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Full text of "Gesammelte Werke"

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in  2010  with  funding  from 

University  of  Toronto 


Iittp://www.archive.org/details/a2gesammeltewer02sclin 


GESAMMELTE  WERK 
VON  ARTHUR  SCHNITZLE] 

IN  ZWEI  ABTEILUNGEN 


Erste  Abteilung: 

Die  erzählenden  Schriften 

in  drei  Bänden 

^  Zweite  Abteilung: 
Die  Theaterstücke 
in  vier  Bänden 


S.  FISCHER/VERLAG/BERLIN 


41 


(jIE  THEATERSTÜCKE 
i  ON  ARTHUR  SCHNITZLER 

ZWEITER  BAND 


1.  FISCHER  /  VERLAG  /  BERLIN 


Alle  Rechte  vorbehalten.  Den  Bühnen  und  Vereinen  gegen- 
über Manuskript.  Das  Recht  der  Aufführung  ist  nur  von 
S.  Fischer,  Verlag,  Berlin  W,  Bülotvstr.  go  zu  erwerben. 

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(hcf.Z 

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INHALT 

Paracelsus  (i8gy) g 

Die  Gefährtin  (i8g8) ^g 

Der  grüne  Kakadu  (iSgS)       8i  ^ 

Der  Schleier  der  Beatrice   (i8gg)  .    .    .  12g 
Lebendige  Stunden: 

1.  Lebendige  Stunden   (igoi)  ....  326  f^ 

2.  Die  Frau  mit  dem  Dolche  (igoo)  .  343 

3.  Die  letzten  Masken  (igoi)     .    .    .  J70  ^ 

4.  Literatur  (igoi) jpz 


PARACELSUS 

Versspei  in  einem  Akt 


PERSONEN 

CTPRIAN,  ein  Waffenschmied 
JUSTIN J,  seine  Gattin 
CACILIA,  seine  Schwester 
DOKTOR  COPUS,  Stadtarzt 
ANSELM,  ein  Junker 

THEOPHRASTUS  BOMBASTUS  HOHENHEIM, 

genannt  Paracelsus 

Spielt  zu  Basel  zum  Beginn  des  i6.  Jahrhunderts,  an 
einem  schönen  Junimorgen,  im  Hause  des  Cyprian. 


Das  zvohlgebaUene  Zimmer  bat  zwei  Türen,  die  eine  links  führt  ins 
Gemach  Justinas,  die  andere  rechts  ins  Vorgemach, 

ERSTER  JUFTRITT 

JUSTIN A  sitzt  am  Fenster^  mit  einer  Arbeit  beschäftigt  (Spinn- 
rocken).   CÄCILIA  tritt  ein. 

JUSTINA 

aufschauend  ruhig. 

Wie  ?    Schon  zurück  ? 

CÄCILIA 

Zu  lärmend  ist  die  Stadt. 
Sie  setzt  sich. 
Mich  schmerzt  der  Kopf;  ich  mußte  wieder  heim. 
Und  wärst  Du  mit  mir  auf  dem  Markt  gewesen. 
Du  wärst  mit  mir  zurück. 

JUSTINA 

Warum  ? 

CÄCILIA 

Weil  dort 
Ein  solches  Drängen  und  so  wüstes  Schrein, 
Daß  kein  Vernünft'ger  es  ertragen  kann. 

JUSTINA 
Gibt's  was  zu  sehn  ?    Sind  neue  GauVler  da  ? 

CÄCILIA 
Hat's  nicht  die  Magd  erzählt? 

JUSTINA 

Die  kam  noch  nicht. 

CÄCILIA 

Nun  freilich;  die  kommt  heute  nicht  nach  Hause. 
Ganz  Basel,  glaub'  ich,  ist  dort  festgebannt. 
Hin  strömen  alle;  alle  bleiben  stehn. 
Als  gäb's  die  größten  Wunder  dort  zu  schaun. 


If 


JUSTINA 
Nun,  was  für  Wunder,  Du  verwärrtes  Ding! 

CÄCILIA 
's  ist  ein  Quacksalber  da  —  und  das  ist  alles. 

JUSTINA 
Das  ist  nicht  viel! 

CÄCILIA 

Ich  sagt'  es  ja.    Man  hat 
Derlei  Gesellen  hier  genug  gehabt. 
Was  finden  sie  an  diesem  just  Besondres? 

JUSTINA 

Wird  ein  berühmter  sein,  ein  weit  gereister  — 
Hast  du  den  Namen  nicht  gehört?  — 

CÄCILIA 

Es  schwirrten 
Gar  viel'  um  mich  —  doch  ich  vergaß  sie  alle. 
Gottlob,  daß  ich  daheim  —  mich  schwindelt  noch. 

ZWEITER  auftritt: 

yUSTINA,  CÄCILIA.    DOKTOR  COPUS  tritt  auf, 

COPUS 

Ich  wünsche  guten  Morgen,  werte  Damen. 

JUSTINA 
Ihr  kommt  zur  Zeit;  lächelnd  das  Kind  ist  wieder  krank. 

COPUS 

Dann  ist's  die  Erste  heut,  die  meiner  wartet, 
Die  andern  alle  liefen  mir  davon. 

JUSTINA 
Wo  sind  sie? 


12 


COPUS 

Wo  sie  sind  — ?  Nun,  auf  dem  Markt! 
Herr  Paracelsus  ist  uns  ja  erschienen, 
Was  braucht  man  da  den  Doktor  Copus  noch! 

CÄCILIA 
Ja!  Paracelsus  hieß  er! 

JUSTINA 
Paracelsus ! 
Der  also  ist's!    Der  hochberühmte  Arzt! 

COPUS 

zornig. 

Was  sagt  Ihr?  —  hochberühmt f 
CÄCILIA 

bfgütigtnd. 

Sie  meint's  nicht  so. 

COPUS 

Und  „Arzt"  —  ?   So,  bitt'  ich,  nennt  Quacksalber  mich 
und  nennt  mich  unbekannt  —  wenn  Paracelsus 
Berühmt  und  Arzt! 

CÄCILIA 

fast  ängstlich. 
Was  ist  er  denn? 

COPUS 
Ein  Schwindler. 
Und  nun  genug.  —  Bricht  ab.    Wie  geht's  Euch  liebes 

Fräulein  ? 
Fühlt  Cäcilia  den  Puls.    Ein  bißchen  rasch. 

CÄCILIA 

Ich  hab'  das  Fieber,  nicht? 

COPUS 
Habt  Ihr  das  Pulver  heute  früh  genommen? 


13 


CÄCILIA 

Gewiß;  wie  Ihr's  verordnet,  Doktor  Copus. 
Und  doch  ist  noch  mein  Puls  zu  schnell? 

„Und  doch!" 
Wenn  Ihr  das  Pulver  nicht  genommen  hättet, 
So  ging'  er  doppelt  rasch. 

CÄCILIA 

Soll  ich  noch  eins 
Heut  nehmen? 

CO?ll^ 

Eure  Zunge,  wenn's  beliebt. 
Cäcilie  streckt  die  Zunge  hervor. 

COPUS 
Nicht  übel,  Fräulein!    Diese  kann  so  bleiben. 

CÄCILIA 
Doch  meinem  Kopf  geht's  schlimmer  als  seit  lang! 

COPUS 

ohne  auf  sie  zu  bören^  plötzlich  toieder  in  Wut. 

Und  wißt  Ihr,  wer  dort  steht  wie  andres  Volk? 

JUSTINA 

Wer  denn  ?  —  Und  wo  ?  — 

COPUS 

Der  Meister  Cyprianus 
Steht  auf  dem  Markt  und  hört  dem  Schwindler  zu. 

JUSTINA 
Mein  Gatte? 

COPUS 
Er,  der  sonst  dergleichen  Volk, 
Das  heimatlos  die  Straßen  zieht,  verachtet, 
Steht  auf  dem  Markt  —  nein!  auf  den  Stufen  steht  er, 


H 


Die  zum  Gerüst  des  Paracelsus  führen. 

Und  hört  und  sieht  und  staunt  und  wird  verrückt! 

JUSTINA 
Nun  aber  sagt  doch,  was  so  Wunderbares 
An  diesem  Mann? 

COPUS 
Ich  finde  wunderbar 
Nur  eins:  die  große  Frechheit,  die  er  zeigt. 
Ein  Wort,  das  ich  mit  meinen  Ohren  hörte: 
Mein  Bart  hat  tiefere  Gelehrsamkeit 
Als  sämtliche  Doktoren  und  Skribenten. 

JUS1INA 
Ein  Scherz  —  so  klingt's!  — 

COPUS 

Ja  nehmt  ihn  nur  in  Schutz! 
Er  spottet  Avicennas!  höhnt  Galen! 
Begeifert  alle,  die  vor  ihm  gewesen 
Und  unsre  hohe  Kunst  so  weit  gebracht. 
Der  Schule  lacht  er,  der  er  selbst  entstammt. 
Die  Ärzte  schmäht  er  und  die  Apotheker, 
Und  um  den  wackern  Pöbel  hinzureißen. 
Was  glaubt  Ihr,  daß  der  Unverschämte  tut  ?  — 
Die  Arzeneien,  die  ihm  Kranke  brachten. 
Die  Tränke  gießt  er  auf  den  Boden  hin, 
Die  Flaschen  schleudert  er  davon  ins  Weite, 
Und  bläst  die  Pulver  einfach  in  die  Luft 
Und  schreit  dazu:  Was  einst  Hippokrates 
Und  mehr  als  das,  bin  ich,  bin  Paracelsus! 
Und  Eure  Ärzte  sind  beschränkte  Tröpfe! 

JUSTINA 
Und  Cyprianus  steht  dabei? 

COPUS 

Und  lauscht! 
Und  unser  halbes  Basel  steht  und  staunt. 


IS 


Und  meine  eigenen  Patienten  sah  ich  — 
Die  stehen  dort  und  harren  seines  Rats! 

CÄCILIA 

Er  ordiniert  ? 

COPUS 
Oh,  wollt  Ihr  etwa  hin? 
Jawohl!  Er  ordiniert!  —  Und  glaubt  Ihr's  nicht, 
Die  Totenliste  morgen  wird's  erweisen. 
Ich  aber  sag'  Euch  lieber:  Lebet  wohl. 
Aufs  Rathaus  geh'  ich,  lege  meine  Stelle 
Zurück  —  und  will  des  Lebens  kargen  Rest 
Dem  undankbaren  Basel  fern  verbringen. 

CÄCILIA 
Herr  Doktor!  —  und  mein  Kopf?  Was  soll  ich  tun? 

COPUS 
Ich  will  Euch  zeigen,  wie's  der  Schwindler  macht. 

JUSIINA 
Ja,  bitte;  zeigt  uns  das. 

CÄCILIA 
An  meinem  Leiden 
Wollt  Ihr  die  Künste  jenes  Manns  versuchen  ? 

COPUS 
Wie,  Fräulein,  Ihr  habt  Kopfweh? 

CÄCILIA 

Ach,  Ihr  wißt's  ja. 
COPUS 
Als  Paracelsus  Sprech'  ich  ja:  gebt  Acht! 
Nun  schaut   mich  an!     Er  fixiert  sie,  macht  magnetisierende 
Handbewegungen.     Der   Kopfschmerz   ist  verschwunden. 

CÄCILIA 

Ich  hab'  ihn  noch  —  und  stärker,  als  er  war. 

COPUS 
So  macht  es  jener:  Alles  ohne  Pulver  — 

i6 


Jnd  schimpft  dazu  auf  die:  die's  anders  machen. 
Jrid  das  ist  seine  vielgepriesne  Kunst. 
Jnd  alles  dies  in  Basel:  faßt  man's  denn? 


JUSTINA 
ch  denk',  er  treibt  es  allerorten  so? 

COPUS 

jewiß;  doch  hier  ist  er  vor  dreizehn  Jahren 
^u  seiner  Meister  Füßen  noch  gesessen, 
Frithemius'  Schüler  war  er!  wißt  Ihr's  nicht! 

JUS7INA 
Frithemius'  ?  der  im  vor'gen  Jahre  starb. 

I  COPUS 

|3ur  rechten  Zeit!    Und  in  dieselbe  Stadt, 
Nach  Wanderzügen  durch  die  ganze  Welt, 
Durch  Schweden,  Preußen  und  die  Tartarei 
Von  einem  Ort  zum  andern  ziehend  —  fliehend 
Versteht  mich  wohl:  er  hatte  Grund  zu  fliehen  - 
Kehrt  in  dieselbe  Stadt  zurück,  die  ihn 
Das  ABC  der  edlern  Kunst  gelehrt. 
Die  er  vergessen,  und  die  er  verleugnet. 

JUSTINA 
So  sagt  mir  doch:  wer  ist's?    In  Basel  war  er? 

COPUS 

Ihr  habt  ihn  gut  gekannt,  als  er  noch  einfach 
Bombastus  Theophrastus  Hohenheim  hieß  — 

JUSTINA 

höchst  erregt. 
Wie  sagt  Ihr  ?    Theophrastus  ... 

COPUS 

Hohenheim. 
JUSTINA 
Der  ist's? 

rhealeistücke.   !I,  a,  ly 


COPUS 
Ja,  der. 

JUSTINA 
Der  große  Paracelsus, 
Hörst  du,  Cäcilia,  ist  Hohenheim, 
Von  dem  ich  dir  erzählt. 

CÄCILIA 

Was  hast  du  nur? 

JUS1INA 

Du  hast  ihn  nicht  gekannt  —  warst  noch  ein  Kind  — 
Nun  weiß  ich,  warum  Cyprian  ihm  lauscht. 


DRITTER  AUFTRITT 

JUNKER  ANSELM  tritt  auf.  CACJLIA,  JUSTINA,  COPUS. 

ANSELM 
Mein  Klopfen  hört  man  nicht  —  so  bitt'  ich  um 
Vergebung,  daß  ich  ungemeldet  eintrat. 
—  Ich  störe  f    Ist  der  Meister  nicht  zugegen  ? 

JUSTINA 
Noch  nicht. 

ANSELM 

geziert^  aber  liebenswürdig. 
Wie  geht's  der  allerschönsten  Frau  ? 
Und  wie  dem  lieblichsten  der  jungen  Mädchen? 
Und  wie  dem  hochgelehrtesten  der  Männer? 

CÄCILIA 
Und  wie  dem  unausstehlichsten  der  Junker  ? 

ANSELM 

immer  Justina  betrachtend. 
Dem  geht's  nicht  gut  —  denn  bald  verlassen  muß  er 
Die  schönste  Stadt  und  manches,  das  ihm  teuer. 


i3 


CACILIA 

'st's  nur  gewiß?  —  Schon  oft  verspracht  Ihr  das! 

ANSELM 

Der  Vater  ruft  mich.    Ich  muß  wieder  heim. 
3evor  ich  Blick  auf  Justina  meiner  Wünsche  Ziel  erreicht. 
Denn  noch  ist  Meister  Thomas  nicht  zufrieden. 
3ie  Orgel  spiel'  ich  schlecht;  das  Töne  setzen 
fVill  nicht  gelingen  —  und  kein  einz'ges  Lied 
■iab'  ich  vollendet,  der  soviel  begann. 

CACILIA 
Der  Grund  ist  einfach. 

COPUS 

Ihr  seid  noch  so  jung, 
Die  Musika  ist  eine  schwere  Kunst. 

ANSELM 
Dem,  der  nicht  glücklich  ist,  fällt  alles  schwer. 

CACILIA 

Und  einem,  der  durch  alle  Nächte  zecht 
Und  Würfel  spielt  bis  an  den  grauen  Morgen, 
Dem  ist  bei  Tag  noch  nie  was  Rechts  gelungen. 

JUSTINA 
vorwurfsvoll. 
Cäcilia! 

COPUS 

Tut  Ihr  das  ?    Das  ist  nicht  gut. 

ANSELM 
Habt  Ihr  ein  Mittel  gegen  Gram  der  Seele? 

COPUS 
Die  Würfel  sind  es  nicht. 


19 


ANSELM 

Auch  nicht  der  Wein. 
Doch  beides  macht  vergessen  —  das  ist  gut. 

COPUS 
Ich  bin  nicht  Euer  Arzt  —  so  muß  ich  schweigen. 

CÄCILIA 
Doch  meiner  seid  Ihr  —  und  noch  immer,  seht, 
Schmerzt  mich  der  Kopf,  und  ratlos  steh'  ich  da. 

COPUS 

Verzeiht,  mein  Fräulein,  gleich  verschreib'  ich  Euch, 
Was  Euch  in  einer  Stunde  helfen  soll. 

CÄCILIA 

Kommt  auf  mein  Zimmer,  Doktor. 

COPUS 

Mit  Verlaub. 
CopuSf  Cäcilia  ah. 

VIERTER  AUFTRITT 

JUS-TINA,    ANSELM. 

ANSELM 
Justina! 

JUSTINA 
Schweigt! 

ANSELM 
Heut  fordert  Ihr's  vergeblich! 
Daß  ich  die  Stadt  verlassen  muß,  ist  wahr; 
Wahr,  daß  ich  heut  zum  letzten  Mal  Euch  sehe, 
Und  sagen  muß  ich  Euch  — 

JUSTINA 

Ich  will's  nicht  hören. 


20 


ANSELM 
So  schweig'  ich  —  aber  meine  Stummheit  redet. 

JVS1INA 

Ein  jedes  Wort  von  Euch  beleidigt  mich, 
Und  Eure  Blicke  kränken  meine  Würde. 

ANSELM 
Die  Blicke,  die  zu  einer  Göttin  aufschaun. 
Die  Worte,  die  aufsteigen,  ein  Gebet  — ? 

JUS7INA 
Genug,  sag'  ich! 

ANSELM 
Ihr  kennt  mich  nicht,  Justina, 
Ihr  wißt  nicht,  was  ich  will  —  kaum,  was  ich  bin. 
Ich  gelt'  Euch  als  ein  Stümper  —  oder  Narr ! 
Das  bin  ich  nicht!  mehr  bin  ich,  als  Ihr  ahnt. 
Und  was  mir  meines  Geistes  Kräfte  lähmt, 
Ist,  das  Ihr  sie  nicht  kennt  und  sie  verachtet. 
Es  könnte  dieser  Lippen  Lächeln  mich 
Zum  Künstler  —  ach  —  ein  Kuß  zum  Meister  bilden! 

JUS7INA 
bat  ihre  Fassung  toieder^  ist  kühl  und  scharf. 

Holt  Euch  bei  andern,  was  Euch  schaffen  lehrt. 
Ich  habe  keine  Küsse  und  kein  Lächeln. 

ANSELM 
Die  womdersamsten  Lieder  sang'  ich  dann 
Zum  Preise  meiner  vielgeliebten  Herrin, 
Und  auf  die  Nachwelt  kämen  wir  vereint. 

JUSTINA 
Die  blühnde  Jugend  hat  mich  nie  verführt  — 
Nun  soll  mich  gar  der  Ruhm  —  ein  Schatten,  locken  ? 
Seht  doch  —  Ihr  habt  ein  Lächeln  nur  verlangt . . . 
Ich  geb'  Euch  mehr  .  . . 


21 


ANSELM 
O  sprecht! 

JUSTINA 

Ich  lache  laut.    Lacht 

ANSELM 
In  Wahnsinn  treibt  Ihr  mich. 

JUS1INA 

Der  Weg  ist  weit. 

ANSELM 
Und  in  den  Tod  .  . . 

JUS1INA 

Wir  müssen  alle  hin. 

ANSELM 

wirft  sieb  bin. 
Zu  Euren  Füßen  fleh'  ich,  kommt  heut  Abend 
In  Euren  Garten  —  dort  ein  letztes  Mal 
Will  ich  auf  Eure  Hand  die  Lippen  drücken. 
Es  wird  uns  niemand  sehen.    Übers  Gitter 
Steig'  ich  herein.     .  .  Verschwiegen  ist  die  Nacht. 
Ich  warte  in  der  Laube  .  . . 

JUS1INA 

Ihr  seid  toll  .  . . 
Steht  auf.    Mein  Gatte  kommt. 

ANSELM 

Was  tut's?    Sieht  er 
Mich  auf  den  Knien  vor  Euch,  so  lacht  er  nur  — 
So  wohlgemut  spaziert  er  durch  die  Welt, 
So  sicher  seines  Weibs  und  so  berauscht 
Vom  stolzen  Glücke  des  Alleinbesitzens  — 
Ich  aber  sag'  Euch:  solcher  Übermut... 

JUSTINA 
Steht  auf  —  um  Himmelswillen  ' —  hört  Ihr  nicht  — 


22 


FÜNFTER  JUFTRITT 

INSELM,    JUSTINA,     CTPRIAN.     Später   PARACELSUS. 

CTPRIAN 

lächelnd  über  die  Verlegenheit  der  beiden. 
Mein  guter  Junker,  seid  Ihr  wieder  da  ? 

tANSELM 
ch  bin  .  .  .  ich  wollte  just  •— 

CTPRIAN 

ohne  seiner  zu  achten,  zu  Justina. 

Mein  liebes  Kind, 
Ich  bring'  heut  einen  wunderlichen  Gast, 
Mit  dem  wir  unsre  Kurzweil  haben  werden. 

fusiina  erschrickt  leicht. 
Mein  guter  Paracelsus,  tretet  ein. 

Paracelsus  erscheint  an  der  Tür. 
Ein  einfach  bürgerliches  Haus  —  doch  denk'  ich, 
Wenn  man  gewohnt,  im  Frein  zu  übernachten. 
So  kann  sich's  sehen  lassen. 

PARACELSUS 

Werter  Meister, 
Nicht  ganz  verächtlich  ist  des  Himmels  Dach. 

CTPRIAN 

auf  Anselm  weisend. 
Das  ist  Anselm,  ein  Junker,  der  in  Basel 
Das  Orgelspielen  ....  nicht  wahr.  Orgelspielen  ? 

ANSELM 
Jawohl  das  Orgelspielen  will  ich  lernen. 

CTPRIAN 

sich  erinnernd. 
Bei  Meister  Thomas .  .  .  freilich  .  .  .  Seinem  Vater 
Hab'  ich  ein  herrlich  Waffenzeug  geliefert, 
Als  er  mit  einer  Reiterschar  hier  durchzog. 
Kopfschüttelnd.   Der  Vater  Krieger  . . .  Musikus  der  Sohn. 


23 


ANSELM 
Zum  Zeitvertreib. 

CTPRIAN 
Nun,  ja.    Zu  Paracelsus.   Und  nun,  mein  Guter, 
Seid  uns  willkommen.    Sollt  nach  langer  Zeit 
In  ehrlicher  Gemeinschaft  eine  Stunde 
Bei  einem  Becher  guten  Weins  verbringen. 

PARACELSUS 
Und  kennt  mich  Eure  schöne  Gattin  noch? 

JUSTINA 
Gevi^iß  ich  kenn'  Euch  — 

PARACELSUS 

blickt  sie  lange  an. 

CTPRIAN 

Nun,  für  seine  Jahre 
Sieht  er  verwittert  aus!    Was  sagst  du  nur, 
Der  Mann,  um  den  Geheimnis  webt  und  Dunkel, 
Der  Ruhelose,  dem  die  wilde  Fabel 
Vorauseilt  wie  ein  tollgewordner  Herold, 
Der  Hexenmeister  ist  der  Hohenheim, 
Den  wir  als  frommen  Studiosus  kannten. 

PARACELSUS 
Ich  bin  kein  Hexenmeister,  edle  Frau. 
Ich  bin  ein  Arzt,  nur  klüger  als  die  andern. 

CTPRIAN 

Was  Ärzte  sind,  das  wässen  wir,  mein  Guter, 
Die  treiben  solche  Schwanke  nicht  wie  Ihr. 
Doch  was  Ihr  immer  seid,  Ihr  macht  mir  Spaß, 
Und  da  Ihr  über  meine  Schwelle  tratet. 
Seid  Ihr  mein  Gast  —  woher  Ihr  kommen  mögt. 
Auch  freut  mich,  daß  ich  stets  Euch  recht  erkannt. 
Schon  als  vor  Jahren  Ihr  in  Basel  weiltet, 
Der  Alchymie  beflissen  bei  Trithem, 


24 


Und  vor  gewissen  Fenstern  nächtlich  schwärmtet  — 
Ich  wußte  stets:  aus  Euch  wird  nie  was  Rechts! 

Mädchen  kommt  mit  Wein;  tcie  sie  hergerichtet,  gebt  sie  wieder; 

Justina  macht  sich  ein  tcenig  an  dem  Tisch  zu  schajjen.   ParaceUus 

schaut  Anselm  scharf  an, 

PARACELSUS 
Ihr  findet?  — 

CTPRIAN 

Aber  dieses  ist  mein  Spruch: 

Ein  jeder  lebe,  wie's  ihn  freuen  mag! 

Wo  wäre  das  Verdienst,  am  eignen  Herd, 

Dem  Hause  nützend  wie  dem  Allgemeinen, 

Sein  ehrhch  Handwerk  treiben  als  ein  Bürger, 

Gäb's  andre  nicht,  die's  in  die  Ferne  lockt, 

Als  fahrende  Gesellen  hinzuziehen. 

Zu  Zeiten  seh'  ich  solche  Käuze  gern, 

Die  den  Geruch  von  weiten  Fahrten  bringen. 

Denn:  gehn  sie  wieder,  ist  man  dreifach  froh. 

Daß  man  sein  Heim,  sein  Weib  hat  und  sein  Handwerk. 

JUSTINA 
Noch  immer  steht  dein  Gast. 

CTPRIAN 

Setzt  Euch  doch  nieder 
Und  Ihr,  mein  lieber  Junker  — 

ANSELM 

Mich  entschuldigt. 
Ich  muß  jetzt  fort,  denn  abends  reis'  ich  ab. 

CTPRIAN 
Was  sagt  Ihr? 

ANSELM 
Ja;  mein  Vater  ruft  und  drängt. 
Noch  manches  hegt  mir  ob,  bevor  ich  reise. 
Ich  komme  mittags.  Euch  Lebwohl  zu  sagen. 
Im  Abgehen.  Nicht  länger  könnt'  ich  diesen  Blick  ertragen. 

Ab. 

25 


SECHSTER  JUFTRITT 

CTPRIAN,   yUSTINA,    PARACELSUS. 

CTPRIAN 

Was  ist  dem  Junker  ? 

JUS1INA 

verlegen. 
Weiß  nicht. 

CTPRIAN 

lachend. 

Aber  ich! 
Was  gilt's,  daß  er  von  Liebe  dir  gesprochen. 

JUS1INA 
Nicht  doch. 

CTPRIAN 

Und  daß  du  dich  erzürnt  — 

JUSTINA 

Nein  —  nein. 

CTPRIAN 

Und  ihn  mit  rauhen  Worten  heimgeschickt? 

JUSTINA 
Was  fällt  dir  ein? 

CTPRIAN 

lachend. 
Ich  hoffe,  daß  du's  tatest. 

JUSTINA 
Gewiß,  ich  hätt's  getan. 

CTPRIAN 

Sieh,  wie  sie  rot  wird 

PARACELSUS 

Und  so  verwirrt,  als  wäre  Schönheit  Schuld 


26 


JUST  INJ 

fast  in  Tränen. 
Ich  bitt'  Euch  sehr  . . . 


Ich  seh's. 


CT  P  RUN 

zu  Paracelsus, 

Ihr  seht,  sie  ist  wie  einst. 
PARACELSUS 

mit  Bedeutung. 


CTPRIAN 

scherzend. 
Und  schämt  sich  ihrer  stummen  Macht, 
Die  jeder  fühlen  muß,  der  sich  ihr  naht. 
Ihr  wißt  ja  auch  ein  Lied  davon  zu  singen, 

JUS1INA 
flehend. 
Ich  bitte  dich! 

PARACELSUS 
Scheut  Ihr  Erinnerung? 
Man  kann  Ihr  besser  nicht  die  Schauer  nehmen, 
Als  wenn  man  sie  zum  Leben  wieder  weckt. 

CrPRIAN 
Wen  schauert  hier  ?  Vergangnes  ist  vergangen. 
Zum  Gatten  nahm  sie  mich,  nicht  Euch,  und  preist 
Alltäglich  ihren  Gott  für  diese  Wahl. 
Mein  ist  dies  Haus,  wie's  meines  Vaters  war, 
Und  meiner  Ahnen  seit  dreihundert  Jahren. 
Sein  Wohlstand  wächst  durch  Arbeit  und  durch  Fleiß. 
Ja  —  seht  mich  an,  mein  Lieber,  dieser  Arm, 
Der,  wie  bekannt,  ein  gutes  Schwert  zu  schmieden' 
Und,  wenn's  dazukommt,  auch  zu  schwingen  weiß, 
Ist  wohl  dazu  gemacht,  ein  Weib  zu  schirmen. 
Das  ist  es,  was  die  Frau  verlangt,  und  drum 
Gewann  ich  sie,  und  drum  kann  ich  sie  halten. 
Zu  fürchten  hab'  ich  nichts  ....  Erinnrung  nicht 


27 


Und  keine  Schwärmerei.    Vom  Gegenwärt'gen 
Umschlossen  und  gebändigt  ist  das  Weib. 
Geöffnet  ist  mein  Tor  .  .  .  ich  fürchte  niemand. 

PARACELSUS 
Ich  wünschte  dieses  Wort  so  wahr  als  stolz. 

CrPRIAN 
Ich  schenk'  Euch  diesen  Wunsch  —  er  ist  erfüllt. 

SIEBENTER  AUFTRITT 

JÜSTINA,    Cl'PRIAN,    PARACELSUS.    CACILIA  tritt  ein. 
Wie  sie  Paracelsus  siebt^  will  sie  weg, 

CrPRIAN 
Bleib  doch!    Das  ist  Cäcilia. 

PARACESLUS 

Eure  Schwester! 

CrPRIAN 
Sie  war  ein  Kind,  als  Ihr  die  Stadt  verUeßet. 
Cäcilia,  dies  hier  ist  ein  Wunderdoktor. 

CACILIA 
Ich  sah  Euch  schon  .... 

CTPRIAN 

Wie  war'  es,  Paracelsus, 
Wenn  Ihr  an  dieser  Eure  Kunst  versuchtet? 

CÄCILIA 
Wie  . . . ,  was  ? 

CTPRIAN 

Bleib  nur  bei  uns.    Ich  wette 
Der  Mann  mit  seinem  Zaubern  kann  dich  heilen, 

PARACELSUS 
Was  sagt  Ihr?  „Zaubern"? 


28 


CTPRIAN 

Wie  kann  ich  anders, 
Was  ich  heut  auf  dem  Markt  gesehn,  bezeichnen  ? 

JUSTINA 
Nun  aber  möcht  ich  selbst  am  Ende  wissen, 
Was  Ihr  vermögt. 

CTPRIAN 

Jetzt  findet  sie  die  Sprache, 
Verwundrung  nahm  sie  —  Neugier  bringt  sie  wieder. 
Herablassend.  Von  allen  Gauklern,  die  sich  hier  gezeigt, 
Ist  er's,  der  seine  Sach'  am  besten  trifft. 
Ich  liebe  sonst  dergleichen  nicht  besonders; 
Das  Feuerfressen  wie  das  Pillendrehen, 
Quacksalberei,  Goldmachen  und  Komödie 
Ist  nicht  mein  Fall,    Ihr  seid  doch  alle  Lumpen. 

PARACELSUS 
Schon  möghch.  Ratsherrn  sind  wir  sicher  nicht. 

CTPRIAN 
Der  Witz  ist  kühn,  doch  sei  er  Euch  vergeben, 
Da  ich  in  guter  Laune  heute  bin, 
Und  weil  Ihr  mehr  könnt,  als  die  andern  können. 
Man  merkt,  Ihr  habt  vor  Zeiten  was  gelernt, 
Und  unter  all  dem  Schwindel,  den  Ihr  treibt, 
Blitzt  immer  etwas  wie  Gelahrtheit  auf. 

PARACELSUS' 

böbniscb, 
Ihr  scherzt! 

CTPRIAN 
Hört,  Kinder,  was  er  aufgeführt. 

PARACELSUS 
Laßt  doch  .... 

CTPRIAN 

Nur,  was  mir  eben   einfällt.    Zu  Justma 
und  Cäcilia.   Ihr  kennt  die  Frau  des  Schmieds  ? 


29 


CACILIA 

Die  ganz  gelähmt  ist? 

CTPRIAN 
Seit  heute  morgen  regt  sie  Arm  und  Beine, 
Und  was  der  andern  A'Iühe  nie  geglückt, 
In  einem  Augenblick  gelang  es  diesem. 

CACILIA 

Ist's  möglich? 

CTPRIAN 

Und  es  kommt  noch  sonderbarer. 
Kennst  du  das  Töchterlein  des  Drechslermeisters  ? 

JUSTINA 

Die  plötzlich  stumm  ward  im  vergangnen  Winter  ? 

CrPRIAN 

Sie  redet  wieder,  seit  es  Der  befahl. 

JUSIINA 
Wie  ist  dies  alles  mögHch? 

CTPRIAN 

Hexerei ! 
Und  höchst  erstaunt  hab'  ich  mich  schon  gefragt, 
Wie  Ihr  bis  heut  dem  Feuertod  entgingt. 

,PARAC£LSUS 

Geduld,  verehrter  Meister,  Zeit  bringt  Rat, 

CTPRIAN 

Doch  was  am  allermeisten  mich  verblüfft, 
Das  war,  was  mit  Aledardus  Ihr  verübtet. 
Erklärend.  In  Schlummer  ließ  er  diesen  Jüngling  sinken 
Durch  seiner  Augen  Macht. 

CACILIA 

Durch  Eurex  Augen? 


30 


CTPRIAN 
Dann  sagt'  er  ihm  —  wir  alle  konnten's  hören  — : 
Von  einer  weiten  Reise  kommt  Ihr  heim, 
Durch  fremde  Länder,  wo  Ihr  viel  erfahren  — 
Erzählt  uns  doch  davon. 

JUS'TINA 

Und  der? 

CTPRIAN 

Erzählte! 

JUSTINA 
Von  Menschen,  Dingen,  die  er  nie  gesehn  ? 

CTPRIAN 

Von  Abenteuern,  die  er  nie  bestand. 

JUS1INA 
Und  glaubte  dran  ? 

PARACELSUS 

Nicht  länger,  als  ich  wollte. 
Ich  löschte  diese  Träume  wieder  aus, 
Und  was  er  uns  erzählt,  weiß  er  nicht  mehr. 

CTPRIAN 

Und  nur  Ihr  selbst  könnt  nehmen,  was  Ihr  gabt? 

PARACELSUS 
Gewiß ! 

CTPRIAN 
Und  hättet  Ihr  ihn  nicht  befreit 
Von  diesen  Träumen,  die  Ihr  selbst  ihm  schuft  ? 

PARACELSUS 
Zeitlebens  würd'  er  schwören,  daß  es  wahr. 

Steht  auf;  plötzlich  in  anderem^  fast  pathetischem  Ten. 
So  viel  vermag  ich!    Wer  vermag  so  viel? 
Ich  kann  das  Schicksal  sein,  wenn's  mir  beliebt! 


31 


CrPRIAN 

Mein  Bester,  solches  wirkt  nur  auf  dem  Markt. 
Hier  laßt  die  großen  Worte,  wenn's  beliebt. 
Das  Schicksal  kommt  von  Gott,  nicht  von  denZaubrern, 
Und  was  Ihr  schafft,  ist  Wahn  —  doch  keine  Wahrheit. 

PARACELSUS 
Mehr  als  die  Wahrheit,  die  da  war  und  sein  wird, 
Ist  Wahn,  der  ist .  .  .  der  Augenblick  regiert! 
Vermöchtet  Ihr  gelebte  Jahre  gleich 
Beschriebnen  Blättern  vor  Euch  aufzurollen, 
Ihr  würdet  kaum  ein  Blatt  zu  deuten  wissen. 
Denn  das  Gedächtnis  trügt  fast  wie  die  Hoffnung  — 
Geheimnis  alles  .  .  .  Der  Moment  von  früher 
Wie  jeder  nächste!    Nur  der  Augenblick 
Ist  unser  —  und  der  flattert  schon  davon. 
Bedenkt  dies  Eine  nur:  daß  jede  Nacht 
Uns  zwingt  hinabzusteigen  in  ein  Fremdes, 
Entledigt  unsrer  Kraft  und  unsres  Reichtums, 
Und  alles  Lebens  Fülle  und  Verdienst 
Von  weit  geringrer  Macht  sind  als  die  Träume, 
Die  unserm  willenlosen  Schlaf  begegnen. 

CTPRIAN 
Auch  ich  hab'  manchen  Alpdruck  schon  verspürt; 
Jedoch  was  tut's,  man  wacht  ja  wieder  auf. 
Die  Sonne  kommt,  der  gute  Lärm  des  Tags, 
Man  lacht  des  Traums  und  geht  an  seine  Arbeit. 
Nur  einer,  der  ins  Leere  strebt  wie  Ihr, 
Kann  sich  von  einem  Traum  beirren  lassen. 
Für  unsereins,  die  wissen,  was  sie  wollen, 
Ist  Schicksal  nur,  was  sich  im  Hellen  zeigt. 
Und  nicht  verweht,  wenn  wir  die  Augen  öffnen. 
Ja!    Euresgleichen  möchte  freilich  gern 
Die  Grenzen  löschen  zwischen  Tag  und  Nacht 
Und  uns  in  Dämmerschein  und  Zweifel  stellen. 
Gott  sei's  gedankt!  's  gibt  manches,  das  gewiß  ist: 
Ein  Mann  wie  ich  steht  stets  auf  festen^  Grunde, 


32 


Hält  sicher,  was  er  hat,  ist  fromm  und  staik. 
Glaubt  mir,  wir  fürchten  Euresgleichen  nicht. 

PARACELSUS 
Es  wird  auch  nicht  verlangt.  —  Doch  wolltet  Ihr, 
Daß  ich  des  werten  Fräuleins  Krankheit  heile. 

CrPRIAN 
Ganz  recht. 

CÄCILIA 
Ich  bin  gesund  .  .  .  auch  hab'  ich  einen  Arzt. 

CTPRIAN 

Laßt  von  Justinen  Euch  erzählen,  der 
Vertraut  sie  mehr  als  mir. 

JUS7INA 

Sie  ist  verdrießlich. 
Fast  melancholisch. 

CÄCILIA 

Nein. 

JUSIINA 

Zuweilen  seufzt  sie. 
Auch  Tränen  sah  ich  schon  in  ihren  Augen. 

PARACELSUS 
Und  niemand  weiß,  warum  ? 

CÄCILIA 

Ich  weine  nie. 

PARACELSUS 
Mein  edles  Fräulein  —  fragen  will  ich  nichts. 
Die  Gründe  Eures  Kummers  nicht  erforschen. 
Ich  kann  Euch  alle  Eure  Schmerzen  nehmen, 
Auch  ohne  daß  ihr  mir  die  Ursach'  nennt. 

CÄCILIA 

Nein,  nein  — 

Tbeaterstiick«.  II,  3.  %% 


CTPRIAN 
Ich  denke  doch,  das  läßt  sich  hören. 

PARACELSUS 
Oft  sind  die  Fragen  eines  Arztes  lästig, 
Ich  spar'  Euch  das  und  mach'  Euch  doch  gesund. 

CÄCILIA 

Und  nehmt  mir  alles  Leid? 

PARACELSUS 

Das  will  ich  tun. 

CÄCILIA 

Und  bin  dann  völlig  frei? 

PARACELSUS 

Von  aller  Qual. 

CÄCILIA 

Und  bin  vergnügt  ? 

PARACELSUS 
Und  lacht  den  ganzen  Tag 
Und  faßt  nicht,  daß  Ihr  je  bekümmert  wart. 

CÄCILIA 

Nein,  nein,  ich  vnll  nicht  lachen  und  vergnügt  sein. 

CTPRIAN 

Da  seh'  doch  einer  diese  Närrin  an, 

Ist  Lachen  doch  der  beste  Segen  Gottes! 

PARACELSUS 

Gefällt's  dem  Fräulein  nicht,  so  lassen  wir's 
Etwa  bei  stiller  Heiterkeit  bewenden. 

CÄCILIA 

Ich  will  nicht  heiter  sein. 


34 


CTPRIAN 

Du  willst  es  nicht  ? 

JUSTINA 
Was  willst  du  nur? 

CÄCILIA 

Man  lasse  mich  in  Frieden. 

PARACELSUS 
Es  scheint,  das  Leid,  mein  Kind,  das  Euch  bedrückt, 
Ist  so  durchtränkt  ron  einem  jungen  Glück, 
Daß  Ihr  nicht  um  die  Welt  es  missen  möchtet. 
Mein  Rat  ist  drum:  bewahrt  es  treu  im  Herzen. 
Cäcilia  läuft  ab, 

ACHTER  JUFTRITT 

JUSTINJ,     CTPRIANy    PARACELSUS. 

CTPRIAN 

Nun,  ich  muß  sagen,  Ihr  macht's  Euch  bequem! 
Es  scheint,  der  Zauberstab  ist  nicht  zur  Hand, 
Und  Eure  Kunst  versagt  in  meinem  Haus. 

PARACELSUS 
Ich  meinte  lieber,  daß  sie  sich  erwiesen. 

CTPRIAN 
Vielleicht  auch,  daß  das  Heien  auf  dem  Markt 
Wohl  einstudiert  war  mit  den  Raschgeheilten. 
Und  was  nun  gar  Medardus  anbetrifft, 
Der  war  für  ein  paar  Groschen  Euch  zu  Diensten. 

PARACELSUS 
Mag  sein. 

CTPRIAN 
Ihr  nennt  Euch  Arzt  ? !  —  Landstreicher  seid  ihr, 
Wie  andre  auch,  dem  ab  und  zu  was  glückt. 


35 


PARACELSUS 
Somit  nicht  würdig  Eurer  Gastlichkeit. 
Lebt  wohl. 

CTPRIAN 
Oh  nein!  so  leicht  entkommt  Ihr  nicht. 

JUSTINA 
Ihr  seht,  mein  Gatte  spaßt  —  Ihr  bleibt  willkommen! 

CTPRIAN 

Gewiß!  auf  seine  Art  ist's  jeder  Gast. 

Doch  hat  man  solchen  sich  ins  Haus  geladen, 

So  zeig'  er,  was  er  kann.  Die  Fiedelleute, 

Die  ich  zuweilen  hier  im  Hause  habe, 

Die  spielen  auf  —  sonst  ließ'  ich  sie  nicht  ein. 

PARACELSUS 
*s  ist  wahr.  Noch  hab'  ich  diesen  Trunk  mir  nicht  ver- 
dient. 
Er  tritt  plötzlich  vor  Justina  hin. 

JUSTINA 

Wj«  wollt  ihr  ?  .  .  .  .  Sit  will  sieb  irhehen  und  kann  nicht. 

CTPRIAN 

Nun? 

JUSTINA 
Ich  will  .... 

PARACELSUS 

Ihr  könnt  nicht  aufstehn. 


CTPRIAN 


Ist's  wahr' 


PARACELSUS 
Habt  keine  Furcht,  Justina.    Schwer 
Sind  Euch  die  Augenlider;  fallen  zu. 
Ihr  wollt  sie  öffnen,  könnt's  nicht  mehr.    Ihr  seid 


36 


So  müd'  —  so  müd'  —  sehr  müd'.    Der  Schlummer 

kommt, 

Die  Sinne  schwinden  Euch.    Ihr  schlummert  schon. 

In  beinaht  btschtvörendem  Tone.     Ganz  tief  .  .  .  Sehr  tief  .  . . 

SO  tief .  .  .  Ihr  schlaft,  Ihr  träumt. 

Sie  schlummert  ein.  —  Groß*  Pause. 

CTPRIAN 

Vortrefflich.    Ja.    Nun  aber  laßt  sie  träumen. 

PARACELSUS 

Das  werd'  ich  tun.    Und  will  mit  leisen  Worten 
Ein  ganzes  Schicksal  ihr  erstehen  lassen. 
Ich  nenn'  es  so,     Ihr  nennt  es  einen  Traum  — 
Seid  Ihr  zufrieden? 

CTPRIAN 

Ich  bin  höchst  gespannt. 
Wie  schade,  daß  ich  nicht  die  Nachbarn  rief, 
Doch  könnt'  ich  noch  .... 

PARACELSUS 

Laßt  nur,  die  würden  stören. 
Er  beugt  sieb  %u  ihr. 

CTPRIAN 

Was  macht  Ihr  nun,  darf  ich's  nicht  hören? 

PARACELSUS 

Nein. 
Ich  will  Euch  gänzlich  in  Erstaunen  sehn. 
Leert  diesen  Becher  —  solang  habt  Geduld. 

CTPRIAN 
Doch  länger  nicht!  Er  trinkt. 

PARACELSUS  flüstert  Justina  etwas  int   Ohr,  die  Stellung  der 
Beiden  so^  daß  man  teeder  sein,  noch  ihr  Gesiebt  siebt, 

PARACELSUS 

während  Cyprian  noch  trinkt. 
Ich  bin  zu  Ende. 


37 


CTPRIAN 

stellt  den  Becher  bin. 

Nun? 

PARACELSUS 
Wacht  auf!    Justina,  wach! 

CTPRIAN 

Justina! 

PARACELSUS 

stark. 

Wach! 

JUSTINA  siebt  leide  starr  an,  zuletzt  Cyprian,  scbreit  auf  und 
läuft  davon,  in  ihre  Kammer,  die  sie  von  innen  zuriegelt. 

CTPRIAN 

ist  zuerst  sprachlos. 
Justina!   zu  Paracelsus     Was  soll  dies  bedeuten,  sprecht! 
Was  tatet  Ihr  i  ....  zur  Tür    Justina!   zu  Paracelsus 

FHeht  sie  mich? 
Was  war's,  das  Ihr  ihr  zugeflüstert  habt? 

PARACELSUS 
Beruhigt  Euch,  das  alles  ist  ein  Spiel! 
Auch  liebt  sie  Euch  so  sehr  als  je. 

CTPRIAN 

Warum 
Entfloh  sie?    Und  mit  solchem  Blick!  —  Justina! 

PARACELSUS 
Verweilt!    Sie  liebt  Euch,  doch  die  Reue  quält  — 

CTPRIAN 
Die  Reue  ? 

PARACELSUS 

Ja. 

CTPRIAN 

Erklärt  Euch,  v/enn's  beliebt. 


3« 


PARACELSUS 

Nach  kurzfr  Pause. 
Ein  hübscher  Bursch,  der  eben  Euch  verließ  — 

CTPRIAN 
Ein  hübscher  .  .  .  wer  ? 

PARACELSUS 

Anseimus  hieß  er  wohl. 

CTPRIAN 

Was  ist's  mit  dem  ? 

PARACELSUS 

Was  oft  mit  Junkern  ist. 

CTPRIAN 

Sie  träumt  vielleicht,  daß  sie  den  Junker  Hebt  — ? 
Ein  schlechter  Scherz,  fürwahr! 

PARACELSUS 

Was  fällt  Euch  ein.  — 

CTPRIAN 

Nun  also?    Warum  flieht  sie?    Sagt  es  endlich! 

PARACELSUS 

Nun,  weil  sie  träumt  —  indes  —  was  kümmert's  Euch! 

CTPRIAN 
Sagt's  mir;  ich  will  es  wissen. 

PARACELSUS 

Nun,  sie  träumt, 
Daß  sie  in  Anselms  Armen  einmal  ruhte. 

CTPRIAN 
Daß  sie  — 

PARACELSUS 
—  dem  Junker  angehörte,  ganz  wie  Euch. 

39 


CTPRIAN 

Ihr  habt  ihr  diesen  Wahn  gegeben! 

PARACELSUS 

Ja. 

CYPRIAN 
Der  Scherz  ist  —  macht  ihn  ungeschehn  —  zur  Tür 

Justina!     Sehr  unruhig. 

PARACELSUS 
Ein  Traum,  mein  Bester  —  was  bedeutet's  weiter  — 
Ihr  wißt  es  besser  —  und  Ihr  seid  das  Leben. 

CTPRIAN 
Ihr  hättet  andre  Proben  wählen  können 
Von  Eurer  Kunst.    Seht,  wie  Ihr  sie  gemartert. 
Befreit  sie  schleunigst  von  dem  bösen  Traum. 

PARACELSUS 
Warum  denn  böse?    Er  ist  süß  vielleicht! 

CTPRIAN 

Ihr  seid  ein  Unverschämter!    Hör',  Justina!    An  der  Tür 
Sie  hat  die  Kammertür  versperrt. 

PARACELSUS 

Lebt  wohl! 

CTPRIAN 
Ihr  seid  wohl  nicht  bei  Sinnen.  Hier  geblieben, 
Verdammter  Gaukler,  und  den  Spaß  beendet! 
Es  ist  genug. 

PARACELSUS 

heftig. 
Nein,  es  ist  nicht  genug! 
Behaltet  nur  Justina,  wie  sie  ist, 
Unschuldig  und  doch  schuldig,  da  sie's  glaubt; 
Keusch  —  und  doch  unkeusch,  da  sie  in  den  Sinnen 


40 


Von  wilden  Gluten  die  Erinnrung  trägt. 
So  bss'  ich  Euer  treues  Weib  Euch  da. 

CTPRIAN 

Ihr  seid  verrückt  und  sollt  mir  wahrlich  büßen, 
Daß  Ihr  mit  mir,  dem  Meister  Cyprian, 
Solch  frechen  Scherz  zu  treiben  wagt. 

PARACELSUS 

Ein  Scherz  — !  ? 
Von  neuem  immer,  seh'  ich  solche  Frauen, 
Geschaffen,  hoher  Menschen  Glück  zu  sein, 
An  einen  Gauch,  wie  Ihr  seid,  weggeworfen. 
Erbittert  mich  aufs  Neu!     Und  nun  gar  die. 
Die  einst  von  Paracelsus  ward  gehebt, 
Und  die  man  —  wohlberaten  —  Euch  gegeben, 
Als  war'  ein  Mädchenlos  damit  erfüllt  — 

CrPRIAN 
Ja,  mir;  nicht  einem  Habenichts  wie  Euch! 
Dergleichen  Mädchen  sind  für  unsereinen! 

PARACELSUS 
Ich  weiß,  sie  sind  für  Euch,  doch  weiß  ich  auch, 
Ein  Tag  mit  mir  erfüllte  tiefre  Sehnsucht, 
Als  fünfzig  Jahr'  mit  einem  Mann  wie  Ihr. 

CTPRIAN 
Was  prahlt  Ihr  so  ?  —  So  glücklich,  als  ein  Weib 
Nur  sein  kann,  ist  sie  nun  seit  dreizehn  Jahren 
An  meiner  Seite. 

PARACELSUS 
Seid  Ihr  de«  gewiß  ? 
Weil's  Euresgleichen  angeborne  Gabe, 
Des  Lichts  Geschöpfe,  die  sich  Euch  genaht. 
In  Euren  Kreis  dumpf  kläglichen  Behagens 
Herabzuziehen  — r  glaubt  Ihr,  hier  sei  ihr  Heim  ? 
Zu  Gast  ist  sie  bei  Euch  —  so  gut  wie  ich. 


4» 


Verschwendet  seh'  ich  zuviel  Lieblichkeit 
An  eine  satte  Frechheit,  die  sich  brüstet. 
Das  ist  ein  Unrecht  wider  die  Natur  — 
Und  ich  versuch's  zu  bessern,  wie  es  geht. 

CTPRIAN 

wütend. 
Wenn  Ihr  das  wirklich  glaubt,  verruchter  Mensch, 
Warum  nicht  zwingt  ihr  sie,  mit  Euch  zu  gehn, 
Da  Ihr  sie  jetzt  in  Eure  Macht  gebannt  — i 

PARACELSUS 
Ich  bin  kein  Räuber!    Ihr  versteht  mich  schlecht. 
Euch  nehmen  wollt'  ich  sie,  doch  keinem  geben. 
Rein  soll  sie  bleiben  —  nur  für  Euch  beschmutzt. 
Somit  ....  lebt  wohl. 

CTPRIAN 

Ihr  werdet  unverzüglich 
Dem  Spuk  ein  Ende  machen. 

PARACELSUS 

Nein  .  .  .  lebt  wohl. 

CTPRIAN 

Ihr  bleibt. 

PARACELSUS 
Wer  kann  es  mir  gebieten? 

CTPRIAN 

Ich. 
Gefangen  nehmen  lass'  ich  Euch,  des  Hexens 
Klag'  ich  Euch  an. 

PARACELSUS 

So  tut's.    Ich  habe  Zeit. 

CTPRIAN 
Man  wird  Euch  in  den  tiefsten  Kerker  v/erfen. 


42 


PARACELSUS 

Ich  werde  schweigen,  und  der  Traum  Justinens 
Wird  ewig  währen. 

CrPRIAN 

Foltern  wird  man  Euch. 
Man  wird  Euch  töten! 

PARACELSUS 

Und  die  letzte  Hoffnung, 
Daß  jeiier  Traum  je  enden  kann,  mit  mir;  — 
Denn  keiner  lebt,  der  sie  davon  befreit. 

CTPRIAN 

Wahnsinniger!  —  Justina,  komm  .  .  .  Justina, 
Hörst  du  mich  nicht  ? 

JUS1INA 

von  drinnen. 
O  Gnade! 

CTPRIAN 

Riegle  auf! 
Justina !    Er  zieht  das  Schwert^  zertrümmert  die  Tür,  zerrt  Jintina 
heraus^  die  ihr  Antlitz  verbirgt. 

yUSTINA 

sinkt  auf  die  Knie, 

Gnade! 

CTPRIAN 
Fürchte  nichts,  mein  Weib! 

JUSTINA  ' 
Ich  v/eiß  ja,  du  bist  gut! 

CTPRIAN 

Unschuldig  bist  du. 

JUSTINA 
üh,  höhne  nicht! 

43 


CrPRIAN 
Du  träumst.    Unschuldig  bist  du! 

JUS7INA 
Oh,  war*  es  wahr!    Nun  schaudr'  ich  selbst  vor  mir. 
In  seinen  Armen  seh'  ich  mich  und  fühle 
Die  Küsse  glühn  auf  Hals  und  Lipp'  und  Wange  — 

CTPRIAN 
Es  ist  nicht  wahr!    Der  Zaubrer  — 

JUS1INA 

Ja,  ihm  dankst  du, 
Daß  du  die  Wahrheit  weißt. 

CTPRIAN 

Es  ist  nicht  wahr! 
Noch  einmal  wend'  ich  mich  an  Euch  —  ich  weiß  — 
Beleidigt  hab'  ich  Euch,  verdammter  Lump, 
Und  tu'  es  noch  —  ich  glaub'  an  Eure  Macht, 
Ihr  seht,  ich  muß  dran  glauben  —  aber  nun 
Laßt  es  genug  sein!    Endet  diese  Qual. 
Ich  lass'  Euch  ledig  ziehn  —  noch  mehr  —  ich  rühme 
Allorten  Eure  ganz  besondre  Kunst, 
Nur  fügt  es,  endlich,  daß  mein  Weib  erwacht! 

JUSTINA 
Ich  bin  ja  wach.    Wie  sonderbar  du  sprichst  — 
Um  Himmelswillen!  Wenn  dir  meine  Schuld 
Die  Sinne  trübte  —  Paracelsus,  helft! 

CTPRIAN 
Nun  flehst  du  ihn  an,  daß  er  mich  — 

yUSTINA 

Verzeihe! 
O  Cyprian,  verzeih!  's  ist  ja  vorbei. 
Ich  will  dir  nun  die  beste  Gattin  sein  — 
Ein  Augenblick  der  Schwäche  ist's  gewesen, 


44 


Er  wird  nicht  wiederkommen,  sei  gewiß. 
Doch  damals  schien  der  Mond  so  seltsam  hell.  — 
Der  Duft  von  unsern  Fliederbüschen  wehte, 
Und  ich  war  ganz  allein  im  Gartenhaus. 


Nur  weiter 


So  wird  es  gut. 


PJRJCELSUS 

CTPRIAN 
Schweig ! 

JUSTINA 

Laß  alles  dir  erzählen! 


CTPRIAN 

Ich  will's  nicht  hören! 

PARACELSUS 

Laßt  sie! 
Wer  weiß,  was  Ihr  erfahrt! 

Cyprian  ist  sehr  betreten. 

yUSTINA 

Ich  war  allein 
Im  Gartenhaus  —  und  du  gingst  in  die  Schenke. 

PARACELSUS 
Habt  ihr  das  nie  getan? 

CTPRIAN 

Wer  tat  das  nie? 

JUSTINA 
Und  da  kam  er  —  und  nahm  mich  bei  der  Hand 
Und  küßte  mich  —  und  sprach  so  heiße  Worte  — 
Und  dann  ^  und  dann  —  oh  Cyprian,  verzeih! 

CTPRIAN 
Es  gibt  nichts  zu  verzeihn!    Du  träumst! 


45 


PARACELSUS 

mit  Bedeutung 

CTPRIAN 
Ihr  wißt's  —  wie  ich! 


Wer  weiß  r 


PARACELSUS 

Ist  sie  nicht  eine  Frau  ? 
Anselm  kein  Mann  —  ?    Und  gibt's  kein  Gartenhaus  ? 

CTPRIAN 

tief  erschrocken 
Ihr  —  sagt  — 

PARACELSUS 
Und  wenn  es  doch  die  Wahrheit  wäre, 
Die  ich  nur  aufgerüttelt  ihr  im  Herzen? 

CTPRIAN 
Ihr  gabt  ihr  doch  den  Wahn  —  und  zweifelt  selbst! 

PARACELSUS 
Ich  bin  ein  Zaubrer  nur  —  sie  ist  ein  Weib! 

CTPRIAN 

Ihr  macht  mich  toll  — 

PARACELSUS 
Wer  gibt  uns  jemals  an, 
Ob  dies,  wovon  sie  träumt,  nicht  auch  erlebt  ward? 

CTPRIAN 

Ihr  glaubt  —  Justina  —  Er  eilt  zu  ihr. 

PARACELSUS 

für  sieb. 

Schlägt  mir  überm  Haupt 
Des  eignen  Zaubers  Schwall  mit  Hohn  zusammen  ? 
Und  wirren  sich  die  Grenzen  selbst  für  mich  — ? 


46 


NEUNTER  AU  FT  RH  T 

CTPRIAN,  JUST  IN Ai  PARACELSUS.    ANSELM  kommt. 

JUSTIN A  schreit  auf.  ANSELM  erschrickt,  sieht  alle  an;  Cyprian 
und  Paracelsus  beobachten  ihn;  Pause  —  er  will  auf  Justina  zu, 

CTPRIAN 

vor  Anselm    hintretend. 
Sie  hat  gestanden  — 

ANSELM 
—  Was? 

PARACELSUS 

Wie  er  erschrickt. 

JUS1INA 

Mir  aus  den  Augen! 

ANSELM 
Was  hab'  ich  verschuldet  ? 

CTPRIAN 

Gestanden  hat  sie.    Hütet  Euch  zu  leugnen. 

ANSELM 
Justina ! 

JUSTINA 
Geht!  ich  will  Euch  nicht  mehr  sehn, 
Den  Frieden  meiner  Seele  nahmt  Ihr  mir, 
Habt  unsres  Hauses  Glück  zerstört  für  immer, 
Für  kurze  Seligkeit  zu  viel  vernichtet! 
Wie  brennt  vor  Scham  die  Seele  mir,  daß  ich 
Das  Opfer  Eurer  kecken  Jugend  ward 
Und  meiner  unbewachten  Sinne.    Weh  mir 
Daß  jemals  ich  das  Gartenhaus  betreten! 

ANSELM 
erschrickt. 
Um  Gotteswillen,  schweigt,  Ihr  redet  irr! 


47 


CTPRIAN 

zieht  das  ScbwerU 
Gesteht! 

JUS1INA 

Gesteht ! 

PARACELSUS 
Gesteht! 

ANSELM 
Nichts  hab'  ich  zu  gestehn. 

CTPRIAN 
Hat  Euer  feiges  Herz  nicht  mehr  an  Kühnheit, 
Als  hinreicht,  einem  Weibe  sich  zu  nahn? 

ANSELM 
Justina!  .  .  .  Diese  Rache  war  nicht  schön! 

CTPRIAN 
Wie  ? !  Rache  nennt  Ihr,  daß  sie  reuig  ist  ? 
Elender! 

ANSELM 

mit  edler  Haltung. 
Eurem  Schwerte  stell'  ich  mich 
Zu  jeder  Frist,  doch  laßt  rorerst  mich  sagen, 
Daß  meine  Schuld  gering.    Nicht  mehr  verbrach  ich, 
Als  daß  ich  Eure  schöne  Gattin  liebte. 
Und  daß  ich's  wagte,  ihr  davon  zu  reden. 

CTPRIAN 
Und  weiter  —  weiter! 

ANSELM 
Dies  ist  alles! 

JUS7INA 

Nein. 
Er  will  mich  schonen  . . .  Oh  begreift  doch  endlich, 

48 


Daß  alles  dies  vergeblich,  da  ich  selbst 
In  tiefster  Reue  dem  Gemahl  gestand. 

ANSELM 
plötzlich  zu  Paracehus. 
Verdammter  Hexenmeister,  das  seid  Ihr! 

CTPRIA^ 
Laßt  mir  den  Mann  in  Ruh' !    Ihm  dank  ich  viel, 
Er  brachte  Wahrheit  in  dies  Haus  der  Lügen, 
Er  ist  mein  Freund,  ihm  bitt'  ich  alles  ab. 

PARACELSUS 

Gemach!    Wie  ein  Gewirr  von  Edelsteinen, 
Die  einen  falsch,  die  andern  echt,  so  liegt 
Der  letzten  Stunde  Fülle  ausgebreitet. 
Was  zu  verwerfen  ist,  und  was  Gewinn, 
Ich  weiß  es  jetzt  so  wenig  —  als  ihr  selbst. 
Und  wahrlich!  mehr  für  mich,  als  Euch  zuliebe, 
Will  ich  die  Wirrnis  lösen,  die  ich  schuf. 
Justina!  schlummert  ein! 

ANSELM 
Wo  bin  ich  denn? 

PARACELSUS 

stark. 
Schlaft  ein! 

CrPRIAN 
Was  wollt  Ihr? 

PARACELSUS 

Tief  schlaft  ein,  Justina, 
Sehr  tief .  .  .  ganz  tief .  .  .  schlaft  ein  ....  so  ist  es  gut ! 

Justina  ist  regungslos  auf  den  Sessel  gesunken, 
Justina,  hört  Ihr  mich? 

JUSTINA 
scblafend. 
Ich  höre  Euch. 

TbeateistUcke.  U.  4.  4.9 


PARACELSUS 
So  merkt  wohl  auf!    Vergessen  habt  Ihr  alles 
Von  jenem  Augenblick,  da  ich  zuerst 
In  Schlaf  Euch  senkte,  bis  zum  nächsten,  da  ich 
Euch  wach  sein  heiße  —  diese  letzte  Stunde 
Jag'  ich  aus  Eurem  Sinn  —  als  nie  erlebt! 
Und  nun  — 

CTPRIAN 
Was  nun?    Was  nützt  uns  alles  dies, 
Wenn  sie  erwacht,  und  diese  Stunde  schwindet 
Aus  dem  Gedächtnis  ihr  ?    Was  weiß  ich  dann  ? 
Wenn  sie  im  Traum  vielleicht  die  Wahrheit  sprach! 

PARACELSUS 
Da  schaff  ich  Rat.  —  Merkt  auf,  Justina:  Eins 
Gebiet'  ich  Euch:  Seid  wahr,  wenn  Ihr  erwacht, 
Wahr,  wie  Ihr  nie  gewesen  —  seid  so  wahr, 
Nein!  wahrer  als  Ihr  pflegt  gen  Euch  zu  sein, 
So  daß  wie  klare  Flut  im  Sonnenglanz 
Die  Seele  daliegt,  bis  zum  Grunde  leuchtend  — 
Bis  Euch  der  Abend  dieses  reichen  Tages 
Von  diesem  letzten  Zauberspruch  erlöst. 

CTPRIAN 
Warum  bis  Abend  nur  ? 

PARACELSUS 
Es  ist  genug. 
Ihr  werdet  froh  sein,  daß  die  Sonne  sinkt,  — 
Und  wenn  sie  aller  Frauen  beste  wäre. 

ANSELM 
Wie  sich  dies  Rätsel  löst,  harr'  ich  vergebens. 

PARACELSUS 
Wacht  auf,  Justina  .  .  .  und  seid  wahr  .  . .  wacht  auf! 

JUSTINA 
öffnet  die  Augen  und  spricht  gleich^  als  wäre  nichts  geschehen. 

Nun  sagt  —  wie  lang  noch  starrt  Ihr  mich  so  an! 


50 


I 


Vergeblich!  —  Euer  Zauber  will  nicht  wirken. 

Ja!  hätte  Euer  Blick  noch  so  viel  Kraft, 

Wie  zu  der  Zeit,  da  Hohenheim  Ihr  hießt  — 

—  Ich  mein'  —  für  mich doch  damit  ist's  vorbei 

Oh  —  Junker  Anselm  ?  —  Wie  kamt  Ihr  herein  ? 
Ich  hört'  Euch  gar  nicht!     Sagt  Ihr  uns  Lebwohl? 

ANSELM 
Ihr  wißt  .  .  .  Justina  .  . . 

JUS7INA 

Gut  ist's,  daß  Ihr  scheidet, 
Und  frei  wird  mir  erst  sein,  wenn  Ihr  daheim 
Auf  Eures  Vaters  Schloß. 

ANSELM 

Ihr  .  .  .  meint  —  ? 

JUS1INA 

*3  ist  Zeit! 
Wärt  Ihr  nur  eine  Nacht  noch  hier  gebheben, 
So  wären  minder  schuldlos  wir  geschieden. 
Noch  fühl'  ich  meiner  Jugend  letzte  Schauer, 
Der  Frühhng  schmeichelt  und  die  Schönheit  lockt. 
Drum  ist  es  gut,  Ihr  geht,  so  schnell  Ihr  könnt, 
Denn  ach,  was  war'  von  alledem  das  Ende  ? 
Ein  bißchen  Glück  und  sehr  viel  Angst  und  Reu*. 
All  dies  ist  mir  erspart.    Als  treues  Weib 
«u  Cyprian     Kann  ich  dir  ferner  in  die  Augen  schauen, 
Wenn  du  mich  hütest,  kannst  du  mir  vertrauen. 

CYPRIAN 
Bei  Gott!  das  will  ich  tun! 

JUS7INA 

Ein  friedlich  Glück, 
Ist's  auch  nicht  allzu  glühend,  bleibt  das  beste. 

4-  51 


ZEHNTER  AUFTRITT 

CrPRIANf  yUSTINA,  PARACELSUSy  ANSELM. 
CÄCILIA  tritt  ein. 

ANSELM 

sehr  froh,  wie  Cäcilia  kommt. 
Mein  edles  Fräulein,  daß  ich  Euch  noch  sehe, 
Ist  mir  höchst  angenehm;  ich  nehme  Abschied  — 
Ich  nehm'  auf  immer  Abschied  heut  von  Basel. 

CÄCILIA 

lächelnd. 
So  ist  es  ernst. 

JUSTINA 
Du  lächelst  —  so  ist's  recht. 
Ein  Kindertraum  vergeht.  'Du  siehst's  an  mir. 

CÄCILIA 

Was  spricht  sie  da  — 

JUSTINA 
Mein  liebes  Kind,  du  wirst 
Den  hübschen  Junker  bald  vergessen  haben, 

ANSELM 
Cäciha  ...  ia  . . .  wie  ist  mir? 

PARACELSUS 

Lauscht  Ihr  gut! 

CÄCILIA 

Justina.»    .  Bruder!    HilfefUheni. 

CrPRIAN 
Schweig!  sie  ist  erleuchtet! 

JUSTINA 
Seht  auf  Paracelsus  diesen  hab'  ich  wirklich  lieb  gehabt, 
Ach,  lange  noch  ....  Oh,  Cyprian,  wie  lang! 


S* 


Als  Ihr  von  dannen  gingt,  vor  dreizehn  Jahren, 
Ohn'  Abschied  und  ein  Wort  von  Wiederkommen, 
Ich  meint',  ich  müßte  sterben.    Wärt  Ihr  damab 
In  jener  Nacht,  da  Ihr  die  Stadt  verließt, 
Nochmals  zurückgekehrt  —  ach  alles  hätt'  ich. 
Was  Ihr  verlangt,  Euch  freudig  hingegeben. 
Ob  ich  auch  wußte,  daß  der  nächste  Morgen 
Für  ewig  mir  Euch  nahm  —  so  liebt'  ich  Euch! 
Wer  weiß,  wie  viele  Fenster  in  der  Stadt 
Allnächtlich  offenstehen  für  einen,  der  —  nicht  kommt! 

CTPRIAN 
Was  hör'  ich  noch!  —  O  sänke  bald  die  Sonne! 


Justina 


CACILIA 


JUSTINJ 
Theophrastus,  denkt  Ihr's  noch? 
—  Doch  seht,  wde  alles  sich  zum  Guten  fügt; 
Heut  dank'  ich  Gott,  daß  Ihr  die  Stadt  verHeßt 
In  jener  Nacht,  und  Euch  die  Kühnheit  fehlte. 
Was  war'  ich  heute!  —  Während  Euch  die  Welt, 
Die  unbegrenzte,  und  mit  Ruhm,  gehört, 
War'  ich  zu  Haus  in  Schand  und  Spott  verdorben. 
Ja,  Cyprian!  so  leicht  verlorst  du  mich! 
Doch  hast  du's  nicht  geahnt  —  wie's  deine  Art. 
Du  dachtest,  war  ich  dir  erst  angetraut, 
So  war  dir  meine  Zärtlichkeit  gewiß. 
Und  doch!  in  mancher  Nacht,  hättst  du  gefühlt. 
Wie  fern  ich  dir  war  —  wahrlich!  minder  stolz 
Wärst  du  der  Frau  gewesen,  dir  im  Arm! 
Doch  stark  ist  Gegenwärt'ges  und  besiegt 
Mit  leichter  Müh'  den  größten  Feind,  der  fern.  — 
Und  so  gewannst  du  mich,  mein  Cyprian, 
Und  ich  bin  dein  —  und  will  es  gerne  bleiben. 

CrPRUN 
Jetzt  aber  ist  der  Ferne  wieder  da  . , . 


53 


JUSi:iNA 
Ja  . . .  er  ist  da  —  doch  ist's  nicht  er  . . , 

Fast  scheint 
Von  ihm  mich  mehr  und  Tieferes  zu  scheiden, 
Als  mich  von  irgend  einem  Andern  trennt, 
Wie  einer,  der  bedeutet .  .  .  doch  nicht  ist, 
Steht  er  vor  mir  —  ein  Schatten  meiner  Jugend. 
Und  also,  Schwester,  sei  gewiß,  wird's  dir 
Mit  unserm  Junker  Anselm  auch  ergehn. 
Du  wirst  der  Torheit  lächeln,  die  dir  heut 
Des  Lebens  Inhalt  scheint  — 

ANSELM 

ergriffen. 

Nicht  Torheit,  nein  — 
Der  Tor  war  ich  ....  doch  wag'  ich  sonst  kein  Wort  — 
Höchst  wunderlich  erscheint  mir  diese  Stunde, 
Von  tiefer  Wahrheit  leuchtet  sie  und  sprüht. 
Wer  das  gemrkt  —  ich  ahn'  es!  Wie  er's  tat  — 
Vermag  ich  nicht  zu  fassen  —  doch  ich  weiß. 
Daß  auch  in  mir  sich  ein  Verstehen  regt, 
Und  daß  ich  schwer  gefehlt,  mein  keckes  Aug' 
Zu  einer  edlen  Frau  emporzuheben. 
Verzeiht  es  meinem  jungen  Stolz  in  Gnaden, 
Mein  edler  Meister  —  und  reicht  mir  die  Hand. 
Verwirrung  war  in  mir,  sie  löst  sich  mählig  — 
Und  viel  begreif  ich,  und  die  Nebel  schwinden. 
Er  betrachtet  Cäcilia. 


ELFIER  AUFTRLTT 

VORIGE.    COPUS. 
COPUS 

noch  an  der  Tür. 
Ich  grüß'  Euch  alle.    Weiß  man  schon  das  Neuste 
In  diesem  edlen  Kreis? 


I 


54 


CTPRIAN 

Erlaubt  vorerst  —  vorstellend 
Herr  Doktor  Copus,  unser  Stadtarzt  hier  — 

COPUS 

sieb  verbeugend. 
Herr  Theophrastus  Hohenheim  — 

PARACELSUS 

Ich  bin*!. 

COPUS 

So  darf  ich  Euch  die  Kunde  selber  bringen, 
Die  ich  dem  edlen  Kreise  melden  wollte. 
Ich  komme  eben  aus  dem  Rat  der  Stadt. 
Ein  Antrag  ward  gestellt  und  angenommen, 
Für  Euch,  mein  Herr,  von  höchster  Wichtigkeit. 

PARACELSUS 
Man  weist  mich  aus? 

COPUS 
O  war'  es  das!  Entschuldigt. 

PARACELSUS 

Verhaftsbefelil  ist  gegen  mich  erlassen? 

COPUS 
Was  fällt  Euch  ein? 

PARACELSUS 

lächelnd. 
Es  droht  der  Scheiterhaufen? 

COPUS 
Wie  übel  kennt  Ihr  dieses  gute  Basel! 
So  hört:  Es  will  der  Rat,  um  Euch  zu  ehren. 
Neu  eine  Würde  schaffen,  und  er  wählt 
Zum  zweiten  Stadtarzt  Euch.    Ich  bin  der  erste. 
Ihr  staunt? 


55 


PARACELSUS 
Ich  sage  Dank  dem  edlen  Rat. 

COPUS 
Das  heißt  —  Ihr  nehmt  die  Stelle  an? 

PARACELSUS 

Ich  kann  nicht. 

COPUS 
O  glaubt  das  nicht.    Ihr  könnt!    Da  ich  der  erste, 
So  habt  Ihr  gute  Stütz'  an  mir,  mein  Freund. 
Ich  will  Euch  gern  in  manchem  unterweisen. 
In  schweren  Fällen  könnt  Ihr  Rats  erholen, 
Bescheidne  Schüler  sieht  der  Meister  gern. 

PARACELSUS 
Vergebt,  doch  taug'  ich  kaum  zu  solchem  Amt. 
Ihr  wärt  doch  nicht  zufrieden,  furcht'  ich  sehr. 
Mein  Bleiben  ist  nicht  hier,  ich  ziehe  fort. 
Heut  abends  schon  verlass'  ich  diese  Stadt. 

COPUS 
Ist*s  wahr? 

CYPRIAN 
Ihr  geht? 

PARACELSUS 

Und  sag'  Euch  Lebet  wohl. 

CTPRIAN 
Doch  eh'  Ihr  geht,  erklärt  Euch,  denn  verwirrt 
Laßt  Ihr  uns  alle  hier  zurück.    War's  Ernst, 
War's  Spiel? 

JUSII^'A 
Wie  fragst  du  sonderbar  ? 

COPUS 

Was  meint  er? 


S^ 


PARACELSVS 
Es  war  ein  Spiel!    Was  sollt'  es  anders  sein? 
Was  ist  nicht  Spiel,  das  vnx  auf  Erden  treiben. 
Und  schien  es  noch  so  groß  und  tief  zu  sein! 
Mit  wilden  Söldnerscharen  spielt  der  eine, 
Ein  andrer  spielt  mit  tollen  Abergläubischen. 
Vielleicht  mit  Sonnen,  Sternen  irgend  wer,  — 
Mit  Menschenseelen  spiele  ich.    Ein  Sinn 
Wird  nur  von  dem  gefunden,  der  ihn  sucht. 
Es  fließen  ineinander  Traum  und  Wachen, 
Wahrheit  und  Lüge.    Sicherheit  ist  nirgends. 
Wir  wissen  nichts  von  andern,  nichts  von  uns; 
Wir  spielen  immer,  wer  es  weiß,  ist  klug.  Ab. 

JUSTINA 

tote  erwachend. 
Was  ist  denn  hier  geschehn  ?  —  Mich  dünkt,  ich  sagte 
So  viel  von  mir,  als  ich  —  nie  sagen  wollte. 

COPUS 

Ich  fasse  nichts  von  allem,  was  ich  höre  — 
Was  trug  sich  zu?    Was  tat  der  Gaukler  hier? 

CrPRIAN 
Ich  weiß  nicht,  ob  er  Gutes  \virken  wollte, 
Doch  war  es  gut,  drum  wollen  wir  ihn  loben. 
Ein  Sturmwind  kam,  der  hat  auf  Augenblicke 
Die  Tore  unsrer  Seelen  aufgerissen, 
Wir  haben  einen  Blick  hineingetan  .... 
Es  ist  vorbei,  die  Tore  fallen  zu.  — 
Doch  was  ich  heut  gesehn,  für  alle  Zeit 
SoU's  mich  vor  allzu  großem  Stolze  hüten. 
Es  war  ein  Spiel,  doch  fand  ich  seinen  Sinn;  — 
Und  weiß,  daß  ich  auf  rechtem  Wege  bin. 

Vorbang. 


57 


DIE  GEFÄHRTIN 

Schaiisfiel  in  einem  Akt 


PERSONEN 

PROFESSOR  ROBERT  PILGRAM 
DOKTOR  ALFRED  HAUSMANN 
PROFESSOR  WERKMANN 
PROFESSOR  BRAND 
OLGA  M ERHOLM 
EIN  DIENER 

Spielt  in  einer  Sommerfrische  unweit  von  Wien;  an 
einem  Herbstabend  des  letzten  Jahre«. 


Elegantes  Zimmer.  Tapeten  und  Möbel  in  bellen,  meist  bläulieben 
Farben  gebalten.  Damenscbreibtiscb  links  vorn;  Klavier  rechts.  — 
Rechts  eine  Tür,  links  eine  Tür.  Im  Hintergrund  eine  große  offen« 
Tür,  die  auf  den  Balkon  hinausführt.  Blick  auf  die  Landschaft: 
eine  Straße^  dllmählich  steigend,  die  toeit  hinausführt,  abgeschlossen 
durch  eine  Friedhofmauer.  Die  Mauer  ist  nicht  hoch,  man  siebt 
Grabsteine  und  Kreuze.  Ganz  fern,  ver schwimmend,  mäßige  Berge. 
Es  ist  später  Abend,  nahezu  Nacht,  die  Landschaft  liegt  im  Dunkel; 
auf  der  einsamen  Straße  fahle  Mondbeleuchtung, 

Robert  kommt  aus  dem  Zimmer  rechts,  geleitet  zwei  Herren,  Professor 
Werkmann  und  Professor  Brand, 

ROBERT.  Sie  entschuldigen,  meine  Herren,  hier 
ist  es  so  dunkel;  ich  will  ein  Licht  holen. 

WERKMANN.  Aber  lieber  Freund,  wir  finden 
auch  so  den  Weg, 

ROBERT.    Nur  einen  Augenblick.   Jb. 

Werkmann  und  Brand  stehen  allein  im  Dunkel. 

WERKMANN.    Er  ist  sehr  gefaßt. 

BRAND.    Komödie. 

WERKMANN.  Wenn  man  seine  Frau  begräbt, 
spielt  man  keine  Komödie.  Glauben  Sie  mir,  ich  habe 
das  durchgemacht.    Was  hätte  es  für  einen  Zweck? 

BRAND.  Sie  kennen  Pilgram  noch  immer  nicht. 
Es  wirkt  doch  großartig,  am  Nachmittag  seine  Frau 
begraben  und  am  Abend  zwei  Stunden  lang  über 
wissenschaftliche  Fragen  diskutieren.  Sie  sehen  — 
auch  Sie  fallen  ihm  darauf  hinein. 

WERKMANN.  Immerhin  —  man  muß  ein  ganzer 
Mann  sein. 

BRAND.   Oder  ein  ganzer  — 
Robert  mit  einem  Armleuchter,  in  dem  zwei  Kerzen  brennen, 

ROBERT.    Da  bin  ich,  meine  Herren. 
Das  Zimmer  ist  nur  mäßig  beleuchtet. 

WERKMANN.    Wo  sind  wir  denn  hier? 

ROBERT.  Es  war  das  Zimmer  meiner  armen  Frau. 
Hier  kommen  wir  über  die  kleine  Treppe  direkt  zur 
Gartentür,  und  in  fünf  Minuten  sind  Sie  an  der  Bahn- 
station. 

BRAND.  Wir  erreichen  noch  den  Neun-Uhr-Zug  ? 

6z 


ROBERT.    Gewiß. 
Die  Türe  rechts  öffnet  sieb,  der  Diener  tritt  ein;  er  bat  einen  Kranz 
in  der  Hand. 

ROBERT.    Was  gibt's  denn? 

DIENER.  Herr  Professor,  man  ist  eben  noch  aus 
der  Stadt  hier  gewesen,  um  diesen  Kranz  abzugeben. 

ROBERT.    Jetzt? 

WERKMANN.  Wohl  einer  Ihrer  Freunde,  der  die 
Nachricht  zu  spät  erhalten  hat.  Sie  werden  sehen, 
morgen  kommen  noch  mehr  dieser  traurigen  Spenden. 
Ach  ja  —  ich  kenne  das  —  leider! 

ROBERT  bat  die  Schleife  gelesen.  Von  meinem  Assi- 
stenten —  Erklärend.    Er  ist  noch  an  der  Nordsee. 

BRAND.    Doktor  Hausmann  ist  an  der  Nordsee? 

DIENER.  Wo  soll  ich  den  Kranz  hinlegen,  Herr 
Professor  ? 

WERKMANN.  Die  Blumen  riechen  auffallend  stark. 

BRAND.    Natürlich!  es  sind  Tuberosen. 

ROBERT.  Ja,  und  FHeder  —  Zum  Diener.  Auf  den 
Balkon. 

Diener  tut  tvie  befohlen;  dann  ab. 

WERKMANN.   Ihr  Assistent  ist  noch  auf  Urlaub  ? 

ROBERT.  Er  kommt  jedenfalls  bald  zurück  — 
vielleicht  schon  morgen. 

WERKMANN.  Sie  werden  sich  wohl  zu  Beginn 
des  Semesters  von  ihm  vertreten  lassen  ? 

ROBERT.  Keineswegs.  Ich  habe  nicht  die  Absicht, 
in  der  Arbeit  zu  pausieren. 

WERKMANN  ihm  die  Hand  drückend.  Sie  haben  recht, 
lieber  Freund.    Es  ist  der  einzige  Trost. 

ROBERT.  Auch  das!  Aber  selbst  wenn  es  nicht 
Trost  wäre,  —  es  ist  sehr  die  Frage,  ob  wir  das  Recht 
haben,  aus  unserer  kurzen  Existenz  ein  Stück  einfach 
hinauszuwerfen.  Nachdem  wir  nun  doch  einmal  so 
erbärmlich  sind,  das  Meiste  zu  überleben  —  Er  gebt  mit 
ihnen  ab,    ihnen  voraus. 

WERKMANN  zu  Brand.  Er  hat  seine  Frau  nie  ge- 
liebt. 


62 


BRAND.    Lassen  Sie  das  gut  sein. 

Alle  rechts  ab.  —  Bühne  einige  Augenblicke  leer.  —  Olga  tritt  Ihtks 

ein.   Sie  ist  in  dunkler  Toilette^  ohne  Hut;  hat  eine  nicht  schwen 

Pelzmantille  umgeworfen.  —  Diener  kommt  vom  Balkon. 

DIENER.    Guten  Abend,  gnädige  Frau. 
OLGA.  Ist  der  Herr  Professor  vielleicht  im  Garten  ? 
DIENER.  Der  Herr  Professor  hat  nur  zwei  Herren  — 
Olga  macht  ihm  ein  Zeichen,  da  Robert  links  eintritt,  ohne  Olga 
zu  bemerken. 

ROBERT  ir.dem  er  zum  Schreibtisch  geht.  Sagen  Sie,  Franz, 
wissen  Sie  genau,  wann  der  letzte  Zug  aus  der  Stadt 
hier  ankommt  ? 

DIENER.    Um  zehn  Uhr,  Herr  Professor. 

ROBERT.  So.  —  Pause.  Es  wäre  möglich,  daß  der 
Doktor  Hausmann  noch  heut  abend  kommt.  Führen 
Sie  ihn  dann  nur  ohne  weiteres  zu  mir. 

DIENER.    Hierher? 

ROBERT.    Wenn  ich  noch  in  diesem  Zimmer  sein 
sollte,  hierher. 
Diener  ab.   Robert  setzt  sich  zum  Schreibtisch,  ■xill  ihn  aufschließen. 

OLGA  tritt  hinter  ihn.    Guten  Abend. 

ROBERT  befremdet.    Olga? 

Er  steht  auf. 

OLGA  ist  in  einer  Verlegenheit,  die  sie  mit  aller  Mühe  zu 
hemeistcrn  strebt,  was  ihr  für  Augenblicke  gelingt.  Ich  habe  Ihnen 
heute  den  ganzen  Tag  nicht  die  Hand  drücken  können — 

ROBERT.  Wahrhaftig,  kaum  ein  Wort  haben  v\nr 
miteinander  gesprochen.  Ich  danke  Ihnen.  Reicht  ihr 
die  Hand. 

OLGA.  Sie  haben  viele  Freunde  —  heut  hat  man 
es  gesehen. 

ROBERT.  Ja,  die  letzten  sind  jetzt  erst  weg- 
gegangen. 

OLGA.    Wer  war  denn  so  spät  noch  da? 

ROBERT.  Brand  und  Werkmann,  dieser  weiner- 
liche Schwätzer.  Er  ist  fabelhaft  stolz  darauf,  daß  er 
im  vorigen  Jahre  seine  Frau  verloren  hat.  Ja  wirklich. 
Er  redet  wie  ein  Fachmann  von  diesen  Dingen.  Wider- 


63 


wärtiger  Kerl.  —  Pause.    Aber  daß  Sie  noch  so  spat 
Ihre  Villa  verlassen  haben? 

OLGA.  Glauben  Sie,  ich  habe  Angst,  allein  über 
den  Feldweg  zu  gehen? 

ROBERT.  Nein;  aber  Ihr  Mann  wird  besorgt  sein. 

OLGA.  O  nein.  Er  denkt  wohl,  ich  bin  schon  auf 
meinem  Zimmer  und  schlafe.  Übrigens  geh'  ich  sehr 
oft  noch  spät  abends  im  Garten  spazieren,  —  das 
wissen  Sie  ja. 

ROBERT.    In  unserer  Allee,  nicht  wahr? 

OLGA.  „Unsere"  — ?  Sie  meinen  die  längs  des 
Gitters  ? 

ROBERT.  Ja.  —  Ich  denke  immer,  die  ist  nur  für 
Sie  und  mich. 

OLGA.    In  der  geh'  ich  oft  allein  herum. 

ROBERT.    Aber  doch  nicht  nachts. 

OLGA.    Abends.    Da  ist  sie  am  schönsten. 

ROBERT.  Ihr  Garten  hat  überhaupt  etwas  Fried- 
liches. 

OLGA.  Nicht  wahr?  Herzlich.  Drum  müssen  Sie 
auch  bald  wieder  zu  uns  kommen.  Sie  werden  sich 
bei  uns  wohler  fühlen  —  als  hier. 

ROBERT.  Das  ist  wohl  mögHch.  —  Er  betrachtet 
sie;  dann  tvendet  er  sich  ^egen  den  Hititergrund.  Sehen  Sie,  da 
sind  wir  hinaus. 

Olga  nickt. 

ROBERT.  Sollte  man  glauben,  daß  das  erst  wenige 
Stunden  her  ist  ?  Und  können  Sie  sich  vorstellen,  daß 
da  über  diesem  dunklen  Weg  die  Sonne  gelegen  ist  ?  — 
Pause.  Wenn  ich  die  Augen  schließe,  —  ist  plötzlich 
die  Sonne  wieder  da.  Sonderbar.  Ich  höre  sogar, 
vrie  die  Wagen  rollen.  —  Pause.  —  Er  ist  sehr  nervös,  spricht 
wie  zerstreut.  Sie  haben  recht,  es  waren  auffallend  viel 
Menschen  da.  Wenn  man  bedenkt,  daß  die  Leute  aus 
der  Stadt  gekommen  sind  —  das  ist  ja  eine  ganze  Reise. 
—  Haben  Sie  den  Kranz  von  meinen  Schülern  gesehen  ? 

OLGA.    FreiHch. 

ROBERT.    Prächtig,  nicht  wahr?   —  Überhaupt 

64 


diese  Teilnahme!  Einige  von  meinen  Kollegen  haben 
ihren  Urlaub  unterbrochen,  um  herzukommen;  es  ist 
eigentHch  außerordentlich  —  wie  sagt  man  da?  — 
„hebenswürdig"  —  nicht  wahr  ? 

OLGA.    Es  ist  doch  ganz  natürlich. 

ROBERT.  NatürHch  ist  es  schon,  —  aber  ich  frage 
mich  nur,  ob  mein  ganzer  Schmerz  dieses  Mitgefühl 
oder  diesen  Ausdruck  des  Mitgefühls  wert  ist  — 

OLGA  fast  erschrocken.     Wie  können  Sie  das  sagen? 

ROBERT.  Weil  ich  selbst  so  wenig  fühle  —  Ich 
weiß  nur,  daß  sie  tot  ist  —  das  allerdings  mit  einer 

80  ungeheueren  Deutlichkeit,  daß  es  mich  peinigt 

aber  alles  ist  kalt  und  klar  wie  die  Luft  an  Winter- 
tagen. 

OLGA.  Es  wird  nicht  so  bleiben.  Der  Schmerz 
wird  kommen  —  und  das  wird  viel  besser  sein. 

ROBERT.  Wer  weiß  ob  er  kommen  wird.  —  Es 
ist  zu  lang  vorbei. 

OLGA  befremdet.  Zu  lang  —  Was  ist  zu  lang  vorbei  ? 

ROBERT.  Daß  sie  —  für  mich,  —  daß  wir  für 
einander  gelebt  haben. 

OLGA.  Ja  —  das  geht  wohl  in  den  meisten  Ehen 
so  —  Sie  geht  zum  Balkon;  siebt  den  Kranz. 

ROBERT.  Er  ist  erst  spät  abends  gekommen  — 
von  Doktor  Hausmann. 

OLGA.  Ah  —  Sie  betrachtet  die  Schleife;  Robert  beobachtet 
Olga.    Sie  merkt  es.   Er  ist  noch  nicht  hier  — ? 

ROBERT.  Nein.  Aber  ich  hab'  ihm  gleich  nach 
Scheveningen  telegraphiert,  und  halt'  es  nicht  für 
ausgeschlossen,  daß  er  noch  heute  kommt.  Wenn  er 
gleich  von  dem  einen  Bahnhof  in  Wien  auf  den  andern 
fährt  — 

OLGA.    Das  wird  er  gewiß  tun. 

ROBERT.    Dann  ist  er  in  einer  Stunde  da. 

OLGA  mit  gezwungener  Sicherheit.  Wie  Seht  wird  eS  ihn 
erschüttert  haben. 

ROBERT.  Gewiß.  —  Pause.  —  Ruhig.  Seien  Sie  auf- 
richtig mit  mir,  Olga.    Das  hat  doch  irgend  einen 

Theatottücke,  II,  s,  65 


Grund,  daß  Sie  heut  noch  einmal  zu  mir  kommen. 
Ich  merk's  Ihnen  ja  an.  Sagen  Sie  mir  ihn  doch  ganz 
einfach. 

OLGA.    Es  ist  mir  schwerer,  als  ich  dachte. 

ROBERT  ungeduldig,  aber  sieb  völlig  beherrschend.  Nun 
also  — 

OLGA.    Ich  komme,  Sie  um  etwas  bitten. 

ROBERT.    Wenn  ich  es  erfüllen  kann  — 

OLGA.  Ganz  leicht.  Es  handelt  sich  um  einige 
Briefe,  die  ich  der  armen  EveUne  geschrieben  habe 
und  die  ich  gerne  zurückhaben  möchte. 

ROBERT.    So  eilig? 

OLGA.  Ich  dacht'  es  mir:  das  erste,  was  Sie  tun 
werden,  nachdem  alles  vorbei,  wird  natürHch  sein  — 

ROBERT.    Was? 

OLGA  auf  den  Schreibtisch  tceisend.  Nun,  was  Sie  eben 
wollten,  als  ich  hereintrat.  Wie  begütigend.  Ich  tat'  es 
auch,  wenn  mir  wer  gestorben  wäre,  den  ich  geliebt  habe. 

ROBERT  leicht  enerviert.    „GeHebt"  —  „gcHebt"  — 

OLGA.  Also:  der  mir  sehr  nahe  stand  —  Es  ist 
doch  eine  Art,  sich  ein  Wesen  zurückzurufen.  Sie  spricht 
das  Nächstfolgende  wie  einstudierte  Sätze.  Nun  hätte  es  aber 
der  Zufall  fügen  können,  daß  Ihnen  gerade  Briefe  von 
mir  zuerst  in  die  Hand  fielen  —  und  darum  bin  ich 
noch  heute  zu  Ihnen  gekommen.  —  Es  stehen  Dinge 
in  diesen  Briefen,  die  Sie  keineswegs  lesen  dürfen  — 
die  nur  für  eine  andere  Frau  bestimmt  sind  —  be- 
sonders in  gewissen  Briefen,  die  ich  vor  zwei  oder 
drei  Jahren  geschrieben  habe  — 

ROBERT.  Wo  sind  sie  denn  ?  Wissen  Sie  vielleicht, 
wo  sie  liegen  ? 

OLGA.  Ich  finde  sie  gleich,  wenn  Sie  mir  erlauben  — 

ROBERT.    Sie  woUen  selbst  —  ? 

OLGA.  Ich  denke,  es  ist  das  Einfachste,  da  ich 
weiß,  wo  sie  sind.  Übrigens  können  auch  Sie  auf- 
sperren, und  ich  gebe  Ihnen  genau  an  — 

ROBERT.  Es  ist  nicht  notwendig.  Hier  ist  der 
Schlüssel. 


66 


OLGA.  Ich  danke  Ihnen.  Aber  Sie  müssen  mich 
deshalb  nicht  für  unaufrichtig  halten  — 

ROBERT.  Warum  —  sollt'  ich  das? 

OLGA.  Einmal  werde  ich  Ihnen  auch  das  alles 
erzäbJen  —  ich  meine,  was  damals  nur  Eveline  ge- 
wußt hat  —  auf  die  Gefahr  hin,  daß  mein  Bild  sich 
für  Sie  verändert  —  aber  so  —  durch  einen  Zufall 
sollten  Sie's  nicht  erfahren  — 

ROBERT.  Ihr  Bild  wird  sich  für  mich  nicht  ver- 
ändern — 

OLGA.  Wer  weiß  ?  Sie  haben  mich  immer  über- 
schätzt. 

ROBERT.  Ich  glaube  auch  keineswegs,  daß  ich 
aus  diesen  Briefen  etwas  Neues  über  Sie  erfahren 
könnte.  Was  Sie  da  in  Sicherheit  bringen  wollen,  sind 
gewiß  nicht  Ihre  Geheimnisse. 

OLGA  geschickt.    Was  sollte  es  denn  sein? 

ROBERT.    Geheimnisse  einer  andern,   denke  ich. 

OLGA.  Was  fällt  Ihnen  ein  —  Eveline  hatte  keine 
vor  Ihnen. 

ROBERT.  Ich  frage  Sie  nicht.  —  Nehmen  Sie 
Ihre  Briefe. 

OLGA  sperrt  auf,  sucht  in  der  Lade.  Da  sind  sie.  So  — 
Sie  nimmt  ein  kleines  Päckchen  heraus^  das  mit  einem  blauen  Bänd- 
chen zusammengebunden  ist;  hält  es  so^  daß  Robert  es  nicht  sehen 
kann  —  eventuell  unter  ihrer  Mamille  —  aber  nicht  zu  absichtlich. 
Ich  danke  Ihnen  sehr,  —  und  jetzt  will  ich  gehen. 
Auf  Wiedersehen!    Sie  wendet  sich  zum  Gehen. 

ROBERT.  Wäre  es  nicht  vorsichtig,  auch  in  den 
andern  Laden  nachzusehen?  —  Es  braucht  nur  eine 
Zeile  zurückgeblieben  zu  sein  —  und  alles  wäre  ver- 
gebens gewesen. 

OLGA  weniger  sieber.    Wieso  ,, vergebens"  ? 

ROBERT.  Sie  hätten  sich  die  Mühe  ersparen 
können,  Olga. 

OLGA.    Wieso?  —  Ich  verstehe  Sie  absolut  nicht. 

ROBERT.  Gerade  Sie,  die  so  gut  gewußt  hat,  wie 
Eveline  und  ich  zueinander  gestanden  sind. 


67 


OLGA.  Wie  man  eben  nach  zehn  Jahren  —  aber 
das  hat  mit  meinen  Briefen  nicht  das  Geringste  zu  tun. 

ROBERT.  Und  glauben  Sie,  daß  ich  vor  zehn 
Jahren  irgend  welche  Illusionen  hatte  ?  Das  wäre 
recht  töricht,  wenn  man  eine  Frau  nimmt,  die  um 
zwanzig  Jahre  jünger  ist.  Ich  wußte  ganz  gut,  daß 
mir  höchstens  ein  oder  zwei  schöne  Jahre  bevorstehen 

—  ja  —  darüber  war  ich  mir  sehr  klar.  Da  kann  man 
doch  nicht  von  Illusionen  reden.  Aber  wie\'iel  Jahre 
sind  denn  überhaupt  unser?  Das  Leben  ist  nicht 
lang  genug,  daß  man  ohne  weiteres  auf  ein  Jahr  des 
Glücks  verzichten  dürfte.  Es  genügt  ja  auch,  —  ins- 
besondere was  die  Frauen  anbelangt  —  ich  meine 
natürlich  die  Frauen,  in  die  man  verliebt  ist.  Mit 
denen  wird  man  sehr  rasch  fertig.  Es  gibt  mancherlei, 
das  viel  wichtiger  ist. 

OLGA.  Das  ist  möglich  —  nur  weiß  man  es  nicht 
immer. 

ROBERT.  Ich  hab'  es  immer  gewußt.  Der  Inhalt 
meines  Lebens  ist  sie  nie  gewesen  —  auch  in  jenem 
Jahre  des  Glückes  nicht.  In  einem  gewissen  Sinne  war 
sie  mehr  als  der  Inhalt  —  der  Duft,  wenn  Sie  wollen 

—  aber  gerade  der  Duft  mußte  sich  natürlich  ver- 
lieren. —  Das  sind  ja  ganz  selbstverständliche  Dinge. 
Er  spricht  immer  erregter,  aber  noch  äußerlich  ruhig.  Wir  hatten 
nichts  mehr  gemeinsam,  als  die  Erinnerung  an  ein 
kurzes  Glück.  Und  ich  sage  Ihnen,  diese  Art  von  ge- 
meinsamen Erinnerungen  scheidet  eher,  als  sie  bindet. 

OLGA.  Ich  kann  mir  auch  denken,  daß  es  ganz 
anders  kommt. 

ROBERT.  Gewiß.  Aber  nicht  mi't  einem  Ge- 
schöpf vde  Eveline  eines  war.  Sie  war  zur  Geliebten 
geschaffen,  zur  Gefährtin  nicht.  Das  wissen  Sie  so 
gut  wie  ich. 

OLGA.  „Gefährtin"  —  das  ist  ein  sehr  großes 
Wort.    Wie  viele  Frauen  können  es  überhaupt  sein. 

ROBERT.  Ich  hab'  es  auch  nie  von  ihr  verlangt. 
Ich  hab'  mich  nicht   einsam  gefühlt,   wahrhaftig. 

68 


Ein  Mensch,  der  einen  Beruf  hat,  ich  meine  nicht 
eine  Beschäftigung,  einen  Beruf,  kann  sich  über- 
haupt nie  einsam  fühlen. 

OLGA  nicht  scbwärmeriscb.  Das  ist  das  Herrliche  bei 
den  Männern  —  ich  meine  bei  Männern  wie  Sie. 

ROBERT.  Und  als  es  mit  unserem  Glück  zu  Ende 
ging,  bin  ich  eben  in  mein  Leben  zurück,  von  dem 
sie  ja  nicht  viel  begriffen  hat,  wie  Sie  wissen,  und  bin 
meinen  Weg  gegangen  —  wie  sie  den  ihren. 

OLGA.    Nein,  so  war  es  nicht.    O  nein. 

ROBERT.  Gewiß  war  es  so.  Sie  hat  Ihnen  mehr 
erzählt,  als  Sie  mir  sagen  werden.  Meinetwegen  muß 
man  keine  Briefe  aus  dem  Wege  räumen.  Für  mich 
gibt  es  keine  Überraschungen  und  Entdeckungen. 
Was  wollen  Sie  denn  ?  Sie  sind  eigentlich  rührend. 
Sie  möchten  mich  gern  in  einem  Wahn  lassen  —  nein 

—  mich  mit  einem  Wahn  umgeben,  in  dem  ich  nie 
befangen  war.  Ich  weiß,  daß  ich  sie  längst  verloren 
habe  —  längst.  Immer  erregter.  Oder  meinen  Sie,  ich 
habe  mir  eingebildet,  daß  Eveline  in  dem  Augen- 
blicke mit  ihrer  Existenz  abgeschlossen  hatte,  da  wir 
voneinander  gegangen  sind?  —  Daß  sie  plötzlich  eine 
alte  Frau  geworden  ist,  weil  sie  mich  —  oder  ich  sie 
verlassen  hatte  ?    Nie  hab'  ich  das  geglaubt. 

