IX. Jahrg.
1935
Heft 4
Zeitschrift für
psydioanalytisdie
Pädagogik
Frit^ ßedl ,.**.. Der Mechanismus der Strafwirkung
Wilßelm Hof er
Bericht über die Einleitung einer
Kinderanalyse
Heinricß Meng . ♦ . Strafen und Erziehen
Berithte
Preis dieses Heftes Mark 2'—
Zeitschrift für psychoanalytisclie Pädagogik
Begründet von Heinrich Meng und Ernst Schneider
August A i c h h o r n
Wien V, SdiOnbrunnerstrtiße 110
Dr, (ieinridi M eng
Basel, A nfjcnst ein erst raße 16
ff er a u s g- e Ö e r ;" '
Dr. Paul Federn
Wien VI« Köstlergasse 7
Prof, Dr- Ernst Schneider
Stuttgart N, Relcnl>ergstr- 16
Anna Freud
Wien IX, Berggasse 19
Hans Z ul liger
] 4 1 L g e n bei Bern
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Dr^ Wilhelm Hoffer, Wien, L, Dorptheergasse 7
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und Pubertät'^ In Vorbereitung befinden sich femer die Sonderhefte:
«Kindliche Eßstörungen**, „Lern- und DenkstÖrungen^, „Jugendliche
Verwahrlosung und Kriminalist^
C,^^ f'
ZEITSCHRIFT FÜR PSYCHO-
ANALYTISCHE PÄDAGOGIK
IX* Jahrg.
1935
Hert 4
Der Mediaiiismus der Strafwirkung
Von Fritz Reell, Wien
Wer sich an das Sludium der Gedanken macht, die in Aufsätzen und
Büchern über das Thema „Strafe**^ niedergelegt sind, wird sich zu-
nächst dem Eindruck einer gewissen Verwirrung kaum entziehen
können. Allzu bunt ist die Menge der Meinungen^ Vermutungen^ Be-
hauptungen, die ilim entgegentreten, allzu groß die Fülle oder — sagen
wir es gleich offen — das Durcheinander von GesiclUspunkten, unter
denen dieses eine Problem betrachtet wird. Dabei scheinen sich ein-
zelne Verfasser wenigstens von vornherein auf eine bestimmte Frage-
stellung zu beschränken, schildern uns etwa die phylogenetische Ent-
wicklung der Strafe aus sakralen Wurzeln, verfolgen die psychisclien
Nebenmotive des Strafenden bis in die Regionen meines Unbe\^^ißten
oder zeigen uns die verderblichen Auswüchse verfehlter Straf metho-
den an Hand eindrucksvoller Beispiele, Besonders schwierig wird eä
für den Leser aber dann, wenn alle erdenklichen Gesichtspunkte in
ein und derselben Arbeit zur Anwendung kommen, ohne daß zwisclien
ihnen ein Ausgleich erfolgt oder auch nur abzusehen wäre.
Dem Erziehungspraktikerj besonders dem Tjehrer etwa, ist es nicht
zu verdenken, wenn er die Straf literatur ein wenig ent lauscht und
verbittert aus der Hand legt. Denn die bestfundierten theoretischen
Ilnfersnchungen, die vollständigsten Beispiel Sammlungen von bösem
Straf mißbrauch, bieten ihrn nicht das, was er so notwendig braucht,
nämlich Kriterien, deren Anwendung auf seine eigene Erfahrung ilim
neue Gesichtspunkte zur besseren Bewältigung seiner seliwierigou
Aufgabe liefern könnte.
Und doch ist in den pädagogischen xmd psychologischen Arbeiten
über die Strafe so vieles enthaiteUj was auch für den Praktiker von
unschätzbarem Werte sein müßte. Nur ist es vielfacli so sehr in die
prinzipiellen Erör terungen verstrickt, oft sogar in Nebonbemerkungen
*) Hinweise auf die iJ^yclioaiialytische Literatur fintien gich äöT Schlüsse
dieser Arbeit*
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
222 FrLtz Reril ^ „__ |}
versteckt oder überhaupt nicht direkt ausgeführt, daß es dem Leser
nicht so recht zugänglich werden kann. Versuchen wir einmal, vor ,
allem das herauszuholen, was für die Praxis des Lehrers von beson-
derer Bedeutung sein dürfte, so brauchen wir nur in den Hintergrund
zu schieben, was den theoretischen oder rein psychotherapeutischen
Interessen der Verfasser entspringt, was ihrer Vorliebe für philo-
sophisch-soziologische Spekulationen entstammt, oder was an affekt-
getragenen Resten von weltanschaulichen Begeisterungen für oder
gegen das Strafen mit in die Feder gelaufen sein mag. Wir können
dann aus der vorliegenden Literatur über die Strafe etwa vier Arten
von Fehlern angeben, an deren Vermeidung jedem Praktiker sehr ge-
legen sein muß.
Die Strafe als Versuch, das Verhalten des Kindes durch Zufügen
von Unlust erzieherisch zu beeinflussen, ist nur eine unter vielen
Erziehungsmöglichkeiten. Aus der Überschätzung dieses Mittels und
seiner Wirksamkeit ergeben sich die bedenklichsten Fehlerquellen
für die Beziehung des Erwachsenen zum Kind. Wer der Meinung ist,
mit der Strafe eine Allerweltsmedizin in der Hand zu haben, deren
Verordnung für alle Fälle von Krziehungsinißständen zu empfehlen
wäre, gibt sich einem folgenschweren Irrtum hin. Tausende von Stra-
fen sind völlig überflüssig. Ein freundliches Wort hätte die ganze
Angelegenheit viel besser geregelt, wenn sie nicht überhaupt erst
durch eine überhitzte Familien- oder Schulzimmeratmosphäre zum
„Straf fair' gestempelt wurde. Doch aucii dann, wenn aus irgend einem
Grunde die Einsetzung eines entschiedeueren Erziehungsmittels un-
vermeidbar scheint, stehen dem Erzieher viole andere Möglichkeiten
offen. Vor allem hat er ja die ganze Stufenleiter von Erziehungs-
mitteln zur Hand, die sich auf der Linie „Belohnung" bewegen und in
ihrer Wirksamkeit durchaus nicht unterschätzt werden sollten. Ob
sie geeignet sind, und welches von ihnen in Betracht kommt, wird
freilich auch erst eine genauere Überlegung entscheiden können..
Sicherlich wird dies von der Eigenart und der Entwicklungsstufe de^s
Kindes abhängen, um das es sich handelt, von der Erziehungsweise,
die bisher geübt wurde und an die das Kind gewöhnt ist, von der
Eigenart der Erziehungsporsonen und nicht zuletzt von der Natur des
vorliegenden oder zu verhütenden Vergehens. Auf alle Falle bietet
die Handhabung der Belohnungsmittel dem Erzieher eine Menge wirk-
samer Beeinflussungsmöglichkeiten, auf die er nicht zu bereitwillig
verzichten sollte. Viel zu rasch wird oft die Entscheidung zugunsten
der Strafe gefällt. „Strafe muß sein" rufen viele Pädagogen und
f
I
\
Der Mechünii-inu.? der Slrafwirkunj
223
lll
Ärzte mit dem Brustton der Überzeugung, ohne daß sie an der Tat-
sache, daß sie ihre Meinimg erst durch Brustlöne bekräftigen müssen,
merken würden, daß da offensichtlich etwas nicht stimmL Versuchen
wir doch einmal, einem Arzt zuzurufen: „Operiert muß werden!*' Er
wird uns mit Recht in unsere Schranken weisen und uns zu bedenken
geben, daß man das docli nicht so allgemein .sagen könne; man müsse
doch erst seilen, um was für einen Fall es sich handle, ob nicht andere
Maßnahmen richtiger seien oder sicherer zum Ziele führen.
Besonders auf einen Tatbestand hat uns die Psyclioanalyse und
ihren Fußstapfen die gesamte übrige psychotherapeutische Literatur
aufmerksam gemacht: Bei den meisten Erziehungsschwierigkeilen, die
auf frühe Fehlentwicklungen oder passagere Konfliktsförnngen im
Kinde zurückgelien, ist Strafe ungeeignet, wirkliche Abhilfe zu schaf-
fen. Wohl erreicht sie oft ausgesprochen verblüffenden äußeren Er-
folg. So gelingt es ihr etwa — um einen der häufigsten St raff alle zu
zitieren — ohne Mühe, eine Trotzliandlung zu unterdrücken. Die
Trotzposition eines Kindes aber aufzulösen, dazu bedarf es anderer
Maßnahmen, Ja, auch wo die Strafe Erfolg zu liaben scheint, erreicht
sie diesen vielfach nicht, ohne daß sie schwere innere Schädigungen
verursacht, so daß ihr Sieg bestenfalls als ein Pyrrhussieg zu be-
zeichnen iöL Ganz besonders aber dann, wenn ausgesprochen neu-
rotische Zustände oder Charakterverbiidungen nachweisbar sind,
pflegt sich die Verwendung von Straf mit (ein als äußerst unangebracht
zu erweisen. Dieselbe Maßnahme, die beim „gesunden*' Kind vielleicht
noch empfehlenswert sein könnte, jagt das neurotische nur noch mehr
in Schwierigkeiten. Übrigens würde man ja auch dem Kind mit deui
Herzklappenfehler nicht dieselben an sich recht heilsamen Turn-
übungen zumuten wie seinem körperlich begünstigteren Kameraden,
Alles, was die klinische Beobachtung an Beispielen anzuführen
weiß, ist also Jedenfalls dazu geeignet, uns stutzig zu machen und
uns zu ermahnen, daß beim schwierigen, weil fehlentwickelten, oder
auch beim konfliktgestörten oder gar neurotischen Kind nicht Strafe,
sondern Erziehungebehandlung, wenn nicht überhaupt analytische
Therapie, in Betracht zu ziehen ist. Aber auch in einfacheren Fällen
wird der Erzieher gut tun zu überlegen, ob ein Straffall überhaupt
gegeben ist, ob sich nicht vielmehr andere erzieherische Maßnahm^ni
empfehlen.
Die Psychoanalyse leistet uns aber noch einen anderen Dienst.
Sie lehrt uns verstehen, woher die Neigung zur Überschätzung der
Strafe als Erziehungsmittel stammt. Man muß ja zwar nicht gerade
gleich als Sadist Anlässe von kindlichem Fehlverhalten zum Vorwand
der Triebbefriedigung benützen, aber mau tut gut, den tieferen Moti-
224
Fritz Redl
Yen der Neigung zum Strafen ein wachsames Auge zusuwenden- Auch
der Beherrschteste von uns straft oft nur deshalb so grimmig, weil
er ähnliche Regungen, wie sie das Kind sich gestattet, bei sich selbst
nur mühsam unterdrückt, oder weil ihm ihre Bewältigung jedenfalls
in seiner eigenen Kindheit wesentlich zu schaffen gemacht hat. Das
Ausmaß, in dem uns ein kindliches Fehlverhalten in Wut versetzt,
ist nicht immer ein gutei* Gradmesser für seine wirkliche erzieheri-
eche Relevanz, Der Zwang, in der eigenen Kindheit Erlebtes als Er-
zieher aktiv mit vertauschten Rollen zu wiederholen, oder eigene
Kindheitsfehler am Erziehungsobjekt „gutzumachen**, spielt uns oft
übel mit. Es ist aber auch, viel gröber gesehen, leicht zu verstehen,
wieso sich die Strafe so zäher Beliebtheit erfreut, Sie verdankt diesen
Vorzug jedenfalls weniger ihrer wirkliehen Eignung, sich am Kinde
günstig auszuwirken, sondern mehr ihrer Fähigkeit, dem Erwachse-
nen Erleichterung zu bringen. Dem Vater, der voll Sorgen und er-
müdet von seiner Arbeit heimkommt und nun erfahren muß, daß sich
sein Sprößling infolge unverantwortlicher Schlamperei wieder einmal
ein „Nichlgenügend** eingewirtsehaftet hat, dessen Beseitigung die
paar mühsam ersparten Schillinge verschlingen wird, ist es wirklich
nicht krumm zu nehmen, wenn er in Wut gerät. Kein Wunder, daß
sich ihm jenes Erziehungsmittel am unmittelbarsten aufdrängt, das,
in welcher Form immer, ihm gleichzeitig die Abfuhr seiner quälenden
Erbitterung gestattet. Wir können es dem Armen nicht verargen, daß
es ihn nach Erleichterung drängt. Wir können ihm aber auch den
Hinweis auf die Tatsache nicht ersparen, daß er unzweckmäßig han-
delt. Freilich, nicht deshalb, weil er straft. Ob sein Strafen falsch
oder richtig ist, geht aus der Tatsache seines Affektbedürfnisses noch
nicht hervor. Die erzieherische Wertigkeit der Strafe müßte ganz
anderen Überlegungen unterzogen werden. Wer seiner Neigung zu
Affektabfuhr folgt, handelt deshalb unzweckmäßig, weil ihn dieser
Zustand nicht in die Lage versetzt, erzieherisch planmäßig überdachte
Maßnahmen zu treffen, da für ihn die Erleichterung» die bestenfalls
als Nebenwirkung sinnvoll wäre, zum ausschlaggebenden Motiv seines
Verhaltens wird.
Mit einem Wort: Strafe ist kein AllheilmitteL Für viele Arten von
Erziehungsschwierigkeiten, das wissen wir schon heute, ist sie mit
Bestimmtheit als ungeeignet zu bezeichnen, und für viel© andere wird
sie sich vermutlich mit der Zeit als vermeidbar herausstellen. Unser
Gefühl dafür, daß wir sie anwenden sollen, ist kein verläßlicher
Wegweiser für zielsicheres erzieherisches Verhalten, an seinem Zu-
standekommen sind allzuviele persönliche Interessen des Strafenden
offen oder versteckt beteiligt. Eine sorgfältige Erwägung des jeweils
Der Mechanismus der Strafwirkuns:
225
vorliegenden Falles, ein beträchtliches Ausmaß an Selbstbeobachtung
und Selbstkritik sind die unerläßlichen Voraussetzungen, die uns vor
dem Fehler der Überschätzung der Strafe schützen sollen.
Das ist die erste Lehre, die uns die Psychologie gibt. Wir haben
allen Gründe ihr dafür dankbar zu sein. Die Meinung mancher Psy-
chologen allerdings, daß mit dem Hinweis auf alle die Fälle, in denen
Strafe nicht angebracht ist, das Problem des Strafens gelöst wäre,
können wir nicht teilen. Ja, wir neigen vielmehr zur Auffassung, daß
das eigentliche Problem damit noch gar nicht einmal gestellt
ist, doch wird ans die richtige Fragestellung, um die wir uns in dieser
Arbeit bemühen wollen, umso eher gelingen, wenn wir vorher die
eben geschilderten Gesichtspunkte berücksichtigt haben,
IL
Nehmen wir an, wir könnten die Aufgabe, dem Realitätsprinzip
bei einem Kinde zur Durchsetzung zu verhelfen, einmal wirklich
nicht ohne Anwendung von Straf mittein zu Wege bringen, dann
müssen wir uns darauf besinnen, daß Strafe und Strafe zweierlei, ]a,
vielerlei sein kann. Wir stehen dann vor der Aufgabe, uns über die
Mannigfaltigkeit der zu Gebote stehenden Straf mittel klar zu werden,
sie gegeneinander abzuwägen, uns für eines von ihnen zu entscheiden.
Blinde Anwendung irgend eines Straf mittels ist auf alle Fälle von
Unheil. Die Aufzählung der gebräuchlichsten Straf mittel erfolgt im
allgemeinen auf Grund ihrer „Feinheit", mit dem gröbsten beginnend,
zum verfeinertsten ansteigend. So kann man ein Kind schlagen, man
kann es anschreien, schelten, tadeln. Man kann ihm auf die verschie-
densten Arten Lust entziehen (Kinoverbot) oder direkt Unlust zu^
fügen (Abschreibaul'gaben), mau kann ihm schließlich auf weniger
drastische Art zu wissen machen, daß man böse ist, gekränkt, belei-
digt, ja, daß man sich entschlossen hat, ihm die Liebe wieder zu ent-
ziehen, Die Einteilungsgründe^ die für die Aufzählung dieser Straf-
mittel vielfach verwendet werden: Unlustzufügen durch Handlung
(Schlagen), durch Reden (Tadeln, Schinipfen), durch sonstige Maß-
nahmen (Kino verbot, Einsperren), durch Liebesentzug (Bösesein)
verraten auf den ersten Blick, daß sie in den äußerlichsten Zufällig-
keiten hängen bleiben, und sind daher geeignet, uns ein wenig stutzig
zu machen. Sollte es keine sachgerechten Einteilungsgründe für die
Strafmittel geben? Wir atmen erleichtert auf, wenn wir finden, daß
die Reihung zugleich als Stufenleiter abnehmender Grausamkeit be-
trachtet wird. Das wäre immerhin ein Einteilungsgrund, der mehr zur
Sache spricht, doch bleibt uns die Enttäuschung nicht erspart, fest-
stellen zu müssen, daß das nicht stimmt. Es ist nicht wahr, daß Körper-
1
226 Fritz Reell
Strafen an sich grausainer sind als andere. Jeder Erziehungsberater
kennt die Fälle, in denen dem Kopfstück keine allzugroße psychische
liäelevanz zugesprochen av erden kann^ weiß aber auch ein Lied da-
von zu singen, wie manche Eltern ihre Kinder durch raffinierte
Methoden des Liebesentzuges bis zum Lebensüberdruß zu quälen ver-
stehen. Wir vermuten liinter dem Mangel an einem sachentspruugenen
Einteilungsgrund für die Straf mittel ein übersehenes Problem, das
uns noch beschäftigen solL
Auch sonst kann vom Gesichtspunkt des Praktikers die Art, wie
die Straf mittel in der bestehenden Straf literatur diskutiert Averdeu,
durchaus nicht als befriedigend bezeichnet werden. Am stärksten ver-
blüfft der Mangel an Einheitlichkeit in ihrer Bewertung, In der
Meinung, welches der möglichen Straf mittel das richtigste sei, wider-
sprechen sich die einzelnen Autoren auf das entschiedenste. Die Ab-
lehnung oder Anerkennung eines Strafmiiteis scheint jedenfalls meist
ans Vor liebe oder Abneigung zu stammen, mehr auf der Zufälligkeit
eigenen Erlebens aufgebaut zu sein als auf sachlichen Beweisgründen,
Als häufigstes Argument für oder gegen ein Strafmittel taucht der
Hinweis auf bestimmte Fälle aul Wir können uns nicht entschließen,
die Zitierung von Einzelfällen, der wir gerne exemplifizierende Ge-
walt zusprechen, als bindenden Beweis anzuerkennen. Daß z. B, der
„Alisgangsentzug" im Falle A wirkungslos war, legt in keiner Weise
nahe, daß er als Erziehungsmittel an sich wertlos sein muß, dies um-
so weniger, als die meisten „Fälle" mit einer Ungenau igkeit berichtet
sind, die uns staunen läßt. Meist w^erden nicht einmal die wesentlichsten
psychologischen Daten angeführt, geschweige denn die zum Verständ-
nis des Falles unerläßlichsten tiefenpsychologischen Kriterien. Da-
gegen beschränken sich manche Autoren auf eine sehr allgemein
gehaltene, daiür allerdings meist irgendwie betont humorvolle, her-
zige oder aggressive Scliilderung der „Beispiele''. Wenn — auch bei
sonst durchaus seriösen Autoren -- an einem bestimmten Punkte dem
Affekt so bereitwillig Tür und Tor geöffnet wird, dann haben wnr
wohl einige Berechtigung aufzuhorchen, und wir versprechen uns
gerade von einer näheren Untersuchung dieser Zusammenhänge nicht
unwesentliche Aufschlüsse. Am deutlichsten äußert sich dieser Um-
stand bei dem Thema des Schiagens, der Körperstrafe. Auch die ruhig-
sten Autoren pflegen hier die wissenschaftliche Zurückhaltung zu
verlieren. Mit xm verkennbar er Deutlichkeit verwandelt sich an diesem
Punkte die psychologische Untersuchung meist in eine Polemik gegen
vorhandene oder fingierte Anhänger des Prügeins, eine Polemik,
deren weltanschauliche Untermalung selten gut verborgen wird. In
diesem Punkte wenigstens scheint unter den Psychologen größere
I
l>er IfoelianisiDUS der Straf Wirkung 227
Einheitlichkeit erzielt worden zu sein. Es sei betont, daß uns Bicht
einfällt, die B e r e e ii t i g ti n g dieser Polemik in Zweifel zu ziehen.
Wir wollen uns über aueh durch die berechtigtsten Affektentladungen
nicht an dem Verdaelite hindern lassen, daß sie im Grunde dazu be-
stimmt sein könnten, einen Mangel an sclilagkraftigen Beweisgrün-
den zu vertuschen. Ich will gerne gestehen, daß icli pei^sunlich die
Ablehnung des Schiagens vollinhaltlich teile^ und doch kann ich weder
die Aufzählung von Schauergeschichten und Schauer fällen, noch die
Tatsache der bösen Nebenwirkungen, die das Sclilagen so leicht aus-
lösen kann, als wissenschaftlich befriedigendes Argument betrachten-
Ich meine, wenn wir nichts Wichtigeres anzuführen halten, dann wäre
es um die pädagogische Beweiskraft unserer Gegnerschaft gegen die
Prügelstrafe schlecht bestellt. Wir werden uns bemühen, bessere Ar-
gumente zu finden.
Versuchen wir xusamraenzu stellen, was sich an guten Lehren ans
den verschiedenen Meinungen über den Wert der einzelnen Straf-
ini ttel als allgemeingültig herauslesen läßt, so gelangen wir zur Aul-
stellung folgender vier Forderungen:
1. Anpassung des Strafinittels an die Natur des vorliegenden Vcr-
geliens (Ansgjingsverbol nnlßte z. 11 im >^a!to vnit uiangelndeni Fleiß
als adäquates, in einem Fall gehässigen Lügens als höchst unange-
brachtes Straf mittel bezeichnet werden).
2. Anpassung des Strafmittels an die EigenheiU den Entwicklungs-
zustand und die bisherige Strafgewohnheit des Kindes. (Brutale
Kinder müssen anders bestraft werden als überempfindliche; ver-
schiedene Altersstufen fordern verschiedene Straf methodenj plötz-
licher Stralüberfall bei sonst straf ungewohntem Kind erzeugt die Ge-
fahr der Schockwirkung — e(c.)-
3. Anpassung des Strafausmaßes an die Schwere des Vergehens,
Eigenheit, Entwicklnngszustand und bisherige Straf gewohnheit des
Kindes*
4. Richtige Streuung und Auswertung der verwendeten Strafen
(Cberhäufung mit Strafen erzeugt Abstumpfung oder Gegenwehr;
unausgeführte Straf drohungen verraten Inkonsequenz und Scli wache
— etc.).
Diese vier Regeln für die Wahl und Verwendung der Straf mittel
dürfen wohl als die grundlegendste Voraussetzung richtigen Strafens
bezeichnet werden, Sie sind aucli so evidenl, geradezu selbstverständ-
lich, daß sich ernstliche Einwände gegen sie wohl kaum erheben wer-
den. Trotzdem dürfen wir uns von ihnen nicht allzuviel erwarten, Ihr
Mangel liegt zwar nicht etwa darin, daß sie nicht richtig wären, son-
dern darin, daß sie so schwier anzuwenden sind, Sie sind nämlicli.
228 Fritz Kedi
genau betrachtet, so weit und aUgemeiii gehalten, daß wir bei deui
Versuch, sie unserem Verhalten zugrunde zu legen, dem Irrtum noch
weite Gebiete offen lassen. Versuchen wir doch einmal, ein Strafmittel
der „Eigeiiheit des Kindes'', seiner „Entwicklungsstufe" etc, richtig
anzupassen! Wissen wir denn genau, was für die einzelnen Kinder-
typen, was für bestimmte Entwicklungsstufen das Richtige ist? Es
fehlt uns offenbar vieles, um unsere Regeln mit Sicherheit auswerten
zu können. Wir müßten mehr über die psychische Wertigkeit der
einzelnen Strafmittel wissen, ehe wir sagen können, ob sie für das
Kind A, für das Entwicklungsstadium B, für das Vergehen C als ge-
eignet anzusehen sind. Was uns die Psychologie in diesen Regeln
zeigt, ist ein Verhaltens sc b e m a. Es mit konkretem Inhalt zu füllen
ist eine Aufgabe^ die noch der Lösung harrt,
IIL
Außer diesen direkt auf die Wahl der Strafmittel gerichteten Be-
lehrungen finden wir in der psychologischen und besonders wohl in
der psychoanalytischen Literatur eine Reihe von Erkenntnissen, die
sieh zwar nicht direkt auf die Tätigkeit des Praktikers beziehen, aber
doch von solcher Wichtigkeit für ihn werden können, daß sie als
wesentliche Bereicherung seines praktischen Könnens bezeichnet
werden müssen. Es sind dies alle jene Randergebnisse, die sich nur der
Forschung des Entwicklungspsychologen und des Therapeuten dar-
bieten, die aber geeignet sind, auch die scheinbar unauffälligsten,
sonst ganz übersehenen Einzelheiten plötzlich in ganz neuem Lichte
erscheinen zu lassen. Hierher gehört ja eigentlich alles, was die psy-
ehoanalytische Literatur an Untersuchungen über dieses Thema ge-
leistet hat. An dieser Stelle seien mir drei Punkte hervorgehoben,
deren Bedeutung ganz besonders hoch angeschlagen werden muß.
Die genetische Betrachtung zeigt uns die Abkunft des Strafens aus
dem Sakralen, dann aus dem Eachewesen. Es kann unserer Aufmerk-
samkeit nicht entgehen, daß auch unsere moderne „Erziehungsstrafe"
noch mehr als genug von jenen Wurzeln an sich trägt, Reste aus über-
wundenen Zeiten, die sich dem sachrichtigen Gebrauch des Straf-
mittels hindernd in den Weg stellen. Sie zu erfassen, bei sich und bei
anderen rasch zu durchschauen, bedeutet für den Praktiker der Er-
ziehung eine unschätzbare Fähigkeit.
Zu den merkwürdigsten Funden der Psychoanalyse gehört wohl
die Entdeckung, daß es tatsächlich so etwas gibt wie „Strafbedür{nis'\
Kinder mit solchen Regungen aber werden auch die bestaufgebauten
Strafmaßnamen zunichte machen, indem sie sie ihres eigentlichen Sin-
nes völlig entkleiden, ihre ursprüngliche Absicht umbiegen und ihren
Der Mechanismus der Strafwirkuü^
229
eigenen bewußten oder unbewußten Tendenzen dienstbar machen.
Wenn es Kinder gibt, die darauf ausgehen, aus Straf maßnahmen maso-
chis tischen Lust gewinn zu beziehen, oder die Bestrafung suchen, weil
sie durch sie des quälenden Gewissensdruckes entledigt und zu
neuen Untaten erst so recht befähigt werden, so wird sich der Er-
zieher hüten müssen, auf die Praktiken dieser Kinder hineinzufallen.
Er wird trotz Straffälligkeit besser daran tun, den Kindern die zu
ihrer Befriedigung oder inneren Flucht so ersehnte Bestrafung vor-
zuenthalten, sich ihre Verhaltensänderung auf anderem Wege zu
erzwingen. Ein genaues Studium der in der analytischen Literatur
angeführten Beispiele von solchen auffalligen Verhaltensweisen man^
eher Kinder wird dem Praktiker viele Mißerfolge und Enttäuschungen
ersparen helfen.
Der Erzieher und der Lehrer Iiaben es nicht inuncr direkt mit dem
Kinde zu tun. Wie weit sie mit diesem Erfolg haben, hangt vielfach
von ihrer Fähigkeit ab, seine Eltern richtig zu beurteilen und zu
behandeln. Im Falle des Strafproblems aber ist die Beurteilung des
Verhaltens der Eltern und Ihre Beeinflussung noch viel schwerer als
in anderen Erziehungsfragen. In ganz besonderem Ausmaße sind da
jene Mechanismen am Werk, die auch sonst daran beteiligt sind, wenn
es gilt, über uneingestandenen Trieb wurzeln imposante Ideologien
aufzubauen. So ist das^ was die Eltern als ihre Tlieorie der Strafe ent-
wickeln, in vielen Fällen ganz besonders weit von dem entfernt, was
sie wirklich tun. Was uns die Psychoanalyse über die Psychologie des
Strafenden und die Psychologie der Theorienbildung zu sagen hat,
wird sich demnach als besonders fruchtbar erweisen.
Wir sind mit unserer Schilderung der Lehren, die der Erziehungs-
praktiker aus der Literatur über die Strafe entnehmen kann, zu Ende,
Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Dctailschilde-
rung; uns war es um die Hervorhebung der wesentlichsten Fakten zu
tun. Im großen und ganzen dürfte sich das meiste von dem hier Über-
gangenen einem unserer Punkte unterordnen lassen, Ks ist nicht
wenig, was uns die Psychologie an Belehrung über das Strafproblem
au bieten hat, und wir würden noch leichter erkennen wie viel es ist,
wenn wir uns nicht auf so kursorische Andeutung beschrankt hätten.
Trotzdem tun wir gut daran, zu überlegen, was uns noch fehlt. Denn
w^ena wir uns nun schon entschlossen haben, den Blick einmal auf die
unmittelbare Fruchtbarkeit für die Erziehungspraxis einzustellen, so
müssen wir frei gestehen, daß wir das Strafproblem trotz aller emp-
fangenen Belehrungen nicht ganz ohne Mißvergnügen verlassen. Da-
bei sind wir nicht so unvernünftig, der Psychologie zum Vorwurf zu
machen, daß es ihr nicht gelungen ist, das Strafproblem zu lösen.
230 Fritz Redl
Aber — fragen wir uns einmal ganz kritisch: Ist es überhaupt schon
gestellt? So gestellt, wie wir es als Praktiker wünschen würden?
So interessant und fesselnd alles ist, was uns die Psychologen zu sagen
haben — irgendwie können wir uns des Eindruckes nicht erwehren,
daß einiges in ihren Fragestellungen gar nicht enthalten ist, was für
uns doch das tägliche Brot bedeutet-
Die Topik des Strafansatzes,
Wenn an sich einwandfreie theoretische Formulierungen bei ihrer
Anwendung auf die Praxis einen leeren Raum zurücklassen, uns die
Kritik ablocken, daü sie „zwar sehr schön" seien, daß man mit ihnen
aber ^,nichts Hechtes anfangen*' könne, dann hat dies immer einen und
denselben Grund. Dann sind die Begriffe mit denen wir arbeiten, zu
allgemein gehalten, bewegen sieh zu sehr in Äußerlichkeiten, haben
den lebendigen Inhalt dessen, was sie meinen, noch nicht richtig er-
fallt, Sie sind dann immer aalglatt, von bestechender Eleganz — zu
schön, um wahr zu sein.
Wir können uns des Verdachtes nicht erwehren, daß es sich mit
dem Begriff der Strafe ganz ähnlich verhalte. Vor allem fällt uns
eines auf: Wie kommt es eigentlich^ daß alle Autoren mit solcher
Selbst verBtändlichkeit von „der vStrafe" sprechen, als ob es „die Strafe"
überhaupt gäbe? Verallgemeinerungen dieser Art erregen unser be-
rechtigtes Mißtrauen, In Wirklichkeit gibt es natürlich überhaupt
nur ungezählte einzelne Strafakte. 5,Die Strafe'' ist eine Abstraktion.
Solche Abstraktionen sind unvermeidlich, nachdem wir das Wesen
einer Erscheinung erfaßt haben. Aber vorher? Sind wir gar so sicher,
daß „Strafen** und „Strafen*' wirklich immer denselben Wesens Vor-
gang bedeutet? Daß alle Unterschiede nur akzidenteller Natur sind?
Wäre es nicht möglich, daß unter dem einen Wort von vornherein so
heterogene Erscheinungen zusammengefaßt werden, daß unsere Aus-
sagen gar nicht auf alles passen können?
Die Definition des Straf ens als einer Förderung der Eealitätsan-
passung der Kinder durch Zufügung von Unlust scheint diese Meinung
zu unterstützen, denn sie paßt unweigerlich auf alle nur erdenklichen
Strafakte. Was aber besagt dies schon? Diese Definition gibt nicht
mehr an als den Zvveck der Strafe, über das Wesen des abrollenden
Strafprozesses sagt sie gar nichts aus. Dieser Strafprozeß aber ist
offenbar ein psychischer Akt. Sollte er da nicht derselben Mehr-
deutigkeit» Mehr s c h i c h t i g k e i t unterliegen wie alles Psychische?
Sollte nicht zum Beispiel der eine Vorgang des Straf ens sehr verschie-
dene Vorzeichen bekommen je nachdem^ bei welcher Schicht unseres
Der Mecliiniismus der Straf Wirkung 231
Seelischen er ansetzt? Vielleicht können ein paar Schilderungen von
typischen Strafarten etwas Licht in die Frage bringen.
Fall A; Hans ist im Grunde ein recht braver Jimge. Etwas ver-
wöhnt vielleicht, sehr hohe Anforderungen werden nicht an ihn ge-
stellt. Der Vater ist häufig vom Hause fort, die Mutter läßt dem
Kleinen ziemlich viele Möglichkeiten, seinen kindlichen Bedürfnissen
zu leben. Er ist in dem Alter, in dem Lärmschi n gen zu den wesent-
lichen Tätigkeiten glücklich verbrachter Stunden gehört. Hansens
Vater ist ein wenig nervös. Er verträgt Lärm schlecht. Oft vergißt
sich Hans, da weiß sein Valor, was das sicherste Mittel ist: Er führt
ihn etwas unwirsch an, die sofortige Wirkung bleibt nicht aus. Dabei
gerät er selbt gar niclit in Wut, er nimmt Hansens Schlimniheit keines-
wegs tragisch. Er hat nur gemerkt, daß er durch einen etwas schär-
feren Ton so prompte Wirkung erzielt. xn\d sich dieses Äüttel daher
zu eigen gemacht,
Fall B: Kurt hat schlechte Noten heimgebracht. „Was war denn
wieder los mit dir, hast du solche Angst gehabt bei der Schularbeit?"
„Nein, ich habe diesmal wirklich zu wenig gelernt. Vorgenommen
habe ich mir's ohnedies inuiier, aber weißt du, das Wetter war halt
gar zu schön!" Ein neues Fahrrad ist aber auch wirklich eine allzn-
große Versuchung! „Na, weißt du, ich werde dir was sagen. Jetzt
wirst da einmal eine Zeitlang nicht radfaliren gelien, bis du den ver-
säumten Stoff wieder aufgeholt hast". Wir brauchen nicht mehr hin-
zufügen, daß Kurt ein vernünftiges, einsichtsvolles Kind ist, freilich
keines von den Uberbraven, die von vornherein gegen alle Vers\i-
ehungsmöglichkeiten eingedecki sind. Aber auch sein Vater ist be-
sonders vernünftig, Wir fürchten, daß dfi.s Beispiel keiner allzu-
großen Zahl von wirklichen Fällen entspricht.
Fal 1 C: Sepp's Eltern leben in ewigem Streit um ihre Erziehungs-
prinzipien. Der Vater ist streng. Er denkt mit Sorgen daran, was aus
dem Buben einmal werden soll, wenn sein© Mutter fortfälirt, ihn s o zu
verwöhnen! Sepp's Mutter ist mehr als weichlich. Sie hat freilich im
Leben schon genug mitgemacht. Sepp's Brüderchen ist vor kurzem
gestorben. Jetzt ist er das einzige, was ihr geblieben ist, denn mit
ihrem Manne versteht sie sich nicht allzu gut. — Kurzum, Sepp hat an
seiner Mutter einen unbedingten „Halt". Sie überlädt ihn mit Zärtlich-
keiten, mag er sich auch noch so gehen lassen und lieblos, ja gemein
gegen sie sein. Auch wenn sie sich vornimmt, ihn etwas strenger zu be-
handeln, — wenns darauf ankommt, wird wieder nichts daraus. Selbst
aus ihrem Bösesein weiß Sepp fein herauszuhören, daß sie innerlich
eigentlich gar nicht auf i h n böse ist, sondern auf den Vater, auf die
böse Schule, die so strenge Anforderungen stellt an ihr Herzchen, ihr
232 Fritz Redl
Uoldgosciierl . . . Nur manchmal überkommt sie die Angst. Da bittet
sie selbst den Vater, Sepp zu strafen, hart zu strafen, denn so gehts
nicht mehr weiter. Und dann steht sie doch wieder zitternd dabei,
fällt dem Vater in die Arme, um ihr Kind an sich zu reißen und mit
Zärtlichkeiten zu überhäufen wie einen Märtyrer. Der Vater steigert
seine Strenge dabei in vernünftiger, nicht übertriebener Art, selbst
merkend, daß die eigentliche Schuld an den Fehlern des Buben bei der
Mutter liegt. — „Trotzdem" bleibt die Wirkung aus. ' :
Die drei Beispiele sind keine Fallberichte. Sie sind natürlich „kon-
struiert", aber nicht aus der Phantasie. Sie sind nach der Wirklichkeit
gezeichnet, kein Strich ist in ihnen enthalten, der nicht tausendmal
vorkäme, nicht jedem Erziehungsberater wohlbekannt sein müßte.
