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Full text of "Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik VI 1932 Heft 7/8"

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VI. Jahrg. 



Juli- August 1932 



Nr. 7/8 



Zeitschrift für 

psychoanalytische 

Pädagogik 



Bürfingfiam Kinderanalyse und Mutter 

Klein Die Neurose des Kindes 

Scfimideberg Aus Kinderanalysen 

1) Nägelbeißen 

II) Paradoxe Reaktion auf das Gestatten 
der Onanie 

III) Die Wirkung elterlicher Konflikte auf 
das Kind 

IV) Patienten, die keine Freundlichkeit ver- 
tragen 

Hitscßmann Kindheitskonflikte und Homosexualität 

Buxbaum Analytische Bemerkungen zur Montessori- 

Methode 
Mülfiause -Vogeler . . Wohin führt die Nackterziehung? 
Pipal Beim Lesen schöner Geschichten 

Berichte 



Preis dieses Heftes Mark 2'— 



Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik 

Begründet von Heinrich Meng und Ernst Schneider 



August Aichhorn 

Wien V, Schönbrunnerstraße HO 



Herausgeber: 
Dr. Paul Federn 

Wien VI, Köstlergasse 7 



Dr. Heinrich Meng Prof. Dr. Ernst Schneider 

Frankfurt a. M. Marlenstraße 15 Stuttgart, Gansheidestraße 47 



Anna Freud 

Wien IX, Berggasse 19 

Hans Zulli gei- 
lt t i n g e n bei Bern 



Schriftleiter: 

Dr. Paul Federn, Wien VI, Köstlergasse 7 



12 Hefte jährlich M. l(r-, schw. Frk. 1250, österr. S 17"- 
Einzelheft M. 1- (schw. Frk. 1*25, österr. S 170) 

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Demnächst erscheinende Sonderhefte: 



Erziehungsberatung — Die Angst des Kindes — 
Psychoanalytische Heilpädagogik im Kindergarten 



ZEITSCHRIFT FÜR PSYCHO- 
ANALYTISCHE PÄDAGOGIK 



VI. Jahrgang Juli -August 1932 Heft 7/8 



Kinderanalyse und Mutter 

Von Dorothy Burlingham 

Die technischen Schwierigkeiten sind bei der Analyse eines Kindes 
größer als bei der Analyse des Erwachsenen. Verschiedene psychoanalytische 
Veröffentlichungen der letzten Jahre haben sich bemüht, diese Schwierig- 
keiten ausführlich aufzuzählen und zu schildern: die geringere sprachliche 
Ausdrucksfähigkeit des Kindes und damit die Veränderung der Ausdrucks- 
mittel in der Analyse, die Unfertigkeit der Neurose, die Unterschiede in 
der Verwendbarkeit der Übertragung, die Einschaltung einer vorbereiten- 
den Periode, die innere und äußere Abhängigkeit von den Eltern und 
dadurch die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit den Eltern während 
der Zeit der analytischen Beeinflussung. Die letztgenannte Schwierigkeit 
bildet das Thema dieser Arbeit. Es ist für den Anabytiker nicht einfach, 
sich für die Dauer einer ganzen Analyse der Mitarbeit der Eltern zu ver- 
sichern. Wo immer ihm die Lösung dieser Aufgabe aber nicht gelingt, 
kann die Behandlung des betreffenden Kindes vorzeitig und gewaltsam ab- 
gebrochen werden. 

Wir lernen in unserer Eigenschaft als Kinderanalytiker zwei Typen im 
Verhalten der Eltern kennen. (Ich beschränke mich im folgenden auf die 
Schilderung der Mütter, mit denen man im allgemeinen mehr zu tun hat 
als mit den Vätern.) Den einen Typus zeigen die Mütter, die etwas von 
der Psychoanalyse wissen, die vielleicht sogar selbst in Analyse waren und 
sich aus diesem Grunde die analytische Behandlung des Kindes wünschen. 
Diese Mütter sind leichter zu behandeln, weil sie den Vorgängen in der 
Analyse mit Verständnis gegenüberstehen. 

Schwierigkeiten mit ihnen ergeben sich aber überall dort, wo sie es 
trotz ihres Verständnisses nicht über sich bringen, den Rat des Analytikers 
zu befolgen. Schwierigkeiten ergeben sich auch, wenn die Mutter gleich- 
zeitig mit der Analyse des Kindes ihre Analyse durchmacht und ihre 
eigenen analytischen Widerstände auf die Behandlung des Kindes über- 
trägt. Den zweiten Typus zeigen Mütter, die wenig oder gar nichts 

Zeitschrift f. psa. Päd., VI/7/8 — 269 10 

INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 




von Psychoanalyse wissen und die Kinderanalyse nur wie jede andere 
Spezialbehandlung aufsuchen. Ihre Widerstände sind unvermeidlich, auch 
wenn sie sich die größte Mühe gehen, sie zu überwinden. Man muß die 
Arbeit mit ihnen als einen Teil der therapeutischen Arbeit ansehen, muß 
mit ihnen rechnen, ihr Interesse zu gewinnen suchen. Der ganze Erfolg 
einer Kinderanalyse hängt unter Umständen davon ab, daß der Analytiker 
weiß, was er der Mutter zumuten kann, in welcher Dosis und in welchen 
Abständen sie bereit ist, die Ergebnisse der Analyse ihres Kindes zu akzeptieren. 

Die Mutter eines kindlichen Patienten hat es in der Hand, dem Ana- 
lytiker unzählige Schwierigkeiten zu bereiten. Bei scheinbarer äußerer 
Übereinstimmung mit ihm kann sie ihm doch auf Schritt und Tritt 
Hindernisse in den Weg legen. Sie sieht etwa nicht darauf, daß das Kind 
pünktlich zu seiner Stunde gebracht wird, sie benützt oberflächliche Aus- 
reden, um Stunden ausfallen zu lassen. Sie äußert sich vor dem Kind in 
unbedachter Weise über die Analyse im allgemeinen oder über die Be- 
handlung selbst und läßt durchblicken, daß sie nicht recht an einen Er- 
folg glauben kann. Sie macht sich über die Analyse lustig und behandelt 
sie als etwas Komisches. Andere Mütter wieder erwarten eine Wunder- 
wirkung und versäumen keine Gelegenheit, dem Kind vorzuhalten, es sei 
doch in Analyse, müßte sich also längst gebessert haben. Wenn es etwa 
dem Analytiker während seiner Arbeit mit vieler Mühe gelungen ist, das 
Kind zu einem besseren Verständnis des Verhaltens der Mutter zu führen, 
dann benimmt sich dieselbe Mutter bei nächster Gelegenheit so, daß dem 
Kind alle analytischen Erklärungsversuche als Unsinn erscheinen müssen. 
Der Analytiker beweist z. B. dem Kind, daß es sich nur aus neurotischen 
Gründen als ungeliebt vorkommt, daß es in Wirklichkeit von seiner Mutter 
geliebt wird; gerade diesen Zeitpunkt aber sucht sich die Mutter aus, um 
das Kind hart und ungerecht zu behandeln. Oder es gelingt dem Analytiker, 
das Kind von seiner Mutterfixierung zu lösen; die Mutter aber beantwortet 
schon seine ersten Versuche, sich anderen Liebesobjekten zuzuwenden, mit 
Ausbrüchen von Eifersucht. Die Analyse gräbt in mühevoller Arbeit die 
verdrängte Aggression des Kindes gegen die Mutter aus; die Mutter aber 
reagiert auf die Wiederbelebung jeder derartigen Regung so heftig, daß das 
Kind sofort wieder in den früheren gehemmten Zustand zurückgeschreckt 
wird. Der Analytiker bittet vielleicht die Mutter, sich zu einer bestimmten 
kritischen Zeit dem Kind gegenüber in einer bestimmten Weise zu ver- 
halten. Dann ist die Mutter entweder nicht imstande, den Rat zu befolgen 
oder sie übertreibt ihre Folgsamkeit derart, daß von der erwarteten Wirkung 
keine Rede mehr sein kann. — Das wären nur einige Beispiele für die 
Möglichkeiten von direkter Störung der Kinderanalyse durch die Mutter. 
Zu ihnen kommen noch die gewiß nicht weniger wichtigen indirekten 
Methoden der Störung. 

Für den Analytiker bedeutet die Mutter ein Stück aus der Außenwelt 
des kleinen Patienten. Er weiß, noch ehe er sich mit dem Kind beschäftigt 

— 270 — 



thU 1, n n0tW j en ß dl ^ erweise ei " e « Anteil an der Neurosenbildung 

gehabt haben müssen, daß der Krankheitsprozeß nicht ausschließlich im 
Inneren des Kindes vor sich gegangen ist, sondern in der FamilienatrT 
sphare, man kann m den meisten Fällen sagen: in den Familienkonfliktl 
Nahrung und Unterstützung gefunden hat. Der Analytiker weiß, daß es' 
für die Analyse des Kmdes eine große Rolle spielt, ob die Weltanschauung 
der Eltern eine engherzig-konservative ist, oder ob sie fortschrittlich und 
aufklärerisch gesinnt sind. Der Analytiker muß wissen, wie die Eltern zur 
Frage der Religiosität stehen. Eine Mutter, für die ihr Glaube in den 
Schwierigkeiten ihres eigenen Lebens die wichtigste Hilfe und Zuflucht 
bedeutet, wird mit allen Mitteln, die ihr zu Gebote stehen, dafür kämpfen 
ihn auch ihrem Kind zu erhalten. Dasselbe stimmt in noch größerem 
Ausmaß für die Frage der Sexualität. Die sexuelle Erziehung des Kindes, 
die Verbote, die ihm erteilt wurden, die Strenge, die dabei angewendet 
wurde, spiegelt die Einstellung der Mutter zu ihrem eigenen Geschlechts- 
leben wider. Hier leistet sie dem Analytiker den energischesten Widerstand. 
Die Ansichten über die Sexualität, die sie jetzt ändern soll, sind ihr in ihrer 
eigenen Kindheit eingepflanzt worden, sie hat einen großen Teil ihrer 
Energie darauf verwendet, sie in sich aufrechtzuerhalten und hat sich durch 
keine Mühe davon abhalten lassen, sie auf ihr Kind zu übertragen. Das 
Wesen der Mutter ist der Niederschlag ihrer eigenen alten Schwierigkeiten 
und Konflikte; man muß erwarten, daß das Wesen des Kindes, ob durch 
Identifizierung oder durch Reaktion darauf, weitgehend von ihm beein- 
flußt wird. Der Analytiker weiß, daß das Unbewußte der Mutter und des 
Kindes in einer geheimen Verbindung miteinander stehen und daß die 
Bedeutung dieser unbewußten Beeinflussung des Kindes, die in manchen 
Fällen einen fast übernatürlichen Eindruck macht, von unserem heutigen 
Verständnis noch nicht voll erfaßt wird. Wo immer der Analytiker beim 
Kind diesen übermäßigen Kontakt mit der Mutter vorfindet, kann er sicher 
sein, einen unbekannten Faktor mehr für seine Analyse zu bekommen der 
ihm die exakte Arbeit sehr erschweren wird. - ... Der Kinderanalytiker 
dem alle diese Möglichkeiten vor Augen stehen, wird darum von Anfang 
an der Mutter seines Patienten Interesse und Aufmerksamkeit zuwenden 
Er wird sich fragen, ob diese Mutter eine unmittelbare Objektbeziehung 
zu ihrem Kind hat oder ob sie es nur dazu verwendet, ihre sonstigen Ge 
fuhlsregungen an ihm auszuleben und zu befriedigen. Er versucht abzu- 
schätzen, ob d!ese Mutter zur Mitarbeit brauchbar sein wird, ob es möglich 
sein wird, sie zu beeinflussen, sie etwas über ihr Kind zu lehren und ihr 
am Ende die Erziehungsarbeit, für die die Analyse inzwischen den Boden 
bereitet haben wird, wieder zu übergeben, oder ob er hier vielleicht eine 
jener Mutter vor sich hat, die sich als unbeeinflußbar erweisen, die bei der 
ersten unvermeidlichen Schwierigkeit Stellung gegen die Analyse nehmen 
und gegen die man sich während der ganzen Dauer der Behandlung wie 
gegen einen Feind zu wehren hat. . . Es ist bei näherer Betrachtung dieser 



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19* 



Verhältnisse kaum erstaunlich, daß Kinderanalytiker bereit sind, die Mütter 
ihrer Patienten zu verwünschen. 

Es ist aber vielleicht der Mühe wert, sich im Gegensatz dazu auch mit 
der anderen Seite, mit dem inneren Zustand der Mutter, die ihr Kind zur 
analytischen Behandlung bringt, näher zu beschäftigen. Sie entschließt sich 
zu diesem Schritt, nachdem sie alle erdenklichen anderen Mittel und Wege 
erfolglos ausprobiert hat. Sie wendet sich schließlich an den Analytiker, 
weil sie ohne fremde Hilfe nichts mehr mit ihrem Kind anzufangen weiß. 
Sie ist nicht nur erleichtert, endlich jemanden gefunden zu haben, der 
ihr helfen wird, es liegt ihr auch wirklich daran, die Symptome und 
Schwierigkeiten des Kindes, die sie erkannt hat und über die sie beun- 
ruhigt ist, verschwinden zu sehen. Erst wenn die Analyse im Gang ist, 
schlägt ihre Stimmung um. Sie merkt mit Erstaunen und Schrecken, daß 
die Analyse nicht bei der von ihr ersehnten Beseitigung der Symptome 
stehen bleibt. Der Analytiker interessiert sich für alle möglichen Dinge, 
die sie viel lieber mit Stillschweigen übergehen würde. Sie merkt plötzlich, 
daß das Benehmen des Kindes, ja sogar sein Verhalten ihr gegenüber sich 
verändert. Sie fühlt, wie ihre eigene Person mit in die Analyse hinein- 
gezogen wird. Was sie für ihr Kind fühlt, wie sie es behandelt, was sie 
zu ihm sagt, wie sie es sagt, ihre Stimmungen und Launen, all das wird 
von analytischen Gesichtspunkten aus studiert und untersucht. Schon das 
ist schwer genug zu ertragen; es wird unerträglich, wenn sie merkt, daß 
die Analyse auch vor ihrem intimsten Privatleben und ihren eigenen Be- 
ziehungen zu den ihr Nahestehenden nicht haltmacht. Sie kann verstehen, 
daß der Analytiker alles, was das Kind betrifft, als Material für seine Arbeit 
braucht, aber wenn er an ihr Privatleben rührt, scheint es ihr doch, daß 
er zu weit geht. Sie sieht nicht ein, warum sie sich solche Eingriffe ge- 
fallen lassen muß und beginnt sich zu wehren. Es ist nur natürlich, daß 
sie sich verletzt, kritisiert und mißverstanden fühlt. Dazu kommt noch ihre 
Eifersucht auf all das Interesse, das der Analytiker dem Kind zuwendet. 
Sie war es ja, die arn schwersten unter der Abnormität des Kindes zu leiden 
gehabt hat, jetzt ist es aber das Kind, dem alle Hilfe und alles Mitgefühl 
zuströmt. Sie wird beiseite geschoben, ihre Lage wird erschwert statt er- 
leichtert zu werden. Und außerdem fühlt sie, wie ihr Kind ihr entgleitet, 
wie es beginnt, einen Fremden mehr zu lieben als sie, und sich in allen 
seinen Schwierigkeiten an ihn zu wenden statt an sie, die bisher seine 
einzige Zuflucht war. Daß dieser Fremde wirklich mehr von ihrem Kind 
versteht als sie selbst, kann ihr kaum ein tröstlicher Gedanke sein, ver- 
stärkt nur ihr Gefühl der Demütigung. Das Ärgste für sie ist dann, daß 
das Kind beginnt, sie, seine Mutter, mit ganz neuen Augen anzusehen, 
ihre Person, ihre Handlungen, ja sogar ihre Gedanken gemeinsam mit 
seinem neuen Vertrauten, dem Analytiker, zu kritisieren ... Es ist vielleicht 
auch hier bei näherer Betrachtung der Verhältnisse nicht so erstaunlich, 
daß die Mütter mit den Analytikern ihrer Kinder in Konflikt geraten und 

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daß Kinderanalysen durch ein plötzliches feindseliges Dazwischentreten der 
Eltern gelegentlich vorzeitig abgebrochen werden. 

Es gibt in den vorhandenen Techniken der Kinderanalyse verschiedene 
Maßnahmen, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen. Manche Analytiker 
helfen sich damit, daß sie sich um die Eltern überhaupt nicht kümmern 
und die analytische Arbeit ganz auf das Kind, auf die Deutung seiner un- 
bewußten Äußerungen und auf die Übertragungssituation beschränken. Das 
tägliche Leben des Kindes und seine Reaktionen auf seine Umgebung haben 
nur dann einen Platz in der Analyse, wenn sie in der analytischen Stunde 
selbst als Material auftauchen. Der Analytiker sucht keine Beziehungen zu 
den Eltern und vermeidet es, mit ihnen über das Kind zu sprechen. Andere 
Anatytiker trachten, wenn die äußeren Umstände es nur irgendwie erlauben, 
das Kind für die Dauer der Analyse von den Eltern zu entfernen und in 
einer mehr indifferenten Umgebung unterzubringen. Es kehrt erst nach 
seiner Herstellung in das Elternhaus zurück, wo ihm die Arbeit der An- 
passung selbst überlassen bleibt. Die dritte Methode besteht darin, die 
Außenwelt des Kindes, seine Eltern und sein Verhalten ihnen gegenüber 
mit in die Analyse hineinzuziehen. Die Beziehung des Kindes zu den 
Eltern, wie sie sich im täglichen Leben ausdrückt, wird als Material der 
Analyse verwendet. Außerdem aber gibt der Analytiker den Eltern auch 
Einblick in die Analyse des Kindes, läßt sie die Fortschritte seines Ver- 
ständnisses miterleben, begleitet die eintretenden Veränderungen mit seinen 
Erklärungen und lehrt sie so, den inneren Mechanismus der Erkrankung 
des Kindes und die Chancen seiner Herstellung verstehen. Er legt den 
Eltern auf diese Weise nahe, gegen innere und äußere Momente, die die 
Neurose des Kindes begünstigen, anzukämpfen und setzt sie in Stand, den 
wieder hergestellten Patienten so zu behandeln, daß er auf dem Weg zur 
normalen Entwicklung festgehalten und nicht durch Wiederholung der 
früheren Erziehungsfehler in schon überwundene Reaktionsweisen von 
neuem hineingezwungen wird. 

Jede dieser drei Methoden hat ihre Vor- und Nachteile. Ich wieder- 
hole noch einmal: es ist nicht möglich, eine Kinderanalyse ganz ohne 
Mitarbeit der Eltern auszuführen, sie haben die Macht, die Behandlung 
jederzeit zu unterbrechen, jederzeit zu stören und sie haben es in der Hand, 
nach Vollendung der Behandlung ihre Ergebnisse durch neue Einschrän- 
kungen, die sie dem Kind auferlegen, ernstlich in Frage zu stellen. Wenn 
ein Erwachsener seine Analyse beendet, seine Symptome oder Hemmungen 
verloren hat, so weiß er, was er mit seinen wiedergewonnenen Fähigkeiten 
anfangen kann. Das Kind in der gleichen Lage braucht, eben weil es noch 
ein Kind ist, Leitung und Hilfe, um seine Möglichkeiten auszunützen. Diese 
Situation unterscheidet sich an sich in nichts von der normalen Situation 
des Kindes, das mitten in seiner Entwicklung steht; die durch die vor- 
herige Neurose gehemmte Entwicklung nimmt hier nur nach Beseitigung 
der Störung einen neuen Aufschwung. Bei der Bewertung der drei ge- 



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schilderten Methoden sollte dieser Gesichtspunkt der Weiterentwicklung des 
Kindes das Kriterium abgeben. Wie steht es bei der ersten Methode, bei 
der der Analytiker die Eltern des Patienten ignoriert, mit den Schwierig- 
keiten während der Behandlung und wie steht es mit der Anpassung des 
Kindes an seine Umgebung nach Beendigung der Analyse? Es erübrigt 
sich zu sagen, daß das Beiseitelassen der Eltern die Arbeit des Analytikers 
beträchtlich vereinfacht. Die Kinderanalyse ist auf jeden Fall schwierig 
genug, auch wenn man nicht noch eine neue Schwierigkeit zu den schon 
vorhandenen einführt. Der Analytiker ist überzeugt, daß das Kind symptom- 
frei werden wird, wenn es gelingt, seine unbewußten Regungen aufzudecken, 
sie zu deuten und den Mechanismus seiner Handlungen und Gedanken ver- 
ständlich zu machen. Warum sollte er sich noch bemühen, auch die Mutter 
zu verstehen? Sie ist voll von Widerständen und jeder falsche Schritt ihr 
gegenüber bestraft sich wahrscheinlich durch eine Unterbrechung der Analyse 
des Kindes. Es scheint, daß man die Analyse mehr gefährdet, wenn man 
um die Mutter zu werben beginnt als wenn man sie von Anfang an aus dem 
Spiel läßt. Aber betrachten wir auch den Zustand des Kindes, das eine Analyse 
dieser Art durchgemacht hat. Wenn man mit ihm spricht, findet man 
daß es imstande ist, über die bewußten und unbewußten Hintergründe 
aller seiner Handlungen Auskunft zu geben, wenn man es in seiner Um- 
welt beobachtet, wirkt es dagegen wie ein Fremdkörper, es hat keine rechte 
Beziehung zur Realität, es hat zwar seine Symptome verloren, aber es ver- 
steht nicht, das was es über sich erfahren hat auch im Leben anzuwen- 
den. Soweit seine Symptome es früher unfähig gemacht haben, ist es jetzt 
ein verändertes, realitätsfähigeres Kind; soweit seine Symptome die Be- 
ziehung zu den Eltern gestört haben, ist diese Beziehung jetzt gebessert. 
Aber es lebt immer noch in derselben Atmosphäre, die vorher die Bildung 
seiner Neurose begünstigt hatte, es kämpft immer noch gegen die gleichen 
Regungen in sich selbst an, wenn auch jetzt mit weniger neurotischen 
Mechanismen. Die Bewältigung von Schwierigkeiten, die seine Umwelt 
ihm bietet, nimmt alle seine Kräfte in Anspruch. Es bleibt nur wenig 
Zeit übrig, um seine von neurotischen Hemmungen befreiten Fähigkeiten 
in neuer und konstruktiver Weise zu verwenden. 

Wenn man nach der zweiten Methode vorgeht, und das Kind für die 
Dauer der Analyse aus dem Elternhause entfernt, so tritt die uns allen 
bekannte Erscheinung ein, daß die Symptome sich für eine gewisse Weile 
ermaßigen und erst wieder ihre volle Stärke erreichen, wenn das Kind eine 
Übertragung auf die neue Umgebung hergestellt hat. Man steht dann 
wieder vor derselben Wahl zwischen den verschiedenen Arten des Vor- 
gehens, diesmal der Wahl, mit oder ohne Berücksichtigung der Pflege- 
eltern zu arbeiten. Es ist selbstverständlich, daß die Situation dabei eine 
weit günstigere geworden ist. Die wirklichen Eltern des Kindes waren 
vielleicht selbst so neurotisch, daß eine Analyse im Elternhaus unmöglich 
gewesen wäre, man war von Anfang an überzeugt, daß sie eine Analyse 

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des Kindes nicht aushalten und auf alle erdenkliche Weise stören würden. 
Die Pflegeeltern wären natürlich nicht ebenso neurotisch, würden auch 
nicht in derselben Weise auf das Kind reagieren wie die eigenen Eltern. 
In dieser weniger komplizierten Umgebung ist auch die Arbeit des Analy- 
tikers eine leichtere. Das Kind kann sich mit den Fortschritten seiner 
Analyse dieser eigens dazu ausgesuchten Umwelt leichter anpassen, kann 
den Hergang seiner Erkrankung, eventuell auch den Anteil seiner Eltern 
daran durchschauen lernen. Die Enttäuschung tritt erst ein, wenn der 
kleine Patient nach Beendigung der Behandlung in sein Elternhaus zu- 
rückkehren soll. Er hat sich in der weniger neurotischen Umgebung so 
viel wohler gefühlt, daß ihm die Anpassung an die alten Verhältnisse 
besonders schwer wird. Manche Kinder setzen es, um dieser Situation 
auszuweichen, mit Energie durch, daß man sie wieder vom Elternhaus 
fort in eine Schule schickt. Ihr Heim, das auch die alte Heimstätte ihrer 
Neurose ist, ist ihnen unerträglich geworden. Auch schon verschwundene 
Symptome pflegen nach einer solchen Bückkehr ins Elternhaus nicht 
selten wieder aufzutreten. 

Die dritte Methode, die um die Mithilfe der Eltern bei der Behandlung 
des Kindes wirbt, ist weitaus die schwierigste. Der Anatyse wird eine 
Komplikation hinzugefügt, die jeden Augenblick ihre Existenz bedrohen 
kann. Man entschließt sich von Anfang an, neben den Widerständen des 
Kindes auch die Widerstände der Eltern mit in Bechnung zu ziehen. Ich 
habe schon beschrieben, daß die Eifersucht, das Mißtrauen, der Unwillen 
der Mutter nur zu selbstverständlich sind. Wenn es auch für die Zwecke 
der Analyse geschieht, so ist es doch nicht zu leugnen, daß der Analytiker 
gewaltsam zwischen Mutter und Kind tritt. Sie fühlt ihre Stellung in 
höchstem Maße gefährdet und sie verteidigt ihre Bechte. 

Aber es stimmt nicht, daß man keine Mittel in der Hand hat, um 
den Gefahren dieser Sachlage zu begegnen. Man muß der Mutter Ersatz 
für das bieten, was man ihr nimmt, man muß ihr zeigen, daß nicht nur 
das Kind, daß auch sie für den Analytiker eine wichtige Person ist. Man 
kann ihr einen Anteil an einer gemeinsamen Arbeit abtreten, sie fühlen 
lassen, daß alles ernst genommen wird, was sie über das Kind zu sagen 
hat. Man kann sie zu Beobachtungen über das häusliche Benehmen des 
Kindes, nicht nur seiner Handlungen, sondern der verschiedenen Schattie- 
rungen seines Benehmens ihr gegenüber anhalten. Sie soll fühlen, daß sie 
an dem Studium, an der Untersuchung, die im Gang ist, einen Anteil 
hat, ihr Interesse muß von dieser neuen Seite in Anspruch genommen 
werden. Auf diese Weise ergibt es sich von selbst, daß sie von sich er- 
zählt, Vergleiche zwischen sich und ihrem Kind zieht und schließlich von 
dem Fortgang der Analyse ebenso gefangengenommen wird wie der Ana- 
lytiker selbst. Der Wunsch, ihr Kind zu verstehen, geht leicht in den 
Wunsch über, auch mehr von sich selbst zu wissen, da das Kind ja oft 
ein Abbild ihrer Person ist, ihr Interesse für das Kind eine Fortsetzung 

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ihres narzißtischen Interesses. Der Analytiker hat noch einen anderen 
wichtigen Verbündeten im Innern der Mutter: ihr Schuldgefühl dem Kind 
gegenüber. Keine Mutter ist frei von diesem Schuldgefühl, sie ist über- 
zeugt, daß sie mehr für ihr Kind hätte tun können, sie erinnert sich im 
Geheimen nur zu gut an alle Gelegenheiten, bei denen sie Fehler gemacht 
hat, sie möchte damit rechnen, daß der Analytiker ihr helfen wird, den 
Schaden wieder gut zu machen. Wenn man den Zugang zur Mutter auf 
diesen beiden Wegen sucht, wird einem die Herstellung einer guten Be- 
ziehung, die Sicherung der Analyse vor Angriffen von Seiten der Mutter, 
im besten Falle die wirkliche Hilfeleistung von ihrer Seite gelingen können. 
Ist man ihrer Mitarbeit einmal sicher, so macht es nur mehr geringere 
Schwierigkeiten, sie auch analytisch aufzuklären, sie so vorzubereiten, daß 
sie die verschiedenen Phasen, die das Kind in seiner Analyse durchläuft, 
ohne inneren Schock mitansehen kann. Wenn man sie Schritt für Schritt 
die Veränderungen sehen läßt, die sich durch die Belreiungsarbeit von der 
Neurose im Kind vollziehen, so erzieht man sie gleichzeitig dazu, das Kind 
bei der Unterbringung und Verarbeitung des Neugewonnenen zu unter- 
stützen. Je näher der Analytiker dem Ende der Behandlung kommt, desto 
mehr liegt ihm daran zu wissen, daß jemand da ist, der imstande ist, dem 
Kind weiterzuhelfen, ihm die Arbeit der Anpassung an die Wirklichkeit 
zu erleichtern, und wieder sein wichtigstes Liebesobjekt zu werden, wenn die 
Übertragung auf den Analytiker vorbei ist. Diese Überleitung kann natürlich 
nur ein allmählicher Vorgang sein, der sich durch eine lange Periode der 
Analyse zieht, eine Vorbereitung, die schließlich zu diesem Ende führen soll. 
Ich habe mich im bisher Gesagten bemüht, die Unterschiede zwischen 
den drei verschiedenen Methoden des Verhaltens zur Mutter festzustellen. 
Vielleicht ergibt sich daraus, wie der Analytiker sich zu Beginn dieser 
Beziehung zu benehmen hat. Wir erkennen die Schwierigkeiten der Mutter 
und die des Analytikers. Der Analytiker möchte vor allem die Behandlung 
in Gang bringen und vor Unterbrechungen gesichert wissen. Die Mutter 
möchte ebenfalls die Behandlung begonnen sehen, macht aber dabei einen 
inneren Vorbehalt: wenn sie mit dem Vorgehen in der Analyse nicht ein- 
verstanden ist, wenn der Erfolg nicht so ist, wie sie es erwartet oder — 
könnte man hinzusetzen — wenn ihr zu viel zugemutet wird, steht es 
ihr ja immer frei, das Kind wieder wegzunehmen. Sie hat natürlich keine 
Vorstellung davon, was es bedeutet, eine Analyse in der Mitte abzubrechen. 
Wie soll der Analytiker sich jetzt verhalten? Soll er mit der Wahl seiner 
Methode abwarten, bis er die Mutter einige Male gesehen und einen Ein- 
druck von ihrer Persönlichkeit und ihrer wahrscheinlichen Einstellung zur 
Analyse bekommen hat? Er weiß, daß er bei der einmal beschlossenen 
Verhaltensweise bleiben muß, weil schon seine ersten Unterredungen mit 
der Mutter über den Platz, den er ihr in der Analyse des Kindes anweist, 
entscheiden. Soll man sich der Mutter gegenüber so verhalten, wie die 
Technik es dem erwachsenen Patienten gegenüber zu Beginn seiner Analyse 

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anrät: soll man sie auf alle Schwierigkeiten aufmerksam machen, die sich 
wahrscheinlich ergeben werden, die Art, wie die Analyse auf das Kind 
wirken wird, die Möglichkeit einer Verschlechterung seiner Symptome und 
seines Benehmens im Elternhause, die unumgängliche Notwendigkeit einer 
Aufklärung des Kindes über religiöse Dinge, über die Herkunft der Kinder, 
über das Geschlechtsleben der Erwachsenen, über die Onanie; soll man 
sie darauf vorbereiten, daß das Kind eine Übertragung auf den Analytiker 
machen und daß sie böse und eifersüchtig sein wird? Daß sie es sehr 
übelnehmen wird, wenn die Analyse nicht umhin kann, sich mit ihr und 
ihrem Privatleben zu beschäftigen? Darf man annehmen, daß irgendeine 
Mutter sich entschließen würde, ihr Kind in Analyse zu geben, wenn man 
ihr alle diese Dinge vorher erzählt? Oder soll man der Mutter einige 
Wochen Zeit lassen, sich erst an den Gedanken der Analyse zu gewöhnen, 
ehe man sie auf die kommenden Schwierigkeiten aufmerksam macht? 
Hat man mehr Aussicht, sie dann bei der Analyse des Kindes festzuhalten? 
Soll man der Mutter vielleicht im Anfang nur einiges mitteilen und sich 
dann Schritt für Schritt, wenn die Konflikte auftauchen, eingehender mit 
ihr beschäftigen, in der Hoffnung, daß inzwischen ihr Interesse für die 
Analyse und ihre positive Beziehung zum Analytiker stark genug geworden 
sind, um ihr bei der Überwindung der Widerstände zu helfen? Gibt es 
vielleicht Fälle, die zwar behandlungsbedürftig sind, die der Analytiker 
aber doch sofort abweisen sollte, weil er sieht, daß der Widerstand der 
Mutter gegen die Analyse zu groß, ihre Bindung an das Kind zu heftig 
ist, als daß sie die Analyse durchhalten könnte? Oder genügt es doch in 
solchen Fällen, Mutter und Kind für die Dauer der Analyse von einander 
zu trennen? 

Ich unterlasse es, spezielle Beispiele anzuführen, weil ich meine, daß 
das meiste von dem Vorgebrachten ohnedies nicht neu ist. Im folgenden 
bringe ich nur einige kurze Illustrationen zu einigen Punkten des bisher Ge- 
sagten, die verschiedenen Fällen unserer Wiener Kinderanalytiker entstammen. 

Ich nehme als erstes Beispiel eine Unterredung zwischen Mutter und 
Kinderanalytikerin nach einer mehrwöchentlichen Beobachtungsperiode, 
die über die Eignung des sechsjährigen Knaben zur analytischen Behand- 
lung entscheiden sollte. Sie versucht, der Mutter zu erklären, daß das 
Kind an einer Neurose erkrankt ist und zeigt ihr gleichzeitig, in welcher 
Weise die Zwangsneurose des Kindes sich die von der Mutter geübte Er- 
ziehungsmethode zu Nutze macht. Die Mutter erzieht das Kind sehr streng, 
stellt sehr große Forderungen. Der Junge war als kleines Kind ganz in 
den Händen einer strengen Kinderfrau, die spielend mit ihm fertig wurde, 
so daß er immer brav war, fast nie weinte und schrie. Die Kinderfrau 
beherrschte ihn vollkommen. Wenn er z. ß. einschlafen sollte, pflegte sie 
seinen Kopf solange mit ihrer Hand in die Kissen zu drücken, bis ihm 
die Augen zufielen. Nach dem Weggehen der Kinderfrau setzte die Mutter, 
die es nicht besser verstand, die so begonnene Erziehungsarbeit in derselben 

- 277 - 



Weise fort, und hoffte auf denselben Erfolg. Die Analytikerin erklärt der 
Mutter jetzt, wie schädlich all dieser Zwang für das Kind gewesen ist, wie 
unglücklich, ungeliebt und auch hinter den älteren Bruder zurückgesetzt 
es sich überhaupt fühlt. Die Mutter ist niedergedrückt und schuldbewußt, 
sieht in der Rückerinnerung, wie recht die Analytikerin hat, nimmt sich 
das Gesagte zu Herzen und beschließt, sich zu ändern. Sie beginnt plötz- 
lich, das Kind mit Zärtlichkeiten zu überschütten, streichelt es, küßt es 
und kennt in ihrer Nachgiebigkeit keine Grenzen. Der Erfolg ist eine 
völlige Anarchie. Aus dem schüchternen, gehemmten Jungen wird ein Wild- 
ling. Er wird plötzlich eigensinnig, rechthaberisch und bekommt Anfälle 
von Jähzorn. Er will sich nicht anziehen, wirft sich in Wutausbrüchen auf 
den Boden, ißt nur mehr ganz ausgesuchte Lieblingsspeisen, und streitet 
endlos mit der Mutter über die einfachsten und notwendigsten täglichen 
Verrichtungen. Die Mutter, die ihrem Gefühl nach doch nur den Rat des 
Analytikers befolgt hat, hat inzwischen viel von ihrem Zutrauen zu ihm 
verloren, will nicht mehr glauben, daß er etwas von ihrem Kind versteht 
und imstande sein wird, die Symptome der Neurose zu beseitigen. 

Eine andere Mutter bekommt in einem ähnlichen Gespräch mit der 
Analytikerin ihres kleinen Mädchens zu hören, wie sehr die zwangsneurotisch 
verarbeitete Aggression des Kindes durch ihr liebloses Verhalten ihm gegen- 
über gestärkt wird. Sie sagt als Antwort: „Wenn ich jetzt nach Hause gehe 
und das Kind sehr gern habe, glauben Sie nicht, daß dann auch die Krank- 
heit wieder gut wird?" 

Auch die vom Unbewußten determinierte Fehlhandlung einer Mutter 
kann den Analytiker in eine schwere Lage bringen. Die Mutter eines etwa 
zwölfjährigen Mädchens ruft den Analytiker in größter Aufregung an: ihr 
Kind hätte wieder etwas Schreckliches angestellt. Es sei ein Telegramm 
ins Haus gekommen, das Mädchen hätte es geöffnet, gelesen und zerrissen, 
um es vor der Mutter zu verheimlichen. Das Kind leugnet. Der Analytiker 
ist vorsichtig, möchte Beweise haben, daß die Beschuldigung der Mutter 
auch den Tatsachen entspricht. Die Mutter kann seine Zweifel nicht ver- 
stehen, beweist ihm, welche Ähnlichkeit dieser Vorfall mit ähnlichen Ver- 
gehen des neurotisch-verwahrlosten Kindes hat. Der Analytiker ist sich 
ganz klar darüber, wie sehr die Analyse an dieser Stelle durch eine falsche 
Verdächtigung von seiner Seite gestört werden würde. Er schlägt der Mutter 
vor, das Telegraphenamt anzurufen. Die Mutter folgt seinem Rat und be- 
kommt die Auskunft, die Unterschrift auf der Empfangsbestätigung sehe aus 
wie eine Kinderhandschrift. Der Analytiker ist immer noch nicht befriedigt 
und schickt die Mutter auf das Telegraphen amt, um die Handschrift selber 
nachzusehen. Sie erkennt dort mit Schrecken ihre eigene Unterschrift. Sie 
muß das Telegramm in Empfang genommen, unterschrieben und vergessen 
haben. Die Deutung ist in diesem Falle nicht schwer. Der Mutter war aus 
ihr selbst unbewußten Gründen daran gelegen, das Kind vor den Augen 
des Analytikers ins Unrecht, sich selbst ins Recht zu setzen. 