OLGA.  Aber  Robert,  es  ist  mir  ganz  unfaßbar,  wie 
Sie  auf  solche  Vermutungen  kommen. 

ROBERT.  Ich  weiß,  von  wem  diese  Briefe  sind; 
es  sind  nicht  die  Ihren.  Ich  weiß,  daß  einer  auf  der 
Welt  ißt,  der  heute  viel  tiefer  ?u  beklagen  ist  als  ich 

—  emer,  den  sie  geliebt  hat  —  und  der  hat  sie  heute 
verloren,  nicht  ich  —  nicht  ich.  —  Sie  sehen,  das 
alles  war  mir  gegenüber  sehr  überflüssig  —  es  kann 
nur  dieser  eine  sein. 

OLGA.  Sie  sind  in  einem  schrecklichen  Irrtum  be- 
fangen. 

ROBERT.  Ich  bitte  Sie,  Olga,  lassen  Sie  das! 
Sonst  könnt'  ich  am  Ende  doch  darauf  bestehen, 
diese  Briefe  zu  lesen.   Auf  eine  Bewegung  Olgas.   Ich  werde 

69 


es  nicht  tun,  Olga.  Wir  wollen  sie  verbrennen,  ehe  er 
kommt. 

OLGA.    Sie  wollen  das  tun? 

ROBERT.  Ja.  Denn  das  war  meine  Absicht,  bevor 
Sie  gekommen  sind.  Alles,  was  dieser  Schreibtisch 
enthält,  hätt'  ich  ins  Feuer  geworfen,  ohne  es  an- 
zusehen. 

OLGA.    Nein,  das  hätten  Sie  sicher  nicht  getan. 

ROBERT.  Sie  brauchen  sich  keine  Vorwürfe  zu 
machen.  Vielleicht  ist  es  gut,  daß  ich  nun  alles  weiß, 
ohne  einen  Blick  darauf  werfen  zu  müssen.  So  ist 
wenigstens  die  Klarheit  da  —  und  das  ist  schließlich 
das  Einzige,  was  wir  vom  Leben  verlangen  sollten. 

OLGA  ernst.    Sie  hätten  mehr  verlangen  dürfen. 

ROBERT.  Früher  einmal  —  und  da  hab'  ich's  ja 
nicht  vergeblich  verlangt.  Aber  jetzt  — ?  Sie  war 
jung  und  ich  war  alt  —  das  ist  die  ganze  Geschichte 

—  bei  allen  anderen  Menschen  würden  wir's  ja  auch  ver- 
stehen —  warum  nicht  hier. 

In  diesem  Augenblicke  pfeift  die  Lokomotive  des  Zuges  in  der  Ferne. 

OLGA  zuckt  zusammen. 

Pause. 

OLGA.  Empfangen  Sie  ihn  erst  morgen,  ich  bitte 
Sie. 

ROBERT.  Glauben  Sie,  daß  ich  nicht  ruiiig  bin? 
Glauben  Sie  am  Ende,  daß  ich  —  ?  Jetzt  ist  nur  mehr 
eines  notwendig:  Er  darf  nie  erfahren,  daß  ich  es 
weiß  —  Er  würde  aus  jedem  Worte  irgend  was  heraus- 
hören wie  Verzeihung  und  Großmut,  ah  —  das  will 
ich  nicht.  Es  ist  nichts  von  alledem.  Ich  habe  ihn 
nie  gehaßt  —  ich  hasse  ihn  nicht  —  hier  ist  durchaus 
kein  Grund  zum  Hassen  —  und  keiner  zum  Verzeihen 

—  ich  verstehe  es  viel  zu  gut.  —  Zu  ihm  hat  sie 
ge  hört  —  vergessen  wir  doch  nicht  das  Wesentliche. 
Lassen  wir  uns  doch  nicht  gleich  wieder  von  der  Macht 
der  äußeren  Beziehungen  so  verwirren.  Zu  i  h  m  hat 
sie  gehört,  nicht  zu  mir.  Und  es  hätte  ja  nicht  mebj 
lange  so  dauern  können  — 


70 


OLGA.  Ich  bitte  Sie,  Robert  —  empfangen  Sie 
ihn  heute  nicht. 

ROBERT.  Sie  wissen  ganz  gut,  daß  sie  von  mir 
fort  wollte  — 

OLGJ.    Wie  soUt'  ich  das  —  ? 

ROBERT.    Weil  sie  sich  Ihnen  anvertraut  hat. 

OLGJ.    O  nein. 

ROBERT.  Woher  wußten  Sie  dann,  wo  sich  diese 
Briefe  befinden  ? 

OLGA.     Ich    kam    einmal    zufällig    dazu,    als    sie 

—  einen  —  vor  mir  —  Ich  wollte  nichts  hören  — 
aber  — 

ROBERT.  Aber  sie  mußte  eine  Vertraute  haben  — 
natürlich  —  und  Sie  haben  sich  nicht  wehren  können. 

—  Das  ist  mir  alles  vollkommen  klar.  —  Nein  —  es 
war  nicht  mehr  lange  so  fortzuführen.  Glauben  Sie, 
ich  hab'  es  nicht  gesehen,  wie  sich  die  beiden  ihrer 
Lügen  geschämt  —  wie  sie  gehtten  haben  ?  Ich  habe 
ja  den  AugenbHck  herbeigesehnt  —  erwartet,  in  dem 
sie  zu  mir  kommen,  mich  bitten  würden:  Gib  uns 
frei  — ;  warum  haben  sie  den  Mut  nicht  gefunden? 
Warum  hab' ich  ihnen  nicht  gesagt:  So  geht  doch  fort, 
ich  halt'  euch  nicht.  — Aber  wir  sind  alle  feig  gewesen, 
sie  und  ich.  Das  ist  das  Unsinnige.  Immer  warten  wir, 
daß  irgendwas  von  draußen  kommt,  um  Unhaltbares 
zu  lösen  —  irgend  was,  das  uns  der  Mühe  enthebt, 
ehrlich  gegeneinander  zu  sein  —  und  zuweilen  kommt 
es  ja  auch,  dieses  andere  —  wie  bei  uns  —  Wagenrollen. 
Kurzes  Schweigen.  Olga  sehr  bewegt.  Robert^  absicbtlicb  ruhige 
spricht  weiter  —  und,  man  muß  sagen,  es  ist  immerhin 
ein  vornehmer  Abschluß. 

Der  Wagen  bleibt  stehen. 
OLGA.    Sie  wollen  ihn  —  empfangen  — ? 
ROBERT.    Er  soll  die  Briefe  nicht  sehen  — 
OLGA.   Lassen  Sie  mich  gehen,  ich  nehme  sie  mit. 
ROBERT.    Hier  über  diese  Treppe  — 
OLGA.    Ich  höre  seinen  Schritt. 
ROBERT.  So  ist  er  durch  den  Garten  gekommen  — 


71 


Nimmt  ihr  die  Brie  je  aus  der  Hand  und  verschließt  sie  rascb  toieder 
in  die  Lade.     Bleiben  Sie.     Es  ist  zu  spät.    Schritte  draußen. 

Alfred  tritt  rasch  ein.  Er  in  dunklem  Reiseanzug.  Wie  er  Olga 
:ieht,  ist  er  leicht  befangen.  Robert  will  ihm  entgegengeben,  bleibt 
aber  nach  zwei  Schritten  stehen  und  erwartet  ihn.  Alfred  drückt 
ihm  die  Hand,  dann  gebt  er  auf  Olga  zu  und  reicht  ihr  die  Hand. 
Kurzes  Schweigen. 

ALFRED.  Das  hätten  wir  uns  nicht  träumen 
lassen  —  dieses  Wiedersehen  —  was  ? 

ROBERT.  Du  hast  dich  in  der  Stadt  gar  nicht 
aufgehalten  ? 

ALFRED.  Nein.   Wenn  ich  noch  heute  bei  dir  sein 
wollte  —  und  das  mußte  ich  —  Zu  Olga.  Entsetzlich  — 
entsetzlich  —  wieso  ist  es  denn  geschehen  —  ich  weiß 
ja  gar  nichts  —  nur  ein  Wort,  ich  bitte  dich  — 
Da  Robert  nicht  antwortet. 

OLGA.    Es  ist  ganz  plötzlich  geschehen. 

ALFRED.    Ein  Herzschlag  also. 

ROBERT.    Ja. 

ALFRED.    Ganz  ohne  vorherige  Anzeichen? 

ROBERT.    Ganz  ohne  vorherige  Anzeichen. 

ALFRED.    Und  wann  denn  ?  —  Wo  ?  — 

ROBERT.  Vorgestern  nachmittags,  während  sie 
im  Garten  spazieren  ging.  Der  Gärtner  sah  sie  stürzen 
—  neben  dem  Teich  —  ich  hörte  seinen  Ruf  in  meinem 
Zimmer  —  und  als  ich  hinunter  kam,  war  es  schon 
vorbei. 

ALFRED.  Mein  lieber,  mein  armer  Freund!  Was 
mußt  du  gelitten  haben!  Es  ist  gar  nicht  zu  fassen  — 
dieses  blühende  —  junge  — 

OLGA.    Vielleicht  das  schönste  Los. 

ALFRED.    Das  ist  ein  matter  Trost. 

ROBERT.  Mein  Telegramm  hast  du  verspätet  be- 
kommen, nicht  wahr  ? 

ALFRED.  Ja  —  sonst  hätte  ich  schon  heute  früh 
hier  sein  können.  —  Ja,  wenn  es  Ahnungen  gäbe,  hätte 
es  mich  wohl  etwas  früher  nach  Hause  treiben  müssen. 

OLGA.    Aber  es  gibt  keine. 


72 


ALFRED.  Wahrhaftig.  Es  war  ein  Tag  wie  alle 
andern,  noch  heller  und  fröhlicher  womöglich  als 
sonst. 

ROBERT.   Noch  fröhlicher  als  sonst  — 
ALFRED.  Jetzt  kommt's  mir  natürlich  so  vor.  — 
Wir  hatten  eine  Segelfahrt  gemacht,  hinaus  aufs  Meer 

—  dann  sind  wir  noch  am  Strand  spazieren  gegangen 
in  der  Abendkühle  — 

ROBERT.    „Wir"  — ! 

ALFRED.  Nun  ja  —  eine  größere  Gesellschaft.  — 
Und  wie  ich  ins  Hotel  gekommen  bin,  habe  ich  vielleicht 
noch  eine  Viertelstunde  von  meinem  Fenster  aufs 
Meer  hinausgesehen.  Dann  hab'  ich  erst  Licht  gemacht 

—  und  da  ist  das  Telegramm  auf  dem  Tisch  gelegen. 
Ah  —  Pause.  —  Er  hält  die  Hand  vor  die  Augen.  Olga  betrachtet 
Robert,  der  vor  sick  binsebaut. 

ALFRED  nimmt  die  Hand  von  den  Augen.  Das  ist  ja 
ttcckt  ihr  Zimmer. 

ROBERT.    Ja. 

ALFRED.  Wie  oft  sind  wir  hier  auf  dem  Balkon 
gesessen.  Sieb  tcendend,  siebt  er  auf  die  Straße^  die  Kircbbof- 
mauer,  bebt  zusammen.     Dort  —  ? 

Robert  nickt. 

ALFRED.   Morgen  früh  gehen  wir  zusammen  hin. 

ROBERT.    So  kannst  du  deinen  Kranz  selbst  hin- 
tragen —  er  ist  eben  gebracht  worden.  — 
Pause. 

ALFRED.  Und  —  was  wirst  du  denn  nun  eigentlich 
zunächst  tun  ? 

ROBERT.    Wie  meinst  du  das? 

OLGA.  Ich  habe  den  Professor  gebeten,  sich  in 
der  nächsten  Zeit  möglichst  viel  bei  uns  in  der  Villa 
aufzuhalten. 

ALFRED.  Er  sollte  überhaupt  nicht  hier  bleiben. 
Du  sollst  nicht  hier  im  Ort  bleiben.  — 

ROBERT.  In  den  ersten  Oktobertagen  übersiedle 
ich  jedenfalls  in  die  Stadt.  Bis  dahin  ist's  nicht  mehr 
lang.   Auch  werde  ich  vorher  ein  paarmal  ins  Labora- 


73 


torium  schauen  —  die  zwei  Amerikaner  vom  vorigen 
Jahr  arbeiten  seit  Ende  August. 

ALFRED.  Ja,  das  hast  du  mir  in  deinem  letzten 
Brief  geschrieben.  Aber  deswegen  mußt  du  doch 
nicht  in  die  Stadt  ziehen,  du  wirst  doch  nicht  gleich 
zu  arbeiten  anfangen.  — 

ROBERT.  Du  machst  mich  wirklich  nervös;  was 
soll  ich  denn  sonst  tun?  Ich  versichere  dir,  daß  ich 
zu  gar  nichts  anderem  gelaunt  bin  als  zum  Arbeiten. 

ALFRED.    Du  wirst  nicht  fähig  sein,  jetzt  — 

ROBERT.  Du  sprichst  auch  wie  die  andern.  Ich 
fühle  mich  vollkommen  fähig;  ich  habe  eine  wahre 
Sehnsucht  danach. 

ALFRED.  Das  versteh'  ich  ganz  gut;  aber  diese 
Sehnsucht  ist  doch  eigentlich  trügerisch.  Ich  will 
dir  was  vorschlagen:  Herzlich.  Fahre  mit  mir  fort. 
Du  gibst  mir  noch  ein  paar  Tage  Urlaub,  und  ich 
nehme  dich  mit.    Was  sagen  Sie  dazu,  gnädige  Frau? 

OLGA  mühsam.  Es  wäre  ganz  klug. 

ROBERT.    Du  willst  fort?    Jetzt  willst  du  fort? 

ALFRED.  Ich  hätte  mir  jedenfalls  noch  einige 
Tage  von  dir  erbeten. 

ROBERT.   Ja,  wohin  willst  du  ienn? 

ALFRED.    Ich  möchte  noch  einmal  an  die  See. 

ROBERT.    Zurück? 

ALFRED.  Ja,  aber  mit  dir.  Es  wird  dir  wohltun  — 
glaub'  mir!    Hab'  ich  nicht  recht,  gnädige  Frau? 

OLGA.    O  ja. 

ALFRED.  Du  wirst  mit  mir  nach  Scheveningen 
fahren  und  dort  ein  paar  ruhige  Tage  mit  uns  ver- 
bringen. 

ROBERT.    Mit  uns  —  Du  sagst  uns? 

ALFRED  leicht  befangen.     Ja. 

ROBERT.  Was  heißt  denn  das:  mit  uns?  Bist 
du  denn  nicht  allein  ? 

ALFRED.  Gewiß  bin  ich  allein,  aber  es  gibt  natür- 
lich einige  Menschen  in  Scheveningen,  mit  denen  ich 
verkehre,  einige  mit  denen  ich  — 


74 


ROBERT.    Nun  —  ? 

ALFRED.  Ich  wollte  es  dir  erst  in  ein  paar  Tagen 
mitteilen,  aber  da  es  sich  nun  so  fügt  —  kurz  —  ich 
habe  mich  nämlich  da  oben  verlobt. 

ROBERT  ganz  kalt.    Ah. 

ALFRED.  Ob  ich  dir  das  morgen  sage  oder  heut, 
nicht  wahr  —  das  Leben  geht  eben  weiter  —  es  ist 
seltsam  genug,  daß  gerade  jetzt  — 

ROBERT.    Ja  —  ich  gratuliere. 

ALFRED.  Darum  sagt'  ich  früher  „mit  uns". 
Und  du  wirst  jetzt  verstehen,  daß  ich  noch  einmal 
zurück  möchte. 

ROBERT.    Das  ist  allerdings  leicht  zu  verstehen. 

ALFRED.  Und  ich  bitte  dich,  komm  mit.  Ihre 
Eltern  wären  wahrhaft  glücklich,  dich  kennen  zu  lernen. 
Ich  habe  ihnen  soviel  von  dir  erzählt.  Es  sind  vor- 
treffliche Menschen.  Und  was  das  Mädchen  anbe- 
langt, —  nun:  du  wirst  sie  ja  sehen. 

ROBERT.  Ich  glaube  nicht  —  ich  glaube  nicht 
—  es  wird  sich  später  Gelegenheit  ergeben  —  Mit 
großer  Mübe^  aber  vollkommenem  Gelingen  spielt  er  weiter  den 
Ruhigen.  Es  ist  ja  wirklich  eine  ganz  verrückte  Idee 
von  dir,  daß  ich  jetzt  an  die  Nordsee  fahren  soll,  mir 
deine  Braut  vorstellen  zu  lassen.  —  Wieviel  Millionen 
hat  sie  übrigens  ? 

ALFRED  befremdet.  Wie  kommst  du  auf  diese  Frage  ? 
Es  liegt  doch  wirklich  nicht  in  meinem  Wesen,  daß  ich 
des  Geldes  wegen  — 

ROBERT.    Also  eine  große  Leidenschaft! 

ALFRED.  Robert,  ich  bitte  dich,  laß  uns  heute 
nichts  mehr  davon  reden.  Es  ist  wie  —  Er  will  sagen 
^jEntweihiing" . 

ROBERT.  Warum  nicht?  —  „Das  Leben  geht 
weiter",  wie  du  sehr  richtig  bemerkt  hast.  Reden  wir 
von  den  Lebendigen.    Woher  kennst  du  sie  ? 

ALFRED.    Sie  ist  eine  Wienerin. 

ROBERT.    Ah,  jetzt  weiß  ich  aUes. 

ALFRED.    Das  ist  nicht  gut  möglich. 


75 


ROBERT.  Du  hast  mir  einmal  erzählt  —  erinnerst 
du  dich  —  die  Jugendliebe  mit  den  blonden  Locken 

—  als  du  noch  Student  warst  — 
ALFRED.    Was  soll's  mit  der  sein? 
ROBERT.  Nun  —  Wiedersehen  nach  vielen  Jahren 

—  Erwachen  der  alten  Liebe  — 

ALFRED.  Daran  denkst  du  noch  ?  —  Nein,  die  ist 
es  nicht.  Ich  kenne  meine  Braut  erst  seit  zwei  Jahren 
und  bin  um  ihretwillen  an  die  See  gereist. 

ROBERT.  Und  dort  hast  du  dich  in  sie  ver- 
liebt ? 

ALFRED.  Oh,  ich  weiß  seit  lange,  daß  sie  meine 
Frau  werden  wird. 

ROBERT.    Wahrhaftig? 

ALFRED.  Wir  sind  im  stillen  seit  einem  Jahr 
verlobt. 

ROBERT.  Und  davon  hast  du  mir  —  uns  —  kein 
Wort  gesagt  ?  —  Oh  — 

ALFRED.  Es  waren  gewisse  Rücksichten  zu  be- 
obachten —  ihre  Familie  war  anfangs  —  aber  wir 
waren  die  ganze  Zeit  einig  —  ich  kann  sagen,  wir 
haben  einander  vom  ersten  AugenbHck  an  geliebt. 

ROBERT.    Zwei  Jahre? 

ALFRED.    —  Ja.  — 

ROBERT.    Hast  du  sie  geliebt? 

ALFRED.    Ja. — 

ROBERT.    Und  —  sie? 

ALFRED  fast  mechanisch.     Und  sie  — ? 

ROBERT.    Und  die  andere  —  die  andere? 

ALFRED.    Welche  andere? 

ROBERT  ihn  bei  der  Schulter  haltend^  mit  der  anderen  Hand 
nach  der  Straße  weisend.     Die   da! 

Alfred  wirft  einen  Blick  auf  Olga. 

ROBERT.    Was  hast  du  aus  der  gemacht? 

ALFRED  nach  einer  Pause,  sich  auflehnend.  Warum  spielst 
du  so  lange  mit  mir,  wenn  du's  weißt  ?  Warum  hast 
du  mit  Freundesworten  zu  mir  gesprochen,  wenn 
du's    weißt?     Du    hattest    das   Recht,    mit   mir   zu 

76 


tun,    was    du   willst,    aber   zu    spielen   hast    du   kein 
Recht. 

ROBERT.  Es  ist  kein  Spiel  gewesen.  Ich  hätte 
dich  vom  Boden  aufgehoben,  wenn  dich  der  Schmerz 
gebrochen  hätte  —  an  ihr  Grab  war'  ich  mit  dir  ge- 
gangen —  wenn  es  deine  Geliebte  wäre,  die  da  draußen 
hegt  —  aber  du  hast  sie  zu  deiner  Dirne  gemacht  — 
und  dieses  Haus  hast  du  bis  an  die  Decke  mit  Schmutz 
und  Lüge  so  angefüllt,  daß  mich  ekelt  —  und  darum 

—  darum,  ja  darum  jag'  ich  dich  hinaus  — . 
ALFRED.  Auch  hierauf  gab'  es  vielleicht  eine  Ant- 
wort. 

ROBERT.    Geh  —  geh  —  geh! 
Alfred  gebt. 

ROBERT.  Also  davor  haben  Sie  mich  bewahren 
wollen  —  ja,  jetzt  verstehe  ich  Sie  —  wohl  ihr,  daß 
sie  hingeschieden  ist,  ohne  zu  ahnen  —  was  sie  für 
ihn  war. 

OLGA  wendet  sieb  ibm  zu.     Ohne  ZU  ahnen  — f 

ROBERT.    Was  wollen  Sie  —  sagen  —  ? 

OL  GA  nach  kurzem  Bedenken.    Sie  hat  CS  —  gewußt  — 

ROBERT.    Was  —  hat  sie  — 

OLGA.  Was  sie  für  ihn  war  —  hat  sie  gewußt.  — 
Fassen  Sie's  denn  noch  nicht  ganz?  —  Er  hat  sie 
weder  betrogen  noch  erniedrigt  —  und  auf  seine 
Heirat  war  sie  seit  lange  vorbereitet,  wie  auf  etwas, 
das  sich  von  selbst  versteht  —  und  als  er  ihr's  schrieb  — 
foeist  auf  den  Scbreibtiscb   hat  sie  SO  wenig  um  ihn  geweint 

—  als  er  um  sie.  —  Nie  wären  sie  zu  Ihnen  gekommen 

—  Sie  um  ihre  Freiheit  bitten  —  die  Freiheit,  die 
sie  wollten,  haben  sie  gehabt  — 

ROBERT.  Sie  hat's  gewußt  —  ?  Und  Sie,  die 
diese  Briefe  vor  mir  verstecken  wollten  —  jetzt  sagen 
Sie  mir  dieses  letzte  — ? 

OLGA.  Geb'  ich  Ihnen  damit  nicht  Ihre  Freiheit 
vdeder  ?    Jahrelang  haben  Sie  um  diese  Frau  gelitten 

—  haben  sich  von  einem  Selbstbetrug  in  den  anderen 
gestürzt,  um  sie  weiter  lieben  und  weiter  leiden  zu 


77 


dürfen  —  und  jetzt  wollen  Sie  sich  noch  weiter  quälen, 
um  eines  Schicksals  willen,  das  Sie  sich  nur  einbilden, 
das  diese  Frau  überhaupt  nicht  erleiden  konnte,  weil 
das  Leben  so  leicht  für  sie  war  —  wie  Menschen  Ihrer 
Art  gar  nicht  begreifen  können  — f 

ROBERT.    Und  alles  dies  erst  heut  — ?  erst  jetzt! 

—  Warum  haben  Sie's  mit  angesehen  —  und  mich 
aus  meiner  Feigheit  nicht  emporgerüttelt  ?  —  Warum 
hab  ich's  nicht  vor  einem  Jahr  wissen  dürfen  —  nicht 
vor  drei  Tagen  — ? 

OLGA.  Davor  hab'  ich  ja  gezittert  —  wie  Sie  selbst 

—  ja,  wie  Sie!  Nie  haben  Sie's  wissen  dürfen  —  oder 
heut!  — 

ROBERT.  Ist  es  jetzt  etwas  anderes,  weil  sie  tot 
ist  — ?  — 

OLGA.  Nichts  anderes  —  aber  klar  ist  es  —  wie 
es  sonst  nie  gewesen  wäre  —  Solang  sie  gelebt  hat, 
hätte  dieses  erbärmliche  nichtige  Abenteuer  —  ein- 
fach von  ihrem  Dasein  —  von  ihrem  Lächeln  den 
Schein  des  Wichtigen  geliehen  —  Sie  hätten  nicht 
fühlen  können  —  was  Sie  heute  fülilen  müssen,  da  Sie 
jenseits  Ihres  Zornes  ist  —  und  was  Ihnen  den  Frieden 
geben  wird:  wie  fern,  wie  unendlich  fern  von  Ihnen 
diese  Frau  gelebt  hat  —  die  zufällig  in  diesem  Hause 
gestorben  ist Sie  geht. 

ROBERT  eine  Weile  still.  Dann  versperrt  er  die  Scbreib- 
tiscblade;  dann  steht  er  auf,  geht  »ur  Tür  und  ruft  Franz ! 

DIENER.    Herr  Professor  —  ? 

ROBERT.  Morgen  früh  reise  ich  ab.  Bereiten  Sie 
alles  vor  —  und  sorgen  Sie,  daß  ein  Wagen  um  sieben 
Uhr  vor  dem  Hause  ist. 

DIENER.    Jawohl,  Herr  Professor. 

ROBERT  nach  einer  kurzen  Pause.  Alle  näheren  Anwei- 
sungen gebe  ich  Ihnen  morgen.  Gehen  Sie  jetzt 
schlafen.  Auf  ein  Zögern  des  Dieners.  Dieses  Zimmer  sperre 
ich  selbst  ab  —  es  wird  verschlossen  bleiben,  bis  ich 
wiederkomme. 

DIENER.   Sehr  wohl,  Herr  Professor. 


78 


PROFESSOR.    Gute  Nacht. 

DIENER.    Gute  Nacht,  Herr  Professor.  Ab  rechts. 

Robert  sperrt  gleich  hinter  ihm  zu.  Dann  geht  er  zum  Balkon;  wie 
er  schließen  will^  sieht  er  den  Kranz.  Er  nimmt  ihn,  bringt  ihn  ins 
Zimmer  und  legt  ihn  auf  den  Schreibtisch.  Dann  geht  er  zur  Tür 
links,  diis  Licht  in  der  Hand;  an  der  Iure  bleibt  er  stehen,  wendet 
sich  um,  betrachtet  das  ganze  Zimmer  noch  einmal.  Er  atmet  tief, 
lächelt  dann  wie  befreit,  geht  ab;  man  hört  ihn  zusperren.  Das  dunkle 
Zimmer  bleibt  eine  iVeile  leer^  dann  fällt  der  Vorhang, 


79 


DER  GRÜNE  KAKADU 

Groteske  in  einem  Akt 


PERSONEN 


■  seine  Truppe 


EMILE  HERZOG  VON  CADIGNAN 
FRANQOIS  VICOMTE  VON  NOGEANT 
ALB  IN  CHEVALIER  DE  LA  TREMOUILLE 
DER  MARQUIS  VON  LANSAC 

SEVERINE~  seine  Frau 

ROLLIN,   Dichter 

PROSPERE,   Wirt,  vormah  Ibeaterdirektor 

HENRI 

BALTHASAR 

GUILLAUME 

SCAEVOLA 

JULES 

ETIENNE 

MAURICE 

GEORGETTE 

MICHETTE 

FLIPOTTE 

LEOCADIE,   Schauspielerin,   Henris  Trau 

GRASSET,  Philosoph 

LEBRET,   Schneider 
GRAIN,   ein  Strolch 

DER  COMMISSÄR 

ADELIGE,     SCHAUSPIELER,     SCHAUSPIELE^ 
RINNEN,   BÜRGER   UND  BÜRGERFRAUEN 

Spielt  in  Paris  am  Abend  des    14.  Juli  1789  in  der 
Spelunke  Prosperes. 


Wirtsstube  ,^Zum  grünen  Kakadu". 
Ein  nicht  großer  Kellerraum,  zu  welchem  rechts  —  ziemlich  toeii 
hinten  —  sieben  Stufen  führen,  die  nach  oben  durch  eine  Tür  ab- 
geschlossen sind.  Eine  zweite  Tür,  welche  kaum  sichtbar  ist,  be- 
findet sich  im  Hintergründe  links.  Eine  Anzahl  von  einfachen  höl- 
zernen Tischen^  um  diese  Sessel,  füllen  beinahe  den  ganzen  Raum 
»US.  Links  in  der  Mitte  der  Schanktisch;  hinter  demselben  eine 
Anzahl  Fässer  mit  Pipen.  Das  Zimmer  ist  durch  Öllämpchen  be- 
leuchtet, die  von  der  Decke  herabhängen. 

Der  Wirt  Prospire;  es  treten  ein  die  Bürger  Lehret  und  Grassei, 

GRASSET  noch  auf  den  Stufen.  Hier  herein,  Lebret; 
die  Quelle  kenn'  ich.  Mein  alter  Freund  und  Direktor 
hat  immer  noch  irgendwo  ein  Faß  Wein  versteckt,  auch 
wenn  ganz  Paris  verdurstet. 

WIRT.  Guten  Abend,  Grasset.  Läßt  du  dich  wie- 
der einmal  blicken  ?  Aus  mit  der  Pliiloscphie  ?  Hast 
du   Lust,  wieder   bei   mir  Engagement   zu    nehmen? 

GRASSET.  JafreiHch!  Wein  sollst  du  bringen.  Ich 
bin  der  Gast  —  du  der  Wirt. 

WIRT.  Wein?  Woher  soll  ich  Wein  nehmen, 
Grasset  ?  Heut  nacht  haben  sie  ja  alle  Weinläden 
von  Paris  ausgeplündert.  Und  ich  möchte  wetten, 
daß  du  mit  dabei  gewesen  bist. 

GRASSET.  Her  mit  dem  Wein.  Für  das  Pack,  das 
in  einer  Stunde  nach  uns  kommen  wird  .  .  .  Lauschend. 
Hörst  du  was,  Lebret? 

LEB  REt.    Es  ist  wie  ein  leiser  Donner. 

GRASSET.  Brav  —  Bürger  von  Paris .  .  .  zu  Prospere. 
Für  das  Pack  hast  du  sicher  noch  einen  in  Vorrat. 
Also  her  damit.  Mein  Freund  und  Bewninderer,  der 
Bürger  Lebret,  Schneider  aus  der  Rue  St.  Honore, 
zahlt  alles, 

LEBRET.    Gewiß,  gewiß,  ich  zahle. 

PROSPERE  zögert. 

GRASSET.  Na,  zeig'  ihm,  daß  du  Geld  hast,  Lebret. 

LEB  REt  zieht  seinen   Geldbeutel   heraus. 

WIRT.  Nun,  ich  will  sehen,  ob  ich  .  .  .  Er  öffnet 
den  Hahn  zu  einem  Faß  und  füllt  zwei  Gläser.  Woher  kommst 
du,  Grasset?    Aus  dem  Palais  Ro7al? 

••  83 


GR^SSET.  Jawohl .  .  .  ich  habe  dort  eine  Rede  ge- 
halten. Ja,  mein  Lieber,  jetzt  bin  ich  an  der  Reihe. 
Weißt  du,  nach  wem  ich  gesprochen  habe  ? 

WIRT.    Nun? 

GRJSSET.  Nach  Camille  Desmoulins!  Jawohl,  ich 
hab*  es  gewagt.  Und  sage  mir,  Lebret,  wer  hat  größeren 
Beifall  gehabt,  Desmoulins  oder  ich  ? 

LEBRlT.    Du  .  .  .  zweifellos. 

GRJSSET.   Und  wie  hab'  ich  mich  ausgenommen  ? 

LEBRET.    Prächtig. 

GRASSET.  Hörst  du's,  Prospere?  Ich  habe  mich 
auf  den  Tisch  gestellt  .  .  .  ich  habe  ausgesehen  wie  ein 
Monument  .  .  .  jawohl  —  und  alle  die  Tausend,  Fünf- 
tausend, Zehntausend  haben  sich  um  mich  versammelt 
—  gerade  so  wie  früher  um  Camille  Desmoulins  .  .  . 
und  haben  mir  zugejubelt. 

LEBRET.    Es  war  ein  stärkerer  Jubel. 

GRASSET.  Jawohl  ,  .  .  nicht  um  vieles,  aber  er 
war  stärker.  Und  nun  ziehen  sie  alle  hin  zur  Bastille 
.  .  .und  ich  darf  sagen:  sie  sind  meinem  Ruf  gefolgt. 
Ich  schwöre  dir,  vor  abends  haben  wir  sie. 

WIRT.  Ja,  freilich,  wenn  die  Mauern  von  euern 
Reden  zusammenstürzten! 

GRASSET.  Wieso  .  .  .  Reden!  —  Bist  du  taub ?  .  .  . 
Jetzt  wird  geschossen.  Unsere  braven  Soldaten  sind 
dabei.  Sie  haben  dieselbe  höllische  Wut  auf  das  ver- 
fluchte Gefängnis  wie  ivir.  Sie  wissen,  daß  hinter  diesen 
Mauern  ihre  Brüder  und  Väter  gefangen  sitzen  .  .  .  Aber 
sie  würden  nicht  schießen,  wenn  wir  nicht  geredet 
hätten.  Mein  lieber  Prospere,  die  Macht  der  Geister 
ist  groß.    Da  —  zu  Lebret.    Wo  hast  du  die  Schriften  ? 

LEB  REt.     Hier  .  .  .  zieht  Broschüren  aus  der  Tasche. 

GRASSET.  Hier  sind  die  neuesten  Broschüren,  die 
eben  im  Palais  Roval  verteilt  wurden.  Hier  eine  von 
meinem  Freunde  Cerutti,  Denkschrift  für  das  fran- 
zosische Volk,  hier  eine  von  Desmoulins,  der  allerdings 
besser  spricht,  als  er  schreibt .  .  .  „Das  freie  Frank- 
reich". 


84 


fFIRT.  Wann  wird  denn  endlich  die  deine  erscheinen, 
von  der  du  immer  erzählst  ? 

GRASSEI.  Wir  brauchen  keine  mehr.  Die  Zeit  zu 
Taten  ist  gekommen.  Ein  Schuft,  der  heute  in  seinen 
vier  Wänden  sitzt.  Wer  ein  Mann  ist,  muß  auf  die 
Straße! 

LEB  REt.    Bravo,  bravo! 

GRASSEI.  In  Toulon  haben  sie  den  Bürgermeister 
umgebracht,  in  BrignoUes  haben  sie  ein  Dutzend  Häu- 
ser geplündert .  .  .  nur  wir  in  Paris  sind  noch  immer  die 
Langweiligen  und  lassen  uns  alles  gefallen. 

PROSPERE.   Das  kann  man  doch  nicht  mehr  sagen. 

LEB  REt  der  immer  getrunken  bat.  Auf,  ihr  Bürger, 
auf! 

GRASSET.  Auf!  . . .  Sperre  deine  Bude  und  komm 
jetzt  mit  uns! 

WIRT.    Ich  komme  schon,  wenn's  Zeit  ist. 

GRASSET.  Ja  freilich,  wenn's  keine  Gefahr  mehr 
gibt. 

WIRT.  Mein  Lieber,  ich  liebe  die  Freiheit  wie  du 
—  aber  vor  allem  hab'  ich  meinen  Beruf. 

GRASSET.  Jetzt  gibt  es  für  die  Bürger  von  Paris 
nur  einen  Beruf:  Ihre  Brüder  befreien. 

WIRT.  Ja  für  die,  die  nichts  anderes  zu  tun  haben! 

LEB  REt.    Was  sagt  er  da!  .  .  .    Er  verhöhnt  uns! 

WIRT.  Fällt  mir  gar  nicht  ein.  —  Schaut  jetzt 
lieber,  daß  ihr  hinauskommt . .  .  meine  Vorstellung 
fängt   bald   an.    Da  kann  ich  euch   nicht   brauchen. 

LEB  REt.  Was  für  eine  Vorstellung  ?  .  .  .  Ist  hier 
ein  Theater? 

WIRT.  Gewiß  ist  das  ein  Theater.  Ihr  Freund  hat 
noch  vor  vierzehn  Tagen  hier  mitgespielt. 

LEB  REt.  Hier  hast  du  gespielt,  Grasset?  .  .  .  War- 
um läßt  du  dich  von  dem  Kerl  da  ungestraft  ver- 
höhnen ! 

GRASSET.  Beruhige  dich  ...  es  ist  wahr;  ich  habe 
hier  gespielt,  denn  es  ist  kein  gewöhnliches  Wirtshaus 
...  es  ist  eine  Verbrecherherberge  .  .  .  komm  .  .  . 


85 


WIRT.    Zuerst  wird  gezahlt. 

LEBRRT.  Wenn  das  hier  eine  Verbrecherherberge 
ist,  so  zahle  ich  keinen  Sou. 

WIRT.   So  erkläre  doch  deinem  Freunde,  wo  er  ist. 

GRJSSET.  Es  ist  ein  seltsamer  Ort!  Es  kommen 
Leute  her,  die  Verbrecher  spielen  —  und  andere,  die 
es  sind,  ohne  es  zu  ahnen. 

LEBRET.    So  —  ? 

GRASSET.  Ich  mache  dich  aufmerksam,  daß  das, 
was  ich  eben  sagte,  sehr  geistreich  war;  es  könnte  das 
Glück  einer  ganzen  Rede  machen. 

LEBRET.  Ich  verstehe  nichts  von  allem,  was  du  sagst. 

GRASSET.  Ich  sagte  dir  ja,  daßProspere  mein  Direk- 
tor war.  Und  er  spielt  mit  seinen  Leuten  noch  immer 
Komödie;  nur  in  einer  anderen  Art  als  früher.  Meine 
einstigen  Kollegen  und  Kolleginnen  sitzen  hier  herum 
und  tun,  als  v.^enn  sie  Verbrecher  wären.  Verstehst 
du?  Sie  erzälilen  haarsträubende  Geschichten,  die  sie 
nie  erlebt  —  sprechen  von  Untaten,  die  sie  nie  begangen 
haben  .  .  .  und  das  Publikum,  das  hierher  kommt,  hat 
den  angenehmen  Kitzel,  unter  dem  gefährlichsten  Ge- 
sindel von  Paris  zusitzen  —  unter  Gaunern,  Einbrechern, 
Mördern  —  und  — 

LEBRET.    Was  für  ein  Publikum? 

WIRT.    Die  elegantesten  Leute  von  Paris. 

GRASSET.    Adehge... 

WIRT.    Herren  vom  Hofe  — 

LEB  REt.    Nieder  mit  ihnen! 

GRASSET.  Das  ist  was  für  sie.  Das  rüttelt  ihnen 
die  erschlafften  Sinne  auf.  Hier  hab'  ich  angefangen, 
Lebret,  hier  hab'  ich  meine  erste  Rede  gehalten,  als 
wenn  es  zum  Spaß  wäre  . .  .  und  hier  hab'  ich  die  Hunde 
zu  hassen  begonnen,  die  mit  ihren  schönen  Kleidern, 
parfümiert,  angefressen,  unter  uns  saßen  . . .  und  es 
ist  mir  ganz  recht,  mein  guter  Lebret,  daß  du  auch 
einmal  die  Stätte  siehst,  von  wo  dein  großer  Freund 
ausgegangen  ist.  In  anderem  Ton.  Sag',  Prospere,  wenn 
die  Sache  schief  ginge  . , . 

86 


WIRT.    Welche  Sache? 

GRASSE7 .  Nun,  die  Sache  mit  meiner  politischen 
Karriere  . . .  würdest  du  mich  wieder  engagieren  ? 

WIRT.    Nicht  um  die  Welt! 

GRASSEI  leicht.  Warum  ?  —  Es  könnte  vielleicht 
noch  einer  neben  deinem  Henri  aufkommen. 

WIRT.  Abgesehen  davon  .  .  .  ich  hätte  Angst,  daß 
du  dich  einmal  vergessen  könntest  —  und  über  einen 
meiner  zahlenden  Gäste  im  Ernst  herfielst. 

GRASSET  geschmeichelt.   Das  wäre  allerdings  möglich. 

WIRT.  Ich...  ich  hab'  mich  doch  in  der  Ge- 
walt — 

GRASSET.  Wahrhaftig,  Prosp^re,  ich  muß  sagen, 
daß  ich  dich  wegen  deiner  Selbstbeherrschung  bev^oin- 
dern  würde,  wenn  ich  nicht  zufällig  wüßte,  daß  du 
ein  Feigling  bist. 

WIRT.  Ach,  mein  Lieber,  mir  genügt  das,  was  ich 
in  meinem  Fach  leisten  kann.  Es  macht  mir  Vergnügen 
genug,  den  Kerlen  meine  Meinung  ins  Gesicht  sagen 
zu  können  und  sie  zu  beschimpfen  nach  Herzenslust 
—  während  sie  es  für  Scherz  halten.  Es  ist  auch  eine 
Art,  seine  Wut  los  zu  werden,  —  Zieht  einen  Dolch  uni 
läßt  ihn  funkeln. 

LEBRET.   Bürger  Prosp^re,  was  soll  das  bedeuten  ? 

GRASSET.  Habe  keine  Angst.  Ich  wette,  daß  der 
Dolch  nicht  einmal  geschliffen  ist. 

WIRT.  Da  könntest  du  doch  irren,  mein  Freund; 
irgend  einmal  kommt  ja  doch  der  Tag,  wo  aus  dem 
Spaß  Ernst  wird  —  und  darauf  bin  ich  für  alle  Fälle 
vorbereitet. 

GRASSET.  Der  Tag  ist  nah.  Wir  leben  in  einer 
großen  Zeit!  Komm,  Bürger  Lebret,  wir  wollen  zu 
den  Unsern.  Prosp^re,  leb'  wohl,  du  siehst  mich  als 
großen  Mann  wieder  oder  nie. 

LEBRET  torkelig.    Als   großen   Mann  .  .  .  oder  .  . 
nie  — 

Sie  gehen  ab. 

WIRT  bleibt  zurück^  setzt  sich  auf  einen  Tisch,  schlägt  eine 


87 


ßroscbüre  auf  und  liest  vor  sieb  bin.  „Jetzt  Steckt  das  Vielvin 
der  Schlinge,  erdrosselt  es!"  —  Er  schreibt  nicht  übel, 
dieser  kleine  Desmoulins.  „Noch  nie  hat  sich  Siegern 
eine  reichere  Beute  dargeboten.  Vierzigtausend  Pa- 
läste und  Schlösser,  zwei  Fünftel  aller  Güter  in  Frank- 
reich werden  der  Lohn  der  Tapferkeit  sein,  —  die 
sich  für  Eroberer  halten,  werden  unterjocht,  die  Nation 
wird  gereinigt  werden." 

Der  Kommissär  tritt  ein. 

WIRT  mißt  ihn.  Na,  das  Gesindel  rückt  ja  heute 
früh  ein  ? 

KOMMISSÄR.  Mein  lieber  Prospere,  mit  mir 
machen  Sie  keine  Witze;  ich  bin  der  Kommissär  Ihres 
Bezirks. 

WIRT.    Und  womit  kann  ich  dienen? 

KOMMISSÄR.  Ich  bin  beauftragt,  dem  heutigen 
Abend  in  Ihrem  Lokal  beizuwohnen. 

WIRT.    Es  wird  mir  eine  besondere  Ehre  sein. 

KOMMISSÄR.  Es  ist  nicht  darum,  mein  bester 
Prospere.  Die  Behörde  will  Klarheit  haben,  was  bei 
Ihnen  eigentlich  vorgeht.    Seit  einigen  Wochen  — 

WIRT.  Es  ist  ein  Vergnügungslokal,  Herr  Kom- 
naissär,  nichts  weiter. 

KOMMISSÄR.  Lassen  Sie  mich  ausreden.  Seit 
einigen  Wochen  soU  dieses  Lokal  der  Schauplatz  wüster 
Orgien  sein. 

WIRT.  Sie  sind  falsch  berichtet,  Herr  Kommissär. 
Man  treibt  hier  Spaße,  nichts  weiter. 

KOMMISSÄR.  Damit  fängt  es  an.  Ich  weiß.  Aber 
es  hört  anders  auf,  sagt  mein  Bericht.  Sie  waren  Schau- 
spieler ? 

WIRT.  Direktor,  Herr  Kommissär,  Direktor  einer 
vorzüglichen  Truppe,  die  zuletzt  in  Denis  spielte. 

KOMMISSÄR.  Das  ist  gleichgültig.  Dann  haben 
Sie  eine  kleine  Erbschaft  gemacht  ? 

WIRT.    Nicht  der  Rede  wert,  Herr  Kommissär. 

KOMMISSÄR.    Ihre  Truppe  hat  sich  aufgelöst? 

WIRT.    Meine  Erbschaft  nicht  minder. 


88 


KOMMISSUR  lächelnd.  Ganz  gut.  Beids  Ucbeln.  — 
Plötzlich  ernst.  Sie  haben  sich  ein  VVirtsgeschäft  ein- 
gerichtet ? 

WIRT.    Das  miserabel  gegangen  ist. 

KOMMISSÄR.  —  Worauf  Sie  eine  Idee  gefaßt 
haben,  der  man  eine  gewisse  Originalität  nicht  ab- 
sprechen kann. 

WIRT.    Sie  machen  mich  stolz,  Herr  Kommissär. 

KOMMISSÄR.  Sie  haben  Ihre  Truppe  wieder  ge- 
sammelt und  lassen  sie  hier  eine  sonderbare  und  nicht 
unbedeiikliche  Komödie  spielen. 

WIRT.  Wäre  sie  bedenklich,  Herr  Kommissär,  so 
hätte  ich  nicht  mein  Publikum  —  ich  kann  sagen,  das 
vornehmste  Publikum  von  Paris.  Der  Vicomte  von 
Nogeant  ist  mein  täglicher  Gast.  Der  Marquis  von 
Lansac  kommt  öfters;  und  der  Herzog  von  Cadignan, 
Herr  Kommissär,  ist  der  eifrigste  Bewunderer  meines 
ersten  Schauspielers,  des  berühmten  Henri  Baston. 

KOMMISSÄR.  Wohl  auch  der  Kunst  oder  der 
Künste  Ihrer  Künstlerinnen. 

WIRT.  Wenn  Sie  meine  kleinen  Künstlerinnen 
kennen  würden,  Herr  Kommissär,  würden  Sie  das  nie- 
mandem auf  der  Welt  übel  nehmen. 

KOMMISSÄR.  Genug.  Es  ist  der  Behörde  berich- 
tet worden,  daß  die  Belustigungen,  welche  Ihre  —  wie 
soll  ich  sagen  — 

WIRT.    Das  Wort  „Künstler"  dürfte  genügen. 

KOMMISSÄR.  Ich  werde  mich  zu  dem  Wort 
„Subjekte"  entschließen  —  daß  die  Belustigungen, 
welche  Ihre  Subjekte  bieten,  in  jedem  Sinne  über  das 
Erlaubte  hinausgehen.  Es  sollen  hier  von  Ihren  — 
%\'ie  soll  ich  sagen  —  von  Ihren  künstlichen  Verbrechern 
Reden  geführt  werden,  die  —  wie  sagt  nur  mein  Be- 
richt ?  Er  liest  wie  schon  früher  in  einem  Notizbuch  nach  —  nicht 
nur  unsittlich,  was  uns  wenig  genieren  würde,  sondern 
auch  höchst  aufrührerisch  zu  wirken  geeignet  sind  — 
was  in  einer  so  erregten  Epoche,  wie  die  ist,  in  der  wir 
leben,  der  Behörde  durchaus  nicht  gleichgültig  sein  kann. 

89 


WIRT.  Herr  Kommissär,  ich  kann  auf  diese  An- 
schuldigung nur  mit  der  höflichen  Einladung  erwidern, 
sich  die  Sache  selbst  einmal  anzusehen.  Sie  werden 
bemerken,  daß  hier  gar  nichts  Aufrührerisches  vorgeht, 
schon  aus  dem  Grunde,  weil  mein  Publikum  sich  nicht 
aufrühren  läßt.  Es  wird  hier  einfach  Theater  gespielt 
- —  das  ist  alles. 

KOMMISSAR.  Ihre  Einladung  nehme  ich  natür- 
lich nicht  an,  doch  werde  ich  kraft  meines  Amtes  hier- 
bleiben. 

WIRT.  Ich  glaube,  Ihnen  die  beste  Unterhaltung 
versprechen  zu  können,  Herr  Kommissär,  doch  würde 
ich  mir  den  Rat  erlauben,  daß  Sie  Ihre  Amtstracht 
ablegen  und  in  Zivilkleidern  hier  erscheinen.  Wenn 
man  nämhch  einen  Kommissär  in  Uniform  hier  sähe, 
würde  sowohl  die  Naivetät  meiner  Künstler  als  die 
Stimmung  meines  Publikums  darunter  leiden. 

KOMMISSAR.  Sie  haben  recht,  Herr  Prospere,  ich 
w^erde  mich  entfernen  und  als  junger  eleganter  Mann 
wiederkehren. 

WIRT.  Das  wird  Ihnen  leicht  sein,  Herr  Kommissär, 
auch  als  Hallunkc  sind  Sie  mir  wiillcommen  —  das 
würde  nicht  auffallen  —  nur  nicht  als  Kommissär. 

KOMMISSÄR.    Adieu.    Geht. 

WIRT  verbeugt  sich.  Wann  wird  der  gesegnete  Tag 
kommen,  wo  ich  dich  und  deinesgleichen  .  .  . 

KOMMISSAR  trifft  in  der  Tür  mit  Grain  zusammen,  der 
äußerst  zerlumpt  ist  und  erschrickt,  wie  er  den  Kommissär  sieht. 
Dieser  mißt  ihn  zuerst,  lächelt  dann,  wendet  sich  verbindlich  zu 
Prospere.    Schon  einer  Ihrer  Künstler  ?  .  .  .  Ab. 

GRAIN  spricht  weinerlich,  pathetisch.    Guten  Abend. 

WIRT  nachdem  er  ihn  lang  augesehen.  Wenn  du  einer 
von  meiner  Truppe  bist,  so  will  ich  dir  meine  An- 
erkennung nicht  versagen,  denn  ich  erkenne  dich  nicht. 

GRAIN.    Wie  m.einen  Sie? 

WIRT.  Also  keinen  Scherz,  nimm  die  Perücke  ab, 
ich  möchte  doch  v/issen,  wer  du  bist.  Er  reißt  ihn  an 
den  Haaren. 


90 


GRAIN.    O  weh! 

WIRT,  Das  ist  ja  echt  —  Donnerwetter  .  .  .  wer 
sind  Sie  ?  . . .  Sie  scheinen  ja  ein  wirklicher  Strolch 
zu  sein? 

GRAIN.    Jawohl. 

WIRT.    Was  wollen  Sie  denn  von  mir? 

GRAIN.  Ich  habe  die  Ehre  mit  dem  Bürger  Pros- 
pere  ?  .  .  .  Wirt  vom  grünen  Kakadu  ? 

WIRT.    Der  bin  ich. 

GRAIN.  Ich  nenne  mich  Grain  .  .  .  zuweilen  Car- 
niche  ...  in  manchen  Fällen  der  schreiende  Bimsstein 
—  aber  unter  dem  Namen  Grain  war  ich  eingesperrt, 
Bürger  Prospere  —  und  das  ist  das  Wesentliche. 

WIRT.  Ah  —  ich  verstehe.  Sie  wollen  sich  bei  mir 
engagieren  lassen  und  spielen  mir  gleich  was  vor.  Auch 
gut.    Weiter. 

GRAIN.  Bürger  Prospere,  halten  Sie  mich  für 
keinen  Schwindler.  Ich  bin  ein  Ehrenmann.  Wenn 
ich  sage,  daß  ich  eingesperrt  war,  so  ist  es  die  volle 
Wahrheit. 

Wirt  sieht  ihn  mißtrauisch  an. 

GRAIN  zieht  aus  dem  Rock  ein  Papier.  Hier,  Bürger 
Prospere.  Sie  ersehen  daraus,  daß  ich  gestern  nach- 
mittags vier  Uhr  entlassen  wurde. 

WIRT.  Nach  einer  zweijährigen  Haft  —  Donner- 
wetter, das  ist  ja  echt!  — 

GRAIN.  Haben  Sie  noch  immer  gezweifelt,  Bürger 
Prospere  ? 

WIRT.  Was  haben  Sie  denn  angestellt,  daß  man 
Sie  auf  zwei  Jahre  — 

GRAIN.  Man  hätte  mich  gehängt;  aber  zu  meinem 
Glück  war  ich  noch  ein  halbes  Kind,  als  ich  meine 
arme  Tante  umbrachte. 

WIRT.  Ja,  Mensch,  wie  kann  man  denn  seine  Tante 
umbringen  ? 

GRAIN.  Bürger  Prospere,  ich  hätte  es  nicht  getan, 
wenn  die  Tante  mich  nicht  mit  meinem  besten  Freunde 
hintergangen  hätte. 


91 


WIRT.    Ihre  Tante? 

GRAIN.  Jawohl  —  sie  stand  mir  näher,  als  sonst 
Tanten  ihren  Neffen  zu  stehen  pflegen.  Es  waren  son- 
derbare Familienverhältnisse  .  .  .  ich  war  verbittert, 
höchst  verbittert.    Darf  ich  Ihnen  davon   erzälilen  ? 

WIRT.  Erzählen  Sie  immerhin,  wir  werden  viel- 
leicht ein  Geschäft  miteinander  machen  können. 

GRAIN .  Meine  Schwester  war  noch  ein  halbes  Kind, 
als  sie  aus  dem  Hause  lief  —  und  was  glauben  Sie  — 
mit  wem  ?  — 

WIRT.    Es  ist  schwer  zu  erraten. 

GRAIN.  Mit  ihrem  Onkel.  Und  der  hat  sie  sitzen 
lassen  —  mit  einem  Kinde. 

WIRT.    Mit  einem  ganzen  —  wiU  ich  hoffen. 

GRAIN.  Es  ist  unzart  von  Ihnen,  Bürger  Prosp^re, 
über  solche  Dinge  zu  scherzen. 

WIRT.  Ich  will  Ihnen  was  sagen,  Sie  schreiender 
Bimsstein.  Ihre  Familiengeschichten  langweilen  mich. 
Glauben  Sie,  ich  bin  dazu  da,  mir  von  einem  jeden 
hergelaufenen  Lumpen  erzählen  zu  lassen,  wen  er  um- 
gebracht hat  ?  Was  geht  mich  das  alles  an  ?  Ich  nehme 
an,  Sie  wollen  irgend  was  von  mir  — 

GRAIN.  Jawohl,  Bürger  Prospere,  ich  komme,  Sie 
um  Arbeit  bitten. 

WIRT  böhniscb.  Ich  mache  Sie  aufmerksam,  daß 
es  bei  mir  keine  Tanten  zu  ermorden  gibt;  es  ist  ein 
Vergnügungslokal. 

GRAIN.  Oh,  ich  hab'  an  dem  einen  Mal  genug 
gehabt.  Ich  will  ein  anständiger  Mensch  werden  — 
man  hat  mich  an  Sie  gewiesen. 

WIRT.    Wer,  wenn  ich  fragen  darf? 

GRAIN.  Einliebenswürdiger  junger  Mann,  densie  vor 
drei  Tagen  zu  mir  in  die  Zelle  gesperrt  haben.  Jetzt 
ist  er  allein.   Er  heißt  Gaston  . . .  und  Sie  kennen  ihn. — 

WIRT.  Gaston!  Jetzt  weiß  ich,  warum  ich  ihn  drei 
Abende  lang  vermißt  habe.  Einer  meiner  besten  Dar- 
steller für  Taschendiebe.  —  Er  hat  Gescliichten  er- 
zählt; —  ah,  man  hat  sich  geschüttelt. 


92 


GRAIN.  Jawohl.  Und  jetzt  haben  sie  ihn  erwischt! 

WIRT.  Wieso  erwischt  ?  Er  hat  ja  nicht  wirklich 
gestohlen. 

GRAIN.  Doch.  Es  muß  aber  das  erste  Mal  gewesen 
sein,  denn  er  scheint  mit  einer  unglaublichen  Unge- 
schicklichkeit vorgegangen  zu  sein.  Denken  Sie  —  ver- 
traulicb  —  auf  dem  Boulevard  des  Capucines  einfach 
einer  Dame  in  die  Tasche  gegriffen  —  und  die  Börse 
herausgezogen  —  ein  rechter  Dilettant.  —  Sie  flößen 
mir  Vertrauen  ein,  Bürger  Prospere  —  und  so  will  ich 
Ihnen  gestehn  —  es  war  eine  Zeit,  wo  ich  auch  der- 
gleichen kleine  Stückchen  aufführte,  aber  nie  ohne 
meinen  Heben  Vater.  Als  ich  noch  ein  Kind  war,  als 
wir  noch  alle  zusammen  wohnten,  als  meine  arme  Tante 
noch  lebte  — 

WIRT.  Was  jammern  Sie  denn?  Ich  finde  das  ge- 
schmacklos!   Hätten  Sie  sie  nicht  umgebracht! 

GRAIN.  7jM  spät.  Aber  worauf  ich  hinaus  wollte 
—  nehmen  Sie  mich  bei  sich  auf.  Ich  will  den  um- 
gekehrten Weg  machen  wie  Gaston.  Er  hat  den 
Verbrecher  gespielt  und  ist  einer  geworden  — 
ich  .  .  . 

WIRT.  Ich  will's  mit  Ihnen  probieren.  Sie  werden 
schon  durch  Ihre  Maske  wdrken.  Und  in  einem  ge- 
gebenen Moment  werden  Sie  einfach  die  Sache  mit 
der  Tante  erzählen.  Wie's  war.  Irgend  wer  wird  Sie 
schon  fragen. 

GRAIN.  Ich  danke  Ihnen,  Bürger  Prospere.  Und 
was  meine  Gage  anbelangt  — 

WIRT.  Heute  gastieren  Sie  auf  Engagement,  da 
kann  ich  Ihnen  noch  keine  Gage  zahlen.  —  Sie  werden 
gut  zu  essen  und  zu  trinken  bekommen  .  .  .  und  auf 
ein  paar  Franks  für  ein  Nachtlager  soll's  mir  auch  nicht 
ankommen. 

GRAIN.  Ich  danke  Ihnen.  Und  bei  Ihren  anderen 
Mitgliedern  stellen  Sie  mich  einfach  als  einen  Gast  aus 
der  Provinz  vor. 

WIRT.    Ah  nein  . . .  denen  sagen  wir  gleich,  daß 


93 


Sie  ein  wirklicher  Mörder  sind.    Das  wird  ihnen  viel 
lieber  sein. 

GRAIN.  Entschuldigen  Sie,  ich  will  ja  gewiß  nichts 
gegen  mich  vorbringen  —  aber  das  versteh'  ich  nicht. 

WIRT.  Wenn  Sie  länger  beim  Theater  sind,  wer- 
den Sie  das  schon  verstehn. 

Scaevola  und  Jules  treten  ein. 

SCAEVOLA.    Guten  Abend,  Direktor  t 

WIRT.  Wirt .  .  .  Wie  oft  soU  ich  dir  noch  sagen, 
der  ganze  Spaß  geht  flöten,  wenn  du  mich  „Direktor" 
nennst. 

SCAEVOLA.  Was  immer  du  seist,  ich  glaube,  wir 
werden  heute  nicht  spielen. 

WIRT.    Warum  denn? 

SCAEVOLA.  Die  Leute  werden  nicht  in  der  Laune 

sein .   Es  ist  ein  Höllenlärm  in  den  Straßen,  und 

insbesondere  vor  der  Bastille  schreien  sie  vsde  die  Be- 
sessenen. 

WIRT.  Was  geht  das  uns  an  ?  Seit  Monaten  ist  das 
Geschrei,  und  unser  Publikum  ist  uns  nicht  ausgeblieben. 
Es  amüsiert  sich  wie  früher. 

SCAEVOLA.  Ja,  es  hat  die  Lustigkeit  von  Leuten, 
die  nächstens  gelienkt  werden. 

WIRT.    Wenn  ich's  nur  erlebe! 

SCAEVOLA.  Vorläufig  gib  uns  was  zu  trinken,  da- 
mit ich  in  Stimmung  komme.  Ich  bin  heut  durchaus 
nicht  in  Stimmung. 

WIRT.  Das  passiert  dir  öfter,  mein  Lieber.  Ich 
muß  dir  sagen,  daß  ich  gestern  durchaus  unzufrieden 
mit  dir  war. 

SCAEVOLA.    Wieso,  wenn  ich  fragen  darf? 

WIRT.  Die  Geschichte  von  dem  Einbruch,  die  du 
zum  Besten  gegeben  hast,  war  einfach  läppisch. 

SCAEVOLA.    Läppisch? 

WIRT.  Jawohl.  Vollkommen  unglaubwürdig.  Das 
Brüllen  allein  tut's  nicht. 

SCAEVOLA.    Ich  habe  nicht  gebrüllt. 

WIRT.   Du  brüUst  ja  immer.    Es  vnrd  wahrhaftig 


94 


notwendig  werden,  daß  ich  die  Sachen  mit  euch  ein- 
studiere. Auf  euere  Einfälle  kann  man  sich  nicht  ver- 
lassen.  Henri  ist  der  einzige. 

SCAEVOLA.  Henri  und  immer  Henri.  Henri  ist 
ein  Kulissenreißer.  Der  Einbruch  von  gestern  v/ar  ein 
Meisterstück.  So  was  bringt  Henri  sein  Lebtag  nicht 
zusammen.  —  Wenn  ich  dir  nicht  genüge,  mein  Lieber, 
so  geh'  ich  einfach  zu  einem  ordentHchen  Theater.  Hier 
ist  ja  doch  nur  eine  Schmiere . . .  Ah . . .  hemerkt  Grain. 
Wer  ist  denn  das  ?  . . .  Der  gehört  ja  nicht  zu  uns  ? 
Hast  du  vielleicht  einen  neu  engagiert?  Was  hat  der 
Kerl  für  Maske? 

WIRT .  Beruhige  dich,  es  ist  kein  Schauspieler  von 
Beruf.   Es  ist  ein  wirklicher  Mörder. 

SCAEVOLA.  Ach  so  . . ,  Geht  auf  ihn  zu.  Sehr  er- 
freut, Sie  kennen  zu  lernen.     Scaevoia  ist  mein  Name. 

GRAIN.    Ich  heiße  Grain. 

Jules  ist  die  ganze  Zeit  in  der  Schenke  herumgegangen,  manchmal 
auch  stehen  geblieben,  wie  ein  innerlich  Gequälter. 

WIRT.    Was  ist  denn  mit  dir,  Jules? 

JULES.    Ich  memoriere. 

WIRT.    Was  denn? 

JULES.  Gewissensbisse.  Ich  mache  heute  einen, 
der  Gewissensbisse  hat.  Sieh  mich  an.  Was  sagst  du 
zu  der  Falte  hier  auf  der  Stirn?  Seh'  ich  nicht  aus, 
als  wenn  alle  Furien  der  Hölle  . . .    Gebt  auf  und  ab. 

SCAEVOLA  brüllt.    Wein  —  Wein  her! 

WIRT.  Beruhige  dich  ...  es  ist  ja  noch  kein  Publi- 
kum da. 

Henri  und  Leocadie  kommen. 

HENRI.  Guten  Abend!  Er  begrüßt  die  Hintensitzenden 
mit  einer  leichten  Handbewegung.  Guten  Abend,  meine 
Herren ! 

WIRT.  Guten  Abend,  Henri!  Was  seh'  ich!  Mit 
Leocadie ! 

GRAIN  bat  Leocadie  aufmerksam  betrachtet;  zu  Scaevoia. 
Die  kenn'  ich  ja  .  .  .    Spricht  leise  mit  den  andern. 

LEOCADIE.    Ja,  mein  lieber  Prospere,  ich  bin's! 


95 


fVIRT.  Ein  Jahr  lang  hab'  ich  dich  nicht  gesehen. 
Laß  dich  begrüßen.   Er  will  He  küssen. 

HENRI.  Laß  das!  —  Sein  Blick  rubt  öfters  auf  Leocadi« 
mit  Stolz,  Leidenschaft,  aber  auch  mit  einer  gewissen  Angst. 

WIRT.  Aber  Henri  . .  .  Alte  Kollegen!  .  .  .  Dein 
einstiger  Direktor,  Leocadie! 

LEOCADIE.    Wo  ist  die  Zeit,  Prosp^re!  ... 

WIRT.    Was  seufzest  du!    Wenn  eine  ihren  Weg^ 
gemacht  hat,  so  bist  du's!    Freilich  ein  schönes  junges  > 
Weib  hat's  immer  leichter  als  wir.  j) 

HENRI  wütend.  Laß  das. 

WIR1.  Was  schreist  du  denn  immer  so  mit  mir? 
Weil  du  wieder  einmal  mit  ihr  beisammen  bist  ? 

HENRI.  Schweig!  —  Sie  ist  seit  gestern  meine  Frau.^ 

WIRT.  Deine  . . .  ?  Zu  Leocadie.  Macht  er  einen  Spaß  r 

LEOCADIE.  Er  hat  mich  wirkHch  geheiratetja.  — 

WIRT.  So  gratulier'  ich.  Na  .  .  .  Scaevola,  Jüles  — 
Henri  hat  geheiratet. 

SCAEVOLA  kommt  nach  vorn.  Meinen  Glückwunsch 
zwinkert  Leocadie  zu. 

"JULES  drückt  gleichfalls  beiden  die  Hand. 

GRAIN  »um  Wirt.  Ah,  wie  sonderbar  —  diese  Frau 
hab'  ich  gesehn  .  .  .  ein  paar  Minuten,  nachdem  ich 
wieder  frei  war. 

WIRT.    Wieso? 

GRAIN.  Es  war  die  erste  schöne  Frau,  die  ich  nach 
zwei  Jahren  gesehen  habe.  Ich  war  sehr  bewegt.  Aber 
es  war  ein  anderer  Herr,  mit  dem  —  Spricht  weiter  mit 
dem  yfirt. 

HENRI    in   einem    hochgestimmten   Ton,   wie  begeistert^   aber 
nicht  deklamatorisch.       Leocadie,    meine    Geliebte,    mein 
Weib!  .  .  .  Nun  ist  alles  vorbei,  was   einmal  war.    In 
einem  solchen  Augenblick  löscht  vieles  aus. 
Scaevola  und  Jules  sind  nach  hinten  gegangen^  Wirt  wieder  vorn. 

WIRT.    Was  für  ein  AugenbHck? 

HENRI.  Nun  sind  wir  durch  ein  heiliges  Sakrament 
vereinigt.  Das  ist  mehr  als  menschliche  Schwüre  sind. 
Jetzt  ist  Gott  über  uns,  man  darf  alles  vergessen,  was 

96 


vorher  geschehen  ist.  Leocadie,  eine  neue  Zeit  bricht 
an.  Leocadie,  alles  wird  heilig,  unsere  Küsse,  so  wild 
sie  sein  mögen,  sind  von  nun  an  heilig.  Leocadie,  meine 
Geliebte,  mein  Weib !  .  .  .  Er  betrachtet  sie  mit  einem  glühenden 
Blick.  Hat  sie  nicht  einen  anderen  Blick,  Prospere,  als 
du  ihn  früher  an  ihr  kanntest  ?  Ist  ihre  Stirn  nicht  rein  ? 
Was  war,  ist  ausgelöscht.    Nicht  wahr,  Leocadie  ? 

LEOCADIE.    Gewiß,  Henri. 

HENRI.  Und  alles  ist  gut.  Morgen  verlassen  wir 
Paris,  Leocadie  tritt  heute  zum  letzten  Male  in  der 
Porte  St.  Martin  auf,  und  ich  spiele  heute  das  letzte 
Mal  bei  dir. 

WIRi:  betroffen.  Bist  du  bei  Trost,  Henri?  —  Du 
willst  mich  verlassen  ?  Und  dem  Direktor  der  Porte 
St.  Martin  wird's  doch  nicht  einfallen,  Leocadie  ziehen 
zu  lassen?  Sie  macht  ja  das  Glück  seines  Hauses.  Die 
jungen  Pierren  strömen  ja  hin,  wie  man  sagt. 

HENRI.  Schweig.  Leocadie  wird  mit  mir  gehen. 
Sie  wird  mich  nie  verlassen.  Sag'  mir,  daß  du  mich  nie 
verlassen  wirst,  Leocadie.   Brutal.    Sag's  mir! 

LEOCADIE.    Ich  werde  dich  nie  verlassen! 

HENRI.  Tätest  du's,  ich  würde  dich  .  .  .  Pause.  Ich 
habe  dieses  Leben  satt.  Ich  wül  Ruhe,  Ruhe  will  ich 
haben. 

WIRT.  Aber  was  willst  du  denn  tun,  Henri?  Es 
ist  ja  lächerlich.  Ich  will  dir  einen  Vorschlag  machen. 
Nimm  Leocadie  meinethalben  von  der  Porte  St.  Martin 
fort  —  aber  sie  soll  hier,  bei  mir  bleiben.  Ich  engagiere 
sie.  Es  fehlt  mir  so  wie  so  an  talentierten  Frauens- 
personen. 

HENRI.  Mein  Entschluß  ist  gefaßt,  Prospere.  Wir 
verlassen  die  Stadt.    Wir  gehen  aufs  Land  hinaus. 

WIRT.    Aufs  Land?  Wohin  denn? 

HENRI.  Zu  meinem  alten  Vater,  der  allein  in  un- 
serem armen  Dorf  lebt,  —  den  ich  seit  sieben  Jahren 
nicht  gesehen  habe.  Er  hat  kaum  mehr  gehofft,  seinen 
verlorenen  Sohn  wiederzusehen.  Er  vrird  mich  mit 
Freuden  aufnehmen. 

TIi».->tmtiiek«.  II,  •,  nj 


WIRT.  Was  willst  du  auf  dem  Lande  tun  ?  Auf  dem 
Lande  verhungert  man.  Da  geht's  den  Leuten  noch 
tausendmal  schlechter  als  in  der  Stadt.  Was  willst  du 
denn  dort  machen?  Du  bist  nicht  der  Mann  dazu, 
die  Felder  zu  bebauen.    Bilde  dir  das  nicht  ein. 

HENRI.  Es  wird  sich  zeigen,  daß  ich  auch  dazu 
der  Mann  bin. 

WIRT.  Es  wächst  bald  kein  Korn  mehr  in  ganz 
Frankreich.    Du  gehst  ins  sichere  Elend, 

HENRI.  Ins  Glück,  Prospere.  Nicht  wahr,  Leocadie  ? 
Wir  haben  oft  davon  geträumt.  Ich  sehne  mich  nach 
dem  Frieden  der  weiten  Ebene.  Ja,  Prospere,  in  meinen 
Träumen  seh'  ich  mich  mit  ihr  abends  über  die  Felder 
gehn,  in  einer  unendlichen  Stille,  den  wunderbaren 
tröstlichen  Himmel  über  uns.  Ja,  wir  fliehen  diese 
schreckliche  und  gefährUche  Stadt,  der  große  Friede 
wird  über  uns  kommen.  Nicht  wahr,  Leocadie,  wir 
haben  es  oft  geträumt. 

LEOCADIE,    Ja,  wir  haben  es  oft  geträumt. 

WIRT.  Höre,  Henri,  du  solltest  es  dir  überlegen. 
Ich  will  dir  deine  Gage  gerne  erhöhen,  und  Leocadie 
wiU  ich  ebensoviel  geben  als  dir. 

LEOCADIE.    Hörst  du,  Henri? 

WIRT.  Ich  weiß  wahrhaftig  nicht,  wer  dich  hier 
ersetzen  soU.  Keiner  von  meinen  Leuten  hat  so  köst- 
liche Einfälle  als  du,  keiner  ist  bei  meinem  PubHkum 
so  beliebt  als  du  .  .  .    Geh  nicht  fort! 

HENRI.  Das  glaub'  ich  wohl,  daß  mich  niemand 
ersetzen  wird. 

WIRT.  Bleib  bei  mir,  Henri !  Wirft  Leocadie  einen  Blick 
zu,  sie  deutet  an,  daß  sie's  schon  machen  wird. 

HENRI.  Und  ich  verspreche  dir,  der  Absclüed  wird 
ihnen  schwer  werden  —  ihnen,  nicht  mir.  Für  heute 
—  für  mein  letztes  Auftreten  hab'  ich  mir  was  zurecht- 
gelegt, daß  es  sie  alle  schaudern  wird  .  .  .  eine  Ahnung 
von  dem  Ende  ihrer  Welt  wird  sie  anwehen  .  .  .  denn 
das  Ende  ihrer  Welt  ist  nahe.  Ich  aber  werd'  es  nur 
mehr  von  fern  erleben  .  .  .  man  wird  es  uns  draußen 


98 


erzählen,  Leocadie,  viele  Tage  später,  als  es  geschehen 
.  .  .  Aber  sie  werden  schaudern,  sag'  ich  dir.  Und  du 
selbst  wirst  sagen:  So  gut  hat  Henri  nie  gespielt. 

WIRT.  Was  wirst  du  spielen?  Was?  Weißt  du's, 
Leocadie  ? 

LEOCADIE.    Ich  weiß  ja  nie  etwas. 

HENRI.  Ahnt  denn  irgend  einer,  was  für  ein  Künst- 
ler in  mir  steckt  ? 

WIRT.  Gewiß  ahnt  man  es,  drum  sag'  ich  ja,  daß 
man  sich  mit  einem  solchen  Talent  nicht  aufs  Land 
vergräbt.   Was  für  ein  Unrecht  an  dir!   An  der  Kunst! 

HENRI.  Ich  pfeife  auf  die  Kunst.  Ich  will  Ruhe. 
Du  begreifst  das  nicht,  Prospere,  Du  hast  nie  geliebt. 

WIRT.    Oh!  — 

HENRI.  Wie  ich  liebe.  —  Ich  will  mit  ihr  allein 
sein  —  das  ist  es  .  .  .  Leocadie,  nur  so  können  wir  alles 
vergessen.  Aber  dann  werden  wir  so  glücklich  sein, 
wie  nie  Menschen  gewesen  sind.  Wir  werden  Kinder 
haben,  du  wirst  eine  gute  Mutter  werden,  Leocadie, 
und  ein  braves  Weib.  Alles,  alles  wird  ausgelöscht  sein. 
Große  Pause. 

LEOCADIE.  Es  wird  spät,  Henri,  ich  muß  ins 
Theater.  Leb'  wohl,  Prospere,  ich  freue  mich,  endlich 
einmal  deine  berühmte  Bude  gesehen  zu  haben,  wo 
Henri  solche  Triumphe  feiert. 

WIRT.    Warum  bist  du  denn  nie  hergekommen? 

LEOCADIE.  Henri  hat's  nicht  haben  wollen  — 
na,  weißt  du,  wegen  der  jungen  Leute,  mit  denen  ich 
da  sitzen  müßte. 

HENRI  ist  nach  rückwärts  gegangen.  Gib  imr  einen 
Schluck,  Scaevola.    Er  trinkt. 

WIRT  zu  Leocadie^  da  ihn  Henri  nicht  hört.  Ein  rechtet 
Narr,  der  Henri  —  wenn  du  nur  immer  mit  ihnen  ge- 
sessen wärst. 

LEOCADIE.  Du,  solche  Bemerkungen  verbitt'  ich 
mir. 

WIRT.  Ich  rate  dir,  gib  acht,  du  blöde  Kanaille. 
Er  wird  dich  einmal  umbringen. 


99 


LlOCADlE.    Was  gibt's  denn? 

WIRT.  Schon  gestern  hat  man  dich  wieder  mit  einem 
deiner  Kerle  gesehen. 

L£0CADIE.  Das  war  kein  Kerl,  du  Dummkopf, 
das  war  .  .  . 

HENRI  weniet  sich  rasch.  Was  habt  ihr  ?  Keine  Spaße, 
wenn's  beliebt.  Aus  mit  dem  Flüstern.  Es  gibt  keine 
Geheimnisse  mehr.    Sie  ist  meine  Frau. 

WIRT.  Was  hast  du  ihr  denn  zum  Hochzeitsge- 
schenk gemacht  ? 

LEOCADIE.  Ach  Gott,  an  solche  Dinge  denkt  er 
nicht. 

HENRI.   Nun,  du  sollst  es  noch  heute  bekommen. 

LEOCADIE.    Was  denn? 

SCAEFOLA,  JULES.    Was  giUt  du  ihr? 

HENRI  ganz  ernst.  Wenn  du  mit  deiner  Szene  zu 
Ende  bist,  darfst  du  hierherkommen  und  mich  spielen 
sehen. 

Man  Iscbt. 

HENRI.   Nie  hat  eine  Frau  ein  prächtigeres  Hoch- 
zeitsgeschenk bekommen.    Komm,  Leocadie;  auf  Wie- 
dersehen, Prospere,  ich  bin  bald  wieder  zurück. 
Henri    und    LeocadU    ab.    —    Es    treten    zugleich    ein:    Frangoii 
Vicomte   von  Nogeant^   Albin  Chevalier  de  la  Tremeuille. 

SCAEFOLA.  Was  für  ein  erbärmhcher  Aufschneider. 

WIRT.    Guten  Abend,  ihr  Schweine. 
Albin  schreckt  zurück. 

FRANQOIS  ehm  darauf  xu  achten.  War  das  nicht  die 
kleine  Leocadie  von  der  Porte  St.  Martin,  die  da  mit 
Henri  wegging  ? 

WIRT.  Freilich  war  sie's.  Was?  —  Die  könnte  am 
Ende  sogar  dich  erinnern,  daß  du  noch  so  was  wie  ein 
Mann  bist,  wenn  sie  sich  große  Mühe  gäbe. 

FRANQOIS  lachend.  Es  wäre  nicht  unmöghch.  Wir 
kommen  heute  etwas  früh,  wie  mir  scheint? 

WIRT.  Du  kannst  dir  ja  unterdes  mit  deinem  Lust- 
knaben die  Zeit  vertreiben. 

Albtn  «iU  auffahre». 


100 


FRJNQOIS.  So  laß  doch.  Ich  hab'  dir  ja  gesagt, 
wie's  hier  zugeht.    Bring  uns  Wein. 

JVIRT.  Ja,  das  will  ich.  Es  wird  schon  die  Zeit 
kommen,  wo  ihr  mit  Seinewasser  sehr  zufrieden  sein 
werdet. 

FRANQOIS.  Ge^^ß,  gewiß  .  . .  aber  für  heute 
möchte  ich  um  Wein  gebeten  haben,  und  zwar  um  den 
besten. 

Wirt  zum  Scbanktiscb. 

ALBIN.    Das  ist  ja  ein  schauerlicher  Kerl. 

FRANQOIS.  Denk'  doch,  daß  aUes  Spaß  ist.  Und 
dabei  gibt  es  Orte,  wo  du  ganz  ähnliche  Dinge  im  Ernst 
■hören  kannst. 

ALBIN,  Ist  denn  es  nicht  verboten  ? 

FRANQOIS  lacht.  Man  merkt,  daß  du  aus  der  Pro- 
vinz kommst. 

ALBIN.  Ah,  bei  uns  geht's  auch  recht  nett  zu  in 
der  letzten  Zeit.  Die  Bauern  werden  in  einer  Weise 
frech  .  .  .  man  weiß  nicht  mehr,  wie  man  sich  helfen 
soU. 

FRANQOIS.  Was  willst  du?  Die  armen  Teufel 
sind  hungrig;  das  ist  das  Geheimnis. 

ALBIN.  Was  kann  denn  ich  dafür  ?  Was  kann  denn 
mein  Großonkel  dafür  ? 

FRANQOIS.  Wie  kommst  du  auf  deinen  Groß- 
onkel ? 

ALBIN.  Ja,  ich  komme  darauf,  weil  sie  nämlich  in 
unserem  Dorf  eine  Versammlung  abgehalten  haben  — 
ganz  öffentlich  —  und  da  haben  sie  meinen  Großonkel, 
den  Grafen  von  Tremouille,  ganz  einfach  einen  Korn- 
wucherer genannt. 

FRANQOIS.    Das  ist  alles  .  .  .  ? 

ALBIN.    Na,  ich  bitte  dich! 

FRANQOIS.  Wir  wollen  morgen  einmal  ins  Palais 
Royal,  da  sollst  du  hören,  was  die  Kerle  für  lasterhafte 
Reden  führen.  Aber  wir  lassen  sie  reden;  es  ist  das 
beste,  was  man  tun  kann;  im  Grunde  sind  es  gute 
Leute,  man  muß  sie  auf  diese  Weise  austoben  lassen. 


lOI 


ALBIN  auf  Scaevola  usio.  deutend.  Was  sind  das  für  ver- 
dächtige Subjekte?  Sieh  nur,  wie  sie  einen  anschauen. 
Er  greift  nach  seinem  Degen. 

FRANQOIS  zieht  ihm  die  Hand  toeg.  Mach'  dich  nicht 
lächerlich!  Zu  den  Dreien.  Ihr  braucht  noch  nicht  anzu- 
fangen, wartet,  bis  mehr  Publikum  da  ist.  Zu  Albin. 
Es  sind  die  anständigsten  Leute  von  der  Welt,  Schau- 
spieler. Ich  garantiere  dir,  daß  du  schon  mit  ärgeren 
Gaunern  an  einem  Tisch  gesessen  bist. 

ALBIN.    Aber  sie  waren  besser  angezogen. 

Wirt  bringt  Wein. 
Micbette   und  Flipotte   kommen. 

FRANC^OIS.  Grüß'  euch  Gott,  Kinder,  kommt, 
setzt  euch  da  zu  uns. 

MICHETTE.  Da  sind  wir  schon.  Komm  nur,  Fli- 
potte.   Sie  ist  noch  etwas  schüchtern. 

FLIPOTTE.    Guten  Abend,  junger  Herr! 

ALBIN.    Guten  Abend,  meine  Damen! 

MICHETTE.  Der  Kleine  ist  lieb.  Sie  setzt  sieb  auf 
den  Schoß  Albins. 

ALBIN.  Also  bitte,  erkläre  mir,  Fran^ois,  sind  das 
anständige  Frauen  ? 

MICHETTE.    Was  sagt  er? 

FRANQOIS.  Nein,  so  ist  das  nicht,  die  Damen, 
die  hierher  kommen  —  Gott,  bist  du  dumm, 
Albin! 

WIRT.    Was  darf  ich  den  Herzoginnen  bringen? 

MICHETTE.    Bring  mir  einen  recht  süßen  Wein. 

FRANCOIS  auf  Flipotte  deutend.   Eine  Freundin  ? 

MICHETTE.  Wir  wohnen  zusammen.  Ja,  wir 
haben  zusammen  nur  ein  Bett! 

FLIPOTTE  errötend.  Wird  dir  das  sehr  unange- 
nehm sein,  wenn  du  zu  ihr  kommst  ?  Setzt  sich  auf 
Franfois'  Schoß. 

ALBIN.    Die  ist  ja  gar  nicht  schüchtern. 

SCAEVOLA  subt  auf,  düster,  zu  dem  Tisch  der  jungen 
Leute.    Hab'  ich  dich  endlich  wieder !   Zu  Albin.  Und  du 


102 


miserabler  Verführer,  wirst  du  schaun,  daß  du  .  .  .    Sie 
ist  meini 

Wirt  siebt  zu. 

FRANQOIS  zu  Albin.   Spaß,  Spaß  . .  . 
ALBIN.    Sie  ist  nicht  sein  — ? 
MICHETTE.   Geh,  laß  mich  doch  sitzen,  wo's  mir 
beliebt. 

Scaevola  steht  mit  geballten  Fäusten  da. 

WIRT  hinter  ihm.    Nun,  nun! 
SCAEVOLA.    Ha,  ha! 

WIRT  faßt  ihn  beim  Kragen.  Ha,  ha!  Bei  Seite  zu  ihm. 
Sonst  fällt  dir  nichts  ein!  Nicht  für  einen  Groschen 
Talent  hast  du.  Brüllen.  Das  ist  das  einzige,  was  du 
kannst. 

MICHETTE  zu  Franfois.  Er  hat  es  neulich  besser 
gemacht  — 

SCAEVOLA  zum  Wirt.  Ich  bin  noch  nicht  in 
Stimmung.  Ich  mach'  es  später  noch  einmal,  wenn  mehr 
Leute  da  sind;  du  sollst  sehen,  Prospere;  ich  brauche 
Publikum. 

Der   Herzog   von  Cadignan   tritt  ein. 

HERZOG.    Schon  höchst  bewegt! 

Michette  und  Flipotie  auf  ihn  zu. 

MICHETTE.    Mein  süßer  Herzog! 

FRANQOIS.  Guten  Abend,  Emile!  ..  .  Stellt  vor. 
Mein  junger  Freund  Albin  Chevalier  von  Tremouille 
—  der  Herzog  von  Cadignan. 

HERZOG.  Ich  bin  sehr  erfreut,  Sie  kennen  zu  lernen. 
Zu  den  Mädchen^  die  an  ihm  hängen.  Laßt  mich,  Kinder !  — 
zu  Albin.  Sie  sehen  sich  auch  dieses  komische  Wirts- 
haus an  ? 

ALBIN.    Es  verwirrt  mich  aufs  höchste! 

FRANQOIS.  Der  Chevalier  ist  erst  vor  ein  paar 
Tagen  in  Paris  angekommen. 

HERZOG  lachend.  Da  haben  Sie  sich  eine  nette 
Zeit  ausgesucht, 

ALBIN.    Wieso? 


103 


MICHETTE.  Was  er  vsäeder  für  einen  Parfüm  hat! 
Es  gibt  überhaupt  keinen  Mann  in  Paris,  der  so  ange- 
nehm duftet.  Zu  Albin.    ...  So  merkt  man  das  nicht. 

HERZOG.  Sie  spricht  nur  von  den  siebenhundert 
oder  achthundert,  die  sie  so  gut  kennt  wie  mich. 

FLIPOTTE.  Erlaubst  du,  daß  ich  mit  deinem  Degen 
spiele  ?  — 

Sie  zieht  ihm  den  Degen  aus  der  Scheide  und  läßt  ihn  bin  und  her- 
funkeln. 

GRAIN  zum  Wirt.  Mit  dem !  .  .  .  Mit  dem  hab'  ich 
sie  gesehn!   —  Wirt  läßt  sich  erzählen^  scheint  erstaunt. 

HERZOG.  Henri  ist  noch  nicht  da  ?  Zu  Albin.  Wenn 
Sie  den  sehen  werden,  werden  Sie's  nicht  bereuen,  lüer- 
hergekommen  zu  sein. 

WIRT  zum  Herzog.  Na,  bist  du  auch  wieder  da  ?  Das 
freut  mich.  Lang  werden  wir  ja  das  Vergnügen  nicht 
mehr  haben. 

HERZOG.   Warum?   Mir  behagt's  sehr  gut  bei  dir. 

WIRT.  Das  glaub'  ich.  Aber  da  du  auf  alle  Fälle 
einer  der  ersten  sein  wirst  .  .  . 

ALBIN.    Was  bedeutet  das  ? 

WIRT.  Du  verstehst  mich  schon.  —  Die  ganz 
Glücklichen  kommen  zuerst  dran!  .  .  .  Geht  nach  rück- 
wärts. 

HERZOG  nach  einem  Sinnen.  Wenn  ich  der  König 
wäre,  würde  ich  ihn  zu  meinem  Hofnarren  machen, 
das  heißt,  ich  würde  mir  viele  Hofnarren  halten,  aber 
er  wäre  einer  davon. 

ALBIN.  Wie  hat  er  das  gemeint,  daß  Sie  zu  glück- 
lich sind? 

HERZOG.    Er  meint,  Chevaher  .  .  . 

ALBIN.  Ich  bitte,  sagen  Sie  mir  nicht  Chevalier. 
Alle  nennen  mich  Albin,  einfach  Albin,  weil  ich  näm- 
lich so  jung  ausschaue. 

HERZOG  lächelnd.  Schön  .  .  .  aber  da  müssen  Sie 
mir  Emile  sagen,  ja  ? 

ALBIN.    Wenn  Sie  erlauben,  gern,  Emile. 

HERZOG.  Siewerdenunlieimlichwitzig,  diese  Leute. 


104 


FRANQOIS.  Warum  unheimlich?  Mich  beruhigt 
das  sehr.  Solange  das  Gesindel  zu  Spaßen  aufgelegt 
ist,  kommt's  doch  nicht  zu  was  Ernstem. 

HERZOG.  Es  sind  nur  gar  zu  sonderbare  Witze. 
Da  hab'  ich  heute  wieder  eine  Sache  erfahren,  die  gibt 
zu  denken. 

FRANgOIS.    Erzählen  Sie. 

FLIPOTIE,  MICHEflE.  Ja,  erzähle,  süßer  Her- 
zog! 

HERZOG.    Kennen  Sie  Lelange? 

FRANCOIS.  Freüich  —  das  Dorf  ...  der  Marquis 
von  Montferrat  hat  dort  eine  seiner  schönsten  Jagden. 

HERZOG.  Ganz  richtig;  mein  Bruder  ist  jetzt  bei 
ihm  auf  dem  Schloß,  und  der  schreibt  mir  eben  die 
Sache,  die  ich  Ihnen  erzählen  will.  In  Lelange  haben 
sie  einen  Bürgermeister,  der  sehr  unbeliebt  ist. 

FRANQOIS.  Wenn  Sie  mir  einen  nennen  können, 
der  beliebt  ist  — 

HERZOG.  Hören  Sie  nur.  —  Da  sind  die  Frauen 
des  Dorfes  vor  das  Haus  des  Bürgermeisters  gezogen 
—  mit  einem  Sarg  .  .  . 

FLIPOTTE.  Wie?...  Sie  haben  ihn  getragen? 
Einen  Sarg  getragen  ?  Nicht  um  die  Welt  möcht'  ich 
einen  Sar^  tragen. 

FRANQOIS.  Schweig  doch  —  es  verlangt  ja  nie- 
mand von  dir,  daß  du  einen  Sarg  trägst.  Zum  Herzog: 
Nun? 

HERZOG.  Und  ein  paar  von  den  Weibern  sind 
darauf  in  die  Wohnung  des  Bürgermeisters  und  haben 
ihm  erklärt,  er  müsse  sterben  —  aber  man  werde  ihm 
die  Ehre  erweisen,  ihn  zu  begraben.  — 

FRANQOIS.    Nun,  hat  man  ihn  umgebracht? 

HERZOG.  Nein  —  wenigstens  schreibt  mir  mein 
Bruder  nichts  davon. 

FRANQOIS.  Nun  also!...  Schreier,  Schwätzer, 
Hanswürste  —  das  sind  sie.  Heut  brüllen  sie  in  Paris 
zur  Abwechslung  die  Bastille  an  —  wie  sie's  schon  ein 
halbes  Dutzend  mal  getan  . , . 


105 


HERZOG.  Nun  —  wenn  ich  der  König  wäre,  ich 
hätte  ein  Ende  gemacht .  .  .  längst  .  .  . 

ALBIN.    Ist  es  wahr,  daß  der  König  so  gütig  ist? 

HERT^OG.  Sie  sind  Seiner  Majestät  noch  nicht  vor- 
gestellt ? 

FRANQOIS.  Der  ChevaUer  ist  ja  das  erste  Mal  in 
Paris. 

HERZOG.  Ja,  Sie  sind  unglaubHch  jung.  Wie  alt, 
wenn  man  fragen  darf? 

ALBIN.  Ich  sehe  nur  so  jung  aus,  ich  bin  schon 
siebzehn  ... 

HERZOG.  Siebzehn  —  wie  viel  liegt  noch  vor 
Ihnen.  Ich  bin  schon  vierundzwanzig  .  .  .  ich  fange 
an  zu  bereuen,  wie  viel  von  meiner  Jugend  ich  ver- 
säumt habe. 

FRANCOIS  lacht.  Das  ist  gut!  Sie,  Herzog  .  .  . 
für  Sie  ist  doch  jeder  Tag  verloren,  an  dem  Sie  nicht 
eine  Frau  erobert  oder  einen  Mann  totgestochen 
haben. 

HERZOG.  Das  Unglück  ist  nur,  daß  man  beinah 
nie  die  richtige  erobert  —  und  immer  den  unrichtigen 
totsticht.  Und  so  versäumt  man  seine  Jugend  doch. 
Es  ist  ganz,  wie  Rollin  sagt. 

FRANQOIS.    Was  sagt  Rolhn? 

HERZOG.  Ich  dachte  an  sein  neues  Stück,  das  sie 
in  der  Comedie  geben  —  da  kommt  so  ein  hübscher 
Vergleich  vor.    Erinnern  Sie  sich  nicht  ? 

FRANQOIS.  Ich  habe  gar  kein  Gedächtnis  für 
Verse  — 

HERZOG.  Ich  leider  auch  nicht  .  .  .  ich  erinnere 
mich  nur  an  den  Sinn  ...  Er  sagt,  die  Jugend,  die  man 
nicht  genießt,  ist  wie  ein  Federball,  den  man  im  Sand 
liegen  läßt,  statt  ihn  in  die  Luft  zu  schnellen. 

ALBIN  altklug.    Das  find'  ich  sehr  richtig. 

HERZOG.  Nicht  wahr?  —  Die  Federn  werden 
allmählich  doch  farblos,  fallen  aus.  Es  ist  noch  besser, 
er  fällt  in  ein  Gebüsch,  wo  man  ihn  nicht  wiederfindet. 

ALBIN.    Wie  ist  das  zu  verstehen,  Emile  ? 


io6 


HERZOG.  Es  ist  mehr  zu  empfinden.  Wenn  ich 
die  Verse  wüßte,  verstünden  Sie's  übrigens  gleich. 

ALBIN.  Es  kommt  mir  vor,  Emile,  als  könnten  Sie 
auch  Verse  machen,  wenn  Sie  nur  wollten. 

HERZOG.    Warum? 

ALBIN.  Seit  Sie  hier  sind,  scheint  es  mir,  als  wenn 
das  Leben  aufflammte  — 

HERZOG  lächelnd.   Ja  ?  Flammt  es  auf  ? 

FRANQOIS.  W^ollen  Sie  sich  nicht  endlich  zu  uns 
setzen  ? 

Unterdessen  kommen  zwei  Adelige  und  setzen  sieb  an  einen  etwas 
entfernten  Tisch;  der  Wirt  scheint  ihnen  Grobheiten  zu  sagen. 

HERZOG.    Ich  kann  nicht  hier  bleiben.    Aber  ich 
komme  jedenfalls  noch  einmal  zurück. 
MICHEIIE.    Bleib  bei  mir! 
FLIP0i:7E.    Nimm  mich  mit! 

Sie  teollen  ihn  halten. 

TFIRT  nach  vorn.  Laßt  ihn  nur!  Ihr  seid  ihm  noch 
lang  nicht  schlecht  genug.  Er  muß  zu  einer  Straßen- 
dirne laufen,  dort  ist  ihm  am  wohlsten. 

HERZOG.  Ich  komme  ganz  bestimmt  zurück,  schon 
um  Henri  nicht  zu  versäumen. 

FRANQOIS.  Denken  Sie,  als  wir  kamen,  ging  Henri 
eben  mit  Leocadie  fort. 

HERZOG.  So.  —  Er  hat  sie  geheiratet.  Wißt  ihr 
das  ? 

FRANQOIS.  Wahrhaftig  ?  —  Was  werden  die  an- 
dern dazu  sagen  ? 

ALBIN.    Was  für  andern? 

FRANQOIS.    Sie  ist  nämlich  allgemein  beliebt. 

HERZOG.  Und  er  will  mit  ihr  fort  .  .  .  was  weiß 
ich  .  .  .  man  hat's  mir  erzählt. 

WIRT.  So?  hat  man's  dir  erzählt?  —  Blick  auf  den 
Herzog. 

HERZOG  Blick  auf  den  JVirt,  dann  Es  ist  ZU  dumm. 
Leocadie  ist  geschaffen,  die  größte,  die  herrlichste 
Dirne  der  Welt  zu  sein. 

FRANQOIS.    Wer  weiß  das  nicht? 


107 


HERZOG.  Gibt  es  etwas  Unverständigeres,  als  je- 
manden seinem  wahren  Beruf  entziehen  ?  Da  Franfois 
lacht.  Ich  meine  das  nicht  im  Scherz.  Auch  zur  Dirne 
muß  man  geboren  sein  —  wie  zum  Eroberer  oder  zum 
Dichter. 

FRANQOIS.    Sie  sind  paradox. 

HERZOG.  Es  tut  mir  leid  um  sie  —  und  um  Henri. 
Er  sollte  hier  bleiben  —  nicht  hier  —  ich  möchte  ihn 
in  die  Comedie  bringen  —  obwohl  auch  dort  —  mir 
ist  immer,  als  verstund'  ihn  keiner  so  ganz  wie  ich.  Das 
kann  übrigens  eine  Täuschung  sein  —  denn  ich  habe 
diese  Empfindung  den  meisten  Künstlern  gegenüber. 
Aber  ich  muß  sagen,  war'  ich  nicht  der  Herzog  von 
Cadignan,  so  möcht'  ich  gern  ein  solcher  Komödiant 
—  ein  solcher  .  . . 

ALBIN.    Wie  Alexander  der  Große  .*.  . 

HERZOG  lächelnd.  Ja  —  wie  Alexander  der  Große. 
Zu  Flifgtte.  Gib  mir  meinen  Degen.  Er  steckt  ihn  in  die 
Scheide.  Langsam.  Es  ist  doch  die  schönste  Art,  sich  über 
die  Welt  lustig  zu  machen;  einer,  der  uns  vorspielen 
kann,  was  er  will,  ist  doch  mehr  als  wir  alle. 
Albin  betrachtet  ihn  verwundert. 

HERZOG.  Denken  Sie  nicht  nach  über  das,  was  ich 
sage:  Es  ist  alles  nur  im  selben  Augenblick  wahr.  — 
Auf  Wiedersehen! 

MICHETTE.   Gib  mir  einen  Kuß,  bevor  du  gehst! 

FLI POTTE.    Mir  auch! 

Sit  hängen  sich  an  ihn,  der  Herzsg  küßt  beide  zugleich  und  geht. 
—  Währenddem: 

ALBIN.    Ein  wunderbarer  Mensch!  .  .  . 

FRANQOIS.  Das  ist  schon  wahr  .  .  .  aber  daß  solche 
Menschen  existieren,  ist  beinah  ein  Grund,  nicht  zu 
heiraten. 

ALBIN.  Erklär'  mir  im  übrigen,  was  das  für  Frauen- 
zimmer sind. 

FRANQOIS.  Schauspielerinnen.  Sie  sind  auch  von 
der  Truppe  Prospere,  der  jetzt  der  Spelunkenwirt  ist. 


io8 


Freilich  haben  sie  früher  nicht  viel  anderes  gemacht 
als  jetzt. 

Guillaume  stürzt  berein,  tote  atemlos. 

GUILLAUME  zum  Tisch  bin,  wo  die  Scbamfieler  sitzen, 
die  Hand  ans  Herz,  mühselig,  sich  stützend.  Gerettet,  ja,  ge- 
rettet ! 

SC  JE  FOL  J.    Was  gibt's,  was  hast  du? 

ALBIN.    Was  ist  dem  Mann  geschehn  ? 

FRANQOIS.    Das  ist  jetzt   Schauspiel.    Paß   auf! 

ALBIN.    Ah  —  ? 

MICHET7E,  FLIP0T7E  rasch  zu  Guillaume  bin.  Was 
gibt's  ?    Was  hast  du  ? 

SCAEVOLA.    Setz'  dich,  nimm  einen  Schluck! 

GUILLAUME.    Mehr!  mehr!...  Prospere,  mehr 

Wein! Ich  bin  gelaufen!    Mir  klebt  die  Zunge. 

Sie  waren  mir  auf  den  Fersen. 

JULES  jährt  zusammen.  Ah,  gebt  Acht,  sie  sind  uns 
überhaupt  auf  den  Fersen. 

WIRT.  So  erzähl'  doch  endlich,  was  ist  denn  pas- 
siert? ...  Zu  den  Schauspielern.  Bewegung!  Mehr  Be- 
wegung! 

GUILLAUME.  Weiber  her  .  .  .  Weiber!  —  Ah  — 
Umarmt  Flipotte.  Das  bringt  einen  auch  wieder  zum 
Leben!  Zu  Albin,  der  höchst  betroffen  ist.  Der  Teufel  soll 
mich  holen,  mein  Junge,  wenn  ich  gedacht  habe,  ich 
werde  dich  lebendig  wiedersehn  .  .  .  Als  wenn  er  lauschte. 
Sie  kommen,  sie  kommen!  —  Zur  Tür  hin.  Nein,  es  ist 
nichts.  —  Sie  .  . . 

ALBIN.  Wie  sonderbar!  ...  Es  ist  wirklich  ein 
Lärm,  wie  wenn  Leute  draußen  sehr  rasch  vorbeijagten. 
Wird  das  auch  von  hier  aus  geleitet  ? 

SCAEFOLA  zu  Jules.  Jedesmal  hat  er  die  Nuance 
...  es  ist  zu  dumm!  — 

WIRT.  So  sag'  uns  doch  endlich,  warum  sie  dir 
wieder  auf  den  Fersen  sind. 

GUILLAUME.  Nichts  Besonderes.  Aber  wenn  sie 
mich  hätten,  würde  es  mir  doch  den  Kopf  kosten  — 
ein  Haus  hab'  ich  angezündet. 


109 


Während  dieser  Szene  kommen  wieder  junge  Adelige^  die  an  den 
Tischen  Platz  nehmen. 

WIRT  leise.  Weiter,  weiter! 

