Grimms
Correspondance: „Das Weib trägt ein Organ in sich, welches der furchtbarsten
Krämpfe fähig ist und in seiner Phantasie Wahnbilder aller Art hervorruft. In der
hysterischen Raserei sind ihm Vergangenheit und Zukunft gegenwärtig. Alle ausser¬
ordentlichen Vorstellungen gehen beim Weib von der Gebärmutter aus. Nichts
680
Offener Sprechsaal.
ist verwandter als die Ekstase, die Vision, die Prophetie, die Offen¬
barung, die sprudelnde Poesie und die Hysterie. Das von ihr ergriffene
Weib empfindet etwas Höllisches oder Himmlisches.“ (Rank).
E. T. A. Hoffmann bemerkt in seiner auch sonst psychologisch interessanten
novellistischen Erzählung (Reclam Nr. 5274): Rat Krespel (S. 107): „Nicht einen
Augenblick zweifelte ich daran, dass Krespel wahnsinnig geworden sei, der Pro¬
fessor behauptete jedoch das Gegenteil. „Es gibt Menschen,“ sprach er, „denen die
Natur oder ein besonderes Verhängnis die Decke wegzog, unter der
wir anderen unser tolles Wesen unbemerkbar treiben. Sie gleichen
dünn gehäuteten Insekten, die im regen sichtbaren Muskelspiel missgestaltet er¬
scheinen, ungeachtet sich alles bald wieder in die gehörige Form fügt. Was bei
uns Gedanke bleibt, wird dem Krespel alles zur Tat. — Den bitteren
Hohn, wie der in das irdische Tun und Treiben eingeschachtete Geist ihn woiil oft
bei der Hand hat, führt Krespel aus in tollen Gebärden und geschickten Ha«en-
sprüngen. Das ist aber sein Blitzableiter. Was aus der Erde steigt, gibt er wieder
der Erde, aber das Göttliche weiss er zu bewahren; und so steht es mit seinem
inneren Bewusstsein recht gut, glaub’ ich, un erachtet der schein¬
baren, nach aussen herausspringenden Tollheit.“ (Rank.)
Der Symbolist.
Ein kleines Gedicht von Frank- Wedekind, das ein autoerotisches Geständ¬
nis enthält, verdient weitere Verbreitung in psychoanalytischen Kreisen:
Eine mondbestrahlte blasse Hand
Wand sich nachts aus seinen Decken,
Dass, gelähmt in stummem starrem Schrecken,
Er nur mühsam sich hinweggewandt.
Jene blasse, mcndbestrahlte Hand
Kehrte manchmal wieder — und im Weichen
Schrieb sie sich in geisterhaften Zeichen
In sein schreckensbleiches Nachtgewand. St ekel.
Offener Spreclisaal.
Ich bitte die analytisch tätigen Kolegen, bei ihren Patienten solche Träume,
deren Deutung zum Schlüsse berechtigt, dass die Träumer in frühen Kinder¬
jahren Zuschauer sexuellen Verkehrs gewesen sind, zu sammeln und
sorgfältig zu analysieren. Es bedarf gewiss nur einer Andeutung, um verstehen zu
lassen, dass diesen Träumen ein ganz besonderer Wert in mehr als einer Hinsicht zu¬
kommt. Es können als beweisend natürlich nur solche Träume in Betracht kommen,
die in den Kinderjahren selbst vorgefallen sind uud aus ihnen erinnert werden.
Freud.
Psychoanalytische Bibliothek.
Die Züricher Gruppe der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung hat
im abgelaufenen Winter eine kleine psychoanalytische Bibliothek gegründet. Der
Vorstand der Lokalgruppe wendet sich hiermit höflichst an alle psychoanalytischen
Forscher, mit der Bitte um Zusendung von Separat-Abdrucken ihrer Arbeiten.
Offener Sprechsaal. 681
Es ist das Interesse eines jeden Analytikers, dass seine Arbeiten allen anderen zu¬
gänglich seien.
Vielleicht entschlossen sich alle Lokalgruppen zu einem ähnlichen Schritte.
Damit wäre die Frage am klarsten geregelt. Ein jeder Forscher würde dann ohne
weiteres so viel Separat-Abzüge, als es Lokalgruppen gibt, für die Bibliotheken re¬
servieren.
März 1912. A. Maeder.
Wie sollen wir es mit den Separatabdrücken halten? Ich finde den
Vorschlag von Maeder „Psychoanalytische Bibliotheken“ zu schaffen ausgezeichnet.