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Ich bringe noch einige Beispiele für die Gegenseite, für die verständ- 
liche Besorgnis der Mütter darüber, was eigentlich in der Analyse mit 
jhren Kmdern vor sich geht. Wir wissen alle, wie häufig erwachsene 

ITa \ U / T d anal >l ischen Mate "als in der Außenwelt agieren, 
anstatt das Material in die Übertragung zu bringen. Bei Kindern ist das 
Agieren die Regel und gerade das einer der Gründe, warum der Kinder- 
analytiker die Vorgänge im Elternhaus im Auge behalten soll und ohne 
Informationen der Mutter schlecht auskommen kann. Die Übertragung ist 
weniger durchsichtig, der Erfolg der Deutungen zeigt sich oft nur in den 
Betätigungen im Elternhause. Die analysierte Mutter kann auf diese Weise 
unschwer die verschiedenen Phasen der analytischen Arbeit verfolgen; für 
die unanalysierte Mutter bedeuten die gleichen Aktionen das sichere' An- 
zeichen einer vollkommenen Verderbnis des Kindes. Aber die auch analysierte 
Mutter findet es nicht immer leicht, ihre Fassung zu bewahren. Denken 
Sie sich zum Beispiel eine kleine Tafelrunde von Kindern beim Nachtmahl. 
Eines der Kinder, das mitten in seiner Analyse ist, hat die glänzende Idee, 
mit der Suppe, die gerade aufgetragen worden ist, zu gurgeln. Die andern 
Kinder tun begeistert mit. Die ins Zimmer tretende Mutter findet alle an- 
wesenden Kinder in verschiedenen Stadien des Gurgeins. Einige von ihnen 
haben gerade die Köpfe weit zurückgebeugt und produzieren aus der Tiefe 
der Kehle wunderbare Gurgeltöne; andere spucken die Suppe eben in die 
Teller zurück, wieder andere ersticken fast in ihren Lachkrämpfen. Die 
Kinder unterhalten sich glänzend, aber es gibt kaum eine Mutter, die eine 
solche Szene ausschließlich lustig finden würde. Die Mutter berichtet den 
Vorfall dem Analytiker. Für ihn ist es eine interessante Bestätigung seiner 
Arbeit. Seine kleine Patientin befindet sich also wirklich beim Durcharbeiten 
der oralen Phase. 

Ein anderes Kind, das im allgemeinen ziemlich gefügig ist, wird zu 
einer bestimmten Periode der Analyse plötzlich unlenkbar. Auf jede An- 
forderung antwortet sie mit einem einfachen „Ich mag nicht". Sie ist so 
eigenwillig, daß man sie entweder stundenlang in irgendeinem Winkel 
trotzen lassen oder mit Gewalt herausholen und zu allen Verrichtungen 
zwingen muß. Sie ist ein körperlich gut entwickeltes Kind und macht sich 
wenn man sie heben will, so schwer, daß einer allein sie gar nicht tragen* 
kann. Sie schwelgt in dem Gefühl ihrer Macht. Sie läßt sich die Stiegen 
hinauftragen, ms Bad und ins Bett heben. Dabei ist sie unbeschreiblich 
schmutzig und zerrauft, ihre Kleider sind voller Flecken, auch wenn sie 
noch so oft sauber angezogen wird. Ihre Tischmanieren sind unmöglich 
das Essen rund um ihren Teller verstreut, ihr Gesicht verschmiert. Während 
dieser Zeit beschließt sie einmal mit einer kleinen Gruppe von Freunden 
und Freundinnen eine Theateraufführung zu inszenieren. Die Erwachsenen 
werden weggeschickt, damit die Überraschung größer ist. Es dauert sehr 
lange, die Erwachsenen kehren nach einer Weile ins Kinderzimmer zurück 
Sie finden, daß die Kinder ganz an die Aufführung vergessen haben; die 

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kleine Patientin hat den Vorschlag gemacht, man solle sich schminken. 
Sie sind mitten im Bemalen, beschmieren sich gegenseitig die Arme, Beine 
und Gesichter, jedes Stückchen nackter Haut, das sie erreichen können. 
Es ist kein System dabei, nur ein Schwelgen im Schmieren. Auf dem Fuß- 
boden stehen Teiche von Farbe und Wasser, die Kleider, die die Kinder 
zusammengetragen haben, um sich zu kostümieren, liegen in der Nässe. 
Ich weiß sehr gut, daß alle Kinder Neigung zu solchen Dingen haben, 
aber es scheint mir doch, daß eine solche Orgie nicht allzu häufig vor- 
kommt. Der Grund dafür ist nicht schwer zu finden. Die kleine Patientin 
arbeitet gerade an der Analyse ihrer analen Phase und agiert. Es handelt 
sich hier um die kleine Zwangsneurose, die Anna Freud in ihrem Buch über 
Technik der Kinderanalyse beschrieben hat und deren Pflegemutter ich 
damals war. Zur selben Zeit zeichnete sie in ihrer Analyse die zartesten 
saubersten Blumenbildchen für die Analytikerin. Sie sehen, die Mutter oder 
Pflegemutter kommt bei der Analyse des Kindes oft wirklich am schlech- 
testen weg. 

Eines macht den Müttern vor allem Angst, wenn die Kinder während 
der Zeit der Analyse zu Hause ungeniert von sexuellen Dingen zu sprechen 
beginnen: daß sie von Worten zu Taten übergehen könnten. Die Befürch- 
tung ist auch nicht ganz ohne Grundlage. Ich denke hier an den Fall 
eines etwa fünfjährigen Knaben zur Zeit als er sich in der Analyse intensiv 
mit Fragen nach dem Geschlechtsverkehr beschäftigt. Die Auskünfte des 
Analytikers befriedigen seine Wißbegier "offenbar nicht genügend ; er macht 
einer kleinen Freundin den Vorschlag, mit ihm heiraten zu spielen. Sie 
meint, das könnte sehr lustig sein und die beiden machen ihren ersten 
Versuch eines Geschlechtsverkehrs. Der Analytiker nimmt einen solchen 
Vorfall nicht schwer, er ist ihm nicht erwünscht, anderseits weiß er, wie 
häufig sich solche Dinge auch außerhalb der Analyse ereignen, wo man 
den Ausgang und die Verarbeitung weniger in der Hand hat. Für ihn be- 
deutet es wieder den Ausdruck einer bestimmten Phase in der Analyse des 
Kindes. Für die Mutter bedeutet es natürlich weit mehr. 

Einen Kinderfall, den ich tatsächlich durch den Widerstand der Mutter 
verloren habe, will ich ausführlich mitteilen: Gerti, ein fünfjähriges Mäd- 
chen, war über ein Jahr bei mir in Behandlung. Die Analyse brachte die 
Aufdeckung ihrer Geschwistereifersucht, ihres Penisneides, ihrer Kastrations- 
angst, vor allem aber ihrer Mutterbindung, die sie in der Übertragung 
agierte. Sie spielte monatelang Mutter und Baby. Ohne hier den Gang der 
Analyse vorzuführen, greife ich nur bestimmte Stellen heraus, die die 
Wechselwirkung zwischen Mutter und Kind und ihren Einfluß auf die 
Analyse besonders verdeutlichen. 

Es ist eine Proletariermutter, die nichts von der Analyse weiß, aber den 
brennenden Wunsch hat, alles nur Mögliche für ihre vier Kinder zu tun. 
Gerti, die Jüngste, macht ihr die meisten Sorgen. Gerti besucht einen 
Kindergarten, wo sie als sonderbar auffällt, weil sie lutscht, verträumt ist 

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und sich nicht an die anderen Kinder anschließt. Die Mutter weiß nicht 
recht, was sie machen soll, geht zu Elternabenden und Vorträgen, und ver- 
sucht, sich nach dem zu richten, was sie die „modernen" Ideen in der 
Erziehung nennt. Die Kindergärtnerin meint, daß man Gerti durch eine 
Analyse helfen könnte und geht mit der Mutter zu einer Analytikerin zur 
Beratung. Die Analytikerin meint auch, daß man dem Kinde nützen könnte 
und die Mutter entschließt sich sofort, das Kind behandeln zu lassen. Die 
Mutter wird zu mir geschickt und ich erkläre ihr in der ersten Unter- 
redung, daß die Analyse lange dauern, daß sie wahrscheinlich ungeduldig 
werden wird, daß das Kind ihr während der Behandlung zu Hause viele 
Schwierigkeiten machen kann und daß ihre Symptome sich vielleicht zeit- 
weise sogar verstärken werden. Aber die Mutter bleibt fest. Ihr Entschluß 
wird nur immer sicherer; ihr Kind muß behandelt werden. 

Die Analyse beginnt. Gerti ist eine wirkliche Schauspielerin, sie spielt 
Vater, Mutter oder Kind. Ich entnehme den Vorführungen, — natürlich 
ohne noch zu wissen, ob es wahr ist — daß der Vater ein sehr böser Mann 
ist, daß nur Frieden im Haus ist, wenn er weggeht, daß er immer Geld 
verlangt, daß die Mutter ihm nichts gibt, weil sie selbst nichts hat, daß 
er dann böse wird und sie schlägt und daß die Kinder dabeistehen, sich 
die Ohren zuhalten und weinen. Die erste Reaktion auf diese Periode 
kommt von der Mutter. Sie kann nicht verstehen, warum Gerti plötzlich 
so anders ist, sie ist unartig gegen sie, spielt mit lauter schmutzigen Dingen 
und redet die ganze Zeit von lauter schmutzigen Sachen. Der oberfläch- 
liche Zusammenhang ist unschwer zu finden. Gerti kritisiert ihr Zuhause. 
Sie erzählt lauter schmutzige Sachen von den Eltern, ist schuldbewußt, 
weil sie sie erzählt und zeigt deshalb der Mutter, wie schlimm sie ist. Ich 
sage der Mutter natürlich nur, daß ich gar nicht erstaunt bin, daß ich 
sicher war, Gerti würde sich zu Hause irgendwie schlecht benehmen und 
daß ich froh bin, daß die Mutter das alles berichtet, weil das eine große 
Hilfe für die Analyse ist. 

Gerti schweigt dann durch Wochen, Sie antwortet nicht, wenn ich zu 
ihr spreche, steckt die Finger in die Ohren, damit sie mich nicht sprechen 
höre und läuft zur Mutter ins Nebenzimmer. Das dauert an, bis sie schließ- 
lich ein neues Spiel erfindet. Ich bin die Mutter, sie ist der Einbrecher 
und drei Sofakissen sind meine drei Kinder. Sie stürzt als Einbrecher in 
das Zimmer, erschreckt mich, packt die drei Kinder, tritt sie mit Füßen, 
bringt sie um und stürzt wieder davon. Ich, als die Mutter, muß verzweifelt 
sein und weinen. Dann kommt sie als zartes kleines Elfenwesen ins Zimmer 
zurück und sagt, sie ist das Christkind, das mir meine Kinder wiederbringt. 
Sie versteckt die Kinder, damit der Einbrecher sie nicht finden kann, wenn 
er wiederkommen sollte. Dann führt sie mich und die Kinder in den 
Himmel. Sie sagt, dort könne ich ungestört waschen (ihre Mutter ist 
Wäscherin) und den Kindern kann nichts geschehen. Sie sagt, der Himmel- 
vater will mich kennenlernen, sie bringt ihn zu mir und er verkündet 

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mir, daß ich keine Sorgen mehr haben werde. Im selben Augenblick aber 
stürzt sie zum Fenster: Der Himmelvater hätte fast den Einbrecher wieder 
hereingelassen. Gerti agiert diese Phantasie tagelang. Wenn ich versuche, 
mit ihr darüber zu sprechen, setzt sie sich ganz steif hin und macht ein 
unglückliches Gesicht. Ich sage ihr schließlich, daß bestimmt etwas da ist, 
was sie mir erzählen möchte und daß ihre Mutter sicher nichts dagegen 
hätte, wenn sie es mir erzählt. Ihre einzige Antwort darauf ist, daß sie 
ihre Sachen zusammensucht, sich fertig macht und weggeht. Ich lasse mir 
die Mutter kommen. Sie erzählt, daß Gerti einen so unglücklichen Ein- 
druck macht. Sie spielt zu Hause immer wieder dasselbe: daß die Mutter 
krank ist. Ich sage der Mutter, daß Gerti etwas vor mir zu verbergen 
scheint und daß sie offen mit mir sein muß, damit ich ihr helfen kann. 
Vielleicht wisse die Mutter, um was es sich handelt; ich hätte den Ein- 
druck, daß auch sie mir etwas verheimlicht. Die Mutter vertraut mir darauf- 
hin an, daß sie ein Verhältnis mit einem Freund hat, daß die Kinder ihn 
kennen und sehr gerne haben. Er darf nie zu ihr ins Haus kommen, sonst 
würde ihr Mann sie umbringen. Sie machen aber oft Sonntagsausflüge mit 
ihm. Mir fällt es jetzt leichter, Gertis Schweigsamkeit zu verstehen. Die 
Mutter hat eine real begründete Angst vor der Preisgabe ihres Geheim- 
nisses, sie erzählt selbst, wie sie die Kinder zur Verheimlichung anhält, 
sie sagt ihnen, daß sie selbst sterben muß, wenn sie nicht den Mund hal- 
ten können, daß der Vater die Wohnung anzünden wird, wenn er erfährt, 
daß sie einen Geliebten hat. Gerti hat gewalttätige Szenen zwischen Vater 
und Mutter mit angesehen und weiß, daß es sich hier nicht um leere 
Drohungen handelt. Auch der Aufbau von Gertis Phantasie ist jetzt leich- 
ter zu verstehen. Der Einbrecher ist der Vater, der alles Böse tut, er ist 
auch der Verführer, der die Kinder raubt. Der Einbrecher kann aber auch 
der Freund der Mutter sein, der hier die Kinder statt der Mutter holt. Die 
Verzweiflung der Mutter über die Trennung von den Kindern soll beweisen, 
wie sehr sie die Kinder liebt. Gerti liebt die Mutter aber zu sehr, um 
ihre Verzweiflung zu ertragen, sie gibt ihr die Kinder wieder zurück. Der 
Himmel bedeutet offenbar das Zusammenleben mit dem Freund, die Kinder 
haben ihn sicher oft sagen gehört, wie er die Mutter beschützen würde 
und wie sie keine Sorgen mehr haben brauchte. Gerti kann aber nicht 
zugeben, daß die Mutter es ohne sie so gut hat. Der Vater muß wieder 
zurückkehren, die Mutter bestrafen und die Kinder entführen. 

Die Mutter erzählt mir nach und nach immer mehr von sich selbst, 
wie schwer sie es mit ihrem Mann hat, wie viel Sorgen sie hat, daß sie 
immer Unglück gehabt hat, daß das Zusammensein mit ihrem Freund 
ihr einziges Glück ist. Sie beschreibt ihn, was für ein wunderbarer Mensch 
er ist, wie sehr er sie und die Kinder liebt. Sie sagt, es ist ihr einziger 
Wunsch, die Kinder so aufzuziehen, daß es ihnen besser gehen wird als 
ihr, sie sind ihr Alles. Alles, was die Kinder angeht, interessiert sie. Sie 
fragt mich über die Analyse aus, ist voll Verständnis für alles, was ich 

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ihr von Gerti erzähle, möchte mir behilflich sein, fragt, was sie mit ihren 
Kindern falsch macht und anders machen sollte. Es ist gar keine Frage, 
daß zwischen uns alles in Ordnung ist. Und Gerti? Wie geht es zur 
gleichen Zeit mit ihr? Sie macht große Fortschritte in ihrer Analyse Sie 
zeichnet lauter Penissymbole, Menschen mit langen Nasen, elefantenartige 
Tiere und Pferde und Hunde mit langem Schweif. Ich deute ihr, womit 
sie beschäftigt ist. Darauf zeichnet sie schnell einen Mann ohne Penis, 
deutet auf die Stelle, an der das Glied sitzen sollte und fragt mich, was 
das ist. Ich zeichne das Glied ein, sie nimmt mir den Bleistift aus der 
Hand, zerkritzelt die Zeichnung und sagt: Pfui. Dann gibt sie mir den 
Bleistift zurück und verlangt, ich solle schnell einen Engel zeichnen. Zu 
Hause macht sie den Bruder nach, streckt die Zunge heraus und gebraucht 
Schimpfwörter. Bald darauf fängt sie an, Doktor zu spielen und läßt eine 
Puppe die Patientin sein. Ich erfahre aus diesem Spiel, daß sie als Drei- 
jährige Scharlach gehabt hat und ins Spital gebracht wurde, was für sie 
offenbar ein großer Schock war. Sie erlaubt nicht, daß die Mutter ihr die 
Unterhose auszieht und besteht darauf, sich selbst zu waschen und anzu- 
ziehen. Sie sträubt sich und schreit, wenn die Mutter sich darin nicht 
nach ihr richten will. Sie fragt mich, ob meine Kinder im Bett Hosen 
tragen, ob ich Hosen trage oder ein Nachthemd, wie lang es ist. Sie ver- 
langt dann Papier und zeichnet ein Oval mit einer Mittellinie, dann eine 
Raute ebenfalls mit einer Mittellinie. Sie sagt: „Ich habe zwei Löcher", 
und kritzelt über die Zeichnungen. „Mach ein Bild von meinem Bruder. Ich 
habe den Vater gesehen, er hat Haare da." Kurz darauf erzählt mir die 
Mutter, daß Gerti viel braver ist. Das Material ist klar; das Interesse für 
den Penis, der Penisneid, die Identifizierung mit dem Bruder und etwas 
später der Schock des Spitalserlebnisses und die Zurkenntnisnahme des 
Geschlechtsunterschiedes. Es ist nur auffällig, daß der Fortgang der Analyse 
mit der guten Beziehung der Mutter zu mir, ihren reichlichen Mitteilungen 
über sich selbst und ihrem Interesse für Gertis Analyse zusammenfällt. 
Auffällig ist auch, wie reichlich Gerti analytisches Material bringen kann, 
wenn sie nicht durch aktuelle Vorfälle im Elternhaus in Anspruch ge- 
nommen ist. Beides, scheint mir, können nicht zufällige Zusammentreffen 
sein. 

Das nächste Ereignis ist, daß der Freund der Mutter sie verläßt. Die 
Mutter ist schwer verstört. Sie teilt den Kindern mit, daß er nach Deutsch- 
land auswandert. In den darauffolgenden Tagen hat Gerti Angst, besonders 
nachts. Der Mond scheint auf ihr Bett und weckt sie auf, sie hat Angst 
und kann nicht wieder einschlafen. Sie werde mondsüchtig werden und 
auf den Dächern herumklettern, sagt ihr die Mutter. Sie soll den Mond 
nicht anschauen. Sie denkt an den Freund der Mutter, er ist weg, nach 
Deutschland, er wird sterben, nie wieder zurückkommen, Krieg wird da 
sein, er wird erschossen werden. Wenn hier Krieg ist, will sie nicht leben 
sie wird sich selbst töten, ein Messer in den Schädel stechen. Alle werden 



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das tun, bevor ein Krieg kommt, aber nur wo Krieg ist. Sie sagt: ich 
träume manchmal schreckliche Träume. Die Mutter ist gestorben. Manch- 
mal geschieht es so wie man träumt. Zum Beispiel man träumt, der Vater 
stirbt und er stirbt wirklich. Dann spricht sie von Gott. Er ist überall, 
er kann alles wissen, was wir machen. Du wirst in den Himmel kommen, 
aber ich nicht. Wie Gerti das sagt, will sie von mir fort zu ihrer Mutter 
laufen. Ich sage, die Mutter hat sie doch den ganzen Tag, bei mir kann 
sie wenigstens die eine Stunde bleiben. Darauf wird Gerti sehr böse und 
sagt, das sei nicht wahr. Den ganzen Morgen ist sie in der Schule und 
jeden Abend ist die Mutter fort. Zu dieser Zeit will Gerti nur waschen. 
Sie ist nicht zum Sprechen zu bringen, außer wenn sie mehr Sachen zum 
Waschen verlangt. Ich verstehe, daß sie damit sagen will, die Mutter geht 
waschen und läßt sie sehr viel alleine. Die Mutter bestätigt meine Ver- 
mutung. Gerti erzählt: sie hat Angst, gestohlen zu werden, es steht in 
der Zeitung, daß ein Kind von seinen Eltern weggestohlen worden ist. 
Ich erinnere sie daran, daß doch die Fenster vergittert sind. Sie sagt, die 
Einbrecher können die Gitter durchhacken. Was können die Kinder tun, 
wenn die Eltern weg sind? Ihr neues Spiel ist jetzt der Raub des Lind- 
bergh Babys. 

Gerti weiß, daß die Mutter unglücklich ist, weil ihr Freund sie ver- 
lassen hat. Sie hat das Gefühl, sie sei Schuld daran, weil sie so eifer- 
süchtig war. Sie hat schreckliche Träume, Todeswünsche gegen die Mutter, 
die nicht an sie, nur immer an ihren Freund denkt; Todes wünsche gegen 
ihn, weil er die Mutter so unglücklich macht, oder auch weil sie gar 
nicht will, daß er zurückkommt; sie will die Mutter für sich alleine 
haben. Sie hat aber außer ihrer Eifersucht noch ein Geheimnis vor der 
Mutter: ihre Onanie. Sie hat die schrecklichsten Schuldgefühle. Sie kämpft 
gegen die Onanie; wenn sie onaniert, werde die Mutter sie verlassen und 
dem Freund nachgehen. Für ihre bösen Taten und Gedanken wird der 
Mond sie strafen, Gott sieht alles, sie muß sich umbringen, weil sie an 
allem schuld ist. Sie beschuldigt die Mutter, daß sie sie zu viel alleine 
läßt, sie braucht sie, damit sie vor der Onanie geschützt sei. Und neben 
dieser Angst hat sie die Realangst, daß die Mutter wirklich vom Vater 
fort und dem Freund nachgehen könnte. Wir sehen zwei Konflikte gleich- 
zeitig in Gerti, der eine entspringt der Trauer der Mutter über den Ver- 
lust des Freundes, der andere dem Abwehrkampf gegen die Onanie. Beide 
sind so miteinander verwoben, daß es schwer ist, sie auseinanderzuhalten. 

Kehren wir an dieser Stelle von Gerti zur Mutter zurück. Sie macht 
zuerst nach dem Verlust des Freundes eine Periode wirklicher Trauer 
durch. Sie berichtet mir, daß die Kinder ihren Verlust zu verstehen scheinen, 
sie sind so ruhig und gedrückt. Später sagt sie, daß es ihr fast unerträglich 
ist, mit den Kindern zusammen zu sein, sie stören sie zu sehr. Sie stürzt 
sich ganz in die Arbeit, damit sie nicht denken muß. Zu dieser Zeit geht 
sie unaufhörlich waschen. Dann erwacht ihr Interesse für die Kinder von 

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neuem, sie denkt nur an sie und daran, was sie für sie tun könnte Ich 
höre jetzt auch zuerst mehr über ihren Mann. Sie findet ihn plötzlich 
verändert. Er ist freundlich zu ihr, versucht alles Mögliche für sie zu tun 
will ihr das Kochen abnehmen, er hat sogar Geld nach Hause gebracht 
und hat, was für ihn ganz unerhört ist, zum ersten Mal in seinem Leben 
mit den Arbeitslosen die ganze Nacht Schnee geschaufelt. Sie denkt, daß 
das Mädchen, mit dem er ein Verhältnis hat, ihn vielleicht verlassen hat 
und daß er jetzt etwas von ihr will. Sie hat seit drei Jahren keinen Ver- 
kehr mit ihm gehabt und hat gar keine Absicht, wieder anzufangen. Ich 
sage vorsichtig, daß sie es nach dem Verlust des Freundes jetzt doch sehr 
schwer haben muß, daß sie wahrscheinlich Schwierigkeiten mit sich hat 
die vorher nicht da waren. Sie leugnet das sehr leidenschaftlich, erzählt 
aber schon im nächsten Augenblick, wie nervös sie jetzt ist, wie gereizt 
sie gegen den Mann ist. Sie schickt ihn immer fort, sie kann ihn nicht 
in der Wohnung vertragen und sie wird wütend, wenn er nett zu sein 
versucht. Natürlich bekommen auch die Kinder ihre Stimmung zu fühlen, 
sie ist reizbar und ungeduldig mit ihnen. 

Wenden wir uns von diesem Zustandsbild der Mutter wieder zu Gerti 
zurück. Die Mutter erzählt, Gerti hat einen Traum gehabt: „Ein Arzt ist gekom- 
men und hat mit einem Instrument in meinem Pumpfi gewuzelt." Beim Er- 
wachen habe sie den Traum vor den anderen Kindern erzählt. Die Ge- 
schwister waren entrüstet, haben Pfui gesagt, man rede nicht von solchen 
Dingen. Darauf war Gerti beleidigt und hat gesagt: „Schluß, ich spreche 
nicht mehr." Sie, die Mutter, habe ihr später gesagt, das seien häßliche 
Gedanken und von solchen Sachen könne man sehr krank werden. Wie 
die Mutter mir das erzählt, bitte ich sie, sie möchte mir noch einmal 
schildern, wie sie sich der Onanie der Kinder gegenüber wirklich verhalten 
habe. Sie erzahlt mit großem Stolz, daß ihre Kinder nie onaniert haben. 
Sie hat darauf gesehen, daß es nicht vorkommen konnte. Schon als Säug- 
linge hat sie sie nie ohne Windeln liegen lassen, ihnen eine neue Windel 
angezogen sobald die alte weggenommen war, und als größere Kinder 
haben sie nie ohne Hosen geschlafen. Wir erinnern uns hier, daß Gerti 
sich zu einer bestimmten Zeit geweigert hat, sich von der Mutter an- 
und auskleiden und die Hose ausziehen zu lassen. Die Mutter berichtet 
weiter, daß sie den größten Abscheu vor der Onanie hat, daß Freundinnen 
ihr gesagt haben, man könnte sich in Zeiten von sexueller Entbehrung 
damit helfen, daß sie aber nie so etwas tun würde. Ich versuche ihr zu 
sagen, daß man die Onanie nicht mehr für so schädlich ansieht und daß 
man heute weiß, daß alle Kinder onanieren. Sie erwidert, daß sie das 
weiß, sie hat einen Vortrag darüber gehört und auch erfahren, daß die 
Ärzte nicht mehr glauben, daß man davon krank wird. Ein Arzt aus dem 
Spital, in dem Gerti war, hat ihr übrigens gesagt, sie solle das Kind nur 
ruhig lutschen lassen, beim Abgewöhnen würde nur etwas Schlechtes nach- 
kommen. Alle diese Kenntnisse haben aber nicht verhindert, daß sie die 



Zeitschrift f. psa. Päd., VI/7/8 



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20 



Kinder gewarnt hat, wenn sie sich gegenseitig berühren wollten, das sei 
nicht anders als wenn man etwas Schmutziges in den Mund stecke, man 
könne die schrecklichsten Krankheiten davon bekommen. Es ist in diesem 
Zusammenhang interessant, daß Gerti keinen Löffel benützen will, den 
irgend jemand aus der Familie, mit Ausnahme der Mutter, benützt hat. 
Da sie zu Hause nur vier Löffel haben, muß sie oft eine ganze Weile auf 
ihr Essen warten. Die Mutter erzählt weiter, daß ihr Mann Gonorrhöe 
gehabt hat und daß sie sich schrecklich vor Ansteckung fürchtet. Er ist 
geheilt, aber sie will nicht recht daran glauben. Auf meinen Vorschlag, 
er solle sich doch noch einmal untersuchen lassen, erwidert sie, sie weiß 
ja, daß er gesund ist, sei aber froh, das als Ausrede benützen zu können, 
damit sie nicht mit ihm verkehren müsse. 

Was tut Gerti zu dieser Zeit? Sie spricht von der Herkunft der Kinder, 
sie kommen aus dem Bauch, die Mädchen von der Mutter, die Buben vom 
Vater; der Vater gibt die Buben gleich nach der Geburt der Mutter, damit 
sie essen können. Die Mutter gibt den Kindern aus der einen Brust Milch, 
aus der anderen Blut. Interessanterweise hat mir die Mutter früher einmal 
erzählt, daß sie ganz unerfahren in die Ehe gegangen ist und sich ganz 
falsche Vorstellungen gemacht hat, dieselben Vorstellungen, die sich jetzt 
aus Gertis Analyse ergeben. Es ist natürlich möglich, daß die Mutter ihr 
einmal davon gesprochen hat, aber doch sehr unwahrscheinlich. Die Mutter 
klagt zu dieser Zeit über Gertis Unaufrichtigkeit und Gerti selbst erzählt 
mir, wie viele Sünden sie hat: sie lügt, sie stiehlt und — setze ich hinzu — 
sie gibt die Hand an den Geschlechtsteil. Sie wird jetzt offener, erzählt, 
daß die anderen Kinder solche Sachen miteinander machen und spricht 
mit sichtlichem "Vergnügen davon, daß die Buben einen Schwanz haben. 
Am nächsten Tag erscheint die Mutter in größter Aufregung. Gerti hat zu 
Hause von ihrer Stunde erzählt, die Geschwister waren entsetzt und sie 
hat Angst, daß Gerti anfangen wird, solche Sachen zu tun, wenn sie ein- 
mal schon davon redet. Sicher verstehe ich nicht, in welcher Athmosphäre 
sie lebt, welchen Versuchungen die Kinder ausgesetzt sind. Gleich gegen- 
über von ihnen ist ein Haus, wo die Kinder alles Mögliche durch die 
Fenster sehen können. Ihr Mann möchte sie, wenn kein Geld im Haus 
ist, am liebsten als Prostituierte auf die Straße schicken. Ich versuche, sie 
zu beruhigen, erkläre ihr, daß das Wissen über diese Dinge, nicht die Un- 
wissenheit, der beste Schutz für die Kinder ist. In der nächsten Stunde 
fragt Gerti mich immer wieder, wie lange sie noch zu mir kommen kann. 
Kann sie morgen wiederkommen, übermorgen, im Frühjahr, im nächsten 
Jahr. Mir war es nicht klar, daß das ihre letzte Stunde war. Am nächsten 
Tag bekomme ich einen Brief von der Mutter, in dem sie mir für meine 
Mühe dankt. Sie möchte Gerti nicht mehr schicken. Wenn es so ist, daß 
man in der Analyse die Kinder über die Onanie und das Geschlechtsleben 
überhaupt aufklären muß, so ist das für ihre Kinder nicht das Richtige. 
Wenn wir dieses Stück von Gertis Analyse mitanhören und uns gleich- 

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zeitig den inneren Zustand der Mutter vor Augen halten, so kann uns der 
Zusammenhang zwischen beiden kaum entgehen. Ist es nicht auffällig 
daß der Mann sich der Mutter gerade zu der Zeit nähert, in der sie in 
der Entbehrung lebt? Dürfen wir nicht annehmen, daß er instinktiv ihr 
Bedürfnis fühlt? Und was tut Gerti zur selben Zeit? Sie träumt vom Ge- 
schlechtsverkehr. Sie spricht vom Kinderbekommen und hat das größte 
Interesse für das männliche Glied. Sie fühlt, daß jemand, sicherlich die 
Mutter, sie belügt, ihr nicht die ganze Wahrheit sagt. Sie ist aufgeregt 
und benimmt sich zu Hause freier als sonst. Sie ist jetzt auch bereit, in 
ihrer Analyse offener zu werden. Aber die Mutter reagiert mit Abscheu 
und Erschrecken. Es handelt sich ja darum, Gerti die Onanie zu erlauben, 
die sie selbst sich immer versagt hat. Gerti würde sie dann immer an ihr 
eigenes Bedürfnis mahnen, dessen Befriedigung sie sich selbst nie in solcher 
Weise gestatten würde. Wir hören, welchen Kampf gegen die Onanie der 
Kinder sie immer geführt hat. Sie hat sich in anderen Zeiten vor der 
Versuchung geschützt, jetzt ist sie im Abwehrkampf gegen die Versuchungen, 
die aus der Unbefriedigung nach Verlust des Freundes und aus den An- 
näherungen des Mannes kommen. Vor allem aber muß sie sich jetzt gegen 
Gerti schützen. Sie kann nicht ertragen, daß Gerti den gleichen Ver- 
suchungen unterliegt wie sie. Wenn ihr Kind sich solche Gedanken erlaubt, 
schon von sexuellen Dingen zu sprechen beginnt, wie wird sie sich vor 
dem nächsten Schritt, den sexuellen Betätigungen zurückhalten können? 
Sie muß das Kind schützen, so wie sie sich selbst schützt. Sie darf nicht 
einen Augenblick an die Versuchungen vergessen, denen man in ihrem Leben 
immer ausgesetzt ist, alles, was um sie herum vorgeht, wozu der Mann sie 
bringen möchte; vor allem darf sie nicht an die Folgen vergessen, die es 
haben konnte, wenn man sich nicht zurückhält, an die schrecklichen Krank- 
heiten. Sie muß sich aus all dem herausretten und sie kennt nur einen 
sicheren Weg, wie man das tun kann: Unwissenheit und Verdrängung. 

Ich habe einen kleinen Ausschnitt aus Gertis Analyse gegeben und die 
Perioden ausgelassen, in denen einfach das analytische Material ohne störende 
Komplikationen zu erkennen war. Es war meine Absicht, die Perioden zu 
schildern, in denen sich zwei gleichzeitig vorhandene Strömungen in der 
Analyse erkennen ließen: Einerseits die analytische Situation des Kindes 
selbst, anderseits als Komplikation die Situation der Mutter, das Ergebnis 
des aktuellen Erlebens der Mutter, das mit seinen bewußten und unbewuß- 
ten Gefühlsreaktionen immer wieder wie ein Fremdkörper in Gertis eigene 
Geschichte hineinragt. In dieser zweiten Hinsicht gibt Gerti noch ganz das 
Bild eines Fötus im Mutterleib. Sie existiert zwar schon, ihr Leben ist 
aber noch ganz in den Kreislauf des mütterlichen Lebens eingeschaltet. 
Es sieht fast aus, als ob dieser Zusammenhang zwischen Mutter und Kind 
wenigstens im Psychischen noch nicht unterbrochen worden wäre. 

Es ist selbstverständlich, daß nicht alle Kinderfälle so aussehen wie 
dieser; der Kontakt zwischen Mutter und Kind erreicht nicht immer diese 



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ao- 



Stärke. Schließlich wissen wir, daß Gerti eine abnorme Fixierung an die 
Mutter hat, die sich auch in ihrem Symptom, dem fortgesetzten Daumen- 
lutschen ausdrückt. Es gibt aber eine ganze Anzahl Fälle dieser Art und 
die Wechselwirkung der Gefühle zwischen Mutter und Kind spielt in ihnen 
allen eine Rolle. Ich habe schon früher gemeint, daß über die Bedeutung 
dieser Beziehungen noch viel zu wenig bekannt ist. 

Man kann häufig von Müttern hören, daß ihre Kinder gelegentlich 
imstande sind, ihre Gedanken zu erraten, gleichgiltig ob es sich um kleine 
oder um lebenswichtige Anlässe handelt. Die Mutter hat z. B. einen plötz- 
lichen Einfall: sie wird ihrem Jungen zu Weihnachten ein Fahrrad schenken. 
Einen Augenblick später ruft das Kind, das mit ihr im selben Zimmer 
ist: „Ich weiß schon, was du mir heuer zu Weihnachten schenkst, ein 
Fahrrad!" In der Analyse können wir ernsthaftere Dinge von den Kindern 
über ihre Mütter erfahren, etwa daß die Mutter schwanger ist, ehe sie 
selber es noch mit Sicherheit weiß oder daß sie in jemanden verliebt ist, 
was sie selber bewußt noch gar nicht akzeptiert hat. Im Folgenden gebe 
ich ein Beispiel, bei dem das Kind von dem Gedanken der Mutter in 
seinem Leben gar nicht betroffen wird, aber doch mit seiner Aktion aus- 
führt, was in ihr vorgeht. In einer Kindheitserinnerung der Mutter spielt 
ein Goldstück eine bestimmte Rolle. Die Mutter ist in Analyse und die 
betreffende Kindheitsszene ist eben in der analytischen Stunde besprochen 
worden. Sie geht nach ihrer Stunde nach Hause. Gleich darauf kommt 
ihr kleiner Junge zu ihr ins Zimmer und bringt ihr ein Goldstück, das 
sie für ihn aufbewahren soll. Sie fragt ihn erstaunt, woher er es hat. Er 
erwidert, er habe es zu seinem Geburtstag bekommen. Der Geburtstag liegt 
mehrere Monate zurück, es ist kein Anlaß, warum das Kind sich gerade 
jetzt an das Goldstück erinnert haben sollte. Einige Wochen später sitzt 
die Mutter am Schreibtisch und macht sich eine Notiz über die geschilderte 
Szene, worauf der Junge wieder hereinkommt und sein Goldstück zurück- 
verlangt. Er möchte es in seine analytische Stunde mitnehmen, um es zu 
zeigen. Aus seiner Analyse ergibt sich zu dieser Zeit kein Zusammenhang 
mit diesem Wunsch. Das überraschendste mir bekannte Beispiel dieser Art 
von Beeinflussung des Kindes durch die Mutter ist aber das folgende. Es 
handelt sich wieder um eine in Analyse befindliche Mutter. Sie hat in 
ihrer Stunde eine Phantasie, daß sie in einem Wutanfall irgend jemandem 
mit einem Topf kochenden Wassers anschüttet. Die Einfälle ergeben einen 
ähnlichen Vorfall, der in ihrer Kindheit eine Rolle spielt. Eine Stunde 
später sitzt sie mit ihren Kindern bei Tische. Das jüngste Kind gerät mit 
der älteren Schwester in einen geringfügigen Streit. Plötzlich verschwindet 
es vom Tisch und kommt einige Sekunden später wieder, in der Hand 
ein Glas mit kochendem Wasser, das er sich aus der Küche geholt hat. 
Er geht auf die Schwester zu, ruft: Schau, was ich Dir tu! und tut so, 
als wollte er sie mit dem kochenden Wasser anschütten. Die Schwester 
ist wie versteinert, die Drohung ist so unerwartet, die ganze Handlung 

- 288 - 



sieht dem Jungen so gar nicht ähnlich, daß sie sich nicht auskennt. Sie 
zieht sich still und ganz verstört von ihm zurück. Wie würde sich ein 
solcher Vorfall in die Analyse des Kindes einfügen, hat er überhaupt mit 
dem Kind selbst irgendetwas zu tun? Wenn aber nicht, mit welcher un- 
heimlichen Kraft haben wir es hier zu tun? 