Was liegt in den drei Fällen eigentlich vor? Sind sie wirklich nur
durch die Wahl der Strafmittel und durch einige Besonderheiten von-
einander verschieden? Wir behaupten nichts Geringeres, als daß sie
grundverschieden seien, geradezu Paradigmata dreier völlig hete-
rogener Straftypen, die wir topisch gliedern können und am besten
mit unserer Schichtung des Seelischen in Es, Ich, Uber-Ich in Zusam-
menhang bringen.
Fall A: Hans ist eines jener Kinder, die durchaus normal ent-
wickelt sind. Auch an seiner Über-Ich-Bildung ist nichts auszusetzen.
Im großen ganzen braucht sein Vater nicht viel an ihm zu erziehen,
er verhält sich „von selbst" so ziemlich richtig. In einer Hinsicht
freilich hat er es nicht ganz leicht. Die Nervosität des Vaters zwingt
ihn dazu, sich in puncto Krawallbedürfnis stärkere Einschränkungen
aufzuerlegen, als für sein Alter leicht ist. Diese Mehrleistung an Ver-
sagung will ihm nicht immer ganz gelingen. Er weiß zwar, daß er es
von selbst zusammenbringen sollte, aber seinem über-Ich seheinen
nicht immer die nötigen Energien zur Verfügung zu stehen, um dieser
Einsicht zum vollen Durchbruch zu verhelfen.
Es ist offenkundig, an welche Instanz sich die väterliche Mahnung
wendet: Das Angefahrenwerden bedeutet einen unmittelbaren Suk-
kurs für Hansens Über-Ich. Die durch diesen Vorgang aufgerufene
frülikindliche Angst vor der väterlichen Allmacht wirkt mobilisierend.
Einer „Begründung" des Kommandos bedarf es nicht. Die Angstaus-
lösung genügt zur Mobilmachung der latenten Mächte des Über-Iehs.
Wendet sich diese Art der „Strafe" unmittelbar an das Über-Ich des
Kindes, so bezeichnen wir sie vielleicht am besten als „Uber-Ich-
Strafe". Wem dieser Ausdruck zu gekünstelt erscheint, der mag sich
mit der Bezeichnung „Autoritätsappell" begnügen.
Fall B: Auch Kurt hat nicht aus Mangel an Erzogenheit seine
Der Mechanismus der Straf Wirkung 233
Aufgaben vernachlässigt. Im Gegenteil, wir müssen ihn sogar als noeh
einsichtsvoller bezeiclmen als Hans. Er weiß, was er zu tun hat, es
würde der väterlichen Ermahnung im allgemeinen gar nicht bedürfen.
Er hat die Tatsache des Lernzwanges ebenso akzeptiert, wie die Ein-
sicht in die Unzweckmäßigkeit des öichgehenlassens. Doch war die
Versuchung ein wenig großer, als die seiner Vernunft zu Gebote
stehenden Machtmittel. Er hat sich unter dem Drucke der Verlockung
wenig zweckmäßig verhalten. Sein Vater aber kennt ihn. Was der
Junge braucht, ist nicht Autoritätsappeil. Kurt tut von selbst, was er
einmal als vernünftig erkannt liat. Wenn es Verlockungen gibt, die
stärker sind als seine Vernunft, dann muß man diese Lustprämien
eine Zeitlang ausschalten, man darf es auch der vernünftigsten Ein-
sicht eines Menschen niclit allzuschwer machen. Kurt's Vater wii-d
dabei nicht böse. Kurt selbst ist nicht zerknirscht oder verängstigt.
Die Instanz, an die sich sein Vater wendet, ist ganz deutlich Kurt's
Vernunft, deren Wirksamkeit er ein wenig ,, erleichtert". Was er tut,
bewegt sich auf der Linie der Kealitätsvorwegnahme. Etwas von den
Unannehmlichkeiten, die sieh Kurt durch fortgesetztes Niehtlernen zu-
zöge, wird ihm im voraus verabreicht. Dies genügt, um seiner Einsicht
genug Macht zu verschaffen. Kurt wird sich nun nicht in verärgertem
Trotz träumend zum Schreibtisch setzen. Er wird von selbst
arbeiten.
Kurt's Vater wendet sich an sein Ich. Scheinbar steht Kurt's Leben
bereits im Zeichen dieser Instanz; seine Eealitatsanpassung ist in
hohem Grade vollzogen. Wir können diese Art der Bestrafung als
Ich-Strafe bezeichnen. Denken wir daran, daß Kurt's Vater ein Stück
Lebensnot als Straf mittel setzt, so können wir ihr auch den Namen
„Ananke-S träfe" geben.
Fall C; Warum hat Sepp's Vater mit seinen erzieherischen Ver-
suchen so wenig Erfolg? Sollte er sich in der Wahl des richtigen
Mittels vergriffen haben? Das ist kaum möglich, denn er hat schon
alles versucht, was sich nur ausdenken läßt, vom freundlichen Zu-
reden bis zu den Prügeln. Es hat alles nichts genützt, und ich glaube,
wir können ihm voraussagen: Was immer er tun wird, es wird frucht-
los bleiben. Sepp hängt noch so fest in der libidinösen Bindung an die
Mutter, daß es reale Mächte neben ihr, wie etwa Gewissen oder Wirk-
lichkeit, für ihn noch kaum gibt. Die ganze Welt hat für ihn noch
jene sekundäre Bedeutung, die sie für das ganz kleine Kind hat, das
sie kaum zur Kenntnis nimmt, soferne es sich nur im sicheren Besitz
der mütterlichen Zärtlichkeit weiß. Sepp wäre nur auf einem Wege
beizukommen: dadurch, daß seine Mutter ihn „verläßt'*. Wir meinen
234 Fritz Redl
natürlich, daß sie ihn innerlich im Stiche läßt, so daß er merkt,
daß sie ihm ihre Liebe entzieht, wenn er sein Verhalten nicht ändert,
daß sio sich mit dem identifiziert, was Schule und Vater fordern, und
zwar wirklich damit identifiziert, nicht nur zum Schein, den Sepp
natürlich rasch durchschauen würde. Gelingt ihr dies, dann steht Sepp
plötzlich da, von jener ungeheuren, an Todesangst grenzenden Bang-
nis befallen, die vermutlich vom kleinen Kind Besitz ergreift, wenn
es sich plötzlich der Abwesenheit der Mutter im Dunkeln bewußt wird,
von jenem Gefühl namenloser Hilflosigkeit, das auch den Erwach-
senen noch beschleicht, wenn er sich unvermittelt als winzigen und
unbedeutenden Bestandteil in der gewaltigen Größe des kosmischen
Geschehens erfaßt. Nur diese Art von Angstdruck, also eine unmittel-
bare Attacke auf das Es des Kindes, könnte diesem Buben helfen.
Nennen wir diese Art der Strafe demgemäß die „Es-Strafe", so
merken wir, daß wir ruhig auch gleich den Namen des verwendeten
Straf mittels einsetzen können, da es dafür nur eines gibt: den L i e-
b e s e n t z u g.
Die drei Fälle, die wir eben betrachtet haben, sind also nicht bloß
Beispiele für die Wahl verschiedener Straf mittel, sie unterscheiden
sich durch ein wesentlicheres Merkmal. Es sind wirklich d r e i S t r a f-
typen, Strafen und Strafen heißt wirklich nicht ganz dasselbe, je
uaclidem, ob es sich um den Fall der Über-Icli-, der Es- oder Ich-Strafe
handelt. Doch — da scheint uns ein Einwand naheliegend: Handelt es
sich denn nicht bei allem Strafen um eine Attacke gegen das Es? Was
hat es also für einen Sinn, von Ich- und Cber-Ich-Strafen überhaupt zu
reden? Diesem Einwand aber ist leicht zu begegnen. Es ist zuzugeben,
daß die Nebeneinanderreihung nicht ganz richtig ist. Natürlich richten
' sich alle drei Straf typen gleicherweise gegen das Es, im Weg aber,
den sie dazu einschlagen, liegt ein wesentlicher Unterschied. Nur die
Es-Strafe geht das Es sozusagen direkt an. Durch den Liebes-
entzug soll es unmittelbar „getroffen" und dazu veranlaßt werden,
einen Teil seiner Ansprüche aufzugeben. Worin der Druck besteht,
der da auf das Es ausgeübt wird, werden wir noch zu untersuchen
haben. Die Über-Ich-Strafe dagegen hat die unmittelbare Attacke ge-
gen das Es offensichtlich nicht nötig; sie sucht sich einen Ansatzpunkt
in der Person des zu Bestrafenden, der sich ihrer Absicht bereitwillig
zur Verfügung stellt. Oder besser gesagt: Sie leistet jener Instanz
Sukkurs, die ohnedies schon vorhanden und mit der Aufgabe betraut
ist, dem Es gegenüber bestimmt© Ansprüche zur Geltung zu bringen.
In ganz gleicher Weise wendet sich die Anankestrafe an das Ich des
Kindes, liefert diesem Verstärkung gegen das Es, wenn es solcher
bedürftig erscheint. Das Unterscheidende dieser drei Straftypen —
\
Der Mechanismus der Strafwjrkuut^
235
der Einteil ungsgrund für misere Aufslei luiig — liegt also im p s y c h i-
sehen Ansatzpunkt, den der Strafprozeß im Kinde sucht.
Wenn diese Unterscheidung etwas Wesentliches trifft, also eine
Bereicherung unseres Wissens vom Wesen des Straf ens bedeutet, dann
muß sie sich als solche legitimieren können. Wir haben ja behauptet,
daß die ,, allgemeinen Kichtlinien*' die uns die Psych ologie für das
richtige Strafen geben kann, durch Einsichten in das Wesen des Straf-
prozesses mit konkretem Inhalt erfüllt und dadurch für die Praxis
verwertbarer gemacht würden. Versuchen wir unsere Vermutung
über die topische Mehrschiehligkeit des Strafprozesses auszuwerten,
so ergeben sich fünf Punkte, aus denen wir Belehrung für den Prak-
tiker erlioffen können,
1- Ordnen wir die Keibenfolge der Fälle ein wenig um, dann fühlen
wir uns an Dinge erinnert, die uns aus der analytischen Literatur
längst bekannt sind, und aus deren Bcrücksiclitigung wir schon man-
cherlei gelernt haben. Es-, Über-lch und Ich-Strafe bedeuten kein
bloßes Nebeneinander; sie lassen uns sofort an die genetische
Entwicklung der Bedeutung der einzelnen psychisclien Schichten im
Werdegang des jungen Menschen denken. Die l^eihung K.^-€ber-lch—
Ich stellt offenbar Etappen in der Entwicklung des Kindes dar — sollten
ihnen nicht also ebensoviele Etappen in der jeweils richtigeren Straf-
art entsprechen? Dann wären wir in der angenehmen Lage, über die
„Anpassung der Strafe an den jeweiligen Entwicklungszustand eines
Kindes** konkretere Angaben zu machen! Und wirklieh finden wir das
ganz kleine Kind in schlechth inniger Abhängigkeit von seinen libidi-
nösen Bindungen, ohne irgendwelche Beziehung zur realen Außen-
welt, unbeeindruckt durch so etwas wie Autorität oder Gewissen.
Für dieses Stadium, die präödipale Zeit der restlosen Herrschaft des
Es, w^erden wir den Eltern überhaupt nur die Es-Strafe empfehlen
können. Kommt das Kind dann in ein Stadium, in dem es auf Grund
seiner Identifizierung mit den Eltern so etwas wie ein „Gewissen" in
sich mit konkreterem Inhalt zu füllen beginnt, dann werden wir von
dem Typ der ^^Über-Ich-Strafe" erfolgreich Gebrauch machen können.
Vernünftiges Zureden" ohne Autoritälsnachdruck wird für dieses
^Iter ziemlich sinnlos bleiben, auch wenn der Verstand des Kindes
gut entwickelt sein sollte. Die Meinung vieler intellektualisierender
Theoretiker, richtige Strafe müsse immer nur, schon beim ganz klei-
nen Kind, mit „Vernunftgründen** arbeiten, erscheint uns also entwick-
lungspsychologisch völlig verfehlt Wollen wir uns an die „Vernunft"
des Kindes wenden, dann muß diese nicht nur gut entwickelt sein,
sondern es muß dieser Instanz im seelischen Haushalt des Kindes
bereits so viel Macht eingeräumt sein, daß ihr auch dynamische Mittel
236 Fritz Eedl
genug zur Verfügung stehen, um das als richtig Erkannte durchzu-
setzen. Vorher werden wir der Unterstreichung durch Übersieh- Appell
kaum entbehren können.
Dafür können wir aber beim entsprechend entwickelten Kind nun
mit umso größerer Entschiedenheit Ijehaupten, daß sich der Straf -
gebrauch seiner inneren Entwicklung anzupassen habe. Bas ichge-
recht entwickelte Kind noch mit bloßen Autoritätsstrafen behandeln
zu wollen, heißt wirklich, es auf eine Stufe herab drücken, die es
schon verlassen hat^ macht es unter der Last einer zu „kindischen
Behandlung'' leiden und läßt es störrisch werden. Wir können also mit
einiger Bestimmtheit angeben, welche Straf typen flir verschiedene
Lebensepochen die richtigen sind.
2. Wir können aber etwas noch viel Wichtigeres. Niemand wird
sich der Vermutung hingeben, daß die Herrschaft des Es, des Über-Ichs,
des Ichs, eine einfache Aufeinanderfolge verschiedener Entwicklungs-
strecken bedeute. Wir wissen längst, daß der eine Zustand nicht
schwindet, wenn der andere einsetzt, daß es sich viel mehr um eine
übereinanderlagerung handelt als um eine Sukzession, Die frühere
Schicht bleibt auch in der nächsten erhalten, sie wird durch diese
nicht verdrängt. Nun wissen w^ir aber ebenso, daß sich Kinder nicht
gleichmäßig zu entwickeln pflegen, oft auch plötzliche Stauungen im
Entwicklungsprozeß mitmachen oder nach längerer Zeit aus irgend-
welchen Gründen auf eigentlich schon überwundene Entwicklungs-
punkte zurückgeworfen werden. Diese Erwägung wird für den Er-
Äielmngsberater von unschätzbarer AVichtigkeit sein. Denn wenn dies
so ist, dann gibt es ja Kinder, die trotz vorgeschrittenem Alter noch
weitgehend auf der Stufe der Es-Herrschaft, der Über-Ich-Herrschaft
stehen geblieben sind, während andere wiederum die eine oder andere
Stufe in besonderem Tempo erreichen. Tatsäelxlich weiß jeder Er-
Ziehungsberater, wie häufig diese Fälle sind, |a, der Großteil des
Materials, mit dem er zu tun hat, besteht aus ihnen. Dann aber darf er
es als willkommenen Wink begrüßen, wenn er nun viel genauere An-
gaben z\i machen weiß, wenn ihn Eltern über die richtigeren Straf-
mittel befragen. Im Falle Sepp etwa hätte er dem Vater sofort sagen
können, daß weder Zureden noch Schreien etwas nützen kann. Dem
Vater des Hans hätte er, falls sich dieser etwa mit gutem Zureden
begnügt hätte, den Hat gegeben, doch nicht ganz auf die Unterstrei-
chung seines Redens durch autoritativere Maßnahmen zu verzichten.
Nehmen wir dagegen an, Kurt wäre in die Hand eines seh reisücht igen
Erziehers gekommen, wir liätten diesem mit unbedingter Sicherheit
raten können, sich die aufgeregten Szenen zu schenken, ohne daß er
darum Angst haben müßte, daß seine Maßnahmen dadurch v/eniger
Der Mf^ehanismue der Strnfwirkung 237
wirken würden. Wir können alles das mit ziemlicher Sicherheit, vor-
aussagen, soferne es uns nur gelingt, den jeweiligen Zustand des be-
treffenden Kindes auf die topisehe Prävalenz einer der drei
psychischen Instanzen hin richtig einzuschätzen. Diese Fähigkeit
aber bedeutet ohnehin eine der nnerläßlichsten Voraussetzungen für
die Tätigkeit des Erzielmngsberaters. Inunerliin w^ären wir dem Ana-
lytiker dankbar, wenn er uns einmal geordnet zusammenstellen würde,
was er an Indizien zur sicheren Diagnose der top i sehen Prävaleuz
von Ich, Über-Ich oder Es im seelischen Haushalt eines Kindes anzu-
geben weiß. Dann wären wir in der Lage, h'atschläge zu erteilen, ohne
auch in jedem einfachen Falle so langwierige Voruntersuchungen
anstellen zu müssen wie \m schwersten.
3. Das Vorherrschen von Ich, Über-Ich oder Es im Seelischen eines
Kindes muß nicht immer Entwicklungshemmung oder Regression be-
deuten. Es kann auch gewissermaßen zu den konstanten, kaum mehr
wesentlich beeinfl ulibaren Eigenschaften eines Menschen gehören.
Dann bestimmt es den t o p i s c h e n Typ, zu dem wir ihn rechnen
müssen. Wir erkennen in den Kindern, für die entweder die Ich- oder
die Es- oder Uber-Ich-Strafen vorwiegend passen, unschwer die be-
kannten „libidinösen Typen*' Freuds, deren Aufsteilung er in aller
Knappheit in seiner gleichnanngen Schrift") vorgenommen liat. Wenn
wir vom „erotischen" Typ Freuds hören, daß er „die elementaren
Triebansprüche des Es vertritt, dem die anderen psychischen Instanzen
gefügig geworden sind", so werden wir bei Kindern dieses Typs
sicherlich die Verwendung der Es-Strafe, des Liebesentzngs, für ange-
bracht halten. Übrigens sind diese Kinder in der Scluilklasse leicht
herauszufinden. Allzu auffällig verraten sie, was Freud für sie als
charakteristisch bezeichnet: „Lieben, besonders aber Geliebt werden,
ist ihnen das Wichtigste". Diese Kinder haben keine sehr entwickelten
Sachinteressen, sind oft verträumt, verspielt und verwenden ilir Haupt-
augenmerk darauf, ihr© Beziehungen zu den anderen Kindern und zum
Lehrer so auszubauen, wie es ilire. seelische Konstellation erfordert.
Störungen in diesen Beziehungen beseliäftigen sie sehr, ihre Haltung
zur Arbeit selbst bereitet dem Lehrer viele Sorgen. Gelingt es, diesen
Kindern auf dem Umweg über eine gute Beziehung zu seiner Person
viel Arbeitsfreude zu verleihen, so leidet anderseits ihre Leistungs-
fähigkeit darunter, daß sich 'J'riibungen in der libidinüsen Beziehung
zum Lehrer sofort in Lerntrotz oder Gleichgültigkeit umsetzen. Auch
sind diese Kinder in ihren Ansprüchen nicht leicht zu befriedigen da
sie sich auch mit der Tatsache, nur ein kleiner Teil unter so vielen
Gleichberechtigten zu sein, nur ung ern und nicht ohne Ressentiment
') Ges, Sehr. Bd. XII. :..:^ — "~"~
Zeitficbrilt f, psa. TU., TX/-1 «
238 Fritz Redl
abfinden. In ihrem allgemeinen Verhalten haben diese Kinder das
Talent, die Aufmerksamkeit des Lehrers an sich zu ziehen. Sie sind
meist „herzig" und nicht ohne Anmut, man merkt, daß sie auf dem
Gebiete des Eindruckmachens Routine liabeu und ihrer Wirkung
sicher sind. In vielen Fällen verstehen sie es dadurch auch wirklich,
sich anderen gegenüber in Vorteil zu setzen; sie erzielen für ihre
Leistungen immer ein wenig bessere Ergebnisse, als diesen direkt
entspräche, und machen es dem Lehrer auch sonst schwer, böse auf sie
zu sein. Auch physiognomisch sind diese Kinder aus einer größeren
Zahl sofort herauelesbar, nur ist e^ schwer anzugeben, worin ihre
physiognomischen Eigenheiten bestehen. Eine sorgfältige experimen-
telle Untersuchung dieser Art müßte zur Entdeckung ungeahnter
diagnostischer Hilfen führen.
Vom „Zwangstyp" sagt Freud, daß er sich ,, durch die Vorherr-
schaft des ÜberJchs auszeichnet'', „Er wird von Gewissensangst be-
herrscht an Stelle der Angst vor dem Liebesverlust, zeigt eine sozu-
sagen innere Abhängigkeit anstatt der äußeren, entfaltet ein hohes
Maß von Selbständigkeit". Unter den Schulkindern stellt dieser Typ
die „braven*'; auch die Streber und „Weinberl" stehen ihm nahe. Es
handelt sich um jene Schüler, die sehr eifrig bemüht sind» die Aner-
kennung des Lehrers zu ergattern, gescheiter und besser dazustehen
als die anderen. Sie sind demütig in ihren Umgangsformen, innerlich
aber leisten sie sich ein unheimliches Ausmaß an Hochmut gegen ihre
Kameraden. Das »O Herr, wie danke ich dir, daß ich nicht bin wie
jener" kann man ihnen immer am Gesicht ablesen, sobald ein anderer
etwas falsch macht, Sie sind innerlich meist auf Seite des Lehrers,
besonders, wenn er straft, was nicht ausschließt, daß sie keine große
Anhänglichkeit an seine Person zeigen. Er ist für sie nur wichtig,
sofern er ihr Vorgesetzter ist- Tritt ein anderer au seine Stelle, so
wird er ihnen ebenso bedeutsam, er nimmt seinen Platz lückenlos ein,
auch wenn er persönlich einen ganz anderen Typ darstellt. An der
Arbeit gewinnen diese Kinder nur insofern© Freude, als sie auch
anerkannt wird. Unbeachtetheit läßt ihr Interesse bald erlahmen.
Physiognomisch stellen diese Kinder meist einen hageren Typ von
ziemlich scharfen Gesichtszügen dar; ihre Haltung hat etwas stets
„Bereites" an sich, der Mund ist meist fester und geschlossener als
bei anderen Kindern des gleichen Alters, Kommt es bei solchen Kin-
dern vor, daß sie im Fleiße nachlassen oder schwierig werden, dann
ist der Autoritätsappell das sicherste StrafmitteL
Der Typ, dem wir die Ich-Strafe zuordnen möchten, wird von
Freud „narzißtischer Typ" genannt- „Keine Spannung zwischen
Ich und Über-Ich — man würde von diesem Typ her kaum zur Auf-
Der Mechauismue der Strurwiii;uiig 239
Stellung eines Über-Ichs gekommen sein — keine Übermacht der
erotischen Bedürfnisse, das Hauptinteresse auf die Selbsterhaltung
gerichtet, unabhängig und wenig eingeschüchtert".^) In der Schul -
klasse bilden diese Kinder den guten Durchschnitt. Zu außerordent-
lichen Leistungen fehlt es an Ehrgeiz, vor allzugroßer Vernachlässi-
gung der Arbeit schützt sie ein gewisses natürliches Interesse an den
meisten Dingen, ein beträchtlicher Betätigungsdrang. Sie machen ihre
fachen gerne, ohne doch je von etwas zu „schwärineu". Arbeiten, deren
Sinn und Zweck sie nicht recht einsehen, machen ihnen nicht viel
Spaß. Merken sie, daß sie nicht sehr kontrolliert werden, so machen
sie sichs leicht bequem; einem Lehrer „zuliebe" zu lernen, schiene
ihnen komisch. Sic greifen dafür aber auch nicht zum Lernstreik,
wenn sie der Lehrer schlechter behandelt, sondern stellen sicli mit
einem gewissen natürlichen Selbsterhaltungsinstinkt zu den meisten
Lehrern „richtig" ein. Man hat sie gerne, findet sie nur ein wenig
langweilig, aber sehr verläßlich. Physiognoinisch haben sie breite,
friedliche Gesichtszüge, sind relativ ruhig in ihren Bewegungen, etwas
bequem und gleichgültig in ihrer Haltung. Der Lehrer verwendet sie
gerne zu Hilfeleislungen, denn sie sind verläßlich ohne doch auf-
dringlich zu werden. Auf die Klasse haben sie meist einen beträcht-
lichen Einfluß, ohne sich sehr als Führer „aufzuspielen".
Dies nur als ungefähre Charakteristika, sie sind übrigens aus Beob-
achtungen an 10 — ISjährigen bezogen. Genauere Indizien über die
Zuordnung von Kindern zu den drei Typen wären jedenfalls für die
richtige erzieherische Behandlung von größter Bedeutung. Freud
schildert uns übrigens auch die drei Mischtypen : Beim „erotischen
Zwangstypus" scheint „die Übermacht des Trieblebens durch den
Einfluß des Über-Ichs eingeschränkt. Die Abhängigkeit gleichzeitig
von rezenten menschlichen Objekten und von Relikten der Eltern, Er-
zieher und Vorbilder erreicht bei diesem Typus den höchsten Grad".
Der „erotisch-narzißtische Typus" ist „vielleicht jener,
dem man die größte Häufigkeit zusprechen muß. Er vereinigt Gegen-
sätze, die sich in ihm gegenseitig ermäßigen können; man kann an
ihm im Vergleich mit den beiden anderen erotischen Typen lernen,
daß Aggression und Aggressivität in der Vorherrschaft des Narziß-
mus zusammengehen". Der „narzißtische Z w a n g s t y p u s"
endlich „ergibt die kulturell wertvollste Variation, indem er zur äuße-
ren Unabhängigkeit und Beachtung der Gewissenstorderung die
Fähigkeit zur kraftvollen Betätigung hinzufügt und das Ich gegen das
Über-Ich verstärkt". Auch diese Typen können wir im Schulzimmer
deutlich sehen, wir vermuten, daß sie auf dem Gebie te der Straftypen
•) Trend, 1. o. ~~~
240 Fritz Redl
ebenfalls Mi seh formen fordern würden, lassen uns aber nicht darauf
ein, diese Gedanken weiter zu verfolgen. Jedenfalls lehrt uns das
:^usammenhaUen der libidinösen Typen mit den Straftypen, daß wir
die Möglichkeit suchen konnten, den Eltern sehr konkrete Anweisun-
gen für die für ihre Kinder richtige Wahl der Strafmethoden zu
geben.
4. Wir können also genauere Angaben machen, welcher Straf typ
bei bestimmten Altersstufen, bei bestimmten Kindern, in bestimmten
Fällen von Erziehungsschwierigkeiten zu empfehlen ist. Wir haben
damit viel gewonnen, aber wir befinden uns doch noch in großer
praktischer Verlegenheit. Wir wissen es — wie aber machen wir es
den Eltern begreiflich? Wir werden uns bemühen, ihnen verständlich
zu machen, welches die Wesenheit der Ich-, Es-, Über-Ich-S träfe ist,
ohne sie mit psychologischen Belehrungen oder gar Terminis zu be-
lästigen. Wird uns das aber immer gelingen? Noch viel konkretere
Angaben könnten wir machen, wenn wir ihnen sagen könnten, was
sie eigentlich hören wollen: welcher Straf mittel sie sich bedienen
Süllen. Wenn es an diesen Straf mittein auch nicht in erster Linie liegt*
~ könnten wir ihnen nicht doch auch darüber Konkreteres sagen?
Tatsächlich belehrt uns ein Blick auf die Eeihe von Strafmitteln,
die wir früher angeführt haben, daß sich für sie doch ein etw^as
wesenhafterer Einteilungsgrund finden lassen müßte, als der Ge-
sichtspunkt, ob wir „mit der Hand'' oder „durch Worte" oder „durch
Handlungen" etc, strafen. Wenden wir unsere Aufschlüsse über den
topischen Ansatz hier an, so merken wir leicht, daß nicht alle Straf-
mittel für alle Straftypen gleich geeignet sein dürften. So dürften die
unmittelbar person gebundenen, wie Schlagen, Anschreien, Schelten,
mehr dem Cber4ch-Typ zuzuordnen sein. Der Liebesentzug hat sich
schon als typische Es-S träfe deklariert. Das Aussetzen realer, den
Schädigungen des Lebens nachgebildeter Unlustprämien ist wohl das
Mittel der „Anankestrafe'\ Diese Zuordnung von Strafmittel zu
Straf typ ist aber nun nichts Äußerliches mehr, wir werden uns von
ihr viel erhoffen dürfen.
5, Wir reden ununterbrochen von Strafen, da dies nun schon
einmal dem gewählten Thema entspricht. Dadurch könnte leicht der
Anschein einer neuerlichen Überschätzung der Strafe erweckt werden,
weshalb wir uns beeilen hinzuzufügen: Wir wissen natürlich^ daß die
Strafe nur einen ganz geringen Raum in unserem erzieherischen Tun
einzunehmen hat. Sie ist nur eines und ein recht derbes Mittel, dessen
wir uns nicht allzugerne bedienen wollen. Gerade deshalb aber ist sie
vielleicht mehr als manches andere geeignet, ans ihrem Mechanismus
Geheimnisse zu verraten, die natürlich auch in den feineren Er-
Der Mecliaiiisiuus der Strafwirkung 241
zichungsmethoden Geltung haben, ohne daß sie aus ihnen mit solcher
Deutlichkeit ablesbar wären. So gilt das hier Gesagte natürlich vor
allem ebenso für alles Belohnen, Auch dort werden sich Es-, Ich-
und Über-Ich-Belohniing voneinander unterscheiden, es werden sich
die einzelnen Methoden des Belohnens als von verschiedener top i scher
Valenz erweisen. Nicht weniger wird der Erzieher überhaupt gut tun,
sorgfältig, und zwar vor dem Einsatz der Erssiehungshandlung, zu
überlegen, ob er mehr an das Es, das Ich oder das Über-Ich zn appellie-
ren hat- Auch die Wahl zwischen den einzelnen Erziehungsmitteln
wird nicht ganz unbeeinflußt von topischen Gesichtspunkten vor-
zunehmen sein. Alles dies sei hier nur angedeutet, es ins einzelne
zu verfolgen, die ganze Erziehungspraxis einmal unter den Druck
der topischen Betrachtung zu stellen, soll als vielversprechender Ver-
such für später aufgespart bleiben,
Wir eilen weiter. Wir haben unserer topischen Betrachtung genug
zu verdanken. Wir haben unser Versprechen, durch Anwendung
tiefenpsychologisclier Gesichtspunkte aus den vagen Schatten der
psychologischen „Kegeln vom riclitigen Strafen", blutvolle und lebens-
nahe Ratschläge zu machen, weitgehend eingehalten. Freilieh war uns
von Anfang an darum zu tun, Kriterien zur eigenen Anwendung des
Praktikers zu geben, nicht fertige Kezepie,
Daß uns das Wesen des Strafprozesses in unseren Betrachtungen
klar geworden wäre, können wir aber nicht behaupten. Geben wir
uns keinen Illusionen hin! Wir wissen einiges nicht Uninteressante
vom Straf ansät z. Was sich da nun aber eigentlich abspielt, wenn
wir mit unseren Strafmelhoden bei Es, Ich oder Über-lch einsetzen,
darüber sind wir nicht klüger als zuvor. Wir werden uns aber kaum
zufrieden geben dürfen, ehe wir nicht auch davon wenigstens einiges
erfaßt haben,
Die D y n a m i k der Straf w i r k u n g.
Die Frage, die jetzt zur Diskussion steht, betrifft die innerpsyehi-
schen Vorgänge, die durch die Setzung der Straf unlu st ausgelöst wer-
den, durch die die erwünschte Straf Wirkung erreicht werden soll. Was
spielt sieh auf dieser langen und dunklen Wegstrecke vom Strafeinsatz
bis zur Straf Wirkung eigentlich ab? Der Strafeinsatz ist uns noch
völlig klar. Daß wir uns des Erzeugens von Unlust irgend einer Art
bedienen, gehört zu den konstituierenden Merknmlen des Straf be-
griff es. Auch das Ergebnis, das wir anstreben, kann kaum zweifelhaft
sein. Wir wollen, daß bestimmte Handlungen unterbleiben, oder andere
durchgeführt werden, obwohl das Kind von vornherein keine Neigung
n
242 Fritz Kedl
zeigtj sich diese unsere Wünsche zu eigen zu machen. Auf welchem
Wege erreicht die Strafe eigentlich das Wunder dieses Wandels?
Die analytische Literatur befaßt sich mit dieser Frage nicht in
derselben Ausführlichkeit^ wie mit anderen Teilfragen des Straf-
problems. Am ausführlichsten setzt sich mit ihr, meines Wissens^ Melitta
ö c h ni i d e b e r g in ihrer Arbeit j,Zur Dynamik der durch die Strafe
ausgelösten psychischen Vorgänge'*^) auseinander. Sie sagt dort: j,Die
Strafe bewirkt absichtlich Unlustgefühle und weckt dadurch Haß. Die
Wirkung der Strafe scheint vom Schicksal dieses Hasses bestimmt:
darf dieser Haß bewußt werden, weil er durch die erlittene Strafe
gerechtfertigt erscheint, wird das Kind rebellisch. Meistens kann der
Haß aber nicht ertragen werden, weil er zu stark ist, und er muß
verdrängt werden. Daß dieser Ausgang der häufigere ist, dürfte da-
durch zustande kouimen^ daß der durch die Strafe ausgelöste Haß den
tieferen, verdrängten, aus dem Ödipuskomplex stammenden Haß akti-
viert. Dadurch, daß die durch die Strafe verursachte Versagung die
früheren Versagungen aktiviert, wird zugleich der Haß geweckt, der
diese früheren Versagungen begleitet hat. Dieser Vorgang wird noch
dadurch verstärkt, daß die strafende Person ein Elternteil oder ein
Elternersatz ist, also die Person oder deren Image (Ersatz), von der
auch die früheren Versagungen ausgingen. Der plötzlich auf diese
Art geweckte Haß ist meist so intensiv und wird als so unerträglicli
empfunden, daß das Kind sich seiner nur durch Verdrängung er-
wehren kann. Der verdrängte Haß muß durch Liebe überkompensiert
werden, und so wird das bestrafte Kind brav und folgsam, unter Um-
ständen sogar zärtlich und liebesbedürftig, um sein Schuldgefühl
wegen seines unbewußten Hasses zu beruhigen,..''
Obwohl wir meinen, daß diese Ausführungen genetisch betrachtet
viel Richtiges enthalten, befremdet uns an ihnen doch einiges. Was
uns vor allem auffällt ist, daß die Strafe auch hier als topisch einheit-
licher Vorgang betrachtet wird, und wir vermuten, daß die Ausfüh-
rungen der Verfasserin kaum für alle drei Straftypen, die wir auf-
gestellt haben, in gleicher Weise passen werden.
Am ehesten scheinen sie uns für die Uber-Ich-Strafe zu stimmen.
Dagegen schiene es uns im Falle Kurt (Ich-Strafe) ein wenig ge-
zwungen von „verdrängtem Haß" zu reden. Wir meinen nicht, daß
das Verhalten von Kurts Vater zur Mobilisierung neuer oder alter
Haßregungen allzu großen Anlaß gegeben hätte. Wenn eine Erklärung
aber für einen der Straftypen besser paßt, als für einen anderen, dann
regt sich mit Recht der Verdacht, daß daran die Provenienz der Beob-
achtungen der Verfasserin aus Fällen des einen Typs schuld tragen
^) Ztschr. 1 psa. Päd., Bd. V, 1931, S. 310.
Der Mecbaiiismus der Straf wirkling 243
könnte. Was wir aber suchen, ^väre eine Einsieht in das Wesen allen
Stratens überhaupt, in der die Verschiedenheiten der drei Typen ver-
schwinden^ aufgehen müßte. Nicht weniger stört uns der Versuch,
den Segen der Strafwirkung allein von der Tatsache der „Verdrän-
gung'* der Haßregungen zu erwarten. Wir haben das Gefühl, daß
darin zwar vennullicli ein häufiges und wichtiges, aber kaum das
pädagogisch relevante Moment beim Strafprozeß verborgen sein kann,
ohne daß wir frei lieh so rasch angeben könnten, was uns an dieser
Formulierung so unzufrieden macht.
Auf der Suche nach weiteren Einsichten in die Natur des Straf-
prozesses werden wir gut tun, von einer scharfen Fragestellung aus-
zugehen, und gelangen dabei zu folgenden Vermutungen:
Die Frage, die uns am meisten interessiert, ist zunächst die, welche
Mächte die Strafe eigen tlicli einzusetzen hat, um so Unerwünschtes
und Unbequemes vom Eb zu — - erpressen» Daß es Triebkräfte sein
müssen, haben wir erwartet, es seheint auch nicht schwer, sie anzu-
geben. Es sind ganz offenkundig Aggressionen, Eegungen des
Destruktionstriebes, die da mobilisiert werden. Auch die einfachste
Beobachtung lehrt uns dies, ja wir können sogar die N a t u r bei ihren
Straf methoden verfolgen, und dürfen vermuten, daß der Erzieher so
ganz andersartige Mechanismen kaum zur Verfügung haben wird,
auch wo er sich scheinbar ganz verschiedener Mittel bedient. Die
Natur oder das ,, Leben" erzieht ihre Kiiider, indem sie sie an ihren
eigenen Ungeschicklichkeiten leiden läßt. Sehen wir uns nur das
kleine Kind an, das sich infolge seiner ungeschickten Bewegungen an
der Tischkante stüßl: Es selilagt mit einem nicht geringen Auf-
wand von Wut auf diese Tisehkante, olme daß es freilich Anlaß hätte,
diese Wut zu verbergen. Wir meinen übrigens, daß es auch keinen
Grund hat, eine Verdrängung vorzunehmen, und doch scheint die
,,Strafe'* ihre Wirksamkeit nicht zu verfehlen! Jedenfalls zeigt uns
schon dieses Beispiel deutlich, daß wir an die Tatsache, daß die Strafe
inimer von Personen verabreicht wird, nicht als an das Aller wesent-
lichste im Strafprozeß denken sollen, weshalb wir auch lieber von
Aggressionen reden wollen, als von „Haß'\
Wir haben also Aggressionen hervorgerufen, indem wir dem jun-
gen Wesen Unlust zufügten, — auf erlebte Unlust mit Aggression zu
reagieren, ist wohl das Normalste, Unmitlelbarste, das wir kennen.