GUILLAUME  ebenso.  Was  weiter?  Genügt  das 
nicht,  wenn  ich  ein  Haus  angezündet  habe? 

FRANQOIS.  Sag'  mir  doch,  mein  Lieber,  warum 
du  das  Haus  angezündet  hast. 

GUILLAUME.  Weil  der  Präsident  des  obersten 
Gerichtshofes  darin  wohnt.  Mit  dem  wollten  wir  an- 
fangen. Wir  wollen  den  guten  Pariser  Hausherren  die 
Lust  nehmen,  Leute  in  ihr  Haus  zu  nehmen,  die  uns 
arme  Teufel  ins  Zuchthaus  bringen. 

GRAIN.    Das  ist  gut!    Das  ist  gut! 

GUILLAUME  betracbut  Grain  und  staunt;  spricht  dann 
weiter.  Die  Häuser  müssen  aUe  dran.  Noch  drei 
Kerle  wie  ich,  und  es  gibt  keine  Richter  mehr  in 
Paris! 

GRAIN.    Tod  den  Richtern! 

JULES.  Ja  ...  es  gibt  doch  vielleicht  einen,  den  wir 
nicht  vernichten  können. 

GUILLAUME.    Den  möcht'  ich  kennen  lernen 

JULES.    Den  Richter  in  uns. 

WIRT  leise.  Das  ist  abgeschmackt.  Laß  das.  Scae- 
vola!    Brülle!    Jetzt  ist  der  Moment! 

SCAEVOLA.  Wein  her,  Prospere,  wir  wollen  auf 
den  Tod  aller  Richter  in  Frankreich  trinken! 

Während  der  letzten  Worte  traten  ein:  der  Marquis  von  Lansac 
mit  seiner  Frau  Severine;  Rollin  der  Dichter. 

SCAEVOLA.    Tod  allen,  die  heute  die  Macht  in  \ 
Händen  haben!    Tod! 

MARQUIS.  Sehen  Sie,  Severine,  so  empfängt  man 
uns. 

ROLLIN.    Marquise,  ich  hab'  Sie  gewarnt. 

SEFERINE.    Warum? 

FRANQOIS  steht  auf.  Was  seh'  ich!  Die  Marquise! 
Erlauben  Sie,  daß  ich  Ihnen  die  Hand  küsse.  Guten 
Abend,  Marquis!  Grüß'  Gott,  RoUinI  Marquise,  Sie 
wagen  sich  in  dieses  Lokal! 


HO 


SEVERINE.  Man  hat  mir  soviel  davon  erzählt.  Und 
außerdem  sind  wir  heute  schon  in  Abenteuern  drin  — 
nicht  wahr,  Rollin? 

MARQUIS.  Ja,  denken  Sie,  Vicomte  —  was  glauben 
Sie,  woher  wir  kommen  ?  —  Von  der  Bastille. 

FRANQOIS.  Machen  sie  dort  noch  immer  so  einen 
Spektakel  ? 

SEVERINE.  Ja  freilich!  —  Es  sieht  aus,  vne  wena 
sie  sie  einrennen  wollten. 

ROLLIN  deklamiert. 

Gleich  einer  Flut,  die  an  die  Ufer  brandet, 
Und  tief  ergrimmt,  daß  ihr  das  eigne  Kind, 
Die  Erde  widersteht  — 

SEVERINE.  Nicht,  RoUin!  —  Wir  haben  dort  un- 
sern  Wagen  in  der  Nähe  halten  lassen.  Es  ist  ein  präch- 
tiger Anblick;  Massen  haben  doch  immer  was  Groß- 
artiges. 

FRANQOIS.  Ja,  ja,  wenn  sie  nur  nicht  so  übei 
riechen  würden. 

MARQUIS.  Und  nun  hat  mir  meine  Frau  keine 
Ruhe  gegeben  .  .  .  ich  mußte  sie  hierher  führen. 

SEVERINE.  Also  was  gibt's  denn  da  eigentlich  Be- 
sonderes ? 

WIRT  zu  Lansac.  Na,  bist  du  auch  da,  verdorrter 
Hallunke?  Hast  du  dein  Weib  mitgebracht,  weil  sie 
dir  zu  Haus  nicht  sicher  genug  ist  ? 

MARQUIS  gezwungen  lachend.     Er   ist   ein  Original! 

WIRT.  Gib  nur  Acht,  daß  sie  dir  nicht  gerade  hier 
weggefischt  wird.  Solche  vornehm^e  Damen  kriegen 
manchmal  eine  verdammte  Lust,  es  mit  einem  rick- 
tigen  Strolch  zu  versuchen. 

ROLLIN.  Ich  leide  unsäglich,  Severine. 

MARQUIS.  Mein  Kind,  ich  habe  Sie  vorbereitet 
—  es  ist  noch  immer  Zeit,  daß  wir  gehen. 

SEVERINE.  Was  wollen  Sie  denn?  Ich  finde  es 
reizend.    Setzen  wir  uns  doch  endlich  nieder! 

FRANQOIS.  Erlauben  Sie,  Marquise,  daß  ich  Ihnen 
den  Chevalier  de  la  Tremouille  vorstelle.    Er  ist  auch 


III 


'das  erste  Mal  hier.    Der  Marquis  von  Lansac;  Rollin, 
unser  berühmter  Dichter. 

ALBIN.     Sehr   erfreut.    KompUmenU;  man  nimmt  Platz. 
ALBIN  zu  Frarifois.    Ist  das  eine  von  denen,  die  spielt 
,    odei  .  .  .  ich  kenne  mich  gar  nicht  aus. 
■         FRANQOIS.    Sei  doch  nicht  so  begriffsstutzig!  — 
/     Das  ist  die  wirkhche  Frau  des  Marquis  von  Lansac  .  .  . 
,      eine  höchst  anständige  Dame. 
\  ROLLIN  zu  Severitu.    Sage,  daß  du  mich  liebst. 

I  SEVERINE.    Ja,   ja,   aber  fragen   Sie  mich  nicht 

i       jeden  Augenblick. 

j  MARQUIS.    Haben  wir  schon  irgend  eine  Szene 

versäumt  ? 

FRANQOIS.  Nicht  viel.  Der  dort  spielt  einen 
Brandstifter,  wie  es  scheint. 

SEVERINE.  Chevalier,  Sie  sind  -wohl  der  Vetter 
der  kleinen  Lydia  de  la  Trcmouille,  die  heute  geheiratet 
hat  ? 

ALBIN.  Jawohl,  Marquise,  das  war  mit  einer  der 
Gründe,  daß  ich  nach  Paris  gekommen  bin. 

S£VERINE.  Ich  erinnere  mich,  Sie  in  der  Kirche 
gesehen  zu  haben. 

ALBIN  verlegen.  Ich  bin  höchst  geschmeichelt, 
Marquise. 

SEVERINE  zu  Rollin.  Was  für  ein  lieber  kleiner 
Junge. 

ROLLIN.    Ah,  Severine,  Sie  haben  noch  nie  einen 
Mann  kennen  gelernt,  der  Ihnen  nicht  gefallen  hätte. 
SEFERINE.    Oh,  doch;  den  hab'  ich  auch  gleich 
geheiratet. 

ROLLIN.  O,  Severine,  ich  fürchte  immer  —  es 
gibt  sogar  Momente,  wo  Ihnen  Ihr  eigener  Mann  ge- 
fährlich Ist. 

WIRT  bringt  Wein.  Da  habt  ihr!  Ich  wollte,  es  wäre 
Gift,  aber  es  ist  vorläufig  noch  nicht  gestattet,  euch 
Kanaillen  das  vorzusetzen. 

FRANQOIS.    Wird  schon  kommen,  Prospere. 
SByERINE  »u  Rbüin.    Was  ist's  mit  diesen  beiden 


112 


hübschen  Mädchen  ?  Warum  kommen  sie  nicht  näher  ? 
Wenn  wir  schon  einmal  da  sind,  will  ich  alles  mit-y 
machen.    Ich  finde  überhaupt,  daß  es  hier  höchst  ge-* 
sittet  zugeht. 

MARQUIS.    Haben  Sie  nur  Geduld,  Severine. 

SEVERINE.  Auf  der  Straße,  find'  ich,  unterhält 
man  sich  in  der  letzten  Zeit  am  besten.  —  Wissen  Sie, 
was  uns  gestern  passiert  ist,  als  wir  auf  der  Promenade 
von  Longchamps  spazieren  fuhren? 

MARQUIS.  Ach  bitte,  meine  liebe  Severine,  wo- 
zu ..  . 

SJEFERINE.  Da  ist  ein  Kerl  aufs  Trittbrett  unserer 
Equipage  gesprungen  und  hat  geschrieen:  Nächstes 
Jahr  werden  Sie  hinter  Ihrem  Kutscher  stehen  und 
wir  werden  in  der  Equipage  sitzen. 

FRANQOIS.    Ah,  das  ist  etwas  stark. 

MARQUIS.  Ach  Gott,  ich  finde,  man  sollte  von 
diesen  Dingen  gar  nicht  reden.  Paris  hat  jetzt  etwas 
Fieber,  das  wird  schon  wieder  vergehen. 

GUILLAUME  plötzlich.  Ich  sehe  Flammen,  Flam- 
men, überall,  wo  ich  hinschaue,  rote,  hohe  Flammen. 

WIRT  zu  ihm  hin.  Du  spielst  einen  Wahnsinnigen, 
nicht  einen  Verbrecher. 

S£VERINE.    Er  sieht  Flammen? 

FRANQOIS.  Das  ist  alles  noch  nicht  das  Richtige, 
Marquise. 

ALBIN  zu  Rollin.  Ich  kann  Ihnen  gar  nicht  sagen, 
wie  wirr  ich  schon  von  dem  allen  bin. 

MICHETTE  kommt  zum  Marquis.  Ich  hab'  dich  ja 
noch  gar  nicht  begrüßt,  mein  süßes  altes  Schwein. 

MARQUIS  verlegen.  Sie  scherzt,  hebe  Severine. 

SEVERINE.  Das  kann  ich  nicht  finden.  Sag'  einmal. 
Kleine,   wiet'iel  Liebschaften  hast  du  schon  gehabt  ? 

MARQUIS  zu  Frangois.  Es  ist  bewunderungswürdig, 
wie  sich  die  Marquise,  meine  Gemahlin,  gleich  in  jede 
Situation  zu  finden  weiß. 

ROLLIN.    Ja,  es  ist  bewunderungswürdig. 

MICHETTE.    Hast  du  deine  gezählt? 


TheatentOcke.  II,  •« 


»13 


SSFERINE.  Als  ich  noch  jung  war  wie  du  .  .  .  ge- 
wiß. — 

ALBIN  zu  Rollin.  Sagen  Sie  mir,  Herr  Rollin,  spielt 
die  Marquise  oder  ist  sie  wirklich  so  —  ich  kenne  mich 
absolut  nicht  aus. 

ROLLIN.  Sein  . . .  spielen  . . .  kennen  Sie  den  Unter- 
schied so  genau,  Chevaher  ? 

ALBIN.    Immerhin. 

ROLLIN.  Ich  nicht.  Und  was  ich  hier  so  eigentüm- 
lich finde,  ist,  daß  alle  scheinbaren  Unterschiede  sozu- 
sagen aufgehoben  sind.   Wirklichkeit  geht  in  Spiel  über 

—  Spiel  in  Wirklichkeit.  Sehen  Sie  doch  einmal  die 
Marquise  an.  Wie  sie  mit  diesen  Geschöpfen  plaudert, 
als  wären  sie  ihresgleichen.    Dabei  ist  sie  .  .  . 

ALBIN.    Etwas  ganz  anderes. 

ROLLIN.    Ich  danke  Ihnen,  Chevalier. 

WIR  T  zu  Graitt.   Also,  wie  war  das  ? 

GRAIN.    Was? 

WIRT.  Die  Geschichte  mit  der  Tante,  wegen  der 
du  zwei  Jahre  im  Gefängnis  gesessen  bist? 

GRAIN.  Ich  sagte  Ihnen  ja,  ich  habe  sie  erdrosselt. 

FRAN^OIS.  Der  ist  schwach.  Das  ist  ein  Dilet- 
tant.   Ich  hab'  ihn  noch  nie  gesehn. 

GEORGETTE  kommt  rasch,  wie  eine  Dirne  niedrigsten  Rangs 
gekUiiet.  Guten  Abend,  Kinder!  Ist  mein  Balthasar 
noch  nicht  da  ? 

SCAEFOLA.  Georgette!  Setz'  dich  zu  mir!  Dein 
Balthasar  kommt  noch  immer  zurecht. 

GEORGETTE.  Wenn  er  in  zehn  Minuten  nicht  da 
ist,  kommt  er  nicht  mehr  zurecht  —  da  kommt  er  über- 
haupt nicht  wieder. 

FRANQOIS.  Marquise,  auf  die  passen  Sie  auf.  Die 
ist  in  Wirklichkeit  die  Frau  von  diesem  Balthasar,  von 
dem  sie  eben  spricht  und  der  sehr  bald  kommen  wird. 

—  Sie  stellt  eine  ganz  gemeine  Straßendirne  dar,  Bal- 
thasar ihren  Zuhälter.  Dabei  ist  es  die  treueste  Frau, 
die  man  überhaupt  in  Paris  finden  kann. 

Baltbasar  kommt. 


114 


GEORGETTE.  Mein  Balthasar!  Sie  läuft  ihm  ent- 
gegen, umarmt  ihn.    Da   bist   du   ja! 

BALTHASAR.  Es  ist  alles  in  Ordnung.  Stille  ringsum. 
Es  war  nicht  der  Mühe  wert.  Es  hat  mir  beinah  leid 
um  ihn  getan.  Du  solltest  dir  deine  Leute  besser  an- 
sehn, Georgette  —  ich  bin  es  satt,  hoffnungsvolle  Jüng- 
linge wegen  ein  paar  Francs  umzubringen. 

FRANCOIS.    Famos  .  .  . 

ALBIN.    Wie?  — 

FRANQOIS.    Er  pointiert  so  gut. 

Der  Kommissär  kommt,  verkleidet,  setzt  sich  an  einen  Tisch. 

WIRT  zu  ihm.  Sie  kommen  in  einem  guten  Moment, 
Herr  Kommissär.  Das  ist  einer  meiner  vorzüglichsten 
Darsteller. 

BALTHASAR.  Man  sollte  sich  überhaupt  einen 
anderen  Verdienst  suchen.  Meiner  Seel',  ich  bin  nicht 
feig,  aber  das  Brot  ist  sauer  verdient. 

SCAEVOLA.    Das  will  ich  glauben. 

GEORGETTE  .  Was  hast  du  nur  heute? 

BALTHASAR.  Ich  will's  dir  sagen,  Georgette;  — 
ich  finde,  du  bist  ein  bißchen  zu  zärtlich  mit  den  jungen 
Herren. 

GEORGETTE.  Seht,  was  er  für  ein  Kind  ist.  Sei 
doch  vernünftig,  Balthasar!  Ich  muß  ja  zärtlich  sein, 
um  ihnen  Vertrauen  einzuflößen. 

ROLLIN.    Was  sie  da  sagt,  ist  geradezu  tief. 

BALTHASAR.  Wenn  ich  einmal  glauben  müßte, 
daß  du  etwas  empfindest,  wenn  dich  ein  anderer  .  .  . 

GEORGETTE.  Was  sagt  ihr  dazu!  Die  dumme 
Eifersucht  wird  ihn  noch  ins  Grab  bringen. 

BALTHASAR.  Ich  hab'  heut  einen  Seufzer  gehört, 
Georgette,  und  das  war  in  einem  Augenblick,  wo  sein 
Vertrauen  bereits  groß  genug  war ! 

GEORGETTE.  Man  kann  nicht  so  plötzlich  auf- 
hören, die  Verliebte  zu  spielen. 

BALTHASAR.  Nimm  dich  in  acht,  Georgette,  die 
Seine  ist  tief.  Wili.    Wenn  du  mich  betrügst,  — 

GEORGETTE.    Nie,  nie! 


"5 


ALBIN.    Das  versteh'  ich  absolut  nicht. 

SEFERINE.  Rollin,  das  ist  die  richtige  Auffassung! 

ROLLIN.    Sie  finden? 

MARQUIS  zu  Severine.  Wir  können  noch  immer 
gehen,  Severine. 

SEVERINE.  Warum  ?  Ich  fang'  an,  mich  sehr  wohl 
zu  fühlen. 

GEORGETTE.  Mein  Balthasar,  ich  bete  dich  an. 
Umarmung. 

FRANQOIS.    Bravo!  bravo!  — 
BALTHASAR.    Was  ist  das  für  ein  Kretin? 
KOMMISSÄR.  Das  ist  unbedingt  zu  stark — das  ist  — 

Maurice  und  Etienne  treten  auf;  sie  sind  wie  junge  Adelige  gekleidet^ 
doch  merkt  man,  daß  sie  nur  in  verscblissenenlheaterkostümen  stecken. 

VOM  TISCH  DER  SCHAUSPIELER.  Wer  sind 
die? 

SCAEVOLA.  Der  Teufel  soll  mich  holen,  wenn 
das  nicht  Maurice  und  Etienne  sind. 

GEORGETTE.    FreiHch  sind  sie's. 

BALTHASAR.    Georgette! 

SEVERINE.  Gott,  sind  das  bildhübsche  junge  Leute ! 

ROLLIN.  Es  ist  peinlich,  Severine,  daß  Sie  jedes 
hübsche  Gesicht  so  heftig  anregt. 

SEVERINE.    Wozu  bin  ich  denn  hergekommen  ? 

ROLLIN.  So  sagen  Sie  mir  wenigstens,  daß  Sie 
mich  lieben. 

S£VERINE  mit  einem  Blick.  Sie  haben  ein  kurzes  Ge- 
dächtnis. 

ETIENNE.  Nun,  was  glaubt  ihr,  woher  wir  kom- 
men ? 

FRANQOIS.  Hören  Sie  zu,  Marquis,  das  sind  ein 
paar  witzige  Jungen. 

MAURICE.    Von  einer  Hochzeit. 

ETIENNE.  Da  muß  man  sich  ein  wenig  putzen. 
Sonst  sind  gleich  diese  verdammten  Geheimpolizisten 
hinter  einem  her. 

SCAEVOLA.  Habt  ihr  wenigstens  einen  ordent- 
lichen Fang  gemacht? 

ii6 


WIRT.    Laßt  sehen. 

MAU  RICE  aus  seinem  Wams  Uhren  herausnehmend.  Was 
gibst  du  mir  dafür  ? 

WIRT.    Für  die  da?    Einen  Louis! 

MAURICE.    Freilich! 

SCAEFOLA.    Sie  ist  nicht  mehr  wert! 

MICHETTE.  Das  ist  ja  eine  Damenuhr.  Gib  sie 
mir,  Maurice. 

MAURICE.    Was  gibst  du  mir  dafür? 

MICHETTE.    Sieh  mich  an!  .  .  .    Genügt  das?  — 

FLIPOTTE.    Nein,  mir;  —  sieh  mich  an  — 

MAURICE.  Meine  Heben  Kinder,  das  kann  ich 
haben,  ohne  meinen  Kopf  zu  riskieren. 

MICHETTE.    Du  bist  ein  eingebildeter  Affe. 

SEFERINE.  Ich  schwöre,  daß  das  keine  Komödie 
ist. 

ROLLIN.  Freilich  nicht,  überall  bhtzt  etwas  wirk- 
liches durch.    Das  ist  ja  das  Entzückende. 

SCAEFOLA.  Was  war  denn  das  für  eine  Hochzeit  ? 

MAURICE.  Die  Hochzeit  des  Fräuleins  La  Tre- 
mouille  —  sie  hat  den  Grafen  von  Banville  geheiratet. 

ALBIN.  Hörst  du,  Frangois  ?  —  Ich  versichere  dich, 
das  sind  wirkliche  Spitzbuben. 

FRANQOIS.  Beruhige  dich,  Albin.  Ich  kenne  die 
zwei.  Ich  hab'  sie  schon  ein  Dutzendmal  spielen  sehen. 
Ihre  Spezialität  ist  die  Darstellung  von  Taschendieben. 
Maurice  zieht  einige  Geldbörsen  aus  seinem  Wams. 

SCAEFOLA.    Na,  ihr  könnt  heut  splendid  sein. 

ETIENNE.  Es  war  eine  sehr  prächtige  Hochzeit. 
Der  ganze  Adel  von  Frankreich  war  da.  Sogar  der 
König  hat  sich  vertreten  lassen. 

ALBIN  erregt.    AUes  das  ist  wahr! 

MAURICE  läßt  Geld  über  den  Tisch  rollen.  Das  ist  für 
euch,  meine  Freunde,  damit  ihr  seht,  daß  wir  zusammen 
halten. 

FRANQOIS.  Requisiten,  lieber  Albin.  Er  steht  auf 
und  nimmt  ein  paar  Münzen.  Für  uns  fällt  doch  auch 
was  ab. 


117 


WIRT.  Nimm  nur  ...  so  ehrlich  hast  du  in  deinem 
Leben  nichts  verdient! 

MAU  RICE    bäh  ein   Strumpfband^   mit   Diamanten  besetzt, 
in  der  Luft.  Und  wem  soll  ich  das  schenken  ? 
Georgette,  Micbette^  Flipotte  baseben  danach. 

MAURICE.  Geduld,  ihr  süßen  Mäuse,  darüber 
sprechen  wir  noch.  Das  geb'  ich  der,  die  eine  neue 
Zärtlichkeit  erfindet. 

SEVERINE  zu  Roüin.  Möchten  Sie  mir  nicht  er- 
lauben, da  mitzukonkurrieren  ? 

ROLLIN.    Sie  machen  mich  wahnsinnig,  Severine. 

MARQUIS.  Severine,  wollen  wir  nicht  gehen?  Ich 
denke  .  .  . 

SEVERINE.  O  nein.  Ich  befinde  mich  vortrefflich. 
Zu  Rollin.  Ah,  ich  komm'  in  eine  Stimmung  — 

MICHETTE.  Wie  bist  du  nur  zu  dem  Strumpfband 
gekommen  ? 

MAURICE.  Es  war  ein  solches  Gedränge  in  der 
Kirche  .  .  .  und  wenn  eine  denkt,  man  macht  ihr  den 
Hof  .  .  . 

Alle  lachen. 
Grain  bat  dem  Franfois  seinen  Geldbeutel  gezogen. 

FRANQOIS  mit  dem  GeUe  zu  Albin.  Lauter  Spiel- 
marken. Bist  du  jetzt  beruhigt  ? 

Grain  will  sich  entfernen. 

WIRT  ihm  nach;  leise.  Geben  Sie  mir  sofort  die  Börse, 
die  Sie  diesem  Herrn  gezogen  haben. 

GRAIN.    Ich  — 

?VIR  T.  Auf  der  Stelle . . .  oder  es  geht  Ihnen  schlecht. 

GRAIN.  Sie  brauchen  nicht  grob  zu  werden.  Gibt 
sie  ihm. 

WIRT.  Und  hier  geblieben.  Ich  hab'  jetzt  keine 
Zeit,  Sie  zu  untersuchen.  Wer  weiß,  wai  Sie  noch  ein- 
gesteckt haben.  Gehen  Sie  wieder  auf  ihren  Platz 
zurück. 

FLIPOTTE.  Das  Strumpfband  werd'  ich  gewinnen. 

WIRT  zu  Frcnfois;  wirft  ihm  d^n  Beutel  zu.  Da  hast  du 
deinen  Geldbeutel.  Du  hast  ihn  aus  der  Tasche  verloren. 


Ii8 


FRANQOIS.  Ich  danke  Ihnen,  Prospere.  Zu  Albin. 
Siehst  du,  \^ir  sind  in  Wirklichkeit  unter  den  anstän- 
digsten Leuten  von  der  Welt. 

Henri  ist  bereits  längere  Zeit  dagezoesen^  hinten  gesessen^  steht  plötz- 
lich auf, 

ROLLIN.    Henri,  da  ist  Henri.  — 

SEVERINE.  Ist  das  der,  von  dem  Sie  mir  so  viel 
erzählt  haben  ? 

MARQUIS.  Freilich.  Der,  um  dessentwillen  man 
eigentlich  hierherkommt. 

Henri  tritt  vor,  ganz  komödiantenhaft;  schweigt. 

DIE  SCHAUSPIELER.    Henri,  was  hast  du? 

ROLLIN.  Beachten  Sie  den  BHck.  Eine  Welt  von 
Leidenschaft.  Er  spielt  nämUch  den  Verbrecher  aus 
Leidenschaft. 

S£VERINE.    Das  schätze  ich  sehr! 

ALBIN.    Warum  spricht  er  denn  nicht  ? 

ROLLIN.  Er  ist  wie  entrückt.  Merken  Sie  nur. 
Geben  Sie  acht  ...  er  hat  irgend  eine  fürchterliche 
Tat  begangen. 

FRANQOIS.  Er  ist  etwas  theatralisch.  Es  ist,  wie 
wenn  er  sich  zu  einem  Monolog  vorbereiten  würde. 

WIRT.    Henri,  Henri,  woher  kommst  du? 

HENRI.    Ich  hab'  einen  umgebracht. 

ROLLIN.    Was  hab'  ich  gesagt? 

SCAEVOLA.    Wen? 

HENRI.    Den  Liebhaber  meiner  Frau. 

Der  Wirt  siebt  ihn  an,  hat  in  diesem  Augenblick  »ffenhar  die  Emp- 
findung, es  könnte  wahr  sei*. 

HENRI  schaut  auf.  Nun,  ja,  ich  hab'  es  getan,  was 
schaut  ihr  mich  so  an  ?  Es  ist  nun  einmal  so.  Ist  es  denn 
gar  so  venvunderUch  ?  Ihr  ^vißt  doch  alle,  was  meine 
Frau  für  ein  Geschöpf  ist;  es  hat  so  enden  müssen. 

WIRT.    Und  sie  —  wo  ist  sie? 

FRANQOIS.    Sehen  Sie,  der  Wirt  geht  drauf  ein.     ^— 
Merken  Sie,  das  macht  die  Sache  so  natürHch.  > 

Lärm  draußen,  nicht  zu  stark. 

JULES.    Was  ist  das  für  ein  Lärm  da  draußen? 


119 


LANSAC.    Hören  Sie,  Severine  ? 

ROLLIN.  Es  klingt,  wie  wenn  Truppen  vorüber- 
zögen. 

FRANQOIS.  Oh  nein,  das  ist  unser  liebes  Volk  von 
Paris,  hören  Sie  nur,  wie  sie  gröhlen.  Unruhe  im  Keller; 
draußen  wird  es  still.    Weiter  Henri,  weiter. 

WIRT.  So  erzähl'  uns  doch  Henri!  —  Wo  ist  deine 
Frau  ?    Wo  hast  du  sie  gelassen  ? 

HENRI.  Ah,  es  ist  mir  nicht  bang  um  sie,  Sie 
wird  nicht  daran  sterben.  Ob  der,  ob  der,  was  liegt 
den  Weibern  dran?  Noch  tausend  andere  schöne 
Männer  laufen  in  Paris  herum  —  ob  der  oder  der  — 

BALTHASAR.  Möge  es  allen  so  gehn,  die  uns  unsere 
Weiber  nehmen. 

SCAEVOLA.  Allen,  die  uns  nehmen,  was  uns  ge- 
hört. 

KOMMISSÄR  zum  Wirt.  Das  sind  aufreizende  Reden. 

ALBIN.  Es  ist  erschreckend  .  .  .  die  Leute  meinen 
es  ernst. 

SCAEVOLA.  Nieder  mit  den  Wucherern  von  Frank- 
reich! Wollen  wir  wetten,  daß  der  Kerl,  den  er  bei 
seiner  Frau  erwischt  hat,  wieder  einer  von  den  ver- 
fluchten Hunden  war,  die  uns  auch  um  unser  Brot 
bestehlen. 

ALBIN.    Ich  schlage  vor,  wir  gehn. 

SEVERINE.    Henri!    Henri! 

MARQUIS.    Aber  Marquise! 

SEVERINE.  Bitte,  lieber  Marquis,  fragen  Sie  den 
Mann,  wie  er  seine  Frau  erwischt  hat .  .  .  oder  ich  frag' 
ihn  selbst. 

MARQUIS  zögernd.  Sagen  Sie,  Henri,  wie  ist  es 
Ihnen  denn  gelungen,  die  zwei  abzufassen? 

HENRI  der  lang  in  Sinnen  versunken  tuar.  Kennt  Ihr  denn 
mein  Weib  ?  —  Es  ist  das  schönste  und  niedrigste  Ge- 
schöpf unter  der  Sonne.  —  Und  ich  habe  sie  geliebt. 
—  Sieben  Jahre  kennen  wir  uns  .  .  .  aber  erst  seit  ge- 
stern ist  sie  mein  Weib.  In  diesen  sieben  Jahren  war 
kein  Tag,  aber  nicht  ein  Tag,  an  dem  sie  mich  nicht 


120 


.Jt^ 


belogen,  denn  alles  an  ihr  lügt.  Ihre  Augen  wie  ihre 
Lippen,  ihre  Küsse  und  ihr  Lächeln. 

FRANQOIS.    Er  deklamiert  ein  wenig. 

HENRI.  Jeder  Junge  und  jeder  Alte,  jeder,  der  sie 
gereizt  —  und  jeder,  der  sie  bezahlt  hat,  ich  denke, 
jeder,  der  sie  wollte,  hat  sie  gehabt  —  und  ich  hab'  es 
gewoißt ! 

SEVERINE.    Das  kann  nicht  jeder  von  sich  sagen. 

HENRI.  Und  dabei  hat  sie  mich  geliebt,  meine 
Freunde,  kann  das  einer  von  euch  verstehen?  Immer 
wieder  ist  sie  zu  mir  zurückgekommen  —  von  überall 
her  wieder  zu  mir  —  von  den  Schönen  und  den  Häß- 
Hchen  —  den  Klugen  und  den  Dummen,  den  Lumpen 
und  den  Kavalieren  —  immer  wieder  zu  mir.  — 

SEFERINE  zu  Rollin.  Wenn  ihr  nur  ahntet,  daß 
eben  dieses  Zurückkommen  die  Liebe  ist. 

HENRI.   Was  hab'  ich  gelitten  .  .  .  Qualen,  Qualen! 

ROLLIN.    Es  ist  erschütternd! 

HENRI.  Und  gestern  hab'  ich  sie  geheiratet.  Wir 
haben  einen  Traum  gehabt.  Nein  —  ich  hab'  einen 
Traum  gehabt.  Ich  wollte  mit  ihr  fort  von  hier.  In 
die  Einsamkeit,  aufs  Land,  in  den  großen  Frieden. 
Wie  andere  glückliche  Ehepaare  wollten  wir  leben  — 
auch  von  einem  Kind  haben  vdr  geträumt. 

ROLLIN  leise.     Severine! 

SEFERINE.    Nun  ja,  es  ist  schon  gut. 

ALBIN.  Frangois,  dieser  Mensch  spricht  die  Wahr- 
heit. 

FRANQOIS.  Gewiß,  diese  Liebesgeschichte  ist 
wahr,  aber  es  handelt  sich  um  die  Mordgeschichte. 

HENRI.  Ich  hab'  mich  um  einen  Tag  verspätet . . ., 
sie  hatte  noch  einen  vergessen,  sonst  —  glaub'  ich  — 
hat  ihr  keiner  mehr  gefehlt  .  ,  .  aber  ich  hab'  sie  zu- 
sammen erwischt  .  .  .  und  er  ist  hm. 

DIE  SCHAUSPIELER.  Wer?...  Wer?  Wie  ist 
es  geschehen  ?  . . .  Wo  liegt  er  ?  —  Wirst  du  verfolgt  ?  . . . 
Wie  ist  es  geschehen  ?  .  .  .    Wo  ist  sie  ? 

HENRI  immer  erregter.  Ich  hab'  sie  begleitet ...  ins 


121 


Theater  .  .  .  zum  letzten  Male  sollt'  es  heute  sein  .  .  . 
ich  hab'  sie  geküßt ...  an  der  Tür  —  und  sie  ist  hinauf 
in  ihre  Garderobe  und  ich  bin  fortgegangen  wie  einer, 
der  nichts  zu  fürchten  hat.  —  Aber  schon  nach  hundert 
Schritten  hat's  begonnen  ...  in  mir  .  .  .  versteht  ihr 
mich  .  .  .  eine  ungeheure  Unruhe  .  .  .  und  es  war,  als 
zwänge  mich  irgendwas,  umzukehren  .  .  .  und  ich  bin 
umgekehrt  und  hingegangen.  Aber  da  hab'  ich  mich 
geschämt  und  bin  wieder  fort .  .  .  und  wieder  war  ich 
hundert  Schritt  weit  vom  Theater  ...  da  hat  es  mich 
gepackt .  .  .  und  wieder  bin  ich  zurück.  Ihre  Szene 
war  zu  Ende  ...  sie  hat  ja  nicht  viel  zu  tun,  steht  nur 
eine  Weile  auf  der  Bühne,  halbnackt  —  und  dann  ist 
sie  fertig  .  .  .  ich  stehe  vor  ihrer  Garderobe,  ich  lehne 
mein  Ohr  an  die  Tür  und  höre  flüstern.  Ich  kann  kein 
Wort  unterscheiden  .  .  .  das  Flüstern  verstummt  .  .  . 
ich  stoße  die  Tür  auf  ...  Er  brüllt  wie  ein  wildes  Tier. 
—  es  war  der  Herzog  von  Cadignan  und  ich  hab'  ihn 
ermordet.  — 
WIRT  der  es  endlich  jür  wahr  hält.   Wahnsinniger! 

Henri  schaut  auf,  siebt  den  Wirt  starr  an. 

SSFERINE.    Bravo!  bravo! 

ROLLIN.  Was  tun  Sie,  Marquise?  Im  Augenblick, 
wo  Sie  Bravo!  rufen,  machen  Sie  das  alles  wieder  zum 
Theater  —  und  das  angenehme  Gruseln  ist   vorbei. 

MARQUIS.  Ich  finde  das  Gruseln  nicht  so  ange- 
nehm. Applaudieren  wir,  meine  Freunde,  nur  so  kön- 
nen wir  uns  von  diesem  Banne  befreien. 

WIRT  zu  Henri,  während  des  Lärms.  Rette  dich,  flieh, 
Henri ! 

HENRI.    Was?    Was? 

WIRT.  Laß  es  jetzt  genug  sein  und  mach',  daß  du 
fortkommst! 

FRANQOIS.  Ruhe!  .  .  .  Hören  wir,  was  der  Wirt 
sagt! 

WIRT  nach  kurzer  Überlegung.  Ich  sag'  ihm,  daß  er 
fort  soll,  bevor  die  Wachen  an  den  Toren  der  Stadt 
verständigt  sind.   Der  schöne  Herzog  war  ein  Liebling 


122 


des  Königs  —  sie  rädern  dich!   Hättest  du  doch  lieber 
die  Kanaille,  dein  Weib,  erstochen' 

FRANQOIS.  Was  für  ein  Zusammenspiel . . .  Herrlich ! 

HENRI.  Prospere,  wer  von  uns  ist  wahnsinnig,  du 
oder  ich  ?  —  Er  steht  da  und  versucht  in  den  Augen  des  Wirts 
XU  lesen. 

ROLLIN.  Es  ist  wunderbar,  wir  alle  wissen,  daß 
er  spielt,  und  doch,  wenn  der  Herzog  von  Cadignan 
jetzt  hereinträte,  er  würde  uns  erscheinen  wie  ein 
Gespenst.  Lärm  draußen  —  immer  stärker.  Es  kommen  Leute 
herein^  man  hört  schreien.  Ganz  an  ihrer  Spitze  Grasset,  andere, 
unter  ihnen  Lebret,  drängen  über  die  Stiege  nach.  Man  hört  Rufe: 
Freiheit,  FreibeitX 

GRASSEI.    Hier  sind  wir,  Kinder,  da  herein! 

ALBIN.    Was  ist  das?    Gehört  das  dazu? 

FRANQOIS.    Nein. 

MARQUIS.    Was  soll  das  bedeuten? 

SEVERINE.    Was  sind  das  für  Leute? 

GRASSET.  Hier  herein!  Ich  sag'  es  euch,  mein 
Freund  Prospere  hat  immer  noch  ein  Faß  Wein  übrig, 

Lärm  von  der  Straße. 
und  wir  haben's  verdient! 

Freund!    Bruder!    Wir  haben  sie,  vdr  haben  sie! 

RUFE  DRAUSSEN.    Freiheit!    Freiheit! 

SEFERINE.    Was  gibt's? 

MARQUIS.  Entfernen  wir  uns,  entfernen  wir  uns, 
der  Pöbel  rückt  an. 

ROLLIN.    Wie  wollen  Sie  sich  entfernen? 

GRASSET.   Sie  ist  gefallen,  die  Bastille  ist  gefallen! 

WIRT.   Was  sagst  du?  —  Spricht  er  die  Wahrheit? 

GRASSET.    Hörst  du  nicht? 

Albin  toill  den  Degen  ziehen. 

FRANQOIS.  Laß  das  jetzt,  sonst  sind  wir  alle  ver- 
loren. 

GRASSET  torkelt  iiber  die  Stiege  berein.  Und  wenn  ihr 
euch  beeilt,  könnt  ihr  noch  draußen  was  Lustiges  sehen 
.  .  .  auf  einer  sehr  hohen  Stange  den  Kopf  unseres 
teueren  Delaunaj, 


123 


MARQUIS.    Ist  der  Kerl  verrückt? 

RUFE.    Freiheit!    Freiheit! 

GRJSSET.  Einem  Dufzend  haben  wir  die  Köpfe 
abgeschlagen,  die  Bastille  gehört  uns,  die  Gefangenen 
sind  frei!    Paris  gehört  dem  Volke! 

WIRT.    Hört  ihr!    Hört  ihr!    Paris  gehört  uns! 

GRJSSET.  Seht,  wie  er  jetzt  Mut  kriegt.  Ja,  schrei 
nur,  Prospere,  jetzt  kann  dir  nichts  mehr  geschehn. 

WIR  T  zu  den  Adligen.  Was  Sagt  ihr  dazu  ?  Ihr  Ge- 
sindel!   Der  Spaß  ist  zu  Ende. 

ALBIN.    Hab'  ich's  nicht  gesagt? 

WIRT.    Das  Volk  von  Paris  hat  gesiegt. 

KOMMISSÄR.  Ruhe!  —  Man  lacht.  Ruhe!  . .  .  Ich 
untersage  die  Fortsetzung  der  Vorstellung! 

GRASSET.    Wer  ist  der  Tropf? 

KOMMISSÄR.  Prospere,  ich  mache  Sie  verant- 
wortlich für  alle  die  aufreizenden  Reden  — 

GRASSET.    Ist  der  Kerl  verrückt? 
-  JF/^g^r-XkiLSpaß  ist  zu  Ende,  begreif^Ihr  nicht  ? 
Henri,   so   sag's   ihnen  doch,  jetzt  darfst  du's  ihnen 
sagen!  Wir  schützen  dich  .  .  .  das  Volk  von  Paris  schützt 
dich. 

GRASSET.    Ja,  das  Volk  von  Paris. 

Henri  steht  stieren  Blicks  da. 

WIRT.  Henri  hat  den  Herzog  von  Cadignan  wirk- 
lich ermordet. 

ALBIN,  FRANQOIS,  MARQUIS.  Was  sagt  er  da  ? 

ALBIN  und  andere.  Was  bedeutet  das  alles,  Henri  ? 

FRANCOIS.    Henri,  sprechen  Sie  doch! 

WIRT.  Er  hat  ihn  bei  seiner  Frau  gefunden  —  und 
er  hat  ihn  umgebracht. 

HENRI.    Es  ist  nicht  wahr! 

IRT.  Jetzt  brauchst  du  dich  nicht  mehr  zu  fürch- 
ten, jetzt  kannst  du's  in  die  Welt  hinausschrein.  Ich 
hätte  dir  schon  vor  einer  Stunde  sagen  können,  daß 
sie  die  Geliebte  des  Herzogs  ist.  Bei  Gott,  ich  bin  nahe 
daran  gewesen,  dir's  zu  sagen  .  .  .  Sie  schreiender  Bims- 
stein, nicht  wahr,  wir  haben's  gewußt? 


"4 


HENRI.  Wer  hat  sie  gesehn  ?  Wo  hat  man  sie  ge- 
sehn? 

fFIRT.   Was  kümmert  dich  das  jetzt!   Er  ist  ja  ver- 
rückt ...  du  hast  ihn  umgebracht,  mehr  kannst  du 
doch  nicht  tun. 
(K    FRANQOIS.  Um  Himmels  willen,  so  ist  es  wirklich 
wahr  oder  nicht  ? 

WIRT.    Ja,  es  ist  wahr! 

GRASSET.  Henri  —  du  sollst  von  nun  an  mein 
Freund  sein.  Es  lebe  die  Freiheit !  Es  lebe  die  Freiheit! 

FRANQOIS.    Henri,  reden  Sie  doch! 

HENRI.  Sie  war  seine  Geliebte  ?  Sie  war  die  Ge- 
liebte des  Herzogs  ?  Ich  hab'  es  nicht  gewußt  ...  er 
lebt  ...  er  lebt.  — 

Ungeheure  Bezvegung. 

SEVERINE  zu  den  anderen.  Nun,  WO  ist  jetzt  die 
Wahrheit  ? 

ALBIN.    Um  Gotteswillen! 

Der  Herzog  drängt  sich  durch  die  Masse  auf  der  Stiege. 

SEVERINE  die  ihn  zuerst  siebt.     Der  Herzog! 

EINIGE.    Der  Herzog! 

HERZOG.    Nun  ja,  was  gibt's  denn? 

WIRT.    Ist  es  ein  Gespenst? 

HERZOG.  Nicht  daß  ^h  wüßte!  Laßt  mich  da 
herüber! 

ROLLIN.  Was  wetten  wir,  daß  alles  arrangiert  ist  ? 
Die  Kerls  da  gehören  zur  Truppe  von  Prospere.  Bravo, 
Prospere,  das  ist  dir  gelungen  ? 

HERZOG.  Was  gibt's  ?  Spielt  man  hier  noch,  wäh- 
rend draußen . . .  Weiß  man  denn  nicht,  was  da  draußen 
für  Dinge  vorgehen?  Ich  habe  den  Kopf  Delaunays 
auf  einer  Stange  vorbeitragen  sehen.  Ja,  was  schaut 
ihr  mich  denn  so  an  —  tritt  herunter.    Henri  — 

FRANQOIS.    Hüten  Sie  sich  vor  Henri. 

Henri  stürzt  wie  ein  Wütender  auf  den  Herzog  und  stößt  ihm  den 
Dolch  in  den  Hals. 

KOMMISSAR  steht  auf.   Das  geht  zu  weit!  — 
ALBIN.    Er  blutet! 


125 


1 


ROLLIN.    Hier  ist  ein  Mord  geschehen! 
SEVERINE.    Der  Herzog  stirbt! 
MARQUIS.  Ich  bin  fassungslos,  liebe  Severlne,  daß 
ich  Sie  gerade  heute  in  dieses  Lokal  bringen  mußte! 
p""    SEVERINE.   Warum  ?  mühsam.   Es  trifft  sich  wun- 
/     derbar.    Man  sieht  nicht  alle  Tage  einen  wirklichen 
l_      Herzog  wirklich  ermorden. 

ROLLIN.    Ich  fasse  es  noch  nicht. 
/"      KOMMISSAR.    Ruhe!  —  Keiner  verlasse  das  Lo- 
kal! — 

GRASSET.    Was  wiU  der  ?  ? 

KOMMISSAR.  Ich  verhafte  diesen  Mann  im  Namen 
des  Gesetzes. 

GRASSET  lacht.  Die  Gesetze  machen  wir,  ihr  Dumm- 
köpfe! Hinaus  mit  dem  Gesindel!  Wer  einen  Herzog 
umbringt,  ist  ein  Freund  des  Volkes.  Es  lebe  die  Frei- 
heit! 

ALBIN  zieht  den  Degen.  Platz  gemacht!  Folgen  Sie 
mir,  meine  Freunde! 

Leocaiie  stürzt  herein^  über  die  Stufen. 
RUFE.    Leocadie! 
ANDERE.    Seine  Frau! 

LEOCADIE.  Laßt  mich  hier  herein!  Ich  will  zu 
meinem  Mann!  Sie  kommt  nach  vorne,  sieht,  schreit  auf.  Wer 
hat  das  getan?   Henri! 

Henri  schaut  sie  an. 

L£0CADIE.    Warum  hast  du  das  getan? 

HENRI.    Warum? 

LEOCADIE.  Ja,  ja,  ich  weiß  warum.  Meinetwegen. 
Nein,  nein,  sag'  nicht  meinetwegen.  Soviel  bin  ich  mein 
Lebtag  nicht  wert  gewesen. 

GRASSET  beginnt  eine  Redt.  Bürger  von  Paris,  wir 
wollen  unsern  Sieg  feiern.  Der  Zufall  hat  uns  auf  dem 
Weg  durch  die  Straßen  von  Paris  zu  diesem  ange- 
nehmen Wirt  geführt.  Es  hat  sich  nicht  schöner  tref- 
fen können.  Nirgends  kann  der  Ruf:  „Es  lebe  die  Frei- 
heit!" schöner  klingen,  als  an  der  Leiche  eine«  Herzogs. 

RUFE.    Es  lebe  die  Freiheit!    Es  lebe  die  Freiheit! 


1x6 


FRANQOIS.  Ich  denke,  wir  gehen  —  das  Volk  ist 
wahnsinnig  geworden.    Gehn  wir. 

ALBIN.    Sollen  wir  ihnen  die  Leiche  hier  lassen  ? 

SEVERINE,  Es  lebe  die  Freiheit!  Es  lebe  die 
Freiheit! 

MARQUIS.    Sind  Sie  verrückt? 

DIE  BÜRGER,  DIE  SCHAUSPIELER.  Es  lebe 
die  Freiheit!    Es  lebe  die  Freiheit! 

SEVERINE  an  der  Spitze  der  Adligen^  dem  Ausgange  zu. 
RoUin,  warten  Sie  heut  Nacht  vor  meinem  Fenster. 
Ich  werfe  den  Schlüssel  hinunter  wie  neuhch  —  wir 
wollen  eine  schöne  Stunde  haben  —  ich  fühle  mich 
angenehm  erregt. 

Rufe:   Es  lebe  die  Freibeitl    Es  lebe  Henril    Es  lebe  Henril 

LEB  REt.  Schaut  die  Kerle  an  —  sie  laufen  uns 
davon. 

GRASSET.  Laßt  sie  für  heute  —  laßt  sie.  —  Sie 
werden  uns  nicht  entgehen. 

Vorbdng. 


117 


DER  SCHLEIER  DER  BEAT  RICE 

Seh  ausfiel  in  fünf  Akten 


PERSONEN 


>  Hauptleute 


LIONARDO  BENTIVOGLIO,  Herzog  von  Bologna 

GRAF  ANDREA  FAN7UZZI 

TERESINA,   seine  Schwester 
SILVIO   COSINI,   Gebeimscbreiber  \ 
CARLO   MAGNANI  am  Hofe 

HAUPTMANN   GUIDOTII  des  Fürsten 

DER  JUNGE  MALVE7.ZI 
DER  ALTE  CHIAVELUZZI 

ORLANDINO,  sein  Neffe 

ZAMPIERI]  . 

BRUNI         ]  ^""^'  '^^'^'^' 

RIBALDI 

VALORI 

ARLOTTI 

CAMPEGGI 

FI  LI  P  PO  LOSCH  I,  Dichuf 

AGOSTINO  DOSSI,  Mustker 
ERC  OLE  MANU  SSI,  Bildbauer 

TITO  TIBALDI  1        ,    . 

ANTONIO  NIGETTI  f  '"'^'  ^''"^'  ^''''^""'' 

DER  ALTE  NARDI,  ein  }V appenscbnetder  in  Bologna 

FRAU  NARDI 

ROSINA,  19  Jahre  ) 

FRANCESCO,  18  Jahre   \  ihre  Kinder 

BEAT  RICE,  16  Jahre      J 

VITTORINO    MONALDI,     in    der   Werkstatt    des    alten 

Nardi 
CAPPONI,  Händler  mit  Gewürzen  und  Wohlgerüchen 
BENN0Z7.0,  sein  Sohn 
BASINI,  Kaufmann 

CLAUDIA     \  . 

C4TERINA  n""i' ^°H^'^^^^  ^^'^"^^ 

MARGE  RITA,  ein  junges  Mädchen 

ISABELLA   \  ^       .  .  ^   ^ 

T  ncv  P71  J   I   P^orentintscbe  Courttsanen 
BATTISTA,  DUner  de:  FiUppo 


9' 


^V 


ERSTER     ] 

ZWEITER   \  junifT  Adeliger 

DRITTER  ] 
ERSTER     \ 

ZWEITER    \  Bürger 

DRITTER  J 
ERSTES     \...... 

ZWEITES  i  ^^"'^'^'"' 

ERSTER 

ZWEITER 

DRITTER  )  Bou 

VIERTER 

FÜNFTER  ] 

ERSTER  GEIGER 

ZWEITER  GEIGER 

EIN  FLÖTENSPIELER 

EIN  LAUTENSPIELER 

STIMME  EINES  GEFANGENEN 

Adelige,   Bürger,   Bürgerfrauen,   Bürgermädchen, 
Soldaten,  Wachen,  Courtisanen,  Diener. 

Spielt  in  Bologna,   zu  Beginn   des   i6.  Jahrhunderts. 


^12 


Der  Garten  des  Filipfo  Loscht.  Im  Hintergrund  grenzt  er  an 
eine  Mauer,  die  durch  Bäume  zum  großen  Teil  verdeckt  wird.  Die 
Mauer  ist  ziemlich  hoch.  Jenseits  von  ihr,  durch  eine  supponierte 
Straße  getrennt,  sieht  man  Kirchtürme,  Häuser;  in  der  Ferne  Hügel, 
Rechts  vorn  führt  eine  breite  Freitreppe  sechs  Stufen  aufwärts  zu 
einer  Art  offener  Vorhalle,  die  von  Säulen  gestützt  ist.  Diese  Vor- 
balle ist  rechts  hinten  durch  die  Fassade  des  niederen  Hauses  ab- 
geschlossen. In  der  Mitte  der  Fassade  eine  Tür,  die  in  das  Innere 
des  Hauses  führt.  —  Drei  Alleen  münden  im  Vordergrund;  eine 
kommt  von  links  vorn,  eine  andere  von  rechts  hinten,  also  hinter 
dem  Hause  hervor  —  eine  dritte  Allee  vereinigt  sich  vorn  mit  der 
linken  und  verliert  sich  nach  einer  Biegung  im  Hintergrund.  Vor  dem 
Hause,  ziemlich  nahe,  ein  hoher  Baum,  eine  Marmorbank  unter  ihm. 
Heißer  Sommernachmittag.  FILIPPO  LOSCHI  auf  der  Bank  aus- 
gestreckt, die  Arme  unterm  Kopf  gekreuzt.  AGOSTINO  DOSSI 
steht  links  von  ihm,  die  Laute  in  der  Hand.  Eben  spielt  er  die 
letzten  Akkorde.    Nun  läßt  er  die  Laute  sinken.    Stille. 


Zu  Ende  ? 


FILIPPO 
AGOSTINO 


Ja. 


FILIPPO 

Hast  du  das  Lied  gemacht  ? 

AGOSTINO 

Ich  sagte  Heber  nein.    Denn  Worte  gibt's, 
Die  selbst  sich  ihre  Melodie  erschaffen, 
Und  diese  sind  davon. 

FILIPPO 

Ich  möcht'  ihn  kennen. 
Der  diese  Worte  fand. 

AGOSTINO 

Träumst  du,  Filippo  ? 

FILIPPO 

Nicht  mehr  als  sonst  an  lichten  Sommertagen. 

Als  besänne  er  sich. 
Hast  du  den  Namen  schon  genannt? 


133 


AGOSTINO 

Filippo! 
Ist's  möglich,  daß  du  dein  Gedicht  nicht  kennst? 

FILIPPO 

aufschauend. 
Ich  selbst? 

JGOSTINO 
Und  kennst  es  nicht  ? 

FILIPPO 

Beim  Himmel,  nein! 
's  ist  wohl  zu  lange  her. 

JGOSTINO 

Zu  lang,  Filippo  ? 
Noch  blühn  die  gleichen  Rosen  hier  am  Strauch, 
Seit  du'a  ersannst. 

FILIPPO 
Kein  Jahr  noch! 

JGOSTINO 

Noch  kein  Monat! 
FILIPPO 

sehr  lelbaft,  wie  für  sieb. 
Noch  nicht  drei  Tage! 

AGOSTINO 

Nein,  's  ist  länger  her. 

FILIPPO 

ist  aufgestanden. 
Und  so  entfremdet  meinem  Heut  dies  Gestern, 
Daß  sie,  'genüber  Aug'  in  Aug'  gestellt, 
Einander  nicht  erkennen,  Brüdern  gleich. 
Die  nachts  auf  dunkler  Straße  sich  begegnen. 
Nein,  Agostino,  nenn'  es  nicht  mein  Lied. 
Was  wir  vergessen  konnten,  war  nie  unser; 
Nur  was  wir  halten,  was  wir  jederzeit 


«34 


Rückrufen  können,  wenn  es  noch  so  tief 
In  unsrer  Seele  sich  versteckte,  noch  so  weit 
In  einem  Winkel  sich  der  Welt  verbarg, 
Gehört  uns  zu.    Dies  Lied  ist  nicht  mehr  mein. 

AGOS^TINO 
Nicht  dein  dies  Lied?    Es  war  für  Teresina! 
Und  du  erkennst  es  nicht  ? 

FILIPPO 

So  wenig  kenn'  ich's, 
Als  hätt'  ich's  nie  gehört. 

AGOSTINO 

Und  sprichst  dies  aus, 
Als  durftest  du's  vergessen! 

FILIPPO 

Nein,  als  müßt'  ich  — 
Und  nicht  dies  Lied  allein! 

AGOSi:iNO 

wie  in  Angst. 

Filippo,  sag'  mir. 
Was  ist  geschehn  ?    Drei  Tag'  lang  blieb  dein  Haus 
Verschlossen  mir  und  allen  andern  Freunden, 
Heut  endlich  läßt  du  —  ohne  Lust  —  mich  ein. 
Zerstreut,  verlegen  reichst  du  mir  die  Hand, 
Dein  Auge  glänzt  wie  von  verliebten  Träumen;  — 
Was  ich,  höchst  seltsam,  dir  berichten  komme, 
Wie  müß'ges  Schwätzen  weisest  du  von  dir  — 
Und  bittest  mich  um  Lautenspiel  und  Sang. 

FILIPPO 

Wahrhaftig,  bat  ich  dich  ?    Sag'  doch,  was  gibt's  ? 
Venedig  zieht  heran,  ja,  so  begannst  du  — 
Und  Mariscotti  ist  ein  Schurke  —  nicht  ? 

AGOSTINO 
Wir  fürchten's.    Doch  nicht  von  Venedig  sprach  ich. 
Der  Herzog  von  Romasna  droht  mit  Krieg. 


'j:> 


FILIPPO 

ganz  mecbaniscb. 
Der  Borgia?    Das  ist  schlimm! 

AG0S7IN0 

Schlimm  ?  Mehr  als  das ! 
Unheimlich  hört  sich's  an,  daß  seit  zwei  Tagen, 
Als  hätte  sie  ein  Sturm  zu  uns  gejagt. 
Vom  Süden  und  vom  Westen  — 

Zwei  Diener  des  Filippo  sind  aus  der  Tiefe  des  Gartens  gekommen, 
sie  tragen  Körbe;  sie  haben  die  Allee  mit  Blumen  bestreut  und  gehen 
daran,  auch  die  Treppe  zu  bestreuen.  Aus  der  anderen  Allee  kommen 
zwei  andere  Diener,  welche  Schüsseln  mit  Obst  und  Zuckerwerk 
tragen,  und  über  die  Stufen  ins  Haus  gehen.  Filippo  folgt  ihnen 
mit  den  Augen. 

JGOSTINO 

ist  befremdet,  bat  sieb  unterbrochen  und  spricht  jetzt  weiter. 

Was  ist  dies  ? 
Bereitest  du  ein  Fest? 

FILIPPO 

Das  arme  Wort! 
Nun  ja,  was  von  dem  Stumpf  der  Kerze  kommt, 
Wie  was  die  Sonne  sendet,  heißt  uns  Licht;  — 
So  feir'  ich  denn  ein  Fest. 

AGOSTINO 

An  solchem  Tag  ? 
Du  bist  gelaunt  zu  scherzen!  —  Hör'  mich  an: 
Mit  jeder  Stunde  rücken  Cesars  Scharen 
Bologna  näher,  und  Herr  Mariscotti, 
Der  unsrer  teuern  Stadt  Geschicke  lenkt. 
Solang  der  Herzog  fern,  erscheint  geneigt. 
Dem  Borgia  sich  und  uns  zu  überliefern. 
Was  zur  Verteidigung  er  anbefald, 
Ist  Trug,  zu  schlecht,  um  Narren  naszuführen. 
Die  Tore,  heut  gesperrt  und  wolilgehütet. 
Vor  morgen  abend  fliegen  alle  auf, 
Cesar  zieht  ein,  und  wir  sind  seine  Knechte. 


136 


FILIPPO 

beunruhigt. 
Gesperrt  die  Tore,  alle,  auch  für  uns? 

JGOSTINO 

Wie  das  —  für  uns  ? 

FILIPPO 
Ich  meine,  niemand  kann 
Die  Stadt  verlassen  ? 

AGOSTINO 
Wie?    Du  \^'illst  — 

FILIPPO 

Antworte  — 
Kein  Ausweg  aus  der  Stadt?  Nein,  's  ist  nicht  wahr. 
Sie  können  nicht  von  allen  Seiten  kommen! 

AGOSTINO 
Bist  du  von  Sinnen  ?    Willst  du  fort  ? 

FILIPPO 

Sägt'  ich's  —  ? 
AGOSTINO 
Bologna  willst  du  ?  willst  die  Braut  verlassen  ? 

FILIPPO 
Ich  habe  keine. 

AGOSTINO 
Wie? 

FILIPPO 
Hab'  keine  Braut! 

AGOSTINO 
Nein,  dies  ist  nicht  Filippo,  der  so  sprach  — 
Sag',  daß  du  einer  bist,  der  sich  mit  List 
In  meines  Freunds  Gestalt  verkleidet  hat, 
Und  daß  der  selbst,  gegebnem  Worte  treu, 
In  dieser  Stunde  dort  ist,  wo  er  soll. 


137 


FILIPPO 

Filippo  bin  ich,  der  ich  immer  war. 

AGOSi:iNO 

So  hat  ein  Zauber  dich  der  Braut  entfremdet; 
Doch  der  dich  rückruft,  ist  von  größrer  Macht. 
Dringend.  Eh'  diese  Sonne  untergeht,  Fihppo, 
Wer  weiß,  vielleicht  in  dieser  Stunde  schon, 
Hat  Teresina  niemand  mehr  als  dich. 
An  ihrer  Mutter  Sterbelager  wacht  sie 
Allein  —  zum  unglücksel'gen  Los  bestimmt, 
Am  gleichen  Tag,  was  ihr  von  Menschen  wert, 
Die  Mutter  —  und  den  Bruder  zu  beweinen. 

FILIPPO 

Kam  eine  schlimme  Nachricht  von  Andrea  ? 

AGOSTINO 

Nein,  keine  schlimme  kam  —  wie  keine  gute. 
Doch  's  ist  gewiß:  er  selbst  —  kommt  nicht  zurück. 

FILIPPO 

Was  sagst  du  da  ?  — 

JGOSTINO 

Andrea  kommt  nicht  wieder! 
V\^e  keiner  rückkehrt,  der  vor  einem  Jahr 
Mit  unserm  Herzog  auf  die  Reise  ging. 
Wie  Bentivoglio  selbst  nicht  wiederkehrt. 

FILIPPO 

Wer  sagt's  ?    Sind  sie  nicht  auf  dem  Heimweg  alle  ? 

JGOSTINO 

Sie  waren's  —  jetzt  sind  sie  auf  einem  andern! 

FILIPPO 
Ist  dies  gewiß  ? 

JGOSTINO 

Die  letzte  Kunde  kam 
Aus  Rom.    Der  Herzog,  heute  scheint's  unglaublich. 


138 


Verließ  die  Stadt,  wo  ihn  die  Herren  Borgia 
Bewirtet,  lebend;  —  seither  aber  kam 
Kein  Bote,  keine  Nachricht  nach  Bologna, 
Und  was  der  Papst  in  Rom  versäumt,  wir  fürchten. 
Er  Ueß  es  auf  dem  Weg  hierher  besorgen, 
Und  Mariscotti  wußte  auch  um  dies. 

ERCOLE  MANU  SSI 

ist  durch  die  Tür  auf  die  Terrasse  getreten. 
In  Flammen  steht  die  Welt!    Was  kümmert's  Euch? 

Er  geht  die  Stufen  herunter. 
Der  eine  lümmelt  auf  der  Bank,  der  andre 
Hält  seine  Laute  zärtlich  in  den  Armen, 
Und  über  Rosen  schreit'  ich  zu  Euch  hin. 
So  wißt  Ihr  nichts  ? 

FILIPPO 

Umfriedet  ist  mein  Garten, 
Die  Fenster  sind  verhängt,  den  Lärm  und  Unsinn, 
Der  durch  die  Straßen  fegt,  lass'  ich  nicht  ein; 
Es  finden  seine  Boten  doch  den  W^eg. 

AG0S7IN0 
Was  gibt's? 

ERCOLE 
Der  Herzog  ist  zurückgekehrt! 

AG0S7IN0 
Ist  das  gewiß  ? 

ERCOLE 
Hier  diese  Augen  sahn  ihn. 

AGOSTINO 

Hörst  du,  Filippo  ?  Zu  Ercole.    Sag'  uns  mehr! 

ERCOLE 

Noch  nachts, 
Durch  welches  Tor,  weiß  niemand,  —  unerkannt 
Betrat  er  seine  Stadt.    Schon  früh  am  Morgen 


139 


Schwirrt'  ein  Gerücht  durch  die  bewegten  Gassen, 

Dran  keiner  glaubte.    Man  erzälilte  mehr: 

Des  Mariscotti  Neffe  sei  entflohen, 

Er  selber  lag'  in  Ketten.    Doch's  blieb  still 

Rings  um  das  Schloß.    Die  Wachen  zogen  auf, 

Wie  sonst,  und  von  den  Türmen,  von  den  Mauern 

Kam  immer  neue  Kunde:  daß  von  Süden, 

Endlos  gereiht,  die  röm'schen  Truppen  nahn, 

Daß  in  Faenza  Cesars  Schützen  stehn, 

Und  auf  der  fernen  Straße  von  Montese, 

Als  flog'  es  aus  dem  Boden  mit  dem  Staub, 

Der  es  umhüllt,  ein  Heer  von  Reitern  wüchse, 

Nun  wußten  wir  verloren  die  Fünfhundert, 

Die  Mariscotti  gestern  ausgeschickt, 

Nur  um  zu  früh  verdächtig  nicht  zu  sein. 

Und  Unruh'  lohte  auf,  durch  jene  Fabel, 

Von  Bentivoglios  Heimkehr  unterzündet. 

Man  fühlte  sich  bedroht,  wenn  nicht  verraten. 

Die  Söldner  an  dem  Tore  von  Isaia 

Beschließen  vor  das  Schloß  zu  ziehn  und  dort 

Antwort  zu  fordern,  was  die  Absicht  sei. 

Ribaldi  führt  sie  hin,  und  ihnen  nach 

Stürzt  flutend  aufgeregtes  Volk  zum  Tor. 

Da  springt  es  auf,  und  uns  entgegen  tritt 

—  Drang  denn  kein  Schrei  des  Jubels  bis  hierher?  - 

Der  Bentivoglio  und  dein  Freund  Andrea! 

FILIPPO 

steht  erregt  a:'.j. 
Auch  er? 

ERCOLE 
Drum  wundert's  mich,  daß  du  daheim. 
Und  ist  dir  nicht  bekannt,  daß  er  zurück  ist, 
Weißt  du  auch  nicht,  daß  seine  Mutter  starb, 
Heut  Nacht,  noch  eh'  er  kam  ? 

AGOSTINO 

Hörst  du,  Filippo  ? 
Die  Mutter  Teresinas  tot! 


140 


J 


FILIPPO 

kühl  verltgen. 

So  war's 
Andrea  nicht  vergönnt,  sie  zu  umarmen? 

AGOSTINO 
Und  weiter  sagst  du  nichts,  Filippo  ? 

FILIPPO 

Wahrlich, 
Daß  diese  güt'ge  Frau  verschied,  ist  schmerzlich. 

ERCOLE 

befremdet. 
Wo  bin  ich  hier  ?   Bald  scheint  mir  selbst,  was  draußen 
Sich  zuträgt,  nicht  mehr  wahr!    In  diesen  Zweigen 
Ruht  laue  Luft,  die  nichts  vom  glühnden  Ernst 
Des  Tages  weiß.    Was  ist's  mit  dir,  Filippo  ? 

FILIPPO 

schweigt. 

JGOSTINO 
Besinn  dich  und  geh  hin. 

FILIPPO 

Wohin  ? 

AGOSTINO 

Es  gibt 
Nur  einen  Weg  für  dich.    Vergingst  du  dich, 
Vergaßest  dein  Gelöbnis,  —  diese  Stunde 
Weckt  die  Erinnrung  dran  aus  tiefstem  Schlaf. 
Und  zögerst  du,  dem  reinen  Blick  der  Braut 
Die  treuvergessne  Stirn  zu  bieten,  denk',  — 
An  einem  Sarg  wird  manche  Schuld  verziehn! 

FILIPPO 

mit  plötzlicher  Heftigkeit. 
Wer  spricht  von  Schuld  ?    Im  Herbste  fallen  Blätter, 
Im  Frühjahr  sprießen  andre!    Sagt  Ihr  drum. 


141 


Daß  einer  schuldig  ward?    Ich  bin  es  nicht! 
Es  sei,  daß  Schuldigsein  bedeutet:  ew'gen 
Gesetzen  unterworfen  sein.    Ist's  so, 
Dann  wartet  Schuld  von  Kindheit  auf  in  uns, 
Wie  unser  Tod  in  unserm  Busen  harrt, 
Solang  wir  atmen.    Wenn  ich  schuldig  bin. 
So  ist  die  Jugend  ein  Geschenk  der  Hölle, 
Ist  Schönheit  Sünde  und  das  Glück  ein  Gift, 
So  tückisch  wie  kein  andres. 

ERCOLE 

Ist  es  das  ? 
Nun,  —  hab'  ich's  recht  gefaßt,  mit  kleinern  Worten 
War's  abzutun.    Sag'  doch  in  Kürze  so: 
Mir  hat  die  lange  Brautschaft  nicht  behagt, 
Und  meine  durst'ge  Jugend  suchte  Trost 
Bei  einer,  die  gefällig  war  und  hübsch. 

FILIPPO 

nach  kurzem  Besitwen. 
Ich  sag'  in  Kürze:  geht,  ich  bitt'  Euch,  beide! 

ERCOLE 

toill  zuerst  auffahren^  dann  ernst. 
Für  kleinen  Zank  zu  ernst  ist  dieser  Tag. 
Drum  rat'  ich  dir:  begrüße  deinen  Freund, 
Eh'  er  dich  fragen  kommt,  wie  du's  vergaßest. 

FILIPPO 
Die  Antwort  finden,  denk'  ich,  steht  mir  zu. 

ERCOLE 
Doch  ihm  das  letzte  Wort,  und  allzu  teuer 
War'  so  ein  Rausch  bezahlt.    Es  sei,  du  denkst, 
Ob  so,  ob  anders,  kommen  wird  es  doch. 

FILIPPO 

Wie  meinst  du  das  ? 

ERCOLE 

Nun  hört!    Für  diesen  Kopf 
Und  den  und  deinen  und  für  jeden  so, 


142 


V 


)ei  heut  auf  Bologneser  Schultern  sitzt, 
jeb'  ich  Gebärde  SO  viel  nicht  mehr.  Rings  ganz  um- 
schlossen 
st  unsre  Stadt;  und  daß  der  Herzog  heimkam, 
leu'n  sich  nur  die,  die  vor  dem  Tor  zu  sterben 
\h  beßres  Los  begrüßen,  denn  der  Gnade 
)es  Borgia  überliefert  sein  und  leben. 
jolognas  Freiheit  ist  dahin,  und  wer 
>ie  liebt,  mit  ihr.    Den  Herzog  kenn'  ich  wohl: 
Ix  säumt  nicht  einen  Tag.    Vor  morgen  abend 
st  die  Entscheidung  da,  doch  gibt's  nur  eine. 
)ium  sucht'  ich  Euch.    Jedoch  bevor  ich  kam, 
jing  ich  in  meine  Werkstatt,  schlug  in  Stücke 
)en  angefangnen  Guß,  dann  sperrt'  ich  zu. 
)enn  was  auch     über  uns  besclilossen  sei, 
50  wie  wir  uns  in  guten  Tagen  fanden, 
-,aßt  uns  zusammenbleiben  bis  zum  Ende. 

FILIPPO 

wie  aufschreiend. 
-iu  Ende  ?    Kam  dies  alles  über  Nacht  ? 
tein  Ende,  nein,  für  mich  kein  Ende! 

BJTTISTJ 

der  Diener  Filippos  kommt  von  der  Terrasse. 
Gnädiger  Herr,  der  Geheimschreiber  Seiner  Hoheit 
ies  Herzogs,  der  edle  Herr  Silvio  Cosini,  ist  eben  in  das 
Haus  getreten. 

FILIPPO 

Wer,  sagst  du  ? 

JG0S7IN0 

Silvio  Cosini  f 

BJTTISTJ 
Der  Geheimschreiber  Seiner  Hoheit  des  Herzogs. 

FILIPPO 

Und  fragt  nach  mir? 


H3 


BJTTISTJ 
Der  Herr  Geheimschreiber  kommt  zu  dem  gnädigen 
Herrn  im  Auftrage  Seiner  Hoheit. 

FILIPPO 

Tm  Auftrag? 

JGOSTINO 
Geh  Battista, 
Dein  Herr  läßt  bitten. 

BJTIISTJ 
ab. 

FILIPPO 

Was  will  mir  der  Herzog? 
Er  kennt  mich  nicht. 

ERCOLE 

So  kennt  er  deinen  Ruhm. 

SILVIO  COSINI 

kommt  von  der  Terrasse. 

FILIPPO 

ihm  entgegen. 
Ich  bin  Filippo  Loschi,  den  Ihr  sucht. 
Seid  mir  willkommen,  edler  Herr  Cosini. 
Hier  meine  Freunde:  Agostino  Dossi 
Und  Ercole  Manussi. 

COSINI 

Zu  Ercole. 
Wohlbekannt. 
Der  Fechter,  der  im  Park  zu  Cento  steht, 
Ist  Euer  Werk? 

ERCOLE 
Er  ist's. 

COSINI 

zu  Agostino. 

Und  täusch'  ich  mich, 


144 


Wenn  ich  in  Euch  den  Jüngling  wiederkenne. 
Der  uns  —  wann  war's  nur?  — 

AGOSTINO 

Als  von  Padua 
Der  Fürst  an  unsres  Herzogs  Tafel  speiste. 

COSINI 

sieb  erinnernd. 
Am  Tag,  bevor  Bologna  wir  verließen. 
Glaubt  mir,  wir  hörten  manchen  Lautenspieler 
Seit  jenem  Tag  —  es  kam  Euch  keiner  gleich. 
So  nehm'  ich's  denn  als  gutes  Zeichen  an. 
Die  Meister  dreier  Künste  hier  zu  finden. 

AGOSTINO 
Verstattet  unserm  Staunen  eine  Frage. 
Wann  kamt  Ihr  an? 

ERCOLE 
Es  hieß,  daß  nur  der  Herzog 
Und  Graf  Andrea  heimgekehrt,  die  andern 
Noch  auf  dem  Weg  und  mit  sehr  wenig  Hoffnung, 
Die  Heimat  jemals  wieder  zu  begrüßen. 

COSINI 

Vor  gar  so  bösem  Abschluß  unsrer  Fahrt 
Bewahrte  uns  der  Himmel.    Mit  sechs  Freunden 
Erreicht'  ich  wenig  Stunden  nach  dem  Herzog 
Die  Stadt.    Und  auch  zehn  Tiere,  reich  beladen, 
Ja,  selbst  drei  Wagen  brachten  wir  nach  Hause, 
Darauf  so  seltne  Schätze  sind,  daß  uns 
So  Kön'ge  als  Gelehrte  drum  beneiden. 

ERCOLE 

So  wett'  ich,  es  sind  griech'sche  Manuskripte, 
Von  Euch  entdeckt! 

COSINI 
Auch  daran  fehlt  es  nicht. 

Theaterstflcke.  II,  lo.  I4.C 


Und  Münzen,  Edelsteine,  alte  Waffen, 
Auch  prächt'ge  Stoffe  gibt's,  genug,  um  zwanzig 
Der  schönsten  Fraun  Bolognas  drein  zu  kleiden. 
Und  dann  aus  Marmor  einen  Speerewerfer, 
So  ist  die  Haltung  —  leider  fehlt  ein  Arm  — 
Vor  unsern  Augen  aus  dem  Schutt  gegraben 
Bei  Carsoli  —  gäb's  Gott,  es  blieb'  uns  Muße, 
Nach  Cento  in  den  Garten  ihn  zu  setzen  — 
Zu  Ercole.   Zu  Seiten  jenes  Fechters,  der  uns  wert. 
Und  doch,  soviel  wir  bringen,  uns  ward  mehr 
Geraubt,  und  mehr  als  solche  Schätze.    Zwei 
Der  Unsern,  Gofalo  und  Marco  Pitti, 
Den  Blick  schon  diesen  Türmen  zugewandt, 
Erlagen  Mörderstreichen,  sieben  Knechte 
Mit  ihnen. 

ERCOLE 
Wie?    So  fielt  Ihr  doch  den  Leuten 
Des  Borgia  in  die  Hände  ? 

AG0S1IN0 

Armer  Pitti! 
Ich  kannt'  ihn  wohl!    Wie  fröhlich  zog  er  aus,  — 
Und  nun  im  Angesicht  der  Heimat  sterben! 

COSINI 
Dem  Herzog  war  es  zugedacht,  wir  v/issen's! 
Ihm  gab  der  Himmel  ein,  vorauszueilen, 
Auf  anderm  als  dem  vorbestimmten  Weg, 
Doch  nun,  soviel  zu  sagen  wäre,  endHch 
Zu  meines  Herren  Auftrag. 

Da  Agostino  und  EtcoU  sieb  entfernen  wollen.   Kein  geheimer, 
So  wenig  als  der  Ruhm  Geheimnis  ist. 
Zu  Filippo.  Ich  bin  gesandt,  Euch  meines  Herzogs  Gruß, 
BeAvunderung,  und  für  den  heut'gen  Abend 
Den  Ruf  an  seinen  Hof  zu  überbringen. 

FILIPPO 

An  Eures  Herzogs  Hof? 


146 


COSINI 

etwas  befremdet,  scherzend. 

Wohl  auch  des  Euern! 

FILIPPO 

Doch  wagt'  ich  nie,  zu  meines  Herren  Füßen 
Von  meinen  armen  Liedern  eins  zu  legen  — 

COSINI 
Ein  andrer  tat's  für  Euch! 

FILIPPO 

Der  Graf  Andrea? 

COSINI 

So  ist's.    Gar  oft,  wenn  uns  der  Reise  Zufall 

Im  Freien  rasten  ließ,  las  uns  Andrea  — 

Der  Herzog  schwärmt  für  seiner  Stimme  Wohllaut  ■ 

Aus  dem  Petrarca  vor  und  aus  Virgil. 

Doch  Eure  Verse  spricht  er  frei.    Da  leuchtet 

Sein  Aug'  in  Stolz,  daß  solche  Wundenvorte 

Die  hohe  Tugend  seiner  Schwester  preisen, 

Und  daß  sie  Euch  verlobt,  der  sie  besang. 

Ja,  glaubt  mir:  Eurer  Lieder  heiße  Andacht 

Entflammte  manchen  unter  uns  so  sehr,  — 

Nicht  mich,  Ihr  Herren,  mein'  ich,  ich  bin  alt  — 

Daß,  Euch  bewundernd,  er  zugleich  Euch  grollte. 

Der  Sehnsucht  weckt  und  sie  mit  gleichem  Wort, 

Die  hoffnungslose,  in  Verzweiflung  wendet. 

Der  Herzog  aber,  mehr  bewegt  als  alle, 

Sprach  so  zu  uns:  An  eines  Fürsten  Seite 

Ist  solchen  Dichters  Platz;  ich  danke  Gott, 

Der  mir  vergönnt  hat,  dieser  Fürst  zu  sein; 

Und  kehr'  ich  nach  Bologna  heim,  so  sei 

Vor  allen  andern  er  zu  mir  geladen. 

Getreu  dies  zu  bestellen  ist  mein  Amt. 

Im  ungewissen  liegt  der  nächste  Tag, 

L^nd  etwas  aufzuschieben  wäre  kühn. 

Zu  seltnem  Fest  lädt  Euch  der  Herzog  ein, 


xo* 


H7 


Umglüht  von  roten  Fackeln  der  Gefahr, 
Und  unter  schicksalsvollen  Sternen.    Drum, 
Gefällt's  Euch,  Herr  Filippo,  folgt  mir  gleich. 

FILIPPO 

nach  kurzem  Schweigen. 
Ihr  seid  am  falschen  Orte,  Herr  Cosinl! 
Ich  bin  heut  nicht  mehr,  den  der  Herzog  sucht, 
Und  folgt'  ich  seinem  Ruf,  wie  ein  Betrüger 
Stund'  ich  vor  ihm.  Drum  und  aus  andern  Gründen 
Wenn's  Euch  behebt,  aus  Laune,  bleib'  ich  fort. 
Es  feiert  jeder  so  sein  Fest  für  sich, 
Mit  gleichem  Recht,  mit  anderm  Sinn  ein  jeder. 

COSINI 

sich  zu  den  andern  wendend^  erstaunt. 
Ihr  Herrn  — 

ERCOLE 
*s  Ist  eine  Laune,  wie  er  sagt, 
Und  weggespült  vom  nächsten  AugenbUck. 

COSINI 

So  wart'  ich  einer  klaren  Antwort.    Stellt, 
Ich  bitt'  Euch,  Euer  Nein  auf  kräft'ge  Füße. 
Zum  Herzog  kann  mich  dieses  nicht  geleiten. 
Daß  man  ihm  weigert,  was  er  anbefiehlt, 
Erfuhr  kein  Bentivoglio  je,  viel  wen'ger, 
Daß  einem  güt'gen  Wunsch  man  sich  versagt; 
Zu  guter  Stunde  nicht,  wie  gar  in  solcher, 
Da  jedes  Ja  und  Nein  zum  Zeichen  wird. 
Und  mehr  bedeutet  als  sich  selbst. 

FILIPPO 

Sehr  wahr! 

Dumpfes  Glockengeläute  von  den  Türmen. 

AGOSTINO 
Was  soll  dies  Zeichen?    Kündet  es  Gefahr? 

ERCOLE 
Von  allen  Türmen  klingt's! 


148 


AGOSTINO 

Wie  Totenglocken! 

COSINI 

Das  sind  sie. 

ERCOLE 

Niemals  hört'  ich  sie  so  mächtig! 

AQOSTINO 
Doch  einmal:  als  des  Herzogs  Mutter  starb! 

COSINI 
Und  weiß  man  hier  nicht,  wem  sie  heute  gelten? 

AGOSTINO 

verstehend. 
Der  Gräfin  Leichnam  bringt  man  wohl  zur  Gruft? 

COSINI 

In  dieser  Stunde. 

AGOSTINO 
Komm,  Filippo! 

ERCOLE 

Höre, 
Zum  Hause  der  Fantuzzi  wolln  wir  alle! 

FILIPPO 
Mich  laßt  daheim! 

AGOSTINO 

So  ist  es  wahr,  Filippo, 
Daß  alle  Stimmen,  die  auf  Erden  gelten, 
Sinnlos  vorüberhallen  deinem  Ohr  ? 
Noch  tönt  es  von  den  Türmen.    Komm,  Filippo, 
Was  dich  umhüllt  in  diesen  letzten  Tagen, 
War  Wahn  —  in  dieser  Stunde  fällt  es  ab! 

FILIPPO 

Wahn  ist  nur  eins:  das  nicht  verlassen  können, 


149 


Was  uns  nichts  ist,  ob  Freund,  ob  Frau,  ob  Heimat,  — 
Und  eins  ist  Wahrheit:  Glück,  woher  es  kommt! 

AGOSTINO 

Dies  deine  Antwort? 

FILIPPO 

Nimm  es  so. 

COSINI 

Und  auch 
Dem  Fürsten  sendet  Ihr  nicht  andre? 

FILIPPO 

Nein. 
ERC OLE 
So  laßt  uns  gehn,  Ihr  Herrn.    Es  ist  nicht  Zeit, 
Verrückte  klug  zu  machen. 

COSINI 

Herr  Filippo, 
Um  meines  Fürsten  wie  um  Euretwillen 
Kränkt's  mich,  so  unbegreiflichen  Empfang 
Der  ehrenvollen  Botschaft  ihm  zu  melden, 

JGOSTINO 
Ich  flieh'  ohn'  jeden  Abschied  deine  Nähe, 
Als  eines,  dem  nichts  mehr  mit  uns  gemein. 

Ercole,  /Igoslüio,  Cosini  ab. 

Wenn  sie  fort  sind,  bleibt  Filippo  eine  Weile  still,  dann  geht  er  rascb 

durch  die  Allee  nach  hinten  und  lauscht.    Er  kommt  wieder  nach 

voricärts^  nähert  sich  dem  Hause,  geht  drei  Stufen  hinauf^  bleibt  auf 

der  dritten  Stufe  stehen  und  ruft. 

FILIPPO 
Battista ! 

BA1IIS1A 

erscheint  gleich  auf  der  Terrasse^  tvo  er  stehen  bleibt. 
Gnädiger  Herr? 

FILIPPO 
Du  ■  wirst  zwei  Pferde  schaffen  auf  der  Stelle. 


ISO 


zeigt  ein  erstauntes  Gesiebt. 

FILIPPO 
Verstehst  du  mich?    Zwei  Pferde! 

BAIIISJA 

Heute,  gnädiger  Herr? 

FILIPPO 

Was  geht's  dich  an,  ob  heut,  ob  morgen! 

BATIISJA 
So  war's  nicht  gemeint,  gnädiger  Herr!  Wie  dürft' 
ich  wagen  —  aber  ich  will  nur  bemerken,  daß  es  eine 
vollkommene  Unmöglichkeit  sein  wird,  heute  Pferde  zu 
bekommen. 

FILIPPO 
Geh  zum  Regondi,  vierundzwanzig  hat  der 
Im  StaU! 

BA7i:iSTA 
Herr,  gerade  von  dem  weiß  ich  zuversichtlich,  daß  er 
kein  einziges  mehr  hat.    Ghiberti  hat  alle  in  Besclilag 
genommen. 

FILIPPO 
Wer  ist  Ghiberti  ? 

BAJTISTA 
Der  Reiterhauptmann  Ghiberti!    Am  Tor  von  San 
Stefano! 

FILIPPO 
So  geh  zu  einem  andern!    Suche  beim 
Marsiglio,  —  besser  noch  —  tu  in  der  Stadt 
Dich  um  und  kauf  sie  Söldnern  ab! 

bai:i:isi:a 

Herr! 

FILIPPO 

Nimm  Geld,  soviel  du  willst!   Nur  schaff  mir  Pferde! 
Und  säum'  nicht  länger!    Gehl    Hast  du  sie  erst, 


151 


Sag'  ich  dir  alles,  was  zu  wissen  not. 
Noch  eins:  auf  deinem  Wege  hör'  um  dich, 
Nach  Botschaft  von  den  Türmen,  welche  Straße 
Noch  frei,   wo   —  Er  unterbricht  sich. 

ah,  wo  ein  Entkommen  möglich. 
Und  wenn  —  Doch  gehl    Ruft  ihm  nach. 

Battista! 

BJTTISTA 

Gnädiger  Herr? 

FILIPPO 
Dies  ist  für  dich  allein. 
Und  jetzt  geh  rasch  und  komme  rasch  zurück! 

BJTTISTJ 

geht. 

FILIPPO 

allein.   Verläßt  die  Stufen,  eilt,  als  wenn  er  etwas  gehört  hätte,  wieder 
durch  die  Allee  nach  hinten,  dann  kommt  er  langsam  nach  vorwärts 
und  beginnt  zu  sprechen. 

Auf  leichten  Flügeln  rauscht  mein  Leben  hin; 
Sie  aber  hängen  schwere  Worte  dran. 
In  ihre  Tiefen  es  zu  ziehn.    Was  ist  mir 
Dies  alles  ?    Wo  ich  bin,  gilt  nicht,  was  unten 
Schicksal  und  Weg  bestimmt.    Entkommen,  sagt'  ich? 
Dies  ist  kein  Fliehn.    Ich   schließ'  die  Tür  nicht  ab. 
Und  wenn  Andrea  kommt,  steh'  ich  ihm  Rede. 
Doch  sein  zu  warten,  hält  mich  hier  so  wenig. 
Als  dieser  Stadt  Gefahr.    Und  hätt'  ich  Macht, 
Mit  einem  einz'gen  Hauch  sie  zu  befrein, 
Doch  Beatrice  war'  mir  drum  verloren. 
Gab'  ich  Bologna  hin;  —  und  loht  in  Flammen 
Die  Heimat  hinter  mir,  wär's  mir  nichts  weiter 
Als  meines  Glückes  würd'ger  Opferbrand. 

Es  ist  ziemlich  dunkel  geworden,  durch  die  Allee  aus  dem  Hinter- 
grund kommt  Beatrice,  nicht  sehr  eilig,   schwebenden  Gangs.  Filippo 
gebt  ihr  entgegen. 


I?« 


BEAfRICE 

Da  hast  du  mich!    Wie  dunkel  ist  es  hier! 
Die  Straßen  sind  beinah  noch  hell.    Und  höre, 
Die  Unruh'  draußen!    Aber  hier  ist's  still. 
Ich  wollt',  ich  könnte  lange  bei  dir  bleiben. 

FILIPPO 
Das  wirst  du! 

BEA1RICE 

sieb  auf  die  Bank  niederlassend. 

Laß  mich  jetzt  ein  wenig  ruhn. 
Ich  bin  ganz  müd'.    Was  hab'  ich  alles  heut 
Gesehn  —  gehört!    Ganz  wirr  bin  ich. 

FILIPPO 

fcie  zu  einem  Kind. 

Weißt  du, 
Daß  großes  Übel  diese  Stadt  bedroht  ? 

BEATRICE 
Bin  doch  kein  Kind!    Wie  sollt'  ich  das  nicht  wissen? 
Hätt'  bald  nicht  hergefunden.    Auf  dem  Platz 
Vor  San  Petron  gab's  ein  Gedränge!  denk'  nur, 
Der  Kamm  aus  meinem  Haar  ist  fort!    Er  glitt 
Herunter,  —  hätt'  ich  mich  nach  ihm  gebückt. 
Nie  wieder  hätt'  ich  aufstehn  können. 

FILIPPO 

Sage: 
Dich  ängstigt  nicht,  was  du  gehört  ? 

BEATRICE 

O  sehr! 
Und  viele  haben  Angst!    Doch  andre  freun  sich, 
Die  reden  laut  und  kühn,  und  einen  hört  ich. 
Der  stellte  auf  die  Stufen  sich  und  rief: 
Dem  Borgia  Tod!  Lachend.   Da  schrien  gleich  alle  mit! 

FILIPPO 

betrachtet  sie  mit  einem  entzückten  Blick, 
Liebst  du  mich  sehr? 


153 


BEATRICE 

Du  fragst?    Ich  lieb'  dich  so. 
Daß  alles  anders  ist,  seit  ich  dich  kenne. 
Wie  soll  ich  dies  nur  sagen?    Sieh,  mir  ist, 
Als  waren  lauter  Puppen  sonst  um  mich 
Die  Menschen  alle:  —  und  seitdem  —  nun  ja, 
Seit  jenem  Fest  —  drei  Tag'  erst,  denk'  Filippo, 
Daß  ich  zum  erstenmal  dich  sah  —  drei  Ta^e, 
Der  Tanz  vorm  Tor,  das  Spiel,  das  Armbrustschießen, 
Der  Wettlauf  von  den  zahmen  Leoparden, 
Das  ist  drei  Tag'  erst!  —  Nein,  wie  alles  anders 
Und  bunt  ward — und  die  Puppen  Menschen !  Wie  erfreut. 

Sieh! 
Das  wollt'  ich  sagen. 

FILIPPO 

entschlossen. 
Höre,  Beatrice! 
Noch  heut  verlassen  du  und  ich  die  Stadt. 

BEA1RICE 

sieht  ihn  erstaunt  an. 

FILIPPO 
Versteh  mich  gut!    So  kühn  die  Leute  reden. 
Der  Tod  schwebt  über  allen  Dächern.    Ich 
Und  du,  wir  wollen  leben,  Beatrice  1 
Drum  sollst  du  mit  mir  fort. 

BEA7RICE 

Noch  heute? 

FILIPPO 

Weil  schon  das  Morgen  uns  vernichten  kann. 
Bist  du  bereit? 

BEA1RICE 
Mit  dir? 

FILIPPO 
Mit  mir. 


154 


BEA7R1CE 

Wohin? 

riLippo 

Nicht  dies  ist  wichtig!    Bist  du  nur  bereit? 

BEATRICE 
Doch  ist's  gewiß,  du  läßt  mich  nicht  allein? 

FILIPPO 
Du  Kind! 

BEATRICE 
O  glaube  nicht,  daß  ich  mich  fürchte! 
Wie  oft,  bis  tief  zur  Dunkelheit,  bin  ich 
Auf  Wies'  und  Feld  und  Hügeln  vor  den  Toren 
Herumspaziert,  und  niemand  war  mit  mir. 
Doch  sah  ich  immer  unsre  Türme  ragen, 
Und  leises  Summen  kam  zu  mir  von  weitem, 
Und  immer  wüßt'  ich:  unten  ist  die  Stadt. 
Doch  in  der  Fremde  kann  man  sich  verirren. 

FILIPPO 
Für  dich  wird  nirgends  Fremde  sein.    Ganz  andres 
Bleibt  zu  bedenken.    Niemals,  Beatrice, 
Wirst  du  die  Deinen  wiedersehn. 

BEATRICE 

Die  Meinen?    sinnt. 
Siehst  du,  dies  alles  hab'  ich  längst  gefühlt! 
Jetzt  aber  weiß  ich's  erst. 

FILIPPO 

Was  denn? 

BEATRICE 

Denk'  nur: 
Mir  ist,  als  hätt'  ich  in  der  Eltern  Hause 
Nur  ausgeruht,  wie  man  auf  Reisen  tut. 
Und  käme  von  wo  anders  her  und  müßte 
Wo  anders  hin;  und  wacht'  ich  morgens  auf, 
Und  schaute  so  um  mich,  da  war  mir  oft  — 


ns 


FILIPPO 
Wie  war  dir  da? 

BEATRICE 
Als  war'  ich  nicht  zu  Haus. 

FILIPPO 

zerstreut. 
Nun  ja.    Er  ist  aufgestanden  und  die  Stufen  hinaufgegangen. 

BEJTRICE 
Was  blickst  du  aus  ? 

FILIPPO 

Die  Stunden  flieha. 
Ich  sehe  nach  dem  Diener,  nach  den  Pferden. 

BEJTRICE 
Sagt'  ich  dir  schon?    Mein  Bruder  ist  Soldat! 

FILIPPO 

Ich  kenn'  ihn  nicht. 

BEATRICE 

Vergeßlicher!    Du  kennst  ihn! 
Sahst  ihn  doch  an  dem  gleichen  Tag  wie  mich 
Zum  erstenmal  —  im  gleichen  Augenblick. 
Er  war  mit  mir,  Rosina,  meine  Schwester, 
Und  Vittorino  — 

FILIPPO 

leichthin. 
Der  in  dich  verliebt  ist? 

BEATRICE 
Sieh,  das  vergaß  er  nicht! 

FILIPPO 

»er  streut. 

Dein  Bruder  ließ 
Sich  werben  ? 


iS6 


BEATRICE 
Nein,  der  lief  gleich  selber  hin 
Zum  Tor  von  San  Vitale,    Dort  stehn  alle, 
Die  frei  sich  melden.    Ja,  das  ist  auch  einer. 
Der  riefe:  Tod  dem  Borgia!    Der  ist  wild! 

FILIPPO 
Da  gibt's  viel  Tränen  wohl  bei  Euch  zu  Haus? 

BEATRICE 
Wer  sollte  weinen?    Meine  Mutter  Hebte 
Francesco  nie;  die  Schwester  freut  sich  eher, 
Da  sie  nun  ganz  nach  Wunsch  wird  schalten  können. 

FILIRPO 

Und  du? 

BEATRICE 
Er  will  ja  fort,  wie  sollt'  ich  weinen? 

FILIPPO 
Und  Euer  Vater? 

BEATRICE 

Kann's  ja  nicht  verstehn. 

FILIPPO 
Wie  meinst  du  das  ? 

BEATRICE 

Hab'  ich  dir's  nicht  erzählt? 
Für  ihn  steht  alles  still  seit  sieben  Jahren, 
Und  alles,  was  wir  tun,  ist  Spiel  von  Kindern. 

FILIPPO 

betreten. 
Wie  das? 

BEATRICE 
Die  Leute  sagen:  Tollheit  sei's. 
Ich  aber  weiß  ganz  gut,  's  ist  was  geschehn 


^S7 


Vor  sieben  Jahren,  das  ergriff  ihn  so, 
Daß  ihm  die  Zeit  erstarrt  ist.   Und  so  kommt's,  — 
Wir  sind  noch  heut  für  ihn  die  kleinen  Kinder 
Von  damals.    Und  so  spricht  er  auch  zu  uns,  — 
Und  nimmt  uns  auf  die  Knie',  mich  und  Rosina,  - 
Francesco  läuft  davon  —  erzälüt  uns  Märchen, 
Und  wiegt  uns,  singt  dazu,  —  wir  müssen  lachen. 

FILIPPO 

näher  zu  ihr. 

Du  lachst?  —  Ist  dies  nicht  ohnegleichen  traurig? 

BEAT  RICE 
Was  weiß  er  denn  davon  ?  —  So  wird  er  alt 
Und  fühlt  es  nicht,  und  meine  Mutter  blieb 
So  schön  und  jung  für  ihn  als  je,  und  alles, 
Was  sie  ihm  Schlimmes  zugefügt,  vergaß  er. 

FILIPPO 

sie  lange  betrachtend. 
Wie  gut,  daß  ich  aus  all  dem  dich  entferne! 
Wie  gut,  daß  du  ein  Kind,  so  wirst  du  mein. 
Wie  du  es  mußt.    Denn  ich  hab'  nichts  als  dich. 
Ich  hatte  mancherlei,  doch  nichts  war  ganz, 
So  warf  ich  aUes  hin  für  dich  allein. 
Denn  dich  besitz'  ich,  und  Besitz  ist  Glück, 
Und  nur  was  wir  erschaffen,  ist  Besitz. 

BEJTRICE 

Wie  gut  gefällst  du  mir,  wenn  du  so  sprichst! 

Sie  steht  auf. 
Nun  ist's  auch  über  deinem  Garten  Nacht. 
Ich  frag'  dich  was,  Filippo! 

FILIPPO 

foieier  ausblickend,  zerstreut. 

Nun,  ich  höre. 

BEJTRICE 

zu  ihm  tretend. 


^y 


Sag'  doch:  wirst  du  mein  Pferd  beim  Zügel  halten? 
Drauß'  auf  der  finstern  Straße? 

FILIPPO 

lachend. 

Immerfort  ? 

BEATRICE 
Das  mußt  du  tun!    Versprich's  mir! 

FILIPPO 

haßt  sie  lächelnd;  dann  ungeduldig. 

Kommt  er  nicht  ? 
Wir  wollen  ihn  im  Haus  erwarten.   Wein  und  Früchte 
Stehn  auf  dem  Tisch,  ein  Mahl  vor  unsrer  Reise. 
Komm,   Beatrice!  Er  beginnt,  die  Stufen  hinauf  zu  gehen. 

BEA1RICE 

noch  im  Garten,  folgt  ihm. 

Hab'  ich's  schon  erzählt? 
Den  Herzog  sah  ich. 

FILIPPO 

stehenbleibend. 

So? 

BEJTRICE 

Und  er  sah  mich  — 

FILIPPO 

sich  nach  ihr  umwendend. 
Was  soU  mir  das  i 

BEAT  RICE 
Er  ritt  durch  unsre  Straße, 
Und  blickte  lang  mich  an. 

FILIPPO 

Das  ist  die  Art 
Von  Männern,  schöne  Frauen  anzuschaun. 
Was  geht's  dich  an? 


159 


BEA1RICE 
Rosina  stand  daneben. 
Denk'  nur:  kein  Blick  auf  sie!    Ich  glaubte  schier, 
Sie  würde  krank  vor  Schmerz,  denn  du  mußt  wissen, 
Sie  liebt  ihn  sehr,  den  Herzog  —  Andre  liebt  sie  auch, 
Um  wahr  zu  reden,  doch  den  Herzog  so, 
Daß  sie  dies  Jahr,  das  er  auf  Reisen  weilte, 
Vor  Sehnsucht  krank  ward,  —  und  nun  kommt  er 

wieder, 
Und  reitet  uns  vorbei,  und  sieht  nur  mich. 

FILIPPO 
Du  eitles  Kind,  bewegt  dich  das  so  sehr! 

BEA1RICE 
Nicht  darum  sagt'  ich's,  hätt's  auch  schon  vergessen, 
Nur  träumt'  ich  dann  so  wunderhch  — 

FILIPPO 

Bei  Tage  ? 
Er  kommt  die  Stufen  langsam  herab. 

BEJTRICE 
Es  war  so  schwül.    Ich  ging  in  meine  Stube, 
Nur  um  dem  Zorn  Rosinas  zu  entfliehn,  — 
Geschlagen  hätt'  sie  mich,  sie  tat's  schon  oft,  — 
Und  auch  ein  andres  KJeid  —  für  dich  —  zu  nehmen, 
Und  andre  Schuh'.    Da  setzt'  ich  mich  aufs  Bett 
Und  wollte  mir  die  Bänder  schnüren,  weißt  du, 
Und  schlummert'  ein  und  träumte  sonderbar. 
Sonst  schwindet  jeder  Traum,  wenn  ich  erwache, 
Den  aber  seh'  ich  so  vor  mir  — 

FILIPPO 

Was  war's 
Für  Traum  ? 

BEJTRICE 
Denk'  nur,  ich  war  die  Herzogin! 

i6o 


FILIPPO 

tritt  herunter^  auf  sie  zu, 

BEATRICE 
Was  hast  Du  ? 

FILIPPO 
Beatrice!  —  Nun,  erzähle! 

BEATRICE 
Ich  war  die  Herzogin.    Auf  einem  Thron 
In  einem  großen  Saal  bin  ich  gesessen, 
Der  Herzog  neben  mir,  und  viele  Menschen  — 
Es  waren  hundert  oder  tausend,  Männer 
Und  Fraun  und  Kinder  waren  da,  dieselben, 
Die  täglich  in  den  Gassen  ich  begegne. 
Auch  du  warst  da  und  knietest  vor  mir  nieder, 
Wie  all  die  andern.    Doch  ich  wußte  nicht. 
Daß  du  Fillppo  warst;  es  war  dein  Antlitz  eben! 
Du  gingst  vorüber  vide  die  andern  und 
Verschwandest.    Sieh,  auch  dieses  weiß  ich  noch. 
Daß  ich  die  Hand  hier  sie  bebt  ihre  Linke  auf  die  Lehne 

stützte, 
Den  weichen  Samt  mit  meinen  Fingern  strich, 
Und  so  hab'  ich  gelächelt,  siehst  du  —  fürstlich! 
Ein  wenig  stolz,  doch  gütig  auch.    Dann  klang 
Musik,  so  schön  und  voll  wie  viele  Orgeln! 
Doch  wüßt'  ich:  keine  Orgeln  sind's  —  und  suchte 
Mit  meinen  Augen  nach  den  Musikanten 
Und  fand  sie  nicht.    Da  stand  der  Herzog  auf. 
Nahm  meine  Hand  und  führt'  mich  durch  den  Saal, 
Vorbei  den  Menschen,  die  sich  tief  verneigten. 
Die  große  Türe  tat  sich  auf,  und  plötzlich 
Verstummte  die  Musik,  und  Stille  war, 
So  stiU,  wie's  auch  in  tiefster  Nacht  nicht  ist. 
Nun  schritten  wir  durch  einen  schmalen  Gang, 
Der  ohne  Decke  war.    Die  Wände  reichten 
Unendlich  hoch,  und  oben  war  der  Himmel, 
Viel  weiter,  als  er  sonst,  mit  roten  Wolken. 
Dann  schritten  Stufen  wir  hinab  ins  Dunkle  — 

ll^eatentücke«  II,  xii  lOI 


Ich  sah  den  Herzog  nicht,  sah  gar  nichts  mehr, 

Mit  einmal  hört'  ich  seine  Stimme  nah 

An  meinem  Ohre  „Beatrice"  flüstern, 

Und  heller  wurd'  es,  grüne  Kerzen  brannten 

In  einer  Ampel  ob  dem  Bett,  ich  sah 

Des  Herzogs  Augen  leuchten  über  mir  — 

Und  fühlte  seine  Lippen  nah  den  meinen, 

Noch  spürt'  ich  ihren  Hauch  —  und  so  erwacht'  ich. 