Ich möchte noch eine Bemerkung anfügen. Wir wissen alle, wie not- 
wendig die Lehrer und Erzieher ihre eigene Analyse brauchen, um vor 
der Gefahr geschützt zu sein, ihre eigenen Konflikte an den Kindern aus- 
zuleben, mit denen sie arbeiten. Wie groß diese Gefahr ist, erkennt man 
am besten daraus, daß es sogar für den Analytiker nicht immer leicht ist 
ihr auszuweichen und sich der Gegenübertragung, die hier eine doppelte 
ist, bewußt zu bleiben. Die positive oder negative Übertragung der Mutter 
spielt hier dieselbe Rolle wie die des Kindes. Es ist schwer, immer objektiv 
zu bleiben, man ist versucht, Partei entweder für die Mutter, viel häufiger 
für das Kind zu nehmen. Die Schwierigkeit liegt darin, ein Außenstehender 
zu bleiben, der beiden gerecht wird, umsomehr als man oft entscheidende 
Handlungen nach der einen oder andern Richtung annehmen muß, kein 
untätiger Beobachter sein darf. Wir können häufig beobachten, wie Analytiker 
die Partei ihrer erwachsenen Patienten nehmen, sie gegen Kritik und Angriffe 
von andern schützen. Die weiblichen Kinderanalytiker könnten diese Tendenz 
leicht in noch höherem Maße haben, denn sie verbindet sich hier mit 
dem natürlichen Instinkt der Mutter, die ihr Kind verteidigt. Die Gefahr 
ist nur die, daß dieser Instinkt der Verteidigung, der gegen die wirkliche 
Mutter gerichtet wird, mehr vertreten kann als den berechtigten Schutz 
eines hilflosen Patienten: etwa den affektiv bedingten Wunsch der Ana- 
lytikerin, das Kind selbst zu besitzen oder sich zu beweisen, daß sie die 
bessere Mutter für den von ihr behandelten kleinen Patienten gewesen wäre. 



Über den Ödipuskomplex 

Drei psychoanalytische Studien 



Von 



F. Boehm, O. Fenidiel, W. Reidi 

Preis Mark 2'JO 



i 



Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 



- 289 - 



Die Neurose des Kindes 

Von Melanie Klein 

(Vorabdruck aus dem im September 1932 im Internationalen Psychoanalytischen 
Verlag erscheinenden Buche: Die Psychoanalyse des Kindes) 

Im Verlaufe meiner bisherigen Ausführungen habe ich die Technik be- 
schrieben, durch die das Kind tiefgehend wie der Erwachsene analysiert 
werden kann. Im folgenden will ich auf die Indikationsstellung eingehen. 
Dabei ergibt sich zunächst die Frage: Welche Schwierigkeiten sind beim 
Kinde als normal, welche als neurotisch zu betrachten — welche sind Aus- 
druck von Ungezogenheit, welche ein Anzeichen der Neurose? 

Man rechnet im allgemeinen mit gewissen typischen, in Quantität und 
Auswirkung sehr verschiedenen Schwierigkeiten beim Kinde. Sie werden, 
solange sie nicht über ein gewisses Maß hinausgehen, als zur Entwicklung 
des Kindes gehörig betrachtet. Da aber ein gewisses Ausmaß an Schwierig- 
keiten eine. regelmäßige Begleiterscheinung der kindlichen Entwicklung ist, 
wird meines Erachtens nicht genügend gewürdigt, inwieweit auch diese 
regelmäßigen Schwierigkeiten als Grundlage und Anzeichen schwerer Ent- 
wicklungsstörungen zu werten sind. 

Stärkere Eßstörungen, vor allem aber die Angst, sei es als Pavor 
nocturnus, sei es in Form von Phobien, sind deutliche, als neurotisch 
bekannte Erscheinungen. Das Studium des kleinen Kindes zeigt aber, daß 
die Angst in sehr verschiedenen und maskierten Formen auftritt, und daß 
wir schon beim zwei- und dreijährigen Kinde Verarbeitungen der Angst 
finden, die auf eine komplizierte Verdrängungsarbeit schließen lassen. Wenn 
zum Beispiel der Pavor nocturnus beim Kinde zurücktritt, so können wir 
die Schlafstörungen noch einige Zeit in anderen Formen wieder- 
finden : das späte Einschlafen, das frühe Erwachen, unruhiger oder leicht 
gestörter Schlaf, die Unfähigkeit zum Nachmittagsschlaf fand ich in Analysen 
als abgeschwächte Formen des Pavur nocturnus. In dieses Gebiet gehören 
auch die zahlreichen, oft so störenden Zeremonien und sonstigen Eigen- 
tümlichkeiten der Kinder vor dem Einschlafen. Aus der krassen Eßstörung 
wird oft ein langsames Essen, Kaufaulheit, allgemeine Appetitlosigkeit, sie 
äußert sich ferner häufig im ungezogenen Gehaben der Kinder bei Tische. 

Daß Angst vor bestimmten Menschen beim Kinde häufig durch eine 
allgemeine Ängstlichkeit abgelöst wird, läßt sich gut beobachten. Diese 
Ängstlichkeit ist später oft nur mehr als Gehemmtheit im Verkehr mit 
Menschen oder als Schüchternheit zu erkennen. Alle diese Abstufungen 
sind Verarbeitungen der ursprünglichen Angst, die zum Beispiel im Falle 
der Angst vor Menschen die ganze spätere soziale Einstellung bestimmt. 
Die ausgesprochene Tierphobie geht zum Beispiel in Abneigung gegen die 
betreffenden Tiere oder gegen Tiere im allgemeinen über. Die Angst vor 

- 290 - 




Gegenständen, die für das kleine Kind ursprünglich immer belebt sind, 
drückt sich beim Erwachsenen in der Hemmung von Funktionen aus, die 
mit diesen Gegenständen zusammenhängen. So wurde zum Beispiel aus der 
Phobie eines Kindes vor dem Telephonapparat die Abneigung des Erwach- 
senen gegen das Telephonieren, in anderen Fällen aus Angst vor der 
Lokomotive Reiseunlust bzw. starke Ermüdbarkeit auf Reisen, aus der 
Straßenangst Unlust zum Spazierengehen usw. Hieher gehört auch die in 
meiner Arbeit „Zur Frühanalyse" 1 ausführlich besprochene Sporthemmung 
und Hemmung bei Bewegungsspielen, die sich in allen möglichen Zwischen- 
stufen (Ablehnen einzelner Sportarten, Unlust, Ermüdbarkeit, Ungeschick- 
lichkeit usw.) ausdrücken kann. In dieses Gebiet fallen auch die indivi- 
duellen Eigenheiten, Gewohnheiten und Hemmungen des 
Normalen. Der Erwachsene kann seine — niemals fehlenden — Ab- 
neigungen auf die verschiedenste Art rationalisieren (z. B. als „lang- 
weilig, geschmacklos, unhygienisch"). Beim Kinde werden solche Ab- 
neigungen und Gewohnheiten, die allerdings intensiver und weniger sozial 
angepaßt sind, als „Unarten" bezeichnet. Sie sind immerauch der Aus- 
druck von Schuldgefühl und Angst, haben innige Beziehung zu Phobien, 
meist auch zu Zwangszeremoniellen und werden in jeder Einzelheit von 
den Komplexen des Kindes bestimmt. Deshalb erweisen sie sich häufig so 
resistent erzieherischen Beeinflussungen gegenüber, sind aber oft durch 
die Analyse auflösbar wie ein neurotisches Symptom. 
Ich kann hier aus diesem interessanten Gebiete nur einige Beispiele heraus- 
greifen: Das grimassierende Augenaufreißen eines Knaben, das Blinzeln 
eines anderen dienten als Gegenbeweis gegen die gefürchtete Blendung. 
Bei einem anderen Knaben klärte sich das Offenhalten des Mundes als 
Geständnis der begangenen Fellatio, das daran anschließende Pfeifen als 
der Widerruf dieses Geständnisses auf. Ungezogenheiten beim Baden und 
Kopfwaschen haben sich mir wiederholt als lavierte Angst vor Kastration 
oder Beschädigung des ganzen Körpers erwiesen. Dem Nasenbohren bei 
Kindern und bei Erwachsenen lagen unter anderem Phantasien eines analen 
Angriffes auf den Leib der Eltern zugrunde, Die Schwierigkeit, Kinder zur 
Erledigung einfachster Handreichungen oder Besorgungen zu bewegen, die 
sich häufig erzieherisch so unangenehm auswirkt, fand ich immer durch 
Angst bestimmt. So erklärte sich zum Beispiel die Abneigung von Kindern, 
einen Gegenstand aus einem Kasten zu holen, in mehreren Fällen dadurch, 
daß dies einen aggressiven Eingriff in den Leib der Mutter und eine 
Realisierung dieser verbotenen Phantasien bedeutete. 

Es gibt eine gewisse Form der Überlebhaftigkeit beim Kinde, die 
man oft mißverständlicherweise — je nach dem Standpunkt — als ein 
besonderes Zeichen von Temperament oder als Ungezogenheit auffaßt, und 
die häufig mit Trotz und Hohn gepaart ist. Diese Erscheinungen sind eben- 

1) Klein: „Zur Frühanalyse". Imago, Bd. IX, 1925. 

-291 - 



falls Überkompensierungen der Angst. Dieser Mechanismus der Angst- 
verarbeitung ist auch für die Charakterbildung und die spätere soziale Ein- 
stellung wesentlich 1 . Die „Zappligkeit", die häufig im Zusammenhang 
mit dieser Überlebhaftigkeit auftritt, halte ich für ein bedeutsames Symptom. 
Die motorischen Entladungen, die beim kleinen Kinde durch diese allge- 
meine Unruhe erfolgen, verdichten sich zu Beginn des Latenzalters häufig 
zu Bewegungsstereotypien, die im Gesamtbilde dieser Überbeweg- 
lichkeit meist unbeachtet bleiben. Im Pubertätsalter, mitunter auch schon 
früher, treten sie wieder auf oder werden deutlicher und bilden die Grund- 
lage eines Tic 2 . 

Ich habe wiederholt auf die große Bedeutung der Spielhemmung 
hingewiesen, die sich in den verschiedensten Formen maskieren kann. Wir 
können in Analysen die verschiedensten Grade und Abstufungen der Spiel- 
hemmung beobachten. 

Greifen wir aus den vielen Formen teilweiser Spielhemmung einige 
heraus: die Abneigung gegen bestimmte Spiele, die Unfähigkeit, bei 
einem Spiele zu verweilen. Viele Kinder brauchen oft die starke Spiel- 
beteiligung einer anderen Person, überlassen dieser die Initiative, holen 
nicht selbst das Spielzeug herbei usw. Bei Kindern, die nur Spiele, die sie 
genau nach Vorlagen ausführen, oder nur eine bestimmte Art von Spielen 
lieben (das dann gewöhnlich mit besonderer Intensität betrieben wird), lieat 
eine starke Phantasieverdrängung vor, die gewöhnlich auch mit zwangs- 
neurotischen Zügen einhergeht. Das Spiel trägt dann weit eher den Charak- 
ter eines zwangsneurotischen Symptoms als den einer Sublimierung. 

Zu erwähnen wäre noch eine Art von Spielen, hinter denen sich < — 
insbesondere in der Übergangszeit zum Latenzalter — Bewegungsstereotypien 
oder Starrheit der Bewegungen verbergen. Zum Beispiel führte ein acht- 
jähriger Knabe als Verkehrsschutzmann gewisse Bewegungen aus und wieder- 
holte diese oft stundenlang, wobei er in einzelnen Stellungen lange Zeit 
starr verharrte. In anderen Fällen ist es eine besondere, dem Tic nahe- 
stehende Überbeweglichkeit, die sich hinter einem bestimmten Spiel ver- 
birgt. Die allgemeine Unlust oder Ungeschicklichkeit zu Bewegungsspielen 
liegt der späteren Sporthemmung zugrunde und ist immer ein bedeutsames 
Anzeichen von Störungen. In vielen Fällen ist die S p i e 1 h e m m u n g 
die Grundlage der Lernhemmung. In mehreren Fällen, in denen 
spielgehemmte Kinder gute Schüler wurden, zeigte sich, daß der Antrieb 
zum Lernen vorwiegend zwangsneurotisch war. In einigen dieser Fälle kam 
es auch später — insbesondere im Pubertätsalter — zu schweren Störungen 
der Lernfähigkeit. Die Lernhemmung äußert sich auch wiederum in ver- 

i) Siehe auch Reich: „Phobie und Charakterbildung." Int. Ztschr. f. PsA., 
Bd. XVI, 1930. 

2) Ich habe in meiner Arbeit: „Zur Genese des Tic" (Int. Ztschr. f. PsA., Bd. XI, 
2 9 2 5) gezeigt, daß der Tic häufig als Anzeichen von tiefliegenden, verdeckten Störun- 
gen aufzufassen sei. 

— 292 — 






schiedenen Formen und Abstufungen, z. B. als Faulheit, als Interesselosig- 
keit, als starke Abneigung gegen einzelne Materien, oder in dem eigentüm- 
lichen Verhalten mancher Kinder, die Aufgaben nur im letzten Augenblick 
oder nur unter Druck zu lernen usw. Die Lernhemmung ist häufig die 
Grundlage der späteren Berufs hemmung, deren früheste Anzeichen 
sich also schon beim kleinen Kinde in der Spielhemmung äußern können. 
Als ein wesentliches Kennzeichen von Störungen habe ich in meiner 
Arbeit „Eine Kinderentwicklung" 1 den Widerstand der Kinder gegen 
die sexuelle Aufklärung angeführt. Das Nichtfragen der Kinder, 
dem so häufig ein zwanghaftes Fragen vorausgeht oder mit dem es alterniert, 
ist als Symptom zu werten, dem oft schwere Störungen des Wiß- 
triebes zugrunde liegen. Es ist bekannt, daß die lästigen Fragen des 
Kindes sich häufig in der Grübelsucht des Erwachsenen fortsetzen, die 
immer mit neurotischen Störungen zusammenhängt. 

Das häufige Fallen, Sich-Stoßen, Sich- Verletzen und dieWehleidigkeit 
sind als Äußerungen des Schuldgefühles und der Angst verschiedenen In- 
haltes aufzufassen. Ich habe in Kinderanalysen diese kleinen — oder 
größeren — wiederholten Unfälle auch als Ersatz für ernstere Selbstbe- 
schädigungen kennengelernt. Sie stellten in diesen Fällen mit untauglichen 
Mitteln unternommene Selbstmordversuche dar. Bei vielen Kindern, ins- 
besondere Knaben, wird die Überempfindlichkeit gegen Schmerz 
schon frühzeitig von einer übertriebenen Gleichgültigkeit ab- 
gelöst, die sich aber nur als eine weitergehende Abwehr und Verarbeitung 
der Angst erweist. 

Sehr charakteristisch ist auch die Einstellung des Kindes zu Ge- 
schenken. Manche Kinder sind unersättlich darin, da ihnen kein Ge- 
schenk eine wirkliche Befriedigung, sondern immer wieder nur Enttäuschung 
bereitet. Andere Kinder sind übermäßig wunschlos — ihnen ist jedes Ge- 
schenk gleichgültig. Wir können bei Erwachsenen die analoge Einstellung 
zu vielen Dingen im Leben beobachten; zum Beispiel bei Frauen, die 
stets leidenschaftlich neue Kleider wünschen, die ihnen aber niemals wirk- 
liche Freude bereiten, und die auch angeblich niemals „etwas anzuziehen 
haben". Es sind dies im allgemeinen Frauen, die rastlos Vergnügungen 
nachjagen, häufig auch solche, die das Liebesobjekt leicht wechseln und 
sexuell nicht befriedigt werden können. Im Gegensatz dazu stehen die 
Blasierten, die wenig Wünsche haben. 

In den Kinderanalysen zeigt sich, daß das „Geschenk" dem Kinde letzten 
Endes alle früher versagten Liebesgaben: Muttermilch, Brust, väterlicher 
Penis, Urin, Stuhl, Kind, bedeutet. Das Geschenk beweist ihm aber auch, 
daß die Dinge, die es sich auf sadistische Weise aneignen wollte, ihm nun 
freiwillig gegeben werden, und beruhigt dadurch das Schuldgefühl. Die 
Versagung von Geschenken — wie Versagungen im allgemeinen — werden 

1) Imago, Bd. VII, 1921. 



- 293 - 



unbewußt als Strafe für die mit den libidinösen Wünschen verbundene 
Aggression empfunden. In anderen Fällen führt ein noch ungünstiger ge- 
lagertes übermäßiges Schuldgefühl oder dessen nicht geglückte Verarbeitung 
zugleich mit der Angst vor neuen Enttäuschungen zur Unterbindung der 
libidinösen Wünsche überhaupt. Solche Kinder haben auch an Geschenken 
keine wirkliche Freude. Die Unfähigkeit, Versagungen zu er- 
tragen, die dazu führt, daß alle durch die Erziehung bedingten Ver- 
sagungen unbewußt als Strafe empfunden werden, führt zur Unerzieh- 
b a r k e i t und mangelnden Realitätsanpassung. Beim größeren 
Kinde — in einzelnen Fällen auch schon beim kleinen Kinde — ist die 
Unfähigkeit, Versagungen zu ertragen, häufig durch eine scheinbare An- 
passung verdeckt, die auf das Bedürfnis, die Umgebung zufriedenzustellen, 
zurückgeht. Diese scheinbare Anpassung ist besonders im Latenzalter ge- 
eignet, tieferliegende Schwierigkeiten zu verdecken. 

Bezeichnend ist auch das Verhalten vieler Kinder zu Festen. Die allge- 
meinen Festtage — Weihnachten, Ostern usw. — werden meist mit großer 
Ungeduld erwartet, hinterlassen aber oft völlige Unbefriedigung. Sie be- 
deuten für das Kind (wie häufig sogar auch nur der Sonntag) mehr oder 
weniger die Hoffnung auf Erneuerung, einen „Wiederbeginn", und im 
Zusammenhang mit den erwarteten Geschenken eine Wiedergutmachung 
all dessen, was es in seiner Phantasie an Bösem begangen und erlitten 
hat. Familienfeste rühren aufs tiefste an die mit der Familienkonstellation 
zusammenhängenden Komplexe des Kindes. Der Geburtstag zum Beispiel 
bedeutet immer auch eine Wiedergeburt. Geburtstagsfeiern anderer Kinder 
aktivieren die mit der Geburt vorhandener oder erwarteter Geschwister 
verbundenen Konflikte usw. Die Art, wie sich ein Kind zu Festen ver- 
hält, kann deshalb mit als ein Kennzeichen für seine Neurose dienen. 

Die ablehnende Einstellung mancher Kinder zu Theater, Kino, Schau- 
stellungen aller Art steht in enger Beziehung zu den Störungen des Wiß- 
triebes. Als Grundlage für diese Störung fand ich das verdrängte Interesse 
am Koitus und an der Sexualität der Eltern, aber auch die Abwehr gegen 
die eigene Sexualität. Die tiefste Ursache dieser Einstellung, die sich in 
der Hemmung vieler Sublimierungen auswirkt, ist in der Angst und den 
Schuldgefühlen einer sehr frühen Entwicklungsstufe zu finden, die die 
Auswirkung der aggressiven, gegen den Koitus der Eltern gerichteten 
Phantasien sind. 

Hervorhebenswert ist auch der psychogene Anteil an den viel- 
fachen körperlichen Erkrankungen des Kindes. Ich habe festgestellt, 
daß bei manchen Kindern Angst und Schuldgefühl sich vorwiegend auf 
dem Wege einer körperlichen Erkrankung Ausdruck verschaffen, (wobei 
die Heilung angstberuhigend wirkt). Aber auch im allgemeinen fand ich, 
daß die bei Kindern einer gewissen Altersstufe so häufigen körperlichen 
Erkrankungen durch die Neurose des Kindes mitdeterminiert sind. Der 
psychogene Anteil der Erkrankung macht sich sowohl in der leichteren 



— 294 - 



Anfälligkeit wie in der Schwere und der Dauer der Erkrankung geltend 1 . 
Im allgemeinen fand ich, daß sich nach einer abgeschlossenen Kinderana- 
lyse insbesondere die Erkältungskrankheiten wesentlich vermindern. In 
einigen Fällen wurde durch die Analyse die Anfälligkeit fast ganz behoben. 
Wir kennen den innigen Zusammenhang zwischen der Neurose und 
der Charakterbildung und wissen, daß in manchen Erwachsenen analysen 
auch weitgehende Charakterveränderungen Zustandekommen. Die Analyse 
des größeren Kindes bewirkt fast regelmäßig Charakterveränderungen. In 
Frühanalysen gelingt durch die Behebung der Neurose eine weitgehende 
Behebung der Erziehungsschwierigkeiten: Wir sehen uns da vor eine Ana- 
logie gestellt: was man beim größeren Kinde und beim Erwach- 
senen „Charakterschwierigkeiten" nennt, heißt beim 
Kleinkinde „Er zi eh un gs s ch wier igke i t en". Auffallend ist bei 
dieser Analogie, daß man beim Charakter doch in erster Linie an die 
Person selbst denkt — auch wenn sie damit auf ihre Umgebung störend 
wirkt — , bei Erziehungsschwierigkeiten aber in erster Linie an die Schwierig- 
keiten, die der Erzieher hat. Man übersieht hiebei vielfach, daß diese 
Schwierigkeiten beim Kinde der Ausdruck bedeutungsvoller Entwicklungs- 
vorgänge sind, die mit dem Abklingen des Ödipuskomplexes ihren Abschluß 
finden. Es sind also die Auswirkungen des werdenden und schon gewordenen 
Charakters und die Grundlagen der späteren Neurose und aller Fehlent- 
wicklungen, die sich unter anderem auch in übermäßigen Erziehungs- 
schwierigkeiten dokumentieren und wohl richtiger Charakterschwierigkeiten 
und neurotische Erscheinungen genannt werden sollten. 

Die Folgerung, die sich aus meinen bisherigen Ausführungen ziehen läßt, 
wäre: Die Schwierigkeiten, die in der Entwicklung keines Kindes fehlen, 
sind als neurotisch zu betrachten, es geht also jedes Kind durch eine — nur 
quantitativ verschiedene — Neurose 2 . Wir haben als das wirksamste Mittel 
zur Behebung der Neurose des Erwachsenen die Psychoanalyse kennen- 
gelernt. Es erscheint nur folgerichtig, uns ihrer auch zur Behebung der 
Neurose des Kindes, und zwar, da jedes Kind durch eine Neurose geht, 
auch zur Neurose jedes Kindes zu bedienen. 



1) Ich habe zum Beispiel in einigen Fällen von Keuchhusten, bei denen ich die 
infolge der Erkrankung unterbrochene Behandlung bald wieder aufnahm, festgestellt, 
daß die Hustenanfälle in der ersten Woche sich verstärkten, sich dann bald sehr 
stark verminderten und daß die Krankheit einen sehr viel schnelleren Abschluß fand, 
als es im allgemeinen der Fall ist. In diesen Fällen löste jeder Hustenanfall infolge 
der unbewußten Bedeutung des krankhaften Vorganges schwere Angst aus. Diese 
Angst erhöhte aber wieder sehr wesentlich den Hustenreiz. 

2) Diese von mir seit einer Reihe von Jahren vertretene Auffassung hat in der 
Zwischenzeit eine gewichtige Stütze gefunden. In der „Laienanalyse" sagt Freud: 
„Seitdem wir schärfer zu sehen verstehen, sind wir versucht zu sagen, die Kinder- 
neurose sei nicht die Ausnahme, sondern die Regel, als ob sie sich auf dem Wege 
von der infantilen Anlage bis zur gesellschaftlichen Kultur kaum vermeiden ließe." 
Ges. Schriften, Bd. XI, S. 543. 



295 - 



Zur Zeit wird es infolge äußerer Umstände wohl nur in vereinzelten 
Fällen möglich sein, die neurotischen Schwierigkeiten des normalen Kindes 
einer psychoanalytischen Behandlung zu unterziehen. Es erscheint deshalb 
für die Indikationsstellung wichtig, klarzustellen, welche Anzeichen für 
eine schwere Neurose des Kindes sprechen, eine Neurose also, die jeden 
Zweifel an größeren Schwierigkeiten auch für die Zukunft ausschließt. 

Ich gehe hier nicht weiter auf die Fälle ein, in denen infolge des Aus- 
maßes und des Charakters der Symptome die Schwere der infantilen Neu- 
rose unverkennbar ist, sondern möchte einige Fälle besprechen, in denen 
sie leicht unerkannt bleibt, weil die für die Neurose des Kindes spezifischen 
Kriterien nicht entsprechend eingeschätzt werden. In der Tatsache, daß 
die Äußerungsformen der kindlichen Neurose sich in vielen 
Punkten so wesentlich von den Symptomen des Erwachsenen 
u n t er s c h e i den, sehe ich auch die Erklärung dafür, daß die Neurose 
des Kindes so viel weniger Beachtung fand als die des Erwachsenen. Wir 
wußten freilich, daß der Neurose des Erwachsenen immer eine infantile 
Neurose zugrunde liegt, aber die daraus sich ergebende praktische Folge- 
rung, daß demzufolge auch beim Kinde zumindest sehr häufig eine Neu- 
rose vorliegen müßte, wurde lange Zeit nicht gezogen, obwohl doch beim 
Kinde selbst genug Anhaltspunkte dafür vorlagen. Der Vergleich mit der 
Neurose des Erwachsenen kann nicht als Maßstab dienen, denn es ist 
keineswegs jenes Kind weniger neurotisch, das dem nichtneurotischen Er- 
wachsenen am meisten angenähert ist. So wäre zum Beispiel ein Kind in 
der ersten Kindheitsperiode, das allen Forderungen der Erziehung nach- 
kommt, sich nicht von einem Phantasie- und Triebleben beherrschen läßt 
(sich also anscheinend seiner Realität völlig anpaßt) und außerdem geringe 
Angstentbindung aufweist, sicherlich nicht nur ein altkluges und reizloses, 
sondern auch ein im vollen Sinne des Wortes nichtnormales Kind. Wenn 
dieses Bild noch durch eine weitgehende Phantasieverdrängung ergänzt 
wird (die eine Voraussetzung für eine derartige Entwicklung ist), liegt An- 
laß vor, der Zukunft mit Besorgnis entgegenzusehen. Ein Kind, bei dem 
eine derartige Entwicklung vorliegt, hat nicht eine quantitativ 
geringere, sondern eine symptomlose Neurose, und wir 
wissen aus den Analysen Erwachsener, daß diese im allgemeinen zu den 
schweren Neurosen gehören. Wir müssen erwarten, von den schweren 
Kämpfen und Krisen, durch die das Kind in den ersten Lebensjahren hin- 
durchgeht, auch deutliche Anzeichen zu sehen. Diese Anzeichen unter- 
scheiden sich aber vielfach von den Symptomen des neurotischen Erwach- 
senen. Normalerweise zeigt das Kind — bis zu einem gewissen Grade 
seine Ambivalenz, gibt seinen Affekten Ausdruck, die Abhängigkeit von 
seinen Triebregungen und Phantasien wirkt erkennbar, ebenso auch die 
Wirksamkeit des Über-Ichs. Es wird auch der Anpassung an die Realität, 
also auch der Erziehung Schwierigkeiten bereiten und durchaus nicht 
immer ein „bequemes Kind sein. 

— 296 — 



Liegen andrerseits bei einem Kinde zu große Schwierigkeiten 
in der Anpassung an die Realität vor, zeigt sich die Angst und die 
Ambivalenz in zu starkem Grade, kurz, sind die Schwierigkeiten, 
die das Kind seiner Umgebung bereitet und unter denen es selbst leidet 
zu groß, so ist ein solches Kind schwer neurotisch. Allerdings wird diese 
Neurose häufig weniger schwer sein als die jener Kinder, die schon früh 
unter dem Druck einer so übermäßigen Affektverdrängung stehen, daß die 
Affekte und auch die Angst kaum mehr hervortreten. Was aber das weni- 
ger neurotische vom schwerer neurotischen Kinde unterscheidet, ist neben 
dem quantitativen Unterschied vor allem auch die Art und Weise, wie es 
mit seinen Schwierigkeiten fertig wird. 

Die früher besprochenen Kriterien haben sich mir als gute Anhalts- 
punkte erwiesen, um die häufig undurchsichtigen Wege der Angstver- 
arbeitung und die grundlegende Einstellung, die das Kind entwickelt hat, 
zu erkennen. Zum Beispiel läßt sich annehmen, daß bei einem Kinde, das 
ungern Schaustellungen sieht (Theater, Kino u. dg].), das keine Fragelust 
zeigt und auch spielgehemmt ist (oder nur bestimmte phantasielose Spiele 
spielt), auch wenn es sich sonst gut anpaßt und keine auffallenden Schwie- 
rigkeiten zeigt, doch starke Störungen des Wißtriebes und eine weitgehende 
Phantasieverdrängung vorliegen. In diesen Fällen erfolgt die Befriedigung 
des Wißtriebes auch später meist nur mehr auf ausgesprochen zwangs- 
neurotische Art. Häufig treten dann im Zusammenhang damit auch andere 
neurotische Störungen auf. 

Bei manchen Kindern wird schon sehr früh ihre ursprüngliche Unfähig- 
keit, Versagungen zu ertragen, durch eine weitgehende Anpassung an die 
Forderung der Erziehung verdeckt. Sie werden sehr früh „brave, einsichtige" 
Kinder. Gerade bei diesen Kindern aber ist häufig die von mir hervor- 
gehobene Gleichgültigkeit Geschenken gegenüber usw. zu beobachten. Liegt 
dabei noch eine weitgehende Spielhemmung und eine übermäßige Fixierung 
an die Objekte vor, so besteht eine starke Anwartschaft auf die spätere 
Neurose. Diese Kinder haben eine pessimistische Verzichteinstellung ent- 
wickelt. Ihr Hauptbestreben geht dahin, sich der Angst und des Schuld- 
gefühls um jeden Preis — auch um den der Verzichtleistung auf Trieb- 
befriedigung und Freude — zu erwehren. Hand in Hand damit geht eine 
verstärkte Abhängigkeit von den Objekten, da die Beziehung zur Außenwelt 
Schutz und Rückhalt gegen Angst und Schuldgefühl bieten soll 1 . Augen- 
fälliger, obwohl auch nicht nach ihrer vollen Bedeutung eingeschätzt, sind 
die Schwierigkeiten jener Kinder, deren Unersättlichkeit nach Geschenken 
mit der Unfähigkeit, die von der Erziehung geforderten Versagungen zu 
ertragen, einhergeht. 

Man kann mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß in den hier 
angeführten typischen Fällen die Aussicht auf eine wirklich gelungene 

. 1) Siehe M. N. S earl: Flucht in die Realität. Int. Ztschr. f. PsA., Bd. XV, 1929. 



- 297 - 






Stabilität für die Zukunft ungünstig ist. In diesen Fällen verrät im allge- 
meinen auch der Gesamteindruck (Gang, Blick, Bewegungen, Sprache) 
die nicht geglückte innere Anpassung. Allerdings läßt sich erst in der 
Analyse feststellen, wie schwer die vorhandenen Störungen sind. Ich habe 
wiederholt hervorgehoben, daß eine Psychose oder psychotische 
Züge beim Kinde oft erst nach einem größeren Teil der Analyse fest- 
stellbar sind. Das liegt daran, daß auch die Psychose im Kindesalter in 
ihren Äußerungsformen von der des Erwachsenen vielfach ab- 
weicht, ebenso wie dies bei der infantilen Neurose im Vergleich zu der 
des Erwachsenen der Fall ist. In einigen von mir analysierten Fällen, in 
denen die Neurose schon im frühen Kindesalter den gleichen Charakter 
wie die schwere Zwangsneurose der Erwachsenen aufwies, ergab die Ana- 
lyse das Vorhandensein starker paranoider Züge . 

Ich gehe nun darauf ein, wie sich eine bessere innere Anpassung beim 
Kinde äußert. Eine günstige Prognose scheint begründet, wenn ein 
Kind gern und mit Phantasieentfaltung spielt und zugleich auch (was sich 
aus bestimmten Anzeichen erkennen läßt) eine genügende Anpassung an 
die Realität und wirklich gute — nicht überzärtliche — Beziehungen zu 
den Objekten besitzt. Ein anderes günstiges Anzeichen ist in Verbindung 
damit die relativ ungestörte Entwicklung des Wißtriebes, der sich frei nach 
vielfachen Richtungen äußert, ohne so zwanghaft und intensiv aufzutreten, 
wie es für die Zwangsneurose charakteristisch ist. Ich halte auch beim 
kleinen Kinde ein gewisses Hervortreten von Affekten und Angst für die 
Voraussetzung einer günstigen Entwicklung. Diese und andere Anhalts- 
punkte für eine günstige Prognose besitzen aber nur einen relativen Wert. 
Sie bieten keineswegs eine Gewähr für die Zukunft, da es ja häufig von 
der schlechteren oder besseren Realität (also einem Faktor, der sich nicht 
voraussehen läßt) abhängt, ob die Neurose des Kindes im Erwachsenen- 
alter wieder auftritt oder nicht. 

Ferner scheint es, daß wir über die Struktur der Normalität und über 
die unbewußten Schwierigkeiten des normalen Erwachsenen, der bisher so 
viel weniger Objekt der analytischen Forschung war als der Neurotiker, 
nicht viel wissen. Die Analysen normaler Kinder verschiedener 
Altersstufen erwiesen mir, daß auch bei normalen Reaktionen des Ichs 
große Angstquantitäten, schwere unbewußte Schuldgefühle, tiefe Depres- 
sionen vorliegen, und daß in einzelnen Fällen nur die aktivere, hoffnungs- 
| vollere Verarbeitung der Schwierigkeiten das normale Kind vom neuroti- 
schen unterscheidet. Die in diesen Fällen erzielten Resultate beweisen den 
Nutzen der Psychoanalyse auch für das weniger neurotische Kind . 

Die Annahme scheint begründet, daß die Verminderung von Angst und 
Schuldgefühlen und grundlegende Veränderungen der Sexualität nicht nur 

1) Ich verweise zum Beispiel auf die Analysen Ernas (Kap. III) und Egons 
(Kap. IV) meines Buches „Die Psychoanalyse des Kindes". 

2) Ich verweise auf die Fälle von Ludwig (Kap. V) und Inge (Kap. IV) ebendort. 

- 298 - 



beim neurotischen, sondern auch beim normalen Kinde die Zukunft wesent- 
lich beeinflussen müssen 1 . 

Es wäre nun noch zu erörtern wann eine Kinderanalyse als beendet 
zu betrachten ist. Beim Erwachsenen erkennen wir dies unter anderem daran 
daß der Patient arbeits- und liebesfähig geworden ist, sich in den gegebenen 
Lebensumständen bewährt und den nötigen Entschließungen gewachsen ist. 
Wenn wir uns vergegenwärtigen, wodurch der Erwachsene scheitert, und 
die korrespondierenden Erscheinungen beim Kinde genügend einschätzen, so 
gewinnen wir einen verläßlichen Maßstab für die Beendigung der Analyse. 

Der Erwachsene scheitert an der Neurose, an Charakterdefek- 
ten, an Störungen der Sublimierungsfähigkeit und der 
Sexualität. 

Die infantile Neurose ist, wie ich nachzuweisen versuchte, an 
verschiedenen kleinen, aber charakteristischen Anzeichen erkennbar, ihre 
Heilung ist die beste Prophylaxe für die Neurose des Erwachsenen. 

Den zukünftigen Charakterschwierigkeiten beugen wir durch 
die Behebung der kindlichen Charakterschwierigkeisen vor. 