Was aber nun?
Die zweite Frage, die uns wesentlich interessiert, ist wohl die nach
dem Schicksal dieser Aggressionen, Es wird offenbar alles darauf
ankommen, was das Kind mit diesen ausgelösten Aggressionen an-
fängt. Und da merken wir auch schon, daß uns an vielen Betrachtun-
244 Fritz Kedl
gen der Strafe noch etwas stört: daß sie auf diesen Punkt zu wenig
f'ücksicht nehmen, daß sie überhaupt von der Strafe als etwas Selbst-
verständlichem reden. Sollte aber die erfolgreiche Strafe denselben
Mechanismus haben wie die erfolglose? Tatsächlich scheinen viele
Auffassungen dahinzugehen, daß sich die Unterschiede der Wirksam-
keit nur aus der Wahl und Ausführung der Strafmittel herleiten.
Wir können uns des Verdachtes nicht erwehren, daß uns gerade
dieser Unterschied Wesentliches sagen müßte, und finden imsere Ver-
mutung auch wirklich gleich bestätigt. Sehen wir uns zunächst die
wirkungslose Strafe an oder, besser, die erfolglose, deren Wirkung
dem Sinne des Strafenden zuwiderläuft. Das unrichtig bestrafte Kind
sehen wir oft zurückschlagen, in Wut geraten, sich bockig zeigen.
tla, auch, wo es diese Äußerungen unterdrücken gelernt hat, bekommen
wir in der Folgezeit einen vermehrten Erzielumgswidei^stand zu
spüren. Auch die falsche Strafe erzeugt also Aggressionen des Kindes,
aber — gegen den Strafenden. Auch das Schicksal dieser
Aggressionen kann verschieden sein. Das eine Kind wird sie unverhüUt
in Gegenaktionen umsetzen, das andere wird sie im Weinkrampf ver-
beißen, das dritte vielleicht unterdrücken, aber für spätere Eache
vorbehalten, ein viertes wird vielleicht in ohnmächtiger Wut sogar
&inB Verdrängung vornehmen. Was aber gescliieht im richtigen Fall?
Im richtigen Fall wendet das Kind die freigewordenen Aggressio-
nen nicht gegen den Strafenden, sondern : gegen sich selbst.
Wir hätten ku dieser Einsicht tibrigcns kaum der Belraehtung bedurft,
wir hätten sie ebensogut aus dem ablesen können, was uns Freud
über die ersten Ansätze zur über-Ich-Bildung sagt: Das Grewissen
entsteht durch die Unlerdrüekung einer Aggression. Mit der Unter-
drückung allein ist es aber natürlich nicht getan: die unverwendbar
gewordenen Aggressionsmengen wendet das Kind gegen sich selbst.
Nicht Verdrängung also, sondern das andere der von F r e u d
in „Trieb und Triebschicksale"^) angegebenen Triebschicksale trifft
hier zu: Wendung gegen die eigene Person, Richtungsänderung.
Tatsächlich scheint dies der pädagogisch relevanteste Punkt zu
sein. Es ist nicht zu bestreiten, daß außerdem noch Teile der aggressi-
ven Regungen verdrängt werden können oder nicht, das Schicksal
aber, das für die Straf Wirkung von entscheidender Bedeutung ist, ist
die Wendung nach innen.
Was aber verursacht diese? Offenbar kommt nun alles darauf
an, daß wir diese Frage beantworten können, von ihr hängt nichts
Geringeres ab, als die Einsicht in das, was wir tun können und
müssen, um einer Strafe zum Erfolg zu verhelfen. All© unsere Ein-
*) Ges. Sehr, Bd. V. ^ "^ ~~ ^ "
Der Mechanismus der Strafwirkun^
245
sichten über Zuordnung der Straf mittel etc- treten in den Hintergrund
vor dieser Frage. Wir mögen es sonst noch so schlau anstellen und
alles berücksichtigen, was die Psychologie uns lehrt, es wäre ver-
gebens, wenn uns die Wendung der Aggressionsriehtung nicht gelingt.
Wir haben da einen Punkt entdeckt, dessen Berücksichtigung offenbar
für den Straferfolg von größter Bedeutung ist. Da er neu zu dem be-
reits Erwähnten hinzutritt, müssen wir zunächst eine Benonming für
ihn suchen, um ihn von den übrigen Gesichtspunkten klar abgrenzen
zu können. Nennen wir demnach, um der dringendsten Verlegenheit
KU entgehen, einstweilen die ICigcnarl ei3ier Slrafhandlung, zur Hich-
tungsurukehrung der Aggressionen zu zwingen, ihre „d yn a m i s c h e
V a i n z'\
Es wird nun offenbar alles darauf ankommen, daß es uns gelingt,
nülior zu bestimmen, worin diese besteht, und welche Eigenschaften
der Strafhandlung gewährleistet sein müssen, um sie zu erzielen.
Es fällt uns auch nicht schwer, zwei Momente zu entdecken, die
für die »^dynamische Valenz" einer Strafe ausschlaggebend sind:
1. Zunächst besinnen Avir uiii^ auf eine Antwort, die wir längst ver-
muten konnten; Die Entfaltung der Angst wird nicht unwesentlich
an diesem Prozeß der Aggressionswenduag beteiligt sein. Aus Angst
wagt das Kind nicht, die Gegenaggression zu betätigen. Freilich
werden wir zu Recht vermuten, daß es nicht immer dieselbe Art Angst
ist, die da mobil gemaelit wird, beziehungsweise deren Mobilisierung
ihrerseits die Kichtungsänderung der Gegenaggression bestimmt. Im
Falle der Über-lch-S träfe z. B. haben wir es mit Kastrationsangst
in Reinkultur zu tun.^ Der durch die Strafe ausgelöste Zuzug an
früheren, verdrängten Angstbereitschaften darf hier sicherlich be-
sonders hoch eingeschätzt werden. Darum wird es auch nicht an der
äußerlichen Fürchterlichkeit der Strafdrohung liegen, ob sie Erfolg
hat, sondern daran, wieweit sie latente Ängste rezent zu machen ver-
steht. Die Angst der Es-Straf e wiederum dürfte präödipalen Ursprungs
sein, vergleichbar jener Angst, die das Kind im Dunkeln erlebt, lange
bevor ödipale Kastrat ionsängste in Betracht kommen. Die Angst der
Ich-Strafe dagegen wird im wesentlichen Realangst sein, wenngleich
diese praktisch wohl immer durch die anderen Angslarten untermalt
sein dürfte. Bezeichnen wir nun noch der einfacheren Orientierung
halber die B'ähigkeit einer Strafe, Angst zu mobilisieren, als ihre
^) Für den analytischen Laien sei bemerkt, daß die psychoanalytische 1]
Zeichnung „Kastrationsangst" genetischer und tiefenpsycholoi^isclicr
Natur ist. Es^ wird dabei niomaly behauptet, daB im bewußten Erleben des
Kindot^ ?o v\\x:i^ wie Fureht vor einer Kastration cm illi allen f^ei!
Be-
er
246 Fritz Redl
.^Druckkraft*' oder als „Angstdruck", so haben wir damit offenbar
einen wesentlichen Hebel für die Strafwirkung erfaßt.
2. Und doch scheint die Angstmobilisierung allein nicht immer zu
genügen. Erinnern wir uns an unser Beispiel mit dem ganz kleinen
Kind, das wütend die Tischkante schlägt, an der es sich gestoßen hat,
— was ist schuld daran, daß es sich so falsch verhält? Es würde sich
offenbar richtiger verhalten, wenn es einen Einblick in den wahren
Sachverhalt hätte, wenn es wüßte, daß nicht die Tischkante die wirk-
liche Ursache seiner Unlust ist, sondern daß es für diese seine eigene
Ungeschicklichkeit, also einen Mangel seiner eigenen Person ver-
antwortlich zu machen hat. Es richtet, wie zu erwarten steht^ seine
Gegenaggression gegen das, was es als Ursache seiner Unlust erlebt.
Was ihm zur richtigen Verwendung seiner Gegenaggressionen fehlt,
ist offenbar: daß es nicht sich als die wahre Ursache der erlebten
Unlust erkennt. Bezeichnen wir die Tatsache, daß an zustandegekom-
mener Unlust nicht fremde Personen oder Vorgänge außer uns ver-
antwortlich zu machen sind, sondern daß wir uns selbst als eigentliche
Ursache zu betrachten haben, als Schuld, dann können wir leicht
angeben, was dem kleinen Kind die so unzweckmäßige Verwendung
seiner Gegenaggressionen ermöglicht hat: sein Mangel an Schul d-
einsicht. Sollte etwas von solcher „Einsicht" am Ende bei allem
Strafen eine gewisse Rolle spielen? Freilich dürfen wir dabei nicht
an Einsicht im gewöhnlichen Sinne denken, vor allem natürlich an
nichts, was irgendwie mit bewußter „Erkenntnis" zu tun hat. Doch
wir müssen zugeben, daß es für das Schicksal der kindlichen Gegen-
aggressionen nicht gleichgültig sein kann» ob es den Strafenden oder
sich selbst als Ursache erlebt; wir meinen also auch im Moment der
Schuldeinsicht eine unerläßliche Bedingung für das Eintreten
der richtigen Straf Wirkung festgelegt zu haben, neben der oben er-
wähnten Angstmobilisierung.
Wir vermuten auch, daß es wieder besondere Eigenschaften
der Strafbehandlung sein werden, von denen es abhängt, ob die
Erweekung von Schuldeinsicht gelingt, und sind besonders bedacht
dflrauf, diese kennenzulernen. Wir müssen auch nicht lange suchen;
einer der häufigsten Fehler im Strafen verrät uns auf den ersten
Blick, worauf es ankommt, nämlich die sogenannten „ungerechten**
Strafen. Woran liegt es, daß diese nicht nur ihre Wirkung ver-
fehlen, sondern vielmehr so bösen Sehaden anrichten? Das ist gar
nicht so selbstverständlich, wie es scheint. Ein Vater ist gerade
schlecht aufgelegt. Er erfährt von einem Unfug seines Kindes; voll
Grimm nimmt er eine entschiedene Strafhandlung vor. Nachher stellt
sich heraus, daß der Schnldanteil des Kindes in keinem Verhältnis
ii
per Mechanismtie der Straf Wirkung 247
zur väterlichen Reaktion steht, daß er auf die Strafe vermutlich über-
haupt verzichtet hätte, wenn er weniger „fuchtig'* gewesen wäre und
die Sachlage vorher ruhiger geprüft hätte. Tatsächlich werden in
Foichen Fällen ja fast immer auch sonstige schwere Fehler in der
titrafteclmik begangen. So fällt etwa das Strafausmaß zu hart aus,
die Wahl des Straf mittels mißlingt, kurz, die ,, ungerechten'' Strafen
haben meist so viele Fehler an sich, daß wir versiicht sind, sie i h v e t-
we ge n für verfehlt zu halten. Und doch könnten wir uns prinzipiell
auch „ungerechte** Strafen vorstellen, die straf technisch vollkommen
einwandfrei aufgebaut sind. Lassen wir einen A^ater sein Kind, das
eine Vase zerschlagen hat, weil es sein Bruder gezwickt hat, noch so
„vernünftig'* bestrafen: ohne Wutgebrüll, ohne Schläge, etwa durch
einen der kindlichen Leistungskraft angepaßten Sclmdenteilersatz, so
wird von der bösen Wirkung der Bestrafung doch nichts wegfallen. Die
Tatsache, daß das Kind sich keinen Schuldanteil an der erlebten Straf-
unlust zuschreiben kann, wird die Bewältigung der ausgelösten Ge-
genaggressionen durch Richtuugsänderung absolut verhindern. Die
,jUngerechte" Strafe verfehlt also ihren Zweck, auch wenn sie sonst
noch so gut aufgebaut war, weil es ihr nicht gelingt, das unerläßliche
Moment der Schuldeinsicht zu erzielen. Wir gehen einen Schritt weiter
und bemerken luit Erschrecken, wieviele „gerechte** Strafen an dem-
selben Mangel leiden. Da mag alles in Ordnung sein, das Kind sogar
schuldig, seinem Typ oder Entwicklungszustand nach auch wirklich
strafreif sein ~ wird die Strafe so ausgeführt, daß es sie für persön-
liche Rache des Strafenden halten muß, dann wird sie unweigerlich
ihre Wirkung verfehlen. Und damit fällt es uns nicht mehr schwer
anzugeben, worauf es ankommt, daß das unerläßliche Moment der
Schuldeinsicht gewährleistet ist: Die Strafe muß so aufgebaut sein,
daß sie das Kind trotz ihrer unlusterregenden Wii^kung nicht
als Aggressionsäußerung der strafenden Person erlebt, sondern als
indirekte Folge seiner eigenen Schuld. Wir nennen diese Eigenschaft
einer Strafe, nicht als „Rache" oder „Aggression'' erlebt, sondern als
objektive Erziehungsmaßnahme erfaßt zu werden, ihre „S a c h h a 1-
t i g k e i t" und haben damit unsere Liste der wirkungsrelevanten
Straf eigenschaften um einen wichtigen Punkt bereichert. Nur „sach-
haltige'* Strafen können die richtige Wirkung erzielen. Fehlt ihnen
diese wichtige Bedingung, so sind sie verfehlt, mögen sie straftecli-
niseh noch so raffiniert aufgebaut sein und alle übrigen Bedingungen
erfüllen, die wir bereits kennengelernt haben. Wir hoffen, daß es
uns bald gelingt, genauer anzugeben» was alles dazugehört, um eine
Strafe „sachhaltig" sein zu lassen,
Stellen wir die beiden wichtigen Eigenschaften der Strafe, die wir
248 ' Fritz ßedi
eben gefunden haben nebeneinander, nämlich ihre Druckkraft
und ihre S ac h h a 1 1 i g k e i t, so merken wir mit Staunen, daß sie
eigentlich Gegensätze darstellen, obwohl sie doch als Bedingungen
füj* ein und dasselbe Moment in den innerpsychischen Straf Vorgängen
zu betrachten sind, nämlich für die Erzeugung der „dynamischen
Valenz", Wenn zwei Merkmale eines und desselben übergeordneten
Begriffes Gegensätzlichkeit zeigen, dann kann dies nur so zu erklären
sein, daß sie Endpunkte einer H e i h e sind, selbst gewissermaßen
Gronzbegriffe, die in ihrer vollen Reinheit in der Praxis selten auf-
zufinden sind, deren verschiedenhaltige Mischung den Normalzustand
bedeutet. Wir würden dann vermuten, daß wir auch die Strafen je
nach dem Ausmaß, in dem Druckkraft und S a c h h a 1 t i g k e i t
in ihnen vorwiegen in einer kontinuierlichen Heihe anordnen könn-
ten, wohei der reine Angstdrnck ohne Schuldeinsicht den einen, die
reine Schuldeinsicht ohne Angstdruck den anderen Endpunkt dar-
stellen würden. Das erste würden wir noch nicht als „Strafe" be-
zeichnen, es gehört in die Gruppe reiner Eache- oder, bestenfalls,
Zweckhandlungen, denen ernste Erziehungsabsicbten nicht zuzu-
schreiben sind. Der zweite Fall könnte nicht mehr als „Strafe**
bezeichnet werden, sondern würde den reinen Fall des „Erziehens"
ohne Unlustdruck dars teilen. Wir meinen also, daß der Anteil von
Angstdruck und Schuldeinsicht am Zustandekommen der Strafwirkung
jeweils sehr verschieden angesetzt werden kann, daß aber keines von
beiden fehlen darf, wenn wir den Terminus „Strafe' für angebracht
erklären wollen.
Wie stehen nun unsere topischen Straftypen hinsichtlich der Be-
teiligung von Angstdruck und Schuldeinsicht am Zustandekommen
der dynamischen Valenz? Sind wirklich bei allen drei Typen beide
Momente anzutreffen?
Auf den ersten Blick scheint dies höchst unwahrscheinlich zu sein.
Können wir nicht die ÜberJch-Strafe als den reinen Fall von Angst-
niobilisierung bezeichnen? Bedarf es bei ihr eigentlich der Schuld-
einsicht, um die Strafwirkung zu erreichen, erfolgt diese nicht einfach
aus der Mobilisierung der Angst von selbst? Schaltet die Auslösung
gl üßerer Mengen von Kastrationsangst die Möglichkeit einer Gegen-
aggression nicht von vornherein so absolut aus, daß es des Einsichts-
momentes als Unterstützung gar nicht bedarf? Noch merkwürdiger
scheint uns die Forderung von „Sachhai tigkeit*' (Fähigkeit, Schuld-
einsicht zu erwecken) bei den Es-Strafen. Bauen diese doch ihre Wir-
kung so deutlich auf die Beziehung zur Person auf, daß es geradezu
widerspruchsvoll klingen muß, da überhaupt von „Sachhaltigkeit"
zu reden! Dagegen scheinen die Ich-Strafen den anderen Gegenpol
I
I
Der Mecbaiiisiiiijs der Strafwirkiing
249
darzustellen. Im Verhalten von Kurts Vater finden wir so wenig von
Angstdruckj daß es kaum der Erwähiumg wert scheint; selbst was an
Realangst mobilisiert wird, ist nicht viel. Jedenfalls scheint hier das
Einsichtsmoment in erster Linie beteiligt zu sein. Und doch — wenn
es ganz allein ausschlaggebend wäre — hätte es da der Strafe über-
haupt bedurft?
Unsere erste Vermutung, daß Angstdruck und Schuldeinsicht in
Jedem Ötraffall unentbelirüch sind, gewinnt wieder an Bedeutung,
wenn wir ein paar Gedankenexperiniente durchführen; stellen wir
uns nur einmal einen solchen Greuzfall vor: den Vater, der sehr hart
und sehr über-ich-betont straft, also den in Wut prügelnden Familien-
t;^ rannen. Das Kind wird sicherlich von Angst so sehr tiberschwemmt
werden, daß es weder an bewußte Gegenaggression, noch an sichtliche
Gegenwehr denkt; es wird sich fügen und folgen. Wird diese Folg-
samkeit aber in allen Fällen als gleicliwertig zu befrachten sein?
Stellen wir uns einmal vor, der Vater strafe außerdem nocli so, daß
nicht der wirkliche Schuldgehalt des kindlichen Verhaltens^ sondern
allein die zufällige Erregtheit des Vaters für seine Straf handlungen
maßgebend ist, dann dürfen wir kaum zweifeln, daß wir nur einen
Teil der Gegenaggressionen zur Unterdrückung der verpönten Hand-
lungsweise verwendet, gegen das eigene Icli gerichtet finden werden,
gerade so viel, als genügt, um die verpönte Handlung in Zukunft zu
verhindern. Ein großer Teil aber wird dabei nicht gegen das Ich
gewendet werden, sondern andere Verwendung finden: sei es in Form
der stillen Gegenwut, der unterdrückten Trotzphantasie, der Wut-
stauung in Form aufgeschobener Rache, sei es in Form von Ver-
drängung, die zur Erzeugung unbewußten Widerstandes führt.
Nicht anders liegt es im Falle des Liebesentzuges. Die Mutter, die ihr
Kind nur aus Laune bald mehr, bald weniger liebt, wird Gegenwut,
Gereiztheit erzielen. Nur wenn der Liebesentzug zum Schuldausniaß
des Kindes in vernünftige Eelation gesetzt wird, die vom Kind auch
als solche erfaßt werden kann, wird eine erzieherische Verwen-
dung der Gegenaggressionen eintreten können. (jbrigens sei zur Tech-
nik des Liebesentzuges hier noch vermerkt, daß die entzogene Libido-
menge freibleiben muß. Wird sie bei anderen Objekten untergebracht,
dann reagiert das Kind ebenfalls mit Gegenwut, Kachegelüsten oder
Entwertung- Nur die freischwebende, gewissermaßen wieder rück-
eroberbare entzogene Libido ist pädagogisch fruchtbar zu maclien.
Der Denkfehler, der uns zu unserer Vermutung, es gäbe reine
Person- und reine Sachstrafen verleitet hat, ist übrigens leicht
aufzudecken: Es ist zuzugeben, daß bei Über-Tch- und Es-Strafe
die Person weit mehr im Vorder gründe steht, als bei der Icli-
250 Frirz Eedl
Strafe. Aber sie steht im Vordergründe im Sinne des Mittels,
dessen sich die Strafe bedient. Sie ist der E insa t z^ um den es geht.
Daß die Person aber einmal eingesetzt wird und einmal nicht, das
wiederum darf nicht persönliche, das muß rein saeh liehe Gründe haben.
Unsere Bemerkung vom Sachgehalt der Strafe bezieht sich also auf
den Strafanlaß, nicht auf die straf ausführende Person, Fassen
wir zusammen: Zur Erzielung der dynamischen Valenz der Strafe
bedarf es des Angstdruckes und der Schuldeinsicht; Druckkraft und
Sachhaltigkelt sind zwei Endpunkte einer Reihe, deren Anteil am
Zustandekommen der dynamischen Valenz bei den verschiedenen
Straftypen verschieden ist, die aber doch beide jederzeit beteiligt
sein müssen; die Endpunkte dieser Eeihe bilden Rache ohne eigent-
liche erzieherische Wertigkeit und reine Erziehungshandlung, die
nicht mehr ins Kapitel „Strafe" fällt, auch wenn wir dieses Kapitel
im %veitesten Sinne des Wortes meinen. Übrigens sei, um Mißverständ-
nissen vorzubeugen, an dieser Stelle noch einmal daran erinnert, daß
sich diese Untersuchung das Ziel setzt, für den P r ak t i k er frucht-
bar zu machen, was sich an psychologischen und psychoanalytischen
Einsichten über den Strafprozeß gewinnen läßt. Es soll aber ganz
besonders betont sein, daß diese Untersuchung keinen Anspruch
darauf erhebt, das Problem der Strafwirkung analytisch einwand-
frei zu lösen oder auch nur darzustellen- An diesem Punkt z, B, müßte
der berechtigte Einw^and des Analytikers dahin lauten, daß Angst-
druck und Schuldeinsicht zwar pädagogisch nebeneinandergestellt
werden können, daß sie g e n e t i s c h gesehen aber nicht auf gleicher
Ebene liegen. Denn natürlich bezieht auch die „Schuldeinsicht" ihre
Kraft, Gegenaggressionen zur Richtungsänderung zu zwingen, nur
daraus/ daß sie ihrerseits frühere Ängste mobilisiert, wodurch
den aus der unmittelbaren Angsterregung stammenden dynamischen
Quanten eine Verstärkung zufließt Einsicht an sich kann keine Ver-
stärkung der Angstmobilisierung bedeuten; erst dadurch, daß sie eben
Schuld einsieht ist, das heißt auf frühere Angsterlebnisse ähnlicher
Art zurückgeht, erhält sie ihre dynamische Fähigkeit. Trotz dieser
bedeutsamen Unterschiede verharren wir bei der Nebeneinanderstel-
lung von Angstdruck auf der einen und Schuldeinsicht auf der anderen
Seite, da uns in der Darstellung für den Praktiker mehr um den Un-
terschied dieser beiden Angstarten zu tun ist. Daß sich hinter der
Schuldeinsicht selbst wieder andersschichtige Angstsukkurse verstek-
ken, kann für die Praxis ruhig unerwähnt bleiben. Wir haben neue
Fachausdrücke eingeführt, wir können auch nicht behaupten, daß die
Sachlage im Laufe unserer Untersuchung viel einfacher geworden
ist. Wenn wir so umständliche Umwege machen, dann muß sich dies
i
Der Mechanismus der Straf Wirkung 251
dadurcli rechtfertigen, daß die Anwendung unserer Formulierungen
in ähnlicher Weise einer erweiterten praktischen Verwertbarke it ent-
sprichtj wie wir dies bei der Aufstellung der topiechen Straftypen
feststellen konnten. Versuchen wir also einen ähnlichen Gedanken-
gang,
1. Schalten wir wieder einmal die genetische Betrachtungsweise
ein, so werden wir die Beteiligung von Angstdruck und Schuldeinsiclit
für die verschiedenen Entwicklungsetappen verschieden aufteilen.
Wir werden demnach den Erzieher der präödipalen Zeit auf die Be-
deutung der durch Liebesentzug jeweils ausgelösten Angstmenge auf-
merksam machen, die richtige Dosierung des Liebesentzuges bei
sachrichtigen Anlässen zur Bedingung stellen. Für das Kind in der
Zeit der Gewissensherrschaft bei geringer Vernunftentwicklung wer-
den wir das Vorwiegen des Angstdruckes ebenfalls anraten dürfen,
aber die Bedingung stellen, daß die Strafe so vorgenommen werde,
daß der Bildung der richtigen Scliuldeinsicht nebenher freier Raum
bleibt, da sie zur erzieherischen Wirksamkeit der Strafe unerläß-
lich ist. Für die Zeit der Ich-Erstarkung werden wir das Zurück-
treten des Angstdruckes, der ein immer mehr zu überwindendes Mini-
nmm darzustellen hat, verlangen, und die Hinwendung der Strafe zum
Typ des reinen, angstdruckfreien Einsiehtsappells anstreben. Die
Praktik des Strafens der einzelnen Altersstufen wird in einer kon-
sequenten Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte w^eit gehende Er-
leichterungen finden.
% Der Erziehungsberater wird aus der Art der vorliegenden Fehl-
bildung eines Kindes das Ausmaß, das er der Verwendung vou Angst-
druck und Schuldeinsicht zuzuwenden hat, ohne weiteres ablesen kön-
nen. Je nachdem, ob es im präödipalen, im ödipalen Stadium hängen
geblieben ist, oder auf einer Stufe der späteren Zeit, wird er seine
Ratschläge an die Eltern verschiMen einrichten.
S. Der Erzieher und Lehrer wird bei richtiger Typenerfassung
der Kinder seine Zöglinge, individuell abgestuft, mehr auf Angst-
druck oder mehr auf Einsicht behandeln und wird der jeweiligen
Dosierung von beiden die größte Sorgfalt zuwenden. Denn er weiß ja:
Alles kann richtig sein an einer Strafe, Strafmittel, Strafansatz und» was
sonst an psychohygienischen Bedingungen in Betracht gezogen wer-
den muß; fehlt er aber in puncto Strafdynamik, dann war alle Mühe
vergebens,
4. Wieder sind wir neugierig darauf, ob wir nicht vielleicht doch
auch für die Verwendung der einzelnen Straf mittel aus unserer
dynamischen Betrachtung etwas gewinnen können. Damit wäre uns
für die Praxis am meisten gedient.
252 l^i«t2 Redl
Tatsüclilich scheint sich gerade die dynamische Betrachtung an
diesem Punkte besonders fruchtbar zu erweisen. Denn schon ein kur-
zer Blick unter diesem Gesichtswinkel lehrt uns^ dail wir jetzt endlich
ein Kriterium in der Hand haben, über den Wert oder Unwert des
einen oder anderen Straf mittels ein entscheidendes Urteil zu fällen:
So zeigt sich vor allem das Straf mittel des Schiagens von diesem
Standpunkt aus als besonders verdächtig- Wir haben ja zur Bedingung
gestellt, daß das Moment der Schuldeinsicht nicht vernachlässigt
werde. Die Strafe nuiii so aufgebaut sein, daß es dem Kind gelingt,
] lieht den Strafenden, sondern sich selbst als eigentliche Ursache der
erlittenen Strafunlust zu erleben. Auch da, wo sich die Strafe nicht
auf diese Einsicht allein verläßt^ sondern die Unler Streichung durch
Angstdruck vorzieht, muß doch die Gelegenheit, diese Einsicht wenig-
stens außerdem zu gewinnen, als erzielierisch ausschlaggebend be-
trachtet werden. Damit aber haben wir jeder Körperstrafe das Ur-
teil gesprochen. Denn eine körperliche Aggression wird vom
Kind so sehr als Persönlichstes erlebt, daß auch der vielleicht
vorhandene Sachgehalt der Strafe dahinter vollkommen verschwinden
muß. Im Moment des Geschlagenwerdens zu erfassen, daß „nicht der
Schlagende, sondern das eigene unbeherrschte Innere eigentliche Un-
lustursache ist'', ist wohl eine Zumutung, die mit den Tatsachen
menschlichen Erlebens nicht rechnet. Die Körperstrafe verlockt das
Kind eo sehr» sie bewußt oder unbewußt als Raehehandlung mißzu-
verstehen, daß das wesentliche Moment der Einsicht in ihr nie voll
erreicht werden kann.
Darum bezeichnen wir sie als falsch, sprechen ihr die Fähigkeit
Erziehungsmittel zu sein, völlig ab. Ich meine, wir haben damit erst
ein Argument in der Hand, das sich wirklich auf ihre pädagogische
Kelevanz bezieht- Alle anderen Argumente entstammen ethisch-welt-
anschaulichen oder sentimental-gefühlsmäßigen Gründen, Wir mögen
diese als noch so berechtigt anerkennenj zur wissenschaftlichen Wider-
legung der Körperstrafe werden wir uns lieber auf sachhaltigere Ar-
gumente stützen. Wir meinen darum auch, daß die Körperstrafe von
jedem Erzieher abgelehnt werden müßte, gleichgültig, ob er sich zu
einem passiv-sentimentalen oder einem heroisch-aktiven Weltbild
bekennt, — abgelehnt, weil sie vom immanenten Standpunkt der Straf-
t e c h n i k aus ungeeignet ist.
Ein einziger Einwand scheint mir möglich, den es zu widerlegen
gilt, Haben wir nicht vorhin selbst die Natur, das Leben als Muster
herangezogen und behauptet, daß sich der Erzieher — innerhalb ge-
wisser Grenzen natürlich — gelegentlich ein Beispiel an ihr nehmen
darf? Die Natur aber kennt Körperstrafen in gewaltigstem Umfang;
i
Der Mechanismus der Straf Wirkung
253
wer sich ihren Gesetzen nicht fügt, den bestraft sie auch bedenkenlos
mit dem Tode. Wieder brauchen wir keine weltanschaulichen Argu-
mente, nm die Unhaltbarkeit dieses Einwandes zu erweisen Ks genügt
uns, den psychologischen Unterschied im Bestraftwerden durch dte
Ananke und durch die Person eines Erziehers zu betonen Denn ab-
gesehen davon, daü wir den Naturstrafen niaclitlos gegenüberstehen
und die Fragestellung, ob die Natur es psychologisch richtig macht
oder falsch, eigentlich müßig erseheinen muß: Wenn zwei dasselbe
tun, so ist es noch lange nicht dasselbe. Wenn mich das Schicksal
schlägt, dann ist es eine unpersönliche Macht. Schlägt midi der Vater,
dann wird der ganze Konflikt heraufbeschworen, der aus dem ödipus-
und Kastrationskomplex stammt. Wo magische Ausdeutung der Natur-
vorgänge vorliegt, wie etwa beim kleinen Kind, wird ja tatsächlich
auch die Naturstrafe nicht weniger bedenkliche Wirkungen auslösen
als ein ungeschickt angebrachtes Stratmittel sonst. Der Blitz, der im
Moment des schlechten Gedankens niedersaust, hat dieselbe Schock-
wirkung, wie der wütende Schlag des empörten Vaters; nur haben
wir keine Möglichkeit, ihn zu vermeiden. Wo wir dagegen die Natur-
strafe als das empfinden, was sie ist, als unerbittliche Äußerung der
Ananke, da wird alle Gegenaggression so „sinnlos", daß uns auf die
Dauer aucli bei größtem Widerstreben nichts übrigbleibt als die Eück-
wendung gegen unsere eigene Person, als Selbsterziehung. Freilich
dürfen wir der Natur den Vorwurf nicht ersparen, daß sie nicht immer
ganz zweckmäßig straft, sie hat sich tiefenpsychologische Gesichts-
punkte scheinbar nicht zu eigen gemacht. Denn ob wir die Kraft auf-
bringen, aus ihren Strafen die richtigen Konsequenzen der Selbst-
anpassung zu ziehen, oder ob wir an den psychischen Traumen, die
sie uns zufügt, zugrundegehen, danach fragt sie nicht. Für den Er-
zieher aber darf das keine Ausrede sein!
: Nehmen wir das nächstfolgende Strafmittel unter die Lupe — zu
dem es in der Natur allerdings kein Äquivalent mehr gibt, — das „An-
schreien", Anbrüllen, Schelten usw., so wird auch dieses nicht geeignet
sein, uns zu begeistern. Es besteht kein Zweifel, daß der Sinn des An-
schreiens in der Auslösung des Angstdnicke.s liegt. Wir haben gegen
diesen an sieh nichts einzuwenden. Die Fälle, in denen wir ihn nicht
enthehren können, sind jedem Praktiker bekannt genug. Erwägungen,
daß es „unfein" sei, die armen Kindlein zu ärgern usw., wollen wir als
nicht sachrelGvant nicht gelten lassen. Dagegen scheint uns eines von
Bedeutung: Auch diese Straf mittel — sofern sie nicht überhaupt
weniger Straf mittel, denn Vorwegnahmen solcher sind, — müssen
unserer Forderung nach Saehhaltigkeit entsprechen, seheinen aber
wenig dazu geeignet, dies zu tun. Wer vom erzürnten Vater ange-
ZeiUchrift f. psa. Päd., IX/4
254 Fritz Redl
brüllt wird, erlebt auch das schwer als Äachliche Reaktion auf ein
imrichtiges Verhalten» sondern eher als die persönlichste Aggression,
deren Plötzlichkeit die Einsicht in die eigentlichen Motive zum An-
schreien völlig vergessen läßt. Das Bild des er^.ttrnt schreienden
Vaters ha( für das Kind vor allem eine schwere genetische Belastung.
Für das kleine Kind, in seiner Ohnmacht und Verständnislosigkeit,
muß zunächst diese Art der Behandlung als reine Aggression erfaßt
worden sein und ungeheure sinnlose Angst ausgelöst haben. Wieviel
von dieser Angstanslösung auch im Erwachsenen noch steckt, geht
ans der Üherlegung hervor, wie sehr sich viele sonst vernünftige und
mutige Menschen oft einschüchtern lassen, wenn es jeinand nur ver-
steht, sie richtig anzuschreien.
Wieder werden wir also sagen: Wenn schon das Anschreien
nicht so völlig persongetränkt ist wie das Schlagen, so enthält es doch
allzuviel des Allzupersönlichen, als daß es vom Gesichtspunkt des
Einsichtsmomentes als sehr geeignet betrachtet werden könnte. Frei-
lich tun wir vielleicht gut, zwischen „Anschreien" und „Anfahren"
zu unterscheiden: Lehnen wir jenes als wütende, hart an der Grenz©
des Angreif ens liegende Aggression ab, so werden wir das „Anfahren"
eher dulden können. Wir wollen darunter den Fall verstehen, in dem
ein Erzieher dem Kinde einen saehrichtigen Tatbestand mitteilt, die-
sen aber durch die Gebärdensprache des Böseseins unterstreicht, Sol-
ehe Mittel sind zwar erzieherisch nicht besonders tragt ähig^ sind aber
manchmal, wo es auf rasche Wirkung ankommt, nicht ganz von der
Hand zu weisen.
Einen besonders unerquicklichen Sonderfall des „Anschreiens"
stellt das „Nörgeln" dar, das auf den ersten Blick gar nicht so
leicht als solcher zu erkennen ist. Es verzichtet jedenfalls auf Stimm-
intensität — eine „Schonung", auf die der Nörgelnde zu unrecht
stolz ist! — und ersetzt diese durch Ausdauer in der Wiederholung
des Vorhaltens längst vergangener und in jeder Hinsicht erledigter
gchuldhafter Handlungsweisen. Da die vom Nörgelnden zitierte
frühere „Schuld*' mit der vorliegenden oft so gut wie gar nichts zu
tun hat, entsteht für das Kind der Eindruck der Ungerechtigkeit- Wer
bei jeder kleinen Unachtsamkeit des Kindes sämtliche verjährte Sün-
den auffahren läßt, der erreicht dadurch nur, daß das Kind die momen-
tane Schuldlosigkeit so sehr in den Mittelpunkt seines Erlebens legt,
daß der wirkliche Scliuldgehali des vorliegenden Vergehens dahinter
verblaßt. Darin liegt die Ursache, daß der nörgelnde Erzieher seine
Wirkung meist verfehlt, nicht so sehr darin, daß sich das Kind an das
Nörgeln „gewöhnt". Von einer solchen Gewöhnung habe ich selten
etwas gemerkt, vieiraehr fand ich, daß die Kinder unter dieser Eigen-
I
Der MecIianiBinup der Str.ifwirku
"ff
255
Schaft regelmämg sehr leiden, auch wenn sie aus ihr den sekundären
Grewmn dor Schuldabschiebung raffiniert zu beziehen verstehen
Die übrigen Stratmittel: Schelten, Zafügung lebensgerechter Ua-
annehmhchkeiten (Ivmoverbot, Ausgangsentzug usw.) usw. scheinen
an sich einwandfrei, denn sie widersprechen ihrer Struktur nach der
Möglichkeit, dem Momente der Schuldeinsieht Rechnung zu tragen
keinesfalls. Trotzdem aber scheint die Möglichkeit der Schuldeinsichi
auch bei Ihnen nicht von vornherein gewährt, vielmehr kennt jeder Er-
zieher die Fälle, wo sie sich deutlich genug weigert, sich einzustellen
Wenn es aber möglich ist, daß auch bei sonst „sachhaltigen'- oder
wenigstens zur Sachhaltigkeit geeigneten Strafmitteln die Erweckung
der Schuldeinsicht ausbleibt, dann muß es außer der Struktur des
Straf mittels noch ein Moment geben, von dem seine sachhaltige Wir-
kung abhängt. Es wird von großer Wichtigkeit sein, es zu finden. Es
wird dann offenbar nicht im Strafmittel selbst gelegen sein können,
sondern in der H a 1 1 u n g des Strafenden, und ist leicht zu entdecken!