FILIPPO 

Beatrice! 

BEATRICE 

etzoas  erschrocken,  unsicher,  aber  ohne  Verständnis. 
Ist  dies  ein  wunderlicher  Traum! 

FILIPPO 

Beatrice! 

Und  so  kommst  Du  zu  mir! 

BEJTRICE 

Sollt'  ich  nicht  kommen! 
Nein,  wie  Du  seltsam  bist!   Was  ist  Dir  nur? 

FILIPPO 

Kommst  so  beschmutzt  hieher  — 

BEAT RICE 

heiter^  als  hätte  er  sie  mißverstanden. 

Ein  Traum  war's  doch! 

FILIPPO 
Ich  wollt',  es  wäre  Wahrheit,  Beatrice! 
So  könnt'  ich  eher  ohne  Schmerz  und  Ekel 
Dich  sehn;  das  Leben  selbst  tut  alles  ab. 
Doch  Träume  sind  Begierden  ohne  Mut, 
Sind  freche  Wünsche,  die  das  Licht  des  Tags 
Zurückjagt  in  die  Winkel  unsrer  Seele, 
Daraus  sie  erst  bei  Nacht  zu  kriechen  wagen; 
Und  solch  ein  Traum,  mit  ausgestreckten  Armen 
Sehnsüchtig  läßt  er,  durstig  dich  zurück. 

162 


So  wenig  warst  du  mein,  daß,  schlössest  du 
Die  Augen,  deine  Seel'  auf  Abenteuer 
Ausfliegen  konnte,  und  ich  war  dir  nur 
Von  Tausend  einer,  kniete  wie  die  andern 
Vor  dir  und  war  dir  nichts  und  bin  dir  nichts. 
Ich,  der  dir  so  viel  gab,  als  du  nicht  ahnst, 
So  viel,  daß  meiner  Liebe  wert  zu  sein. 
Dich  Ekel  fassen  müßte,  wenn  du  denkst. 
Es  leben  andre  Männer  auf  der  Welt! 
Willst  du,  daß,  dem  gefäll'gen  Eh'mann  gleich, 
Ich  fremden  Kuß  von  deinen  Lippen  trinke. 
Und  kommst  daher  als  Dirne  deines  Traums  ? 
Geh,  Beatrice! 

BEATRICE 

Ja,  was  tat  ich  denn  ? 
Liebst  du  mich  jetzt  nicht  mehr,  Filippo  — ?    Du!  .  . 

FILIPPO 

Dich  lieben  ?    Graun  vor  dir  hat  mich  erfaßt. 

BEATRICE 

Filippo,  nie  bis  heut  dacht'  ich  des  Herzogs! 

FILIPPO 

Doch  heute  warst  du  sein! 

BEAT RICE 

Im  Traum! 

FILIPPO 

Drum  geh! 

BEATRICE 

Du  sagst  es  ganz  im  Ernst,  Filippo,  wie? 

So  nimmst  du  mich  nicht  mit  auf  deine  Reise  ? 

FILIPPO 

Nun  braucht  es  keiner  Reise  mehr! 


163 


BEAT RICE 

Glaubst  du, 
Ich  ginge  nicht  voll  Freuden  mit  dir  fort  ? 
Ich  lieb'  dich  ja,  Filippo! 

FILIPPO 

O,  ich  weiß! 
Auch  heute  gingst  du  fort  mit  mir,  so  gern, 
Als  du  mir  vor  drei  Tagen  bist  gefolgt! 
So  geh  doch! 

BEATRICE 

Und  wann  soU  ich  wiederkommen? 

FILIPPO 

Wiederkommen  ? 

Zu  mir  ?    Ja,  sage,  hast  du's  nicht  gefaßt  ? 

Nie  wieder,  nie! 

BEATRICE 

mit  großen  Augen. 
Nie  wieder,  nie! 

FILIPPO 

Noch  einmal 
Nur  deine  Hand  berühren,  macht  mich  schaudern! 
Doch  dich  umarmen,  da  ich  dich  erkannt,  — 
Beim  Himmel,  eher  schlief  ich  mit  Gespenstern  — 

Mit  einer  Gebärde  des  Scbauderns. 
O  geh! 

BEATRICE 
So  ist  es  wahr,  er  schickt  mich  fort! 
Er  wendet  sieb  ab,  sie  bleibt  stehen.    Pause. 

FILIPPO 

sieb  zu  ihr  wendend. 
Sind's  Tränen? 

BEATRICE 

Sieh,  so  lieb'  ich  dich! 

164 


FILIPPO 

Und  als 
Der  Fächer  dir  zerbrach  am  ersten  Abend, 
Im  selben  Augenblick,  da  hinter  dir 
Die  Tür  zum  Garten  schloß,  in  diese  Schatten 
Wie  in  die  Dunkel  eines  neuen  Schicksals 
Du  tratest,  hast  du  damals  nicht  geweint  ? 
So  große,  dumme  Tränen  einem  Fächer  — 
Und  mir!    Denn  eins  ist  dir  so  schwer,  so  leicht 
Wie's  andre!    Lebe  wohl! 

BEA1RICE 

Und  niemals  wieder? 


Im  Leben  nicht! 


FILIPPO 
BEATRICE 

lächelt. 


FILIPPO 

Und  warum  lächelst  du  ? 

BEAIRICE 
Im  Leben  nicht  —  du  sprachst  es  selber  aus! 
Fühl'  ich,  daß  ich  nicht  sein  kann  ohne  dich. 
Und  hab'  zu  sterben  Lust,  so  komm'  ich  wieder, 
Und  nehm'  dich  mit. 

FILIPPO 

So  spielst  du  mit  dem  Tod, 
Wie  mit  dem  Leben!    Geh  und  lebe  wohl! 

BEAIRICE 
Auf  Wiedersehn,  Filippo! 

FILIPPO 

Lebe  wohl! 

BEATRICE 

gebt  langsam  durch  die  dunkle  Allee  nach  hinten  und  vencbwindet. 

165 


FILIPPO 

allein;  bat  ihr  nachgesehen.    Nach  einer  längeren  Pause. 
Als  schwebte  sie  davon! 

Und  diese  glaubt'  ich  mein!    Vor  Scham  vergeh'  ich! 
Ist's  auch  der  Menschen  Los,  nie  ganz  besitzen, 
Sie  spotten  dieses  Fluchs;  denn  keiner  auch 
Schenkt  ganz  sich  her.    Nur  ich,  der  Tiefbetrogne, 
Gab  alles  hin  für  nichts,  Ruhm,  Ehr'  und  Mut, 
Und  war  bereit,  so  vor  der  Feinde  Drohn 
Wie  vor  dem  Degen  eines  Freunds  zu  fliehn, 
Als  rechter  Bube! 

Eil'  ich  ihr  nicht  nach? 
Es  gab'  ein  Mittel,  kühn  und  ohnegleichen, 
Sie  zu  gewinnen!    Den,  der  sie  mir  nahm 
Im  Traum,  in  Wahrheit  töten!    Doch  der  Einfall, 
Statt  mich  zum  Schloß  des  Herzogs  hinzujagen, 
Bannt  hier  mich  fest,  und  der  EntschHeßung  Kraft 
Stirbt  auf  dem  steilen  Weg  zur  Tat  dahin. 
Daß  ich  sie  heimgeschickt  mit  schönen  Worten, 
Ist  mir  genug.    Und  quillt  aus  dieser  Torheit 
Einmal  ein  Lied,  so  ist's  der  höchste  Preis, 
Den  mir  das  Leben  liinwirft  für  die  Schmach, 
Daß  ich  zu  schwach  bin,  es  mit  Stolz  zu  leben. 

Er  lauscht. 
Das  Tor  wird  aufgetan !   Mit  Hoffnung.  O  wär's  Andrea ! 
Wie  schnell  kam  dies!    Nun  gibt's  in  dieser  Stadt 
Nicht  einen  Zweiten,  so  bereit  wie  mich, 
Dies  alles  zu  beenden. 


In  der  Tür,  welche  aus  dem  Zimmer  auf  die  Terrasse  führt,  erscheinen: 
ANTONIO  NIGETTI  und  TITO  TIBALDI;  der  eine  sehr  dick 
und  groß,  der  andere  zierlich  und  klein.  Mit  ihnen  LUCREZIA 
und  ISABELLA,  zwei  florentinische  Courtisanen.  Hinter  ihnen, 
wie  sie  allmählich  weiter  nach  vorn  treten,  vier  Musikanten :  zwei 
Geiger,  ein  Flötist  und  ein  Lautenspieler.  Noch  bevor  sie  auf- 
treten, hört  man  sie  spielen.  Die  Musikanten  bleiben  auf  der  Terrasse 
stehen.  Zwei  Diener  mit  Fackeln  haben  sich  zur  Seite  der  Tür 
aufgestellt. 


i66 


T/70 

angeheitert. 
Das  ist  Filippo  Loschis  Haus,  und  hier  ist  er  selbst! 
Seid  uns  gegrüßt,  Filippo  Loschi! 

JNTONIO 

bettunken. 
Schweigt,   Ihr  verfluchten  Musikanten.     Soll   man 
euch  die  Instrumente  in  Stücke  hauen? 
Die  Musik  verstummt. 

TITO 
Filippo   Loschi,   nir  wünschen  Euch   einen   guten 
Abend!     So   unbedeutende   Geschöpfe  -wir   sind,   wir 
haben  ein  gewisses  Recht  dazu.  Euch  einen  angenehmen 
Abend  zu  wünschen,  da  wir  ihn  selber  bringen. 

ANTONIO 

Wir  bringen  ihn  selbst  als  nichtswürdige  Geschöpfe, 
die  wir  sind. 

TITO 

Denn  wenn  diese  schönen  Mädchen  sich  an  Euerm 
Anbhck  ebenso  sehr  berauschen,  als  an  Euern  Liedern, 
so  ist  Wahnsinn  ihr  Los  und  das  unsere  Verzweiflung. 

ANTONIO 

schi'cicr.d. 

Das  unsere  Tod! 

FILIPPO 

sehr  lefremrtct^  aber  höflich. 

Ich  bin  erfreut,  so  heitre  junge  Herrn 

Und  schöne  Fraun  in  meinem  Haus  zu  sehn. 

Jedoch  — 

ISABELLA 
Ihr  seid  sehr  liebenswürdig! 

LUCREZIA 

Ihr  seid  schön! 


167 


FILIPPO 

TjWZT  unbekannt,  nenn'   ich   euch  doch  willkommen! 

THO 

Ich  heiße  Tito  Tibaldi.  Dieser:  Antonio  Nigetti. 
Aber  was  können  Euch  unsere  Namen  bedeuten? 

ANTONIO 

Niederträchtige  Namen! 

THO 

Man  wird  sie  mit  uns  begraben,  und  früher,  als 
uns  lieb  ist;  so  ist  es  nicht  der  Mühe  wert,  sie  zu  merken. 
Und  was  wir  sind?  jung,  reich  und  gewissermaßen 
schön ! 

ANTONIO 

Hübsch,  höchstens  hübsch! 

TITO 

Und  morgen  nichts  mehr  von  alledem  I 

ANTONIO 
Elende  Speise  für  Würmer! 

FILIPPO 

belustigt. 

Das  wolle  Gott  verhüten! 

Für  sieb.    Was  sind  das  für  komische  Menschen? 

TITO 

Und  diese  hier  sind  junge  Mädchen  aus  Florenz. 
Sie  sind  nach  Bologna  gekommen,  um  zehn  oder  zwölf 
lustige  Tage  mit  uns  zu  verbringen.  Für  die  Lustigkeit 
haben  wir  bestens  gesorgt,  nur  die  Zahl  der  Tage  steht 
nicht  bei  uns.  Jeden  ihrer  Wünsche  haben  wir  ihnen 
erfüllt;  —  aber  da  sie  vernahmen,  daß  vielleicht  schon 
morgen  unsere  geliebte  Stadt  an  allen  vier  Ecken  in 
Flammen  aufgehen  wird,  hatten  sie  nur  mehr  einen  — 

i68 


ISABELLA 
Euch  zu  sehen!    Denn  Eure  Lieder,  Filippo,  sind  so 
süß,  wie  der  Hauch  des  Geliebten  über  schlafenden 
Wimpern,  und  so  schmeichlerisch,  wie  göttHches  Ver- 
zeihen für  alle  Sünden. 

FILIPPO 

der  immer  heiterer  uird. 

Seh'  ich  euch  an,  so  woUt'  ich  eh'r,  sie  reizten 
Zu  neuen  euch. 

LUCREZIA 

Fihppo,  hättet  Ihr  nicht  hier  geweilt, 
Wo  Ihr  auch  lebtet,  dorthin  war  mein  Weg  — 
Und  mußt'  ich  barfuß  stein'ge  Pfade  wandeln! 
Und  ist  es  wahr,  daß  morgen  tausend  Schrecken 
Einziehn  in  diese  Mauern,  lachend  werf  ich 
Mich  in  den  Staub  —  ich  lebte  lang  genug, 
Haucht  Ihr  nur  einen  Kuß  in  meine  Locken! 
Doch  wärt  Ihr  tot  gewesen,  niemals  wieder 
Hätt'  ich  wie  andre  Frauen  lächeln  können. 
So  liebt'  ich  Euch,  noch  eh'  ich  Euch  gesehn. 

FILIPPO 

für  sieb. 
Will  dieser  schwere  Tag  so  heiter  enden? 
Als   ghtt'  ihm  von   den  kummervollen   Schultern 
Dunkles  Gewand,  und  sah'  ich  zum  Beschluß 
In  lichter  Seide  seine  Glieder  spielen? 

Zu  den  andern. 
Wie  dank'  ich  für  so  vieles  ?    Was  beliebt 
Den  Gästen  ?    Hier  im  Garten  auszuruhn, 
In  grünen  Gängen  sanft  sich  zu  ergehn. 
Im  Saal  an  Obst  und  Wein  sich  zu  erlaben  ? 

Soll    es   uns    armseligen   Narren   wirklich   vergönnt 
sein,  den  letzten  Abend  unsres  jämmerHchen  Lebens  — 

169 


ANTONIO 

Ein  Leben  von  Schurken  und  Tagedieben! 

THO 

Am  Tische  des  herrHchen  FiHppo,  an  der  Seite  des 
Unvergleichlichen  zu  verbringen  ? 

ANTONIO 

Ertöne,   holde   Flöte,   Lautenspiel,   umschwärme 

mich!  — 
Musik. 

FILIPPO 

Was  mein  bescheidnes  Haus  so  edlen  Gästen 
Gewähren  kann,  ist  gern  und  rasch  geschafft. 

In  der  Türe,  für  sich. 
Kam  alles  dies  zu  spät?    Es  ist  zur  Stelle! 
So  kam  es  früh  genug.    Der  nächsten  Stunde 
Erwartung  rinnt  erwärmend  durch  das  Blut, 
Und  mit  Behagen  ahn'  ich  ihre  Fülle! 
Er  geht  in  den  Saal. 

ANTONIO 
Nun,  folgen  mr  ihm,  holdeste  Isabella! 

ISABELLA 
Was  wollt  Ihr  von  mir  ? 

ANTONIO 

Isabella!    Euer  zärtlicher  Antonio  bittet  um  Euern 
Arm! 

ISABELLA 

Ist  denn  niemand  da,  der  mir  diesen  Betrunkenen 
vom  Halse  schafft  ? 

TITO 

Lucrezia! 

LUCREZIA 

Wer  seid  Ihr  denn  ? 


170 


THO 

Wer  ich  bin,  Lucrezia  ?  Derselbe,  meine  Schönste, 
dem  Ihr  erst  heute  mittag  gestattet  habt,  diese  Perlen 
um  Euern  weißen  Hals  zu  schlingen. 

LUCREZIA 

reißt  sieb  die  Ferien  vom  Hals  und  wirft  sie  ihm  vor  die  Füße, 
Da  habt  Ihr  sie!    Und  nun  v/eiß  dieser  Nacken 
Von  Euren  Perlen  nichts  und  Euern  Armen! 
Antonio  und  Tito  sehen  einander  betroffen  an. 

FILIPPO 

wiederkommend. 
Bereitet  ist  die  Tafel,  tretet  ein! 

ISABELLA 
O  liebster  Filippo!    Wollt  Ihr  nicht  erst  diese  un- 
leidhchen   häßlichen   und   heiseren   Leute   fortweisen 
lassen  f 

FILIPPO 
Was  soll  ich  ?    Wie  ? 

zu  Lucrezia. 
Ihr  werdet  mir  doch  wenigstens  erlauben,  an  Eurer 
Seite  Platz  zu  nehmen,  holde  Lucrezia  ? 

LUCREZIA 

Das  dürft  Ihr!    Aber  hört:  berührt  Ihr  nur 

Mein  Knie  —  ich  schwör'  es!  diese  Nadel  stech'  ich 

Mitten  ins  Herz  Euch! 

är.gstlicb. 

Doch  seid  Ihr  glückHcherweise  nicht  gewohnt, 
Schwüre  zu  halten. 

LUCREZIA 
Der  Liebe  Schwüre  nicht  —  doch  solche  halt'  ich! 
Fragt  Euern  Vetter  in  Florenz! 


171 


ANTONIO 

Angebetete  Isabella,  ich  hoffe,  Ihr  werdet  mich  nicht 
in  gleicher  Weise  bedrohen,  wenn  ich  es  wage  — 

ISABELLA 
So  grausam  bin  ich  nicht  als  Lucrezia,  und  eben 
darum  rat'  ich  Euch :  entfernt  Euch  lieber !  Ihr  habt  uns 
zu  Filippo  Loschi  gebracht.  Euer  Amt  ist  zu  Endel 
Von  dieser  Sekunde  an  gehört  Euch  kein  BHck,  kein 
Wort  mehr  —  Affe!  Dieses  war  das  letzte!  —  Kommt, 
schönster  Filippo! 

FILIPPO 

belustigt. 
Ihr  Herren,  glaubt,  daß  ich  untröstlich  bin! 
Doch  ratet  selbst:  was  ist  zu  tun? 

ANi:ONIO 

Laßt  es  gut  sein.  Tito,  wir  woUen  gehen.  Es  gibt 
andere  Weiber  und  tugendhaftere,  ja  vielleicht  sogar 
lasterhaftere,  was  mir  noch  lieber  wäre! 

7IT0 

bebt  die  Perlen  vom  Boden  auf. 
Für  diese  hier  wird  sich  ein  geschmeidigerer  Nacken 
finden ! 

FILIPPO 
Ihr  Herren,  hört  —  wir  wollen  um  sie  fechten! 

ISABELLA 
Was  hilft's  ihnen,  wenn  sie  dich  verwunden?   Lieber 
küssen  wir  deine  blutenden  Wunden,  als  ihre  Lippen! 

ANTONIO 

toütend. 
So  wünscht'  ich,  sie  kämen  aus  Neapel,  nicht  aus 
Florenz!     He,    Musikanten!     Folgt    uns    zurück    zu 
Menasci  und  ertränkt  unseren  Ärger  in  heiteren  Tönen ! 


172 


ISA  BELLA 

Was  fällt  Euch  ein?  Zu  den  Musikanun.  Ihr  bleibt! 
Wir  vroUen  in  den  Saal,  Filippo  —  diese  aber  mögen 
hier  auf  der  Terrasse  stehen  bleiben  und  spielen,  spielen, 
immerzu  spielen. 

Musik  beginnt. 

LUCREZIA 
So  tön*  es  durch  die  offne  Tür  zu  uns 
Und  hüll'  in  helle  Klänge  unsre  Wonnen, 
In  milde  Weisen  unsern  Schlummer  ein! 

BAITISTA 

kommt  rasch  von  hinten. 
.  Gnädiger   Herr   —  Er  hält  erstaunt  inne. 

FILIPPO 

der  eben  viit  den  Mädchen  in  den  Saal  wollte^  wendet  sich  um. 

BATIISTA 

noch  atemlos. 
Die  Pferde,  gnädiger  Herr! 

Musik  verstummt. 

FILIPPO 

Was   für   —  Er  erinnert  sich  und  lacht. 

BATTISTA 

Es  ist  mir  gelungen,  gnädiger  Herr,  um  den  Preis 
von  zweihundert  Goldstücken  — 

FILIPPO 
Du  hast  sie  mir  verschafft  ? 

BATTISTA 
Mit  der  größten  Mühe,  gnädiger  Herri 

FILIPPO 

Indessen  fing  ein  andres  Stück  hier  an! 
Und  er  läuft  wde  'n  verschlafner  Komödiant 


173 


Mit  seiner  alten  Rolle  auf  die  Szene. 

Ist's  wahr,  du  hast  die  Pferde  mir  verschafft  ? 

BATTISTJ 

ganz  erschrocken. 

Herr,  ich  schwöre  Euch,  sie  stehen  vor  der  Garten- 
türe, ich  habe  sie  an  die  Gitterstäbe  gebunden! 

FILIPPO 

mit  einem  plötzlichen  Entschluß. 
Für  diese  beiden  Herrn  stehn  sie  bereit! 
Schlagt's  mir  nicht  ab!    Bedenkt:  der  gute  Alte, 
Die  ganze  Stadt  sucht'  er  nach  ihnen  ab. 

TITO 

Herr,  ist  es  durchaus  notwendig,  mit  so  schwer  ge- 
kränkten Personen  noch  Scherz  zu  treiben? 

ANTONIO 

Es  schreit  zum  Eümmel! 

FILIPPO 

Da  sei  Gott  vor!    Als  Zeichen  meines  Danks, 
Daß  ihr  so  gut  den  Weg  zu  mir  gefunden, 
Und  zu  so  guter  Zeit,  als  ihr  nicht  ahnt, 
Nehmt  dies  Geschenk!    Battista,  du  geleite 
Bis  vor  die  Tür  die  Herren,  und  in  die  Bügel, 
Wofern  es  nötig  —  was  mir  möglich  scheint  — 
Hilf  ihnen  mit  der  schuld' gen  Hötlichkeit. 
Lebt  wohl  und  laßt's  euch  in  Menascis  Schenke 
So  wohl  gehn,  als  ihr  mir's  daheim  vergönnt! 
Battista,  Antonio  und  Tito  ab, 

ISABELLA 

lachend. 
Lebt  wohl! 

Beide  Mädchen  in  den  Saal. 

Die  Musikanten  spielen. 


FILIPPO 

allein  auf  den  Stufen  der  Terrasse;  lebhaft. 
Hinnehmen  mit  Entzücken,  was  sich  schenkt, 
Und  frei  zu  sein?    Mit  Macht  an  sich  zu  reißen, 
Und  selbst  sich  zu  behalten,  war'  es  das, 
Was  diesen  Augenblick  so  leicht  emporträgt  ? 

Die  MÄDCHEN,  von  drinnen. 
Filippo ! 

FILIPPO 
Vielleicht  auch,  daß  das  Leben  vor  dem  Ende 
Mir  bunte  Abenteuer  sendet,  wie  die  Bilder, 
Die  durch  die  Sinne  jagen,  eh'  man  einschläft;  — 
Wach  sein  ist's  nicht  mehr,  und  noch  nicht  der  Schlaf ! 

Die  MÄDCHEN  erscheinen  in  der  Tür. 
FiHppo ! 

FILIPPO 

Ich  komme! Nicht  mit  schwerem  Sinn  bedacht, 

Nein,  ganz  gelebt  sei  endhch  diese  Nacht! 
Die  Musikanten  spielen,  Filippo  gebt  in  den  Saal,  von  den  Mädchen 
an  der  Tür  empfangen.    Der  Vorbang  fällt. 


J75 


ZWEITER  AKT 

Straße  in  Bologna.  Die  Straße  läuft  gegen  den  Hintergrund  zu,  von 
rechts  nach  links.  Links  ein  Eckhaus,  rechts  desgleichen.  Vor  diesen 
Häusern  ist  gleichfalls  eine  quer  über  die  Bühne  verlaufende  Straße 
gedacht,  so  daß  die  vordere  Mitte  der  Bühne  eine  Straßenkreuzung 
vorstellt.  Vor  den  Häusern  sind  durchaus  Säulengänge,  und  ein  Teil 
der  Personenbewegung  spielt  sich  unter  den  Bogen  ah.  In  den  Häusern 
Kaufläden  mit  Auslagetischen  davor.  In  dem  Eckhause  rechts  be- 
findet sich,  der  Straßenkreuzung  näher,  der  Kaufladen  des  alten 
Nardi,  neben  demselben,  mehr  gegen  die  Kulisse  gerückt,  der  Laden 
des  Capponi,  eines  Händlers  mit  Spezereien  und  Wohlgerüchen.  Vor 
dem  Laden  des  Nardi  ein  leerer  Tisch,  vor  dem  des  Capponi  zzcei 
Tischchen  mit  kleinen  Flaschen,  Schachteln  usw.    Abenddämmerung. 

Mäßige  Bewegung  in  den  Straßen.  Von  links  kommen  Bürger  im 
Gespräch,  welche  dann  die  Straße  nach  hinten  zu  einschlagen.  Ihnen 
begegnen,  aus  dem  Hintergrund  kommend,  einige  Soldaten,  ungeordnet; 
sie  gehen  über  die  Bühne  nach  rechts.  Dann  kommen  von  links  junge 
Mädchen,  junge  Leute,  welche  den  Soldaten  folgen.  Frau  Nardi 
und  Rosina  sind  auf  kurze  Zeit  in  der  Türe  ihres  Ladens  zu  sehen 
und  verschwinden  bald.  CAPPONI  steht  vor  seinem  Laden,  be- 
grüßt einige  vorbeigebende  Leute.  Von  rechts  kommen  CLAUDIA 
und  CATERINA,  zwei  Bologneser  Frauen. 

CLAUDIA 
Hier  ist's.  —  Guten  Abend. 

CAPPONI 
Guten  Abend,  meine  Damen.  Was  steht  zu  Diensten  ? 

CLAUDIA 
Ich  möchte  ein  Fläschchen  von  Euerm  Rosenwasser 
kaufen. 

CAPPONI 
Welche  Art  von  Rosenwasser?    Wir  haben  etwa  25 
oder  30  verschiedene.    Ach  Gott!    Das  gewöhnliche 
Paduaner  Rosenwasser,  das  neapolitanische,  das  zyp- 
rische — 

CLAUDIA 

tengeduldig. 
Ich  weiß  nicht,  wie  es  heißt,  ich  hab*  es  im  ver- 

176 


gangenen  Winter  gekauft.    Allerdings  stand  ein  ganz 
anderer  da,  der  es  verkaufte,  ein  hübscher  Knabe. 

CAPPONI 
Bennozzo,  mein  Sohn!    Ach  Gott! 

CLAUDIA 
Warum  seufzt  Ihr  ?    Ist  er  gestorben  ? 

CAPPONI 

Was  fällt  Euch  ein!  Daß  ich  seufze,  ist  eine  Ange- 
wohnheit, eine  üble  Angewohnheit,  wenn  Ihr  wollt,  oder 
auch  eine  philosophische  Angewohnheit.  Aber,  um  auf 
das  Rosenwasser  zurückzukommen,  so  könnte  es  immer- 
hin auch  das  persische  gewesen  sein. 

CLAUDIA 
Ja,  so  nannte  es  Euer  Sohn! 

CAPPONI 
Gleich  wird  es  zu  Eurer  Verfügung  sein,  werte  Frau  1 
Ich  hab'  es  da  hinten  aufgewahrt.  Stund'  es  hier  vorn 
mit  den  andern,  so  hätt'  ich  den  ganzen  Tag  alle  jungen 
Mädchen  und  Frauen  von  Bologna  vor  dem  Laden 
stehen  und  die  jungen  Leute  natürlich  dazu.  Ach  Gott! 
Und  ein  jeder  möchte  sich  eine  Nase  voll  nach  Hause 
bringen,  ohne  was  dafür  zu  zahlen. 

CLAUDIA 

zu  Caterina. 
Nimm  doch  auch  ein  Fläschchen! 

CA1ERINA 
Wozu  ?    Ich  brauche  nichts  dergleichen.    Ich   tue 
nichts    anderes,    als    jeden    Morgen    den    Saft    einer 
sizihanischen  Orange  in  mein  Bad  träufeln  lassen,  das 
genügt  vollkommen. 

CLAUDIA 

Mein  Mann  liebt  es,  wenn  meine  Haut  nach  Blüten 
duftet,  nicht  nach  Früchten. 

TheatuctCcVe.  II,  la.  lyy 


CAPPONI 

mit  der  Flasche^  hält  sie  den  Damen  entgegen, 

CLAUDIA 
Ja,  das  ist  sie!  Rieche  doch  daran,  Caterina!    Nun, 
was  sagst  du? 

CATERINA 
Nun  ja,  wenn  ein  Mann  nicht  mehr  ganz  jung  ist  — 

CLAUDIA 

Da  habt  Ihr  Euer  Geld. 

CAPPONI 

Um  Vergebung,  schönste  Frau !  Ihr  gebt  mir  gerade 
den  zehnten  Teil  von  dem,  was  ich  zu  bekommen  habe! 

CLAUDIA 
Ich  weiß  doch,  was  ich  im  Winter  dafür  bezahlte. 

CAPPONI 
Ja,  das  waren  andere  Zeiten!  In  ein  paar  Tagen 
wird  man  mir  das  Hundertfache  für  diese  Flasche  be- 
zahlen. Alles  wird  teurer.  Es  gibt  keine  Möglichkeit 
mehr,  die  Waren  in  die  Stadt  zu  bringen!  Alle  Ver- 
bindungen sind  abgeschnitten!  In  acht  Tagen  haben 
wir  die  Hungersnot,  wenn  wir  überhaupt  noch  am 
Leben  sind,  was  mir  höchst  zweifelhaft  ist  —  womit  ich 
die  Damen  aber  nicht  beleidigen  will! 

CLAUDIA 

Dann  gibt  man  Euch  keinen  Groschen  melir  für 
Euer  Rosenwasser.  Nun  sagt  mir  aber  ehrlich:  was  ist 
denn  darin  enthalten  ?  Es  kann  nicht  nur  der  Saft  von 
Rosenblättern  sein. 

CAPPONI 
Was  sollte  es  anderes  sein? 

CLAUDIA 

Ist  es  nicht  irgend  etwas,  was  man  sonst  Liebes- 

178 


tränken  beizumischen  pflegt  ?  Ich  habe  Gründe,  das  an- 
zunehmen. 

CAPPONI 
Was   fällt   Euch   ein!     Ich   heiße   Capponi,    wohl- 
gemerkt: Capponil   Und  gebe  ich  mich  nicht  mit  den 
sonderbaren  Alischungen  ab,  wie  andere  Leute,   wie 
Basini  zum  Beispiel! 

CA7ERINA 
Was  gibt's  bei  Basini? 

CAPPONI 

Gott  behüte  mich,  davon  zu  reden !  Ich  könnte  ihn 
an  den  Galgen  bringen  und  die  Damen,  die  bei  ihm 
kaufen,  nicht  minder!    Ach  Gott! 

CATERINA 
Was   sagt   Ihr?    Zu  Claudia.    Gestern   erst   habe   ich 
deine  Schwester  in  seinen  Laden  treten  sehen. 

CAPPONI 

Er  könnte  zwar  sagen,  es  ist  Zufall,  daß  man  ihn 
nachts  in  der  Nähe  des  Friedhofs  umherstreichen  sieht; 
aber  ist  auch  das  Zufall,  daß  er  neben  der  Friedhofs- 
mauer um  Mitternacht  mit  den  Nägeln  die  Erde  auf- 
kratzt ?  Nun,  ich  will  nicht  mehr  sagen,  um  so  mehr, 
als  Basini  nichts  anderes  tun  kann,  wenn  er  sich  seine 
Kunden  erhalten  will.  Denn  bei  ihm  kaufen  eben  nur 
Frauenzimmer,  die  Ungeheuerlichkeiten  nötig  haben, 
um  ihre  Liebhaber  zu  entflammen;  zu  Eurem  ergebenen 
Diener  hingegen  kommen  die  schönsten  Frauen  von 
Bologna,  die  nur  zu  lächeln  brauchen,  um  aus  jedem 
Mann  zu  machen,  was  sie  wollen! 

BASINI 

ist  langsam  die  Straße  von  rückwärts  nach  vorn  gekommen.    Es  ist 
ein  langer,  hagerer,  ältlicher  Mann,  der  die  anderen  mit  Überlegen- 
heit bebandelt. 

Guten  Abend! 


179 


CAPPONl 

Das  ist  er.  Er  macht  den  Frauen  Zeichen.  Eben  hab'  ich 
von  deinen  vorzüglichen  Gewürzen  und  Seifen  ge- 
sprochen, mein  teurer  Basini. 

BASINI 
Hat  er  gesagt,  daß  ich  ein  Giftmischer  bin? 

CA7ERINA 
So  was  Ähnliches! 

BASINI 
Tut  nichts,  morgen  sind  ja  doch  alle  Menschen  gleich 
in   Bologna,   Giftmischer  wie   ich   und  Ehrenmänner 
wie  du! 

CAPPONl 
He,  Basini,  bist  du  so  verzagt?    Ich  nicht!    Unsere 
Mauern  sind  stark,  und  unser  Herzog  ist  ein  Held! 

BASINI 
Was  hilft  das  alles  gegen  einen  Teufel  wie  Borgia  ? 

CA7ERINA 
Teufel,  sagt  Ihr?    Er  soll  so  schön  sein! 

CAPPONl 
Der  Borgia  ist  noch  weit  —  hehe! 

BASINI 

Nicht  so  weit,  als  Ihr  glaubt.  Wie  war'  es  sonst  zu 
erklären,  daß  man  hier  weiß,  was  er  gestern  geschworen 
hat? 

CAPPONl 

Nun,  was  hat  er  denn  geschworen? 

BASINI 

Daß  er  ein  fürchterliches  Gericht  über  diese  gottlose 
Stadt  halten  wird. 


i8o 


CAPPONI 

erschrickt  zuerst;  dann  schlägt  er  Basini  auf  die  Schulter. 
Immer  erzählt  er  Schnurren!    Zu  den  Frauen.     So  ist 
er  —  hab'  ich's  nicht  gesagt  ? 

BJSINI 

Nun,  was  mich  anbelangt,  ich  habe  meinen  Laden 
gesperrt  und  tu'  ihn  nie  wieder  auf. 
Soldaten  ziehen  vorbei. 

CLAUDIA 

Warum  tut  Ihr  Euern  Laden  nie  wieder  auf? 

BASINI 

Für  wen?    Glaubt  Ihr,  daß  die  Leute,  die  morgen 
'unsere  Straßen  füllen  werden,  gute  Käufer  sind?  — 
Die  werden  sich  nehmen,  was  ihnen  gefällt! 

CAPPONI 
Aber  was   redest    du   denn  ?      Spricht  er  nicht,   als 
wäre  morgen  der  jüngste  Tag,   als  wäre  morgen  der 
Borgia  in  der   Stadt  ?     Und  die   Franzosen  und  die 
Spanier  dazu  ? 

BASINI 

auf  die  Soldaten  weisend. 
Seht  nur,  seht! 

CLAUDIA 
Woher  kommen  die?    Das  sind  keine  Bolognesen! 

BASINI 
Nein,  das  sind  sie  auch  nicht;  das  sind  die  Leute  des 
Ribaldi,  sie  kommen  aus  Mailand.     Von  der  anderen  Seite 
kommen  auch  Soldaten.    Aber  schaut  Euch  diese  an. 

CAPPONI 
Ist  das  nicht  Rocca  ? 

BASINI 
Ja.    Und  dort  kommt  Fontana,  der  Drechsler  aus 
meiner  Gasse. 


i8i 


CAPPONI 
In  Waffen! 

BASINI 
Ja,  die  ziehen  alle  morgen  hinaus  ins  Feld! 

CAPPONI 
Morgen  ?  Wer  sagt  das  ? 

CLAUDIA 

Morgen,  das  ist  ja  nicht  möglich. 

BASINI 
Es  ist  gewiß.  Der  Herzog  zögert  nicht  länger,  verlaßt 
Euch  darauf! 

CAPPONI 

Rocca !  Rocca !  Er  tritt  auf  einen  Soldaten  zu  und  spricht  mit 
ihm. 

BASINI 
Nun,   haben   die   Damen   auch    einen   Mann   oder 
Vettern  oder  Freunde  unter  diesen? 

CLAUDIA 

Zwei  Vettern  sogar,  aber  mein  Mann  bleibt  hübsch 
zu  Hause.  Er  sagt,  es  wird  nicht  so  gel älirUch  sein,  als 
es  aussieht. 

BASINI 
zu  Caterina. 
Und  Ihr,  gnädige  Frau? 

CA7ERINA 
Ich  habe  nur  einen  Mann,  keinen  Vetter,  und  werde 
auch  niemals  Vettern  haben. 

CAPPONI 

kommt  zurück. 

Nun,  siehst  du,  daß  man  dir  nicht  glauben  darf! 


182 


Es  ist  durchaus  nicht  bekannt,  daß  bereits  für  morgen 

etwas  bevorsteht ;  es  muß  nur  alles  auf  dem  Posten  sein. 

Zzoei  Bürger  sind  herzugetreten. 

ERSTER  BÜRGER 

zum  zweiten. 
Nun,  hört  Ihr? 

ZW  EHER  BÜRGER 
Ich  weiß,  was  ich  weiß!  Drei  Söhne  hab'  ich,  nur 
einer  ist  daheim  geblieben! 

CAPPONI 

Wo  sind  die  anderen  ? 

ZW  EH  ER  BÜRGER 
Die  sind  zum  Valori  gelaufen,  stehen  am  Tore  von 
Vitale,  fuchteln  mit  dem  Degen  und  schreien:  Nieder 
mit  dem  Papst! 

CAPPONI 

Sie  haben  sich  werben  lassen? 

ZW  EH  ER  BÜRGER 
FreiwiUig   sind   sie   hin.     Nieder   mit    dem   Papst! 
haben  sie  geschrieen,  wir  wollen  euch  schützen! 

CAPPONI 

Eure  Söhne  woUen  uns  schützen  ?  Gegen  die  Hun- 
derttausend, die  gezogen  kommen  ?  Niemand  kann 
uns  schützen!  Nein,  nein,  der  Herzog  wird  Eure  Söhne 
nicht  hinopfern  für  nichts  und  wieder  nichts!  So  ist 
unser  Herzog  nicht. 

BASINI 

Gib  acht,  du  redest  dich  um  deinen  Kopf. 

CAPPONI 

in  Angst. 
Was  sagt'  ich  denn  ?    Ist  es  ein  Verbrechen,  wenn 

183 


man  ein  friedlicher  Bürger  ist  ?  Deswegen  ruf  ich  doch : 
Nieder  mit  Borgia!    Nieder  mit  Mariscotti! 

EINIGE  BÜRGER 

die  sieb  unterdessen  angesammelt  haben. 
Der  Hund  Mariscotti!    Tod  dem  Mariscotti! 

CAPPONI 

Es  lebe  unser  Herzog!  —  Nun,  Basini,  warum  rufst 
du  nicht  mit?  Du  schweigst  dich  um  deinen  Kopf! 
He  he! 

ROSINA  NARDI 

ist  aus  ihrem  Gezoolbe  getreten.    Es  sind  wieder  Bürger,  Mädchen 
und  Frauen  dazugekommen,   so  daß  eine   ansehnliche   Gruppe  ver- 
sammelt ist. 

ROSINA 
Nun,  Basini,  wißt  Ihr  was  Neues  zu  erzählen  ? 

BASINI 
Mancherlei!  Wer  weiß,  was  dir  heute  noch  bevor- 
steht, Rosina! 

ROSINA 
Was  soll  das  bedeuten? 

ERSTES  MÄDCHEN 
Was  steht  Rosina  bevor  ? 

BASINI 
Ihr  oder  dir  —  oder  dir  —  oder  dir  —  »«  den  ver- 
schiedenen Mädchen. 

EINIGE 

Nun  was  ? 

BASINI 
Ein  hohes  Glück  und  eine  hohe  Ehre! 

ROSINA 

So  rede  doch  endlich! 


184 


BASINt 

Als  ob  ihr  es  nicht  besser  wüßtet  als  ich! 

VIELE 

Was?    Was? 

BASINI 
Ihr  solltet  nicht  wissen,  daß  der  Herzog  heute  nacht 
■ —  ah  nein,  nie  werdet  ihr  mir  sagen,  daß  euch  das  nicht 
bekannt  ist!     Geht  nur!     Er  macht  Miene,  sieb  zu  entfernen. 

DIE  MÄDCHEN 

dringender. 
Nichts  ist  uns  bekannt !  Was  ist's  mit  dem  Herzog  ? 

ROSINA 
So  quält  einen  doch  nicht,  Basini! 

BASINI 
Ihr  wißt  nicht,  daß  der  Herzog  die  Schönste  von 
euch  —  wenn  ich  sage  euch,  mein'  ich  natürlich  nicht 
nur  die,  die  eben  da  um  mich  herumstehen,  denn  es  ist 
ja  natürlich  ein  Zufall,  daß  gerade  ihr  hier  steht, 
sondern  alle  schönen  Mädchen  von  Bologna  —  ja, 
so  ist  es! 

DIE  MÄDCHEN 
Was  denn  ?    Was  denn  ?    Ihr  habt  ja  noch  nichts 
gesagt!    Was  will  der  Herzog? 

ROSINA 
Daß  der  Herzog  die  Schönste  — 

BASINI 

Die  Schönste  von  euch  heut  abend  in  sein  Schloß 
bescheiden  wird!  —  Aber  ihr  wißt  es  ja  längst! 

EIN  MÄDCHEN 
Nun,  ich  will  eben  nicht  sagen:  wissen. 

i8s 


ZWEITES  MADCHEN 
Ich  hab'  es  schon  gewußt! 

CAPPONI 

Nun,  was  ist's  weiter?  Dergleichen  ist  schon  vor- 
gekommen. 

ROSINA 
Basini,  ist  es  wahr?    Ist  es  wahr? 

BASINI 
Gewiß,  Rosina. 

CAPPONI 

Oh,  wie  billig  hab'  ich  mein  Rosenwasser  verkauft! 

ERSTES  MÄDCHEN 
Aber  sag',   Basini,   wie  will  der  Herzog  denn   die 
Schönste  von  uns  herausfinden? 

ZWEITES  MÄDCHEN 
Es  wird  wolil  notwendig  sein,  daß  man  ins  Schloß 
geht,  sich  melden! 

ROSINA 

zu  Bastnt. 
Ist  es  wirklich  wahr  ?   Oder  habt  Ihr's  nur  für  mich 
erzälilt,  um  mich  ganz  toll  zu  machen? 

BASINI 
Was  fing'  ich  mit  Eurer  Tollheit  an,  Rosina  ? 

ROSINA 

Wo  mag  er  in  diesem  Augenblicke  sein  ?  Basini, 
guter  Basini,  kann  ich's  nicht  sein  in  dieser  Nacht,  so 
will  ich  die  umbringen,  die  es  wird! 

BASINI 
Kommen  ja  andere  Nächte! 

i86 


ROSINA 

Nein,  keine  andern,  das  weiß  ich  gut,  Basini,  so  gut 
als  Ihr! 

BASINI 

Ich  dachte,  Eure  Liebe  wäre  vergangen,  während 
der  Herzog  fort  war?  Man  sah  Euch  doch  mit  so 
manchem  andern  hübschen  jungen  Mann  da  und  dort. 

ROSINA 
Jeder  gab  mir  nichts  als  neue  Sehnsucht  nach  ihm! 

BENNOZZO 

ganz  junger  Burscb;  kommt  rasch  von  links. 

CAPPONI 

Woher  kommst  du  so  atemlos,  du  Schlingel  ?  Wo 
treibst  du  dich  denn  herum? 

BENNOZZO 
Ich  komm'  vom  Turm! 

EINIGE 
Von  welchem  ? 

BENNOZZO 
Denk',  wo  ich  war,  Rosina!    Auf  dem  Turm  des 
Asinelli ! 

ROSINA 
Was  geht  das  mich  an?    Soll  ich  dich  vielleicht  be- 
wundern, weil   du   auf  einen  Turm  geklettert   bist  ? 

BENNOZZO 

Und  was  ich  sah! 

EINIGE 

Nun,  was  denn? 

BENNOZZO 
Wie  eine  rote  Schlange  glänzt  es  fern 
Und  regt  und  windet  sich  und  schleicht  herbei 

187 


Wie  aus  den  letzten  Nebeln!  —  Das  sind  Helme 
Und  Schild'  und  Lanzenspitzen,  die  im  Schein 
Der  Abendsonne  glühn,  so  sagten  mir 
Die  Wachen  auf  dem  Turm.    Und  wißt,  von  Rom 
Und  von  Siena  kommen  sie,  und  unter  ihnen 
Ist  Cesar  Borgia  selbst, 

Bezcegung. 

CAPPONI 
Wer  sagt,  daß  der  Borgia  unter  ihnen  ist  ? 

BENNOZZO 

Sie  alle  sagen's! 

CAPPONI 

Hat  ihn  einer  gesehen?    Der  Borgia  selbst  ist  wohl 
noch  in  Rom! 

BASINI 
Oder  hier  und  dort! 

CAPPONI 

Was  heißt  das  ? 

BASINI 
Wißt  ihr  denn  nicht,  daß  der  Borgia  die  Gabe  hat, 
an  zwei  Orten  zugleich  zu  sein  ? 

CAPPONI 
Was  sagt  Ihr? 

ERSTER  BÜRGER 
An  zwei  Orten  zugleich!    Das  ist  ja   eine  völlige 
Unmöglichkeit!    Er  lacht.   Einige  lachen  mit. 

ZWEITES  M Jüchen 

Nein,  lacht  nicht,  es  ist  wahr,  meine  Mutter  hat  es 
mir  auch  erzählt! 

ERSTES  M Jüchen 

Und  mir  hat's  der  Pater  Marco  gesagt! 
i88 


ROSINA 

zu  Btnnozzo. 
Nun,  wenn  das  alles  ist,  was  du  gesehen  hast  — 

BENNOZZO 

Und  um  die  Mauern  selbst,  ganz  nah,  nicht  weiter 

Als  wir  spazieren  wandeln,  wenn  es  dämmert, 

Da  liegen  sie  zu  Tausend  auf  der  Erde, 

Und  andre  drauß'  in  Feld  und  auf  den  Hügeln, 

Und  immer  neue  kommen,  und  es  ist, 

Als  wäre  jedem  schon  der  Platz  bestimmt; 

So  reiht  sich  Schar  an  Schar  und  lagert  still, 

Kein  Laut  kommt  zu  uns  her.    Was  mag  dies  sein? 

Sie  leben  doch  wie  wir  und  sind  so  nah  — 

Was  ist  es,  was  sie  alle  schweigen  macht 

Und  ihre  Schritte  lautlos  ? 

Staunen.     Flüstern. 

ERSTER  BÜRGER 

erklärend. 
Das  kommt  daher,  weil  sie  eben  noch  viel  weiter 
sind,  als  du  glaubst.  Die  Dämmerung  täuscht  deine 
Augen.  Auch  wird  von  sonderbaren  Spiegelungen  in 
der  Luft  erzählt,  und  es  gibt  Abende,  da  man  Dinge 
sieht,  die  tausend  Meilen  weit  sind.  Wer  weiß,  ob  das 
ganze  Heer,  das  Bennozzo  zu  sehen  glaubte,  nicht 
irgendwo  in  der  Ebene  draußen  rastet,  näher  von  Rom 
als  von  Bologna  ? 

DRITTER  BÜRGER 
Wie  meint  Ihr  das  ?    Spiegel  in  der  Luft  ?    Das  war' 
ja  ein  Wunder! 

BJSINI 
Wozu  an  Wunder  denken,  wenn  sich  die  Sache  auf 
die  einfachste  Weise  erklären  läßt? 

EINIGE 
Wie  denn  ?    Wie  ? 


189 


BASINI 

Nun,  ihre  Schritte  sind  lautlos,  weil  ihre  Füße  nicht 
den  Erdboden  berühren.  Wie  hätten  sie  denn  auch 
so  geschwind  da  sein  können,  wenn  sie  nicht  fliegen 
könnten  i 

EINIGE 
Ja,  ja! 

ANDERE 
Glaubt  ihm  doch  nicht !    Er  hält  euch  zum  Narren ! 

DIE  ERSTEN 

Aber  dem  hier  möchtet  ihr  glauben,  der  sagte,  daß 
die  Luft  ein  Spiegel  ist! 

EINER 

Ein  Spiegel  —  haha!  Er  baut  mit  der  Faust  in  die  Luft. 
Seht  ihr,  wie  er  Sprünge  kriegt  ? 

Durcheinander.    Die  Gruppe  löst  sieb  auf.    Freiere  Bewegung.    Es 
ist  beinahe  dunkel. 

FITTORINO 

kommt  von  hinten  sehr  rasch.   Er  gebt  auf  Rosina  zu^  zieht  sie  nach 
vorn;  in  großer  Aufregung. 

Wo  ist  Beatrice  ? 

ROSINA 
Ich  weiß  es  nicht.    Was  geht's  mich  an  ? 

FITTORINO 

sehr  rasch. 
Es  ist  der  dritte  Abend,  Rosina,  daß  Beatrice,  ehe 
die  Sonne  untergeht,  verschwindet!    Der  dritte  Tag, 
daß  sie  kein  Wort  an  mich  gerichtet,  als  wenn  ich  sie 
eben  fragte.    Was  ist  geschehn  ? 

ROSINA 

Der  dritte  Abend  ?  Sind's  nicht  eben  erst  drei 
Abende,  daß  wir  alle  zusammen  auf  dem  Fest  vor  den 
Toren  waren? 


190 


VH10RIN0 

Und  damals  verschwand  sie  zum  erstenmal!  Weißt 
du's  nicht  mehr  ?  Wir  kamen  allein  nach  Hause,  und 
Beatrice  kam  spät  in  der  Nacht. 

ROSINA 
Sie  hatte  sich  verirrt  —  oder  auch  nicht !  Was  geht's 
mich  an? 

FITTORINO 
Wo  ist  Francesco?    Wann  kommt  er? 

ROSIN  J 
I     Vielleicht  gar  nicht  mehr!  Er  steht  wohl  auf  Wache. 
Wer  weiß,  ob  sie  ihn  auch  nur  noch  auf  eine  Stunde 
fortlassen. 

CJPPONI 
Nun,  Vittorino,  wann  wird  Hochzeit  gemacht  ? 

Junge  Männer,  einige  in  voller  Rüstung,  andere  nur  mit  fV äffen, 
und  Mädchen  geben  lachend  vorüber. 

BASINI 
Heut  machen  viele  Hochzeit,  auch  ohne  Kardinal! 

VH70RIN0 

Was  meint  Ihr,  Basini  ?  Mit  neuer  Angst  zu  Rosina.  Wo 
ist  Beatrice? 

BASINI 

Beatrice  —  vielleicht  ist  sie  ihm  schon  in  die  Arme 
gelaufen! 

VmORINO 

Wem? 

BASINI 
Dem  Herzog! 

VmORINO 

Seid  Ihr  verrückt,  Basini  ?  Wer  ist  dem  Herzog  in 
d^e  Arme  gelaufen? 


191 


BASINI 

Ist  sie  nicht  das  schönste  Mädchen  in  Bologna  ? 

FITTORINO 
Was  redet  Ihr  da  ?    Was  bedeutet  das  ? 

CJPPONI 

Das  bedeutet,  daß  der  Herzog  heute  nacht  das 
schönste  Mädchen  von  Bologna  in  sein  Schloß  führen 
wird. 

FITTORINO 

zuerst  betreten,  lacht  dann. 
Was  für  Unsinn!    Wer  erzählt  dergleichen?    Wer 
glaubt  daran  ? 

ROSIN  J 
Es  ist  wahr !    Es  ist  wahr !    Siehst  du  nicht  ?    Wir 
alle  warten  auf  ihn,  wir  gehen  ihm  entgegen! 

BENNOZZO 

aufschreiend, 
Rosina! 

Alle  gegen  den  Hintergrund  zu. 

CJPPONI 

Wer  sind  diese  vornehmen  Leute? 

BJSINI 
Kennt  Ihr  sie  nicht?    Das  ist  ja  der  Graf  Fantuzzi 
und  seine  Schwester! 

CJPPONI 
So  schwarz  gekleidet  ? 

ERSTER  BÜRGER 
Die  alte  Gräfin  ist  gestorben. 

ZWEITER  BÜRGER 
Darum  war  ja  das  mächtige  Glockengeläut    heut 
nachmittag. 


192 


BASINI 
Seht  Euch  das  Fräulein  da  an,  es  ist  die  Braut  des 
Dichters  Filippo  Loschi. 

EINIGE 

Des  Filippo  Loschi  ?    Einige  grüßen  die  eben  Auftretenden 
und  zerstreuen  sich  dann  gleichfalls. 

ANDREA  und  seine  Schwester  TERESINA  sind  langsam  die  Straße 

nach  vorn  gekommen.    Zwei  Fackelträger  vor  ihnen.    Teresina  verrät 

durch  keine  Miene^  daß  sie  die  Anrede  des  Andrea  versteht. 

ANDREA 

Nun,  liebste  Schwester,  sprich  ein  einzig  Wort! 

Seit  ich  der  Väter  Haus  betrat  und  dich 

Zu  Häupten  unsrer  toten  Mutter  fand, 

Hab'  ich  die  teure  Stimme  nicht  gehört! 

Was  ist  dir,  Teresina  ?    Keine  Träne 

Und  nicht  ein  Laut?    Ich  habe  nicht  gefragt. 

Eh'  aus  der  Gruft  empor  zum  Licht  wir  stiegen; 

Nun  führ'  ich  in  bewegte  Straßen  dich, 

Daß  diese  fürchterliche  Schweigsamkeit 

Im  Rauschen  der  lebend'gen  Stadt  sich  löse; 

Du  folgst  mir  wie  ein  Kind.    Ich  frage  dich, 

Und  wieder  frag'  ich  dich:  Wo  ist  Filippo? 

Wie  kommt's,  daß  er  an  solchem  Tage  fehlt  ? 

Und  nur  ins  Leere  starrst  du  und  du  schweigst. 

Nahm  Schmerz  die  Sprache  dir?    Ist  deine  Stimme 

In  ungeweinten  Tränen  ganz  ertränkt  ? 

Gibt's  etwas,  das,  dem  Bruder  zu  gestehn. 

Dich  mächtig  treibt,  doch  das  gestehn  zu  müssen, 

Dich  so  erzittern  macht,  daß  du  verstummst  ? 

Vergib,  doch  rede!    Mit  neuer  Hoffnung.  Tatst  du  ein 

Gelübde 
Das  dich  für  heut,  für  sieben  Tag'  und  Nächte, 
Für  ewig  schweigen  heißt!    Wär's  das,  du  dürftest 
Das  Haupt  doch  neigen!    Aber  immer  noch 
Kein  BHck,  nicht  die  Gebärde  des  Verstehns! 
Ist,  was  dir  widerfuhr,  so  ohnegleichen, 

Theaterstücke.  II,  ij.  IQJ 


Daß  jede  ird'sche  Art,  dich  mitzuteilen, 
Als  zu  gering  und  schwächlich  dir  erscheint? 

Mit  steigender  Angst. 
Ist  dies  ein  Wahnsinn,  wde  er  nie  erhört  ward? 
Doch  ist  es  das,  so  ruf  ich  ja  in  dich. 
Wie  man  ins  Meer  nach  einem  Leichnam  schreit. 
Der  fern  auf  allzu  stillen  Fluten  hintreibt. 
Wie  schauervoll  ist  dies,  zu  dir  zu  reden, 
Und  ohne  Nachricht  sein,  ob  du's  begreifst! 
Doch  zehnfach  schauervoll,  da  ich  aufs  Neue 
Allein,  unsichern  Losen  preisgegeben, 
Zurück  dich  lass'  in  der  verlornen  Stadt! 
Nun  werd'  ich  diese  Stirn  mit  meinen  Lippen 
Zum  letztenmal  berührn  und  fürchten  müssen. 
Es  ist  nicht  mehr  für  dich,  als  Hauch  der  Luft! 
Und  in  Verzweiflung  jenen  letzten  Trost  — 
Das  Lebewohl  aus  deinem  Mund  —  entbehren! 

Er  wartet  auf  Antwort. 
So  komm!    Ich  will  nach  Hause  dich  geleiten. 
Und  zwingt  mich  deine  fürchterliche  Stummheit, 
So  nütz*  ich  meines  Hierseins  letzte  Stunde 
Zu  einem  Gang,  vor  dem  ich  jetzt  noch  schaudre, 
Da  betteln  meinen  Lippen  so  verhaßt. 
Als  töten  meinen  Händen  —  und  weiß  doch: 
Nur  eins  von  diesen  endet  meine  Qual! 

Sie  geben  beide  ab,  von  den  Fackelträgern  begleitet. 
Während  der  vorhergehenden  Szene  sind  der  alte  Nardi  und  Frau 
Nardi  vor  ihrem  Gewölbe  erschienen,  an  dem  Auslagetiscb  beschäftigt. 

NARDI 

hat  einen  Ring  an  der  Hand. 
Wo  ist  der  kleine  Vittorino?  Ich  w^ll  ihn  loben. 
Sieh  nur,  mein  liebes  Weib,  wie  schön  dieser  Kopf  ge- 
schnitten ist !  Keiner  kann  das  so  gut  wie  er!  Nie  wird 
Francesco  das  zusammenbringen.  Vittorino  ist  der 
Erbe  meines  Ruhms.  —  Wo  bleibt  er  nur?  Wo 
bleibt  er? 

FRAU  NARDI 
Gib  her,  gib  her,  ich  will  ihn  zu  den  andern  tun. 


194 


NARDI 

Zu  welchen  andern?  Warum  sperrst  du  alles  in 
die  Truhen  ?  Und  warum  sperrst  du  die  Truhen  in  den 
Keller?    Was  soll  das  bedeuten? 

FRAU  NARDI 
,   Es  muß  so  sein,  laß  mich  nur  machen. 

NARDI 
weinerlicb. 
Nein,   laß   mir   den  Ring!    Wir  wollen   ihn  noch 
heute  verkaufen. 

FRAU  NARDI 
Wer  denkt  heute  daran,  Ringe  zu  kaufen  ?   Gib  her ! 

NARDI 
Herr  Chiaveluzzi  wird   den   Ring  kaufen.    Er   gibt 
hundert  Dukaten  dafür,  ganz  gewiß  1  Da  wollen  wir  den 
Kindern  Kleider  kaufen!    Wo  sind  sie  denn? 

FRAU  NARDI 
Sie  sind  spielen  gegangen. 

NARDI 
Warum  sind  sie  noch  nicht  zurück  ?   Es  ist  dunkel  — 
warum  sind  sie  noch  nicht  zu  Hause  ?  Beatrice  \\ird  sich 
wieder  verirren,  vnt  gestern. 

Der  du  CHIAVELUZZI  und  sein  Neffe  ORLANDINO  treten  auf. 

CHIAVELUZZI 
Ei,  was  Ihr  sagt!    Die  reizende  Beatrice  hat  sich 
gestern  verirrt  ? 

FRAU  NARDI 
Ihr  wißt  ja  —  vor  sieben  Jahren! 

CHIAVELUZZI 

Nun,  auch  erwachsene  Mädchen  verirren  sich  zu- 
weilen.   Wo  sind  die  reizenden  Töchter,  liebe  Frau  ? 


FRAU  NARDI 
Denkt  Ihr  heute  auch  an  nichts  anderes  ? 

CHIAVELUZZI 
Niemals   an   etwas   anderes   —   niemals!     Ah,   hier 
kommt  die  entzückende  Rosina! 

ROSINA  tritt  auf. 

ORLANDINO 
Guten  Abend,  herrliche  Rosina! 

FRAU  NARDI 
Warum  hast  du  die  Haare  gelöst? 

NARDI 
Wo  läufst   du   denn   herum,   Rosina?    Die  Augen 
wein'  ich  mir  aus !  Wo  ist  Francesco  ?  Wo  ist  Beatrice  ? 

FRAU  NARDI 
Geh  ihnen  entgegen,  dann  wirst  du  sie  finden. 

NARDI 
im  Fortgeben. 
Nun,  ich  will  Euch  zeigen  —  bis  in  den  späten 
Abend  hinein,  bis  in  die  finstere  Nacht  hinein  —  wartet 
nur,  wartet  nur! 

CHIAVELUZZI 

lachend. 
Wie  komisch  ist  der  Alte! 

FRAU  NARDI 
Lacht  nicht  über  ihn! 

CHIAVELUZZI 
Was  habt  Ihr  denn  ?    Warum  soll  ich  nicht  lachen  ? 
Ist  es  nicht  ein  köstlicher  Gedanke,  daß  gerade  wir  zwei 
ihn  zu  dem  gemacht  haben,  was  er  ist? 

196 


i 


FRAU  NARDl 
Schweigt  davon,  um  Gottes  willen!    Heut  wird  es 
uns  heimgezahlt! 

CHIAVELUZZI 
Wieso  heimgezahlt  ?    Was  habt  Ihr  denn  ?    Ihr  seid 
ja  blaß  wie  der  Tod! 

FRAU  NARDI 
Ich  habe  Angst!    Hunderttausend  liegen   vor   der 
Stadt.   An  allen  Ecken  werden  sie  sie  anzünden,  dann 
werden  sie  hereinkommen,  uns  töten,  uns  die  Augen 
ausstechen! 

CHIAVELUZZI 
Ei  was  denn  noch  alles! 

FRAU  NARDI 
Die  Scharen  des  Borgia  sind  fürchterlich!    Es  wird 
sein  wie  das  jüngste  Gericht! 

CHIAVELUZZI 
Wer  sagt  Euch  das  ? 

FRAU  NARDI 
Ich  war  heut   morgen  in  der  heiligen  Beichte,  der 
ater  Macario  hat  es  mir  gesagt! 

CHIAVELUZZI 
Hört  doch  nicht  auf  den !    Die  Pfaffen  schwatzen  ja 
alle  dem  Borgia  zu  Gefallen. 

FRAU  NARDI 
Könntet  Ihr  denn  nicht  zum  Herzog  gehen  und  ihn 
bitten  ? 

CHIAVELUZZI 
Bitten?    Um  was  denn? 

FRAU  NARDI 
Ich  weiß,  Ihr  seid  angesehen  am  Hof.    Wenn  Ihr 


197 


es  tätet  und  noch  einige  so  edle  Herren,  wie  Ihr,  und 
den  Herzog  anflehtet,  er  möge  sich  und  uns  und  die 
Stadt  der  Gnade  des  Borgia  empfehlen,  solang  es 
Zeit  ist  — 

ORLANDINO 

Schönste  Rosina,  fragt  nur  meinen  Oheim!    Denkt 

doch,  Oheim,  sie  will  es  nicht  glauben,  daß  ich  eine 

Truppe  von  zweihundert  Armbrustschützen  anführe 

und  wahrscheinlich  schon  morgen  früh  ins  Feld  ziehe. 

CHIAVELUZZI 

Ja,  wer  jung  ist,  muß  mit!  Auch  ich  ginge  mit, 
wenn  ich  nicht  diese  sonderbare  Schwäche  im  linken 
Bein  hätte. 

FRAU  NARDI 
Uns  werden  sie  auf  der  Straße,  in  den  Häusern 
ermorden ! 

ORLANDINO 
Wenn  wir  sie  hereinlassen! 

FRAU  NARDI 
Francesco  geht  auch  fort.    Heut  früh  hat  er  unsef 
Haus  verlassen. 

ORLANDINO 
Fort  gehen  viele,   aber  wer  wird  wiederkommen  ? 
Rosina,  wer  weiß,  ob  nicht  eben  die  letzte  Nacht  anhebt, 
die  Eurem  zärtlichen  Orlandino  geschenkt  ist! 

ROSINA 
Sagt,  wenn  der  Herzog  durch  die  Straßen  zieht  — 
wie  viele  Fackelträger  begleiten  ihn  ? 

ORLANDINO 

Die  Sitte  des  Hofes  fordert  ein  halbes  Dutzend,  aber 

Seine  Hoheit  hält  sich  leider  nicht  immer  nach  den 

Sitten  des  Hofes.  Rosina,  hört  mich  an!  Ich  bitte  Euch! 

Zehn  Schritte  weit  vom  Tor  von  Garisenda  steht  mein 


198 


kleines  Haus  —  gewiß,  Ihr  kennt  es!  Welchem  Mäd- 
chen in  Bologna  war'  es  noch  nicht  gezeigt  worden! 
Wollt  Ihr  nicht  die  letzte  Gelegenheit,  benützen,  es 
von  innen  zu  besichtigen  ?  Ich  habe  nur  diesen  einen 
Wunsch  mehr  auf  Erden!  Denkt,  es  ist  eine  vater- 
ländische Tat,  einem  jungen  Helden  die  letzte  Nacht 
zu  versüßen!  Rosina,  vielleicht  schon  morgen  um  diese 
Stunde  bleichen  meine  Gebeine  auf  dem  Sand  vor 
Bologna! 

ROSINJ 
Orlandino,  hättet  Ihr  nur  das  nicht  gesagt!    Es  ist 
ein  abscheulicher  Gedanke!   Ich  müßte  immer  an  Eure 
Gebeine  denken!    Nein,  nein,  laßt  mich!    Ich  hätte 
nicht  das  geringste  Vergnügen! 

ORLANDINO 
Herzlose,  o  höchst  herzlose  Rosina! 

FRANCESCO  kommt  in  FT  äffen. 

CHIAVELUZZI 

Ei,  was  seh'  ich,  der  junge  Herr  Francesco  —  so 
wohl  gerüstet! 

ORLANDINO 
Guten  Abend,  Francesco!    Wie  schmuck  siehst  du 
aus! 

FRANCESCO 

nicht  laut. 
Fort  mit  euch! 

ORLANDINO 

Wie  ?    Was  sagst  du  ? 

CHIAVELUZZI 
Wie  so  ein  Degen  an  der  Seite  gleich  kühn  macht! 

ORLANDINO 

Man  könnte  beinah  glauben,  daß  du  einen  Schnurr- 
bart hast.    Wie  sagtest  du  doch? 

199 


FRANCESCO 
Habt  ihr  mich  nicht  verstanden?    Fort  mit  euch! 

FRAU  NARDI 
Was  fällt  dir  denn  ein,  Francesco?    Was  für  Spaße 
erlaubst  du  dir  gegen  diese  vornehmen  Herren? 

FRANCESCO 
Schweigt,  Mutter,  ich  bitt'  Euch! 

ORLANDINO 

Sage,  kleiner  Francesco,  sie  haben  dir  vi^ohl  einen 
Rausch  angetrunken? 

CHIAFELUZZI 

Nur  vor  diesem  v^ilden  BHck  werden  die  Romagnesen 
scharenweise  davonlaufen. 

ORLANDINO 
Kommt,  schönste  Rosina,  wir  wollen  Euern  närri- 
schen Bruder  seiner  tollen  Laune  überlassen  und  den 
herrhchen  Abend,  den  letzten,  der  mir  auf  Erden  ge- 
gönnt ist,  zum  Spazierengehen  benützen. 

FRANCESCO 

Den  letzten,   sagt   Ihr?     Soll  ich's   auf   der   Stelle 
wahr  machen  ? 

ORLANDINO 
Ei,  wie  ?   soll  dieser  Ton  ernsthaft  gemeint  sein  ? 
Nun,  dann  wollen  wir  anders  sprechen!   Er  greift  nach 
dem  Degen, 

FRANCESCO 

bat  seinen  Degen  gezogen. 

ROSINA 

sieht  Francesco  mit  Bewunderung  an. 
Prächtig  steht  ihm  das! 


200 


ORLANDINO 

Ah,  ich  will  meinen  Degen  am  Vorabend  großer 
Taten  nicht  durch  einen  läppischen  Streit  entweihen! 
Mein  Leben  gehört  nicht  mehr  meiner  Laune,  sondern 
meinem  Vaterlande!  Kommt,  Oheim,  entfernen  wir 
uns. 

CHIAVELUZZI 

Jowohl,  ich  entferne  mich.  Aber  im  Fortgeben  keines- 
wegs, ohne  über  diesen  drolligen  Jungen  herzlich  zu 
lachen.  Lacht  mühselig^  in  kurzen^  leisen  Stößen.  Mit  Orlandino  ab, 

FRANCESCO 
Wo  ist  Beatrice? 

FRAU  NARDI 

ängstlich,  aber  absichtlich  stark. 

Was  fällt  dir  denn  ein  ?   Bist  du  verrückt  geworden  ? 

ROSINA 
Aber  hübsch  siehst  du  aus!    Das  muß  man  sagen. 

FRANCESCO 
Wo  ist  Beatrice? 

FRAU  NARDI 
Sie  ist  noch  nicht  zu  Hause.    Was  willst  du  denn 
von  ihr? 

FRANCESCO 

Abschied  von  ihr  zu  nehmen  komm'  ich  nur. 
Und  sie  in  gute  Hut  zu  übergeben. 

FRAU  NARDI 
V/as  bedeutet  das  ? 

ROSINA 
Schläfst  du  heute  nacht  nicht  mehr  zu  Hause? 

FRANCESCO 
Verstandet  Ihr  mich  nicht?    Von  Beatrice, 


201 


Von  niemand  anderm  will  ich  Abschied  nehmen! 
Von  meinem  Vater  auch,  wenn  er's  verstünde! 

FRAU  NARDI 
Wo  kommst  du  her,  Francesco? 

,  ROSINA 
Der  junge  Chiaveluzzi  wird  wohl  recht  gehabt  haben: 
der  Wein  redet  aus  ihm. 

FRANCESCO 

bat  seine  Mutter  beim  Arm  gefaßt;  nur  zu  ihr. 
Du  weißt,  warum  ich  von  Euch  gehe,  Mutter! 
Nur  ein  wiUkommner  Anlaß  ist  der  Tag: 
Denn  selbst,  wenn  Gott  mein  Haupt  beschützt:  — 

dies  Haus 
Betret'  ich  niemals  wieder! 

FRAU  NARDI 
So  wagst  du  zu  deiner  Mutter  zu  sprechen? 

FRANCESCO 

Mutter!! 
Bald  hoff  ich  zu  vergessen,  daß  du's  warst! 
Zu  viele  Niedrigkeit  hab'  ich  gesehn. 
Und  sehe  neue  Schmach  sich  vorbereiten. 
Da  ich  ein  Kind  war,  könnt'  ich's  nicht  verstehn, 
Nur  ahnen.    Aber  jetzt  verging  ein  Jahr, 
Daß  ich  die  Augen  auftat,  und  ich  weiß, 
Was  meinen  Vater  irr  und  elend  machte; 
Und  das,  was  du  gewesen,  wird  aus  der! 
Bereit,  sich  zu  verkaufen,  herzuschenken, 
Dem,  der  sie  will!    Drum  segn'  ich  Tag  und  Stunde, 
Da  ich  dies  schmutz'ge  Haus  verlassen  darf 
Und  Euch  nicht  kennen. 

BEATRICE  kommt. 

ROSINA 

Nun,  da  hast  du  deine  Beatrice. 


202 


FRANCESCO 

ikr  entgegen;  mit  tiefer^  beinahe  angstvoller  Zärtlichkeit. 
Meine  Schwester! 

BEATRICE 
Francesco! 

FRANCESCO 

zu  Frau  Nardi  und  Rosina. 
Laßt  mich  mit  ihr  allein! 

FRAU  NARDI 

in  den  Laden,  ROSINA  in  die  Straße  ab. 

FRANCESCO 

milde,  in  ganz  anderem  Ton  als  früher. 
Woher  kommst  du? 

BEATRICE 
Von  weit  her.    Doch  wer  darf  mich  fragen? 

FRANCESCO 

Ich! 
Dein  Bruder,  Beatrice! 

BEATRICE 

Nein  doch,  niemand. 
Wie  siehst  du  aus?    So  schön!  ach  ja,  wie  anders 
Seit  gestern  abend! 

FRANCESCO 
Beatrice,  hör'  mich! 
Ich  gehe  fort,  du  weißt;  doch  hab'  ich  Angst 
Um  dich!    Ich  möchte  dich  geborgen  haben, 
In  guter  Hut,  bevor  ich  geh'. 

BEATRICE 

Was  willst  du  ? 

FRANCESCO 
In  diesem  Haus  darfst  du  nicht  langer  weilen! 


203 


Ich  habe  so  viel  Angst  um  dich!    Mir  ist. 

Als  war'  in  dir  ein  Feuer  aufgeloht, 

Das  seinen  Strahl  ins  Ungewisse  sendet, 

Und  ich  kann  nicht  mehr  wachen  über  dich! 

Ich  wollt',  du  bliebest  gut,  und  fühle  sehr, 

Dies  steht  nicht  so  bei  dir,  wie  sonst  bei  Menschen  - 

Und  ich  kann  nicht  mehr  wachen  über  dich! 

Doch  weiß  ich,  was  auch  immer  dir  bestimmt, 

Fand'  ich  dich  anders  wieder,  als  ich  will, 

Vor  Ekel  stürb'  ich  oder  spie'  dich  an! 

Ich  wollt',  du  bliebest  gut  und  nähmst  den  Besten, 

Nähmst  Vittorino,  der  dich  liebt,  zum  Mann. 

BEATRICE 
Ich  weiß,  daß  du  das  willst. 

FRANCESCO 

Laß  mich  für  ihn 
Zu  deinem  Herzen  sprechen,  Beatrice. 
Und  auch  für  mich,  daß  ich  in  Ruhe  ziehn  kann, 
Wohin  es  Gott  gefällt.    Nimm  ihn  zum  Mann. 

BEATRICE 
Wo  soll  ich  mit  ihm  leben? 

FRANCESCO 

Nicht  bei  diesen 
Und  nicht  in  dieser  Stadt! 

BEA7RICE 

Sie  sagen  alle. 
Daß  keiner  mehr  die  Stadt  verlassen  kann. 

FRANCESCO 

Dies  mag  schon  morgen  wahr  sein,  heute  nicht; 
Noch  sind  die  Straßen  gegen  Osten  frei. 
Wenn  Hundert  oder  Tausend  dorthin  zögen, 
Wär's  ihr  Verderben;  doch  vertrau'  mir  nur. 
Euch  beiden  weis'  ich  einen  sichern  Weg. 


204 


BEA7RICE 
Was  soll  dies  ?    Heute  noch  ? 

VniORINO  MONALDI  kommt. 

FITTORINO 
Teure  Beatrice,  seh'  ich  Euch  endlich  wieder! 

BEATRICE 
Guten  Abend,  lieber  Vittorino! 

FRANCESCO 
Ich  sprach  mit  meiner  Schwester,  Vittorino. 

FITTORINO 
Hast  du's  getan  ?  Nun  wird  mich  Beatrice  für  einen 
rechten  Knaben  halten,  daß  ich's  nicht  selber  gewagt 
habe.  Und  was  sagte  Beatrice  ?  —  Nein,  sprich  nicht, 
Beatrice,  nicht  gleich,  nicht,  solang  du  mich  mit  diesen 
fremden  Augen  ansiehst! 

FRANCESCO 
Mein  guter  Vittorino,  's  ist  nicht  Zeit, 
Die  Antwort  aufzuschieben,  wie  sie  sei. 
In  kurze  Frist  ist  heute  viel  gedrängt, 
Und  Stunden  gelten  Tage,  Tage  —  Jahre. 

BEATRICE 
Francesco,  ja,  so  ist's! 

FRANCESCO 

Drum,  Beatrice, 
Gib  Vittorino  schnell  dein  Ja,  wenn  du 
Gewillt  bist,  ihm's  zu  geben. 

FITTORINO 

Aber  wenn's  ein  Nein  ist,  sag'  es  nicht  gleich,  daß 
es  nicht  wie  ein  Stich  in  mein  Herz  fährt.  Laß  mir 
noch  ein  paar  Augenblicke  der  Hoffmung.    Zu  Francesco. 


205 


Ich  fürchte  ihre  Antwort,  Francesco!  In  diesen  letzten 
Tagen  schien  sie  so  fern  von  mir  zu  sein.  Zu  Beatrice. 
Immer,  wenn  die  Sonne  sank,  Beatrice,  warst  du  ver- 
schwunden. Ich  weiß  ja,  daß  du  nur  auf  den  Hügeln 
und  Wiesen  vor  dem  Tor  umhergewandelt,  —  aber 
bist  du  nicht  schon  weit,  wenn  du  nur  die  Augen 
wendest  ?    Drum  hab'  ich  Furcht  vor  deiner  Antwort. 

BEATRICE 
Hab'  keine,  Vittorino! 

VIT10RIN0 

mit  plötzlichem  Mut  und  Hoffnung, 
Liebst  du  mich  denn  ? 

BEATRICE 

Nein,  Vittorino.    Aber  ich  will  tun, 

Was  du  ersehnst,  und  was  Francesco  wünscht. 

Mein  Bruder  ist  sehr  klug.    Und  sieh,  ich  glaube, 

Geborgen  werd'  ich  sein  an  deinem  Herzen 

Wie  sonst  bei  niemand.    Nicht  nach  deinen  Küssen 

Verlangt's  mich,  Vittorino,    Aber  ausruhn 

Möcht'  ich  bei  dir,  weil  ich  so  müde  bin. 

FRANCESCO 
Was  ist's,  das  du  erlebtest,  Beatrice? 

VITTORINO 

angstvoll. 
Frage  sie  nicht,  frage  sie  nicht!    Es  ist  an  mir,  sie 
später  einmal  zu  fragen.  Weißt  du  denn  auch,  Beatrice, 
daß  wir  noch  heute  als  Vermählte  die  Stadt  verlassen 
sollen,  wenn  es  möglich  ist? 

BEATRICE 
Heut?  —  I 

FRANCESCO 
Nur  heut  ist's  möglich,  und  drum  muß  es  sein! 

zo6 


So  hört  mich:  In  San  Stefano,  der  Kirche, 
Erwartet  euch  der  Priester,  der  euch  traut. 
Ist  dies  geschehn,  geleit'  ich  euch  zum  Tore 
Von  San  Vitale.    Dort,  auch  mir  nicht  länger 
Als  seit  der  heut'gen  Früh'  bekannt,  entspringt 
Ein  Gang,  der  unter  Mauerwerk  und  Erde 
Bis  zu  der  alten  Villa  des  Larangi 
Und  dort  im  Garten  wieder  aufwärts  führt. 
Nun,  aus  dem  Garten  auf  den  Weg  nach  Lugo, 
Daß  ihr  noch  Budrio  vor  Tag  erreicht. 
Und  dann  — 

FITTORINO 

Sind  wir  erst  dort,  so  dürfen  wir  dem  Himmel  schon 
für  unsere  Rettung  danken.  Von  Budrio  fahren  wir  im 
hellen  Tageslicht  nach  meiner  Vaterstadt,  ich  führe 
dich  zu  meinen  Eltern,  und  sie  werden  ihre  Tochter  mit 
Entzücken  umarmen.  Alles  ist  bereit,  daß  ich  daheim 
in  wenig  Tagen  meine  Werkstatt  öffnen  kann.  Wahr- 
lich, ich  seh'  ein  Leben  voll  Arbeit  und  voller  Freude 
vor  mir! 

BEJTRICE 
Gut  habt  Ihr's  ausgesonnen,  wenn  es  glückt. 

FRJNCESCO 
Nicht  ohne  Fährlichkeit  ist  aUes  dies. 
Doch  gibt's  noch  immer  vielfach  beßre  Hoffnung, 
Als  in  Bologna  diese  Nacht  zu  weilen. 

BEATRICE 

So  werd'  ich  Vittorinos  Gattin!    Denk'  nur! 
Wie  sich  dies  endlich  fügt!  —  und  spielten  doch 
Vor  einem  Jahr  noch  draußen  auf  den  Wiesen! 

FITTORINO 
Beatrice,  wie  lieb'  ich  dich! 

BEATRICE 
Ja,  wahrlich,  Zeit  ist  nur  ein  Wort,  nicht  mehr! 


207 


Schau'  ich  nur  dich,  Francesco,  an!    Noch  gestern 
Warst  du  ein  Kind,  und  heut  bist  du  ein  Mann. 
Und  jenes  Märchen  — 

FRANCESCO 

Denkst  du  jetzt  an  Märchen? 

BEATRICE 
Hat's  nicht  der  Vater  uns  gar  oft  erzählt? 
Von  einem,  der  den  Kopf  ins  Wasser  tauchte 
Und  träumte  da  von  so  viel  Abenteuern, 
Daß  sie  im  Wachen  zwanzig  Jahre  währten,  — 
Und  taucht'  empor,  da  war's  ein  Augenblick. 
Sie  jährt  sieb  üben  Haar. 

FITTORINO 

Was  hast  du  Beatrice?    Warum  greifst  du  dir  an 
die  Schläfen? 

BEATRICE 
Ob  mir  das  Haar  noch  feucht  ist. 

FRANCESCO 
Was  flog  durch  deine  Sinne,  Beatrice, 
In  dieser  letzten  Abendstunden  Schwüle  ?  — 

FITTORINO 

Frage  sie  nicht,  Francesco! 

BEATRICE 

Nein,  Vittorino,  niemals  wollen  wir 
Um  Träum'  einander  fragen.    Wach  sein  nur 
Ist  Leben,  und  gemeinsam  ist  das  Licht. 
Bring'  mich  nach  Lugo,  lieber  Vittorino! 

FITTORINO 
Ja,  Beatrice,  dahin  will  ich  dich  führen,  dort  wird 
dir  ein  Heim  bereitet  sein,  wo  du  von  deinen  Träumen 
ausruhen,  wo  du  sie  vergessen  wirst. 


208 


FRANCESCO 
So  sagst  du  ja  zu  allem,  Beatrice ? 

BEATRICE 
Sagt'  ich's  noch  nicht?    Ja,  Vittorino,  ja! 

FRANCESCO 
So  komm! 

BEA1R1CE 
ZuT  Kirche? 

FRANCESCO 

Doch  zuerst  ins  Haus, 
Daß  dich  der  Vater  segne. 

VITTORINO 

Wird  er  es  denn  verstehen? 

FRANCESCO 
Auch  eines  Kinds  Gebet  steigt  auf  zu  Gott. 
Warum  das  seine  nicht  ? 

VITTORINO 

Beatrice,  ich  danke  dir!  Ich  bin  sehr  glücklich! 
Fühle  nur,  daß  du  mir  alles  bist.  Zwar  weiß  ich,  daß 
du  deiner  ganzen  Art  nach  zu  anderm  geboren  bist, 
als  eines  einfachen  Gewerbsmanns  Frau  zu  sein.  Be- 
denk' aber  auch  dies,  daß  du  dich  mit  deinem  W^orte 
mir  für  immer  geschenkt  hast,  daß  niemand  auf  der 
Welt  dir  so  viel  Liebe  geben  kann,  als  ich,  und  daß  ich 
unfehlbar  sterben  müßte,  wenn  du  jemals  deines  Worts 
vergäßest. 

Alle  drei  ab  ins  Gewölbe. 

Vier  Fackelträger  erscheinen  in  der  Tiefe  der  Straße.    Hinter  ihnen, 

langsam  nach  vorn  schreitend,  der  Herzog,  Carlo  Magnani,  Guidotti, 

der  junge  Malvezzi  und  einige  andere  Edle. 

HERZOG 

Ich  wüßte  keinen  Bessern  für  dies  Amt. 

Theatcrttflcke.  II,  j^,  2O9 


MAGNANI 
So  sehr  mich  meines  Fürsten  Gnade  ehrt, 
Ich  wage  der  Entgegnung  kühnes  Wort. 
Ob  auch  vor  anderm  mich  der  Wunsch  bewegt, 
An  einem  Tag,  wie  der  uns  morgen  anbricht. 
Zur  Seite  meinem  teuern  Herrn  zu  sein. 
Ich  spräch's  nicht  aus,  wüßt'  ich  nicht  den  zu  nennen, 
Den  Fügung  des  Geschicks  dazu  ersah, 
In  dieser  Stadt  zu  bleiben,  wenn  wir  gehn. 

HERZOG 
Ihr  meint  Andrea. 

MAGNANI 
Keinen  andern,  Herr! 
Ihm  starb  die  Mutter,  und  die  Schwester,  sagt  man. 
Verfiel  in  eine  Art  von  stillem  Wahn. 
Ich  bitt'  Euch,  Herr,  laßt  ihn  daheim  für  mich! 

HERZOG 
Das  kann  ich  nicht.    Ich  will  ihn  bei  mir  haben 
An  einem  Tag,  vnt  der  uns  morgen  anbricht. 
Ich  lieb'  Andrea  mehr  als  Euch,  Magnani.  — 
Seid  mir  darum  nicht  bös',  Ihr  seid  mir  wert! 
Auch  bleibt  die  junge  Gräfin  nicht  allein. 
Denn  folgt  Andrea  meinem  Rat,  noch  heut 
Vermählt  er  sie  dem  Jüngling,  den  sie  liebt. 
Nicht  trotz  der  Mutter  Tod, 
Nein,  weil  sie  starb.    Zu  trauern  ist  nicht  Muße, 
In  solcher  Zeit;  auch  trocknen  Tränen  schnell, 
Die  Jugend  den  erfüllten  Losen  nachweint. 
Ich  selbst  will  diesen  Bund  mit  Freude  segnen  — 
Willkommne  Art,  nicht  mit  des  Fürsten  Huld, 
Nein,  wie  ein  Freund  Filippo  zu  begrüßen. 
Laßt  uns  ins  Schloß  zurück!    Dort  wartet  unser 
Mit  manchen  andern,  die  wir  hinbeschieden, 
Zu  dieser  wunderlich  vermischten  Feier, 
Die  so  der  Rückkehr  wie  dem  Abschied  gilt, 


210 


Filippo  Loschi,  und  ich  will  ihn  kennen. 

Sie  kommen  weiter  nach  vorn. 
Ist  das  dieselbe  Straße  nicht,  Malvezzi  ? 

MALVEZZI 

Die  Straße  von  Azeglio,  Herr!    lächelnd.  Dieselbe  — 
Und  hier  das  Haus,  vor  dem  die  Schöne  stand. 

HERZOG 
Wir  sahn  so  viele  jetzt  auf  unserm  Gang, 
Es  war  doch  keine  schön  wie  sie! 

MALVEZZI 

Mein  Fürst, 
Daß  wir  so  viele  sahn,  ist  Zuia.]l  nicht. 
Ein  wunderlich  Gerücht  durchlief  die  Stadt, 
Das  trieb  sie  Eurer  Hoheit  in  den  Weg. 

HERZOG 
Welch  ein  Gerücht? 

MALFEZZI 

Es  heißt,  daß  Eure  Hoheit 
Geneigt  sei,  eine  Schöne  zu  erwählen 
Für  diese  letzte  Nacht,  die  letzte  vor  — 

HERZOG 

Vor  morgen  sagt,  so  sagt  Ihr  nicht  zu  viel 

Und  nicht  zu  wenig.    Nun,  kein  übler  Einfall! 

Warum  kam  er  nicht  mir  und  schon  heut  Mittag 

An  dieser  Stelle?  —  Doch  's  ist  besser  so! 

Was  uns  noch  übrig  ist  von  dieser  Nacht, 

Sei  zu  erlesnern  Freuden  aufgespart, 

Als  uns  der  Frauen  leichte  Gunst  beschert. 

Denn  wahrlich,  oft  genug  hab'  ich  versucht, 

Dem  sich  so  viele  Wunder  offenbarten, 

Auch  dies  zu  kennen,  das  Ihr  Liebe  nennt. 

Ich  weiß  von  Wunsch  und  Lust  und  Überdruß  — 

14«  2U 


Das  Wunder  füMt'  ich  nie!    Und  daß  Ihr  lächelt, 
Malvezzi,  ist  nicht  klug! 

MALVEZZI 

Vergebt  mir,  Herr! 

HERZOG 

Was  für  ein  Geck  Ihr  seid!   Ich  weiß,  Ihr  dachtet 
Des  Mädchens  von  Byzanz,  das  für  den  holden  Blick, 
Der  Eurer  Jugend  galt,  so  schwer  gebüßt. 
Doch  hätt'  icli  die  geliebt,  wär's  Euer  Leib, 
Der  heut  im  Grund  des  fernen  Meeres  modert, 
Und  nicht  der  ihre. 

MALVEZZI 

Einer  andern  dacht'  ich,  die 
Um  Euch,  mein  Fürst,  ein  Reich  und  einen  Gatten 
Und  endlich  eine  Welt  verließ. 

HERZOG 

Viel  —  meint  Ihr! 
Und  doch  beklag'  ich  ihren  Heimgang  nicht. 
Wohl  ihr,  daß  nicht  mit  leergetrunkner  Seele 
Sie  rückgekehrt  in  ein  verwirktes  Dasein, 
Zu  Ende  lebte  sie  ihr  Glück.    Ich  wollte, 
Es  gingen  alle  so  zu  rechter  Zeit,  — 
So  stünden  wir  an  allen  Gräbern  heiter. 
Wie  ich  an  jenem  stand.  —  Ins  Schloß,  Ihr  Herrn. 

COSINI 

kommt  von  rechts. 

HERZOG 
Cosini!    Führt  der  Zufall  Euch  entgegen? 

COSINI 
Nein,  Herr,  ich  folgte  Eurem  Weg  mit  Willen. 

HERZOG 

Ihr  spracht  Filippo? 


212 


COSINI 
Wohl,  ich  hab's  getan. 


HERZOG 
Wo  ist  er  ?  . .  .  Seine  Antwort  —  ? 


COSINI 

Herr,  kaum  wag'  ich  — 

HERZOG 


So  war  sie  „nein"  ? 


COSINI 
Sie  war  es? 

HERZOG 

lächelnd. 
Nein  ?     Zu  den  anderen.    Hört  ihr  ? 
Was  hält  ihn  ab  ?    Was  nennt  er  selbst  als  Grund  ? 

COSINI 

Um  erst  den  wunderlichsten  mitzuteilen: 
Er  sei  kein  Dichter  mehr. 

HERZOG 

Kein  Dichter  mehr? 

COSINI 

Und  kam'  als  ein  Betrüger  an  den  Hof, 
Folgt'  er  dem  Ruf,  der  einem  Dichter  galt. 

HERZOG 

Als  könnte  wer,  mit  Willen,  nicht  mehr  sein, 
Was  er  gewesen!    Blindgewordne  sehen. 
Denn  tief  in  ihnen  löscht  kein  Zeichen  aus  — 
Und  Loschi  sagt,  —  er  sei  kein  Dichter  mehr! 
Sprich  weiter,  denn  du  gabst  dich  nicht  zufrieden 
Mit  solcher  Antwort,  hoff  ich  sehr. 


213 


COSINI 

So  ist's! 
Doch  keine  beßre  kam.    In  heft'ger  Wallung 
Traf  ich  ihn  an;  auch  zweier  Freunde  Reden 
Gleich  meinen,  wie  in  Zorn,  verschlossen. 

HERZOG 

War 

Andrea  bei  ihm  ? 

COSINI 
Nein,  mein  Fürst;  es  scheint, 
Gelöst  ist  das  Verlöbnis  des  Filippo 
Mit  Teresina.    Seine  Freunde  sagen, 
Er  lieb'  ein  andres  Mädchen. 

HERZOG 

Wer  ist  sie? 


COSINI 


Sie  wissen's  nicht. 


HERZOG 

Wir  hören  mehr  davon, 
Denk*  ich,  wenn  sich  Andrea  wieder  zeigt. 
Doch  wahrlich,  's  ist  beinah  wie  eine  Unbill, 
Die  uns  ein  mißgewandtes  Schicksal  sendet, 
Daß  sich  Filippo  unserm  Ruf  versagt. 
Nein,  mehr  ist's!  —  als  verriete  mich  ein  Freund! 
Denn  wie  man  Freunde  liebt,  so  liebt'  ich  diesen, 
Der  durch  den  Mund  des  Freundes  zu  mir  sprach, 
In  Worten,  wie  in  Befremden,  fragend,  die  nun  Lüge  worden 

sind? 
Und  klangen  doch  so  ohnegleichen  wahr. 
Daß  sie  mich  glauben  machten,  was  ich  selbst 
Doch  nie  gefühlt;  —  daß  mir  aus  ihnen  nur, 
Was  nie  aus  fremder  Glut,  aus  eigner  Lust, 
Bestandener  Gefahr,  für  mich  erlittnem  Tod, 
Nie  aus  des  Lebens  Fülle  zu  mir  tönte! 
Ich  hätt'  ihn  gern  gesehn,  der  das  vermocht  — 


214 


Mit  Worten  . . .  die  nun  Lüge  worden  sind  — ! 
Doch  scheint's,  die  letzte  Nacht  nimmt  andern  Lauf, 
Als  ich  ihr  vorzuzeiclmen  willens  war. 
Kommt,  ihr  Herrn! 

MAGNANI 
Mein  Fürst,  wie  unser  Schicksal  werden  mag, 
Mich  dünkt,  der  Anlaß  ist  noch  fern,  sehr  fern,  — 
Von  einer  letzten  Nacht  zu  reden. 
Dringender. 

Herr, 
Bolognas  Mauern  stehen  fest  wie  je, 
Und  Speis'  und  Trank  sind  da  für  sieben  Tage. 

HERZOG 

Und  war's  für  sieben  Jahre,  Herr  Magnani! 
Was  geht's  mich  an  ?    Aus  ungeheurer  Freiheit, 
Die  nur  des  Himmels  Fernen  eingeengt. 
Seh'  ich  von  heut  auf  morgen  ins  Gefängnis 
Der  ringsumschloßnen  Mauern  mich  gesperrt. 
Ich  trüg's  nicht  einen  Tag,  und  trüg'  es  kaum, 
Wenn  eine  Hoffnung  beßrer  Zeiten  winkte,  — 
Und  uns  winkt  keine! 

MAGNANI 
Herr,  unmöglich  scheint's, 
Daß  ihres  neugeschwornen  Bunds  die  Fürsten 
Neapels  und  Siziliens  vergäßen! 

HERZOG 
Scheint  Euch  unmöglich  ?   Sagt  doch,  nahmt  Ihr  Ein- 
sicht 
In  die  Papiere,  die  bei  Mariscotti 
Gefunden  wurden  ?    Zeigt  sie  ihm,  Cosini  I 

COSINI 

Mein  Fürst,  so  sorgsam  ich  sie  las,  sie  zeigen, 
Daß  man  versucht  hat,  für  die  Pläne  Cesars 


215 


Neapel  zu  gewinnen,  doch  nichts  kündet, 
Daß  der  Versuch  gelang. 

HERZOG 

Er  ist's!    Heut  weiß  ich's! 
Und  weiß  auch,  daß  ich's  wußte  tief  in  mir, 
Wo  wir  an  lichten  Tagen  nicht  hineinsehn, 
Schon  vor  zwei  Monden,  da  wir  in  Neapel 
An  Anjous  Tafel  saßen,  —  wie  ich's  wußte, 
Was  uns  vom  Borgia  droht,  als  uns  in  Rom 
Der  Papst  empfing  mit  heuchlerischen  Armen. 
Im  Abschiedsmahl  war  uns  der  Tod  bereitet, 
Drum  nahm  ich  Abschied,  eh'  das  Mahl  erschien. 

MAGNANI 
Ist  dies  auch  wahr,  noch  eins  bleibt  zu  bedenken. 
Der  Borgia  ahnt  nicht,  daß  es  Euch  geglückt, 
Bologna  zu  erreichen,  Mariscotti 
War  ihm  der  Herr  der  Stadt.    Nun,  da  sein  Plan 
Mißriet,  Bologna  seinen  Herzog  wieder  hat, 
Wer  weiß,  ob  Cesar  nicht  geneigt  erscheint  — 

HERZOG 
Wozu  ?    Davonzuziehn,  wie  er  gekommen  ? 

MAGNANI 
Nicht  das!    Jedoch  Bedingungen  zu  stellen, 
Darüber  man  zu  reden  sich  entschlösse. 

HERZOG 

Bedingungen?  —  So  ist  nichts  mehr  zu  reden! 

MAGNANI 
Und  doch,  Herr!    Wenn  er  nun  nicht  mehr  verlangt, 
Als  die  Gewähr,  daß  künftig  in  Bologna, 
Gleichwie  in  andern  Städten  auch. 
Ein  päpstlicher  Legat  verweilen  dürfte  ? 

HERZOG 
Wohl  war'  das  möglich,  und  auch  mehr  als  das! 

2l6 


Ins  Lager  ladt  er  mich,  den  raschen  Frieden 

Zu  unterzeichnen,  reist,  wie  schon  mit  andern, 

Zum  sichern  Siegel  eines  neuen  Bunds 

Nach  Rom  mit  mir,  und  läßt  zur  größten  Sicherheit, 

Wie  unsern  edeln  Vetter  von  Verona, 

Mich  vor  den  Toren  seiner  Stadt  erwürgen. 

All  dies  ist  möglich,  doch  gewiß  ist  eins: 

Daß  auf  der  Welt  für  mich  und  Cesar  Borgia 

Nicht  Raum  genug  ist,  und  daß  er  der  Stärkre. 

Inmitten  dieses  knechtischen  Italiens, 

Das  Cesar  unter  seine  Füße  tritt, 

Kann  mein  Bologna  nicht  mehr  frei  bestehn; 

Auch  im  besiegten  wird  sich's  leben  lassen  — 

Am  sichersten, —  je  früh'r  —  ich  mich  entfernt.  — 

Was   kommen   muß,   wird  kommen  — ,   doch   nichts 

zwingt 
Den,    der    es    nicht    mehr  schaun  will .  .  .   drauf  zu 

warten. 

Wie  sie  vorwärts  geben,  öffnet  sich  die  Türe  zum  Gewölbe  der  Nardi^ 
und  es  treten  heraus:  VITTORINO,  BEAT  RICE,  hinter  ihnen 
FRANCESCO.  Wie  sie  aus  der  Halle  auf  die  Straße  treten,  kommen 
ihnen  eben  die  Fackelträger  des  Herzogs  entgegen,  und  die  Gruppe 
ist  dunkelrot  beleuchtet.  Der  Herzog  erblickt  Beatrice,  tritt  einen 
Schritt  zurück. 

HERZOG 
Das  ist  sie! 

MJLFEZZl 
Ja,  mein  Fürst,  es  ist  dieselbe. 

HERZOG 

auf  Beatrice  zutretend. 

Nicht  so  geschwind  vorüber,  schönstes  Mädchen! 
Ich  hoff,  Ihr  werdet  Eures  Herzogs  Gruß 
Nicht  ganz  verschmähn. 

FRANCESCO 

Des  Mädchens  Bruder  dankt 


217 


An  ihrerstatt  in  Ehrfurcht  seinem  Fürsten. 

Zu  Beatrice  und  Vittorino. 
Kommt,  laßt  uns  gehn. 

HERZOG 

Nicht  also!    Meines  Grußes 
Erwidrung  hört'  ich  gern  von  dir,  du  Schöne! 

BEAR1ICE 

schaut  den  Herzog  lang  an,  dann  verneigt  sie  sieb. 

HERZOG 
Nicht  daß  du  tief  dich  neigst,  hab'  ich  verlangt! 
So  wollt'  ich,  du  vergäßest,  wer  ich  bin! 

Zu  dem  Gefolge. 
Dies  ist  zu  feierlich,  entfernt  Euch  lieber! 
Ich  will  nicht  sein,  wie  dieser  Herr  von  Pisa, 
Der  mit  dem  Szepter  durch  die  Straßen  ritt! 
Nicht  meines  hohen  Rangs  möcht'  ich  bedürfen, 
Um  dir  zu  sagen  —  sprich,  wie  heißest  du? 

BEATRICE 

Beatrice. 

HERZOG 

's  eine  Stimme  wie  Gesang!    Ich  wollte,  — 
Du  liebtest  mich,  Beatrice. 

FRANCESCO 

Mein  Fürst!  der  meiner  Schwester  Gatte  sein  wird. 
Steht  hier,  und  zu  der  Kirche  geht  ihr  Weg. 

HERZOG 
Zur  Kirche  —  wie  f    Hochzeit  zu  feiern  etwa  ? 

FRANCESCO 
Ihr  sagt's,  mein  Fürst! 

HERZOG 
Steht's  also,  mögt  ihr  gehn.    Nie  war's  mein  Sinn 


218 


In  fremdes  Recht  mit  leichter  Hand  zu  greifen. 
Vergib  mir,  Beatrice,  und  auch  ihr  — 

Beatrice  siebt  den  Herzog  unverwandt  an. 

Was  blickst  du  so  mich  an  und  gehst  nicht  fort? 

FRANCESCO 

Komm,  Beatrice! 

Beatrice  bleibt  stehen. 

HERZOG 
Nun?    War's  etwa  nur 
Ein  listig  Wort  von  Euch,  um  Eure  Schwester 
Vor  mir  zu  schützen  —  wie?   Beinahe  scheint's! 
Denn  Beatrice  schweigt  —  wie  dieser  Jünghng. 

FRANCESCO 
Der  Hoheit  stolze  Nähe  macht  ihn  beben. 
Ich  aber  schwöre,  daß  ich  Wahrheit  sprach, 
Denn  ich  verstund'  es,  dieses  Kind  zu  schützen 
Vor  jedermann,  war'  es  auch  nicht  verlobt. 