Das Spiel, mit dessen Hilfe wir so tief in das Seelenleben des Kindes 
eindringen, gibt uns auch verläßliche Anhaltspunkte dafür, wann die Ana- 
lyse des Kindes im Hinblick auf die zukünftige Sublimierungs- 
fähigkeit als beendet zu betrachten ist. Die Spielhemmung des kleinen 
Kindes muß weitgehend behoben sein 2 , wenn eine Analyse als zu Ende 
geführt gelten soll. Damit meine ich, daß die der Altersstufe entsprechen- 
den Spielinteressen sich vertieft und an Stetigkeit sowie an Ausbreitung 
nach verschiedenen Richtungen hin gewonnen haben. Wenn wir beim 
Kinde von einem einzigen zwanghaften Spielinteresse ausgehen und durch 
die analytische Arbeit ein immer reicheres Hervortreten von Spielinteressen 
erzielen, so entspricht dieser Vorgang der durch die Analyse beim Er- 
wachsenen angebahnten Interessenerweiterung und größeren Sublimierungs- 
fähigkeit. Auf diese Weise gewinnen wir durch das Verständnis für das 
Kinderspiel einen Maßstab für die Sublimierungsfähigkeit des Erwachsenen 
und können auch einschätzen, wann wir der zukünftigen Lern- und Be- 
rufshemmung durch die Analyse des Kindes genügend vorgebaut haben. 

Die Entwicklung der Spielinteressen, ihre qualitative und quantitative Ver- 
änderung gestattet auch verläßliche Schlüsse auf die zukünftige Sexualität. 

Ich möchte dies am Verlauf der Analyse eines Knaben und eines Mäd- 
chens veranschaulichen. Der fünfjährige Kurt beschäftigte sich zu Beginn 
der Behandlung, wie die meisten Knaben, zunächst mit den kleinen Autos 

1) Diese Annahme stützt sich aber auch auf die Tatsache, daß in einer Reihe von 
mir behandelter Fälle der Übergang in das nächsthöhere Entwicklungsstadium — in 
einigen Fällen auch der so ausschlaggebende Übergang in das Pubertätsalter und aus 
diesem in das Erwachsenenalter — sich günstig vollzogen hat. 

2) Entsprechend muß heim größeren Kinde die Lernhemmung und die Hemmung 
in Bewegungsspielen weitgehend behoben sein. 



- 209 - 



und Zügen. Er griff diese aus den Spielsachen heraus und nahm einige 
Spielhandlungen mit ihnen vor. Er verglich sie untereinander auf ihre 
Größe und Leistungsfähigkeit, ließ sie nach einem bestimmten Ziele fahren 
und drückte damit — auf eine nach meinen Erfahrungen typische Art — 
symbolisch den Vergleich seines Penis, seiner Potenz und Persönlichkeit 
mit denen des Vaters und der Brüder aus. Diese Darstellungen ließen nun 
— könnte man annehmen — auf die normale, aktive, heterosexuelle Ein- 
stellung des Knaben schließen. Dem widersprach aber sein ganzes ausge- 
sprochen ängstliches, nicht knabenhaftes Wesen 1 . Der Fortgang der Analyse 
bestätigte die Richtigkeit dieses allgemeinen Eindruckes. Seine Spielhand- 
lungen, die die Rivalität mit dem Vater um den Besitz der Mutter dar- 
stellten, kamen nämlich sehr bald zum Abbruch, da schwere Angst ein- 
setzte. Es ergab sich, daß Kurt eine vorwiegend passiv-homosexuelle Ein- 
stellung entwickelt hatte, aber auch diese aus Angst nicht zu halten ver- 
mochte, sich deshalb von der Realität abwendete und in phantastischen 
Größenphantasien Zuflucht suchte. Auf dieser realitätsfremden Basis konnte 
er vor sich selbst und anderen einen Teil der erhalten gebliebenen Akti- 
vität und Männlichkeit in den Vordergrund schieben und überbetonen. 

Es läßt sich immer wieder beobachten, daß das Kinderspiel ebenso 
wie der Traum eine Fassade zeigt, und daß wir den latenten 
Spielinhalt analog dem latenten Trauminhalt nur durch eingehende 
Analyse erforschen können. Da aber das Kinderspiel infolge seiner (im 
Vergleich zum Traume) stärkeren Beziehung zur Realität und der über- 
ragenden Rolle, die es als vornehmster Ausdruck des kindlichen Seelen- 
lebens spielt, häufig einer stärkeren sekundären Bearbeitung unterliegt als 
der Traum, so können wir die verschiedenen Strömungen des Seelenlebens 
nur schrittweise durch die Veränderungen des Spieles kennenlernen. 

Wir wissen schon, daß die aktive Einstellung, die Kurt in den ersten 
Spielhandlungen ausdrückte, zum großen Teil nur vorgeschoben war und 
in der Analyse bald durch schwere Angst unterbrochen wurde. Damit 
war auch schon die Analyse der passiv-homosexuellen Einstellung einge- 
leitet, aber erst nach einer längeren Strecke der (insgesamt etwa vierhundert- 
undfünfzig Behandlungsstunden umfassenden) Analyse war die Angst, die 
der passiv-homosexuellen Position entgegenwirkte, teilweise abgebaut. Nun 
erwiesen sich die Spieltiere, die anfangs phantastische Helfer im Kampfe 
gegen den Vater darstellten, als Kinder, und die passive feminine Einstel- 
lung und der Kindeswunsch fanden deutlicheren Ausdruck 2 . Die über- 

1) Kurts passive Einstellung war durch folgenden Umstand verstärkt worden: Er 
war der Jüngste aus einer Reihe viel älterer Brüder. Er war demzufolge in mancher 
Beziehung in der Situation eines einzigen Kindes und litt außerdem sehr unter dem 
Vergleich mit den aktiven älteren Brüdern. Er empfand deren Überlegenheit um so 
drückender, als sie sie ihm oft stark zu fühlen gaben. 

2) In meiner Arbeit „Frühstadien des Ödipuskonfliktes" (Int. Ztschr. f. PsA., Bd. XIV, 
1928) bin ich auf die frühesten Grundlagen der weiblichen Position des Knaben ein- 
gegangen. Ich habe mich dort bemüht nachzuweisen, daß der Weiblichkeitskomplex 



— 300 — 



mäßige Angst vor beiden Elternteilen hatte die Beibehaltung sowohl der 
weiblichen als auch der heterosexuellen Position behindert 1 . 

Die Analyse der Angst vor der „Mutter mit dem Penis" und der über- 
mäßigen Angst vor dem Vater führten dazu, daß die aktive heterosexuelle 
Einstellung stärker hervortrat. Kurt vermochte nun auch die Rivalität mit 
dem Vater im Spiele anhaltender zum Ausdruck zu bringen. Die Spiel- 
handlungen, die Kurt zu Beginn der Analyse vorgenommen hatte, traten 
nun wieder in den Vordergrund, wurden aber stetiger und mit voller 
Phantasieentfaltung durchgeführt. Zum Beispiel verwendete Kurt große 
Sorgfalt darauf, die Garage, in der die Wagen untergebracht waren, aus- 
zubauen, und war unermüdlich in der Erfindung immer neuer Einzel- 
heiten, die zu deren Vervollkommnung dienten, oder er stellte verschiedene 
Arten von Dörfern oder Städten zusammen, wohin die (die Rivalität mit 
dem Vater um die Mutter ausdrückende) Fahrt der verschiedenen Wagen 
ging. In dieser Freude und Sorgfalt am Herstellen des Dorfes, der Stadt, der 
Garage kam Kurts Wunsch, die in der Phantasie angegriffene Mutter wieder- 
herzustellen, zum Ausdruck. Damit aber ging in der Realität ein vollständig 
verändertes Verhältnis zur Mutter einher. Nun setzte zugleich mit der Ver- 
minderung der Schuldgefühle und der Angst eine größere Fähigkeit zu 
reaktiven Tendenzen und eine veränderte, ausgesprochen zärtliche Beziehung 
zur Mutter ein. 

Das schrittweise Erstarken der heterosexuellen Ten- 
denzen zeigte sich in zahlreichen Veränderungen des Spiels. 
Zunächst ließ sich aus den Einzelheiten des Spiels erkennen, daß die 
prägenitalen Fixierungen auch in der heterosexuellen Beziehung noch vor- 
herrschten oder vielmehr immer wieder die genitalen ablösten. Zum Bei- 
spiel bedeutete die Ladung, die der Zug in die Stadt beförderte oder die 
der Wagen beim Hause ablud, häufig die Exkremente. Diese Ladung wurde 
dann beim rückwärtigen Eingang des Hauses abgeladen. Die Tatsache, daß 
diese Spielhandlungen einen gewaltsamen analen Koitus mit der Mutter 
darstellten, ging unter anderem auch daraus hervor, daß wiederholt beim 
Ausladen der Kohle der Garten oder das Haus beschädigt wurden, die 
„Leute im Hause böse" wurden und das Spiel aus Angst bald abgebrochen 
wurde. Das Befördern von Ladungen verschiedener Art füllte mit wechseln- 
den Einzelheiten einen Abschnitt von Kurts Analyse aus 2 . Es waren mit- 
unter Wagen, die vom Markte Ware holten oder sie zuführten, mitunter 
waren es Leute, die mit ihren Habseligkeiten auf eine weite Reise gingen, 

beim Knaben sehr früh verarbeitet und vom Kastrationskomplex, zu dem er Zuschüsse 
liefert, verdeckt wird. Daran liegt es auch, daß der Knabe häufig die seiner weib- 
lichen Komponente entsprechenden Ziele (z. B. mit Puppen) bald wieder aufgibt und 
zu Spielen übergeht, die oft die Männlichkeit üherstark betonen. 

1) Auch in diesem Falle erwies sich die dem Koitus der Eltern geltende Aggression 
als die tiefste Grundlage seiner Angst. Die „Frau mit dem Penis" bedeutete auch 
bei Kurt die Mutter, die sich den Penis des Vaters einverleibt hat. 

2) Dies ist auch im allgemeinen ein typisches Spiel. 



Zeitschrift f. psa. Päd., VI/7/8 



— 301 - 



21 



wobei dieser weitere Verlauf der Spielassoziationen ergab, daß es sich um 
eine Flucht handelte, und daß die Habseligkeiten gestohlen, geraubt (dem 
Mutterleib entnommen) waren. Der Wechsel der Einzelheiten war sehr auf- 
schlußreich. Die Vorherrschaft der analsadistischen Phantasien drückte sich 
darin aus, daß der Hintereingang zur Zufuhr benutzt wurde. Zu einem 
etwas späteren Zeitpunkt war die gleiche Spielhandlung dadurch bestimmt, 
daß der Vordereingang gemieden werden sollte 1 . Die mit dem Vorgarten 
(das weibliche Genitale) verbundenen Assoziationen zeigten, daß die Fixierung 
an den Anus durch die Ablehnung des weiblichen Genitales verstärkt war. 
Diese Ablehnung beruhte auf der vielfach determinierten Angst vor dem 
weiblichen Genitale. Ein bedeutungsvoller Faktor für diese Angst waren 
die Phantasien, beim Koitus mit der Mutter dem Penis des Vaters zu be- 
gegnen. 

Diese Angst, die häufig hemmend wirkt, kann aber auch ein Stimulans 
für die Entwicklung bestimmter sexueller Phantasien bilden. Das 
Streben, die heterosexuellen Antriebe beizubehalten, dem die Angst und 
Flucht vordem väterlichen Penis entgegenwirkt, führt auch zu Besonder- 
heiten des Sexuallebens beim Erwachsenen. Eine typische Knaben- 
phantasie zum Beispiel, die auch bei Kurt vorlag, hat zum Inhalt, den 
Koitus mit der Mutter gemeinsam oder abwechselnd mit dem Vater aus- 
zuführen, wobei genitale und prägenitale oder auch nur vorwiegend genitale 
Phantasien wirksam sind. Zum Beispiel: zwei Männchen gingen oder zwei 
Waffen fuhren bei der einen Seite des Gebäudes oder des Tores ein, das 
den Mutterleib bedeutete. Ein anderer Eingang stellte den Anus dar. Die 
zwei Männchen, die den Vordereingang benutzten, einigten sich in Kurts 
Spielen manchmal darauf, gleichzeitig oder abwechselnd einzutreten, oder 
sie überwältigten und überlisteten einander. Im Kampfe war es dann der 
kleinere (Kurt), der während des Spiels sich in einen Biesen verwandelt 
hatte, der den Sieg davontrug und den anderen (Vater) beseitigte. Bald 
nachher setzte die Angstreaktion auf diese Phantasie ein. Es kam zu einer 
Flucht auf verschiedenen Wegen. Das eine Männchen (Kurt) benutzte nun 
den Hintereingang und überließ der Vaterfigur den vorderen. Dieses Bei- 
spiel zeigt, wie sehr die Kastrationsangst die Befestigung der genitalen Stufe 
erschwert und die Fixierung, vielmehr Begression an die prägenitalen Stufen 
verstärkt. Nicht immer kommt es gleich zur Begression auf die prägenitalen 
Stufen. Es ergibt sich eben bei geringerer Angst außer den schon ange- 
führten Phantasien auch noch die Möglichkeit zu zahlreichen anderen 
Varianten auf der genitalen Stufe selbst. Was wir hier als Spielphantasien 



Ich greife bei dieser Beschreibung nur die eine oder andere Spielphantasie 
heraus, um an deren Entwicklung die Entwicklung der Spielphantasien im allgemeinen 
zu illustrieren. In der Analyse war das hier mitgeteilte Material durch eine Fülle 
von Darstellungen verschiedener Art gestützt. So zum Beispiel nahmen auch die 
Wagen, die in die Stadt Ware beförderten, einen Weg, der die Bedeutung des Anus 
durch verschiedene Einzelheiten erwies. 

- 302 - 



beim Kinde kennenlernen, tritt uns später als Liebesbedingungen beim 
Manne entgegen. Die Phantasie zum Beispiel, in der zwei Männchen bei 
verschiedenen Seiten des Gebäudes eintreten oder den gleichen Eingang 
benützen — gleichzeitig oder abwechselnd, durch Kampf oder gütliches 
Übereinkommen — , zeigen Möglichkeiten, die wir im „Verhältnis zu dritt" 
verwirklicht finden, wie zum Beispiel in der Situation des „geschädigten 
Dritten", oder in der Rolle des „Hausfreundes", der den Gatten überlistet 
oder bekämpft u. dgl. Die Angst kann aber auch bewirken, daß die Häufig- 
keit dieses den Koitus darstellenden Spielvorganges herabgesetzt wird, was 
sich später in der verminderten oder gestörten Potenz des Erwachsenen aus- 
drückt. Inwieweit die sexuellen Phantasien des Kindes sich im späteren 
Erleben des Mannes durchsetzen, hängt auch von anderen Entwicklungs- 
momenten, insbesondere den Einflüssen der Realität, ab. Die Grundlagen 
der Liebesbedingungen des Mannes sehen wir aber in allen Stücken in den 
Spielphantasien des Knaben vorgezeichnet. Aus der Entwicklung dieser 
Phantasien zeigt sich, daß in dem Maße, in dem die Sexualität zur genitalen 
Stufe fortschreitet, auch die Sublimierungsfähigkeit sich entwickelt. Kurt 
richtet zum Beispiel ein Haus zum Alleinbesitz ein: es bedeutet die Mutter, 
die er allein besitzen will. Zugleich kann er sich nicht genug tun darin, 
das Haus recht schön zu bauen und auszugestalten. 

In diesen Spielphantasien zeigt sich auch schon die Vorbereitung 
für die spätere Ablösung von den Liebesobjekten. Ein anderer 
kleiner Patient zum Beispiel stellte den Matterleib durch angebliche Land- 
karten dar. Zuerst wünschte er einen immer größeren Bogen, um die Land- 
karten möglichst groß anzufertigen, und ging dann nach einer das 
Spiel unterbrechenden Angstreaktion zu Darstellungen des Gegenteiles, näm- 
lich ganz kleiner Landkarten, über. Dieser Versuch, durch die Kleinheit 
des Objektes die Unterscheidung und Ablösung von dem ursprünglichen 
großen Objekt (der Mutter) darzustellen, mißlang. Die Karten wurden 
immer größer und erreichten zum Schluß doch wieder die Größe der ur- 
sprünglichen Darstellungen, worauf das Zeichnen — wieder aus Angst — 
abgebrochen wurde. Das gleiche brachte dieser Knabe auch an ausgeschnitte- 
nen Puppen zum Ausdruck, wobei die kleine Puppe, die er schließlich 
dann doch wieder für die große wegwarf, sich als Darstellung seiner kleinen 
Freundin erwies, die als Liebesobjekt die Mutter ablösen sollte. Wir sehen 
also, daß die späteren Ablösungsmöglichkeiten im Pubertätsalter sich in 
der Frühzeit vorbereiteten, und können feststellen, daß auch für diese Ab- 
lösungsmöglichkeiten die Analyse des kleinen Kindes Wesentliches leistet. 

Je weiter die Analyse fortschreitet, um so mehr ist der Knabe imstande, 
heterosexuelle Phantasien, in denen der Kampf mit dem Vater um die 
Mutter gewagt wird, in Spiel und Sublimierungen durchzuführen. Die 
prägenitalen Fixierungen treten zurück, der Kampf selbst zeigt einen wesent- 
lich veränderten Charakter. Der Sadismus ist vermindert, wodurch der 
Kampf erleichtert wird, da er weniger Angst und Schuldgefühle auslöst. 



- 303 - 



21" 



Die größere Fähigkeit, solche Phantasien im Spiele 
ruhig und stetig durchzuführen und auch die Realität 
besser in das Spiel einzubeziehen, bildet somit in der Kinder- 
analyse einen Maßstab dafür, daß eine Grundlage für die spätere 
Potenz erreicht wurde. Diese Änderungen im Charakter der Phantasien 
und des Spieles gehen immer auch mit sonstigen wichtigen Veränderungen 
im ganzen Wesen und Verhalten des Kindes einher. Es ist dann auch 
aktiver und freier geworden. Dies drückt sich in der Behebung zahlreicher 
Hemmungen und in der veränderten Einstellung zur näheren und weiteren 
Umwelt aus. 

Ich will nun die Entwicklung der Spielphantasien im Verlauf der Analyse 
am Beispiel eines Mädchens beschreiben. 

Die zu Beginn der Analyse zweiunddreiviertelj ährige Rita war schwer 
spielgehemmt. Das einzige Spiel, das sie — wenn auch unlustig und unter 
deutlichen Hemmungen — spielte, war die Beschäftigung mit ihrer Puppe 
uud ihren Spieltieren. Dieses Spiel hatte ausgesprochen zwangsneurotischen 
Charakter. Es bestand fast ausschließlich im zwangsmäßigen Säubern und 
immer wieder erneuten Umkleiden der Puppe. Sobald irgendwelche Phantasie- 
tätigkeit im Zusammenhang mit diesen Verrichtungen — also ein Spiel 
im eigentlichen Sinne des Wortes — einsetzte, kam es zu heftiger Angst- 
entbindung und zum Abbruch des Spiels 1 . Die Analyse ergab, daß die 
weibliche und mütterliche Einstellung bei Rita sehr schwach entwickelt 
war, und daß dieses Puppenspiel nur zum geringen Teil ein mütterliches 
Spiel war, sondern vorwiegend eine Identifizierung mit der Puppe aus- 
drückte. Ihre intensive Angst, schmutzig, innerlich zerstört und schlecht 
zu sein, trieb sie dazu, die Puppe, die dabei ihre eigene Person vertrat, 

1) Zu dieser Zeit bestand eine ausgesprochene Zwangsneurose mit Zwangszeremo- 
niellen, Schwankungen zwischen „Überbravheit" mit Reue und unbeherrschter „Schlimm- 
heit", "Verstimmungen, die alle Merkmale der melancholischen Depression aufwiesen, 
starke Angst, eine weitgehende Spielhemmimg, vollkommene Unfähigkeit Versagun- 
gen irgendwelcher Art zu ertragen, übermäßige Wehleidigkeit: Schwierigkeiten, die 
das Kind fast unerziehbar machten. 

Die Analyse umfaßte dreiundachtzig Behandlungsstunden. Sie wurde wegen Über- 
siedlung der Eltern ins Ausland nicht beendigt. Sie hat in den wesentlichen Punkten 
zu einem günstigen Resultat geführt. Die Angst wurde vermindert, die Zwangs- 
zeremonielle behoben, die Depressionserscheinungen und damit auch die Unfähigkeit, 
Versagungen zu ertragen, wesentlich herabgesetzt. Mit der durch die Analyse erzielten 
Verminderung der Ambivalenz der Mutter gegenüber und einem wesentlich verbesserten 
Verhältnis zu Vater \ind Bruder ergab sich auch zugleich die Herabsetzung der Er- 
ziehungsschwierigkeiten auf ein normales Maß. Ich hatte Gelegenheit, mehrere Jahre 
nach Abschluß der Analyse mich persönlich von der Haltbarkeit des Resultates zu 
überzeugen. Rita hatte den Übergang ins Latenzalter gut vollzogen und sich sowohl 
intellektuell wie charakterlich zufriedenstellend entwickelt. Trotzdem gewann ich bei 
diesem Wiedersehen den Eindruck, daß ein weiteres Stück Analyse erforderlich gewesen 
wäre, da der Anteil der zwangsneurotischen Disposition in Ritas Charakterbildung und 

- 304 — 






immer wieder umzukleiden und zu säubern. Erst nach einer teilweisen 
Analyse des Kastrationskomplexes zeigt sich, daß ihre tiefste Angst (die 
Angst, durch die Mutter der Kinder beraubt zu werden) schon zu Beginn 
der Anah/se im zwangsneurotischen Puppenspiel zum Ausdruck gekommen 
war. Zur Zeit als der Kastrationskomplex im Vordergrunde stand, stellte 
der Spielbär den Penis dar, den Rita dem Vater geraubt hatte 1 und mit 
dessen Hilfe sie den Vater zu verdrängen und die Liebe der Mutter zu 
erwerben suchte. Die Angst setzte in diesem Analysenabschnitt im Anschluß 
an derartige Männlichkeitsphantasien ein. Erst nachdem die tief erliegende, 
mit der weiblichen und mütterlichen Position verbundene Angst der Ana- 
lyse unterzogen worden war, zeigte sich eine völlig veränderte — wirklich 
mütterliche — Einstellung zum Spielbären und zur Puppe. Indem Rita 
den Bären herzte und küßte und mit mütterlichen Liebesworten be- 
dachte, sagte sie: „Ich bin nun gar nicht mehr traurig", weil ich doch 
nun ein so liebes Kindchen habe." Die nun erreichte Vorherrschaft 
der genitalen Stufe, der heterosexuellen und mütterlichen Einstellung 
äußerte sich auf mannigfaltige Weise und kam auch in einer ver- 
änderten Einstellung zu den Objekten zum Ausdruck. Die vorher deut- 
liche Abwendung vom Vater hatte einem zärtlichen Verhältnis zu ihm 
Platz gemacht. 

Die Tatsache, daß der Charakter und die Entwicklung der 
Spielphantasien uns über das zukünftige Sexualleben des 
Erwachsenen Aufschluß zu geben vermögen, erklärt sich daraus, daß 
es die Masturbation sp hantasien sind, die dem Kinderspiele, 
die des weiteren allen Sublimierungen zugrunde liegen. 
Wenn, wie ich es vertreten habe, die Masturbationsphantasien im Kinder- 
spiele zum Ausdruck und zur Abfuhr gelangen, leuchtet es ein, daß der 



Wesen mir unverkennbar schien. Hiezu ist zu bemerken, daß Ritas Mutter stark 
zwangsneurotisch ist und von Anfang an ein überaus ambivalentes Verhältnis zur 
Tochter hatte. Das Verhältnis der Mutter zur Tochter hat sich zwar durch die beim 
Kinde erzielten günstigen Veränderungen entschieden verbessert, bildet aher noch immer 
eine schwere Belastung für die Entwicklung des Kindes. Eine zu Ende geführte Analyse 
des Kindes mit noch weiterer Auflösung zwangsneurotischer Züge hätte zweifellos ein 
wirksameres Gegengewicht gegen die neurosenbildende Belastung durch das neurotische 
Milieu ergeben. Sieben Jahre nach Beendigung der Behandlung erfuhr ich von der 
Mutter, daß Rita sich weiter gut entwickelt. 

1) Rita spielte zum Beispiel, daß sie den Schaffner aus dem Zug entfernt habe 
und nun mit dem Bären zu einer „guten" Frau reise, wo sie bewirtet werden würde. 
Der Schaffner kam aber wieder und bedrohte sie. Hier erwies sich die Angst vor dem 
Vater, dessen Penis — den Bären — sie geraubt hatte, als ein Hindernis für die Bei- 
behaltimg der Identifizierung mit dem Vater. 

2) Rita hatte an ausgesprochenen Depressionen gelitten, bei denen sie ein außer- 
ordentliches Schuldgefühl an den Tag legte; manchmal setzte sie sich allein hin und 
weinte. Auf die Frage, warum sie weine, erwiderte sie: „weil ich so traurig bin", auf 
die Frage, warum sie traurig sei: „weil ich weine". 

- 305 - 



Charakter der Spielphantasien 1 als Maßstab für die zukünftige Sexualität 
gelten kann. Daraus ginge aber auch hervor, daß die Kinderanalyse 
nicht nur die Aufgabe zu erfüllen vermag, für die Sublimierungs- 
fähigkeit und Stabilität des Kindes, sondern auch für die 
seelische Gesundheit und die Glücksmöglichkeiten des 
Erwachsenen vorzusorgen. 

1) Hanns Sachs hat in seinem im Jahre 1925 in Berlin gehaltenen Vortrags- 
kurs „Über die Technik der Psychoanalyse" die Entwicklung der Masturbations- 
phantasien von der anal-sadistischen auf die genitale Stufe als eines der Kriterien 
angeführt, die im Falle der Analyse einer Zwangsneurose für die Beendigung der 
Behandlung sprechen. 



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| INHALT 

I. Teil: Die Technik der Kinderanalyse: Die psychologischen Grundlagen 
der Kinderanalyse — Die Technik der Frühanalyse — Die Zwangs- 
neurose eines sechsjährigen Mädchens — Die Technik der Analyse im 
Latenzalter — Die Technik der Analyse im Pubertätsalter — Die Neu- 
= rose des Kindes — Die Sexualbetätigung des Kindes 

IL Teil: Frühe Angstsituationen und ihre Auswirkung auf die Gesamtent- 
wicklung: Frühstadien des Ödipuskonfliktes und der Über-Ich-Bildung — 
Die Beziehung zwischen der Zwangsneurose und den Frühstadien der 
- Über-Ich-Bildung — Die Bedeutung früher Angstsituationen für die Ich- 

entwicklung — Die Auswirkungen früher Angstsituationen auf die weibliche 

Z Sexualentwicklung — Die Auswirkungen früher Angstsituationen auf die 

M männliche Sexualentwicklung 

1 Anhang: Wirkungsweise, Grenzen und Möglichkeiten der Kinderanalyse. 

Literaturverzeichnis / Autorenregister / Sachregister 



illlllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllll IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIlllllllllllllllKllilllllW 

- 306 — 



Aus Kinderanalysen 

Von Dr. Melitta Schmideberg, Berlin 

I) Nägelbeißen 

Fast bei jedem Kind zeigen sich neurotische Symptome. In manchen Fällen 
bleiben diese bis in das Erwachsenenalter bestehen, in anderen Fällen schwinden 
sie im Laufe der Entwicklung scheinbar spurlos. Wie kommt dieses Schwinden 
von neurotischen Symptomen zustande? Am häufigsten ist wohl, daß an Stelle 
des alten Symptoms ein anderes — scheinbar ganz verschiedenes — auftritt, 
dieser Zusammenhang aber ohne Analyse meist nicht erkannt wird. Ein kleines 
Mädchen konnte bis zu fünf Jahren den Stuhlgang nicht beherrschen; mit sechs 
Jahren fing sie an pathologisch zu lügen. Die Analyse ergab, daß im Sich- 
beschmutzen und im Lügen die gleichen Phantasien zum Ausdruck kamen. 
E. Terry* berichtet von einem Jungen, der aufhörte zu stottern, aber anfing 
zu stehlen. Schwerer ist der Zusammenhang festzustellen, wenn es an Stelle des 
Symptoms zu einer Charakteränderung kommt: z. B. Angst aufhört und ein 
überaggressives Verhalten auftritt. 

Freud 2 hebt hervor, daß häufig eine Neurose schwindet, wenn die Selbst- 
bestrafungstendenzen des Patienten in äußerem Unglück Befriedigung finden. 
Ich weiß von jemanden, der an schweren Depressionen litt und deshalb einen 
Selbstmordversuch beging. Er erschoß sich aber nicht, sondern durchschoß den 
Sehnerv. Nach seiner Erblindung lebte er aber ganz zufrieden und viel glück- 
licher als früher. 

Das Symptom dient zur Abwehr der Angst und kann also aufhören, wenn 
die Angst verringert wird. Dies ist das Ziel der psychoanalytischen Therapie. 
Dieser Vorgang kann aber gelegentlich auch ohne Behandlung erfolgen. Ein 
Mädchen verbrachte im Alter von neun Jahren einige Wochen mit einem Jungen, 
der sehr gut zu ihr war. Dieses Beisammensein bewirkte eine günstige Charakter- 
veränderung und ein Schwinden ihrer zwangsneurotischen und depressiven 
Symptome. Für das Mädchen, das in der ersten Kindheit ohne Vater war, be- 
deutete dieser Junge die Verwirklichung ihrer Phantasien vom „guten" Vater, 
und dieser Umstand bewirkte eine nachhaltige Verringerung ihrer Angst 8 . 

Oft wird das Symptom aber aus Angst unterdrückt. Herbert hatte im 
Alter von fünf bis sechs Jahren sehr starke Angst beobachtet zu werden und 
verstopfte deshalb die Ritzen von Fenster und Türen, verkroch sich in eine 
Tonne oder auf den Boden, wo er trotz Hunger und Hitze versteckt blieb. Er 
traf ganz komplizierte Vorrichtungen, damit er rechtzeitig gewarnt sei, wenn 

1) E. Terry: „Stottern und Stehlen." Diese Zeitschrift 1931. 

2) „Das ökonomische Problem des Masochismus." Ges. Sehr. Bd. V, S. 585. 

3) Ausführlicher in meiner Arbeit: „Zur Psychoanalyse asozialer Kinder und 
Jugendlicher." Erscheint in Int. Zeitschr. f. PsA., Bd. XVIII, 1932. 

- 307 - 



I 



jemand auf den Boden kommt. Er traf aber diese Veranstaltungen — die doch 
einen reichlich abnormen Eindruck machen — nur, 'wenn er bei den freund- 
lichen Großeltern war. Als er wieder bei den Eltern war, die er mehr fürch- 
tete, tat er nichts mehr von all dem, sondern wurde nur immer stiller, bestrebt, 
nicht aufzufallen. Seine Angst war zu Hause so groß, daß sie ihn abhielt, die 
neurotischen Schutzmaßnahmen gegen sie zu treffen. Dies erinnert an körper- 
liche Krankheiten, bei denen kurz vor dem Tode das Fieber sinkt, weil der 
Organismus so geschwächt ist, daß er nicht mehr imstande ist, Abwehrsymptome 
zu leisten. Ähnlich braucht auch bei seelischen Krankheiten das Schwinden des 
Symptoms nicht Anzeichen der Besserung zu sein, sondern kann eine Ver- 
schlimmerung anzeigen. 

Gelingt es, die verpönten Triebregungen in einer ichgerechten Form zum 
Ausdruck zu bringen, schwindet das Symptom, das zugleich der Abwehr wie 
der Ersatzbefriedigung der Triebwünsche dient. Dieser Vorgang läßt sich wohl 
bei jeder durch Psychoanalyse erzielten Heilung beobachten. So konnte Herbert, 
bei dem die verdrängte Aggression eine intensive Angst und Hemmung ver- 
ursacht hatte, nach einem längeren Stück Analyse seine Aggression in sublimier- 
ten Aktivitäten agieren. Dadurch gewann er auch ein Gefühl von Macht, das 
ihm einen Schutz gegen seine Angst und Minderwertigkeitsgefühle bot. 

Das Schwinden eines Symptoms ist oft ein komplizierter Vorgang. Herbert 
begann im Alter von etwa acht Jahren sich in zwanghafter "Weise die Nägel 
zu beißen. Er setzte das Nägelbeißen bis zum Alter von elf bis zwölf Jahren 
fort und hörte dann plötzlich von selbst damit auf. Er erklärte mir dies in der 
späteren Analyse folgendermaßen: Er hatte damals manifest sadistische Phanta- 
sien gehabt; er pflegte sich vorzustellen, daß er die Brüste von Frauen zer- 
kratze, beiße usw. Nun fiel ihm plötzlich ein, daß er, sollte er einmal Gelegen- 
heit haben diese Phantasien zu verwirklichen, es doch nicht könnte, wenn er 
keine Nägel hätte. Darauf ließ er sich die Nägel wieder wachsen. 

Diese sadistischen Phantasien, die in der Vorpubertät bewußt wurden, waren 
schon vorher unbewußt wirksam. Das Nägelbeißen diente teils zur Verhin- 
derung dieser Regungen, teils realisierte er mittels des Nägelbeißens diese 
Phantasien an einem Ersatzobjekt, — er biß seine eigenen Nägel an Stelle 
der Brüste. (Der gleiche Mechanismus zeigte sich auch in seiner Zwangsonanie, 
die er im Alter von sechs Jahren an betrieb, und die erst in der Analyse be- 
hoben wurde. Er onanierte in exzessiver Weise ohne Befriedigung, so daß er 
sich dabei sogar blutig rieb. Er hatte dabei bewußt die Überzeugung, daß er 
sich kastriere und zugrunde richte. Sein Penis hatte für ihn aber auch die un- 
bewußte Bedeutung des einverleibten Penis des Vaters, und gerade diesen suchte 
er durch die Onanie zu vernichten 1 .) 

In der Latenzzeit hatte Herbert seinen Sadismus durch Passivität, Hemmung 
und durch die phantasierte Selbstkastration bewältigt, in der Vorpubertät wurden 
diese Regungen teilweise bewußt. Das Schwinden des Nägelbeißens zeigte an, 

1) Ausführlicher in meiner Arbeit: „Einige unbewußte Mechanismen im pathologi- 
schen Sexualleben.« Int. Zeitschr. f. PsA., Bd. XVIII, 1932. 

— 308 - 



daß die Maßnahmen, die das Ich in der Latenzzeit zur Abwehr des Sadismus 
und der Angst unternommen hatte, in der Pubertät dem Ansturm der Triebe 
gegenüber versagten. Zugleich mit dem Bewußtwerden der sadistischen Phanta- 
sien erwies sich das zu ihrer Abwehr dienende Symptom als überflüssig und 
hörte spontan auf. Aber nur kurze Zeit konnte Herbert das Bewußtwerden der 
sadistischen Phantasien ertragen, dann aber wurden sie projiziert und zu immer 
angstvolleren Beziehungs- und Verfolgungsideen verwandelt, denen er nur durch 
Allgemeinhemmung und durch Ablösung von der Realität in mangelhafter Weise 
entgehen konnte. 

Ich habe jetzt ein siebzehnjähriges debiles Mädchen 1 , Doreen, in Analyse, 
das sich seit der Kindheit die Nägel bis zur Hälfte abbeißt. Doreen bekam zwar 
manchmal "Wutanfälle, bei denen sie schimpfte und fluchte, aber die Analyse 
ergab, daß ihre sadistischen Phantasien völlig verdrängt waren. Die erste 
sadistische Phantasie, die in der Analyse bewußt wurde, lautete, daß sie 
jemandem das Gesicht blutig kratzt. Das Nägelbeißen diente — ähnlich wie 
bei Herbert — zur Unterdrückung der sadistischen Regungen, zur Verhinderung 
des Kratzens. Es bildete aber auch bei ihr einen Ausdruck des Sadismus. Wenn 
sie über etwas berichtete, was normalerweise ihre Eifersucht geweckt hätte, 
z. B. daß alle Jungen die Schwester ihr vorziehen, zeigte sie keine Affekte, biß 
aber ihre Nägel (statt die Schwester zu beißen). Doreen, die weitgehend auf 
der Stufe der Partialliebe stand, zeigte besonderes Interesse für die Nägel anderer 
Personen und konnte mir die Nägel verschiedener Leute genau schildern, während 
sie an ihnen vieles andere, für normale Menschen Wichtigere nicht beachtet 
hatte. Die Nägel stellten einen Ersatz für die Genitalien dar, der Vergleich der 
Nägel bedeutete einen Vergleich der Genitalien. Ihr Schuldgefühl wegen des 
Nägelbeißens ging auf das Schuldgefühl wegen der Onanie und der damit ver- 
knüpften oralsadistischen Phantasien zurück, ihr Minderwertigkeitsgefühl wegen 
der beschädigten Nägel (sie meinte, sie werde deshalb nie einen Freund finden) 
auf die Angst, ihr Genitale sei beschädigt, zurück. Doreen sagte, das Nägelbeißen 
sei schädlich, da man dadurch Schmutz schlucke und dann erkranke. Das Nägel- 
beißen bildete einen Ersatz für Fellatiophantasien ; mit diesen verband sie die 
Angst, sie könnte den schmutzigen, krankmachenden, gefährlichen Penis ver- 
schlucken (dies war Strafe für ihren Wunsch, ihn abzubeißen). Die Nägel bilde- 
ten also einen Ersatz für das Genitale, sowohl für das eigene wie für das von 
anderen Personen. Das Nägelbeißen war einerseits eine Selbstschädigung als 
Strafe und Abwehr der eigenen Aggression, es setzte aber noch die Aggression 
gegen die Objekte fort, von denen sie sich auf diese Art zu befreien versuchte, 
nachdem sie sie sich unbewußt einverleibt hatte". 

i) Die Intelligenzprüfung ergab, daß Doreen knapp das Niveau eines neunjährigen 

Kindes erreichte. 