Wir haben die Körperstrafe abgelehnt, weil sie uns ungeeignet
erschien dem so wesentlichen Moment der Schuldeinsicht Raum zu ge-
währen. Wir haben für die anderen Straf mittel eine so weitgehende
Entscheidung nicht aufrechterhalten können, dagegen können wir
einen Begleitumstand angeben, der geeignet ist, auch das an sich beste
Strafmittel zum schlechtesten zu stempeln: Das ist die Entfaltung von
persönlicher W n 1, die Strafe im A f f e k t. Der Erzieher, der in W u t
straft, kann noch so sachrichtig strafen, die Tatsache, daß er selbst in
Wut ist, wird genügen, um dem Kinde den Weg zur Einsicht in die
Kichtigkeit des Straf fall es zu verrammeln. Wut löst ebenso unmittel-
bar persönlichst gerichtete Gegenwut aus wie körperliches Sehlagen.
Selbst wenn die Strafe immerhin noch so weit richtig ist, daß sie
wirkt, werden -also durch die Wut des Strafenden doch so viele
Gegenaggressionen geweckt, daß deren völlige Urakehrung nach
innen nicht gelingen kann. Sie bleiben dann als Widerstandsstoff für
spater zurück und sind somit äußerst unbequeme Nebenprodukte der
Strafe im Affekt. Ist der Affekt aber sehr stark, so genügt er, um jede
Sachrichtigkeit völlig zum Sehwinden zu bringen. Trotz großem
Angstdruck wird dann ein großer Teil der persönlichen Gegenaggres-
sion persongebunden bleiben, mag er auch im Augenblick unterdrückt
oder sogar verdrängt werden. Das war ja der Grund, warum das An-
schreien als so wenig geeignet erkannt wurde. Der Affekt des
Strafenden ist es aber auch, der sich bei allen übrigen Straf mittein
einmengen kann. Hätte Kurt's Vater den Buben beim Heimkommen
wütend angebrüllt und ihm unter den Zeichen sichtlicher Erregung
das Radfahren verboten, so hätte er nicht mehr erreicht, sondern nur
256 Fritz Eedl
unnütze Nebenschwierigkeiten erzeugt. Diese Erkenntnis von der
Schädlichkeit des Affekts beim Strafen hat wohl mit dem stärksten
Widerstand beim Praktiker zu rechnen, was wir aus seiner Psycho-
logie heraus gut verstehen können, denn sie stellt vielleicht die
schwerste von allen Anforderungen, die wir im Laufe unserer Unter-
suchung kennengelernt haben, den Verzicht auf die erleichternde
Nebenwirkung, die das affektgetragene Strafen für den Strafenden
hat Es ist zuzugeben, daß diese Einsicht unerwünscht ist, an ihrer
Richtigkeit läßt sich darum freilich nicht rütteln.
Fassen wir zusammen: Wir haben uns gew^ünscht, nähere Angaben
darüber machen zu können, wovon es abhängt, ob eine Strafe als
„sachhaltig" wirkt oder nicht. Einiges meinen wir sagen zu können:
Ein gewisser Grad von Sachhaltigkeit ist diversen Strafmitteln sozu-
sagen strukturimmanent. Wir haben ja versucht, sie nach
diesem Gesichtspunkt zu reihen. Abgesehen von dem immanenten Grad
von Sachhaltigkeit, der im Straf mittel liegt, haben wir noch das, was
an Wirkung aus der Haltung der strafenden Person hinzukommt,
zu überlegen. Durch ein Eindringen der persönlichen-allzupersönli-
chen Strafmotivo des Erziehers in die Straf handlung w^ird deren imma-
nete Sachhaltigkeit reduziert oder ganz aufgehoben. Auch die Strafe,
die allen Punkten entspricht und wirklich als Strafe berechtigt und
richtig aufgebaut war, kann durch das ungeschickte Verhalten der
strafenden Person auf das Kind als reine Rache wirken, und dann
ist es um den erzieherischen Straferfolg natürlich geschehen. Die
Gefährlichkeit des A f f e k t e s beim Strafen hat hier ihren logischen
Platz gefunden.
Besinnen wir uns, ehe wir die etwas unübersichtlich gewordene
Untersuchung zu Ende führen, noch einmal des letzten Wegstückes,
das wir zurückgelegt haben, und zerlegen wir zu diesem Zwecke den
Strafprozeß in seine pädagogisch wichtigsten Bestandteile, so können
wir folgende Punkte ansetzen:
1. Das Erlebnis der Strafunlust (verursacht durch die Strafhand-
lung).
2. Die Auslösung von Aggressionen im Kind als unmittelbare
Reaktion auf die erlebte Straf unlu st,
3, Die Suche nach der Richtung, aus der die Aggression kam, also
nach der ,, Ursache*' der erlebten Strafunlust,
4, Die „Erkenntnis'*, daß nicht die strafende Person, sondern das
eigene unbeherrschte Innere eigentlich „schuld" hat an der erlebten
Strafunlust, unterstrichen durch die durch den Strafvorgang ausge-
löste Angst,
Der Mochauismus der Strafwirkun"-
257
^ J" n '" i^''"^"S^, ^f J Aggressionen gegen das eigene Innere, unter
dem Druck von Sclmldeinsicht und Strafangsl.
BedlTiLlT""^^' '"r Aufstellung natürlich nur eine systematische
Bedeutung haben will, verlockt uns übrigens sofort, eine Reihe von
den Belehrungen ordnungsgemäß unterzubringen, die wir aus den
Ausfuhrungen der Psychologen über diverse Straffehler schon ken-
nengelernt haben, ohne daß wir bisher hätten sagen können, wohin
sie eigentlich gehören.
So wird zweifellos in Punkt 1 alles einzusetzen sein, was die I n-
tensität der Strafmaßnahmen betrifft. Bei zu geringer „Straf-
unlust" wird die Straf Wirkung vermutlich ausbleiben; bei zu'inten-
siver dagegen werden die unerwünschten Nebenwirkungen eintreten,
vor denen uns die Psychologen so eindringlich gewarnt haben.
Aus Punkt 2 werden wir ablesen können, was uns der Analytiker
für die A r t der jeweils zu erzeugenden Unlusterlebnisse an hygieni-
schen Ratschlägen geben kann. So werden Ünlusterweckungen. die
geeignet sind, erotisch-sexuelle Komponenten zum Mitschwingen zu
bringen, der libidiuösen Befriedigung dienen, anstatt Gegenaggressio
nen auszulösen. Darum sind sie nicht nur vom gesamterzieheri-
schen Standpunkt aus unerwünscht, sondern auch straf technisch als
falsch zu bezeichnen (z. B. Schlagen auf die Nates, etc.). Aus der in-
dividuellen Variabilität dessen, was für verschiedene Kinder libidinös
befriedigend werden kann, folgt für den Erziehimgsberater eine sorg-
fältige analytische Überlegung, bevor er Katschläge über zu wählende
oder zu vermeidende Strafunlustarten erteilt.
^ Punkt 5 belehrt uns darüber, was das pädagogische Ziel alles
richtigen Strafens ist: einen Akt der Selbsterzieh iing auszu-
lösen. Denn von dem Moment der Wendung der Aggressionen gegen
das eigene Innere an handelt es sich offenbar um denselben Prozeß,
den wir auch sonst als „Erziehung" zu bezeichnen pflegen, diesmal
eben angeregt durch eine Strafhandlung. Auch an diesem Punkte
werden übrigens eine Menge von hygienischen Betrachtungen einzu-
setzen haben. So wird es bestimmt nicht gleichgültig sein, ob diese
^\endung der Aggressionen gegen die eigene Person darin besteht,
daß wirkhchkeits-richtigeres Verhalten ausgelöst wird, oder daß sich
gesteigertes Schuldgefühl erzeugt, das zu fruchtlosem Grübelzwang
oder zu depressiven Selbstvorwürfen führt. Wir könnten die Eignun-
einer Strafe, zu einer richtigen Verwendung der nach innen ge*
richteten Gegenaggressionen zu führen, als ihre psychohygienische
Wertigkeit bezeichnen, fürchten aber, daß wir über diesen Punkt
einstweilen so wenig praktisch brauchbare Andeutungen machen
258 Fritz Redl
köBnen, daß die Einführung eines neuen Teoninus nicht als gerecht-
fertigt erschiene.
Unser Hauptinteresse gebührt nach wie vor den Punkten 3 und 4»
die wir als die pädagogisch relevantesten erkannt haben,
hängt es doch vor allem von ihnen ab, ob eine Strafe „E r f ol g" hat
oder nicht. Wir dürfen hier die Ergebnisse unseres letzten Kapitels
einsetzen; Der Erfolg einer Strafe hängt davon ab, ob sie iuistande
ist, jene Wendung der kindlichen Aggressionen auf die eigene Person
zu erzwingen, Ihre Eigenschaft, dies zu können, nannten wir dyna-
mische Valenz und fanden, daß zwei Momente im irmerpsychischen
Ablauf des Straf mechanismus gegeben sein müssen, um sie zu garati-
tieren: die Auslösung von Angst und die Erzeugung eines gewissen
Minimums an Schuldeinsicht, Die Eigenschaften der Straf-
handlung, Angst zu mobilisieren und Sehn Ideinsich t auszulösen, nann-
ten wir ihre Druckkraft oder ihren Angstdruck auf der einen, ihre
Sachhaltigkeit auf der anderen Seite. Angst druck und Sachhaltigkeit
bilden die Endpunkte einer Reihe, Eine Untersuchung über die Eignung
unserer top i sehen Straf typen, die beiden Erfolgsbedingungen der
Strafe zu gewährleisten, lieferte uns eine Reihe wichtiger Belehrun-
gen» die wir durch die Betrachtung über die strukturimraanente Wer-
tigkeit der Straf mittel und über die Bedeutung der Straf haltung des
Erziehers noch bereichern konnten.
Es ist merkwürdig. Die dynamische und die topische Betrachtung
haben uns eine Menge von Geheimnissen des Straf ens verraten, unsere
Vorstellungen über praktische Straf ratseh läge sind bestimmt konkre-
ter geworden, als sie vor ihrer Anwendung waren. Ganz zufrieden
aber sind wir noch immer nicht. Wir meinen, daß wir über einen
Punkt noch zu wenig Aufschlüsse erhalten haben. Wir wissen mehr
darüber, wie wir strafen sollen. Wann aber liegt die Situation
, .Strafe*' überhaupt vor? Zugegeben, daß dies eine Grenzfrage des
Themas Strafe bildet, — für den Praktiker ist sie von unleugbarer
Bedeutung, und wir würden vom Straf problem nicht gerne Abschied
nehmen, ehe wir über diesen Punkt genauere Auskünfte haben. Umso
erstaunter sind wir, feststellen zu müssen, daß die psychologische
Literatur Angaben dieser Art mit merkwürdiger Einheitlichkeit aus-
zuweichen scheint. Was sich in oder hinter den Auffassungen vieler
Psychologen mehr oder weniger deutlich verbirgt, ist eine nicht miß-
zuverstehende Ablehnung des Strafens überhaupt. Die Strafe wird im
Stillen als etwas betrachtet, das , »eigentlich gar nicht da sein sollte ',
viele For scher tun sie überhaupt mit einigen ärgerlichen Nebenbemer-
kungen aK Es scheint fast, sie fürchten durch ausführlichere Be-
merkungen über die Strafe zu den veralteten Menschen gezählt zu
Dei- Mecliaiiisiiius der Slralwiikung
259
werden, die sich solelj^r Überholter Mittel bedienen. Aber aiieii wo
dieses Ausweichen vor dem Slrafproblem nicht ao deutlich zu merken
ißt, finden wir immer nur eine Besprechung der Fälle, in denen falsch
gestraft wurde, und solcher, in denen richtig erzogen wurde. Die
beiden Arten von Fällen werden so nebeneinander gestellt, als ob
sie reine Gegensätze bedeuten würden. Wie man riclitig strafen soll,
erfährt der Praktiker selten, das Wort „soll" sclieint dem Psycho-
logen im Zusammenhang mit Strafe unheimlich zu sein.
Wir verlassen darum die Psychologie auf eine Weile und sehen uns
ein wenig auf dem Gebiete des tatsächlichen Straf geh rauches um, wie
er sich täglich abspielt, unberührt — leider etwas zu unberührt ~
von den Ergebnissen psychologischer Forschung. Vielleicht kann uns
ein solcher Exkurs noch einige Aufschlüsse bringen.
Kritik des Straf gebrauche s.
Von zwei Arten des Straf gebrauche» sehen wir hier von vorn-
lierein ab: Der Prügel pädagoge, der den harmlosesten Vorfall als
Strafanlaß mißbraucht, weil er sadistische Triebkoraponenten zu be-
friedigen hat oder einfach iiicht gelernt hat, sicli zu belierrschen, ge-
hört ebensowenig in unser Kapitel wie der Akrobat der straffreien
Erziehung, von dem der Psychologe schwärmt. Was der erstere tut,
verdient noch nicht eimiial den Namen Strafe, Denn auch In ihrer
unerquicklichsten Form ist Strafe ein erzieherisches Handeln.
In dem erwähnten Falle aber gehört es in das Gebiet der Rache und
hat nichts mit Itlr Ziehung zu tun. Die Tätigkeit des straffreien Er-
ziehers aber gehört nicht mehr in dieses Gebiet, denn wir haben wenig
Hoffnung, daß wir das Wesen des Strafgebrauches aus jenen Fällen
allein erraten können, in denen auf ihn verzichtet wird. Was uns an
dieser Stelle interessiert, ist das breite Feld des erzieherischen All-
tags, in dem wirklich gestraft wird, sei es nun mit mehr oder
weniger Geschick, mit mehr oder weniger Erfolg. Wir meinen übri-
gens, damit auch den praktisch häufigsten Fall genannt zu haben.
Wann aber ist der Fall zum Straf eji gegeben?
Die Definition der Strafe als Mittel zur Durchsetzung des Reali-
tätsprinzips beim Kind läßt uns vermuten, daß wir immer dann mit
Strafe einsetzen werden — vorausgesetzt, daß andere Mittel als un-
zureichend befunden werden, — wenn etwas in der Struktur des kind-
lichen Über- Ichs, bzw. Ichs nicht ganz in Ordnung ist, denn die Strafe
hat deutlich die Aufgabe, den Tendenzen des Über- Ichs und des Ichs
sozusagen „nachzuhelfen". Dabei füllt uns aber auf, daß wir mit dieser
Auffassung offenbar eine Einseitigkeit begehen. Liegt es denn wirk-
lich immer am kindlichen Übei'-lch oder Ich, wenn es sich irgend-
260 Fritz ßedl
welchen ReaUtätsf orderungen unzugänglich erweist? Gibt es nicht
atich den umgekehrten Fall, daß die Realitätsforderungen aus irgend-
eineio Grunde auch dem gesündesten Kinde unrichtig, zu schwer, un-
annehmbar, zu plötzlich und überraschend erscheinen, so daß es sich
eigentlich mit einem gewissen Recht dagegen wehrt? Sind es nur die
schlimmen Kinder, die die Strafe brauchen, oder brauchen sie gelegent-
lich auch die braven?
Unter dem Drucke dieser Überlegung fällt uns auf, daß unsere
Definition das Ziel der Strafe offenbar ebenfalls nur sehr ungenau
angibt, so wie wir ihr ja schon Mehrdeutigkeit hinsichtlich des Straf-
begriffes vorwerfen mußten, Durchsetzung des Realitätsprin^ips
kann nämlich zweierlei heißen:
Dauernde Veränderung des kindlichen Über-Ichs oder Ichs um
den ReaUtätsf orderungen gerocht zu w erden, oder momentane Anpas-
sung an irgend eine, vielleicht nicht einmal sehr richtige aber un-
ausweichliche Situation, die keinen Aufschub zuläßt, obwohl sie an
sich nicht als Wesensforderung der Realität zu betrachten ist.
Nur im ersten Falle sprechen wir von „Erziehung'* im engeren
Sinne des Wortes — in diesem Sinne hat unser Strafen ein wichtiges
ZieL Wir werden vermuten, daß zu dieser Leistung einer Beeinflus-
sung der Über-Ich-Bildung und des Ich-Aufbaues überhaupt andere
Mittel besser dienen werden. Sofern wir aber doch Strafen dazu brau-
chen, werden sie nach allen im vorigen gefundenen Regeln der Straf-
technik aufgebaut, sorgfältigst angewendet werden müssen. Vor allem
wird nie e i n e Strafe genügen, um das Ziel einer solchen Erziehung
zu besserer Realitätsanpassung im weitesten Sinne des Wortes zu er-
reichen, sondern es wird sich um eine ganze Reihe sorgfältig dosierter
und richtig gestreuter Straf- und Erziehungsmaßnahmen handeln müs-
sen. Diese Art des Strafens können wir im engsten Sinne des Wortes
als „E r z i e h u n g s s t r a f e" bezeichnen, von ihr und ihren Schwie-
rigkeiten haben wir eben gehört. •'' •' ' - . - * ^
Es ist unrecht, daß die Psychologie fast ausschließlich an diese Art
des Strafens denkt. Die lebendige Strafwirklichkeit hat ihr als nicht
weniger häufig und unvermeidlich eine ganz andere an die Seite zu
stellen: Tausende von Strafen werden nicht zu dem Zwecke ver-
hängt, erzieherisch in diesem höheren Sinne des Wortes zu wirken,
sondern haben einen viel banaleren, allerdings nicht gut wegdisku-
tierbaren Anlaß, Sie dienen der unmittelbaren Lebensnot, aus der sie
stammen, Sie wollen keine dauernde Veränderung der kindlichen
Person. Sie wollen nur eines und müssen es wollen: irgend eine be-
stimmte Handlung im Moment um jeden Preis zu unterdrückeTi oder
zu erzwingen. Es bedarf keiner besonderen Beweisführung, daß es
Der Mechanismus der Strafwirkuns:
261
das gibt. Der Praktiker, für den diese Zeilen ja gedaclit sind, wird
sofort hunderte von Beispielen für diesen Fall zu erwähnen wissen.
Schon wenn 10 Kinder in einem Boot sitzen, die noch nicht in dieser
Lage waren und gerade recht gut aufgelegt sind, wird es gelegentlich
des Strafdruckes bedürfen, um das Entstehen gefahrvoller Situationen
unbedingt zu vermeiden. Das Kind, das ich scharf anfahre, wenn es
unvorsichtig aufspringt, will ich durchaus nicht besser machen, nicht
einmal realitätsangepaßter. Dazu werden nachher angebrachte ver-
nünftige Besprechungen über die Gefahr des Bootfahrens usw, viel
bessere Dienste tun, dazu brauche ich wirklich keine Strafe, Wenn
ich es trotzdem anfahre, sobald es aufstehen will, so geschieht dies
nur deshalb, weil die momentane Situation die Unterdrückung der
gefährlichen Handlung mit solchem Nachdruck fordert, daß ich nicht
warten kann, bis sich erzieherisch richtigere und bessere Mittel er-
geben, und nicht riskieren kann, daß ein richtigeres aber wirkungs-
schwächeres Mittel fehlschlägt. Ein Fehlschlagen darf in diesem Falle
eben überhaupt nicht in Betracht kommen, selbst auf die Gefahr hin,
daß das exemplarisch angefahrene Kind eine erzieherisch nicht er-
wünschte Schockwirkung davonträgt Aber auch sonst gibt es tausend
Situationen im Tag, in denen in ähnlicher Weise an sich unwichtige
Dinge plötzlich von einer solchen Wichtigkeit werden, daß sie durch
scharfen Druck unmittelbar durchgesetzt werden müssen. Dient diese
Art des Strafens nicht der „Er^^iehung" im verfeinerten Sinne des
Wortes, so ist sie doch nicht weniger wichtig» als die wichtigste Er-
ziehungsstrafe. Ja, umgekehrt, wir vermuten mit Hecht, daß wir auf
Erziehungsstrafen eher verzichten können, da wir in diesen Fällen
ja Zeit und Raum haben, nach besseren Mitteln zu suchen. Was uns
die Not des Augenblickes aber zu tun zwingt, läßt uns keine WahL
Nennen wir diese Art der Strafe die D r e s s u r s t r a f e — da sie nur
das Unterlassen oder Durchführen momentan wichtiger Handlungen
unter Druck — ganz egal, ob Einsicht vorliegt oder nicht — anstrebt,
so sehen wir, daß wir es in der Praxis eigentlich mit einem sehr ver-
schiedenen Verhalten zu tun haben, das wir nicht ganz zu Recht mit
dem einen Wort „Strafe'' zusammenfassen. Wir stellen darum fest:
1. Handelt es sich um Erziehungsstrafe, dann wird alles in Kraft
treten, was wir im vorigen festgestellt haben. Dann werden wir in
erster Linie zu erwägen haben, ob wir des Strafmittels überhaupt be-
dürfen, werden es so verfeinert wie möglich hallen. Die Regel wird
sein: Maximum an Einsiehtsmoment mit einem Minimum an Straf-
druck — denn nur so weichen wir den gefährlichen Nebenwirkungen,
die der Strafe als erzieherische Gewaltmaßnahme nun einmal anhaf-
ten, mit Sicherheit aus. Handelt es sich aber
262 Fritz Kedl
2, um den Fall, daü ans irgendeinem Grunde die „Dressur-
s tra f e" unvermeidlich wurde, dann müssen wir anderen Überlegun-
gen folgen. Offenbar wird es dabei vor allem die raselie Wirkung
sein, auf die wir ausgelieuj denn nur, wenn es auf eine solche an-
kommt, wollen wir ja den Fall der Dressur strafe als gegeben ansetzen.
Dann aber kann uns nicht an der „Feinheit*', das heißt an der erziehe-
rischen Wertigkeit des Straf mittels gelegen sein, sondern nur an seiner
Durchschlagskraft. Unsere Formel wird dann lauten: Maxi-
mum an Durchschlagskraft, wobei wir auf das Einsichtsmoment wenig
Hücksicht nehmen können.
Es entgeht uns nicht, daß wir damit eine unerquickliche Art der
Strafe ernst nehmen, von der sich viele Autoren zu schweigen vorge-
nommen haben. Ist dasj was wir eben als Dressurstrafe bezeichnen,
nicht eben das, was wir im bisherigen als falsch erkannt haben? Sollen
wir dem Fehler Tür und Tor aufs neue offnen, wenn wir sie ihm gerade
sorgfältig zu versperren trachteten? Dieser Einwand erledigt sich von
selbst, wenn wir uns besinnen, worum es sich hier handelt. Wir sind
uns ja bewußt, daß wir das Thema der „Erziehung'' im engeren Sinne
verlassen, wenn wir von der Dressurstrafe reden. Sofern wir uns in
ihm bewegen, bleibt natürlich alles in Geltung, was wir soeben be-
sprochen haben. Daß wir es verlassen, geschieht unter dem Drucke
der Wirklichkeit. Wir behaupten, daß in dieser auch nach Hinweg-
fallen des Problems der Erziehungsstrafe, das Problem der Dressur-
Strafe weiter bestehen bleibt- Vogel-Strauß-Politik hilft gegen diese
Tatsache Blehts. Wir können der Psychologie den Vorwurf nicht ganz
ersparen, daß sie sich über diesen Sachverhalt meist schweigend hin-
wegsetÄt. Sie hat uns dadurch ein wichtiges Wirklichkeitsfeld zu un-
recht unterschlagen. Die bösen Folgen dieser Vertuschung haben sich
auch gezeigt. Illusionen fordern immer ihre Opfer. Aus dieser Fehler^
quelle stammt z. B. die Tatsache, daß der Pädagoge der straffreien
Erziehung n u r in der Theorie besteht, in der Praxis verbalten sich
auch die schwärmerischesten Anhänger dieses Erziehungsideals dem
eigenen Kind gegenüber, oder falls sie Lehrer sind, ihren eigenen
Klassen gegenüber, sehr viel anders, mögen sie auch noch so geschickt
dissimulieren.
Wir machen ihnen das nicht zum Vorwurf — wir sehen in jenen
Fällen, in denen sich die Theorie nicht mit der Praxis deckt, den
Fehler immer auch ein wenig auf Seite der erster en — im Gegenteil,
wir können diesen meist als so „bedauerlich*' beklagten Umstand nun
erst recht verstehen, ja wir finden ihn gar nicht mehr so bedauerlich,
Die Frage, wie die Lrziehungssirafe aussehen müsse, ist eben nicht
die einzig wichtige. Hinter ihr erhebt sich eine andere Frage: wann
Der Mechanismus der Strafwirkung
263
können wir mit der Erzieliungsstrafe überhaupt einsetzen, oder wann
behaupten wir mit Recht, uns des durehschlagskräf tigeren, aber er
zieherisch so bedenklichen und fehlervollen Mittels der Dressurstrafe
bedienen zu müssen?
Ist das gelegentliche Einsetzen der Dressurstrafe eine biologische
Notwendigkeit, dann kommt offenbar alles darauf an, daß wir uns ihr
nicht verschließen, daß wir, statt sie zu bedauern, unsere Aufmerk-
samkeit darauf richten, wann die Situation dazu gegeben ist.
Die Fälle, in denen wir mit ruhiger Sieherlieit sagen können: hier
mußte so und so gestraft werden, hier konnte nicht abgewartet
werden, hier »,hätte ein erzieherisch besseres Mittel besser gewirkt"
aber es wäre kein solches möglich gewesen, sind, wie jeder Praktiker
bestätigen wird, so häufig, daß es schwer fallen muß, sie zu ordnen,
aus ihnen allgemeine Richtlinien abzulesen. Aber vi olleicht mag uns
gerade die Häufigkeit dieser Fälle das Verständnis des Praktikers
soweit sichern, daß wir uns darauf beschränken dürfen, kurz drei
Arten herauszuheben, wobei es sich freilich nicht um eine erschöpfen-
de, sondern nur um eine exemplifizierende Darstellung handeln kann.
Nennen wir die Summe von vorangegangenen Ereignissen und
wirkenden Umständen, die uns zu einer Strafhandlung zwingen, die
Straf Situation, so sehen wir leicht, daß für diese Straf Situation folgen-
des von ausschlaggebender Bedeutung ist:
1. Die äußere Konstellation der Umstände, Sie bedingt ja den
Spielraum, der uns im praktischen Leben für unser Handeln ge-
währt ist- Haben wir Zeit und Raum, so müssen wir unsere Foi"de-
rungen an Erziehungsfechnik gewaltig hinaufschrauben, Fehlen uns
diese, so nützt es nichts, diesen Umstand in Randbemerkungen zu be-
klagen und zu sagen, wie wir erziehen müßten, „wenn", sobald keine
Aussicht vorhanden ist, daß wir jemanden finden, der dieses Wenn
herbeischafft. Ein zehnjähriges Kind hat das Recht auf Bewegungs-
freiheit und Lärmniachen. Es ist also falsch, es durch Strafen in diesem
Rechte zu verkürzen, denn das ist ja sein gesundes Bedürfnis. Wenn
dieses Kind aber mit drei anderen ein Zimmer teilt, die gleichzeitig
schwierige Aufgaben zu erledigen haben, dann kann der Erzieher
nicht warten, bis es der Entwickhmgsrhythmus des Kindes erlaubt, es
ohne schädigende Nebenwirkungen durch reinen Einsichtsappell zu
einer Beschränkung seiner natürlichen Bewegungsimpulse zu bringen.
Dann wird es vorkommen, daß der Erzieher „energisch" eingreifen
muß, um die Störung der anderen zu verhindern, auch wenn die Ein-
sicht des Kindes zu wenig weit gediehen isl, so daß es einen Teil
seiner Gegenaggression in Wut auf den Erzieher umsetzen wird. Es
muß dann genügen, wenn das Kind seine störenden A^erhaltensweiscu
264
Fritz Redi
einfach unterläßt. Es ist zuzugeben, daß das Getane eigentlich „falsch''
ist- Aber es ist nicht falsch an sich (falsch an sich ist es, wenn es
außerdem mit technisch unrichtigen Mitteln unternommen wird!),
sondern der Fehler liegt darin, daß es zu dieser Situation überhaupt
kommt. Alle Grenzen, die Baum, Geld usw, tatsächlich setzen, sind als
Bedingungen für die Anwendung von Dressurstrafen an Stelle von
Erziehungsstrafen zu betrachten, wobei das Bestreben nach einem
Minimum an Schädigung und einer Veränderung der Bedingungen,
die zu so ungünstigen Maßnahmen zwingen, bestehen bleiben muß. Es
soll übrigens nicht vergessen werden, daß auch die Widerstandskraft
der Nerven des Erziehers — seinen besten Einsatz an gutem Willen vor-
ausgesetzt — unter diese Konstellation aufzunehmen ist.
2. Unter der „inneren Konstellation" verstehen wir die genetische
Vorgeschichte des Kindes, die Libidoverteilung, die es nun einmal
vorgenommen hat, und die auch meist als ..Faktum" festeht. Es ist
richtig, daß man psychische Konstellationen durch Strafen nicht
ändern kann. Wer das versucht^ begeht einen schweren Fehler. Für
den Erziehungsberater gibt es also in diesem Falle keine andere Mög-
lichkeit, als auf die Notwendigkeit einer Erziehungsbehandlung zu
indizieren. Praktisch kommt diese Möglichkeit aber nur selten in
Frage, Der E r z i e li e r oder Lehrer des Kindes wird von dieser
Fragestellung nicht sehr viel haben. Es wird ihm nichts übrigbleiben,
als das %, B, zu aggressive Kind nun mit solchen Strafen zu behandeln,
die seine Einordnung in den Lebensraum, in den es nun einmal ge-
bannt ist, gewährleisten. Freilich ist ihr Verhalten „an sich" betrachtet
falsch. Es ist aber unrecht vom Psychologen, sie deshalb im Stiche zu
lassen und von ihren Nöten keine Notiz zu nehmen. Der Berater wird
sich bemühen, für sie wenigstens die wirkungsrichtigeren und relativ
schädigungsfreien Strafmittel ausfindig zu machen- Wir wissen davon
leider heute sehr wenig, weil wir unseren Rat fast immer auf die
Feststellung beschränken, was nach pädagogischen Regeln geschehen
j,müiite**, auch wenn wir betrübt und verärgert zugeben, daß es nicht
geschehen kann. Ich glaube, aus dieser Tatsache stammt die stärkste
Verstimmung des Praktikers gegen den Psychologen, auch des Lehrers
gegen die Institution der Erziehungsberatung. Wir meinen, an diesen
Mißverständnissen ist er nicht allein schuld!
3* Trotz aller Betonung der Bedeutung massenpsychologischer Mo>
mente in allen Zusammenhängen des Lebens ist eine praktische Aus-
wertung dieser Gesichtspunkte auf die Praxis nur selten festzustellen.
Gerade in unserem Zusammenhange aber ist ganz offenkundig der
gruppenpsychologische Raum, in dem sich eine Erziehungsszene ab-
spielt, von so ausschlaggebender Bedeutung, daß es kaum verständlich
Der Mechanismus der Strafwirkung
265
ist, wie sieh die psychologische Theorie dieser Tatsache so sehr ver-
schlieBen konnte. Wir meinen damit natürlich nicht den Unterschied
im sozialen Milieu^ der ist ja in unserer Rubrik „äußer© und innere
Konstellation" mitenthalten. Wir meinen die Einordnung des Kindes
in eine Gruppenbeziehung. Ist es die Situation „Familie*\ steht es in
dieser als einziges Kind oder unter Geschwistern — oder vor allem:
handelt es sich um die Kamerad Schaftsgruppe, um die Schulklasse?
Beim Sprung von einer gruppenpsychologischen Struktur in die
andere ändert sich so ungeheuer viel, daß kaum abzusehen ist, was
wir alles unterschlagen, wenn wir diese Tatsache für das Strafpro-
blem unberücksichtigt lassen. Wie häufig ist doch etwa der Fall, daß
ein Kind zu Hause ausgezeichnet „straffrei*' funktioniert, sich in der
Schule aber so ungebärdig zeigt, daß auch der ruhigste Lehrer mit
Strafen einsetzen muß- Da ist es dann unrichtig zu sagen: „Da
eieht man wieder! Wenn es zu Hanse geht, so müßte doch der Lehrer
auch mit dem Kinde auskommen können, wenn er nur wollte!" Diese
Auffassung ist völlig falsch. Daß ein Kind im Strukturgebilde A
richtig funktioniert^ weil dieses so gebaut ist, daß es dort seine libidi-
nösen und aggressiven Beziehungen richtig unterbringen kann, besagt
gar nichts über sein Verhalten im Strukturgebilde B. Aus dem einen
folgt nichts für das andere. Darum gilt natürlicli auch der umgekehrte
Fall: Es kommt wiederholt vor, daß vielbestrafte Kinder, in eine gut-
geführte Schulklasse oder in eine Jugendgruppe gebracht, plötzlich
völlig straffrei funktionieren , daß es dort scheinbar ganz von selbst
geht Es ist dann unrichtig zu sagen: „Sehen Sie, wenn er bei mir folgt,
so müßte es bei llmeu doch auch gehen! Sie nmchen's eben nur nicht
richtig, maehen Sie es auch so wie ich," Diese Auflassung, die auf
dem Wahn beruht, daß das straffreie Funktionieren immer den richti-
geren Erziehung.^rauni voraussetzt, ist falsch. Gruppenslrukturen
lassen sich nicht einfach gegeneinander austauschen.
Auf die Arbeit des Lehrers angewendet^ heißt das also; Die Situation
„Klasse" bedeutet eine so arge Verschlechterung des erzieherischen
Spielraums, daß kaum zu erwarten ist, daß sich dasselbe Kind, das zu
Hause oder beim Einzellehrer gut funktioniert, ebenso richtig ver-
halten wird- Außerdem ergeben sich auch für das an sich gut funk-
tionierende Kind aus der NotAvendigkeit des Arbeitsdruckes, der die
Schulstunde beherrscht, wiederholt Situationen, die das Einsetzen des
Strafdruckes erfordern. Um nur ein Beispiel zu geben: Der Schüler
X wird plötzlich in meine Klasse versetzt. Ich kenne ihn seit langem,
weiß viel von ihm, weiß genau, wie ich ihn behandeln muß. Jetzt auf
einmal wird aus diesem „behandeln muß^' ein bloßes „behandeln
müßte'*. Denn der Spielraum, den ich brauche, ist nicht' mehr da.
Erstens ist X gewohnt, seine Aufgaben nicht zu machen, und sieh nur
266 Fritz Redl
I
dann zur Arbeit zu setzen, wenn ihm Jemand seine ganze Aufmerk-
samkeit zuwendet. Aus Wut darüber, daß er sie nun mit 45 anderen
teilen muß, bringt er mir die Aufgaben nicht. Ich weiß genau, was
ich tun müßte. Ich weiß vor allem, daß Strafe die Situation nur
schlimmer, seinen Enttäuschungs widerstand nur größer macht. Und
trotzdem muß ich ihn wegen der niehtgebraehten Aufgabe ebenso
belangen oder bestrafen, wie die 45 anderen — das bedarf doch wohl
keiner Begründung! Ich muß also bewußt zu einer „an sich" falschen
Maßnahme greifen, weil die Situation Schalklasse dieses Verhalten
bedingt. Mein Verhalten wird darum nicht richtiger, aber es wird auch
nicht vermeidlicher dadurch, daß es vermutlich in psychologischen
Arbeiten als Beispiel dafür auftauchen würde, wie falsch der Knabe
X behandelt wurde, und wie sich nur mit Liebe bei ihm etwas hätte
erreichen lassen * . .
Doch — wir wollen in unseren Vermutungen nicht zu weit gelien.
Es ist nicht richtig, daß die Gruppensituation sozusagen immer eine
Niveausenkung für die zu verwendenden Erziehungsmittel bedeutet,
daß sie in allen Fällen zur Kegression von der Erziehungsstraf©
auf die Dressurstrafe nötigt. Es darf nicht vergessen werden, daß
dies nur bei der mangelhaft durchorganisierten, erzieherisch farblosen
Crruppe der Fall ist. Handelt es sich um eine nach erzieherischen Ge-
sichtspunkten aufgebaute Gemeinschaft, dann ergeben sich im
Rahmen dieser wiederum neue Erziehungsmittel, die der Einzel-
erziehung gar nicht zu Gebote stehen und die Regression auf primi-
tivere Straf mittel völlig überflüssig machen. In solchen Gruppen wird
der Appell an das Zusammengehörigkeitsgefühl, an Gruppengeist,
Kameradschaftlichkeit usw. Erziehungsmittel bedeuten, hinter denen
sich auch die derbsten Strafmittel an Wirkungskraft verstecken kön^
nen. Daß unsere Schulklassen zu erzieherisch wohlkonstruierten Ganz^
heiten werden mögen, ist der Wunsch jedes Lelirers, Der Durch-
sehnittssituation entspricht dieser Zustand allerdings nicht.
