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University of Toronto
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GESAMMELTE WERK
VON ARTHUR SCHNITZLE]
IN ZWEI ABTEILUNGEN
Erste Abteilung:
Die erzählenden Schriften
in drei Bänden
^ Zweite Abteilung:
Die Theaterstücke
in vier Bänden
S. FISCHER/VERLAG/BERLIN
41
(jIE THEATERSTÜCKE
i ON ARTHUR SCHNITZLER
ZWEITER BAND
1. FISCHER / VERLAG / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten. Den Bühnen und Vereinen gegen-
über Manuskript. Das Recht der Aufführung ist nur von
S. Fischer, Verlag, Berlin W, Bülotvstr. go zu erwerben.
n
(hcf.Z
t » n ■ *-
INHALT
Paracelsus (i8gy) g
Die Gefährtin (i8g8) ^g
Der grüne Kakadu (iSgS) 8i ^
Der Schleier der Beatrice (i8gg) . . . 12g
Lebendige Stunden:
1. Lebendige Stunden (igoi) .... 326 f^
2. Die Frau mit dem Dolche (igoo) . 343
3. Die letzten Masken (igoi) . . . J70 ^
4. Literatur (igoi) jpz
PARACELSUS
Versspei in einem Akt
PERSONEN
CTPRIAN, ein Waffenschmied
JUSTIN J, seine Gattin
CACILIA, seine Schwester
DOKTOR COPUS, Stadtarzt
ANSELM, ein Junker
THEOPHRASTUS BOMBASTUS HOHENHEIM,
genannt Paracelsus
Spielt zu Basel zum Beginn des i6. Jahrhunderts, an
einem schönen Junimorgen, im Hause des Cyprian.
Das zvohlgebaUene Zimmer bat zwei Türen, die eine links führt ins
Gemach Justinas, die andere rechts ins Vorgemach,
ERSTER JUFTRITT
JUSTIN A sitzt am Fenster^ mit einer Arbeit beschäftigt (Spinn-
rocken). CÄCILIA tritt ein.
JUSTINA
aufschauend ruhig.
Wie ? Schon zurück ?
CÄCILIA
Zu lärmend ist die Stadt.
Sie setzt sich.
Mich schmerzt der Kopf; ich mußte wieder heim.
Und wärst Du mit mir auf dem Markt gewesen.
Du wärst mit mir zurück.
JUSTINA
Warum ?
CÄCILIA
Weil dort
Ein solches Drängen und so wüstes Schrein,
Daß kein Vernünft'ger es ertragen kann.
JUSTINA
Gibt's was zu sehn ? Sind neue GauVler da ?
CÄCILIA
Hat's nicht die Magd erzählt?
JUSTINA
Die kam noch nicht.
CÄCILIA
Nun freilich; die kommt heute nicht nach Hause.
Ganz Basel, glaub' ich, ist dort festgebannt.
Hin strömen alle; alle bleiben stehn.
Als gäb's die größten Wunder dort zu schaun.
If
JUSTINA
Nun, was für Wunder, Du verwärrtes Ding!
CÄCILIA
's ist ein Quacksalber da — und das ist alles.
JUSTINA
Das ist nicht viel!
CÄCILIA
Ich sagt' es ja. Man hat
Derlei Gesellen hier genug gehabt.
Was finden sie an diesem just Besondres?
JUSTINA
Wird ein berühmter sein, ein weit gereister —
Hast du den Namen nicht gehört? —
CÄCILIA
Es schwirrten
Gar viel' um mich — doch ich vergaß sie alle.
Gottlob, daß ich daheim — mich schwindelt noch.
ZWEITER auftritt:
yUSTINA, CÄCILIA. DOKTOR COPUS tritt auf,
COPUS
Ich wünsche guten Morgen, werte Damen.
JUSTINA
Ihr kommt zur Zeit; lächelnd das Kind ist wieder krank.
COPUS
Dann ist's die Erste heut, die meiner wartet,
Die andern alle liefen mir davon.
JUSTINA
Wo sind sie?
12
COPUS
Wo sie sind — ? Nun, auf dem Markt!
Herr Paracelsus ist uns ja erschienen,
Was braucht man da den Doktor Copus noch!
CÄCILIA
Ja! Paracelsus hieß er!
JUSTINA
Paracelsus !
Der also ist's! Der hochberühmte Arzt!
COPUS
zornig.
Was sagt Ihr? — hochberühmt f
CÄCILIA
bfgütigtnd.
Sie meint's nicht so.
COPUS
Und „Arzt" — ? So, bitt' ich, nennt Quacksalber mich
und nennt mich unbekannt — wenn Paracelsus
Berühmt und Arzt!
CÄCILIA
fast ängstlich.
Was ist er denn?
COPUS
Ein Schwindler.
Und nun genug. — Bricht ab. Wie geht's Euch liebes
Fräulein ?
Fühlt Cäcilia den Puls. Ein bißchen rasch.
CÄCILIA
Ich hab' das Fieber, nicht?
COPUS
Habt Ihr das Pulver heute früh genommen?
13
CÄCILIA
Gewiß; wie Ihr's verordnet, Doktor Copus.
Und doch ist noch mein Puls zu schnell?
„Und doch!"
Wenn Ihr das Pulver nicht genommen hättet,
So ging' er doppelt rasch.
CÄCILIA
Soll ich noch eins
Heut nehmen?
CO?ll^
Eure Zunge, wenn's beliebt.
Cäcilie streckt die Zunge hervor.
COPUS
Nicht übel, Fräulein! Diese kann so bleiben.
CÄCILIA
Doch meinem Kopf geht's schlimmer als seit lang!
COPUS
ohne auf sie zu bören^ plötzlich toieder in Wut.
Und wißt Ihr, wer dort steht wie andres Volk?
JUSTINA
Wer denn ? — Und wo ? —
COPUS
Der Meister Cyprianus
Steht auf dem Markt und hört dem Schwindler zu.
JUSTINA
Mein Gatte?
COPUS
Er, der sonst dergleichen Volk,
Das heimatlos die Straßen zieht, verachtet,
Steht auf dem Markt — nein! auf den Stufen steht er,
H
Die zum Gerüst des Paracelsus führen.
Und hört und sieht und staunt und wird verrückt!
JUSTINA
Nun aber sagt doch, was so Wunderbares
An diesem Mann?
COPUS
Ich finde wunderbar
Nur eins: die große Frechheit, die er zeigt.
Ein Wort, das ich mit meinen Ohren hörte:
Mein Bart hat tiefere Gelehrsamkeit
Als sämtliche Doktoren und Skribenten.
JUS1INA
Ein Scherz — so klingt's! —
COPUS
Ja nehmt ihn nur in Schutz!
Er spottet Avicennas! höhnt Galen!
Begeifert alle, die vor ihm gewesen
Und unsre hohe Kunst so weit gebracht.
Der Schule lacht er, der er selbst entstammt.
Die Ärzte schmäht er und die Apotheker,
Und um den wackern Pöbel hinzureißen.
Was glaubt Ihr, daß der Unverschämte tut ? —
Die Arzeneien, die ihm Kranke brachten.
Die Tränke gießt er auf den Boden hin,
Die Flaschen schleudert er davon ins Weite,
Und bläst die Pulver einfach in die Luft
Und schreit dazu: Was einst Hippokrates
Und mehr als das, bin ich, bin Paracelsus!
Und Eure Ärzte sind beschränkte Tröpfe!
JUSTINA
Und Cyprianus steht dabei?
COPUS
Und lauscht!
Und unser halbes Basel steht und staunt.
IS
Und meine eigenen Patienten sah ich —
Die stehen dort und harren seines Rats!
CÄCILIA
Er ordiniert ?
COPUS
Oh, wollt Ihr etwa hin?
Jawohl! Er ordiniert! — Und glaubt Ihr's nicht,
Die Totenliste morgen wird's erweisen.
Ich aber sag' Euch lieber: Lebet wohl.
Aufs Rathaus geh' ich, lege meine Stelle
Zurück — und will des Lebens kargen Rest
Dem undankbaren Basel fern verbringen.
CÄCILIA
Herr Doktor! — und mein Kopf? Was soll ich tun?
COPUS
Ich will Euch zeigen, wie's der Schwindler macht.
JUSIINA
Ja, bitte; zeigt uns das.
CÄCILIA
An meinem Leiden
Wollt Ihr die Künste jenes Manns versuchen ?
COPUS
Wie, Fräulein, Ihr habt Kopfweh?
CÄCILIA
Ach, Ihr wißt's ja.
COPUS
Als Paracelsus Sprech' ich ja: gebt Acht!
Nun schaut mich an! Er fixiert sie, macht magnetisierende
Handbewegungen. Der Kopfschmerz ist verschwunden.
CÄCILIA
Ich hab' ihn noch — und stärker, als er war.
COPUS
So macht es jener: Alles ohne Pulver —
i6
Jnd schimpft dazu auf die: die's anders machen.
Jrid das ist seine vielgepriesne Kunst.
Jnd alles dies in Basel: faßt man's denn?
JUSTINA
ch denk', er treibt es allerorten so?
COPUS
jewiß; doch hier ist er vor dreizehn Jahren
^u seiner Meister Füßen noch gesessen,
Frithemius' Schüler war er! wißt Ihr's nicht!
JUS7INA
Frithemius' ? der im vor'gen Jahre starb.
I COPUS
|3ur rechten Zeit! Und in dieselbe Stadt,
Nach Wanderzügen durch die ganze Welt,
Durch Schweden, Preußen und die Tartarei
Von einem Ort zum andern ziehend — fliehend
Versteht mich wohl: er hatte Grund zu fliehen -
Kehrt in dieselbe Stadt zurück, die ihn
Das ABC der edlern Kunst gelehrt.
Die er vergessen, und die er verleugnet.
JUSTINA
So sagt mir doch: wer ist's? In Basel war er?
COPUS
Ihr habt ihn gut gekannt, als er noch einfach
Bombastus Theophrastus Hohenheim hieß —
JUSTINA
höchst erregt.
Wie sagt Ihr ? Theophrastus ...
COPUS
Hohenheim.
JUSTINA
Der ist's?
rhealeistücke. !I, a, ly
COPUS
Ja, der.
JUSTINA
Der große Paracelsus,
Hörst du, Cäcilia, ist Hohenheim,
Von dem ich dir erzählt.
CÄCILIA
Was hast du nur?
JUS1INA
Du hast ihn nicht gekannt — warst noch ein Kind —
Nun weiß ich, warum Cyprian ihm lauscht.
DRITTER AUFTRITT
JUNKER ANSELM tritt auf. CACJLIA, JUSTINA, COPUS.
ANSELM
Mein Klopfen hört man nicht — so bitt' ich um
Vergebung, daß ich ungemeldet eintrat.
— Ich störe f Ist der Meister nicht zugegen ?
JUSTINA
Noch nicht.
ANSELM
geziert^ aber liebenswürdig.
Wie geht's der allerschönsten Frau ?
Und wie dem lieblichsten der jungen Mädchen?
Und wie dem hochgelehrtesten der Männer?
CÄCILIA
Und wie dem unausstehlichsten der Junker ?
ANSELM
immer Justina betrachtend.
Dem geht's nicht gut — denn bald verlassen muß er
Die schönste Stadt und manches, das ihm teuer.
i3
CACILIA
'st's nur gewiß? — Schon oft verspracht Ihr das!
ANSELM
Der Vater ruft mich. Ich muß wieder heim.
3evor ich Blick auf Justina meiner Wünsche Ziel erreicht.
Denn noch ist Meister Thomas nicht zufrieden.
3ie Orgel spiel' ich schlecht; das Töne setzen
fVill nicht gelingen — und kein einz'ges Lied
■iab' ich vollendet, der soviel begann.
CACILIA
Der Grund ist einfach.
COPUS
Ihr seid noch so jung,
Die Musika ist eine schwere Kunst.
ANSELM
Dem, der nicht glücklich ist, fällt alles schwer.
CACILIA
Und einem, der durch alle Nächte zecht
Und Würfel spielt bis an den grauen Morgen,
Dem ist bei Tag noch nie was Rechts gelungen.
JUSTINA
vorwurfsvoll.
Cäcilia!
COPUS
Tut Ihr das ? Das ist nicht gut.
ANSELM
Habt Ihr ein Mittel gegen Gram der Seele?
COPUS
Die Würfel sind es nicht.
19
ANSELM
Auch nicht der Wein.
Doch beides macht vergessen — das ist gut.
COPUS
Ich bin nicht Euer Arzt — so muß ich schweigen.
CÄCILIA
Doch meiner seid Ihr — und noch immer, seht,
Schmerzt mich der Kopf, und ratlos steh' ich da.
COPUS
Verzeiht, mein Fräulein, gleich verschreib' ich Euch,
Was Euch in einer Stunde helfen soll.
CÄCILIA
Kommt auf mein Zimmer, Doktor.
COPUS
Mit Verlaub.
CopuSf Cäcilia ah.
VIERTER AUFTRITT
JUS-TINA, ANSELM.
ANSELM
Justina!
JUSTINA
Schweigt!
ANSELM
Heut fordert Ihr's vergeblich!
Daß ich die Stadt verlassen muß, ist wahr;
Wahr, daß ich heut zum letzten Mal Euch sehe,
Und sagen muß ich Euch —
JUSTINA
Ich will's nicht hören.
20
ANSELM
So schweig' ich — aber meine Stummheit redet.
JVS1INA
Ein jedes Wort von Euch beleidigt mich,
Und Eure Blicke kränken meine Würde.
ANSELM
Die Blicke, die zu einer Göttin aufschaun.
Die Worte, die aufsteigen, ein Gebet — ?
JUS7INA
Genug, sag' ich!
ANSELM
Ihr kennt mich nicht, Justina,
Ihr wißt nicht, was ich will — kaum, was ich bin.
Ich gelt' Euch als ein Stümper — oder Narr !
Das bin ich nicht! mehr bin ich, als Ihr ahnt.
Und was mir meines Geistes Kräfte lähmt,
Ist, das Ihr sie nicht kennt und sie verachtet.
Es könnte dieser Lippen Lächeln mich
Zum Künstler — ach — ein Kuß zum Meister bilden!
JUS7INA
bat ihre Fassung toieder^ ist kühl und scharf.
Holt Euch bei andern, was Euch schaffen lehrt.
Ich habe keine Küsse und kein Lächeln.
ANSELM
Die womdersamsten Lieder sang' ich dann
Zum Preise meiner vielgeliebten Herrin,
Und auf die Nachwelt kämen wir vereint.
JUSTINA
Die blühnde Jugend hat mich nie verführt —
Nun soll mich gar der Ruhm — ein Schatten, locken ?
Seht doch — Ihr habt ein Lächeln nur verlangt . . .
Ich geb' Euch mehr . . .
21
ANSELM
O sprecht!
JUSTINA
Ich lache laut. Lacht
ANSELM
In Wahnsinn treibt Ihr mich.
JUS1INA
Der Weg ist weit.
ANSELM
Und in den Tod . . .
JUS1INA
Wir müssen alle hin.
ANSELM
wirft sieb bin.
Zu Euren Füßen fleh' ich, kommt heut Abend
In Euren Garten — dort ein letztes Mal
Will ich auf Eure Hand die Lippen drücken.
Es wird uns niemand sehen. Übers Gitter
Steig' ich herein. . . Verschwiegen ist die Nacht.
Ich warte in der Laube . . .
JUS1INA
Ihr seid toll . . .
Steht auf. Mein Gatte kommt.
ANSELM
Was tut's? Sieht er
Mich auf den Knien vor Euch, so lacht er nur —
So wohlgemut spaziert er durch die Welt,
So sicher seines Weibs und so berauscht
Vom stolzen Glücke des Alleinbesitzens —
Ich aber sag' Euch: solcher Übermut...
JUSTINA
Steht auf — um Himmelswillen ' — hört Ihr nicht —
22
FÜNFTER JUFTRITT
INSELM, JUSTINA, CTPRIAN. Später PARACELSUS.
CTPRIAN
lächelnd über die Verlegenheit der beiden.
Mein guter Junker, seid Ihr wieder da ?
tANSELM
ch bin . . . ich wollte just •—
CTPRIAN
ohne seiner zu achten, zu Justina.
Mein liebes Kind,
Ich bring' heut einen wunderlichen Gast,
Mit dem wir unsre Kurzweil haben werden.
fusiina erschrickt leicht.
Mein guter Paracelsus, tretet ein.
Paracelsus erscheint an der Tür.
Ein einfach bürgerliches Haus — doch denk' ich,
Wenn man gewohnt, im Frein zu übernachten.
So kann sich's sehen lassen.
PARACELSUS
Werter Meister,
Nicht ganz verächtlich ist des Himmels Dach.
CTPRIAN
auf Anselm weisend.
Das ist Anselm, ein Junker, der in Basel
Das Orgelspielen .... nicht wahr. Orgelspielen ?
ANSELM
Jawohl das Orgelspielen will ich lernen.
CTPRIAN
sich erinnernd.
Bei Meister Thomas . . . freilich . . . Seinem Vater
Hab' ich ein herrlich Waffenzeug geliefert,
Als er mit einer Reiterschar hier durchzog.
Kopfschüttelnd. Der Vater Krieger . . . Musikus der Sohn.
23
ANSELM
Zum Zeitvertreib.
CTPRIAN
Nun, ja. Zu Paracelsus. Und nun, mein Guter,
Seid uns willkommen. Sollt nach langer Zeit
In ehrlicher Gemeinschaft eine Stunde
Bei einem Becher guten Weins verbringen.
PARACELSUS
Und kennt mich Eure schöne Gattin noch?
JUSTINA
Gevi^iß ich kenn' Euch —
PARACELSUS
blickt sie lange an.
CTPRIAN
Nun, für seine Jahre
Sieht er verwittert aus! Was sagst du nur,
Der Mann, um den Geheimnis webt und Dunkel,
Der Ruhelose, dem die wilde Fabel
Vorauseilt wie ein tollgewordner Herold,
Der Hexenmeister ist der Hohenheim,
Den wir als frommen Studiosus kannten.
PARACELSUS
Ich bin kein Hexenmeister, edle Frau.
Ich bin ein Arzt, nur klüger als die andern.
CTPRIAN
Was Ärzte sind, das wässen wir, mein Guter,
Die treiben solche Schwanke nicht wie Ihr.
Doch was Ihr immer seid, Ihr macht mir Spaß,
Und da Ihr über meine Schwelle tratet.
Seid Ihr mein Gast — woher Ihr kommen mögt.
Auch freut mich, daß ich stets Euch recht erkannt.
Schon als vor Jahren Ihr in Basel weiltet,
Der Alchymie beflissen bei Trithem,
24
Und vor gewissen Fenstern nächtlich schwärmtet —
Ich wußte stets: aus Euch wird nie was Rechts!
Mädchen kommt mit Wein; tcie sie hergerichtet, gebt sie wieder;
Justina macht sich ein tcenig an dem Tisch zu schajjen. ParaceUus
schaut Anselm scharf an,
PARACELSUS
Ihr findet? —
CTPRIAN
Aber dieses ist mein Spruch:
Ein jeder lebe, wie's ihn freuen mag!
Wo wäre das Verdienst, am eignen Herd,
Dem Hause nützend wie dem Allgemeinen,
Sein ehrhch Handwerk treiben als ein Bürger,
Gäb's andre nicht, die's in die Ferne lockt,
Als fahrende Gesellen hinzuziehen.
Zu Zeiten seh' ich solche Käuze gern,
Die den Geruch von weiten Fahrten bringen.
Denn: gehn sie wieder, ist man dreifach froh.
Daß man sein Heim, sein Weib hat und sein Handwerk.
JUSTINA
Noch immer steht dein Gast.
CTPRIAN
Setzt Euch doch nieder
Und Ihr, mein lieber Junker —
ANSELM
Mich entschuldigt.
Ich muß jetzt fort, denn abends reis' ich ab.
CTPRIAN
Was sagt Ihr?
ANSELM
Ja; mein Vater ruft und drängt.
Noch manches hegt mir ob, bevor ich reise.
Ich komme mittags. Euch Lebwohl zu sagen.
Im Abgehen. Nicht länger könnt' ich diesen Blick ertragen.
Ab.
25
SECHSTER JUFTRITT
CTPRIAN, yUSTINA, PARACELSUS.
CTPRIAN
Was ist dem Junker ?
JUS1INA
verlegen.
Weiß nicht.
CTPRIAN
lachend.
Aber ich!
Was gilt's, daß er von Liebe dir gesprochen.
JUS1INA
Nicht doch.
CTPRIAN
Und daß du dich erzürnt —
JUSTINA
Nein — nein.
CTPRIAN
Und ihn mit rauhen Worten heimgeschickt?
JUSTINA
Was fällt dir ein?
CTPRIAN
lachend.
Ich hoffe, daß du's tatest.
JUSTINA
Gewiß, ich hätt's getan.
CTPRIAN
Sieh, wie sie rot wird
PARACELSUS
Und so verwirrt, als wäre Schönheit Schuld
26
JUST INJ
fast in Tränen.
Ich bitt' Euch sehr . . .
Ich seh's.
CT P RUN
zu Paracelsus,
Ihr seht, sie ist wie einst.
PARACELSUS
mit Bedeutung.
CTPRIAN
scherzend.
Und schämt sich ihrer stummen Macht,
Die jeder fühlen muß, der sich ihr naht.
Ihr wißt ja auch ein Lied davon zu singen,
JUS1INA
flehend.
Ich bitte dich!
PARACELSUS
Scheut Ihr Erinnerung?
Man kann Ihr besser nicht die Schauer nehmen,
Als wenn man sie zum Leben wieder weckt.
CrPRIAN
Wen schauert hier ? Vergangnes ist vergangen.
Zum Gatten nahm sie mich, nicht Euch, und preist
Alltäglich ihren Gott für diese Wahl.
Mein ist dies Haus, wie's meines Vaters war,
Und meiner Ahnen seit dreihundert Jahren.
Sein Wohlstand wächst durch Arbeit und durch Fleiß.
Ja — seht mich an, mein Lieber, dieser Arm,
Der, wie bekannt, ein gutes Schwert zu schmieden'
Und, wenn's dazukommt, auch zu schwingen weiß,
Ist wohl dazu gemacht, ein Weib zu schirmen.
Das ist es, was die Frau verlangt, und drum
Gewann ich sie, und drum kann ich sie halten.
Zu fürchten hab' ich nichts .... Erinnrung nicht
27
Und keine Schwärmerei. Vom Gegenwärt'gen
Umschlossen und gebändigt ist das Weib.
Geöffnet ist mein Tor . . . ich fürchte niemand.
PARACELSUS
Ich wünschte dieses Wort so wahr als stolz.
CrPRIAN
Ich schenk' Euch diesen Wunsch — er ist erfüllt.
SIEBENTER AUFTRITT
JÜSTINA, Cl'PRIAN, PARACELSUS. CACILIA tritt ein.
Wie sie Paracelsus siebt^ will sie weg,
CrPRIAN
Bleib doch! Das ist Cäcilia.
PARACESLUS
Eure Schwester!
CrPRIAN
Sie war ein Kind, als Ihr die Stadt verUeßet.
Cäcilia, dies hier ist ein Wunderdoktor.
CACILIA
Ich sah Euch schon ....
CTPRIAN
Wie war' es, Paracelsus,
Wenn Ihr an dieser Eure Kunst versuchtet?
CÄCILIA
Wie . . . , was ?
CTPRIAN
Bleib nur bei uns. Ich wette
Der Mann mit seinem Zaubern kann dich heilen,
PARACELSUS
Was sagt Ihr? „Zaubern"?
28
CTPRIAN
Wie kann ich anders,
Was ich heut auf dem Markt gesehn, bezeichnen ?
JUSTINA
Nun aber möcht ich selbst am Ende wissen,
Was Ihr vermögt.
CTPRIAN
Jetzt findet sie die Sprache,
Verwundrung nahm sie — Neugier bringt sie wieder.
Herablassend. Von allen Gauklern, die sich hier gezeigt,
Ist er's, der seine Sach' am besten trifft.
Ich liebe sonst dergleichen nicht besonders;
Das Feuerfressen wie das Pillendrehen,
Quacksalberei, Goldmachen und Komödie
Ist nicht mein Fall, Ihr seid doch alle Lumpen.
PARACELSUS
Schon möghch. Ratsherrn sind wir sicher nicht.
CTPRIAN
Der Witz ist kühn, doch sei er Euch vergeben,
Da ich in guter Laune heute bin,
Und weil Ihr mehr könnt, als die andern können.