2) Das Lutschen und Nägelbeißen stellt (ähnlich wie die Onanie) ein Agieren 
der Urszene am eigenen Körper dar: sowohl der eigene Finger, wie der 
eigene Mund werden dabei als Ersatz für Körperteile anderer Personen aufgefaßt, 
Beryl spielte einmal, sie sei der Doktor, der meinen „Popo behandelt'- und ein scharfes 

— 309 — 



Die kleine Beryl war ein „trinkfauler" Säugling gewesen, hatte nie von selbst 
Dinge in den Mund gesteckt und den Lutscher nicht gebissen. Sie zeigte immer 
sehr große Eß Schwierigkeiten, die vorwiegend auf die Hemmung der Beißtätig- 
keit zurückgingen. Ihre Aggression und Aktivität war in ungewöhnlichem Maße 
gehemmt. Gegen Ende des zweiten Jahres nahm die Gehemmtheit zu, von der 
Realität zog sie sich mehr und mehr zurück und das Essen wurde noch schwieriger. 
Zu dieser Zeit begann sie ihre Nägel zu beißen. Im Alter von zwei- 
einhalb Jahren kam sie in Analyse. Nach einem längeren Stück Analyse, als 
sich ihre Eßschwierigkeiten wesentlich vermindert hatten und sie lebhafter und 
lustiger geworden war, kam es vorübergehend dazu, daß sie die Personen ihrer 
Umgebung biß und auch ganze Löcher in ihr Kleid biß. Zur selben Zeit gab sie 
aber das Nägelbeißen auf, und zwar für immer. Das Nägelbeißen hatte auch 
bei ihr zur Verhinderung des Kratzens gedient. Daß sie ihre Aggression freier 
betätigen konnte, zeigte sich auch in ihren Spielen; sie war nun ein Hund oder 
eine Katze und kratzte! 

Auch bei Edna, die mit dreieinhalb Jahren in Analyse kam, bestand eine 
weitgehende Hemmung des oralen Sadismus. Sie hatte als Säugling keine Gegen- 
stände in den Mund gesteckt und nicht gebissen. Die Hemmung ihrer Aggression 
erwies sich als wichtigste Ursache für die Hemmung ihrer Aktivität und ihrer 
geistigen Entwicklung. Bis zu zwei Jahren war sie nicht als abnorm aufgefallen 
litt aber an intensiver Angst. Zugleich mit dem Aufhören der Angst kam es zu 
einem auffallenden Rückgang ihrer geistigen Entwicklung und zu einer Ablösung 
von den Objekten. Damals trat Nägelbeißen auf. 

Als ihre Aggression sich in der Analyse deutlicher gegen Objekte der Außen- 
welt richtete und als sich zugleich damit günstige Veränderungen zeigten, hörte 
sie auch mit dem Nägelbeißen auf. Dieses war auch bei ihr analog determiniert 
wie bei den anderen hier erwähnten Patienten. 

Der Erziehung gelang es in keinem dieser Fälle, das Nägelbeißen zu unter- 
drücken. Herberts Mutter hatte es durch strenge Strafen, Doreens Mutter durch 
Ermahnungen, Belohnungen, Anstachelungen ihrer Eitelkeit vergeblich versucht. 
Bei den zwei kleinen Kindern hatte die Umgebung keine energischen Versuche 
zur Abgewöhnung gemacht. Es ist aber fraglich, ob ein Erfolg solcher erziehe- 
rischer Bemühungen wünschenswert ist. Bei so gehemmten Menschen ist das 
Unterdrücken eines Symptoms, welches wie bei Herbert, Beryl und Edna den 
einzigen direkten Ausdruck der Aggression darstellte, wahrscheinlich schädlich. 

Dieses Beispiel scheint mir zu illustrieren, wie schwer es ist, die Erziehung 
mit der Neurosenprophylaxe zu vereinigen. Die Erziehung ist bestrebt, solche 
störende „Unarten" zu bekämpfen, ohne danach zu fragen, welche Bedeutung 

Messer hineinsteckt. (Sie deutete dies an, indem sie einen Schlüssel in meine Nähe 
hielt). Daran anschließend steckte sie ihren Finger in den Mund und klagte dann, sie 
hätte ihn am Ofen verbrannt. Das Lutschen stellte einen Ersatz für ihren Wunsch, 
ihren Finger (den Schlüssel, das scharfe Messer des Doktors, = den sadistischen 
Penis des Vaters) in meinen Anus (den brennenden Ofen) zu stecken und bedeutete 
ein Agieren des sadistisch aufgefaßten (brennenden, schneidenden) elterlichen Koitus. 

— 310 — 







diesen Unarten im psychischen Haushalt zukommt. Sie kann auch ohne Analyse 
des betreffenden Kindes kaum eine verläßliche Antwort auf diese Frage erhal- 
ten. Vom Standpunkt der Neurosenprophylaxe ist der Umstand, ob und durch 
welche Mittel ein Symptom zum Schwinden gebracht wird 1 , gewiß wichtig, 
aber noch wichtiger ist das Problem, auf welchem "Wege die Triebregungen 
und die Angst, die früher im Symptom befriedigt und bewältigt wurden, nach 
dem Schwinden des Symptoms ihren Ausdruck finden werden. 

II) Paradoxe Reaktion auf das Gestatten der Onanie 

Auch in Kreisen, die der Psychoanalyse fernstehen, wird heute wohl meistens 
anerkannt, daß eine Aussprache über die Onanie einem Jungen in der Pubertät 
oft über große Schwierigkeiten hinweghelfen kann. Darüber, ob man die Onanie 
ganz freigeben, oder eher in freundlicher Weise davon abraten soll, sind die 
Meinungen geteilt; die meisten Analytiker jedoch dürften auf dem Standpunkt 
stehen, daß die Onanie in der Pubertät als etwas Normales zu betrachten und 
deshalb rückhaltlos zu gestatten sei. 

Es war deshalb für mich eine Überraschung, daß die Erlaubnis zur Onanie 
bei einem Patienten, der seit der Kindheit exzessiv masturbierte, ungünstig 
wirkte, daß aber auch das von einer anderen Person geübte vorsichtige Abraten 
keinen guten Erfolg gehabt und das seinerzeit von den Eltern ausgegangene 
strenge Onanieverbot erst recht schlecht gewirkt hatte. In der Analyse des 
sechzehnjährigen Herbert 2 erfuhr ich nach Überwindung der ersten, recht 
großen Schwierigkeiten, daß er seit vielen Jahren exzessiv onaniere, aber die 
Onanie trotz seines starken Schuldgefühls nicht aufgeben könne. In Anschluß 
an dieses Geständnis trat Angst auf, und er berichtete von den in der Kindheit 
erfolgten Onanieverboten der Eltern, die von den üblichen Drohungen (Kastration, 
Erkrankung, Verblödung usw.) begleitet gewesen waren. Auf meine Frage, ob 
er jetzt wisse, wie es sich mit diesen Dingen tatsächlich verhalte, erwiderte er, 
ein älterer Freund, ein junger Mediziner, hätte ihn schon vor Jahren dahin- 
gehend aufgeklärt, daß die Onanie nicht schädlich sei, aber hinzugefügt, es sei 
aus ethischen Gründen besser, wenn er sie vermeide; falls ihm dies aber nicht 
gelinge, so sei es auch nicht so schlimm. Herbert meinte, daß er jetzt noch 
mehr Schuldgefühl wegen der Onanie empfinde, — die er aber nicht lassen 

1) Es ist gewiß ungünstig, wenn ein Symptom durch übermäßige Angst unter- 
drückt wird; dies wird aber nicht immer nur durch Strenge bewirkt. Ich habe aber 
in mehreren Fällen, in denen es der Umgebung gehingen war, ein Symptom durch 
Freundlichkeit, Belohnung usw. zum Schwinden zu bringen, in der späteren Analyse 
feststellen können, daß diese erzieherischen Bemühungen die Angst des Kindes in 
solchem Maße geweckt hatten, daß das Symptom aus Angst unterdrückt wurde. Be- 
sonders dann, wenn es schließlich doch gelingt, ein hartnäckiges Symptom zum 
Schwinden zu bringen, dürfte dieser Erfolg durch eine Steigerung der Angst zustande 
kommen. 

2) Über Herberts Analyse habe ich ausführlicher berichtet in meiner Arbeit 
»Intellektuelle Hemmung und Aggression." Diese Zeitschrift 1930. 

- 31 1 -- 



könne, — gerade weil der Freund ihm doch in einer so freundlichen Art abgeraten 
hätte. Er hatte gehofft, daß die Analyse ihn davon befreien werde, allerdings ohne 
daß er darüber reden müsse. Aus der Überlegung heraus, daß der Junge nicht 
nur sehr scheu, sondern auch sehr eingeschüchtert war und aus einem völlig 
auf Trieb Verdrängung eingestellten Milieu stammte, sagte ich ihm, er werde im 
weiteren Verlauf der Analyse Gelegenheit haben, sich diesbezüglich eine eigene 
Meinung zu bilden, aber ich wolle ihm doch meine Ansicht mitteilen, nämlich, 
daß ich die Auffassung seines Freundes nicht teile und die Onanie nicht für 
verwerflich halte. 

Die Wirkung dieser Mitteilung war eine überraschende. Herbert onanierte 
auch weiterhin in der gleichen exzessiven Weise, machte sich auch fernerhin 
schwere Vorwürfe deshalb, bewies mir aber immer wieder, daß ich unrecht 
habe, und daß die Onanie schlecht und schädlich sei. Er hörte erst dann auf, 
mir dies zu beweisen, als er auch die Zwangsonanie aufgab und nur noch selte- 
ner, aber mit voller Befriedigung onanierte. Die Analyse ergab, daß seine Onanie 
m erster Reihe im Dienste von Selbstzerstörungstendenzen stand ; er suchte der 
befürchteten Kastration durch die Eltern dadurch zu entgehen, daß er diese 
Strafe an sich selbst vollzog, indem er sich durch die Onanie zugrunde richten 
und kastrieren wollte. War aber, wie ich behauptete, die Onanie unschädlich 
so konnte er den befürchteten Angriffen der Eltern nicht entgehen. Zwar hatte 
ihm auch schon sein Freund gesagt, daß die Onanie nicht schädlich sei, aber 
diese Erklärung hatte keine tiefere Wirkung gehabt, weil er ja gleichzeitig von 
der Onanie abriet. Unbewußt faßte Herbert aber den Rat seines Freundes, aus 
ethischen Gründen nicht zu onanieren, doch so auf, daß die Onanie körperlich 
schädige. Außerdem empfand Herbert die von mir gegebene Erlaubnis zur Onanie 
als Verführungsversuch, wodurch die Angst vor seinem Triebleben geweckt 
wurde. Für den Verlauf der Analyse war meine anfangs gegebene Erkläruno- 
nicht ungünstig, weil sie seine Konflikte aktivierte und dadurch mehr Material 
zutage fördern half. Hätte ich aber mit dem Jungen ein solches Gespräch ge- 
habt, ohne ihn zu analysieren, so hätte es seinen Zustand zweifellos nur ver- 
schlimmert, sein ohnehin sehr schwankendes Gleichgewicht völlig erschüttert. 
Aber auch das Verhalten seines Freundes erwies sich als unrichtig, da es 
Herberts Schuldgefühle nur vermehrt hatte. Das strenge Onanieverbot der Eltern 
hatte aber dadurch, daß es seine Kastrationsangst wesentlich steigerte, ohne der 
Onanie Einhalt zu tun, nur ungünstig gewirkt. Was hätte man nun tun können, 
wenn man all dies, was ich erst im Verlauf der Analyse erfuhr, von vornherein 
gewußt hätte? Das strenge Verbot wirkte schlecht, das freundliche Abraten 
wirkte schlecht, die Erlaubnis wirkte schlecht. Weitere Möglichkeiten scheint 
es ja nicht zu geben, man hätte also wohl nichts Besseres tun können. Die 
Onanie stand zwar fast ausschließlich im Dienste von Selbstzerstörungstendenzen, 
aber es zeigte sich später, daß in der versuchten Selbstvernichtung sich auch 
die Aggression gegen andere (die verinnerlichten Eltern) äußerte, und daß die 
Onanie mit magischen Allmachtsphantasien verknüpft war. Das Beseitigen der 
Onanie hätte also den letzten Rest von Aktivität vernichtet. Einem so stark auf 

— 312 — 



Selb stzer Störung eingestelltem Menschen kann man aber auch keine Triebfreiheit 
bieten, da ein solcher Versuch nur eine vermehrte Abwehr des Über-Ichs, eine 
Verschlimmerung der Krankheit hervorruft. 

In der Analyse eines Erwachsenen, der seit seinem sechzehnten Jahre in 
psychotherapeutischer Behandlung bei verschiedenen Ärzten war, konnte ich 
ähnliche Beobachtungen machen. Auch dieser Patient hatte zwanghaft onaniert, 
und Verwarnungen seitens des Lehrers und anderer Autoritätspersonen waren 
fruchtlos geblieben. Als ihm aber seine behandelnden Ärzte sagten, die Onanie 
sei unschädlich, nahm er ihnen dies sehr übel, ohne aber die Onanie aufzu- 
geben. In der Analyse sagte er mir, er wisse, daß die Onanie schädlich sei und 
daß die Ärzte ihm nur trügerische Hoffnungen gemacht hätten; seine Einstel- 
lung im allgemeinen war, daß er sich immer aufs Schlimmste gefaßt machte 
und" alles vermied, was ihm Hilfe oder auch nur Hoffnung hätte geben können, 
weil er die spätere Enttäuschung fürchtete. Er meinte aber auch, die Ärzte 
hätten ihn zur Onanie veranlassen wollen, damit er sich dadurch zugrunde 
richte. Diese Erwartung war die Projektion seiner eigenen Einstellung: seine 
Aggression äußerte sich fast nur auf indirektem Wege, indem er andere dazu 
veranlassen wollte, sich so zu verhalten, daß ihnen daraus ein Schaden erwachse. 
Ein Vergnügen, das er als Kind bei der Beobachtung des elterlichen Koitus 
empfand, stammte aus der Befriedigung seines Hasses, indem er zusah, wie sie 
sich durch den Koitus — semer Meinung nach — zugrunde richteten. Bei 
dieser sadistischen Auffassung der Sexualität kann das Gestatten der Onanie 
keine Beruhigung geben; andererseits war aber die Onanie so vielfach determiniert, 
daß alle Verbote wirkungslos blieben und nur die Kastrationsangst steigerten. 

Patienten mit so abnormer Einstellung kann nur durch eine tiefgehende 
Psychoanalyse geholfen werden. 

III) Die Wirkung, elterlicher Konflikte auf das Kind 

Die alltägliche Beobachtung zeigt, daß Konflikte der Eltern sehr schädlich 
auf Kinder wirken. Ein Kind, das an beiden Elternteilen hängt, ist bestrebt, 
beide zufriedenzustellen, und dies kann ihm nun nicht gelingen; ein Kind, das 
beide Eltern liebt und bewundert, wird enttäuscht, wenn es beobachten muß, 
daß die Eltern sich gegenseitig herabsetzen; eine gefestigte Erziehung wird un- 
möglich, wenn das Kind zwischen beiden Eltern schwankt. Diese und weitere 
Gründe scheinen so einleuchtend, daß man es vielleicht für überflüssig halten 
mag, nach tieferen Motiven zu forschen. 

Die Psychoanalyse zeigt aber, daß das Problem doch noch komplizierter ist. 
Denn das Kind, das unzweifelhaft unter den Konflikten der Eltern leidet, hat 
zu einer früheren Zeit, mindestens unbewußt, gewünscht, die Eltern zu ent- 
zweien, um jeden Elternteil für sich zu haben. Diese Wünsche werden jedoch 
bald verdrängt, und wenn es dann später zu einer Entzweiung der Eltern kommt. 

- 313 — 



weckt diese das Schuldgefühl des Kindes, weil es sie als Erfüllung seiner un- 
bewußten Wünsche empfindet. 

Bei einem Jungen in der Nachpubeität, dessen Symptome durch ein längeres 
Stück Analyse geschwunden waren, traten diese vorübergehend wieder auf, als 
seine Eltern sich scheiden lassen wollten. Er fürchtete bewußt, der Vater könnte 
die Mutter mißhandeln, die Mutter könnte den Vater ermorden. Die Konflikte 
zwischen den Eltern bedeuteten für ihn die Wiederholung der sadistisch auf- 
gefaßten Urszene, bei der er angenommen hatte, daß die Eltern sich gegenseitig 
angreifen und beschädigen. Diese VorsteUung ging auf seine sadistischen Wünsche, 
die Eltern sollen sich gegenseitig angreifen 1 , die Mutter solle den Vater um- 
bringen, der Vater die Mutter mißhandeln, zurück. Als Strafe fürchtete er nun, 
daß ihm das Gleiche zustoße. Er hatte — als er sich um die Eltern Sorgen 
machte — z. B. das Gefühl, es könnte ein Unglück passieren, die Lampe herab- 
stürzen. (Dies erwies sich als symbolische Darstellung der sadistischen Urszene.) 
Daran anschließend bekam er starke Angst, er selbst könnte im dunklen Wald 
überfallen werden. Die Konflikte der Eltern schienen seine unbewußten sadisti- 
schen Wünsche zu realisieren. Die dadurch bewirkte Steigerung seiner Angst 
führte zu einem Wiederauftreten seiner Symptome. 

Als es zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu schweren Konflikten zwischen 
den Eltern kam, nahm der Junge entschieden die Partei der Mutter, wollte 
sie solle sich scheiden lassen, damit sie der Abhängigkeit vom Vater, bei der 
sie zugrunde gehen müsse, entgehe, und gab ihr sein ganzes, in vielen Jahren 
erspartes Geld. Dieses Verhalten, das zunächst der normalen Ödipuseinstellung 
zu entsprechen schien, erwies sich in der Analyse als der homosexuellen Ein- 
stellung entspringend. Er identifizierte sich völlig mit der Mutter, versprach 
sich auch einmal, indem er sagte: „wir lassen uns scheiden", statt: „sie läßt 
sich scheiden", sagte, es ginge der Mutter so schlecht, wie es ihm früher ge- 
gangen sei, und als er in der Analyse die Lieblosigkeit des Vaters der Mutter 
gegenüber anklagte, tauchten auch Erinnerungen auf an die Liebesenttäuschungen, 
die er vom Vater erlitten hatte. So wie er die Mutter vom Vater befreien 
wollte, woUte er auch sich vom Vater befreien, weil er ihn wegen der Liebes- 
enttauschungen haßte und die homosexuelle Einstellung dem Vater gegenüber 
als Abhängigkeit, Mißhandlung usw. auffaßte. 

Die heftige Verurteilung des Vaters entsprach der Verurteilung seiner eigenen 
Haßregungen gegen die Mutter; er verübelte dem Vater vor allem, daß er der 
Mutter nicht genug Geld gebe, ihre Möbel behalten und ihr den jüngeren 
Bruder wegnehmen wolle. In der passiv-homosexuellen Einstellung hatte Herbert 
der schwangeren Mutter das Kind und den Stuhl rauben wollen, und diese 
Wünsche hatten schweres Schuldgefühl ausgelöst. Darum hatte er z. B. immer — 
soweit er nur konnte — vermieden, von der Mutter Geld zu verlangen. Indem 
er der Mutter jetzt sein ganzes Geld gab (Geld als Ersatz für Stuhl), wollte er 

1) Klein: „Die Psychoanalyse des Kindes." 1952. 

— 314 — 






. 



seine unbewußten sadistischen Wünsche, die seiner Auffassung nach der Vater 
verwirklichte, wieder gut machen. Der Vorwurf, der Vater gebe der Mutter 
kein Geld, nehme ihre Möbel und den jüngeren Bruder weg, war die Projektion 
der eigenen unbewußten Phantasie, daß er ihr Stuhl (Geld), das Kind 
(den jüngeren Bruder) und den ganzen Inhalt ihi-es Leibes (das Mobiliar) weg- 
nehme. Ein Traum zeigte, daß die Möbel, die Einrichtung des Zimmers, für 
den Patienten den Inhalt des Mutterleibes bedeuteten. 

Er bekämpfte mit großer Empörung die Hinterhältigkeit des Vaters 1 , wobei er 
selbst feststellte, daß auch in seinem Charakter viel davon enthalten sei. Erst 
in diesem Zusammenhang wurde ihm klar, daß er diesen Charakterzug bei sich 
selbst verurteilte. So stammten die starken Affekte vorwiegend von der Ver- 
urteilung seiner eigenen Haßregungen der Mutter gegenüber. 



Ein erwachsener Patient, dessen Eltern in einer besonders unglücklichen Ehe 
lebten, hatte in der Kindheit und Jugend immer die Partei der Mutter genom- 
men. Der Vater war ein Trinker, der viele sexuelle Verhältnisse hatte und das 
Geld, das die Mutter mühsam verdiente, leichtsinnig ausgab und die Mutter 
obendrein noch mißhandelte. Die Mutter erhielt die Familie. Es erwies sich in 
der Analyse aber, daß der Sohn nicht nur darum zur Mutter hielt, weil er sie 
mehr liebte, sondern weil er sie mehr fürchtete und von ihr abhängig war. 
Dies zeigte sich in der Übertragungssituation auf folgende Weise: Er hatte öfter 
auf der Treppe einen Herrn getroffen, von dem er annahm, daß er möglicher- 
weise mein Mann sein könnte. Als er ihn nun einmal in Begleitung einer Dame 
sah, malte er sich aus, daß mein Mann mich betrüge, ich ihm deswegen Vor- 
würfe mache usw., und reagierte auf diese Phantasien mit dem stärksten Haß 
gegen mich. In den nun folgenden Stunden bedauerte er wiederholt meinen 
Mann (den er persönlich nicht kannte, und von dem er auch kaum etwas wußte), 
warf mir vor, daß ich meinen Mann schlecht behandele usw., und bekam dann 
immer heftigste Angst vor mir. Besonders fürchtete er dann, daß ich mit der 
Behandlung aufhören würde. Es war ganz klar, daß diese Situation, die er in 
seiner Phantasie mir und meinem Mann zuschrieb, für ihn die Wiederholung 
ähnlicher Szenen zwischen seinen Eltern bedeutete. Während er aber damals 
zu seiner Mutter gehalten hatte, ergab sich in der Übertragungssituation, daß 
er den Vater bedauerte, aber aus Angst vor der Mutter nicht wagte, dessen 
Partei zu nehmen. Die Angst, ich würde mit seiner Behandlung aufhören, ent- 
sprach der Angst, die Mutter würde ihn fortschicken und nicht mehr für ihn 
sorgen. Der Vater hatte auch wiederholt die Mutter geschlagen — dies ent- 

1) In Wirklichkeit hat der Vater die Mutter nicht so schlecht behandelt, wie es 
dem Patienten zu dieser Zeit erschien; dieser war ängstlich bemüht, das Unrecht auf 
Seiten der Mutter nicht zur Kenntnis zu nehmen, ebenso, wie er auch nicht gelten 
lassen wollte, daß die Mutter ihn selbst in der Kindheit schlecht behandelt hatte. 
Hätte er das Unrecht auf Seiten der Mutter anerkannt, hätte er seinen Haß gegen 
die Mutter nur schwer bewältigen können. 

- 315 — . 



sprach den unbewußten Wünschen des Patienten, der sie sehr haßte — , und 
er mußte darum den Vater ebenso verurteilen, wie er seine eigenen Haßregungen 
gegen die Mutter verurteilte 1 . 

Ein junges Mädchen hatte bei Konflikten, die sich an die sexuelle Untreue 
des Vaters anschlössen, die Partei der Mutter genommen und einen starken Haß 
gegen die Geliebte des Vaters entwickelt. Auch hier zeigte die Analyse, daß 
der Konflikt zwischen den Eltern die Realisierung unbewußter infantiler Wünsche 
darstellte und darum ein starkes Schuldgefühl auslöste. Wenn der Vater die 
Mutter schlecht behandelte, so entsprach dies ihren verdrängten Wünschen und 
weckte ihre Schadenfreude, die sie überkompensieren mußte, indem sie die 
Partei der Mutter ergriff. Sie lehnte die Geliebte des Vaters nicht nur aus Haß 
gegen die Rivalin ab, sondern auch um ihr Über-Ich zufriedenzustellen: denn 
diese Frau hatte ja das erreicht, was sie als kleines Kind gewünscht hatte. Sie 
hatte die Mutter verdrängt und die Liebe des Vaters gewonnen, und das junge 
Mädchen mußte nun die Frau, die ihre eigenen unbewußten Wünsche verwirk- 
lichte, ebenso ablehnen, wie ihre eigenen verpönten Regungen. Der seelische 
Vorgang bei dieser Patientin entsprach dem von Freud geschilderten Vor- 
gehen der Primitiven; Blutschänder werden darum so streng gestraft, damit sie 
nicht die anderen in Versuchung führen 2 . 

* 

Es scheint also, daß die Konflikte der Eltern darum so ungünstig auf die 
Kinder wirken, weil sie verpönte Wünsche, — die Eltern zu trennen und jeden 
Elternteil für sich zu behalten, — zu verwirklichen scheinen und dadurch den 
schon mehr oder minder gut bewältigten Ödipuskonflikt neu aktivieren. Meistens 
wird das neurotische Kind gegen den Elternteil Stellung nehmen, der die mehr 
verpönten hetero- oder homosexuellen Wünsche zu verwirklichen scheint. In 
anderen Fällen wird das Kind sich von beiden Eltern abwenden wenn für es 
sowohl die hetero- wie die homosexuellen Regungen zu streng verboten sind. 

Der Wunsch, die Eltern zu trennen, entspringt ursprünglich der Eifersucht, 
wird aber in der weiteren Entwicklung noch durch andere Momente verstärkt. 
Ein kleiner neunjähriger Patient konnte es nicht ertragen, wenn zwei Menschen 
miteinander sprachen; er meinte immer, daß sie miteinander „Schweinigkeiten" 
machen, glaubte aber auch, daß sie über ihn Böses sprechen. Ursprünglich 

1) Die weitere Analyse ergab in diesem Fall, wie auch im früher erwähnten, daß 
hinter der homosexuellen Einstellung noch eine tiefer verborgene heterosexuelle be- 
stand. In beiden Fällen beruhte das anscheinend gute Verhältnis des Sohnes zur Mutter 
vorwiegend auf Angst und Schuldgefühl ihr gegenüber und diente zur Verdeckung 
der verpönten Homosexualität; diese aber diente zur Überkompensierung des aus dem 
Ödipuskomplex entstammenden Hasses gegen den Vater. Diese Entwicklung hatte in 
beiden Fällen schon sehr früh stattgefunden; im vierten bzw. fünften Jahre war die 
homosexuelle Einstellung dem Vater gegenüber schon verdrängt und der Versuch zu 
ihrer Überkompensierung gemacht. Die zu dieser Zeit sich zeigende anscheinend posi- 
tive Beziehung zur Mutter diente vorwiegend zur Verdeckung der tieferen Konflikte. 

2) „Totem und Tabu." Ges. Sehr. X. 

— 316 - 






wollte er die koitierenden Eltern trennen und fürchtete dann, daß sie ihn zur 
Strafe für seine Angriffe angreifen würden. So konnte er zunächst aus Eifer- 
sucht, später aber aus Angst es nicht ertragen, daß die Eltern oder — von diesen 
auf andere Personen übertragen — überhaupt zwei Menschen zusammen waren. 
Ein erwachsener Patient zeigte eine ähnliche Einstellung: er fürchtete immer 
daß ich aus seiner Analyse erzähle, ihn verspotte usw. Sah er mich einmal mit 
jemandem sprechen, so war er davon überzeugt. Wenn ich ihn nur einen 
Moment warten ließ, glaubte er, daß ich in der Zwischenzeit etwas Sexuelles 
tue. Als er einmal sah, daß ich mit einem Kollegen sprach, meinte er, wie 
schon oft vorher, daß wir über ihn gespottet hätten. Die weiteren Assoziationen 
führten aber zu einer Kritik des Kollegen; dann tauchte der Gedanke auf, daß 
dieser mein Mann sein könnte. Es ergab sich, daß er uns verspotten wollte 
und darum fürchtete, verspottet zu werden. Das Verspotten stellte einen gemil- 
derten Ausdruck des Hasses dar, den er dann empfand, wenn er annahm, daß 
ich etwas Sexuelles tue. Bei diesem Patienten wie auch bei dem früher erwähn- 
ten kleinen Jungen bestand eine außerordentlich starke Angst vor den vereinig- 
ten Eltern. Darum versuchten sie die Eltern zu trennen 1 . 

* 

Ein Mädchen im zwölften Jahre wurde in Analyse gegeben, weil sie die 
Eltern untereinander sowie das Elternhaus und die Schule in einem solchen 
Ausmaße zu entzweien trachtete, daß man sie in der Schule nicht mehr behal- 
ten wollte. Sie trachtete die Eltern zu trennen, ursprünglich aus Eifersucht, 
später auch aus Angst. So versuchte sie z. B. jede Beziehung zwischen dem 
Elternhaus und der Schule zu verhindern, aus Angst, man könnte etwas Böses 
über sie erfahren. Daneben spielte auch folgender Mechanismus eine Rolle: 
Sie bemühte sich, ein besonders braves Kind zu sein und hatte ihre Aggression 
und alle Affekte in ungewöhnlich starkem Maße verdrängt. Ihre Aggression 
konnte sich nur so äußern, daß sie z. B. eine Kritik, die die Mutter an jemandem 
geübt hatte, wiedergab. Gelang es ihr nun, die Autoritätspersonen zu entzweien, 
so konnte sie an ihnen auf eine ihrem Über-Ich gestattete Weise Kritik üben, 
indem sie sich nämlich mit der kritisierenden Person identifizierte. Während 
sie bewußt kein Schuldgefühl wegen ihres Verhaltens zeigte, zeigte sich in 
ihren Zeichnungen das Streben, die Eltern in symbolischer Form zu vereinen 
und so die ursprünglichen sadistischen Wünsche wieder gut zu machen. 

* 

Im allgemeinen verschiebt das Kind die den Eltern geltenden Haßregungen 
auf andere Personen. Die generelle Bedeutung dieses Mechanismus geht auch 
aus der allgemeinen Verbreitung des Stiefmuttermotivs hervor. Die Stiefmutter 
im Märchen ist die „böse Mutter", auf die das Kind die der eigenen Mutter 
geltende Ambivalenz überträgt. Wenn ein Kind nun in Wirklichkeit eine Stief- 
mutter bekommt, wird es geneigt sein, auf diese Frau die unbewußten, der eige- 

1) Diesen Mechanismus hat M. Klein beschrieben. („Die Psychoanalyse des 
Kindes", 1932.) 



Zeitschrift f. pH, Päd., VI/7/8 317 



22 



nen Mutter geltenden Haß- und Angstregungen zu übertragen, die Stiefmutter 
zur „bösen Mutter" zu stempeln. Dieser Vorgang wird auch vom Über-Ich 
gebilligt, da die Liebe zur eigenen Mutter diesen Haß gegen die Stiefmutter 
gestattet, ja zu fordern scheint. Das Kind hat normalerweise den Ödipuskonflikt 
so verarbeitet, daß es sich auf ein bestimmtes Gleichgewicht von Verzicht und 
Befriedigung eingestellt hat. Konflikte der Eltern erschüttern dieses Gleich- 
gewicht. Die veränderte Situation scheint mehr Erfüllung zu bieten; das Über- 
Ich des Kindes sträubt sich aber gegen diese Erfüllung, so daß sie Unlust erweckt. 
Auf der anderen Seite verlangt sie auch einen größeren Verzicht, z. B. wenn 
das Kind, das sich mit dem einen Elternteil als Konkurrenten schon abgefunden 
hatte, sich jetzt noch einen weiteren Konkurrenten (den sexuellen Partner des 
anderen Elternteils) gefallen lassen muß. Dadurch wird Haß geweckt, den das 
Kind nur schwer verarbeiten kann, zumal er noch durch andere Momente, die 
ich früher beschrieb, kompliziert wird. Ein solches Erlebnis bedeutet eine Wieder- 
holung der Urszene, die aber, in einem späteren Alter erlebt, viel erschüttern- 
der wirkt, vielleicht auch darum, weil das größere Kind seinen Haß eher in 
die Wirklichkeit umsetzen kann und sich darum vor ihm mehr fürchtet und 
ihn besser verdrängen muß als das ganz kleine Kind. 

Ein häßliches Verhalten der Eltern bedeutet nicht nur eine Enttäuschung, 
sondern kann auch noch tiefere Wirkungen auslösen. Die Idealisierung der 
Eltern dient zur Überkompensierung des Hasses und der Kritik; wenn nun die 
Idealisierung mißglückt, ist ein vermehrter Verdrängungsaufwand nötig, um den 
Haß hintanzuhalten. 

Elterliche Konflikte wirken nicht nur auf dem direkten Weg der Enttäuschung, 
sondern auch dadurch, daß sie verdrängte sexuelle und aggressive Wünsche des 
Kindes zu verwirklichen scheinen, die das Über-Ich des Kindes abwehrt. Der 
so ausgelöste Konflikt kann häufig nicht bewältigt werden und führt dann zu 
einer Neurose oder verstärkt die schon vorhandene. 



IV) Patienten, die keine Freundlichkeit vertragen 

Willy, ein asozialer, sehr abnormer Junge im neunten Jahr, war seit einiger 
Zeit bei mir in Analyse, als ich mich entschloß, seinen dringenden Bitten nach- 
zugeben und ihm ein Geburtstagsgeschenk zu machen. Ich tat dies nicht etwa 
aus Gründen der Analyse, sondern weil mir der Junge, der aus ärmlichen Ver- 
hältnissen stammte und der zufolge der zahlreichen schlimmen Dinge, die er 
angestellt hatte, zuhause recht schlecht behandelt wurde, leid tat; ich hoffte 
etwaige durch das Geschenk hervorgerufene Übertragungsschwierigkeiten durch 
die Analyse wieder abbauen zu können. Indessen war die Wirkung des Ge- 
schenkes eine ganz andere, als ich erwartet hatte. Ich hatte ihm genau 
nach seinen Angaben — eine kleine Waage, eine kleine Mundharmonika und 
einen Bleistift geschenkt; zuerst freute er sich mit den Sachen, bald aber 
begann er allerlei an ihnen auszusetzen und zeigte schließlich deutliche Angst. 

— 318 — 



. ■ ■ -.VT-^-w. 



Er blieb in dieser Woche dreimal von der Analysenstunde weg, (was er bis 
dahin noch nie getan hatte), und sagte mir dann, er werde überhaupt nicht mehr 
kommen, — während er sonst sogar sonntags kommen wollte. Erst nach mehreren 
Tagen, nachdem er meine Geschenke verloren hatte, geriet er wieder in seien 
gewöhnlichen Zustand. 

Diese Reaktion ist merkwürdig. Man sollte doch annehmen, daß ein Kind 
das nur wenig Liebe erhält und kaum Spielzeug besitzt, sich über ein Geschenk 
das es sich sehnlichst gewünscht hatte, freut und dadurch zutraulicher wird. 
In diesem Fall geschah aber das Gegenteil. Willy hatte überhaupt ein merk- 
würdiges Verhältnis zu Besitz. Er stahl alles, dessen er habhaft werden konnte 
verlor oder verschenkte es aber sehr bald. Er, der keinen Besitz behalten 
konnte, mußte auch abnorm häufig und viel defäzieren. Willy begehrte alles 
zu haben, was er bei andern sah und war auch ungewöhnlich gierig im Essen. 
Die Analyse hat ergeben: Das Stehlen hatte für ihn die unbewußte Be- 
deutung sadistischer Angriffe auf die Eltern, — es bildete einen symbolischen 
Ersatz für die Kastration des Vaters und für das Berauben des mütterlichen 
Leibes. Als Strafe dafür erwartete er die gleichen Angriffe auf seinen Körper 
und Besitz und opferte deshalb — verschenkte oder verlor — seinen Besitz 
freiwillig, um den befürchteten Angriffen zu entgehen. Ähnlich hatte sein 
häufiges Defäzieren auch den Sinn einer Opferhandlung. Wenn er einen ge- 
wünschten Gegenstand erhielt, bekam er bald Angst vor ihm, erzählte mir 
dann, er sei schlecht oder gefährlich (es war erstaunlich, wie er die harmlosesten 
Gegenstände, z. B. Bleistift, Taschenlampe, Geldstücke als Waffen auffaßte), oder 
sagte, er sei „Scheisse" und warf ihn dann weg. Die Analyse ergab, daß der 
erst heftig gewünschte Gegenstand für ihn unbewußt die Brust der Mutter 1 
oder den „guten Penis" des Vaters bedeutete, der aber zufolge Willys intensivster 
Ambivalenz bald die Bedeutung des „bösen" Penis, z. B. des gefährlichen Blei- 
stiftes oder des schlechten, gefährlichen Stuhles („Scheisse") annahm. Er mußte 
sich dann von dem gefürchteten Gegenstand durch Verlieren befreien. Ähnlich 
war das häufige Defäzieren auch durch die Angst vor seinem Stuhl bedingt; 
obzwar er sonst sehr hemmungslos war, fürchtete er es besonders, seine Körper- 
ausscheidungen zu berühren. 

Es war also eine für Willy typische Reaktion, daß er bald enttäuscht wurde 
und die Geschenke schlecht fand, daß sie für ihn „Scheisse" wurden. Nachdem 
er die Geschenke bemängelt hatte, klagte er plötzlich über einen Splitter im 
Fuß und , zeigte Angst, als ich mich ihm nähern wollte. Diese — häufig wieder- 
kehrende — Klage über den eingezogenen Splitter im Fuß (der oft in Wirklich- 
keit gar nicht da war), bedeutete immer einen Ausdruck seiner Angst vor dem 
in seinem Körper befindlichen bösen, stechenden Penis des Vaters. Das Ge- 
schenk, das ich ihm gegeben hatte, war also nicht der zuerst erwünschte 
Liebesbeweis geblieben, sondern es bekam die Bedeutung von etwas Bösem 
von Stuhl, vom bösen Penis, und ich selbst nahm, indem ich ihm das Böse gab 
die Bedeutung der bösen Mutter an. Insofern aber das Geschenk — zufolge 
i) Z. B. steckte er jeden Gegenstand in den Mund. 