HERZOG 

siebt  ihn  an.    Pause,    Dann: 
Wer  bist  du  denn? 

FRANCESCO 
Francesco  Nardi  heiß'  ich, 
In  Eurer  Hoheit  Dienst  seit  heute  morgen! 

HERZOG 
Wer  warb  dich  an  ? 

FRANCESCO 

Ich  nahm  freiwillig  Dienst. 

HERZOG 
Bei  welcher  Schar  ? 

FRANCESCO 

Des  Grafen  von  Fantuzzi. 


219 


HERZOG 

zu  Guidotti. 
Sind  nicht  die  andern,  die  sich  frei  gemeldet, 
Valori  zugeteilt  ? 

GUID07TI 

So  ist's. 

FRANCESCO 

Mein  Fürst, 
Ich  bat's  mir  aus,  dem  Grafen  zuzustehn. 

HERZOG 

Die  Hochzeit  eilt,  wenn  du  Brautführer  bistl 

Zu  Vittorino. 
Und  du  —  wer  bist  du  ? 

FITTORINO 
Ich   heiße   Vittorino   Monaldi,   Eure   Hoheit,   und 
dieses  Mädchen  ist  meine  Braut. 

HERZOG 
Ich  weiß. 

FITTORINO 
Und  mein  ganzes  Glück. 

HERZOG 

mit  einer  Beioegung  des  Widerwillens. 
lOang's  nicht,  als  ob  er  betteln  wollt'  um  sie  ? 
„Sein  ganzes  Glück!"  —  Nimm's  hin  und   geh   mit 

Gott! 

FRANCESCO 
Komm,  Beatrice! 

FITTORINO 

flehend. 
Beatrice,  komm! 


220 


HERZOG 

der  icbon  vorbei  wollte^  wendet  sieb  wieder  um  und  siebt,  wie  Beatric« 

regungslos  dasteht. 

Geht,  sagt'  ich !    War's  zu  mild  ?    Soll  ich  befehlen  ? 

Geh,  schöne  Beatrice!    Nun?    Du  bleibst? 

Denkst  du,  ich  will's  ?    Denkst  du,  wenn  du  vorbei, 

Werd'  ich  dich  rufen  ?    Nicht  einmal  mein  Blick 

Wird  deinem  jungen  Schreiten  folgen,  doch 

Für  diese  wünscht'  ich,  daß  du  endlich  gingst  — 

Ob  du  mich  auch  entzückst,  wie  nie  ein  Weib. 

NARDI  und  seilte  FRAU  sind  aus  dem  Gewölbe  gekommen.  ROSINA 
von  der  Straße. 

FRANCESCO 
Komm,  Beatrice! 

VH10RIN0 

Beatrice  I 

HERZOG 
Wie  stehst  du  so  gebannt  ?    Sagt'  ich  ein  Wort, 
Das  dich  liier  festhält  ?   Droht'  ich  dir  ?    Den  andern  ? 
Verwehrt  Euch  wer  den  Weg?    Zu  seinen  Rittern. 

Macht  Platz,  ihr  alle! 
Geh,  Beatrice!    Aber  Schritt  für  Schritt, 
Und  halt  nicht  inn'  und  wende  nicht  dein  Haupt, 
Und  schwinde  meinem  Aug',  so  rasch  du  kannst! 
Denn  dich  fortschicken,  wenn  du  bleiben  willst, 
Dahin  dich  geben,  wenn's  zu  mir  dich  drängt. 
Dich  nicht  umarmen,  wenn's  dich  selbst  gelüstet. 
Beim  Himmel!    Narrheit  war'  dies,  und  ich  fürchte, 
An  Zeit  gebricht's,  daß  ich  sie  mir  verzieh'. 
Komm  mit  mir,  Beatrice! 

FRANCESCO 

dit  Hand  am  Degen. 
Herzog! 

VH10RIN0 
will  sieb  auf  die  Knie  werfen. 


221 


FRANCESCO 

bäh   ihn  ab. 

HERZOG 
Dein  Will'  ist's,  wie  der  meine,  also  kümmert's 
Hier  niemand  mehr.    Doch  bin  ich  höchst  geneigt, 
Was  unser  Ungestüm  an  frühern  Rechten 
Verletzen  mag,  nach  Kräften  zu  versöhnen. 
Ich  kenne  mehr  als  eine  in  Bologna, 
Die  diesen  Blonden  auf  Viitorino  deutend  mit  Vergnügen 

nähme, 
Und  die  ihm  besser  taugt  als  du.    Er  wähle! 

Es  haben  sieb  immer  mehr  Leute  gesammelt. 

Was  läßt  du  noch  zurück?    Sind  dies  die  Eltern? 

Ich  geb'  euch  Haus  und  Garten,  wählt's  euch  selbst, 

Darin  ihr  wohnen  mögt,  solang  ihr  lebt. 

Und  dies  ist  deine  Schwester?    Heute  noch 

Will  ich,  mit  reichen  Gütern  ausgestattet. 

Zur  Eh'  sie  einem  dieser  Edeln  geben. 

Francescos  Kühnheit  nütz'  ich  gleich  aufs  Beste, 

Mir  zum  Gewinn  wie  ihm,  mach'  ihn  zum  Hauptmann 

Der  kleinen  Schar  am  Tor  von  Saragossa. 

Was  aber,  Beatrice,  schenk'  ich  dir  ? 

Ich  bracht'  auch  Schätze  mit  von  meiner  Fahrt, 

Wie  sie  dem  Sinn  von  Fraun  gefallen  mögen, 

Sie  sollen  alle  dir  gehören:  Steine 

Und  Kleider  aus  Damast  und  Perlenschnüre 

Sind  alle  dein,  und  zu  dem  allen  noch 

Ein  Schleier  von  so  wunderbarer  Schönheit, 

Wie  keiner,  den  ein  Mädchen  dieses  Lands 

Und  niemals  eine  Herzogin  getragen. 

So  kostbar,  daß  der  Fürst  von  Pergamum 

Ihn  und  nur  ihn  allein  als  Hochzeitsgabe 

Der  Fürstin  schenkte,  die  er  sich  erwählt. 

Ich  geb'  ihn  dir  für  eine  einz'ge  Nacht. 

Und  noch  ist's  nicht  genug.    Wenn  es  sich  fügt, 

Daß  du  mir  einen  Sohn  gebärst,  so  schenk'  ich. 

Wofern  ein  unverhofftes  Glück  uns  leuchtet, 


222 


Die  erste  Stadt  ihm,  die  mein  Heer  erobert. 
Und  wahrlich,  mit  je  hellerm  Blick  ich  mich 
In  deiner  Schönheit  Rätselmacht  versenke, 
Je  wen'ger  kühn  erscheint  mir  dieses  Wort, 
Denn  zu  nichts  anderm  als  zu  einem  Sieg 
Kann  ich  aus  deinen  Armen  mich  erheben. 

Eine  größere  Anzahl  Bürger^  Frauen,  Mädchen  sind  berzugekomme». 

Auch    CAPFONI,    BASINI,    BENNOZZO.    —    Schweigen.    — 

Beatrice  steht  regungslos. 

HERZOG 
Nun,  Beatrice,  wart'  ich  deiner  Antwort! 

BEJTRICE 

schweigt. 
Erwartungsvolle  Stille. 

FRANCESCO 
Der  Herzog  von  Bologna  hat,  so  denk*  ich, 
Die  Gnade,  dieses  Schweigen  zu  verstehn. 
Gebt  Raum,   Ihr  Herrn!    Zu  Beatrice  und  Vittorino.     Ihr 

kommt,  der  Priester  wartet. 

HERZOG 

da  alles  ruhig  bleibt. 
Gebt   Raum!    Geschieht. 

Und  Ihr,  verzeiht  mir,  Beatrice, 
Daß  für  so  viel  ich  nur  so  wenig  bot. 
Nehmt's  nicht  als  niedre  Schätzung,   nicht  als  Geiz, 
Ich  seh's,  ich  bin  zu  arm  für  Euch! 

BEATRICE 

Mein  Fürst  — 
Bewegung,  wie  Beatrice  zu  sprechen  beginnt. 
Es  war  zu  wenig  nicht,  nur  nicht  das  Rechte! 

HERZOG 

heftig,  mit  neuer  Hoffnung. 

So  sag'  mir,  was  du  willst!    Vielleicht  besitz'  ich's! 


223 


BEJTRICE 
Gewiß  besitzt  Ihr's.    Denn  ich  will  nur  dies, 
Daß  man  mich  morgen  früh  nicht  schmähen  darf 
Als  Dirne! 

HERZOG 

Die  ein  Fürst  umfangen  hat, 
Und  war  sie  eines  Narren  Spaß  zuvor, 
Ist's  nicht  mehr!    Und  du  denkst,  es  wagte  einer, 
Dich  so  zu  schmähn  ? 


So  flüstern  sie's. 


BEATRICE 

Und  sagen  sie's  nicht  laut, 


HERZOG 
Was  kümmert's  dich? 

BEA1RICE 

Und  laßt  Ihr 
An's  Kreuz  sie  schlagen,  wär's  die  Wahrheit  doch, 
Daß  Ihr  mich  kauftet  —  nur  um  hohen  Preis! 
Darum  behaltet  alles,  Herr,  es  nützt  mir  nichts, 
Doch  nehmt  zur  Gattin  mich! 

Bewegung  des  Erstaunens  ringsum. 

HERZOG 

Wie?  —  Herzogin? 
Er  wendet  sieb  zu  seinen  Rittern. 
Was  meint  ihr  zu  dem  Kind? 

MAGNANI 

Herr,  was  befehlt  Ihr? 

HERZOG 

Was  tätet  Ihr? 

MAGNANI 
Die  Kühnheit  strafen,  Herr! 
Sie  und  den  frechen  Bruder  ins  Gefängnis. 


224 


HERZOG 

zu  GuJdotti, 
Und  Ihr? 

GUIDOTTI 
Mein  Fürst,  die  Strafen  lieb'  ich  nur, 
Daran  zugleich  sich  andre  recht  vergnügen! 
Drum  dächt'  ich,  zeichne  man  auf  offnem  Markt 
Ihr  glühnde  Mal'  auf  Stirn  und  Hals  und  Busen! 

HERZOG 

zu  Malvezzi. 

Und  Eure  Meinung? 

MALVEZZI 

Wenn  mein  Fürst  erlaubt  — 
Zuerst  ins  Schloß  zu  meines  Fürsten  Lust, 
Dann  in  ein  Freudenhaus  zu  andrer  Freude, 
Und  dann  zur  Hochzeit  mit  dem  Bräutigam! 

COSINI 

Mein  Fürst  entscheidet  sich,  ich  bin  gewiß, 
Sich  lachend  abzuwenden  und  zu  gehn! 

HERZOG 

Nun,  hörst  du,  Beatrice,  wie  verwegen 
Dein  Sinnen  allen  diesen  Rittern  dünkt  ? 
Mir  aber  scheint,  sie  seh'n  und  hören  nicht, 
Sonst  senkten  sie  die  Knie'  vor  Beatrice 
Und  flehten  ihres  unbedachten  Worts 
Zur  rechten  Zeit  Vergessen  und  Verzeihn! 
Laß  endlich  deine  Hand  vom  Griff,  Francesco! 
Du,  Beatrice,  reiche  mir  die  Stirn! 
Ich  nehme  dich  zum  Weib,  wie  du  verlangst! 

BEA1RICE 
reicht  ihm  die  Stirn;  er  küßt  sie.  —  Ungeheure  Bewegung. 

FITTORINO 
Ist  dies  alles  wahr?    Träum'  ich! 

Theaterstücke.  II,  15.  225 


FRJNCESCO 
Ndn,  guter  Vittorino,  du  träumst  nicht. 

FITTORINO 
Beatrice ! 

BEATRICE 

tcendet  sieb  nach  ihm  und  betrachtet  ihn  toie  einen  Fremden. 

HERZOG 

Nun  komme,  Beatrice! 

BEATRICE 

Nein,  mein  Fürst! 
Nun  will  ich  Euer  treu  zu  Hause  warten, 
Bis  Gott  aus  Kriegsgefahren  Euch  entläßt! 

HERZOG 
Und  folgst  mir  nicht  als  Braut  noch  heut  ins  Schloß  ? 

BEATRICE 
Das  darf  ich  nicht.    Die  herzogliche  Schwelle 
Betret'  ich  nur  als  Herzogin. 

HERZOG 

So  sei's! 
Du  sollst  sie  heut  als  Herzogin  betreten! 

Wachsende  Bewegung. 
Cosini!  eilt  zum  Bischof  von  Petron, 
Er  halte  sich  bereit!    In  einer  Stunde 
Tritt  Herzog  Lionardo  Bentivoglio 
Mit  Beatrice  vor  den  Traualtar! 

COSINI 

ab. 

HERZOG 

zu  anderen. 
Ihr  rasch  zum  ScUoß,  daß  man  die  Feier  rüste! 
Einige  ab, 

226 


Ihr  andern  durch  die  Stadt!    Bolognas  Adel 
Lad'  ich  zu  dieser  Hochzeit  ein.    Doch  merkt! 
Für  heut  ist  Schönheit  Adel,  nicht  Geburt! 
Ruft  es  so  laut,  daß  es  die  Schläfer  weckt, 
Klopft  an  geschloßne  Fenster  an  und  Hirrt, 
Daß  man  sie  öffne,  und  verträumte  Augen 
Erstaunt  die  edlen  Boten  schaun,  und  ruft: 
Der  Herzog  lädt  euch  zu  der  Hochzeit  ein, 
Die  er  mit  eurer  schönsten  Schwester  feiert! 
Kommt  alle,  ob  ihr  sonst  in  Treuen  schlummert, 
An  eines  Liebsten  oder  Gatten  Brust, 
Ob  ihr  in  keuschen  Betten  einsam  ruht. 
Ob  ihr  von  denen,  die  unstillbar  Glühn 
In  jeder  Nacht  an  neue  Herzen  drängt: 
Kommt  alle,  nur  seid  schön!    Ihr  seid  willkommen! 

Wieder  andere  sind  im  Verlaufe  dieser  Rede  abgegangen. 
Zu  Magnani  und  Malvezzi. 

Ihr  aber  bleibt  zurück!    Ihr  haftet  mir 
Für  dieses  Haus  und  Eures  Fürsten  Braut! 

Zu  den  übrigen. 
Und  ihr  folgt  mir  ins  Schloß!    In  einer  Stunde 
Bring'  ich  die  Hochzeitsgaben,  Beatrice, 
Daß  du  geschmückt,  so  wie's  Bolognas  Herrin 
Geziemt,  vor  Gott  und  Kardinal  erscheinst! 

Et  gebt  mit  Rittern  und  Fackelträgern  ab.    Die  anderen  bleiben  tn 
großer  Erregung  zurück.    Beatrice  steht  regungslos^  lächelnd. 

BASINI 

Nun,  was  sagt'  ich  ?  Bin  ich  von  Gott  erleuchtet  ? 
Werden  die  Dinge  wahr,  die  ich  erlogen? 

FRAU  NARDI 

zu  Beatrice. 

Mein  Kind,  du  glückliches  Kind  —  wir  glückseligen 
Eltern!  Zu  Nardi.  Verstehst  du,  was  geschehen  ist? 
Gibt  dir  das  den  Verstand  nicht  wieder?  O  Himmel! 
O  Himmel! 

i5*  227 


NARDI 
Sehr  hübsch  habt  ihr  das  gemacht,  ihr  Kinder!  Wer 
war  der  schöne  Knabe,  der  den  Herzog  spielte? 

MAGNANI 
zu  Malvezzi. 

Dies  ist  Zauberei!    Gebt  acht,  es  nimmt  ein  böses 
Ende! 

MALVEZZI 

Ah,  sie  ist  schön  —  schön!    Seht  sie  doch  an! 

MAGNANI 
Wir  wollen  auf  der  Hut  sein! 

FRAU  NARDI 
Komm,   Beatrice,   komm!     Ich  will  dir  die  Haare 
lösen,  damit  sie  bis  zur   Erde   herabwallen.    Komm, 
Herzogin  von  Bologna! 

BASINI 
Wozu  der  Jubel  ?   Alle  Laune  und  alle  Gnade  Eures 
Herzogs  gilt  nur,  solang  er  lebendig  ist,  und  morgen 
abend  ist  der  Borgia  in  der  Stadt. 

FRAU  NARDI 
Schweigt  doch,  sonst  wird  man  Euch  einsperren! 
Habt   Ihr   nicht  gehört,  was   der  Herzog  sagte  ?    In 
ihren  Armen  wird  er  ein  Held,   ein  Sieger  werden! 
Komm,  mein  Kind! 

ROSINA 

stand  die  ganze  Zeit  toie  erstarrt  und  läßt  jetzt  ihren  Blick  auf 
Beatrice  ruben^  der  von  tiefstem  Haß  erfüllt  ist. 

NARDI 

ist  ins  Gewölle  gegangen  und  man  bort  ihn  sprechen. 
Wie  dunkel!  wie  dunkel!    Bringt  mir  doch  Lichter! 
Die  Menge  bat  sieb  größtenteils  zerstreut. 

228 


FRAU  NARDl 

KU  einem  Fackelträger. 
He  du,  leuchte  doch  den  Eltern  der  Herzogin  von 
Bologna!    Nun,  geh  doch  voraus! 

Ein  Fackelträger  geht  ins  Gewölbe, 

NARDI 

Wer  lehnt  denn  hier  in  der  Ecke  ?  So  steh  doch  auf! 
Wer  ist  es  denn?  Halte  doch  deine  Fackel  her!  Ei, 
Vittorino!    So  steh  doch  auf!    Bist  du  so  müd' ? 

FRANCESCO 

der  die  ganze  Zeit  wie  verstört  dagestanden^  wird  aufmerksam  und 
gebt  ins  Gewölbe, 

MAGNANI 
Was  sind  das  für  Leute?    Dieser  Alte!    Das  geht 
nicht  mit  rechten  Dingen  zu! 

FRANCESCO 

kommt  aus  dem  Gewölbe^  hält  Frau  Nardi  davon  zurück^  Beatrice 
ins  Gewölbe  zu  führen.    Er  verbirgt  etwas  in  der  Hand. 

Bleib  außen!    Bleib  außen,  Beatrice  1 
Daß  nicht  dein  Blut  erstarre! 

FRAU  NARDI 
Was  ist  denn  geschehn  ? 

ROSINA 

die  rasch  ins  Gewölbe  gegangen  ist. 

Vittorino!    Ohnmächtig  liegt  er  in  der  Ecke! 
FRANCESCO 

einen  Dolch  zeigend,  den  er  in  der  Hand  hielt. 
Der  stak  ihm  in  der  Brust  — 
Er  hat  sich  gut  getroffen! 

MAGNANI 
Was  ist  hier  geschehn? 


229 


ROSINJ 

aufschreiend,  mit  einem  ungeheuren  Haß  auf  Beatrice, 
Er  ist  tot! 

FRJNCESCO 
ßeatrice,  unglückliche  Schwester! 

BEATRICE 
Das  bin  ich  nicht,  Francesco,  nein,  und  sagt'  ich's, 
So  war'  es  Lüge! 

FRANCESCO 

Beatrice! 
Er  siebt  sie  lange  an,  sie  schaut  ihm  ruhig  itu  Auge. 

Ich  will  nicht  Gast  bei  dieser  Hochzeit  sein! 

Sie  hebt  so  furchtbar  an,  wie  ich  von  keiner 

Jemals  gehört.    Der  arme  Vittorino 

Ist  tot,  und  diese,  die  ich  so  geliebt. 

Verlor  ich  mehr,  als  war'  sie  auch  gestorben! 

Denn  einer  Toten  —  Abschiedsworte  rief  ich 

Ihr  nach  und  küßt'  ihr  die  verschloßnen  Augen! 

Für  dich,  o  Beatrice,  hab'  ich  nichts  — 

Kein  Wort  und  keinen  Kuß!    So  fremd. 

Daß  ich  dich  fliehen  muß,  bist  du  mir  geworden! 

Er  eilt  von  dannen.     Dir  Verbau^  fällt. 


t%o 


DRITTER  AKT 

Im  Hause  des  Filifpo  Loscbi.  Geräumiges  Gemach.  Rechts  hinten 
ein  alkovenartiger  Raum,  zu  dem  drei  Stufen  hinaufführen;  schwer« 
dunkelrott  Vorhänge,  halb  gerafft,  scheiden  ihn  von  dem  Haupt- 
raum. Im  Hintergrund  ein  großes  Fenster,  geschlossen,  Blick  auf 
die  Türme  der  Stadt.  Rechts  vorn  eine  Türe,  welche  auf  die  Terrasse 
führt,  offen.  In  der  Mitte  des  Gemachs,  etwas  mehr  gegen  links, 
ein  gedeckter  Tisch,  auf  dem  zwei  Armleuchter  stehen,  jeder  mit 
fünf  Kerzen,  die  berabgebrannt  sind;  auf  dem  Tisch  Reste  eines 
Mahls;  um  den  Tisch  Stühle.  Ein  kleines  Tischchen  nahe  dem  Fenster. 
Jsabella,  Lucrezia,  die  Musikanten,  Filippo.  JSABELLA  sitzt 
auf  einem  Sessel  am  Tisch,  schläft  mit  herunterhängenden  Armen. 
LUCREZIA  liegt  auf  den  Stufen,  die  zum  Alkoven  führen,  den 
Kopf  auf  der  obersten.  Der  erste  Geiger  liegt  auf  der  Schwelle  der 
Terrassentüre  ausgestreckt.  Der  zweite  Geiger  schläft  auf  einem 
Sessel  nahe  dieser  Türe.  Der  Lautenspieler  auf  einem  Stuhl,  den 
Kopf  auf  dem  Tisch.  Der  Flötist  liegt  vor  dem  Tisch  im  Vorder- 
grunde ausgestreckt.  FILIPPO  ktmmt  eben  die  Stufen  vom  Alkoven 
herab,  langsam  durch  den  Saal  nach  vorn. 

FILIPPO 

Sie  schlafen  alle,  Fraun  wie  Musikanten. 
Hier  auf  dem  Boden  stumme  Instrumente, 
Die  leeren  Gläser  da,  noch  feucht  ihr  Grund, 
—  So  viel  Gefäße  ausgerauchter  Freuden! 
War  nicht,  wie  Satan  in  den  Zauberring, 
In  diese  eine  Stunde  alle  Lust 
Der  Welt  geschlossen?    Heiße  Trunkenheit, 
Musik,  Umschlungensein  von  weichen  Armen  — 
Was  blieb  zurück  ?    Nichts  als  befreites  Atmen, 
Daß  es  vorbei,  und  Sehnsucht  nach  Alleinsein! 
So  war'  auch  dieses  ohne  Sinn  versucht. 
Und  nichts  mehr  weiß  ich,  was  mich  hält,  zu  gehn! 
Nach  einigem  Sinnen. 

Doch  eins!    Ein  Wort,  im  Anfang  kaum  vernommen, 

Nun  klingt  es  laut  und  lauter  in  mir  fort, 

Als  griffe  mit  bewegtem  Fingerspiel 

Die  Hoffnung  selbst  an  meiner  Seele  Saiten. 

Wenn's  Wahrheit  würde,  und  sie  käme  wieder. 

Und  dürft's  doch  nur,  um  hier  mit  mir  zu  sterben! 

Die«  wäre,  und  nur  dies  allein  Besitz!     Pc-tse. 


231 


Ist  dies  nur  meiner  Feigheit  neustes  Kleid? 
Herab  mit  ihm!    Nun  steht  sie  nackt  und  höhnt: 
Du  kannst  allein  nicht  fort,  noch  jetzt  verlangt's 
Nach  Beatrice  dich;  und  wie  ein  Kind 
Sich  eine  Puppe  mitnimmt  in  sein  Bett, 
So  willst  du  sie  ins  Nichts  hinübernehmen, 
Die  dich  nicht  faßt,  sich  nicht  und  nicht  das  Nichts! 
Pause. 
Nach  einem  Sinnen,  wie  erwachend.     Ruft. 
Wacht  auf!    Die  Nacht  ist  weit! 

ZWEITER  GEIGER 

erbebt  sieb  kerzengrade  vom  Sessel  und  knickt  gleicb  wieder  zusammen. 

DER  FLÖTIST 

auf  dem  Boden,  greift  nach  seiner  Flöte  und  bläst  einen  Lauf, 

DER  LAUTENSPIELER 

schläft  weiter. 

ERSTER  GEIGER 

streckt  steh,  nimmt  den  Bogen,  klopft  auf  den  Fußboden,  als  wenn 
er  das  Zeichen  zum  Beginn  gäbe. 

Also  vorwärts!      Er  erhebt  sich.    Entschuldigen  Euer 
Gnaden,  ich  bin  nur  einen  Augenblick  eingenickt! 

FILIPPO 
Ein  Augenblick?    So  schlieft  Ihr  stundenlang! 
's  ist  Mitternacht  vorbei! 

DER  ERSTE  GEIGER 

tippt  dem  Lautenspieler  mit  dem  Bogen  auf  den  Kopf. 
Auf,  auf! 

JLLE  MUSIKANTEN 

trbeben  sieb  und  stellen  sieb  auf  der  Terrasse  aufj  bleiben  aber  sichtbar. 

ISABELLA 

ist  erwacht,  lächelt,  schaut  Filippo  mit  großen  Augen  an. 

Mein  schöner  Filippo! 


232 


FILIPPO 
Ich  hoff,  Ihr  ruhtet  wohl  und  träumtet  süß? 

ISABELLA 
Doch  war  nicht  alles  Traum,  nicht  wahr,  Filippo! 

FILIPPO 

Ich  weiß  wahrhaftig  nicht! 

Die  Musikanten  spielen. 
Genug!    Ich  sagte  schon:  Das  Fest  ist  aus! 
Ihr  sollt  nach  Hause  gehn  —  Ihr  alle  mein'  ich! 
Er  siebt  mit  einem  flüchtigen  Blick    Isahella  und  dann  Lucrezia 
an^  die,  gleichfalls  erwacht,  auf  den  Stufen  des  Alkovens  sitzt  und 

den  Filippo  betrachtet, 

ISABELLA 
Du  schickst  uns  fort  ?    Und  mitten  in  der  Nacht  ? 
Bist  Du  so  jung  und  bist  so  rasch  ermüdet  ? 
Und  wohin  soll  man  gehn  zu  solcher  Stunde? 

DIE  MUSIKANTEN 

bereit,  fortzugehen. 
Gute  Nacht,  gnädiger  Herr!    Vielen  Dank!    Gute 
Nacht!    Gute  Nacht! 

FILIPPO 
Euch  ist  gewiß  bekannt,  wo  man  heut  nacht 
Noch  fröhliche  Gesellschaft  findet.    Führt 
Die  beiden  Mädchen  hin! 

ISABELLA 
Doch  bringt  uns  in  die  lustigste  Gesellschaft! 
Zu  Jünglingen,  die  gestern  heimgekehrt 
Aus  einem  Krieg  und  morgen  wieder  fortziehn  — 
Ich  liebe  Jugend  nicht,  die  sparsam  ist! 
Zu  Männern,  die  man  morgen  früh  zum  Tod  führt, 
Bringt  mich,  daß  keine  Scham  die  Lust  verkürze! 

FILIPPO 

Dergleichen  findst  du  heut  genug! 


253 


ISABELLA 

Doch  wollt'  ich, 
Du  wärst  von  diesen  einei-^  mein  FiHppoI 

LUCREZIA 

ist  berheigekommen. 
Ich  weiß,  warum  du  alle  wegschickst! 

FILIPPO 

Wie  ? 

LUCREZIA 
Du  willst  mich  ganz  allein  bei  dir  behalten! 

FILIPPO 
Was  fällt  dir  ein?    Geh  mit  den  andern I 

LUCREZIA 

Nein! 
Filippo,  dies  ist  nicht  dein  Ernst! 

FILIPPO 

Gewiß! 
So  ernst,  als  das  Gleichgült'ge  immer  sein  kann! 

LUCREZIA 

Du  bist  kein  Lügner,  und  dein  Auge  sprach: 
Lucrezia,  bleib! 

FILIPPO 

Wann  hätten  meine  Augen  das 
Gesagt? 

LUCREZIA 
Vor  einer  Stunde,  da  sie  tief 
In  meine  tauchten. 

FILIPPO 

So?    Ich  weiß  nicht  mehr. 
Er  weniet  sieb  entscbieden  ab. 


234 


LUCREZIA 

scbmerzlicb. 
Du  schickst  mich  nicht  fort! 

FILIPPO 

Ganz  gewiß,  Lucrezia! 

LUCREZIA 
Wohin  ? 

FILIPPO 
Törichte  Frage!    Geh,  wohin  du  willst! 

LUCREZIA 

Filippo,  ich  bin  treuer  als  die  andern! 

FILIPPO 

Seit  wann? 

LUCREZIA 
Seit  ich  dich  sah!    Laß  diese  fort  sein, 
So  wirst  du  sehn,  wie  treu! 

FILIPPO 

Für  eine  Nacht! 
Für  einen  Augenblick! 

LUCREZIA 

Und  doch  für  immer! 
Sie  zieht  ein  kleines  Fläscbcben  aus  ihrem  Busen. 

ISABELLA 

zu  den  Musikanten. 
Ich  nehm*  euch  alle  mit  mir  nach  Florenz! 
Dort  sollt  ihr  meine  Hauskapelle  sein! 

Zu  Lucrezia  gewendet. 
Ich  will  so  eine  haben  wie  die  Flavia! 
Lucrezia,  du  —  bleibst  du  ?    Wir  andern  gehn ! 

FILIPPO 
Wart'  nur,  sie  geht  mit  euch. 


235 


LUCREZIA 

flehend. 

Filippo,  laß  mich 
Bei  dir!    Sieh,  was  ich  tu'! 
Sie  leert  aus  dem  Fläscbchen  einige  Tropfen  in  ein  Weinglas, 

FILIPPO 

Ein  Liebestrank  ? 
Dies  faßt'  ich  nie,  daß  solcher  Sieg  Euch  freut! 

LUCREZIA 

Den  hätt'  ich  insgeheim  ins  Glas  geleert. 
Das  ist  ein  andrer. 

FILIPPO 

ernster. 
Und  was  soll's  damit  ? 

LUCREZIA 

Behältst  du  mich  nur  diese  Nacht  bei  dir. 

Beim  ersten  Graun  der  Früh'  wall  ich  ihn  trinken, 

So  glaubst  du  wohl,  daß  ich  die  Treu'  dir  halte. 

FILIPPO 

siebt  sie  an,  greift  nach  dem  Glas,  als  wollte  er  den  Trank  auf  den 
Boden  leeren.     Im  selben  Augenblick  ertönt  die 

STIMME  ERCOLES 

im   Garten, 

Fihppo! 

ISABELLA 
Deinen  Namen  ruft  man,  hörst  du  ? 

FILIPPO 

aufmerksam  werdend. 
Ich  höre.    He!  wer  ist's? 

Er  stellt  das  Glas  auf  das  Tischchen  neben  dem  Fenster. 

236 


ERCOLE 

näher. 

Ich  —  Ercole! 
Er  erscheint  in  der  Tür. 

FILIPPO 

höchst  erstaunt. 
Du  bist's  i   Wo  kommst  du  her  ?   Was  willst  du  hier  ? 

ERCOLE 

sich  vor  den  beiden  Mädchen  verbeugend. 
Ich  finde  mehr,  als  ich  gehofft.    Filippo  — 
Nun  bin  ich  nah  daran,  dich  zu  verstehn! 

FILIPPO 

Was  willst  du  ?  frag'  ich  noch  einmal.   Wie  kommst  du 
Zu  dieser  Zeit,  auf  diesem  Weg  zu  mir? 

ERCOLE 

Nicht  meine  Schuld  ist's,  daß  ich  diesen  wählte. 
Ich  klopft'  an  deine  Tür,  es  war  vergeblich, 
Kein  Diener  tat  mir  auf. 

FILIPPO 

Ich  hab'  sie  fortgeschickt! 
Heut  nacht  soll  jeder  leben,  wie's  ihn  freut. 

ERCOLE 
Das  tun  sie  wahrlich  in  Bologna  heut! 
Vor  deinem  Fenster  rief  ich  dann  —  umsonst! 
Zur  Tür  des  Gartens  eilt'  ich  —  fest  verschlossen! 
So  bheb  mir  nichts,  als  über  deine  Mauer 
Zu  klettern,  und  ich  tat's  und  bin  bei  dir! 

FILIPPO 
Ist,  was  du  bringst,  so  wichtig,  daß  sich's  lohnt. 
Den  Hals  zu  brechen  ? 

ERCOLE 

Wichtig?  —  Nicht  für  dich! 


237 


Auch  komm'  ich  nicht  zu  dir  und  bring'  dir  nichts; 
Den  schönen  Damen  hier  gilt  mein  Besuch. 

ISABELLA 

lachend. 
Was  ist  das  für  ein  Mensch  f    Kennt  Ihr  uns  denn  ? 
Und  kennt  Ihr  uns,  wer  wies  Euch  denn  hierher? 
Gewiß  —  Tibaldi  war's! 

ERCOLE 

Den  kenn'  ich  gar  nicht! 

ISABELLA 

Nigetti! 

ERCOLE 

Diesen  Namen  hört' ich  nie! 
Doch  euch,  ihr  schönen  Mädchen,  kenn*  ich  gut. 

ISABELLA 

Ich  sah  Euch  nie! 

ERCOLE 

Ich  erst  in  dieser  Stunde. 
Doch  weiß  ich  ganz  gewiß,  kam'  Euch  die  Laune, 
All  die  zu  Tisch  zu  laden,  die  Ihr  Hebtet, 
Ihr  müßtet  Stühle  von  den  Nachbarn  leihn. 

ISABELLA 

lachend. 

Ich  hoff,  Ihr  seid  nur  mitternachts  so  frech! 
ERCOLE 

zu  Lucrezia. 
Ihr  aber,  da  Ihr  dreizehn  Jahre  zähltet. 
Habt  solche  Fragen  an  die  Nacht  getan. 
Daß  sie  allein  durch  eines  Jünghngs  Mund 
Euch  die  ersehnte  Antwort  geben  konnte. 
Wagt  nun  zu  sagen,  daß  ich  Euch  nicht  kenne. 
Weil  Eure  Namen  mir  verschwiegen  sind! 

238 


FILIPPO 
Ich  kenne  Leute  von  mehr  Witz,  die  nicht, 
Ihn  anzubringen,  über  Mauern  klettern  1 
Sag'  endlich,  was  du  willst! 

ERCOLE 

Tat  ich's  noch  nicht  ? 
Zu  einer  Hochzeit  lad'  ich  diese  Schönen. 

ISABELLA 
Nun  drückt  er  sich  auf  einmal  vornehm  aus! 

ERCOLE 
Ich  spaße  nicht.    Zu  unsres  Herzogs  Hochzeit 
Lad'  ich  Euch  ein! 

FILIPPO 

Genug  der  Narrenspossen! 

ERCOLE 
Wie?    Possen?    Nun  —  doch  hört! 
Lärm  auf  der  Straße, 

ISABELLA 

Was  ist's  für  Lärm  ? 

FILIPPO 

Betrunkne  treiben  auf  der  Straß'  ihr  Wesen, 
Wie  manchmal  auch  im  Haus. 

ERCOLE 

am  Fenster^  reißt  es  auf. 

Nun  hört  Ihr's  besser! 
Man  bort  Stimmen  von  der  Straße;  dazwischen  klinkt  Frauenlachen. 

DIE  STIMMEN 

einander  ablösend. 
Der  Herzog  von  Bologna  lädt  euch  ein! 
Ihr  schönen  Frauen!   Hochzeit  gibt's  im  Schloß! 


239 


Weit  offen  stehn  die  Tore,  Saal  und  Garten  — 
Der  Herzog  von  Bologna  feiert  Hochzeit  — 
Stimmen,  Lachen  verklingen. 

ISABELLA 
So  Ist  es  wahr? 

ERCOLE 

Mein  Mund  kennt  keine  Lüge! 

FILIPPO 

Was  für  ein  Einfall  ?  Heute  nacht  —  beim  Himmel  — 
Das  ist  *ne  Art,  die  letzte  hinzubringen! 
Und  so  lädt  er  die  Gäste? 

ISABELLA 

Gehn  wir  hin! 
Mich  dünkt,  dort  werd'  ich  finden,  was  ich  suche! 
Isabella  am  Fenster,  Ercole  hei  ihr,  Lucrezia  tritt  zu  ihnen. 

FILIPPO 

für  sich. 

Ob  Beatrice  auch  den  Ruf  gehört? 

Gewiß!  —  Ob  sie  ihm  folgte?  —  Warum  nicht? 

Was  darf  unmögHch  scheinen? 

ISABELLA 

Aber  sagt, 
Wer  ist  die  Braut  ? 

ERCOLE 
Nun  kommt  das  ganz  Verrückte! 
Die  Tochter  eines  Wappenschneiders  ist  sie, 
Ein  einfach  Mädchen,  sechzehn  Jahr  erst  alt  — 
Doch  schön!  —  O  schön! 

FILIPPO 

Ihr  Name  —  ? 


ERCOLE 


Beatrice  Nardi ! 


240 


FILIPPO 

Was  sagst  du  ?    Sag's  noch  einmal ! 

ERCOLE 

Beatrice  — 
Doch  was  bewegt  dich  so  ? 

FILIPPO 

sieb  fassend. 

Euch  doch  nicht  minder? 
Ein  einfach  Mädchen  —  wie  ?  —  der  Name  war  — 
Verstand  ich's  recht  —  Menardi  ? 

ERCOLE 

Beatrice  Nardi. 

Der  Herzog  sah  sie  gestern  auf  der  Straße 

Und  war  entzückt  von  ihr  und  nahm  sie  sich. 

FILIPPO 

sieb  beherrsehend. 
Nahm  sie  sich  ?    Wie  man  eine  Sklavin  nimmt  f 
Er  winkte,  und  sie  folgt'  ihm  ?    Sag'  uns  doch, 
Wie  all  dies  sich  begab!  's  ist  wunderbar! 

ERCOLE 

Noch  wunderbarer,  als  Ihr  denken  könnt. 
Geschah  dies  alles.    Er  begegnet'  ihr, 
Im  gleichen  AugenbHck,  da  sie  —  merkt  auf!  — ■ 
Zur  Trauung  schritt  an  des  Verlobten  Seite. 

FILIPPO 

Sehr  wahr!    Noch  wunderbarer,  als  ich  dachte! 
Sprich  weiter! 

ERCOLE 
Nun,  der  Herzog  hielt  sie  an  — 
Stimmen  auf  der  Straße^  näber  als  früher. 

STIMMEN 
Von  tausend  Lichtern  glänzen  Schloß  und  Garten! 

Theaterstücke.  II,  i6.  24 1 


Kommt,  schöne  Fraun,  der  Herzog  lädt  euch  ein 
Zur  Hochzeit  mit  der  schönen  Beatrice! 

FILIPPO 

Er  hielt  sie  an  —  und  weiter  — 

ERCOLE 

Nun,  sie  sprach: 
In  Euer  herzogliches  Schlafgemach 
Tret'  ich  als  Herzogin,  nicht  anders  ein! 

ISÄBELLA 
Die  Unverschämte! 

FILIPPO 

Und  dieser  Vit wie  hieß  er  nur  —  ich  meine  - 

Der  Bräutigam  —  er  ließ  all  dies  geschehn? 

ERCOLE 

Der  arme  Junge!    Keiner  denkt  mehr  sein. 

FILIPPO 
Gab  sie  gutwillig  hin? 

ERCOLE 
Sagt*  ich's  noch  nicht? 
Aus  Gram  hat  er  sich  umgebracht. 

ISABELLA 

Der  Narr! 

ERCOLE 

Ein   ärgrer,   als  Ihr  meint!    Der  Herzog  trug  ihm 
Als  Gattin  eine  reiche  Dame  an. 

FILIPPO 
Und  sie?    Erstarrt*  ihr  nicht  das  Blut  zu  Eis? 

ERCOLE 
Sie  scheint  nicht  von  so  weichlicher  Gesinnung. 


242 


FILIPPO 

Was  tat  sie,  als  er  starb  ?    Schrie  sie  nicht  auf  ? 
Schien  sie  sich  elend  nicht  vor  allen  Frauen? 

ERCOLE 

Von  einem  Schrei  ist  nichts  bekannt.    Sie  ward 
Mit  aller  Pracht  zur  Hochzeit  angetan, 
Der  Herzog  kam  mit  herrlichen  Geschenken, 
Und  halb  Bologna  folgte  ihrem  Weg, 
Zur  Kirche  San  Petron.    In  aller  Form 
Nahm  dort  der  Kardinal  die  Trauung  vor. 

ISABELLA 
Wart  Ihr  dabei? 

ERCOLE 

Gewß.    Und  ein  Gedränge 
War  in  der  Kirch'  und  auf  dem  Platz  und  solch 
Ein  aufgeregtes  Hin  und  Her,  das  wuchs 
Ins  Ungemeßne,  als  der  Himmel  selbst 
Ein  sonderbares  Zeichen  sandte. 

FILIPPO 

Welches  ? 

ERCOLE 
Im  selben  Augenblicke,  da  Bentivoglio 
Vor  dem  Altar  mit  Beatrice  stand, 
Fiel  aus  den  Lüften  unter  alles  Volk, 
Das  auf  dem  Markt  sich  drängte,  schwarz  geflügelt, 
Ein  angeschoßner  Adler,  schlug  um  sich 
Mit  schweren  Schlägen  und  verendete  alsbald. 

ISABELLA 
Ein  böses  Zeichen! 

ERCOLE 
Wohl!    Das  meinen  alle! 


243 


FILIPPO 

Und  sahst  du  Beatrice  selbst? 

ERCOLE 

Ich  sah  sie, 

Da  sie  herab  der  Kirche  Stufen  schritt. 
Sie  war  sehr  bleich,  doch  von  der  besten  Haltung, 
's  ist  die  geborne  Fürstin,  sagten  manche, 
Doch  andre  sagten  — 

ISABELLA 
Daß  sie  ihn  verhext! 

ERCOLE 

's  ist  auch  ein  Wort  wie  'n  andres. 
Schweigen. 

FILIPPO 

■plötzlicb  lebhaft. 
Nun  seht,  vrie  rasch  der  Ort  sich  fand,  die  Nacht 
In  größrer  Lust  zu  enden,  als  sie  anfing! 
Dankt  diesem  guten  Boten,  laßt  von  ihm 
Den  Weg  euch  weisen  und  lebt  wohl! 

ERCOLE 
So  kommt!    Willst  du  nicht  mit  uns  gehn,   Filippo? 

FILIPPO 
Dorthin  —  mit  Euch? 

Es  blitzt  einen  Augenblick  über  seine  Stirn^  als  dächte  er  an  alle 
Möglichkeiten,  die  sein  Erscheinen  zur  Folge  haben  könnte. 

LUCREZIA 

ganz  nahe  bei  Filtppo. 
Hör'  mein  Gelöbnis,  eh'  ich  geh',  Filippo! 
Da  du  der  Treue  Schwur  verschmähst. 

ISABELLA 

Ich  wette, 
Sie  schwört  dir  was!    Das  ist  so  ihre  Art. 


244 


LUCREZIA 

Mich  wird 
Kein  Jüngling  mehr  umfangen,  es  sei  denn 
An  seines  Lebens  letztem  Tag!  —  Leb'  wohl!  — 
Isahella^  Lucrezia,  Ercole  und  die  Musikanten  links  ab. 

FILIPPO 

allein,  in  höchster  Erregung. 
Sie  feiert  Hochzeit  mit  dem  Herzog  und 
Ich  warte,  daß  sie  wiederkommt!    Von  mir 
Geht  sie  nach  Hause,  läßt  von  Vittorino 
Zur  Ehe  sich  bereden,  geht  mit  ihm 
Zur  Kirche,  trifft  'nen  andern  auf  dem  Weg, 
Der  Herzog  ist,  und  läßt  mit  ihm  sich  trauen, 
Indes  der  andre  stirbt  —  ich  aber  warte! 
Sie,  jenen  Sternen  gleich,  die  einen  Himmel 
In  einem  Augenblick  durchmessen,  jagt 
Durch  eine  ganze  Welt,  seit  Abend  wurde  — 
Und  ich  warte! 

Die  Tür  rechts  öffnet  sich,  Andrea  steht  da. 

FILIPPO 

ihm  entgegen;  spricht  gleich  in  höchster  Erregung  weiter, 
Andrea,  kommst  du  endlich?    Mach'  es  rasch! 
Ich  bin  höchst  ungeduldig,  daß  es  ende! 

ANDREA 

in  großem  Befremden. 
Find'  ich  dich  so  bereit? 

FILIPPO 

Was  zögerst  du  ? 
So  weißt  du  nichts!    Ich  hab'  ein  Wort  gebrochen! 

ANDREA 
Ich  weiß  — 

FILIPPO 

Doch  weißt  du  nicht,  warum  und  wie  — 


245 


ANDREA 
Du  wirst  mir's  sagen.    Darum  kam  ich  her. 

FILIPPO 

So  lausche  gierig,  wie  die  Rache  selbst! 

An  deiner  Mutter  Bett,  die  sterben  wollte. 

Sank  ich  zu  Teresinas  Füßen  hin; 

Der  ich  dreifache  Andacht  weihen  mußte, 

Die  meine  Braut,  die  meines  Freundes  Schwester, 

Die  einer  Mutter  Atem  angstvoll  lauschte  — 

Mit  heißen  Lippen  drängt'  ich  an  ihr  Ohr, 

Und  Worte,  jedes  so  verrucht  und  wild, 

Wie  man  sie  Mädchen  zuraunt  in  der  Schenke, 

Entströmten  diesem  Mund,    Und  als  sie  endlich 

Mit  einem  Blicke  nur  mich  gehn  hieß  und 

Ich  ging,  war's  nicht  die  Reue,  die  mich  forttrieb. 

Nur  Zorn  versagter  Lust.  —  Und  vor  die  Stadt, 

Wo  Spiel  und  Tänze  waren,  eilt'  ich  hin 

Und  warf  mich  weg,  so  ganz  und  so  im  Wahnsinn, 

An  eine,  die  so  vöUig  andrer  Art, 

Daß  ich  wie  einer  bin,  der  hundert  Jahre 

In  einem  Zauberreich  umhergeirrt, 

Wo  man  ihm  alles,  was  ihm  von  der  Erde 

Anhing,  so  nahm,  daß  fürder  die  Gemeinschaft 

Der  Menschen  ihm  verwehrt  ist  und  nichts  übrig. 

Als  was  du  bringst,  —  und  also  nehm'  ich's  hin. 

ANDREA 
Weißt  du  nicht  mehr?  —  so  weiß  ich  mehr  als  du. 
Der  nur  den  eignen  Jammer  kennt;  ich  fand 
In  stummem  Wahnsinn  Teresina  wieder. 

FILIPPO 

entsetzt  zurückfahrend. 

Braucht  es  noch  dies  ?    Und  säumst  du  immer  noch  ? 

ANDREA 
Warst  du  gefaßt,  von  Mörderhand  zu  sterben? 

246 


FILIPPO 

Nicht  so  ... .  ich  kann's  verstehn! 

Er  nimmt  seinen  Degen,  der  nah  dem  Alkoven  an  der  Wand  lehnt. 

Nun  sieh!  Es  soll 
Ein  ehrlich  Fechten  sein  —  ich  will  mich  wehren  — 
Und  nicht  zum  Schein  —  gib  acht  — 

ANDREA 

bat  den  Degen  gezogen. 

Filippo  —  nein! 
Nicht  also  darf  ich  dich  von  hinnen  senden. 

FILIPPO 

Es  will  kein  Gott,  kein  Priester  meine  Beichte. 

ANDREA 

bat  den  Degen  gehoben,  läßt  ihn  zvieder  sinken. 
Was  ist's,  das  mir  den  Arm  mit  einmal  lähmt  ? 
Beim  Himmel!  einen  andern  find'  ich  hier, 
Als  den  mein  Zorn  gesucht:  vor  diesem  da 
Verlischt  mein  Haß,  wie  jählings  ausgeblasen 
Vom  Sturmwind  eines  ungeheuren  Wehs. 
Wohl  sucht'  ich  den,  der  unser  Haus  beleidigt, 
In  Wahnsinn  meine  edle  Schwester  trieb 
—  Doch  den  nicht  minder  —  dem  ich  Freund  gewesen. 
Zwar  töten  wollt'  ich  den,  der  vieles  nahm  — 
Doch  den  beweinen,  der  in  frühern  Tagen 
Mehr  gab,  als  er  uns  jemals  nehmen  konnte  — 
Wie's  Menschen  seiner  Art  von  Gott  geschenkt. 
Wohl  sucht'  ich  einen  schuldigen  Filippo  — 
Doch  wollt'  ich  ihn  so  herrlich  als  er  war! 

FILIPPO 

erregt,  fast  gequält. 
Was  war  ich  denn?    Von  Augenblickes  Gnaden 
War  über  andern  ich  ein  Mensch.    Doch  jetzt 
Tauch'  ich  so  tief  hinab,  daß  ich  zu  Knechten , 
Zu  Bauern  auf  dem  Feld,  mühsel'gen  Trägern 
Aufwärts  wie  zu  Gebenedeiten  schau'! 


247 


Jetzt  neid'  ich.,  deren  Tage,  aufgereiht 

An  eines  Vorsatz'  starr  gewebtes  Band 

Gleich  Edelsteinen,  sich  zum  Dasein  fügen, 

Nicht  schlottern,  falsch'  und  echte  durchgeschüttelt 

Auf  lockrer  Schnur.    So  einer  möcht'  ich  sein, 

Der  festen  Schritts  und  lächelnd  vorwärts  wandelt. 

Derselbe  aufsteht  und  zur  Ruh'  sich  legt, 

Nicht  heute  Gott  und  morgen  Affe  ist! 

Den,  der  heut  seine  Hochzeit  feiert,  neid'  ich. 

Den  Bentivoglio,  der  an  jedem  Tag 

Sein  Leben  trinkt  aus  tausend  klaren  Quellen, 

Und  jede  weckt  den  Durst  und  jede  löscht  ihn. 

Ihn  drückt  der  Stunde  Last  niemals  zu  schwer 

Und  nie  so  leicht,  daß  er  sich  fliegen  däuchte! 

War'  ich  wie  der,  und  war'  ich  über  Menschen 

Wie  über  feuchtes  Gras  dahingeschritten. 

Daß  mir  der  Fuß  vom  Tau  des  Lebens  dampft', 

Das  ich  zertrat,  so  war'  ich  ohne  Unrecht;  — 

Ich  dürft'  es  tun!    Und  trat'  mir  wer  entgegen 

Mit  eines  Rächers  Ansehn,  lacht'  ich  ihm 

Als  einem  Toren  ins  Gesicht.    Doch  mir 

Ziemt  solche  Kühnheit  nicht.    Und  deine  Milde 

Gießt  Scham  wie  glühndes  Öl  in  meine  Seele. 

Als  wer  erscheinst  du  hier,  wenn  du  nicht  strafst? 

ANDREA 
Bist  du  so  eilig,  dein  gequältes  Herz 
Dem  Degen  eines  Freundes  anzubieten. 
So  weiß  ich  eine  beßre  Sühne  —  komm! 

FILIPPO 

befremdet 

Wohin? 

ANDREA 
In  eine  gute,  prangende  Gefahr. 

FILIPPO 

Mit  dir  —  ? 


248 


ANDREA 

Nicht  weit  von  mir!    Folgst  du  mir  hin 
Und  siehst  du  noch  der  nächsten  Sterne  Glanz, 
Dann  will  der  Himmel  selber  nicht  dein  Ende! 

FILIPPO 

Soll  ich  zuletzt  mit  falscher  Münze  zahlen  ? 

Es  war'  nicht  ehrhch,  hinzuziehn  mit  Euch, 

Mich  dir  und  diesen  Braven  zu  gesellen! 

Ein  herrhches  Geschenk  ist  Euer  Leben, 

Wie  mit  hellgoldner  Flut  ein  edler  Becher 

Zum  Rand  gefüllt  mit  tausend  MögHchkeiten. 

Drin  wogen  Abenteuer,  hoher  Ruhm, 

Der  Jugend  Reichtum,  alles  Glück  der  Welt, 

Und  Unermeßnes  trinkt  der  Boden  auf, 

Auf  den's  verschwendrisch  fUeßt  in  blut'gen  Bächea. 

Daneben  meine  Neige  anzubieten. 

War*  so  beschämend  als  betrügerisch. 

ANDREA 
Jetzt  eben  Neige  —  morgen  Überfluß, 
Da  du's  für  ein  Unendliches  dahingibst. 
Und  eh'  du  gehst,  geleit'  ich  dich  zu  einer. 
Der  morgen  sich  des  Klosters  Türe  auftut. 
Um  nie  sich  ihrem  Ausgang  zu  eröffnen. 
Vielleicht  bringt  deine  Reu'  und  dein  Entschluß 
Verlornes  Licht  den  kranken  Sinnen  wieder. 
Die  reine  Hand  erhebt  sich,  dich  zu  segnen. 
Und  dann,  entsühnt,  am  Tore  von  Isaia 
Harrst  du  —  mit  mir  —  des  ungeheuren  Tags! 


Andrea! 

Komm! 


FILIPPO 

ANDREA 

FILIPPO 
Was  zeigst  du  mir,  Andrea? 


249 


BEJTRICENS  STIMME 

draußen  rechts. 

Filippo! 

FILIPPO 

tveicbt  von  Andrea  zurück^  steht  wie  erstarrt. 

BEATRICE 

von  draußen. 
Hörst  du,  Filippo?    Tu  die  Tür  mir  auf! 
Ich  finde  nicht  zu  dir!    Der  Gang  ist  dunkel. 

JNDREA 

höchst  erstaunt^  siebt  Filippo  fragend  ai. 

FILIPPO 

schweigt. 
Kurze  Stille. 

BEATRICE 

von  draußen. 
FiHppo,  hörst  du  nicht? 

FILIPPO 

Ich  komme! 

ANDREA 

Was  ist  die«  ? 

FILIPPO 
Andrea,  geh!    Vergiß,  was  ich  gesagt! 
Gab  ich  ein  Wort  ?    Erschien's  dir  so  ?    Nun  denn, 
Ich  brach  es  noch  einmal.    In  diesem  Augenblick 
Geschieht  so  Ungeheures  — 
Daß  alles  andre  nichts  wird.    Geh!    Leb'  woKl! 

ANDREA 
Filippo! 

FILIPPO 
Sprich  meinen  Namen  nicht  mehr  aus!    Vergiß  ihn! 


250 


Filippo! 
Leb'  wohl! 


BEJTRICE 

von  draußen. 

FILIPPO 


ANDREA 
Auf  immer? 


FILIPPO 

Ja.    Hier  durch  den  Garten 

ANDREA 


Filippo ! 


FILIPPO 

SoU  ich  auf  die  Knie'  vor  dir? 
Dich  bitten,  daß  du  meinen  Namen,  mich 
Und  jedes  Wort  vergißt,  das  ich  gesprochen  ? 

ANDREA 
Es  ist  geschchn! 

Er  gebt  über  die  Terrasse  ab. 

FILIPPO 

schließt  ab. 


Filippo ! 


BEATRICE 

ferner  als  früher. 

FILIPPO 

öffnet  die  Tür  rechts. 


BEATRICE 

noch  draußen. 

Dort  ist's  ?    Ich  ging  ganz  irr.    Nun  bin  ich  da, 

Sie  ist  in  der  Tür  sichtbar:  Weißes  Kleid^  weißer  Schleier  um  dasHaupi. 
Du  ließest  lang  mich  rufen. 


251 


FILIPPO 

im  böcbsUn  Staunen. 

Beatrice! 
Bist  du  des  Herzogs  von  Bologna  Gattin  ? 

BEATRICE 
Ich  bin's. 

FILIPPO 

Und  bist  bei  mir? 

BEATRICE 

Du  siehst  es  ja!  — 
So  nimm  mich  doch  in  deine  Arme!    Karg 
Ist  uns  die  Zeit  gemessen,  mein  Geliebter! 

FILIPPO 

zurückweichend. 
Hinweg!    Wie  dunkle  Schleier  liegt  um  dich 
Der  letzten  Stunden  Rätsel,  schwer  gefaltet! 
Laß  sie  zur  Erde  gleiten,  gleich  wie  den, 
Der  dir  das  Haupt  umhüllt! 

Der  Schleier  gleitet  zu  Boder^ 

BEATRICE 

Sieh,  ich  bin  da, 
Bereit,  mit  dir  den  letzten  Weg  zu  gehn! 
Tut  jetzt  ein  Fragen  not? 

FILIPPO 

Du  bist  mir  fremd, 
Wie  solchen  Wegs  Genossin  mir  nicht  sein  darf. 

BEATRICE 

Wie  anders  glaubt'  ich  mich  von  dir  empfangen! 
Was  kann  dir  alle  Pracht  und  Buntheit  sein 
Vergangner  Stunden,  da  die  letzte  kommt! 
Sieh,  wärst  du,  seit  ich  dich  zuletzt  gesehn, 
Mit  hundert  Teufeln  durch  die  Luft  geflogen, 


252 


Ich  fragte  nicht  darum.    Und  war  ich  selber 
An  diesem  Abend  eine  Königin, 
Der  sich  die  Welten  beugen,  oder  war  ich 
Die  Dirne  eines  Narrn,  was  kümmert's  dich, 
Da  ich  nun  bei  dir  bin,  mit  dir  zu  sterben  ? 

FILIPPO 

Du  kommst  von  deinem  Hochzeitsfest!    Sie  werden 
Dich  suchen! 

BEA7RICE 
Weiß  ja  niemand,  wo  ich  bin! 
Und  niemand  sah  mich  gehn  und  niemand  folgt! 

FILIPPO 
So  sprich,  wie  sich's  begab !   Du  kannst  nicht  mehr.  — 
Dem,  was  geschehn  ist,  in  die  tiefste  Seele 
Zu  schaun,  bin  ich  bestellt,  daß  ich's  ergründe! 
So  sprich! 

BEA1RICE 

Es  ist  nun  einmal  so!    Warum 

Kannst  du's  denn  nicht  verstehn?    Weißt  du's  nicht 

mehr? 
Du  hast  mich  fortgeschickt  um  einen  Traum,  — 
Da  war  ich  so  allein,  und  Vittorino 
Schien  Zuflucht  mir  und  Sicherheit  und  Ruh'. 
Und  als  der  Herzog  kam  und  mich  gewahrte, 
Da  dacht'  ich:  Nun  erfüllt  sich  ja  mein  Traum. 
Und  herrlich  däucht'  es  mich,  die  Fürstin  sein 
An  eines  Fürsten  Seite,  und  so  ward  ich 
Sein  Weib. 

FILIPPO 
Und  warum  bliebst  du  nicht  ?    Warum 
Entflohst  du?    Denke,  was  du  tatest,  —  bist 
Als  Herzogin  aus  deines  Gatten  Schloß 
Am  Tag  der  Hochzeit,  bist  aus  Pracht  und  Größe  — 
Aus  Licht  und  Leben  fortgestürzt  zu  mir! 
Zu  mir,  den  du  vor  kurzer  Weile  lächelnd 
Und  weinend  —  beides  war  um  deine  Lippen!  — 


253 


Verlassen,  bist  zu  mir  zurück,  wo  dich 
Ein  kurzes  und  verderblich  Glück  erwartet! 
Warum?  warum? 

BEATRICE 

Weil  ich  mich  nach  dir  sehnte! 
Mit  solcher  Sehnsucht,  daß  sie  mächt'ger  war 
Als  alles.    Und  je  mehr  die  Stunde  nahte, 
Da  ich  dir  ganz  verloren  war,  so  mächt'ger 
Rang  meine  ganze  Seele  nur  nach  dir! 
Mir  war,  nun  gab'  ich  alle  Größe  hin 
Und  alles  Glück  der  Erde,  Licht  und  Leben  — 
Nur  einmal  noch  in  deinem  Arm  zu  sein! 
Und  wie  Erlösung  aus  der  tiefsten  Not 
Flog  der  Gedanke  auf:  ich  kann  dich  sehen, 
Ich  muß  nur  fort  von  hier  und  hab'  dich  wieder. 
So  eilt'  ich  fort. 

FILIPPO 
Wie  das? 

BEATRICE 

Die  Tafel  war 
Zu  Ende;  lärmend  ist  das  Fest,  im  Garten 
Die  Lichter  flackern.  Schatten  sehn  wie  Menschen 
Und  Menschen  sehn  wie  Schatten  aus,  die  Türen 
Stehn  alle  offen,  üb'rall  drängen  Leute, 
Und  dieser  Schleier  hüllt  mich  bis  zur  Stirn. 
Nun  auf  die  Straße,  aus  des  Schlosses  Nähe, 
Rasch  fort,  und  durch  die  wohlbekannten  Gassen 
Im  Flug  zu  deinem  Haus  —  und  bin  bei  dir! 
Und  bin's!    Siehst  du,  ich  bin's!    So  ist's  gekommen. 
Und  sieh:  mir  ist,  es  könnt'  nicht  anders  sein. 
Du  fragst  mich  aber  so  und  starrst  mich  an. 
Als  wär's  weiß  Gott  wie  wunderUch  geschehn. 

FILIPPO 

sie  lang  betrachtend. 

Nicht  wunderlich,  für  dich  nicht!  —  Nein!  —  Du  bist 


254 


Zu  staunen  nicht  gemacht.    Niemals  hat  dich 

Des  Daseins  Wunder  namenlos  erschreckt, 

Nie  bist  du  vor  der  Buntheit  dieser  Welt 

In  Andacht  hingesunken,  und  daß  du, 

Die  Beatrice  ist,  und  ich,  Filippo, 

Sich  unter  den  unendhch  vielen  fanden. 

Hat  nie  mit  tiefem  Schauer  dich  erfüllt. 

Und  daß  dein  Vater  toU,  füllt  nicht  mit  Bangen, 

Daß  Vittorino  starb,  der  dich  gehebt, 

Nicht  mit  dem  fürchterhchsten  Graun  dein  Herz. 

Und  daß  du  Fürstin  von  Bologna  bist, 

Macht  dich  so  wenig  staunen,  Beatrice, 

Wie  wenn  sich  eine  Mück'  auf  deine  Hand  setzt. 

Und  wenn  Gespenster  aus  dem  Grabe  kämen, 

Beatrice  zittert. 
Ich  weiß,  sie  schreckten  dich,  —  wie  Fledermäuse  - 
Doch  auch  nicht  mehr  und  nicht  auf  andre  Art. 
Und  du  hast  recht.    All  dies,  was  dir  geschehn, 
Ist  nichts.    Des  Lebens  Unruh'  und  Verwirrung 
Mit  allem  rätselvollen  Licht  und  Lärm, 
Mit  aller  Angst  und  allen  Wonnen  —  nichts 
Zu  dem,  was  noch  bevorsteht,  Beatrice, 
An  diesem  Ort,  der  keine  Rückkehr  schenkt. 


BEATRICE 


Den  sucht'  ich. 


FILIPPO 

Doch  begreifst  du's?  Schau' um  dick ! 
All  dies  ist  Dasein  —  das  bist  du,  das  ich. 
Hier  unten  ruht  die  Stadt,  drin  atmen  Menschen, 
Dort  stürzt  ins  Weite  Straß'  und  Straße  hin 
Ins  Land,  ans  Meer,  —  und  überm  Wasser  wieder 
Menschen  und  Städte;  —  ober  uns  gebreitet 
Dies  blauende  Gewölbe  und  sein  Glanz, 
Und  alles  dies  ist  unser,  denn  wir  sind! 
Und  morgen  schon  gehört  es  uns  so  wenig, 
Als  alles  Lichtes  Wunderfülle  Blinden, 


^55 


Gelähmten  aller  Wege  Lust  und  Fernen. 
Bedenk':  ein  hundert] älir'ger  Greis  ist  jünger. 
An  Hoffnung  reicher,  als  wir  beide  sind  — 
Verstehst  du  das? 

BEATRICE 

nickt. 

FILIPPO 

auf  die  Kerzen  deutend.  . 
Sind  diese  hier  erloschen, 
So  sind  wir's  längst  —  verstehst  du's,  Beatrice  ? 
Dein  schöner  Leib,  den  ich  umschlungen  halte, 
Durchrauscht  von  deinem  heißen  Blut,  ist  nichts 
Als  eine  Sache,  wen'ger  als  ein  Stein; 
Der  bleibt,  auch  hingeschleudert,  was  er  war, 
Du  aber,  die  jetzt  duftet  und 'erbebt, 
Sehnsücht'ge  Wünsche  jedem,  der  dich  sähe, 
In  allen  Sinnen  regte,  bald  bist  du 
Ein  Ding,  davor  ihm  graut,  am  nächsten  Tag 
Zum  Ekel  ihm,  Gefahr  am  übernächsten, 
Davor  man  sich  bewahrt  und  tief  dich  eingräbt 
Zu  andern,  die  vermodern.    Und  mich  selbst, 
Mich  würde  schaudern,  dich  im  Arm  zu  halten. 
Der  Haar  und  Kleid  noch  duftet,  nicht  der  Atem! 
Verstehst  du's  Beatrice? 

BEATRICE 
Ja. 

FILIPPO 

Und  dies: 
Nur  mit  den  armen  Worten  der  Gewohnheit 
Nennt  unser  Mund  das  Ewig-Unbegriffne; 
Und  so  wie  jene,  die  im  Glanz  des  Lebens 
Aufleuchten,  uns  ist  auch  der  letzte  Hauch, 
Bevor  er  kommt,  nichts  als  ein  Augenblick. 
Doch  was  er  birgt  an  Ungeheuern  Schrecken, 
Ob  wir  in  tausendfacher  Kraft  und  Qual 


256 


Das  abgelebte  Dasein  neu  durchfliegen, 

Ob  nicht  ein  neues  kommt,   ein  niegeahntes  — - 

Ob  uns  im  freigewählten  Hingang  nicht 

So  nutzlos  schmerzensvolle  Sehnsucht  anfällt. 

Ins  Licht  zurückzukehrn,  daß  alle  Pein, 

Die  wir  jetzt  denken  können,  uns  erscheint 

Wie  Hauch  der  Lüfte  —  niemand  hat's  erzählt. 

BEA1RICE 

sieb  an  ihn  schmiegend. 
Nimm  mich  in  deine  Arme! 

FILIPPO 

Doch  nun  —  denke. 
Daß  Rettung  möglich,  wenn  wir's  kühn  versuchen. 
Schirmt  uns  das  Schicksal,  mag  die  Flucht  gehngen 
Hinaus  ins  Glück!    Mit  diesem  einen  Wort 
Lass'  ich  die  Welt  aufs  neue  dir  erstehn! 
Die  Sonne  geht  dir  morgen  auf  wie  heut, 
Des  Frühlings  Blühn,  der  Erde  üppig  Weben, 
Des  Lebens  Brausen  ist  um  dich  wie  heut  — 
Ein  Ja,  wir  wollen's  wagen  —  sprich  es  aus! 

BEAT  RICE 

Wenn  das  gemeint  war  —  laß  mich  lieber  gehn. 

FILIPPO 
Warum  ? 

BEATRICE 
Nach  solchem  Tag  zusammen  leben, 
Das  könnten  andre,  doch  nicht  du  und  ich! 
Du  quältest  mich  zu  sehr! 

FILIPPO 

Doch  lebten  wir! 

BEAT  RICE 
Wie  bald  in  Ekel  sänken  wir  dahin, 

Theaterstücke.  11,  ijt  ?.Z7 


Wohin  wir  jetzt  erhobnen  Hauptes  schreiten. 
Wir  wollen  sterben,  darum  kam  ich  her. 

FILIPPO 

Dank,  Beatrice!    So  ist's  gut.    Nun  seh'  ich, 

Du  bist  bereit.    Rann'  unser  Leben  weiter, 

Den  Schmutz  der  letzten  Stunden  brächten  wir 

Nie  wieder  fort;  und  die  Gewißheit  nur, 

Daß  unser  Ende  nah  ist,  macht  uns  rein 

Wie  Kinder.    Komm,  laß  uns  des  hohen  Glücks 

Auch  ganz  genießen!    Er  führt  sie  an  den  Tisch,  schenkt  ein. 

Komm,  wir  wollen  trinken! 
Nun  sind  dies  keines  Mahles  Reste  mehr. 
Denn  zwischen  jenem  Mahl  und  dieser  Stunde 
Liegt  ein  Entschluß,  der  Ewigkeiten  gilt. 

Sie  trinken. 
Was  nimmer  mögHch,  wenn  wie  Irrgestalten 
Hoffnung  und  Angst  in  unsre  klare  Seele 
Trügrische  Schatten  werfen,  nun  geschieht's! 
Wir  leben  unser  eignes  Sein.    Mit  Willen 
Dahinzugehn,  ist  Freiheit,  und  mich  dünkt. 
Die  einz'ge,  die  uns  Sterblichen  gegönnt  ist! 

BEA7RICE 
Wo  geht  die  Sonne  auf? 

FILIPPO 

Dort  überm  Turm. 
Und  warum  fragst  du? 

BEATRICE 

Denkst  du's  nicht,  FiHppo? 
War  das  nicht  unsrer  Abendküsse  Sehnen, 
Daß  mr  einmal  vereint  das  Dämmern  schaun. 
Erwachend  Mund  an  Mund  und  Herz  an  Herzen  ? 

FILIPPO 

Das  ward  uns  nicht  bestimmt. 


2q8 


BEA7RICE 

Warum  —  ?  Und  heut, 
Filippo?    Niemand  ahnt,  wohin  ich  ging. 
Und  niemand  folgte,  niemand  kann  uns  finden. 
Die  ganze  Nacht  ist  unser,  und  im  ersten 
Aufglühn  des  Tags,  Fihppo,  soll's  getan  sein! 

FILIPPO 

Das  ist  nicht  mehr  in  unsrer  Macht,  Geliebte. 

BEATRICE 
Warum? 

FILIPPO 

sehr  ruhig. 

Seit  du  dies  Glas  an  deine  Lippen  führst. 
Trinkst  du  den  Tod. 

BEA1RICE 
Trink'  ich  — 

FILIPPO 

In  diesem  Wein 
Den  Tod. 

BEATRICE 
Den  Tod  — 

FILIPPO 

So,  denk'  ich,  wird  es  leicht. 

BEATRICE 

in  unsäglichem  Schreck. 
Das  ist  der  Ted? 

FILIPPO 

Was  schaust  du  so  mich  an? 
Als  war'  dir  Angst? 

BEATRICE 

Aus  diesem  Glas  hab'  ich 
Den  Tod  getrunken) 


259 


FILIPPO 

Ja,  wie  ich,  Geliebte. 
Et  nähert  sieb  tbr,  sie  weicht  leicht  zurück. 

EEATRICE 

Wie  lang  ist's  Zeit  ? 

FILIPPO 
Ich  weiß  es  nicht.    Sekunden, 
Minuten  oder  Stunden  —  doch  es  kommt. 
Das  Graun  der  Frühe  sehn  wir  nimmermehr. 
Sie  scbaun  einander  ins  Auge. 

FILIPPO 

ihr  näher. 

Komm,  Beatrice! 

BEATRICE 
Wer  wird  früher  fort  ? 

FILIPPO 

Weiß  nicht! 

beai:rice 

So  kann's  geschehn,   daß  du  vor  mir  — 
Daß  du  mich  hier  allein  läßt  ? 

FILIPPO 

Möglich. 
Doch  nicht  auf  lang.    Nun  komme,  Beatrice! 
Die  wen'gen  Augenbhcke,  die  noch  sind, 
Laß  uns  mit  tiefster  SeHgkeit  erfüllen! 
Nun  will  ich  nicht,  daß  nur  die  dünnste  Seide 
Mein  Glühn  von  deinem  scheide,  deines  Leibs 
Berauschte  Wärme,  eh'  sie  ganz  entfheht. 
Ein  letztes  Mal  will  ich  sie  fühl'n,  und  durstig 
Den  letzten  Atemzug  von  deinen  Lippen 
Mit  meinen  trinken,  Beatrice! 

Et  zieht  sie  nach  rücktcärts. 


260 


BEA^RICE 

zvie  er  sie  gleichsam  erstarrt  ansieht. 
Laß  mich! 
Ich  meine,  hab'  Geduld  —  sieh  —  meine  Hände 
Sind  noch  ganz  heiß  —  so  ist  der  Tod  noch  fern! 
Ich  will  nicht,  daß  du  so  in  Hast  mich  nimmst! 
Auch  hab'  ich  dieses  Glas  nicht  ganz  geleert  — 
Wer  weiß,  wie  lang  's  noch  währt,  wie  lang 
Ich  leiden  muß  —  das  will  ich  nicht!    Hättst  du 
Zu  mir  gesagt:  Auf  einmal  trink  es  aus! 
Wozu  Betrug?    Ich  kam  doch,  um  zu  sterben! 
Nun  ist  dies  alles  häßhch  und  verdorben! 
So  wollt'  ich's  nicht! 

FILIPPO 

Verstehst  du's  endlich  ganz? 
Was  dich  umfängt,  begreifst  du,  und  begreifst 
Nun,  da  du  stirbst,  den  Tod!    Vorher  war's  nichts 
Als  nur  ein  Wort  wie  andre! 

BEA1RICE 

Schmäh'  mich  nicht! 
Es  mußte  anders  kommen!    Aber  so 
Ist's  wie  ein  Morden  aus  dem  Hinterhalt. 
Nie  glaubt'  ich,  daß  du  tückisch  bist  und  feig  — 
Jetzt  hass'  ich  dich! 

FILIPPO 

Genug  des  eklen  Jammers! 
Geh,  wie  du  kamst,  nur  rat'  ich  dir  zur  Eile! 

BEA1RICE 
Gibt's  Rettung!    Wohin  soll  ich?    Sag'  es  schnell! 

FILIPPO 

Wohin  du  willst!    Die  ganze  Welt  ist  offen! 
Es  war  kein  Quentchen  Tod  in  diesem  Wein, 
Und  wie  zuvor  ist  alles  Leben  dein. 
Mit  einer  guten  Lüge  kehre  heim. 

261 


Bist  du  zu  dumm,  dir  eine  auszudenken, 

Streu'  ich  dir  einen  Sack  voll  Lügen  hin! 

Sag',  daß  es  dich  ins  Vaterhaus  gelockt. 

Den  toten  Vittorino  zu  betrachten! 

Wie  ?    War'  dies  nicht  »o  glaublich,  als  es  soll  ? 

Sag',  daß  du  in  die  Kirche  gingst  zu  beten 

Für  deinen  Gatten,  für  die  Stadt,  sag',  daß 

Dies  ein  Gelübde  war,  getan,  als  dich 

Der  Herzog  freite!    Sage,  was  du  willst. 

Nur  kehr'  zurück,  eh'  sie  mit  Fackeln  suchen! 

Du  willst  das  Leben.    Geh,  da  draußen  wartet's. 

Und  nimmt  dich  gierig  auf  als  sein  Besitz! 

BEATRICE 

vernichtet. 
Vergib  mir! 

FILIPPO 
Wie?    Was  gibt's  denn  zu  verzeihn? 
Betrogst  du  mich?    Ich  hätte  dich  betrogen, 
Hätt'  ich  die  Laune,  die  dir  kam,  genutzt, 
Und  dich  mit  mir  gelockt,   wo  du  nicht  hin  willst  1 
Logst  du?    Du  kannst  es  kaum  so  gut  wie  ich! 
Nur  ist's  dein  Wesen,  daß  mit  jedem  Pulsschlag 
Durch  deine  Adern  andre  Wahrheit  rinnt. 


Laß  mich  bei  dir! 


BEATRICE 

FILIPPO 

Geh  doch! 


BEA1RICE 

auf  den  Knien. 

Laß  mich  bei  dir! 

FILIPPO 

Warum  ?    Ich  liebe  dich  nicht  mehr.    Du  bist 
Nichts  andres  mehr,  als  was  mich  sonst  umgibt. 
Wie  Licht  und  Luft.    Es  wäre  Eigensinn, 
Dich  mitzunehmen. 


262 


BEA1RICE 
Jag'  mich  nicht  davon! 
Ich  will  von  dir  nicht  so  verachtet  sein, 
Daß  du  naich  unwert  hältst,  mit  dir  zu  sterben, 
Und  mich  ins  Leben  heimschickst  wie  ein  Kind, 
Das  solcher  Reise  Sinn  doch  nicht  verstünde. 
Zu  deinen  Füßen  fleh'  ich! 

FILIPPO 

ganz  kalt. 

Beatrice, 
Geh  rasch!    Mit  jedem  Laut,  den  du  verschwendest, 
Wächst  die  Gefahr. 

BEATRICE 

Was  willst  du  tun  ? 

FILIPPO 

So  geh! 
Was  kümmert's   dich  ?     Für  sich,  tote  in  Verzweiflung. 

Ah,  brachte  mir  nicht  einer 
Auf  seinen  Händen  alles  Daseins  Hoheit 
Und  Kraft  zurück,  die  schon  verloren  war, 
Und  warf  ich's  nicht  zum  zweiten  Male  hin, 
Da  ich  die  Stimme  einer  Fremden  hörte 
Im  Gange  vor  der  Tür?   Erschauernd.   Nun  ist's  genug! 


Ich  bleibe! 

Geh! 


BEATRICE 
FILIPPO 


BEATRICE 
Kannst  du  davon  mich  jagen? 

FILIPPO 
Gib  acht,  wie  rasch! 

Er  nimmt  das  Glas,  in  das  Lucrezia  das  Gift  gegossen  bat,  und  leert 
es  rasch. 
Ja  —  ja  —  das  ist  der  Tod. 
Er  xeankt, 

263 


BEATRICE 

schreiend. 

Filippo,  das  —  ich  will's  ja  tun! 

Sie  reißt  ihm  das  Glas  aus  der  Hand. 

Mit  dir  — 

Setzt  das  Glas  an  die  Lippen. 

FILIPPO 

schlägt  ihr  das  Glas  verächtlich  aus  der  Hand,  stürzt  zurück,  fällt^ 
so  daß  er  auf  die  Stufen  des  Alkovens  zu  liegen  komint^  den  Kopf  im 
Alkoven.     Während  er  hinstürzt. 

Betrüg  dich   nicht!    Entflieh!    Das  Leben  wartet! 

BEAIRICE 

Filippo  —  du  —  ich  will's  ja  tun  —  sieh  her! 

Sie  bückt  sich  nach  dem  Glas. 
Sag'  mir  ein  Wort!    Ich  will's  ja  tun!    Stirb  nicht! 
Ich  will  mit  dir  —  bleib  da  —  Filippo  —  rede! 

Starrt  ihn  an. 
Ist  das  der  Tod  ?  —  Nein,  nein !  —  Fihppo !    Schreiend. 

Rede! 
Sie  erschrickt  vor  ihrer  hallenden  Stimme. 

Lärm  auf  der  Straße.  —  Fackelbeleuchtung,  die  auf  einige  Sekunde» 
einen  roten  Schein  ins  Gemach  wirft. 

BEAT  RICE 
Weh  mir!  Wie  läßt  du  mich  allein!  —  Sie  kommen!  — 
Was  ist  das  ?  —  Ah  — 

Am  Fenster;  sie  versucht,  sich  in  einen  Teil  des  Vorhangs  zu  hüllen. 

STIMMEN 

—  Zur  Hochzeit  unsres  Fürsten 
Mit  Beatrice,  eurer  schönsten  Schwester! 
Geöffnet  stehen  Tore,  Saal  und  Garten!     Verklingend. 

BEAT RICE 

Sie  wissen's  nicht!    Doch  alle  werden's  wissen  — • 

Sie  bückt  sich  wieder  nach  dem  Glas,  riecht  daran. 
O  könnte  der  Geruch  mich  töten!  Nichts  — 
Als  war'  es  ausgedampft!    Nun  wär's  vorbei! 

264 


Ich  läge  da  wie  er.    Und  nun  muß  ich 

Allein doch  wie  ?  —  und  hol'  ihn  doch  nicht  ein  • 

Im  Garten  will  ich's  tun,  und  so! 

Gebärde^  als  wollte  sie  sieb  erdrosseln. 
Es  kann 
So  furchtbar  nicht  im  weiten  Räume  sein, 
Als  hier! 

Undeutliche  Stimmen  in  der  Ftrne. 
Sie  holen  mich!    Sie  werden  mich  erwürgen! 
Was  hab'  ich  denn  getan!    So  schlimmen  Tod 
Verdien'  ich  nicht!    Stille.    Vorüber!   Niemand  kommt 
Mich  suchen!    Niemand  weiß  —  ich  kann  zurück! 
Wahrhaftig  —  kann  zurück !    Was  bleib'  ich  denn  ? 
Hältst  du  mich  da?    Als  zög's  an  meinem  Kleid! 

Zurück  zu  Filippo. 
Läßt  du  mich  fort  ?  —  du  —  du  —  sag'  ich,  Filippo  — 
Und  bist's  nicht  mehr  —  bist  wen'ger  als  ein  Stein! 
's  ist  ja  nicht  möglich!    Alles  Leben  schenk'  ich 
Dahin,  wachst  du  auf  einen  Augenbhck 
Nur   auf!     Sie  faßt  seine  Hand. 

So  warm!    Du  atmest  ja  —  du  lebst! 
Auch  dies  war  eine  Prüfung  nur,  zu  sehn. 
Daß  ich  dich  liebe  ?    Auf,  Filippo,  komm ! 
Wir  wollen  fliehn,  zusammen  fliehn!    Das  Glück 
Wird  uns  gehorchen,  und  das  Leben  braust 
Um  uns,  die  Sonne  geht  uns  wieder  auf  — 
Komm  doch,  wir  wollen  fliehn  und  leben   —  leben! 
Filippo  — 

Sie  beugt  sich  über  ihn,  begreift  jetzt^  daß  er  tot  ist,  erhebt  sich  mit 
einem  furchtbaren  Schrei  der  Angst,  reißt  zugleich  die  Vorhänge 
des  Alkovens  herunter,  so  daß  sie  Kopf  und  Rumpf  Filippos  voll- 
kommen überdecken,  läuft  hinaus  und  schreit  im  Hinauslaujen,  tote 
von  Sinnen: 

Leben!  

Vorhanz. 


265 


VIERTER  AKT 

Ein  Saal  im  Schlosse.  Nach  hinten  zu  vollkommen  offen  tn  den 
Garten  führend.  Zwei  Reiben  von  je  vier  Säulen  schließen  den  ge- 
deckten Raum  abf  so  daß  der  Weg  ins  Freie  gleichsam  durch  drei 
Tore  offen  steht.  Rechts  und  links  je  eine  Türe.  Rechts  außerdem 
ein  Fenster,  von  dem  angenommen  wird,  daß  es  in  einen  tieferliegenden 
Hof  hineinschaut.  Zu  beiden  Seiten  des  Säulenganges  Freitreppen^ 
welche  in  einer  Windung  zur  Terrasse  emporführen,  die,  dem  Zu- 
schauer natürlich  unsichtbar,  auf  den  Säulenpaaren  ruhend  gedacht 
wird.  —  Der  Saal  ist  hell  beleuchtet;  der  Garten  durch  Fackeln  er- 
hellt, welche  unruhig  brennen,  so  daß  über  dem  großen  Wiesenplan 
ein  ungewisses  Licht  verbreitet  ist  und  die  Schatten  der  Bäume^ 
von  denen  die  Wiese  umgeben  ist,  in  wechselnder  Größe  erscheinen. 
Für  Augenblicke  scheint  der  Garten  wie  in  Dunkel  zu  versinken. 
Man  hört  entfernte  Musik.  Über  den  Rasen  sieht  man  Paare  gleiten 
und  wieder  verschwinden.  Im  Hintergrund  ist  eine  stete,  aber  un- 
deutliche Bewegung.  Im  Augenblick,  wie  der  Vorhang  aufgeht,  ist 
der  Saal  leer. 

Es  treun  auf  durch  die  Tür  links:  LUCREZIA  und  ISABELLA. 

ISABELLA 
Wo  ist  unser  Begleiter? 

LUCREZIA 

Verschwunden. 

MALVEZZI  und  ZAMPIERl  aus  dem  Garten. 

ZAMPIERI 
Heut  wird  erst  offenbar,  wieviel  Schönheit  Bologna 
birgt!    Seid  gegrüßt,  schöne  Damen! 

ISABELLA 
Seid  nicht  gar  zu  stolz  auf  Eure  Vaterstadt.    Wir 
kommen  aus  Florenz. 

MALVEZZI 

zu  Lucrezia. 
Aus  Florenz?    Ihr  auch? 

ISABELLA 
Sagt  uns  doch:  sind  wir  hier  wirklich  im  Schloß  des 
Herzogs  ?  Und  ist  es  wahr,  daß  er  seine  Hochzeit  feiert  ? 

266 


ZAMPIERI 
Ihr   zweifelt?     Hier   könnt    Ihr   ihn   selbst   sehen. 

Er  weist  in  den  Garten. 

ISABELLA 

Laßt   uns   näher  hin.     Mit  Zampieri  in  den  Garten. 

MALVEZZI 

Warum  so  schweigsam  ? 

LUCREZIA 

Was  wollt  Ihr? 

MALVEZZI 

Euch  gefallen! 

LUCREZIA 
Wünscht  es  Euch  lieber  nicht! 

MALVEZZI 

Nichts    andres    mehr,    solang    Ihr   mir   erlaubt,    in 
Eurer  Nähe  zu  bleiben. 

LUCREZIA 

Ihr  seid  jung! 

MALVEZZI 

Achtzehn  vorüber.    Alt  genug,  um  ror  Liebe  zu 
sterben. 

LUCREZIA 

Gebt  acht,  daß  Ihr  nicht  die  Wahrheit  sprecht,  ohne 
es  zu  woUen.    Beide  in  den  Garten. 

Aus  dem  Garten  rasch:  ROSINA,  ORLANDINO  folgt  ihr. 

ORLANDINO 
Ist  dies  ein  Wiedersehn! 

ROSINA 

bort  nicht  auf  ihn, 

267 


ORLANDINO 

Wer  es  geahnt  hätte  —  abends,  als  wir  einander  vor 
Eurem  Hause  sahen!    Wohin  blickt  Ihr  denn? 

ROSINÄ 

in  den  Garten  schauend^  angstvoll. 
Nun  geht  er! 

ORLANDINO 
Wer? 

ROSINA 
Nein  —  er  bleibt  und  spricht!    Wer  ist's,  mit  dem 
der  Herzog  spricht? 

ORLANDINO 
Silvio  Cosini,  sein  Geheimschreiber. 

ROSINA 

für  sieb. 
O,  hätten  seine  Worte  Kraft,  ihn  an  den  Boden  zu 

nageln!    Zu   Orlandino.     Saht  Ihr die  Herzogin, 

meine  Schv^^ester? 

ORLANDINO 
Ich  hatte  die  hohe  Ehre,  ihr  beim  Mahl  gegenüber 
zu  sitzen. 

ROSINA 
War  sie  schön  ? 

ORLANDINO 
Da  dürft  Ihr  niemand  fragen,  der  Rosina  liebt.  — 

ROSINA 
Sagt,  Orlandino  — 

ORLANDINO 
Rosina  ? 

ROSINA 
Wo  ist  das  Schlafgemach  der  Herzogin? 

268 


ORLANDINO 

nach  links  tveisend. 
Es  liegt  auf  jenem  Flügel. 

ROSINA 

Dort  ? 

ORLANDINO 
Ja.    Die  schmale  Treppe  gegenüber  dem   Spnng- 
brunnen  führt  hinauf. 

ROSINA 

befremdet. 
Nicht   dort  ?  Weist  nach  rechts. 

ORLANDINO 
Nein. 

ROSINA 

für  sieb. 
So  ist  sie  vielleicht  noch  im  Garten?   Aber  wie  ist 
das  möglich  ?    Allein  ?  —  Nein !    Ab  in  den  Garten. 

ORLANDINO 

ihr  nach. 
Wohin  f    Was  woUt  Ihr  ? 

Der  junge  BRUNl  mit  MARGERITA  treten  links  auf. 

MARGERITA 

Die  Augen  brennen  mich!    Wo  bin  ich  denn? 
Ich  will  zurück! 

BRUNI 
Bleibt  doch!    Noch  saut  Ihr  nichts. 
Ich  will  Euch  führen,  zeigen  all  die  Pracht! 

MARGERITA 
Ich  geh'  nicht  weiter  —  nein! 

BRUNI 

Schaut  nur  um  Euch! 


269 


MARGERHA 
Ist's  wahr?    Hier  wohnt  der  Herzog? 

BRUNI 

Saht  Ihr  nicht 
Schon  oft  das  hohe  Tor,  durch  das  wir  schritten? 

MARGERHA 
Und  Ihr,  wer  seid  Ihr  denn  ?    Seid  Ihr  derselbe, 
Der  an  mein  Fenster  kam  ? 

BRUNI 

Ich  bin's.    Und  ich 
Hab'  Euch  geladen  in  des  Herzogs  Namen. 
Seht  nur,  da  sind  noch  viele  so  wie  Ihr. 
Im  Garten  tanzen  sie,  auf  der  Terrasse 
Ergehn  sie  plaudernd  sich  mit  jungen  Herrn, 
Und  alle  schaun  wie  Ihr,  mein  schönes  Kind, 
Und  wie  die  Fürstin  selbst,  so  vielen  Glanz 
Zum  erstenmal. 

MARGERHA 
Ist's  wirklich  Beatrice, 
Des  Nardi,  des  verrückten  Nardi  Tochter? 

BRUNI 

Sie  ist's. 

MARGERHA 
Wie  wunderbar!    Und  warum  riefet 
Ihr  grade  mich? 

BRUNI 
Weil  Ihr  mir  längst  bekannt. 
Oft  in  der  Dämmrung  lehntet  Ihr  am  Fenster. 
Ich  ging  vorüber. 

MARGERHA 
Ja,  Ihr  seid  es.    Doch  warum 
Bin  ich  Euch  hergefolgt? 


270 


BRUNI 

Bat  ich  Euch  nicht? 

MARGE  RITA 

Ich  ^räumte  schon,  drum  wurd'  es  Euch  so  leicht. 
Und  wißt  Ihr,  was  ich  dachte,  als  das  Lärmen 
In  meine  Kammer  von  der  Straße  drang, 
Und  Euer  Antlitz  starrte  durch  mein  Fenster? 

BRUNI 
Was  dachtet  Ihr? 

MARGERITA 
Die  Feinde  wären  da, 
Der  Borgia  selber  —  ja,  mir  war  zuerst  — 
So  träumt'  ich  noch  —  Ihr  wärt  der  Borgia  — ,  Ihr! 

BRUNI 
Ich  schwör's,  der  tat'  Euch  Schlimmres  nicht  als  ich. 

MARGE  RITA 
Ich  will  nach  Haus!    Die  Mutter  wird  sich  ängsten! 


Seht! 

! 

BRUNI 

Was? 

MARGERITA 

BRUNI 

Dies 

ist  der  Herzog! 
MARGERITA 

Hab' 

ich 

Ja. 
ihn  nie  gesehn. 

So  nah 

BRUNI 

Wie  aber 

nenn' 

Nun  kommt  zum 
ich  Euch? 

Tanz! 

271 


MARGERHA 

Marg'rita  heiß'  ich. 

BRUNI 
O  schönste  Margerita,  kommt!    Beide  in  den  Garten. 
COSINI  von  links;  ERSTER  BOTE  von  rechts. 

COSINI 

Woher  ? 

ERSTER  BOTE  - 
Vom  Tore  San  Martino. 

Rause. 

COSINI 
Es  ist  gut.    Wart'  im  Schloßhof  mit  dex>  andern. 
Erster  Bote  ab. 
ZWEITER  BOTE  tritt  auf  von  rechts. 

COSINI 
Was  bringst  du? 

ZWEITER  BOTE 

In  der  Sakristei  der  Kirche  San  Domenico  haben 
wir  einen  Mann  ergriffen,  der  sich  dort  offenbar  ver- 
bergen wollte,  und  der  unsere  Sprache  nicht  zu  ver- 
stehen schien.  Man  untersuchte  ihn  und  fand  Brief- 
schaften in  sein  Wamms  eingenäht. 

COSINI 

Wo  sind  sie  ? 

ZWEITER  BOTE 

Mein  Hauptmann  hat  sie  in  Verwahrung  genommen 
und  den  Mann  in  Ketten  legen  lassen. 

COSINI 
Wer  ist  dein  Hauptm^n  ? 

272 


ZWEITER  BOTE 
Herr  Campeggi. 

COSINI 
Er  möge  selbst  kommen  und  den  Gefangenen  sowie 
die  Papiere  mitbringen. 

Zweiter  Bote  ab. 

GUIDOTTI 

kommt  aus  dem  Garten. 
Ein  prächtiges  Fest,  Herr  Schreiber!    Aber  es  ist 
nicht  vollkommen,  eh'  wir  dem  Mariscotti  den  Kopf  ab- 
gehauen haben. 

COSINI 

Ich  denke  es  gibt  heute  bessere  Unterhaltung.  Seht 
doch,  hier  sind  die  schönsten  Frauen  und  Mädchen  von 
Bologna. 

GUID077I 

Bester  Herr  Schreiber,  was  kümmert  das  uns!  Was 
sind  uns  die  schönsten  Mädchen  von  Bologna!  Ich  bin 
dreiundsechzig.  Ich  muß  mir  ein  anderes  Vergnügen 
suchen. 

COSINI 

Nun,  ich  weiß  mich  einer  Nacht  in  Cypern  zu  er- 
innern —  es  sind  noch  keine  drei  Monat  her  — 

GUID0T7I 

Ja,  mein  Guter  —  Cypern  —  Cypern!  Was  ver- 
mag der  Süden  nicht  alles! 

MAGNANI 

kommt  aus  dem  Garten. 

Cosini  —  Guidotti  —  laßt  uns  doch  einen  letzten 
^ersuch  wagen! 

COSINI 
Was  für  einen? 

MAGNANI 
Unsern  Herzog  zu  beschützen! 

TheateistOcke.  II,  iBi  273 


COSINI 
Wovor  ? 

MJGNJNI 
Mit  Beatricc  Nardi  allein  zu  sein. 

COSINI 
Magnani,  wahrhaftig,  Ihr  seid  nicht  bei  Sinnen ! 

MJGNJNI 
Seid  Ihr  denn  blind?  Könnt  Ihr  glauben,  daß  all 
dies  mit  natürlichen  Dingen  zugegangen  ist  i  Hier  ist 
etwas  im  Spiel,  das  ich  nicht  auszusprechen  wage.  Und 
ich  habe  die  Überzeugung,  daß  der  Herzog  einer  großen 
Gefahr  entgegen  geht.  Bedenkt  doch!  Ein  Wesen,  das 
er  zum  erstenmal  sah  —  und  auf  einen  Bhck  von  ihr 
—  bei  Gott,  es  war  nicht  mehr  als  das !  —  macht  er  sie 
zur  Herzogin  von  Bologna!  Und  das  vor  einem  solchen 
Tag,  wie  der  ist,  der  uns  morgen  bevorsteht! 

COSINI 
Eben  vor  einem  solchen  —  sonst  hätt'  er's  nicht 
getan. 

GUIDOTTI 
Was  fürchtet  Ihr  denn  eigentlich  ?    Sprecht  es  doch 
deutlich  aus!    Glaubt  Ihr  an  eine  Art  von  Hexerei? 

MJGNJNI 
Laßt  uns  von  diesem  Worte  absehen.    Aber  wer  weiß, 
von  welchen  Mächten  dieses  Mädchen  gelenkt  wird, 
mit  Willen  oder  ohne  Willen.   Ich  bitt'  euch,  steht  mir 
bei,  wenn  ich  den  Herzog  zum  letzten  Male  anflehe! 

GUIDOTTI 

lachend. 
Allein  zu  schlafen  ? 

COSINI 
Es  ist  unmöglich,  Magnani,  seht's  doch  ein! 


274 


MAGNANl 
Es  ist  nicht  unmöglich!  Wenn  seine  Sehnsucht  nach 
ihr  so  groß  wäre,  ginge  er  nicht,  wie  ich's  eben  sah, 
einsam  unter  den  Bäumen  auf  und  ab.  Ich  schwör' 
euch,  es  sind  ihm  die  gleichen  Gedanken  aufgestiegen 
wie  uns! 

COSINI 
Nein,  Magnani,  das  Zeichen,  das  der  Himmel  sandte, 
macht  ihn  so  ernst. 

MAGNANI 
Wurde  denn  Bonatto  schon  zu  Rat  gezogen  ?    Hat 
CT  es  gedeutet? 

COSINI 

Ja.  Und  nicht  anders,  als  wir  alle  im  Stillen  und 
der  Herzog  selbst.  Das  ist's,  was  ihn  nachdenklich 
macht,  denn  ob  er  auch  überzeugt  war,  daß  der  morgige 
Tag  nichts  Gutes  bringen  kann,  —  e«  macht  schaudern, 
zu  wissen,  daß  es  in  den  Sternen  schon  beschlossen  ist. 

GUIDO^^TI 

Der  Teufel  hol'  Euch,  Cosini,  und  den  zeichen- 
deutenden Bonatto  nicht  minder!  Ich  lag'  Euch,  der- 
gleichen ist  nicht  so  viel  wert!  Wißt  Ihr,  was  mir 
geschah  an  dem  Tag,  bevor  wir  auf  Reisen  gingen  ? 
Vor  meinen  Fenstern  wurde  ein  Erschlagener  gefunden 
—  mit  siebzehn  Wunden!  Und  wißt  Ihr,  wer  mich  am 
dringendsten  beschwor,  daheim  zu  bleiben  ?  Unser 
armer  Pitti!  Und  nun  seht!  —  Ich  bin  heil  nach  Haus 
gekommen,  und  Pitti  liegt  draußen  auf  der  Heerstraße, 
genau  so  tot,  als  er  es  mir  prophezeit  hat.  Es  ist  aUes 
Unsinn.    Es  kommt,  wie's  will. 

COSINI 

Mitternacht  ist  nah. 

MAGNANI 
Ist  es  nur  gewiß,  daß  der  Herzog  unserm  Rate  bei- 


275 


wohnen  wird  ?   Die  Befehle  befinden  sich  doch  bereits 
alle  in  den  Händen  der  Führer? 

GUIDOT^I 

als  hätte  er  nachgedacht. 
Ich  will  Euch  sagen,  Magnani,  was  Ihr  dem  Herzog 
für  einen  Vorschlag  machen  sollt.  Morgen  früh,  als 
würdigen  Abschluß  dieser  Hochzeit,  soll  er  seine  junge 
Gattin,  ob  sie  nun  eine  Hexe  ist  oder  nicht,  zum  Fenster 
hinunterwerfen  in  den  Graben,  wo  die  Leoparden  ge- 
halten werden. 

COSINI 
Was  hättet  Ihr  davon  ?    Sie  sind  ja  gezähmt. 

GUIDOTTI 
O,  nichts  leichter,  als  sie  wild  zu  machen !  ^  Man 
schleudert  einfach  brennende  Fackeln  unter  sie. 
ARLOTTI  und  VALORI,  zwei  Haupthute,  kommen. 

COSINI 

Guten  Abend,  Arlotti.    Guten  Abend,  Valori. 
Begrüßung. 

JRLOTTI 

Sind  wir  im  rechten  Saal? 

COSINI 
Gewiß. 

FJLORI 
Wer  ist  hierher  beschieden  außer  uns  beiden? 

COSINI 
Der  Graf  Fantuzzi  und  Ribaldi. 

ARL0T1I 

Warum   sind  wir  hierher  beschieden,  HerrCosini? 
Ist  andres  beschlossen  worden? 


276 


COSINI 

Wie  meint  Ihr  das  ? 

ARLOTTI 

Nun,  ich  denke  —  lachend  hat  unser  Herzog  Lust, 
Hochzeit  zu  feiern,  so  gelüstet  ihn  wohl  auch  nach 
Honigwochen. 

VALORI 
Sagt  uns  doch,  Herr  Cosini,  ist  denn  auch  alles  wahr, 
was  man  in  der  Stadt  erzählt? 

COSINI 
Es  kommt  darauf  an,  was  man  Euch  erzählt  hat. 

VALORI 

Ich  wage  es  kaum  zu  wiederholen.   Man  spricht  von 
dieser  Feier  wie  von  einem  Maskenfest. 
RIBALDI  kommt. 

Begrüßung, 

COSINI 
Nur  der  Graf  Fantuzzi  läßt  noch  auf  sich  warten. 

MAGNANI 
Und  der  Herzog  selbst. 

GUIDOlfl 
Seht,  hier  wandelt  er  umher,  als  wenn  es  keinen 
Borgia,  keinen  Mariscotti,  als  wenn  es  nicht  einmal  eine 
Beatrice  gäbe. 

RIBALDI 

Ich  bitt'  Euch!    Zeigt  mir  das  Mädchen! 

GUID0T1I 

Das  Mädchen  ?  Was  für  ein  Mädchen  ?  Die  Herzo- 
gin, meint  Ihr? 


277 


RIBALDl 

Nun  ja,  die  ausersehen  ist,  für  eine  Nacht  die  Her- 
zogin zu  spielen! 

COSINI 

Was  fällt  Euch  ein,  Ribaldi !  Sie  ist  so  gut  Herzogin 
von  Bologna,  als  es  jede  andere  wäre,  die  der  Kardinal 
selbst  dem  Herzog  angetraut  hätte! 