Ich habe einen identischen Antrag in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung
gestellt. Besonders wichtig erscheint mir die Sammlung von Separat-Abdrücken und
Zeitungsartikeln, die manche wertvolle Anregung oder bedeutende Beiträge zur
Charakteristik unserer Gegner enthalten können. Es sollte jedes Mitglied der Inter¬
nationalen Vereinigung einer jeden Ortsgruppe jede seiner Arbeiten einschicken.
Natürlich sind von dieser Massregel grössere Bücher ausgenommen, weil diese von
den Ortsgruppen aus eigenen Mitteln angeschafft werden.
Ich bin aber entschieden dagegen, dass wir Mitglieder der Internationalen
Vereinigung uns die Separata aller jener Arbeiten zusenden, die im Jahrbuch oder
im Zentralblatt erschienen sind, da wir doch wissen, dass alle Mitglieder im
Besitze dieser Periodika sind. In anderen Blättern erscheinende Artikel sind nach
Möglichkeit den Bekannten zuzusenden. Ich muss leider gestehen, dass bei mil¬
der gute Wille immer vorhanden ist, aber mir zur Ausführung dieser Wünsche die
Zeit mangelt. Ich bitte daher alle Kollegen um Verzeihung, wenn ich ihnen keine
Separata zusende. Ich will sie fürder immer an die einzelnen Ortsgruppen senden.
St ekel.
In welcher pädagogischen Heilanstalt kann man einen Jungen von
etwas zurückgebliebener Intelligenz zu massigem Preise unterbringen?
Dr. Wladimar Lasersohn, Lodz, Petrikowerstr. 37.
Zur Rubrik Literatur. Die Literaturübersicht des Zentralblattes möchte alle
Leser über alle psychoanalytischen Arbeiten im laufenden erhalten. Dies geht nur,
wenn alle Leser an dieser Rubrik mitarbeiten. Wir ersuchen um Angaben über
wissenschaftliche Arbeiten und Aufsätze in den Journalen, welche die Psychoana¬
lyse betreffen. Die Autoren ersuchen wir zur Erleichterung des Referierens um Über¬
sendung der Separatabdrücke an die Redaktion. Auch die Rubrik Varia, die sich
bei unseren Lesern einer solchen Beliebtheit erfreut, wird fortgesetzt. Alle Leser
sind uns als Mitarbeiter willkommen. Die Redaktion.
Druckfehlerberichtigung.
Seite 514, Zeile 20 von oben statt hintern lies hindern.
„ 515, „ 5 „ „ „ Fu rchtbarkeit lies Fruchtbarkeit.
„ 515, Zeichnung oben rechts, statt Türme lies Türen.
Das neue Buch von St ekel „Die Träume der Dichter“ ist soeben im
Verlage von J. F. Bergmann erschienen. Es enthält eine vergleichende Untersuchung
der Dichterträume und versucht aus den Träumen Rückschlüsse auf die Anlagen und
Triebkräfte der Dichter zu ziehen. Es enthält zahlreiche interessante Beiträge
lebender Dichter und eine ausführliche Analyse der in den Tagebüchern veröffent¬
lichten Träume Friedrich Hebbels.
682
Literatur.
Freud’s „Psychopathologie des Alltagslebens“ ist soeben in vierter
vermehrter Auflage (Verlag S. Karger, Berlin) erschienen. Es bringt neue Beiträge
von Freud, Ferenczi, Rank, Dattner, Sachs, Jones, Stekel und vielen
andern.
Literatur.
Karl Julius Müller: Das Traumleben der Seele (L. Froeben, Berlin SW 1912). —
Emilio Padovani: Maupassant e il suicidio (Rassaegna di Studi Psichiatrici. Vol. II.
Fase. 3). — Hoche: Dementia paralytica. Handbuch der Psychiatrie (Franz Deuticke
1912). — Spielmayer: Die Psychosen des Rückbildungs- und Greisenalters (Ibidem).
Ebbinghaus: Abriss der Psychologie. IV. Auflage (Veit & Comp., Leipzig 1912). —
Emile Boutroux: William James. Autorisierte deutsche Ausgabe von Dr. Bruno
Jordan (ibidem). — M. A. Schall: Die Ursachen des Selbstmordes (Wissenschaftl.
Rundschau. Heft 20. 1912). — Emerson: Psychoanalysis et social Service
(Physician and surg. XXXIII). — Kostileff: La psychoanalyse appliquee ä
l’dtude objective de l’imagination (Rev. philos. April 1912). — Babinski et
Dagnan-Bouveret: Emotion et hysterie (J. de psychol. April 1912). — Mayer: Der
Zweifel (Zeitschr. f. Religionspsychologie. Bd. 6 . H. 1). — Nagy: Psychologie des
kindlichen Interesses (Leipzig, Otto Nemnich, 1912). — Nagel: Experimentelle Unter¬
suchungen über Grundfragen der Assoziationslehre (Arch. f. die ges. Psychol. Bd. 23.