— 319 — 



22* 



I 



seiner Ambivalenz — doch auch etwas Gutes darstellte, hatte es seine Angst 
vor dem Vater bezw. den Ersatzpersonen des Vaters geweckt. In der gleichen 
Stunde, in der ich ihm die Geschenke gegeben hatte, fragte er, ob der Lehrer 
wohl einverstanden sein werde, wenn er noch länger zu mir komme, äußerte 
Angst vor dem Portier, fürchtete beim Weggehen, daß der Schaffner sein Paket 
mit den Geschenken beanstanden könnte, usw. Das Geschenk hatte also einen 
Ambivalenzkonflikt hervorgerufen und dadurch Willys Angst sowohl vor mir 
wie auch vor den männlichen Autoritätspersonen gesteigert. 

Willy vertrug auch sonst keine Freundlichkeit, weil dadurch sein Schuld- 
gefühl gesteigert wurde, er benahm sich dann immer schlimmer, um eine 
schlechte Behandlung zu provozieren. Er mußte sich überzeugen, ob man ihn, 
auch wenn er schlimm sei, liebe, ihn nicht wegschicke, nicht verhungern lasse, 
nicht mißhandle usw. Und keine Freundlichkeit konnte je seine Befürchtungen 
wirklich widerlegen. Aber auch auf Strenge reagierte er schlecht; jede 
Drohung oder Strafe steigerte seine Angst, und auf die Steigerung seiner Angst 
reagierte er mit asozialem Verhalten. Willy war also unerziehbar, weil er weder 
durch Strenge, noch durch Freundlichkeit zu beeinflussen war; Freundlichkeit 
steigerte sein Schuldgefühl, Strenge seine Angst, und beides bewirkte bei ihm 
vermehrte Schlimmheit. Die in der Analyse erreichte Herabsetzung seiner Angst 
und Ambivalenz erzielte, daß jetzt Freundlichkeit auf ihn gut wirkt. Er wurde 
liebebedürftig und bestrebt, die Zufriedenheit seiner Umgebung zu erwerben 
und verträgt auch Strenge besser. Dadurch wurde er erziehbar und sozial angepaßt. 

Ich habe mehrere erwachsene Patienten dieses Typus analysiert, die außer- 
ordentlich empfindlich gegen jede Unfreundlichkeit waren, aber auch das 
geringste Entgegenkommen nicht vertrugen. Der zwanzigjährige Georg kam 
regelmäßig zur Analysenstunde zu spät, ohne sich deshalb zu entschuldigen 
blieb zwei- bis dreimal in der Woche von der Behandlung weg, ohne mir ab- 
zusagen; ich hatte ihn nie wegen dieses Verhaltens getadelt. Wiederholt wollte 
er die Analyse abbrechen, einmal z. B. weil ich — wie sich später herausstellte — 
als ich ins Wartezimmer kam, auf die Uhr geschaut hatte, und er dies als 
Vorwurf auffaßte. Er benahm sich mir gegenüber wie auch sonst im Leben 
äußerst provozierend. Zufolge seines starken Schuldgefühles war er überzeugt, 
daß ihn jeder schlecht behandle und er wollte nun feststellen, ob auch ich 
mich so verhalten und ihn wegen seines schlechten Benehmens wegschicken 
werde. Er war darum so empfindlich, weil er jede Unfreundlichkeit als Strafe 
empfand. Aber an Freundlichkeit konnte er aus Schuldgefühl nicht glauben. 
Wenn jemand zu ihm in seiner Kindheit freundlich war, dachte er immer 
gleich „was führt der nun gegen mich im Schilde?" Als ihm z. B. jemand ohne 
besonderen Anlaß ein Bonbon schenkte, warf er es weg, denn es könnte ja 
vergiftet sein. Dieses Mißtrauen war die Projektion seiner eigenen Einstellung. 
Er hatte seine Aggression in der ursprünglichen Form sehr stark verdrängt. 
(In seinem provozierenden Verhalten brach sie wieder durch, hatte aber wenig 
mehr vom Charakter einer ursprünglichen Aggression, sondern entsprang und 
diente seinem Schuldgefühl und zugleich der Abwehr gegen seine passive Ein- 

— 320 — 



Stellung.) Da der Aggression der normale Ausweg genommen war, überflutete 
sie dann alles, sein Auffassen wie sein Verhalten. Deshalb war auch in jeder an- 
scheinenden Freundlichkeit sehr viel Aggression verborgen. Z. B. spielte die 
Phantasie von einem Geschenk, das sich als Gift entpuppt, eine Rolle. Diese 
Auffassung ging darauf zurück, daß — seiner Ambivalenz entsprechend — die 
Exkremente ursprünglich sowohl ein Geschenk (Kind) wie auch Gift bedeuteten. 

Ein anderer Patient verhielt sich ähnlich; auch er war überzeugt, daß jede 
Handlung des andern eine versteckte Feindseligkeit sei. Dieser Glaube ging — 
analog wie bei Georg — darauf zurück, daß in seinem eigenen Verhalten jede 
anscheinend freundliche Handlung gleichzeitig eine Aggression war, und daß 
er seine Einstellung auch auf andere projizierte. Unbewußt hatte der Stuhl für 
ihn sowohl die Bedeutung eines Geschenkes, das er der Mutter gab, wie auch 
die einer gefährlichen Waffe, einer giftigen Substanz. Dies zeigte sich auch in 
seiner überaus ambivalenten Einstellung zum Geld. Geld ist eine gefährliche 
Waffe und gewährt Macht über die Menschen, denen man Geld gibt — insofern sei 
dies eine feindselige Handlung — ; andererseits war das Geld, das er hergab, 
auch ein Geschenk oder ein Opfer. So setzte sich auch in einer ursprünglich 
freundlich gedachten Handlung immer bald der Haß durch, und das Geschenk 
wurde zum Gift. Er erklärte mir, daß ein freundliches Verhalten ihm uner- 
träglicher sei als ein offenbar feindliches, denn gegen dieses könne er sich 
schützen, während er das erstere schwerer durchschauen könne. Er tat deshalb 
auch alles, um zu verhindern, daß man zu ihm freundlich war, oder versuchte 
die Freundlichkeit zu entwerten. Im späteren Verlauf der Analyse sagte er, 
daß er es als Vorwurf auffasse, wenn die Menschen freundlich seien; die anderen 
seien ja dann besser als er. Darum müsse er auch mich dazu veranlassen, daß 
ich mich ihm gegenüber schlecht verhalte, damit er sich nicht für schlechter 
halten müsse als mich. Wenn die Menschen zu ihm aber tatsächlich unfreund- 
lich sind, so fasse er dies als Beweis dafür auf, daß er wirklich so schlecht sei, 
wie er es befürchtet hatte. 

Freud hat einen Typus von Neurotikern geschildert 1 , die aus Schuldgefühl 
am Erfolge scheitern und wohl auch keine Freundlichkeit vertragen; sie bleiben 
aber gesund, solange es ihnen schlecht geht, und Kinder mit dieser Einstellung 
sind durch Strenge erziehbar. Bei Patienten des Typus aber, den ich hier zu 
beschreiben versuchte, gelingt auch dies nicht. Denn ihre Ambivalenz und ihr 
unterdrückter Sadismus sind so stark, daß das geliebte Objekt schon nach kur- 
zem zum gehaßten und darum in der Projektion auch zum gefürchteten wird. 
Die so entstehende starke Angst führt dazu, daß sie die Objektbeziehungen 
immer mehr aufgeben. Es bleibt ihnen darum ohne Analyse wohl nur der 
Ausweg in Asozialität oder Psychose. 

Deshalb scheint auch in weniger extremen Fällen bei der hier beschriebenen 
Einstellung eines Menschen eine rechtzeitige Analyse dringend angezeigt, da die 
Gefahr besteht, daß sie sich von jeder Objektbeziehung lösen werden. 

Es gibt aber auch Patienten, die, obgleich sie die gleiche Einstellung haben, 

1) „Die am Erfolge scheitern." Ges. Sehr., Bd. VI. 

- 321 — 



I 



doch ein stabileres seelisches Gleichgewicht besitzen, weil für sie zwischen dem, 
was sie als Freundlichkeit empfinden und wa« deshalb ihr Schuldgefühl weckt, 
und dem, was sie als Unfreundlichkeit auffassen und deshalb ihren Haß und 
ihre Angst auslöst, eine etwas weitere Spanne liegt, in der sie auf ein gerin- 
geres Maß von Güte oder Härte ohne Ambivalenz reagieren. Sie versuchen 
mit einer möglichst indifferenten Einstellung den andern zu begegnen, um 
sowohl größere Freundlichkeit wie Unfreundlichkeit zu vermeiden und so dem 
Schuldgefühl und der Angst zu entgehen. Es gelingt, Patienten dieses Typus 
zu analysieren, wenn man — soweit dies möglich ist — vermeidet, freundlich 
zu sein, ohne unfreundlich zu werden, und den häufigen Wechsel in der Ein- 
stellung des Patienten und die dadurch zustande kommenden Reaktionen, vor 
allem die auftretende Angst, so bald analysiert, wie sich die Ambivalenz äußert 1 . 
Wenn durch die Analyse die Ambivalenz sich verringert hat, so wird der 
Patient allmählich instandgesetzt, die gleiche Einstellung auch durch längere 
Zeit beizubehalten, für Freundlichkeit empfänglicher und gegen Unfreundlich- 
keit weniger empfindlich zu sein. 

Eine psychotherapeutisch-pädagogische Behandlung solcher Menschen stößt 
sicherlich auf größte Schwierigkeiten, da sie durch Freundlichkeit — die sie 
nicht vertragen — nicht zu gewinnen sind, aber Indifferenz gleich als Zurück- 
setzung auffassen und aus ihrer Angstbereitschaft heraus überhaupt sehr emp- 
findlich sind. Häufig ist bei ihnen auch eine gewöhnlich als „Undankbarkeit" 
bezeichnete Reaktion, da sie auf Freundlichkeit mit Schuldgefühl reagieren das 
leicht in Angst umschlagen kann und sich dann als Ablehnung oder Aggression 
äußert. Extreme Fälle dieses Typus sind unbehandelbar mit den hier ge- 
schilderten drei Patienten konnte weder ihre Umgebung auskommen noch 
waren sie irgendwelchen pädagogischen, psychotherapeutischen oder rein mensch- 
lichen Beeinflussungen zugänglich. 



Kindheitskonflikte und Homosexualität 

Von Dr. E. Hits dimann, Wien 

In seinem gleichnamigen Aufsatz, Heft 4 dieses Jahrganges, hat Boehm 
dieses Thema ausführlich und aufschlußreich behandelt, jedoch einer Tatsache 
keine Erwähnung getan, welche nach meiner Erfahrung gar nicht selten jene 
seelische Zuwendung zum Homosexuellen bedingt, zu der dann weitere dis- 
ponierende Momente hinzukommen müssen, um eine pathologische Entwicklung 
von der bisexuellen Anlage zur manifesten Homosexualität zu bewirken. Wenn 
nämlich ein Kind frühzeitig erfähr t, es hätten sich die Eltern 

1) Bei Georg gelang mir dies auf die Dauer nicht. Nach fünf Monaten, in denen 
eine gewisse Besserung erzielt wurde, brach er die Analyse ab, d. h. er blieb nach 
einer Stunde, in der ich seine akute Angst und Ambivalenz nicht genügend herab- 
setzen konnte, einfach weg. 

- 322 - 



oder der bevorzugte Teil derselben ein Kind vom anderen Geschlecht 
ersehnt, seien also durch seine Geburt, sein Geschlecht, arg enttäuscht worden, 
dann will das Kind diesen seinen Fehler noch gut machen, indem es sich be- 
nimmt wie ein Exemplar des anderen Geschlechts, also als Mädchen männlich, 
als Knabe weiblich 1 . Ein solches unerwünschtes Mädchen z. B. will den Knaben 
ersetzen, spielt ihn, lebt sich in seine Rolle hinein, guckt den Knaben, in deren 
Gesellschaft es sich drängt, Alles ab, wird Vorliebe auch für Hosentragen auf- 
weisen, männliche Spiele bevorzugen, auf die Bäume klettern usw. Es legt zu- 
nächst seinem, es auch selbst enttäuschenden, penislosen Körper einen männlichen 
Geist ein! Bald ist das kleine Mädchen so glücklich, den Vater sich mit der 
Tatsache, „nur" eine Tochter zu haben, versöhnen zu sehen und sich als mutigen, 
waghalsigen „Buben" gepriesen zu hören. 

Es gibt Väter, die ihre Enttäuschung über das ungewünschte Geschlecht des 
Neugeborenen ungehemmt verraten; das Kind hört dann später, der Vater habe 
nach seiner Geburt eine Woche lang kein Wort gesprochen, mit der Mutter ge- 
hadert, das Kind zwei Jahre nicht sehen können und dergleichen mehr. 

Mütter, die einen Knaben, den soundsovielten Sohn gebären, statt der er- 
sehnten Tochter, lassen ihn nun möglichst lang sein Kleidchen und lange Locken 
tragen; bald bekommt er zu hören, er sei „wie ein Mädchen". Ein so als Knabe 
scheel Angesehener wird sozusagen der Mutter zuliebe weiblich. 

Die Identifizierung der Knabesein-Streberin mit dem Vater und die Identifi- 
zierung des Mädchenwerden-Wünschers mit der Mutter hilft mit. 

Homosexuell zu sein, ist zumeist ein Unglück. Der Bau des Genitales eines 
Menschen ist sein Schicksal. Das heißt: Der Mensch muß auch seelisch den 
Weg gehen, den ihm der Bau seines Genitales vorschreibt; denn ein allzu weib- 
licher Mann ist impotent, neurotisch oder homosexuell. Ein männlicher Geist 
im weiblichen Körper kann neurotisch, frigid oder homosexuell machen. Die 
Erziehung hat also ein Drängen eines Kindes in die Richtung 
des anderen Geschlechtes jedenfalls zu vermeiden. 

Ferner sei noch der Beobachtung Erwähnung getan, daß zuweilen der Ein- 
druck entsteht, als habe die Artung eines Geschwisters einen re- 
aktiven Einfluß genommen: daß eine sehr energisch-aktive Schwester 
den Bruder in feminine Unterwürfigkeit gedrängt hat, oder ein weicher passiver 
Bruder die Schwester ins Männliche sich entwickeln ließ. Bei frühen sexuellen 
Spielen solcher Geschwister kann man erfahren, daß die Schwester z. B. durch- 
gesetzt hat, beim Coitus-Spiel die Incuba zu sein. Imponderabilien, die aber als 
die Homosexualität protegierend zu schwerwiegenden Momenten werden können. 

Die Vorhaut-Verengerung höheren Grades macht dem Knaben 
die Berührung der männlichen Leitzone an der Unterseite der Eichel unmöglich ; 
ferner lenken Schmerzen und häufigere Lustgefühle am Gliede die Aufmerksam- 
keit mehr als gewöhnlich auf den Penis. Es können so der Penis am eigenen 

1) Mag es auch nicht möglich sein, die Begriffe seelisch-männlich und seelisch- 
weiblich exakt zu beinhalten, so sind diese Begriffe doch in hohem Grade gemein- 
verständlich. 

- 323 - 



und fremden Körper, Vergleich derselben und dergleichen überwertet werden 
und andererseits die Intensivierung weiblicher masochistisch-analer Stellen in 
den "Vordergrund treten. Phimosen dürfen nicht übersehen werden und sind 
rechtzeitig durch Dehnung zu beheben. 1 

Endlich sei daran erinnert, daß die Aggressivität entsprechend der frühen 
prägenitalen, sadistisch-analen Organisation sozusagen bisexuell 
ist: daß ein Knabe z. B. Buben und Mädchen schlägt. Traten die ersten Sexual- 
erregungen etwa einem Knaben gegenüber auf, bevorzugten frühe Onanie-Phanta- 
sien gleichfalls das gleichgeschlechtliche Objekt (ohne daß das andersgeschlecht- 
liche fehlen müßte), so war damit ein Weg zur Homosexualität eingeschlagen, 
der nicht zwingend hätte werden müssen. Es ist für die Behandlung in solchen 
Fällen nicht allzu schwer, die sadistische Regung gegenüber dem weiblichen 
Objekt zu mobilisieren und damit die Homosexualität zu heilen. 



Analytische Bemerkungen zur 
Montessori-Methode 

Von Dr. Edith Buxbaum, Wien 

Montessori legt in ihrer Methode auf zwei Wirkungen das Hauptgewicht: 
Auf die Konzentration und auf die „Z u cht", besser gesagt, Disziplin 
Gehorsam. Beide werden als eine Folge der Beschäftigung des Kindes mit 
dem Entfaltungsmaterial angesehen; die Person der Erzieherin soll voll- 
kommen in den Hintergrund treten. 

Wir wollen versuchen, den Zusammenhang von Zucht und Tätigkeit nach 
den Schriften Montessoris und ihrer Schülerinnen mit Hilfe analytischer 
Kenntnisse theoretisch zu verstehen, ohne meine sporadischen, praktischen 
Beobachtungen heranzuziehen. Mit dem Probleme der Konzentration hat 
sich die psychoanalytische Forschung noch nicht soweit beschäftigt, daß 
ich dieses Thema kritisch besprechen könnte. 






Die Zucht 



Der Klassengehorsam und damit die Disziplin einer Klasse setzt sich 
aus dem Gehorsam der einzelnen Kinder zusammen. Der Gehorsam ist eine 
Beziehung zwischen Führern und Geführten. Montessori hingegen sagt: 
„Die Zucht kommt aus der Tätigkeit." Daraus geht hervor, daß sie die 
Disziplin als eine Folge der Tätigkeit und nicht als eine Folge der Beziehung 
zwischen Kind und Lehrerin ansieht. Wir müssen untersuchen, ob diese 
Beziehung wirklich so weit in den Hintergrund tritt, daß sie als Ursache 
der Disziplin, des Gehorsams, auszuschalten ist. 

1) Hitschmann: „Phimose und Neurose", Zentralhl. f. Psychother. Bd. III, S. 10. 

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Montessori lehnt prinzipiell jede Belohnung und Bestrafung ah. Hat 
•das Kind etwas falsch gemacht, so darf der Lehrer den Fehler nicht ver- 
bessern, sondern muß den Unterricht unterbrechen, um ihn ein andermal 
-wieder aufzunehmen (Montessori, Selbsttätige Erziehung des Kindes 1 . 213, 20). 
Diese Forderung erklärt sich aus dem Satz, der Lehrer müsse alle über- 
mäßige Anstrengung und jede Entmutigung möglichst vermeiden (S. E. 213). 
Da das Montessori-System den Entwicklungsstufen des Kindes entsprechend 
aufgebaut ist, liegt der Fehler, — wenn das Kind die Arbeit nicht bewältigt, — 
darin, daß die Arbeit seiner Stufe nicht entspricht. Wenn man das Kind 
durch anstrengende Wiederholung zu der Leistung zwingen würde, würde 
man es überanstrengen. Würde man es tadeln, oder auch nur verbessern, 
50 wäre das, ihm seine Unzulänglichkeit zeigen, es entmutigen. 

Aber nur in Bezug auf Leistungen ist Montessori ihrem Prinzip, nicht 
zu lohnen und zu strafen, getreu. Aber „mit ermunterndem Zuruf läßt 
die Lehrerin die Kinder empfinden, wie hübsch ein sauberes Kind, ein 
ordentliches Zimmer, eine Schulklasse in guter Haltung, eine anmutige 
Bewegung usw. sind" (S. E. 117). Und in Ergänzung dazu legt sie Wert 
darauf, daß an den Kindern alles, was unsozial oder manierlos ist, sofort 
verbessert wird (S. E. 81, 82). Dementsprechend ist auch die Strafe für un- 
soziales Verhalten: die Absonderung von den andern Kindern (S. E. 98). 
Das Kind bekommt an diesem abgesonderten Plätzchen seine liebsten 
Spiele und wird von der Lehrerin mit besonderer Zärtlichkeit behandelt, 
„fast als ob es ein Krankes wäre" (S. E. 98). Das Kind wird dann meist 
sehr rasch fügsam und will wieder mit den anderen sein. Das Kind benimmt 
sich in diesem Fall wie Itards „Wilder von Aveyron", der Itard zu Liebe 
seine wilden Freuden aufgibt (S. E. 144). 

Diese kleinen Maßnahmen sind, wenn auch klein, aber doch Lohn und 
Strafe, bestehend in der Liebe oder dem Liebesentzug der geliebten Lehrerin. 
Wenn Montessori soziales Verhalten und gute Manieren als die Grenzen 
der Freiheit des Kindes aufstellt, so verpflanzt sie, und jede Montessori- 
Lehrerin mit ihr, eben doch ihre eigene Anschauung auf die Kinder 2 , weil 
sie einfach nicht anders kann; und auch wenn sie es „ablehnt, sich als 
Herrgott zu fühlen", sie lenkt doch die seelische Entwicklung des Kindes 
nach ihrem Sinn 3 . Was sie tut, genügt, um vom Kind in der Aufrichtung 
des Über-Ichs verwendet zu werden. 

Zur Frage der Disziplin sagt Montessori: „Und es wird die Zeit 
kommen, wo die Lehrerin selbst voll Verwunderung erkennt, wie alle 
Schüler ihr sanft und liebend gehorchen und auf jeden Wink von ihr 
bereitwillig, ja mit Spannung achten" (S. E. 110). Und weiter: „Die Klassen- 
zucht ergibt sich hieraus wie durch Zaubermacht." (S. E. 110). Als Zauberei 

1) Dieses Werk wird im folgenden abgekürzt zitiert mit S. E. 

2) Analyse von M. Montessori, ed. Jena, Schützenstr. Elfriede Glückselig: Er- 
ziehung auf wissenschaftlicher Grundlage", S. 9. 

3) Analyse Lily E. R oub i £e k: „Montessori-Methode u. Kindergartenref orm", S. 22. 

- 325 - 



erklärt man zumeist Dinge, die man nicht versteht. Aber wir erfahren die 
Erklärung, wenn Montessori die Wirkung eines Befehls an die Klasse beschreibt: 
Wenn die Lehrerin mit leiser Stimme zu den Kindern etwas sagt, so re- 
agieren sie „wie eine einzige Person", „mit der einen Stimme hat die 
Lehrerin jedes einzelne angezogen, und jedes erhofft von ihr Licht und 
innere Freude" (S. E. 110). Die leise Stimme ist die gewohnte Stimme, 
mit der die Lehrerin zu dem Kind spricht, wenn sie einzeln mit ihm 
spricht; daher wirkt der so gesprochene Befehl, als ob die Lehrerin sich 
an jedes einzelne Kind wendete. 

Die Bindung, die zwischen Lehrerin und Kind hergestellt wurde in 
allen Situationen, in welchen die Lehrerin sich mit dem Kind allein be- 
schäftigte, zeigt sich jetzt im Gehorsam aller. Der gemeinsame Gehorsam 
macht die Kinder zur Masse, so daß sie „als eine einzige Person impo- 
nieren 1 . Dazu kommt, daß Montessori mit besonderer Geschicklichkeit 
Schweigeübungen eingeführt hat, die neben den unbestrittenen Einflüssen 
auf die Förderung von Willen und Beherrschung vor allem einen sugges- 
tiven, beinahe hypnotischen Rapport zwischen Lehrerin und Kindern her- 
stellen: „Die Kinder werden allmählich ganz gefangen genommen" (S.E. 193). 

Die Kinder erweisen sich aber auch darin als Masse, daß sie sich unter- 
einander vertragen und sozial verhalten, auch dies infolge einer wechsel- 
seitigen Identifizierung untereinander, auf Grund gemeinsamer Liebe zur 
Leiterin 2 . Außerdem wollen wir gerade in diesem Punkt nicht vergessen, 
daß Montessori hierin aktiv mit Lob und Tadel eingreift. 

Jedenfalls aber stimmt es nicht, daß die Montessori-Lehrerin nicht mehr 
der Mittelpunkt aller ist. Sie ist es viel mehr als jeder andere Lehrer. Sie 
hat viel mehr Autorität als jeder andere Lehrer, hat es also nicht notwendig, 
sich darauf zu berufen 3 . Im übrigen ist eine Autorität, auf die man sich 
erst berufen muß, keinesfalls viel wert; erst wenn das Kind sie nicht spürt, 
ist sie wirksam im guten Sinn. 

Der Gehorsam der Masse der Kinder gegenüber der gemeinsamen Lehrerin 
erklärt sich bei der Montessori-Methode auf dieselbe Weise wie bei allen 
anderen Massenbildungen, aus der Identifizierung der Kinder mit der Lehrerin 
und der Kinder untereinander ; wobei diese Massenbildung immer neu 
gestärkt wird durch die Masse zu zweien, Lehrerin — Kind, die bei jeder 
Einzelunterweisung wieder aufgenommen wird. 

Was immer die Lehrerin sagt und tut, wird vom Kind zur Errichtung 
des Über-Ichs verwendet; das allen gemeinsame Über-Ich ermöglicht den 
Kindern die Identifizierung untereinander und erhöht anderseits die Stellung 
der geliebten Lehrerin. 

Da die Beschäftigungen so weit als möglich frei gewählt sind, hat das 
Kind keine Gelegenheit, sich gegen die Erzieherin aufzulehnen, es hat 

1) Freud: „Massenpsychologie und Ich-Analyse." Kap. 6, 7, Ges. Seh. Bd. VI. 

2) Freud: „Massenpsychologie und Ich-Analyse." 

5) Analyse E. Glückselig: „Erziehung auf wissenschaftlicher Grundlage", S. 10. 

— 326 - 




keine Ursache, auf sie böse zu werden, und ordnet sich ihr daher willig 
unter in den wenigen Dingen, die von ihm verlangt werden. Die freie 
Wahl der Beschäftigung fördert daher die Bereitschaft zur Disziplin. 

Die Wirkung der Tätigkeit 

„Freiheit ist Tätigkeit. Die Zucht muß aus der Tätigkeit hervorgehen" 
(S. E. 1). Das heißt also, die Zucht muß aus der Tätigkeit hervorgehen. 
Und wir verstehen richtig, was Montessori meint, denn sie sagt an anderer 
Stelle: „Der Wegbereiter einer wirklichen Zucht ist die Arbeit" (S. E. 25). 
und sie führt näher aus, es müsse aber eine Arbeit sein, welche ein mensch- 
liches Wesen aus innerem Antrieb zu tun verlangt (S. E. 26). Die Tätigkeit 
des Kindes soll so frei als möglich sein, sie ist es aber natürlich doch nur 
in den von dem speziellen Montessori-Material gesteckten Grenzen. Sehen 
wir uns also einmal die Tätigkeiten und Arbeiten des Kindes an, die das 
Wunder der Zucht vollbringen. Wir nehmen dazu den angegebenen Stunden- 
plan zu Hilfe; Montessori betont zwar, daß er in der Praxis nicht ganz 
eingehalten wird, aber es kommt uns ja auf die verschiedenen Tätigkeiten 
an. Die Reihenfolge wird sich mit individuellen Unterschieden, da ja das 
Kind frei wählt, von selbst ergeben (S. E., Stundenplan, S. 112). 

Nach Empfang und Begrüßung ziehen die Kinder ihre Schürzchen an 
und helfen einander dabei. Dann folgt die sogenannte Sprach Übung: Die 
Kinder erzählen, was man gestern getan hat. Die Gespräche sind nach 
Pausen, wie Sonn- und Feiertagen, ausgedehnter als sonst. Die Lehrerin 
wird gewarnt, sich nicht zuviel Intimitäten erzählen zu lassen; vielmehr 
soll sie das Kind von seinen Beziehungen zu den Eltern und ähnliches 
erzählen lassen (S. E. 117). Uns schiene dieses Mitteilen umso wichtiger, je 
intimer es wäre, aber was immer das Kind erzählt, hat für es selbst Bedeu- 
tung. Es scheint mir der Wert dieser Erzählung des Kindes nicht nur in 
der „Sprachübung" zu liegen; auch nicht nur in dem Kontakt, den die 
Lehrerin auf diese Weise mit dem Kind und über das Kind mit dem 
Elternhaus bekommt: dieses Gespräch hat einen unmittelbaren Zusammen- 
hang mit der Zucht des Kindes; L. RoubiCek schildert das in einem 
Aufsatze so, daß sie sagt, das Kind erleichtert sein Herz 1 . Wir kennen die 
Erleichterungen, die es verschafft, mit einem Menschen über die Dinge zu 
reden, die einen bedrücken oder auch nur beschäftigen. Die katholische 
Kirche benützt diesen Umstand seit Jahrhunderten in der Beichte. Die 
Psychoanalyse verwendet ihn in der Behandlung der Neurotiker. Die Wir- 
kung beruht anscheinend darauf, daß mit dem Reden zugleich sich auch 
die Affekte entladen, die sonst anderweitig vielleicht störend zum Ausdruck 
gekommen wären. Das Kind hat also in diesem Morgengespräch sicherlich 
einen Teil seiner Affekte abreagiert. 



1) L. Roubicek: „Aus dem Tagebuch einer Montessorilehrerin." (Elsa.) Monats- 
schrift „Soziale Arbeit", 1924, Heft 5/6. 

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Nachdem das Kind auf diese Weise beruhigt ist, geht es an seine Arbeit. 
Nach dem vorliegenden Stundenplan beschäftigt es sich mit Übungen an 
dem Entfaltungsmaterial. Wir wissen, es könnte auch eine andere Beschäf- 
tigung sein, aber meistens ist es diese, die das Kind wählt. Die Unter- 
weisung geschieht nicht im Kollektivunterricht, der im allgemeinen zurück- 
tritt, sondern im Einzelunterricht (S. E. 103). Dabei geht die Forderung 
dahin, die Persönlichkeit der Lehrerin müsse vollkommen zurücktreten, es 
dürfe nur der Gegenstand zum Kind sprechen. Ohne den Wert des Materials 
oder der Methode im mindesten herabsetzen zu wollen, meine ich doch, 
daß die Einzelunterweisung nicht nur sachlich, sondern auch psychologisch 
ungeheuer viel mehr leistet, als die Montessori-Lehrer wahr haben wollen : 
Die Beschäftigung der Lehrerin mit jedem einzelnen Kind, auch wenn sie 
rein sachlich ist, schafft eine starke Bindung zwischen Kind und Lehrerin. 
Da aber das Kind aus Liebe zu jemandem, ich möchte beinahe sagen, zu 
allem zu bringen ist, ist dieses Zurücktreten der Lehrerin, so viel verlangt 
und gepriesen, eben nur ein scheinbares. Es könnte sogar sein, daß das 
Kind eine Arbeit ihr zuliebe wählt und gut macht. Es sieht die anderen 
Kinder mit Arbeiten beschäftigt, die die geliebte Lehrerin anscheinend billigt, 
und will es ihnen gleichtun, auch wenn es innerlich nicht zu dieser 
Arbeit gedrängt ist. 

Das Entfaltungsmaterial selbst bietet überdies dem Kinde mannigfache 
Gelegenheit, seine Phantasien unterzubringen. Nelly Wolf f heim bringt in 
ihrem Aufsatz „Psychoanalyse und Kindergarten" hiefür eine Reihe von 
Beispielen. Die lustvolle Wiederholung ist auch zum Teil auf die lustvolle 
Wiederholung der Phantasie und nicht der Handlung an sich zurückzu- 
führen. Dies müßte aber am Material selbst untersucht werden. 

Eine andere Beschäftigung, die das Kind hätte wählen können, wäre 
Zeichnen oder Formen in Ton. 

Beides gibt dem Kinde die Möglichkeit, gewisse Triebe zu befriedigen: 
Wir wissen aus der Psychoanalyse und aus der Kinderbeobachtung, daß das 
Kind in seiner Entwicklung eine anale Phase durchmacht. Es liebt im Kot 
zu spielen, manche Kinder spielen, oder wollen gerne mit ihren eigenen 
Fäkalien spielen, sie machen sich mit Vergnügen schmutzig. Das Ausfüllen 
der geometrischen Formen mit Farbe, das Kneten von Ton oder Plastilin 
geben dem Kinde die Möglichkeit, seine analen Triebe in sublimierter Form 
zu befriedigen. Gibt man aber dem Kind die Möglichkeit, frei zu zeichnen 
und zu formen, so kann diese Beschäftigung noch viel mehr für das Kind 
bedeuten. Was es erlebt hat und was es beschäftigt, kann es oft zeichnen, 
während es dieselben Dinge oft nicht sagen kann, weil sie nicht bewußt 
sind, oder weil das Kind den Wortausdruck nicht zur Verfügung hat, die 
Darstellung aber ist ihm möglich. Das Kind findet Gelegenheit, Inhalte 
zu gestalten und abzureagieren, ähnlich wie im Gespräch. Dies geschieht 

1) Nelly Wolffheim: „Psychoanalyse und Kindergarten." Diese Zeitschrift Bd. IV 
(1930), Heft 4/5, S. 185. 

— 328 — 



. 






in einer Reihe von Montessori-Kindergärten, Montessori selbst aber lehnt es 
ab, wie jede andere Phantasietätigkeit. 

Ein wesentlicher Teil der dem Kind gebotenen Beschäftigungen ist dem 
täglichen Leben entnommen; das Kind erledigt die häuslichen Geschäfte 
die Pflege seiner Person, wie ein Erwachsener. Was jedes Kind gewisser- 
maßen sinnlos, im Spiel tut, wird hier zur wirklichen Leistung und damit 
um so befriedigender. Es gibt ihm eine gewisse Zufriedenheit, zu sehen : 
„was der Erwachsene kann, kann ich auch". Gleichzeitig wirkt es seinem 
Gefühl der Ohnmacht gegenüber dem Erwachsenen entgegen und seiner 
daraus entstehenden Wut und Angst. 

Das verfolgte Ziel ist aber nicht nur, das Kind selbständig zu machen 
sondern auch seinen Betätigungsdrang zu befriedigen. „Das Kind verschmäht 
alles schon Erreichte, es geht auf das noch zu Erstrebende aus, z. B. zieht 
es die Tätigkeit des Ankleidens dem Zustand angekleidet zu sein vor. Es 
zieht die Handlung des Sich-Waschens der Befriedigung rein zu sein vor 
und macht sich lieber sein Häuschen, als daß es sich ein solches geben 
läßt" (S. E. 351)- 

Diese Betätigungen haben aber wieder den Vorteil, daß sie, da ja frei 
gewählt, die verschiedensten Triebe zur Befriedigung kommen lassen. So 
z. B. können häufig Betätigungen der Reinigung als Reaktionsbildungen 
Befriedigung der Analität sein. Ja zuweilen kann man sie noch nicht 
einmal als Reaktionsbildungen auffassen: Das Kind, das seine Hände über 
und über mit Seifenschaum bedeckt, gleichsam schmutzig macht, um ihn 
dann wieder abzuwaschen, ist häufig ebenso imstande, sie ganz mit Schlamm 
zu bedecken, beides beliebte und bekannte Spiele der Kleinen. Die Billigung 
des Erwachsenen beim Spiel mit Seife, seine Mißbilligung beim Spiel mit 
Schlamm bringt das Kind dazu, das mißbilligte Spiel aufzugeben, das 
andere umso intensiver fortzusetzen. 

Eine andere Reihe von Betätigungen ist imstande, den Sadismus und 
Agressionstrieb zu befriedigen. Die Arbeitskurve des kleinen Hansi, die 
L. Boubicek in ihrem Tagebuch 1 bringt, (s. Abb. S. 330) ist dafür sehr interessant. 

Nach ihrer Beschreibung bedeutet die gestrichelte Linie „Ruhe"; betätigt 
sich das Kind, so erhebt es sich über diese „Ruhelinie", und zwar desto 
mehr, je konzentrierter es bei seiner Arbeit ist. Stört es seine Kameraden 
und bewegt es sich sinnlos, so sinkt die Kurve unter die Ruhelinie. Die 
Kurve zeigt ein Ansteigen der Konzentration, deren Höhepunkt in der 
Rechenarbeit erreicht wird; der Anstieg ist nicht stetig, sondern ist durch 
zwei Tiefpunkte — Spritzen und Fangenspielen — unterbrochen. Nach 
dem Höhepunkt der Leistung folgt der tiefste Punkt der Kurve — Stören 
der andern Kinder, — um sich dann wieder auf eine mittlere Konzentrations- 
höhe zu erheben, wo sie dann auch bleibt. In dieser Kurve lassen sich 
leicht je zwei Phasen vereinigen: Händewaschen und Spritzen, sichtlich 

1) L. Roubiöek: „Aus dem Tagebuch einer Montessori-Lehrerin." (Hansi.) Soziale 
Arbeit", 1924, Heft 5/6. 

- 329 - 



dieselbe Beschäftigung, d. h. Spielen mit Wasser; das eine Mal sinnvoll 
sozial verwertet, das andere Mal „sinnlos", aggressiv. — Gemüseschneiden, 
Tragen der Brettchen, — und nachfolgend Fangespielen: Er schneidet mit 
Feuereifer, und die Lehrerin kennt das als eine seiner Lieblings-Beschäf- 
tigungen. Es wird wohl nicht nur der „sichtbare Erfolg" sein, der ihm 
diese Tätigkeit angenehm macht, sondern auch das Schneiden an und für 
sich, als sadistisch-aggressive Handlung. 