RIBALDI 

Der  Kardinal  ?    Wie  ?    Ihr  spaßt  wohl  ? 

ARLOi:iI 

Nun  seht  Ihr  ja,  daß  wir's  wissen! 

COSINI 
Was? 

ARL017I 

Nun,  man  erzählt,  es  wäre  durchaus  nicht  der  Kardi- 
nal gewesen,  sondern  ein  florentinischer  Spaßmacher, 
und  das  Ganze,  wie  ich  schon  sagte,  ein  Maskenfest. 

COSINI 
Ich  bitt'  Euch! 

MAGNANI 
Wie  kann  man  glauben,  daß  der  Herzog  von  Bologna 
sich  in  solcher  Weise  an  der  Kirche  versündigen  würde. 

RIBALDI 

Ei  was,  Sünde!  Den  Kardinal  hat  der  Papst  ein- 
gesetzt, der  Papst  will  unser  Verderben  und  Cesar  ist 
sein  Sohn!  Es  wäre  gar  keine  üble  Art  gewesen,  das 
ganze  Gesindel  zu  verhöhnen. 

guidoi:ti 

Meiner  Seel',  Ihr  habt  recht!  Nun  tut's  mir  selbst 
leid,  daß  es  ein  echter  Kardinal  und  eine  echte  Hochzeit  \ 
war. 


278 


MAGNANl 
Laßt  solche  Worte,  wenn's  beliebt.  Die  Kirche  bleibt 
heilig,  wenn  jetzt  auch  ihre  oberste  Macht  in  unwürdige 
Hände  gelegt  ist.   Wir  wollen  nicht  gehört  haben,  was 
Ihr  sagtet! 

COSINI 

Still,  der  Herzog! 
Der  HERZOG  kommt  aus  dem  Garten.    Alle  neigen  sieb  vor  Um 

HERZOG 

Wo  ist  Andrea  ? 

COSINI 
Er  ist  der  Einzige,  der  noch  fehlt. 

HERZOG 

zu  Arlotti. 

Ihr  steht  am  Tor  von  Saragossa? 

ARL017I 
Jawohl,  mein  Fürst! 

HERZOG 

Mit  wie  vielen  ? 

ARL017I 

Sechshundert  Armbrustschützen. 

HERZOG 
Sechshundert  ? 

ARLOTTI 

Es  ist  uns  noch  gelungen,  mein  Fürst,  In  der  fünften 
Nachmittagsstunde  zweihundert  von  Imola  aus  in  die 
Stadt  zu  führen.  Jetzt  war'  es  nicht  mehr  möglich,  über 
diese  Straße  hierher  zu  gelangen. 

HERZOG 

Ihr  standet  in  mailändischen  Diensten,  Ribaldi? 


279 


RIBALDl 
Bis  vor  einem  halben  Jahre,  mein  Fürst.  Aber  dort 
gibt's  nichts  mehr  zu  tun. 

HERZOG 

Ich  kannte  Euern  Namen  längst.  Ihr  habt  unter 
dem  jungen  Sforza  gefochten. 

RIBALDI 

Dreimal!    Gegen  Pisa,  Ravenna  und  gegen  Rom. 

HERZOG 
Ich  fürchte,  Ihr  habt  einen  schlechten  Tausch  ge- 
macht. 

RIBALDI 

Mein  Fürst,  ich  bin  stolz,  endlich  einmal  unter 
einem  Bentivoglio  fechten  zu  dürfen,  selbst  wenn  ich 
bei  dieser  Gelegenheit  das  letzte  Mal  meine  Kunst 
zeigen  sollte. 

HERZOG 

Wie  steht's  bei  Euch,  Valori? 

VALORI 

Hoheit,  die  Zahl  der  Meinen  wächst  mit  jedem 
AugenbHck.  Und  es  wird  notwendig,  einen  Teil  von 
denen,  die  sich  freiwillig  melden,  an  andere  Führer  zu 
weisen.  Von  allen  Seiten  kommen  sie.  Ganz  junge 
Burschen,  sogar  Gewerbsleute  scharen  sich  zusammen 
und  verlangen  nach  Waffen.  Sie  sind  berauscht  von 
Haß  gegen  den  Borgia  und  sehnen  den  Morgen  herbei. 


Endlich! 
Wer  ist's? 
280 


CAMPEGGI  tritt  axf. 

COSINI 
HERZOG 


COSINI 

Der  Hauptmann  Campeggi. 

CJMPEGGI 
Ich  bin  hierher  befohlen,  mein  Fürst,  um  persönlich 
Papiere  zu  überbringen,  die  wir  abends  bei  einem  Ver- 
dächtigen gefunden  haben,  der  sich  in  der  Karche  San 
Domenico  verstecken  wollte.   Er  überreicht  die  Papiere. 

HERZOG 

Laßt  sehen!  —  Ohne  Aufschrift.  —  Erbriebt  das  Siegel. 
Das  sind  Zeichen,  die  mir  fremd  sind  —  kennt  Ihr  sie, 
Cosini  ? 

COSINI 

Diese  hier  sehen  beinahe  aus  wie  assyrische  —  nein 
—  es  sind  völlig  willkürUche  —  es  ist  zweifellos  eine 
Geheimschrift. 

HERZOG 
Was  ist's  mit  dem  Mann,   dem  sie  abgenommen 
wurden  ? 

CAMPEGGI 
Er  verweigert  jede  Antwort,  vielmehr,  er  tut,  als 
wenn  er  unsere  Sprache  nicht  verstünde  —  oder  er  ver- 
steht sie  in  der  Tat  nicht. 

HERZOG 

Es  wäre  nicht  das  erste  Mal,  daß  sich  Cesar  solcher 
Leute  bedient.    Wo  ist  der  Mann? 

CAMPEGGI 
Er  wartet  weitrer  Befehle   im  Hof   des  Schlosses, 
mein  Fürst. 

HERZOG 
Von  solch  einem  können  wir  freilich  auf  keine  Weise 
etwas  erfahren. 

GUIDOTTI 
Laßt  es  mich  versuchen,  Herzog!  Ich  möchte  meinen 


281 


Kopf  verpfänden,  daß  ich  ihn  unsere  Sprache  reden 
mache! 

HERZOG 
Wenn  Ihr  dessen  so  sicher  seid,  Guidotti,  —  führt 
ihn  zu  dem  Manne,  Campeggi. 

CAMPEGGI  und  GUID07TI  ab. 

HERZOG 
Im  übrigen  —  was  können  uns  diese  Briefe  Neues 
lehren?     Was   können   sie    an    unseren   Entschlüssen 
ändern  ? 

MAGNANI 
Mein  Fürst  — 

HERZOG 
Was  wollt  Ihr,  Magnani? 

MAGNANI 
Verzeiht  Eurem  treuen  Diener  ein  kühnes  Wort! 

HERZOG 
Redet! 

MAGNANI 
•Hütet  Euch  vor  der  Herzogin! 

HERZOG 

Ihr  hegt  mehr  Treu'  als  Klugheit,  Herr  Magnani! 

DRITTER  BOTE  tritt  ein. 

COSINI 
Hier  kommt  Botschaft  vom  Tor  von  Garisenda! 

HERZOG 

Nun? 

DRITTER  BOTE 
Herr,  schwere  Nebel  liegen  im  Tal;  was  hinter  ihnen 
sich  vorbereitet,  darüber  fehlt  jede  Vermutung.   Nur 

282 


rfns  ist  gewiß:  daß  die  feindlichen  Truppen  gegenübei 
der  Vorstadt  von  Isaia  noch  näher  herangerückt  sind: 
—  die  uns  am  nächsten  wären  durch  einen  Pfeilschuß 
zu  erreichen. 

HERZOG 

entläßt  ihn  durch  ein  Neigen  des  Kopfes. 
Dritter  BoU  ab. 

HERZOG 
Wo  bleibt  Andrea?    Sendet  nach  ihm  ausi 

Cosini  gibt  einen  Auftrag. 
Die  übrigen  sind  etwas  beiseite  getreten. 

So  haben  meine  Wünsche  keine  Kraft  mehr! 

Und  gab  doch  eine  Zeit,  da,  kaum  gedacht, 

Nicht  ausgesprochen,  jeder  ward  erfüllt. 

Nicht  Wunder  nahm's  mich,  war'  Filippo  Losch! 

Mir  auf  dem  Weg  begegnet,  den  ich  kam  — 

Nein,  früher,  in  Neapel  oder  Rom  — 

Nun  bin  ich  in  Bologna,  will  ihn  sehn 

Und  ruf  ihn,  und  er  sagt:  Ich  will  nicht  kommen! 

COSINI 
Bewegt  Euch  das  so  sehr,  mein  Fürst? 

HERZOG 

Erzählt 
Mir  mehr  von  ihm,  erklärt  mir  seine  Weigrung! 

COSINI 
So  gut  ich's  konnte,  tat  ich's.    Doch  ich  weiß, 
Es  läßt  sich  klarer  so  als  kürzer  sagen 
Mit  diesem  einen  Wort:  Er  scheint  mir  närrisch! 

HERZOG 
Kurz  —  das  ist  wahr!    Doch  glaub'  ich,  Ihr,  Cosini, 
Und  Euresgleichen  könnt  nicht  ganz  verstehn. 
So  klug  Ihr  seid,  was  solche  Menschen  treibt, 
X)en  Kopf  zu  schütteln  oder  „ja"  zu  nicken,  — 

283 


Wie  erst  so  vieles  andere!    Mir  ist  manchmal, 
Als  ahnt'  ich  das  Geheimnis  solcher  Seelen! 

GUID071I 

kommt. 

Ein  Spaß,  Herzog,  ein  wahrer  Spaß!  Hört  doch, 
wie  er  unsre  Sprache  reden  kann,  hört!  Er  reißt  dai 
Fenster  auf. 

STIMME  DES  GEFANGENEN 

im  Hof. 

Weh  mir,  weh  mir,  mein  Aug'!  mein  Aug'! 

HERZOG 
Was  habt  Ihr  getan? 

GUIDOTTl 

Nun,  hört  Ihr,  daß  er  ein  so  guter  Italiener  ist  wie 
wir  alle!  Erlaubt  Ihr,  Herzog,  daß  ich  ihn  frage? 
Meine  Stimme  soU  ihm  die  Wahrheit  aus  der  Kehle 
kitzeln ! 

HERZOG 
Fragt  ihn! 

GUIDOTTI 
Wem,  du  Schuft,  solltest  du  die  Briefe  überbringen  ? 

STIMME 
Weh,  mein  Auge! 

GUIDOTTI 

zum  Fenster  hinaus. 
Gib  acht  —  du  hast  noch  eines  zu  verlieren! 

HERZOG 

Wer  sandte  dich? 

STIMME 
tvimmernd. 
Der  edle  Herr  Alberto  Cascal 


284 


MAGNANI 
Der  Sekretär  des  Cesar! 

HERZOG 
Casca,  sagtest  du  ? 

STIMME 
Alberto  Casca! 

HERZOG 
Drei  Wochen  sind's,  da  saß  er  mir  'genüber, 
An  Alexanders  Tafel  —  wißt  ihr's  noch? 

COSINI 

An  meiner  Seite! 

HERZOG 
An  wen  sind  diese  Briefe?    Deinen  Auftrag! 

STIMME 
An  den  Herzog  von  Bologna! 

HERZOG 
Wie?    Sag's  noch  einmal! 

STIMME 
Die  Briefe  sind  an  den  Herzog  von  Bologna! 

COSINI 

Wie  ist  des  Herzogs  Name? 

STIMME 
Weh,  mein  Auge! 

GUIDOTTI 

Du  Schuft  —  wie  heißt  der  Herzog  von  Bologna  ? 

STIMME 
Mariscotti! 

Betcegung. 

HERZOG 

Ah,  war  es  so  gemeint? 

«85 


COSINl 

Das  ahnte  Casca  nicht, 
Daß  noch  der  rechte  Herzog  heim  wird  finden! 

HERZOG 

An  meinen  Erben  schon  der  Brief  gesandt! 
Und  wir  —  mißtrauisch,  daß  wir  früher  flohen, 
Vertrauten  dennoch  so  an  jenem  Tag  — 
Ich  will's  wie  eine  schwerste  Schuld  gestehn  — 
Doch  war's  kein  Tag,  nur  eine  Stunde  —  nein! 
Es  war  ein  Augenblick,  da  mich's  durchfuhr 
Wie  eine  Wahrheit:  alle  andern  Fürsten 
Verachtet  Borgia,  ich  allein  erschien  ihm 
Als  seinesgleichen,  wert  sein  Freund  zu  sein  — 
Jawohl,  es  war  ein  Augenblick,  doch  glaubt'  ich's! 
Und  während  wir  an  seiner  Tafel  saßen, 
Schrieb  Casca  an  den  Herzog  Mariscotti! 

GUIDOTTI 
Euere  Hoheit,  was  soll  weiter  mit  dem  Mann  ge- 
schehn  ? 

HERZOG 
Mit  diesem?    Laßt  ihn  frei,  nur  ruft  den  Arzt, 
Daß  er  das  wunde  Aug'  ihm  erst  verbinde! 
Doch  Mariscotti  — 

GUIDOTTI 

mit  leuchtenden  Atigen. 
Mariscotti  ? 

HERZOG 
Man  öffne  seinen  Kerker,  lass'  ihn  glauben, 
Er  sei  befreit,  führ'  ihn  herauf  in  Luft 
Und  Licht,  behandle  ihn  mit  größter  Ehrfurcht, 
Als  hätte  sich  sein  Los  gewendet,  —  dann 
Geleite  man  ihn  höflich  in  den  Garten. 
Dort  aber  —  bind'  man  ihn  an  einen  Baum, 
Inmitten  aller  dieser  Lustbarkeiten. 
Das  Lachen  und  die  Seufzer  wilder  Lust 


286 


Umtön*  ihn,  seine  Blicke  tauchen  ein 

In  üppiges  Gewirr  berauschter  Leiber; 

Was  Menschen  seiner  Art  an  Wonnen  kennen, 

Im  Flackerleuchten  dieser  roten  Nacht 

Tanz'  es  um  ihn,  daß  wütende  Begier 

Ihm  in  die  kettenlahmen  GHeder  fahre.  — 

Ihr  aber,  Guidotti,  neben  ihn 

Stellt  Euch  mit  bloßem  Degen  hin  und  wartet, 

Bis  Euch  Befehl  wird,  in  den  Morgentau 

Zertretnen  Wiesengrüns   sein  Haupt   zu  schleudern! 

Jetzt  tritt  er  nach  hinten^  ruft  in  den  Garten. 
Ihr  andern,  nützt  die  Zeit!    Nehmt  meinen  Garten 
Als  duftend  Lager  eurer  Freuden  hinl 
Zum  Himmel  weisend. 

Ein  Baldachin  ist  herrHch  aufgespannt 
Und  spottet  mit  den  ew'gen  Sternen,  die 
Vor  fernen  Zeiten  stolzre  Menschenpaare 
In  keuscher  Freiheit  sich  umschhngen  sahn, 
Der  letzten  Scham.    Ich  aber,  euer  Fürst, 
Jeglichem  Bund,  der  heute  nacht  sich  schließt, 
Geb'  ich  die  Weihe.    Heiligt  andre  Ehen 
Unlöslichkeit  und  Dauer,  geb'  ich  diesen. 
Was  euch  Beweglichen,  Veränderungsfrohen, 
Euch  Menschen  besser  ziemt,  das  schnellste  Ende: 
Sie  alle  löst  das  erste  Graun  der  Früh'. 
Doch  was  aus  der  Entzückung  dieser  Stunde 
Aufsprießen  mag  zu  seiner  Zeit,  das  trage 
So  wunderbaren  Ursprungs  Zeichen  mit. 
Solang  es  lebt.  —  Adlig  geboren  nenn'  ich 
Die  Sprossen  dieser  Nacht,  da  euer  Fürst 
Mit  Beatrice  Nardi  Hochzeit  hält. 
Ab  nach  links. 

Die  andern  entfernen  sieb  nach  der  andern  Seite.  Der  Saal  wird  leer^ 
auch  dunkler;  einige  Lichter  verlöschen;  die  Fackeln  im  Garten 
immer  unruhiger^  düsterer;  auf  der  Wiese  undeutlich  wahrnehmbare 
Bewegung;  Paare  gleiten  vorüber^  umarmen  sich,  sinken  bin,  doch 
aUes  wirkt  wie  Schattenbilder;  manchmal  stürzen  Frauen  wie  fliehend 
vorbei. 


287 


Die  nächsten  Szenen  sehr  ratcb. 
ORLANDINO  und  ROSINA  aus  dem  GarUn. 

ORLANDINO 
Rosina ! 

ROSIN  J 
Warum   belügt   Ihr   mich?     Dort  ist  kein   Schlaf- 
gemach —  gewiß  nicht  das  Schlafgemach  der  Herzogin, 
denn  es  ist  leer! 

ORLANDINO 

Ihr  wagtet  es,  dorthin ?  Was  ist  Euch,  Rosina  ? 

Was  wollt  Ihr  von  Beatrice  in  diesem  Augenblick? 

ROSINA 

Nun  ist  es  zu  spät. 

ORLANDINO 
Rosina! 

ROSINA 
Ist's  wahr,  daß  Ihr  mich  hebt? 

ORLANDINO 
Rosina ! 

ROSINA 
Und  wärt  bereit,  alles  zu  tun,  was  ich  verlange? 

ORLANDINO 

Versprecht  Ihr  mir  das  Gleiche? 

ROSINA 

Alles  —  wenn  Ihr  — 

ORLANDINO 
Was? 

ROSINA 

drängt  lieb  an  ihn. 
So  —  Sie  unterbricht  sich  toieder.     Ihr   Seid   ZU   fc'^'   d.iZU 
—  v.ie  ich!    Ab  in  den  Garten. 


28S 


ORLANDINO 

ihr  nach. 
MARGERJTA  eilt  aus  dem  Garten  in  den  Saal;  BRUNI  folgt  ihr. 

MARGE  RITA 

Ich  will  nicht  mehr  zurück  —  die  Luft  ist  glühend  — 
Mir  war's,  die  Flammen  schlichen  mir  ans  Kleid! 
Lebt  wohll 

BRUNI 
Was  fällt  Euch  ein,  Marg'rita? 

MARGERITA 

Schaut  — 
Wie  heiß  sie  sich  umschlingen!    Niemals  hab'  ich's 
Im  Tanze  so  gesehn! 

BRUNI 

küßt  ihren  Nacken. 

Wie  lieb'  ich  Euch! 

MARGERITA 

Mich  schwindelt!  —  Seht,  die  Fackeln  tanzen  mit, 
Als  lebten  sie ! — Laßt  mich —  ich  bitt'  Euch,  laßt  mich! 
Sie  läuft,  er  folgt  ihr  in  den  Garten. 

MALVEZZl  und  LUCREZIA  treten  auf, 

LUCREZIA 
Nun  wißt  Ihr  alles,    's  ist  ein  hoher  Preis. 

MALVEZZl 

Ich  nehm's  als  witz'gen  Einfall.    Ja,  ich  seh', 
Ihr  wollt  mich  schrecken. 

LUCREZIA 

Nein,  es  ist  ein  Schwur, 
So  heilig,  als  Ihr  jemals  einen  tatet. 

Theateistücke.  II,  19,  289 


MALFEZZI 
Und  wenn  Ihr  mich  so  sehr  entzückt,  Lucrezia, 
Daß  ich's  drauf  wage  ?   Einmal  Euch  umschlingen  — 
Paare  vorüber  in  den  Garten. 

LUCREZIA 

Und  dann  vorbei  für  immer  alle  Freuden? 
O,  dankt  mir,  daß  ich  ehrlich  bin  mit  Euch. 
Ich  sag'  Euch,  jede  andre,  die  Euch  sah 
Und  so  begehrenswert  Euch  fand  wie  ich,    , 
Verschwiegen  hätt'  sie  ihren  Schwur  und  Euch 
Im  Taumel  eines  Kusses  ihre  Nadel 
Ins  Herz  gestoßen. 

MALVEZZI 
Doch  bedenkt  auch  das: 
Ich  bin  gewarnt,  ich  kann  mich  vor  Euch  hüten, 
Geschmeidig  bin  ich,  Euerm  Arm  kann  ich, 
Wann's  mir  beliebt,  rasch  mich  entwinden. 

LUCREZIA 

Glaubt  Ihr? 
In  diesem  Augenblick  läuft  ISABELLA  vorüber^    indem  sie  sieb 
die  Kleider  vom  Leibe  reißt. 

ISABELLA 

tvie  im  Taumel. 
O,  warum  ist  der  schönste  Jüngling  nicht  schön 
genug  — ?  warum  ist  der  stärkste  Mann  nicht  stark 
genug  — ?  warum  ist  die  tiefste  Wollust  noch  immer 
keine  Lust?  Ich  sterbe  vor  Sehnsucht!  Vorbei  in  den 
Garten. 

LUCREZIA 

Ist  die  nicht  schöner,  als  ich  bin  ?    Ich  bitt'  Euch, 
Nehmt  sie  an  meinerstatt.    Ihr  dauert  mich, 
Seid  jung  und  liebenswürdig. 

MALFEZZI 

Jedes  Wort 
Füllt  mich  aufs  neu  mit  Glut!    O  kommt! 


290 


LUCREZIA 

Wahrhaftig  — 
Mich  schauert  vor  der  rätselhaften  Macht, 
Die  aus  Florenz  in  diese  Stadt  mich  sandte, 
Um  Euch  — 

MALVEZZI 
Zu  lieben,  herrlichste  Lucrezia! 
Beide  in  den  Garten. 
Einige  JUNGE  ADLIGE  in  der  Halle. 

ERSTER 

in  den  Garten  sehend. 
Wer  ist  die? 

ZWEITER 

Ich  kenn'  sie  nicht.    Ich  habe  sie  nie  gesehen. 

DRITTER 
Sie  ist  aus  Florenz. 

ERSTER 

Wie  ihre  Haut  flimmert  im  Schein  der  Fackeln! 

ZWEITER 
Ich  habe  nie  geahnt,  daß  Frauen  so  schön  sein  können! 

ERSTER 

Wie  sonderbar!    Nun  wagt  sich  keiner  hin;  ganz 
allein  steht  sie  da. 

ZWEITER 

Sie  sinkt  hin  —  sinkt  hin  —  Alle  in  den  Garten, 

ROSINA 

kommt. 
War  das  nicht  meiner  Nächte  heiße  Sehnsucht, 
Von  wilden  Armen  so  umfaßt  zu  sein, 
Auf  meinem  Hals  begier'ge  Lippen  fühlen 
Und  meinen  ganzen,  wundgeküßten  Leib 


Hingeben  trunknen  Augen  so  wie  die! 
Und  jetzt,  da  die  erwünschte  Stunde  kam, 
Durchschauerts  mich  vor  jeghcher  Berührung, 
Und  mein  Verlangen  ward  ium  Haß, 

BENNOZZO  eiligst  vom  Garten  kommend. 

Rosina! 
ROSINA 

jährt  zusammen. 
Du  bist's?    Du  wagtest  dich  herein? 

BENNOZZO 

Dich  such'  ich! 
Rosina,  dich!    Was  ist  das  für  ein  Fest? 
Gott  auf  den  Knien  dank'  ich,  daß  du  hier! 
Wie  bebt'  ich,  daß  du  eine  warst  von  diesen, 
Die  auf  den  Wiesen  unter  Bäumen  liegen 
Und  lachen,  seufzen,  schrein,  und  deren  Antlitz 
Ich  nicht  erkennen  wollte  —  Wohin  starrst  du? 

HERZOG  kommt  von  links. 

ROSINJ 

bat  ihn  erblickt;  der  Herzog  geht  auf  sie  zu^  Bennozzo  weicht  er' 
schrecken  zurück. 

HERZOG 

ruhig  zu  Rosina. 

Du  wirst  mir  sagen,  wo  sie  ist! 
ROSINA 

tiebt  ihn  starr  an, 

HERZOG 

Nun  —  hörst  du? 
Wo  Beatrice  ist! 

ROSINA 
Sie  ist  nicht  dort, 
Wo  Ihr  sie  suchtet? 


292 


HERZOG 

Deine  Augen  glänzen, 
Wie  wenn  ein  arger  Streich  gelang.    Ich  fragte, 
Wo  Beatrice  ist  —  verstehst  du  mich? 

ROSINA 

wie  jubelnd. 
Sie  ist  nicht  dort?    Ist's  wahr,  sie  ist  nicht  dort? 

HERZOG 

Du  sollst  mir  sagen,  wo  sie  ist! 

ROSINA 

Ich  weiß  nicht. 

HERZOG 
Lüg  nicht! 

ROSINA 
Ich  lüge  nicht. 

HERZOG 

Noch  gestern  schliefst  du 
Mit  Beatricen  in  der  gleichen  Kammer,  — 
Wenn's  eine  wissen  kann,  bist  du's! 

ROSINA 

Ich  schwör'  Euch 
Bei  allen  Heil'gen,  Herzog:  ich  weiß  nichts! 

HERZOG 

Warum  dies  Lächeln  dann,  als  hätt'  ein  Glück 
Ich  dir  verkündet  ? 

ROSINA 
Weil  —  Ihr's  tatet,  Herr! 

HERZOG 

nachdfm  er  sie  lange  betrachtet. 
Und  ahnst  auch  nicht  —' 


29^ 


ROSINJ 
Ahnt'  ich's,  so  schwieg'  ich  nicht! 

COSINI  ist  eingetreten. 

HERZOG 

Cosini,  ruf  mir  augenblicks  den  Bruder 
Der  Herzogin  herbei. 

COSINI 

Man  sah  ihn  nicht. 
Er  hielt  sich  fern. 

HERZOG 

Man  such'  ihn,  bring'  ihn  her! 

COSINI  ab;  kommt  bald  wieder  mit  MAGNANI. 

HERZOG 

zu  Rosina. 
Und  deine  Mutter  schaff  du  mir  zu  Stelle! 
Den  Vater  auch! 

ROSINJ 

zu  Bennozzo. 
Sahst  du  die  Eltern  nicht? 

BENNOZZO 
Gewiß.    Sie  stehen  beide  vor  dem  Tor, 
Man  ließ  sie  nicht  herein,  die  Wachen  höhnten: 
So'n  häßlich  altes  Weib,  das  dürfe  nicht 
Ins  Schloß!    Und  als  sie  rief:  Ich  bin  die  Mutter 
Der  Fürstin!  lachten  alle. 

ROSINJ 

Geh  und  hol'  sie! 
Bennozzo  ab. 

HERZOG 

zu  Cosini  und  Magnani,  die  dastehen^  ohne  eine  Frage  zu  wagen. 
Die  Herzogin  ist  fort. 


294 


COSINI 

Ist  fort?    Wie  das? 

HERZOG 
Verschwunden. 

MJGNJNI- 
Ist  es  möglich? 

HERZOG 

So  unsäglich 
Genarrt  bin  ich !    Von  wem  ?    Von  ihr  ?    Von  allen  ? 
Erweisen  soll  sich's  bald!    Man  bringe 
Zum  Schweigen  die  Musik!    Das  Fest  ist  aus! 
Musik  verstummt.  —  In  den  Garten: 

Hört  Ihr?    's  ist  aus!    Jagt  diese  Dirnen  fort 
Aus  Schloß  und  Garten!    Diese  Nackte  dort 
Mit  Peitschenhieben!    Und  ein  Ende  macht 
Mit  Mariscotti. 

Die  alten  NARDIS  sind  gekommen;  Wachen  hinter  ihnen,  auch 
Bennozzo. 

Wo  ist  eure  Tochter? 
Wo  habt  ihr  sie  versteckt  ?    Wieviel  bezahlt  euch 
Der  Borgia  oder  einer  seiner  Schurken 
Für  diesen  prächt'gen  Spaß  ? 

FRAU  NARDI 

Euere  Hoheit,  Eure  erhabene  Hoheit  —  Gnade  — 
Gnade!  Ich  bin  unschuldig!  Ich  habe  Beatrice  nicht 
versteckt !  Ich  weiß  nicht,  wo  sie  ist,  bei  allen  Heiligen 
schwör'  ich,  daß  ich  nicht  weiß,  wo  das  unglückselige 
Kind  ist! 

HERZOG 

zum  alten  Nardi. 
Sprich  du!    Nun,  hörst  du  nicht? 

DER  ALTE  NARDI 

klatscht  in  die  Hände  und  lacht. 


»95 


HERZOG 

Spielt  der  den  Narrn? 

FRAU  NARDl 
Eure  Hoheit,  wie  würde  er  solches  wagen?  Mein 
Mann  ist  verrückt,  wirklich  verrückt,  schon  lang,  seit 
vielen  Jahren  schon.  Eure  Hoheit  —  ich  bin  schuld 
daran,  ich  hab'  ihn  dazu  gemacht.  Seht,  wie  wahrhaftig 
ich  bin,  ich  gestehe  es  ein,  so  wahrhaftig  bin  ich!  Ich 
elendes  Weib  habe  ihn  dazu  gemacht  mit  meinen 
Sünden,  und  er  weiß  so  wenig  wie  ich,  wo  Beatrice  ist! 

HERZOG 

Kein  Haar  ward  dir  gekrümmt,  vs^as  du  auch  sagst. 
Sprich  frei!    Mein   fürstlich  Wort:   dir  droht   nicht 

Strafe! 
FRAU  NARDI 
Ich  kann  nichts  sagen  —  ich  weiß  nichts  —  auch  auf 
der  Folter  könnt'  ich  nicht  mehr  sagen!    War  denn 
jemals  eine  Mutter  so  hochbeglückt  als  ich,  da  der 
Herzog  meine  niedre  Tochter  zur  Gattin  wählte? 

HERZOG 
Weib!    Du  gebarst  sie,  zogst  sie  auf,  du  hast  ihr, 
Eh'  sie  zur  Hochzeit  ging,  das  Haar  gekämmt  — 
Sie  sprach  zu  dir!    Was  sprach  sie,  eh'  sie  ging? 
Wo  war  sie  gestern  früh,  wo  gestern  abend? 
Nenn'  mir  die  Menschen  alle,  die  sie  kennt! 

FRAU  NARDI 

Eure  Hoheit,  sie  kennt  niemand,  als  die  Gewerbs- 
leute, die  in  unserer  Nähe  wohnen,  ihre  Frauen  und 
Kinder.    Lauter  harmlose,  brave  Leute  —  da  ist  zum 

Beispiel  einer,  der  heißt  Capponi,  und  ein  anderer 

aber  wde  kann  ich  alle  die  Namen  nennen?  Und  sie 
lebte  vde  alle  jungen  Mädchen  unseres  Standes.  Sie 
war  ein  braves  Kind  —  beim  Himmel,  sie  war  ein 
braves  Kind!    Nie  ging  sie  allein  fort! 

296 


ROSINA 
Das  ist  nicht  wakr!    Gar  oft  ging  sie  allein. 

FRAU  NARDI 

Nun,  und  wenn  sie  allein  ging  ?  Wohin  denn  anders, 
als  vor  die  Tore,  auf  die  Wiesen,  spazieren,  und  wenn 
wir  sie  suchten,  brauchten  wir  nie  weiter  zu  gehen, 
als  bis  zu  dem  Hügel,  wo  das  Kloster  San  Luca  steht. 
Da  lag  sie  im  Grünen  vor  den  Mauern  und  manchmal 
war  sie  da  eingeschlafen.   Und  dann  weckten  wir  sie  — 

HERZOG 

Schwatz'  nicht  so  unnütz!    Du  weißt  mehr,  Rosina! 

ROSINA 
O  Herr,  ich  schwor'  Euch,  —  wüßt'  ich,  wo  sie  finden, 
Ich  schleifte  selbst  sie  her;  daß  Ihr  die  Schmach, 
Die  sie  Euch  zufügt,  ahndet  nach  Gebühr! 

HERZOG 
Was  ich  zu  tun  gedenke,  steht  bei  mir. 
War'  sie  nur  da!    Ich  muß  sie  vnederhaben! 

GUIDOTTI  kommt  aus  dem  Garten. 
Mein  Fürst,  es  ist  nach  Euerm  Wort  geschehn. 

HERZOG 

siebt  ihn  an,  ohne  zu  antworten;  spricht  dann  tceiter. 
Was  trieb  sie  fort,  und  welche  Macht  war  wirksam  —  ? 
Hätt'  ich  sie  doch  gekannt!    Hätt'  ich  die  Stunde, 
Die  eine  nur  genutzt,  so  kannt'  ich  sie, 
Und  wüßte,  wer  sie  ist,  und  was  sie  lockte; 
Ob  sie  ein  Kind  noch  war,  ob  sie  vertraut 
Mit  Zärtlichkeit  und  Trug,  ob  sie  verschlagen. 
Ob  ohne  Falsch.    Doch  diese  Fragen  trinken 
Den  Sinn  aus  der  Gewißheit  eines  Morgen  — 
Was  kümmern  sie  in  einer  solchen  Nacht? 
Und  jetzt  dürst'  ich  nach  Antwort  so,  als  stünden 
Endlose  Reihen  künft'ger  Tage  da; 


297 


Ins  Unermeßne  reckt  sich  meine  Sehnsucht, 

Und  alles  andre  wird  zu  nichts.    Gleichgültig 

Seid  ihr  mir  alle  und  was  euch  bedroht, 

Gleichgültig  meine  Stadt;  die  Schlacht  von  morgen 

Ein  sinnlos  blutiges  Gezänk,  da  mir 

So  wenig  Abscheu  gegen  Cesar  blieb, 

Als  Liebe  für  Bologna  und  für  euch! 

Mein  ganzes  Leben  ist  zusamm'gepreßt 

In  dieses  eine:  —  Wo  ist  Beatrice? 

Was  ist's,  das  so  unsäglich  mich  verwirrt  ? 

Nicht  ird'sche  Lust,  alltägliches  Verlangen 

Nach  einem  schönen  Weib  hat  so  viel  Macht  — 

Es  kündet  also  höhere  Bestimmung, 

Des  Schicksals  Wille  sich  gebietrisch  an. 

Schafft  Beatrice  mir,  so  bin  ich  euer. 

Wie  ich's  gewesen,  und  ich  mach'  euch  frei! 

Bringt  sie  mir  wieder,  und  Bologna  wird 

Von  allen  Städten  dieses  Lands  die  erste! 

Schafft  Beatrice  mir,  so  wird  der  Adler, 

Der  mit  zerschoßnem  Flügel  niedersank 

Vor  San  Petron,  den  Borgia  selbst  bedeuten, 

Dem  hier  sein  Ende  wird  —  nicht  mich! 

EINIGE 
Die  Herzogin! 
BEATRICE  ist  im  Garten  erschienen.  —  Ungeheures  Erstaunen, 

HERZOG 
Beatricc! 

Schweigen, 

BEATRICE 

bleibt  anfangs  zwischen  den  Säulen  stehen. 
So  war  ich  länger  fort,  als  ich  gedacht. 

HERZOG 
Wo  kommst  du  her? 

BEATRICE 
Ich  komme  aus  der  Kirche. 


298 


HERZOG 

Was  tatest  du? 

EEA1RICE 

als  spräche  sie  nach. 
Gebetet  hab'  ich  dort 
Für  Euch,  für  mich,  für  alle. 

HERZOG 

Hast  gebetet? 

BEA1RICE 

mit  loacbsender  Sicherheit. 

Bei  San  Petron. 

MAGNANI 

zu  Cosini. 

Das  ist  unmöglich! 

COSINI 

Schweigt! 
HERZOG 
Du  hast  gebetet  ?    Jetzt  ?    In  San  Petron  ? 

BEATRICE 

Unwiderstehlich  zog  es  mich  dahin. 

ROSINA 
Du  lügst! 

HERZOG 

zu  Rosina. 
Laßt  siel    Zu  Beatrice.    Was  war  es,  das  dich 

hinzog  ? 
BEATRICE 
Es  senkte  wie  Erleuchtung  sich  herab, 
An  solchem  Ort  in  solchem  Augenblick 
Sei  mein  Gebet  von  tiefster  Kraft  erfüllt. 

ROSINA 
Seilt,  wie  sie  zittert  1 


299 


HERZOG 

zu  Rosina. 
Schweige !  Zu  Beatrice.  Du  sprich  weiter 
Und  hab'  nicht  Furcht. 

BEAT  RICE 

Sie  sehn  mich  alle  an  — 
Doch  zittr'  ich  nicht.    Es  nahn  die  Morgenschauer, 
Die  fühl'  ich  früher  als  die  andern  Menschen. 

HERZOG 

Weht's  aus  dem  Garten  dich  so  fröstelnd  an, 
So  führ'  ich  dich  in  wohlverschloßnen  Raum, 
Dort  sollst  du  mir  erzählen,  mir  allein, 
Was  ich  dich  frage.    Wahrlich,  wie  du  bebst! 
Komm,  Beatrice,  nimm  den  Schleier  um. 
Daß  deine  Haut  die  Schauer  minder  fühle. 

BEJTRICE 

greift  nach  ihrem  Hals^  merkt,  daß  sie  ohne  Schleier  ist^  zuckt  zu- 
sammen. 

HERZOG 

Wo  ist  er? 

BEJTRICE 

Nun,  ich  ließ  ihn  wohl  zurück. 

ROSINJ 

Nein,  als  du  fortgingst,  warst  du  drein  gehüllt! 

HERZOG 
Du  sahst  sie  gehn? 

ROSINJ 

Ja,  doch  ich  ahnte  nicht, 
Daß  sie  zur  Kirche  wollte. 

BEATRICE 

In  der  Kirche  — • 


Hoo 


Ja,  ganz  gewiß,  dort  liegt  er  —  vorm  Altar  — 
Wenn  er  nicht  auf  der  Straße  mir  herabglitt 
Von  meinen  Schultern! 

MAGNANI 
Herr! 

COSINl 

Schweigt  doch! 

MAGNANI 

Verzeiht 
In  Gnaden  mir,  mein  Fürst,  die  Fürstin  lügt! 

Beilegung. 

HERZOG 
Was  wagst  du  ? 

MAGNANI 
Nach  Vollzug  der  heil'gen  Handlung 
Ließ  ich  die  Türen  sperren,  denn  mir  ahnte, 
Daß  frische  Weihn  dem  Gotteshaus  geziemten. 
Das  diese  hier  betrat.    Ich  selbst  als  letzter 
Verließ  die  Kirche,  dann  die  Sakristei  — 
Die  Herzogin  kommt  nicht  von  San  Petron! 

Schweigen. 

HERZOG 
Wo  warst  du?    Rede?    Und  wo  blieb  der  Schleier? 

BEAT  RICE 
Ich  weiß  nicht,  wo  er  ist.    Nun  ist  er  fort. 

HERZOG 
Schaff  mir  ihn  her! 

BEA7RICE 
Ich  soll  — 


301 


HERZOG 

Du  sollst  mit  mir 
Den  Schleier  holen,  wo  du  ihn  verlorst. 

BEAIRICE 
Ich  kann  nicht. 

HERZOG 

Wie?    Ist,  was  mich  dort  erwartet, 
So  über  alle  Maßen  schauervoll. 
Daß  du  dich  schwerern  Grimms  von  mir  versiehst, 
Als  wenn  du  weigerst,  was  ich  dir  befehle? 
So  höre,  Beatrice,  dir  ist  alles. 
Wie  ungeheuer  deine  Schuld  sich  zeigt. 
Schaffst  du  den  Schleier,  ist  es  dir  verziehn. 
War's  frevler  Anschlag  wider  deinen  Herrn 
Im  Bund  mit  meinen  Feinden,  war's  ein  Werk 
Gottloser  Zauberei,  das  du  versucht, 
War's  frühe  Untreu'  wider  deinen  Gatten  — 
Ich  bin  bereit,  so  gänzlich  zu  verzeihn, 
Daß  du  als  Herzogin  rückkehrst  ins  Schloß, 
Wär's  auch  von  einem  höchst  verruchten  Ort. 
Willst  du  noch  mehr,  so  sprich! 

BEAJRICE 

Ich  kann  nicht  hin! 

HERZOG 
Bedenke,  was  du  sagst! 

BEATRICE 

Ich  kann  nicht  hin! 

HERZOG 
Verstandst    du    mich  denn  nicht  ?    Dir  droht  nicht 

Strafe, 
Du  bleibst  die  Fürstin  und  du  bleibst  mein  Weib,  — 
Und  bin  ich  nicht  mehr  hier,  liegt's  diesen  ob. 
Beim  letzten  Schwur,  den  ihre  Treu'  mir  leistet, 


302 


Dein  Haupt  wie  ein  unschuld'ges  zu  beschützen. 
Doch  nun  die  Wahl:  Schaffst  du  den  Schleier  nicht  — 

BEA1RICE 
Ich  kann  nicht,  Herr! 

HERZOG 

So  jag'  ich  dich  davon! 

BEA7RICE 

schaut  ihn  zuerst  groß  an,  dann  wendet  sie  sieb,  ah  wollte  sie  geben. 

HERZOG 
Was  willst  du  tun? 

BEATRICE 
Ihr  sagt's  ja.    Ich  muß  gehn. 

HERZOG 

Nicht  so!  nicht  gleich!    Im  Schein  der  ersten  Sonne, 
Mit  wüsten  Haaren  und  zerrißnem  Hemd  — 
Als  meine  Hure,  allem  Volk  zum  Spott 
Lass'  ich  von  Knechten  übern  Hof  dich  treiben! 

BEATRICE 
Tut,  was  Ihr  müßt.  —  Den  Schleier  hol'  ich  nicht. 

MAGNANI 
Nicht  Schmach  ist's,  was  dergleichen  Frauen  schreckt. 

HERZOG 

Bedenk's  ein  letztes  Mal.    Dich  zu  bestrafen, 
Gebricht's  mir  nicht  an  Macht.    Erspar'  es  mir, 
Sie  bis  an  ihre  Grenzen  auszudenken! 

FRAU  NARDI 
Beatrice  —  mein  Kind!  Der  Fürst  ist  ja  so  gnädig! 

BEAIRICE 

Ich  kann  nicht  hin! 

303 


HERZOG 
Dein  letztes  Wort? 

BEJTRICE 

Es  ist's. 
HERZOG 

nach  einer  kleinen  Pause. 
Somit  erklär'  ich  Beatrice  Nardi 
Verlustig  ihres  herzoglichen  Rangs 
Und  sende  sie  zurück,  woher  sie  kam. 
Euch  übergeb'  ich  sie,  Carlo  Magnani, 
Zu  schleunigem  Gericht  und  Urteilsspruch  — 
Mir  kündet  die  Vollstreckung  früh  am  Morgen. 
Wendet  sieb  zu  geben.    Langsam  links  die  Stufen  binauf, 

MAGNANI 
Dank,  Fürst,  für  den  gesegneten  Entschluß! 

BEA7RICE 
Wo  geht  er  hin  ?    Was  soll  mit  mir  geschehn  ? 

FRAU  NARDI 
Mein  Kind,  du  sollst  sterben!    Verstehst  du  denn 
nicht,  du  sollst  sterben! 

BEA7RICE 

angstvoll. 
Sterben  ?    Sterben  ? 

MAGNANI 

zu  den  ringsum  versammelten  Edlen. 
Ihr  Herrn,  uns  bleibt  kaum  Zeit,  die  Form  zu  wahren, 
Und  da  mir  unbeschränkte  Vollmacht  ward, 
So  wähl'  ich  euch,  ihr  edeln  Herren  alle, 
Die  Zeugen  dieses  unerhörten  Falls, 
Als  Richter,  mir  vom  Schicksal  beigesellt. 
Und  klage  diese:  Beatrice  Nardi 
Vor  so  berufnem  Kreis  und  allem  Volk 
Der  Hexerei  und  des  Verrates  an. 
Und  trage  an,  trotz  des  verjährten  Brauchs, 


304 


Der  martervollre  Bußen  auferlegt, 

Der  fürstlichen  Vergangenheit  gedenkend, 

(So  kurz  sie  währte  und  so  schlimmer  Art 

Sie  auch  errungen  ward,  so  bleibt  sie  fürstlich:) 

Auf  Tod  durchs  Schwert  und  noch  in  dieser  Stunde. 

BEATRICE 

schreit. 
Ich  will  nicht  sterben!    Nein,  ich  will  nicht  sterben! 
Tot  sein  ist  fürchterhch!    Ich  will  nicht  sterben! 

MAGNANI 
Führt  sie  hinab! 

BEA1RICE 

Ich  will  den  Schleier  bringen! 
Zu  Knechten^  die  sie  ergreifen  wollen. 

Laßt  mich! 

MAGNANI 

Führt  sie  hinab! 

BEATRICE 

Hört  Ihr  mich  nicht  ? 
Ich  will  den  Schleier  holen!    Ruft  den  Herzog! 

MAGNANI 
Es  ist  zu  spät. 

FRAU  NARDI 
Es  ist  nicht  zu  spät!    Man  wiU  eine  Unschuldige 
umbringen!    Eure  Hoheit!    Ich  will  schreien,  daß  die 
Mauern  zusammenstürzen!    Der  Herzog  soU  wieder- 
kommen! 

MAGNANI 
Der  Teufel  hol'  die  Alte! 

GUIDOni 

kommt  aus  dem  Garten^  in  größter  Erregung. 
Ihr  Herrn,  wer  sah  von  euch  das  junge  Weib, 
Das  mit  Malvezzi  war  vor  einer  Stunde? 

Theaterstücke.  II,  z«  i^S 


ZAMPIERI 
*8  war  eine  aus  Florenz. 

ANDERE 

Was  ist's  mit  der? 

Ganz  im  Hintergrund  des  Gartens  siebt  man  eine  Leiche  vorüber- 
tragen. 

HERZOG 

von  der  Terrasse  aus,  dem  Publikum  unsichtbar,  sehr  laut.  ^ 

Ist's  Mariscotti,  den  die  Leute  tragen  ?  fl 

Zur  Mauer  von  Isaia  mit  dem  Leichnam! 
Hinausgeschleudert  das  verruchte  Haupt, 
Auf  daß  sie's  finden,  wenn  die  Sonne  aufgeht!  i 

GUIDOTTI 
Dafür  hab'  ich  gesorgt.    Doch  dieses,  Herr, 
Ist  des  Malvezzi  Leich'.    Betcegung.    Im  Grase  lag  er; 
Von  dieser  Nadel  war  sein  Herz  durchbohrt. 

EINIGE 
Die  Florentinerin! 

ANDERE 
Man  suche  sie! 

EINER 
Kein  Weib  ist  mehr  im  ganzen  Schloß  zu  sehn, 

ZAMPIERI 
Sie  kam  mit  der,  die  man  hinausgepeitscht. 

ZWEITER  ADELIGER 
Leicht  kenntlich,  denk'  ich,  wird  die  allen  sein! 

ERSTER  ADELIGER 
Die  stürzte  hin  am  Tor  —  die  sagt  uns  nichts  mehr! 

BEATRICE 

ist  in  den  Gärten  gestürzt,  hat  sich  niedergeworfen,  sieht  zur  Terrasse 
0uf{  flehend. 

O  Herr! 


306 


HERZOG 

GraunvoUe  Nacht! 
Er  beginnt  langsam  die  Stiegen  herunterzukommen, 

BEA1RICE 

Ich  habe  Furcht  — 
Sie  töten  mich  —  und  ich  will  leben,  Herr! 

Den  Schleier  hol'  ich  Euch ich  will  nicht  sterben! 

O  kommt,  ich  bitt'  Euch! 

MAGNANI 

Herzog,  hört  sie  nicht! 
Es  bringt  Gefahr  —  geht  nicht! 

HERZOG 

ist  auf  den  letzten  Stufen, 

BEATRICE 

Nehmt  meine  Hand! 

HERZOG 
Was  soll  mir  deine  Hand? 

BEA7RICE 

O  bitte,  nehmt  sie! 
Ihr  müßt  sie  halten  —  müßt  sie  immer  halten! 
Das  eine  tut  mir:  laßt  mich  nicht  allein. 
Wenn  ich  mit  Euch  dahin  geh'!    Und  noch  eins  — 
Das  fleh'  ich  —  fragt  mich  nicht  —  ich  fleh'  Euch  an  — 
Fragt  mich  um  nichts! 

HERZOG 
Bin  ich  erst  dort  mit  dir. 
Was  brauch*  ich  noch  zu  fragen! 

BEAJRICE 

Schwört  mir  das, 
Daß  Ihr  nichts  fragt,  und  haltet  meine  Hand! 

HERZOG 
Ich  halte  sie. 


»«• 


307 


BEA1RICE 

So  kommt! 
Sie  zieht  ihn  nach  hinten;  Magnani  scheint  folgen  zu  wollen. 

HERZOG 

Daß  niemand  folge! 
Hört  Ihr?    Bei  Strafe  seines  Lebens  —  keiner! 

Alle    bleiben    wie    gelähmt  stehen.    In  diesem   Augenblick    kommt 

FRANCESCO^   der  mit  größtem  Erstaunen  alles  siebt  und  -nach 

vorn  stürzt^  als  tcenn  er  jemanden  etwas  fragen  wollte. 


Feiglinge!    Feiglinge! 


ROSINA 

schreit. 


'orbang. 


3o3 


FÜNFTER  AKT 

Szene  des  dritten.  Ganz  dunkel.  Die  Kerzen  berahgelrannt.  Der 
Schleier  liegt  wie  leuchtend  nicht  ganz  in  der  Mitte,  mehr  rechts^ 
too  ihn  Beatrice  heruntergleiten  ließ.  Die  Leiche  des  Filippo  Loschi 
beinahe  ganz  unter  den  Vorhängen  des  Alkovens;  man  sieht  gar 
nichts  von  ihr,  zoenn  der  Vorhang  aufgeht.  Die  Szene  ist  eine  Weile 
leer.  Es  ist  anfangs  still.  Nach  einiger  Zeit  Lärm  auf  der  Straße^ 
Lachen,  das  wieder  verklingt.  Wieder  vollkommene  Stille.  Dann 
tritt  durch  die  offene  Tür  rechts  BEATRICE,  der  HERZOG  hinter 
ibr^  ihre  linke  Hand  mit  seiner  rechten  haltend,  Sie  gebt  auf  de» 
Schleier  zu,  bebt  ihn  auf. 

BEATRICE 
Hier  ist  er!    Und  nun  kommt! 

HERZOG 

bleibt  regungslos  stehen. 

BEATRICE 

Ich  bitt'  Euch,  kommt ! 
Ihr  seht,  der  Schleier  ist's,  den  Ihr  mir  gabt. 
Ich  hielt  mein  Wort,  nun  haltet  Eures  auch, 
Und  laßt  uns  gehn, 

HERZOG 

regungslos. 

BEATRICE 

in  immer  heftigerer  Angst. 

Nach  nichts  zu  fragen,  schwort  Ihr! 
So  kommt,  verlassen  wir  den  Ort  —  ich  bitt'  Euch! 

HERZOG 

sehr  ruhig,  sie  immer  bei  der  Hand  haltend. 

Sind's  immer  noch  die  Schauer  nahen  Morgens, 
Daß  deine  Finger  beben  f 

BEATRICE 

Gehn  wir  fort! 


309 


HERZOG 
Noch  nicht. 

BEA1RICE 
Dies  ist  der  Schleier. 

HERZOG 

Ja,  er  ist's. 
BEA1RICE 
Und  was  ich  auch  getan,  Ihr  habt's  verzieh'n! 

HERZOG 
Das  tat  ich. 

BEA1RICE 
Also  fort  —  ich  bitt'  Euch,  fort! 

HERZOG 

Dies  Haus  gleich  zu  verlassen,  schwor  ich  nicht. 

BEATRICE 
Was  wollt  Ihr  hier? 

HERZOG 
Das  Licht  des  Tags  erwarten! 

BEATRICE 
Bis  dahin  währt's  noch  lang. 

HERZOG 

Die  Dämmer  steigen 
Dort  überm  Turm  —  siehst  du  nicht,  Beatrice  ? 

BEATRICE 

sieb  erinnernd. 
Ja  —  überm  Turm.  —  Nein,  Sterne  flimmern  dort! 

HERZOG 

Sie  löschen  aus,  der  Himmel  ahnt  den  Tag. 

BEATRICE 
Doch  wenn  er  kommt  — 


310 


HERZOG 

Was  dann? 

BEATRICE 

Dann  öffnen  sich 
Die  Tore  und  Ihr  zieht  hinaus  ins  Feld  — 

Indem  sie  ihrer  Stimme  einen  verführerischen  Ausdruck  xu  geben  sucht. 
Und  diese  Nacht,  mein  Fürst  und  mein  Gemahl, 
Versank  und  kommt  für  uns  nie  wieder! 

HERZOG 

Nie!  — 
BEJTRICE 
So  gehn  wir  doch!    Seht,  sind  wir  erst  daheim. 
Dürft  Ihr  mich  fragen  und  dürft  alles  wissen. 
Nur  fort  Yon  hier !  —  Bin  ich  nicht  Euer  Weib  —  ? 
Und  daß  ich  alles  dies  getan  —  nun  ja  — 
Ihr  wißt  nicht,  was  es  war,  doch  ist  es  viel  — 
Und  war  doch  nur  für  Euch  —  das  muß  wohl  sein  — 
Ich  lieb'  Euch  so!    Und  wenn  der  Tag  erscheint, 
Geht  Ihr  von  mir,  und  ob  Ihr  jemals  heimikehrt. 
Wer  weiß  ?   Wer  weiß  ?  —  Den  Schleier  halt'  ich  fest, 
Ich  werd'  ihn  nicht  zum  zweitenmal  ysrlieren! 

In  immer  stärkerer  Erregung^  tote  dem  WainsdoM  nmb. 
Nach  Hause  also   !  Sehnst  du  dich  denn  nicht 
Nach  meinen  Küssen  ?    Denke,  wa«  du  tatst. 
Mich  zu  gewinnen!    Bist  ein  Herzog  doch, 
Und  nahmst  mich  gleich  zum  Wsib,  da  ich's  verlangte. 
Und  schenktest  mir  so  viel  und  gabst  ein  Fest, 
Und  morgen  früh  mußt  du  davon  und  höre  —  hör«  — 

Wie  mit  einer  letzten  Anstrengung. 
Ich  liebe  dich! 

HERZOG 

Sei  ruhig,  Beatrice, 
Dir  ist  verziehn,  du  bleibst  die  Herzogin, 
Und  in  die  Arme  schließ'  ich  dich  all  Weib. 

BEA1RICE 
So  komm! 


3" 


HERZOG 

Wohin  ?    Das  prunkende  Gemach, 
Wo  meine  Väter  ihre  Hochzeit  hielten, 
Und  Parmas  Fürstentochter  mich  empfing, 
Scheint  mir  für  unsre  Brautnacht  nicht  der  Ort! 

BEATRICE 
Nicht  edel  ist  mein  Stamm,  ich  weiß  —  doch  seht, 
Ich  bin  sehr  schön,  und  Ihr  nahmt  mich  zum  Weib! 

HERZOG 
Du  bist's!    begreif  es  nur!    Doch  mich  verdrießt's, 
Mit  dir  zurückzukehren  in  mein  Schloß, 
Und  unsrer  Feier  wähl'  ich  andern  Ort! 

BEATRICE 
Wo  wollt  Ihr  hin? 

HERZOG 

Ich  wüßte  keinen  bessern 
Als  diesen  hier,  wo  du  den  Schleier  Heßest. 

BEATRICE 
Was  —  sagt  Ihr? 

HERZOG 

Keinen  würd'gern,  Beatrice, 
Und  sucht*  ich  ganz  Bologna  danach  ab. 
Ob  dies  ein  Haus  verruchten  Zaubers  ist. 
Ob  du  hier  schwelgtest  in  geheimen  Lüsten, 
—  Ich  frag'  es  nicht!  —  doch,  wie  es  sei,  nur  hier 
Soll  diese  wunderbare  Hochzeit  enden! 
Hier,  schöne  Beatrice,  wirst  du  mein! 
Was  ist  dir?    Immer  noch  die  Morgenschauer? 

Er  berührt  sie. 
Daß  Finger  —  Hände  —  Arme  —  Hals  dir  zittern  ? 

BEATRICE 

schaudernd. 
Laßt  mich!    Ich  bitt'  Euch,  laßt  mich! 


312 


HEKZOG 

um  neb  schauend. 

Mählich  dringt 
Mein  Blick  ins  Dunkle,  ungefragt  enthüllen 
Vorlaute  Schimmer  dieses  Raums  Geheimnis! 

Siebt  die  Vor  bange. 
Hier  wallt  es  faltenschwer  zur  Erde  nieder  — ■ 
Komm,  Beatrice,  dort  ist's  aufgerichtet, 
Das  solcher  Ehren  nimmer  sich  versah, 
—  Das  Brautbett  wartet,  Fürstin  von  Bologna! 
Er  zieht  sie  mit  sieb. 

BEATRICE 
Laßt  mich! 

HERZOG 
O,  regt  sich  Scham  ein  letztes  Mal? 
So  denk',  's  ist  eine  Gruft,  so  schwarz  und  stumm, 
Darin  wir  unsre  Seufzer  keusch  begraben. 
Komm,  Beatrice! 

BEATRICE 

Laßt  mich! 
Reißt  sieb  los,  steht  abgewandten  Gesiebtes  da. 

HERZOG 

Welche  Nähe 
Und  welche  Furcht  gibt  deiner  Schwäche  Kraft  ? 

BEATRICE 

in  wachsender  Verzweiflung. 
Nein,  sag'  ich  Euch!    Eh'  Ihr  mich  anrührt,  Herzog, 
Eh'  Ihr  dorthin  geht  —  seht,  wahrhaftig  mein'  ich's  — 
Hier  ist  mein  Herz!  —  Ich  bitt'  Euch,  bringt  mich  um! 
Ich  selber  bin  zu  feig,  Ihr  wißt!    Auch  so 
Ist's  furchtbar,  wie  sie's  dort  im  Schlosse  wollten. 
Doch  Ihr  soUt's  tun  —  und  gleich! 

HERZOG 

Wo  bin  ich? 
Nun,  blödes  Auge,  willst  du  nicht  einmal 


313 


Mit  eignem  Lichte  schaun  ?    Mußt  du  auch  heut 
Vom  letzten  Tage  noch  den  Strahl  dir  leihn? 

BEATRICE 
Zu  mir!    Zu  mir! 

HERZOG 

den  Vorhang  lebend^  erblickt  den  Körper  des  FILIPPO. 
Ich  sehe  —  sehe  —  sehe! 
Wach'  auf!  Schläfst  du  so  fest  ?  War  Eu'r  Umschlingen 
So  wild,  war  Euer  Rausch  so  tief,  daß  dich 
Mein  Ruf  nicht  weckt !  Wach'  auf !   Beschämt  dich  die 

nicht, 
Die  unermattet  kam  aus  deinen  Armen 
Ins  Schloß,  wo  eine  Brautnacht  ihrer  harrte 
Und  wieder  her  zu  dir  und  aufrecht  steht  — 
Und  du  liegst  wie  'n  Betrunkner  hingestreckt  ? 
Seh'  ich  um  deinen  Mund  ein  Lächeln  spielen  ? 
Kommt  Licht  aus  deinen  Locken,  daß  ich  sehe? 
Bist  du  so  stolz,  daß  deines  Fürsten  Braut 
Am  Hochzeitsabend  deine  Hure  war, 
Und  träumst  davon  ?    Wie  oder  glaubst,  daß  dies, 
Was  jetzt  geschieht,  ein  Traum  ?  Du  irrst!  Du  wachst! 
Merkst  du's  und  regt  sich's  unter  deinen  Lidern  ? 
Steh  auf!    Nicht  länger  mehr  gelingt's,  den  Schlaf 
Zu  heucheln!    Früh'  ist  um  dich,  und  ich  sehe 
Dein  Lächeln  sich  in  angstvoll  Grinsen  wandeln 
Und  Graun  die  Augen  aus  den  Höhlen  treiben! 
So  rühr'  dich  doch!    Lähmt  dich  der  Schrecken  so, 
Daß  du  nur  starren  kannst  mit  offnem  Maul? 
Ich  will  dir  helfen !   Rütult  ihn.  Schrei'  dir  was  ins  Ohr, 
Was  einen,  der  nicht  niedrer  als  ein  Knecht, 
Wehrloser  als  ein  Lahmer,  taub  wie'n  Leichnam, 
So  rasend  macht,  daß,  hätt'  er  tausend  Leben, 
Er  alle  hinwirft,  seine  Wut  zu  stillen! 
Ich  spei*  dir  ins  Gesicht,  du  feiger  Hund! 

Jetzt  läßt  der  Herzog  den  Körfer  des  Filippo  los,  der  scbtser  zurück- 
fällt.   Der  Herzog  siebt  nun^  daß  Filippo  tot  ist;  er  wendet  sieb  zu 


314 


Beatrice^  die  xoäbrend  der  ganzen  Anrede  regungslos  dagestanden  ist. 
Wie  der  Herzog  zu  ihr  tritt^  scheint  durch  ihren  Leih  ein  letztes 
Zittern  zu  geben;  von  jetzt  an  ist  sie  völlig  gefaßt  und  spricht  ruhig. 

HERZOG 
Du  hast's  gewußt? 

BEATRICE 
Ich  hab's  gewußt. 

HERZOG 
Warum  noch  diese  letzte  Schmach,  den  Toten 
Mich  schmähn  zu  lassen? 

BEATRICE 

Ja,  dies  war  die  letzte. 

MAGNANl  tritt  auf.    Gleich  hinter  ihm  COSINI. 

MAGNANI 
Mein  Fürst,  hab'  ich  mein  Leben  auch  verwirkt, 
Nun  nehmt  es  hin,  da  ich  Euch  lebend  finde: 

HERZOG 
Ihr  auch,  Cosini?    Sagt  mir,  wo  ich  bin! 

COSINI 
Ihr  wißt's  nicht?    In  Füippo  Loschis  Haus! 

HERZOG 
In  Loschis  Haus?  —  Und  dies  — 

Mit  Cosini  zum  Leichnam. 

COSINI 

Beim  heil'gen  Gott! 

HERZOG 
Filippo  Loschi? 

COSINI 
Ja,  er  ist's  gewesen! 


315 


HERZOG 

zu  Beatrice. 
Der  Starb  um  dich  ?    Und  den  verrietest  du  ? 
Und  mich  um  ihn?    Und  wied'rum  ihn  um  mich? 
Was  bist  du  für  ein  Wesen,  Beatrice? 
Und  all  dies  Ungeheure  mußte  sein, 
Daß  ich  Filippo  Loschi  sehen  durfte  — 
Ein  einzigmal  und  so?    Geheimes  Walten! 
In  welche  Tiefen  muß  ich  untersteigen, 
Die  Wurzeln  finden,  wo  sie  sich  verschlangen? 

FRANCESCO  tritt  ein;  gleich  hinter  ihm  die  alten  NARDJS  und 
ROSINA  in  Ketten;  KNECHTE  mit  ihnen. 

HERZOG 

Was  hat  dies  zu  bedeuten? 

MJGNJNI 

Herr,  vergebt, 
Zu  eignem  Handel  trieb  gebieterisch 
Der  erste  Ungehorsam,  den  ich  wagte. 
Die  hier  ließ  ich  mir  folgen,  ungewiß, 
Wie  weit  auch  sie  in  Schuld  verstrickt,  und  ob 
Bei  solchem  Drang  der  Zeit  nicht  jedes  Zögern 
Verzichten  hieß  auf  Wahrheit  und  Gericht. 

HERZOG 
In  Ketten? 

FRJNCESCO 
Herr,  befehlt,  daß  man  sie  löse! 
Unschuldig  sind  siel 

HERZOG 

Man  befreie  sie! 
Den  Nardis  werden  die  Ketten  abgenommen, 

FRANCESCO 
Ich  dank'  Euch,  Herzog!    Auf  Beatrice  weisend. 

Schuldig  ist  nur  die, 
Die  meine  brüderliche  Innigkeit 

316 


Seit  je  mit  ahnungsvoller  Angst  umfing, 

Und  die  nun  so  von  Schande  trieft, 

Daß,  bis  auf  ihren  Namen,  tausendmal 

In  brünstige  Gebete  eingeschlossen, 

Jeglich  Erinnern,  daß  sie  Schwester  v?ar. 

Wie  schmutz'gen  Staub  ich  so  mit  Füßen  trete! 

ROSINJ 
Elende! 

COSINI 

zum  Herzog,  der  in  Sinnen  verloren  dasteht. 
Mein  Fürst,  was  ist  Euch?    Was  befehlt  Ihr,  daß 
]VIit  diesem  Weib  gescheh'  ?    Die  Stunden  fliehn. 

MAGNANl 
Laßt  jetzt  des  Amts  mich  walten;  denn  das  Wort, 
O  Herzog,  daß  Ihr  dieser  gabt,  ist  nichtig. 
Wie  Eure  Eh',  vor  jedem  Tribunal, 
Vor  Gott  und  Papst  und  allen  Kardinälen. 

ROSINA 

Vergißt  der  Herzog,  daß  hier  eine  steht, 
Die  seine  Gattin  ist? 

FRAU  NARDI 

So  schweig,  du  Böse! 

ROSINA 
Und  die  ihm  fortlief  in  der  Hochzeitsnacht 
Zu  einem  Liebsten! 

HERZOG 
Wo  ist  alles  hin  ? 
Da  stehn  sie  nun  und  harren  meines  Worts, 
Und  übermächtig  bannt  sie  das  Geschehne 
Und  lebt  für  sie  und  hat  besondre  Kraft. 
Mir  aber  ist,  als  tränk',  wie  weicher  Boden 
Das  Blut  Erschlagner,  dieser  durst'ge  Morgen 
Den  dunkeln  Inhalt  der  entschwundnen  Nacht,  — 


317 


Und  sie,  so  wie  ein  Leichnam,  unbegreiflich. 
Liegt  starr  am  Eingang  meines  letzten  Tags. 
Was  ist  mir  alles  dies?    Nur  eins  bewegt  mich: 
Daß  dieser  einsam  starb  und  jene  floh 
Zurück  ins  Leben,  fort  von  dem  GeHebten, 
Indes  er  dalag  wie  ein  toter  Hund  ? 
Wie  kam  dies  alles  ?    Beatrice,  sag's. 

FRAU  NARDI 
So  sprich  doch,  Beatrice!    Wirf  dich  auf  die  Knie 
vor  Seiner  Hoheit,  dem  Herzog!   Er  vvdrd  gnädig  sein! 
Er  wird  dir  das  Leben  schenken,  wenn  du  dich  auf  die 
Knie  wirfst  und  ihn  darum  anflehst! 

BEA1RICE 
Wär's  nur  darum,  so  sprach'  ich  nicht  ein  Wort! 
Wendet  sieb  jetzt  zu  dem  loten  und  siebt  ihn  lange  an, 

HERZOG 

Warst  du  nicht,  Beatrice,  nur  ein  Kind, 
Das  mit  der  Krone  spielte,  weil  sie  glänzte,  — 
Mit  eines  Dichters  Seel',  weü  sie  voll  Rätsel,  — 
Mit  eines  Jünglings  Herzen,  weil's  dir  just 
Geschenkt  war?    Aber  wir  sind  allzu  streng 
Und  leiden's  nicht,  und  jeder  von  uns  wollte 
Nicht  nur  das  einz'ge  Spielzeug  sein  —  nein,  mehr! 
Die  ganze  Welt.    So  nannten  wir  dein  Tun 
Betrug  und  Frevel  —  und  du  warst  ein  Kind! 

FRAU  NARDI 
Beatrice,  knie  nieder  vor  dem  Herzog,  bitte  um 
Gnade! 

HERZOG 
Hier  hast  du  deine  Tochter  —  sie  ist  frei, 
Und  du  laß  alles  Fürchten,  Beatrice  — 

BEATRICE 

an  der  Leiche. 
Das  ist  vorbei!    Und  war  doch  das  allein, 

318 


Was  mich  die  fürchterlichen  Wege  jagte 
Von  Lüg'  in  Lüge,  Schmach  in  Schmach,  und  mich 
Hier  neben  dir   zu  dem  Toten   anbettehi  Heß  den  andern 
Mich  zu  umarmen,  —  was  mich  dulden  Heß, 
Daß  deinem  Leichnam  arger  Schimpf  geschah,  — 
Und  aUes,  weil's  mich  graute,  da  zu  Hegen 
Wie  du.    Jetzt  aber  bin  ich  müd',  so  müd'. 
Glaub'  ich,  wie  nie  auf  Erden  jemand  war  — 
W^arum  gerade  mir  dies  alles,  sagt  ? 
Und  warum  war  ich  ausersehn  vor  allen, 
So  yielen  Leid  zu  bringen,  und  weiß  doch; 
Ich  woüte  keinem  Böses!    Staun'  ich  nun. 
Daß  ich  es  bin,  der  aUes  dies  geschah, 
Und  macht  mich  dieses  ungewohnte  Staunen 
So  müd',  daß  nichts  mehr  in  mir  ist  als  Sehnsucht, 
DaHegen,  so  wie  du,  und  fertig  sein! 
Ich  bitt'  Euch,  tut's!    Ein  Stich,  und  allen  ward 
Nach  Willen  —  zum  Herzog  bitte,  tut's,  mein  guter 

Herr!  — 
FRAU  NARDI 
Mein   Kind,  was  fällt  dir  denn  ein!    Um   Gnade 
sollst  du  bitten,  und  du  bittest  um  deinen  Tod! 

HERZOG 
Beatrice,  — 
Mein  Dolch  trägt  kein  Verlangen  mehr  nach  dir! 

FRANCESCO 
Der  meine  um  so  hcißres,  Beatrice! 

Er  stößt  ihr  den  Dolch  ins  Herz;  sie  sinkt  nieder. 

BEATRICE 
Francesco  —  du  ? 

HERZOG 

Francesco!    Er  reißt  ihm  den  Dolch  dus  der  Hand. 

FRAU  NARDI 
Meine  Tochter!    Francesco! 


319 


FRANCESCO 

mit  dumpfer  Entschlossenbeii. 
Ich  mußt'  es  tun! 

NJRDI 
Was  ist  denn  das  ?    Um  Himmelswillen  —  o,  du 
ungeschickter  Junge  —  sie  blutet  ja!    Beatrice,  hat  er 
dir  wehgetan  ? 

FRJU  NJRDI 
Deine  Tochter  ist  tot,  verstehst  du's  ?  Unsere  Tochter 
ist  tot! 

HERZOG 

zu  Francesco. 
Wagt  deine  Einfalt  mehr,  als  sie  begreift? 

FRANCESCO 
Ging  sie  auch  einen  vielverschlungnen  Weg, 
Dem  ich  nicht  folgen  kann  durch  seine  Irren  — 
Ich  sag's:  noch  jetzt,  da  sie  im  Tod  hier  liegt, 
Füllt  mich  mit  Grimm  und  Ekel,  sie  zu  denken 
Ohn'  alle  Weihe  heil'gen  Sakraments, 
Schamlos  zu  flücht'ger  Lust  geworben 
In  eines  Mannes  Bett.  —  O  Schmach  und  Elend! 
Daß  der  sich  selber  auf  den  Weg  gemacht. 
Den 's  mein  Amt  war,  beizeiten  ihn  zu  senden! 

HERZOG 
Du  Knabe,  schweig!    An  diesen,  der  hier  liegt, 
Kann  deine  Rache  nicht  heran! 
So  wenig,  als  mein  Zorn. 

Bewegung. 

Geschah'  ein  Wunder 
Und  würfen  wir  den  Borgia  in  den  Staub 
Und  brächten  Freiheit  unsrer  Stadt  und  zwängen 
Zehn,  hundert  andre  —  dieses  ganze  Land, 
Uns  zu  gehorchen,  und  ein  Reich  erstünde, 
So  mächtig  und  geeint,  wie's  Rom  gewesen. 
Zu  Cosini. 

Und  jenes  fernste,  dessen  Schutt  wir  sahn,  — 


320 


Und  wenn's  durch  tausend  Jahre  herrlich  blühte, 

Einmal  fiel's  doch  in  Trümmer,  wie  die  andern. 

Ein  Lied  von  dem,  verweht's  der  Zufall  nicht  — 

Ist  ew'ger  als  der  kühnste  unsrer  Siege, 

Der  wieder  nur  Vergänghches  erringt! 

Dran  werden  Menschen  einer  späten  Zeit, 

Der  unsre  Taten  nichts  als  Worte  sind, 

In  kühlen  Stein  gegraben  zum  Gedächtnis, 

Wie  wir,  die  Mitgebornen,  sich  erfreun 

Mit  gleichem  Lächeln  und  mit  gleichen  Tränen. 

Denn  dieser  war  ein  Bote,  ausgesandt, 

Das  Grüßen  einer  hingeschwundnen  Welt 

Lebendig  jeder  neuen  zu  bestellen 

Und  hinzuwandeln  über  allen  Tod. 

Es  ist  nahezu  licht  geworden,  während  der  letzten  Worte  kam  ein 
BOTE,  der  mit  Cosini  gesprochen  hat. 

COSINI 

Mein  Fürst,  der  Bote  bringt  Bericht  vom  Turm. 

HERZOG 

Von  Garisenda  ? 

VIERTER  BOTE 

Wohl,  erhabner  Herr! 
Es  ist,  wie  wenn  all  die  Tausende  rings  um  die  Stadt 
mit  einem  Mal  durch  einen  Ruf  erweckt  worden  wären. 
Die  Straßen,  soweit  wir  bhcken  können,  die  Felder,  die 
Hügel  stehen  voll  Gerüsteter,  und  von  San  Luca 
flattern  nicht  allein  die  Standarten  der  Borgia,  auch  die 
Fahnen  von  Neapel  und  Frankreich  sahen  wir  wehen. 

HERZOG 

zu  Magnani. 
Nun? 

FÜNFTER  BOTE  ist  unterdes  gekommen. 

HERZOG 

Und  was  will  dieser? 

raeatentiicVe.  II,  zi,  321 


COSINI 

Fürst,  er  wagt  es  nicht, 
Die  Botschaft  zu  bestellen.    Und  ich  selbst  — 

HERZOG 
Ich  dachte,  was  es  immer  Böses  sei, 
Zu  klagen  bleibt  uns  doch  nicht  lang  mehr  Zeit. 

COSINI 
Die  Pfeile  trafen  schon. 

HERZOG 

So  sagt  —  wer  ist's? 

FÜNFTER  BOTE 
Herr,    von    denen,    die    auf   der   Mauer   von   Ts 
stehen,  sind  drei  zu  Tode  getroffen  worden. 

HERZOG 
Die  Mauer  von  Isaia  —  das  ist  die. 
Wo  Graf  Andrea  steht  mit  seiner  Schar  — 
Er  ist's  ? 

FÜNFTER  BOTE 
Wir  sahn  ihn  stundenlang  zuvor 
An  gleicher  Stelle  stehn,  hochaufgerichtet  — 
Er  war  das  erste  Ziel  und  fiel  sogleich. 

HERZOG 
Auch  du  vor  mir?    Pause.    Francesco!  gehe  hin 
Zum  Tore  von  Isaia,  dir  vertrau'  ich 
Die  frühvenvaiste  Schar  —  du  sollst  sie  führen! 
Was  heute  not  tut,  ward  dir  mehr  als  allen. 

Francesco  ab. 
Euch  aber,  denen  diese  Stadt  vertraut  ist, 
Bis  andre  kommen,  nicht  mehr  ich  und  die. 
Trag'  ich  die  Sorge  auf,  im  ersten  Glühn 
Der  Morgensonne,  die  zum  Abschied  grüßt, 
Den  Leichnam  dieses  sehr  geliebten  Dichters 


322 


.Im  Grab  der  Bentivoglio  zu  bestatten. 
Und  diese  hier  v/ie  ihn!    Die  Spanne  Zeit, 
Die  sie  ums  Licht  des  Lebens  noch  geflattert, 
Bedeutet  jetzt  nichts  mehr  —  sie  starb  mit  ihm. 
Er  liebte  sie,  er  starb,  weil  er  sie  liebte, 
So  ist  sie  hochgeehrt  vor  allen  Fraun! 

COSINI 
Die  Sonne  steigt  empor. 

HERZOG 

Der  Tag  ist  da. 
Und  in  den  gleichen  Glanz  gehn  wir  hinaus, 
Der  uns  vor  einem  Jahr  ersehnte  Fernen 
Mit  lichtem  Schein  umrandet  hat,  als  baute 
Der  junge  Morgen  selbst  das  stolze  Tor 
Zum  Eingang  in  die  Welt,  die  uns  empfing. 
So  festlich,  wie  der  eignen  Fülle  jauchzend. 
Heut  weist  kein  unermeßner  Weg  ins  Weite, 
Und  vor  den  Mauern  endet  unsre  Fahrt. 
Und  dennoch  —  mir  erglüht  die  Sonne  heut 
Verheißungsvoll  wie  damals,  denn  wir  gehn 
Von  allen  Abenteuern,  die  im  Dunkel  warten, 
Dem  neusten  und  gewaltigsten  entgegen! 

Glocken  von  allen  Türmen. 
Das  Zeichen  tönt,  und  mächt'ge  Neubegier 
Wie  nie  zuvor  beflügelt  meinen  Schritt. 
Ich  freue  mich  des  guten  Kampfs,  der  kommt; 
Die  frischen  Morgenlüfte  atm'  ich  durstig 
Und  preise  dieses  Leuchten  aus  den  Höhn, 
Als  war'  es  mir  allein  so  reich  geschenkt. 
Das  Leben  ist  die  Fülle,  nicht  die  Zeit, 
Und  noch  der  nächste  Augenblick  ist  weit! 

Er  gebtj  andere  folgen  ihm, 

Vorhang, 


323 


LEBENDIGE  STUNDEN 

Vier  Einakter 


/.  LEBENDIGE  STUNDEN 

Ein  Akt 

ANTON  HAUSDORFER,  pensionierter  Beamter 

HEINRICH 

BORROM  AUS,  Gärtner 


WohlgepflegUr  kleiner  Garten  in  einem  Vororte  Wiens.  Kleine» 
Haus  im  Hintergrund,  mit  Veranda,  von  der  drei  Stufen  in  den 
Garten  berahführen.  Vorn  zwei  Sessel,  sowie  ein  bebaglicber  Lebn- 
stubl.  Frühherbst.  Der  Abend  ist  nahe.  Stille.  Borromäus,  der 
Gärtner,  mit  Umgraben  beschäftigt.  Er  ist  ein  alter  Mann  mit 
ziemlich  langen  grauen  Haaren.  Anton  Hausdorfer  kommt  langsam 
von  der  Veranda  herunter;  er  ist  nahe  an  sechzig,  bartlos,  straffes^ 
graues^  kurzgescbnittenes  Haar,  junge  Augen;  dunkler  Anzugs  bequem, 
nicht  nachlässig;  breiter  dunkler  Strohhut. 

HAUSDORFER.    Guten  Abend,  Borromäus. 

BORROMÄUS.  Guten  Abend,  gnädiger  Herr. 
Der  gnädige  Herr  sind  wohl  heut  nachmittag  in  der 
Stadt  drin  gewesen,  nicht  wahr? 

HAUSDORFER.    Nein,  nein. 

BORROMÄUS.  Ich  hab'  nur  gedacht,  weil  der 
gnädige  Herr  nachmittag  wieder  nicht  in  der  Laube 
den  schwarzen  Kaffee  getrunken  hat. 

HAUSDORFER.  Nein,  nein,  ich  war  nicht  in 
der  Stadt.  Ich  bin  drin  auf  dem  Sofa  gelegen.  Ich 
hab'  nämlich  ein  bißchen  Kopfweh  gehabt.  Na,  was 
tun  Sie  denn  ?  Wir  werden  ja  bald  den  ganzen  Garten 
umgegraben  haben. 

BORROMÄUS.  Freilich,  gnädiger  Herr.  Es  ist 
auch  notwendig.  Über  NaCht  kann  ein  Frost  da  sein. 
Ich  lass'  mich  von  diesen  milden  Tagen  nicht  betrügen, 
wenn's  einmal  Oktober  ist.  Erinnern  sich  gnädiger 
Herr  noch  an  den  Herbst  im  Jahre  93  ?  Am  Abend 
ist  man  im  Freien  gesessen  —  ja,  am  28.  Oktober  — 
und  in  der  Früh'  um  drei  ist  der  Frost  dagewesen. 
Und  87  und  88  war  ganz  dieselbe  Geschichte.  Ah 
nein,  mich  betrügen  die  schönen  Tage  nicht. 

HAUSDORFER.  Sie  haben  schon  recht,  Borro- 
mäus. Schaut  ihm  zu.  Nun,  was  setzen  wir  denn  heuer 
ein  ?  Er  versinkt  in  Nachdenken,  hört  die  Antwort  kaum  an. 

BORROMÄUS.  Ja,  davon  hab'  ich  mit  dem  gnä- 
digen Herrn  grad  reden  wollen.  Ich  war  nämlich 
heut  nach  Tisch  beim  Franz  drüben.  — 

HAUSDORFER  zerstreut.    Bei  wem? 

BORROMÄUS  etwas  befremdet.    Beim   Gärtner  vom 


J27 


Baron  Weißeneck.  Er  ist  hochmütig,  ja,  aber  er  ver- 
steht was.  Ja,  er  kennt  sich  besser  aus  als  ich.  Ich 
muß  es  schon  selber  sagen.  Er  hat's  auch  in  Büchern 
studiert.  Zwanzig  so  Band'  stehn  bei  ihm  oben  aufm 
Kasten.  Na,  und  darum  genier'  ich  mich  gar  nicht, 
ihn  um  Rat  zu  fragen. 

HAUSDORFER  bat  nicht  zugehört.  Ja,  ja,  das  müssen 
S'  tun. 

BORROMÄUS.    Was,  gnädiger  Herr? 

HAUSDORFER.  Was  er  Ihnen  gesagt  hat.  Ja; 
ich  bin  ganz  einverstanden, 

BORROMÄUS  immer  befremdeter.  Aber,  gnädiger 
Herr,  ich  hab'  ja  noch  gar  nichts  .  .  . 

HA  USDORFER  wie  oben.  Es  wird  schon  das  Rechte  sein. 

BORROMÄUS  fast  erschrocken.  Erlauben,  gnädiger 
Herr. 

HAUSDORFER  wie  erwachend.    Was  denn  ? 

BORROMÄUS.  O,  ich  kann  mir  schon  denken! 
Wenn  ich  mir  erlauben  darf  zu  fragen  —  gewiß  geht's 
der  Frau  Hofrätin  wieder  schlechter?  Da  Hausdorfer 
nicht  antwortet,  verlegener.  Na  ja,  ich  denk'  halt,  weil  sie 
schon  drei  Wochen  nicht  mehr  bei  uns  heraußen  ge- 
wesen ist.  * 

HAUSDORFER.  Lassen  Sie  doch.  Sie  ist  tot. 
Ich  dank'  Ihnen  für  Ihre  Teilnahme.  Die  Frau  Hof- 
rätin  ist   tot.     Er  hat  sich  gesetzt. 

BORROMÄUS  ganz  erschrocken,  hat  die  Mütze  abge- 
nommen.    Oh,  oh! 

Pause. 

HAUSDORFER.  Ja.  Sie  wird  nim.mer  zu  uns 
kommen,  die  Frau  Hofrätin. 

BORROMÄUS.  Ja,  ist  es  denn  möglich!  O  Gott! 
Ich  hab'  ja  gar  keine  Ahnung  gehabt,  daß  die  Frau 
Hofrätin  so  krank  war.  Schüttelt  den  Kopf.  Und  war 
doch  noch  eine  jüngere  Frau  sozusagen. 

HAUSDORFER.  Na,  Heber  Borromäus,  jung  .  .  . 
Allerdings,  sieben  Jahre  jünger  als  ich;  aber  ich  bin 
halt  auch  schon  sechzig. 

328 


BORROM  AUS.    Ja,  freiHch!  .  .  . 

HJUSDORFER.  Maa  kann  auch  älter  werden  als 
die  Frau  Hofrätin,  das  ist  schon  wahr. 

BORROMÄUS.  Ja,  sehn  Sie,  gnädiger  Herr,  es 
mag  auch  daher  kommen,  daß  ich  die  Frau  Hofrätin 
doch  beinah  Tag  für  Tag  gesehn  hab'  in  diesen  fünf- 
zehn oder  zwanzig  Jahren,  —  also  damals  — 

HAUSDORFER.  Ja,  vor  zwanzig  Jahren  waren 
wir  aUe  jünger. 

BORROMÄUS.  Aber  auch  in  der  allerletzten  Zeit 
hat  doch  die  Frau  Hofrätin  nicht  einer  alten  Frau 
gleichgeschaut!  Und  grad  heuer  im  Sommer,  wie  sie 
so  blaß  und  mager  worden  ist,  dahätt'  man  geschworen 
...  Ja,  einmal  wie  ich  spät  am  Abend  aus  der  Allee 
dort  herausgekommen  bin  und  die  Frau  Hofrätin  ist 
da  gesessen  —  meiner  Seel',  ich  hab'  gemeint,  es  ist 

eine  jüngere  Schwester  von  der  Frau  Hofrätin 

entschuldigen  der  gnädige  Herr. 

HAUSDORFER  nach  einer  kleinen  Pause.  Also,  Borro- 
mäus,  was  hat  er  denn  eigentHch  gesagt,  dieser  arro- 
gante Franz  vom  Baron  ? 

BORROMÄUS.  O  nein,  gnädiger  Herr,  o  nein! 
Ich  will  jetzt  nicht  mehr  von  so  gleichgültigen  Sachen 
reden.    Er  küßt  ihm  die  Hand.    Ich  weiß,  was  das  heißt 

—  ich  hab'  auch  einmal  eine  Frau  gehabt  und  —  be- 
graben. Er  erschrickt  gleich  wieder  über  seine  eigene  Bemerkung. 
O,  ich  meine  nur  .  .  . 

HAUSDORFER.  Es  ist  schon  gut,  Borromäus.  Kleine 

Pause. 

BORROMÄUS.    Und  der  junge  Herr  ?  . . . 

HAUSDORFER.    Was?    Wie? 

BORROMÄUS.   Ichmeine,  der  junge  Herr  Heinrich 

—  es  ist  doch  schrecklich!  O  Gott,  o  Gott!  Wenn  ich 
daran  denk',  wie  er  die  Frau  Hofrätin  in  der  letzten  Zeit 
immer  herausbegleitet  hat  und  abgeholt  am  Abend  .  .  . 

HAUSDORFER.    Ja,  er  ist  sehr  zu  beklagen. 
BORROMÄUS.   Er  ist  gewiß  selber  krank  worden, 
daß  er  nicht  kommt. 


329 


HAUSDORFER.  Nein,  nein.  Ich  erwarte  ihn 
jeden  Tag.  Er  ist  nämlich  fort  —  er  ist  abgereist. 
Aber  er  muß  jeden  Tag  zurückkommen.  Er  erholt 
sich  halt  ein  wenig.  Na  ja,  er  muß  doch  wieder  arbeiten 
können. 

BORROMÄUS.  Ja,  ja,  wenn  man  einen  Beruf 
hat .  . . 

HAUSDORFER.  Und  gar  einen  solchen!  —  Ein 
Dichter!  Steht  auf.  Ein  Dichter!  Wissen  Sie,  was  das 
heißt  ? 

BORROMÄUS.    Aber  gnädiger  Herr!  — 

HAUSDORFER.  Nichts  wissen  Sie,  gar  nichts. 
Wir  wissen  das  alle  nicht,  wir  gewöhnlichen  Menschen, 
die  nichts  weiter  können  als  ihre  Gärten  bepflanzen  . .  . 

BORROMÄUS.    O,  der  gnädige  Herr  hat  — 

HAUSDORFER.  Na  ja,  Borromäus,  Sie  meinen, 
ich  hab'  früherauch  noch  was  anderes  getan  —  ja,  ja. 
Aber  doch  nichts  besseres  als  jetzt.  In  einem  Bureau 
bin  ich  gesessen  drin  in  der  Stadt,  tagtäglich  von  acht 
bis  zwei,  manchmal  ist  auch  drei  oder  gar  vier  worden. 

BORROMÄUS.  Es  muß  doch  eine  Plag'  sein,  täg- 
lich auf  einem  Fleck  sitzen  sechs  Stunden  lang.  —  Ich 
hab'  den  gnädigen  Herrn  oft  bedauert  in  früherer  Zeit, 
wenn  er  erst  so  spät  am  Abend  aufs  Land  heraus- 
gekommen ist.    Und  gar  im  Winter  — 

HAUSDORFER.  Was  soll  man  machen,  Borro- 
mäus ?  Jetzt  sitzt  ein  anderer  auf  meinem  Platz,  und 
wenn's  der  erlebt  wie  ich,  kriegt  er  auch  einmal  seine 
Pension,  und  drin  im  Bureau  sitzt  wieder  ein  anderer! 
—  Aber  wer  da  drin  auf  meinem  Platz  sitzt,  das  ist 
ganz  egal,  das  kann  bald  einer.  Aber  ein  Dichter  — 
das  ist  schon  eine  andere  Art  von  Mensch  wie  unser- 
einer, Borromäus.  Wenn  so  einer  in  Pension  geht, 
kann's  passieren,  daß  die  Stelle  recht  lang  unbesetzt 
bleibt.  Ja,  so  einer  muß  auf  sich  schauen,  das  ist  er 
der  Welt  schuldig  —  verstehen  S',  Borromäus  ? 

BORROMÄUS.    Freilich. 

HAUSDORFER.    Nichts  verstehen  S',  gar  nichts. 


330 


Haben  Sie  denn  gar  nichts  bemerkt  am  Heinrich? 
Haben  Sie  denn  nie  den  Schein  um  seinen  Kopf  be- 
merkt ?    Na,  sehn  Sie! 

BORROMAUS  lacht  zuerst^  dann  wird  er  wieder  ernst. 

HAUSDORFER.  Haben  S'  keine  Angst,  Borro- 
mäus,  —  ich  bin  nicht  verrückt.  Ich  red'  von  keinem 
wirklichen  Schein,  nur  von  einem  figürlichen.  Sie 
können  ihn  nicht  sehen,  Borromäus,  —  ich  auch  nicht; 

—  aber  die  Frau  Hofrätin  hat  ihn  gesehen. 
BORROMAUS.  Ah,  ich  weiß  schon,  was  der  gnä- 
dige Herr  meint.  Ja,  weil  der  Herr  Heinrich,  so  jurg 
als  er  ist,  schon  so  viel  in  der  Zeitung  steht  und  die 
Leut'  von  ihm  reden  —  ja,  ja,  das  ist . . .  Geste^  ah  zcollte 
er  den  Schein  um  den  Kopf  bezeichnen. 

HEINRICH  schwarz  gekleidet,  gebt  am  Gartengitter  vorbei. 
Er  grüßt  und  verschwindet  wieder. 

BORROMAUS  ist  dem  Blick  des  Hausdorfer  gefolgt. 

HAUSDORFER.    Ja,  da  kommt  er.    Sitzt  schweigend. 

BORROMAUS.  Erlauben  der  gnädige  Herr  — 
ich  hab'  ja  noch  gar  keine  Gelegenheit  gehabt,  dem 
Herrn  Heinrich  mein  Beileid  auszusprechen  .  .  . 

HEINRICH  tritt  eben  aus  dem  Innern  des  Hauses  auf  die 
Terrasse. 

HAUSDORFER.  Na,  gehn  Sie  nur,  gehn  Sie  nur, 
sprechen  Sie  ihm  Ihr  Beileid  aus. 

BORROMAUS  geht  dem  Heinrich  entgegen. 

HEINRICH  von  der  Veranda  herunterkommend^  ergreift  die 
Hand  des  Borromäus.  Ich  danke  Ihnen,  lieber  Borromäus 

—  ich  weiß  ja  —  ich  danke  Ihnen  sehr. 
BORROMAUS  ab. 

HEINRICH  nach  vorn. 

HAUSDORFER  steht  jetzt  erst  auf,  geht  ihm  einen  Schritt 
entgegen.  Händedruck.    Na,  bist  du  wieder  zurück  ? 

HEINRICH.  Ja;  früher  als  ich  gedacht  habe.  Es 
ist  doch  noch  besser  daheim. 

HAUSDORFER  nickt.  Du  bist  also  noch  am  selben 
Abend  abgereist  ? 

HEINRICH.  Ja.  Ich  bin  vom  Friedhof  nach  Hause, 


331 


habe  gepackt  und  bin  fort.  Ich  hätte  die  Nacht  zu 
Hause  nicht  mehr  ertragen. 

HAUSDORFER.  Das  begreif  ich.  Wo  bist  du  denn 
eigentHch  gewesen  ? 

HEINRICH.  Zuerst  bin  ich  nach  Salzburg  ge- 
fahren. — 

HAUSDORFER.    So? 

HEINRICH.  Das  ist  nämhch  ein  Ort,  wo  ich  mich 
sonst  immer  wohl  gefühlt  habe.  Eine  Stadt  des  Trostes, 
wahrhaftig. 

HAUSDORFER.  So?  Gibt's  solche  Städte?  Das 
war'  ja  großartig. 

HEINRICH.  Ja,  unter  gewissen  Umständen  gibt 
es  solche  Orte,  und  ich  bin  wirklich  nicht  aufs  Gerate- 
wohl nach  Salzburg  gereist.  Ich  habe  nämlich  einmal 
etwas  sehr  Schweres  oder  wenigstens  Trübseliges  er- 
lebt —  vor  sieben  oder  acht  Jahren  .  .  .  Wissen  Sie, 
Herr  Hausdorfer,  so  eine  Geschichte,  daß  ich  dachte, 
es  wird  überhaupt  nie  wieder  gut ...  Ja,  und  da  bin 
ich  fortgereist,  eben  nach  Salzburg.  Und  schon  am 
ersten  Nachmittag,  während  eines  einsamen  Spazier- 
ganges in  Hellbrunn,  in  dem  reizenden  Rokokogarten, 
linderte  sich  mein  Schmerz  und  am  Morgen  darauf 
bin  ich  wie  gesundet  autgewacnt,  habe  sogar  wieder 
arbeiten  können. 

HAUSDORFER.    Geh! 

HEINRICH.  Allerdings  war  ich  damals  kaum 
zwanzig  —  überdies  war  Frühling;  das  muß  man  auch 
in  Betracht  ziehen. 

HAUSDORFER.  Ja  freilich,  das  muß  man  auch  in 
Betracht  ziehen. 

HEINRICH.  Und  diesmal  nichts,  keine  Spur  von 
Erleichterung.    Im  Gegenteil. 

HAUSDORFER.  Also  es  gibt  Fälle,  wo  HeUbrunn 
nicht  wirkt.  Wie  lang  bist  du  denn  in  Salzburg  ge- 
blieben ? 

HEINRICH.  Am  nächsten  Tag  bin  ich  fort.  Nach 
München.    Ich  hoffte  nämlich  auf  die  beruhigende 


312 


Wirkung  der  alten  Bilder.  Ich  bin  in  die  Pinakothek, 
in  die  alte,  wo  meine  geliebten  Dürer  und  Holbein 
hängen.  Und  wahrhaftig,  dort  hab'  ich  zum  ersten 
Mal  nach  langer,  nach  sehr  langer  Zeit  wieder  auf- 
geatmet. Pause.  Sie  erlauben  doch,  daß  ich  Ihnen  das 
alles  erzähle.  Ich  habe  ein  wahres  Bedürfnis,  mich 
Ihnen  gegenüber  auszusprechen. 
HAUSDORFER.    Tu's  nur,  tu's  nur.    Wird  jreund- 

lieber^  gibt  ihm  die  Hand. 

HEINRICH.  Ich  danke  Ihnen.  Sitzt.  Sehen  Sie, 
Herr  Hausdorfer,  ich  hab'  es  einigermaßen  schmerz- 
lich empfunden,  daß  wir  einander  im  Lauf  der  letzten 
Jahre .  .  .  ich  kann's  nicht  anders  sagen  —  ein  wenig 
fremder  geworden  sind. 

HAUSDORFER.    Fremder  —  wieso  denn? 

HEINRICH.  Ja.  Ich  habe  sehr  gut  gespürt,  daß 
Sie  mich  nicht  mehr  so  gern  hatten,  wie  früher  einmal, 
wie  zu  der  Zeit,  da  ich  ein  Bub'  war  und  hier  auf  der 
Wiese  gespielt  habe. 

HAUSDORFER.  Gott,  mein  lieber  Heinrich,  das 
ist  freilich  schon  recht  lange  her.  Und  schließlich 
wirst  du  ja  auch  zugestehen,  daß  du  eigentlich  der- 
jenige warst  —  na  ja,  ich  mein'  nur  so  ...  es  ist  doch 
natürHch,  daß  du  deine  eigenen  Wege  gegangen  bist. 
Ein  junger  Mensch!  Es  war  ja  nicht  sehr  amüsant  bei 
mir  heraußen.  Du  hast  deinen  Kreis.  Ich  hab'  dir 
doch  mein  Lebtag  keinen  Vorwurf  gemacht  —  oder  ja  ? 

HEINRICH.  Aber!  —  Ich  wollte  Ihnen  nur  sagen, 
wie  tief  ich  gerade  jetzt,  nach  dieser  mißglückten  Reise 
—  oder  Flucht,  empfunden  habe,  daß  ich  mit  keinem 
Menschen  so  stark  zusammenhänge  als  mit  Ihnen. 
Sie  werden  mich  verstehen.  Wie  dankbar  muß  ich 
Ihnen  sein!  Was  sind  Sie  meiner  armen  Mutter  ge- 
wesen! Wie  haben  Sie  ihre  letzten  Lebensjahre  ver- 
schönt! 

HAUSDORFER  webn  ab.  Ja,  ja  ...  Erzähl'  doch 
weiter.  Also  in  München  bist  du  gewesen,  die  Bilder 
hast  du  dir  angeschaut.  Und  da  hast  du  Trost  gefunden. 


333 


HEINRICH.  Solang  ich  eben  in  den  kühlen 
stillen  Sälen  war.  Kaum  bin  ich  auf  die  Straße  hinaus- 
getreten, so  war  alles  vorbei.  Und  gar  die  Abende, 
diese  endlosen  einsamen  Abende.  Ich  versuchte  zu 
arbeiten,  zu  denken  —  unmöglich!  Als  wäre  alles  in 
mir  vernichtet.  Pause.  Ist  aufgestanden.  Wie  lange  wird 
das  noch  dauern! 

HAUSDORFER.  Es  muß  schrecklich  sein,  wenn 
man  eine  Beschäftigung  so  gewöhnt  ist  .  .  . 

HEINRICH.  Gewöhnt?  Ich  bin's  ja  längst  nicht 
mehr.  Das  ist  es  eben.  Seit  zwei,  drei  Jahren  kann 
ich  nichts  mehr  zustande  bringen.    Sie  wissen  ja  .  .  . 

HAUSDORFER.    Ich  weiß  —  freiHch. 

HEINRICH.  Aber  es  war  auch  eine  vollkommene 
UnmögUchkeit.  Ein  geliebtes  Wesen,  eine  Mutter 
leiden  sehen,  so  leiden,  und  wissen,  daß  sie  dem  Tod 
entgegensiecht,  —  und  daß  sie  es  ahnt !  —  Ja,  das  war 
das  Furchtbarste.  Diese  Ahnung,  die  ich  in  ihren 
Augen  schimmern  sah,  nachts,  wenn  ich  an  ihrem 
Bette  saß  und  ihr  vorlas.  Große  Pause.  Die  Wohnung 
hab'  ich  aufgegeben. 

HAUSDORFER.  So?  die  war'  ja  auch  zu  groß 
für  dich  allein. 

HEINRICH.  Abgesehen  davon;  ich  könnte  in 
diesen  Räumen  doch  nie  vdeder  eine  Zeile  schreiben. 
Ich  würde  doch  Nacht  für  Nacht  das  Stöhnen  aus 
dem  Zimmer  nebenan  zu  hören  glauben,  das  mir  ins 
Herz  geschnitten  und  mir  jede  Fähigkeit,  jede  Lust 
zu  schaffen,  ja  zu  leben  zu  Grund  gerichtet  hat. 
O  Gott!  Pause.  Und  wissen  Sie,  was  mir  Doktor 
Heusser  noch  am  Sonntag  vor  ihrem  Tode  gesagt  hat  ? 

HAUSDORFER.    Was  denn? 

HEINRICH.  Es  könnte  auch  noch  zwei  bis  drei 
Jahre  dauern. 

HAUSDORFER  beinahe  auffahrend.  Noch  zwei  bis  drei 
Jahre  ?  So  ?  Absichtlich  ruhiger.  Noch  zwei  bis  drei  Jahre 
hätte  es  dauern  können  ? 

HEINRICH.    Ja.    Und  die  schlimmste  Zeit  wäre 


334 


erst  gekommen.  Sie  hätte  das  Zimmer  nicht  verlassen, 
hätte  nicht  einmal  mehr  die  paar  Stunden  in  der  Woche 
haben  dürfen  —  hier  im  Garten,  wo  ihr  immer  so 
wohl   gewesen  ist.   Blick  auf  den  Ueren  Lebnstuhl. 

HAUSDORFER.  Vielleicht  hätt'  ich  mich  doch 
zuweilen  entschlossen,  hineinzufahren,  glaubst  du 
nicht  ? 

HEINRICH  wie  beschämt.  Mein  verehrter  Herr  Haus- 
dorf er,  ich  rede  da  immer  von  mir,  und  ich  bin  noch 
jung,  und  es  liegt  doch  noch  irgendwas  wie  eine  Zu- 
kunft vor  mir.    Was  haben  Sie  verloren! 

HAUSDORFER.    Viel,  viel. 