Man merkt, Ihr habt vor Zeiten was gelernt,
Und unter all dem Schwindel, den Ihr treibt,
Blitzt immer etwas wie Gelahrtheit auf.
PARACELSUS'
böbniscb,
Ihr scherzt!
CTPRIAN
Hört, Kinder, was er aufgeführt.
PARACELSUS
Laßt doch ....
CTPRIAN
Nur, was mir eben einfällt. Zu Justma
und Cäcilia. Ihr kennt die Frau des Schmieds ?
29
CACILIA
Die ganz gelähmt ist?
CTPRIAN
Seit heute morgen regt sie Arm und Beine,
Und was der andern A'Iühe nie geglückt,
In einem Augenblick gelang es diesem.
CACILIA
Ist's möglich?
CTPRIAN
Und es kommt noch sonderbarer.
Kennst du das Töchterlein des Drechslermeisters ?
JUSTINA
Die plötzlich stumm ward im vergangnen Winter ?
CrPRIAN
Sie redet wieder, seit es Der befahl.
JUSIINA
Wie ist dies alles mögHch?
CTPRIAN
Hexerei !
Und höchst erstaunt hab' ich mich schon gefragt,
Wie Ihr bis heut dem Feuertod entgingt.
,PARAC£LSUS
Geduld, verehrter Meister, Zeit bringt Rat,
CTPRIAN
Doch was am allermeisten mich verblüfft,
Das war, was mit Aledardus Ihr verübtet.
Erklärend. In Schlummer ließ er diesen Jüngling sinken
Durch seiner Augen Macht.
CACILIA
Durch Eurex Augen?
30
CTPRIAN
Dann sagt' er ihm — wir alle konnten's hören — :
Von einer weiten Reise kommt Ihr heim,
Durch fremde Länder, wo Ihr viel erfahren —
Erzählt uns doch davon.
JUS'TINA
Und der?
CTPRIAN
Erzählte!
JUSTINA
Von Menschen, Dingen, die er nie gesehn ?
CTPRIAN
Von Abenteuern, die er nie bestand.
JUS1INA
Und glaubte dran ?
PARACELSUS
Nicht länger, als ich wollte.
Ich löschte diese Träume wieder aus,
Und was er uns erzählt, weiß er nicht mehr.
CTPRIAN
Und nur Ihr selbst könnt nehmen, was Ihr gabt?
PARACELSUS
Gewiß !
CTPRIAN
Und hättet Ihr ihn nicht befreit
Von diesen Träumen, die Ihr selbst ihm schuft ?
PARACELSUS
Zeitlebens würd' er schwören, daß es wahr.
Steht auf; plötzlich in anderem^ fast pathetischem Ten.
So viel vermag ich! Wer vermag so viel?
Ich kann das Schicksal sein, wenn's mir beliebt!
31
CrPRIAN
Mein Bester, solches wirkt nur auf dem Markt.
Hier laßt die großen Worte, wenn's beliebt.
Das Schicksal kommt von Gott, nicht von denZaubrern,
Und was Ihr schafft, ist Wahn — doch keine Wahrheit.
PARACELSUS
Mehr als die Wahrheit, die da war und sein wird,
Ist Wahn, der ist . . . der Augenblick regiert!
Vermöchtet Ihr gelebte Jahre gleich
Beschriebnen Blättern vor Euch aufzurollen,
Ihr würdet kaum ein Blatt zu deuten wissen.
Denn das Gedächtnis trügt fast wie die Hoffnung —
Geheimnis alles . . . Der Moment von früher
Wie jeder nächste! Nur der Augenblick
Ist unser — und der flattert schon davon.
Bedenkt dies Eine nur: daß jede Nacht
Uns zwingt hinabzusteigen in ein Fremdes,
Entledigt unsrer Kraft und unsres Reichtums,
Und alles Lebens Fülle und Verdienst
Von weit geringrer Macht sind als die Träume,
Die unserm willenlosen Schlaf begegnen.
CTPRIAN
Auch ich hab' manchen Alpdruck schon verspürt;
Jedoch was tut's, man wacht ja wieder auf.
Die Sonne kommt, der gute Lärm des Tags,
Man lacht des Traums und geht an seine Arbeit.
Nur einer, der ins Leere strebt wie Ihr,
Kann sich von einem Traum beirren lassen.
Für unsereins, die wissen, was sie wollen,
Ist Schicksal nur, was sich im Hellen zeigt.
Und nicht verweht, wenn wir die Augen öffnen.
Ja! Euresgleichen möchte freilich gern
Die Grenzen löschen zwischen Tag und Nacht
Und uns in Dämmerschein und Zweifel stellen.
Gott sei's gedankt! 's gibt manches, das gewiß ist:
Ein Mann wie ich steht stets auf festen^ Grunde,
32
Hält sicher, was er hat, ist fromm und staik.
Glaubt mir, wir fürchten Euresgleichen nicht.
PARACELSUS
Es wird auch nicht verlangt. — Doch wolltet Ihr,
Daß ich des werten Fräuleins Krankheit heile.
CrPRIAN
Ganz recht.
CÄCILIA
Ich bin gesund . . . auch hab' ich einen Arzt.
CTPRIAN
Laßt von Justinen Euch erzählen, der
Vertraut sie mehr als mir.
JUS7INA
Sie ist verdrießlich.
Fast melancholisch.
CÄCILIA
Nein.
JUSIINA
Zuweilen seufzt sie.
Auch Tränen sah ich schon in ihren Augen.
PARACELSUS
Und niemand weiß, warum ?
CÄCILIA
Ich weine nie.
PARACELSUS
Mein edles Fräulein — fragen will ich nichts.
Die Gründe Eures Kummers nicht erforschen.
Ich kann Euch alle Eure Schmerzen nehmen,
Auch ohne daß ihr mir die Ursach' nennt.
CÄCILIA
Nein, nein —
Tbeaterstiick«. II, 3. %%
CTPRIAN
Ich denke doch, das läßt sich hören.
PARACELSUS
Oft sind die Fragen eines Arztes lästig,
Ich spar' Euch das und mach' Euch doch gesund.
CÄCILIA
Und nehmt mir alles Leid?
PARACELSUS
Das will ich tun.
CÄCILIA
Und bin dann völlig frei?
PARACELSUS
Von aller Qual.
CÄCILIA
Und bin vergnügt ?
PARACELSUS
Und lacht den ganzen Tag
Und faßt nicht, daß Ihr je bekümmert wart.
CÄCILIA
Nein, nein, ich vnll nicht lachen und vergnügt sein.
CTPRIAN
Da seh' doch einer diese Närrin an,
Ist Lachen doch der beste Segen Gottes!
PARACELSUS
Gefällt's dem Fräulein nicht, so lassen wir's
Etwa bei stiller Heiterkeit bewenden.
CÄCILIA
Ich will nicht heiter sein.
34
CTPRIAN
Du willst es nicht ?
JUSTINA
Was willst du nur?
CÄCILIA
Man lasse mich in Frieden.
PARACELSUS
Es scheint, das Leid, mein Kind, das Euch bedrückt,
Ist so durchtränkt ron einem jungen Glück,
Daß Ihr nicht um die Welt es missen möchtet.
Mein Rat ist drum: bewahrt es treu im Herzen.
Cäcilia läuft ab,
ACHTER JUFTRITT
JUSTINJ, CTPRIANy PARACELSUS.
CTPRIAN
Nun, ich muß sagen, Ihr macht's Euch bequem!
Es scheint, der Zauberstab ist nicht zur Hand,
Und Eure Kunst versagt in meinem Haus.
PARACELSUS
Ich meinte lieber, daß sie sich erwiesen.
CTPRIAN
Vielleicht auch, daß das Heien auf dem Markt
Wohl einstudiert war mit den Raschgeheilten.
Und was nun gar Medardus anbetrifft,
Der war für ein paar Groschen Euch zu Diensten.
PARACELSUS
Mag sein.
CTPRIAN
Ihr nennt Euch Arzt ? ! — Landstreicher seid ihr,
Wie andre auch, dem ab und zu was glückt.
35
PARACELSUS
Somit nicht würdig Eurer Gastlichkeit.
Lebt wohl.
CTPRIAN
Oh nein! so leicht entkommt Ihr nicht.
JUSTINA
Ihr seht, mein Gatte spaßt — Ihr bleibt willkommen!
CTPRIAN
Gewiß! auf seine Art ist's jeder Gast.
Doch hat man solchen sich ins Haus geladen,
So zeig' er, was er kann. Die Fiedelleute,
Die ich zuweilen hier im Hause habe,
Die spielen auf — sonst ließ' ich sie nicht ein.
PARACELSUS
*s ist wahr. Noch hab' ich diesen Trunk mir nicht ver-
dient.
Er tritt plötzlich vor Justina hin.
JUSTINA
Wj« wollt ihr ? . . . . Sit will sieb irhehen und kann nicht.
CTPRIAN
Nun?
JUSTINA
Ich will ....
PARACELSUS
Ihr könnt nicht aufstehn.
CTPRIAN
Ist's wahr'
PARACELSUS
Habt keine Furcht, Justina. Schwer
Sind Euch die Augenlider; fallen zu.
Ihr wollt sie öffnen, könnt's nicht mehr. Ihr seid
36
So müd' — so müd' — sehr müd'. Der Schlummer
kommt,
Die Sinne schwinden Euch. Ihr schlummert schon.
In beinaht btschtvörendem Tone. Ganz tief . . . Sehr tief . . .
SO tief . . . Ihr schlaft, Ihr träumt.
Sie schlummert ein. — Groß* Pause.
CTPRIAN
Vortrefflich. Ja. Nun aber laßt sie träumen.
PARACELSUS
Das werd' ich tun. Und will mit leisen Worten
Ein ganzes Schicksal ihr erstehen lassen.
Ich nenn' es so, Ihr nennt es einen Traum —
Seid Ihr zufrieden?
CTPRIAN
Ich bin höchst gespannt.
Wie schade, daß ich nicht die Nachbarn rief,
Doch könnt' ich noch ....
PARACELSUS
Laßt nur, die würden stören.
Er beugt sieb %u ihr.
CTPRIAN
Was macht Ihr nun, darf ich's nicht hören?
PARACELSUS
Nein.
Ich will Euch gänzlich in Erstaunen sehn.
Leert diesen Becher — solang habt Geduld.
CTPRIAN
Doch länger nicht! Er trinkt.
PARACELSUS flüstert Justina etwas int Ohr, die Stellung der
Beiden so^ daß man teeder sein, noch ihr Gesiebt siebt,
PARACELSUS
während Cyprian noch trinkt.
Ich bin zu Ende.
37
CTPRIAN
stellt den Becher bin.
Nun?
PARACELSUS
Wacht auf! Justina, wach!
CTPRIAN
Justina!
PARACELSUS
stark.
Wach!
JUSTINA siebt leide starr an, zuletzt Cyprian, scbreit auf und
läuft davon, in ihre Kammer, die sie von innen zuriegelt.
CTPRIAN
ist zuerst sprachlos.
Justina! zu Paracelsus Was soll dies bedeuten, sprecht!
Was tatet Ihr i .... zur Tür Justina! zu Paracelsus
FHeht sie mich?
Was war's, das Ihr ihr zugeflüstert habt?
PARACELSUS
Beruhigt Euch, das alles ist ein Spiel!
Auch liebt sie Euch so sehr als je.
CTPRIAN
Warum
Entfloh sie? Und mit solchem Blick! — Justina!
PARACELSUS
Verweilt! Sie liebt Euch, doch die Reue quält —
CTPRIAN
Die Reue ?
PARACELSUS
Ja.
CTPRIAN
Erklärt Euch, v/enn's beliebt.
3«
PARACELSUS
Nach kurzfr Pause.
Ein hübscher Bursch, der eben Euch verließ —
CTPRIAN
Ein hübscher . . . wer ?
PARACELSUS
Anseimus hieß er wohl.
CTPRIAN
Was ist's mit dem ?
PARACELSUS
Was oft mit Junkern ist.
CTPRIAN
Sie träumt vielleicht, daß sie den Junker Hebt — ?
Ein schlechter Scherz, fürwahr!
PARACELSUS
Was fällt Euch ein. —
CTPRIAN
Nun also? Warum flieht sie? Sagt es endlich!
PARACELSUS
Nun, weil sie träumt — indes — was kümmert's Euch!
CTPRIAN
Sagt's mir; ich will es wissen.
PARACELSUS
Nun, sie träumt,
Daß sie in Anselms Armen einmal ruhte.
CTPRIAN
Daß sie —
PARACELSUS
— dem Junker angehörte, ganz wie Euch.
39
CTPRIAN
Ihr habt ihr diesen Wahn gegeben!
PARACELSUS
Ja.
CYPRIAN
Der Scherz ist — macht ihn ungeschehn — zur Tür
Justina! Sehr unruhig.
PARACELSUS
Ein Traum, mein Bester — was bedeutet's weiter —
Ihr wißt es besser — und Ihr seid das Leben.
CTPRIAN
Ihr hättet andre Proben wählen können
Von Eurer Kunst. Seht, wie Ihr sie gemartert.
Befreit sie schleunigst von dem bösen Traum.
PARACELSUS
Warum denn böse? Er ist süß vielleicht!
CTPRIAN
Ihr seid ein Unverschämter! Hör', Justina! An der Tür
Sie hat die Kammertür versperrt.
PARACELSUS
Lebt wohl!
CTPRIAN
Ihr seid wohl nicht bei Sinnen. Hier geblieben,
Verdammter Gaukler, und den Spaß beendet!
Es ist genug.
PARACELSUS
heftig.
Nein, es ist nicht genug!
Behaltet nur Justina, wie sie ist,
Unschuldig und doch schuldig, da sie's glaubt;
Keusch — und doch unkeusch, da sie in den Sinnen
40
Von wilden Gluten die Erinnrung trägt.
So bss' ich Euer treues Weib Euch da.
CTPRIAN
Ihr seid verrückt und sollt mir wahrlich büßen,
Daß Ihr mit mir, dem Meister Cyprian,
Solch frechen Scherz zu treiben wagt.
PARACELSUS
Ein Scherz — ! ?
Von neuem immer, seh' ich solche Frauen,
Geschaffen, hoher Menschen Glück zu sein,
An einen Gauch, wie Ihr seid, weggeworfen.
Erbittert mich aufs Neu! Und nun gar die.
Die einst von Paracelsus ward gehebt,
Und die man — wohlberaten — Euch gegeben,
Als war' ein Mädchenlos damit erfüllt —
CrPRIAN
Ja, mir; nicht einem Habenichts wie Euch!
Dergleichen Mädchen sind für unsereinen!
PARACELSUS
Ich weiß, sie sind für Euch, doch weiß ich auch,
Ein Tag mit mir erfüllte tiefre Sehnsucht,
Als fünfzig Jahr' mit einem Mann wie Ihr.
CTPRIAN
Was prahlt Ihr so ? — So glücklich, als ein Weib
Nur sein kann, ist sie nun seit dreizehn Jahren
An meiner Seite.
PARACELSUS
Seid Ihr de« gewiß ?
Weil's Euresgleichen angeborne Gabe,
Des Lichts Geschöpfe, die sich Euch genaht.
In Euren Kreis dumpf kläglichen Behagens
Herabzuziehen — r glaubt Ihr, hier sei ihr Heim ?
Zu Gast ist sie bei Euch — so gut wie ich.
4»
Verschwendet seh' ich zuviel Lieblichkeit
An eine satte Frechheit, die sich brüstet.
Das ist ein Unrecht wider die Natur —
Und ich versuch's zu bessern, wie es geht.
CTPRIAN
wütend.
Wenn Ihr das wirklich glaubt, verruchter Mensch,
Warum nicht zwingt ihr sie, mit Euch zu gehn,
Da Ihr sie jetzt in Eure Macht gebannt — i
PARACELSUS
Ich bin kein Räuber! Ihr versteht mich schlecht.
Euch nehmen wollt' ich sie, doch keinem geben.
Rein soll sie bleiben — nur für Euch beschmutzt.
Somit .... lebt wohl.
CTPRIAN
Ihr werdet unverzüglich
Dem Spuk ein Ende machen.
PARACELSUS
Nein . . . lebt wohl.
CTPRIAN
Ihr bleibt.
PARACELSUS
Wer kann es mir gebieten?
CTPRIAN
Ich.
Gefangen nehmen lass' ich Euch, des Hexens
Klag' ich Euch an.
PARACELSUS
So tut's. Ich habe Zeit.
CTPRIAN
Man wird Euch in den tiefsten Kerker v/erfen.
42
PARACELSUS
Ich werde schweigen, und der Traum Justinens
Wird ewig währen.
CrPRIAN
Foltern wird man Euch.
Man wird Euch töten!
PARACELSUS
Und die letzte Hoffnung,
Daß jeiier Traum je enden kann, mit mir; —
Denn keiner lebt, der sie davon befreit.
CTPRIAN
Wahnsinniger! — Justina, komm . . . Justina,
Hörst du mich nicht ?
JUS1INA
von drinnen.
O Gnade!
CTPRIAN
Riegle auf!
Justina ! Er zieht das Schwert^ zertrümmert die Tür, zerrt Jintina
heraus^ die ihr Antlitz verbirgt.
yUSTINA
sinkt auf die Knie,
Gnade!
CTPRIAN
Fürchte nichts, mein Weib!
JUSTINA '
Ich v/eiß ja, du bist gut!
CTPRIAN
Unschuldig bist du.
JUSTINA
üh, höhne nicht!
43
CrPRIAN
Du träumst. Unschuldig bist du!
JUS7INA
Oh, war* es wahr! Nun schaudr' ich selbst vor mir.
In seinen Armen seh' ich mich und fühle
Die Küsse glühn auf Hals und Lipp' und Wange —
CTPRIAN
Es ist nicht wahr! Der Zaubrer —
JUS1INA
Ja, ihm dankst du,
Daß du die Wahrheit weißt.
CTPRIAN
Es ist nicht wahr!
Noch einmal wend' ich mich an Euch — ich weiß —
Beleidigt hab' ich Euch, verdammter Lump,
Und tu' es noch — ich glaub' an Eure Macht,
Ihr seht, ich muß dran glauben — aber nun
Laßt es genug sein! Endet diese Qual.
Ich lass' Euch ledig ziehn — noch mehr — ich rühme
Allorten Eure ganz besondre Kunst,
Nur fügt es, endlich, daß mein Weib erwacht!
JUSTINA
Ich bin ja wach. Wie sonderbar du sprichst —
Um Himmelswillen! Wenn dir meine Schuld
Die Sinne trübte — Paracelsus, helft!
CTPRIAN
Nun flehst du ihn an, daß er mich —
yUSTINA
Verzeihe!
O Cyprian, verzeih! 's ist ja vorbei.
Ich will dir nun die beste Gattin sein —
Ein Augenblick der Schwäche ist's gewesen,
44
Er wird nicht wiederkommen, sei gewiß.
Doch damals schien der Mond so seltsam hell. —
Der Duft von unsern Fliederbüschen wehte,
Und ich war ganz allein im Gartenhaus.
Nur weiter
So wird es gut.
PJRJCELSUS
CTPRIAN
Schweig !
JUSTINA
Laß alles dir erzählen!
CTPRIAN
Ich will's nicht hören!
PARACELSUS
Laßt sie!
Wer weiß, was Ihr erfahrt!
Cyprian ist sehr betreten.
yUSTINA
Ich war allein
Im Gartenhaus — und du gingst in die Schenke.
PARACELSUS
Habt ihr das nie getan?
CTPRIAN
Wer tat das nie?
JUSTINA
Und da kam er — und nahm mich bei der Hand
Und küßte mich — und sprach so heiße Worte —
Und dann ^ und dann — oh Cyprian, verzeih!
CTPRIAN
Es gibt nichts zu verzeihn! Du träumst!
45
PARACELSUS
mit Bedeutung
CTPRIAN
Ihr wißt's — wie ich!
Wer weiß r
PARACELSUS
Ist sie nicht eine Frau ?
Anselm kein Mann — ? Und gibt's kein Gartenhaus ?
CTPRIAN
tief erschrocken
Ihr — sagt —
PARACELSUS
Und wenn es doch die Wahrheit wäre,
Die ich nur aufgerüttelt ihr im Herzen?
CTPRIAN
Ihr gabt ihr doch den Wahn — und zweifelt selbst!
PARACELSUS
Ich bin ein Zaubrer nur — sie ist ein Weib!
CTPRIAN
Ihr macht mich toll —
PARACELSUS
Wer gibt uns jemals an,
Ob dies, wovon sie träumt, nicht auch erlebt ward?
CTPRIAN
Ihr glaubt — Justina — Er eilt zu ihr.
PARACELSUS
für sieb.
Schlägt mir überm Haupt
Des eignen Zaubers Schwall mit Hohn zusammen ?
Und wirren sich die Grenzen selbst für mich — ?
46
NEUNTER AU FT RH T
CTPRIAN, JUST IN Ai PARACELSUS. ANSELM kommt.
JUSTIN A schreit auf. ANSELM erschrickt, sieht alle an; Cyprian
und Paracelsus beobachten ihn; Pause — er will auf Justina zu,
CTPRIAN
vor Anselm hintretend.
Sie hat gestanden —
ANSELM
— Was?
PARACELSUS
Wie er erschrickt.
JUS1INA
Mir aus den Augen!
ANSELM
Was hab' ich verschuldet ?
CTPRIAN
Gestanden hat sie. Hütet Euch zu leugnen.
ANSELM
Justina !
JUSTINA
Geht! ich will Euch nicht mehr sehn,
Den Frieden meiner Seele nahmt Ihr mir,
Habt unsres Hauses Glück zerstört für immer,
Für kurze Seligkeit zu viel vernichtet!
Wie brennt vor Scham die Seele mir, daß ich
Das Opfer Eurer kecken Jugend ward
Und meiner unbewachten Sinne. Weh mir
Daß jemals ich das Gartenhaus betreten!
ANSELM
erschrickt.
Um Gotteswillen, schweigt, Ihr redet irr!
47
CTPRIAN
zieht das ScbwerU
Gesteht!
JUS1INA
Gesteht !
PARACELSUS
Gesteht!
ANSELM
Nichts hab' ich zu gestehn.
CTPRIAN
Hat Euer feiges Herz nicht mehr an Kühnheit,
Als hinreicht, einem Weibe sich zu nahn?
ANSELM
Justina! . . . Diese Rache war nicht schön!
CTPRIAN
Wie ? ! Rache nennt Ihr, daß sie reuig ist ?
Elender!
ANSELM
mit edler Haltung.
Eurem Schwerte stell' ich mich
Zu jeder Frist, doch laßt rorerst mich sagen,
Daß meine Schuld gering. Nicht mehr verbrach ich,
Als daß ich Eure schöne Gattin liebte.
Und daß ich's wagte, ihr davon zu reden.
CTPRIAN
Und weiter — weiter!
ANSELM
Dies ist alles!
JUS7INA
Nein.
Er will mich schonen . . . Oh begreift doch endlich,
48
Daß alles dies vergeblich, da ich selbst
In tiefster Reue dem Gemahl gestand.
ANSELM
plötzlich zu Paracehus.
Verdammter Hexenmeister, das seid Ihr!
CTPRIA^
Laßt mir den Mann in Ruh' ! Ihm dank ich viel,
Er brachte Wahrheit in dies Haus der Lügen,
Er ist mein Freund, ihm bitt' ich alles ab.
PARACELSUS
Gemach! Wie ein Gewirr von Edelsteinen,
Die einen falsch, die andern echt, so liegt
Der letzten Stunde Fülle ausgebreitet.
Was zu verwerfen ist, und was Gewinn,
Ich weiß es jetzt so wenig — als ihr selbst.
Und wahrlich! mehr für mich, als Euch zuliebe,
Will ich die Wirrnis lösen, die ich schuf.
Justina! schlummert ein!
ANSELM
Wo bin ich denn?
PARACELSUS
stark.
Schlaft ein!
CrPRIAN
Was wollt Ihr?
PARACELSUS
Tief schlaft ein, Justina,
Sehr tief . . . ganz tief . . . schlaft ein .... so ist es gut !
Justina ist regungslos auf den Sessel gesunken,
Justina, hört Ihr mich?
JUSTINA
scblafend.
Ich höre Euch.
TbeateistUcke. U. 4. 4.9
PARACELSUS
So merkt wohl auf! Vergessen habt Ihr alles
Von jenem Augenblick, da ich zuerst
In Schlaf Euch senkte, bis zum nächsten, da ich
Euch wach sein heiße — diese letzte Stunde
Jag' ich aus Eurem Sinn — als nie erlebt!