Diese Vermutung bestätigt sich, wenn er, nachdem er seine Lebhaftig- 
keit beim Tragen der Brettchen beherrscht hat, sich im wilden Fange- 
spielen austobt. Jetzt, nachdem er durch eine Reihe triebnaher Betätigungen 

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seinen unverkennbaren Sadismus befriedigt hat, geht er zu einer Arbeit 
über, die schon zu den Sublimierungen gehört: er rechnet und tut dies 
mit großer Intensität. Schließlich läßt er sich durch die Musik ablenken; 
er bewegt sich im Takt, läßt seine Muskeln spielen, doch als er müde ist, 
kann er nicht umhin, den andern Kindern ein Bein zu stellen; dann tanzt 
er wieder mit. 

Deutlich ist zu sehen, daß sein Tätigkeitsdrang eigentlich Sadismus, 
Aggressionstrieb ist. Die Beschäftigungen, die ihm zur Verfügung gestellt 
werden, ermöglichen es ihm, diese Triebe teils in erlaubter Form zu be- 
tätigen, teils zu sublimieren, anderseits aber befähigt ihn diese teilweise 
Befriedigung, den Rest seiner sadistisch-aggressiven Tendenzen zu beherrschen. 
Im Moment der Ermüdung aber ist er dazu nicht mehr imstande, und 
seine Aggressionen brechen durch. Es ist wohl bei der Mehrzahl der Kinder 
so und nicht umgekehrt, daß wie L. RoubiCek meint, der Tätigkeitsdrang 
in Zerstörungswut ausartet 1 . 

Das Einzigartige der Montessori-Methode scheint mir gerade darin zu 
bestehen, daß sie eine Anzahl von Trieben nicht unterdrückt, sondern sie 

1) L. RoubiCek: „Montessori-Methode und Kindergartenreform." Seite 20 im 
Heft Analy6e. 

— 330 - 









verwendet, sei es in Form von triebnahen, sublimierten oder reaktiven 
Handlungen. So findet das Kind z. B. reichlich Gelegenheit, seine Arbeit 
und sein Können der Lehrerin und den Kameraden zu zeigen, aber auch 
den andern bei ihren Beschäftigungen zuzusehen : es darf sich zeigen, sich 
bewundern lassen und das Gleiche bei den Andern tun. 

Die Beobachtungen berichten uns von Untersuchungen, Vergleichen, 
Zeigen und Beschauen der Genitalien. Montessori schreibt, daß jene, „deren 
Sinne stumpf und taub sind, ihre Vergnügungen in Onanismus, Alkoholismus, 
Neigung, die sinnlichen Handlungen Erwachsener zu belauschen," finden 
(S. E. 208). Wir vermuten, daß es sich im Zeigen von Leistung und 
Können um einen Ersatz der ursprünglichen Exhibitions- und Schaulust 
handelt, daß dies also die Basis der Sublimierung ist, während jene, „deren 
Sinne stumpf und taub sind , zu diesen Sublimierungen nicht gekommen sind. 

Außer zum Arbeiten am gebotenen Material und zu den praktischen 
Betätigungen hat das Kind auch Gelegenheit zu Kreisspielen oder zu freiem 
Spiel in kleinen Gruppen zu zweit und dritt. Solche Arbeiten und solche 
Spiele lassen bald diesen, bald jenen Trieb mehr zur Geltung kommen. 
Das Kind wählt frei und zwar eine Arbeit oder ein Spiel, welches dem 
gerade lebhaften Trieb entspricht. Wir können daher seine Beschäftigung 
als triebnotwendig bezeichnen. Die Folge der freien Wahl ist, daß das Kind 
eine gute Verwendung seiner Libido findet, und dadurch scheint uns die 
Konzentration des Kindes ermöglicht: Die Arbeit ist entweder selbst trieb- 
befriedigend, oder es ist ihr eine solche gerade vorausgegangen. Das Kind 
kam zur Buhe und hat nun seine ganzen Energien für die andere Arbeit 
frei. Anderseits wird ein Kind, das so mannigfache Gelegenheit hat, seine 
Triebe in irgend einer Form zu befriedigen, rein theoretisch, ein aus- 
geglichenes, zufriedenes Kind sein. Es wird daher auch dem Erzieher gegen- 
über nicht so viel Aggression freihaben als ein weniger befriedigtes Kind, 
ihm daher weniger Widerstand entgegensetzen, das heißt, besser gehorchen. 

Alle Beschäftigungen, die Montessori dem , Kind bietet, haben nach 
ihrer Meinung den Zweck, die Sinne des Kindes so zu entwickeln, daß 
das Kind seine Vergnügungen nicht „in Onanismus, Alkoholismus, Neigung, 
die sinnlichen Handlungen Erwachsener zu belauschen," findet. Sie haben 
auch den Sinn, das Kind seinen Phantasien zu entreissen, da Montessori 
der Meinung ist 1 , daß sie das Kind der Realität entfremden, aber nichts 



1) . . . Des Kindes Geist hält sich lieber im Reiche der Phantasie auf . . . Seine 
geistigen Energien erschöpfen sich, indem sie sich immer weiter von ihren normalen 
Funktionen entfernen und so ein nutzloses Instrument des Geistes werden, der sie 
zur Ausgestaltung des inneren Lebens brauchen würde. Leider glauben viele Leute, 
daß das Phantasieren, welches tatsächlich die Persönlichkeit zersetzt, sie aufbaue. Ihre 
Meinung geht dahin, daß das Innenleben aus sich selbst heraus schöpferisch sei, — in 
der Außenwelt aber gäbe es nichts oder nur Schatten, Kieselsteine und welke Blätter. 

Aber im Gegenteil, das Innenleben baut sich auf der Grundlage einer einheit- 
lichen Persönlichkeit auf, die gut in der Außenwelt orientiert ist. Der schweifende 

— 331 - 



für die Entwicklung des geistigen Lebens leisten; sie hält die Phantasie- 
Tätigkeit für „an atrophy of the very organs whose fiinctions are essential 
to the spiritual life." 

Die Annahme, daß die Phantasietätigkeit das Kind der Realität so sehr 
entfremdet, daß es nicht mehr zu ihr zurückfindet, scheint nur für das 
psychisch kranke Kind zuzutreffen. Ob ein solches dadurch zu heilen ist, 
daß man es hindert zu phantasieren, bleibe dahingestellt; es kommt darauf 
an, ob die Verdrängung seiner Phantasien gelingt oder mißlingt. Das ge- 
sunde Kind phantasiert zeitweilig, anscheinend ohne Schaden zu nehmen. 
Ja, ich schließe mich der Meinung jener an, die ein gewisses Maß von 
Phantasietätigkeit für das Kind für wünschenswert halten: Sie hilft dem 
Kind über gewisse Schwierigkeiten der Realität hinweg, besonders über 
jene, die sich aus dem Odipus-Komplex ergeben. Das Kind hat nicht wie 
der Erwachsene die Möglichkeit, seine Sexualtriebe zu befriedigen; einen 
Teil davon sublimiert es wie der Erwachsene, vielleicht sogar mehr als 
dieser; den Rest befriedigt der Erwachsene im Sexualverkehr, das Kind in 
der Phantasie, die es häufig mit Onanie verbindet. Auch ein geringes Maß 
von Onanie scheint erfahrungsgemäß für das Kind normal zu sein. 

Außerdem fördert die Phantasietätigkeit gewisse künstlerische, literarische 
Fähigkeiten — Dichtungen sind nichts anderes als bearbeitete Phantasien 
— aber eben doch Phantasien. Es scheint mir eine bei Frau Montessori sonst 
fremde Engherzigkeit, gerade diese Fähigkeiten nicht zur Entfaltung kommen 
lassen zu wollen. Es ist ein Teil der psychischen Realität des Kindes, den 
sie unterdrücken, nicht entfalten will. 

Wir fassen zusammen: Die Arbeit am Entfaltungsmaterial ist für das 
Kind befriedigend, nicht nur weil sie der Entwicklung seiner Sinne und 
Fähigkeiten dient, sondern auch zum großen, vielleicht größten Teil, weil 
das Kind dadurch befriedigt ist, daß es Gelegenheit findet, seine Triebe in 
triebnaher Form zu betätigen; das erleichtert auch die Konzentration. Es 
scheint uns allerdings, daß die Reschäftigungen, die dem Kinde geboten 
werden, nicht allen Trieben gleichmäßig gerecht werden. 

Wir sehen das Abreagieren und Sublimieren von Analität, Sadismus, 
Aggression; wir sehen nur Verdrängung der Genitalität. Die so verlangte 
Verdrängung ist umso stärker, als diese Erziehung im richtigen Gefühl 
des Zusammenhanges auch die Phantasietätigkeit zu unterbinden trachtet. 

Geist, der sich von der Wirklichkeit scheidet, trennt sich damit von seiner normalen 
Funktion, das heißt, er trennt sich von der Gesundheit . . . 

Aufmerksamkeit auf die wirklichen Dinge und die spätere Nutzanwendung dieser 
Aufmerksamkeit wird unmöglich. Es ist eine feine Unterscheidung, aher dieses 
fälschlich sogenannte Leben in der Phantasie ist ein Verkümmern gerade jener 
Organe, deren Punktion für das geistige Leben wesentlich ist. 

. . . Sobald die Fähigkeit erlangt ist, die Gedanken an realen Dingen festzuhalten, 
wird der Geist gesunden und wieder normal funktionieren. (M. Montessori: 
„On Discipline, the Call of Education", 1924, c. 1. Nr. 3, 4. S, 186 ff.) 

— 332 — 






Wir verstehen die Ursache dieser Einstellung, wenn wir uns daran erinnern 
daß Montessori Onanismus und kindliche Sexualforschung in eine Reihe 
mit dem Laster des Alkoholismus stellt. Das Ziel, das sie mit der Erweckune 
der kindlichen Fähigkeiten verfolgt, ist, das Kind von seinen Trieben ab- 
zulenken. Was wir an Befriedigung der Triebe sehen, hat sich, von Mon- 
tessori ungewollt, eingeschlichen; und zwar ist dies dadurch möglich, daß 
dem Kind zwar keine absolute, aber eine relative Freiheit in der Wahl 
seiner Beschäftigung geboten wird: Es findet daher die ihm triebnotwendige 
Beschäftigung — in den Grenzen der erlaubten Beschäftigung. 

Der Gehorsam des Kindes der Lehrerin gegenüber und die Verträglich- 
keit der Kinder untereinander sind, wie ich zu zeigen versuchte, zum Teil 
aus ihrer Beziehung zur Lehrerin, infolge der Identifizierung mit ihr und 
untereinander zu erklären. Das Material bietet Gelegenheit, einen Teil der 
Aggressionen zu verwerten, die Selbsttätigkeit des Kindes stärkt sein Selbst- 
gefühl und mindert seinen Trotz. Das Material hat daher auch andere Be- 
deutung, als Montessori ihm zuschreibt. 

Die relative Freiheit des Kindes und die dadurch ermöglichte gute Be- 
ziehung zu Erziehern und Kindern scheint uns von überragend größerer 
Wichtigkeit zu sein als das „Material". 



Wohin führt die Nackterziehung? 

Ein Beitrag zur Frage: Kind und Nacktheit 

Von Therese Mülhause-Vogeler, Frankfurt a. M. 

Als im Doppelheft vom November und Dezember 1928 der Zeitschrift für 
psychoanalytische Pädagogik die Frage der Nackterziehung und ihrer Folgen von ver- 
schiedenen Gesichtspunkten beleuchtet wurde und Nackterziehung von vielen, wenn 
nicht direkt so doch indirekt verneint wurde, da waren wir, die wir in der 
Freikörperkultur stehen und unsere Kinder „nackt" erziehen, uns klar, daß 
hier in den angeführten Beispielen etwas nicht stimmte. Unsere Erfahrung be- 
sagte ganz anderes, als hier angeführt wurde. Und in der Tat hatte man gar 
keine Beispiele aus der Freikörperkultur bringen können, sondern begnügte 
sich mit Fällen, wo ein Zufall oder eine krankhafte Veranlagung Nacktheit 
innerhalb der Familie gelegentlich brachte. Selbstverständlich muß eine solche 
zufällige Nacktheit bei sonstigem Verbergen des nackten Leibes anders wirken 
als eine gewöhnte, häufige, nicht nur in der Familie, sondern auch in größerem 
Kreise bei vernünftiger Gelegenheit (Sport, Spiel, Sonnen-, Wasser- und Luftbad) 
geübte Nacktheit. Bei solcher zufälligen Nacktheit, die auf ein „nicht genügend 
in Acht nehmen" zurückzuführen ist, muß sich ja das Kind, dem diese Nackt- 
heit sich zeigt, erschreckt und angestoßen fühlen, weil es hier etwas schaut 



Zeitschrift f. psa. Päd., VI/7/8 _ 333 — 



23 



das ihm sonst „verboten" ist. Ebenso muß Nacktheit wirken, die absichtlich 
in der Familie zur Schau getragen wird auf Grund einer krankhaften Veranlagung. 
In der Nackterziehung aber, wie sie die Freikörperkultur versteht, liegen 
die Dinge doch wesentlich anders. Die meisten Kinder verlernen die Nacktheit 
erst garnicht, sondern kennen von frühester Zeit an es nicht anders, als daß 
man in der Familie bei allen möglichen Gelegenheiten, Bad oder Morgen- 
wäsche, Gymnastik, ja, an heißen Tagen auch bei der Arbeit nackt ist, soweit 
sich das mit der Rücksichtnahme auf andersdenkende Nachbarn vereinigen 
läßt. Ferner kennt das Kind nicht nur die eigene Familie nackt, sondern auch 
den häufig recht großen Kreis von Kameraden, die gleich ihm selber das Ge- 
lände der Freikörperkulturorganisation besuchen, um sich ganze Tage hindurch 
dort nackt zu tummeln. 

Immerhin war es möglich, daß sich uns Erwachsenen die Einwirkung der 
Nacktheit auf die Kinder anders darstellte, als die Wirklichkeit aussah. Es 
war daher von Wichtigkeit zu erfahren, wie Kinder selbst sich zur Nacktheit 
äußern würden, ob irgendwelche Hemmungen und Befangenheiten vorhanden 
wären, die wir Erwachsenen nicht bemerkt hätten. 

Diese Überlegung führte dazu, daß der Robert Laurer -Verlag, dessen beide 
Zeitschriften „Lichtland" und „Lachendes Leben" zweifellos die besten und 
die am meisten verbreiteten Freikörperkulturzeitschriften in Deutschland sind, 
in diesen beiden eine Rundfrage an die Kinder von in Freikörperkultur 
lebenden Eltern stellte, die darüber Aufklärung schaffen sollte. 

Zn diesem Zwecke waren die Fragen so gestellt, daß bei Befangenen die 
Hemmungen sich verraten würden, bei Unbefangenen auch keine Befangenheit 
erst erregt werden konnte. Die Frage nach dem Namen ergab das Geschlecht 
des Kindes, die nach dem Alter sowie nach dem Eintritt in die Freikörper- 
kulturbewegung ergab die Länge der Zugehörigkeit zu einer Organisation. Dies 
zu erfahren war schon deshalb wichtig, weil in Fällen, wo der Eintritt später 
erfolgte, vielleicht gar erst in der Pubertätszeit, Hemmungen leichter anzu- 
nehmen waren als bei verhältnismäßig frühem Eintritt in die Freikörper- 
kulturbewegung. Der Wohnort verriet, ob vorwiegend katholische oder evan- 
gelische Einflüsse sich geltend machen konnten. Fragen nach der Geschwister- 
zahl und häuslichem Nacktleben erwiesen die gemeinsame Nacktheit in der 
Familie. 

Mehr schon konnten die Fragen erbringen, die sich mit dem üblichen Ge- 
ländeleben sowie besonderen Erlebnissen auf dem Gelände befaßten. Hier war 
durchaus die Möglichkeit gegeben, daß aus den Erlebnissen auf Hemmungen 
Rückschlüsse gemacht werden konnten. Noch stärker war das möglich bei den 
Fragen, die sich direkt auf das Nacktsein auf dem Gelände bezogen, wie 
etwa, „wann bist du- nicht gern nackt?" Wenn irgendwann, dann müßten hie- 
bei die verborgenen Hemmungen ans Tageslicht kommen. 

Welches war nun das Ergebnis? Zuerst dürfte interessant sein, daß sich 
weit mehr Mädchen an der Beantwortung der Rundfrage beteiligten als Knaben, 
nämlich sechzig Prozent. Ob das auf die größere Aufgeschlossenheit des weib- 

- 334 - 






liehen Geschlechtes im allgemeinen, auf die Neigung, sich zu äußern, zurück- 
zuführen ist, ob auf die größere Trägheit bei Knaben, oder ob vielleicht nur 
auf die ungleiche Anzahl der Knaben und Mädchen in der Freikörperkultur 
überhaupt, das kann ich mangels genügender Unterlagen nicht entscheiden. 

Bedeutsam erscheint aber, daß gerade die Beantwortung der Fragen, die 
geeignet waren, Hemmungen aufzuzeigen, bei fast allen Kindern die gleiche 
positive Einstellung zur Nacktheit brachten. Die Kinder stellen zu einem 
großen Teile fest, daß sie „immer gern nackt" sind. Wo das nicht zutrifft, 
heißt die Antwort auf die Frage „wann bist Du nicht gern nackt" in vielen 
Fällen, „wenn es kalt ist" in andern „bei Regen oder Schnee", bei einigen 
heißt es „wenn es windig oder stürmisch ist". Wir sehen also in nahezu allen 
Fällen, eine absolute Bejahung der Nacktheit, nur hier und da beeinträchtigt 
durch Witterungseinflüsse, auf die die Kinder teils infolge noch ungenügender 
Gewöhnung, teils vielleicht auch infolge ihrer Körperkonstitution reagieren. 
Dabei bleibt es völlig gleichgültig, ob diese Kinder aus mehr katholischer oder 
mehr evangelischer Umgebung stammen. 

Gewiß gehen die Eindrücke von anders eingestellter Umwelt an ihnen nicht 
immer spurlos vorüber. Ein älterer Knabe berichtet davon, daß die Nacktheit 
zu Hause durch die Möglichkeit der Nachbarn, in die Wohnung Einsicht zu 
nehmen, eingeschränkt sei. Dies ist nur Feststellung einer Tatsache, nicht aber 
resultiert daraus irgend eine Beklemmung der Nacktheit gegenüber. Denn ge- 
rade dieser Junge weiß sehr schön und unbefangen von seinen Erlebnissen auf 
dem Gelände, das er mit seinen Eltern besucht, zu erzählen. Ebenso registriert 
ein anderer einfach, daß man zu Hause nicht nackt sein könne, „wenn die 
Großmutter da ist. Sie schimpft". Man läßt also in diesem Falle Nacktheit 
beiseite mit Rücksicht auf die Großmutter. Irgend einen Einfluß auf die zu- 
stimmende Haltung zur Nacktheit hat das nicht. 

In einzelnen Fällen, ganz wenigen allerdings und da bei etwas älteren 
Kindern (elf bis vierzehnjährigen) findet sich eine Abneigung gegen Nacktheit 
„bei Leuten, die so dumm sind und uns nicht verstehen", oder „bei den Leuten 
des Alltags" oder „wenn alle andern Zeug anhaben". Auch hier aber ist fest- 
zustellen, daß niemals der Gedanke auftritt, als sei das, was man auf dem Ge- 
lände tut und treibt, als sei die völlige Nacktheit, etwas, was nicht recht wäre. 
In all den eben angeführten Fällen zeigt sich vielmehr eine große Sicherheit 
über die Richtigkeit der eigenen Einstellung und eine gewisse freundliche 
Rücksichtnahme und Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Diese muß sich 
naturgemäß ergeben, da ja die Freikörperkultur noch immer gegen Anders- 
denkende einen schweren Kampf zu führen hat, der natürlich auch Gegen- 
stand der Unterhaltung der Erwachsenen ist. Die Kinder hören das und bilden 
ihre Haltung dazu nach dem Vorbilde der Erwachsenen. 

Die Frage nach Geländeleben und Erlebnissen ergab durchgehends Berichte 
über schöne Feste auf dem Gelände (Sonnwendfest, Sommerfest) über Natur- 
erlebnisse, bei denen insbesondere die Erlebnisse mit Tieren eine große Rolle 
spielen, über sportliche und Spielerlebnisse. 

- 335 - * 3 * 



Man kann also sagen, daß das Gesamtergebnis der Rundfrage war, daß die 
Einstellung der Kinder zur Nacktheit eine durchaus natürliche und unbe- 
fangene ist. Nun muß ja freilich dazu bemerkt werden, daß auch die ganze 
häusliche Erziehung in Freikörperkulturkreisen anders ist als die herkömmliche. 
Das berüchtigte „Schäm Dich!" kommt, mindestens in Beziehung auf irgend- 
welche Körperteile, nicht vor. Das Kind lernt das Schämen nicht erst, braucht 
es daher auch nicht wieder zu verlernen. Daraus ergibt sich übrigens der sehr 
klare Schluß, daß, wenn es überhaupt eine Art angeborenen Schamgefühls 
gibt, was unsere Gegner so gerne behaupten, dieses sich bestimmt nicht auf 
den Leib bezieht. 

Ergänzende Berichte der Eltern, die sich durchgehends darauf beziehen, daß 
die Erziehung der Kinder durch das in gemeinsamer Nacktheit geschaffene Ver- 
trauensverhältnis und die daraus entstandene Kameradschaftlichkeit leichter ist, 
weisen hier und da auch ganz klar auf, daß durch Nackterziehung beginnen- 
den Komplikationen auf dem Gebiete des Geschlechtslebens sowie etwa mög- 
lichen Neurosen gut entgegengearbeitet wird. Auf diese Berichte hier einzu- 
gehen, würde etwas zu weit führen. Auch dürfte das auf breiterer Grundlage, 
mindestens im Rahmen eines besonderen Aufsatzes ergiebiger sein. 

Wir möchten gerade den Anhängern der Psychoanalyse, zu denen ja auch 
ein Teü unserer Mitglieder zählt, durch diesen Bericht Gelegenheit und An- 
regung geben, sich mit der Frage der Einwirkung der bewußten und systematisch 
betriebenen Freikörperkultur auf die Seelen näher zu befassen. Es ist vielleicht 
schade, daß so wenige oder vielleicht gar keine Anhänger der Freikörperkultur 
zu Analytikern in die Behandlung kommen. Sie haben wahrscheinlich gar nicht 
das Bedürfnis danach, weil sie von Neurosen nicht geplagt werden. Aus bloßer 
Wißbegierde sich analysieren zu lassen, was an sich bestimmt interessant wäre, 
verbietet bei heutigen Zeitläuften die Notwendigkeit, sein Geld für die dringend- 
sten Bedürfnisse täglichen Lebens zusammenzuhalten. So sind wir bei den Nach- 
forschungen auf diesem Gebiet auf die zufälligen Ergebnisse aus der Freikörper- 
kulturbewegung angewiesen oder auf solche, die, wie das hier vorgelegte, durch 
Rundfragen Zustandekommen. Immerhin bedeutet die Freikörperkultur für den 
geschulten Psychoanalytiker eine neue Gelegenheit der Forschung. 



- Pfarrer Dr. Oskar Pfister, Zürich: 

Psychoanalyse und Weltanschauung 1 

Geheftet M j.6o, Ganzleinen M 7.— f, 

S In ^ al ' : Ps ycboanalyse und Weltanschauung: PsA. und Positivismus. PsA. = 




inenschheitsbeglückende Wissenschaft. 

Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien I 



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— 336 — 






Beim Lesen schöner Geschichten 

Von Karl Pipal, Guntramsdorf 

Besonders arg wird der dreizehnj ährige Erich St., der Sohn eines Wirtes, 
von aufregenden Geschichten ergriffen. Ich hatte Gelegenheit, mit ihm längere 
Zeit in Fühlung zu bleiben und wurde allmählich sein „Vertrauter". Zwanglose 
Aussprachen, Mitteilungen, Briefe und Fragen gewährten mir Einblick in sein 
Innenleben und zeigten mir manches, das mir gerade im Anschluß an unser 
Thema 1 der Veröffentlichung wert zu sein scheint. 

Hier sein Aufsatz: Wenn ich daheim sitze und irgendeine Räubergeschichte lese, 
so fange ich immer an, mit dem ganzen Körper herumzufuchteln, aber dabei werde 
ich so aufgeregt, daß ich dabei ganz dumm und stumm dasitze, als wäre ich ein Irr- 
sinniger von Steinhaus (gemeint ist die Wiener Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- 
und Nervenkranke Am Steinhof). Wenn mich unter der Zeit jemand fragt, so schaue 
ich ihn ganz dumm an. So einige Geschichten sind z. B.: „Ali Baba und die vierzig 
Räuber", „Eine Nacht auf dem Walfisch", „Die Todeskarawane", „Die Propellerinsel", 
„Zwanzigtausend Meilen unter dem Meere" — oder wenn von uns jemand etwas 
erzählt, z. B. von einem Mord oder einer Explosion oder einem Einbruch oder irgend 
etwas recht Aufregendes oder ein schreckliches Abenteuer oder zauberhafte Geschichten. 

Obwohl ihn schon früher die Leidensgeschichte des armen Zwerges Nase 
mächtig ergriff, will er die in seinem Aufsatz geschilderten Erregungszustände 
erst seit zwei Jahren kennen. Sie wurden durch die überaus anschaulichen Er- 
zählungen seines Vaters ausgelöst, der gerne selbstgesehene Kriegsgreuel den 
Gästen zum besten gab, ohne auf Erich Rücksicht zu nehmen, und stellten sich 
dann auch bei aufregenden Filmen („Ben Hur", „Die Nibelungen", „Seeräuber") 
und bei der Lektüre ein. Aus gelesenen Büchern schrieb Erich aufregende Stel- 
len in ein Heft ab und versah sie mit Anmerkungen. Erst viel später gelangte 
ich in den Besitz seiner Aufzeichnungen; Erich übergab mir Bruchstücke seines 
Exzerptheftes. Die Überschriften und beigefügten Anmerkungen sind darin mit 
roter Tinte geschrieben, „daß die Seite einen schöneren Überblick hat". Die 
festgehaltenen Stellen lernt er, merkt er sich vielmehr sehr leicht auswendig, 
kann jederzeit viele gleich hersagen, dagegen bereitet ihm das Erlernen eines 
Gedichtes oder eines Wissensstoffes ungeheure Schwierigkeiten. Begonnen hat 
er mit seinen Aufschreibungen beim Lesen der Geschichte „Ali Baba und die 
vierzig Räuber", dann verfiel er auf Karl May und wurde sein glühender An- 
beter. Er kann sich kein schöneres Buch vorstellen als einen Band von Karl May. 

Ich bringe nun seine Aufschreibungen zum Werke „Am Stillen Ozean" : 

Im Lung-Keu-fiang 

Er griff nach Turnerstick, der nicht so lang war wie ich. Freilich kam er da bei 
einem Unrechten an. Der Kapitän (Turnerstick) packte ihn bei der Brust und spannte 
die Pistolen und setzte sie an die Brust. (Sehr aufregend.) Er hätte ihn gleich nieder- 

1) Siehe Pipal: „Beim Lesen schöner Geschichten", 1. Teil, Ztschr. f. psa. Päd.. 
VI, 1932, Heft 4, S. 155. 

- 337 - 



schießen sollen! Unsere Gegner wurden gebracht. Das Gesicht des Richters war ei» 
anderes geworden. Die Augen blickten zornig auf sie nieder, die nach chinesischer 
Etikette vor ihm auf den Knien liegen mußten . . . (Freudig über die Gegner.) 

. . . und dort standen die Verurteilten bereits, mit den Blöcken auf dem Rücken. 
Die Blöcke waren aus dem ungemein schweren Agilaholze und lagen auf den Schul- 
tern der Gegner, deren Körper durch ein in der Mitte gelassenes Loch hervorblick- 
ten . . . (Über die gefangenen Gegner freudig.) Ich legte mich auf die Lauer, aber 
so, daß ich nicht bemerkt werden konnte. 

Da kamen zwei Männer herbei, die hart vor mir stehen blieben. (Aufregend, 
hatten sie doch Charley bemerken können!) 

Er verließ das Zimmer und schritt vor mir die Treppe hinab. Da sprangen plötz- 
lich zwei Türen auf und zwei Männer faßten mich bei der Gurgel . . . (Sehr auf- 
regend, sehr falsch und hinterlistig.) 

Dschiahur versetzte jedem von uns so gewaltige Fußtritte, daß wir gefesselt Purzel- 
bäume schlugen , . . (Im Original nur: Versetzte jedem von uns einige sehr unzwei- 
deutige Fußtritte.) — Dschiahur hätte wohl eine Million gewaltiger Fußtritte verdient! 

Statt der Antwort schrie er, wie wir ihn in unseren Händen hatten, laut: Gefangen ! 
(Dschiahur war feig, aber er hatte ein großes Maul mit seinen Raubkameraden, die 
unten am Felsen auf ihn warteten.) 

Ein gellender, gräßlicher Schrei und Dschiahur stürzte in die Tiefe hinab. (Dschiahur 
hätte gemartert werden sollen, da er schon viele Menschenleben auf dem Gewissen hatte. 

Dazu eine Zeichnung: Wir sehen einen Mann, der in der rechten Hand eine 
Flinte hält, kopfüber in einen Abgrund sausen. Um den Körper hat er einen 
Gürtel, in dem ein Pulverhorn und ein langes, spitzes Messer stecken. Auf einem 
Blatt finden wir die Qualen verzeichnet, die Dschiahur erdulden sollte. Natür- 
lich ist alles mit roter Tinte geschrieben. 

1) Er hätte zuerst einmal gut zu essen bekommen sollen, daß er beim Martern 
sehr stark ist. 

2) Zuerst hätte er einmal an einen Baum gebunden werden und dann mit folgen- 
den Martern gemartert werden sollen: 

a) Mit spitzen, feinen Messern auf die Brust werfen, aber nur soviel, daß ihn 
die Messer nicht gleich töten; 

b) mit glühenden Nadeln am Körper Zeichen einbrennen; 

c) Fleischstücke wegschneiden, aber nicht viel, sondern wenig, daß er nicht gleich 
tot ist; 

d) mit Messern in die Armmuskebi stechen; 

e) ihm ein Auge herausstechen; 

f) ihm in seine Wunden leichtgiftige Pflanzensäfte hineinrinnen lassen; 

g) und dann mit einem wilden Mustang totschleifen lassen. 

Beim Lesen solcher Stellen „fuchtelt er nicht bloß mit dem ganzen Körper 
herum", es kommt sogar vor, daß er wie ein Stück Holz umfällt. Wenn ihn 
dann jemand überrascht und dadurch stört, gerät er in höchste Wut und wird 
leicht aggressiv. Aber seine Bereitschaft, auf aufregende Stellen zu reagieren, ist 
Schwankungen unterworfen. Oft denkt er während des Tages gar nicht an seine 
Bücher, an sein Heft, dann kommt es wieder über ihn und er muß lesen, 
immer nur lesen, bis er folgende Gefühle ausgekostet hat: „Zuerst beim Lesen, 
wenn ein sehr aufregendes Stück kommt, anlaufendes Schwitzen, aber nur auf 
dem Kücken und in den Händen, ein Zittern, ein Reißen im Körper. Wenn ich 
einen Moment aufhöre vom Lesen, so schrecke ich mich wieder, wobei sich 

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der Schweiß noch mehr erneuert. Ich fühle mich nämlich als derjenige, dem 
sie etwas zuleide tun: Charley, Omar, Bob, Turnerstick und alle Freunde Charleys. 
Wenn sie den Kampf gewonnen haben, so verläuft der Schwitz (= Schweiß) 
und das Zittern. Nach dem Kampfe des Lesens (= nach dem Lesen der Kampf- 
szene) dauert es wohl ein- bis eineinhalb Stunden, bis sich die Nerven zur 
Ruhe gesetzt haben. Dann eine kräftige Wurstsemmel und alles ist wieder in 
Ordnung. Wenn Charley oder irgendeiner seiner Freunde gewonnen haben, so 
ist das Gefühl folgendes: Schadenfroh über die Verspieler, ablaufendes Schwitzen, 
Zittern vor Freude, überhaupt wenn ich bei einem solchen Stück auf die kleine 
Seite gehen muß. Zittern vor Freude bis wieder ein Leid kommt, dann ist die 

Freude wieder aus." 

Die Erfahrung hat ihn gelehrt, daß die erlebten Sensationen stärker werden, 
wenn er auf die kleine Seite gehen muß. Beim Lesen steigert sich der Drang; 
Erich ähnelt einem kleinen Kinde, das von einem Bein auf das andere hüpft 
und dabei beteuert: Ich muß nicht, ich muß nicht! Und er kann dann auch 
gar nicht, muß ein bißchen warten: „Ich muß ein bißchen warten, bis ich 
«rentieren (= urinieren) kann. Oft spüre ich ein Brennen in der Anleitung der 
Harnblase." Erhöhtes Zittern, stärkeren Schweißausbruch, erhöhte Lustgefühle 
verursachen auch die Unterbrechung des Leseaktes im geeigneten Augenblick, 
sie läßt ihn erschrecken, chokartig erfaßt ihn „das ganze Thema eines Leides : 
Weil mir das ganze Thema eines Leides wieder unwillkürlich emfaUt, ich es 
m ir viel besser vorstellen kann, wobei ich noch mehr schwitze als vorher. 
Wenn ich in voUständiger Ruhe bin, so stelle ich mir das Gelesene viel besser 
vor weil ich doch beim Lesen die Gedanken beisammen haben muß und wenn 
ich' sehr lang lese, so bin ich zerstreut.« Diesem Besser-Vorstellen front er recht 
häufig. Bei voUständiger Ruhe tauchen die Personen vor seinen Augen auf, er 
sieht und erlebt alles zum Greifen genau. Am Abend, „wenn kein Lärm ist", 
gibt er sich seinen Träumereien hin und am Morgen gleich nach dem Er- 
wachen. In seinem Bett türmt er Federbett und Kissen zu Hochgebirgen auf 
oder benutzt sie als Reittiere, schleicht sich an den Feind heran usw. Dies 
alles ist für ihn sehr aufregend, er muß schlau zu Werke gehen, denn da er 
kein eigenes Zimmer hat, könnte ihn sein älterer Bruder, der mit ihm die 
Schlaf kammer teilt, bei seinen Spielereien leicht ertappen und für „verrückt" 
halten. Audi muß sich alles recht schnell abspielen, dabei leisten ihm seine 
Aufzeichnungen, die er ja alle im Kopfe hat, gute Dienste. Das Lesen und 
Wiederlesen der festgehaltenen Stellen stellt stets eine Quelle der Lust dar und 
macht ihn bald unabhängig und frei von der Vorlage, während das Lesen des 
zusammenhängenden Stückes zum Teü das Hineiuphantasieren beeinträchtigt. 
Die Gefahr des Ertapptwerdens umlauert Erich ständig und außerdem lastet 
auf seinem Tun der Fluch väterlicher Onanieverbote, die ihm in Fleisch und 
und Blut übergegangen sind, er braucht eine kräftige Wurstsemmel, um alles 
wieder in Ordnung zu bringen: „Ich fühle mich nämlich bedeutend schwächer 
als vor dem Lesen. Eigentlich glaube ich, daß ich krank werden könnte, aber 
nur dann, wenn ich zu viel lese, daß ich ein Narr werde. Wenn ich nach 

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dem Lesen etwas esse, fühle ich mich nicht mehr so unruhig (beunruhigt), ich 
fühle mich, ganz ehrlich gesagt, geistig stärker." 

Erich ist kein „Rollwagerlfahrer" (mehr), d. h. er hat die manuelle Be- 
tätigung am Gliede aufgegeben, aber es dauert bei ihm „wohl 1— i*/» Stunden, 
bis sich die Nerven zu Ruhe gesetzt haben". Er verausgabt sich, fühlt sich 
nach dem Lesen schwächer als vorher, sieht sich auf dem besten Wege ins 
Irrenhaus. Er ist kein Rollwagerlfahrer und doch ein schuldbeladener Mensch 
und wenn noch irgendwie Rettung vor einer drohenden körperlichen und 
geistigen Auszehrung möglich ist, so liegt sie für ihn unbedingt im vielen Essen 
und Erich ist ein kleiner Vielfraß, der alles verschlingt: „Da kann ich mich 
prahlen, denn man muß essen, was man bekommt. Manche sagen zu ihren 
Eltern: Das mag ich nicht. Ihnen gehören statt des Essens Prügel!" 