HEINRICH.  Ich  weiß,  was  Ihnen  meine  Mutter 
bedeutet  hat;  ich  hab'  es  immer  gewußt,  auch  schon 
damals. 

HAUSDORFER.    Damals? 

HEINRICH.  Ich  war  ja  kein  kleines  Kind  mehr, 
als  der,  der  mein  Vater  war,  uns  verließ. 

HAUSDORFER.    Ja,  ja. 

HEINRICH.  Ich  erinnere  mich  noch  an  den  Tag, 
da  mir  die  Mutter  sagte,  der  Papa  sei  abgereist.  Und 
als  er  nicht  zurückkam,  hab'  ich  mir  eine  Zeit  lang  ein- 
gebildet, daß  er  gestorben  sei,  und  in  der  Nacht  hab' 
ich  manchmal  bitterlich  geweint.  Aber  kurz  darauf 
bin  ich  ihm  auf  der  Straße  begegnet,  und  zwar  mit 
jener  andern,  um  derentwillen  er  meine  Mutter  ver- 
lassen hatte.  Ich  habe  mich  in  ein  Haustor  versteckt, 
damit  er  mich  nicht  sieht,  als  ob  ich  kleiner  Bub'  mich 
vor  ihm  schämen  müßte.  Ja,  ich  hab'  es  früh  verstanden, 
daß  meine  Mutter  vollkommen  frei  war,  so  frei,  als 
wenn  sie  verwitwet  wäre. 

HAUSDORFER.  Du  hast  uns  also  verziehen, 
scheint  es. 

HEINRICH  leicht  verletzt.  Entschuldigen  Sie,  ich 
habe  mich  wahrscheinlich  ungeschickt  ausgedrückt. 
Wieder  wärmer.  Aber  soll  man  denn  nicht  über  einfache 
und  natürliche  Dinge  einfach  und  natürlich  reden 
können,  besonders  in  einem  solchen  Augenblick?    Es 


335 


drängt  mich,  Ihnen  wie  einem  Vater  die  Hand  zu 
drücken,  denn  ich  weiß,  wie  sehr  meine  Mutter  Sie 
geliebt  hat.  Es  wird  immer  dunkler.  Auf  der  Straße  jenseits  des 
Gitters     werden  Laternen  angezündet, 

HAUSDORFER.  Geliebt  —  das  war'  schon  was 
besonderes.  Was  liebt  sich  nicht  aUes  auf  der  Welt, 
wenn's  jung  ist.  Freunde  sind  wir  gewesen,  Heinrich, 
alte  Leute  und  Freunde.  Verstehst  du  das  ?  Oder  hat 
das  Wort  für  so  junge  Ohren  noch  keinen  KJang? 
Aber  wie  sollt  ihr  das  verstehn,  ihr  jungen  Leute,  vor 
denen  noch  die  Zukunft  liegt,  denen  die  Welt  offen- 
steht, —  und  gar  ein  Mensch  wie  du,  mit  solchen  Aus- 
sichten.   Es  ist  ja  kein  Wunder. 

HEINRICH.  Sie  irren  sich,  Herr  Hausdorf  er:  ich 
begreife  das  sehr  gut.  Wenn  ich  Ihnen  .  .  .  uns  meine 
arme  Mutter  wieder  zurückrufen  könnte  —  o  Gott! 
Wenn  ich  sie  nur  noch  einmal,  nur  für  einen  Abend 
wieder  hier  sitzen  sähe,  wie  vieles  gab'  ich  dafür  hin! 

HAUSDORFER.    Vieles?  Bitterer.  Was? 

HEINRICH  zögernd.  Es  ist  mir,  als  wenn  ich  meine 
ganze  Zukunft,  als  wenn  ich  alles,  was  ich  noch  leisten, 
alles,  was  ich  noch  erreichen  will,  dafür  hingeben 
könnte. 

HAUSDORFER.  Sei  nicht  bös',  Heinrich,  das 
glaubst  du  selber  nicht. 

HEINRICH.  Wenn  ich  die  Möglichkeit  hätte,  wenn 
es  in  meiner  Macht  stünde  .  .  . 

HAUSDORFER.  Es  ist  nicht  wahr,  Heinrich. 
Auch  wenn  du  die  Macht  hättest  —  ich  kenne  dich! 
Euch  alle  kenn'  ich,  ich  weiß,  wie  ihr  seid. 

HEINRICH.  „Ihr?"  Ich  weiß  nicht,  für  wen 
außer  mir  ich  einzustehen  habe. 

HAUSDORFER.  Du  mußt  für  niemanden  ein- 
stehn.  Wenn  ich  „ihr"  sage,  so  weiß  ich  schon,  vvde 
ich  das  mein'.  Da  hab'  ich  nämlich  einen  jungem 
Kollegen  im  Amt  gehabt,  das  ist  eine  Geschichte 
von  ungefähr  zehn  Jahren,  der  hat  sich  mit  der  Musik 
beschäftigt  in  seinen  Mußestunden;  es  ist  auch  einmal 

336 


bei  einer  Liedertafel  vom  Männergesangverein  etwas 
von  ihm  aufgeführt  worden;  Franz  Thomas  hat  er 
geheißen.  Und  dem  ist  sein  einziges  Kind  gestorben, 
ein  Bub',  sieben  Jahr  war  er  alt,  bildschön  und  auf- 
geweckt. Ichhab'  ihn  nämhch  gekannt;  er  ist  manch- 
mal mit  seiner  Mutter  gekommen,  den  Vater  vom 
Bureau  abzuholen.  Also  das  Ivind  ist  gestorben,  an 
der  Diphtheritis,  in  einer  Nacht,  und  ich  komm'  hin 
Kondolenz\asit  machen.  Und  er,  der  Vater  nämlich, 
sitzt  beim  Kllavier  und  spielt  —  ja,  spielt.  Dabei  muß 
ich  bemerken:  das  tote  Kind  ist  im  selben  Zimmer 
aufgebahrt  gelegen  —  und  er  spielt  und  hört  nicht 
auf,  wie  ich  komme,  sondern  nickt  mir  zu,  und  wie  ich 
hinter  ihm  stehe,  sagt  er  leise :  „Hören  Sie,  Herr  Haus- 
dorfer,  das  ist  für  mein  armes  Buberl.  Grad  ist  mir 
die  Melodie  eingefallen."  Und  das  tote  Kind  liegt 
daneben  im  Sarg.  —  Ja.  Mir  ist  es  über  den  Rücken 
gelaufen. 

HEINRICH  bat  mit  sichtlichem  Interesse  und  endlich  mit 
einiger  Befriedigung  zugehört.  Nun  ja.  Ich  verstehe  ganz 
gut,  daß  viele  und  gerade  sehr  vortreffliche  Menschen 
solchen  Dingen  gegenüber  eine  Art  Grauen  empfinden 
mögen.  — 

HAUSDORFER.  Grauen  —  ja!  Das  mrd  schon 
das  rechte  Wort  sein. 

HEINRICH.  Aber  sagen  Sie  selbst,  Herr  Haus- 
dorf er:  sind  die  Leute  nicht  eigentlich  beneidenswert, 
denen  es  so  schnell  gelingt,  sich  hinauszuretten  — 
in  ihren  Beruf,  in  ihre  Kunst  ?  die  vielleicht  sogar 
die  wunderbare  Fähigkeit  haben,  ihren  Schmerz  in 
ihrer  Weise  zu  gestalten,  statt  ihn  in  nutzlosen  Tränen 
hinströmen  zu  lassen? 

HAUSDORFER.  Gestalten  ?  Weckt  das  die  Toten 
wieder  auf? 

HEINRICH.  So  wenig  als  die  Tränen.  Ich  sage 
auch  nicht,  daß  die  Freude  an  der  Arbeit  das  Leid 
über  ein  entschvnindenes  Wesen  aufwiegt.  Aber  ist 
es  nicht  endhch  das  Einzige,  was  uns  übrig  bleibt: 

Theaterstücke.  I!,  32.  2  "^7 


arbeiten?  Werden  Sie  nicht  Ihren  Garten  pflegen 
wie  zuvor?  Und  ich  —  ja,  ich  ersehne  den  Tag,  da 
ich  wieder  fähig  sein  werde,  etwas  OrdentHches  zu 
schaffen  wie  früher  einmal.  Ins  Unabänderhche 
müssen  wir  uns  fügen. 

HJUSDORFER.  Ins  Unabänderliche,  das  mag  ja 
sein. 

HEINRICH.    Es  war  unabänderHch. 

HJUSDORFER.    Nein,  nein. 

HEINRICH  ein  vienig  befremdet.  Gewiß.  Mit  welchen 
Gedanken  quälen  Sie  sich  denn  ?  Haben  Sie  nicht 
selbst  erst  vor  sechs  Wochen  den  Doktor  gesprochen  ? 
Er  hat  Ihnen  damals  die  Wahrheit  nicht  verschwiegen. 
Es  hat  so  kommen  müssen. 

HJUSDORFER.   Nicht  so  früh!   Noch  nicht  jetzt. 

HEINRICH.  Wie  können  Sie  das  behaupten, 
Herr  Hausdorfer  ?  Sie  nehmen  doch  nicht  an,  daß 
irgend  etwas  versäumt  worden  ist  ? 

HJUSDORFER.  O  nein,  o  nein,  entschuldige. 
Nichts  ist  versäumt  worden. 

HEINRICH.    Nun  also! 

HJUSDORFER.  Aber  hast  du  mir  nicht  selbst 
grad  erzählt,  daß  sie  noch  zwei  bis  drei  Jahre  vor  sich 
gehabt  hätte? 

HEINRICH.  Ach  so.  Das  ist  schon  wahr.  Aber 
der  Doktor  machte  auch  auf  die  Möglichkeit  eines 
plötzhchen  Todes  aufmerksam,  wie  Ihnen  sehr  wohl 
bekannt  ist. 

HJUSDORFER.  PlötzHch?  —  Das  war'  ja  schon 
richtig.  Zögernd,  aber  dann  entschlossen.  Aber  ob's  auch  natür- 
Hch  zugegangen  ist,  das  war'  noch  eine  andere  Frage. 

HEINRICH  betreten.  Wie  ?!  Warum  diese  .  .  .  Nein. 
Ich  verstehe  nicht,  was  Sie  auf  diese  Vermutung  bringt, 
zu  der  nicht  der  geringste  .  .  .  Der  Arzt  hätte  es  doch 
merken  müssen. 

HJUSDORFER.  Warum  denn?  Man  trinkt  das 
Morphiumflascherl  aus,  in  der  Früh'  wird  man  tot  im 
Bett  gefunden;  die  Angehörigen  sind  ja  vorbereitet. 

338 


HEINRICH.  Sie  sagen  das  mit  einer  so  eigentüm- 
lichen Bestimmtheit  .  .  .  Hat  meine  Mutter  vielleicht 
eine  Äußerung  getan  ?  .  .  . 

HAUSDORFER.  Laß  es  dir  genügen  —  ich  irr' 
mich  nicht. 

HEINRICH.  Da  Sie  mir  so  viel  gesagt  haben, 
Herr  Hausdorfer,  so  werden  Sie  es  wohl  begreiflich 
finden  .  .  . 

HAUSDORFER.  Ich  weiß  es  —  frag'  mich  nicht 
mehr! 

HEINRICH.  Ach  so.  Der  Brief  auf  ihrem  Schreib- 
tisch .  .  . 

HAUSDORFER  mckt.  Ja. 

Pause. 

HEINRICH  betroffen.  So,  SO  .  .  .  Aber  warum  bin 
ich  eigentlich  erstaunt  ?  Wie  oft  in  diesen  furchtbaren 
Nächten  hab'  ich  mich  gefragt  —  ja,  ich  gesteh'  es 
Ihnen,  auf  die  Gefahr,  daß  ich  Ihnen  wieder  grauen- 
haft erscheine  —  was  uns  armselige  Geschöpfe  denn 
zwingt,  so  viel  Elend,  so  viel  Martern  auf  uns  zu  nehmen, 
wenn  es  doch  in  unserer  Macht  liegt,  jeden  Augenbhck 
selbst  ein  Ende  zu  machen. 

HAUSDORFER.    Heinrich! 

HEINRICH.  Wenn  meine  Mutter  getan  hat,  was 
Sie  zu  wissen  behaupten,  so  hat  sie  recht  getan. 

HAUSDORFER.    Heinrich! 

HEINRICH.    Das  ist  meine  ehrliche  Meinung. 

HAUSDORFER.  Aber  du  weißt  ja  nichts,  Heinrich 

—  Du  weißt  ja  gar  nichts!  Sie  hätte  ja  weiter  gelitten 
und  weiter  gelebt,  solang  ihr  der  Herrgott  das  Leben 
schenkt  —  für  mich  hätt'  sie  weitergelebt  und  für  sich 

—  für  die  paar  Stunden  hier  in  dem  Garten,  der  voll 
Erinnerungen  an  unsere  Jugend  und  an  unser  Glück 
ist  —  gestorben  ist  sie  deinetwegen  —  deinetwegen, 
Heinrich,  daß  du's  weißt  —  für  dich! 

HEINRICH  immer  erregter.  Für  mich  ...  für  mich  ? 
.  .  .  Ich  verstehe  Sie  absolut  nicht!  .  . .  Für  mich  — 
was  heißt  das? 


339 


HAUSDORFER.  Verstehst  du's  wirklich  nicht? 
Kannst  du  dir's  denn  nicht  denken  ?  Hast  du  nicht 
selbst  eben  davon  gesprochen  ? 

HEINRICH.    Wovon? 

HAUSDORFER.  Hast  du  mir  nicht  selbst  erzählt, 
was  in  dir  vorgegangen  ist  ?  Und  du  bildest  dir  ein, 
deine  Aiutter  hat  nichts  gemerkt  ? 

HEINRICH.   Was  hat  meine  Mutter  gemerkt? 

HAUSDORFER.  Daß  dich  ihre  Krankheit  in 
deinem  Beruf  gestört  hat,  daß  du  nichts  mehr  hast 
arbeiten  können  —  daß  du  Angst  bekommen  hast, 
es  ist  für  immer  aus  mit  deinem  Talent  —  daß  du  — 
du!  der  Gequälte,  der  Gemarterte,  der  Ruinierte  warst 
—  das  hat  sie  gesehen  und  darum  .  .  . 

HEINRICH.  Darum  ? !  —  Aber  es  ist  ja  nicht  mög- 
Hch! 

HAUSDORFER.  Nicht  möglich?  Es  war  deine 
Mutter,  so  wird's  schon  möglich  gewesen  sein. 

HEINRICH.  Nein,  Herr  Hausdorfer,  Ihr  Gram 
bringt  Sie  auf  Vermutungen,  die  durch  nichts  gerecht- 
fertigt sind.  Ich  v/eiß  ja  sehr  wohl,  daß  meiner  Mutter 
mein  Seelenzustand  kein  Geheimnis  bleiben  konnte, 
so  sehr  ich  mich  bemüht  habe  —  aber  daß  das  der 
Grund  gewesen  sein  soUte  .  .  .  nein,  das  ist 

HAUSDORFER  ihn  heftig  unterbrechend.  Warum  wdllst 
du  mir  denn  nicht  glauben  ?  Meinst  du,  ich  lüge  dir 
was  vor  ?  Ja,  warum  denn  ?  —  Da!  Nimmt  einen  Brief  aus 
der  Tasche.  Lies!  Ues!  da!  Der  Brief  ist  bei  klarem  Be- 
wußtsein geschrieben  —  das  ist  der,  der  auf  dem 
Schreibtisch  gelegen  ist!  Am  letzten  Abend  hat  sie  ihn 
geschrieben.  Und  eine  halbe  Stunde  nachher  ...  Ja, 
lies  —  da  drin  steht's  .  .  .  v/eil  sie  dich  leiden  gesehen 
hat  —  sie  dich  —  sie  dich  —  darum  ist  sie  fortgegangen 
vor  der  Zeit  —  darum  ist  sie  gestorben! 

HEINRICH  durchfliegt  den  Brief.  Mutter!  Mutter! 
Sinkt  wie  vernichtet  nieder.  Für  mich!  Um  meinetwillen! 
Da  bin  ich  ja  ihr  ...  O  Gott!  O  Gott!  —  Mutter! 
Er  vergräbt  den  Kopf  auf  dem  Lehr.stuhL 


340 


HAUSDORFER  siebt  ihn  an  und  nickt. 
Große  Pause. 

HEINRICH  erbebt  sieb.  Ich  vdll  nun  gehen.  Ich  be- 
greife, daß  Ihnen  mein  Anblick  schmerzlich  sein  muß. 
Hier  ist  der  Brief.  Er  behält  ihn  noch  in  der  Hand.  Er  ist 
bei  klarem  Bewußtsein  geschrieben  und  enthält  die 
Wahrheit.  Ja,  ich  zweifle  nicht  mehr.  Nach  einigem 
Zögern.  Erlauben  Sie  mir  nur,  Sie  auf  diese  Stelle  auf- 
merksam zu  machen. 

HAUSDORFER.    Welche? 

HEINRICH.  Diese  hier.  In  der  meine  Mutter 
Sie  beschwört  —  Mit  dem  Finger  darauf  weisend.  ,,Ich  be- 
schwöre dich  .  .  ."  mir  von  dem  Inhalt  dieses  Briefes 
nichts  zu  verraten  und  mich  zeitlebens  in  dem  Glauben 
zu  lassen,  daß  sie  eines  natürHchen  Todes  gestorben 
sei.  Dieser  Brief  war  ausschließUch  für  Sie  und  ganz 
gewiß  nicht  für  mich  bestimmt. 

HAUSDORFER.  Ich  bestimm'  ihn  für  dich!  Ich 
bestimm'  ihn  für  dich!  Ich  erlaube  mir  —  ich  erlaube 
mir.    Du  wirst  es  überleben. 

HEINRICH.  Sie  haben  durch  Ihre  Verfügung  den 
ganzen  Sinn  dieses  freiwilligen,  dieses  Opfertodes  zer- 
stört. Ihr  Wille  war  es  nicht,  daß  ich  mich  als  Mörder 
fühlen,  als  ein  Verdammter  auf  der  Welt  herumgehen 
sollte!  Und  Sie  werden  \'ielleicht  später  selbst  emp- 
finden, daß  Sie  nicht  nur  an  mir,  sondern  auch  an  ihr 
ein  Unrecht  begangen  haben,  das  beinah  das  meine 
aufwiegt. 

HAUSDORFER.  Ich  nehm's  auf  mich,  Heinrich. 
Ich  hab'  es  dir  sagen  dürfen,  dir  schon.  Du  wirst  dich 
nicht  lang  als  Schuldiger  fühlen  —  nein!  Du  wirst 
dich  aufraffen!  leben!  gestalten! 

HEINRICH.  Das  ist  mein  Recht,  vielleicht  sogar 
meine  Pflicht.  Denn  mir  bleibt  nicht  anderes  übrig 
als  mich  selbst  zu  töten  —  oder  den  Beweis  zu  ver- 
suchen, daß  meine  Mutter  —  nicht  vergeblich  ge- 
storben ist. 

HAUSDORFER.    Heinrich!    Vor  einem  Monat  hat 


34-1 


deine  Mutter  noch  gelebt,  und  du  kannst  so  reden? 
Für  dich  hat  sie  sich  umgebracht,  und  du  gehst  hin 
und  schüttelst  es  von  dir  ab  ?  Und  in  ein  paar  Tagen 
nimmst  du's  vielleicht  hin,  als  war'  es  ihre  Schuldig- 
keit gewesen  ?  Hab'  ich  nicht  recht :  seid  ihr  nicht  einer 
wie  der  andere?  Hochmütig  seid  ihr  —  das  ist  es: 
hochmütig,  alle,  die  Großen  wie  die  Kleinen!  Was 
ist  denn  deine  ganze  Schreiberei,  und  wenn  du  das 
größte  Genie  bist,  was  ist  sie  denn  gegen  so  eine  Stunde, 
so  eine  lebendige  Stunde,  in  der  deine  Mutter  hier 
auf  dem  Lehnstuhl  gesessen  ist  und  zu  uns  geredet 
hat,  oder  auch  geschwiegen  —  aber  da  ist  sie  gewesen 
—  da!  und  sie  hat  gelebt,  gelebt! 

HEINRICH.  Lebendige  Stunden  ?  Sie  leben  doch 
nicht  länger  als  der  letzte,  der  sich  ihrer  erinnert. 
Es  ist  nicht  der  schlechteste  Beruf,  solchen  Stunden 
Dauer  zu  verleihen,  über  ihre  Zeit  hinaus.  —  Leben 
Sie  wohl,  Herr  Hausdorfer.  Ihr  Schmerz  gibt  Ihnen 
heute  noch  das  Recht,  mich  mißzuverstehen.  Im 
Frühjahr,  wenn  Ihr  Garten  aufs  neue  blüht,  sprechen 
wir  uns  wieder.  Denn  auch  Sie  leben  weiter.  Er  gebt 
über  die  Terrasse^  aus  der  ein  breiter  Lichtstrahl  von  der  Lampe  in 
den  Garten  fällt. 

Vorhang. 


342 


//.  DIE  FRAU  MH  DEM  DOLCHE 

Schauspiel  in  einem  Akt 


PAULINE 

LEONHARD 

REMIGIO 


Kleiner  Saal  einer  Bildergalerie  mit  Werken  der  italienischen 
Renaissance.  An  der  Rückwand  ein  Bild,  das  eine  sehr  schöne  Freu 
in  weißer  Gewandung  vorstellt,  etwa  in  der  Manier  des  Palma  Veccbio. 
Die  Frau  hat  einen  Dolch  in  der  erhobenen  Rechten  und  siebt  zu 
Boden,  als  läge  dort  einer,  den  sie  ermordet  bat.  In  der  Mitte  des 
kleinen  Saals  ein  Divan.  Zuerst  Stille;  dann  geht  langsam  ein  Diener 
vorbei.   Pauline  tritt  ein  —  elegante  Pelzjacke,  Katalog  in  der  Hand 

—  von  rechts,  geht  quer  durch  den  Saal,  betrachtet  ein  Bild  an  der 
linken  Wand.  Einige  Sekunden  darauf  tritt  Leonhard  ein  —  ele- 
ganter junger  Mann  in  schwarzem  Überzieher  — ;  er  bleibt  hinter 

Pauline  stehen. 

LEONHARD 

Guten  Morgen,  gnädige  Frau. 

P  JULI  NE 

wendet  sich  um  und  lächelt. 
Guten    Morgen.     Ich    bin    eben    erst    geKommen. 
Saal  neun  —  es  stimmt  doch  ? 

LEONHARD 

Inwiefern  ? 

PAULINE 
Nun,   wir   haben   das   letztemal   bei   Numero   acht 
aufgehört. 

LEONHARD 
Richtig.     Ich  woißte  nicht,   daß   Sie  das  so   genau 
nehmen.    Ich  wagte  kaum  zu  hoffen,  daß  Sie  heute 
kommen  würden. 

PAULINE 
Ich  hab'  es  Ihnen  doch  versprochen. 

LEONHARD 
Sie  blieben  gestern  abend  noch  lange  alle  zusammen  ? 

PAULINE 

Bis  gegen  Morgen.   Ja.    Sie  sind  früh  verschwunden 

—  schade.    Es  war  ein  schönes  Fest. 

LEONHARD 

Alan  hat  ihn  sehr  gefeiert. 


344 


PAULINE 
War  Ihnen  das  etwa  unangenehm? 

LEONHARD 

Die  ganze  Welt  mag  ihm  zu  Füßen  liegen,  das 
kümmert  mich  wenig.  Aber  Sie,  Pauline,  Sie  haben 
ihn  gestern  abend  mehr  geHebt  als  je  —  Sie  waren 
stolz  auf  ihn. 

PAULINE 

Hab'  ich  keine  Ursache  dazu  ?  Bewundern  Sie  ihn 
nicht  selbst  ?  Waren  Sie  nicht  in  der  tiefsten  Seele 
ergriffen  und  haben  Sie  nicht  wie  wahnsinnig  applau- 
diert, als  der  Vorhang  zum  letzten  Male  fiel  r 

LEONHARD 
Sie  haben  es  bemerkt  ? 

PAULINE 

Ich  hab'  ja  oft  genug  zu  Ihnen  hinuntergeschaut. 

LEONHARD 

küßt  ihr  die  Hand. 

PAULINE 

ihm  die  Hand  leicht  entziehend. 

Wollten  Sie  mir  nicht  heut  ein  Bild  zeigen,  das 
mir  so  ähnlich  sein  soll. 

LEONHARD 
Ganz  recht.    Da  ist  es.    Dieses  hier. 

PAULINE 

vor  der  Frau  mit  dem  Dolch. 
Dieses.  —  ja,  es  hat  entschieden  einen  Zug  von  mir. 

LEONHARD 

Ah,  mehr  als  das  —  es  gleicht  Ihnen  geradezu.  Ab- 
gesehen von  dem  Dolch. 

PAULINE 
Warum    „abgesehen"  ?     Lächelnd.    Man  kann    nicht 


345 


wissen  .  . .  Im  Katalog  blätternd.  Numero  siebenhundert- 
sechsundzwanzig  —  „Frau  mit  dem  Dolch"  —  un- 
bekannter Maler  —  starb  um  1530  ..  . 

LEONEARD 
Es  sind  Ihre  Augen. 

FAVLINE 

Sind  — ?  Es  könnten  meine  Augen  sein.  Bleiben 
wir  doch  ein  wenig  in  diesem  Saal;  ich  fühle  mich 
hier  sehr  wohl. 

LEONHARD 
Pauline  — 

PAULINE 
Ich  glaube  —  nicht  um  Ihretwillen.  Da  drüben  bei 
den  alten  Deutschen  und  Niederländern  neuhch  war 
mir  gar  nicht  so  behaglich,  aber  hier  hab'  ich  eine  Art 
von  Heimatsgefühl.  Wahrhaftig,  diese  Leute  muß  ich 
alle  schon  einmal  gesehen  haben.  Sehen  Sie  doch, 
wie  bekannt  mich  zum  Beispiel  auf  ein  Bild  an  der  rechten 
Wand  weisend:  dieser  Herr  dort  anblickt.  Es  würde  mich 
nicht  wundern,  wenn  er  mich  grüßte. 

LEONHARD 

Wahrscheinlich  hat  er  zu  Beginn  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  in  Ihrem  Hause  verkehrt. 

PAULINE 
Warum  nicht  ?    Meine  Mutter  stammt  aus  Florenz. 
Jedenfalls  hat  man  sich  damals  schöner  getragen  als 
heut,  —  womit  ich  nichts  gegen  Ihren  neuen  schwarzen 
Überzieher  sagen  will,  der  Ihnen  vortrefflich  steht. 

LEONHARD 

verbeugt  sieb. 

PAULINE 
Aber  trotzdem,  es  ist  nicht  zu  leugnen  — 

346 


LEONHARD 

Was? 

PAULINE 

lächelnd. 
Wenn  Sie  mir  in  solch  einer  Tracht  begegnet  wären, 
ja  dann  — 

LEONHARD 
Ich  bin  untröstlich,  daß  ich  damals  nicht  das  Ver- 
gnügen hatte. 

PAULINE 
Was  wissen  Sie  denn  ?  —  wir  erinnern  uns  vielleicht 
nicht. 

LEONHARD 
Ich  versichere  Sie,  gnädige  Frau,  das  hätt'  ich  nicht 
vergessen. 

PAULINE 

nacbdenklicb  werdend. 
Vielleicht  gehört  nur  ein  fester  Wille  dazu. 
Fause^  in  der  sie  ihre  Blicke  von  einem  Bild  zum  andern  scbtoeifen  läßt. 

LEONHARD 

Sie  wissen  wohl,  daß  man  heute  überall  von  Ihrem 
Gatten  spricht. 

PAULINE 

wieder  in  der  Gegenwart. 
Das  kann  ich  mir  denken. 

LEONHARD 

mit  Bedeutung. 
Und  von  Ihnen. 

PAULINE 

Nun  ja.     Sie  will  weitergeben. 

LEONHARD 
Pauline! 

PAULINE 

sieb  wieder  zu  ibm  wendend^  etwat  zerstreut. 
Nun,  was  wollen  Sie  ? 


347 


LEONHARD 

Wie  konnten  Sie's  ertragen,  Pauline? 

PAULINE 

sieht  ihn  sonderbar  lächelnd  Ufi. 

LEONHARD 
Jeder  im  Theater  wußte,   was   für  ein   Schauspiel 
man  aufführte.    Es  war  einfach  die  Geschichte  — 

PAULINE 

%  ihn  rasch  unterbrechend. 

Von  der  Prinzessin  Maria,  denk'  ich. 

LEONHARD 

So  hieß  es. 

PAULINE 

ja.  Wer  gestattet  Ihnen  zu  vermuten,  daß  es  ein 
anderes  war  ? 

LEONHARD 
Ich  gestatte  mir  zu  wissen,  was  die  ganze  Stadt  weiß. 
Nur  weiß  ich  noch  etwas  mehr. 

PAULINE 

Das  wäre  ? 

LEONHARD 
Daß   es   gestern   abend   einen  Augenblick  gegeben 
hat,  in  dem  Sie  ihn  haßten. 

PAULINE 

Wen  ? 

LEONHARD 

Den,  für  den  Sie  und  Ilir  ganzes  Schicksal  nichts 
anderes  zu  bedeuten  hat,  als  eine  Gelegenheit,  seinen 
Witz  oder  meinethalben  sein  Genie  zu  zeigen. 

PAULINE 

Vielleicht  hat  mein  ganzes  Leben  gar  keinen  andern 
Sinn  gehabt. 

348 


LEONHARD 

Und  auch  das  gehörte  zum  Sinn  Ihres  Lebens^ 
daß  seine  Geheimnisse  vor  den  Pöbel  hingeworfen 
werden?  Nicht  pathetisch.  Prinzessin  Maria!  und  jeder 
wußte,  es  ist  die,  die  da  oben  in  der  Loge  sitzt.  Meister 
Gottfried!  und  jeder  wußte,  der  hat  das  Stück  ge- 
schrieben. Und  alle  Worte  und  Küsse  unten  auf  der 
Bühne  —  und  sein  Verrat  —  und  ihre  Verzweiflung 
—  und  seine  Rückkehr  und  ihr  Verzeihen  —  und  alle 
Erbärmlichkeit  und  alle  Glut  —  alles  wahr  —  und 
Herr  Gottfried  hatte  daraus  ein  Stück  gemacht  — 
und  Prinzessin  Maria  saß  in  der  Loge  und  sah  der 
Komödie  zu.  Ah  Pauhne,  mir  war  gestern  immer, 
als  müßt'  ich  zu  Ihnen  —  Sie  holen,  Sie  befreien,  Sie 
retten.  Denn  wie  eine  Sklavin  kamen  Sie  mir  vor, 
wehrlos  und  erniedrigt.  Mitleid  hatt'  ich  mit  Ihnen 
und  habe  mich  zugleich  geschämt. 

PAULINE 
Sie  haben  sich  geschämt  —  Sie  ?  warum  ? 

LEONHARD 
Weil  ich  Sie  liebe.  Pauline. 

PAULINE 

sieht  ihn  ruhig  an. 

LEONHARD 

Zürnen  Sie  mir  nicht.  Pauline.  Ich  weiß  ja,  daß 
mein  ganzes  Recht,  so  mit  Ihnen  zu  reden,  nur  darauf 
beruht,  daß  mich  nichts  auf  der  Welt  kümmert  als 
Sie,  daß  ich  bereit  wäre,  für  Sie  zu  sterben,  und  daß 
ich  jung  bin. 

PAULINE 

Das  ist  vielleicht  nicht  so  wenig.  Aber  lassen  wir 
das.  Und  gehen  wir  endlich  weiter.  Kommen  Sie. 
AhKehrend.    Nichts  mehr,  nichts  mehr,  ich  bitte  Sie. 


349 


LEONHARD 

dringender. 
Warum,  Pauline,  sagen  Sie  selbst,  warum  sind  Sie 
heute  gekommen  ?  Warum  waren  Sie  vorgestern  hier, 
warum  vor  acht  Tagen  ?  Warum,  Pauline,  hat  gestern, 
als  ich  schweigend  neben  Ihnen  saß,  Ihr  Knie  das 
meine  berührt  und  gebebt  ?  Warum  werden  Ihre 
BUcke  feucht,  während  ich  zu  Ihnen  rede,  und  warum 
verlangen  Ihre  Lippen  nach  den  meinen,  während  wir 
hier  ruhig  nebeneinander  stehen? 

PAULINE 

Was  sollen  diese  heftigen  Fragen,  Leonhard?  Ich 
leugne  nichts  ab;  denn  das  find'  ich  widerwärtig  und 
feig.  Aber  die  schlimmste  von  allen  Lügen  wäre  doch, 
wenn  ich  Ihnen  sagte,  ich  hebe  Sie.  Es  hat  keinen 
Augenblick  gegeben,  in  dem  ich  es  selbst  glaubte;  und 
doch  gab  es  einen  Augenblick,  in  dem  ich  bereit  war, 
Ihre  Geliebte  zu  werden.  Sie  haben  ihn  versäumt 
und  er  v?ird  nicht  vnederkommen.  Nie  werden  Sie 
erraten,  wann  das  war.  Ja,  es  ist  nun  einmal  so.  Das 
ist  keine  Schande  für  mich  und  keine  Ehre  für  Sie. 
Es  ist  millionenmal  dagewesen.  Nur  sagen  andere 
Frauen  in  meinem  Fall:  Ich  hege  für  Sie  die  Liebe 
einer  Schwester,  einer  Freundin  —  verlangen  Sie 
keine  andere.  Ich,  Leonhard,  sage  Ihnen,  daß  ich  so 
ziemlich  alles  für  Sie  fühle,  was  Sie  sich  nur  v^ünschen 
könnten,  nur  Freundschaft  nicht,  bei  Gott,  nein. 
Hält  inne,  tote  verloren.  Hab'  ich  Ihnen  nicht  das  schon 
einmal  .  .  .  ? 

LEONHARD 

aufflammend. 

Nein!  so  haben  Sie  nie  zu  mir  geredet! 

PAULINE 
Sonderbar  —  mir  war  doch  ganz  . .  . 

LEONHARD 
Warum  schweigen  Sie  plötzlich? 


350 


PAULINE 
Was   ist  mir  .  .  .  ?    wo  bin  ich  .  .  . :     Verloren.     Ich 
schweige.     Allmählich  erwachend.     Nu  ja,    was  ist  noch 
weiter  zu  sagen?    Leben  Sie  wohl. 

LEONHARD 

befremdet. 
Was  bedeutet  das  ? 

PAULINE 

Wie  sehen  uns  heut  zum  letztenmal,  das  ist  alles. 

LEONHARD 
Zum  letztenmal? 

PAULINE 
Ja.  Morgen  früh  reise  ich  mit  meinem  Gatten  nach 
Italien. 

LEONHARD 
Wann  kommen  Sie  zurück  ? 

PAULINE 

Ich  weiß  es  nicht.    Für  Sie  niemals. 

LEONHARD 
Sie  scherzen,  Pauhne!  Davon  war  doch  nie  die  Rede. 

PAULINE 
Es  konnte  davon  nicht  die  Rede  sein.    Ich  weiß 
es  selbst  erst  seit  heute  früh. 

LEONHARD 

PauHne,  was  ist  geschehen  ?  warum  das  alles  ? 

PAULINE 
Warum?  —  Weil  ich  keine  Lust  habe,  für  —  wie 
heißt  das  doch  ?  für  eine  selige  Stunde  meine  Ruhe, 
mein  Lebensglück,  vielleicht  mein  Leben  selbst  hin- 
zugeben. 


351 


LEONHARD 

Und  Ihr  Gatte  —  was  sagt  er  zu  diesem  plötzlichen 
Entschluß,  nach  Italien  .  .  .  ? 

PAULINE 

Mein  Gatte  ?    Ich  hab'  ihn  selbst  gebeten,  mit  mir 
fortzufahren. 

LEONHARD 

Unter  welchem  Vorwand? 

PAULINE 
Unter  keinem  Vorwand.    Ich  hab'  ihm  die  Wahr- 
heit gesagt  wie  immer. 

LEONHARD 

Wie  immer? 

PAULINE 

Ich  hab'  ihm  am  ersten  Tag  geschworen,  ihm  jede 
Regung  meiner  Seele  einzugestehen,  wie  er  mir. 

LEONHARD 

Und  heute  früh  — ? 

PAULINE 
Hab'  ich  ihm  gestanden,  daß  ich  in  Gefahr  bin, 

LEONHARD 
Und  er? 

PAULINE 

Hab'  ich's  nicht  gesagt  ?    Wir  reisen  fort. 

LEONHARD 
Pauline!    Und  Sie  glauben,  er  wird  Ihnen  jemals 
diese  Regung  verzeihen? 

PAULINE 
Warum  nicht?    Ich  hab'  ihm  mehr  vergeben. 

LEONHARD 

Er  ist  ein  Mann,  und  wir  alle  sind  eitel.    Er  ist  ein 


352 


Dichter  und  tausendmal  eitler  als  wir  alle.  Er  wird  Sie 
Ihr  Leben  lang  büßen  lassen. 

PAULINE 
Das  muß  ich  tragen. 

LEONHARD 

Er  wird  Sie  so  bitter  peinigen,  als  wenn  es  geschehen 
wäre. 

PAULINE 
War'  es  geschehen,  so  würde  er  mich  umbringen. 

LEONHARD 

Was   fällt   Ihnen   ein.    Er  macht   ein  neues   Stück 
daraus,  und  am  Ende  ist  er  Ihnen  noch  dankbar. 

PAULINE 

Möglich.   Er  wäre  der  Mann,  beides  zu  vereinigen. 

LEONHARD 
Pauline,  wann  reisen  Sie? 

PAULINE 
Ich  sagte  es  ja:  morgen. 

LEONHARD 
Morgen  erst?    So  gehört  das  Heute  noch  un«. 

PAULINE 
Sie  sind  verrückt. 

LEONHARD 
Ich  erwarte  Sie  heut  abend.  Pauline. 

PAULINE 
Aber  Sie  sind  nicht  bei  Sinnen. 

LEONHARD 
Nie  war  ich  so  vernünftig  als  in  diesem  Augenblick. 

ThealcrstUcSccu  II,  a»  3 1^  3 


PAULINE 
Leonhard!  —  Und  gar  jetzt>  da  er  so  viel  weiß. 

LEONHARD 

Ich  sterbe  tausendmal  für  Sie,  Pauline.  Faßt  ihre  Hand. 

PAULINE 

Nein,  nein!   Leben  Sie  wohl.   Es  ist  lauter  Unsinn. 
Ich  liebe  Sie  ja  gar  nicht.    Adieu! 

LEONHARD 
Pauline! 

Die  Mittagsglocken  beginnen  zu  läuten. 

PAULINE 
Lassen  Sie  mich  gehen;  ich  muß  nach  Hause.  Hören 
Sie  doch,  es  ist  schon  zwölf  Uhr.    Er  weiß  ja  auch, 
daß  ich  hier  bin,  um  Ihnen  Adieu  zu  sagen.    Und 
wenn  ich  es  wagte,  heute  abend  fortzugehen  .  .  . 

LEONHARD 

Nun? 

PAULINE 
Wir  beide  wären  verloren. 

LEONHARD 
Ich  werde  warten.  Pauline,  ich  .  .  .   Sie  stehen  vor  dem 
Bild  der  Frau  mit  dem  Dolch. 

Die  Glocken  tönen  fort. 

PAULINE 

näher  hinblickend. 
Wer  liegt  hier  im  Schatten? 

LEONHARD 
Wo? 

PAULINE 

Sehen  Sie  nicht  ? 

LEONHARD 
Ich  sehe  nichts. 


354 


PAULINE 

Sie  sind  es. 

LEON  H  ARD 
Ich,  Pauline?    Was  für  ein  sonderbarer  Scherz! 

PAULINE 

sieht  um  sich. 

Und  alle  diese  . . .  nein  .  .  ,  Wer  hat  es  gemalt  ? 

LEONHARD 

Wir  lasen  ja  eben:  unbekannter  Maler,  starb  um 

1530. 

PAULINE 
Unbekannt . .  . 

LEONHARD 

Pauline,  was  haben  Sie  denn? 

PAULINE 

Ich  bin  es  —  kennen  Sie  mich  nicht? 

LEONHARD 

Ich  sagt'  es  ja,  die  Ähnlichkeit  ist  außerordentlich. 

PAULINE 

Ich  bin  es,  ich  bin  es  selbst.  Erkennen  Sie  mich 
nicht  ?  Und  hier  im  Schatten  —  der  tote  Jüngling  — 
Sie  — 

LEONHARD 

Ich,  Pauline?  Was  ist  Ihnen? 

PAULINE 

Erinnern  Sie  sich  nicht,  Leonhard  ?  Sie  bäh  ihn  bei  der 
Hand;  beide  setzen  sich  langsam  auf  den  Divan,  den  Blick  dem  Bilde 
zugewendet, 

LEONHARD 
Erinnern  . .  .  ? 

PAULINE 
Lionardo,  erinnerst  du  dich  nicht? 

Plötzliche  Verdunkelung  der  Bühne.      Sehr    rasche     Verwandlung. 

Bis  es  wieder  licht  wird^  tönen  die  Glocken  weiter^  dann  verstummen 

sie  plötzlich. 

u*  355 


Das  Atelier  des  Meisters  Remigio.  Morgengrauen.  Links  eine 
kleine  7üre^  rechts  eine  schwer  geraffte  dunkelrote  Portiere.  Großes 
Bogenfenster  im  Hintergrund.  Im  Saale  einige  Kopien  nach  antiken 
Plastiken.  Bilder  an  der  Wand,  der  Zeit  entsprechend.  Auf  einer 
Staffelei  rechts  ziemlich  vorn  ein  verhängtes  Bild.  —  Nah  der  Por- 
tiere auf  dem  Boden  liegt  Lionardo  (Leonhard)  im  Dunkel^  nicht 
schlafend.  Vollkommene  Stille.  Nach  einigen  Sekunden  tritt  Paola 
(Pauline)  auf,  in  weißem  Nachtgewand,  ganz  dem  Bilde  gleichend^ 
das  man  in  der  vorigen  Szene  sah.  Sie  geht  an  Lionardo  vorbei,  ohne 
ihn  zu  sehen,  langsam  bis  zur  Staffelei,  entfernt  leicht  den  Schleier 
von  dem  Bild.  Es  ist  das  gleiche,  wie  in  der  vorigen  Szene,  nur  noch 
nicht  vollendet,  insbesondere  fehlt  der  ausgestreckte  Arm  und  die 
Hand,  die  den  Dolch  hält.  Natürlich  wird  das  Bild  erst  deutlicher 
sichtbar  im  Verlauf  der  Szene,  wenn  es  lichter  wird. 

PAOLA 

betrachtet  das  Bild  lang. 

LIONARDO 

ist  ihr  ziemlich  nahe,  auf  dem  Boden  zu  ihr,  küßt  den  Saum  ihrei 
Kleides. 

PAOLA 

zuckt  leicht. 
Was  fällt  Euch  ein?    Verließt  Ihr  nicht  das  Haus? 

LIONARDO 
Paola,  nein!  ich  blieb  vor  Eurer  Tür. 

PAOLA 
Jetzt  aber  eilt. 

LIONARDO 

Der  Duft  von  Euren  Küssen 
Ist  noch  in  meinem  Haar.    Ich  gönn'  ihn  nicht 
Dem  Wind  der  Nacht,  der  ihn  ins  Weite  trägt. 

PAOLA 

Wie  wenig  klug.    Der  Morgen  graut  heran, 

Ein  Diener  wacht  vielleicht  und  sieht  Euch  gehn. 

LIONARDO 
So  bleib'  ich  denn,  des  Tages  hier  zu  warten, 
Steht  auf   und  meiner  Arbeit  glüht  sein  erstes  Licht. 


3S6 


PAOLA 

Wozu  die  Müh'?  Daß  Ihr's  nicht  lassen  könnt! 

Wärt  Ihr  des  jüngeren  Bassano  Schüler, 

Auch  des  Andrea  Galbi  oder  Franco, 

Dann  könnt  ich  Euern  Eifer  wohl  verstehn. 

Doch  hier,  von  Unerreichbarkeit  geblendet, 

Wie  kommt's,  daß  Euch  der  Pinsel  nicht  entgleitet, 

Daß  Ihr  nicht  täghch  das  Entworfne  löscht 

Und  hoffnungslos,  ohnmächtig  und  zerbrochen 

Auf  den  geweihten  Boden  niedersinkt. 

Drauf  einer  wandelt,  dem  kein  andrer  gleicht? 

LIONARDO 
Ich  weiß,  daß  ich  ein  Stümper  bin,  Paola, 
Nicht  wert,  zu  atmen,  wo  der  Meister  schafft. 
Und  mancher  Morgen  schlich  so  zag  hervor 
Aus  dem  Gewölk  der  Nacht,  daß  mich's  versuchte, 
Mein  eignes  Dasein  lieber  abzutun. 
Heut  aber  ist  ein  andrer  Tag,  Paola, 
Und  nicht  für  allen  Ruhm  des  Unverglichnen 
■Qeb'  ich  die  trunkene  Erinnrung  preis, 
Daß  seine  Gattin  mein  war  heute  nacht. 
Fragt  doch  Remigio,  wenn  er  wählen  dürfte, 
Was  er  sich  wählte. 

PAOLA 

ernst. 
Niemand  hat  die  Wahl, 
Nicht  er,  noch  ich,  noch  Ihr  —  es  fällt  uns  zu. 

LIONARDO 
Und  jedem  ward  nach  Willen  und  Gebühr. 

PAOLA 

vor  sieb  bin. 
Ihr  denkt  ?  . . . 

LIONARDO 

Denn  er  erkennt  in  Euch 
Kaum,  was  Ihr  seid,  ich  aber  mehr  als  Euch: 


357 


Erfüllung  jeder  Schönheit,  die  ich  ahnte, 
Durchflimmert  Euern  Leib,  aus  Euerm  Aug' 
Erglänzt  mir  alles  Lebens  Sinn  zurück. 
Ihm  ist  Euer  tiefstes  Wesen  nichts  als  Anlaß 
Und  Stachel  seiner  Kunst,  verrätrisch  lockt 
Aufs  AntHtz  Euch  sein  Kuß  der  Seele  Glut 
Zur  Fördrung  eines  Bildes,  das  Euch  gleicht. 
Und  glaubt  mir,  wenn  dies  letzte  ihm  gelang, 
Das  unvollendet  seiner  Rückkunft  harrt, 
Schwand  all  sein  Lieben  hin. 

PAOLA 

Das  weiß  ich  gut; 
Denn  ich  bin  dann  nichts  mehr,  bin  ausgeschöpft. 
Und  mein  Lebend'ges  bebt  in  jenem  Bild. 

Vor  dem  Bild. 
Ein  Rätsel,  bHck'  ich  selber  mir  ins  Antlitz, 
Nie  schaut  ich  also,  doch  so  könnt'  ich  schaun.  — 
Es  istj  als  war'  mir  etwas  aufbewahrt, 
Das  besser  oder  schlimmer  ist  als  alles. 
Was  jemals  ich  gedacht  und  je  getan, 
Und  eine  lebensdurst'ge  Möglichkeit 
Verbirgt  sich  unter  halbgeschloßnen  Lidern. 
War'  er  doch  wieder  da  —  war'  er  doch  da! 
Was  sehnt  sich  so?  —  Dies  Bild  in  mir? 
Ich  in  dem  Bild  ?  —  Du  warst  zu  lange  fort,  — 
Zu  lang,  Remigio!    Ach  ein  Jahr  währt  ewig! 

LIONARDO 

Ihr  träumt,  Paola!    Seit  er  Euch  verließ, 
Verstrich  kein  Monat. 

PAOLA 

Sehnsucht  mißt  die  Zeit 
Nicht  nach  der  Tage  Zahl.    Doch  heute  kommt  er. 
Heut  endlich. 

LIONARDO 
Wieder  irrt  ihr.    Wenn  er  gestern 


358 


Florenz  verließ,  wie  seine  Absicht  war, 
So  kommt  er  morgen  um  die  Mittagszeit. 

PAOLA 

Nein,  heut! 

LIONARDO 
Unmöglich  ist's,  Paola.    Nicht 

Mit  einigem  Hohn. 

Die  Luft  durchflatternd  auf  der  Sehnsucht  Schwingen, 
Nein,  vorgemeßnen  Weg  auf  ird'schem  Roß, 
Dem  ärmlichen  Gesetz  des  Schlafs,  der  Nahrung 
Wie  wir  gemeinern  Leute  Untertan, 
Reist  er  nach  Haus. 

PAOLA. 

Erst  morgen!    Ach,  warum 

Beinahe  scbmerzlich. 
Darf  ich  die  Stunden  nicht,  die  unnütz  leeren. 
In  meiner  Hand  wie  taube  Nüsse  knacken  ? 
Ihr  sagt:  ein  Tag  —  er  brach  noch  kaum  herein, 
Doch  gab'  ich  willig  alles  Leben  hin. 
Das  mir  noch  übrig,  kam'  er  jetzt  und  gleich! 


Paola! 

Was? 


LIONARDO 
PAOLA 

gleichgültig. 


LIONARDO 

heftig. 
Paola,  sieh  mich  an! 
Et  bat  ihre  Hand  erfaßt,  die  er  nun  hält. 

PAOLA 

die  Har.d  in  der  seinen,  aber  ohne  sich  zu  ihm  zu  wenden. 
Wozu?  Ich  kenn'  dich  doch!    Nun  ja,  du  bist 
Der  junge  Lionardo.  —  Ja  —  ich  weiß. 
Und  bist  ein  Farbenreiber.    Nein  ?    Was  denn  ? 
Ein  Page  etwa  an  des  Fürsten  Hof? 


359 


Wie?  oder  Prinz  von  Arragonien? 
Verzeih  —  kein  Page,  Prinz  und  Farbenreiber, 
Ein  Maler  —  ja  —  mit  Namen  Lionardo. 
Und  bist  sehr  hübsch,  ich  weiß.  Weshalb  verlangst  du, 
Daß  ich  dich  ansehn  soll?    Geschloßnen  Augs 
Sag'  ich  dir  mehr,  und  alles,  was  du  willst. 
Dein  Haar  ist  braun  und  kraust  sich  an  der  Stirn, 
Blau  ist  dein  Aug',  die  Brauen  dunkeln  tief. 
Dein  Hals  ist  weiß,  wie  eines  Mädchens  Hals, 
Und  gertengleich  geschmeidig  deine  GHeder. 
Dein  Arm  ist  stark  .  .  .  Nun,  sagt'  ich  nicht  genug  ? 
Muß  ich  dich  sehn  ?    Gib  doch  die  Hand  mir  frei ! 
Entzieht  ihm  die  Hand. 

LIONARDO 
Paola,  spielst  du  so  mit  mir?    Paola! 

PJOLA 

•  ohne  Blick  für  ihn. 

Ob  in  Florenz  ihm  neuer  Auftrag  ward  ? 
Ist's  so,  dann  geh'  ich  nächstesmal  mit  ihm. 
Denkt,  Lionardo,  seit  ich  Mädchen  war, 
Hab'  ich  Florenz  nicht  mehr,  des  Cosmo  Hoheit, 
Hab'  meine  Brüder  seither  nicht  gesehen. 
Doch  ist's  nicht  Heimweh,  das  mich  plagt.  Die  Damen 
Am  Hof  der  Medici  sind  sehr  galant. 
Und  ganz  besonders,  hab'  ich  sagen  hören, 
Wenn  solch  ein  Künstler  aus  der  Fremde  kommt, 
So  harren  sie  vor  seinem  Schlafgemach, 
Bis  sie  die  Reihe  trifft. 

LIONARDO 

Was  geht's  dich  an, 
Mit  wem  Remigio  schläft? 

PAOLA 

mit  einem  raschen  Blick. 

Wahr  —  Lionardo! 
Zusammen  wach  sein,  das  allein  bedeutet. 

360 


Und  dennoch,  wie  Erfahrung  lehrt,  begibt  sich's 
Zuweilen,  daß  ein  nächtlich  Abenteuer, 
So  nichtig  und  so  wesenlos  es  schien, 
Zudringlich  nachläuft  in  den  hellen  Tag 
Und  sich  wie  was  Lebendiges  gebärdet. 

LIONARDO 
Paola,  heute  nacht  warst  du  — 

PAOLA 

Die  Deine!  \ 

Versuch'  es  auszusprechen,  da  es  tagt! 
Hab'  ich  mit  süßem  Wort  dir  schöngetan? 
Hab'  ich  geflüstert  wie  die  andern  Fraun: 
„Ich  Hebe  dich  und  dein  hab'  ich  gewartet"  ? 
Vernahmst  du  andern  Laut  von  diesen  Lippen, 
Als  den  beklommnen  Aufschrei  wilder  Lust? 
Es  ist  nicht  mehr  und  also  war  es  nie! 

LIONARDO 

Paola,  nein!  es  war  und  darum  ist  es! 

Und  wird  sein,  und  mein  Recht  auf  dich  besteht! 

PAOLA 

Ein  Recht?  auf  mich  ein  Recht!    Begreifst  du  nicht, 

Daß  es  erlosch  mit  dieser  Nacht  Gestirnen, 

Und  daß  du  jedes  Rechtes  ledig  bist 

Trotz  aller  Jugend,  Schönheit,  Kraft  und  Mut, 

Als  wärst  du  häßhch  wie  ein  Ungetüm, 

Wie  Knaben  unreif  oder  lahm  wie  Greise? 

LIONARDO 
Paola,  sag',  daß  diese  schhmmen  Worte 
Nur  Proben  meiner  Zärtlichkeit  bedeuten! 
Laß  es  genug  sein! 

PAOLA 

Still!    Der  Morgen  kam. 

LIONARDO 
Doch  wieder  kommt  die  Nacht! 


361 


PAOLA 

Die  unsre  nie! 
Bescheidet  Euch!  Zurück  an  Euern  Platz. 

LIONARDO 

auf  den  Knien. 
Dies  ist  der  meine  —  oder  's  ist  das  Grab! 

PAOLA 
Weh  euch,  wenn  Ihr  es  wagt,  mich  zu  berühren! 

LIONARDO 

Was  droht  mir  dieser  unheilvolle  Blick, 

Und  was  versprach  und  hielt  er  diese  Nacht! 

PAOLA 

Genug,  genug!    Bei  Gott!  steht  Ihr  nicht  auf, 

Verfahr'  ich  so  mit  Euch,  wie  mein  Remigio 

Mit  dieser  roten  Peregrina  tat, 

Die  auch  gelaufen  kam  und  jammerte 

Und  sich  im  Staube  wälzte,  so  wie  Ihr: 

„Ich  lieb'  Euch  so"  und  „Ach  wie  lieb'  ich  Euch!" 

Und:  „Ihr  habt  mich  geherzt"  und:  „Denkt  Ihr  noch" 

Und  „Heute  nacht"  und  „Ach!  — " 

LIONARDO 

Und  Euer  Mann  ? 

PAOLA 

Hinausgejagt  hat  er  die  freche  Dirne! 
Große  Pause. 

LIONARDO 

erbebt  sich  langsam,  dann  in  ganz  anderem  Tone. 
Nein,  nicht  wie  Peregrina  bin  ich  —  nein. 
Denn  wäre  Peregrina,  wie  ich  bin, 
Sie  hätte  so  getan,  wie  ich  nun  werde. 
Lebt  wohl. 

PAOLA 

Du   willst    dich   töten  ?    Ich    bin's    wert. 


362 


LIONARDO 
Ihr  seid's,  Paola,  darum  muß  icL's  tun  — 
Vor  Eurer  Tür,  mit  Eurem  Dolch,  Paola. 

Er  nimmt  den  Dolch  von  einem  kleinen  Tischchen. 
So  wird  ein  jeder  glauben,  auch  Remigio, 
Daß  ich's  aus  Gram  verschmähter  Liebe  tat. 
Ich  wiU  es  tun,  Paola,  ja  —  für  mich 
Vor  allem,  denn  es  brennt  die  Schmach  zu  heiß. 
Doch  auch  für  Euch  ein  wenig,  dünkt  mich  sehr. 

PAOLA 
Für  mich? 

LIONARDO 

Von  schlimmer  Angst  Euch  zu  befrein. 
Daß  ich  mit  einem  Blicke  mich  verriete. 
Und  eure  Schuld  sich  also  offenbart. 

PAOLA 
Was  sagst  du  ?  Angst  ?  Was,  denkst  du,  daß  ich  fürchte  ? 

LIONARDO 

Was  manche  Frau  von  dem  erlitten  hat. 
Den  sie  betrog.    Paola  —  atmet  frei;  — 
Ich  treffe  Eurer  Sorge  gut  ins  Herz! 
Wendet  sich  zj^m  Gehen. 

PAOLA 

Bleibt  Lionardo!    Sprecht's  noch  einmal  aus, 
Daß  meine  Feigheit  in  den  Tod  Euch  sendet! 

LIONARDO 
Ihr  seid  nicht  feig,  Paola;  Ihr  wollt  leben. 
Ist  solches  nicht  des  Schuldbeladnen  Mut? 

PAOLA 

Des  Schuld'gen  Mut  ist,  seine  Schuld  gestehn! 
Ihr  bleibt! 

LIONARDO 
Paola!    Euerm  Gatten  — 


363 


PAOLA 

Sdll! 

Huf  schlage  im  Hof.     Beide  lauseben. 

PAOLA 

Hört  Ihr? 

LIONARDO 
Er  ist's! 

PAOLA 

So  war  sein  Sehnen  doch 
Von  tiefrer  Macht  als  irdische  Gesetze. 
Er  ist  zurück!   Am  Fenster.    Er  steigt  vom  Pferd,  er  gibt 
Dem  Knecht  die  Zügel.    Komm!  ich  bin  bereit! 

LIONARDO 
Was  wollt  ihr  tun? 

PAOLA 
Ich  sagt'  es! 

LIONARDO 

Nein,  Paola! 
Ich  bitt'  Euch  sehr,  steht  ab  von  diesem  Wahn! 
Wagt's  nicht!  Zu  sehr  vertraut  Ihr  seiner  Größe. 

PAOLA 
Sein  lächelnd  Auge  sucht  mich.  Hinahwinkend.  Sei 

gegrüßt ! 
Ich  fürchte  sehr,  du  lächelst  heut  nicht  mehr. 

LIONARDO 

Doch  treibt  Gewissen  Euch,  die  Schuld  zu  beichten. 
So  klagt  mich  an  zuerst,  und  mich  allein! 
Sagt,  daß  ich  einen  Liebestrank  Euch  reichte, 
Daß  ich  an  Euerm  Leben  Euch  bedroht  — 
Doch  Euern  Anteil  an  der  Schuld  verschweigt! 
Mehr  als  die  Gattin  hebt  er  seinen  Stolz, 
Und  was  er  hinwarf  wie  in  keckem  Scherz 
Beim  Abschiedsmahl  an  unsres  Fürsten  Tafel  — 


364 


Ich  hört'  es  wohl,  ich  saß  Euch  gegenüber, 
Und  da  er  sprach,  fiel  Euer  Blick  auf  mich  — 

PAOLA 
Denkt  Ihr  noch  dran  ? 

LIONARDO 

Ich  schwör'  Euch,  daß  er's  tutl 
Und  daß  er,  wie  er's  lachend  schwur  beim  Fest, 
Gleich  einem  durst'gen  Tier  in  Eure  Kehle 
Die  Zähne  gräbt!  —  Ich  fleh'  Euch  an,  Paola, 

—  Sein  Tritt  ist  auf  der  Stiege  —  spracht  Ihr's  aus. 
Gibt's  keinen  Widerruf,  nur  sichern  Tod! 
Verzeiht  mein  vorschnell  Wort,  ich  fleh'  Euch  an! 
Nie  wieder  wird  Euch  mein  verhaßter  AnbHck,  — 
Noch  heut  vor  Abend  flieh'  ich  diese  Stadt  — 

Ich  war  ein  Schatten  an  der  Wand  und  schvv^inde. 
Nicht  mir  gehört  Ihr,  doch  auch  diesem  nicht, 
Allein  das  Leben  hat  ein  Recht  auf  Euch! 
Gebt's  nicht  dahin.  Mehr  als  gemeines  Unglück, 
Es  wäre  Sünde  wider  Licht  und  Frühling! 
O  lebt!    Ihr  seid  zu  herrlich,  um  zu  sterben, 
Und  ihr  verlaßt  zu  vieles,  wenn  Ihr  geht! 
Im  Vorgemach  die  Türe  gleitet  leis  — _ 
Ich  glaub'  an  Euern  Mut,  Paola,  ja! 
Seid  gnädig  und  vergebt  mir!    Ich  gelobe. 
Daß  ich  in  einer  Stunde  nicht  mehr  bin. 

—  Die  Schnalle  hält  er  in  der  Hand  —  Paola! 

REMIGIO 

tritt  ein^  heiter  auf  Paola  zu. 

PAOLA 

abwehrend. 
Gib  acht,  daß  du  nicht  vorschnell  mich  umarmst. 
Der  hier  war  mein  Geliebter  heute  nacht. 

Große  Pause. 

REMIGIO 
Geh,  Lionardo. 

365 


LIONARDO 

Tötet  mich,  Remigio! 
Ich  nehme  keine  Gnade  von  Euch  an! 

REMIGIO 
Nicht  Gnade  ist's,  die  dir  die  Türe  weist. 
So  wenig  als  dir  Zorn  den  Weg  versperrte; 
Nichts  regt  sich  mir,  das  Lionardo  gilt. 
Ich  brauche  deiner  nicht,  drum  sollst  du  gehn. 

LIONARDO 

So  bitt'  ich  Euch,  Remigio:  tötet  mich! 

REMIGIO 

Wer  haßt,  mag  töten,  —  töten  mag,  wer  liebt! 

Gleichgültigkeit  greift  nach  der  Waffe  nicht. 

Das  Glas  zersplittr'  ich  nicht,  das  ärmlich  schlechte. 

Daraus  ein  Kind  verbotenen  Trank  genoß. 

Daß  dir  die  Gabe  des  Bewußtseins  ward, 

Macht  mir  aus  dir  nichts  andres,  als  du  bist, 

Erbärmliches,  zufäll'ges  Instrument. 

LIONARDO 

Ich  bat  um  Tod,  doch  jetzt  verlang'  ich  ihn! 

REMIGIO 
Mir  gilt  dein  Wunsch  so  wenig  als  dein  Flehn. 

LIONARDO 

So  zwing'  ich  Euch  dazu! 

REMIGIO 

Mich  zwang  noch  keiner! 

LIONARDO 
Ich  stell'  mich  auf  den  Markt  und  schrei'  es  aus, 
Daß  ich  heut  nacht  Paolas  Gunst  genoß! 

REMIGIO 
So  wird  man's  eine  Stunde  früher  wissen. 


366 


LIONARDO 
Im  Angesicht  des  Hofes  höhn'  ich  Euch, 
Der  aus  Bequemlichkeit  den  Großen  spielt! 
'nen  Schurken  nenn'  ich  Euch  und  lüge  laut, 
Daß  Euer  Weib  ins  Schlafgemach  mich  lockte! 

REMIGIO 
Begrabne  schmähn  ward  man  Euch  übelnehmen. 

LIONARDO 

Noch  einmal:  —  tötet  mich!    Es  könnte  sein, 

Daß  Ihr  die  rechte  Zeit  dazu  versäumt, 

Denn  neue  Lust  zu  leben  regt  sich  mir. 

Und  mich  bedünkt,  ich  hab'  noch  was  zu  tun, 

Da  ich  Euch  hasse,  wie  noch  nie  ein  Mann 

Auf  Erden  einen  andern  Mann  gehaßt! 

Wohl  tat  ich's  im^mer,  doch  ich  weiß  es  erst, 

Seit  Eures  Hochmuts  gift'ger  Regenschauer 

Auf  das  gebeugte  Haupt  herniederschlägt. 

Ich  hass'  Euch  so,  daß  ich  Euch  töten  will, 

Wo  immer  in  der  Welt  Ihr  mir  begegnet. 

Und  hass'  Euch  tausendfach,  weil  aller  Tod 

Von  meiner  Hand  Euch  doch  nicht  töten  kann, 

Der  Ihr  der  Welt  fortlebt  in  Euerm  Werk, 

In  ihrer  Sehnsucht  Euerm  Weib,  und  mir 

In  meinem  Haß,  der  stärker  als  der  Tod! 

Und  dennoch  tot'  ich  Euch;  denn  daß  es  nutzlos. 

Jagt  meinen  Willen  wie  mit  Peitschen  auf! 

Laßt  mich  nicht  fort,  Remigio!    So    ge\viß 

Als  hätten  Tausend  Euren  Tod  gelobt. 

Seid  Ihr  im  gleichen  AugenbHck  verloren, 

Da  diese  Türe  hinter  mir  sich  schloß! 

REMIGIO 

geht  zur  Tür  und  öffnet  sie. 
Weit  offen  steht  sie  —  gehe  deinen  Weg. 

Er  wendet  sich  wieder;  Lionardo  gebt  zur  Tür. 

PAOLA 
Laß  ihn  nicht  fort!    Er  hält  den  Schwur,  Remigio! 

367 


LIONARDO 

sieb  wendend. 
So  wahr  ich  lebe! 

PAOLA 
Ja,  so  wahr  du  lebst! 
Sie  eilt  auf  ihn  zu  und  sticht  ihm  den  Dolch  in  den  Hals. 

LIONARDO 

sinkt  sterbetid  zu  Boden. 

In  diesem  Augenblick  sieht  Paola  genau  so  aus,  wie  auf  dem  Bild 

in  der  ersten  Szene,  den  Dolch  in  der  Hand  und  den  Blick  auf  den 

toten  Lionardo  gerichtet. 

REMIGIO 

Paola! 

Sehr  große  Pause,  Paola  bleibt  regungslos  bis  zum  Schluß  der  Szene 
stehen. 

REMIGIO 

betrachtet  sie  lang;  allmählich  verändern  sich  seine  Züge,  werden 
gefaßt,  beinahe  heiter. 

War  dies  der  Sinn?    Ist  mein  Gebet  erhört, 
Daß  für  mein  Bildnis  mir  Erleuchtung  werde? 
Ja,  so  voUend'  ich's!    Der  du  dies  gefügt, 
O  Himmel,  eine  Stunde  lang  gewähre 
Der  Seele  Frieden,  Ruhe  dieser  Hand. 

£r  geht  zu  der  Türe,  sperrt  sie  ab;  dann  gebt  er  zur  Staffelei. 

PAOLA 

Steht  regungslos  wie  früher. 

Rasche  Verwandlung.  —  Plötzlich  tönen  die  Glocken  wieder,  wi* 
am  Schlüsse  der  ersten  Szene.  —  Der  kleine  Saal  wie  im  Anfang, 

PAULINE 
Erinnerst  du  dich  — ? 

LEONHARD 
Wo  sind  Sie?  —  Pauline? 


368 


PAULINE 

noch  wie  im  Traum. 
Kommt  alles  wieder,  was  wir  einst  erlebt  .  .  .  Lio- 
nardo  —  Muß  es  wiederkommen  ? 

LEONHARD 
Pauline  . . .  was  ist  Ihnen  —  ? 

PAULINE 

zvie  erwachend. 
Leonhard  — ?  Sieht  um  sich. 

LEONHARD 

Sie  waren  einen  Augenblick  lang  wie  verloren. 

PAULINE 
Einen  Augenblick  — ? 

LEONHARD 
Wo  waren  Sie  ? 

PAULINE 

Wo  ich  war?  Ihn  lange  betrachtend.  Da  Sie's  nicht 
wissen,  können  Sie's  auch  nicht  verstehen. — Siebt  auf. 
Leben   Sie  wohl!  .  .  .  Entfernt  sich  von  ihm. 

LEONHARD 
Pauline  —  auf  immer  — ? 

PAULINE 

Auf  —  immer  — !? 

LEONHARD 
Und  heut  abend  .  .  . 

PAULINE 
Heut  abend  .  .  .  ?  Heut  abend  —  ?  In  ihren  Zügen  drückt 
sich  allmählich  die  Überzeugung  aus,  daß  ein  Schicksal  über  ihr  ist, 
dem  sie  nicht  entrinnen  kann.  Sie  reicht  Leonhard  die  Hand,  sieht 
ihm  ernst  und  fest  ins  Auge  und  sagt,  nicht  mit  dem  Ausdruck  der 
Liebe,  sondern  der  Entschlossenheit:  Ich  komme.  —  Dann  geht 
sie  rasch  ab. 

Vorhang. 
TheaterotCcks.  II,  14.  ^69 


IIL  DIE  LETZTEN  MASKEN 

Schauspiel  in  einem  Akt 


KARL  RADEMACHER,  Journalist 
FLORIAN  JACKWERTH,  Schauspieler 

ALEXANDER  WEIHGAST 

DR.  HALMSCHLÖGER,  1   Sekundär ärzU  im  Wiener 
DR.  TANN,  j  allgemeinen  Krankenbaut 

JULIANE  PASCHANDA,  Wärterin 


Ein  kleinerer  Raum  —  sogenanntes  ,,Extrakammert"  —  im  allgemeinen 
Krankenbaus,  in  Verbindung  mit  einem  großen  Krankensaal;  statt 
der  Türe  ein  beweglicher  Leinenvorbang.  Links  ein  Bett.  In  der 
Mitte  ein  länglicher  lisch,  darauf  Papiere,  Fläschchen  usw.  Zwei 
Sessel.  Ein  Lehnstubl  neben  dem  Bett,  Auf  dem  Tisch  eine  brennende 

Kerze. 
KARL  RADEMACHER,  über  50  Jahre,  sehr  her  abgekommen, 
ganz  grau,  auf  dem  Lehnstuhl,  mit  geschlossenen  Augen.  FLORIAN 
JACKWERTH,  etwa  28  Jahre,  sehr  leuchtende,  wie  fieberische 
Augen^' glatt  rasiert,  mager,  in  eiriem  Leinenschlafrock,  den  er  gelegent- 
lich in  bedeutende  Falten  legt.  Die  Wärterin,  JULIANE  PA- 
SCHANDAj  dick,  gutmütig,  noch  nicht  alt,  am  Tisch  mit  einer 
Schreibarbeit  beschäftigt. 

FLORIAN  schlägt  den  Vorbang  zurück,  kommt  eben  aus  dem 
Saal,  der  von  einer  Hängelampe  schwach  beleuchtet  ist,  tritt  zur 
Wärterin.    Immer  fleißig,  das  Fräulein  Pasctianda. 

WÄRTERIN.  Ja,  sind  Sie  schon  wieder  aufgestan- 
den? Was  wird  denn  der  Herr  Sekundarius  sagen! 
Gehn  S'  doch  schlafen. 

FLORIAN.  Gewiß,  ich  denke  sogar  einen  langen 
Schlaf  zu  tun.  Kann  ich  Ihnen  nicht  behilflich  sein, 
schönes  Weib  ?    Ich  mein'  nicht  beim  Schlafen. 

WÄRTERIN  kümmert  sich  nicht. 

FLORIAN  schleicht  zu  Rademacber  bin.  Schaun  Sie, 
Fräulein  Paschanda  —  so  schaun  S'  doch  her! 

WÄRTERIN.    Was  woUen  Sie  denn? 

FLORIAN  wieder  zu  ibr.  Meiner  Seel',  ich  hab'  ge- 
meint, er  ist  schon  tot. 

WÄRTERIN.    Das  dauert  schon  noch  eine  Weile. 

FLORIAN.  Glauben  Sie,  glauben  Sie?  —  Also 
gute  Nacht,  Fräulein  Juliane  Paschanda. 

WÄRTERIN.   Ich  bin  kein  Fräulein,  ich  bin  Frau. 

FLORIAN.  Ah  so!  Habe  noch  nicht  die  Ehre  ge- 
habt, den  Herrn  Gemahl  kennen  zu  lernen. 

WÄRTERIN.  Ich  wünsch'  es  Ihnen  auch  nicht. 
Er  ist  Diener  in  der  Leichenkammer. 

FLORIAN.  Danke  bestens,  danke  bestens.  Habe 
keinerlei  Verwendung.  Sie,  Frau  Paschanda,  vertraulieb 
haben  Sie  das  Fräulein  gesehn,  das  mir  heute  nach- 
mittag die  Ehre  ihres  Besuchs  erwiesen  hat  ? 


371 


WÄRTERIN.    Ja;  die  mit  dem  roten  Hut. 

FLORIAN  ärgerlich.  Roter  Hut  —  roter  Hut  .  .  . 
Es  war  eine  Kollegin  von  mir  —  jawohl!  Wir  waren 
zusammen  engagiert  im  vorigen  Jahr  —  in  Olmütz. 
Erste  Liebhaberin  jenes  Fräulein  —  jugendlicher  Held 
der  ergebenst  Unterzeichnete.  Schaun  Sie  mich  an, 
bitte  —  ich  brauche  nicht  mehr  zu  sagen.  —  Jawohl, 
ich  habe  ihr  eine  Korrespondenzkarte  geschrieben  .  .  . 
einfach  eine  Karte  —  und  sie  ist  gleich  gekommen.  Es 
gibt  noch  Treue  beim  Theater.  Und  sie  hat  mir  ver- 
sprochen, sie  wird  sich  umschaun,  mit  einem  Agenten 
wird  sie  sprechen  —  damit  ich  ein  Sommerengagement 
krieg',  wenn  ich  aus  diesem  Lokal  entlassen  werde.  Des- 
wegen kann  ein  Fräulein  ein  sehr  gutes  Herz  haben, 
wenn  sie  auch  einen  roten  Hut  trägt,  Frau  von  Pa- 
schanda.  Immer  gereizter^  später  hustend.  Sie  kommt  viel- 
leicht noch  einmal  her  —  ich  werd'  ihr  halt  schreiben, 
sie  soll  sich  nächstens  einen  blauen  Hut  aufsetzen  —  weil 
die  Frau  Paschanda  die  rote  Färb'  nicht  vertragen  kann. 

WÄRTERIN.  Pst!  pst!  die  Leute  wollen  schlafen. 
Lauscht. 

FLORIAN.    Was  ist  denn? 

WÄRTERIN.  Ich  hab'  geglaubt,  der  Herr  Sekun- 
darius  — 

Die  Krankenhausuhr  schlägt. 

FLORIAN.  Wie  spät  ist's  denn? 

WÄRTERIN.    Neun. 

FLORIAN.    Wer  hat  denn  heut  die  Nachtvisit' ? 

WÄRTERIN.    Der  Doktor  Halmsclilöger. 

FLORIAN.  Ah,  der  Doktor  Halmschlöger.  Ein 
feiner  Herr,  nur  etwas  eingebildet.  Sieht,  daß  Rademacher 
mach  wurde.    Habe  die  Ehre,  Herr  von  Rademacher. 

RADEMACHER  nickt. 

FLORIAN  kopiert  den  Doktor  Halmschlöger.  Nun,  mein 
lieber  Rademacher,  wie  befinden  Sie  sich  heute  ?  Tut, 
als  ob  er  den  Überzieher  ablegte  und  ihn  der  Wärterin  reichte. 
Ach,  liebe  Frau  Paschanda,  wollen  Sie  nicht  die  Güte 
haben  .  .  .  Danke  sehr. 


372 


WAMERIN  wider  JVilUn  lacberJ.  Wie  Sie  die  Leut' 
nachmachen  können. 

FLORIAN  andrer  Ton;  als  ginge  er  von  einem  Bett  zum  andern. 
Nichts  Neues  f    Nichts  Neues  ?    Nichts  Neues  ?    Gut 

—  gu;  —  gut  .  .  . 

WÄRTERIN.  Das  ist  ja  der  Herr  Primarius.  Wenn 
der  das  wüßt'! 

FLORIAN.  Na  warten  Sie  nur,  das  ist  noch  gar 
nichts.  Er  läßt  sieb  plötzlich  auf  einen  Sessel  fallen,  sein  Gesicht 
scheint  scbmerzverzerrt,  und  er  verdreht  die  Augen. 

WÄRTERIN.    Ja,  um  Gotteswillen,  das  ist  ja  — 

FLORIAN  einen  Augenblick  die  Kopie  unterbrechend.  N?^ 
wer? 

WÄRTERIN.    Der  vom  Bett  siebzehn,  der  Engst! 

—  der  Bachdecker,  der  vorgestern  gestorben  ist.    Na, 
werden  Sie  nicht  aufhören!    Sie  versündigen  sich  ja. 

FLORIAN.  Ja,  meine  liebe  Frau  Paschanda,  meinen 
Sie,  unsereiner  ist  umsonst  im  Spital  herin?  Da  kann 
man  was  lernen. 

WÄRTERIN.    Der  Herr  Sekundarius  kommt. 

Ah  in  den  Saal.  —  Wie  sie  den  Vorbang  zurückschlägt,  sieht  man 
HALMSCHLÖGER  und  TANN  in  der  Tiefe  der  Bühne. 

FLORIAN.  Jawohl,  Herr  Rademacher,  ich  mache 
hier  nämlich  meine  Studien. 

RADEMACHER.    So? 

FLORIAN.  Ja,  für  unsereinen  rentiert  sich  das,  im 
Spital  zu  liegen.  Sie  meinen,  ich  kann  das  nicht  brau- 
chen, weil  ich  Komiker  bin  ?  Gefehlt  I  Das  ist  nämlich 
eine  Entdeckung,  die  ich  gemacht  habe,  Herr  Rade- 
macher. Wichtig.  Aus  dem  traurigen,  ja  selbst  dem 
schmerzstarrenden  Antlitz  jedes  Individuums  läßt  sich 
durch  geniale  schauspielerische  Intuition  die  lustige  Vi- 
sage berechnen.  Wenn  ich  einmal  einen  sterben  ge- 
sehn hab',  weiß  ich  akkurat,  wae  er  ausschaut,  wenn 
man  ihm  einen  guten  Witz  erzählt  hat.  —  Aber  was 
haben  Sie  denn,  Herr  Rademacher?  Kourage!  Nicht 
den  Humor  verUeren.  Schaun  Sie  mich  an  —  ha!  Vor 
acht  Tagen  war  ich  aufgegeben  —  nicht  nur  von  den 


373 


Herren  Doktoren,  das  war'  nicht  so  gefährlich  gewesen, 
aber  von  mir  selber!  Und  jetzt  bin  ich  kreuzfidel.  Und 
in  acht  Tagen  —  gehorsamster  Diener!  So  lebe  wohl, 
du  stiUes  Haus!  Womit  ich  mir  erlaube,  Euer  Hoch- 
wohlgeboren  zu  meinem  ersten  Auftreten  ergebenst 
einzuladen.    Hustet. 

RADEMACHER.    Wird  wohl  kaum  möglich  sein. 

FLORIAN.  Ist  es  nicht  sonderbar  ?  Wenn  wir  beide 
gesund  gebheben  wären,  so  wären  wir  vielleicht  Tod- 
feinde. 

RADEMACHER.    Wieso  denn? 

FLORIAN.  Na,  ich  hätt'  Komödie  gespielt,  und 
Sie  hätten  eine  Rezension  geschrieben  und  mich  ver- 
rissen, und  Leut',  die  mich  verreißen,  hab'  ich  nie  lei- 
den können.  Und  so  sind  wir  die  besten  Freunde  ge- 
worden. —  Ja,  sagen  Sie,  Herr  Rademacher,  hab'  ich 
auch  so  dreing'schaut  vor  acht  Tagen  wie  Sie  ? 

RADEMACHER.  Es  ist  vielleicht  doch  ein  Unter- 
schied. 

FLORIAN.  Lächerlich!  Man  muß  nur  einen  festen 
Willen  haben.  Wissen  Sie,  wie  ich  gesund  geworden 
bin? 

RADEMACHER  siebt  ihn  an. 

FLORIAN.  Sie  brauchen  mich  nicht  so  anzuschaun 
—  es  fehlt  nicht  mehr  viel.  Ich  hab'  die  traurigen  Ge- 
danken einfach  nicht  aufkommen  lassen! 

RADEMACHER.  Wie  haben  Sie  denn  das  gemacht? 

FLORIAN.  Ich  hab'  einfach  allen  Leuten,  auf  die 
ich  einen  Zorn  gehabt  hab',  innerlich  die  fürchterhch- 
sten  Grobheiten  g'sagt.  Oh,  das  erleichtert,  das  erleich- 
tert, sag'  ich  Ihnen!  Ich  hab'  mir  sogar  ausstudiert, 
wem  ich  als  Geist  erscheinen  würde,  wenn  ich  einmal 
gestorben  bin.  —  Also  da  ist  vor  allem  ein  Kolleg'  von 
Ihnen,  in  Olmütz  —  ein  boshaftes  Luder!  Na,  und 
dann  der  Herr  Direktor,  der  mir  die  halbe  Gasch'  ab- 
gezogen hat  fürs  Extemporieren.  Dabei  haben  die  Leut' 
überhaupt  nur  über  mich  gelacht  und  gar  nicht  über 
die  Stück'.  Er  hätt'  froh  sein  können,  der  Herr  Direktor. 


374 


Statt  dessen  —  na  wart*,  wart' !  Ich  hätt'  ja  ein  Talent 
zum  Erscheinen  —  oh,  ich  hätt'  auch  im  Himmel  mein 
anständiges  Auskommen  gehabt.  —  Ich  hätt'  nämlich 
ein  Engagement  bei  den  Spiritisten  angenommen. 

DR.  HALMSCHLÖGER  und  DR.  TANN  kommen,  und 

die  WÄRTERIN. 

TANN  junger,  etwas  nachlässig  gekleideter  Mensch,  Hut  auf 
dem  Kopf,  nicht  brennende  Virginia  im  Mund.  Jetzt  bitt' 
ich  dich  aber,  Halmschlöger,  sei  so  gut,  halt'  dich  da 
nicht  auch  wieder  so  lang  auf. 

HALMSCHLÖGER  sorgfältig  gekleideter  junger  Mensch  mit 
Zwicker  und  kleinem  blonden  Vollbart;  Überzieher  umgeworfen. 
Nein,  ich  bin  gleich  fertig. 

TANN.    Oder  ich  geh'  voraus  ins  Kaffeehaus. 

HALMSCHLÖGER.    Ich  bin  gleich  fertig. 

FLORIAN.    Habe  die  Ehre,  Herr  Doktor. 

HALMSCHLÖGER.  Warum  Hegen  Sie  denn  nicht 
im  Bett  ?    Zur  Wärterin.    Paschanda ! 

FLORIAN.  Ich  bin  ja  so  ausgeschlafen,  Herr  Doktor; 
es  geht  mir  ja  famos.  Ich  erlaube  mir,  den  Herrn  Dok- 
tor zu  meinem  Wiederauftreten  .  .  . 

HALMSCHLÖGER  einen  Moment  amüsiert,  wendet  sich 
dann  ab.  Ja,  ja.  Zu  Rademacher  hin.  Nun,  mein  lieber  Rade- 
macher,  wie  befinden  Sie  sich  ? 

FLORIAN  macht  derWärterin  ein  Zeichen,  das  sich  auf  seine 
frühere  Kopie  bezieht. 

RADEMACHER.  Schlecht  geht's  mir,  Herr  Doktor. 

HALMSCHLÖGER  die  Tafel  zu  Raupten  des  Bettes  be- 
trachtend; Wärterin  hält  das  Licht.  39,4  —  na!  Gestern 
haben  wir  doch  40  gehabt.  Wärterin  nickt.  Es  geht  ja 
besser.    Na,  gute  Nacht.    Will  gehen. 

RADEMACHER.    Herr  Doktor! 

HALMSCHLÖGER.    Wünschen  Sie  was? 

RADEMACHER.  Ich  bitte,  Herr  Doktor,  wie  lang 
kann's  denn  noch  dauern  ? 

HALMSCHLÖGER.  Ja,  ein  bißchen  Geduld  müs- 
sen Sie  noch  haben. 


375 


RADEMACHER.  Ich  mein's  nicht  so,  Herr  Doktor. 

Ich  mein':  Wann  ist  es  aus  mit  mir? 

TANN  bat  sieb  zum  Tisch  gesetzt,  blättert  gedankenlos  in  den 
Papieren. 

HALMSCHLÖGER.  Aber  was  reden  Sie  denn? 
Zur  Wärterin.   Hat  er  seine  Tropfen  genommen? 

WÄRTERIN.    Um  V2  8,  Herr  Sekundarius. 

RADEMACHER.  Herr  Doktor,  ich  bitte  recht 
schön,  behandeln  Sie  mich  nicht  wie  den  ersten  Besten. 
Oh,  entschuldigen  Herr  Doktor  — 

HALMSCHLÖGER  etwas  ungeduldig,  aber  freundlich. 
Leiser,  leiser. 

RADEMACHER.  Ich  bitte,  nur  noch  ein  Wort, 
Herr  Doktor.  Entschlossen.  Ich  muß  nämlich  die  Wahr- 
heit wissen  —  ich  muß  —  aus  einer  ganz  bestimmten 
Ursache!  — 

HALMSCHLÖGER.    Die  Wahrheit ...    Ich  hoffe 

zuversichtlich Nun,  die  Zukunft  ist  in  gewissem 

Sinn  uns  allen  versclilossen  —  aber  ich  kann  sagen 

RADEMACHER.  Herr  Doktor,  —  wenn  ich  nun 
aber  noch  etwas  sehr  Wichtiges  vor  hätte  —  irgend- 
was, wovon  das  Schicksal  anderer  Leute  abhängig  ist 

—  und  meine  Ruhe  —  die  Ruhe  meiner  Sterbestunde  . . 
HALMSCHLÖGER.  Aber,  aber!  —  Wollen  Sie  sich 

nicht  näher  erklären  ?  Inwier  freundlich.  Aber  möglichst 
kurz,  wenn  ich  bitten  darf.  Ich  habe  noch  zwei  Zim- 
mer vor  mir.  Denken  Sie,  wenn  jeder  so  lang  —  Also 
bitte. 

RADEMACHER.  Herr  Doktor,  ich  muß  noch  mit 
jemandem  sprechen. 

HALMSCHLÖGER.  Nun,  Sie  können  ja  dem  Be- 
treffenden schreiben,  wenn  es  Sie  beruhigt.  Morgen 
nachmittag  zwischen  vier  und  fünf  dürfen  Sie  emp- 
fangen, wen  Sie  wollen.    Ich  habe  gar  nichts  dagegen. 

RADEMACHER.    Herr  Doktor  —  das  ist  zu  spät 

—  das  kann  zu  spät  sein  —  ich  fühl's  .  .  .  morgen  früh 
ist  vielleicht  alles  vorbei.  Noch  heute  muß  ich  mit  — 
dem  Betreffenden  reden. 


376 


HALMSCHLÖGER.  Das  ist  nicht  möglich.  Was 
soll  das  Ganze  ?  Wenn  Ihnen  so  viel  darauf  ankommt, 
hätten  Sie  ja  schon  gestern  .  .  . 

RADEMACHER  dringend.  Herr  Doktor!  Sie  sind 
immer  sehr  gut  zu  mir  gewesen  —  ich  weiß  ja,  daß  ich 
ein  bißchen  zudringhch  bin  —  aber  sehen  Sie,  Herr 
Doktor,  wenn  es  einmal  ganz  sicher  ist,  daß  einen 
morgen  oder  übermorgen  die  gewissen  Herrn  im  weißen 
ICittel  hinuntertragen,  da  bildet  man  sich  halt  ein, 
man  kann  keck  werden  und  mehr  verlangen  als  ein 
anderer. 

TANN.    Also,  Halmsclilöger,  was  ist  denn? 

HALMSCHLÖGER.  Moment.  —  Etzcas  mgeduUig. 
Also  bitte,  in  Kürze,  was  wünschen  Sie  ? 

RADEMACHER.  Ich  muß  unbedingt  einen  Freund 
von  mir  sprechen.  Einen  gewissen  Herrn  Weihgast  — 
Alexander  Weihgast. 

HALMSCHLÖGER.  Weihgast?  Meinen  Sie  den 
bekannten  Dichter  Weihgast? 

RADEMACHER.    Ja! 

HALMSCHLÖGER.  Das  ist  ein  Freund  von  Ihnen  ? 

RADEMACHER.  Gewesen,  gewesen  —  in  früherer 
Zeit. 

HALMSCHLÖGER.  Also  schreiben  Sie  ihm  eine 
Karte. 

RADEMACHER.  Was  hilft  mir  das  ?  Er  findet  mich 
nicht  mehr.  Ich  muß  ihn  noch  heut  sprechen — gleich... 

HALMSCHLÖGER  bestimmt.  Herr  Rademacher,  es 
ist  unmöglich.  Und  Schluß.  Mild.  Um  Sie  zu  be- 
ruhigen, werde  ich  Herrn  Weihgast,  den  ich  zufällig 
persönlich  kenne,  noch  heute  ein  Wort  schreiben  und 
ihm  anheimstellen,  Sie  morgen  zu  einer  beliebigen 
Stunde  aufzusuchen. 

RADEMACHER.  Sie  kennen  den  Herrn  Weihgast, 
Herr  Doktor  ?  Plötzlich.  So  bringen  Sie  ihn  her  — 
bringen  Sie  ihn  her! 

HALMSCHLÖGER.  Na,  hören  Sie,  hören  Sie,  Herr 
Rademacher,  da  weiß  man  wirklich  nicht  mehr  — 


377 


RADEMACHER  in  großer  Aufregung.  Herr  Dok- 
tor, ich  weiß  ja,  es  ist  unverschämt  von  mir,  —  aber 
Sie  sind  ja  doch  ein  Mensch,  Herr  Doktor,  und  fassen 
die  Dinge  menschlich  auf.  Nicht  wie  manche  andere, 
die  nur  nach  der  Schablone  urteilen.  Und  Sie  wissen, 
Herr  Doktor  —  da  ist  einer,  der  morgen  sterben  muß, 
und  der  hat  noch  einen  Wunsch,  an  dem  ihm  ungeheuer 
viel  liegt,  und  ich  kann  ihm  den  Wunsch  erfüllen  . . . 
Ich  bitte  Sie,  Herr  Doktor,  gehn  Sie  zu  ihm  hin,  holen 
Sie  mir  ihn  her! 

HALMSCHLÖQER  schwankend,  siebt  auf  die  Uhr.  Ja 
—  wenn  ich  für  meinen  Teil  mich  dazu  entschließen 
wollte  —  ich  bitte  Sie,  Herr  Rademacher,  wie  kann 
ich  es  verlangen  —  um  diese  Zeit .  .  .  wahrhaftig,  es 
ist  eine  so  sonderbare  Zumutung!  Überlegen  Sie 
doch   selbst. 

RADEMACHER.  Oh,  Herr  Doktor,  ich  kenne 
meinen  Freund  Weihgast.  Wenn  Sie  dem  sagen:  Sein 
alter  Freund  Rademacher  stirbt  im  allgemeinen  Kran- 
kenhaus und  will  ihn  noch  einmal  sehen  —  oh,  das  läßt 
er  sich  nicht  entgehen.  —  Ich  beschwöre  Sie,  Herr 
Doktor  —  für  Sie  ist  es  einfach  ein  Weg,  —  nicht  wahr  ? 
Und  für  mich  —  für  mich  .  .  . 

HALMSCHLÖGER.  Ja,  das  ist  es  eben !  Für  mich 
hat  es  natürlich  nichts  zu  bedeuten.  Aber  für  Sie  — 
jawohl,  für  Sie  könnte  die  Aufregung  von  schlimmen 
Folgen  sein. 

RADEMACHER.  Herr  Doktor  —  Herr  Doktor! 
Wir  sind  ja  Männer!  —  Auf  eine  Stund'  früher  oder 
später  kommt's  doch  nicht  an. 

HALMSCHLÖGER  bescbwicbtigend.  Na,  na,  na!  Nach 

kurzer  Überlegung.      Also  ich  fahre  hin. 

RADEMACHER  will  danken. 

HALMSCHLÖGER  abwebrend.  Ich  kann  natürlich 
keine  Garantie  übernehmen,  daß  ich  ihn  herbringe. 
Aber  da  Ihnen  so  viel  dran  zu  liegen  scheint,  —  Da 
Rademacber  wieder  danken  will.  Schon  gut,  schon  gut.  Wendet 
sich  ab. 


378 


TANN.    Na  endlich! 

HALMSCHLÖGER.  Lieber  Tann,  ich  werd'  dich 
sehr  bitten,  —  schau'  du  indes  auf  die  andern  Zimmer, 
es  ist  nichts  Besonderes  —  zwei  Injektionen  —  die 
Wärterin  wird  dir  schon  sagen 

TANN.    Ja,  was  ist  denn,  was  ist  denn? 

HALMSCHLÖGER.  Eine  sonderbare  Geschichte. 
Der  arme  Teufel  bittet  mich,  ihm  einen  alten  Freund 
herzuholen,  dem  er  offenbar  etwas  Wichtiges  anzu- 
vertrauen hat.  Weißt  du,  wen  ?  Den  Weihgast,  diesen 
Dichter. 

TANN.  Na,  und  du  gehst  hin  ?  Ja,  sag',  bist  denn 
du  ein  Dienstmann  ?  Na,  hör'  zu,  die  Leut'  nützen  liier 
einfach  deine  Gutmütigkeit  aus. 

HALMSCHLÖGER.  Lieber  Freund,  das  ist  Emp- 
findungssache. Meiner  Ansicht  nach  sind  gerade  solche 
Dinge  das  Allerinteressanteste  in  unserm  Beruf. 

TANN.    Auch  eine  Auffassung. 

HALMSCHLÖGER.    Also  willst  du  so  gut  sein? 

TANN.  NatürHch.  Mit  dem  Kaffeehaus  ist  heut 
nichts  mehr? 

HALMSCHLÖGER.  Ich  komm'  vielleicht  noch  hin. 

HALMSCHLÖGER,  TANN,  WÄRTERIN  ab. 

FLORIAN  kommt  wieder  beretn.  Ja,  was  haben  denn  Sie 
so  lang  mit  dem  Doktor  zu  reden  gehabt  ? 

RADEMACHER  erregt,  fast  heiter.  Ich  krieg'  noch 
einen  Besuch  —  ich  krieg'  noch  einen  Besuch. 

FLORIAN  interessiert.  Was  ?  Einen  Besuch  ?  Jetzt  ? 
Mitten  in  der  Nacht? 

RADEMACHER.  Ja,  mein  lieber  Jackwerth  — 
geben  Sie  nur  Acht,  da  gibt's  wieder  was  zu  lernen  .  .  . 
an  meinem  Besuch  nämlich.  Den  Herrn  müssen  Sie 
sich  anschaun,  wenn  er  hereinkommt  zu  mir,  und  nach- 
her, wenn  er  wieder  von  mir  fortgeht .  .  .  Ah!  Immer 
erregter.  Wenn  ich's  nur  erleb'  —  wenn  ich's  nur  er- 
leb'! —  Geben  S'  mir  ein  Glas  Wasser,  Jackwerth 
—  ich   bitt'    recht   schön.  Geschieht;  er  trinkt  gierig.    Dank 

schön  —  dank  schön. Ja,  so  lang  wird  die  Ma- 


379 


schine  schon  noch  halten  .  .  .  Beinabe  mit  Angst.  Wenn 
er  nur  kommt  .  .  .  wenn  er  nur  kommt .  .  . 

FLORIAN.    Von  wem  reden  Sie  denn? 

RADEMACHER  vor  sieb  bin.  Ihm  schreiben  ?  .  .  . 
Nein,  davon  hätt'  ich  nichts  .  . .  Nein,  da  muß  ich 
ihn  haben  —  da  —  mir  gegenüber  .  . .  Aug'  in  Aug', 
Stirn  an  Stirn  —  ah!  .  .  . 

FLORIAN  wie  besorgt.  Herr  Rademacher  .  .  . 

RADEMACHER.  Haben  Sie  keine  Angst  um  mich 
—  es  ist  ganz  überflüssig.  Es  wird  mir  ganz  leicht, 
meiner  Seel',  ich  furcht'  mich  nicht  einmal  mehr  vorm 
Sterben  ...  Es  wird  gar  nicht  so  arg  sein,  wenn  der 
erst  dagewesen  ist  ...  Ah,  Florian  Jackwerth,  was 
kann  ich  für  Sie  tun? 

FLORIAN  erstaunt.    Wieso  ? 

RADEMACHER.  Ich  möchte  mich  Ihnen  dankbar 
erweisen.  Sie  haben  mich  nämlich  auf  diese  Idee  ge- 
bracht —  jawohl.  Ich  werde  Sie  zu  meinem  Erben 
einsetzen.  Der  Sclilüssel  von  meinem  Schreibtisch  hegt 
unterm  Polster.  —  Sie  glauben,  das  ist  nichts  Beson- 
deres ?  —  Wer  weiß  ?  Sie  könnten  sich  täuschen  .  .  . 
Da  sind  vielleicht  Meisterwerke  aufbewahrt !  Mir  wird 
immer  leichter  —  meiner  Seel' . . .  Am  Ende  werd' 
ich  wieder  gesund! 

FLORIAN.    Aber  sicher! 

RADEMACHER.  Wenn  ich  gesund  werde  —  ich 
schwör's,  wenn  ich  je  wieder  den  Fuß  aus  dem  Spital 
setz',  so  fang'  ich  von  frischem  an  —  ja.  Ich  fang'  wie- 
der an. 

FLORIAN.    Was  denn? 

RADEMACHER.  Zu  kämpfen  —  jawohl,  zu 
kämpfen!  Ich  probier's  wäeder.  Ich  geb's  noch  nicht 
auf  —  nein.  Ich  bin  ja  noch  nicht  so  alt,  —  vierund- 
fünfzig ...  Ist  das  überhaupt  ein  Alter,  wenn  man  ge- 
sund ist  ?  Ich  bin  wer,  Florian  Jackwerth  —  ich  bin 
wer,  das  können  Sie  mir  glauben.  Ich  hab'  nur  Malheur 
gehabt.  Ich  bin  so  viel  wie  mancher  andere,  der  auf 
dem  hohen  Roß  sitzt,  mein  lieber  Herr  —  und  ich 


380 


kann's  mit  manchem  aufnehmen,  der  sich  für  was 
Besseres  hält  wie  ich,  weil  er  mehr  Glück  gehabt  hat. 
Fiebriscb.  Wenn  er  nur  kommt  .  .  .  wenn  er  nur  kommt 
.  .  .  Ich  bitt'  dich,  mein  Herrgott,  wenn  du  mich  auch 
vierundfünfzig  Jahre  lang  im  Stich  gelassen  hast,  gib 
mir  v/enigstens  die  letzte  Viertelstunde  noch  Kraft, 
daß  es  sich  ausgleicht,  so  gut,  als  es  geht.  Laß  mich's 
erleben,  daß  er  da  vor  mir  sitzt  —  bleich,  vernichtet 

—  so  klein  gegen  mich,  als  er  sich  sein  Leben  lang 
überlegen  gefühlt  hat ...  Ja,  mein  lieber  Jackwerth,  der, 
den  ich  da  erwarte,  das  ist  nämhch  ein  Jugendfreund 
von  mir.  Und  vor  fünfundzwanzig  Jahren  —  und  auch 
noch  vor  zwanzig  —  waren  wir  sehr  gut  miteinander, 
denn  vvir  haben  beide  auf  demselben  Fleck  angefangen 

—  nur  daß  wir  dann  einen  verschiedenen  Weg  gegangen 
sind  —  er  immer  höher  hinauf  und  ich  immer  tiefer 
hinunter.  Und  heut  ist  es  so  weit,  daß  er  ein  reicher 
und  berühmter  Dichter  ist,  und  ich  bin  ein  armer 
Teufel  von  Journalist  und  krepier'  im  Spital.  —  Aber 
es  macht  nichts,  es  macht  nichts  —  denn  jetzt  kommt 
der  Moment,  wo  ich  ihn  zerschmettern  kann  .  .  .  und 
ich  werd'  es  tun!  Wenn  er  nur  kommt  —  wenn  er 
nur  kommt!  Ich  weiß,  Herr  Jackwerth,  heute  nach- 
mittag war  Ihre  Geliebte  bei  Ihnen  —  aber  was  ist 
denn  alle  Glut,  mit  der  man  ein  geliebtes  Wesen  er- 
wartet gegen  die  Sehnsucht  nach  einem,  den  man  haßt, 
den  man  sein  ganzes  Leben  lang  gehaßt  hat  und  dem 
man  vergessen  hat,  es  zu  sagen. 

FLORIAN.  Aber  Sie  regen  sich  ja  fürchterlich  auf, 
Herr  Rademacher!  —  Sie  verlieren  ja  Ihre  Stimm'. 

RADEMACHER.  Haben  Sie  keine  Angst  —  wenn 
er  einmal  da  ist,  werd'  ich  schon  reden  können. 

FLORIAN.  Wer  weiß,  wer  weiß?  —  Hören  Sie, 
Herr  Rademacher,  ich  werd'  Ihnen  einen  Vorschlag 
machen.  Halten  wir  doch  eine  Probe  ab.  —  Ja,  Herr 
Rademacher,  ich  mach'  keinen  Spaß.  Ich  kenn'  mich 
doch  aus.  Verstehen  Sie  mich:  Es  kommt  ja  immer 
drauf  an,  wie  man  die  Sachen  bringt,  nicht  wahr? 

381 


Was  haben  Sie  denn  schon  davon,  wenn  Sie  ihm  sagen : 
„Du  bist  ein  niederträchtiger  Mensch,  und  ich  hasse 
dich"  —  das  wirkt  ja  nicht.  Da  denkt  er  sich:  Du 
schimpfst  mir  lang  gut,  wenn  du  daherin  liegst  im 
Kammerl  mit  39  Grad  und  ich  geh'  gemütlich  spa- 
zieren und  rauch'  mein  Zigarrl. 