Und nun —
CTPRIAN
Was nun? Was nützt uns alles dies,
Wenn sie erwacht, und diese Stunde schwindet
Aus dem Gedächtnis ihr ? Was weiß ich dann ?
Wenn sie im Traum vielleicht die Wahrheit sprach!
PARACELSUS
Da schaff ich Rat. — Merkt auf, Justina: Eins
Gebiet' ich Euch: Seid wahr, wenn Ihr erwacht,
Wahr, wie Ihr nie gewesen — seid so wahr,
Nein! wahrer als Ihr pflegt gen Euch zu sein,
So daß wie klare Flut im Sonnenglanz
Die Seele daliegt, bis zum Grunde leuchtend —
Bis Euch der Abend dieses reichen Tages
Von diesem letzten Zauberspruch erlöst.
CTPRIAN
Warum bis Abend nur ?
PARACELSUS
Es ist genug.
Ihr werdet froh sein, daß die Sonne sinkt, —
Und wenn sie aller Frauen beste wäre.
ANSELM
Wie sich dies Rätsel löst, harr' ich vergebens.
PARACELSUS
Wacht auf, Justina . . . und seid wahr . . . wacht auf!
JUSTINA
öffnet die Augen und spricht gleich^ als wäre nichts geschehen.
Nun sagt — wie lang noch starrt Ihr mich so an!
50
I
Vergeblich! — Euer Zauber will nicht wirken.
Ja! hätte Euer Blick noch so viel Kraft,
Wie zu der Zeit, da Hohenheim Ihr hießt —
— Ich mein' — für mich doch damit ist's vorbei
Oh — Junker Anselm ? — Wie kamt Ihr herein ?
Ich hört' Euch gar nicht! Sagt Ihr uns Lebwohl?
ANSELM
Ihr wißt . . . Justina . . .
JUS7INA
Gut ist's, daß Ihr scheidet,
Und frei wird mir erst sein, wenn Ihr daheim
Auf Eures Vaters Schloß.
ANSELM
Ihr . . . meint — ?
JUS1INA
*3 ist Zeit!
Wärt Ihr nur eine Nacht noch hier gebheben,
So wären minder schuldlos wir geschieden.
Noch fühl' ich meiner Jugend letzte Schauer,
Der Frühhng schmeichelt und die Schönheit lockt.
Drum ist es gut, Ihr geht, so schnell Ihr könnt,
Denn ach, was war' von alledem das Ende ?
Ein bißchen Glück und sehr viel Angst und Reu*.
All dies ist mir erspart. Als treues Weib
«u Cyprian Kann ich dir ferner in die Augen schauen,
Wenn du mich hütest, kannst du mir vertrauen.
CYPRIAN
Bei Gott! das will ich tun!
JUS7INA
Ein friedlich Glück,
Ist's auch nicht allzu glühend, bleibt das beste.
4- 51
ZEHNTER AUFTRITT
CrPRIANf yUSTINA, PARACELSUSy ANSELM.
CÄCILIA tritt ein.
ANSELM
sehr froh, wie Cäcilia kommt.
Mein edles Fräulein, daß ich Euch noch sehe,
Ist mir höchst angenehm; ich nehme Abschied —
Ich nehm' auf immer Abschied heut von Basel.
CÄCILIA
lächelnd.
So ist es ernst.
JUSTINA
Du lächelst — so ist's recht.
Ein Kindertraum vergeht. 'Du siehst's an mir.
CÄCILIA
Was spricht sie da —
JUSTINA
Mein liebes Kind, du wirst
Den hübschen Junker bald vergessen haben,
ANSELM
Cäciha ... ia . . . wie ist mir?
PARACELSUS
Lauscht Ihr gut!
CÄCILIA
Justina.» . Bruder! HilfefUheni.
CrPRIAN
Schweig! sie ist erleuchtet!
JUSTINA
Seht auf Paracelsus diesen hab' ich wirklich lieb gehabt,
Ach, lange noch .... Oh, Cyprian, wie lang!
S*
Als Ihr von dannen gingt, vor dreizehn Jahren,
Ohn' Abschied und ein Wort von Wiederkommen,
Ich meint', ich müßte sterben. Wärt Ihr damab
In jener Nacht, da Ihr die Stadt verließt,
Nochmals zurückgekehrt — ach alles hätt' ich.
Was Ihr verlangt, Euch freudig hingegeben.
Ob ich auch wußte, daß der nächste Morgen
Für ewig mir Euch nahm — so liebt' ich Euch!
Wer weiß, wie viele Fenster in der Stadt
Allnächtlich offenstehen für einen, der — nicht kommt!
CTPRIAN
Was hör' ich noch! — O sänke bald die Sonne!
Justina
CACILIA
JUSTINJ
Theophrastus, denkt Ihr's noch?
— Doch seht, wde alles sich zum Guten fügt;
Heut dank' ich Gott, daß Ihr die Stadt verHeßt
In jener Nacht, und Euch die Kühnheit fehlte.
Was war' ich heute! — Während Euch die Welt,
Die unbegrenzte, und mit Ruhm, gehört,
War' ich zu Haus in Schand und Spott verdorben.
Ja, Cyprian! so leicht verlorst du mich!
Doch hast du's nicht geahnt — wie's deine Art.
Du dachtest, war ich dir erst angetraut,
So war dir meine Zärtlichkeit gewiß.
Und doch! in mancher Nacht, hättst du gefühlt.
Wie fern ich dir war — wahrlich! minder stolz
Wärst du der Frau gewesen, dir im Arm!
Doch stark ist Gegenwärt'ges und besiegt
Mit leichter Müh' den größten Feind, der fern. —
Und so gewannst du mich, mein Cyprian,
Und ich bin dein — und will es gerne bleiben.
CrPRUN
Jetzt aber ist der Ferne wieder da . , .
53
JUSi:iNA
Ja . . . er ist da — doch ist's nicht er . . ,
Fast scheint
Von ihm mich mehr und Tieferes zu scheiden,
Als mich von irgend einem Andern trennt,
Wie einer, der bedeutet . . . doch nicht ist,
Steht er vor mir — ein Schatten meiner Jugend.
Und also, Schwester, sei gewiß, wird's dir
Mit unserm Junker Anselm auch ergehn.
Du wirst der Torheit lächeln, die dir heut
Des Lebens Inhalt scheint —
ANSELM
ergriffen.
Nicht Torheit, nein —
Der Tor war ich .... doch wag' ich sonst kein Wort —
Höchst wunderlich erscheint mir diese Stunde,
Von tiefer Wahrheit leuchtet sie und sprüht.
Wer das gemrkt — ich ahn' es! Wie er's tat —
Vermag ich nicht zu fassen — doch ich weiß.
Daß auch in mir sich ein Verstehen regt,
Und daß ich schwer gefehlt, mein keckes Aug'
Zu einer edlen Frau emporzuheben.
Verzeiht es meinem jungen Stolz in Gnaden,
Mein edler Meister — und reicht mir die Hand.
Verwirrung war in mir, sie löst sich mählig —
Und viel begreif ich, und die Nebel schwinden.
Er betrachtet Cäcilia.
ELFIER AUFTRLTT
VORIGE. COPUS.
COPUS
noch an der Tür.
Ich grüß' Euch alle. Weiß man schon das Neuste
In diesem edlen Kreis?
I
54
CTPRIAN
Erlaubt vorerst — vorstellend
Herr Doktor Copus, unser Stadtarzt hier —
COPUS
sieb verbeugend.
Herr Theophrastus Hohenheim —
PARACELSUS
Ich bin*!.
COPUS
So darf ich Euch die Kunde selber bringen,
Die ich dem edlen Kreise melden wollte.
Ich komme eben aus dem Rat der Stadt.
Ein Antrag ward gestellt und angenommen,
Für Euch, mein Herr, von höchster Wichtigkeit.
PARACELSUS
Man weist mich aus?
COPUS
O war' es das! Entschuldigt.
PARACELSUS
Verhaftsbefelil ist gegen mich erlassen?
COPUS
Was fällt Euch ein?
PARACELSUS
lächelnd.
Es droht der Scheiterhaufen?
COPUS
Wie übel kennt Ihr dieses gute Basel!
So hört: Es will der Rat, um Euch zu ehren.
Neu eine Würde schaffen, und er wählt
Zum zweiten Stadtarzt Euch. Ich bin der erste.
Ihr staunt?
55
PARACELSUS
Ich sage Dank dem edlen Rat.
COPUS
Das heißt — Ihr nehmt die Stelle an?
PARACELSUS
Ich kann nicht.
COPUS
O glaubt das nicht. Ihr könnt! Da ich der erste,
So habt Ihr gute Stütz' an mir, mein Freund.
Ich will Euch gern in manchem unterweisen.
In schweren Fällen könnt Ihr Rats erholen,
Bescheidne Schüler sieht der Meister gern.
PARACELSUS
Vergebt, doch taug' ich kaum zu solchem Amt.
Ihr wärt doch nicht zufrieden, furcht' ich sehr.
Mein Bleiben ist nicht hier, ich ziehe fort.
Heut abends schon verlass' ich diese Stadt.
COPUS
Ist*s wahr?
CYPRIAN
Ihr geht?
PARACELSUS
Und sag' Euch Lebet wohl.
CTPRIAN
Doch eh' Ihr geht, erklärt Euch, denn verwirrt
Laßt Ihr uns alle hier zurück. War's Ernst,
War's Spiel?
JUSII^'A
Wie fragst du sonderbar ?
COPUS
Was meint er?
S^
PARACELSVS
Es war ein Spiel! Was sollt' es anders sein?
Was ist nicht Spiel, das vnx auf Erden treiben.
Und schien es noch so groß und tief zu sein!
Mit wilden Söldnerscharen spielt der eine,
Ein andrer spielt mit tollen Abergläubischen.
Vielleicht mit Sonnen, Sternen irgend wer, —
Mit Menschenseelen spiele ich. Ein Sinn
Wird nur von dem gefunden, der ihn sucht.
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns;
Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug. Ab.
JUSTINA
tote erwachend.
Was ist denn hier geschehn ? — Mich dünkt, ich sagte
So viel von mir, als ich — nie sagen wollte.
COPUS
Ich fasse nichts von allem, was ich höre —
Was trug sich zu? Was tat der Gaukler hier?
CrPRIAN
Ich weiß nicht, ob er Gutes \virken wollte,
Doch war es gut, drum wollen wir ihn loben.
Ein Sturmwind kam, der hat auf Augenblicke
Die Tore unsrer Seelen aufgerissen,
Wir haben einen Blick hineingetan ....
Es ist vorbei, die Tore fallen zu. —
Doch was ich heut gesehn, für alle Zeit
SoU's mich vor allzu großem Stolze hüten.
Es war ein Spiel, doch fand ich seinen Sinn; —
Und weiß, daß ich auf rechtem Wege bin.
Vorbang.
57
DIE GEFÄHRTIN
Schaiisfiel in einem Akt
PERSONEN
PROFESSOR ROBERT PILGRAM
DOKTOR ALFRED HAUSMANN
PROFESSOR WERKMANN
PROFESSOR BRAND
OLGA M ERHOLM
EIN DIENER
Spielt in einer Sommerfrische unweit von Wien; an
einem Herbstabend des letzten Jahre«.
Elegantes Zimmer. Tapeten und Möbel in bellen, meist bläulieben
Farben gebalten. Damenscbreibtiscb links vorn; Klavier rechts. —
Rechts eine Tür, links eine Tür. Im Hintergrund eine große offen«
Tür, die auf den Balkon hinausführt. Blick auf die Landschaft:
eine Straße^ dllmählich steigend, die toeit hinausführt, abgeschlossen
durch eine Friedhofmauer. Die Mauer ist nicht hoch, man siebt
Grabsteine und Kreuze. Ganz fern, ver schwimmend, mäßige Berge.
Es ist später Abend, nahezu Nacht, die Landschaft liegt im Dunkel;
auf der einsamen Straße fahle Mondbeleuchtung,
Robert kommt aus dem Zimmer rechts, geleitet zwei Herren, Professor
Werkmann und Professor Brand,
ROBERT. Sie entschuldigen, meine Herren, hier
ist es so dunkel; ich will ein Licht holen.
WERKMANN. Aber lieber Freund, wir finden
auch so den Weg,
ROBERT. Nur einen Augenblick. Jb.
Werkmann und Brand stehen allein im Dunkel.
WERKMANN. Er ist sehr gefaßt.
BRAND. Komödie.
WERKMANN. Wenn man seine Frau begräbt,
spielt man keine Komödie. Glauben Sie mir, ich habe
das durchgemacht. Was hätte es für einen Zweck?
BRAND. Sie kennen Pilgram noch immer nicht.
Es wirkt doch großartig, am Nachmittag seine Frau
begraben und am Abend zwei Stunden lang über
wissenschaftliche Fragen diskutieren. Sie sehen —
auch Sie fallen ihm darauf hinein.
WERKMANN. Immerhin — man muß ein ganzer
Mann sein.
BRAND. Oder ein ganzer —
Robert mit einem Armleuchter, in dem zwei Kerzen brennen,
ROBERT. Da bin ich, meine Herren.
Das Zimmer ist nur mäßig beleuchtet.
WERKMANN. Wo sind wir denn hier?
ROBERT. Es war das Zimmer meiner armen Frau.
Hier kommen wir über die kleine Treppe direkt zur
Gartentür, und in fünf Minuten sind Sie an der Bahn-
station.
BRAND. Wir erreichen noch den Neun-Uhr-Zug ?
6z
ROBERT. Gewiß.
Die Türe rechts öffnet sieb, der Diener tritt ein; er bat einen Kranz
in der Hand.
ROBERT. Was gibt's denn?
DIENER. Herr Professor, man ist eben noch aus
der Stadt hier gewesen, um diesen Kranz abzugeben.
ROBERT. Jetzt?
WERKMANN. Wohl einer Ihrer Freunde, der die
Nachricht zu spät erhalten hat. Sie werden sehen,
morgen kommen noch mehr dieser traurigen Spenden.
Ach ja — ich kenne das — leider!
ROBERT bat die Schleife gelesen. Von meinem Assi-
stenten — Erklärend. Er ist noch an der Nordsee.
BRAND. Doktor Hausmann ist an der Nordsee?
DIENER. Wo soll ich den Kranz hinlegen, Herr
Professor ?
WERKMANN. Die Blumen riechen auffallend stark.
BRAND. Natürlich! es sind Tuberosen.
ROBERT. Ja, und FHeder — Zum Diener. Auf den
Balkon.
Diener tut tvie befohlen; dann ab.
WERKMANN. Ihr Assistent ist noch auf Urlaub ?
ROBERT. Er kommt jedenfalls bald zurück —
vielleicht schon morgen.
WERKMANN. Sie werden sich wohl zu Beginn
des Semesters von ihm vertreten lassen ?
ROBERT. Keineswegs. Ich habe nicht die Absicht,
in der Arbeit zu pausieren.
WERKMANN ihm die Hand drückend. Sie haben recht,
lieber Freund. Es ist der einzige Trost.
ROBERT. Auch das! Aber selbst wenn es nicht
Trost wäre, — es ist sehr die Frage, ob wir das Recht
haben, aus unserer kurzen Existenz ein Stück einfach
hinauszuwerfen. Nachdem wir nun doch einmal so
erbärmlich sind, das Meiste zu überleben — Er gebt mit
ihnen ab, ihnen voraus.
WERKMANN zu Brand. Er hat seine Frau nie ge-
liebt.
62
BRAND. Lassen Sie das gut sein.
Alle rechts ab. — Bühne einige Augenblicke leer. — Olga tritt Ihtks
ein. Sie ist in dunkler Toilette^ ohne Hut; hat eine nicht schwen
Pelzmantille umgeworfen. — Diener kommt vom Balkon.
DIENER. Guten Abend, gnädige Frau.
OLGA. Ist der Herr Professor vielleicht im Garten ?
DIENER. Der Herr Professor hat nur zwei Herren —
Olga macht ihm ein Zeichen, da Robert links eintritt, ohne Olga
zu bemerken.
ROBERT ir.dem er zum Schreibtisch geht. Sagen Sie, Franz,
wissen Sie genau, wann der letzte Zug aus der Stadt
hier ankommt ?
DIENER. Um zehn Uhr, Herr Professor.
ROBERT. So. — Pause. Es wäre möglich, daß der
Doktor Hausmann noch heut abend kommt. Führen
Sie ihn dann nur ohne weiteres zu mir.
DIENER. Hierher?
ROBERT. Wenn ich noch in diesem Zimmer sein
sollte, hierher.
Diener ab. Robert setzt sich zum Schreibtisch, ■xill ihn aufschließen.
OLGA tritt hinter ihn. Guten Abend.
ROBERT befremdet. Olga?
Er steht auf.
OLGA ist in einer Verlegenheit, die sie mit aller Mühe zu
hemeistcrn strebt, was ihr für Augenblicke gelingt. Ich habe Ihnen
heute den ganzen Tag nicht die Hand drücken können —
ROBERT. Wahrhaftig, kaum ein Wort haben v\nr
miteinander gesprochen. Ich danke Ihnen. Reicht ihr
die Hand.
OLGA. Sie haben viele Freunde — heut hat man
es gesehen.
ROBERT. Ja, die letzten sind jetzt erst weg-
gegangen.
OLGA. Wer war denn so spät noch da?
ROBERT. Brand und Werkmann, dieser weiner-
liche Schwätzer. Er ist fabelhaft stolz darauf, daß er
im vorigen Jahre seine Frau verloren hat. Ja wirklich.
Er redet wie ein Fachmann von diesen Dingen. Wider-
63
wärtiger Kerl. — Pause. Aber daß Sie noch so spat
Ihre Villa verlassen haben?
OLGA. Glauben Sie, ich habe Angst, allein über
den Feldweg zu gehen?
ROBERT. Nein; aber Ihr Mann wird besorgt sein.
OLGA. O nein. Er denkt wohl, ich bin schon auf
meinem Zimmer und schlafe. Übrigens geh' ich sehr
oft noch spät abends im Garten spazieren, — das
wissen Sie ja.
ROBERT. In unserer Allee, nicht wahr?
OLGA. „Unsere" — ? Sie meinen die längs des
Gitters ?
ROBERT. Ja. — Ich denke immer, die ist nur für
Sie und mich.
OLGA. In der geh' ich oft allein herum.
ROBERT. Aber doch nicht nachts.
OLGA. Abends. Da ist sie am schönsten.
ROBERT. Ihr Garten hat überhaupt etwas Fried-
liches.
OLGA. Nicht wahr? Herzlich. Drum müssen Sie
auch bald wieder zu uns kommen. Sie werden sich
bei uns wohler fühlen — als hier.
ROBERT. Das ist wohl mögHch. — Er betrachtet
sie; dann tvendet er sich ^egen den Hititergrund. Sehen Sie, da
sind wir hinaus.
Olga nickt.
ROBERT. Sollte man glauben, daß das erst wenige
Stunden her ist ? Und können Sie sich vorstellen, daß
da über diesem dunklen Weg die Sonne gelegen ist ? —
Pause. Wenn ich die Augen schließe, — ist plötzlich
die Sonne wieder da. Sonderbar. Ich höre sogar,
vrie die Wagen rollen. — Pause. — Er ist sehr nervös, spricht
wie zerstreut. Sie haben recht, es waren auffallend viel
Menschen da. Wenn man bedenkt, daß die Leute aus
der Stadt gekommen sind — das ist ja eine ganze Reise.
— Haben Sie den Kranz von meinen Schülern gesehen ?
OLGA. FreiHch.
ROBERT. Prächtig, nicht wahr? — Überhaupt
64
diese Teilnahme! Einige von meinen Kollegen haben
ihren Urlaub unterbrochen, um herzukommen; es ist
eigentHch außerordentlich — wie sagt man da? —
„hebenswürdig" — nicht wahr ?
OLGA. Es ist doch ganz natürlich.
ROBERT. NatürHch ist es schon, — aber ich frage
mich nur, ob mein ganzer Schmerz dieses Mitgefühl
oder diesen Ausdruck des Mitgefühls wert ist —
OLGA fast erschrocken. Wie können Sie das sagen?
ROBERT. Weil ich selbst so wenig fühle — Ich
weiß nur, daß sie tot ist — das allerdings mit einer
80 ungeheueren Deutlichkeit, daß es mich peinigt
aber alles ist kalt und klar wie die Luft an Winter-
tagen.
OLGA. Es wird nicht so bleiben. Der Schmerz
wird kommen — und das wird viel besser sein.
ROBERT. Wer weiß ob er kommen wird. — Es
ist zu lang vorbei.
OLGA befremdet. Zu lang — Was ist zu lang vorbei ?
ROBERT. Daß sie — für mich, — daß wir für
einander gelebt haben.
OLGA. Ja — das geht wohl in den meisten Ehen
so — Sie geht zum Balkon; siebt den Kranz.
ROBERT. Er ist erst spät abends gekommen —
von Doktor Hausmann.
OLGA. Ah — Sie betrachtet die Schleife; Robert beobachtet
Olga. Sie merkt es. Er ist noch nicht hier — ?
ROBERT. Nein. Aber ich hab' ihm gleich nach
Scheveningen telegraphiert, und halt' es nicht für
ausgeschlossen, daß er noch heute kommt. Wenn er
gleich von dem einen Bahnhof in Wien auf den andern
fährt —
OLGA. Das wird er gewiß tun.
ROBERT. Dann ist er in einer Stunde da.
OLGA mit gezwungener Sicherheit. Wie Seht wird eS ihn
erschüttert haben.
ROBERT. Gewiß. — Pause. — Ruhig. Seien Sie auf-
richtig mit mir, Olga. Das hat doch irgend einen
Theatottücke, II, s, 65
Grund, daß Sie heut noch einmal zu mir kommen.
Ich merk's Ihnen ja an. Sagen Sie mir ihn doch ganz
einfach.
OLGA. Es ist mir schwerer, als ich dachte.
ROBERT ungeduldig, aber sieb völlig beherrschend. Nun
also —
OLGA. Ich komme, Sie um etwas bitten.
ROBERT. Wenn ich es erfüllen kann —
OLGA. Ganz leicht. Es handelt sich um einige
Briefe, die ich der armen EveUne geschrieben habe
und die ich gerne zurückhaben möchte.
ROBERT. So eilig?
OLGA. Ich dacht' es mir: das erste, was Sie tun
werden, nachdem alles vorbei, wird natürHch sein —
ROBERT. Was?
OLGA auf den Schreibtisch tceisend. Nun, was Sie eben
wollten, als ich hereintrat. Wie begütigend. Ich tat' es
auch, wenn mir wer gestorben wäre, den ich geliebt habe.
ROBERT leicht enerviert. „GeHebt" — „gcHebt" —
OLGA. Also: der mir sehr nahe stand — Es ist
doch eine Art, sich ein Wesen zurückzurufen. Sie spricht
das Nächstfolgende wie einstudierte Sätze. Nun hätte es aber
der Zufall fügen können, daß Ihnen gerade Briefe von
mir zuerst in die Hand fielen — und darum bin ich
noch heute zu Ihnen gekommen. — Es stehen Dinge
in diesen Briefen, die Sie keineswegs lesen dürfen —
die nur für eine andere Frau bestimmt sind — be-
sonders in gewissen Briefen, die ich vor zwei oder
drei Jahren geschrieben habe —
ROBERT. Wo sind sie denn ? Wissen Sie vielleicht,
wo sie liegen ?
OLGA. Ich finde sie gleich, wenn Sie mir erlauben —
ROBERT. Sie woUen selbst — ?
OLGA. Ich denke, es ist das Einfachste, da ich
weiß, wo sie sind. Übrigens können auch Sie auf-
sperren, und ich gebe Ihnen genau an —
ROBERT. Es ist nicht notwendig. Hier ist der
Schlüssel.
66
OLGA. Ich danke Ihnen. Aber Sie müssen mich
deshalb nicht für unaufrichtig halten —
ROBERT. Warum — sollt' ich das?
OLGA. Einmal werde ich Ihnen auch das alles
erzäbJen — ich meine, was damals nur Eveline ge-
wußt hat — auf die Gefahr hin, daß mein Bild sich
für Sie verändert — aber so — durch einen Zufall
sollten Sie's nicht erfahren —
ROBERT. Ihr Bild wird sich für mich nicht ver-
ändern —
OLGA. Wer weiß ? Sie haben mich immer über-
schätzt.