Und noch eine andere Einschränkung haben wir unseren Zuge-
ständnissen an die gelegentliche Unvermeidlichkeit der Regression
auf an sich wertlose Strafmittel hinzuzufügen: Mag sein, daß die
Situation A uns zwingt, uns pädagogisch falsch, aber situationsge-
recht zu verhalten. Niemals ist dies eine Entschuldigung dafür, daß
wir bei diesem Verhalten auch stehenbleiben! Ja, im Gegenteil: j
Je öfter wir in die Lage kommen, pädagogisch zweifelhafte Straf mittel
verwenden zu müssen» desto mehr müssen wir uns bemühen, ihre un- |
erwünschten Nebenwirkungen durch nachher einsetzende sorgfältige
Erziehungsmaßnahmen wieder gutzumachen. Es ist wahr, wir müssen
manchmal bedenkenlos handeln — wir dürfen bei dieser Bedenken-
los igkeit aber nicht stehenbleiben, oder sie gar, wie es viele Anhänger
^
Der Mechanismu.s fler Stnifwiikiin^
267
des Straf ens tun, mm einfach zum Prinzip erheben. Je falscher die
ErÄiehnngssittmtionen sind, in die wir Kinder nun einmal pressen
müssen, umso mehr Hilfsmaßnalmien werden wir zur WiederhersteU
hing des erzieherischen Gleichgewichten brauchen. Um auf unser Bei-
spiel zurückzugreifen: Es ist richtig, ich mußte den Schüler X für
seine Faulheit bestrafen. Ich werde es aber nicht dabei bewenden
lassen. Ich werde ihn nach der Stunde kommen lassen und versuchen,
ihm die Notwendigkeit einer Verhaltensändernng seinerseits auf
anderen Wegen akzeptabel zu machen. Sollte sich auch das mit meiner
Rolle als aufgabenfordernderu Lehrer uiclit vereinbaren lassen, dann
werde ich ihn — zum Krziehnngsberalcr f^chicken. Eben weil der
Lehrer sich nicht immer richtig verhalten kann und nicht einmal
immer richtig verhalten darf, ist die Institnlion des Beraters eine
so unerläßliche Voraussetzung, eine Tatsache, der die pädagogische
Öffentlichkeit frei lieh noch zieiulich ahnungslos gegenübersteht.
Kehren wir mm nach diesem Exkurs ins Gebiet der Strafpraxis zu
unseren eigentlich psychologischen Problemen zurück, so finden wir,
daß wir einen neuen Gesich Ispunk 1 zur Lehre vom richtigen Strafen
als Bereicherung mitgebracht haben. Wir werden feststellen:
Für die Frage^ wann zu strafen ist oder nicht, ferner für die
Frage, ob es sich um die Anwendung von Erziehungsstrafeu oder
Dressnrstrafen handeln kann, ist die jeweils vorliegende Strafsituation
entscheidend. Je größer der uns gewälvrte Spielraum» umso mehr wird
die Strafe auf erzieherische Wertigkeit eingestellt sein müssen (vor-
wiegendes Einsichtsmomenl; und sorgfältigste ^^ermeidung aller
Nebenfehler), je geringer er ist, ie beengter die Situation, in der wir
zu erziehen, oder je größer die Nebenaufgaben, die wir zu bewältigen
haben (Lernen), desto mehr wird das Gewicht auf die Durchschlags-
kraft der Strafe fallen (Vorwiegen des Angstdruckes), sofern wir nicht
überhaupt dort Straf mittel verwenden, wo wir sonst ohne solclie aus-
kommen könnten.
Wir nehmen also zur Kenntnis, daß die Strafe neben allen bisher
geforderten Qualitäten auch die Eigenschaft haben muß, daß sie
situationsgerecht ist, und nehmen uns vor, in Zukunft der
näheren Bestimmung dessen, was alles dazugehört, um die Straf-
situation rasch und richtig zu überblicken, größeres Augenmerk zu-
zuwenden.
Wir haben damit unsere Untersuchung eigentlich beendet. Wir
sehen kein© Aussicht, ans weiteren Spekulationen vorläufig neue
Winke für den Praktiker ableiten zu können, AVas er an erwünschten
und bisher völlig mangelnden Einsichten braucht, muß die konkrete
Arbeit an vielen konkreten Beralungsfällen mit der Zeit ergänzen,
eine Arbeif, die sich durch keine theoretische Spekulation ersetzen
268
Frits Redl
läßt. Wir wollen nur noch versuchen, die praktischen Lehren, die wir
bisher ziehen zu können meinten, noch einmal in übersichtlicher
Weise zusammenzustellen, wobei es ohne Gewaltsamkeiten freilich
nicht abgehen kann. Wir erhalteii dabei folgende
Tafel der Fehler im Strafen,
I. Fehler in der Straf wähl;
1. Fehler im Ansatz eines Straf falles: '' '
a) Straffall statt Einsichtsappell,
b) Straffall statt Belohnungsfall,
c) Straf fall statt Erziehungsbehandlnng oder Analyse;
2, Fehler in der Einschätzung der Straf Situation :
a) mangelhafte Berücksichtigung der äuUeren Konstellation,
b) mangelhafte Berücksichtigung der inneren Konstellation,
c) mangelhafte Berücksichtigung des gruppenpsychologischen
Momentes,
d) an sich unvermeidliche Regression anf wertlose Strafmittel ohne
nachher ige Korrektur durch ErziehungsmaJlnahmen (Beratung).
IL Fehler in der Slraf struktur-
1, topische Fehler (Fehler im Strafansatz) :
a) mangelhafte Berücksichtigung der Entwicklungsperiode,
b) mangelhafte Berücksichtigung der vorliegenden Fehlbildung,
c) mangelhafte Berücksichtigung des libidinösen Typs;
2. dynamische Fehler (mangelhafte dynamische Valenz) :
a) Fehler im Angst druck,
b) Fehler in der Sacbhaltigkeit,
c) falsches Mischungsverhältnis von Angstdruck und Sachhaltigkeit.
ITL Fehler in der Straf t e ch n i k:
1, Fehler in der Wahl des Strafmittels,
2, Fell 1er in gewissen psychohygienischen Momenten der Straf durch*
fülirung (unerwünschte Nebenwirkungen),
3, Fehler in der Strafintensität und Streuung.
Diese Tafel der Straffehler selbst ist natürlich wieder nur ein
Schema, dessen Ausfüllung zu einer großen Mannigfaltigkeit von
Einzelratschlägen, Einsichten, Belehrungen führen müßte, deren Ord-
nung nach systematischen Gesichtspunkten sieh aber als unzweck-
mäßig erweisen würde, Sie gibt sozusagen nur die logischen Punkte
an» an denen die einzelnen, dem Praktiker genugsam bekannten Straf -
fehler angesetzt werden müBten, Eine Darstellung dieser Fehler selbst
hätte nur in unmittelbarem Zusammenhang mit praktischen Beispielen
Sinn und würde eine Aufgabe für sieh bedeuten. Nur eines mag dieser
'J'afel der Straf fehler noch hinzugesetzt werden: Sie zeigt wohl auch
in ihrer schematischen, mageren Ausführung deutlieh, daß „Strafen*'
keinesfalls eine so einfache Erziehungsmaßnahme ist, wie viele Prak-
tiker und Theoretiker der Erziehung meinen. Strafen gehört, im
Der McchanismuB der SlrafM irkün!
269
Gegenteil, 2u den weittragendBten, einschneidendsten Erziehungsmaß^
nahmen, die wir kennen, es ist, wenn eine Parallele mit der Medizin
erlaubt sein soll, eher mit einem chirurgischen p:ingriff zu vergleichen
der sich von anderen Heil maßnahmen immer durch eine gesteigerte
Gefährlichkeit unterscheidet, vor allem aber auch dadurch, daß er
nie mehr ganz rückgängig zu nmehen ist, wie immer er ausfiel. So
sollte auch die Strafhaudhuig dem Erzieher nicht leicht im Hand-
gelenk sitzen, sondern nur auf Grund sorgfältiger Überlegungen an-
gesetzt werden. Auch sonst erweist sich der Vergleich des Strafenden
mit dem Chirurgen als recht tragfäliig. Wie dieser, bedarf er wohl
eines gewissen Geschickes, das nicht lernbar ist; aber auch einer gün-
stigen psychopliysischen Verfassung. Wer mit gesch wollenen Zornes-
adern straft, gleicht dem Arzt^ der mit zitternden Händen operiert,
wir werden uns in beiden Fällen kein besonders gltickliches Resultat
versprechen. Andererseits kommt der Strafende wie der Operateur mit
Gesciiicklichkeit und Talent nicht aus- Wir würden auch dem begab-
testen Chirurgen keinen Körper unters Messer liefern, ehe er uns be-
wiesen hätte, daß er über dessen Aufbau und Funktion gründliche
Kenntnisse besitzt und auch mit den Gesetzen der Asepsis wirklich
vertraut isL m daß wir scliädigende Nebenwirkungen seiner Tätigkeit
nicht zu befürciUen brauchen. Im Falle der Erziehung sind wir freilich
nicht so kritisch. Es ist recht erstaunlich, daß auch die Menschen, die
sonst viel von der Seele halten uml ihre Über Wertigkeit über den
Körper gar nicht genug betonen können, in diesem Punkte zu einer
Gleichgültigkeit neigen, die man im Ralimen des Körperlichen nur
als Leichtsinn bezeichnen konnte. Die Wissenschaft vom — konkret —
richtigen Erziehen und die Praxis des ji cht igen Strafens scheinen
einstweilen ins Reich der Utopie gezählt /Ji werden, jeden-
falls ist die Kunst von der riclitigen Behandlung der Seelen noch weit
davon entfernt, sich der Anerkennung zu erfreuen, die der Medizin
längst allgemein zugebilligt wird. Übrigens sei auch hervorgehoben,
daß uns nicht einfällt, den Vergleich zwischen pädagogisclier Praxis
und Medizin etwa zu überspannen. Jeder Vergleich hat nur solange
Sinn, als man das Jerlium eomparationis'^ nielit aus den Augen ver-
liert. Einer durchgängigen Älmlichkeit der Pädagogik mit der Medizin
oder gar einer Möglichkeit, sie in Medizin oder auch nur in Psycho-
logie, aufzulösen, soll hier in keiner Weise das Wort gesprochen wer-
den. Wer solches aus diesen Zeilen herauslesen zu können meint, der
möge sich bei Homer informieren, der bekannt! icli Acliilles mit einem
Löwen verglichen hat, ohne daß wir ihm deshalb zumuten würden, er
hätte ernstlich geglaubt, Achill müsse auch eine Mähne, und ein
gelbes Fell gehabt und als König der Tiere in der Wüste geherrscht
haben.
ZeitsHirin T. p.^a. Päd., lX/4
270
Fritz ICedl
Ausblick.
Meng beginnt seine Betrachtungen über die Erziehungssträfe —
der Terminus ist hier in seiner weiteren Bedeutung gebraucht — mit
Ausführungen über das Strafen im Rahmen der menschlichen G-esell-
Schaft überhaupt, vor allem über die Kechtsstrafe, Seine Untersuchun-
gen liefern ihm eine Reihe von wertvollen Einsichten über Ursprung
und Ziel des Strafens, sie« erweisen sich überhaupt auch für die Er*
wägungen über das Thema Erziehungsstrafe als überaus fruchtbar.
Sollte sich nicht auch der umgekehrte Versuch, aus den Ergebnissen
unserer Betrachtungen über die Erziehungsstrafe auch über die
Rechtsstrafe einiges zu erfahren, als durchführbar erweisen? Es wäre
verlockend, einen solchen Versuch zu wagen.
Ich glaube, wir können zu den meisten Punkten aus den Abschnit-
ten Strafwahl, Straf struktur, Straftechnik ohne Mühe Problem-
parallelen auf dem Gebiete der Rechtsstrafe finden. Und über-
haupt: Sollte das verwirrende Durcheinander von polemischen Mei-
nungen, von dem das Gebiet der Reehtsstrafe nicht weniger beherrscht
wird, als das der Erziehungsstrafe, nicht am Ende ähnliche Ursachen
aufweisen, sich also ähnlichen Ordnungsversuchen fügen können?
Vielleicht stammen die meisten Meinungsverschiedenheiten auch
auf diesem Gebiet daher, daß Mehrdimensionales in eine Dimension
ausammengedrängt erscheint! Dann aber müßten sie sich auch den
Denkmitteln fügsam erweisen, deren Anwendung uns auf dem Gebiete
der Erziehungsstrafe offensichtliche Dienste geleistet hat. Die Durch-
führung dieses vielversprechenden Unternehmens müssen wir dem
Fachmann überlassen, wir können ihn nur auf das Denkrüstzeug auf-
merksam machen, dessen wir uns bedient habem Es ist das typische
Denkrüstzeug der Psychoanalyse: die Anwendung der genetischen,
topischen, dynamischen und ökonomischen Betrachtungsweise auf das
Seelische. Auch der Versuch einer möglichst eindeutigen Fragest©!,
lung und besondere einer scharfen Formulierung des Begriffes des
Strafzieles und der Strafsituation dürfte sich auf dem Gebiete der
Rechtsstrafe bewährem
Literatur:
S, Bernfeld: Die Tantaliissituation, Imago, Bd. XVII, 1931.
Sigm. Freud: Triebe und Triebachicksale, Ges, Sehr. Bd. V,: Über lib^
dinoee Typen, Ges. Sehr. Bd. XIL; Die Verbrecher aus Scbuldbewiißtsein,
Ges. Sehr- Bd. X-; Das Unbehagen in der Kultur, Ges. Sehr. Bd. XII.
H. Meng: Strafen und Erziehen, Verlag Hans Iluber, Bern, 1934.
K Sterba: Zur Theorie der Erziehungsmittel, Imago, Bd. XVIII, 1932,
Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik, V. Jahrg., 1931, Heft 8/9,
Sonderheft ,,Strafen" mit Beiträgen von Aichhorn, Berofeld, Weiß, Hitseh-
mann, Böhm, Yates, Schinideberg. Tamm. Pipal, Gräber, Mannheim.
Beridit über die Einleitung einer Kinderanaiyse
Von Wilhelm Hoffer, M'ien
Die Notwendigkeit, vor der EröffDung einer Kinderanalyse eine
1927 in Ihrer „Einführung in die Technik der Kinderanaivse" begrün-
det; darnach ist die Einleitungsphase durch die Aufgabe gekenn-
ze.ehnet, das Kind „analysierbar" zu machen. Wie drese Äe
gelost wird, wie beim Kinde eine Krankheitseinsieht entsteht wie
es zur Analyse Zutrauen faßt und der Entschluß aus einem äußeren
zu emem inneren wird, das wurde dort an sechs Beispielen gezeigt
Nachfolgende Darstellung einer solchen Einleitnngsphase handelt
von einem jener Kinder, welche allen denen sehr gut bekannt sind
die es als Erzieher mit der Altersstufe zwischen 6 und 12 zu tun
haben. Ich meine solche Kinder, die durch ihre Ängstlichkeit auch dem
Erzieher, nicht bloß den Eltern auffallen, ihren Zustand aber immer-
hin so gut beherrschen können, daß sie nicht gerade als abnorm gelten'
Sie zeigen jedenfalls eine relativ gelungene Anpassung an die Wirk-
lichkeit, sie fallen unter Umständen durch Ehrgeiz, Bravheit und
Folgsamkeit auf, suchen Vertrauensstellungen in der Schulklasse und
bilden im allgemeinen ein sozial günstiges Element. Im Elternhaus
sind sie, wenn eingeschüchtert, meist unauffällig, sonst liebesbe-
dürftig, launenhaft, gelten als aufrichtig und wahrheitsliebend. Als
Kleinkinder zeigten sie verschiedene neurotische Symptome, Pavor
nocturnus, ander© Angstzustände, Eßstörungen. Nur wenige Menschen
wissen von ihren Ängsten, oft können sie sie überhaupt verbergen.
Sie fürchten sich abends vor dem Schlafengehen, jedem Besuch, jeder
Reise, jedem Fest; alle Veränderungen des Alltags können sie mit
einer Steigerung ihrer Angst beantworten, Krankheiten genau so wie
ein Geburtstagsfest.
In die psychoanalytische Behandlung bringen solche Kinder — ich
denke hier immer an Kinder der Latenzperiode ~ verschiedene
i;^rwartungsvorstellungen mit, die sich an die bisherigen Versuche der
Erzieher, die Angst zu beseitigen, anlehnen. In der häuslichen Erzie-
hung, m der Schule, beim Schwimmunterricht oder sonstwo hat man
es immer - humane Einstellung zum Kind vorausgesetzt - mit der
Beruhigung versucht. Als Vorbild dient die Beruhigung ganz kleiner
Kxnder in ihren Schreianfällen; sie setzt dort ein, wo der Tngst
zustand, nicht aber der Angstanlaß wahrgenommen wird Fürchte
dich nicht", heißt es „ich weiß zwar nicht warum du 1ng!t hast
aber ich beschütze dich, obwohl ich dich nicht versteht' lolange
272 Wilhelm Hoffer
das Kind diesen Schutz ohne Vorwurf und Beschämung erhält, wird
es ihn gern annehmen. Es stimmt nicht immer, wenn man meint, die
Kinder seien über ihre Angst hinausgewachsen, in Wirklichkeit haben
sie oft nur gelernt, sie geschickter zu verbergen. Andere Kinder
zeigen ein anderes Verhalten; Sie verstecken die Angst nicht nur vor
den Mitmenschen, sondern auch vor sich selbst, versuchen es wenig-
stens, wenn es auch nicht völlig gelingt. Sie tun so, als w^ären sie nicht
auf den Schutz der Erwachsenen angewiesen, überzeugen sich gern
selbst von der Ungefährliehkeit einer Situation, Sie bekämpfen die
Angst nach dem Vorbild ihrer Erzieher mit dem Verstand und sie
sind auch angstfrei, soweit sein Einfluß reicht. Für eine Gruppe
dieser Kinder hat die Angst dann die Funktion eines Spielzeugs, sie
spielen bloß mit ihr; aber wir müssen uns sagen, daß dem Verstand
oft enge Grenzen gesetzt sind, und daß Spiel auch gern in Ernst
umschlägt.
Für den Analytiker sind die kindlichen Ängste zuerst Rätsel, welche
in der Behandlung gelöst werden sollen; man muß sie in allen Details
kennen lernen, muß sich für sie interessieren, darf nicht mit der
Beruhigung arbeiten. Die richtige Einstellung zur analytischen Arbeit
von Seiten des Kindes muß sorgfältig vorbereitet werden. In der
Haltung des Analytikers erlebt das Kind eine völlig neue Situation.
Es erfaßt, daß die Analyse mit den üblichen Beschwichtigungsver-
suchen nichts zu tun hat- Darum betrachtet es das Verhalten des
Analytikers als Aufforderung: „Erzähle nur von deiner Angst, ich
werde dich schon verstehen/* Der erste sichtbare Erfolg dieses gegen-
seitigen Verstehens ist dann ein Nachlassen der Scheu und Zurück-
haltung, die das Kind anfangs jedem Fremden, auch dem Ana-
lytiker ' entgegenbringt. Das fördert wiederum neue Mitteilungen,
neue Ängste zutage, die dann die weitere analytische Verarbeitung
direkt herausfordern und ermöglichen. Ist diese Phase erreicht und
gesichert, so kann die Einleitungsphase der Behandlung als abge^
schlössen betrachtet werden, wir können dann vom Kind erwarten,
daß es aus eigenem für die Analyse seiner Ängste Verständnis hat.
T, Vorgeschichte
Mein Bericht liandelt von dem neun Jahre und sieben Monate alten Rudi, der
von seiner Mutter auf dringliches Anraten des Hausarztes in Analyse gebracht
wurde. Die Mutter berichtet ungefähr folgendes:
,,Das Kind leidet seit jeher unter Angstzuständen, besonders abends beim
Einschlafen; deshalb hat der Haiisarzt sclion vor zwei Jahren empfohlen,
doch einen Versuch mit der Analyse zu machen- Erst ]ctzt konnten wir uns
dazu entschließen. In den vergangenen drei Wochen kam nämlich Rudi einige-
Berieht über die Einleitung ehinr Kinderanaly
so
273
mal eingenäßt aus der Schule nach Ihiu.o, und unter dem Eindruck dieser
neuerlichen Störung haben wir beschlossen. Rudi behandeln zu bissen
I^di ist das einzige Kind. Bei der Geburl war er untergewichtig genähri
^urde er mit der Fhi.ehe. AI. Säugling wurde er einige Wochen hindurch
ausgiebig mit Kaltwa.sf.er behandelt, der Kinderars^t vorsprach .ich davon eine
Förderung der körperliehen Entwicklung. Laufen und Sprechen lernte das
rii 1?' übli^*i<^" Zeit; bis zu seinem 2^ten Lebensjahr konnten wir nichts
AuffallendeB bomerkeiu
Damals traten die ersten Ang^izustände in Form von Schrei- und An-'^t^
anfallen auf. Verwandte hatten einen Hund aus Stoff mitgebracht und Ihn
auf das Kinderbett gelegt. Als Rudi seiner ansichtig wurde, verfärbte sich
sein Gesiebt und die Angst nahm ihm tkni Atem, bis sich die gaoi^.e Spannung in
4^inen Sehreianfall auflöste. J)urch drei Monate kam es dann bei Tag und
Nacht wiederholt zu solchen Anfüllen. Tn dieser Zeit trat auch Stottern auf,
das fünf Jahre lang anhielt (big 5!um 7M. Lebenslahr). Dann zwischen dem
dritten und vierten Lebensjahr iiiiderte sieh Rudis Verhiiltcn. die Ängstlich-
keit trat in den Hintergrund, dafür aber machte sich ein Zustand bemerkbar,
der uns schließlieh an Rudis Verstand zweifeln ließ. Er begann zu „blödeln^
grimassierle, sprang wild umher und redete sinnlose Worte; zwischen solchen
anfallsartigen Zuständen benahm er sich dann meist unauffällig. (Beim Essen,
Defäzieren usw. wurden keine Störungen beobachtet; eine fieberhafte Er-
krankung, die eventuell an eine organische Verursachung hätte denken
lassen, ist diesen Zuständen nicht vorausgegangen.) Der Kinderarzt konnte
nur zum Zuwarten ermuntern.
Man machte den Ver.sucli, das Kiiul im Kindergarten zu halten, doch schrie
er dort fort wahrend „Motter, Mutter*', so daß das Experiment bald aufge^
geben wurde. Der Zustand des „Blödeins" und Grimnssicrens verschwand, an
seine Stelle aber traten sehr heftige Angstanfälle nach dem Einschlafen; dabei
rief Rudi: ,,Mutti, borst du den Hund bellen?" Um jiede Aufregung bintanzu-
halten, trachteten wir am Abend vor dem Schlafengehen jedes Geräusch zu
vermeiden, eine Maßnahme, die sich bis heute erhalten hat."
Soweit der Bericht der Mutter, der nun durch einige Einzelheiten (Schlaf-
zimmersituationen, Schule, Mitbewohner) ergänzt werden soll. Rudi schlir-f
bis zum Alter von 3J4 Jahren im Schlafzimmer der Eltern, hierauf in einem
eigenen Kinderzimmer. Um die Zeit des Zimmerwechsels soll das ,, Blödeln'*
aufgetreten sein. Ein Jahr später, als Rudi VA Jahre all war, starb sein
Vater, mit dem er in besonders guter Beziehung gestanden sein soll, an den
Folgen einer Bliiiddarmoperation. Rudi sollte weder von der Erkrankung des
Vaters, noch von der Operation und schließlich vom Tode des Vaters etwas
erfahren, er wurde außer Haus gebracht und längere Zeit bei Verwandten
gehalten. Die Mutter hatte die Absicht, dieses einschneidende Erlebnis dem
Kinde zu verheimlichen, und lange wollte sie nicht glauben, daß die Ver-
änderung im Hause, die Trauerkleidung, die Kondolenzen der Bekannten der
Beobachtung des kleinen Jungen nicht entgangen waren. Erst bis ihr Rudi
ein halbes Jahr später gesagt haben soll: „Mutti, da^ werd^ ich dir nie ver-
gessen, daß du mir das vom Papi nicht gesagt hast", konnte sie sich der Er^
274 Wühelii] Hoffer
kenntnis nicht mehr verschließen. Als sicher steht fest, daß die Ängstlichkeit
lim die Zeit des Todes des Vaters wieder im Zunehmen war. Doch konnte die
Mi]tter nicht angeben, ob der Pavor noctnrnus vor der Operation ihres Mannes
aufgetreten ist, was dann auf eine Belanscbungsszene schließen ließe, oder
erst nacli dessen Ableben, als Rudi ins Schlafzimmer zurückgekehrt war. (Rudi
schlief in seinem Kinderbett, während die Schwester der Mntter in dem des
Verstorbenen schlief.)
Schließlich berichtete die Mutter noch über ein Angstsymptom, das sieh
um dieselbe Zeit entwickelte. Rudi wagte nicht den Hausgarten zu betreten,
wenn er sich nicht vorher überzeugt hatte, daß die Spritzanlage außer Betrieb
war*), (An dieser Stelle weist die Mutter spontan auf wiederholte Einlaufe
hin, welche rteui Knaben zwischen iJ^ und 2 Jahren gemacht worden waren.)
Überhaupt konnte er das Haus ohne Begleitung der Mutter nicht verlassen.
Im Verlauf der ersten fünf Lebensjahre hatten sich somit hei Rudi fol^
-ende Symptome gezeigt: Schreckhaftigkeit und Seh reianf alle, Stottern, „Blö-
deln'*, Pavor nocturnus und schließlich die Angst vor dem Gartenschlauch,
Die Angsl, allein das Haus zu verlassen, machte sieh in diesem Alter wohl
noch nicht störend bemerkbar. Sie ist im Gegenteil sehr gut geeignet, beiden,
der Mutter und dem Kind, die Notwendigkeit eines ständigen Beisammenseins
zu beweisen, stellt somit im Dienst des sekundären Krankheitsgewinnes,
Mit Beginn des Schulbesuches normalisierte sich das Leben des Knaben.
Den Schulweg bezog er in seine Angst, ohne die Mutter das Haus verlassen zu
müssen, nicht ein. Er gilt als talentierter Schüler, war immer einer der besten
in der Klasse, Erst im letzten Halbjahr verschlechterte sich der Schulfort-
gang, Die Mutter ist geneigt, die Störungen in der Konzentration, die Ver-
schlechterung der Schrift und das Einnässen in den vergangenen drei Wochen
auf den schlechten Einfluß des Klassenlehrers, eines jungen, noch uner^
falirenen Pädagogen zurück zu führen. Solange Rudi eine von ihm sehr ge-
liebte Lehrerin gehabt habe, wäre dae alles nicht vorgekommen. Aus diesem
Grunde hatte die Mutter den Entschluß gefaßt, so bald als möglich Rudi
wieder zu der früheren Lehrerin, welche die Parallelklasse unterrichtete,
s^urück zubringen: sie hatte, als sie bei mir erschien, bereits die Umschulung
beim Direktor der Schule durchgesetzt. So kam Rudi mit Beginn der Behand^
lung zu seiner früheren Lehrerin zurück und in eine Klasse, in der es mehr
Mädchen als Knaben gab. So kam es auch, daß wir das Symptom des Ein-
nässens nicht mit Beibehaltung der Situation, in welcher es aufgetreten war,
studieren konnten; Rudi hat in den nächsten vier Monaten, bis zum Übertritt
ins Gymnasium, nicht mehr eingenäßt. Da er. wie wir zeigen werden, anfangs
die Angst gut verbergen konnte, war ein wichtiges Symptom, das auch ein
Neunjähriger nicht leicht bagatellisieren konnte, der analytischen Betrachtung
durch eine außeranalytische Maßnahme entzogen worden.
Nun noch einige Bemerkungen über die Mitbewohner des Einfamilien-
hauses, in dem Rudi wohnt. Rudis Mutter ist eine 30jährige, wie wir gesehen
haben, um das Wohl des Knaben überaus besorgte Frau, Ihre Ehe stellt sie
*) Vergleiche die gleiche Angst vor dem Gartenschlauch, Sprengwagen,
Sprayapparat bei Editha Sterha: „Ein abnormes Kind*'. Ztschr, f. psa. Päd,,
Bd, VIL, 1933, S. 25,
Bericht über die EiDleitung eiper Kind erapalyse 275
al.^ eine sehr glückliche dar. Nach dem Tod ihres Mannes nahm sie dessen
alten, kränkelnden Vater zu sich ins Haus, Bald erkrankte der alte Mann -in
Anfällen von Angina pectoris, später traten auch die Zeichen einer senilen
Demenz in Erecheiirnng. Rudis Mutter schildert eindringlich, wie viele Sorgen
ihr der Sohn und der Schwiegervater machten; in der Nacht schrie einmai der
eine in seinen Angstanfällen, das andere Mal der andere während der Herz^
attacken. Der Hausarzt glanbt, daß Rudis Angst vom Großvater aus einen
bedeutenden Zuschuß erhalten habe. In der von mir zu berichtenden Ein.
leitungsphase spielt der Großvater aber noch keine Rolle. Dieser starb, als
Rudi acht Jahre alt war.
Eine etwas ältere Schwester der Mutter hatte ehenfalls nach dem 'J'ode
von Rudis Vater die Wohnung mitbexogen. Sie ist unverheiratet und berufs-
tätig. Für Rudi ist sie eine zweite Mutter.
Bis vor einem Jahr lebte Rudis Mutter fast ausschließlich für ihn; daiuals
lernte sie einen Mann kennen, mit dem sie sich demnächst nunmehr zu ver-
heiraten beabsichtigt. Seit einem halben Jahr wohnt er im Gartentrakt des
Hauses. Rudi steht mit ihm auf bestem Fuß, er nennt ihn den Onkeh Die
Mutter will vor Einzug des Onkels in die Wohnung Rudi ausführlicli tiher
ihre Heiratsabsichten informiert haben, Obgleicli die Übersiedlung in das
Kinderzimmer — vor einem halben Jahr — mit dem Einzug des Onkels zu-
sammenfiel, will die Familie keine Änderung Im Benehmen des Knaben be-
merkt haben. Einen Einfluß auf den Schulfortgang, der sich ja um die gleiche
Zeit verschlechterte, lehnt die Mutter mit Berufung auf die anderen, oben
angeführten Ursachen (Lehrerwechsel) ab. Daß Rudi zu Hause keinerlei
Reaktion verriet, beweist eben nur, wie gut er sich beherrschen kann. Wir
dürfen daher gleich annehmen, daß Rudi wie manches Kind in Analyse seine
Familienangelegenheiten erst recht spät zur Besprechung bringt, wozu hei Rudi
noch als erschwerend folgendes Moment kommt. Er weiß, daß der Hausarzt
— was ja dann auch bei der Übersiedlung des Onkels geschah — darauf ge-
drungen hat, daß er sein eigenes Zimmer beziehe. Was soll er sicli bei dieser
Häufung von Beeinträchtigungen durch Männer vorerst von den Gesprächen
mit mir erhoffen?
Rudi hatte schon öfter und lange vorher gehört, daß gegen seine Angst
etwas unternommen werden müsse, es wurden auch schon alle möglichen er-
ziehlichen Maßnahmen versucht. Ich einigte mich daher mit der Mutter, sie
würde ihm sagen, er solle zu einem Doktor mitkommen, mit dem er über
die Angst sprechen werde.
II. Rudis Verhalten bis zum ersten Geheimnis
In dem damals fast 9% jährigen Rudi lernte ich einen überaus ge-
pflegten, gut genährten, in seinem Benehmen ganz und gar nicht ge-
hennuten Knaben kennen. Bei der ersten Begegnung verriet er durch
nichts, daß etwas in ihm mit seiner sonstigen Persönlichkeit nicht in
Übereinstimmung sei, er wirkte für sein Alter gesetzt, dabei aber nicht
gerade unkindlich, nichts ließ auf Drill öchließen. Er hatte etwas
276 Wilhrlm Hoffrr
Würdevolles an sich, wenn er sich setzte und die Beine kreuzte, seine
Wohlgenährtheit gab ihm dabei ein etwas l^omisches Aussehen.
Er kommt mit der Einstellung eines Prüfungskandidaten zu mir,
der 8ich seiner guten Vorbereitung und seines ausgezeichneten Er-
folges sicher ist. Er spricht eine Sprache, die mich sehr überrascht.
Er kommt doch aus der Vorstadt, nach den A^orbesprechungen mit der
Mutter habe ich nicht erwartet, daß er in einem reinen Schriftdeutsch
mit mir sprechen würde. Im Laufe der ersten Unterhaltung fragt er
auch, ob ich französisch spreche (niemand zu Hanse spricht franzö-
sich), er zieht ein Buch aus einem Fach mit französischen Büchern
heraus (natürlich liatte er vorher gefragt, ob er dürfe); er lerne näm-
lich seit einem Jahr französisch, hauptsächlich Grammatik, jetzt aber,
wenn er zu mir käme, hätte er die Stunden aufgeben müssen. „Aber
es macht mir nichts'', fügt er beruhigend hinzu. Ich glaube, mit einem
solchen Jungen könne man sehr bald in ein ernstes, unseren Absichten
dienendes Gespräch kommen, und ich frage ihn, was ihm die Mutter
als Grund seines Kommens angegeben habe. Rudi sagt; „Nun ja, das
wegen der Angst abends, aber seitdem ich die Susi habe, braucht sie
|a nicht mehr zum Bett kommen . ,. und das wegen der Schule, das
bißchen , . . Jetzt bin ich ja wieder bei meinem alten Fräulein - . /' (Er
zählt so seine wichtigsten Symptome selbst auf, sagt aber gleich dazu,
mit welchen Mitteln man sie bekämpft,) Der kleine Rudi zeigt kaum
eine Erregung, alles kann er beherrschen, nur die intensive Kötung
der Wangen verrät, daß wir uns auf einem ihm keineswegs gleich-
gültigen Gebiet befinden. Er eilt auch sofort zum Fenster meines
Arbeitsziimmers, wie wenn er von einer Sorge getrieben wäre, „Das
ist eine enge Gasse, in der Sie wohnen", meint er, ,,da wird es im
Sommer staubig von den Autos sein!** Er erzählt von seiner luftigen
Vorstadtwohnung, vom beginnenden Frühling, daß er gerade heute
den ersten Schmetterling gefangen habe, „ , - . aber ich habe ihn nicht
angeschaut, um die Flügel nicht zu verletzen*'.
Wir haben von seinen ersten Angstanfällen im dritten Lebensjahr
im Zusammenhang mit einem Stoffhund gehört; sein langjähriges
Angsttiert ist jetzt in seinem Hund „Susi" zum Schutztier geworden.
Die Mutter erzählte, daß er Hunde Jetzt besonders liebe und keine
Angst vor ilinen mehr habe. Von seiner Mutter hat er gehört, daß ich
einen Hund besitze, er bittet, ihn sehen zu dürfen; Rudi wird rot und
verlegen, als ich seinem Wunsch nachgebe und den Hund in das Zim^^
mer hole. Rudi drückt sich scheu an den Schreiblisch, beruhigt sieh
aber selbst mit den Worten: „Gott, der schaut so brav, er tut sicher
niemandem etwas/' Als ich scherzend sage: „Das kann man nicht
wissen, wer weiß» was sich so ein Hund denkt, wenn er einen Fremden
1
Bericht über die Einleitung einer KindornnalysG 277
im Zimmer sieht'\ steigert er seine schon vom Anfang der Unter-
redung so deutlich Angstabwehr und stürzt sich mit Selbstver-
achtung in eine wilde Spielerei mit dem Hund, Inzwischen habe ich
,,Knips" zu spielen begonnen, Rudi reagiert auf meine Aufforderung
sich zu beteiligen nur zaghaft und sagt: „Die Mutter will sonst nicht»
daß ich Karten oder Schach spiele, das lenkt mich vom Lernen ab/'
Ich sage ihm darauf, in den Vorbesprechungen, die ich mit der Mutter
gehabt habOj habe sie mir gegenüber nie hefürchtet, Rudi sei ein
Spieler, im Gegenteil: wie brav er sei, und wie er selbst immer an
seine Aufgaben denke und sich Sorgen mache, ob sie aucli richtig
seien, nur daß er sehr lange für die Fertigstellung der Aufgaben
brauche und manchmal gar nicht fertig werde. Während wir noch
darüber sprachen, spielte er schon mit mir. Als Antwort auf das Ge-
spräch meint er noch, da ich doch Doktor sei, könne ich ihm auch er-
lauben Tee zu trinken; er trinke so gern Tee, die Mutter gebe ihm
aber keinen, weil es ungesund für die Nerven sei, jetzt überlasse sie
es mir, ich solle entscheiden. (Ich antworte, ich habe nie gehört, daß
eine Tasse Tee einem Menschen schaden könnte.)