RADEMACHER.  Ich  werd'  ihm  noch  ganz  was 
anderes  sagen.  Darüber,  daß  einer  niederträchtig  ist, 
tröstet  er  sich  bald.  Aber  daß  er  lächerlich  war  sein 
Leben  lang  für  die  Menschen,  die  er  vielleicht  am 
meisten  geliebt  hat  —  das  verwindet  er  nicht. 

FLORIAN.  Also  reden  Sie,  reden  Sie.  Stellen  Sie 
sich  vor,  ich  bin  der  Jugendfreund.  Ich  steh'  da,  ich 
hab'  den  Sack  voller  Geld,  den  Kopf  voller  Einbildung 
—  Spielend.  „Hier  bin  ich,  alter  Freund.  Du  hast  mich 
zu  sprechen  gewünscht.    Bitte."    Na  also. 

RADEMACHER  fiebriscb,  sieb  immer  mehr  in  Wut  hinein- 
redend. Jawohl,  ich  hab'  dich  rufen  lassen.  Aber  nicht, 
um  von  dir  Abschied  zu  nehmen,  in  Erinnerung  alter 
Freundschaft  —  nein,  um  dir  etwas  zu  erzählen,  eh' 
es  zu  spät  ist. 

FLORIAN  spielend.  „Du  spannst  mich  auf  die 
Folter,  alter  Kumpan.  Was  wünschest  du  mir  mitzu- 
teilen?"   Also  —  also! 

RADEMACHER.  Du  meinst,  daß  du  mehr  bist 
als  ich  ?  —  Mein  lieber  Freund,  zu  den  Großen  haben 
wir  beide  nie  gehört,  und  in  den  Tiefen,  wo  wir  zu 
Haus  sind,  gibt's  in  solchen  Stunden  keinen  Unter- 
scliied.  Deine  ganze  Größe  ist  eitel  Trug  und  Schwin- 
del. Dein  Ruhm  —  ein  Haufen  Zeitungsblätter,  der 
in  den  Wind  verweht  am  Tag  nach  deinem  Tod.  Deine 
Freunde  ?  —  Schmeichler,  die  vor  dem  Erfolg  auf  dem 
Bauch  Hegen,  Neidlinge,  die  die  Faust  im  Sack  ballen, 
wenn  du  den  Rücken  kehrst,  Dummköpfe,  denen  du 
für  ihre  Bewunderung  gerade  klein  genug  bist.  — 
Aber  du  bist  ja  so  klug,  um  das  zuweilen  selbst  zu 
ahnen.  Ich  hätte  dich  nicht  herbemüht  um  dir  das 
mitzuteilen.   Daß  ich  dir  jetzt  noch  was  anderes  sagen 

382 


will,  ist  möglicherweise  eine  Gemeinheit.  —  Aber  es 
ist  nicht  zu  glauben,  wie  wenig  einem  dran  liegt,  ge- 
mein zu  sein,  wenn  kein  Tag  mehr  kommt,  an  dem 
man  sich  darüber  schämen  müßte.  Et  steht  auf.  Ich  hab' 
ja  schon  hundertmal  Lust  gehabt,  dir's  ins  Gesicht 
zu  schreien  in  den  letzten  Jahren,  wenn  wir  einander 
zufällig  auf  der  Straße  begegnet  sind  und  du  die  Gnade 
hattest,  ein  freundliches  Wort  an  mich  zu  richten. 
Mein  lieber  Freund,  nicht  nur  ich  kenne  dich,  wie 
tausend  andere  —  auch  dein  geliebtes  Weib  kennt  dich 
besser  als  du  ahnst  und  hat  dich  schon  vor  zwanzig 
Jahren  durchschaut  —  in  der  Blüte  deiner  Jugend  und 
deiner  Erfolge.  —  Ja,  durchschaut  —  und  ich  weiß 
es  besser  als  irgendeiner  .  .  .  Denn  sie  war  meine  Ge- 
liebte zwei  Jahre  lang,  und  hundertmal  ist  sie  zu  mir 
gelaufen,  angewidert  von  deiner  Nichtigkeit  und  Leere 
und  hat  mit  mir  auf  und  davon  wollen.  Aber  ich  war 
arm  und  sie  war  feig,  und  darum  ist  sie  bei  dir  ge- 
blieben und  hat  dich  betrogen!  Es  war  bequemer  für 
uns  alle. 

FLORIAN.  „Ha,  Elender!  Du  lügst!" 
RADEMACHER.  Ich  ?  —  Wie  erwachend.  Ah  so  . . 
Sie,  Jackwerth,  Sie  haben  den  Schlüssel.  Wenn  er 
mir's  nicht  glaubt  —  im  Schreibtisch  sind  auch  die 
Briefe.  Sie  sind  mein  Testamentsverweser.  —  Über- 
haupt, in  meinem  Schreibtisch,  da  sind  Schätze  man- 
cherlei —  wer  weiß,  vielleicht  ist  nichts  anderes  nötig, 
um  sie  zu  würdigen,  als  daß  ich  gestorben  bin.  —  Ja, 
dann  werden  sich  die  Leute  schon  um  mich  kümmern. 
Insbesondere,  wenn  es  heißt,  daß  ich  in  Not  und  Elend 
gestorben  bin  —  denn  ich  sterbe  in  Not  und  Elend, 
wie  ich  gelebt  habe.  An  meinem  Grab  wird  schon 
einer  reden.  Ja,  geben  Sie  nur  acht,  —  PfHchttreue 
—  Tüchtigkeit  —  Opfer  seines  Berufes  ...  Ja,  das 
ist  wahr,  Florian  Jackwerth,  seit  ich  einen  Beruf  habe, 
bin  ich  sein  Opfer  —  vom  ersten  AugenbUck  an  bin 
ich  ein  Opfer  meines  Berufes  gewesen.  Und  wissen 
Sie,  woran  ich  zugrund  geh'  ?    Sie  meinen  an  den  la- 

383 


teinischen  Vokabeln,  die  da  auf  der  Tafel  stehn  —  ? 
Oh  nein!  An  Gall',  daß  ich  vor  Leuten  hab'  Buckerln 
machen  müssen,  die  ich  verachtet  hab',  um  eine  Stel- 
lung zu  kriegen.  Am  Ekel,  daß  ich  Dinge  hab'  schrei- 
ben müssen,  an  die  ich  nicht  geglaubt  hab',  um  nicht 
zu  verhungern.  Am  Zorn,  daß  ich  für  die  infamsten 
Leutausbeuter  hab'  Zeilen  schinden  müssen,  die  ihr 
Geld  erschvdndelt  und  ergaunert  haben,  und  daß  ich 
ihnen  noch  dabei  geholfen  hab'  mit  meinem  Talent. 
Ich  kann  mich  zwar  nicht  beklagen:  Von  der  Verach- 
tung und  dem  Haß  gegen  das  Gesindel  hab'  ich  immer 
meinen  Teil  abbekommen  —  nur  leider  von  was  anderm 
nicht. 

rVjRTERIN  kommt.  Der  Herr  Sekundarius. 

RADEMACHER  erschrocken.    Allein? 

WÄRTERIN.    Nein,  es  ist  ein  Herr  mit  ihm. 

RADEMACHER  dankerfüllter  Blick. 

FLORIAN.  Jetzt  nehmen  Sie  sich  zusammen. 
Schad',  daß  ich  nicht  dabei  sein  kann.  ScbUkbt  sieb  dann 
hinaus. 

HALMSCHLÖGER  und  WEIH  GAST  kommen. 
HALMSCHLÖGER.    Also  hier  ist  der  Kranke. 

WEIHGAST  elegant  gekleideter,  sehr  gut  erhaltener  Herr 
von  etwa  55  Jahren^  grauer  Vollbart,  dunkler  Überzieher,  Spazier- 
stock. So  —  hier.  Zu  Rademacher  hin,  herzlich.  Rademacher 
—  ist  es  möglich?  Rademacher  —  so  sehn  wir  uns 
wieder!    Mein  lieber  Freund! 

RADEMACHER.  Ich  danke  dir  sehr,  daß  du  ge- 
kommen bist. 

HALMSCHLÖGER  hat  gewinkt;  die  Wärterin  brachte 
einen  Sessel  für  JVeibgast.  Und  nun  erlauben  Sie  mir,  Herr 
Weihgast,  daß  ich  als  Arzt  die  Bitte  an  Sie  richte,  die 
Unterredung  nicht  länger  als  eine  Viertelstunde  aus- 
zudehnen. Ich  werde  so  frei  sein,  nach  der  angegebenen 
Zeit  selbst  wiederzukommen  und  Sie  hinab  zu  begleiten. 

WEIHGAST.  Ich  danke  Ihnen,  Herr  Doktor,  Sie 
sind  sehr  liebenswürdig. 

384 


HALMSCHLÖGER.  Oh,  zu  danken  habe  ausschließ- 
lich ich.  Es  gehört  wirklich  kein  geringer  Opfermut 
dazu  .  . . 

WEIHGJST  wehrt  ab.    Aber,  aber  . . . 

HALMSCHLÖGER.    Nun,  Herr  Rademacher,  auf 

Wiedersehen.  Droht  ihm  ärztlich  freundlich,  er  möge  sich  nicht 
aufregen.  Dann  zoecbselt  er  einige  Worte  mit  der  Wärterin  und  geht 
mit  ihr  ah. 

WEIHGAST  die  Wärterin  bat  ihm  den  Überzieher  abgenom- 
men; er  hat  sich  gesetzt;  sehr  herzlich,  beinahe  echt.  Nun,  sag' 
mir  einmal,  mein  lieber  Rademacher,  was  ist  das  für 
eine  Idee,  sich  hierher  zu  legen  —  ins  Krankenhaus  — ! 

RADEMACHER.  Oh,  ich  bin  zufrieden,  man  ist  hier 
sehr  gut  aufgehoben. 

WEIHGAST.  Ja,  ge-wiß  bist  du  in  den  besten  Hän- 
den. Doktor  Halmschlöger  ist  ein  sehr  tüchtiger  junger 
Arzt  und,  was  mehr  ist,  ein  vortrefflicher  Mensch.  Wie 
man  ja  den  Menschen  an  sich  überhaupt  nie  von  dem 
Berufsmenschen  trennen  kann.  Aber  trotzdem  —  du 
entschuldigst  schon  —  warum  hast  du  dich  nicht  an 
mich  gewandt  ? 

RADEMACHER.    Wie  hätt'  ich  . . . 

WEIHGAS7.  Wenn  du  dich  auch  eine  Reihe  von 
Jahren  um  deinen  alten  Freund  nicht  mehr  gekümmert 
hast,  du  kannst  dir  wohl  denken,  daß  ich  dir  unter 
diesen  Umständen  in  jeder  Weise  zur  Verfügung  .  . . 

RADEMACHER.    Laß  doch  das,  laß  doch  das. 

WEIHGAST.  Nun  ja  —  bitte.  Es  war  walirhaftig 
nicht  bös'  gemeint.  Immerhin,  es  ist  auch  jetzt  nicht 
zu  spät.  —  Doktor  Halmschlöger  sagt  mir,  es  ist  nur 
eine  Frage  der  Zeit,  der  guten  Pflege  ...  in  ein  paar 
Wochen  verläßt  du  das  Spital,  und  was  eine  Nachkur 
auf  dem  Lande  betrifft  .  .  . 

RADEMACHER.  Von  all  diesen  Dingen  ist  nicht 
mehr  die  Rede. 

WEIHGAST.  Auch  von  dieser  Hypochondrie  hat 
mir  Doktor  Halmschlöger  Mitteilung  gemacht  —  ja. 
Er  verträgt  den  auf  ihn  gerichteten  Blick  Rademachers  nicht  gut, 

Theaterstücke-..  II,  25  185 


tcbaut  aber  nicht  fort.  Also,  du  hast  mich  rufen  lassen, 
wolltest  mit  mir  sprechen.  Nun,  ich  bin  bereit.  Warum 
lächelst  du?  —  Nein,  es  ist  der  Schimmer  von  dem 
Licht.  Die  Beleuchtung  ist  hier  nicht  ganz  auf  der 
Höhe.  —  Nun,  ich  warte.  Ich  werde  Herrn  Doktor 
Halmschlöger  erklären,  daß  du  von  den  ersten  fünf 
Minuten  keinen  Gebrauch  gemacht  hast.    Nun  ?  — 

RADEMACHER  hatte  schon  einige  Male  die  Lippen  ge- 
öffnet halb,  als  wollte  er  reden.  Auch  jetzt;  aber  er  schweigt 
wieder.  —  Pause. 

WEIHGAST.  Wie  ist's  dir  denn  immer  ergangen  ? 
leicht  verlegen.  Hm,  die  Frage  ist  etwas  ungeschickt  in 
diesem  Moment.  Ich  bin  ein  wenig  befangen,  ich  will 
es  dir  gestehn;  denn,  äußerhch  betrachtet,  möchte  man 
wohl  glauben,  daß  ich  derjenige  bin,  dessen  Los  besser 
gefallen  ist.  Und  doch  —  wenn  man  die  Sache  so 
nimmt,  wie  sie  ja  doch  eigentHch  genommen  werden 
muß  —  wer  hat  mehr  Enttäuschungen  erlebt  ?  Immer 
der,  der  scheinbar  mehr  erreicht  hat.  —  das  klingt 
paradox,  und  doch  ist  es  so.  —  Ah,  wenn  ich  dir  er- 
zählen wollte  .  .  .  nichts  als  Kämpfe  —  nichts  als 
Sorgen  —  Ich  w^ß  nicht,  ob  du  die  Bewegung  der 
letzten  Zeit  so  verfolgt  hast.  Nun  stürzen  sie  über  mich 
her...  Wer?  Die  Jungen.  Wenn  man  bedenkt,  daß 
man  vor  zehn  Jahren  selbst  noch  ein  Junge  war.  Jetzt 
versuchen  sie,  mich  zu  entthronen  .  .  .  Wenn  man 
diese  neuen  Revuen  liest  . . .  Ah,  es  ist,  um  Übelkeiten 
zu  bekommen!  Mit  Hohn,  mit  Herablassung  behan- 
deln sie  mich.  Es  ist  ja  jämmerlich!  Da  hat  man  nun 
redlich  gearbeitet  und  gestrebt,  hat  sein  Bestes  ge- 
geben —  und  nun  . . .  Ah,  sei  froh,  daß  du  von  all  den 
Dingen  nichts  weißt.  Wenn  ich  heute  wählen  könnte, 
—  heute  mein  Leben  von  neuem  beginnen  . . . 

RADEMACHER.    Nun? 

WEIHGAST.  Ein  Bauer  auf  dem  Land  möcht  ich 
sein,  ein  Schafhirt,  ein  Nordpolfahrer  —  ah,  was  du 
willst!  —  Nur  nichts  von  der  Literatur.  —  Aber  es  ist 
noch  nicht  aller  Tage  Abend. 

386 


R  ADEMACHER  sonderbar  lächelnd.  Willst  du  an  den 
Nordpol  ? 

WEIHGASf.  Ah  nein.  Aber  in  der  nächsten  Saison, 
zu  Beginn,  kommt  ein  neues  Stück  von  mir.  Da  sollen 
sie  sehen,  da  sollen  sie  sehen!  Ah,  ich  lass'  mich  nicht 
unterkriegen!  Wartet  nur!  wartet  nur!  —  Nun,  wenn 
alles  gut  geht,  so  sollst  du  dabei  sein,  mein  alter  Freund. 
Ich  verspreche  dir,  dir  Billette  zu  schicken.  Obwohl 
euer  Blatt  im  allgemeinen  verflucht  wenig  Notiz  von 
mir  nimmt.  Ja,  meine  letzten  zwei  Bücher  wurden 
bei  euch  direkt  totgeschwiegen.  Aber  du  hast  ja  mit 
dem  Ressort  nichts  zu  tun.  Na!  —  Übrigens,  was  für 
gleichgültiges  albernes  Zeug  ...  So  erzähle  mir  doch 
endlich.  Was  hast  du  mir  zu  sagen?  Wenn  dir  das 
laute  Sprechen  Mühe  macht  .  .  .  ich  kann  ja  auch  ganz 
nahe  rücken.  —  Hm  .  . .  Pause.  Was  meine  Frau  dazu 
sagen  wird,  wenn  ich  ihr  erzähle,  daß  unser  alter  Rade- 
macher im  Allgemeinen  Krankenhaus  liegt . .  .  Dein 
Stolz,  mein  lieber  Rademacher,  dein  verdammter  Stolz 
. .  .  Na,  wir  wollen  nicht  davon  reden  .  .  .  Übrigens 
ist  meine  Frau  augenbhckHch  nicht  in  Wien  —  in 
Abbazia.    Immer  etwas  leidend. 

RADEMACHER.    HoffentHch  nicht  ernst? 

WEIHGAST  drückt  ihm  die  Hand.  Gott  sei  Dank, 
nein.  Mein  Lieber,  dann  stund' es  auch  mit  mir  sclilecht. 
Wahrhaftig,  bei  ihr  find'  ich  mich  selbst  —  den  Glauben 
an  mich  selbst  wieder,  wenn  ich  nah  daran  bin,  ihn 
zu  verlieren  —  die  Kraft  zu  schaffen,  die  Lust  zu  leben. 
Und  je  älter  man  wird,  um  so  mehr  fühlt  man,  daß  dies 
doch  der  einzige  wahre  Zusammenhang  ist,  den  es  gibt. 
Denn  die  Kinder  .  .  .  o  Gott! 

RADEMACHER.  Was  ist's  mit  ihnen  ?  Was  machen 
sie? 

WEIHGAST.  Meine  Tochter  ist  verheiratet.  Ja, 
ich  bin  schon  zweifacher  Großvater.  Man  sieht's  mir 
nicht  an,  ich  weiß.  Und  mein  Bub'  —  Bub' ! !  —  dient 
heuer  sein  Freiwilligenjahr  —  macht  Schulden  —  hat 
neulich   ein   Duell  gehabt   mit   einem  jungen   Baron 

*^*  387 


Wallerskirch  —  wegen  eines  Frauenzimmers ...  Ja, 
mein  Lieber,  immer  dieselben  Dummheiten.  So  wird 
man  alt,  und  das  Leben  nimmt  seinen  Lauf. 

RADEMACHER.    Ja,  ja.  Pause. 

WEIHGAST.  Nun  die  Zeit  verrinnt.  Ich  warte. 
Was  hast  du  mir  zu  sagen  ?  Ich  bin  bereit,  alles,  was 
du  wünschest . . .  Soll  ich  vielleicht  bei  der  Konkordia 
Schritte  tun?  Oder  kann  ich  vielleicht  in  der  Redak- 
tion des  „Neuen  Tags"  für  den  Fall  deiner  baldigen 
Wiederherstellung  .  .  .  Oder  —  du  entschuldigst,  daß 
ich  auch  von  solchen  Dingen  spreche  —  kann  ich  dir 
irgendwie  mit  dem  schnöden  Mammon  .  .  . 

RADEMACHER.  Laß,  laß.  Ich  brauche  nichts  — 
nichts  .  .  .  Ich  hab'  dich  nur  noch  einmal  sehen  wollen, 
mein  alter  Freund,  —  das  ist  alles.  Ja.  Reicht  ihm  die  Hand. 

WEIHGAST.    So  ?    Wahrhaftig  es  rührt  mich.    Ja. 
—  Nun,  wenn  du  wieder  gesund  bist,  so  hoff  ich, 
v/ir  werden  einander  wieder  öfter  ...  na! 
Peinliche  Pause.  —  Man  hört  das  Ticken  der  Uhr  aus  dem  Nebensaal. 

HALMSCHLÖGER  kommt.  Nun,  da  bin  ich  wieder. 
Ich  bin  hoffentlich  nicht  zu  pünktlich? 

WEIHGAST  erhebt  sich,  sichtlich  befreit.  Ja,  wir  sind 
bereits  zu  Ende. 

HALMSCHLÖGER.  Nun,  das  freut  mich.  Und 
ich  hoffe,  unser  Patient  ist  beruhigt  —  nicht  wahr? 

RADEMACHER  nickt.    Ich  danke. 

WEIHGAST.  Also  auf  Wiedersehen,  lieber  Freund. 
Wenn  der  Herr  Doktor  gestattet,  so  schau'  ich  in  ein 
paar  Tagen  wieder  einmal  nach. 

HALMSCHLÖGER.  Gewiß.  Ich  werde  Auftrag 
geben,  daß  man  Sie  zu  jeder  Zeit  .  .  . 

WEIHGAST.  Oh,  ich  wünsche  nicht,  daß  Sie  meinet- 
wegen eine  Ausnahme  machen. 

HALMSCHLÖGER.    Paschanda! 

WÄRTERIN  reicht  Weihgast  den  Überzieher. 

WEIHGAST.  Also  nochmals  Adieu  und  gute  Besse- 
rung und  nicht  kleinmütig  sein.  Gegen  den  Ausgang  mit 
Halmscblöger, 


388 


FLORIAN  kommt  hinter  dem  Vorhang  hervor.  Habe  die 
Ehre,  Herr  Doktor,  habe  die  Ehre! 

HALMSCHLÖGER.  Na  hören  Sie,  Sie  schlafen 
noch  immer  nicht! 

JFEIHGAST.  Was  ist  das  für  ein  Mensch  ?  Er  hat 
mich  in  einer  so  sonderbaren  Weise  fixiert  .  .  . 

HALMSCHLÖGER.  Ein  armer  Teufel  von  Schau- 
spieler. 

WEIHGAST.    So,  so. 

HALMSCHLÖGER.  Hat  keine  Ahnung,  daß  er  in 
spätestens  acht  Tagen  unter  der  Erde  liegen  wird. 

WEIHGAST.    So,  so. 

Blicke  Weikgasts  und  Florians  begegnen  einander. 

HALMSCHLÖGER.  Drum  halt'  ich  auch  jede 
Strenge  für  überflüssig.  Regeln  für  Sterbende  —  das 
hat  doch  keinen  rechten  Sinn. 

WEIHGAST.  Sehr  richtig.  —  Es  hat  mich  \^drklich 
gefreut,  bei  dieser  Gelegenheit  Ihre  nähere  Bekannt- 
schaft zu  machen  und  Sie  sozusagen  einmal  bei  der 
Arbeit  zu  belauschen.  Es  war  mir  überhaupt  in  vieler 
Beziehung  interessant. 

HALMSCHLÖGER.  Nun,  wenn  ich  fragen  darf, 
war  es  wirklich  etwas  so  Wichtiges,  was  Ihnen  Ihr 
Freund  mitzuteilen  hatte  ? 

WEIHGAST.  Keine  Idee.  Wir  haben  in  längst  ver- 
gangener Zeit  miteinander  verkehrt,  er  wollte  mich 
noch  einmal  sehen  .  . .  das  war  alles.  Ich  glaube  übri- 
gens, daß  ihn  mein  Kommen  sehr  beruhigt  hat.  Im  Geben. 

WÄRTERIN.    Küss'  die  Hand. 

WEIHGAST.    Ach  so.   Gibt  ihr  ein  Trinkgeld. 
Halmschlöger^  JVeihgast  ab,  hinter  ihnen  auch  die  Wärterin. 

FLORIAN  rasch  zu  Rademacher  hin.  Na  also,  was  war 
denn?  Der  Mensch  muß  eine  kolossale  Selbstbeherr- 
schung haben.  Ich  versteh'  mich  doch  auf  Physiogno- 
mien —  aber  ich  hab'  ihm  nichts  angemerkt.  W^ie  hat 
er's  denn  aufgenommen? 

RADEMACHER  ohne  auf  ihn  zu  hören.  Wie  armselig 
sind  doch  die  Leute,  die  auch  morgen  noch  leben  müssen. 


389 


FLORIAN.  Herr  Rademacher  —  also  was  ist  denn? 
Wie  steht's  mit  dem  Schlüssel  zum  Schreibtisch? 

RADEMACHER  erwachend.  Schreibtisch  —  ?  — 
Machen  S',  was  Sie  wollen.   Verbrennen  meinetwegen! 

FLORIAN.   Und  die  Schätze?    Die  Meisterwerke? 

RADEMACHER.  Meisterwerke!  —  Und  wenn 
schon  .  .  .  Nachwelt  gibt's  auch  nur  für  die  Leben- 
digen. Wie  seherisch.  Jetzt  ist  et  unten.  Jetzt  geht  er 
durch  die  Allee  —  durchs  Tor  —  jetzt  ist  er  auf  der 
Straße  —  die  Laternen  brennen  —  die  Wagen  rollen 

—  Leute  kommen  von  oben  .  .  .  und  unten  .  .  .  Er  ist 
langsam  aufgestanden. 

FLORIAN.  Herr  Rademacher!  Er  betrachtet  ihn  genau. 

RADEMACHER.  Was  hab'  ich  mit  ihm  zu  schaf- 
fen? Was  geht  mich  sein  Glück,  was  gehn  mich  seine 
Sorgen  an  ?  Was  haben  wir  zwei  miteinander  zu  reden 
gehabt  ?  He !  Was  ?  .  .  .  Er  faßt  Florian  hei  der  Hand. 
Was  hat  unsereiner  mit  den  Leuten  zu  schaffen,  die 
morgen  noch  auf  der  Welt  sein  werden? 

FLORIAN  in  Angst.  Was  wollen  Sie  denn  von  mir  ? 

—  Frau  Paschanda! 
WÄRTERIN  kommt  mit  dem  Licht. 

RADEMACHER  läßt  die  Hand  Florians  los.  Löschen 
Sie's  aus,  Frau  Paschanda  —  ich  brauch'  keins  mehr  . . . 
Er  sinkt   auf  den  Sessel. 

FLORIAN  am  Vorhang;  hält  sich  mit  beiden  Händen  daran; 
xur  Wärterin.   Aber  jetzt  —  nicht  wahr? 

Vorhang. 


390 


IV.  LITERATUR 

Lustspid  in  einem  Akt 


MARGARETE 

KLEMENS 

GILBERT 


Anständig,  aber  gar  nicht  reich  möbliertes  Zimmer,  in  dem  Margarete 

wohnt.    Ein  kleiner  Kamin.    Ein  Tisch,  ein  kleiner  Schreibtisch, 

Sessel^  ein  Schrank,  zwei  Fenster  im  Hintergrund,  Türe  rechts  und 

links. 

ERSTE  SZENE 

In  einem  Fauteuil  am  Kamin  lehnt  KLEMENS  in  sehr  elegantem, 
dunkelgrauem  Sakkoanzug.  Er  raucht  eine  Zigarette  und  liest  Zeitung. 
MARGARETE  steht  am  Fenster,  dann  geht  sie  hin  und  her,  endlich 
hinter  Klemens,  spielt  mit  ihren  Händen  in  seinem  Haar.  Sie  scheint 
etwas  unruhig. 

KLEMENS  weiter  lesend,  faßt  ihre  Hand  und  küßt  sie. 
Horner  ist  seiner  Sache  sicher  —  vielmehr  meiner 
Sache;  Waterloo  fünf  zu  eins,  Barometer  zwanzig  zu 
eins,  Busserl  sieben  zu  eins,  Attila  sechzehn  zu  eins. 

MARGARETE.    Sechzehn  zu  eins! 

KLEMENS.  Lord  Byron  anderthalb  zu  eins  — 
das  sind  wir,  mein  Schatz! 

MARGARETE.    Ich  weiß. 

KLEMENS.  Dabei  haben  wir  noch  sechs  Wochen 
bis  zum  Rennen, 

MARGARETE.  Offenbar  hält  er  es  für  tote  Ge- 
wißheit. 

KLEMENS.  Nein,  wie  sie  schon  alle  diese  Ausdrücke 
kennt!    Bravo! 

MARGARETE.  Diese  Ausdrücke  habe  ich  früher 
gekannt  als  dich.  Ist  es  übrigens  ausgemacht,  daß  du 
den  Lord  selbst  reitest? 

KLEMENS.  Wie  kannst  du  denn  fragen !  —  Damen- 
preis !  Wen  sollt'  ich  denn  reiten  lassen  ?  Und  wenn 
der  Horner  nicht  wüßt',  daß  ich  ihn  reit',  stund'  er 
nicht  anderthalb  zu  eins  —  darauf  kannst  du  dich 
verlassen. 

MARGARETE.  Das  glaub'  ich.  —  Du  bist  so  schön, 
wenn  du  zu  Pferd  sitzt,  einfach  zum  Totschießen! 
Nie  werd'  ich  vergessen,  wie  du  in  München,  grad  am 
Tag,  an  dem  ich  dich  kennen  gelernt .  .  . 

KLEMENS.  Erinner'  mich  nicht  daran.  Da  hab' 
ich  Pech  gehabt.    Nie  hätt'  der  Windisch  das  Rennen 


392 


gewonnen,  wenn  er  beim  Start  nicht  zehn  Längen 
profitiert  hätt'.  Aber  diesmal  —  na!  —  Und  am  Tag 
drauf  reisen  wir  ab. 

MARGARETE.    Abend. 

KLEMENS.    Ja.  —  Warum  ? 

MARGARETE.  Weil  wir  vormittag  heiraten, 
nehm'  ich  an. 

KLEMENS.    Ja,  ja  mein  Schatz. 

MARGARETE.  Ich  bin  sehr  glücklich.  Umarmung. 
Und  wohin  werden  wir  reisen  ? 

KLEMENS.  Ich  denke,  wir  sind  doch  einig  ?  — 
Aufs  Gut. 

MARGARETE.  Ja,  später.  Aber  gehen  wir  nicht 
zuerst  ein  bißchen  an  die  Ri\dera  ? 

KLEMENS.  Das  wird  vom  Damenpreis  abhängen; 
wenn  ich  ihn  gewinn'  .  .  . 

MARGARETE.    Tote  Ge\%dßheit. 

KLEMENS.  Im  übrigen,  im  April  ist  die  Riviera 
absolut  nicht  mehr  elegant. 

MARGARETE.    Ach  deswegen! 

KLEMENS.  Aber  Kind,  natürHch  deswegen.  Du 
hast  noch  aus  früherer  Zeit  so  gewisse  Vorstellungen 
von  Eleganz,  so  .  .  .  Du  entschuldigst  schon  —  so  ein 
bißl  aus  die  Witzblätter. 

MARGARETE.    Kle,  ich  bitte  dich  — 

KLEMENS.  Na  also,  wir  werderv  schon  sehen. 
Liest  weiter.    Badegast  fünfzehn  zu  eins  — 

MARGARETE.  Badegast?  —  Der  geht  ja  gar 
nicht  mit. 

KLEMENS.    Woher  weißt  du  denn  das  ? 

MARGARETE.  Der  Szigrati  hat's  mir  selber 
gesagt. 

KLEMENS.   Wieso  denn  ?    Wo  denn  ? 

MARGARETE.  Na,  heut  früh  in  der  Freudenau, 
während  du  mit  dem  Milner  geredet  hast. 

KLEMENS.  Der  Szigrati  ist  mir  auch  nicht  die 
richtige  G'sellschaft  für  dich. 

MARGARETE.    Eifersüchtig  ? 


393 


KLEMENS.  Aber  nein!  ...  Im  übrigen,  ich  werde 
dich  von  jetzt  an  ganz  einfach  als  meine  Braut  vor- 
stellen. 

MARGARETE  küßt  ihn. 

KLEMENS.  Also,  was  hat  er  dir  gesagt,  der  Szigrati  ? 

MARGARETE.  Daß  er  den  Badegast  im  Damen- 
preis gar  nicht  mitschickt. 

KLEMENS.  Na,  dem  Szigrati  darfst  du  nicht 
alles  glauben,  er  verbreitet  jetzt  das  Gerücht,  daß  der 
Badegast  nicht  mitgeht,  damit  die  Odds  länger  werden. 

MARGARETE.  Geh,  das  ist  ja  wie  eine  Spekulation. 

KLEMENS.  Ja,  glaubst  du,  unter  uns  gibt's  keine 
Spekulanten  ?  Für  manche  ist  das  Ganze  nur  ein  Ge- 
schäft. Glaubst  du,  so  ein  Mensch  wie  der  Szigrati 
hat  das  geringste  Interesse  für  den  Sport  ?  Er  könnt' 
ebensogut  auf  die  Bors'  gehen.  Im  übrigen,  für  'n 
Badegast  könnt'  man  ihm  ruhig  hundert  gegen  eins 
legen. 

MARGARETE.  So?  Ich  hab'  heut  früh  gefunden, 
er  sieht  wunderbar  aus. 

KLEMENS.    Den  Badegast  hat  sie  auch  g'sehn! 

MARGARETE.  Freilich!  Hat  ihn  nicht  der 
Butters  heut  früh  hinterm  Busserl  herumgaloppiert  ? 

KLEMENS.  Aber  der  Butters  reit't  ja  nicht  für 
den  Szigrati.  Das  ist  ein  Stallbursch  gewesen.  — 
Übrigens  kann  der  Badegast  aussehen,  wie  er  will, 
egal  —  er  ist  ein  Blender.  Na,  Margaret',  bei  deinem 
Talent  vvdrst  du  die  wahren  Größen  bald  von  den 
falschen  unterscheiden  lernen.  Es  ist  ja  wirklich  un- 
glaublich, mit  welcher  Geschwindigkeit  du  dich  in 
alle  diese  Dinge  sozusagen  eingearbeitet  hast.  Es 
übertrifft  meine  kühnsten  Erwartungen. 

MARGARETE  ärgerlich.  Warum  übertrifft's  denn 
deine  Erwartungen  ?  Du  weißt  ganz  gut,  daß  mir  alle 
diese  Dinge  gar  nicht  so  neu  sind.  —  Im  Haus  von 
meinen  Eltern  haben  sehr  elegante  Leute  verkehrt  — 
der  Graf  Libowski  und  so  verschiedene,  —  und  auch 
bei  meinem  Mann  . . . 


394 


KLEMENS.  Na  Ja,  selbstverständlich.  Im  Prinzip 
hab'  ich  auch  gar  nichts  gegen  die  Baumwollindustrie. 

MARGARETE.  Was  hat  das  mit  meinen  persön- 
lichen Anschauungen  zu  tun,  daß  mein  Mann  eine 
Baumwollspinnerei  gehabt  hat  ?  Ich  hab'  mich  immer 
auf  meine  eigene  Weise  weitergebildet.  Im  übrigen 
reden  wir  nicht  mehr  von  dieser  Zeit,  die  liegt  fern, 
Gott  sei  Dank! 

KLEMENS.  Aber  es  gibt  eine  andere,  die  näher 
liegt. 

MARGARETE.    Gewiß.    Warum? 

KLEMENS.  Na,  ich  mein'  nur,  in  deiner  Münchener 
Gesellschaft  kannst  du  doch  nicht  viel  von  sportHchen 
Dingen  gehört  haben,  soweit  ich  das  beurteilen  kann. 

MARGARETE.  Möchtest  du  nicht  bald  aufhören, 
mir  die  Gesellschaft  zum  Vorwurf  zu  machen,  in  der 
du  mich  kenneu  gelernt  hast. 

KLEMENS.  Vorwurf?  —  Davon  kann  gar  keine 
Rede  sein!  Es  ist  und  bleibt  mir  nur  unbegreiflich, 
wie  du  zu  den  Leuten  gekommen  bist. 

MARGARETE.  Du  redst  gerade,  als  wenn  es 
eine  Verbrecherbande  gewesen  war'! 

KLEMENS.  Kind,  ich  geb'  dir  mein  Wort:  Einige 
haben  absolut  ausgesehn  wie  Straßenräuber.  Es  ist 
mir  ganz  unbegreifHch,  wie  du's  mit  deinem  aus- 
geprägten Sinn  .  .  .  Na,  ich  will  ja  gar  nichts  andres 
sagen  als  für  —  Reinlichkeit  und  gute  Parfüms  unter 
diesen  Menschen  hast  aushalten,  mit  ihnen  an  einem 
Tisch  sitzen  können. 

MARGARETE  lächelnd.  Hast  du's  nicht  auch  getan  ? 

KLEMENS.  Neben  ihnen  —  nicht  mit  ihnen. 
Ja  —  und  um  deinetwillen,  ausschheßlich  um  deinet- 
willen, wie  du  sehr  wohl  weißt.  Übrigens  will  ich  gar 
nicht  leugnen,  daß  einige  bei  näherer  Bekanntschaft 
gewonnen  haben;  es  waren  ganz  interessante  Leut' 
darunter.  Du  darfst  auch  nicht  glauben,  mein  Schatz, 
daß  ich  mich  über  alle  Menschen,  die  schlecht  an- 
gezogen sind,  erhaben  fühle.  —  Daran  liegt's  ja  auch 


395 


nicht.  In  ihrem  ganzen  Benehmen,  in  ihrem  Wesen 
ist  irgendwas,  das  einen  nervös  macht. 

MARGARETE.  Das  läßt  sich  doch  nicht  so  schlecht- 
hin behaupten. 

KLEMENS.  Na,  sei  nur  nicht  beleidigt,  Schatz. 
Ich  hab's  ja  schon  gesagt:  es  sind  sehr  interessante 
Leute  drunter.  Aber  wie  sich  eine  Dame  unter  ihnen 
auf  die  Dauer  wohlfühlen  kann,  das  werde  ich  nie  und 
nimmer  begreifen. 

MARGARETE.  Du  vergißt  eben  eins,  mein  lieber 
Klemens,  daß  ich  in  gewissem  Sinn  auch  zu  ihnen 
gehöre  oder  wenigstens  gehört  hab'. 

KLEMENS.    Na,  ich  bitt'  dich  recht  schön! 

MARGARETE.  Es  waren  Künstler  und  Künstle- 
rinnen. 

KLEMENS.  Na,  jetzt  sind  wir  glücklich  wieder 
bei  dem  Thema. 

MARGARETE.  Ja,  und  das  ist  eben  meine  ewige 
Kränkung,  daß  du  da  nicht  mitkannst. 

KLEMENS.  „Nicht  mitkannst"  —  das  hab'  ich 
sehr  gern !  Ich  kann  schon  ganz  gut  mit  —  Du  weißt, 
was  mich  an  deiner  Schreiberei  geniert  hat,  und  du 
weißt,  daß  es  etwas  ganz  Persönliches  ist. 

MARGARETE.  Nun,  es  gibt  Frauen,  die  in  meiner 
damaHgen  Situation  Schlimmeres  getan  hätten,  als 
Gedichte  zu  schreiben. 

KLEMENS.  Aber  solche !  solche !  Er  nimmt  ein  kleines 
Buch  vom  Kaminsims.  Darum  handelt  es  sich.  Ich  kann 
dir  versichern,  sooft  ich's  dahegen  seh',  sooft  ich  nur 
dran  denke,  schäm'  ich  mich,  daß  es  von  dir  ist. 

MARGARETE.  Dafür  fehlt  dir  das  Verständnis  .'. 
Na,  sei  nicht  bös'  —  wenn  du  das  hättest,  wärst  du 
eben  vollkommen  und  das  soll  wahrscheinlich  nicht 
sein.  —  Aber  was  geniert  dich  denn  dran  ?  Du  weißt 
doch,  daß  ich  nichts  von  alledem  erlebt  habe. 

KLEMENS.    Ich  hoffe. 

MARGARETE.   Daß  es  Phantasien  sind. 

KLEMENS.    Da  muß  ich  halt  fragen:  wie  kann 

39^ 


eine  Dame  so  phantasieren?  Liest.  „An  deinem  Halse 
häng'  ich  trunken  und  sauge  mich  an  deinen  Lippen 
fest .  .  ."  Kopfschüttelnd.  Wie  kann  eine  Dame  so  was 
niederschreiben,  —  wie  kann  eine  Dame  so  was  drucken 
lassen  ?  Jeder  Mensch,  der  das  liest,  muß  sich  doch 
die  Verfasserin  vorstellen  und  den  betreffenden  Hals 
und  —  die  betreffende  Trunkenheit. 

MARGARETE.  Wenn  ich  dir  versichere,  daß  ein 
solcher  Hals  nie  existiert  hat. 

KLEMENS.  Ich  kann  mir's  auch  nicht  vorstellen. 
Das  ist  ja  mein  Glück  —  und  deins,  Margarete.  Aber 
wie  bist  du  zu  solchen  Phantasien  gekommen  ?  Auf 
deinen  ersten  Mann  können  sich  doch  alle  diese 
glühenden  Liebesgedichte  nicht  beziehen  —  der  hat 
dich  ja  überhaupt  nicht  verstanden,  wie  du  immer 
sagst. 

MARGARETE.  Natürlich  nicht!  Deswegen  hab' 
ich  mich  ja  von  ihm  scheiden  lassen.  Du  kennst  ja 
die  Geschichte.  Neben  einem  Menschen,  der  für 
nichts  Sinn  hat  als  für  Essen  und  Trinken  und  Baum- 
wolle, habe  ich  nicht  existieren  können. 

KLEMENS.  Ja,  ja.  Aber  das  ist  jetzt  drei  Jahre 
her,  und  die  Gedichte  hast  du  doch  später  geschrieben. 

MARGARETE.  Nun  ja.  —  Bedenke  doch  die  Lage, 
in  der  ich  mich  befand  — 

KLEMENS.  Wieso?  Du  hast  doch  keine  Ent- 
behrungen zu  leiden  gehabt  ?  In  dieser  Hinsicht  hat 
sich  ja  dein  Mann,  das  muß  man  ihm  lassen,  sehr  an- 
ständig benommen.  Du  warst  nicht  darauf  angewiesen, 
dir  Geld  zu  verdienen.  Und  wenn  sie  dir  schon  für 
ein  Gedicht  hundert  Gulden  geben  —  mehr  zahlen 
sie  doch  gewiß  nicht  —  du  warst  doch  nicht  gezwungen, 
so  ein  Buch  zu  schreiben. 

MARGARETE.  Liebster  Kle,  ich  meinte  „Lage" 
auch  nicht  in  materiellem  Sinn;  ich  meinte  meinen 
Seelenzustand.  Hast  du  denn  eine  Ahnung  .  .  .  Als 
du  mich  kennen  lerntest,  war  es  ja  schon  viel  besser, 
da  hatt'  ich  mich  in  mancherlei  gefunden,  aber  an- 


397 


fangs!  —  Ich  war  ja  so  ratlos,  so  zerfahren  .  .  .  Alles 
mögliche  hab'  ich  versucht,  gemalt  hab'  ich  —  sogar 
eine  englische  Lektion  hab'  ich  gegeben  in  der  Pension, 
wo  ich  gewohnt  hab'.  Denk'  dir  nur,  mit  zweiund- 
zwanzig Jahren  dastehen  als  geschiedene  FraUj  nieman- 
den haben  — 

KLEMENS.  Warum  bist  du  nicht  ruhig  in  Wien 
geblieben  ? 

MARGARETE.  Weil  ich  mit  meiner  Familie  aus- 
einander war.  Es  hat  mich  ja  niemand  verstanden. 
Na,  diese  Leute!  Glaubst  du,  irgendwer  von  meiner 
FamiHe  hat  begriffen,  daß  man  auch  noch  was  anderes 
vom  Leben  will  als  einen  Mann  und  schöne  Kleider 
und  eine  soziale  Position  ?  O  Gott !  Wenn  ich  ein 
Kind  gehabt  hätt',  war'  vielleicht  alles  anders  gekommen 
—  möghch,  vielleicht  auch  nicht.  Ich  bin  ja  sehr 
kompliziert.  Im  übrigen,  darfst  du  dich  beklagen  ? 
War  es  nicht  endHch  das  beste,  was  ich  überhaupt  tun 
konnte,  nach  München  zu  gehen  ?  Hätt'  ich  dich 
sonst  kennen  gelernt  ? 

KLEMENS.  Nun  ja,  aber  du  bist  doch  nicht  mit 
der  Absicht  hingefahren. 

MARGARETE.  Ich  wollte  frei  werden  —  ich 
meine:  innerHch  frei.  Ich  habe  sehen  wollen,  ob  ich 
aus  eigner  Kraft  weiterkommen  kann.  Und  du  vnrst 
gestehen:  Es  hat  ganz  den  Anschein  gehabt.  Ich  war 
auf  dem  besten  Weg,  berühmt  zu  werden. 

KLEMENS ? 

MARGARETE.  Aber  du  warst  mir  eben  lieber 
äIs  der  Ruhm. 

KLEMENS  gutmütig.  Und  sicherer. 

MARGARETE.  Daran  hab'  ich  noch  nie  gedacht. 
Ich  habe  dich  vom  ersten  Moment  an  geUebt,  das  war 
es.  Denn  einen  wie  dich  hab'  ich  mir  immer  geträumt. 
Ich  hab's  immer  gewußt,  glücklich  machen  kann  mich 
nur  einer  vde  du.  Rass',  —  das  ist  kein  leerer  Wahn. 
Was  ist  alles  andere  dagegen!  Siehst  du,  drum  glaub' 
ich  auch  immer  — 


398 


KLEMENS.    Was  denn? 

MARGARETE.  Ich  meine  zuweilen,  daß  auch 
in  mir  adehges  Blut  fließt. 

KLEMENS.    Wieso  denn? 

MARGARETE.    Nun  ja,   es  war'   doch   möglich. 

KLEMENS.    Das  versteh'  ich  nicht. 

MARGARETE.  Ich  habe  dir  ja  gesagt,  daß  im 
Haus  meiner  Eltern  Aristokraten  verkehrt  haben  . . , 

KLEMENS.   Na,  und  wenn  schon  — 

MARGARETE.    Wer  weiß  —  ? 

KLEMENS.  Margret,  geh  — !  wie  kann  man  so 
was  nur  reden! 

MARGARETE.  Vor  dir  darf  man  halt  nicht  sagen, 
was  man  sich  denkt.  Das  fehlt  dir,  —  sonst  wärst  du 
eben  vollkommen.  Sie  schmeichelt  sich  an  ihn  heran.  Ich  habe 
dich  ja  so  unglaubHch  gern.  Gleich  am  ersten  Abend,  wie 
du  ins  Kaffeehaus  gekommen  bist,  mit  dem  Wangenheim 
—  gleich  hab'  ich's  gewußt:  der  ist  es!  Wahrhaftig,  du 
bist  unter  die  Leute  getreten  wie  aus  einer  andern  Welt. 

KLEMENS.  Hoff  ich.  Und  sehr  dazugehörig  hast 
du,  Gott  sei  Dank,  auch  nicht  ausgesehen.  Nein, 
wenn  ich  mich  an  diese  Gesellschaft  erinner'  —  an  die 
Russin  zum  Beispiel,  die  ausgeschaut  hat  wie  ein  Student 
mit  ihren  kurzgeschnittenen  Haaren  —  nur  daß  sie 
kein  Kappel  getragen  hat. 

MARGARETE.  Das  ist  eine  sehr  begabte  Malerin, 
die  Baranzewitsch. 

KLEMENS.  Ich  weiß.  Du  hast  sie  mir  ja  in  der 
Pinakothek  gezeigt;  da  ist  sie  auf  der  Leiter  gestanden 
und  hat  kopiert.  —  Und  dann  der  Kerl  mit  dem  pol- 
nischen Namen  — 

MARGARETE  beginnt.   Zrkd  .  .  . 

KLEMENS.  Bemüh'  dich  nicht,  hast  es  ja  jetzt 
nimmer  notwendig.  Der  hat  einmal  was  vorgelesen 
im  Kaffeehaus,  wie  ich  dabei  war,  ohne  sich  im  ge- 
ringsten zu  genieren. 

MARGARETE.  Das  ist  ein  sehr  großes  Talent,  du 
kannst  es  mir  glauben. 


399 


KLEMENS.  Aber  natürlich!  Talentiert  sind  sie 
ja  alle  im  Kaffeehaus.  —  Na,  und  dann  dieser  Bengel, 
dieser  unerträghche  — 

MARGARETE.    Wer? 

KLEMENS.  Du  weißt  schon,  wen  ich  mein'.  Der 
immer  die  taktlosen  Bemerkungen  über  die  Aristo- 
kratie gemacht  hat. 

MARGARETE.   Gilbert,  sicher  meinst  du  Gilbert. 

KLEMENS.  Ja.  Ich  will  gewiß  nicht  alle  meine 
Standesgenossen  verteidigen,  Lumpen  gibt's  überall, 
sogar  unter  den  Dichtern,  hab'  ich  mir  sagen  lassen  — 
aber  es  ist  doch  manierlos  von  einem  Menschen,  wenn 
einer  von  uns  dabei  ist . . . 

MARGARETE.    Das  war  so  seine  Art. 

KLEMENS.  Ich  hab*  mich  damals  zusammen- 
nehmen müssen,  um  nicht  grob  zu  werden. 

MARGARETE.  Es  war  ein  interessanter  Mensch 
bei  alledem  —  ja.  Und  dann  kam  noch  dazu,  daß  er 
sehr  eifersüchtig  auf  dich  war. 

KLEMENS.  Das  hab'  ich  auch  zu  bemerken  ge- 
glaubt.    Pause. 

MARGARETE.  Ach  Gott,  es  waren  alle  auf  dich 
eifersüchtig.  NatürHch  .  .  .  Du  warst  so  anders.  Und 
dann,  es  haben  mir  alle  den  Hof  gemacht,  grade  weil 
ich  gegen  alle  ganz  gleich  war.  Das  mußt  du  doch 
bemerkt  haben  —  nicht  ?    Warum  lachst  du  denn  ? 

KLEMENS.  Komisch!  Wenn  mir  das  einer 
prophezeit  hätte,  daß  ich  einen  Stammgast  aus  dem 
„Cafe  Maximilian"  heiraten  werde!  Am  besten  ge- 
fallen haben  mir  eigenthch  die  zwei  jungen  Maler, 
sie  waren  wirklich  wie  aus  einem  Theaterstück.  Weißt 
du,  die  sich  so  ähnlich  gesehen  und  alles  gemeinschaft- 
Hch  gehabt  haben,  —  mir  scheint,  auch  die  Russin 
auf  der  Leiter. 

MARGARETE.  Um  solche  Sachen  habe  ich  mich 
nie  gekümmert. 

KLEMENS.  Die  zwei  müssen  übrigens  Juden  ge- 
v/esen  sein,  nicht  ? 


400 


MARGARETE.    Warum  denn? 

KLEMENS.  Na,  weil  sie  immer  so  Witze  gemacht 
haben  —  und  dann  die  Aussprache  .  .  . 

MARGARETE.  Antisemitische  Bemerkungen  kannst 
du  dir  schenken. 

KLEMENS.  Aber  Kind,  sei  doch  nicht  so  empfind- 
lich. Ich  weiß  ja,  daß  du  nur  Halbblut  bist.  Und  ich 
hab'  wirklich  nichts  gegen  die  Juden.  Ich  hab'  einmal 
sogar  einen  Lehrer  gehabt,  der  mich  in  Griechisch 
vorbereitet  hat,  vor  der  Matura,  das  war  ein  Jud', 
meiner  Seel'.  Und  ein  ausgezeichneter  Mensch.  Man 
kommt  ja  mit  allerlei  Leuten  zusammen  .  .  .  Ich  be- 
daure  auch  nicht,  deine  Gesellschaft  in  München 
kennen  gelernt  zu  haben;  das  gehört  alles  zur  Lebens- 
erfahrung. —  Aber  schau',  ich  muß  dir  doch  vor- 
gekommen sein  vvie  ein  Retter  aus  der  Not. 

MARGARETE.   Ja,  das  ist  schon  wahr.    Kle,  Kle! 

Umarmung. 

KLEMENS.    Was  lachst  denn? 

MARGARETE.   Mir  fällt  was  ein. 

KLEMENS.    Na? 

MARGARETE.  „An  deinem  Halse  häng'  ich 
trunken  .  .  ." 

KLEMENS  unmutig.  Bitt'  dich,  mußt  du  einen  immer 
wieder  aus  der  Illusion  reißen! 

MARGARETE.  Sag',  Kle:  Du  wärst  ako  vdrklich 
nicht  stolz,  wenn  deine  Geliebte,  deine  Frau  eine 
große  und  berühmte  Dichterin  wäre  ? 

KLEMENS.  Ich  hab'  dir  schon  gesagt :  meinetwegen 
halt  mich  für  borniert  in  der  Hinsicht,  aber  ich  ver- 
sichere dich,  wenn  du  heut  wdeder  anfingst,  Gedichte 
zu  schreiben,  oder  sie  gar  drucken  ließest,  in  denen  du 
meinethalben  mich  anschwärmst  und  der  Welt  von 
unserm  Liebesglück  erzähltest — Nichts  wär's  mit  dem 
Heiraten,  auf  und  davon  ging  ich  dir! 

MARGARETE.  Und  das  sagt  ein  Mensch,  der  ein 
Dutzend  stadtbekannte  Verhältnisse  gehabt  hat! 

KLEMENS.  Mein  Schatz,  stadtbekannt  hin,  stadt- 

Theaterstücke,  II,  26.  /LOX 


bekannt  her  —  ich  hab's  niemandem  erzählt,  ich  hab's 
nicht  drucken  lassen,  wenn  mir  eine  trunken  am  Hai? 
gehängt  ist,  und  ein  jeder  hat  sich's  um  einen  Gulden 
fünfzig  kaufen  können!  Darauf  kommt's  an!  Ich  weiß 
ja,  daß  es  Leute  gibt,  die  davon  leben;  aber  ich  find' 
es  im  höchsten  Grad  unfein.  Ich  sag'  dir,  mir  kommt's 
ärger  vor,  als  wenn  sich  eine  im  Trikot  als  griechische 
Statue  beim  Ronacher  hinausstellt.  So  eine  griechische 
Statue  sagt  doch  nicht  Mau!  Aber  was  so  ein  Dichter 
alles  ausplauscht,  das  geht  über  den  Spaß! 

MARGARETE  unruhig.  Liebster,  du  vergißt  nur, 
daß  der  Dichter  nicht  immer  die  Wahrheit  sagt. 

KLEMENS.  Na,  und  wenn  er  aufschneidt,  ist's 
vielleicht  schöner? 

MARGARETE.  Das  nennt  man  dann  nicht  „auf- 
schneiden", das  heißt  „stilisieren". 

KLEMENS.  Was  ist  denn  das  schon  wieder  für 
ein  Wort! 

MARGARETE.  Oder  wir  erzählen  Dinge,  die  wir 
gar  nicht  erlebt,  die  v^dr  geträumt,  die  wir  einfach  er- 
funden haben. 

KLEMENS.  Ich  bitt'  dich,  liebe  Margret,  sag'  doch 
nicht  immer  „vdr".  Du  gehörst  ja  Gott  sei  Dank 
nimmer  dazu. 

MARGARETE.  Wer  weiß! 

KLEMENS.    Was  heißt  das? 

MARGARETEz  örtlich.  Kllemens,ichmuß  es  dir  sagen ! 

KLEMENS.    Nun,  was  gibt's  denn? 

MARGARETE.  Ich  gehör'  dazu!  Ich  hab'  das 
Dichten  nicht  aufgegeben. 

KLEMENS.    Inwiefern? 

MARGARETE.  Das  ist  doch  sehr  einfach:  ich 
schreib'  eben  noch  immer  —  oder  ich  habe  wenigstens 
was  geschrieben.  Ja,  so  etwas  ist  stärker,  als  andere 
Menschen  begreifen  können.  Ich  glaub',  ich  wäre  zu 
Grund  gegangen,  wenn  ich  nicht  geschrieben  hätte. 

KLEMENS.  Also  was  hast  du  denn  schon  wieder 
geschrieben  ? 


402 


MARGARETE.  Einen  Roman.  Ich  hatte  zuviel 
auf  dem  Herzen.  Ich  wäre  daran  erstickt.  Bis  heut 
hab'  ich  dir's  verschwiegen;  endlich  muß  es  doch  heraus. 
Künigel  ist  entzückt  davon. 

KLEMENS.    Wer  ist  Künigel? 

MARGARETE.    Mein  Verleger. 

KLEMENS.    Es  hat  ihn  also  schon  wer  gelesen? 

MARGARETE.  Ja.  Und  noch  viele  werden  ihn 
lesen.    Klemens,  du  wirst  stolz  sein  —  glaube  mir! 

KLEMENS.  Du  irrst  dich,  liebes  Kind.  Ich  finde 
das  von  dir .  .  .  Was  kommen  denn  eigentlich  für 
Sachen  drin  vor? 

MARGARETE.  Das  läßt  sich  nicht  so  leichthin 
sagen.  Der  Roman  enthält  sozusagen  das  meiste,  was 
über  das  meiste  zu  sagen  ist. 

KLEMENS.    Alle  Achtung! 

MARGARETE.  Und  darum  kann  ich  dir  auch  ver- 
sprechen, daß  ich  von  nun  an  keine  Feder  mehr  an- 
rühre.   Es  ist  nicht  mehr  notwendig. 

KLEMENS.  Hast  du  mich  lieb,  Margarete,  oder 
nicht  ? 

MARGARETE.  Wie  kannst  du  fragen?  Dich, 
nur  dich!  Soviel  ich  auch  beobachtet,  soviel  ich  auch 
gesehen  habe  —  erlebt  hab'  ich  nichts.  Ich  habe  auf 
dich  gewartet. 

KLEMENS.   Also  bring  ihn  herein,  deinen  Roman. 

MARGARETE.    Ja,  wieso?  wie  meinst  du  das? 

KLEMENS.  Daß  du  ihn  hast  schreiben  müssen  — 
gut ;  aber  lesen  soll  ihn  wenigstens  keiner.  Bring  ihn  her, 
wir  wollen  ihn  ins  Feuer  werfen. 

MARGARETE.    Kle! 

KLEMENS.  Das  verlang'  ich  von  dir  —  das  darf 
ich  verlangen! 

MARGARETE.  Ja,  das  ist  nicht  möglich!  Das  ist  ~ 

KLEMENS.  Weshalb?  Wenn  ich  es  wünsche, 
wenn  ich  erkläre,  daß  ich  davon  alles  weitere  abhängig 
mache  .  .  .  Du  verstehst  mich  .  .  .  wird  es  vielleicht 
doch  möglich  sein! 


403 


MARGARETE.  Aber  Klemens,  der  Roman  ist  ja 
schon  gedruckt. 

KLEMENS.    Wie?  gedruckt? 

MARGARETE.  Ja!  In  wenigen  Tagen  wird  er 
überall  zu  haben  sein. 

KLEMENS.  Margarete  —  und  alles  das,  ohne  daß 
du  mir  vorher  ein  Wort .  .  . 

MARGARETE.  Klemens,  ich  hab'  nicht  anders 
können.  Wenn  er  erst  da  ist,  wirst  du  mir  verzeihen! 
Mehr  als  das:  —  Du  wirst  stolz  sein! 

KLEMENS.   Liebes  Kind,  das  geht  übern  Spaß' 

MARGARETE.    Klemens. 

KLEMENS.   Adieu,  Margarete. 

MARGARETE.  Klemens,  was  heißt  das  ~  du 
gehst  ? 

KLEMENS.    Wie  du  siehst. 

MARGARETE.    Wann  kommst  du  wieder? 

KLEMENS.  Das  kann  ich  in  diesem  Augenblick 
noch  nicht  sagen.   Adieu. 

MARGARETE.    Klemens!   mit  ihn  bäten. 

KLEMENS.    Ich  bitte.   Ab. 

MARGARETE  allein.  Klemens!  Was  bedeutet  das? 
Er  verläßt  mich  ?  Was  soll  ich  denn  tun  ?  —  Klemens ! 
—  Alles  soll  zu  Ende  sein  ?  Nein,  es  ist  ja  nicht  mög- 
lich! Klemens!  —  Ich  muß  ihm  nach!  Sie  sucht  nach 
ihrem  Hut.  —  Klingel.  Ah!  er  kommt  zurück!  Er  hat 
mir  nur  Angst  machen  wollen.  —  Oh,  mein  Klemens! 
Zur  Türe. 

GILBERT  tritt  ein.  Zu  dem  Stubenmädchen,  das  die  Tür 
geöffnet  bat.  Ich  sagte  Ihnen  ja,  daß  die  gnädige  Frau 
zu  Hause  ist.  —  Guten  Tag,  Margarete. 

MARGARETE  betreten.    Sie  sind  es? 

GILBERT.    Ich  bin  es  —  ich,   Amandus  Gilbert. 

MARGARETE.    Ich  bin  ja  so  erstaunt .  .  . 

GILBERT.  Das  seh'  ich.  Aber  es  hegt  kein  Grund 
vor.  Ich  befinde  mich  hier  nur  auf  der  Durchreise; 
ich  fahre  nach  Itahen.  Und  eigen thch  komme  ich 
nur  zu  dir,  um  dir  in  Erinnerung  alter  Kameradschaft 


404 


mein  neuestes  Werk  zu  bringen.  Überreicht  ihr  das  Buch. 
Da  sie  es  nicht  gleich  nimmt,  legt  er  es  auf  den  lisch. 

MARGARETE.  Sie  sind  sehr  liebenswürdig,  ich 
danke  Ihnen. 

GILBERT.  Bitte.  Du  hast  ein  gewisses  Anrecht 
auf  dieses  Buch.  —  Also  hier  wohnst  du. 

MARGARETE.    Jawohl.    Aber... 

GILBERT.  Übergangsstadium,  ich  weiß.  Für  ein 
möbHertes  Zimmer  sieht  es  leidlich  genug  aus.  Aller- 
dings, diese  Familienporträts  an  den  Wänden  würden 
mich  wahnsinnig  machen. 

MARGARETE.  Meine  Hauswirtin  ist  die  Witwe 
eines  Generals. 

GILBERT.  Du  brauchst  dich  nicht  zu  entschuldigen. 

MARGARETE.  Entschuldigen?  Fällt  mir  wahr- 
haftig nicht  ein. 

GILBERT.  Es  ist  sonderbar,  jetzt  daran  zu  denken... 

MARGARETE.    Woran  denken  Sie? 

GILBERT.  Warum  soll  ich's  nicht  sagen?  An  das 
kleine  Zimmer  in  der  Steinsdorfer  Straße,  mit  dem 
Balkon  auf  die  Isar.    Erinnerst  du  dich,  Margarete? 

MARGARETE.  Wollen  wir  nicht  lieber  beim 
„Sie"  bleiben? 

GILBERT.  Wie  du  willst  ...  wie  Sie  wollen, 
Margarete.  Pause.  Plötzlich.  Sie  haben  sich  jämmerlich 
benommen,  Margarete. 

MARGARETE.    Was?! 

GILBERT.  Oder  wünschen  Sie,  daß  ich  in  Um- 
schreibungen rede  ?  Ich  finde  leider  kein  anderes  Wort. 
—  Und  es  war  so  überflüssig,  Margarete.  Mit  der 
Ehrlichkeit  war  es  ebensogut  gegangen.  Es  war  gar 
nicht  notwendig,  München  bei  Nacht  und  Nebel  zu 
verlassen. 

MARGARETE.  Es  war  weder  Nacht  noch  Nebel. 
Ich  bin  um  acht  Uhr  dreißig  früh  bei  hellem  Sonnen- 
schein mit  dem  Expreß  abgereist. 

GILBERT.  Immerhin,  man  hätte  sich  vorher 
Lebewohl  sagen  können,  nicht  wahr  ?    Setzt  sieb. 


¥>S 


MARGARETE.  Der  Baron  kann  jeden  Augenblick 
kommen. 

GILBERT.  Was  tut  das?  Sie  haben  ihm  gewiß 
nicht  gesagt,  daß  Sie  einst  in  meinen  Armen  gelegen 
sind  und  mich  angebetet  haben.  Ich  bin  eben  ein 
guter  Bekannter  aus  München.  Und  ein  guter  Be- 
kannter darf  Sie  wohl  besuchen  ? 

MARGARETE.    Jeder  andere,  Sie  nicht! 

GILBERT.  Weshalb  ?  Sie  mißverstehen  mich 
noch  immer.  Ich  komme  wirklich  nur  als  guter  Be- 
kannter. Alles  andere  ist  vorbei,  längst  vorbei  .  .  . 
Na,  Sie  werden  ja  sehen.    Deutet  auf  sein  Buch. 

MARGARETE.    Was  ist  denn  das? 

GILBERT.    Mein  neuester  Roman. 

MARGARETE.    Sie  schreiben  Romane? 

GILBERT.    Allerdings. 

MARGARETE.    Seit  wann  können  Sie  denn  das  ? 

GILBERT.    Wie  meinen  Sie? 

MARGARETE.  Ach  Gott,  ich  erinnere  mich,  daß 
Ihr  eigenthches  Gebiet  die  kleine  Skizze,  die  Beobach- 
tung alltäghcher  Vorkommnisse  .  .  . 

GILBERT  aufgeregt.  Mein  Gebiet?  .  .  .  Mein  Gebiet 
ist  die  Welt!  Ich  schreibe,  was  mir  beliebt!  Ich  lasse 
mich  nicht  umgrenzen.  Ich  weiß  nicht,  was  mich  ab- 
halten sollte,  einen  Roman  zu  schreiben! 

MARGARETE.  Nun,  die  Ansicht  der  maßgebenden 
Kritik  war  ja  doch  .  .  . 

GILBERT.    Wer  ist  maßgebend? 

MARGARETE.  Ich  erinnere  mich  zum  Beispiel 
an  ein  Feuilleton  von  Neumann  in  der  Allgemeinen  .  .  . 

GILBERT  vmtend.  Neumann  ist  ein  Kretin!  Ich 
habe  ihn  geohrfeigt! 

MARGARETE.    Sie  haben  ihn  .  .  .? 

GILBERT.  Innerlich  hab'  ich  ihn  ^eohrfeigt!  Du 
warst  damals  ebenso  empört  wie  ich.  Wir  waren  voll- 
kommen einig,  daß  Neumann  ein  Kretin  sei.  „Wie 
darf  dieses  Nichts  wagen  .  .  ."  das  waren  deine  Worte. 
„Dir  Grenzen  abzustecken!  Wie  darf  er  es  wagen,  dein 

406 


nächstes  Buch  sozusagen  im  Mutterleib  zu  erwürgen  r" 
Du  hast  es  gesagt!  Und  heute  berufst  du  dich  auf 
diesen  Literaturhausierer! 

MARGARETE.  Ich  bitte,  schreien  Sie  doch  nicht. 
Meine  Hauswirtin  .  . . 

GILBERT,  Es  ist  nicht  mein  Amt,  mich  um 
Generalswitwen  zu  kümmern,  wenn  meine  Nerven 
vibrieren. 

MARGARETE.  Ja,  was  hab'  ich  denn  gesagt?  Ich 
kann  Ihre  Empfindlichkeit  wahrhaftig  nicht  be- 
greifen. 

GILBERT.  Empfindlich?  Du  nennst  mich  emp- 
findlich ?  Du  ?  Ein  Weib,  das  die  schwersten  Schüttel- 
fröste bekam,  wenn  der  kleinste  Schmock  im  letzten 
Käseblatt  ein  böses  Wort  auszusprechen  wagte  ? 

MARGARETE.  Ich  erinnere  mich  nicht,  daß  über 
mich  je  ein  böses  Wort  erschienen  wäre! 

GILBERT.  So?  —  Übrigens  magst  du  recht 
haben.    Gegen  hübsche  Weiber  ist  man  immer  galant. 

MARGARETE.  Galant  ?  Aus  Galanterie  hat  man 
meine  Gedichte  gelobt  ?   Und  dein  eigenes  Urteil .  .  .  ? 

GILBERT.  Meines?  Ich  brauche  nichts  davon 
zurückzunehmen;  ich  erlaube  mir  nur  zu  bemerken, 
daß  du  deine  paar  hübschen  Gedichte  in  unserer  Zeit 
geschrieben  hast. 

MARGARETE.  Und  so  rechnest  du  sie  wohl  dir 
zum  Verdienst  an? 

GILBERT.  Hättest  du  sie  geschrieben,  wenn  ich 
nicht  gewesen  wäre  ?    Sind  sie  nicht  an  mich  ? 

MARGARETE.    Nein! 

GILBERT.  Wie  ?  Nicht  an  mich  ?  Es  ist  ungeheuer- 
Uch! 

MARGARETE.   Nein,  sie  sind  nicht  an  dich! 

GILBERT.  Ich  stehe  starr!  Soll  ich  dich  an  die 
Situationen  erinnern,  in  welchen  deine  schönsten  Verse 
entstanden  sind? 

MARGARETE.  Sie  waren  an  ein  Ideal  gerichtet . . . 

GILBERT  deutet  auf  sieb. 


407 


MARGARETE.  . .  .  dessen  zufälliger  Vertreter  auf 
Erden  du  warst. 

GILBERT.  Ha!  kostbar!  Woher  hast  du  das? 
Weißt  du,  wie  der  Franzose  in  einem  solchen  Falle 
sagt?    „CVj^  iif  la  litteratuuV* 

MARGARETE  ihm  nachäffend.  Ce  tCest  -pas  de  la  lit- 
ter ature\  Das  ist  wahr,  vollkommen  wahr !  Oder  glaubst 
du  im  Ernst,  daß  ich  dich  mit  dem  schlanken  Jüngling 
gemeint  ?  Daß  ich  deine  Locken  besungen  habe  ?  — 
Du  bist  schon  damals  dick  gewesen  —  und  das  waren 
doch  niemals  Locken!    Sie  fährt  ihm  in  die  Haare. 

GILBER  T  ergreift  bei  dieser  Gelegenheit  ihre  Hand  und  küßt  sie. 

MARGARETE  weicher.  Was  fällt  dir  ein! 

GILBERT.  Damals  hast  du  sie  dafür  gehalten. 
Oder  hast  sie  wenigstens  so  genannt.  Nun  ja,  was  tut 
man  nicht  alles  für  den  Vers,  für  den  Wohlklang!  Hab' 
ich  dich  nicht  einmal  in  einem  Sonett  „mein  kluges 
Mädchen"  genannt  ?  Dabei  warst  du  weder  .  .  .  Aber 
nein,  ich  will  nicht  ungerecht  sein  —  klug  bist  du  ja 
gewesen,  beschämend  klug,  widerwärtig  klug!  Das  ist 
dir  gelungen!  Im  übrigen:  wundern  muß  man  sich 
nicht;  du  warst  ja  immer  ein  Snob.  Ach  Gott!  Jetzt 
hast  du  ja  deinen  Willen.  Du  hast  ihn  eingefangen, 
deinen  adeligen  Jüngling  mit  den  wohlgepflegten 
Händen  und  dem  ungepflegten  Gehirn,  den  vortreff- 
lichen Reiter,  Fechter,  Schützen,  Tennisspieler,  Her- 
zensbrecher —  die  Marlitt  hätt'  ihn  nicht  ekliger 
erfinden  können.  Ja,  was  willst  du  denn  mehr  ?  Ob 
dir  das  auf  die  Dauer  genügen  wird,  dir,  die  einmal 
Höheres  gekannt  hat,  das  ist  freilich  eine  andere  Frage. 
Ich  kann  dir  nur  sagen:  für  mich  bist  du  eine  Herab- 
gekommene der  Liebe. 

MARGARETE.  Das  ist  dir  auf  der  Eisenbahn 
eingefallen. 

GILBERT.  Soeben  ist  es  mir  eingefallen,  in  diesem 
Augenblick ! 

MARGARETE.  So  schreib's  dir  auf,  es  ist  ein  gutes 
Wort. 


408 


i 


GILBERT.  Ich  hab'  noch  eins  für  dich:  Früher 
warst  du  Weib,  jetzt  bist  du  Weib  c  h  e  n.  Ja,  das 
bist  du!  Was  hat  dich  denn  zu  einem  Menschen  von 
dieser  Sorte  hingelockt  ?  Nichts  als  der  Trieb,  der 
ganz  gemeine  Trieb! 

MARGARETE.  Ich  bitte  dich,  du  hast  Ursache  — ! 

GILBERT.  Liebes  Kind,  ich  hatte  doch  jederzeit 
auch  eine  Seele  bei  der  Hand. 

MARGARETE.    Zuweilen  ausschließlich  — 

GILBERT.  Versuche  jetzt  nicht,  unser  Verhältnis 
herabzuziehen  —  es  wird  dir  nicht  gelingen.  Es 
bleibt  das  Herrlichste,  was  du  erlebt  hast. 

MARGARETE.  Ach  Gott,  wenn  ich  denke,  daß 
ich  dieses  Gewäsch  ein  Jahr  lang  ertragen  habe. 

GILBERT.  Ertragen?  Du  hast  dich  daran  be- 
rauscht! Sei  nicht  undankbar  —  ich  bin  es  auch  nicht. 
Wie  erbärmlich  du  dich  am  Ende  auch  benommen 
hast,  mir  kann  es  die  Erinnerung  nicht  vergällen.  Ich 
will  noch  mehr  sagen:  auch  das  hat  dazu  gehört. 

MARGARETE.    Was  du  nicht  sagst! 

GILBERT.  NämHch  —  diese  Erklärung  bin  ich 
dir  noch  schuldig;  höre!  Gerade  zu  der  Zeit,  als  du 
begannst,  dich  von  m.ir  abzuwenden,  als  du  das  Heim- 
weh nach  dem  Stall  bekamst  —  la  nostalgie  de  Vecurie 
—  gerade  damals  war  ich  soeben  mit  dir  innerlich 
fertig  geworden. 

MARGARETE.    Nicht  möglich! 

GILBERT.  Es  ist  charakteristisch,  daß  du  davon 
nicht  das  geringste  bemerkt  hast.  —  Fertig  war  ich 
mit  dir,  ja!  Ich  hab'  dich  einfach  nicht  mehr  gebraucht. 
Was  du  mir  geben  konntest,  hattest  du  mir  gegeben  — 
Dein  Amt  war  erfüllt.  Du  wußtest  in  den  Tiefen 
deiner  Seele  —  du  wußtest  unbewußt  .  .  . 

MARGARETE.    Ich  bitt'  dich,  sprüh'  nicht  so! 

GILBERT  unbeirrt.  Daß  deine  Zeit  um  war.  Unser 
Verhältnis  hat  seinen  Zweck  erfüllt:  ich  bereue  es 
nicht,  dich  geliebt  zu  haben. 

MARGARETE.    Aber  ich! 


409 


GILB  EM.  Vortrefflich!  In  dieser  kleinen  Be- 
merkung spricht  sich  für  den  Kenner  nicht  weniger 
aus,  als  der  tiefe  Wesensunterschied  zwischen  dem 
Künstler  und  dem  Dilettanten.  Für  dich,  Margarete, 
ist  unser  Verhältnis  heute  nicht  mehr  als  die  Er- 
innerung an  ein  paar  tolle  Nächte,  an  ein  paar  tief- 
gründige Gespräche  in  den  Alleen  des  englischen 
Gartens,  ich  habe  es  zum  Kunstwerk  gemacht. 

MARGARETE.    Ich  auch. 

GILBERT.    Wieso?  \vie  meinst  du  das? 

MARGARETE.  Was  du  triffst,  bei  Gott!  das  treff 
ich  auch!  Auch  ich  habe  einen  Roman  geschrieben, 
in  den  unsre  einstigen  Beziehungen  hineinspielen,  auch 
ich  habe  unsere  einstige  Liebe  —  oder  was  wir  so 
nannten  —  der  Ewigkeit  aufbewahrt. 

GILBERT.  Von  der  Ewigkeit  würd'  ich  an  deiner 
Stelle  doch  nicht  reden,  bevor  die  zweite  Auflage 
erschienen  ist. 

MARGARETE.  Nun,  es  hat  doch  was  anderes  zu 
bedeuten,  wenn  ich  einen  Roman  schreibe,  als  wenn  du 
es  tust. 

GILBERT.    Das  dürfte  stimmen. 

MARGARETE.  Denn  du  bist  ein  freier  Mann, 
du  brauchst  dir  die  Stunden  nicht  zu  stehlen,  in  denen 
du  Künstler  sein  darfst,  und  du  setzt  nicht  deine  Zu- 
kunft aufs  Spiel. 

GILBERT.    Und  du? 

MARGARETE.  Ich  hab'  es  getan!  Vor  einer  halben 
Stunde  hat  mich  Klemens  verlassen,  weil  ich  ihm  ge-j 
stand,  daß  ich  einen  Roman  geschrieben  habe. 

GILBERT.    Verlassen?    Auf  immer? 

MARGARETE.     Ich   weiß    nicht.     Auch   das   ist] 
möghch.    Er  ist  im  Zorn  fortgegangen.    Er  ist  unbe- 
rechenbar.   Was  er  über  mich  beschließen  wird,  kann] 
ich  nicht  voraussehen. 

GILBERT.  So!  Also  er  verbietet  dir  zu  schreiben!] 
Er  duldet  nicht,  daß  seine  GeHebte  gewissermaßen] 
von  ihrem  Gehirn  Gebrauch  macht!   Ah,  vortrefflich! l 


410 


Das  ist  die  Blüte  der  Nation!  So  —  ja!  Und  du,  du 
schämst  dich  nicht,  in  den  Armen  eines  solchen  Idioten 
dasselbe  zu  empfinden,  was  du  einst .  .  . 

MARGARETE.  Ich  verbiete  dir,  so  über  ihn  zu 
reden!    Du  verstehst  ihn  ja  nicht! 

GILBERT.    Ha! 

MARGARETE.  Du  weißt  ja  nicht,  warum  er  da- 
gegen ist,  daß  ich  dichte !  Nur  aus  Liebe !  Er  fühlt  es, 
daß  ich  da  in  einer  Welt  lebe,  die  für  ihn  verschlossen 
ist,  er  schämt  sich  für  mich,  daß  ich  das  Innerste  meiner 
Seele  vor  Unberufenen  ausbreite,  er  will  mich  für  sich 
allein,  ganz  allein  haben;  und  darum  ist  er  fortgestürzt 
.  .  .  nein,  nicht  gestürzt,  denn  Klemens  gehört  nicht 
zu  den  Männern,  welche  fortstürzen  .  .  . 

GILBERT.  Gut  beobachtet.  Aber  fort  ist  er  doch. 
Über  das  Tempo  wollen  wir  nicht  diskutieren.  Und  er 
ist  fort,  weil  er  nicht  duldet,  daß  du  deinem  Schaffens- 
drang nachgibst. 

MARGARETE.  Ja,  wenn  er  auch  das  noch  ver- 
stünde! Aber  das  gibt's  offenbar  nicht.  Ich  könnte 
ja  die  beste,  die  treueste,  die  edelste  Frau  von  der 
Welt  sein,  wenn  es  nur  den  richtigen  Mann  auf  der 
Welt  gäbe! 

GILBERT.  Jedenfalls  drückst  du  damit  aus,  daß 
auch  er  nicht  der  Rechte  ist. 

MARGARETE.    Das  hab'  ich  nicht  gesagt! 

GILBERT.  So  begreife  doch,  daß  er  dich  einfach 
knechtet,  zugrunde  richtet,  dein  ureigenes  Ich  aus 
Egoismus  zu  ruinieren  sucht.  Denke  doch  an  die 
Margarete,  die  du  einmal  warst!  Denke  an  die  Frei- 
heit, in  der  du  dich  entwickeln  durftest,  da  du  mich 
liebtest!  Denke  an  die  erlesenen  Menschen,  mit  denen 
du  damals  verkehrtest,  denke  an  die  Jünger,  die  sich 
um  mich  versammelten  und  die  auch  die  deinen  waren. 
Sehnst  du  dich  nicht  manchmal  zurück  ?  Denkst  du 
nicht  an  dein  kleines  Zimmer  mit  dem  Balkon  —  unten 
rauschte  die  Isar  —  Er  bat  ihre  Hände  gefaßt  und  drängt 
sich  cn  sie. 


411 


MARGARETE.  O  Gott! 

GILBERT.  Es  kann  wieder  so  werden;  es  braucht 
ja  nicht  die  Isar  zu  sein.  —  Ich  will  dir  einen  Vor- 
schlag machen,  Margarete.  Sag'  ihm,  wenn  er  wieder- 
kommen sollte,  daß  du  in  München  noch  einiges 
Dringende  zu  besorgen  hättest,  und  verbringe  diese 
Zeit  mit  mir.  Margarete,  du  bist  ja  so  schön!  Wir 
woUen  wieder  glücklich  sein  wie  einst,  Margarete! 
Erinnerst  du  dich  ?  Ganz  nahe.  „An  deinem  Halse  häng' 
ich  trunken  .  .  ." 

MARGARETE  rasch  von  ihm  weg.  Fort!  fort!  Nein, 
nein!    Fort  sag'  ich!  Ich  liebe  dich  ja  nicht  mehr! 

GILBERT.  O!  Hm  ...  So?  Na,  da  bitt'  ich  also 
um  Entschuldigung.   Pause.   Adieu,  Margarete.  Adieu. 

MARGARETE.    Adieu. 

GILBERT.  Adieu.  Sieb  noch  einmal  wendend.  Willst  du 
mir  nicht  wenigstens  zum  Abschied  deinen  Roman 
geben,  wie  ich  dir  den  meinen  gegeben  habe? 

MARGARETE.  Er  ist  noch  nicht  erschienen.  Erst 
in  der  nächsten  Woche  wird  er  zu  haben  sein. 

GILBERT.  Wenn  ich  fragen  darf:  was  ist  es  denn 
eigentlich  für  eine  Art  von  Roman? 

MARGARETE.  Der  Roman  meines  Lebens.  Selbst- 
verständlich so  verhüllt,  daß  ich  nicht  zu  erkennen 
bin. 

GILBERT.    So?  wie  hast  du  denn  das  gemacht? 

MARGARETE.  Sehr  einfach.  Die  Heldin  ist  vor 
allem  keine  Dichterin,  sondern  eine  Malerin  — 

GILBERT.    Das  ist  sehr  schlau. 

MARGARETE.  Ihr  erster  Mann  ist  kein  Baum- 
wollfabrikant, sondern  ein  großer  Spekulant  —  auch 
betrügt  sie  ihn  nicht  mit  einem  Tenor  . . , 

GILBERT.    Haha! 

MARGARETE.    Warum  lachst  du  denn? 

GILBERT.  Du  hast  ihn  also  mit  einem  Tenor 
betrogen  ?    Das  hab'  ich  gar  nicht  gewußt. 

MARGARETE.   Wer  sagt  denn  das? 

GILBERT.    Du  hast  es  mir  soeben  mitgeteilt. 


41a 


MARGARETE.  Wieso  denn?  —  Ich  sage:  die 
Heldin  meines  Buches  betrügt  ihren  Mann  mit  einem 
Bariton. 

GILBERT.  Baß  wäre  großartiger  —  Mezzosopran 
pikanter. 

MARGARETE.  Dann  geht  sie  nicht  nach  München, 
sondern  nach  Dresden,  und  dort  hat  sie  ein  Verhältnis 
mit  einem  Bildhauer. 

GILBERT.    Das  bin  also  ich  . .  .  verschleiert? 

MARGARETE.  Sehr  verschleiert.  Der  Bildhauer 
ist  nämlich  jung,  schön  und  ein  Genie.  Trotzdem 
verläßt  sie  ihn. 

GILBERT.    Wegen...? 

MARGARETE.    Rate! 

GILBERT.    Vermutlich  wegen  eines  Jockeis? 

MARGARETE.    Schaf! 

GILBERT.  Wegen  eines  Grafen?  —  Wegen  eines 
Fürsten  ? 

MARGARETE.    Nein,  es  ist  ein  Erzherzog! 

GILBERT  sieb  verbeugend.  Du  hast  vdrklich  keine 
Kosten  gescheut. 

MARGARETE.  Ja,  ein  Erzherzog,  der  um  ihret- 
willen den  Hof  verläßt,  sie  heiratet  und  mit  ihr  nach 
den  Kanarischen  Inseln  auswandert. 

GILBERT.  Kanarische  Inseln  —  sind  sehr  fein! 
Und  dann  — ? 

MARGARETE.   Mit  der  Landung  in  . . . 

GILBERT.    Kanarien  — 

MARGARETE.    —  schließt  der  Roman. 

GILBERT.  So.  Ich  bin  sehr  gespannt,  —  besonders 
auf  die  Verschleierung, 

MARGARETE.  Du  selbst  würdest  mich  nicht 
erkennen,  wenn  — 

GILBERT.    Nun,  wenn  —  ? 

MARGARETE.  Wenn  nicht  im  drittletzten  Kapitel 
unser  ganzer  Briefwechsel  enthalten  wäre! 

GILBERT.    Was?! 

MARGARETE.   Ja  —  alle  Briefe,  die  du  mir  und 


413 


die  ich  dir  geschrieben  habe,  sind  in  den  Roman  auf- 
genommen. 

GILBERT.  Ja,  entschuldige  —  woher  hattest  du 
denn  die  deinen  an  mich?    Die  hab'  doch  ich! 

MARGARETE.  Ja,  ich  hatte  sie  mir  doch  früher 
immer  aufgesetzt. 

GILBERT.    Aufgesetzt!? 

MARGARETE.    Ja. 

GILBERT.  Aufgesetzt  —  diese  Briefe  an  mich, 
die  wie  in  zitternder  Eile  hingeworfen  schienen. 
„Noch  ein  Wort,  Geliebter,  eh'  ich  schlafen  gehe, 
mir  fallen  die  Augen  zu  .  .  ."  und  dann,  wenn  dir  die 
Augen  zugefallen  waren,  hast  du  ihn  ins  Reine  ge- 
schrieben ? ! 

MARGARETE.  Nun,  beklagst  du  dich  vielleicht 
darüber  ? 

GILBERT.  Ich  hätt'  es  ahnen  können.  Ich  muß 
ja  noch  froh  sein,  daß  sie  nicht  einem  Briefsteller  für 
Liebende  entnommen  waren.  Oh,  wie  bricht  alles  zu- 
sammen! Die  ganze  Vergangenheit  ein  Trümmer- 
haufen! .  .  .  Sie  hat  ihre  Briefe  aufgesetzt. 

MARGARETE.  So  sei  doch  froh.  Wer  weiß,  ob 
meine  Briefe  an  dich  nicht  das  einzige  sind,  was  von 
dir  übrigbleiben  wird. 

GILBERT.  Und  nebstbei  ist  das  eine  äußerst 
fatale  Geschichte. 

MARGARETE.    Warum  denn? 

GILBERT  auf  sein  Buch  deutend.  Da  drin  sind  sie 
nämlich  auch. 

MARGARETE.    Was?!    Wo? 

GILBERT.    In  meinem  Roman. 

MARGARETE.   Was  ist  da  drin? 

GILBERT.    Unsere  Briefe  —  deine  und  meine. 

MARGARETE.  Woher  hast  du  denn  die  deinen  ge- 
habt ?  Die  hab'  doch  ich!  —  Ah,  siehst  du,  du  hast  sie 
auch  aufgesetzt! 

GILBERT.  O  nein,  ich  hab'  sie  nur  abgeschrieben, 
bevor  ich  sie  an  dich  absandte.    Sie  sollten  nicht  ver- 


414 


loren  gehen.  Es  sind  sogar  einige  drin,  die  du  gar 
nicht  bekommen  hast,  die  viel  zu  schön  für  dich  waren, 
die  du  gar  nicht  verstanden  hättest. 

MARGARETE.  Ja,  um  Gottes  v^^illen,  wenn  es  so 
ist  .  .  .  In  Gilberts  Buch  blätternd.  Ja,  eS  ist  SO !  Ja,  das  ist 
doch  ganz  dasselbe,  als  wenn  vnr  der  Welt  erzählten,  daß 
wir  zwei .  .  .  Um  Himmels  willen .  .  .  Aufgeregt  blätternd. 
Ist  am  Ende  auch  der  Brief  aufgenommen,  den  du 
mir  am  Morgen  nach  der  ersten  Nacht .  .  . 

GILBERT.    Natürlich,  der  war  doch  glänzend. 

MARGARETE.  Aber  das  ist  ja  entsetzlich!  Es 
wird  ein  europäischer  Skandal!  Und  Klemens,  um 
Gottes  willen !  Ich  fange  an  zu  wünschen,  daß  er  nicht 
mehr  zurückkommt!  Ich  bin  ja  verloren!  Und  du 
mit  mir!  Wo  immer  du  sein  magst,  er  wdrd  dich  zu 
finden  wassen,  er  wird  dich  niederschießen  wie  einen 
tollen  Hund! 

GILBERT  steckt  sein  Buch  ein.  Abgeschmackter  Ver- 
gleich. 

MARGARETE.  Wie  konntest  du  nur  auf  diese 
irrsinnige  Idee  kommen!  Briefe  einer  Frau,  die  du 
angeblich  geliebt  hast  .  .  .  Man  sieht  doch  gleich,  daß 
du  kein  Gentleman  bist! 

GILBERT.  Das  find'  ich  aber  köstlich!  Hast  du 
nicht  dasselbe  getan  ? 

MARGARETE.    Ich  bin  eine  Frau. 

GILBERT.    Jetzt  berufst  du  dich  darauf! 

MARGARETE.  Es  ist  wahr,  ich  habe  dir  nichts 
vorzuwerfen.  Wir  sind  einander  würdig.  Ja,  Klemens 
hat  recht.  Ärger  als  die  Weiber  beim  Ronacher  sind 
wir,  die  sich  in  Trikots  hinausstellen.  Unsere  ge- 
heimsten Seligkeiten,  unsere  Schmerzen,  alles  stellen 
wir  aus!  Pfui!  pfui!  mich  ekelt  ja  vor  mir!  Wir  zwei 
gehören  zusammen.  Klemens  hätte  recht,  wenn  er 
mich  davonjagt.   Plötzlich.    Komm,  Amandus! 

GILBERT.    Was  willst  du  denn? 

MARGARETE.  Ich  nehme  deinen  Vorschlag  an... 

GILBERT.    Was  für  einen  Vorschlag? 


4^5 


MARGARETE.  Ich  fliehe  mit  dir!  Sie  sucht  nach 
Hut  und  Mantel. 

GILBERT.   Was  fäUt  dir  ein?  Was  tust  du  denn? 

MARGARETE  sehr  erregt,  steckt  sieb  den  Hut  fest.  Es 
kann  wieder  so  werden  wie  einst,  du  hast  es  gesagt: 
es  braucht  nicht  die  Isar  zu  sein  —  nun,  ich  bin 
bereit! 

GILBERT.  Das  ist  ja  vollkommen  verrückt! 
Fliehen  —  was  heißt  denn  das  ?  Sagtest  du  nicht  selbst, 
er  wird  mich  überall  zu  finden  wissen?  Wenn  du  bei 
mir  bist,  findet  er  dich  auch.  Es  wäre  viel  klüger,  wenn 
jeder  für  sich  allein  .  .  . 

MARGARETE.  Elender,  jetzt  willst  du  mich  im 
Stich  lassen  ? !  Und  vor  wenigen  Minuten  bist  du  vor 
mir  auf  den  Knien  gelegen  ?    Schämst  du  dich  nicht  ? 

GILBERT.  Weshalb  ?  Ich  bin  ein  kranker,  nervöser 
Mensch  .  .  .  ich  bin  Stimmungen  unterworfen  .  . . 

MARGARETE  am  Fettster,  schreit. 

GILBERT.  Was  hast  du  denn?  Was  wird  die 
Generalswitwe  von  mir  denken? 

MARGARETE.    Er  ist's,  er  kommt! 

GILBERT.    Nun... 

MARGARETE.   Was,  du  wiUst  gehen? 

GILBERT.  Ich  hatte  nie  die  Absicht,  dem  Herrn 
Baron  einen  Besuch  zu  machen. 

MARGARETE.  Er  trifft  dich  auf  der  Treppe. 
Das  wäre  noch  ärger.  Bleibe!  ich  werde  nicht  allein 
das  Opfer  sein! 

GILBERT.  So  sei  doch  nicht  verrückt.  Warum 
zitterst  du  denn  so?  Er  kann  doch  noch  nicht  beide 
Romane  gelesen  haben.  Komm  doch  zu  dir!  Leg' 
den  Hut  ab !  Fort  mit  dem  Mantel !  Ist  ihr  behilflich. 
Wenn  er  dich  in  dieser  Verfassung  sieht,  muß  er  ja 
ahnen  .  .  . 

MARGARETE.  Das  ist  mir  egal  —  lieber  gleich, 
als  später.  Ich  ertrag'  es  nicht,  das  Entsetzliche  ab- 
zuwarten, ich  sag'  ihm  sofort  alles. 

GILBERT.    Alles?! 


416 


MARGARETE.  Ja,  solang  du  noch  da  bist.  Wenn 
ich  ihm  jetzt  ehrlich  alles  eingestehe,  wird  er  mir 
vielleicht  verzeihen! 

GILBERT.  Und  ich  —  und  ich?!  Ich  habe  doch 
wohl  noch  was  Gescheiteres  auf  der  Welt  zu  tun,  als 
mich  von  einem  eifersüchtigen  Baron  niederschießen 
zu  lassen  wie  einen  tollen  Hund!    Klingel. 

MARGARETE.    Er  ist's!  er  ist's! 

GILBERT.    Du  wirst  nichts  reden! 

MARGARETE.    Ich  werde  reden! 

GILBERT.  So?!  Nun,  gib  acht!  So  werde  ich 
meine  Haut  wenigstens  teuer  verkaufen. 

MARGARETE.    Was  willst  du  tun? 

GILBERT.  Ich  werde  ihm  Wahrheiten  ins  Ge- 
sicht schleudern,  wie  sie  noch  nie  ein  Baron  gehört  hat. 

KLEMENS  tritt  ein;  etwas  befremdet^  sehr  kühl  und  höflich. 
Oh,  Herr  Gilbert,  wenn  ich  nicht  irre  r 

GILBERT.  Jawohl,  Herr  Baron.  Auf  einer  Reise 
nach  dem  Süden  begriffen,  konnte  ich  mir  nicht  ver- 
sagen, der  gnädigen  Frau  meine  Aufwartung  zu  machen. 

KLEMENS.  Ach  so.  Pause.  Ich  scheine  eine  Unter- 
haltung unterbrochen  zu  haben,  was  mir  sehr  leid 
täte.    Ich  bitte,  sich  nicht  stören  zu  lassen. 

GILBERT.  Wovon  sprachen  wir  doch  eben, 
gnädige  Frau  ? 

KLEMENS.  Vielleicht  kann  ich  Ihrer  Erinnerung 
zu  Hilfe  kommen  ?  In  München  haben  Sie  wenigstens 
immer  von  Ihren  Büchern  gesprochen  .  .  . 

GILBERT.  Ah,  sehr  gut.  Ich  habe  tatsächlich  von 
meinem  neuen  Roman  .  .  . 

KLEMENS.  Bitte,  fahren  Sie  fort.  Man  kann  jetzt 
auch  mit  mir  über  Literatur  reden.  Nicht  wahr, 
Margarete  ?  —  Ist  es  ein  naturalistischer  Roman  ? 
ein  sjTTibolischer  ?  erlebt  ?  stilisiert  ? 

GILBERT.  Ach  Gott,  in  ge\\assem  Sinn  schreiben 
wir  ja  alle  nur  Selbsterlebtes. 

KLEMENS.    Ah,  das  ist  aber  interessant. 

GILBERT.    Selbst  wenn  einer  einen  Nero  schreibt, 

TIUiatcrstQcke.  II,  27,  ^IJ 


'so  ist  es  dazu  unumgänglich  notwendig,  daß  er  Rom 
innerlich  angezündet  hat  .  .  . 

KLEMENS.    NatürHch. 

GILBERT.  Woher  soll  man  schließlich  Inspi- 
rationen nehmen  als  aus  sich  selbst  ?  Woher  Modelle 
als  aus  dem  Leben  ringsum  ? 

MARGARETE   immer  unruhiger. 

KLEMENS.  Es  ist  nur  schade,  daß  die  Modelle 
selbst  so  selten  darum  gefragt  werden.  Ich  muß  schon 
sagen,  wenn  ich  eine  Frau  wäre,  ich  tat'  mich  bedanken, 
daß  man  den  Leuten  erzählt  .  .  .  Scharf.  In  anständiger 
Gesellschaft  nennt  man  das,  eine  Frau  kompromit- 
tieren ! 

GILBERT.  Ich  weiß  nicht,  ob  ich  mich  zur  an- 
ständigen Gesellschaft  rechnen  darf,  aber  ich  nenne 
das,  eine  Frau  adeln. 

KLEMENS.    Oh! 

GILBERT.  Das  Wesentliche  ist  nur,  ob's  einer  trifft! 
Denn  was  Hegt  in  höherm  Sinn  daran,  daß  man  von 
einer  Frau  weiß,  ob  sie  in  diesem  oder  jenem  Bett 
glücklich  gewesen  ist. 

KLEMENS.  Herr  Gilbert,  ich  mache  Sie  darauf 
aufmerksam,  daß  Sie  vor  einer  Dame  reden! 

GILBERT.  Ich  rede  vor  einer  Kameradin,  Herr 
Baron,  die  meine  Ansicht  über  diese  Dinge  teilen 
dürfte. 

KLEMENS.    Oh! 

MARGARETE  plötzlich.  Klemens!  Zu  seinen  Füßen. 
Klemens ! 

KLEMENS  betreten.    Aber  .  .  .  aber  Margarete!  .  .  . 

MARGARETE.    Verzeihung,  Klemens! 

KLEMENS.  Aber  Margarete.  Zu  Gilbert.  Es  ist 
mir  in  hohem  Grade  peinlich,  Herr  Gilbert  ...  So 
steh  doch  auf,  Margarete!  Steh  auf  —  es  ist  ja  schon 
alles  gut! 

MARGARETE  blickt  zu  ihm  auf. 

KLEMENS.    Ja.  —  Steh  auf. 

MARGARETE  steht  auf. 


418 


KLEMENS.  Es  ist  alles  gut,  es  ist  schon  in  Ordnung, 
Na  ja,  wenn  ich  dir  sag'.  Du  brauchst  nur  noch  ein 
Wort  an  Künigel  hin  zu  telephonieren.  Ich  hab'  schon 
alles  mit  ihm  ausgemacht.  Wir  lassen  ihn  einstampfen. 
Ist's  dir  recht  ? 

GILBERT.  Wen  lassen  die  Herrschaften  einstamp- 
fen, wenn  ich  fragen  darf  ?  Am  Ende  den  Roman  der 
gnädigen  Frau  ? 

KLEMENS.  Ach,  Sie  wissen  schon  ?  Jedenlalls 
scheint  es,  Herr  Gilbert,  daß  es  mit  der  Kamerad- 
schaft nicht  so  weit  her  ist. 

GILBERT.  Ja.  Es  bleibt  mir  wirklich  nichts 
anderes  übrig,  als  um  Entschuldigung  zu  bitten.  Ich 
bin  wahrhaft  beschämt. 

KLEMENS.  Ich  bedaure  sehr,  daß  Sie  einer  Szene 
beiwohnen  mußten,  Herr  Gilbert,  die  ich  beinah  schon 
eine  häusliche  nennen  möchte. 

GILBERT.  Oh!  —  Ich  will  auch  nicht  weiter  lästig 
fallen.  Gnädige  Frau  —  Herr  Baron  —  Darf  ich  mir 
nun  erlauben,  als  äußeres  Zeichen,  daß  jedes  Miß- 
verständnis zviäschen  uns  geschwunden,  als  schwachen 
Beweis  meiner  Sympatliie,  Ihnen,  Herr  Baron,  meinen 
Roman  zu  überreichen  ? 

KLEMENS.  Sie  sind  sehr  liebenswürdig,  Herr 
Gilbert.  Ich  muß  zwar  sagen  —  deutsche  Romane 
sind  nicht  mein  Faible.  Na,  das  ist  halt  der  letzte,  den 
ich  lesen  werde  —  oder  der  vorletzte  — 

MARGARETE,  GILBERT.    Der  vorletzte? 

KLEMENS.    Ja. 

MARGARETE.  Und  welcher  soll  denn  der  letzte 
sein  .  .  .  ? 

KLEMENS.  Deiner,  mein  Kind.  Zieht  ein  Exemplar 
aus  der  Tasche.  Ein  Exemplar  hab'  ich  mir  nämhch  von 
Künigel  ausgebeten,  um  es  dir  mitzubringen  —  oder 
vielmehr  —  uns  beiden. 

MARGARETE,    GILBERT  tauseben  ratlose  Blicke. 

MARGARETE.  Wie  gut  du  bist!  .  .  .  Den  Roman  in 
der  Hand.     Ja  .  .  .   er   ist's  ,  .  . 

•y  •  419 


KLEMENS.    Wir  wollen  ilin  zusammen  lesen. 

MARGARETE.  Nein  —  Klemens  .  .  .  nein,  ich 
nehme  soviel  Güte  nicht  an  —  da  —  Sie  wirft  das  Buch 
in  den  Kamin.    Ich  will  von  all  dem  nichts  mehr  wissen. 

GILBERT  hoch  erfreut.    Aber  gnädige  Frau! 

KLEMENS  zum  Kamin.  Margarete,  was  tust  du 
denn  —  ? 

MARGARETE  vor  dem  Kamin^  Klemens  in  ihren  Armen 
umfangend.    Glaubst  du  jetzt,   daß  ich  Dich  liebe  — 

GILBERT  sehr  vergnügt.  Es  scheint,  ich  bin  hier  voll- 
kommen überflüssig  .  .  .  Gnädige  Frau,  Herr  Baron  — 
für  sieb.   Daß  mir  der  Schluß  entgehen  mußte!  Ab. 

Vorbang. 


4.20 


BmumQ  SZCT.  FEB2  4  1972 


PT 

2638 

N5 

1914 

Abt.  2 

Bd. 2 

cop.2 


Schnitz 1er,   Arthur 
Gesammelte  V/erke 


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