ROBERT. Ich glaube auch keineswegs, daß ich
aus diesen Briefen etwas Neues über Sie erfahren
könnte. Was Sie da in Sicherheit bringen wollen, sind
gewiß nicht Ihre Geheimnisse.
OLGA geschickt. Was sollte es denn sein?
ROBERT. Geheimnisse einer andern, denke ich.
OLGA. Was fällt Ihnen ein — Eveline hatte keine
vor Ihnen.
ROBERT. Ich frage Sie nicht. — Nehmen Sie
Ihre Briefe.
OLGA sperrt auf, sucht in der Lade. Da sind sie. So —
Sie nimmt ein kleines Päckchen heraus^ das mit einem blauen Bänd-
chen zusammengebunden ist; hält es so^ daß Robert es nicht sehen
kann — eventuell unter ihrer Mamille — aber nicht zu absichtlich.
Ich danke Ihnen sehr, — und jetzt will ich gehen.
Auf Wiedersehen! Sie wendet sich zum Gehen.
ROBERT. Wäre es nicht vorsichtig, auch in den
andern Laden nachzusehen? — Es braucht nur eine
Zeile zurückgeblieben zu sein — und alles wäre ver-
gebens gewesen.
OLGA weniger sieber. Wieso ,, vergebens" ?
ROBERT. Sie hätten sich die Mühe ersparen
können, Olga.
OLGA. Wieso? — Ich verstehe Sie absolut nicht.
ROBERT. Gerade Sie, die so gut gewußt hat, wie
Eveline und ich zueinander gestanden sind.
67
OLGA. Wie man eben nach zehn Jahren — aber
das hat mit meinen Briefen nicht das Geringste zu tun.
ROBERT. Und glauben Sie, daß ich vor zehn
Jahren irgend welche Illusionen hatte ? Das wäre
recht töricht, wenn man eine Frau nimmt, die um
zwanzig Jahre jünger ist. Ich wußte ganz gut, daß
mir höchstens ein oder zwei schöne Jahre bevorstehen
— ja — darüber war ich mir sehr klar. Da kann man
doch nicht von Illusionen reden. Aber wie\'iel Jahre
sind denn überhaupt unser? Das Leben ist nicht
lang genug, daß man ohne weiteres auf ein Jahr des
Glücks verzichten dürfte. Es genügt ja auch, — ins-
besondere was die Frauen anbelangt — ich meine
natürlich die Frauen, in die man verliebt ist. Mit
denen wird man sehr rasch fertig. Es gibt mancherlei,
das viel wichtiger ist.
OLGA. Das ist möglich — nur weiß man es nicht
immer.
ROBERT. Ich hab' es immer gewußt. Der Inhalt
meines Lebens ist sie nie gewesen — auch in jenem
Jahre des Glückes nicht. In einem gewissen Sinne war
sie mehr als der Inhalt — der Duft, wenn Sie wollen
— aber gerade der Duft mußte sich natürlich ver-
lieren. — Das sind ja ganz selbstverständliche Dinge.
Er spricht immer erregter, aber noch äußerlich ruhig. Wir hatten
nichts mehr gemeinsam, als die Erinnerung an ein
kurzes Glück. Und ich sage Ihnen, diese Art von ge-
meinsamen Erinnerungen scheidet eher, als sie bindet.
OLGA. Ich kann mir auch denken, daß es ganz
anders kommt.
ROBERT. Gewiß. Aber nicht mi't einem Ge-
schöpf vde Eveline eines war. Sie war zur Geliebten
geschaffen, zur Gefährtin nicht. Das wissen Sie so
gut wie ich.
OLGA. „Gefährtin" — das ist ein sehr großes
Wort. Wie viele Frauen können es überhaupt sein.
ROBERT. Ich hab' es auch nie von ihr verlangt.
Ich hab' mich nicht einsam gefühlt, wahrhaftig.
68
Ein Mensch, der einen Beruf hat, ich meine nicht
eine Beschäftigung, einen Beruf, kann sich über-
haupt nie einsam fühlen.
OLGA nicht scbwärmeriscb. Das ist das Herrliche bei
den Männern — ich meine bei Männern wie Sie.
ROBERT. Und als es mit unserem Glück zu Ende
ging, bin ich eben in mein Leben zurück, von dem
sie ja nicht viel begriffen hat, wie Sie wissen, und bin
meinen Weg gegangen — wie sie den ihren.
OLGA. Nein, so war es nicht. O nein.
ROBERT. Gewiß war es so. Sie hat Ihnen mehr
erzählt, als Sie mir sagen werden. Meinetwegen muß
man keine Briefe aus dem Wege räumen. Für mich
gibt es keine Überraschungen und Entdeckungen.
Was wollen Sie denn ? Sie sind eigentlich rührend.
Sie möchten mich gern in einem Wahn lassen — nein
— mich mit einem Wahn umgeben, in dem ich nie
befangen war. Ich weiß, daß ich sie längst verloren
habe — längst. Immer erregter. Oder meinen Sie, ich
habe mir eingebildet, daß Eveline in dem Augen-
blicke mit ihrer Existenz abgeschlossen hatte, da wir
voneinander gegangen sind? — Daß sie plötzlich eine
alte Frau geworden ist, weil sie mich — oder ich sie
verlassen hatte ? Nie hab' ich das geglaubt.
OLGA. Aber Robert, es ist mir ganz unfaßbar, wie
Sie auf solche Vermutungen kommen.
ROBERT. Ich weiß, von wem diese Briefe sind;
es sind nicht die Ihren. Ich weiß, daß einer auf der
Welt ißt, der heute viel tiefer ?u beklagen ist als ich
— emer, den sie geliebt hat — und der hat sie heute
verloren, nicht ich — nicht ich. — Sie sehen, das
alles war mir gegenüber sehr überflüssig — es kann
nur dieser eine sein.
OLGA. Sie sind in einem schrecklichen Irrtum be-
fangen.
ROBERT. Ich bitte Sie, Olga, lassen Sie das!
Sonst könnt' ich am Ende doch darauf bestehen,
diese Briefe zu lesen. Auf eine Bewegung Olgas. Ich werde
69
es nicht tun, Olga. Wir wollen sie verbrennen, ehe er
kommt.
OLGA. Sie wollen das tun?
ROBERT. Ja. Denn das war meine Absicht, bevor
Sie gekommen sind. Alles, was dieser Schreibtisch
enthält, hätt' ich ins Feuer geworfen, ohne es an-
zusehen.
OLGA. Nein, das hätten Sie sicher nicht getan.
ROBERT. Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu
machen. Vielleicht ist es gut, daß ich nun alles weiß,
ohne einen Blick darauf werfen zu müssen. So ist
wenigstens die Klarheit da — und das ist schließlich
das Einzige, was wir vom Leben verlangen sollten.
OLGA ernst. Sie hätten mehr verlangen dürfen.
ROBERT. Früher einmal — und da hab' ich's ja
nicht vergeblich verlangt. Aber jetzt — ? Sie war
jung und ich war alt — das ist die ganze Geschichte
— bei allen anderen Menschen würden wir's ja auch ver-
stehen — warum nicht hier.
In diesem Augenblicke pfeift die Lokomotive des Zuges in der Ferne.
OLGA zuckt zusammen.
Pause.
OLGA. Empfangen Sie ihn erst morgen, ich bitte
Sie.
ROBERT. Glauben Sie, daß ich nicht ruiiig bin?
Glauben Sie am Ende, daß ich — ? Jetzt ist nur mehr
eines notwendig: Er darf nie erfahren, daß ich es
weiß — Er würde aus jedem Worte irgend was heraus-
hören wie Verzeihung und Großmut, ah — das will
ich nicht. Es ist nichts von alledem. Ich habe ihn
nie gehaßt — ich hasse ihn nicht — hier ist durchaus
kein Grund zum Hassen — und keiner zum Verzeihen
— ich verstehe es viel zu gut. — Zu ihm hat sie
ge hört — vergessen wir doch nicht das Wesentliche.
Lassen wir uns doch nicht gleich wieder von der Macht
der äußeren Beziehungen so verwirren. Zu i h m hat
sie gehört, nicht zu mir. Und es hätte ja nicht mebj
lange so dauern können —
70
OLGA. Ich bitte Sie, Robert — empfangen Sie
ihn heute nicht.
ROBERT. Sie wissen ganz gut, daß sie von mir
fort wollte —
OLGJ. Wie soUt' ich das — ?
ROBERT. Weil sie sich Ihnen anvertraut hat.
OLGJ. O nein.
ROBERT. Woher wußten Sie dann, wo sich diese
Briefe befinden ?
OLGA. Ich kam einmal zufällig dazu, als sie
— einen — vor mir — Ich wollte nichts hören —
aber —
ROBERT. Aber sie mußte eine Vertraute haben —
natürlich — und Sie haben sich nicht wehren können.
— Das ist mir alles vollkommen klar. — Nein — es
war nicht mehr lange so fortzuführen. Glauben Sie,
ich hab' es nicht gesehen, wie sich die beiden ihrer
Lügen geschämt — wie sie gehtten haben ? Ich habe
ja den AugenbHck herbeigesehnt — erwartet, in dem
sie zu mir kommen, mich bitten würden: Gib uns
frei — ; warum haben sie den Mut nicht gefunden?
Warum hab' ich ihnen nicht gesagt: So geht doch fort,
ich halt' euch nicht. — Aber wir sind alle feig gewesen,
sie und ich. Das ist das Unsinnige. Immer warten wir,
daß irgendwas von draußen kommt, um Unhaltbares
zu lösen — irgend was, das uns der Mühe enthebt,
ehrlich gegeneinander zu sein — und zuweilen kommt
es ja auch, dieses andere — wie bei uns — Wagenrollen.
Kurzes Schweigen. Olga sehr bewegt. Robert^ absicbtlicb ruhige
spricht weiter — und, man muß sagen, es ist immerhin
ein vornehmer Abschluß.
Der Wagen bleibt stehen.
OLGA. Sie wollen ihn — empfangen — ?
ROBERT. Er soll die Briefe nicht sehen —
OLGA. Lassen Sie mich gehen, ich nehme sie mit.
ROBERT. Hier über diese Treppe —
OLGA. Ich höre seinen Schritt.
ROBERT. So ist er durch den Garten gekommen —
71
Nimmt ihr die Brie je aus der Hand und verschließt sie rascb toieder
in die Lade. Bleiben Sie. Es ist zu spät. Schritte draußen.
Alfred tritt rasch ein. Er in dunklem Reiseanzug. Wie er Olga
:ieht, ist er leicht befangen. Robert will ihm entgegengeben, bleibt
aber nach zwei Schritten stehen und erwartet ihn. Alfred drückt
ihm die Hand, dann gebt er auf Olga zu und reicht ihr die Hand.
Kurzes Schweigen.
ALFRED. Das hätten wir uns nicht träumen
lassen — dieses Wiedersehen — was ?
ROBERT. Du hast dich in der Stadt gar nicht
aufgehalten ?
ALFRED. Nein. Wenn ich noch heute bei dir sein
wollte — und das mußte ich — Zu Olga. Entsetzlich —
entsetzlich — wieso ist es denn geschehen — ich weiß
ja gar nichts — nur ein Wort, ich bitte dich —
Da Robert nicht antwortet.
OLGA. Es ist ganz plötzlich geschehen.
ALFRED. Ein Herzschlag also.
ROBERT. Ja.
ALFRED. Ganz ohne vorherige Anzeichen?
ROBERT. Ganz ohne vorherige Anzeichen.
ALFRED. Und wann denn ? — Wo ? —
ROBERT. Vorgestern nachmittags, während sie
im Garten spazieren ging. Der Gärtner sah sie stürzen
— neben dem Teich — ich hörte seinen Ruf in meinem
Zimmer — und als ich hinunter kam, war es schon
vorbei.
ALFRED. Mein lieber, mein armer Freund! Was
mußt du gelitten haben! Es ist gar nicht zu fassen —
dieses blühende — junge —
OLGA. Vielleicht das schönste Los.
ALFRED. Das ist ein matter Trost.
ROBERT. Mein Telegramm hast du verspätet be-
kommen, nicht wahr ?
ALFRED. Ja — sonst hätte ich schon heute früh
hier sein können. — Ja, wenn es Ahnungen gäbe, hätte
es mich wohl etwas früher nach Hause treiben müssen.
OLGA. Aber es gibt keine.
72
ALFRED. Wahrhaftig. Es war ein Tag wie alle
andern, noch heller und fröhlicher womöglich als
sonst.
ROBERT. Noch fröhlicher als sonst —
ALFRED. Jetzt kommt's mir natürlich so vor. —
Wir hatten eine Segelfahrt gemacht, hinaus aufs Meer
— dann sind wir noch am Strand spazieren gegangen
in der Abendkühle —
ROBERT. „Wir" — !
ALFRED. Nun ja — eine größere Gesellschaft. —
Und wie ich ins Hotel gekommen bin, habe ich vielleicht
noch eine Viertelstunde von meinem Fenster aufs
Meer hinausgesehen. Dann hab' ich erst Licht gemacht
— und da ist das Telegramm auf dem Tisch gelegen.
Ah — Pause. — Er hält die Hand vor die Augen. Olga betrachtet
Robert, der vor sick binsebaut.
ALFRED nimmt die Hand von den Augen. Das ist ja
ttcckt ihr Zimmer.
ROBERT. Ja.
ALFRED. Wie oft sind wir hier auf dem Balkon
gesessen. Sieb tcendend, siebt er auf die Straße^ die Kircbbof-
mauer, bebt zusammen. Dort — ?
Robert nickt.
ALFRED. Morgen früh gehen wir zusammen hin.
ROBERT. So kannst du deinen Kranz selbst hin-
tragen — er ist eben gebracht worden. —
Pause.
ALFRED. Und — was wirst du denn nun eigentlich
zunächst tun ?
ROBERT. Wie meinst du das?
OLGA. Ich habe den Professor gebeten, sich in
der nächsten Zeit möglichst viel bei uns in der Villa
aufzuhalten.
ALFRED. Er sollte überhaupt nicht hier bleiben.
Du sollst nicht hier im Ort bleiben. —
ROBERT. In den ersten Oktobertagen übersiedle
ich jedenfalls in die Stadt. Bis dahin ist's nicht mehr
lang. Auch werde ich vorher ein paarmal ins Labora-
73
torium schauen — die zwei Amerikaner vom vorigen
Jahr arbeiten seit Ende August.
ALFRED. Ja, das hast du mir in deinem letzten
Brief geschrieben. Aber deswegen mußt du doch
nicht in die Stadt ziehen, du wirst doch nicht gleich
zu arbeiten anfangen. —
ROBERT. Du machst mich wirklich nervös; was
soll ich denn sonst tun? Ich versichere dir, daß ich
zu gar nichts anderem gelaunt bin als zum Arbeiten.
ALFRED. Du wirst nicht fähig sein, jetzt —
ROBERT. Du sprichst auch wie die andern. Ich
fühle mich vollkommen fähig; ich habe eine wahre
Sehnsucht danach.
ALFRED. Das versteh' ich ganz gut; aber diese
Sehnsucht ist doch eigentlich trügerisch. Ich will
dir was vorschlagen: Herzlich. Fahre mit mir fort.
Du gibst mir noch ein paar Tage Urlaub, und ich
nehme dich mit. Was sagen Sie dazu, gnädige Frau?
OLGA mühsam. Es wäre ganz klug.
ROBERT. Du willst fort? Jetzt willst du fort?
ALFRED. Ich hätte mir jedenfalls noch einige
Tage von dir erbeten.
ROBERT. Ja, wohin willst du ienn?
ALFRED. Ich möchte noch einmal an die See.
ROBERT. Zurück?
ALFRED. Ja, aber mit dir. Es wird dir wohltun —
glaub' mir! Hab' ich nicht recht, gnädige Frau?
OLGA. O ja.
ALFRED. Du wirst mit mir nach Scheveningen
fahren und dort ein paar ruhige Tage mit uns ver-
bringen.
ROBERT. Mit uns — Du sagst uns?
ALFRED leicht befangen. Ja.
ROBERT. Was heißt denn das: mit uns? Bist
du denn nicht allein ?
ALFRED. Gewiß bin ich allein, aber es gibt natür-
lich einige Menschen in Scheveningen, mit denen ich
verkehre, einige mit denen ich —
74
ROBERT. Nun — ?
ALFRED. Ich wollte es dir erst in ein paar Tagen
mitteilen, aber da es sich nun so fügt — kurz — ich
habe mich nämlich da oben verlobt.
ROBERT ganz kalt. Ah.
ALFRED. Ob ich dir das morgen sage oder heut,
nicht wahr — das Leben geht eben weiter — es ist
seltsam genug, daß gerade jetzt —
ROBERT. Ja — ich gratuliere.
ALFRED. Darum sagt' ich früher „mit uns".
Und du wirst jetzt verstehen, daß ich noch einmal
zurück möchte.
ROBERT. Das ist allerdings leicht zu verstehen.
ALFRED. Und ich bitte dich, komm mit. Ihre
Eltern wären wahrhaft glücklich, dich kennen zu lernen.
Ich habe ihnen soviel von dir erzählt. Es sind vor-
treffliche Menschen. Und was das Mädchen anbe-
langt, — nun: du wirst sie ja sehen.
ROBERT. Ich glaube nicht — ich glaube nicht
— es wird sich später Gelegenheit ergeben — Mit
großer Mübe^ aber vollkommenem Gelingen spielt er weiter den
Ruhigen. Es ist ja wirklich eine ganz verrückte Idee
von dir, daß ich jetzt an die Nordsee fahren soll, mir
deine Braut vorstellen zu lassen. — Wieviel Millionen
hat sie übrigens ?
ALFRED befremdet. Wie kommst du auf diese Frage ?
Es liegt doch wirklich nicht in meinem Wesen, daß ich
des Geldes wegen —
ROBERT. Also eine große Leidenschaft!
ALFRED. Robert, ich bitte dich, laß uns heute
nichts mehr davon reden. Es ist wie — Er will sagen
^jEntweihiing" .
ROBERT. Warum nicht? — „Das Leben geht
weiter", wie du sehr richtig bemerkt hast. Reden wir
von den Lebendigen. Woher kennst du sie ?
ALFRED. Sie ist eine Wienerin.
ROBERT. Ah, jetzt weiß ich aUes.
ALFRED. Das ist nicht gut möglich.
75
ROBERT. Du hast mir einmal erzählt — erinnerst
du dich — die Jugendliebe mit den blonden Locken
— als du noch Student warst —
ALFRED. Was soll's mit der sein?
ROBERT. Nun — Wiedersehen nach vielen Jahren
— Erwachen der alten Liebe —
ALFRED. Daran denkst du noch ? — Nein, die ist
es nicht. Ich kenne meine Braut erst seit zwei Jahren
und bin um ihretwillen an die See gereist.
ROBERT. Und dort hast du dich in sie ver-
liebt ?
ALFRED. Oh, ich weiß seit lange, daß sie meine
Frau werden wird.
ROBERT. Wahrhaftig?
ALFRED. Wir sind im stillen seit einem Jahr
verlobt.
ROBERT. Und davon hast du mir — uns — kein
Wort gesagt ? — Oh —
ALFRED. Es waren gewisse Rücksichten zu be-
obachten — ihre Familie war anfangs — aber wir
waren die ganze Zeit einig — ich kann sagen, wir
haben einander vom ersten AugenbHck an geliebt.
ROBERT. Zwei Jahre?
ALFRED. — Ja. —
ROBERT. Hast du sie geliebt?
ALFRED. Ja. —
ROBERT. Und — sie?
ALFRED fast mechanisch. Und sie — ?
ROBERT. Und die andere — die andere?
ALFRED. Welche andere?
ROBERT ihn bei der Schulter haltend^ mit der anderen Hand
nach der Straße weisend. Die da!
Alfred wirft einen Blick auf Olga.
ROBERT. Was hast du aus der gemacht?
ALFRED nach einer Pause, sich auflehnend. Warum spielst
du so lange mit mir, wenn du's weißt ? Warum hast
du mit Freundesworten zu mir gesprochen, wenn
du's weißt? Du hattest das Recht, mit mir zu
76
tun, was du willst, aber zu spielen hast du kein
Recht.
ROBERT. Es ist kein Spiel gewesen. Ich hätte
dich vom Boden aufgehoben, wenn dich der Schmerz
gebrochen hätte — an ihr Grab war' ich mit dir ge-
gangen — wenn es deine Geliebte wäre, die da draußen
hegt — aber du hast sie zu deiner Dirne gemacht —
und dieses Haus hast du bis an die Decke mit Schmutz
und Lüge so angefüllt, daß mich ekelt — und darum
— darum, ja darum jag' ich dich hinaus — .
ALFRED. Auch hierauf gab' es vielleicht eine Ant-
wort.
ROBERT. Geh — geh — geh!
Alfred gebt.
ROBERT. Also davor haben Sie mich bewahren
wollen — ja, jetzt verstehe ich Sie — wohl ihr, daß
sie hingeschieden ist, ohne zu ahnen — was sie für
ihn war.
OLGA wendet sieb ibm zu. Ohne ZU ahnen — f
ROBERT. Was wollen Sie — sagen — ?
OL GA nach kurzem Bedenken. Sie hat CS — gewußt —
ROBERT. Was — hat sie —
OLGA. Was sie für ihn war — hat sie gewußt. —
Fassen Sie's denn noch nicht ganz? — Er hat sie
weder betrogen noch erniedrigt — und auf seine
Heirat war sie seit lange vorbereitet, wie auf etwas,
das sich von selbst versteht — und als er ihr's schrieb —
foeist auf den Scbreibtiscb hat sie SO wenig um ihn geweint
— als er um sie. — Nie wären sie zu Ihnen gekommen
— Sie um ihre Freiheit bitten — die Freiheit, die
sie wollten, haben sie gehabt —
ROBERT. Sie hat's gewußt — ? Und Sie, die
diese Briefe vor mir verstecken wollten — jetzt sagen
Sie mir dieses letzte — ?
OLGA. Geb' ich Ihnen damit nicht Ihre Freiheit
vdeder ? Jahrelang haben Sie um diese Frau gelitten
— haben sich von einem Selbstbetrug in den anderen
gestürzt, um sie weiter lieben und weiter leiden zu
77
dürfen — und jetzt wollen Sie sich noch weiter quälen,
um eines Schicksals willen, das Sie sich nur einbilden,
das diese Frau überhaupt nicht erleiden konnte, weil
das Leben so leicht für sie war — wie Menschen Ihrer
Art gar nicht begreifen können — f
ROBERT. Und alles dies erst heut — ? erst jetzt!
— Warum haben Sie's mit angesehen — und mich
aus meiner Feigheit nicht emporgerüttelt ? — Warum
hab ich's nicht vor einem Jahr wissen dürfen — nicht
vor drei Tagen — ?
OLGA. Davor hab' ich ja gezittert — wie Sie selbst
— ja, wie Sie! Nie haben Sie's wissen dürfen — oder
heut! —
ROBERT. Ist es jetzt etwas anderes, weil sie tot
ist — ? —
OLGA. Nichts anderes — aber klar ist es — wie
es sonst nie gewesen wäre — Solang sie gelebt hat,
hätte dieses erbärmliche nichtige Abenteuer — ein-
fach von ihrem Dasein — von ihrem Lächeln den
Schein des Wichtigen geliehen — Sie hätten nicht
fühlen können — was Sie heute fülilen müssen, da Sie
jenseits Ihres Zornes ist — und was Ihnen den Frieden
geben wird: wie fern, wie unendlich fern von Ihnen
diese Frau gelebt hat — die zufällig in diesem Hause
gestorben ist Sie geht.
ROBERT eine Weile still. Dann versperrt er die Scbreib-
tiscblade; dann steht er auf, geht »ur Tür und ruft Franz !
DIENER. Herr Professor — ?
ROBERT. Morgen früh reise ich ab. Bereiten Sie
alles vor — und sorgen Sie, daß ein Wagen um sieben
Uhr vor dem Hause ist.
DIENER. Jawohl, Herr Professor.
ROBERT nach einer kurzen Pause. Alle näheren Anwei-
sungen gebe ich Ihnen morgen. Gehen Sie jetzt
schlafen. Auf ein Zögern des Dieners. Dieses Zimmer sperre
ich selbst ab — es wird verschlossen bleiben, bis ich
wiederkomme.
DIENER. Sehr wohl, Herr Professor.
78
PROFESSOR. Gute Nacht.
DIENER. Gute Nacht, Herr Professor. Ab rechts.