In der Folge nun erfahre ich einiges von ihm selbst über seine
Angst; aber man hört aus seinen Mitteilungen mehr heraus, wie sehr
er sich wegen der Angst schämt, wie gern er sie verkleinern möchte.
Über die Angst selbst erzählt er, daß sie nur abends auftrete, er
fürchte, ein Räuber könne das Fenster einschlagen und in das Zim-
mer schießen, auch das Haus könne man anzünden oder im Zimmer
ein Feuer legen.
Zwischen der ersten und zweiten Stunde berichtet mir dann die Müller,
daß Eudi abends, als er ins Bett ging, sein offenes Taschenmesser neben das
Bett legte, ^^as sie bisher nie beobachtet liatte. Am Morgen kam er zur Mutler
ins Bett („er ist so lieb dabei, daß icli nicht nein sagen kann, obwolil es der
Hausarzt vor ein paar Monaten energisch verboten hat") und fragt ganz un-
vermittelt: „Hast du den Onkel lieber oder mich?" Daraufhin will sie ihm
wieder alle möglichen Beruliigungen über ilire Olelühle gegeben haben, aber
eine gewisse Niedergeschlagenheit blieb dennoch bestehen. Die Erkundigun-
gen bei der Mutter belehrten mich, daß sie abends hin und wieder — „aber
mit Rücksicht auf die Schwester nicht häufig'* — ihren Bräutigam in dessen
Zimmer besucht. Daß Rudi von diesen Besuchen, wiewolil die Tür zu ihrem
Schlafzimmer niemals ganz geschlossen war, etwas gemerkt haben soll, stelll
sie als unwahrscheinlich hin^ Sie ergänzt noch ihre früheren Angaben Über
Rudis Harmlosigkeit und Reinheit; er sei zwar vollkommen aufgeklärt, aber
er benehme sich immer wieder so. als hätte sie ihm niemals etwas erzählt, Als^
sie ihm einige Tage später, als er wieder bei ihr im Bett war, sagte: „Dein
altes Gitterbett wird verkauft, weil die Frau vom Friseur ein Kind bekommt
und es braucht", fragte Rudi ganz harmlos: „Woher weiß sie das?" Sie meint
noch, diese echte Unschuld, an der nichts Gespieltes sei, bringe sie in \ er-
1
278 Wilhelm Hoffer
legenbeit, denn sie wiese eehr wohl, ilaß Kinder in diesem Alter schon alles
wissen und wissen sollen j und erst in Rudis Schule, in der Vorstadt, werde
tioch gewiß alles genau besprochen. Unlängst fragte er, als gewaschene
]\fonatsbinden im Garten zum Trocknen lagen, wozu das sei, und als sie ihm
antwortete, sei er, ohne Interesse zu nehmen, zu seinem Hund gelaufen. Als
sie ihrem Bräutigam erzählte, ich hätte sie nach Beobachtungen über Rudis
Onanie gefragt, und sie hätte mit gutem Gewissen solche in Abrede stellen
können, sei sie sehr ausgelacht worden, denn so oft er Rudi beim Lernen oder
Spielen angetroffen hätte, hätte er die Hände beim Sack gehabt, und er ließe
sie auch dort, wenn man mit ihm spreche.
Die zweite Stunde mit Rudi verlief eher kühler als die erste. Beim
Knipsspiel benahm sieh Rudi überaus scheu und so ungeschickt» daÜ
es mir mir mit Mühe gelang, ihn gewinnen zu lassen. Er warf mir
offenbar freiwillig hin, was ich seiner Meinung nach hätte von ihm
haben wollen.
Erst nach und nach gelang es^ diese ängstliche Zurückhaltung» die
ihm gewiß als solche nicht bewußt war, abzubauen: Wir begannen ein
ITbersetzungsspiel und veränderten an der Hand eines „Wörterbuches
des Wiener Dialekts" seine hochdeutschen Wendungen in die Wiener
Umgangssprache. Er konnte mir so meine Fehler, die ich bei der Über-
setzung seiner Sätze gemacht hatte, an der Hand des Wörterbuches
beweisen, und so fand er allmählich selbst in die Sprechweise wieder
hinein, die ihm als Umgangssprache geläufig war. Nach der fünften
Stunde begann er ein Schachbrett zu zeichnen, um mit mir „Barne"
zu spielen. Nun begann er sich selbst zu interessieren, warum er so
leicht verliere, aber er versuchte, das Problem auf einfache Weise zu
lösen: Er schlug vor, „die andere Art" zu spielen, jene Form, bei der
jener Spieler gewinnt, der zuerst alle Steine verloren hat. Bei dieser Art
des Spiels — also eigentlich in der Form des „Verlierens** — ent-
wickelt er eine auffällige Geschicklichkeit und Anteilnahme, die ihn
alle Vorteile ausnützen läßt. Rasch hat er herausgefunden, daß jener
Spieler eine bessere Gewinnchance hat, der den ersten Zug macht, und
er will nunmehr — ohne ein Gefühl von Kücksichtnahme auf den
Spielpartner zu zeigen — immer beginnen.
Wenn Rudi hastig beim Damespiel seine Züge mit den Steinen
machte, begleitete er sie zuerst selten, dann häufiger durch grun-
zende Laute, manchmal auch mit einem Quietschen; später — es war
in der siebenten Stunde ~ konnte ich dann einzelne sinnlose Worte
heraushören. Wenn ich versuchen wollte, diese Laute festzuhalten, so
würde das Ergebnis so aussehen: Prrrrr, ft, ft, ft, ft, tsehsch, tschsch,
tsehsch, krkrkrkrhoopuftuschum tseh bumbumbrumbrumbumbumbrum.
Er setzte diese Mitteilungen in ,Form einer Art von Selbstgespräch
über das Ende des eigentlichen Damespieles hinaus fort, bis er unver-
Bericht über die Einl eitung einer Kinderanalyee 279
mittelt sich mit Worten direkt an mich wendete: „Raten Sie,., no
raten Sie...", aber bevor ich noch dazu kam, sagte er: „Ich hab' in
der Schule krachen lassen," Und nun schilderte er mir im Flüsterton
das erste Geheimnis.
„In der Schule haben wir eine Lehrerin und es sind — das wissen
Sie ja schon von mir — Buben und Mädeln dort. Und wir haben die
Lehrerin und die Mädchen erschrecken wollen, da haben ein paar
Buben eine Knallerbse hingelegt und da hat es einen Krach
gegeben . . . und da hat die Lehrerin auf uns geschimpft/' Rudi ändert
sein Verhalten wieder, wird ernster^ läuft zum Fenster und fragt,
ob der Großvater^) nicht schon unten wartet. Als er dann mein
Zimmer verlassen hatte^ merkte ich, daß seine Füllfeder auf meinem
Sehreibtisch lag. Ich konnte die Mutter nur noch telephonisch
verständigen lassen, sie solle nicht glauben, Rudi habe sie verloren.
IIL Vom ersten zum zweiten Geheimnis
Rudi hat in rascher Aufeinanderfolge drei wichtige Mitteilungen
gemacht, von denen ihm nur die mittlere als Mitteilung bewußt ist.
Die erste Mitteilung geschah in Form von sinnlosen Geräuschen und
schließlich von Wortbildungen, sie wirkte eher wie ein laut gewor-
denes Selbstgespräch; die zweite war» wie gesagt, direkt an mich ge-
richtet und enthielt ein Geständnis, eine Prahlerei und eine dem
äußeren Ansehein nach aggressive Regung gegen die Lehrerin; die
dritte Mitteilung schließlich schloß sich dieser zweiten an, es war die
Fehlleistung. Schon die erste Äußerung sinnloser Laute muß uns an
jene Phase im dritten bis vierten Lebensjahr erinnern, in der das
„Blödeln" oder, wie es die Mutter jetzt auch nennt, das „Kasperl-
spielen" auftrat. Rudi weiß gewiß nicht, was er damit mitteilt, und in
unserer Deutung, die wir ihm natürlich nicht mitteilen, sind wir vor-
läufig noch auf Vermutungen angewiesen. (Über den Zeitpunkt der
wirksamen Deutung vergleiche %. B, Jenny Wälder: „Analyse eines
Falles von Pavor nocturnus'*, Ztschr, f. psa. Päd., Bd. IX, 1935, S. 15.)
Aber die Aneinanderreihung von drei solchen Mitteilungen legt die
Vermutung nahe, daß es sich um drei zusammengehörige Gedanken
handelt, von denen zwei unbewußt geblieben sind. Wir meinen: Rudi
\\dX einmal eine Szene miterlebt, gesehen oder nur mit an gehört, die
ihm unverständlich geblieben ist; er hat die Jetzt unbewußte Vorstel-
lung empfangen oder gebildet, daß dabei etwas Schlimmes geschieht,
worüber jemand erschrecken muß; auch wird dabei geschimpft. Das
Liegenlassen der Ftillfeder würde hier den Verlust des beteiligten
mä nnlichen Organs darstellen. Von Ru di hörte ich drei Wochen später
~'^) „Der Großvater", der gewODDUcli Kudi zu mir begleitet, ist der Vater
von Rudis Mutter.
1
280 Wilhelm Hoffer
folgendes: „Die Mutter läßt mich nicht mit der Füllfeder schreiben,
sie sagt, ich ruiniere mir die Schrift" (was wohl für Rudis Unbe^
wüßtes heißt, daß auch das durch die Füllfeder repräsentierte Organ
bei Benützung Schaden leiden kann).
Die Mitteilungen gewähren uns aber auch Einblick in seine über-
tragungssituation, zeigen, daß er mir nunmehr mehr vertraut als
früher und daß er mich als Mann nimmt, als Verbündeten gegen die
Frauen, wahrscheinlich die gefährlichen Frauen, die sieh anderseits
sü leicht von kleinen Burschen schrecken lassen. Dieses Thema „Wir
starken Männer werden es schon den Weibern zeigen'* verläßt er auch
im folgenden Abschnitt nicht. Vorerst aber erscheint Rudis Mittei-
lungsdrang nach dem ersten Geheimnis erschöpft. Er verlangt Karton,
Klebestotf und Messer und beginnt eine ausgedehnte Fabrikation von
Lampions, wie man sie bei Festen im Freien verwendet. Später er-
klärt er sie — in Anspielung auf das folgende zweite Gelieimnis —
als Lampen für eine altdeutsche Stube. Er arbeitete eine Zeitlang
stumm und eifrig, dann sorge ich dafür, daß er sich nicht ausschließ*
lieh in der Arbeit verliert und vergißt, daß er zu einem bestimmten
Zweck und nicht zur Übung in Handfertigkeiten zu mir gekommen
ist. Aber ich dränge noch nicht und vermeide alles, was ihn annehmen
lassen könnte» die Mitteilung eines Geheimnisses berechtige mich, nach
weiteren zu forschen. Ich achte wieder mehr auf die Art wie er Mit-
teilungen macht, finde, er spricht nun nicht mehr streng hochdeutsch,
aber auch nicht wienerisch, sondern in einem kindlichen, werbend-
vorsichtigen Ton, sagen wir, er spricht bewußt kindlich zu einem Er-
wachsenen. Ich denke mir, solange er nicht wieder „Kasperl zu spie-
len** beginnt, werde ich nichts Neues erfahren. Sobald Rudi mit der
Arbeit aussetzt, sei es nun, daß er sich müde fühlt oder ein Werkzeug
wechselt, läuft er zum Fenster, versucht hinunter zu schauen, er öffnet
auch das Fenster, Da es draußen regnet, wartet sein Großvater im
Wartezimmer, so fällt seine frühere Motivierung — „ich halte nach
dem Großvater Ausschau'' — weg. Stück für Stück gibt er mir nun
folgende Erklärung: „Ich habe Angst die Rettuugsgesellschaft steht
unten , _ sie könnte im Haus sein ... wenn ich runter gehe, könnte
man eine Tragbahre über die Stiegen tragen. , , die Mama hat gesagt,
vor drei Jahren waren wir — sie und ich — im Haus in der . , . .gasse,
dort haben wir auf der Stiege die Rettungsgesellschaft gesehen, eine
Tragbahre, auf der einer gelegen ist ... seither furcht' ich mich vor
der Rettung . , , mich werden S' (hier verfällt er schon sehr deutlich in
den Wiener Dialekt) net dazu bringen, daß i allan über d' Stiegen
geh', na, kumman S' mir net damit:"
Rudi braucht wohl vor allem eine Beruhigung für seine Angst» ich
Bericht über die Einleitung einer Kinderanalyse 281
könnte ihm seine Befürchtungen durch Ratschläge, Anweisungen oder
Befehle austreiben wollen, vielleicht hat er derartiges zu Hause ge-
hört? Hier spielt "vvohl auch wieder der Hausarzt herein, der die
Trennung der Betten angeregt hat. Sobald ich seine Angst als für ihn
berechtigt erkläre, dies, indem ich sie nicht durch Ratschläge be-
kämpfe, wird er wieder zutraulich, wechselt Sprechart, Stimme und
Thema und blättert, j^^ährend ich ihm meine Stellung zur Angst der
Kinder erkläre, in einem Schmetterlingsbuch.
Ich habe den Eindruck, es wäre verfehlt, von den Inhalten — den
bewußten oder gar den unbewußten — seiner Angst %n sprechen, weil
er noch nicht genügend vorbereitet ist, den Angstschutz als solchen
zu erkennen; wer diesen Angstschutz angreifen würde, würde in
diesem Moment gegen Rudi eine feindselige Handlung unternehmen;
in diesem Fall ist die Schutzvorrichtung das Vermeiden, allein die
Stiege betreten zu müssen, und da Kudi nunmehr weiß, daß ihm von
mir nichts derartiges droht, beruhigt er sich von selbst. Es hat wohl
wenig Aussicht auf Erfolg, wenn man in einer solchen Einleitungs-
sitnation Neugierde zeigen wnirde; man weckt dadurch höchstens Eeue
über zu große Freigebigkeit und das Kind wird bei den Mitteilungen
das nächste Mal viel vorsichtiger und zurückhaltender sein. In der
jetzigen Situation schien mir nichts leichter^ als Kudi einen Anlaß zur
Flucht aus der Behandlung zu geben. Seine Mutter hätte sieb jetzt
gewiß von der Nutzlosigkeit seines Kommens überzeugen lassen, falls
Rudi erklärt hätte, nicht mehr zu mir kommen zu wollen. Die Auf-
nahmeprüfung sollte in wenigen Wochen gemacht werden und die
für Rudi sehr ehrgeizige Mutter zeigte jetzt schon mehr Angst davor,
als Kudi später, knapp vor der Prüfung, aufbringen konnte; auch war
das Einnässen seit zwei Wochen verschwunden, außerdem war die
tägliche Fahrt in die Stadt umständlich,
Rudis Mitteilungen können von nun ab nicht mehr bloß an der
Oberfläche seines Alltags bleiben, immer wieder gleitet er in persön-
liche Mitteilungen hinein, aus denen er sieh durch schnellen Wechsel
der Sprache ins Hochdeutsche wie an einem Seil herauszieht. Er be-
richtet von seiner Beziehung zum weibliehen Geschlecht, indem er
vom Dienstmädchen Lily erzählt: daß sie alles falsch mache, daß die
Mutter mit ihr nur schimpfen müsse, daß sie sie nur ärgere, sie habe
die Füllfederpipette zerbrochen, so daß er jetzt jeden Tag bei mir die
Füllfeder füllen müsse; sie sei so dumm wie die Mädchen in der
Schule, immer tuschle sie (tausche Geheimnisse aus). Wenn er sehr
zornig wird, so grimassiert er, stößt unverständliche Laute aus,
spricht so, als würde er in einer fremden Sprache schimpfen. Einmal,
als Lily ihn statt des Großvaters begleitet, fragte sie bei Kudi an, ob
282 Wilhelm Hoffei
er nicht ein Stückchen allein auf der Straßenbahn fahren wolle, sie
wollte noch etwas besorgen; darauf wird er besonders heftig: „Sie
will mich nicht nach Hause bringen ... sie will, ich soll allein fahren
... ich hah' Angst, der Kinderräuber könnt kommen. . . die haben die
Kinder vielleicht ganz gern ... sie werden spielen mit ihnen . . . aber
sie nehmen sie den Eltern weg und sperren sie ein." (Wahrscheinlich
liegen dieser Angst Erlebnisse mit anderen Dienstmädchen, erlebte
oder phantasierte Drohungen zugrunde.) So reiht sich Angstvorstel-
lung an Angstvorstellung und liefert uns Argumente für später, wenn
sein Drang zur Mitarbeit und sein Gesundungswille einmal versagen
sollte.
Einmal fragt er, offenbar um mich auf den Grad meiner Überein-
stimmung mit dem Hausarzt zu prüfen: „Wieso ist es nicht gut, daß
die Kinder bei der Mama im Bett schlafen? ... ich hab' das Gitterbett
noch , . . vielleicht braucht sie es (gemeint ist die Friseuriu, vgl.
Seite 277) ... ich weiß, daß sie keins hat . . . glauben Sie, ich möcht*
zu kurz kommen? . . ." So spricht er unvermittelt von Dingen, über die
wir niemals Worte gewechselt hatten, vielleicht setzt er Gespräche
mit mir fort, die er zu Hause begonnen hat oder führen wollte.
Man könnte Rudis bisherige bewußte Mitteilungen in drei Gruppen
einteilen; Zur ersten Gruppe gehören jene, welche Rudi als gefälligen
jungen Mann zeigen; es sind die indifferenten Mitteilungen, die er in
ähnlicher Situation jedem Fremden gegenüber auch gemacht hätte,
z. B. daß er am Sonntag mit der Mutter im Theater war. Die zweite
Gruppe setzt sieh aus solchen zusammen, durch die er mich in seine
Familie einbezieht, mich wie ein nahestehendes Familienmitglied be-
handelt; z. B. die Gespräche über Lily, die Angst vor der Rettungs-
gesellschaft. Die dritte Gruppe besteht aus den eigentlichen, ihm be-
wußten aber von ihm geheim gehaltenen Intimitäten in der Art des
ersten Geheimnisses. Von ihnen wissen höchstens einige Freunde
oder Mitschüler, vor den Autoritäten und der Mutter werden sie ge-
heimgehalten.
Während Rudi in der Analysenstunde auf Lily und die Mädchen
schimpft, von Plänen mit den Mitschülern erzählt, wie man die Mäd-
chen in der Schule VOräChtlich mätht, höre ich, daß er zu Hause
"Wieder „das Kasperl spielt" und insbesondere beim Hauslehrer blödelt.
Er äußert den Wunsch, so lange nicht zu mir fahren zu müssen, so-
lange der Großvater krank ist; er lehnt die Begleitung Lilys ab. Er
fürchte, in der Straßenbahn könne ihm jemand etwas wegnehmen,
tiberall könne man doch lesen „Vor Taschendieben wird gewarnt". Was
könne man ihm wegnehmen? „Die Uhr... die Füllfeder... der Kin-
derräuber die Zuckerln..." Als ich Rudi sage, daß die Mutter mir
^___ Bericht über die Einleitun g ein^r Kinderanalyse 283
heute vom Kasperlspielea berichtet hat, reagiert er wie auf eine Auf-
forderung. Er unterbricht nunmehr für einige Stunden seine Karton-
arbeit, redet durch die Nase, macht Tierstimmen nach, verwendet
tschechische Worte und geht wiederholt in das Summen eines Vers-
maßes über. Dann fügt er auch AVorte hinzu; unter anderem sagt er
unvermittelt: „Was will denn der teppete Dokter, wos hot er denn, doß
1 net drin schiefen derf"®). Bewußt denkt Rudi an den Hausarzt, den er
für den Zimraerwechsel verantwortlich macht. Er meint natürlich den
Onkel, bei dessen Einzug in die Wohnung Rudi ja das Schlafzimmer
der Mutter verließ. Meine Erklärung, warum der Hausarzt dafür sei^
daß ein großer Junge allein schläft, nimmt er scheinbar reaktions-
los hin.
Dann fragt er, ob er ein Gedicht aufsagen dürfe ... ein Geheimnis-
gedicht, von dem er den dritten Vers selbst gedichtet habe, in der an-
deren Klasse, und jetzt kenne es seine neue Klasse auch schon. Das
Gedicht bezieht sich auf einen Lehrer, der den Spitznamen „ Kap seh i'*
trägt; „Kapschi" bemüht sich bei den Kindern Interesse für Volks-
bräuche und -lieder zu wecken. Hier das zweite Geheimnis:
Kaum hat die Glock' geklungen,
kommt der Kapschi in die Klass' gesprungen,
er hängt den Mantel an den Haken
und fängt was Klassisches an zu quaken.
Wiederum folgt der gleiche Vorgang wie frühen Rudi wird un-
ruhig, spricht hochdeutsch kindlich-werbend von gleichgültigen Din^
gen, stürzt sich in die Arbeit^ es sind die altdeutschen Leuchter für
die Bauernstuben! Er kann es nicht in Worte fassen, aber es drückt
ihn das schlechte Gewissen: „Jetzt denkst du SlClW, dftY Vflld lUicll
verraten", sage ich. Er mißtraut mir noch, kann es nicht fassen, fragt,
ob ich zur Beichte gehe, ob ich auch zu einem Doktor gehen würde,
wenn ich Angst hätte. Darauf sagt er: „Was denken Sie sich über
das Gedicht; jetzt bin ich der Doktor!" Beim Weggehen sperrt er den
Kasten, in dem die Lampen liegen, ab und sagt: „Adieu, Herr Angst-
patient"*). Eudi steckt den Schlüssel ein und bringt ihn erst am näcli-
sten Tag wieder.
Eine Übersicht über diese Behandlungßphase ergibt folgendes;
Zuerst vertieft sich Rudi in die Kartonarbeit und lehnt persönliclien
Kontakt eher ab; die Angst vor dem Erscheinen der Rettungsgesell-
Schaft bekämpft er zuerst durch die Versicherung , der Großvater sei
*) ,,Was will tlemi der blöde Doktor, was hat er denn daß mh ni^Kt a^:^
(bei der Mutter) schlafen darf." ' ^^ '"^^ ^'^^* firinnen
*) Ber Begriff ,,Patienr ist Rudi aus dem Geschäft aptischer Artikel das
Beme Mutter betreibt, geläufig. ^^nvi j^^rüKci, uas
2S4 Wilholm Hoffer
in der Nähe, dann erst teilt er sie mit. Dabei äußert er eine über-
Iragungsphantasie, nämlich die, ich könnte ihn veranlassen, aliein
über die Stiege zu gehen. Er verfällt dabei in den Wiener Dialekt,
was offenbar heißt: Wenn ich schlimm bin, dann rede ich wie und
Avas ich wilL
Die Frage, ob die Kinder nicht bei der Mutter im Bett liegen kön-
nen, scheint direkt eine Aufforderung zu sein, es ihm zu erlauben.
Eine Antwort wie „da würdest du ja wieder viel Angst bekommen''
schien mir in diesem Stadium noch zu. weitgehend zu sein. Aber wie
sich zeigt, hat meine Zurückhaltung auch Nachteile; Rudi verlegt sein
Kasperlspiel wieder nach Hause, zur gleichen Zeit erzählt er von der
Angst auf der Elektrischen, also, es könnte ihm auf der Fahrt zu mir
etwas gestohlen werden. Erst auf meine Aufforderung kommt dann
das Spottgedicht zum Vorschein, in w^elchem wohl nicht der Lehrer
allein, sondern auch ich, wahrscheinlich alle Männer gemeint sind.
Ich glaube, Kudi sagt: „Jetzt habe ich schon so viel mitgeteilt und
schon gesagt, was ich nicht w eiü, aber gern wissen mochte, ich mache
mich über die Männer lustig, weil sie nicht wissen, was einen Buben
interessiert/* Würde man ihm diese Übersetzung seiner unbewußten
Mitteilungen anbieten, würde er mit gesteigerter Angst reagieren.
Am nächsten Tag lä£t er die Kartonarheit unberührt, beginnt dafür
mit einer neuen Klebearbeit, einem Theater; er erklärt, die Mutter
lasse ihn zu Hause nie Papierarbeit machen, das nehme ihm Zeit vom
Lernen. Nunmehr erfolgt eine Unterbrechung, da Rudi an einer
Angina erkrankt war.
IV, RudisdrittesGeheimnis
Nach der Erkrankung setzt Rudi die Arbeit fort und zwar so, als
w äre sie nie unterbrochen worden. Er hat Papiersoldaten mitgebracht,
schneidet sie aus, erklärt eine Kaserne aus Karton dazubauen zu
wollen. Auch „der Onkel" — den er, wie ich glaube, zum erstenmal
erwähnt — habe solche Häuser gebaut und dann mit roter \Volle
Flammen gemacht, so daß man glaubte, die Häuser brennen! „Der Onkel
hat die Hänser auch angezündet, aber mir erlaubt es die Mama nicht/*
Hier erinnern wir uns an Rudis Angst vor dem Einbrecher, der das
Haus anzünden könnte. Seine Sprache durch Symbole wird immer
deutlicher.
Bald aber findet Rudi an der Arbeit nicht mehr die gleiche Freude
wie früher. Er läuft im Zimmer herum und manchmal kommt er ins
Torkeln, als würde er einen Betrunkenen nachahmen. Er beginnt
auch zu „blödeln'*, spricht durch die Nase und fremde Worte, etwa
tschechische. Ich höre und sehe diesem Spiel ruhig zu, sage gelegent-
I
Berichl iiber die Ein loituiig einer Kluderanalysn 285
lieh, wenn «ein Blick an mir haften bleibt: ,,Wenn ich nur wüßte, was
für Geheimnisse mir RiuH jetzt sagen will , . . soll es etwas von einem
Besoffenen'') sein?_. oder wub?'' Wenn ich so nutzlos rate, lacht er
mich natürlich aus und genießt die Geheimnisse, die er vor mir
verbergen kann. So verlaufen zwei Stunden,
Bisher hat Rudi von dem Sofa in meinem Zimmer nur einmal Notiz
genommen: Gleich in einer der ersten Stunden erklärte ich ihm den
Zweck des Sofas, den er scheinbar unberührt zur Kenntnis nahm.
Damals aber sagte er seiner Mutter: „Der Dr. Hoff er sagt, die größeren
Patienten legen sieh aufs Sofa . , . da kann er lang warten, bis ich
mich hinlege." Als nun Rudi in der dritten Stunde nach der Erkran-
kung wieder sehr heftig in seine vollkommen unverständliche Art der
Mitteilung verfiel, warf er sich mit einem Ruck auf das Sofa, und
steigerte womöglich noch die als „Blödeln" bezeichnete Art der Mit-
teilung. Manchmal wendete er sich um und sprach mich in der unver-
etändlichen Art an, etwa so: „Wura niua tschiapu lamota mauzta
broppapa lamanussi garamoz tscheehoslorakonta usw," Anfangs ver-
suchte ich es noch mit der Neugierde, also mit einer Form des gütigen
Zuredens. Als er aber rückwärts gewendet immer wieder in mich
eiiiBpracli, begann ich plötzlich seine Spraclie nachzuahmen, und ich
hatte wohl in kurzer Zeit nach wenigen Sätzen eine gewisse Fertigkeit
darin. Rudi schien mein Verhalten sehr willkommen, seine Mienen
wurden sehr lebhaft und wir sprachen bis zum Ende der Stunde. Wir
verabschiedeten uns auch in dieser Sprache und setzten das Spiel am
nächsten Tag fort. Mittendrin sprach Rudi dann wieder deutsch, was
uiir nicht unlieb war, und lehrte mich eine Geheiiusprache, wie sie
in den Schulen üblich ist. Dann warf er sich bald wieder aufs Sofa und
redete „tschechoslowakisch'*.
Nun machte mir die Mutter folgende Mitteilung: Die Lehrerin hätte
eine ärztliche Untersuchung der Klasse angekündigt, und Rudi wollte
Bieh mit einigen anderen Knaben keinesfalls vor den Mitschülerinnen
untersuchen lassen'); allen Einw ei\diuigeTi und Versicherungen
ZtllQchriti f. pEa. TM., lK/4
286
Wilhelm Hoffer
gegenüber sei er heute beim Mittagessen unzugänglich gewesen, sie
bitte um meine Hilfe, Rudi erklärte mir energisch, von einer ärztlichen
Untersuchung vor den Mädchen der Klasse könne keine Rede sein und
damit basta- Er spricht sofort wieder durch die Nase, sagt: ,jWürden
Sie sich vor den Mädchen ausziehen?" Worauf ich ihm antwortete:
„Wenn ich solche Angst davor hätte wie Du, nicht!'' Er ergeht sich
nun in Beschimpfungen gegen die Lehrerin und Lily, spricht dann
wieder „tschechoslowakisch'', verstummt dann, legt den Finger an
den Mund, wie wenn er mir Schweigen gebieten würde, und geht auf
den Fußspitzen zu meiner Schreibmaschine. Durch Gesten zeigte er
seinen Wunsch zu sehreiben an. Von dieser Stunde an — es war
die 30. Analysenstunde — verkehrte Rudi durch mehrere Stunden
— bis zur 36- — fast ausschließlich schriftlich mit mir- Sein
Schreiben auf der Schreibmaschine hatte zuerst den Charakter einer
Übung, denn er hatte bisher noch nie auf einer Maschine geschrieben,
Nur zwischendurch verließ er seinen Platz an der Maschine und sprach
mit mir, natürlich hochdeutsch und von ganz gleichgültigen Dingen,
wie z. B. der Vorbereitung für die Aufnahrasprüfung, Alles Wichtige
bis über das „dritte Geheimnis" hinaus teilte er mir schriftlich mit.
Ich lasse nun unsere schriftlichen Auseinandersetzungen folgen:
IN DER LOBAU
IN N
INN
IN DER LOBAU
HEUTE DE N
in
In
In der Lobau
Heute den 15. A ril ist die BindiLLLLLLL
In der Lobau
In dieser Übung im Schreiben ist eine Mitteilung enthalten: Die
Mitschüler erzählen von der Binder Mimi, daß sie mit Buben in die
Lobau^) gehe.
Ichbin
Ich bin 16 Ich bin bq
lieh bin 10 Jahre alt
Herr Doktor es dem Fräulein gesagt hat, dann darf sie es nicht befehlen, daß
wir uns vor den Mädchen ausziehen." Er phantasiert also einen männhehen
Schutz gegen die gefährlichen Frauen, genau so, wie er früher nur vom Groß-
vater und nicht von Lily begleitet sein wollte.
^) Ein Gelände an der Donau, wo frei gebadet wird.
Bericht über die Einleitung einer Kinderanalyse 287
Wiederholt deutet Rudi an, daß ich nicht sprechen dürfe; am Ende
der Stunde schrieb ich folgendes: „Auf Wiedersehen am Montag!"
(Rudi deutet auf die Schreibmaschine, die soll ins Wartezimmer
kommen, bis die Mutter, die ihn heute abholt, hier ist. Dort schreibt
er:) „Meine Mutter ist nicht hier, aber sie wird bald kommen! Der
Herr Doktor ist ein so freundlicher herr und sagt ichbin qwertzuiop."
Auffallend ist, daß er allein und unbeobachtet viel besser schreibt
und an der Stelle, an der er im G-espräch „blödelt", mechanisch auf die
Tasten der Maschine drückt (qwertzuiop).
Montag beginnt Rudi selbst sofort zu schreiben:
R.: „Der Herr Doktor ist ein so lieber Herr und sagt, ich sage ihm
nicht alle Geheimnisse, ich aber habe ihm schon Geheimnisse gesagt
und er hat es nicht gemerkt."
A.: „Weil ich den Rudi noch zu wenig verstanden habe, darum habe
ich es nicht bemerkt, wenn der Rudi mir nur helfen möchte und es mir
nochmals aufschreiben oder sagen möchte, was für Geheimnis das
war!"
R. zuckt mit der Schulter.
A.: „Ich will Dir noch etwas sagen, Rudi! Du hast mir ein Geheimnis
gesagt, als Du auf dem Sofa gelegen bist. Ich hab' es aber üieht
verstanden. Sag' es mir noch einmal, ich sage es niemandem weiter
und möchte es nur wissen, weil ich Dir dann besser helfen kann, die
Angst ganz wegzubringen; ich möcht' Dir helfen, ich bin kein Kinder-
räuber!"
R.: „Lieber Herr Doktor ich (das ganze durchgestrichen)
„Sie müssen mir aber versprechen, nicht mit mir darüber zu
sprechen!!!!! Ja?????)
A.: „Lieber Rudi, ich verspreche Dir nicht mit Dir darüber zu
sprechen, wenn Du mir alles schreibst."
R.: „Ich habe nur noch 1 Geheimnis und zwar Ich halt© das
6. Gebot nicht !"
(Ein Moment gespannter Erwartung!)
A.: „Jetzt muß ich Dir doch eine Antwort geben, wenn Du mir Dein
Geheimnis aufgeschrieben hast! Sag' Rudi, wenn Da das 6. Gebot
nicht hältst, so fürchtest Du doch eine Strafe, nicht i*"
R.: „LIEBER HERR DOKTOR . . '
Ich brauche mich ja nichL zu fürchten, weil sie es ja nicht verraten!"
A.: „Da hast Du recht, lieber Rudi, ich meine nicht, daß Du von mir
eine Strafe fürchtest, sondern von jemandem anderen, z. B. vom lieben
Gott oder vielleicht vom Onkel oder der Mama, wenn sie es wüßten."
R. zuckt mit der Schulter.
A.: „Du sagst, wie soll ich mich fürchten, wenn sie es nicht wissen.
n*
288 T?ilhelio Hoffer
Ich glaube, Du fürchtest doch, daß sie es entdecken, und daß sie Dich
K.: ,,Wo sollen sie es denn entdecken?''
A.i „Wo? Das weiß ich noch nicht, weil ich noch nicht weiß, wieso
Du nnkeusch bist — aber wenn Du an das 6. Gebot denkst, dann denk&t
Dn auch, der liebe Grott weiß alles und er könnte das auch wissen.
Was glaubst Du, tut man mit Buben, die das tun?"
ü,: ????? (von Rudi geschrieben!)
A.; 5,Das möcht ich auch wissen, denn ich glaube, deswegen hast
Du oft Angst, weil Du Dich vor der Strafe fürchtest wegen der
Unkeusehheit- Ich werde Dir aber helfen, daß Du keine Angst haben
mußt; ich möcht das mit der Unkeuschheit genau mit Dir aufschreiben.
Ich denke Du nennst etwas unkeusch, was alle Buben machen???
Kannst Du mir aufschreiben, w a s es ist?"
Ki „Ich weiß niclit was alle hüben machen????"
A.: „Hältst Du das 6. Gebot nicht, weil Du was Unkeusches tust
oder Dir ausdenkst??"
R,: ,Ja! Aber ich weiß nicht was die anderen machen/'
A,; „Tust Du oder denkst Du das ünkeusche?*'
R.: ,,B«ides!!*'
A.: „Jetzt weiß ich schon ein bißchen besser, woher die Angst beim
Rttdi kommt, und ich denke, wir werden sie schon ganz wegbringen.
Für heute Adieu" usw.
Nächste Stunde, da ich nicht sofort bei der Schreibmaschine Platx
nehme, schreibt Rudi zuerst:
R.: „Wenn sie nicht sitzen bleiben, werde ich sie anbinden!!!"
A,: „Wenn ich sitzen bleiben muß, so sehe ich, daß Du Dich noch
ein bißchen vor mir fürchtest!!''
E-: „Ich möchte zuerst Avissen, was die anderen machen,"
A.: „Lieber Rudi, ich werde Dir immer alles sagen, w a s Du
willst, aber immer mußt Du mir zuerst sagen, was Du Dir
denkst, dann sag' ich Dir was Du wissen willst. Du mußt mir also
auch zuerst sagen, was Du glaubst, daß die anderen Buben tun?''
K-: „Wer die anderen,???" (fragt Rudi zurück und fahrt fort)
„. -. Sie, die Mutti, die Tante u. v. a," (worauf ich antworte:)
A.; ,,Das versteh' ich nicht, ich hab' Dich doch um Dein Geheimnis
gefragt und Dir versprochen, niemandem etwas zu sagen, und ich
halte auch mein Versprechen/'
R.: „Ich möchte lieber von den anderen die Geheimnisse wissen/*
Ä.: „Was für Geheimnisse meinst Du, was haben sie für Geheim-
^aisse vor Dir?"
R,: „Das weiß ich nicht, ich möchte es Ja wissen. . /'
i
<
*
Bericht über d ie Einleitung einer Kindoranalyse 289
. A,: „Wann hat die Mama ein Geheimnis vor Dir? — ''
R.: ,Jch weiB es ja — — nicht/'
A,: „Wann glaubst Du, daß sie ein Greheimnis vor Dir hat? — "
R-: „Z,, b. Sie hat ein geheimnis von der unkeuachheit . , — "
A,: „Ja, lieber Rudi, das ist doch eigentlich kein Geheimnis und
warum nennst Du es unkeusch?"
R.: „Sie wissen ja gar nicht was!!!"
A.; „Da war ich ein schöner Doktor zum Angstwegmachen, wann
ich nicht wüßte, was Du meinst!! Aber wir können ruhig darüber
sprechen! (Rudi deutet mit zusammengepreßten Lippen auf die
Sehreibmaschine,) Ich soll es Dir aufsehreiben? — Nein, lieber Rudi,
das tu ich nicht; zuerst muß mir immer das Kind sagen, was es sieh
denkt, und dann kann ich ihm sagen, was es wirklich wissen will.