H. 1/2) — Naecke: Zur Kinderpsychologie (H. Gross’ Archiv. Bd. 47. Heft 1/2.
1912). — Tannenbaum: True Neurasthenia frora the Freudian Point of
View (Critic and Guide. July 1912). — Brill: A Few Remarks on the Tech¬
nique of Psychoanalysis (Med. Review of Reviews. April 1912). — A. Mc Laue
Hamilton, M. D.: The Pathogeny of mental Disease; with special reference to the
minor psychoses (Medical Record. March 23. 1912 [81: 551—561]). — A. A. Brill, M. D.:
Hysterical Dreamy States, their Psychological mechanism (N. Y.
Medical Journal. May 25. 1912. — C. M. Campbell, M. D.: The Application of
Psycho-analysis to Insanity (N. Y. Medical Journal. May 25. 1912). —
S. J. Franz, M. D.: The Present Status of Psychology in Medical Edu-
cation and Practice (The Journal of the Am. Med. Ass. March 30. 1912.) —
A. Meyer, M. D.: The Value of Psychology in Psychiatry (ibidem). — J. D. Watson,
M. D.: Content of a Course in Psychology for medical Students (ibidem). — M. Prince,
M. D.: The New Psychology and Therapeutics (ibidem). — J. 0. Jankins,
M. D.: Climacteric Neurosis in Women (Kentucky Medical Journal [Louisville, Ky.].
April 1912.) — E. Novak, M. D.: Neurasthenia and Hysteria, Gynecological Aspects
{Amer. Journ. of Surgery (April 1912). — J. V. Haberman, M. D.: Hysteria (Me¬
dical Review of Rewiews [N.Y.], June 1912 [18:373—379]). — M. Allen Starr, M. D.:
Neuroses Dependent upon Errors of Internal Secretion of the Ductless Glands (Medical
Record [N. Y.]. June 29. 1912. — W. E. Paul, M. D.: Freud’s Psychology as
Applied to Children (Boston Med. and Surg. Journ. April 4, 1912). — R. Reed,
M. D.: Sexual Education of the Child (N. Y. Medical Record. Apl. 6. 1912). — 31. D.
Eder: Freud’s Theory of Dreams. A Paper read before the Psycho-Medical-
Society (Transactions of the Psycho-Medical-Society. Vol. III. Part. III. 1912). —
Furtmüller: Ethik und Psychoanalyse (Reinhardt, München 1912). — Stekel:
Die Träume der Dichter (J. F. Bergmann. 1912). — Das II. Heft der Dis¬
kussionen der „Wiener Psychoanalytischen Vereinigung* ist er¬
schienen. Es betitelt sich „Über Onanie“ und enthält vierzehn
Beiträge von Dattner, Federn, Ferenczi, Freud, Friedjung, Hitscli-
mann, Rank, Reitler, Rosenstein, Sachs, Sadger, Steiner, Stekel
und Tausk.
Verlag von J. F. Bergmann in Wiesbaden.
Soeben erschien:
Über den
nervösen Charakter.
Grundzüge
einer vergleichenden Indiviclual-
Psychologie und Psychotherapie.
Von
Dr. Alfred Adler,
Wien.
Preis Mk. 6.50, gebunden Mk. 7.70
Inhaltsverzeichnis.
Vorwort.
Theoretischer Teil: Einleitung. — I. Kapitel: Ursprung und Entwicke¬
lung des Gefühls der Minderwertigkeit und dessen Folgen. — II. Kapitel: Die
psychische Kompensation und ihre Vorbereitung. — III. Kapitel: Die verstärkte
Fiktion als leitende Idee in der Neurose.
Praktischer Teil: I. Kapitel: Geiz. — Misstrauen. — Neid. — Grausam¬
keit. — Herabsetzende Kritik des Nervösen. — Neurotische Apperzeption. —
Altersneurosen. — Formen- und Intensitätswandel der Fiktion. — Organjargon.
— II. Kapitel: Neurotische Grenzerweiterung durch Askese, Liebe, Reisewut,
Verbrechen. — Simulation und Neurose. — Minderwertigkeitsgefühl des weib¬
lichen Geschlechts. — Zweck des Ideals. — Zweifel als Ausdruck des psychi¬
schen Hermaphroditismus. — Masturbation und Neurose. — Der „Inzestkom¬
plex“ als Symbol der Herrschsucht. — Das Wesen des Wahns. — III. Kapitel:
Nervöse Prinzipien. — Mitleid, Koketterie, Narzissismus. — Psychischer Herm¬
aphroditismus. — Halluzinatorische Sicherung. — Tugend, Gewissen, Pedanterie,
Wahrheitsfanatismus. — IV. Kapitel: Entwertungstendenz. — Trotz und Wild¬
heit. — Sexualbeziehungen des Nervösen als Gleichnis. — Symbolische Ent¬
mannung. — Gefühl der Verkürztheit. — Der Lebensplan der Manngleichheit.