Robert sperrt gleich hinter ihm zu. Dann geht er zum Balkon; wie
er schließen will^ sieht er den Kranz. Er nimmt ihn, bringt ihn ins
Zimmer und legt ihn auf den Schreibtisch. Dann geht er zur Tür
links, diis Licht in der Hand; an der Iure bleibt er stehen, wendet
sich um, betrachtet das ganze Zimmer noch einmal. Er atmet tief,
lächelt dann wie befreit, geht ab; man hört ihn zusperren. Das dunkle
Zimmer bleibt eine iVeile leer^ dann fällt der Vorhang,
79
DER GRÜNE KAKADU
Groteske in einem Akt
PERSONEN
■ seine Truppe
EMILE HERZOG VON CADIGNAN
FRANQOIS VICOMTE VON NOGEANT
ALB IN CHEVALIER DE LA TREMOUILLE
DER MARQUIS VON LANSAC
SEVERINE~ seine Frau
ROLLIN, Dichter
PROSPERE, Wirt, vormah Ibeaterdirektor
HENRI
BALTHASAR
GUILLAUME
SCAEVOLA
JULES
ETIENNE
MAURICE
GEORGETTE
MICHETTE
FLIPOTTE
LEOCADIE, Schauspielerin, Henris Trau
GRASSET, Philosoph
LEBRET, Schneider
GRAIN, ein Strolch
DER COMMISSÄR
ADELIGE, SCHAUSPIELER, SCHAUSPIELE^
RINNEN, BÜRGER UND BÜRGERFRAUEN
Spielt in Paris am Abend des 14. Juli 1789 in der
Spelunke Prosperes.
Wirtsstube ,^Zum grünen Kakadu".
Ein nicht großer Kellerraum, zu welchem rechts — ziemlich toeii
hinten — sieben Stufen führen, die nach oben durch eine Tür ab-
geschlossen sind. Eine zweite Tür, welche kaum sichtbar ist, be-
findet sich im Hintergründe links. Eine Anzahl von einfachen höl-
zernen Tischen^ um diese Sessel, füllen beinahe den ganzen Raum
»US. Links in der Mitte der Schanktisch; hinter demselben eine
Anzahl Fässer mit Pipen. Das Zimmer ist durch Öllämpchen be-
leuchtet, die von der Decke herabhängen.
Der Wirt Prospire; es treten ein die Bürger Lehret und Grassei,
GRASSET noch auf den Stufen. Hier herein, Lebret;
die Quelle kenn' ich. Mein alter Freund und Direktor
hat immer noch irgendwo ein Faß Wein versteckt, auch
wenn ganz Paris verdurstet.
WIRT. Guten Abend, Grasset. Läßt du dich wie-
der einmal blicken ? Aus mit der Pliiloscphie ? Hast
du Lust, wieder bei mir Engagement zu nehmen?
GRASSET. JafreiHch! Wein sollst du bringen. Ich
bin der Gast — du der Wirt.
WIRT. Wein? Woher soll ich Wein nehmen,
Grasset ? Heut nacht haben sie ja alle Weinläden
von Paris ausgeplündert. Und ich möchte wetten,
daß du mit dabei gewesen bist.
GRASSET. Her mit dem Wein. Für das Pack, das
in einer Stunde nach uns kommen wird . . . Lauschend.
Hörst du was, Lebret?
LEB REt. Es ist wie ein leiser Donner.
GRASSET. Brav — Bürger von Paris . . . zu Prospere.
Für das Pack hast du sicher noch einen in Vorrat.
Also her damit. Mein Freund und Bewninderer, der
Bürger Lebret, Schneider aus der Rue St. Honore,
zahlt alles,
LEBRET. Gewiß, gewiß, ich zahle.
PROSPERE zögert.
GRASSET. Na, zeig' ihm, daß du Geld hast, Lebret.
LEB REt zieht seinen Geldbeutel heraus.
WIRT. Nun, ich will sehen, ob ich . . . Er öffnet
den Hahn zu einem Faß und füllt zwei Gläser. Woher kommst
du, Grasset? Aus dem Palais Ro7al?
•• 83
GR^SSET. Jawohl . . . ich habe dort eine Rede ge-
halten. Ja, mein Lieber, jetzt bin ich an der Reihe.
Weißt du, nach wem ich gesprochen habe ?
WIRT. Nun?
GRJSSET. Nach Camille Desmoulins! Jawohl, ich
hab* es gewagt. Und sage mir, Lebret, wer hat größeren
Beifall gehabt, Desmoulins oder ich ?
LEBRlT. Du . . . zweifellos.
GRJSSET. Und wie hab' ich mich ausgenommen ?
LEBRET. Prächtig.
GRASSET. Hörst du's, Prospere? Ich habe mich
auf den Tisch gestellt . . . ich habe ausgesehen wie ein
Monument . . . jawohl — und alle die Tausend, Fünf-
tausend, Zehntausend haben sich um mich versammelt
— gerade so wie früher um Camille Desmoulins . . .
und haben mir zugejubelt.
LEBRET. Es war ein stärkerer Jubel.
GRASSET. Jawohl , . . nicht um vieles, aber er
war stärker. Und nun ziehen sie alle hin zur Bastille
. . .und ich darf sagen: sie sind meinem Ruf gefolgt.
Ich schwöre dir, vor abends haben wir sie.
WIRT. Ja, freilich, wenn die Mauern von euern
Reden zusammenstürzten!
GRASSET. Wieso . . . Reden! — Bist du taub ? . . .
Jetzt wird geschossen. Unsere braven Soldaten sind
dabei. Sie haben dieselbe höllische Wut auf das ver-
fluchte Gefängnis wie ivir. Sie wissen, daß hinter diesen
Mauern ihre Brüder und Väter gefangen sitzen . . . Aber
sie würden nicht schießen, wenn wir nicht geredet
hätten. Mein lieber Prospere, die Macht der Geister
ist groß. Da — zu Lebret. Wo hast du die Schriften ?
LEB REt. Hier . . . zieht Broschüren aus der Tasche.
GRASSET. Hier sind die neuesten Broschüren, die
eben im Palais Roval verteilt wurden. Hier eine von
meinem Freunde Cerutti, Denkschrift für das fran-
zosische Volk, hier eine von Desmoulins, der allerdings
besser spricht, als er schreibt . . . „Das freie Frank-
reich".
84
fFIRT. Wann wird denn endlich die deine erscheinen,
von der du immer erzählst ?
GRASSEI. Wir brauchen keine mehr. Die Zeit zu
Taten ist gekommen. Ein Schuft, der heute in seinen
vier Wänden sitzt. Wer ein Mann ist, muß auf die
Straße!
LEB REt. Bravo, bravo!
GRASSEI. In Toulon haben sie den Bürgermeister
umgebracht, in BrignoUes haben sie ein Dutzend Häu-
ser geplündert . . . nur wir in Paris sind noch immer die
Langweiligen und lassen uns alles gefallen.
PROSPERE. Das kann man doch nicht mehr sagen.
LEB REt der immer getrunken bat. Auf, ihr Bürger,
auf!
GRASSET. Auf! . . . Sperre deine Bude und komm
jetzt mit uns!
WIRT. Ich komme schon, wenn's Zeit ist.
GRASSET. Ja freilich, wenn's keine Gefahr mehr
gibt.
WIRT. Mein Lieber, ich liebe die Freiheit wie du
— aber vor allem hab' ich meinen Beruf.
GRASSET. Jetzt gibt es für die Bürger von Paris
nur einen Beruf: Ihre Brüder befreien.
WIRT. Ja für die, die nichts anderes zu tun haben!
LEB REt. Was sagt er da! . . . Er verhöhnt uns!
WIRT. Fällt mir gar nicht ein. — Schaut jetzt
lieber, daß ihr hinauskommt . . . meine Vorstellung
fängt bald an. Da kann ich euch nicht brauchen.
LEB REt. Was für eine Vorstellung ? . . . Ist hier
ein Theater?
WIRT. Gewiß ist das ein Theater. Ihr Freund hat
noch vor vierzehn Tagen hier mitgespielt.
LEB REt. Hier hast du gespielt, Grasset? . . . War-
um läßt du dich von dem Kerl da ungestraft ver-
höhnen !
GRASSET. Beruhige dich ... es ist wahr; ich habe
hier gespielt, denn es ist kein gewöhnliches Wirtshaus
... es ist eine Verbrecherherberge . . . komm . . .
85
WIRT. Zuerst wird gezahlt.
LEBRRT. Wenn das hier eine Verbrecherherberge
ist, so zahle ich keinen Sou.
WIRT. So erkläre doch deinem Freunde, wo er ist.
GRJSSET. Es ist ein seltsamer Ort! Es kommen
Leute her, die Verbrecher spielen — und andere, die
es sind, ohne es zu ahnen.
LEBRET. So — ?
GRASSET. Ich mache dich aufmerksam, daß das,
was ich eben sagte, sehr geistreich war; es könnte das
Glück einer ganzen Rede machen.
LEBRET. Ich verstehe nichts von allem, was du sagst.
GRASSET. Ich sagte dir ja, daßProspere mein Direk-
tor war. Und er spielt mit seinen Leuten noch immer
Komödie; nur in einer anderen Art als früher. Meine
einstigen Kollegen und Kolleginnen sitzen hier herum
und tun, als v.^enn sie Verbrecher wären. Verstehst
du? Sie erzälilen haarsträubende Geschichten, die sie
nie erlebt — sprechen von Untaten, die sie nie begangen
haben . . . und das Publikum, das hierher kommt, hat
den angenehmen Kitzel, unter dem gefährlichsten Ge-
sindel von Paris zusitzen — unter Gaunern, Einbrechern,
Mördern — und —
LEBRET. Was für ein Publikum?
WIRT. Die elegantesten Leute von Paris.
GRASSET. Adehge...
WIRT. Herren vom Hofe —
LEB REt. Nieder mit ihnen!
GRASSET. Das ist was für sie. Das rüttelt ihnen
die erschlafften Sinne auf. Hier hab' ich angefangen,
Lebret, hier hab' ich meine erste Rede gehalten, als
wenn es zum Spaß wäre . . . und hier hab' ich die Hunde
zu hassen begonnen, die mit ihren schönen Kleidern,
parfümiert, angefressen, unter uns saßen . . . und es
ist mir ganz recht, mein guter Lebret, daß du auch
einmal die Stätte siehst, von wo dein großer Freund
ausgegangen ist. In anderem Ton. Sag', Prospere, wenn
die Sache schief ginge . , .
86
WIRT. Welche Sache?
GRASSE7 . Nun, die Sache mit meiner politischen
Karriere . . . würdest du mich wieder engagieren ?
WIRT. Nicht um die Welt!
GRASSEI leicht. Warum ? — Es könnte vielleicht
noch einer neben deinem Henri aufkommen.
WIRT. Abgesehen davon . . . ich hätte Angst, daß
du dich einmal vergessen könntest — und über einen
meiner zahlenden Gäste im Ernst herfielst.
GRASSET geschmeichelt. Das wäre allerdings möglich.
WIRT. Ich... ich hab' mich doch in der Ge-
walt —
GRASSET. Wahrhaftig, Prosp^re, ich muß sagen,
daß ich dich wegen deiner Selbstbeherrschung bev^oin-
dern würde, wenn ich nicht zufällig wüßte, daß du
ein Feigling bist.
WIRT. Ach, mein Lieber, mir genügt das, was ich
in meinem Fach leisten kann. Es macht mir Vergnügen
genug, den Kerlen meine Meinung ins Gesicht sagen
zu können und sie zu beschimpfen nach Herzenslust
— während sie es für Scherz halten. Es ist auch eine
Art, seine Wut los zu werden, — Zieht einen Dolch uni
läßt ihn funkeln.
LEBRET. Bürger Prosp^re, was soll das bedeuten ?
GRASSET. Habe keine Angst. Ich wette, daß der
Dolch nicht einmal geschliffen ist.
WIRT. Da könntest du doch irren, mein Freund;
irgend einmal kommt ja doch der Tag, wo aus dem
Spaß Ernst wird — und darauf bin ich für alle Fälle
vorbereitet.
GRASSET. Der Tag ist nah. Wir leben in einer
großen Zeit! Komm, Bürger Lebret, wir wollen zu
den Unsern. Prosp^re, leb' wohl, du siehst mich als
großen Mann wieder oder nie.
LEBRET torkelig. Als großen Mann . . . oder . .
nie —
Sie gehen ab.
WIRT bleibt zurück^ setzt sich auf einen Tisch, schlägt eine
87
ßroscbüre auf und liest vor sieb bin. „Jetzt Steckt das Vielvin
der Schlinge, erdrosselt es!" — Er schreibt nicht übel,
dieser kleine Desmoulins. „Noch nie hat sich Siegern
eine reichere Beute dargeboten. Vierzigtausend Pa-
läste und Schlösser, zwei Fünftel aller Güter in Frank-
reich werden der Lohn der Tapferkeit sein, — die
sich für Eroberer halten, werden unterjocht, die Nation
wird gereinigt werden."
Der Kommissär tritt ein.
WIRT mißt ihn. Na, das Gesindel rückt ja heute
früh ein ?
KOMMISSÄR. Mein lieber Prospere, mit mir
machen Sie keine Witze; ich bin der Kommissär Ihres
Bezirks.
WIRT. Und womit kann ich dienen?
KOMMISSÄR. Ich bin beauftragt, dem heutigen
Abend in Ihrem Lokal beizuwohnen.
WIRT. Es wird mir eine besondere Ehre sein.
KOMMISSÄR. Es ist nicht darum, mein bester
Prospere. Die Behörde will Klarheit haben, was bei
Ihnen eigentlich vorgeht. Seit einigen Wochen —
WIRT. Es ist ein Vergnügungslokal, Herr Kom-
naissär, nichts weiter.
KOMMISSÄR. Lassen Sie mich ausreden. Seit
einigen Wochen soU dieses Lokal der Schauplatz wüster
Orgien sein.
WIRT. Sie sind falsch berichtet, Herr Kommissär.
Man treibt hier Spaße, nichts weiter.
KOMMISSÄR. Damit fängt es an. Ich weiß. Aber
es hört anders auf, sagt mein Bericht. Sie waren Schau-
spieler ?
WIRT. Direktor, Herr Kommissär, Direktor einer
vorzüglichen Truppe, die zuletzt in Denis spielte.
KOMMISSÄR. Das ist gleichgültig. Dann haben
Sie eine kleine Erbschaft gemacht ?
WIRT. Nicht der Rede wert, Herr Kommissär.
KOMMISSÄR. Ihre Truppe hat sich aufgelöst?
WIRT. Meine Erbschaft nicht minder.
88
KOMMISSUR lächelnd. Ganz gut. Beids Ucbeln. —
Plötzlich ernst. Sie haben sich ein VVirtsgeschäft ein-
gerichtet ?
WIRT. Das miserabel gegangen ist.
KOMMISSÄR. — Worauf Sie eine Idee gefaßt
haben, der man eine gewisse Originalität nicht ab-
sprechen kann.
WIRT. Sie machen mich stolz, Herr Kommissär.
KOMMISSÄR. Sie haben Ihre Truppe wieder ge-
sammelt und lassen sie hier eine sonderbare und nicht
unbedeiikliche Komödie spielen.
WIRT. Wäre sie bedenklich, Herr Kommissär, so
hätte ich nicht mein Publikum — ich kann sagen, das
vornehmste Publikum von Paris. Der Vicomte von
Nogeant ist mein täglicher Gast. Der Marquis von
Lansac kommt öfters; und der Herzog von Cadignan,
Herr Kommissär, ist der eifrigste Bewunderer meines
ersten Schauspielers, des berühmten Henri Baston.
KOMMISSÄR. Wohl auch der Kunst oder der
Künste Ihrer Künstlerinnen.
WIRT. Wenn Sie meine kleinen Künstlerinnen
kennen würden, Herr Kommissär, würden Sie das nie-
mandem auf der Welt übel nehmen.
KOMMISSÄR. Genug. Es ist der Behörde berich-
tet worden, daß die Belustigungen, welche Ihre — wie
soll ich sagen —
WIRT. Das Wort „Künstler" dürfte genügen.
KOMMISSÄR. Ich werde mich zu dem Wort
„Subjekte" entschließen — daß die Belustigungen,
welche Ihre Subjekte bieten, in jedem Sinne über das
Erlaubte hinausgehen. Es sollen hier von Ihren —
%\'ie soll ich sagen — von Ihren künstlichen Verbrechern
Reden geführt werden, die — wie sagt nur mein Be-
richt ? Er liest wie schon früher in einem Notizbuch nach — nicht
nur unsittlich, was uns wenig genieren würde, sondern
auch höchst aufrührerisch zu wirken geeignet sind —
was in einer so erregten Epoche, wie die ist, in der wir
leben, der Behörde durchaus nicht gleichgültig sein kann.
89
WIRT. Herr Kommissär, ich kann auf diese An-
schuldigung nur mit der höflichen Einladung erwidern,
sich die Sache selbst einmal anzusehen. Sie werden
bemerken, daß hier gar nichts Aufrührerisches vorgeht,
schon aus dem Grunde, weil mein Publikum sich nicht
aufrühren läßt. Es wird hier einfach Theater gespielt
- — das ist alles.
KOMMISSAR. Ihre Einladung nehme ich natür-
lich nicht an, doch werde ich kraft meines Amtes hier-
bleiben.
WIRT. Ich glaube, Ihnen die beste Unterhaltung
versprechen zu können, Herr Kommissär, doch würde
ich mir den Rat erlauben, daß Sie Ihre Amtstracht
ablegen und in Zivilkleidern hier erscheinen. Wenn
man nämhch einen Kommissär in Uniform hier sähe,
würde sowohl die Naivetät meiner Künstler als die
Stimmung meines Publikums darunter leiden.
KOMMISSAR. Sie haben recht, Herr Prospere, ich
w^erde mich entfernen und als junger eleganter Mann
wiederkehren.
WIRT. Das wird Ihnen leicht sein, Herr Kommissär,
auch als Hallunkc sind Sie mir wiillcommen — das
würde nicht auffallen — nur nicht als Kommissär.
KOMMISSÄR. Adieu. Geht.
WIRT verbeugt sich. Wann wird der gesegnete Tag
kommen, wo ich dich und deinesgleichen . . .
KOMMISSAR trifft in der Tür mit Grain zusammen, der
äußerst zerlumpt ist und erschrickt, wie er den Kommissär sieht.
Dieser mißt ihn zuerst, lächelt dann, wendet sich verbindlich zu
Prospere. Schon einer Ihrer Künstler ? . . . Ab.
GRAIN spricht weinerlich, pathetisch. Guten Abend.
WIRT nachdem er ihn lang augesehen. Wenn du einer
von meiner Truppe bist, so will ich dir meine An-
erkennung nicht versagen, denn ich erkenne dich nicht.
GRAIN. Wie m.einen Sie?
WIRT. Also keinen Scherz, nimm die Perücke ab,
ich möchte doch v/issen, wer du bist. Er reißt ihn an
den Haaren.
90
GRAIN. O weh!
WIRT, Das ist ja echt — Donnerwetter . . . wer
sind Sie ? . . . Sie scheinen ja ein wirklicher Strolch
zu sein?
GRAIN. Jawohl.
WIRT. Was wollen Sie denn von mir?
GRAIN. Ich habe die Ehre mit dem Bürger Pros-
pere ? . . . Wirt vom grünen Kakadu ?
WIRT. Der bin ich.
GRAIN. Ich nenne mich Grain . . . zuweilen Car-
niche ... in manchen Fällen der schreiende Bimsstein
— aber unter dem Namen Grain war ich eingesperrt,
Bürger Prospere — und das ist das Wesentliche.
WIRT. Ah — ich verstehe. Sie wollen sich bei mir
engagieren lassen und spielen mir gleich was vor. Auch
gut. Weiter.
GRAIN. Bürger Prospere, halten Sie mich für
keinen Schwindler. Ich bin ein Ehrenmann. Wenn
ich sage, daß ich eingesperrt war, so ist es die volle
Wahrheit.
Wirt sieht ihn mißtrauisch an.
GRAIN zieht aus dem Rock ein Papier. Hier, Bürger
Prospere. Sie ersehen daraus, daß ich gestern nach-
mittags vier Uhr entlassen wurde.
WIRT. Nach einer zweijährigen Haft — Donner-
wetter, das ist ja echt! —
GRAIN. Haben Sie noch immer gezweifelt, Bürger
Prospere ?
WIRT. Was haben Sie denn angestellt, daß man
Sie auf zwei Jahre —
GRAIN. Man hätte mich gehängt; aber zu meinem
Glück war ich noch ein halbes Kind, als ich meine
arme Tante umbrachte.
WIRT. Ja, Mensch, wie kann man denn seine Tante
umbringen ?
GRAIN. Bürger Prospere, ich hätte es nicht getan,
wenn die Tante mich nicht mit meinem besten Freunde
hintergangen hätte.
91
WIRT. Ihre Tante?
GRAIN. Jawohl — sie stand mir näher, als sonst
Tanten ihren Neffen zu stehen pflegen. Es waren son-
derbare Familienverhältnisse . . . ich war verbittert,
höchst verbittert. Darf ich Ihnen davon erzälilen ?
WIRT. Erzählen Sie immerhin, wir werden viel-
leicht ein Geschäft miteinander machen können.
GRAIN . Meine Schwester war noch ein halbes Kind,
als sie aus dem Hause lief — und was glauben Sie —
mit wem ? —
WIRT. Es ist schwer zu erraten.
GRAIN. Mit ihrem Onkel. Und der hat sie sitzen
lassen — mit einem Kinde.
WIRT. Mit einem ganzen — wiU ich hoffen.
GRAIN. Es ist unzart von Ihnen, Bürger Prosp^re,
über solche Dinge zu scherzen.
WIRT. Ich will Ihnen was sagen, Sie schreiender
Bimsstein. Ihre Familiengeschichten langweilen mich.
Glauben Sie, ich bin dazu da, mir von einem jeden
hergelaufenen Lumpen erzählen zu lassen, wen er um-
gebracht hat ? Was geht mich das alles an ? Ich nehme
an, Sie wollen irgend was von mir —
GRAIN. Jawohl, Bürger Prospere, ich komme, Sie
um Arbeit bitten.
WIRT böhniscb. Ich mache Sie aufmerksam, daß
es bei mir keine Tanten zu ermorden gibt; es ist ein
Vergnügungslokal.
GRAIN. Oh, ich hab' an dem einen Mal genug
gehabt. Ich will ein anständiger Mensch werden —
man hat mich an Sie gewiesen.
WIRT. Wer, wenn ich fragen darf?
GRAIN. Einliebenswürdiger junger Mann, densie vor
drei Tagen zu mir in die Zelle gesperrt haben. Jetzt
ist er allein. Er heißt Gaston . . . und Sie kennen ihn. —
WIRT. Gaston! Jetzt weiß ich, warum ich ihn drei
Abende lang vermißt habe. Einer meiner besten Dar-
steller für Taschendiebe. — Er hat Gescliichten er-
zählt; — ah, man hat sich geschüttelt.
92
GRAIN. Jawohl. Und jetzt haben sie ihn erwischt!
WIRT. Wieso erwischt ? Er hat ja nicht wirklich
gestohlen.
GRAIN. Doch. Es muß aber das erste Mal gewesen
sein, denn er scheint mit einer unglaublichen Unge-
schicklichkeit vorgegangen zu sein. Denken Sie — ver-
traulicb — auf dem Boulevard des Capucines einfach
einer Dame in die Tasche gegriffen — und die Börse
herausgezogen — ein rechter Dilettant. — Sie flößen
mir Vertrauen ein, Bürger Prospere — und so will ich
Ihnen gestehn — es war eine Zeit, wo ich auch der-
gleichen kleine Stückchen aufführte, aber nie ohne
meinen Heben Vater. Als ich noch ein Kind war, als
wir noch alle zusammen wohnten, als meine arme Tante
noch lebte —
WIRT. Was jammern Sie denn? Ich finde das ge-
schmacklos! Hätten Sie sie nicht umgebracht!
GRAIN. 7jM spät. Aber worauf ich hinaus wollte
— nehmen Sie mich bei sich auf. Ich will den um-
gekehrten Weg machen wie Gaston. Er hat den
Verbrecher gespielt und ist einer geworden —
ich . . .
WIRT. Ich will's mit Ihnen probieren. Sie werden
schon durch Ihre Maske wdrken. Und in einem ge-
gebenen Moment werden Sie einfach die Sache mit
der Tante erzählen. Wie's war. Irgend wer wird Sie
schon fragen.