Wenn Du Dich vor mir fürchtest und mir die Unkeuschheit der Mama
nicht sagen kannst^ dann hat es auch keinen Sinn, daß ich es Dir sage.
Sonst gehst Du wieder nach Hause und sagst: Ein schöner Doktor,
was er für Sachen mit mir redet!!! — Ich bin doch dazu da, den
Kindern die Angst wegzubringen, und da muß ich mit ihnen über alles
reden, deshalb bin ich doch ein Doktor/'
In dieser Stunde, die hiemit beendet war, sind wir um ein wichtiges
Stück weitergekommen. Es ist gelungen, Rudis Neugierde, die wir uns
gar nicht groß genug vorstellen können, so weit 9.\i beruhigen, daß sie
nicht in Verstimmung und Ärger umsehlug; wir konnten ihm dann so
viel von seinem sorgsam verborgenen Wissen herauslocken, daß wir
von den Geheimnissen der anderen zur Unkeuschheit der Mutter vorge^
drungen sind. Mit der wachgehaltenen Neugierde sichern wir uns die
Rückkehr Rudis in die Analyse, und wir benötigen jetzt einen Antrieb,
zu uns zu kommen, weil wir von dem Gedanken um die Unkeuschheit
der Mutter her auf eine stärkere Angstentwicklung rechnen dürfen.
In der nächsten Stunde ist Rudi zuerst ganz passiv, er spricht
nicht, setzt sich auch nicht an die Schreibmaschine, So beginne ich auf
der Maschine zu schreiben,
A/: „Wollen wir fortsetzen, wo wir aufgehört haben oder willst Du
was anderes mit mir sprechen?*'
R,: „wie sie wollen herr Doktor????"
A.: „Deine Mutti hat mir heute telephoniert, daß Du gestern Kaie-
schmerzen^) gehabt hast, wenn wir heute gescheit sind, können wir
herausfinden, warum Da gestern Knieschmerzen gehabt hast! Wenn
rK '^ **^*^^^!^Ild Hausarzt informierten mich bei ErheVülig dJFVo^^^
über merkwürdige, medizinisch ungeklärte Knieschmeifon J ^V*^^^^^^^^'^^^^'*
290 Wilhelm Hoff er
man hier gescheit ist und mit dem Doktor sich anstrengt, dann weiB
man immer, warum etwas ist"
R.: „Nein lieber Herr Doktor lieber nicht! Ja??"
A.: ,,"Wenn Du Dich heute ftirehtest mit mir darüber zu schreiben,
so warte ich auch, bis Du Dich weniger fürchtest — ein anderesmal,
lieber Rudi, wirst Du Dich weniger fürchten, dann werden wir darüber
weiterschreiben, 3a? Aber Du mußt wissen, daß wir die Angst nicht
vertreiben werden, wenn wir darüber nicht alles gesehrieben haljen!!*^
E,; „Sie — ! haben mir aber versprochen ni — eh nicht mit mir
darüber zu sprechen! NICHT?''
A.: „Ich habe versprochen, nicht mit Dir darüber zu reden, wenn
Du mir alles aufschreibst, aufschreiben müssen wir alles, wenn
wir die Angst wegbringen wollen" •" ^ f^ rti. / •-
E.: „ICH WILL ABER AUCH NICHT SCHREIBEN! ! ! ! !
§ XleNein ! !! ! !"
A.: Lieber Rudi, weil Du mit mir nicht darüber schreiben willst,
deshalb brauchst Du ja nicht die Schreibmaschine schlecht behandeln.
Die Mama hat mir heute telephoniert, daß Du mit manchen Menschen
so frech bist, z, B, mit dem Großvater, weißt Du das?"
R,: „Ja!"
A,: „Das ist gut, daß Du es weißt! Weil Du mir das vom 6. Gebot
gesagt hast, darum hast Du jetzt weniger Angst, und Du bist auch
frecher-"
R.: „LLDie anderen sagen mir ja auch nich ihre geheimnisse."
A.: „Ich möchte noch genauer wissen, was die Buben in der Schule
über die Sachen sprechen."
R.: „Über was für Sachen?"
A-: ,,Du stellst Dich jetzt, als würdest Du nicht verstehen, was für
Sachen ich meine. Wenn Du etwas nicht verstehen willst, dann stellst
Du Dich dumm."
E.: „Meinen sie über das Pudern?"®)
A,; „Natürlich! — wir wollen hier auch über die Sachen sprechen,
Tiber die man draußen nicht spricht, für die sich aber die Kinder auch
so interessieren wie die Großen!''
R.: „ißWiso die Großen?"
A,: „Glaubst Du die großen Menschen denken nicht auch ans
t^udern?*'
An dieser Stelle dreht Rudi mit einem Ruck das Papier in der
Maschine weiter, so daß ich mit dem Schreiben aufhören muß; er deutet
mir dann stumm mit dem Kopf an, daß ich doch weiterschreiben soll.
A,: „Ich will aber von Dir wissen, was die Buben in der Schule
*) Vulgärbezeicbnung fiäv den Geschlechtsverkehr.
Bericht über die Einleitung einer Kinde ranaly so 291
denken und sagen, das willst Du mir nicht sagen, darum hast Du das
Papier ausgespannt. Wenn Du mit mir nicht darüber sprichst, so wirst
Du doch sehr oft daran denken."
ß.: „Kinder kann das Mädchen kriegen. Nicht?"
A.: „Wenn das Mädchen schon groß ist und der Bub auch, dann
schon, aber Buben und Mädchen aus der 4. Klasse Yolkssehule können
noch keine Kinder kriegen."
R.: „Wenn es kinder aus der 4. KL sind?"
A.: „Ja, wenn es Kinder aus der 4. Hauptschule sind, dann ist es
etwas anderes."
Schlußbemerkung
Nach diesem Satz verläßt Rudi die Schreibmaschine und kehrt nicht
mehr zu ihr zurück, er setzt die bisherige müli selige Unterhaltung in
einfacherer Form fort und entbindet mich somit praktisch von dem
Gelöbnis, nicht darüber zu sprechen. Hiemit war Rudi wieder zu jener
Mitteilungsform zurückgekehrt, welche in der Analyse die übliche
ist. Rudis mündliche Mitteilungen, die also unmittelbar an diese sieben
Stunden anschlössen, beinhalten kurz lolgendes: In der Schule gibt
es die Binder, die macht es schon mit ihrem 13 Jahren alten Bruder,
es tun es überhaupt viele in der Schule mit Mädchen, aber sie bekommen
noch keine Kinder. Es gibt auch zwei Mädchen in der Klasse, die
möchten gern mit ihm sprechen, aber er spricht mit keinem Mädchen.
Er spricht nur mit gescheiten ... d. h., korrigiert er sich dann . . . mit
anständigen Mädchen. Mit der Binder, mit der raöcht er schon sprechen.
Rudi setzt so jenes Thema fort, das er bei Beginn des Schreib-
maschinenschreibens angedeutet hatte; jetzt ist die Angstspannung so
weit ermäßigt, daß ihn die moralische Yenirteilung der Binder wie
sein Wunsch, mit ihr zu sprechen, gleichzeitig bewußt sind. Er weiß
wirklich nicht, ob er sich für das eine oder für das andere entscheiden
eolL Er sagt dann, er werde den Kindern in der Schule auch die Angst
wegnehmen, wenn er wissen werde, wie man das macht. Wer ihm das
verbieten könnte! Das gehe die Lehrerin und den Direktor nichts an,
was er mit den Kindern spreche. Daran schloß sich ein Gespräch, in
welchem ich ihm auseinandersetzte, daß das die T^ehrer keinesfalls
dulden würden, weil es viele Eltern nicht gern sähen, wenn ihre Kinder
keine Angst haben, weil sie glauben, daß sie mit Angst braver sind.
Bei ihm habe die Mutter ausdrücklich gewünscht, daß er in der
Behandlung über alles, auch darüber spreche, weil das auch zur
Behandlung gehört. Darauf meint l^^idi, er habe der Mutter schon
erklärt, warum er „blödelt"; „sie soll wissen, daß ich auch mit ihr
darüber sprechen will". Es ist hier noch nicht möglich, Rudi den
libidinösen Charakter dieses Wunsches — etwas mit der Mutter zu
292 Wilhelm Koffei
besprechen, was man mit ilir nicht tun darf — nachzuweisen; darum
vereinbare ich mit der Mutter, daß sie Um gegebenenfalls an mich
weisen soll, wenn sie sich seinen Fragen nicht mehr gewachsen fühlt;
so wollte ich auch verhindern, daß Kudi neuerdings eine traumatische
Versagung erlebe. Ihm erkläre icli, da werde ihm bald die Lust ver-
gehen, mit mir darüber zu sprechen, wenn er mit anderen Leuten das
Gleiche wie hier bei mir tun wolle; die werden ihm schon wieder Angst
machen! Damit hatte ich seinem Agieren vorgebeugt, und als Antwort
brachte er dann Material, das ihn mitten in seine Konfliktsituation
führte: Er begann zuerst mit Fragen nach dem Motiv der tJbersiedlung
des Onkels in die Wohnung.
In dieser Phase erzählt die Mutter, sie müsse sich erst an die ihr
bisher ungewohnte Haltung ihres Kindes gewöhnen; „nicht daß er
freeh ist, er ist so selbstbewußt, so ganz umgetauscht, ich fürchte nur
einen Rückschlag (ganz mit Recht, wie der Analytiker ihr versichern
konnte), dann wird er wieder zähueklappe]-nd dasitzen und weinen*'.
Sonntag ging J^udi mit Lily allein ins Kino und nachher ganz allein
auf den nahen Fußballplatz; die Familie ist noch unentschieden, ob
sie sich darüber freuen oder die Selbständigkeil bekämpfen soll.
Natürlich gibt es immer wieder Situationen, in welchen die alte Angst
aufflackert, dann kann die Mutter ohne ihn mitzunehmen, das Haus
nicht verlassen, dann muß sie abends das Licht brennen lassen.
Mit der Mitteilung des dritten Geheimnisses während der Schreib-
niaschinenarbeit war Rudi aus der Einleitungsphase in die eigentliche
Eröffnungsphase der Analyse übergegangen. Vorher hätte ich niemals
mit Bestimmtheit voraussagen können, daß Rudi am nächsten Tag bei
mir erscheinen werde, ich dachte, er könne doch plötzlich entschieden
erklären, es sei aus und er gehe nicht mehr zu mir, oder er könnte
Bedingungen steilen, die unrealisierbar wären wie etwa die, die Mutter
müsse ihn begleiten. Jetzt war von solchen Bedenken kaum mehr die
Rede, Ich hatte eine Vertrauensstellung bekommen und von ihm
Geheimnisse erfahren, die in seinen Augen wohl die gefährlichsten
Dinge der Welt überhaupt sind. Die erwartete Verurteilung und
Bestratimg trat nicht ein, ich wurde ihm unheimlich und mächtig
zugleich. Die einmal wirklich hergestellte Bindung ermöglicht erst
die eigentliche Analyse, sie kann dann allen möglichen Belastungen
ausgesetzt werden, um schließlich in der letzten Phase der weiteren
Behandlung selbst wieder Gegenstand des analytischen Prozesses zu
werden. Wenn das gelingen soll, so wird Rudi allmählich auch in der
mir zugedachten Rolle des allmächtigen Beschützers jene Vorbilder
wieder erkennen müssen, nach denen er mein Bild in der Einleitungs-
phase gestaltet hatte.
B E R I C HTE
(tnuiiiiiiiniiiiiiiiiuiiiiiuiiiii^^
Strafen und Erziehen
Von Heinrich Meng, Basel
Dieser Vortrag wurde in einer Feranstaltun^
des ScJmlarjitts der Stadt Zürich gehalten;
er erschien ifn Vorabdruck in ^Gesundheit
und JVtthlfahri^^ Jahrgang 193)'^ Hefi j.
Verlag O* Füssli^ Xilrich^ und ist von dein
in ^.Ztschr.ßpsa. Pad.^% Bd. IX^ l^^S^S 2l6
besprochenen gleichnamigin Buch des Autors
unabhängige
Die Erziehung in Elternhaus und Schule bezueckt, den Heranwachsenden
so vorzubereiten, daß er seinen späteren Lebensaufgaben gewachsen ist. Unter
den Erziehungsmaßnahnicn spielt das Strafen seit jeher eine vordringliche
Rolle, ja, es gibt leider Menschen, für die Erziehen und Strafen die gleichen
Begriffe sind. Die Art der Straf maßnahmen wf clisclt je nach Volksstamm,
Weltanschauung und Zeitepoehe, aber im Grund werden sie stets als Erzie-
hungseingriffe durchgeführt, um bei bestimmten Vergehen dem Kind durch
Zufügung von körperlichen oder seelischen Schmerzen beizubringen, daß
seine Verhaltensweise schlecht, falsch oder unerwünscht sei und daß es bei
Wiederholung Gefahr laufe, immer wieder bestraft zu werden.
Strafen im pädagogischen Sinn ist Ausdruck eines erzieheri-
schen Willens, Wir erkennen nicht jjene Eingriffe als Rtrafe atl, die " off en-
kundig aus Rache, Laune oder Überreiztheit stattfinden. Wir wissen aber,
daß der Erzieher verhältnismäßig oft, ohne sich dieser Regungen bewußt zu
sein, zur Beute seiner Laune, persönlichen Enttäuschung an sich und an
anderen oder einer „nervösen" Überreiztheit wird. Nicht selten gibt der
Erzieher beim Strafen seine Selbstkritik und Selbstbeherrschung auf, er mag
dabei oft als kalter Verstandesmensch handeln, freilich noch öfters als heißer,
unüberlegter Instinkt* und Gefühlsmensch» Umsomehr besteht die Forderung,
daß der Erzieher, der straft, selbst erzogen, selbstbeherrscht und reif sein
muß; das ist ebenso selbstverständlich wie cUe Forderung, daß ein Chirurg
beim operativen Eingriff gut ausgebildet, zielsicher und selbstbeherrscht zu
sein hat. Über das Spezialfach hinaus soll er aber auch durch gründliehe
Kenntnisse des ganzen Menschen auf seine verantwortungsvolle Aufgabe vor^
bereitet sein. Das Gleiche gilt für den Erzieher des Menschen. Er bedarf nicht
nur der Einfühlung in die Natur des Kindes, sondern auch eines wirklichen
Wissens, von dessen leiblicher und seelischer Natur und von den Gesetz-
mäßigkeiten der natürlichen Entwicklung. Er soll die Erfahrungen, welche
die alte und die neue Pädagogik gesammelt haben, durch eigenes Erfahren
ergänzen und verstehen. Diese Notwendigkeit wird oft nicht so leicht einge-
sehen, wie es für andere Gebiete praktischer Artjeit oder Hilfsarbeit selbst-
294 Heinrich Meng
verständlich ist, vor allem dann, wenn sie sich an lebendem, sich entwickelnden
Material betätigt. Es sei nur an Gärtnerei und Tierzucht erinnert. Das komint
daher, daß unsere Wissenschaft von} Kind und dem werdenden Menschen
überhaupt noch jungen Datums ist und viele Meinungsverschiedenheiten, ja
Meinungsgegensätze und Weltanschauungskämpfe sich hier geltend machen.
Viele meinen, daß das Beibringen einer bestimmten Weltanschauung das
Wichtigste sei, daß ihr Mutterwitz und die persönliche Erfahrung aus der
eigenen Erziehung genügen müssen, um ein Kind für seine Lebensaufgaben
vorzubereiten. So nützlich das ist, so sehr das gute Beispiel aller Erziehung
Fundament ist, so bedarf es keiner Begründung, daß der gewissenhafte
Erzieher die über alle Meinungsdifferenzen gesicherteji und feststehenden
Kenntnisse der Erziehungs- und Seelenkunde zum Besten des Kindes und zur
Beruhigung des eigenen Gewissens kennen und benützen soll.
Jedes Kind ist bei der Geburt verschieden von anderen
und ist ihnen doch sehr nahe im Wesen verwandt. Es bringt
durch seine urmensehliehe Erbmasse Bereitschaften mit, die es. soweit es
gesund ist, befähigen, auf den erzieherischen Eingriff anzusprechen. Seine
Abhängigkeit in den ersten Leben.s|ahren verstärkt das Bedürfnis aller junger
Lebewesen nach Leitung und Führung, Was die einzelnen Kinder voneinander
nnterscheidet, ist u. a. ihr verschiedenes Temperament, ihre unterschiedliche
Empfänglichkeit oder Reaktionsfähigkeit auf die Eingriffe der Umwelt. Aber
sehr früh schon beginnen auch die gleichen angeborenen Eigenarten ver-
ecbieden zu werden , weil ihre weitere Entwicklung völlig abhängig ist von
der Art, in der die Eltern mit den Kindern umgehen, ob sie z. B. Unarten
des Kindes strenge oder mild begegnen, ob sie Humor haben, ob sie als eine
einheitliche Umgebung wirken, oder ob die Kinder auch fremden Erziehungs-
einflüssen anvertraut sind. Dies erklärt eine wichtige Tatsache, die erst in
den letzten Jahrzehnten gefunden wurde: Der spätere Charakter eines
Menschen ist nur teilweise angeboren, zum anderen Teil wird er in den ersten
fünf Jahren des Lebens, in der Frühkindheit erworben und das vorwiegend
am Beispiel der Umgebung und an deren Verhaltensweisen bei Strafen und
Belohnen. Es liegt in der menschlichen Natur und wurde durch die Psycho-
analyse gefunden und seither immer wieder allseits, Insbesondere auch durch
die Individualpsyehologie bestätigt, daß ledes Kind später als Erwachsener
aktiv so zu handeln versucht, wie es ihm beim Erleben von Handlungen als
Kind, also passiv, eingeprägt wurde. Man meinte früher oft, daß das streng
behandelte Kind durch die Strenge ein folgsamer und braver Mensch würde,
der milder Behandelte durch die Milde verweichlichen müsse. Wir wissen
heilte, daß unnachgiebige Härte und Strenge, auch ihre Gegenspieler, rück-
gratlose Milde und Nachsicht, trotzige Charaktere erzeugen können. Vor allem
gteht fest, daß grausame Härte die Willenskraft zu brechen vermag und daß
gleichmäßige Milde eher starke und konsequente Charaktere entwickeln läßt.
Ein Kind, das oft körperlich bestraft VfUtüe, neigt dazu, als Erwachsener
Analoges anderen zu tun, es wird hart und grausam, unter ungünstigen
Bedingungen bleibt es besonders stark im Handeln gehemmt- Der Grund ist,
daß es während seiner Entwicklung durch die oft erlebte Kürperstrafe an
Strafen und Er^ieliei} 295
ungemein starke Motive und Reize für sein Handeln gewöhnt wurde und
flamm schwer aus eigenem Antrieb handeln kann. Manche Menschen werden
ganz in die Passivität getrieben, andere schwanken zwischen beiden Extremen.
Es gibt auch Ausnahmen von dieser Regel, wenn die Stärke der Charakter-
anlage dennoch die genügende Willensstärke entstehen läßtj zumal wenn die
strafende Erzieh ungsperson selbst als gutes Vorbild günstig wirkt Gefährlich
sind vor allem Körperstrafen, zu welchen willensschwache Eltern in Unge-
duld greifen, weil sie sich nicht anders zu helfen wissen.
Sehr vieles, was in der Frühkindheit geschieht, bleibt aber nicht im
Bewußtsein und in der Erinnerung- Viele unbewußte Kegungen, die ein
Erwachsener als Nachwirkung aus der Frühkindheit hat, erscheinen selbst-
verständlich und natürlich, ihre Starre ist schwer durch Einsieht und
Belehrung zu ändern.
Das Kind ist in den ersten Jahren überliaupt kein Ver-
standeswesen, sondern bloß Trieb wesen. Nur ganz allmählich
entwickelt sich das Denken, wie es der Erwachsene braucht und hilft dem
Kind seine Leidenschaften und triebhaften Strebungen kulturgeraäß zu
beherrschen. Diese Tatsache macht verständlich, warum bei kleinen Kindern
die Erziehung durch das begründete Wort und durch vernünftige Erklärung
völlig zurücktritt gegenüber einer Erziehung durch Vorbild, Beispiel Spiel
und Übung. Diese Wertung des Vorbilds hat auch ihre Kehrseiten. Niclit
wenige Kinder, deren Verhalten von unserem Verstand als unartig bezeichnet
wird, ahmen nur Dinge nach, die ihm die Umwelt vorgemacht hat, ohne über-
haupt zu wissen, daß ihr Tun vom Erwachsenen als beabsichtigte Unart
aufgefaßt, d. h, mißverstanden werden könnte. Auch treten in den verschie-
denen Jahren der Frühkindheit manche, und zwar bestimmte „Unarten"
besonders häufig auf, sie vergehen von selbst, wenn die Erwachsenen keinen
^.Streitgegenstand" aus ihnen machen, sondern höchstens durch Ablenkung
keine „üble Gewohnheit" auftauchen lassen. Es gehen nämlich stets von
den Organen, die starker wachsen, gleichzeitig auch starke Triebreize aus,
welche durch eine längere Periode der Entwickking eine besondere Eigenart
des Kindes bedingen. Wenn der Erzieher das nicht weiß, so muß er oft in
seinem Urteil unsicher sein, ob das Kind böse oder unartig ist oder vielleicht
darum verstört, weil es gerade in einer solchen schweren Entwicklungsphase
steckt. Am bekanntesten ist die sogenannte Trotzphase, also jene Zeit
zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr, in der jedes gesunde Kind
zwischen den Forderungen der Umwelt und den Strebungen eines sich auf-
bauenden, eigenwilligen Ichs steht und straffällig erscheint, ohne daß es in
dem Sinn dafür verantwortlich ist, wie manche Erzieher meinen. Die Beob-
achtung, daß falsch erzogene Einzelkinder oder Kinder, die schon vor der
Trotzphase zu pedantisch erzogen wurden, ein besonders schweres und lang
dauerndes Trotzalter durchmachen müssen, spricht dafür, daß an allen
Äußerungen und am späteren Verhalten des Kindes die Folgen von früheren
Geschehnissen beteiligt sind. Salzmann spricht in seinem „Ameisenbüchlein*'
davon, daß der Erzieher bei allen Fehlern und Untugenden seiner Zöglinge
zunächst den Grund in sich selbst suchen müsse, nicht deshalb, meint Sakraann,
296 HeiDrich Meng
weil er beim Suchen immer finden werde, daß er der allein Schuldige sei»
gcmdern weil der Erzieher bei scharfer Selbstkritik rocht oft entdecke, wieviel
Fehler er selbst dem Kinde beigebracht hat.
Es wird oft vergessen, und die Psychologie der letzten Jahrzehnte hat
viele Beweise dafür erbracht, daß das Kind viel mehr aos der Umwelt unbe-
wußt aufnimmt und verarbeitet, als er unmittelbar äußert. Man darf es mit
der photographischen Platte vergleichen, die erst hei einer späteren Ent-
wicklung verrät, welche Eindrücke sich in ihr eingeprägt haben. Besonders
empfindlich und empfänglich ist das Kind für die Aufnahme von Gescheh-
nissen, die es zwar nicht versteht, die es aber sinnlich reizen, z. B, Sehädi^
gungen durch Miterleben von sexuellen Szenen und unbeherrschtes Verhalten
der Umwelt oder Disziplinlosigkeit. Treffen diese Schädigungen gerade in
jene Phasen der Entwicklung, in denen die in jedem Kind sieli entwickelnde
Frühsexualität zu erzieherischen Schwierigkeiten Anlaß gibt, so entwickeln
sich oft Unarten, deren Bewältigung nur möglich sein wird, wenn der Erzieher
den Triobkonflikt des Kindes zu erkennen und zu lösen vermag,
Dasbißher Gesagte fassen wir dahin zusammen, daß, wer
aus pädagogischen Gründen strafen will, es nur tun darf, wenn er darüber
Bescheid weiß, was in dem Kind vorgeht, das ihm straffällig erscheint. Immer
wird das Kind unter den erzieherischen Forderungen Unruhezustände durch-
machen und erst allmählich bildet sich ein sicher arbeitendes Gewissen, das
ihm von innen her vorschreibt, was es tun darf und was es nicht tun darf.
Als Auedruck dieser Unruhe und als Folge einer Überstrengen oder über-
ärztlichen Erziehung ergeben sich viele sogenannte Unarten, das Kind ist
unfolgsam, lügt, nascht, ist frech oder trotzig. Zu dieser Unruhe des Kindes
soll nicht die nervöse Unruhe seiner Erzieher hinzukommen, sonst wird die
Situation in der Kinderstube geradezu chaotisch, das Strafen der Kinder wird
zu einer Gewohnheit und bewirkt das Gegenteil dessen, was eine Erziehung,
die nicht nur dem Augenblick dient, sondern dem Leben, erstrebt. Auch
bedenke man, daß die Kindheit nicht lediglich eine Vorbereitung des Erwach-
^^cnseins ist, sondern einen Eigenwert in sich trägt, den das Kind in Spiel und
Piiantasie auszukosten trachtet. Es bedarf eijier besonders geschickten
Führung, damit das Kind seine Eigenwelt genießen kann und doch von ihr
weg und emporstrebt. Auch der hierdurch bedingte Zwiespalt macht das kleine
Lebewesen oft schwer erziehbar, nervös oder unartig.
Unsere Stellungnahme zur Frage der Praxis der Strafe in der
Erziehung ergibt sich aus den bisher mitgeteilten Voraussetzungen, Sie soll
noch da und dort ergänzt werden. Da wir uns bemühen, das von Natur zwie-
spältige Kind zu einem einheitlichen Miesen zu erziehen, sollten alle Erzieher
eines Kindes einheitlich und nicht widersprechend ihre Erziehungsmittel, wie
z. B. Strafen, anwenden. Das Kind ist außerordentlich empfindlich für die
mangelnde Harmonie seiner Umwelt und nützt sie bewußt und unbewußt in
seinem eigenen Verhalten aus. Wer sich erst durch Strafen Autorität ver-
schaffen will, erreicht das GegenteiL Strafen kommt nur dann nh Erziehungs^
mittel zur Wertung, wenn bereits ein autoritativ^es Verhältnis besteht uud
das Kind fähig ist, durch eine starke Gelühlsbindung an den Eraieher sich ia
Strafen und Erziehen 297
dessen Absichten und Denkweise so weit einzufühlen, daß es in seinem eigenen
Ich zum Bundes^ genossen inid Helfer des Erwachsenen allmählich wird. Vor
diesem Stadium muß das Kind eine Zeitlang durch eine Art Dressur, die
ähnlich wie eine Strafe wirkt, gewisse Verhaltensweisen leinen, vor allem die
zum Selbstschutz, „Gebranntes Kind scheut das Feuer" ist für diese „Natur-
strafe'' Leitmotiv. Die Erfahrung lehrt, daß bei einer vernünftigen Erziehung
die Dressurzeit und die Epoche der Natnrstrafe sehr kurz sind und daß der
Gehorsam aus Seibstbeherrschung sich nie auf Dressurmethoden aufbaut. Das
lehren u, a, auch die Erfahrungen der Tierdressur und der Tiererziehung, die
Hagenbeck und andere veranlaßt haben, die üblichen Strafmethoden der allen
Tierbändiger völlig zu verlassen und die Selbsterziehung eines Tieres schon
ganz früh anzuregen. Die „Straffälligkeit'' der heranwachsenden und erwach-
senen Tiere hat sich unter diesen Methoden der neuen Er-z-iehung erstaunlich
vermindert und der geistige Rapport zwischen Tier und Mensch verstärkt und
vergeistigt.
Wer vom Strafen spricht, denkt vorwiegend an die Körperstrafe, Tn
der Tat spielt sie in derErziehungsgescliichte der Menschheit eine überragende
Rolle, obwohl zu allen Zeiten, auch lieute noch, es Volksstämme gab, bei
denen die Körperstrafe eine geringe oder keine Rollespielt, 'z. B, bei den Eskimos
und einzelnen Indianerstämme. Und doch sind die Erziehungsergebnisse bei
diesen Völkern nicht schlechter als die der anderen. Wir können das Für
und Wider der Körperstrafe hier im einzelnen nicht durchsprechen, aber
betonen, daß viele Beweise dafür vorliegen, daß eine Kindererziehung ohne
Körperstrafe möglich und dringend wünschenswert ist. Es wird nitdit
bezweifelt, daß nicht wenige Menschen, die sich als den Anforderungen des
Lebens gewachsen erwiesen haben, als Kind geschlagen wurden; aber das
beweist ebensowenig wie die Tatsache, daß trotz Hungers während des Welt-
kriegs viele Mütter gesunde Kinder zur Welt brachten.
Würde man die „normalen" Erwachsenen nicht nur in Bezug auf ihre
Erfolge und ihre Energie, sondern auch in Bezug auf die feineren Qualitäten
der Persönlichkeit, auf das eigentlich „Menschliche", z. B. Frohsinn, Freiheit
im Denken, Weite des Gesichts- und Urteilfeldes untersuchen, so würde man
die üblen Folgen des Strafens kennen lernen*
Es wäre auch zu untersuchen, unter welchen inneren Kämpfen eine große
Anzahl Erwachsener äußerlich den Lebenskampf bestanden haben, während
sie sich innerlich aufreiben mußten, weil sie in ihrer Kindheit gespalten und
liebesunfähig wurden. Es handelt sich yi hier nicht darum, festzustellen, wes-
halb ausnahmsweise eine Erziehung gelingt, oder — um von einem anderen
Gebiet 2u sprechen — wie ein Beethoven werden konnte, obwohl Ver-
erbung und Alkohol ismus des Erzeugers schwere Schäden setzten, also trotz
schlechter Erbmasse und trotz schlechten Milieus, sondern darum, für durch-
schnittliche Verhalten praktische Richtlinien zu geben. Gegen die Körper-
strafe spricht, daß sie die Autorität des Erziehers meist erschüttert und das
Schamgefülil vieler Kinder abstumpft, auch das Selbstgefühl und das Ver-
trauen, die notwendigen Stützen der Selbsterziehung. Die Körperstrafe IfA
ein Gewaltmittel, es verführt den Strafenden und Bestraften leicht dazu,
298 Heinrich Meng
Macht und Gewalt hölier zu stellen als Gerechtigkeit, begründete Autorität
und sosjiale Hilfe.
Die Körperstrafe als Erziehungsmittel verführt nicht wenige Eltern dasu,
ohne T;beiiegimg re?;eptmäßig zu handeln und die Sofortwirkung der Strafe,
die oft auffällig ist, höher zu stellen, als ihre Fernwirkung, über die man sieh
selten Gedanken macht. Die Strafe als Rechtsmittel dürfte älter sein als die
Strafe als Erziehungsmittel, jedenfalL^ stimmen Juristen und Pädagogen i
darin über ein, daß je mehr die Straf Justiz sich der uralten Justiz nähert, bei
der der Körper in Mitleidenschaft gezogen wurde, die Straffälligkeit sieh ^
umso mehr steigert und bei der durchschnittlichen Veranlagung des Menschen
Hachegedanken erweckt, die jede wirkliche Erziehung verhindern. Die
körperliche Reizung bestimmter Körperteile durch Schlagen verstärkt die
Triebhaftigkeit vieler Kinder und provoziert nicht selten eine vorschnelle
sexuelle Entwicklung. Ein solches Kind wird schwer erziehbar.
Von der Fernwirkung wurde früher gesprochen, nämlich von der Tatsache, ^
daß der Mensch geneigt ist, was er passiv erlebt hat, später aktiv anderen
aiizutun. Für unsere ablehnende Beurteilung der Körperstrafe sprechen auch
die Erfahrungen, die oft gemacht werden bei der Erziehung verwahrloster,
seelisch gestörter und schwer erzieh barer Kindor. Der langjährige Erzie-
hungsleiter der Wiener Fürsorgeanstal t A i c h h o r n hat in der Praxis den
Beweis erbracht, daß man ohne körperliche Bestrafung die schwierigsten
Individuen zweckmäßig erziehen kann und schneller einen befriedigenden
Erfolg erreicht mit weniger Aufwand an Kraft und Mühe und daß dabei ein
menschenwürdiges Zusammensein und ein edles Verhältnis zwischen Leitern
und Geleiteten entsteht Ferner liegen aus Amerika nicht wenige Veröffent^
Mehungen vor, die zeigen, daß in dem Maß die Dlstisipllnarverfahren sich ver-
ringern, als in undisziplinierten Klassen unter Verzieht auf jede Körperstrafe
verständnisvolle Lehrer den X^nterricht und die Erziehung in die Hand
nehmen. Auch Friedrieh Wilhelm Förster hat in seiner Jugendlehre inter-
essante Beispiele darüber publiziert. Es darf ferner nicht vergessen werden,
wie groß die Zahl der „nervösen'* Eltern ist und wie gerade die nervöse
Reizbarkeit eine geordnete Erziehung überhaupt, vor allem eine mit einem so
zweischneidigen Instrument wie es die Körperstrafe ist, erschwert^).
Nun taucht bei manchen die Frage auf, was soll denn
geschehen, wenn Kinder straffällig werden und mit großer
Wahrscheinlich keit irgendein Strafeingriff erziehe-
risch notwendig ist. Wohl dürfen alle jene Versuche fehlschlagen, den
Erziehern eine Art Rezeptkunde in die Hand zu geben für einzelne Unarten,
y^. B. für Lügen, Stehlen oder Frechsein, Vielmohr ist in jedem Fall das Durch-
führen von Maßnahmen anzuraten, die dem Fehlgang, welcher die Erziehung
bereits genommen hat, ein Ende setzen. Im allgemeinen gilt aber, daß hei
jedem Kind, das in immer verstärkendem Maß straffällig wird, Erziehungs^
fehler früheren oder neueren Datums vorliegen, ohne deren Erkenntnis und
7 P^® ^Fragen sind u. a, behandelt in Fritz W i 1 1 e 1 s „Die Welt ohne
Zuchthaus' (Hans Huber, Bern) und Aichhorn ..Verwahrloste Jugend"
(Int. Psychoanalyt Verlag, Wien).
Strafen und Erziehen 299
Beseitigung Strafen zwecklos ist. Cum grano salis darf dem Eezepts acht igen*) ■
Folgendes zur Erwägung gesagt sein:
1. Man muß den Tatbestand der Unart klarstellen und die Motive des
Kindes zu verstehen verBucben.
2. Ist die Unart schon oft wiederholt und kann man die Bedingungen für
die Wiederholungen finden, oder ist sie ganz neuartig?
3. Gegen wen richtet sich die Unart und was %^eranlaßt das Kind, gegen
einen bestimmten Menschen schlimm oder unartig zu sein?
4. Das Kind soll selbst zu seiner Tat iStellung nehmen und sieb fragen, ob
es diese Unart bejaht oder verneint*
5. Gelingt es, das Kind zu veranlassen, seine Unart einzusehen, sind auch
andere Schuldige, z, B. Erwachsene, die ein schlechtes Beispiel gaben, zu
dieser Einsieht bereit?
Jeder Straf eingriff soll auch gegen das Motiv und gegen die auslösenden
Bedingungen wirksam erscheinen. Jedenfalls soll Strafen — von außerge-
wöhnlichen Anlässen abgesehen — stets das Ergebnis einer Untersuchung
sein und nicht einfaches Diktat des Großen gegen den Kleinen,
Die Erfahrung lehrt, daß es notwendig ist, darauf aufmerksam zu machen,
daß bei bestimmten körperlich bedingten Leiden, z. B, Störungen der Sinnes-
organe, wie Schwerhörigkeit oder sich lang hinziehender englischer Krank-
heit, eigenartige, scheinbar straffällige Verhaltensweisen der Kinder auf-
treten, die nicht durch Strafe, sondern durch Behandlung zu bekämpfen sind.
Das Gleiche gilt für schwere Zustände von Kinderneurosen, also jener
Entwicklungsstörungen im Ich, Gewissens- und Trieblehen des Kindes, die
es unsozial und unartig machen, weil seine Seele gespalten ist. Wie für das
schwerhörige Kind, ist für das neurotische Kind eine sachgemäße Behandlung
selbstverständlich.
Wenn man die nicht körperüchen Strafen in Betracht zieht, so sei von
vornherein bemerkt, daß auch ihre Verwendung ein volles Verständnis der
menschlichen Natur voraussetzt. Als Strafe kommt Liehesentzug und Entzie-
hung von Freuden, Begünstigungen und Freiheiten in Betracht. Der Liebes-
entzug als Strafe kann unter Umständen ahnlich schwer und eingreifend
wirken wie eine schmerzhafte Körperstrafe. Schlechte Methoden sind aber
das Nichternstnehmen eines Kindes, seine Verächtlichmachung und überhaupt
alle jene geistigen Eingriffe, die seine Ehre wirklich oder in der Phantasie
des Kindes aufs Tiefste treffen.
Gewiß muß jede Strafe das Ehrgefühl und das Schamgefühl des Bestraften
wecken, aber diese Beschämung sollte möglichst nur vor dem Erzieher und
dem eigenen Selbst erfolgen, nicht vor der öffentlichkeit. Diese Regel kann
nicht immer befolgt werden, nicht in der Schule und auch nicht immer zu
Hause. Aber die öffentliche Beschämung soll nie angestrebt werden, sondern
nur als unvermeidliche, unerwünschte Straf Verschärfung vom Kind als Tat-
^) Dem Autor wurde anläßlich einzelner Pressekritiken seines Buches
,,S t r a f e n und Erziehen" (Verlag IL Huber, Bern 1934) vorgeworfen,
es fehle eine Art „Rezeptkunde des Straf ens": dieser Vortrag zeigt, warum
Strafen und Erziehen nach Rezept unmöglich ist; wer doch eine Anleitung
wünscht, soll sie aus den 5 Ratschlägen herausholen.