—- Simulation und Neurose. — Ersatz der Männlichkeit. — Ungeduld, Unzu¬
friedenheit, Verschlossenheit. — V. Kapitel: Grausamkeit — Gewissen. — Per¬
version und Neurose. — VI. Kapitel: Oben—Unten. — Berufswahl. — Mond¬
sucht. — Gegensätzlichkeit des Denkens. — Erhöhung der Persönlichkeit durch
Entwertung Anderer. — Eifersucht. — Neurotische Hilfeleistung. — Autorität.
— Denken in Gegensätzen und männlicher Protest. — Zögernde Attitüde und
Ehe. — Die Attitüde nach aufwärts als Symbol des Lebens. — Masturbations-
zwang. — Nervöser Wissensdrang. — VII. Kapitel: Pünktlichkeit. — Der Erste
sein wollen. — Homosexualität und Perversion als Symbol. — Schamhaftigkeit
und Exhibition. — Treue undUntreue. — Eifersucht. — VIII. Kapitel: Furcht
vor dem Partner. — Das Ideal in der Neurose. — Schlaflosigkeit und Schlaf¬
zwang. — Neurotischer Vergleich von Mann und Frau. — Formen der Furcht
vor der Frau. — IX. Kapitel: Selbstvorwürfe, Selbstquälerei, Bussfertigkeit und
Askese. — Flagellation. — Neurosen bei Kindern. — Selbstmord und Selbst,
mordideen. — X. Kapitel: Familiensinn des Nervösen. — Trotz und Gehorsam.
— Schweigsamkeit und Geschwätzigkeit. — Die Umkehrungstendenz. — Schluss.
— Zitierte Schriften des Autors.
Inhalts-Verzeichnis des XII. Heftes.
Originalarbeiten:
I. Drei Romane in Zahlen. Von Dr. Marcinowski .
II. Experimentelle Träume. Von phil. Dr. Karl Sehrötter . . .
Mitteilungen:
I. Selbstbestrafung wegen Abortus. Von Dr. J. E. G. von Emden .
II. Ein Fall von „dejä vu“. Von Dr. S. Ferenczi
III. Ein Fall von Namenvergessen. Von Frau Dr. Mary. Stegmann
IV. Zwei Versprechen, von denen das zweite das erste deutet. Von Dr.
Rudolf Reitler ..* • • • • • • *
V. Psychische Beeinflussung der Menstruation. Von Ernst Marcus
Referate und Kritiken:
Bleuler: Schizophrenie.. *
Drs. Menzerat et Ley: L’etude experimentale des associations d idees
dans les maladies mentales.
Psychische Studien ... • ....
Psiche“ ..
Dr. C. Widmer: Die Rolle der Psyche bei der Bergkrankheit und der
psychische Faktor bei Steigermüdungen..
Dr. J. Mourly Vold: „Über den Traum“ Experimental-psychologische
Untersuchungen.
Prof. H Vogt: Über Erziehung der Gefühle.
Dr. Oskar Simon: Die Karlsbader Kur im Hause.• • •
Jan Nelken: Psychologische Untersuchungen an Dementia praecox-Kranken
Dr M. Fried mann: Über die Psychologie der Eifersucht.
Dr K. Birnbaum: Krankhafte Eifersucht und Eifersuchtswahn . . . .
Freud: Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und
der Neurotiker...
Otto Rank: Der Sinn der Griseldafabel.
Dr. E. Hitschmann: Zum Werden des Romandichters ..'•
-Dr. Oskar Pfister: Anwendungen der Psychanalyse in der Pädagogik
und Seelsorge.
Otto Rank und Dr. Hans Sachs: Entwicklung und Ansprüche der
Psychoanalyse..
J. Storfer: Zwei Typen der Märchenerotik.
Dr. Alfred Robitsek: Symbolisches Denken in der chemischen F orschung
F. Karsch-Haak: Das gleichgeschlechtliche Leben der Naturvölker . .
Dr. Stefan von Mäday: Psychologie des Pferdes und der Dressur . .
Ernst Trömner: Über motorische Schlafstörungen (speziell Schlaftic,
Somnambulismus, Enuresis nocturna).
Aus Vereinen und Versammlungen..
Varia.
Offener Sprechsaal.
Inhaltsverzeichnis und Autorenregister
Seite
619
638
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Druck der KönigU Universitätsdruckerei H. Stürtz A. G., Würzburg.