GRAIN. Ich danke Ihnen, Bürger Prospere. Und
was meine Gage anbelangt —
WIRT. Heute gastieren Sie auf Engagement, da
kann ich Ihnen noch keine Gage zahlen. — Sie werden
gut zu essen und zu trinken bekommen . . . und auf
ein paar Franks für ein Nachtlager soll's mir auch nicht
ankommen.
GRAIN. Ich danke Ihnen. Und bei Ihren anderen
Mitgliedern stellen Sie mich einfach als einen Gast aus
der Provinz vor.
WIRT. Ah nein . . . denen sagen wir gleich, daß
93
Sie ein wirklicher Mörder sind. Das wird ihnen viel
lieber sein.
GRAIN. Entschuldigen Sie, ich will ja gewiß nichts
gegen mich vorbringen — aber das versteh' ich nicht.
WIRT. Wenn Sie länger beim Theater sind, wer-
den Sie das schon verstehn.
Scaevola und Jules treten ein.
SCAEVOLA. Guten Abend, Direktor t
WIRT. Wirt . . . Wie oft soU ich dir noch sagen,
der ganze Spaß geht flöten, wenn du mich „Direktor"
nennst.
SCAEVOLA. Was immer du seist, ich glaube, wir
werden heute nicht spielen.
WIRT. Warum denn?
SCAEVOLA. Die Leute werden nicht in der Laune
sein . Es ist ein Höllenlärm in den Straßen, und
insbesondere vor der Bastille schreien sie vsde die Be-
sessenen.
WIRT. Was geht das uns an ? Seit Monaten ist das
Geschrei, und unser Publikum ist uns nicht ausgeblieben.
Es amüsiert sich wie früher.
SCAEVOLA. Ja, es hat die Lustigkeit von Leuten,
die nächstens gelienkt werden.
WIRT. Wenn ich's nur erlebe!
SCAEVOLA. Vorläufig gib uns was zu trinken, da-
mit ich in Stimmung komme. Ich bin heut durchaus
nicht in Stimmung.
WIRT. Das passiert dir öfter, mein Lieber. Ich
muß dir sagen, daß ich gestern durchaus unzufrieden
mit dir war.
SCAEVOLA. Wieso, wenn ich fragen darf?
WIRT. Die Geschichte von dem Einbruch, die du
zum Besten gegeben hast, war einfach läppisch.
SCAEVOLA. Läppisch?
WIRT. Jawohl. Vollkommen unglaubwürdig. Das
Brüllen allein tut's nicht.
SCAEVOLA. Ich habe nicht gebrüllt.
WIRT. Du brüUst ja immer. Es vnrd wahrhaftig
94
notwendig werden, daß ich die Sachen mit euch ein-
studiere. Auf euere Einfälle kann man sich nicht ver-
lassen. Henri ist der einzige.
SCAEVOLA. Henri und immer Henri. Henri ist
ein Kulissenreißer. Der Einbruch von gestern v/ar ein
Meisterstück. So was bringt Henri sein Lebtag nicht
zusammen. — Wenn ich dir nicht genüge, mein Lieber,
so geh' ich einfach zu einem ordentHchen Theater. Hier
ist ja doch nur eine Schmiere . . . Ah . . . hemerkt Grain.
Wer ist denn das ? . . . Der gehört ja nicht zu uns ?
Hast du vielleicht einen neu engagiert? Was hat der
Kerl für Maske?
WIRT . Beruhige dich, es ist kein Schauspieler von
Beruf. Es ist ein wirklicher Mörder.
SCAEVOLA. Ach so . . , Geht auf ihn zu. Sehr er-
freut, Sie kennen zu lernen. Scaevoia ist mein Name.
GRAIN. Ich heiße Grain.
Jules ist die ganze Zeit in der Schenke herumgegangen, manchmal
auch stehen geblieben, wie ein innerlich Gequälter.
WIRT. Was ist denn mit dir, Jules?
JULES. Ich memoriere.
WIRT. Was denn?
JULES. Gewissensbisse. Ich mache heute einen,
der Gewissensbisse hat. Sieh mich an. Was sagst du
zu der Falte hier auf der Stirn? Seh' ich nicht aus,
als wenn alle Furien der Hölle . . . Gebt auf und ab.
SCAEVOLA brüllt. Wein — Wein her!
WIRT. Beruhige dich ... es ist ja noch kein Publi-
kum da.
Henri und Leocadie kommen.
HENRI. Guten Abend! Er begrüßt die Hintensitzenden
mit einer leichten Handbewegung. Guten Abend, meine
Herren !
WIRT. Guten Abend, Henri! Was seh' ich! Mit
Leocadie !
GRAIN bat Leocadie aufmerksam betrachtet; zu Scaevoia.
Die kenn' ich ja . . . Spricht leise mit den andern.
LEOCADIE. Ja, mein lieber Prospere, ich bin's!
95
fVIRT. Ein Jahr lang hab' ich dich nicht gesehen.
Laß dich begrüßen. Er will He küssen.
HENRI. Laß das! — Sein Blick rubt öfters auf Leocadi«
mit Stolz, Leidenschaft, aber auch mit einer gewissen Angst.
WIRT. Aber Henri . . . Alte Kollegen! . . . Dein
einstiger Direktor, Leocadie!
LEOCADIE. Wo ist die Zeit, Prosp^re! ...
WIRT. Was seufzest du! Wenn eine ihren Weg^
gemacht hat, so bist du's! Freilich ein schönes junges >
Weib hat's immer leichter als wir. j)
HENRI wütend. Laß das.
WIR1. Was schreist du denn immer so mit mir?
Weil du wieder einmal mit ihr beisammen bist ?
HENRI. Schweig! — Sie ist seit gestern meine Frau.^
WIRT. Deine . . . ? Zu Leocadie. Macht er einen Spaß r
LEOCADIE. Er hat mich wirkHch geheiratetja. —
WIRT. So gratulier' ich. Na . . . Scaevola, Jüles —
Henri hat geheiratet.
SCAEVOLA kommt nach vorn. Meinen Glückwunsch
zwinkert Leocadie zu.
"JULES drückt gleichfalls beiden die Hand.
GRAIN »um Wirt. Ah, wie sonderbar — diese Frau
hab' ich gesehn . . . ein paar Minuten, nachdem ich
wieder frei war.
WIRT. Wieso?
GRAIN. Es war die erste schöne Frau, die ich nach
zwei Jahren gesehen habe. Ich war sehr bewegt. Aber
es war ein anderer Herr, mit dem — Spricht weiter mit
dem yfirt.
HENRI in einem hochgestimmten Ton, wie begeistert^ aber
nicht deklamatorisch. Leocadie, meine Geliebte, mein
Weib! . . . Nun ist alles vorbei, was einmal war. In
einem solchen Augenblick löscht vieles aus.
Scaevola und Jules sind nach hinten gegangen^ Wirt wieder vorn.
WIRT. Was für ein AugenbHck?
HENRI. Nun sind wir durch ein heiliges Sakrament
vereinigt. Das ist mehr als menschliche Schwüre sind.
Jetzt ist Gott über uns, man darf alles vergessen, was
96
vorher geschehen ist. Leocadie, eine neue Zeit bricht
an. Leocadie, alles wird heilig, unsere Küsse, so wild
sie sein mögen, sind von nun an heilig. Leocadie, meine
Geliebte, mein Weib ! . . . Er betrachtet sie mit einem glühenden
Blick. Hat sie nicht einen anderen Blick, Prospere, als
du ihn früher an ihr kanntest ? Ist ihre Stirn nicht rein ?
Was war, ist ausgelöscht. Nicht wahr, Leocadie ?
LEOCADIE. Gewiß, Henri.
HENRI. Und alles ist gut. Morgen verlassen wir
Paris, Leocadie tritt heute zum letzten Male in der
Porte St. Martin auf, und ich spiele heute das letzte
Mal bei dir.
WIRi: betroffen. Bist du bei Trost, Henri? — Du
willst mich verlassen ? Und dem Direktor der Porte
St. Martin wird's doch nicht einfallen, Leocadie ziehen
zu lassen? Sie macht ja das Glück seines Hauses. Die
jungen Pierren strömen ja hin, wie man sagt.
HENRI. Schweig. Leocadie wird mit mir gehen.
Sie wird mich nie verlassen. Sag' mir, daß du mich nie
verlassen wirst, Leocadie. Brutal. Sag's mir!
LEOCADIE. Ich werde dich nie verlassen!
HENRI. Tätest du's, ich würde dich . . . Pause. Ich
habe dieses Leben satt. Ich wül Ruhe, Ruhe will ich
haben.
WIRT. Aber was willst du denn tun, Henri? Es
ist ja lächerlich. Ich will dir einen Vorschlag machen.
Nimm Leocadie meinethalben von der Porte St. Martin
fort — aber sie soll hier, bei mir bleiben. Ich engagiere
sie. Es fehlt mir so wie so an talentierten Frauens-
personen.
HENRI. Mein Entschluß ist gefaßt, Prospere. Wir
verlassen die Stadt. Wir gehen aufs Land hinaus.
WIRT. Aufs Land? Wohin denn?
HENRI. Zu meinem alten Vater, der allein in un-
serem armen Dorf lebt, — den ich seit sieben Jahren
nicht gesehen habe. Er hat kaum mehr gehofft, seinen
verlorenen Sohn wiederzusehen. Er vrird mich mit
Freuden aufnehmen.
TIi».->tmtiiek«. II, •, nj
WIRT. Was willst du auf dem Lande tun ? Auf dem
Lande verhungert man. Da geht's den Leuten noch
tausendmal schlechter als in der Stadt. Was willst du
denn dort machen? Du bist nicht der Mann dazu,
die Felder zu bebauen. Bilde dir das nicht ein.
HENRI. Es wird sich zeigen, daß ich auch dazu
der Mann bin.
WIRT. Es wächst bald kein Korn mehr in ganz
Frankreich. Du gehst ins sichere Elend,
HENRI. Ins Glück, Prospere. Nicht wahr, Leocadie ?
Wir haben oft davon geträumt. Ich sehne mich nach
dem Frieden der weiten Ebene. Ja, Prospere, in meinen
Träumen seh' ich mich mit ihr abends über die Felder
gehn, in einer unendlichen Stille, den wunderbaren
tröstlichen Himmel über uns. Ja, wir fliehen diese
schreckliche und gefährUche Stadt, der große Friede
wird über uns kommen. Nicht wahr, Leocadie, wir
haben es oft geträumt.
LEOCADIE, Ja, wir haben es oft geträumt.
WIRT. Höre, Henri, du solltest es dir überlegen.
Ich will dir deine Gage gerne erhöhen, und Leocadie
wiU ich ebensoviel geben als dir.
LEOCADIE. Hörst du, Henri?
WIRT. Ich weiß wahrhaftig nicht, wer dich hier
ersetzen soU. Keiner von meinen Leuten hat so köst-
liche Einfälle als du, keiner ist bei meinem PubHkum
so beliebt als du . . . Geh nicht fort!
HENRI. Das glaub' ich wohl, daß mich niemand
ersetzen wird.
WIRT. Bleib bei mir, Henri ! Wirft Leocadie einen Blick
zu, sie deutet an, daß sie's schon machen wird.
HENRI. Und ich verspreche dir, der Absclüed wird
ihnen schwer werden — ihnen, nicht mir. Für heute
— für mein letztes Auftreten hab' ich mir was zurecht-
gelegt, daß es sie alle schaudern wird . . . eine Ahnung
von dem Ende ihrer Welt wird sie anwehen . . . denn
das Ende ihrer Welt ist nahe. Ich aber werd' es nur
mehr von fern erleben . . . man wird es uns draußen
98
erzählen, Leocadie, viele Tage später, als es geschehen
. . . Aber sie werden schaudern, sag' ich dir. Und du
selbst wirst sagen: So gut hat Henri nie gespielt.
WIRT. Was wirst du spielen? Was? Weißt du's,
Leocadie ?
LEOCADIE. Ich weiß ja nie etwas.
HENRI. Ahnt denn irgend einer, was für ein Künst-
ler in mir steckt ?
WIRT. Gewiß ahnt man es, drum sag' ich ja, daß
man sich mit einem solchen Talent nicht aufs Land
vergräbt. Was für ein Unrecht an dir! An der Kunst!
HENRI. Ich pfeife auf die Kunst. Ich will Ruhe.
Du begreifst das nicht, Prospere, Du hast nie geliebt.
WIRT. Oh! —
HENRI. Wie ich liebe. — Ich will mit ihr allein
sein — das ist es . . . Leocadie, nur so können wir alles
vergessen. Aber dann werden wir so glücklich sein,
wie nie Menschen gewesen sind. Wir werden Kinder
haben, du wirst eine gute Mutter werden, Leocadie,
und ein braves Weib. Alles, alles wird ausgelöscht sein.
Große Pause.
LEOCADIE. Es wird spät, Henri, ich muß ins
Theater. Leb' wohl, Prospere, ich freue mich, endlich
einmal deine berühmte Bude gesehen zu haben, wo
Henri solche Triumphe feiert.
WIRT. Warum bist du denn nie hergekommen?
LEOCADIE. Henri hat's nicht haben wollen —
na, weißt du, wegen der jungen Leute, mit denen ich
da sitzen müßte.
HENRI ist nach rückwärts gegangen. Gib imr einen
Schluck, Scaevola. Er trinkt.
WIRT zu Leocadie^ da ihn Henri nicht hört. Ein rechtet
Narr, der Henri — wenn du nur immer mit ihnen ge-
sessen wärst.
LEOCADIE. Du, solche Bemerkungen verbitt' ich
mir.
WIRT. Ich rate dir, gib acht, du blöde Kanaille.
Er wird dich einmal umbringen.
99
LlOCADlE. Was gibt's denn?
WIRT. Schon gestern hat man dich wieder mit einem
deiner Kerle gesehen.
L£0CADIE. Das war kein Kerl, du Dummkopf,
das war . . .
HENRI weniet sich rasch. Was habt ihr ? Keine Spaße,
wenn's beliebt. Aus mit dem Flüstern. Es gibt keine
Geheimnisse mehr. Sie ist meine Frau.
WIRT. Was hast du ihr denn zum Hochzeitsge-
schenk gemacht ?
LEOCADIE. Ach Gott, an solche Dinge denkt er
nicht.
HENRI. Nun, du sollst es noch heute bekommen.
LEOCADIE. Was denn?
SCAEFOLA, JULES. Was giUt du ihr?
HENRI ganz ernst. Wenn du mit deiner Szene zu
Ende bist, darfst du hierherkommen und mich spielen
sehen.
Man Iscbt.
HENRI. Nie hat eine Frau ein prächtigeres Hoch-
zeitsgeschenk bekommen. Komm, Leocadie; auf Wie-
dersehen, Prospere, ich bin bald wieder zurück.
Henri und LeocadU ab. — Es treten zugleich ein: Frangoii
Vicomte von Nogeant^ Albin Chevalier de la Tremeuille.
SCAEFOLA. Was für ein erbärmhcher Aufschneider.
WIRT. Guten Abend, ihr Schweine.
Albin schreckt zurück.
FRANQOIS ehm darauf xu achten. War das nicht die
kleine Leocadie von der Porte St. Martin, die da mit
Henri wegging ?
WIRT. Freilich war sie's. Was? — Die könnte am
Ende sogar dich erinnern, daß du noch so was wie ein
Mann bist, wenn sie sich große Mühe gäbe.
FRANQOIS lachend. Es wäre nicht unmöghch. Wir
kommen heute etwas früh, wie mir scheint?
WIRT. Du kannst dir ja unterdes mit deinem Lust-
knaben die Zeit vertreiben.
Albtn «iU auffahre».
100
FRJNQOIS. So laß doch. Ich hab' dir ja gesagt,
wie's hier zugeht. Bring uns Wein.
JVIRT. Ja, das will ich. Es wird schon die Zeit
kommen, wo ihr mit Seinewasser sehr zufrieden sein
werdet.
FRANQOIS. Ge^^ß, gewiß . . . aber für heute
möchte ich um Wein gebeten haben, und zwar um den
besten.
Wirt zum Scbanktiscb.
ALBIN. Das ist ja ein schauerlicher Kerl.
FRANQOIS. Denk' doch, daß aUes Spaß ist. Und
dabei gibt es Orte, wo du ganz ähnliche Dinge im Ernst
■hören kannst.
ALBIN, Ist denn es nicht verboten ?
FRANQOIS lacht. Man merkt, daß du aus der Pro-
vinz kommst.
ALBIN. Ah, bei uns geht's auch recht nett zu in
der letzten Zeit. Die Bauern werden in einer Weise
frech . . . man weiß nicht mehr, wie man sich helfen
soU.
FRANQOIS. Was willst du? Die armen Teufel
sind hungrig; das ist das Geheimnis.
ALBIN. Was kann denn ich dafür ? Was kann denn
mein Großonkel dafür ?
FRANQOIS. Wie kommst du auf deinen Groß-
onkel ?
ALBIN. Ja, ich komme darauf, weil sie nämlich in
unserem Dorf eine Versammlung abgehalten haben —
ganz öffentlich — und da haben sie meinen Großonkel,
den Grafen von Tremouille, ganz einfach einen Korn-
wucherer genannt.
FRANQOIS. Das ist alles . . . ?
ALBIN. Na, ich bitte dich!
FRANQOIS. Wir wollen morgen einmal ins Palais
Royal, da sollst du hören, was die Kerle für lasterhafte
Reden führen. Aber wir lassen sie reden; es ist das
beste, was man tun kann; im Grunde sind es gute
Leute, man muß sie auf diese Weise austoben lassen.
lOI
ALBIN auf Scaevola usio. deutend. Was sind das für ver-
dächtige Subjekte? Sieh nur, wie sie einen anschauen.
Er greift nach seinem Degen.
FRANQOIS zieht ihm die Hand toeg. Mach' dich nicht
lächerlich! Zu den Dreien. Ihr braucht noch nicht anzu-
fangen, wartet, bis mehr Publikum da ist. Zu Albin.
Es sind die anständigsten Leute von der Welt, Schau-
spieler. Ich garantiere dir, daß du schon mit ärgeren
Gaunern an einem Tisch gesessen bist.
ALBIN. Aber sie waren besser angezogen.
Wirt bringt Wein.
Micbette und Flipotte kommen.
FRANC^OIS. Grüß' euch Gott, Kinder, kommt,
setzt euch da zu uns.
MICHETTE. Da sind wir schon. Komm nur, Fli-
potte. Sie ist noch etwas schüchtern.
FLIPOTTE. Guten Abend, junger Herr!
ALBIN. Guten Abend, meine Damen!
MICHETTE. Der Kleine ist lieb. Sie setzt sieb auf
den Schoß Albins.
ALBIN. Also bitte, erkläre mir, Fran^ois, sind das
anständige Frauen ?
MICHETTE. Was sagt er?
FRANQOIS. Nein, so ist das nicht, die Damen,
die hierher kommen — Gott, bist du dumm,
Albin!
WIRT. Was darf ich den Herzoginnen bringen?
MICHETTE. Bring mir einen recht süßen Wein.
FRANCOIS auf Flipotte deutend. Eine Freundin ?
MICHETTE. Wir wohnen zusammen. Ja, wir
haben zusammen nur ein Bett!
FLIPOTTE errötend. Wird dir das sehr unange-
nehm sein, wenn du zu ihr kommst ? Setzt sich auf
Franfois' Schoß.
ALBIN. Die ist ja gar nicht schüchtern.
SCAEVOLA subt auf, düster, zu dem Tisch der jungen
Leute. Hab' ich dich endlich wieder ! Zu Albin. Und du
102
miserabler Verführer, wirst du schaun, daß du . . . Sie
ist meini
Wirt siebt zu.
FRANQOIS zu Albin. Spaß, Spaß . . .
ALBIN. Sie ist nicht sein — ?
MICHETTE. Geh, laß mich doch sitzen, wo's mir
beliebt.
Scaevola steht mit geballten Fäusten da.
WIRT hinter ihm. Nun, nun!
SCAEVOLA. Ha, ha!
WIRT faßt ihn beim Kragen. Ha, ha! Bei Seite zu ihm.
Sonst fällt dir nichts ein! Nicht für einen Groschen
Talent hast du. Brüllen. Das ist das einzige, was du
kannst.
MICHETTE zu Franfois. Er hat es neulich besser
gemacht —
SCAEVOLA zum Wirt. Ich bin noch nicht in
Stimmung. Ich mach' es später noch einmal, wenn mehr
Leute da sind; du sollst sehen, Prospere; ich brauche
Publikum.
Der Herzog von Cadignan tritt ein.
HERZOG. Schon höchst bewegt!
Michette und Flipotie auf ihn zu.
MICHETTE. Mein süßer Herzog!
FRANQOIS. Guten Abend, Emile! .. . Stellt vor.
Mein junger Freund Albin Chevalier von Tremouille
— der Herzog von Cadignan.
HERZOG. Ich bin sehr erfreut, Sie kennen zu lernen.
Zu den Mädchen^ die an ihm hängen. Laßt mich, Kinder ! —
zu Albin. Sie sehen sich auch dieses komische Wirts-
haus an ?
ALBIN. Es verwirrt mich aufs höchste!
FRANQOIS. Der Chevalier ist erst vor ein paar
Tagen in Paris angekommen.
HERZOG lachend. Da haben Sie sich eine nette
Zeit ausgesucht,
ALBIN. Wieso?
103
MICHETTE. Was er vsäeder für einen Parfüm hat!
Es gibt überhaupt keinen Mann in Paris, der so ange-
nehm duftet. Zu Albin. ... So merkt man das nicht.
HERZOG. Sie spricht nur von den siebenhundert
oder achthundert, die sie so gut kennt wie mich.
FLIPOTTE. Erlaubst du, daß ich mit deinem Degen
spiele ? —
Sie zieht ihm den Degen aus der Scheide und läßt ihn bin und her-
funkeln.
GRAIN zum Wirt. Mit dem ! . . . Mit dem hab' ich
sie gesehn! — Wirt läßt sich erzählen^ scheint erstaunt.
HERZOG. Henri ist noch nicht da ? Zu Albin. Wenn
Sie den sehen werden, werden Sie's nicht bereuen, lüer-
hergekommen zu sein.
WIRT zum Herzog. Na, bist du auch wieder da ? Das
freut mich. Lang werden wir ja das Vergnügen nicht
mehr haben.
HERZOG. Warum? Mir behagt's sehr gut bei dir.
WIRT. Das glaub' ich. Aber da du auf alle Fälle
einer der ersten sein wirst . . .
ALBIN. Was bedeutet das ?
WIRT. Du verstehst mich schon. — Die ganz
Glücklichen kommen zuerst dran! . . . Geht nach rück-
wärts.
HERZOG nach einem Sinnen. Wenn ich der König
wäre, würde ich ihn zu meinem Hofnarren machen,
das heißt, ich würde mir viele Hofnarren halten, aber
er wäre einer davon.
ALBIN. Wie hat er das gemeint, daß Sie zu glück-
lich sind?
HERZOG. Er meint, Chevaher . . .
ALBIN. Ich bitte, sagen Sie mir nicht Chevalier.
Alle nennen mich Albin, einfach Albin, weil ich näm-
lich so jung ausschaue.
HERZOG lächelnd. Schön . . . aber da müssen Sie
mir Emile sagen, ja ?
ALBIN. Wenn Sie erlauben, gern, Emile.
HERZOG. Siewerdenunlieimlichwitzig, diese Leute.
104
FRANQOIS. Warum unheimlich? Mich beruhigt
das sehr. Solange das Gesindel zu Spaßen aufgelegt
ist, kommt's doch nicht zu was Ernstem.
HERZOG. Es sind nur gar zu sonderbare Witze.
Da hab' ich heute wieder eine Sache erfahren, die gibt
zu denken.
FRANgOIS. Erzählen Sie.
FLIPOTIE, MICHEflE. Ja, erzähle, süßer Her-
zog!
HERZOG. Kennen Sie Lelange?
FRANCOIS. Freüich — das Dorf ... der Marquis
von Montferrat hat dort eine seiner schönsten Jagden.
HERZOG. Ganz richtig; mein Bruder ist jetzt bei
ihm auf dem Schloß, und der schreibt mir eben die
Sache, die ich Ihnen erzählen will. In Lelange haben
sie einen Bürgermeister, der sehr unbeliebt ist.
FRANQOIS. Wenn Sie mir einen nennen können,
der beliebt ist —
HERZOG. Hören Sie nur. — Da sind die Frauen
des Dorfes vor das Haus des Bürgermeisters gezogen
— mit einem Sarg . . .