Aber unter den Qualen, die Erich Dschiahur zubedacht hat, finden wir an 
erster Stelle, gleichsam als Vorbedingung: „Er hätte zuerst einmal gut zu essen 
bekommen sollen, daß er beim Martern sehr stark ist." Vorauseilend soll gleich 
hier angeführt werden, daß das viele Essen auch Erich stark machen soll, die 
Marter der Selbstbestrafung in Form der Nervenzerrüttung recht lange zu er- 
tragen, auch Erich soll beim Martern sehr stark sein, denn Strafe muß sein 
und beim Lesen identifiziert er sich stets mit jenen Helden, denen etwas zu- 
leide getan wird. So wird er zu Charley, Halef, Omar, Bob, Turnerstick, und sein 
größter Wunsch auf Erden wäre, „ein Gewehr, zwei Revolver, ein Messer 
einen Lasso, Munition, einen Rappen samt Sattel und einige Freunde zu haben 
und dann auf nach Indien!" Ja, in Indien könnte er seine sado-masochistischen 
Phantasien in Wirklichkeit umsetzen, könnte seinen Trieben freien Lauf lassen 
Hier fühlt er sich nicht wohl, Gebote all überall, er sieht keine Möglichkeit 
sich durchzusetzen, waffenlos wie er ist. Er fühlt sich beengt, eine Unsicher- 
heit beherrscht ihn und so zieht er sich zurück in sein Buch und lebt in sei- 
ner Phantasie in einem glücklicheren Land, wo sich all das ereignet, was seine 
Brust durchbebt. Die ersehnten Waffen sollen ihn aber nicht etwa vor allen 
Gefahren bewahren, sie haben vielmehr den Zweck, die Dauer seines Leidens 
zu verlängern; er will sich verteidigen, im offenen Männerstreit Wunden emp- 
fangen, ja er will gerade durch tapfere Gegenwehr seine Gegner reizen, von 
denen er erwartet, daß sie ihn durch Hinterlist besiegen, seiner Waffen be- 
rauben, an einen Baum binden und ihn so zum Augenzeugen machen, wie 
seine Freunde nach und nach faUen. Die Vorstellung, daß er selbst kampf- 
unfähig ist und zusehen muß, wie seine Freunde unter entsetzlichen Martern 
nach und nach fallen, regt ihn mehr auf als die Vorstellung eigener Schmerzen 
und Qualen: „Das ist das schwerste, zuschauen zu müssen." Aber in der schwer- 
sten Strafe scheint neben dem sadistischen Sich- Weiden an den Qualen der 
armen Opfer auch ein Stück Erlösung zu liegen, denn wer sind seine Freunde, 
die er m der neuen Welt mitverfolgt wissen will? Sie bilden mit Erich eine 
Einheit, ein Geist beseelt sie, sie gehören zu ihm, sind Fleisch von seinem 
Fleich, sie sind aber auch um kein Haar besser als er und den Tod, den sie 
erleiden müssen, erleiden sie an Erichs statt. Erich ist tot, es lebe Erich! 

— 340 - 



So ist es in Indien, bzw. beim Lesen schöner Geschichten, im grauen All- 
tag freilich nicht einmal beim Raufen: „Wenn mir einer beim Raufen viel 
Widerstand gibt, da bekomme ich einen Zorn, schwitzen tue ich, ich ringe. 
Mir ist es lieber, wenn einer mir über ist, also stärker ist als ich, dann kann 
ihn meine Kraft am besten bearbeiten, ich kann die Kraft überschwingen lassen 
und mir kommt vor, als würde ich jeden niederringen, und zwar mit einem 
Chinesengriff, den ich bei den Jugendlichen gelernt habe und mit dem ich schon 
einen hübsch starken Jungen niedersausen lasse, daß ihm die Zähne scheppern, 
dem Kerl! Aber wenn mich einer von hinten angeht, bei dem kenne ich keinen 
Pardon. So einem feigen Kerl werde ich es heimzahlen, daß er sein ganzes 
Leben an mich denkt oder ich an ihn." Aber es kommt ihm nur so vor, denn 
in seinem realen Verhalten spielt Erich, obwohl er für sein Alter sehr kräftig 
ist, eine mehr feig passive Rolle. Er wird wohl sehr oft durchgebleut, aber 
nicht befriedigt und zieht sich enttäuscht zurück. 

Vollends versagt er im Kampfe mit seinem Vater. Heftige Ausfälle gegen 
seine Person kennzeichnen die feindliche Einstellung. Sein Vater ist an dem 
ganzen Jammer schuld. Alles Schlechte, das er an seinem Vater sieht, greift er 
begierig auf, freut sich teuflisch über das Gerede der Leute, die verschiedenes 
munkeln und am Vater kein gutes Haar lassen und kommt doch nicht so weit, 
seinen Vater derart zu entwerten, daß es sich nicht lohnte, sich mit seiner 
Person zu beschäftigen, sich über ihn zu ärgern und — sich vor sich selbst 
reinzuwaschen. Erich, der selbst seinem Vater hinterlistig manch Sclmippchen 
schlug, erhebt gegen ihn den schweren Vorwurf, hinterlistig zu sein. Erichs 
Vater liebte es, seinen Sohn aus dem „Hinterhalte" zu belauschen, um ihn auf 
frischer Tat zu ertappen, tauchte dann ganz überraschend auf, um ihm ein Kopf- 
stück oder eine kräftige Ohrfeige zu versetzen. Besonders wenn er ein bisserl 
„gespritzt" (angeheitert) war, konnte er ihn derart bis aufs Blut quälen. Auch 
durch schrille Pfiffe und plötzliches Anschreien pflegte er ihn zu erschrecken. 
Immer mußte Erich auf einen „hinterlistigen" Angriff gefaßt sein, denn der 
Vater folgte ihm sogar aufs Klosett und trat einmal, als Erich seiner Meinung 
nach zu lange draußen verweilte, kurz entschlossen die Türe ein. Gar oft war 
Erich so zu Mute wie den gefangenen Feinden, auf die die Augen des Richters 
zornig niederblickten. Herr St. schien seinen Sohn zu kennen, sein Wüten 
scheint sich vor allem gegen die Onanie zu richten, die er durch ständiges 
Überwachen und durch Hiebe vertreiben wollte. Der Vater kann sich freuen, 
Erich ist kein Rollwagerlfahrer ! Aber seine Aktivität ist unterbunden, sein 
Vater hat ihn in die passiv masochistische Einstellung gedrängt, hat ihn buch- 
stäblich gelehrt, aus jeder Angstsituation Lust zu ziehen. Masochistische Lust 
empfindet Erich nun beim Lesen, wenn sich der Held auf die Lauer legt und 
in Gefahr ist, entdeckt zu werden, wenn plötzlich Türen aufspringen, über- 
haupt, wenn vom Beschleichen und Belauschen die Rede ist und weiter ver- 
schafft er sich auch die gleiche Lust in der Schule durch seine Schreckhaftig- 
keit. Wenn er plötzlich aufgerufen wird, ist er außerstande, die einfachsten 
Fragen zu beantworten, Gelerntes herzusagen. Er scheint dann schrecklich ver- 

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wirrt, bleibt vollkommen stumm und schaut entgeistert drein. Glühende Röte 
bedeckt das Gesicht des „ertappten" Bösewichts. Dabei weiß er genau, daß man 
in der Regel gerade dann plötzlich aufgerufen wird, wenn man in die Luft 
schaut oder tändelt, und er tändelt sehr häufig, denn dadurch verschafft er sich 
ja das süße Gefühl des Erschreckens: „Ich werde rot bis hinter die Ohren und 
gleich muß ich auf die kleine Seite gehen. Ich bin ganz verwirrt, zittere wie 
ein Laubfrosch. (Es wird mir) bald heiß, bald kalt und die Zähne klappern 
mir, daß ich nicht gescheit sprechen kann." Das Tändeln verursacht ein Ver- 
sagen, dem Versagen folgt ein Verweis oder eine noch strengere Bestrafung 
und dies kommt wieder seinem Straf- und Sühnebedürfnis zugute und kann 
unbewußt als Bestrafung für „heimliche Sünden" verbucht werden. 

Ferner wissen wir, daß sexuelle Erregung durch Angst auf das Belauschen 
des Geschlechtsaktes der Eltern, der als sadistischer Gewaltakt aufgefaßt wird, 
zurückgehen kann. Erich hat oft den Geschlechtsverkehr seiner Eltern belauscht, 
wenn man bei den Verhältnissen, die in dieser Famile herrschen, überhaupt 
von einem belauschen reden kann, denn wenn der Vater einen Rausch hatte, 
prügelte er die Mutter, ging nachher ins Zimmer und schrie : „No, weißt nicht 
was sich gehört? Bist mein Weib oder nicht? Soll ich dich leicht holen?" Und 
die Mutter ging -weinend zu ihm hinein, um ihn zu „besänftigen". Freilich 
weiß Erich heute ganz genau, was der Vater von der Mutter wollte, doch die 
Hiebe scheinen ihm immer zur Sache gehörig, die brutale Überwältigung bildet 
den Auftakt. 

Hiebe sind Vermittler der Wehlust und in der Erziehung sparte der Vater 
den Stock nicht: „Vom Vater wurde ich sehr streng erzogen, die Mutter die 
mitleidige, hielt mir immer die Stange. Wenn mich mein Vater einmal in den 
Händen hatte, da konnte ich schon zappeln, da half alles nichts. Kein Bitten 
half bei meinem Vater. Wenn er mich bei der Hand nahm und mit mir ging 
fühlte ich ein Brausen und Klingen im ganzen Körper und es war so als wenn 
ich ein Stück größer und kleiner werden möchte und ein momentaner Schweiß 
trat auf. Aber das muß ich sagen, er schlug mich mit (dem Stock) nur auf den 
Hintern, aber dafür nervig. Und sonderbar, wenn er den Stecken hob, mußte 
ich auf die kleine Seite gehen, auch wenn ich vor dem Prügeln schon war, 
mußte ich viel länger (war der Drang noch größer). Nach den Hieben machte 
ich einen festen erholenden Atemzug, der mich vollends auffrischte. Aber die 
Hiebe spürte ich zwei bis drei Tage." 

Solche Sensationen erlebte Erich beim Geschlagenwerden und dadurch wurde 
sein Masochismus fixiert. Den Hieben folgt ein fester, erholender Atemzug, der 
Erich vollends auffrischt. Die empfangene „nervige" Strafe bringt Erich eine 
innere Erleichterung, sie rechtfertigt nämlich die Haßregungen und Todes- 
wünsche gegen den Vater und lullt so seine Schuldgefühle wenigstens vorüber- 
gehend ein. Aber die Erleichterung ist wirklich nur vorübergehend, denn die 
Todeswünsche beherrschen ihn so gewaltig, daß es ihm unmöglich wird, durch 
ein Hilfsmittel, die strenge Bestrafung, sein Über-Ich vollkommen zu befriedigen. 

Seine Haßregungen und Todeswünsche, aber auch den Kampf zwischen Ich 

— 342 — 



und Über-Ich finden wir in folgenden Äußerungen: „Ich war zirka fünf Jahre 
alt, als ich mit meiner Mutter nach Hause ging. Da kam er und schleuderte 
mich an das eiserne Tor beim Friseur B. in P. neben dem Hotel Hübner. Meine 
Mutter wollte mich aufheben und bekam eine Ohrfeige, daß sie neben mir auf 
dem Boden lag. Ah, schrecklich! Wäre ich stärker gewesen als damals, ich 
wäre vielleicht Vatermörder geworden. Und warum? Weil ich meine Mutter 
in Schutz genommen hätte . . . Manchmal bekam ich so einen Zorn, daß ich 
ihm gleich das Messer acht Zoll in den Leib gestoßen hätte. Vielleicht hätte 
mich das böse Gewissen dazu verleitet, aber eine unsichtbare Hand riß mir 
dann, ich meine bei einem Gewaltakt, den tödlichen Stoß weg. Diesen Haß 
mußte ich durch schwere Arbeiten im Schweiße meines Angesichts verwischen. 
Ganz nahe stand ich, das Flobertgewehr in der Hand, zum Abdrücken bereit. 
Die todbringende Kugel steckte im Lauf. Mein Vater kam, ich wollte zielen, 
aber es war vorbei. Ich zitterte, mich gruselte, ich bekam keinen Atem. Lang- 
sam machte ich den Verschluß auf und sah die todbringende Kugel. Ein ein- 
ziger Druck und ich hätte "Vatermörder werden können . . . Ich liebte meinen 
Vater aus ganzem Herzen, aber da ich dieses und jenes von anderen über ihn 
hören mußte, war es mit der väterlichen Liebe aus. Schluß ! Einmal bekam er 
so viele Schläge, daß er liegenblieb. Bravo, das lasse ich mir gefallen! Dann 
hatte er einmal eine Gerichtsverhandlung wegen Übertretung des Waffenpatents. 
Wieder eine (Strafe), bravo! Was auch zu diesen netten Geschichten beigetragen 
hat, war der Säuferwahnsinn. Dies trug auch viel zu seinem Kehlkopfkrebs 
bei. Der Alkohol und der Krieg, das war der Anfang. Doch die drei Jahre, 
die er gelitten hat, haben seine Sünden noch nicht eingebracht (nicht gut ge- 
macht). Ein richtiges Urteil hätte ich fällen sollen, und zwar: Einen lebens- 
länglichen Krebs von zirka zwanzig bis dreißig Jahren! So bin ich, ja oder nein?" 
Ja oder nein, das ist die Frage. Skrupellos ist Erich nicht. Er liebte den 
Vater aus ganzem Herzen und lernte den Mann, der sich zwischen ihn und 
die Mutter stellte, der die Mutter mit einer Ohrfeige zu Boden streckte, töd- 
lich hassen. Die Mutter, die mitleidige, hielt ihm immer die Stange, sie wehrte 
die Schläge von ihm ab, sie tröstete ihn. Sie litt ja auch unter der brutalen 
Gewalt dieses Mannes, der sie verprügelte und dann als sein Weib begehrte 
und Erich in ohnmächtiger Wut stehen ließ. Damals stand Erich hart am Ab- 
grund, er wäre zum Vatermörder geworden. Und warum? Weil er die Mutter 
in Schutz genommen hätte. Aber Gott sei Dank, er war viel zu schwach, da- 
mals und auch später, wenn die Gefahr groß war, Ödipus zu werden. Es war 
ja nur sein „böses Gewissen", es waren ja nur seine bösen Triebe, die dem 
Haß freien Lauf ließen. Eine „unsichtbare Hand" aber, sein „gutes Gewissen", 
sein Über-Ich, riß ihm jedoch dann den tödlichen Stoß weg und hieß ihn, 
den Zorn durch schwere Arbeiten im Schweiße seines Angesichts zu verwischen 
den Haß durch Liebe zu kompensieren. Eine Riesenarbeit, denn auch gelegent- 
liche Haßregungen sind verpönt, auch ein Bravo, wenn andere, die irdische 
Gerechtigkeit der Gerichte mit eingeschlossen, dem Vater etwas zuleide tun 
ist verboten. Das „gute Gewissen" registriert alles nur zu gewissenhaft und das 

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Schuldkonto wächst weiter. Wo noch dazu ungünstige Verhältnisse herrschen, 
nützt es auch nichts, wenn der Sohn die Aggression, die dem Vater gilt, gegen 
sich selbst wendet, zum „Leider und Dulder" wird, denn die erduldete Strafe 
befriedigt wohl den Masochismus, beruhigt aber nur das Schuldgefühl, ohne 
es aus der Welt zu schaffen. 

Durch seine übermäßige Strenge, sein sinnloses Wüten hat Herr St. seinen 
Sohn aus seinem seelischen Gleichgewicht gerissen und es ihm unmöglich ge- 
macht, mit seinem „bösen Gewissen" fertig zu werden. Jede Prügelszene ver- 
stärkte den Haß, verursachte eine Reaktivierung der Todeswünsche, die letzten 
Endes dem Ödipuskomplex entspringen, jede Prügelszene macht Erich aufs neue 
zum Vatermörder und brachte eine Verstärkung seiner Schuldgefühle. Und 
Erichs Vater tat noch ein übriges, er starb: „Diesen Tag werde ich bis ans 
Ende meines Lebens nicht vergessen. Es ging vom 15. bis 16. Februar eine 
Szene ab, die man nicht beschreiben soll (= kann). Mein Vater hatte den 
Kehlkopfkrebs, das ist eine unheilbare Krankheit. Er mußte alle vierzehn 
Tage nach Wien fahren, um eine paarstündige Verlängerung seines Lebens zu 
erhalten. Ein Glück für uns, daß er noch immer auf Hoffnung rechnete (auf 
Genesung hoffte). Den letzten Tag hatten wir einen bösen Kampf. Wir mußten 
nämlich alles aus dem Zimmer tragen außer seinem Bett, da er aufstand und 
das nächstbeste Stück ergriff, um es einem hinaufzuwerfen. Um drei Uhr in 
der Nacht holte mein Bruder zwei Männer, die ihn dann mit starker Anstren- 
gung bändigten. — Sie mußten ihn sogar an einen Sessel anbinden, bis er in 
vollständiger Ruhe um 7 Uhr früh von der Welt geschieden ist. — 

Es war ein böser Kampf. Der todkranke Vater war stärker als zwei Männer 
die ihn durch Hinterlist, einer stellte ihm nämlich das „Fußerl", zu Fall bringen 
konnten. Gefesselt, seiner Freiheit vollkommen beraubt, machtlos, so mußte der 
Vater den Tod erwarten und Erich war auch dabei. Da lag nun der gewaltige 
Gegner vernichtet und Erich war frei. Aber mit dem gewaltigen Gegner war 
auch der Vater dahingegangen, der sonderbare Mensch, der, wenn er keinen 
„Affen" (Rausch) hatte, doch lieb sein konnte: „Sechs bis acht Wochen trank 
er keinen Tropfen Wein, überhaupt keinen Alkohol und dann soff er bis zur 
Bewußtlosigkeit. Ein sonderbarer Mensch! Wenn er keinen Affen hatte so 
grauste ihm vor den besoffenen Menschen. Er gab ihnen Lehren und sa<rte 
immer, er meine es gut mit ihnen. Wenn er keinen Rausch hatte, war ich 
ein Engel, konnte alles haben und mir kaufen." „Wohl wahr, der Vater starb 
an Krebs, er starb an einer unheilbaren Krankheit, aber Erich ist mitschuldig 
an seinem Tod. Seine Todeswünsche sind in Erfüllung gegangen und deshalb 
kann er sich nicht seiner Freiheit freuen. Drei Jahre nach dem Tode seines 
Vaters ist er noch keineswegs mit ihm und seinem Über-Ich ausgesöhnt. Ach, 
könnte er doch ein richtiges Urteil fällen, könnte er doch den lebenslänglichen 
Krebs von zirka zwanzig bis dreißig Jahren über seinen Vater verhängen ! Dann 
hätte er Gelegenheit, noch zwanzig bis dreißig Jahre ein Kind zu bleiben, die 
strenge Hand seines Vaters zu fühlen, nervige Schläge einzustecken, erleichtert 
aufzuatmen und alles möchte beim alten bleiben. Der Vater ist tot und Erich 

— 344 — 



! 



ist ganz verlassen. Erich erlebt Stunden, wo seine Liebe zum verstorbenen 
Vater mit Allgewalt durchbricht, eine große Liebe, die ihn befähigen könnte, 
für den „Ermordeten" auf Leben und Tod zu kämpfen. 

Erich kann ohne Vater nicht leben, er braucht einen Vater oder wenigstens 
einen Vaterersatz und so verfällt er in seinen Träumen und Phantasien auf 
einen berüchtigten Trunkenbold, Herrn K.: „Mir träumte jetzt schon öfter von 
einem gewissen Herrn K. Er kam mir als Messerheld entgegen. Vielleicht 
komme ich wirklich in seine Hände. Ich stelle mir ihn (am Abend im Bette) 
phantastisch (=in der Phantasie) vor und rede mit ihm in Gedanken, studiere 
seine Eigenschaften und möchte mit seinem vollen Lebensbilde einschlafen um 
vielleicht aus dem Traume etwas Näheres zu erfahren." Und er hat auch schon 
manches aus den Träumen erfahren, er war schon im Traume mit Herrn K. 
im Kino und dann auf dem Klosett, wo ihn K. mit einem Revolver bedrohte. 
Sein Vater „flog mit einem Weib von der Holzschleifen, einer Mordshur, um, 
kaufte ihr in Wien ein kleines Büfett und trieb mit ihr alle möglichen Tanz 
die ihm nur einfielen" — und doch hätte es der Vater nicht nötig gehabt, er 
hätte ja mit Erich „alle möglichen Tanz" treiben können. Wird K., wenn ein- 
mal Erich wirklich in seine Hände kommt, wenn er mit ihm aufs Klosett 
geht, noch einen Schritt weitergehen und das nachholen, was Herr St. versäumte ? 
Erichs Einstellung zu K. ist ambivalent, er fürchtet, in seine Hände zu fallen 
und sehnt sich gleichzeitig darnach, er haßt ihn, bewundert aber seine Kühn- 
heit, seine Stärke und noch etwas: K. ist ein Mann, der „mit keinem Weib 
von der Holzschleifen herumfliegt, der keiner weiblichen Person zu nahe tritt 
der auf alle Weiber pfeift". Wie interessant muß doch das volle Lebensbild 
dieses Mannes sein! Nicht eher wird Erich seine Eigenschaften „ausstudiert" 
haben, bis er wirklich in seine Hände kommt. Der Gedanke allein ist für ihn 
schaudererregend: „Ich werde mit ihm kämpfen müssen. Ein Zittern, ein 
Gruseln. Kalter Schweiß rinnt mir über den Rücken, ich werde schwindlig 
und falle in Ohnmacht." Dann werden Erich und K. am Ziele sein und Erichs 
hilflose Ergebenheit wird K.s Zorn besänftigen. Für Mädchen hat Erich nichts 
übrig: „Ich sage so, Männer zu Männern, Weiber zu Weibern. Mit Mädchen 
ist nichts los, sie verdrehen nur den Burschen die Köpfe, und ich kenne Mäd- 
chen, vor denen mir graust. Von einer Frau lasse ich mich überhaupt nicht 
martern." Auch Erich pfeift auf die Weiber, Männer sollen ihn unterwerfen, 
Männer sollen ihn besitzen. Diese Feststellung ist für die Vervollständigung und 
richtige Beurteilung des Bedürfnisses, sich in die Personen Charley, Halef, Omar, 
Bob, Turnerstick und alle Freunde Charleys, denen etwas zuleide getan wird' 
einzufühlen, nicht unwichtig. 

Dschiahur können wir als Repräsentanten des Vaters ansehen und den Kampf 
mit ihm als Kampf des miterdrückten Sohnes gegen den Vater, aus dem der 
Sohn siegreich hervorgeht. Aber darüber hinaus wird der Sohn zu einem gar 
strengen Richter, zum Vater selbst. Erichs Sadismus kommt zum Durchbruch 
und heischt eine langsame, ungemein qualvolle Vernichtung Dschiahurs, der 
viele Menschenleben auf dem Gewissen hat. Auf Dschiahur schiebt er alles, was 

- 345 - 



seinem eigenen Straf bedürfnis entspricht: „Das Bild schwebt mir vor, martern! 
Wenn ich nur zuschaue (mir alles vorstelle), so spüre ich alles, wie wenn ich 
an seiner Stelle wäre. Ich zittere für ihn, wenn er sich am Pfahl windet, 
winde ich mich mit und ringe mit dem Atem." 

So ist Erich, „der den Vater in den Tod gewünscht hat", Henker und Opfer 
zugleich, und die Dschiahur diktierten Strafen sind seine Strafe. Aufregende Stellen 
in den bevorzugten Geschichten kommen nicht nur seinen sado-masochistischen 
Impulsen entgegen, Erich büßt auch mit den gemarterten Personen seine eige- 
nen Sünden ab, ihre Qualen sind seine Strafe und seine Lust zugleich. 



BERICHTE 



Bücher 

ALEX. WEDDING, Ede und Eunku. Ein Roman für Jungen und Mädchen. 
Malik -Verlag, Berlin. 208 Seiten. Mit 9 Bildern. Halbleinenband, Mk. 375. 

Dieser Roman für Kinder wird das Interesse psychoanalytischer Pädagogen schon 
deshalb erwecken, weil er ein wenig an die Technik der Darstellung von Joyce er- 
innert, die Menschen in ihrem Milieu so handeln und sprechen zu lassen, wie sie es 
wirklich im Alltag, zu Haus, auf der Straße, bei Arbeit und Spiel tun. Hier ist 
ein Stück Wirklichkeit aus dem Proletarierleben Berlins geschildert unter bewußter 
Betonung der sozialen und politischen Konflikte, ein interessanter massenpsychologi- 
scher Ausschnitt aus der konfliktvollen Realität des Arbeiterkindes. Wenn der Kinder- 
roman die beiderseitige Isolierung von Kind und Erwachsenen verringern und beiden 
ein Stück Welt des anderen aufhellen soll, so ist dieser erste Versuch Weddings 
geglückt. • Meng 

„Die Angst der Psychopathen", Religion und Seelenleiden. Bd. VII, 
Vorträge der siebenten Sondertagung des kath. Akad. Verbands in Kevelaer. 
Herausgegeben von W. BERGMANN. 1932. Liter. Inst. Haas & Grabherr, Augs- 
burg. 213 Seiten, gebd. 

Außer dem Herausgeber sind als Autoren vertreten Allers, Bopp, Christ- 
mann, Kapp und Krebs. Auf dem Glauben fußend, daß die Religion als Lehre 
übernatürlicher Wahrheiten die Therapie neurotischer Störungen in sich schließe und 
lediglich die Hilfsmittel der medizinischen Wissenschaft unter diesem Gesichtspunkt 
zu benützen habe, entwickeln Ärzte und Seelsorger ihre Anschauungen über die 
Entstehung der Angst und ihrer Rekämpfung. Im philosophischen Teil werden 
Ki erkegaar d und Heidegger stark herangezogen. Die Psychoanalyse wird 
besonders von Kapp besprochen. Er betont, daß trotz aller Redenklichkeiten der 
Lehre Freuds seine Forschungen uns unendlich in der Erkennung der mensch- 
lichen Seele weitergebracht hätten und weist die katholischen Publizisten an, die vor 
Freud übliche Unterschätzung der Sexualität zu korrigieren und ihr einen wesent- 

— 346 — 



liehen Platz in der Triebforschung und Neurosen forschung einzuräumen. Das Un- 
bewußte im Freud sehen Sinne wird abgelehnt und als Hauptfolgerung die Erkennt- 
nis hingestellt, daß Angst dann eintrete, wenn der Einzelne in seiner Beziehung zum 
Ewigen bedroht sei. In der Therapie heißt es: „Wir heilen die Neurose und beseiti- 
gen die Angst, indem wir den Kranken in den Stand setzen, den Konflikt zu beheben; 
wir lassen ihn den Konflikt ehrlich schauen und helfen ihm, ihn zu überwinden und 
sich selbst wieder eine feste weltanschauliche Basis zu schaffen. Arzt und Seelsorger 
haben hier ein weites gemeinsames Feld der Arbeit, die vor allem von der vor- 
nehmen Achtung der beiderseitigen Wirkungsmöglichkeiten im Hinblick auf die 
ewigen Wahrheiten der Kirche getragen sein muß." 

Linus B o p p beschäftigt sich besonders mit der kindlichen Angst. Er ver- 
mutet, daß das Kind von Natur aus ein starkes Sühnebedürfnis habe. Man müsse es 
achten und lenken, je nach Umständen mäßigen oder auch wecken. Er rät den katho- 
lischen Seelsorgern und Pädagogen, die Beichte zur Quelle des Freudeerlebnisses zu 
machen und behauptet, daß das Kind es fertigbrächte, alles das restlos zu vergessen, 
was ihm bisher eine Quelle der Angst gewesen sei. 

Wer sich für die katholische Pädagogik, soweit sie Fühlung mit modernen psycho- 
logischen Bestrebungen nimmt, interessiert, wird in dem kleinen Werk manches 
Interessante finden. Von Bedeutung wäre es aber, wenn die Autoren sich auch unter- 
richten ließen, über die Wirkung der Beichte bei Individuen, die später in der Analyse 
die Erlebnisse ihrer Kindheit durcharbeiten! Meng 



VI Tagung der Heilpädagogisdien Gesellschaft für Nordwestdeutsdiland. Am 

7. und 8. Oktober d. J. findet die VI. Tagung der Heilpädagogischen Gesellschaft für 
Nordwestdeutschland in Kiel statt. Das Thema der Tagung heißt: „Beiträge 
zur psychologischen Fundierung der Heilpädagogik." Anmel- 
dungen sind bis zum 50. August d. J. an Dr. Gustav Nass, Kiel, Moltkestraße 52, 
zu richten. 

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In zweiter, vermehrter Auflage erschien: 

Einführung in die Technik, der Kinderanalyse 

Vorträge am Lehrinstitut der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung 

Von 

Anna Freud 

Inhalt: I) Die Einleitung der Kinderanalyse — II) Die Mittel der Kinderanalyse — III) Die 

Rolle der Übertragung in der Kinderanalyse — IV) Das Verhältnis der Kinderanalyse zur 

Erziehung — Anhang : Zur Theorie der Kinderanalyse 

Geheftet M. 2.J0, Ganzleinen M. 4 — 
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien, I 



Eigentümer und Verleger: Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Ges. m. b. H., Wien 1, Börse- 
gasse 11. — Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: Dr. Paul Federn, Wien VI, Köstlergasse 7. 
Druck von Emil M. Engel. Druckerei und Verlaesanstalt. Wien I, In der Börse. 



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| SONDERHEFTE 

| der „Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik" 

M Mark 

„Sexuelle Aufklärung" (=i. j g ., Heft 7-8-9) 2.50 

= 

„Onanie" (=11. j g ., Heft 4-5-6) 2-50 

r „Stottern" (=11. Jg., Heft n-12) 2.— 

„Nacktheit" (=11. Jg., Heft 2-5) 2.- 

„Die Kindheit eines Proletarier mädchens" 

| (= IL Jg., Heft 5-6) 2.- 

„Selbstmord" (=111. Jg., Heft 11-12-15) 3 .— 

: ff : „Intellektuelle Hemmungen" (= iv. j g) Heft n- 12) 2 — 

P Richard Sterba: „Einführung in die psycho- 

| analytische Libidolehre"(= v. jg, Heft 2 5) 2 — 

1 „Menstruation" (= v. j g ., Heft 5-6) 2.— 

I „Strafen" (= v. Jg., Heft 8-9) 2.— 

1 Marie Bonaparte: „Die Sexualität des Rindes 
j und die Neurosen der Erwachsenen" 

g (= V. Jg., Heft 10) i-— 

| Alice Balint: „Psychoanalyse des Kinder- 

| zimmers" (= vi. Jg., Heft 2-5) 2.— 

~ Demnächst ersehet n e n : 

5 Erziehungsberatung — Die Angst des Kindes — 
9 Psy choanalytifche Heilpädagogik im Kindergarten 



Psychoanalytische Literatur 
zur Pädagogik 

(Genaue Verzeichnisse und Prospekte werden auf Wunsch gerne kostenlos zugesandt) 
PREISE IN REICHSMARK 



August Äicßßorn: Verwahrloste Jugend. 

Die Psychoanalyse in der Fürsorgeerziehung. Mit einem Geleitwort 
von Sigm. Freud. Zweite Auflage. Geh. 6.—, in Ganzleinen 8 — 

Siegfried Bernfeld: Sisyphos oder Die Grenzen der Erziehung. 

Geh. J. — , in Ganzleinen 6.J0 

Siegfried Bernfeld: Vom Gemeinschaftsleben der Jugend. 

In Halbleinen 12. — 

Siegfried Bern feld: Vom dichterischen Schaffen der Jugend. 

In Ganzleinen Ij. — 

Anna Freud: Einführung in die Technik der Kinderanalyse. 

Zweite Auflage. Geh. 2.J0, in Ganzleinen 4. — 

G. H. Gräber: Die Ambivalenz des Kindes. 

In Halbleinen J. — 

Melanie Klein: Die Psychoanalyse des Kindes. (Ersch. Sept. 1932) 

Geheftet ca. 10. — , Ganzleinen ca. 12. — 

Oskar Pf ist er: Elternfehler. Geh. i — 

Vera Schmidt: Psychoanalytische Erziehung in Sowjetrußland. 

Geheftet I. — 

Neil? Wolffßeim: Psychoanalyse und Kindergarten. 

Geheftet 2.40, in Ganzleinen 4. — 



INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG 

Wien I, In der Börse 



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HIPPOKRATES-VERLAG G. M. B. H. STUTTGART/ LEIPZIG 

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| NEUERSCHEINUNG! NEUERSCHEINUNG! 

I DR. G. BAISSETTE 

! LEBEN UND LEHRE 
I DES HIPPOKRATES 

Deutsche Übertragung von Dr. Benno Hepner 
Vorwort von Dr. Erwin Liek, Danzig 

300 S., 4 Taf., steif kart. ca. RM 4.25, Ganzl. ca. RM 5.25 

Eine in begeisternder Sprache und vorzüglichem Stil geschriebene Biographie 
des großen Hippokrates, in welche die wichtigsten Lehren der hippokra- 
tischen Schule, teils wörtlich wiedergegeben, teils geistig verarbeitet, ein- 
geflochten sind. Die Biographie selbst baut auf den spärlichen Angaben 
auf, die in den hippokratischen Schriften enthalten sind, weiterhin auf 
den pseudohippokratischen Briefen und den vielen später entstandenen, 
Z. T. sagenhaften Erzählungen, die an den Namen Hippokrates anknüpfen, 
also — Wahrheit und Dichtung. Die Pariser Fakultät hat dem Autor für 
dieses Buch die goldene Medaille verliehen, ein Zeichen, welch starke Be- 
achtung man dieser lebensvoll gestalteten Biographie schenkte. 

9 

Hippokrates als Vorläufer der Psychoanalyse 

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Le Progres Girique schreibt: 

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J „Gaston Baissette veröffentlicht soeben über Hippokrates ein gut dokumentiertes 

Werk, dessen Lektüre sehr fesselnd ist. Wir werden hier dieses Buch, welches das 

=| Leben und das Werk des Vaters der Medizin so vollständig als möglich darstellt, 

nicht zergliedern. Wir werden einfach einige sehr merkwürdige Einzelheiten hervor- 
heben, die erweisen, daß Hippokrates bereits eine Erkenntnis der psychoanalytischen 
Wissenschaft gehabt hatte." 

Es folgt die Anführung der betreffenden Stellen des Buches, ganz besonders die be- 
kannte Heilung des Königs Perdikkas von Mazedonien, die als eine wirkliche psycho- 
analytische Heilung anzusehen ist. 

Leon Bernard, Prof. der Medic. Akademie: 

„. . . Es ist das seltene Verdienst des Autors, „Hippokrates wiedergefunden" zu haben. 
Mit einem Schlage kann man jetzt das große Werk ermessen, das die Unwetter der 
Religion und Magie von der Medizin befreite, das die Fundamente unserer Wissen- 
schaft legte, indem es die Methoden festsetzte, die ersten Wege urbar machte und 
gleichzeitig die Vorschriften, die Verpflichtungen und die Vorrechte unseres Standes 
formulierte . . ." 



Zu beziehen durch: 
Internationaler Psydioanalytisdier Verlag, Wien I, In der Börse 



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HIPPOKRATES -VERLAG G.M.B.H. STUTTGART/ LEIPZIG 



I NEUERSCHEINUNG! 



NEUERSCHEINUNG! 



I DR. G. BAISSETTE 

! LEBEN UND LEHRE 
| DES HIPPOKRATES 

Deutsche Übertragung von Dr. Benno Hepner 
Vorwort von Dr. Erwin Liek, Danzig 

300 S., 4 Taf., steif kart. ca. RM 4.25, Ganzl. ca. RM 5.25 

Eine in begeisternder Sprache und vorzüglichem Stil geschriebene Biographie 
des großen Hippokrates, in welche die wichtigsten Lehren der hippokra- 
tischen Schule, teils wörtlich wiedergegeben, teils geistig verarbeitet, ein- 
geflochten sind. Die Biographie selbst baut auf den spärlichen Angaben 
auf, die in den hippokratischen Schriften enthalten sind, weiterhin auf 
den pseudohippokratischen Briefen und den vielen später entstandenen, 
z. T. sagenhaften Erzählungen, die an den Namen Hippokrates anknüpfen, 
also — Wahrheit und Dichtung. Die Pariser Fakultät hat dem Autor für 
dieses Buch die goldene Medaille verliehen, ein Zeichen, welch starke Be- 
achtung man dieser lebensvoll gestalteten Biographie schenkte. 

| Hippokrates als Vorläufer der Psychoanalyse 



Le Progres Girique schreibt: 

„Gaston Baissette veröffentlicht soeben über Hippokrates ein gut dokumentiertes 
Werk, dessen Lektüre sehr fesselnd ist. Wir werden hier dieses Buch, welches das 
Leben und das Werk des Vaters der Medizin so vollständig als möglich darstellt, 
nicht zergliedern. Wir werden einfach einige sehr merkwürdige Einzelheiten hervor- 
heben, die erweisen, daß Hippokrates bereits eine Erkenntnis der psychoanalytischen 
Wissenschaft gehabt hatte." 

Es folgt die Anführung der betreffenden Stellen des Buches, ganz besonders die be- 
kannte Heilung des Königs Perdikkas von Mazedonien, die als eine wirkliche psycho- 
analytische Heilung anzusehen ist. 

Leon Bernard, Prof. der Medic. Akademie: 

„. . . Es ist das seltene Verdienst des Autors, „Hippokrates wiedergefunden" zu haben. 
Mit einem Schlage kann man jetzt das große Werk ermessen, das die Unwetter der 
Beligion und Magie von der Medizin befreite, das die Fundamente unserer Wissen- 
schaft legte, indem es die Methoden festsetzte, die ersten Wege urbar machte und 
gleichzeitig die Vorschriften, die Verpflichtungen und die Vorrechte unseres Standes 
formulierte . . ," 



Zu beziehen durch: 
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien I, In der Börse 



VI. Jahrg. 



Juli- August 1932 



Nr. 7/8 



Zeitschrift für 

psychoanalytische 

Pädagogik 



Burlingßam Kinderanalyse und Mutter 

Klein Die Neurose des Kindes 

Scfimideberg Aus Kinderanalysen 

1) Nägelbeißen 

II) Paradoxe Reaktion auf das Gestatten 
der Onanie 

III) Die Wirkung elterlicher Konflikte auf 
das Kind 

IV) Patienten, die keine Freundlichkeit ver- 
tragen 

Hitscßmann Kindheitskonflikte und Homosexualität 

Buxbaum Analytische Bemerkungen zur Montessori- 

Methode 
Mülfiause -Vogeler . . Wohin führt die Nackterziehung? 
P/pal Beim Lesen schöner Geschichten 

Berichte 



Preis dieses Heftes Mark 2' —