ö'
►00 Heinrich Meng
^Mhe der Wirklichkeit, aufgefaßt werden, Afan .soll auch nicht das Strafen xum
wichtigsten Teil des gemeinsamen Leidens und zur Sensation machen.
Eine Voraussetzung für alle diese MaÜnahmen muß
auch die sein, daß nach jeder Strafe eine volle Verzei-
hung der Untat vom Erzielier selbstverständlich ist,
nicht in einem Gnudenakt, so daß das Kind das sichere Gefühl hat, daß es
Möglichkeiten gibt zur wirkliehen Sühne und zur wirklichen Entlastung.
Verhältnismäßig leicht lassen sich ,iene Strafmaßnahmen zur Selbsterziehung
handhaben, bei denen das Kind durch Verzicht auf ein Vergnügen erlebt, wie
sehr ein falsches Verhalten den sozialen Zusammenhang mit den anderen
BChädigt und spürt, daß es im Verzicht eine Selbsterziehung erreicht. Das
Wiedergutmachen eines Schadens und die Mehrleistung für das, was zerstört
wurde, kommen als Erziehungsstrafen ernstlich in Betracht, wobei vermieden
werden muß, daß das Arbeiten selbst als Strafe erlebt wird. Der Entzug von
Freiheit, die soziale Isolierung und das Schweigegebot können vor allem
wenn das Kind geistig den Strafprozeß als berechtigt erlebt, zu Erziehungs-
mitteln werden.
Es liegt in der Entwicklung der Erziehungsstrafe, daß sie sich selbst über-
flüssig macht. Durch eine geordnete Früherziehung wird die Straffälligkeit
stark herabgesetzt, dabei erwirbt das Kind in der Verbundenheit mit Macht
und Liebe der Erwachsenen schon früh die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung.
Pas Kind, das unter einer gesunden sozialen Ordnung bei einem selbster-
scogenen Elternpaar aufwächst, gibt wenig Anlaß zu Strafen, vor allem, wenn
es schon früh seine Kräfte in Spiel und Leistung üben kann. Der Erwachsene
muß aber seinen Er ziehungs willen an der Eigenart des Kindes formen. Das
Kind wird ihm dafür als Bundesgenosse mithelfen und so seine Straffälligkeit
treibet vermindern auf |enes Minimum, das Schicksal des Mensch werdens und
des Mensch Seins ist*
Kurse in Basel und Züridi
Im Winter 1935/36 finden außer an der Basler Volkshochschule noch fol-
gende kürzere Vorlesungsreihen über Fragen der Psychologie und Pädagogik
statt. Im Institut für neuzeitliche Erziehung (Basler Schulausetellung) wird
im November vorgetragen über ,,Die Lehensphasen als psycho^
logische und pädagogische Probleme" (achtstündig). Im Heil-
pädagogischen Seminar der Universität Zürich auf Einladung von Professor
ITanselmann anfangs 1936 über .,W e I e h e E r g e h n i s s e d e r psycho-
analytischen Theorie und Praxis sind für den Lehrer in
der Volksschule und für den Erzieher schwer erzieh-
harer Kinder und Jugendlicher in Anstalten von Bedeu-
tung (vierstündig). Vortragender Dr. Heinrich Meng, Basel.
liiNiiiiiiiiiiiiMiiiiiiiitiiitiiiiniiitH
Bücher 301
Büdier
Walter Yon Baeyerr Zur Genealogie psychopathiseher SchwiDdler
uad Lügner. (Band 7 der Samml, psychopatholog, und neuro!, Einzeldar^
Stellungen herausgegeben von Bostroera und Lange), Verlag Georg Thieme,
Leipzig, 1935, 234 S. (Aus dem Kaiser-Wilhelm-Institiit für Genealogie und
iJemographie der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München).
Dio Untersuchung nimmt ihren Ausgang von 125 Lügnern und Schwind-
lern, welche an der Heidelberger Psychiatrisch-neurologischen Klinik und an
der Münchner Psychiatrischen und Nervenklinik begutachtet wurden — die
meisten im Laufe eines Gerichtsverfahrens. Ziel der Untersuchung war die
Durchforschung der Sippen, der Eltern, der Großeltern, Kinder, Geschwister,
Stiefgeschwister, Onkel und Tanten, der Neffen und Nichten, Vettern und
Basen auf jene Wesenszüge, welche den psych opathi sehen Lügner und
Schwindler charakterisieren.
Welche Wesenszüge sind nun nach der Untersuchung v. Baeyers so charak-
teristisch, daß sie — gleichsam als gemeinsamer Nenner — bei den Lügnern
und Schwindlern einerseits, bei den Sippenangehörigen anderseits gefunden
werden können? Das Lügen und Schwindeln selbst? Wir bekommen schon
hier eine sehr interessante Antwort: ,jDer psychopathisebc Lügner und
Schwindler, und im ganz besonderen Maße der eigentliche Pseudologe, er-
wächst aus einem Anlagekomplex, der in seiner besonderen Zusammen-
gesetztheit in den Sippen meist nur einmalig vertreten ist/' — ,,Das psychia-
trische Bild der Pseudologia phantastica als solches, als klinisch-psycholo^
gieche Einheit vererbt sieh nicht/* — Audi andere, vielleicht naheliegende
Annahmen werden entkräftet. Bloß vier von den 125 Lügnern und Schwindlern
konnten nach genauer Prüfung der Krankengeschichten als Prozeßpsychosen,
also als eigentliche Geisteskranke angesprochen werden, bloß zwei erweckten
Verdacht auf eine organische Krankheit als Ursache der Verwahrlosung, sie
,,M^UTden jedoch in dem Material (der psychopathischen Lügner und Schwind-
ler) belassen, aus der Erwägung heraus, daß eine organische Hirnkrank-
heit wie die Epilepsie und eine pseudologische Charakterveranlagung sclir
wohl unabhängig voneinander infolge eines zu fall igen Zusammentreffens bei
ein und demselben Menschen vorkommen können und daß nicht anzunehmen
war, daß in den fraglichen Fällen der pseudologisehe Wesenszng durch eine
epileptische Hirnveränderung "bedingt wurde''. Auch unter den Geschwistern
findet man nicht mehr Schizophrene, Paralytiker, Epileptiker und Schwach-
sinnige, als dem Durchschnitt solcher Befunde in der Bevölkerung entspricht.
In der Kriminalität zeigt sich kein irgendwie auffälliger Unterschied, es ist
keine Häufung der Trunksucht, der Neigung zum Selbstmord feststellbar. Nur
die Zahl der asylierten Psychopathen erseheint gesteigert, wobei als „iisyliert"
gilt, wer einmal in einer Klinik oder Anstalt eingeliefert war: gegenüber
der Norm von 0,8% (des Bevölkerungsdurchschnittes) auf 4,2%; ebenso ist
die Zahl der ,,zykloiden Persönlichkeiten" gesteigert und — wie in den
Sippen der Lügner und Schwindler überhaupt — so auch bei den Geschwistern
die „ungebundenen Charaktere". Dieser Begriff „umfaßt gleichsam als Unter-
;irfen willenlose, bzw. abnorm beeinflußbare, hultlos-süehlige, geltungsbedüri-
Zeitecljrjlt f. psa. Päd., TK/4 ^
302 Bücher
tig-auechte (hysterische) phantastische PersönlK»likeitcn'*; die ,,Anhige zum
trnpjobxuiclenen Wesen in der Gesamthc^it der Eiiizelmanife?taüonen dürfte
isiiion vererbbaren Faktor darstellen'* ( S. 109). Diese Annahme — raeint v,
Baoyer — wird duroh die Tatsache gestützt, d:iß die Kinder von ungebun-
denen Eltern häufiger selbst wiederum ungebunden sind als die Kinder von
nicht ungebundenen Ellern, Doch muß der Autor bekennen: ,,Die Möglichkeit
eines Hincinspielens ungünstiger Krziehungseinflüsse von selten der Eltern,
bzw, von Nachabmuiigs- und IdentifikationE^tendonzen von seilen der Kinder
kann freilich nicht von vornherein abgelohnt werden/'
Die Eiuzeluntersuclumg der Eltern von Lügnern und Scliwindlcrn ergibt
ülmliche Befunde wie bei den Geschwistern, Es- können keine neuen Tatsachen
eruiert werden, welche die Annahme einer groben erblichen Belastung recht-
fertigen würden. — Bei der Schilderung der Elfern werden viele Wesenszüge
beschrieben, Avelcho uns als charakteristische Beitrüge der Eltern für die
Prägung des Bildes der Psychoneurosen^bekannt sind. So sehr v, Baeyer auch
bemüht ist, durch geechicktc Korrelationen diesem Teil seines Materials
brauchbare Resultate abzugewinnen, so will ihm d^s doch niolit reehl gelingen.
So errechnete er z. B, bei den „sozial gescheiterten Lügnern und Schwindlern''
©ine viel höhere Zahl psychotischer Eltern und eine doppelt so große Zahl
„ungebundener Clmraklerc'* als bei den Eltern .^sozial günstig verlaufener
Fälle von Lügen und Schwindeln*'; hei den Geschwistern sind aber die Ver-
hälfcnigzahlen gerade umgekehrt: die Geschwi^tc]' der günstig verlaufenen
Fälle zeigen mehr Charakteranomalien überhaupt und doppelt ,so viele ,, un-
gebundene Charaktere" als die der ungünstig verlaufenen Fälle. — ,, Worauf
diese Unjkchr zurückzuführen ist, vermögen wir hier nicht zu entscheiden",
meint v, Baeyer und kommt dann zu einer Schlußfolgerung, welche weit-
gehende Verbreitung bei den Erziehungsbehörden, Jugendrichtern und Päd-
agogen verdienen würde: „über die prognostische Verwertung der genealo-
gischen Befunde bei den abnormen Lügnern und Scli windlern kann deshalb
noch nichts Widerspruchsfreies ausgesagt werden/'
Besondere Beachtung verdienen auch die Untersuchungen der Vettern und
Basen. An ihnen ließen sich die von Milieueinflüssen unabhängigen Anlage-
faktoren leichter eruieren, gehören die Vettern und Basen doch nielit mehr
zur engeren biologischen Familie, die gewöhnlich auch soziologische Familie
zugleich ist. „Hält man alle Befunde zusammen, die bei Vettern und Basen der
echten Pseudologen und der atypischen Schwindler hinsichtlich des Vor-
kommens charakterologischer Abweicliungen gesammelt werden konnten, so
gelangt man zur Feststellung, daß wesentliche, greifbare Abweichungen vom
Durchschnitt nicht vorhanden sind/' Im gleichen Sinne vorsichtig und zurück-
haltend ist auch die Schlußfolgerung bezüglich der eugenischen Nutzanwen-
dung der erhobenen Befunde.
So erscheinen die Lügner und Schwindler auch im Lichte genealogischer
Forschung als eine noch Avcnig durchsichtige und schwer verstehbare Men-
schengruppe.
Manche Berührungspunkte mit psychoanalytischen Gedankengängen lassen
sich an der Arbeit v. Baeyers nachweisen. Der Begriff der „Gefahrdungs-
Bücher 303
struktur'', dem eine große Becleuiiing zukommt, deckt sich M^eiigeliond mit
dem von August Aiehhorn formulierten der „latenten Verwahrlosung";
ijiajiche Elemente, die zur Begriffsbestimmung des ,,Unechten'' und ,, Unge-
bundenen" führten, würden durch die Arbeiten von Helene Deutsch (,,Über
einen Typus der Pseiidoaffektivität — Als ob" und „über die phatologische
Lüge — Pseudologia phantastica") psychologische Vertiefung und Einord-
nung in unsere Vorstellungen vom Ganzen der seelischen Entwicklung finden.
Doch bleibt Verf. an der Oberfläche der Erscheinungen und begnügt sich bei
seinen Erklärungen mit der Phantasie, dein abnormen Geltungsbedürfnis u. ä,
— Der Wert seiner Untersuchung ist in der Erbbjologie, nicht in der Psycho-
logie fundiert; dort wird sie durch die Neuartigkeit und Präzision imponieren,
mit der ein ungewöhnlich verstreutes, unübersichtliclies und sclnver erfaß-
bares Material aus dem Problemkreis der Psychopathien gesammelt und
geordnet wurde, W, H o f f e r.
Julius Bahnsen; Beiträge seur Charakterologie- Mit besonderer Be-
rücksichtigung pädagogischer Fragen, mit Zusätzen aus dem handschriftlichen
Nachlaß neu herausgegeben und eingeleitet von Dr, Johannes Rudert.
Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1932. 2 Bände, 856 Seiten.
Klage s, Kronfeld, Banmg arten und andere pädagogisch inter-
essierte Psychologen berufen sich neuerdings des öfteren auf den 1881 ver-
storbenen Gymnasiallehrer und Philosophen Bahnsen, In der Tat ver-
dient es Bahnsen, gelesen zu werden, es gebührt dem Verlag und dem Heraus-
geber daftir Dank, diese zwei Bände erscheinen zu lassen. Die philosophische
Einstellung ruht auf Schopenhauer und Hegel sie ist nicht Gegen-
stand unserer Besprechung, vielmehr vorwiegend die Beziehung der Päd-
agogik Bahnsens zur Psychoanalyse. Sie besteht mehrfach, schon im Grund-
sätzlichen. Unser Autor macht damit Ernst, „an jedem Punkt und im kleinsten
Detail die Beziehung zwischen Einzelerscheinung und Grundwesen nachzu-
weisen**. Bei seiner Charakterforsehung gehl Bahnsen davon aus, daß das
Gemüt als Mutterboden der Gefühle, Stimmungen, Affekte und Leidenschaften
das Wesentlichste für die Charakterforsehung sei. Dann nimmt Bahnsen eine
bemerkenswerte fortschrittliche Stellung zum Phänomen des Traumes ein^).
So heißt es u, a bei Bahnsen; „Auf die Frage: .WaR zeigen uns die Träume
an?' ist gerade vermöge ihrer Unbestimmtheit, zunächst wenigstens die Ant-
wort unbestreitbar richtig: ,Was in uns ist*, und ebenso unleugbar, daß
das Individuum im Traume reiner auf sich und seinen inneren Gehalt gestellt
ist als beim Wachen, insofern ist also der Traum sehr geeignet die Selbst-
erkenntnis auf ihre elementarsten Faktoren zu rüde zuführen. Deswegen liefert
er auch, wie nicht leicht etwas anderes, Belege für ein uns selbst oft Über-
raschendes Sichgleichgebliebenes unseres geheimsten Wollen^. Im Traume
sehen wir, wessen wir unter Umsiänden fähig sein würden."
In seinem Handexemplar fügt Bahnsen noch bei: , .Insbesondere werden wir
uns durch unsere Träume der Konstanz unserer posodynischen Eigentüm-
lichkeit bewußt, sovie] auch dessen abgezogen werden muß, was Wirkung der
^} Sein Name fehlt unter den Autoren Freuds in meiner ^.Traumdeutung".
304 Bücher
polarischen Katiir des Traumlebens überhaupt ist» Manchen entschädigt für
flie Qualen tiefer Dyskolie der Vorzug, daß ihm seine Träume umsomehr
Wonnen vorzaubern, je weniger ihm die Wirklichkeit an Freuden bietet. Aber
aisdann bleibt sich seine Natur doch getreu in der Weise, wie er sich zu der
erträumten Seligkeit verhält: nämlich zweifelnd an ihrem Bestände, fürchtenä
für ihre Fortdauer, so daß er, noch innerhalb des Traumes selber, schon etwas
von der Enttäuschung antipiziert, welche seiner beim Erwachen barrt."
Unter Posodynik versteht der Autor die Lehre von den Graden der
Kapazität für Schmers und Lust, die Dyskolie ist ein Ausdruck aus der
Temperamentsieh re, dessen Diskussion uns hier nicht interessiert. Bahnsen
rechnet den Traum zu den Quellen charakterologischer Erkenntnis. In seiner
Pädagogik empfiehlt er mehrfach das gründliche Studium der „Levana" von
Jean Paul; interessant sind die Vorschläge zur Behandlung von jugendlichen
Untugenden. Vom Eigensinn heißt es: j,Um den Versuch, ihn zu brechen,
wird es meistens ein mißlich Ding sein; gemeiniglich reicht man weiter bei ihm
mit dem Stab Sanft als mit dem Stab Wehe: denn eine Natur, die keinen Zwang
leiden will, verhärtet sich am ehesten, wo sie eine auf solchen hinzielende
Absicht gewahrt. Aber andererseits ist jede unweise Nachgiebigkeit ebenso
verkehrt, denn sie reicht dem Eigensinn das Futter des , Verzeih ens' und
,Verwöhnens*. Also ohne auf das bedenkliche: ,Die Wahrheit wird wohl in
der Mitte liegen*, unseren Rückzug zu nehmen, müssen wir doch eine Mischung
von Strenge und Sanftmut empfehlen — schon weil die Erfahrung lehrt, daß
kluge Mütter allemal besser mit den , eigensinnigen Rangen' fertig werden
als jähzornige Väter! Geduld: ist auch hier das Zauberwort,./*
In seiner Psychologie des Subjektivismus und Ob|ektivismus, anschließend
an die Besprechung der Antinomien des Gemüts sei folgende Stelle hervor^
gehoben; „Daß freilich der Wille nicht der allmächtige , Zauberer' sei, der
alles heraufbeschwören könne, was ihm beliebt, daß gerade das Geliebteste
sich oft am schwersten reproduzieren lasse, — das wissen wir schon; aus
der Betrachtung der Antinomien der Erinnerung kennen wir jene geheime
Polizei im Willen, welche von gewissen Häfen den Deckel nicht will abtun
lassen und darum den Bemühungen der Sehnsucht versteckt entgegenarbeitet
mit einem unbewußten NiehtwoUen der Aufregung und Beunruhigung, die
dem Gelingen der erstrebten Reproduktion nachfolgen könnte und welche
deshalb anderen, von außen wirkenden, Motiven zu anderer Reproduktion das
"Übergewicht gibt; — so daß es also doch schließlich wieder die Spontanität
selber ist, was in einem Konflikt seiner eigenen Strebungen sich neutralisiert/'
In seiner Abhandlung über den Arzt fordert er für jede Lehranstalt einen
Arzt als Beirat,
Bahnsen zitiert das Schillersche Wort: „Wer keinen Menschen machen
kann, der kann auch keinen lieben" und schließt seinen Abschnitt über das
„Verhältnis des Sexualtriebes zum Erziehen**, — ,,Die Hierodulen der Venus
vulvivaga mit ihrem sclinöden Gewerbe sind nicht tofo genere unterschieden
von Dichtern keuschester Schwärmerei wie Hölty — und was Jean Paul so
gerne als ,Simultantriebe' beschreibt, ist potenziell identisch mit der Lüstern-
heit sentimentaler Handlungsdiener, die sich in jede Schürze verlieben"
Bücher 305
In der Psycliologio der Frauen als Erzieher interessiert eine Stelle über
die Stiefmutter; „Darauf beruht die Gefahr, von welcher der Volksmund weiß;
daß Kinder leicht zugleich mit der Mutter den Vater verlieren, oder mit
einer Stiefmutter zugleich einen Stiefvater bekommen — letzteres nämlich,
wenn der Vater zu einer zweiten Gattin innigere Liebe faßt als zu der ersten,
was nach dem ,nur der Lebende hat recht' phänomenalUer noch öfter der Fall
sein wird, als realUer; denn mit den Jahren wird bei vielen die kapriziöse
Auswahl laxer und somit eine Fehlwahl wahrscheinlicher — sind doch beim
Eingehen einer zweiten Ehe der Kegel nach ganz andere Rücksichten ent-
scheidend, ganz andere Requisiten maßgebend, als bei der ersten/'
Der Leser wird noch aus vielen Abschnitten, wie dem über Völkerpsycho-
logie, Anregung haben. Der Versuch, Bahnsens Beobachtungen und Folge-
rungen unter dem Gesichtspunkt heutiger Forschung zu werten, würde
hier zu weit führen, eines scheint uns sicher: Bahnsen ist ein origineller
Tat Sachenmensch mit hoher sprachschöpferischer Qualität, er ragt über die
pädagogischen Wissenschaftler seiner Zeit heraus. — Der Herausgeber hat
durch ein Wort- und Sachregister das Werk Bahnsens leicht, zugänglich ge^
macht und mit Verständnis auch für die Psychologie des 20. Jahrhunderte die
Ergänzungen und Nachträge verwertet und kommentiert, H, Meng,
W. Eliasberg: Rechtspflege und Psychologie. Eine Einführung in die
Wissenschaften vom seelischen Leben der Menschen für die an der Rechts-
verwirklichung Mitwirkenden: Richter, Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Sach-
verständige, Gerichtshelfer, Strafvollzug und Fürsorge, Presse und öffent-
lichkeit. Carl Heymanns Verlag, Berlin 1933,
Es gibt ansclieiuend einige Analogien in den heutigen Situationen von
Rechtswissenschaft und Pädagogik, Beiden bietet sich die Psychologie eifrig
als notwendige Grundlage an, aber das Bedürfnis nach einem solchen Unter-
bau scheint aus irgendwelchen Gründen in beiden nicht übermächtig zu sein.
Man handelt nach historisch gewordenen Normen, deren Entstehung und
soziale Zweckhaftigkeit im Dunkel gelassen wird. Manche Ziele, die sich
Pädagogen und Rechtspflcger in ihren Ideologien stellen, erreichen sie nur
in geringem Maße, Dagegen scheinen in der Ausübung dieser Berufstätig-
keiten genug an anderen abgelenkten Triebzielen befriedigt werden zu können,
um über manchen geringen objektiven Erfolg tröstend hinwegzutäuschen.
Das Buch Eliasbergs, das innerhalb der Rechtspflege für Psychologie
interessieren will, zeichnet sich — zumindest gegenüber ähnlich gemeinten
Einführungen für Pädagogen — durch eine umfassende Systematik und eine
erstaunliche Heranziehung der verschiedensten Wißsenschaften und Wissen^
Schaftsrichtungen aus. Auch der Psychoanalyse steht der Autor freundlich
und verständnisvoll gegenüber. Allerdings richten sich seine Kritiken, For-
derungen, Wünsche im wesentlichen an die konkrete Rechtswelt, wie sie vor
einigen Jahren in Deutschland war. Daß diese durch Einführung einiger
analytischer Fremdkörper beeinflußt werden soll, wünschen wir ebenso-
wenig wie Eliasberg. Wir würden uns nichts besonderes vom Analytiker
als Sachverständigen in Strafprozessen oder von einem analytisch geführten
306 Bücher
Indizienbeweis versprechen, solange der Rech tsr ahmen unverändert bleibt.
Etwas anderes ist es mit den Zuknnftsmöglichkeiten der Analyse in einer
psychologisch ganz anders eingestellten Rechtspflege, was aber nicht zum
Thema Eliasbergs gehört. Dort wären Forderungen wie etwa die Psycho-
therapie des neurotischen Delinquenten^ oder daß der den Neurotiker Be-
urteilende analysiert sei, denkbar* Wir haben ja auch für die Pädagogik
derlei Utopien im Vorrat.
Eliasberg will die Aufmerksamkeit des Richters vor allein auf jene Dauer-
haltungen lenken, die im Angeklagten oder Zeugen durch seine mitmensch-
lichen Beziehungen wie Beruf, soziale Schichte und Gruppe entstehen. Er
nennt sie „Motivationen". In der Pädagogik haben wir im allgemeinen mit
solchen Motivationen weniger zu tnn^ da sie sich erst mit dem Festsetzen des
Menschen in einer Gruppe bilden. In der Psychoanalyse beschäftigen wir uns
auch nur selten mit ihnen, aber wir können manchmal beobachten, daß durch
das Befreien verdrängter allgemein menschlicher Schichten solche Motiva-
tionen von ihrer Starrheit verlieren oder erst möglich werden.
Der Pädagoge mag bei der Lektüre dieses Buches an mancher Stelle
nachdenklich werden: so wenn ihm, der manchmal in seiner Beziehung guni
Zögling Partei, Zeuge, Staatsanwalt und Richter zugleich ist, die Bedeutsam-
keit des strengen Unterscheidens zwischen solch verschiedenen Einstellungen
zu Bewußtsein gebracht wird. Auch mag er sich wundern, wie selten im Ver-
gleich zur Rechtspflege in seinem Bereich das Bedürfnis nach Befragung
eineß Sachverständigen empfunden wird. P. B,
uiaiuiiiiiiifiuiiaNiitiiiititiiiiiitii»^
SOEBEN ERSCHIEN DER
ALMANACH DER
PSYCHOANALYSE
19 3 6
Mit 4 Bildbeilagen. In Leinen gbd RM 4'—, in Halbld. RM 8 —
. , INHALT:
Sigm« Freud - Nachschrift 1955. Nachtragr ^^l^
Selbstdarstelliing
Sigm. Freud * - * Die Feinheit einer Fehlhandlung
Sigm. Freud Thomas Mann zum 60. Geburtstag
Edoardo Weiss (Rom) ,..-.,.. Aus einer Einführung in die Psycho*
analyse
Theodor Reik fHaag) Über wechselseitige Erhellung und
wiederholte Spiegelung
Sandor Rado (New York) Die ängstliche Mutter
Harold D, Lasswell (Chicago) . . . Das Priuxip des dreifachen Appells
Ives Hendrick (Boston) Die Stärke und Tragfähigkeit des Ichs
Heinz Hart mann (Wien) Psychoanalyse und Weltanschaimng
Gregory Zilhoorg (New York) , /. Zum Selbstmordproblem
Karl A. Menninger (Topeka, Kansas) Provozierte Unfälle als Ausdruck von
Selbstvernichtungstendenxen
Raffaele Cantarella (Neapel) , , . . Psychoanalytische Elemente in der
griechischen Tragödie
Richard Sterba (Wien) .,,,.., Über zwei Verse von Schiller
Karin Michaelis (Kopenhagen) . . - Edgar Poe — im Lichte der Psycho-
analyse
Franz Alexander (Chicago) Diesseits und jenseits der Gefängnis-
mauern
P, Lowtzky (Paris) Die Wiederholung bei Kierkegaard
Edmund Bergler (Wien) Das Rätsel der Bewußtheit des
Ödipuskomplexes
Heinrich Meng (Basel) _..... Zwang und Strafe als Problem der
seelischen Hygiene
Jenny Wälder (Wien) , . Aus der Analyse eines Falles von
nächtlichem Aufschrecken
Hans Zulliger (Ittigen) Milieuwechsel als heilerzieherisches
Mittel
Friedrich Eckstein (Wien) . , . . , Ältere Theorien des Unbewußten
Internationaler Psydioanalytisdier Verlag, Wien L
Herausoeoeben von Paul Federn, wren. und Heinrich Meno, Ba»ei
Band IX
HEINRICH MENG
STRAFEN UND ERZIEHEN
20) Seiten
Der Zweck dieses Buches ist, Beobachtungen und
Ergebnisse aus der Erziehungspraxis darzustellen, damit,
wer zur Strafe als Erziehungsmittel greifen will, sieh
zuvor unterrichten kann über ihren Ursprung, ihre
Wirkung und psychologieche Einordnung, Das Buch
wendet sich an alle Jugend- und Menschheitserzieher,
insbesondere an Lehrer, Erzieher und Eltern, sowie an
Ärzte und Psychologen.
Aus dem Inkalt.-
I.Ursprung und Entwicklung desStrafens. II. Grund
^ und Zweck des Strafens. Die Strafrechtstheorien. Das
Erziehen durch Strafe. IIL Zur Psychologie der Strafe
und des Strafens. IV. Wirkung des Bestraftwerdens.
V. Die Körperstrafe bei verschiedenen Völkern. Die
eeelische Wirkung der Körperstrafe. VI. Erziehen und
Strafen in den ersten Kinderjahren. VII. Das Strafen im
Schulalter. VIII. Die richtige Behandlung scheinbar
straffälliger Kinder. Autorität und Verantwortung.
IX. „Straffreie" Erziehung und Selbstzucht. X. Richten,
Strafen und Erziehen als pädagogisches Problem der
Zukunft.
In Leinen RM 4.80
VERLAG HANS HUBER IN BERN
ZeitsArift für psychoanalytische Pädagogik» IX. Jahrgang, Heft 4
INHALT:
Frit'i Redl: Der Mechanismus der Straf Wirkung ,,.,/,.,,....♦.. ' ^u
Wilhelm Hofier: Hericht über die Ehilaitung einer Kinderanalyse . . . . , . . , .271
BERICHTE:
IJ ein rieh Meng: Strafen und Erzielien . » ♦ ,...*.. ..,-*. ^;; . * . . . . - 2ö3
Kurse in Basel und Zürich , - \ . , , * » ■ ^300
BÜCHER;
Walter von Baeyer: Zur Üenealogie'psychopalhlscher Schwindler und Lügnfir (Hoß'er) . . 301
Julius BahnseM: Heitrage lur Charakterologie (Men^) , * . , , . 303
W. Eliasb«?rg: Ht-chtspflege und Psychologie fH ^*; . * • ■ - ; * •« • '::.';':: * • - • ^ 305
Soeben erschien:
" *:ijf '• vr-^if,
HANNS SACHS
iiiiiinini iiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiii iniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii »iiiniiiiii nini»« > i n»"" "i"""">
ZUR MENSCHENKENNTNIS
Ulilllll [tllllllllllllllilllllH 1ll1llll11ll1lll|]lll1llilill1llll1llllllll1lll1lilllllllllllllllllll lIlIllllllülilllllllllilllllHllllllHIllll lllllllllllllllltitlllillli
Ein psychoanalytischer Wegweiser für
den Umgang mit sich und anderen
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„Wir selbst sind der einzige
Weg zur Menschenkenntnis
und der Weg wird nicht offen
sein, bis wir alle es in unse-
rem Schulbuch stehen haben:
Homo sapiens — eine noch
wenig erforschte Gattung.
?! -A
Inhalt; L Allgemeines- II- Das Ich ioi vertrauten Umgang, IIL Die
anderen — auf Distanz gesehen, — Im Anhang. IV. Familie —
mit und ohne Liebe. V. Vom Glück — ohne Angabe der Adresse»
INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG IN WIEN
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BÜCHER DES WERDENDEN
H«rauagegeben von Pau[ Federn, Wien, und Heinrich Meng, Beaei
Soeben erschienen
Band vm
ANNA FREUD
EINFÜHRUNG IN DIE PSYCHOANALYSE
FÜR PÄDAGOGEN
Zweite Außage
Aus dem Inhalt:
Das Vergessen van Kindhcitserlebnissen, Triebleben, Vorpuberfät
und Reifung, Psychoanalyse und Pädagogik,
„Anna Freud vermittelt allen Erziehxmgsbeflbsenen aus der Seelen-
lehre ihres Vaters das, was ihnen bei ihrer Arbeit helfen kann: nämlich
die seelische und erzieherische Auswertung frühester, ins Unbewußte ver-
sunkener Kindheitserlebnisse, die in ihren Auswirkungen aber den Cha-
rakter und die Erziehbarkeit entscheidend beeinflussen. Sie beg^niigt sich
nicht mit den sichtbaren seelischen , Leistungen' der Zö^ling^^ sondern
benutzt die Analyse zur Dechiffrierung von GhaTakteräußerungen, die
uns ohne Zurückgehen auf ihr erstes Zustandekommen oft rätselhaft und
zusammenhanglos erscheinen und die Erziehung erschweren, wenn sie
unerkannt bleiben." Eisfelder Zeitung.
Leinen RM BJO
Band X
HAN S ZU LLI G ER
SCHWIERIGE SCHÜLER
Acut Kapitel zur Theorie und Praxis der tiere]i[»syclio logischen Er-
zieh ungsberatung und Erziehungshilfe
Aus dem Inhalt:
L Einleitung, Einteilungen, Fragestellungen, Übersichten. IL Unter-
scheidungen. Dissoziales Symptom und disso^iale Grundlage- Dressur und
Erziehung; Milieuwechsel ak heil erziehen seh es Mittel. III, Diskussion
des Mittels „Milieuwechsel. Vom Auf hau der seelischen Persönlichkeit.
Zivilisierung und Kultivierung. IV, Die Freud'sche Psychologie in der
Praxis der Erzieh nngshilfe. V. Herst elhmg der günstigen Übertragung*
Assoziations- und Spieltechnik. VL Einbezug des Korse hach' sehen Test-
versuchs ins Arbeitsfeld des Erziehungsberaters und -helfers. Abgrenzung
seiner Leistungen im Vergleich mit der pädanaly tischen Methode. VIL Zu-
sammenfassung, Paar-Beziehung und das Verhältnis von Gemeinschaft
und Führer. Gefabren der Bindung: das nichtbewußte, passive Erleiden
und das bewußte, aktive Handhaben der Übertragung. VllL Über den
Bereich der psychoanalytischen Erziehungsberatung und -hilfe,
Leinen Rai 7.80
VERLAG HANS HUBER IN BERN
Elfen tum er, Herausgeber und Verkgerj International er Psychoanalytischer Verlag, Gejelljchaft m.b.H., Wien I, Bürte-
eaii* 11. ^ Verantworü icher Redakteur: Dr. Wilhelm Hoffer, Wien I, Dorotheerg, 7. Druck von Emil M. Enrel
Druckerei und Verla^sanitalt, Wi^n I, In der Börse.
Printed in Austria^
BÜCHER DES WERDENDE M
Herausgegeben von Pai-ir Federn, Wien» und Heinrich Meng, B««oi
Soeben erschienen
Band VIII
ANNA FREUD
EINFÜHRUNG IN DrE PSYCHOANALYSE
FÜR PÄDAGOGEN
2ttoeite Auflage
Alts dem Inhalt:
Das Vergessen von Kin4heitserlebnigscn, Triebleben, Yorpubertät
und Eoitung, Psychoanalyse und Pädagogik,
„Anna Freud vermittelt allen Eriiehungsbeflissenen aus der Seelen-
lehre ihres Vaters das, was ihnen bei ihrer Arbeit helfen kann: nämlich
die seelische und erzieherische Auswertung frühester, ins Unbewußte ver-
sunkener Kindheitserlebnisse, die in ihren Auswirkimgen aber den Cha-
rakter mid die Erziehbark ei t entscheidend beeinflussen. Sie begnügt sich
nicht mit den sichtbaren seelischen ^Leistung^en* der Zöglinge, sondern
benutzt die Analyse zur Dechiifriemng von Ghar akter an flerungen, die
uns ohne Zurückgehen auf ihr erstes Zustandekommen oft rätselhaft und
zusammenhanglos erscheinen und die Erziehung erschweren, wenn sie
unerkannt bleiben." Eisfelder Zeitung,
Leinen RM a.70
Band X
HANS ZULLIGER
SCHWIERIGE SCHÜLER
AiClit Kapitel ^iir Theorie nnd Praxis der tiefenpsychologisehen Er-
zicliungsberatung und Ersieh ungshilfe
Aus dem Inhalt:
h Einleitung, Einteihmgeuj Fragestelhmgenj Übersichten, IL Unter-
scheidungen. Dissoziales Symptom und dissoziale Grundlage; Dressur und
Erziehung; Milieuwechsel als heil erzieherisches Mittel, III. Diskussion
des Mittels „Milieuwechsel"* Vom Auf hau der seelischen Persönlichkeit,
Zivilisierung und Kultivierung. IV. Die Freud*sche Psychologie in der
Praxis der Eniebungsbilfe, V, Herstellung der günstigen Übertragung»
Assoziations- und Spieltechnik. VL Einbezug des Ror Schach' sehen Test-
versuchs ins Arbeitsfeld des Erziehungsberaters und -beifers, Abgrenzung
seiner Leistungen im Vergleich mit der pädanaly tischen Methode. VIL Zu-
sammenfassung. Paar- Beziehung lind das Verhältnis von Gemeinschaft
und Führer. Gefahren der Bindung: das nichtbewußte, passive Erleiden
und das bewußte, aktive Handhaben der Übertragung. VIII, Über den
Bereich der psychoanalytischen Eriiehungsberatung und -hilfe,
Leinen RM 7.80
VERLAG HANS HUBER IN BERN
IX. Jahrg.
1935
Heft 4
Zeitsdhrift für
psydioanalytisdie
BJfentümei, Herausgeber und Vi-rlfrgr.rt Internationaler PsTchoanalyÜscher Verlag, Gesellschaft m,b*H., Wien 1 B&ftm-
gmt 11, — V«rftnt wortlicher Redakteur: Dr* Wilhelm Hoff er, Wien L Dorothcerg, 7. Druck von Eniil M/Enfftl
Päd
agogi
k
Frit^ I^edl Der Medianismus der Strafwirkung
WÜßelm Hoffer , * . Beridit über die Einleitung einer
Kinderanalyse
Heinricß Meng . . . Strafen und Erziehen
Beridite
Druckerei und V»r]ae>anstak. Wien I, In der Börse/
PHnted in Austrla
Preis dieses Heftes Mark 2 —
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