FLIPOTTE. Wie?... Sie haben ihn getragen?
Einen Sarg getragen ? Nicht um die Welt möcht' ich
einen Sar^ tragen.
FRANQOIS. Schweig doch — es verlangt ja nie-
mand von dir, daß du einen Sarg trägst. Zum Herzog:
Nun?
HERZOG. Und ein paar von den Weibern sind
darauf in die Wohnung des Bürgermeisters und haben
ihm erklärt, er müsse sterben — aber man werde ihm
die Ehre erweisen, ihn zu begraben. —
FRANQOIS. Nun, hat man ihn umgebracht?
HERZOG. Nein — wenigstens schreibt mir mein
Bruder nichts davon.
FRANQOIS. Nun also!... Schreier, Schwätzer,
Hanswürste — das sind sie. Heut brüllen sie in Paris
zur Abwechslung die Bastille an — wie sie's schon ein
halbes Dutzend mal getan . , .
105
HERZOG. Nun — wenn ich der König wäre, ich
hätte ein Ende gemacht . . . längst . . .
ALBIN. Ist es wahr, daß der König so gütig ist?
HERT^OG. Sie sind Seiner Majestät noch nicht vor-
gestellt ?
FRANQOIS. Der ChevaUer ist ja das erste Mal in
Paris.
HERZOG. Ja, Sie sind unglaubHch jung. Wie alt,
wenn man fragen darf?
ALBIN. Ich sehe nur so jung aus, ich bin schon
siebzehn ...
HERZOG. Siebzehn — wie viel liegt noch vor
Ihnen. Ich bin schon vierundzwanzig . . . ich fange
an zu bereuen, wie viel von meiner Jugend ich ver-
säumt habe.
FRANCOIS lacht. Das ist gut! Sie, Herzog . . .
für Sie ist doch jeder Tag verloren, an dem Sie nicht
eine Frau erobert oder einen Mann totgestochen
haben.
HERZOG. Das Unglück ist nur, daß man beinah
nie die richtige erobert — und immer den unrichtigen
totsticht. Und so versäumt man seine Jugend doch.
Es ist ganz, wie Rollin sagt.
FRANQOIS. Was sagt Rolhn?
HERZOG. Ich dachte an sein neues Stück, das sie
in der Comedie geben — da kommt so ein hübscher
Vergleich vor. Erinnern Sie sich nicht ?
FRANQOIS. Ich habe gar kein Gedächtnis für
Verse —
HERZOG. Ich leider auch nicht . . . ich erinnere
mich nur an den Sinn ... Er sagt, die Jugend, die man
nicht genießt, ist wie ein Federball, den man im Sand
liegen läßt, statt ihn in die Luft zu schnellen.
ALBIN altklug. Das find' ich sehr richtig.
HERZOG. Nicht wahr? — Die Federn werden
allmählich doch farblos, fallen aus. Es ist noch besser,
er fällt in ein Gebüsch, wo man ihn nicht wiederfindet.
ALBIN. Wie ist das zu verstehen, Emile ?
io6
HERZOG. Es ist mehr zu empfinden. Wenn ich
die Verse wüßte, verstünden Sie's übrigens gleich.
ALBIN. Es kommt mir vor, Emile, als könnten Sie
auch Verse machen, wenn Sie nur wollten.
HERZOG. Warum?
ALBIN. Seit Sie hier sind, scheint es mir, als wenn
das Leben aufflammte —
HERZOG lächelnd. Ja ? Flammt es auf ?
FRANQOIS. W^ollen Sie sich nicht endlich zu uns
setzen ?
Unterdessen kommen zwei Adelige und setzen sieb an einen etwas
entfernten Tisch; der Wirt scheint ihnen Grobheiten zu sagen.
HERZOG. Ich kann nicht hier bleiben. Aber ich
komme jedenfalls noch einmal zurück.
MICHEIIE. Bleib bei mir!
FLIP0i:7E. Nimm mich mit!
Sie teollen ihn halten.
TFIRT nach vorn. Laßt ihn nur! Ihr seid ihm noch
lang nicht schlecht genug. Er muß zu einer Straßen-
dirne laufen, dort ist ihm am wohlsten.
HERZOG. Ich komme ganz bestimmt zurück, schon
um Henri nicht zu versäumen.
FRANQOIS. Denken Sie, als wir kamen, ging Henri
eben mit Leocadie fort.
HERZOG. So. — Er hat sie geheiratet. Wißt ihr
das ?
FRANQOIS. Wahrhaftig ? — Was werden die an-
dern dazu sagen ?
ALBIN. Was für andern?
FRANQOIS. Sie ist nämlich allgemein beliebt.
HERZOG. Und er will mit ihr fort . . . was weiß
ich . . . man hat's mir erzählt.
WIRT. So? hat man's dir erzählt? — Blick auf den
Herzog.
HERZOG Blick auf den JVirt, dann Es ist ZU dumm.
Leocadie ist geschaffen, die größte, die herrlichste
Dirne der Welt zu sein.
FRANQOIS. Wer weiß das nicht?
107
HERZOG. Gibt es etwas Unverständigeres, als je-
manden seinem wahren Beruf entziehen ? Da Franfois
lacht. Ich meine das nicht im Scherz. Auch zur Dirne
muß man geboren sein — wie zum Eroberer oder zum
Dichter.
FRANQOIS. Sie sind paradox.
HERZOG. Es tut mir leid um sie — und um Henri.
Er sollte hier bleiben — nicht hier — ich möchte ihn
in die Comedie bringen — obwohl auch dort — mir
ist immer, als verstund' ihn keiner so ganz wie ich. Das
kann übrigens eine Täuschung sein — denn ich habe
diese Empfindung den meisten Künstlern gegenüber.
Aber ich muß sagen, war' ich nicht der Herzog von
Cadignan, so möcht' ich gern ein solcher Komödiant
— ein solcher . . .
ALBIN. Wie Alexander der Große .*. .
HERZOG lächelnd. Ja — wie Alexander der Große.
Zu Flifgtte. Gib mir meinen Degen. Er steckt ihn in die
Scheide. Langsam. Es ist doch die schönste Art, sich über
die Welt lustig zu machen; einer, der uns vorspielen
kann, was er will, ist doch mehr als wir alle.
Albin betrachtet ihn verwundert.
HERZOG. Denken Sie nicht nach über das, was ich
sage: Es ist alles nur im selben Augenblick wahr. —
Auf Wiedersehen!
MICHETTE. Gib mir einen Kuß, bevor du gehst!
FLI POTTE. Mir auch!
Sit hängen sich an ihn, der Herzsg küßt beide zugleich und geht.
— Währenddem:
ALBIN. Ein wunderbarer Mensch! . . .
FRANQOIS. Das ist schon wahr . . . aber daß solche
Menschen existieren, ist beinah ein Grund, nicht zu
heiraten.
ALBIN. Erklär' mir im übrigen, was das für Frauen-
zimmer sind.
FRANQOIS. Schauspielerinnen. Sie sind auch von
der Truppe Prospere, der jetzt der Spelunkenwirt ist.
io8
Freilich haben sie früher nicht viel anderes gemacht
als jetzt.
Guillaume stürzt berein, tote atemlos.
GUILLAUME zum Tisch bin, wo die Scbamfieler sitzen,
die Hand ans Herz, mühselig, sich stützend. Gerettet, ja, ge-
rettet !
SC JE FOL J. Was gibt's, was hast du?
ALBIN. Was ist dem Mann geschehn ?
FRANQOIS. Das ist jetzt Schauspiel. Paß auf!
ALBIN. Ah — ?
MICHET7E, FLIP0T7E rasch zu Guillaume bin. Was
gibt's ? Was hast du ?
SCAEVOLA. Setz' dich, nimm einen Schluck!
GUILLAUME. Mehr! mehr!... Prospere, mehr
Wein! Ich bin gelaufen! Mir klebt die Zunge.
Sie waren mir auf den Fersen.
JULES jährt zusammen. Ah, gebt Acht, sie sind uns
überhaupt auf den Fersen.
WIRT. So erzähl' doch endlich, was ist denn pas-
siert? ... Zu den Schauspielern. Bewegung! Mehr Be-
wegung!
GUILLAUME. Weiber her . . . Weiber! — Ah —
Umarmt Flipotte. Das bringt einen auch wieder zum
Leben! Zu Albin, der höchst betroffen ist. Der Teufel soll
mich holen, mein Junge, wenn ich gedacht habe, ich
werde dich lebendig wiedersehn . . . Als wenn er lauschte.
Sie kommen, sie kommen! — Zur Tür hin. Nein, es ist
nichts. — Sie . . .
ALBIN. Wie sonderbar! ... Es ist wirklich ein
Lärm, wie wenn Leute draußen sehr rasch vorbeijagten.
Wird das auch von hier aus geleitet ?
SCAEFOLA zu Jules. Jedesmal hat er die Nuance
... es ist zu dumm! —
WIRT. So sag' uns doch endlich, warum sie dir
wieder auf den Fersen sind.
GUILLAUME. Nichts Besonderes. Aber wenn sie
mich hätten, würde es mir doch den Kopf kosten —
ein Haus hab' ich angezündet.
109
Während dieser Szene kommen wieder junge Adelige^ die an den
Tischen Platz nehmen.
WIRT leise. Weiter, weiter!
GUILLAUME ebenso. Was weiter? Genügt das
nicht, wenn ich ein Haus angezündet habe?
FRANQOIS. Sag' mir doch, mein Lieber, warum
du das Haus angezündet hast.
GUILLAUME. Weil der Präsident des obersten
Gerichtshofes darin wohnt. Mit dem wollten wir an-
fangen. Wir wollen den guten Pariser Hausherren die
Lust nehmen, Leute in ihr Haus zu nehmen, die uns
arme Teufel ins Zuchthaus bringen.
GRAIN. Das ist gut! Das ist gut!
GUILLAUME betracbut Grain und staunt; spricht dann
weiter. Die Häuser müssen aUe dran. Noch drei
Kerle wie ich, und es gibt keine Richter mehr in
Paris!
GRAIN. Tod den Richtern!
JULES. Ja ... es gibt doch vielleicht einen, den wir
nicht vernichten können.
GUILLAUME. Den möcht' ich kennen lernen
JULES. Den Richter in uns.
WIRT leise. Das ist abgeschmackt. Laß das. Scae-
vola! Brülle! Jetzt ist der Moment!
SCAEVOLA. Wein her, Prospere, wir wollen auf
den Tod aller Richter in Frankreich trinken!
Während der letzten Worte traten ein: der Marquis von Lansac
mit seiner Frau Severine; Rollin der Dichter.
SCAEVOLA. Tod allen, die heute die Macht in \
Händen haben! Tod!
MARQUIS. Sehen Sie, Severine, so empfängt man
uns.
ROLLIN. Marquise, ich hab' Sie gewarnt.
SEFERINE. Warum?
FRANQOIS steht auf. Was seh' ich! Die Marquise!
Erlauben Sie, daß ich Ihnen die Hand küsse. Guten
Abend, Marquis! Grüß' Gott, RoUinI Marquise, Sie
wagen sich in dieses Lokal!
HO
SEVERINE. Man hat mir soviel davon erzählt. Und
außerdem sind wir heute schon in Abenteuern drin —
nicht wahr, Rollin?
MARQUIS. Ja, denken Sie, Vicomte — was glauben
Sie, woher wir kommen ? — Von der Bastille.
FRANQOIS. Machen sie dort noch immer so einen
Spektakel ?
SEVERINE. Ja freilich! — Es sieht aus, vne wena
sie sie einrennen wollten.
ROLLIN deklamiert.
Gleich einer Flut, die an die Ufer brandet,
Und tief ergrimmt, daß ihr das eigne Kind,
Die Erde widersteht —
SEVERINE. Nicht, RoUin! — Wir haben dort un-
sern Wagen in der Nähe halten lassen. Es ist ein präch-
tiger Anblick; Massen haben doch immer was Groß-
artiges.
FRANQOIS. Ja, ja, wenn sie nur nicht so übei
riechen würden.
MARQUIS. Und nun hat mir meine Frau keine
Ruhe gegeben . . . ich mußte sie hierher führen.
SEVERINE. Also was gibt's denn da eigentlich Be-
sonderes ?
WIRT zu Lansac. Na, bist du auch da, verdorrter
Hallunke? Hast du dein Weib mitgebracht, weil sie
dir zu Haus nicht sicher genug ist ?
MARQUIS gezwungen lachend. Er ist ein Original!
WIRT. Gib nur Acht, daß sie dir nicht gerade hier
weggefischt wird. Solche vornehm^e Damen kriegen
manchmal eine verdammte Lust, es mit einem rick-
tigen Strolch zu versuchen.
ROLLIN. Ich leide unsäglich, Severine.
MARQUIS. Mein Kind, ich habe Sie vorbereitet
— es ist noch immer Zeit, daß wir gehen.
SEVERINE. Was wollen Sie denn? Ich finde es
reizend. Setzen wir uns doch endlich nieder!
FRANQOIS. Erlauben Sie, Marquise, daß ich Ihnen
den Chevalier de la Tremouille vorstelle. Er ist auch
III
'das erste Mal hier. Der Marquis von Lansac; Rollin,
unser berühmter Dichter.
ALBIN. Sehr erfreut. KompUmenU; man nimmt Platz.
ALBIN zu Frarifois. Ist das eine von denen, die spielt
, odei . . . ich kenne mich gar nicht aus.
■ FRANQOIS. Sei doch nicht so begriffsstutzig! —
/ Das ist die wirkhche Frau des Marquis von Lansac . . .
, eine höchst anständige Dame.
\ ROLLIN zu Severitu. Sage, daß du mich liebst.
I SEVERINE. Ja, ja, aber fragen Sie mich nicht
i jeden Augenblick.
j MARQUIS. Haben wir schon irgend eine Szene
versäumt ?
FRANQOIS. Nicht viel. Der dort spielt einen
Brandstifter, wie es scheint.
SEVERINE. Chevalier, Sie sind -wohl der Vetter
der kleinen Lydia de la Trcmouille, die heute geheiratet
hat ?
ALBIN. Jawohl, Marquise, das war mit einer der
Gründe, daß ich nach Paris gekommen bin.
S£VERINE. Ich erinnere mich, Sie in der Kirche
gesehen zu haben.
ALBIN verlegen. Ich bin höchst geschmeichelt,
Marquise.
SEVERINE zu Rollin. Was für ein lieber kleiner
Junge.
ROLLIN. Ah, Severine, Sie haben noch nie einen
Mann kennen gelernt, der Ihnen nicht gefallen hätte.
SEFERINE. Oh, doch; den hab' ich auch gleich
geheiratet.
ROLLIN. O, Severine, ich fürchte immer — es
gibt sogar Momente, wo Ihnen Ihr eigener Mann ge-
fährlich Ist.
WIRT bringt Wein. Da habt ihr! Ich wollte, es wäre
Gift, aber es ist vorläufig noch nicht gestattet, euch
Kanaillen das vorzusetzen.
FRANQOIS. Wird schon kommen, Prospere.
SByERINE »u Rbüin. Was ist's mit diesen beiden
112
hübschen Mädchen ? Warum kommen sie nicht näher ?
Wenn wir schon einmal da sind, will ich alles mit-y
machen. Ich finde überhaupt, daß es hier höchst ge-*
sittet zugeht.
MARQUIS. Haben Sie nur Geduld, Severine.
SEVERINE. Auf der Straße, find' ich, unterhält
man sich in der letzten Zeit am besten. — Wissen Sie,
was uns gestern passiert ist, als wir auf der Promenade
von Longchamps spazieren fuhren?
MARQUIS. Ach bitte, meine liebe Severine, wo-
zu .. .
SJEFERINE. Da ist ein Kerl aufs Trittbrett unserer
Equipage gesprungen und hat geschrieen: Nächstes
Jahr werden Sie hinter Ihrem Kutscher stehen und
wir werden in der Equipage sitzen.
FRANQOIS. Ah, das ist etwas stark.
MARQUIS. Ach Gott, ich finde, man sollte von
diesen Dingen gar nicht reden. Paris hat jetzt etwas
Fieber, das wird schon wieder vergehen.
GUILLAUME plötzlich. Ich sehe Flammen, Flam-
men, überall, wo ich hinschaue, rote, hohe Flammen.
WIRT zu ihm hin. Du spielst einen Wahnsinnigen,
nicht einen Verbrecher.
S£VERINE. Er sieht Flammen?
FRANQOIS. Das ist alles noch nicht das Richtige,
Marquise.
ALBIN zu Rollin. Ich kann Ihnen gar nicht sagen,
wie wirr ich schon von dem allen bin.
MICHETTE kommt zum Marquis. Ich hab' dich ja
noch gar nicht begrüßt, mein süßes altes Schwein.
MARQUIS verlegen. Sie scherzt, hebe Severine.
SEVERINE. Das kann ich nicht finden. Sag' einmal.
Kleine, wiet'iel Liebschaften hast du schon gehabt ?
MARQUIS zu Frangois. Es ist bewunderungswürdig,
wie sich die Marquise, meine Gemahlin, gleich in jede
Situation zu finden weiß.
ROLLIN. Ja, es ist bewunderungswürdig.
MICHETTE. Hast du deine gezählt?
TheatentOcke. II, •«
»13
SSFERINE. Als ich noch jung war wie du . . . ge-
wiß. —
ALBIN zu Rollin. Sagen Sie mir, Herr Rollin, spielt
die Marquise oder ist sie wirklich so — ich kenne mich
absolut nicht aus.
ROLLIN. Sein . . . spielen . . . kennen Sie den Unter-
schied so genau, Chevaher ?
ALBIN. Immerhin.
ROLLIN. Ich nicht. Und was ich hier so eigentüm-
lich finde, ist, daß alle scheinbaren Unterschiede sozu-
sagen aufgehoben sind. Wirklichkeit geht in Spiel über
— Spiel in Wirklichkeit. Sehen Sie doch einmal die
Marquise an. Wie sie mit diesen Geschöpfen plaudert,
als wären sie ihresgleichen. Dabei ist sie . . .
ALBIN. Etwas ganz anderes.
ROLLIN. Ich danke Ihnen, Chevalier.
WIR T zu Graitt. Also, wie war das ?
GRAIN. Was?
WIRT. Die Geschichte mit der Tante, wegen der
du zwei Jahre im Gefängnis gesessen bist?
GRAIN. Ich sagte Ihnen ja, ich habe sie erdrosselt.
FRAN^OIS. Der ist schwach. Das ist ein Dilet-
tant. Ich hab' ihn noch nie gesehn.
GEORGETTE kommt rasch, wie eine Dirne niedrigsten Rangs
gekUiiet. Guten Abend, Kinder! Ist mein Balthasar
noch nicht da ?
SCAEFOLA. Georgette! Setz' dich zu mir! Dein
Balthasar kommt noch immer zurecht.
GEORGETTE. Wenn er in zehn Minuten nicht da
ist, kommt er nicht mehr zurecht — da kommt er über-
haupt nicht wieder.
FRANQOIS. Marquise, auf die passen Sie auf. Die
ist in Wirklichkeit die Frau von diesem Balthasar, von
dem sie eben spricht und der sehr bald kommen wird.
— Sie stellt eine ganz gemeine Straßendirne dar, Bal-
thasar ihren Zuhälter. Dabei ist es die treueste Frau,
die man überhaupt in Paris finden kann.
Baltbasar kommt.
114
GEORGETTE. Mein Balthasar! Sie läuft ihm ent-
gegen, umarmt ihn. Da bist du ja!
BALTHASAR. Es ist alles in Ordnung. Stille ringsum.
Es war nicht der Mühe wert. Es hat mir beinah leid
um ihn getan. Du solltest dir deine Leute besser an-
sehn, Georgette — ich bin es satt, hoffnungsvolle Jüng-
linge wegen ein paar Francs umzubringen.
FRANCOIS. Famos . . .
ALBIN. Wie? —
FRANQOIS. Er pointiert so gut.
Der Kommissär kommt, verkleidet, setzt sich an einen Tisch.
WIRT zu ihm. Sie kommen in einem guten Moment,
Herr Kommissär. Das ist einer meiner vorzüglichsten
Darsteller.
BALTHASAR. Man sollte sich überhaupt einen
anderen Verdienst suchen. Meiner Seel', ich bin nicht
feig, aber das Brot ist sauer verdient.
SCAEVOLA. Das will ich glauben.
GEORGETTE . Was hast du nur heute?
BALTHASAR. Ich will's dir sagen, Georgette; —
ich finde, du bist ein bißchen zu zärtlich mit den jungen
Herren.
GEORGETTE. Seht, was er für ein Kind ist. Sei
doch vernünftig, Balthasar! Ich muß ja zärtlich sein,
um ihnen Vertrauen einzuflößen.
ROLLIN. Was sie da sagt, ist geradezu tief.
BALTHASAR. Wenn ich einmal glauben müßte,
daß du etwas empfindest, wenn dich ein anderer . . .
GEORGETTE. Was sagt ihr dazu! Die dumme
Eifersucht wird ihn noch ins Grab bringen.
BALTHASAR. Ich hab' heut einen Seufzer gehört,
Georgette, und das war in einem Augenblick, wo sein
Vertrauen bereits groß genug war !
GEORGETTE. Man kann nicht so plötzlich auf-
hören, die Verliebte zu spielen.
BALTHASAR. Nimm dich in acht, Georgette, die
Seine ist tief. Wili. Wenn du mich betrügst, —
GEORGETTE. Nie, nie!
"5
ALBIN. Das versteh' ich absolut nicht.
SEFERINE. Rollin, das ist die richtige Auffassung!
ROLLIN. Sie finden?
MARQUIS zu Severine. Wir können noch immer
gehen, Severine.
SEVERINE. Warum ? Ich fang' an, mich sehr wohl
zu fühlen.
GEORGETTE. Mein Balthasar, ich bete dich an.
Umarmung.
FRANQOIS. Bravo! bravo! —
BALTHASAR. Was ist das für ein Kretin?
KOMMISSÄR. Das ist unbedingt zu stark — das ist —
Maurice und Etienne treten auf; sie sind wie junge Adelige gekleidet^
doch merkt man, daß sie nur in verscblissenenlheaterkostümen stecken.
VOM TISCH DER SCHAUSPIELER. Wer sind
die?
SCAEVOLA. Der Teufel soll mich holen, wenn
das nicht Maurice und Etienne sind.
GEORGETTE. FreiHch sind sie's.
BALTHASAR. Georgette!
SEVERINE. Gott, sind das bildhübsche junge Leute !
ROLLIN. Es ist peinlich, Severine, daß Sie jedes
hübsche Gesicht so heftig anregt.
SEVERINE. Wozu bin ich denn hergekommen ?
ROLLIN. So sagen Sie mir wenigstens, daß Sie
mich lieben.
S£VERINE mit einem Blick. Sie haben ein kurzes Ge-
dächtnis.
ETIENNE. Nun, was glaubt ihr, woher wir kom-
men ?
FRANQOIS. Hören Sie zu, Marquis, das sind ein
paar witzige Jungen.
MAURICE. Von einer Hochzeit.
ETIENNE. Da muß man sich ein wenig putzen.
Sonst sind gleich diese verdammten Geheimpolizisten
hinter einem her.
SCAEVOLA. Habt ihr wenigstens einen ordent-
lichen Fang gemacht?
ii6
WIRT. Laßt sehen.
MAU RICE aus seinem Wams Uhren herausnehmend. Was
gibst du mir dafür ?
WIRT. Für die da? Einen Louis!
MAURICE. Freilich!
SCAEFOLA. Sie ist nicht mehr wert!
MICHETTE. Das ist ja eine Damenuhr. Gib sie
mir, Maurice.
MAURICE. Was gibst du mir dafür?
MICHETTE. Sieh mich an! . . . Genügt das? —
FLIPOTTE. Nein, mir; — sieh mich an —
MAURICE. Meine Heben Kinder, das kann ich
haben, ohne meinen Kopf zu riskieren.
MICHETTE. Du bist ein eingebildeter Affe.
SEFERINE. Ich schwöre, daß das keine Komödie
ist.
ROLLIN. Freilich nicht, überall bhtzt etwas wirk-
liches durch. Das ist ja das Entzückende.
SCAEFOLA. Was war denn das für eine Hochzeit ?
MAURICE. Die Hochzeit des Fräuleins La Tre-
mouille — sie hat den Grafen von Banville geheiratet.
ALBIN. Hörst du, Frangois ? — Ich versichere dich,
das sind wirkliche Spitzbuben.
FRANQOIS. Beruhige dich, Albin. Ich kenne die
zwei. Ich hab' sie schon ein Dutzendmal spielen sehen.
Ihre Spezialität ist die Darstellung von Taschendieben.
Maurice zieht einige Geldbörsen aus seinem Wams.
SCAEFOLA. Na, ihr könnt heut splendid sein.
ETIENNE. Es war eine sehr prächtige Hochzeit.
Der ganze Adel von Frankreich war da. Sogar der
König hat sich vertreten lassen.
ALBIN erregt. AUes das ist wahr!
MAURICE läßt Geld über den Tisch rollen. Das ist für
euch, meine Freunde, damit ihr seht, daß wir zusammen
halten.
FRANQOIS. Requisiten, lieber Albin. Er steht auf
und nimmt ein paar Münzen. Für uns fällt doch auch
was ab.
117
WIRT. Nimm nur ... so ehrlich hast du in deinem
Leben nichts verdient!
MAU RICE bäh ein Strumpfband^ mit Diamanten besetzt,
in der Luft. Und wem soll ich das schenken ?
Georgette, Micbette^ Flipotte baseben danach.
MAURICE. Geduld, ihr süßen Mäuse, darüber
sprechen wir noch. Das geb' ich der, die eine neue
Zärtlichkeit erfindet.
SEVERINE zu Roüin. Möchten Sie mir nicht er-
lauben, da mitzukonkurrieren ?
ROLLIN. Sie machen mich wahnsinnig, Severine.
MARQUIS. Severine, wollen wir nicht gehen? Ich
denke . . .
SEVERINE. O nein. Ich befinde mich vortrefflich.
Zu Rollin. Ah, ich komm' in eine Stimmung —
MICHETTE. Wie bist du nur zu dem Strumpfband
gekommen ?
MAURICE. Es war ein solches Gedränge in der
Kirche . . . und wenn eine denkt, man macht ihr den
Hof . . .
Alle lachen.
Grain bat dem Franfois seinen Geldbeutel gezogen.
FRANQOIS mit dem GeUe zu Albin. Lauter Spiel-
marken. Bist du jetzt beruhigt ?
Grain will sich entfernen.
WIRT ihm nach; leise. Geben Sie mir sofort die Börse,
die Sie diesem Herrn gezogen haben.
GRAIN. Ich —
?VIR T. Auf der Stelle . . . oder es geht Ihnen schlecht.
GRAIN. Sie brauchen nicht grob zu werden. Gibt
sie ihm.
WIRT. Und hier geblieben. Ich hab' jetzt keine
Zeit, Sie zu untersuchen. Wer weiß, wai Sie noch ein-
gesteckt haben. Gehen Sie wieder auf ihren Platz
zurück.
FLIPOTTE. Das Strumpfband werd' ich gewinnen.
WIRT zu Frcnfois; wirft ihm d^n Beutel zu. Da hast du
deinen Geldbeutel. Du hast ihn aus der Tasche verloren.
Ii8
FRANQOIS. Ich danke Ihnen, Prospere. Zu Albin.
Siehst du, \^ir sind in Wirklichkeit unter den anstän-
digsten Leuten von der Welt.
Henri ist bereits längere Zeit dagezoesen^ hinten gesessen^ steht plötz-
lich auf,
ROLLIN. Henri, da ist Henri. —
SEVERINE. Ist das der, von dem Sie mir so viel
erzählt haben ?
MARQUIS. Freilich. Der, um dessentwillen man
eigentlich hierherkommt.
Henri tritt vor, ganz komödiantenhaft; schweigt.
DIE SCHAUSPIELER. Henri, was hast du?
ROLLIN. Beachten Sie den BHck. Eine Welt von
Leidenschaft. Er spielt nämUch den Verbrecher aus
Leidenschaft.
S£VERINE. Das schätze ich sehr!
ALBIN. Warum spricht er denn nicht ?
ROLLIN. Er ist wie entrückt. Merken Sie nur.
Geben Sie acht ... er hat irgend eine fürchterliche
Tat begangen.
FRANQOIS. Er ist etwas theatralisch. Es ist, wie
wenn er sich zu einem Monolog vorbereiten würde.
WIRT. Henri, Henri, woher kommst du?
HENRI. Ich hab' einen umgebracht.
ROLLIN. Was hab' ich gesagt?
SCAEVOLA. Wen?
HENRI. Den Liebhaber meiner Frau.
Der Wirt siebt ihn an, hat in diesem Augenblick »ffenhar die Emp-
findung, es könnte wahr sei*.
HENRI schaut auf. Nun, ja, ich hab' es getan, was
schaut ihr mich so an ? Es ist nun einmal so. Ist es denn
gar so venvunderUch ? Ihr ^vißt doch alle, was meine
Frau für ein Geschöpf ist; es hat so enden müssen.
WIRT. Und sie — wo ist sie?
FRANQOIS. Sehen Sie, der Wirt geht drauf ein. ^—
Merken Sie, das macht die Sache so natürHch. >
Lärm draußen, nicht zu stark.
JULES. Was ist das für ein Lärm da draußen?
119
LANSAC. Hören Sie, Severine ?
ROLLIN. Es klingt, wie wenn Truppen vorüber-
zögen.
FRANQOIS. Oh nein, das ist unser liebes Volk von
Paris, hören Sie nur, wie sie gröhlen. Unruhe im Keller;
draußen wird es still. Weiter Henri, weiter.
WIRT. So erzähl' uns doch Henri! — Wo ist deine
Frau ? Wo hast du sie gelassen ?
HENRI. Ah, es ist mir nicht bang um sie, Sie
wird nicht daran sterben. Ob der, ob der, was liegt
den Weibern dran? Noch tausend andere schöne
Männer laufen in Paris herum — ob der oder der —
BALTHASAR. Möge es allen so gehn, die uns unsere
Weiber nehmen.
SCAEVOLA. Allen, die uns nehmen, was uns ge-
hört.
KOMMISSÄR zum Wirt. Das sind aufreizende Reden.
ALBIN. Es ist erschreckend . . . die Leute meinen
es ernst.
SCAEVOLA. Nieder mit den Wucherern von Frank-
reich! Wollen wir wetten, daß der Kerl, den er bei
seiner Frau erwischt hat, wieder einer von den ver-
fluchten Hunden war, die uns auch um unser Brot
bestehlen.
ALBIN. Ich schlage vor, wir gehn.
SEVERINE. Henri! Henri!
MARQUIS. Aber Marquise!
SEVERINE. Bitte, lieber Marquis, fragen Sie den
Mann, wie er seine Frau erwischt hat . . . oder ich frag'
ihn selbst.
MARQUIS zögernd. Sagen Sie, Henri, wie ist es
Ihnen denn gelungen, die zwei abzufassen?
HENRI der lang in Sinnen versunken tuar. Kennt Ihr denn
mein Weib ? — Es ist das schönste und niedrigste Ge-
schöpf unter der Sonne. — Und ich habe sie geliebt.
— Sieben Jahre kennen wir uns . . . aber erst seit ge-
stern ist sie mein Weib. In diesen sieben Jahren war
kein Tag, aber nicht ein Tag, an dem sie mich nicht
120
.Jt^
belogen, denn alles an ihr lügt. Ihre Augen wie ihre
Lippen, ihre Küsse und ihr Lächeln.
FRANQOIS. Er deklamiert ein wenig.
HENRI. Jeder Junge und jeder Alte, jeder, der sie
gereizt — und jeder, der sie bezahlt hat, ich denke,
jeder, der sie wollte, hat sie gehabt — und ich hab' es
gewoißt !
SEVERINE. Das kann nicht jeder von sich sagen.
HENRI. Und dabei hat sie mich geliebt, meine
Freunde, kann das einer von euch verstehen? Immer
wieder ist sie zu mir zurückgekommen — von überall
her wieder zu mir — von den Schönen und den Häß-
Hchen — den Klugen und den Dummen, den Lumpen
und den Kavalieren — immer wieder zu mir. —
SEFERINE zu Rollin. Wenn ihr nur ahntet, daß
eben dieses Zurückkommen die Liebe ist.
HENRI. Was hab' ich gelitten . . . Qualen, Qualen!
ROLLIN. Es ist erschütternd!
HENRI. Und gestern hab' ich sie geheiratet. Wir
haben einen Traum gehabt. Nein — ich hab' einen
Traum gehabt. Ich wollte mit ihr fort von hier. In
die Einsamkeit, aufs Land, in den großen Frieden.
Wie andere glückliche Ehepaare wollten wir leben —
auch von einem Kind haben vdr geträumt.
ROLLIN leise. Severine!
SEFERINE. Nun ja, es ist schon gut.
ALBIN. Frangois, dieser Mensch spricht die Wahr-
heit.
FRANQOIS. Gewiß, diese Liebesgeschichte ist
wahr, aber es handelt sich um die Mordgeschichte.
HENRI. Ich hab' mich um einen Tag verspätet . . .,
sie hatte noch einen vergessen, sonst — glaub' ich —
hat ihr keiner mehr gefehlt . , . aber ich hab' sie zu-
sammen erwischt . . . und er ist hm.
DIE SCHAUSPIELER. Wer?... Wer? Wie ist
es geschehen ? . . . Wo liegt er ? — Wirst du verfolgt ? . . .
Wie ist es geschehen ? . . . Wo ist sie ?
HENRI immer erregter. Ich hab' sie begleitet ... ins
121
Theater . . . zum letzten Male sollt' es heute sein . . .
ich hab' sie geküßt ... an der Tür — und sie ist hinauf
in ihre Garderobe und ich bin fortgegangen wie einer,
der nichts zu fürchten hat. — Aber schon nach hundert
Schritten hat's begonnen ... in mir . . . versteht ihr
mich . . . eine ungeheure Unruhe . . . und es war, als
zwänge mich irgendwas, umzukehren . . . und ich bin
umgekehrt und hingegangen. Aber da hab' ich mich
geschämt und bin wieder fort . . . und wieder war ich
hundert Schritt weit vom Theater ... da hat es mich
gepackt . . . und wieder bin ich zurück. Ihre Szene
war zu Ende ... sie hat ja nicht viel zu tun, steht nur
eine Weile auf der Bühne, halbnackt — und dann ist
sie fertig . . . ich stehe vor ihrer Garderobe, ich lehne
mein Ohr an die Tür und höre flüstern. Ich kann kein
Wort unterscheiden . . . das Flüstern verstummt . . .
ich stoße die Tür auf ... Er brüllt wie ein wildes Tier.
— es war der Herzog von Cadignan und ich hab' ihn
ermordet. —
WIRT der es endlich jür wahr hält. Wahnsinniger!
Henri schaut auf, siebt den Wirt starr an.
SSFERINE. Bravo! bravo!
ROLLIN. Was tun Sie, Marquise? Im Augenblick,
wo Sie Bravo! rufen, machen Sie das alles wieder zum
Theater — und das angenehme Gruseln ist vorbei.
MARQUIS. Ich finde das Gruseln nicht so ange-
nehm. Applaudieren wir, meine Freunde, nur so kön-
nen wir uns von diesem Banne befreien.
WIRT zu Henri, während des Lärms. Rette dich, flieh,
Henri !
HENRI. Was? Was?
WIRT. Laß es jetzt genug sein und mach', daß du
fortkommst!
FRANQOIS. Ruhe! . . . Hören wir, was der Wirt
sagt!
WIRT nach kurzer Überlegung. Ich sag' ihm, daß er
fort soll, bevor die Wachen an den Toren der Stadt
verständigt sind. Der schöne Herzog war ein Liebling
122
des Königs — sie rädern dich! Hättest du doch lieber
die Kanaille, dein Weib, erstochen'
FRANQOIS. Was für ein Zusammenspiel . . . Herrlich !
HENRI. Prospere, wer von uns ist wahnsinnig, du
oder ich ? — Er steht da und versucht in den Augen des Wirts
XU lesen.
ROLLIN. Es ist wunderbar, wir alle wissen, daß
er spielt, und doch, wenn der Herzog von Cadignan
jetzt hereinträte, er würde uns erscheinen wie ein
Gespenst. Lärm draußen — immer stärker. Es kommen Leute
herein^ man hört schreien. Ganz an ihrer Spitze Grasset, andere,
unter ihnen Lebret, drängen über die Stiege nach. Man hört Rufe:
Freiheit, FreibeitX
GRASSEI. Hier sind wir, Kinder, da herein!
ALBIN. Was ist das? Gehört das dazu?
FRANQOIS. Nein.
MARQUIS. Was soll das bedeuten?
SEVERINE. Was sind das für Leute?
GRASSET. Hier herein! Ich sag' es euch, mein
Freund Prospere hat immer noch ein Faß Wein übrig,
Lärm von der Straße.
und wir haben's verdient!
Freund! Bruder! Wir haben sie, vdr haben sie!
RUFE DRAUSSEN. Freiheit! Freiheit!
SEFERINE. Was gibt's?
MARQUIS. Entfernen wir uns, entfernen wir uns,
der Pöbel rückt an.
ROLLIN. Wie wollen Sie sich entfernen?
GRASSET. Sie ist gefallen, die Bastille ist gefallen!
WIRT. Was sagst du? — Spricht er die Wahrheit?
GRASSET. Hörst du nicht?
Albin toill den Degen ziehen.
FRANQOIS. Laß das jetzt, sonst sind wir alle ver-
loren.
GRASSET torkelt iiber die Stiege berein. Und wenn ihr
euch beeilt, könnt ihr noch draußen was Lustiges sehen
. . . auf einer sehr hohen Stange den Kopf unseres
teueren Delaunaj,
123
MARQUIS. Ist der Kerl verrückt?
RUFE. Freiheit! Freiheit!
GRJSSET. Einem Dufzend haben wir die Köpfe
abgeschlagen, die Bastille gehört uns, die Gefangenen
sind frei! Paris gehört dem Volke!
WIRT. Hört ihr! Hört ihr! Paris gehört uns!
GRJSSET. Seht, wie er jetzt Mut kriegt. Ja, schrei
nur, Prospere, jetzt kann dir nichts mehr geschehn.
WIR T zu den Adligen. Was Sagt ihr dazu ? Ihr Ge-
sindel! Der Spaß ist zu Ende.
ALBIN. Hab' ich's nicht gesagt?
WIRT. Das Volk von Paris hat gesiegt.
KOMMISSÄR. Ruhe! — Man lacht. Ruhe! . . . Ich
untersage die Fortsetzung der Vorstellung!
GRASSET. Wer ist der Tropf?
KOMMISSÄR. Prospere, ich mache Sie verant-
wortlich für alle die aufreizenden Reden —
GRASSET. Ist der Kerl verrückt?
- JF/^g^r-XkiLSpaß ist zu Ende, begreif^Ihr nicht ?
Henri, so sag's ihnen doch, jetzt darfst du's ihnen
sagen! Wir schützen dich . . . das Volk von Paris schützt
dich.
GRASSET. Ja, das Volk von Paris.
Henri steht stieren Blicks da.
WIRT. Henri hat den Herzog von Cadignan wirk-
lich ermordet.
ALBIN, FRANQOIS, MARQUIS. Was sagt er da ?
ALBIN und andere. Was bedeutet das alles, Henri ?
FRANCOIS. Henri, sprechen Sie doch!
WIRT. Er hat ihn bei seiner Frau gefunden — und
er hat ihn umgebracht.
HENRI. Es ist nicht wahr!
IRT. Jetzt brauchst du dich nicht mehr zu fürch-
ten, jetzt kannst du's in die Welt hinausschrein. Ich
hätte dir schon vor einer Stunde sagen können, daß
sie die Geliebte des Herzogs ist. Bei Gott, ich bin nahe
daran gewesen, dir's zu sagen . . . Sie schreiender Bims-
stein, nicht wahr, wir haben's gewußt?
"4
HENRI. Wer hat sie gesehn ? Wo hat man sie ge-
sehn?
fFIRT. Was kümmert dich das jetzt! Er ist ja ver-
rückt ... du hast ihn umgebracht, mehr kannst du
doch nicht tun.
(K FRANQOIS. Um Himmels willen, so ist es wirklich
wahr oder nicht ?
WIRT. Ja, es ist wahr!
GRASSET. Henri — du sollst von nun an mein
Freund sein. Es lebe die Freiheit ! Es lebe die Freiheit!
FRANQOIS. Henri, reden Sie doch!
HENRI. Sie war seine Geliebte ? Sie war die Ge-
liebte des Herzogs ? Ich hab' es nicht gewußt ... er
lebt ... er lebt. —
Ungeheure Bezvegung.
SEVERINE zu den anderen. Nun, WO ist jetzt die
Wahrheit ?
ALBIN. Um Gotteswillen!
Der Herzog drängt sich durch die Masse auf der Stiege.
SEVERINE die ihn zuerst siebt. Der Herzog!
EINIGE. Der Herzog!
HERZOG. Nun ja, was gibt's denn?
WIRT. Ist es ein Gespenst?
HERZOG. Nicht daß ^h wüßte! Laßt mich da
herüber!
ROLLIN. Was wetten wir, daß alles arrangiert ist ?
Die Kerls da gehören zur Truppe von Prospere. Bravo,
Prospere, das ist dir gelungen ?
HERZOG. Was gibt's ? Spielt man hier noch, wäh-
rend draußen . . . Weiß man denn nicht, was da draußen
für Dinge vorgehen? Ich habe den Kopf Delaunays
auf einer Stange vorbeitragen sehen. Ja, was schaut
ihr mich denn so an — tritt herunter. Henri —
FRANQOIS. Hüten Sie sich vor Henri.
Henri stürzt wie ein Wütender auf den Herzog und stößt ihm den
Dolch in den Hals.
KOMMISSAR steht auf. Das geht zu weit! —
ALBIN. Er blutet!
125
1
ROLLIN. Hier ist ein Mord geschehen!
SEVERINE. Der Herzog stirbt!
MARQUIS. Ich bin fassungslos, liebe Severlne, daß
ich Sie gerade heute in dieses Lokal bringen mußte!
p"" SEVERINE. Warum ? mühsam. Es trifft sich wun-
/ derbar. Man sieht nicht alle Tage einen wirklichen
l_ Herzog wirklich ermorden.
ROLLIN. Ich fasse es noch nicht.
/" KOMMISSAR. Ruhe! — Keiner verlasse das Lo-
kal! —
GRASSET. Was wiU der ? ?
KOMMISSAR. Ich verhafte diesen Mann im Namen
des Gesetzes.
GRASSET lacht. Die Gesetze machen wir, ihr Dumm-
köpfe! Hinaus mit dem Gesindel! Wer einen Herzog
umbringt, ist ein Freund des Volkes. Es lebe die Frei-
heit!
ALBIN zieht den Degen. Platz gemacht! Folgen Sie
mir, meine Freunde!
Leocaiie stürzt herein^ über die Stufen.
RUFE. Leocadie!
ANDERE. Seine Frau!
LEOCADIE. Laßt mich hier herein! Ich will zu
meinem Mann! Sie kommt nach vorne, sieht, schreit auf. Wer
hat das getan? Henri!
Henri schaut sie an.
L£0CADIE. Warum hast du das getan?
HENRI. Warum?
LEOCADIE. Ja, ja, ich weiß warum. Meinetwegen.
Nein, nein, sag' nicht meinetwegen. Soviel bin ich mein
Lebtag nicht wert gewesen.
GRASSET beginnt eine Redt. Bürger von Paris, wir
wollen unsern Sieg feiern. Der Zufall hat uns auf dem
Weg durch die Straßen von Paris zu diesem ange-
nehmen Wirt geführt. Es hat sich nicht schöner tref-
fen können. Nirgends kann der Ruf: „Es lebe die Frei-
heit!" schöner klingen, als an der Leiche eine« Herzogs.
RUFE. Es lebe die Freiheit! Es lebe die Freiheit!
1x6
FRANQOIS. Ich denke, wir gehen — das Volk ist
wahnsinnig geworden. Gehn wir.
ALBIN. Sollen wir ihnen die Leiche hier lassen ?
SEVERINE, Es lebe die Freiheit! Es lebe die
Freiheit!
MARQUIS. Sind Sie verrückt?
DIE BÜRGER, DIE SCHAUSPIELER. Es lebe
die Freiheit! Es lebe die Freiheit!
SEVERINE an der Spitze der Adligen^ dem Ausgange zu.
RoUin, warten Sie heut Nacht vor meinem Fenster.
Ich werfe den Schlüssel hinunter wie neuhch — wir
wollen eine schöne Stunde haben — ich fühle mich
angenehm erregt.
Rufe: Es lebe die Freibeitl Es lebe Henril Es lebe Henril
LEB REt. Schaut die Kerle an — sie laufen uns
davon.
GRASSET. Laßt sie für heute — laßt sie. — Sie
werden uns nicht entgehen.
Vorbdng.
117
DER SCHLEIER DER BEAT RICE
Seh ausfiel in fünf Akten
PERSONEN
> Hauptleute
LIONARDO BENTIVOGLIO, Herzog von Bologna
GRAF ANDREA FAN7UZZI
TERESINA, seine Schwester
SILVIO COSINI, Gebeimscbreiber \
CARLO MAGNANI am Hofe
HAUPTMANN GUIDOTII des Fürsten
DER JUNGE MALVE7.ZI
DER ALTE CHIAVELUZZI
ORLANDINO, sein Neffe
ZAMPIERI] .
BRUNI ] ^""^' '^^'^'^'
RIBALDI
VALORI
ARLOTTI
CAMPEGGI
FI LI P PO LOSCH I, Dichuf
AGOSTINO DOSSI, Mustker
ERC OLE MANU SSI, Bildbauer
TITO TIBALDI 1 , .
ANTONIO NIGETTI f '"'^' ^''"^' ^''''^""''
DER ALTE NARDI, ein }V appenscbnetder in Bologna
FRAU NARDI
ROSINA, 19 Jahre )
FRANCESCO, 18 Jahre \ ihre Kinder
BEAT RICE, 16 Jahre J
VITTORINO MONALDI, in der Werkstatt des alten
Nardi
CAPPONI, Händler mit Gewürzen und Wohlgerüchen
BENN0Z7.0, sein Sohn
BASINI, Kaufmann
CLAUDIA \ .
C4TERINA n""i' ^°H^'^^^^ ^^'^"^^
MARGE RITA, ein junges Mädchen
ISABELLA \ ^ . . ^ ^
T ncv P71 J I P^orentintscbe Courttsanen
BATTISTA, DUner de: FiUppo
9'
^V
ERSTER ]
ZWEITER \ junifT Adeliger
DRITTER ]
ERSTER \
ZWEITER \ Bürger
DRITTER J
ERSTES \......
ZWEITES i ^^"'^'^'"'
ERSTER
ZWEITER
DRITTER ) Bou
VIERTER
FÜNFTER ]
ERSTER GEIGER
ZWEITER GEIGER
EIN FLÖTENSPIELER
EIN LAUTENSPIELER
STIMME EINES GEFANGENEN
Adelige, Bürger, Bürgerfrauen, Bürgermädchen,
Soldaten, Wachen, Courtisanen, Diener.
Spielt in Bologna, zu Beginn des i6. Jahrhunderts.
^12
Der Garten des Filipfo Loscht. Im Hintergrund grenzt er an
eine Mauer, die durch Bäume zum großen Teil verdeckt wird. Die
Mauer ist ziemlich hoch. Jenseits von ihr, durch eine supponierte
Straße getrennt, sieht man Kirchtürme, Häuser; in der Ferne Hügel,
Rechts vorn führt eine breite Freitreppe sechs Stufen aufwärts zu
einer Art offener Vorhalle, die von Säulen gestützt ist. Diese Vor-
balle ist rechts hinten durch die Fassade des niederen Hauses ab-
geschlossen. In der Mitte der Fassade eine Tür, die in das Innere
des Hauses führt. — Drei Alleen münden im Vordergrund; eine
kommt von links vorn, eine andere von rechts hinten, also hinter
dem Hause hervor — eine dritte Allee vereinigt sich vorn mit der
linken und verliert sich nach einer Biegung im Hintergrund. Vor dem
Hause, ziemlich nahe, ein hoher Baum, eine Marmorbank unter ihm.
Heißer Sommernachmittag. FILIPPO LOSCHI auf der Bank aus-
gestreckt, die Arme unterm Kopf gekreuzt. AGOSTINO DOSSI
steht links von ihm, die Laute in der Hand. Eben spielt er die
letzten Akkorde. Nun läßt er die Laute sinken. Stille.
Zu Ende ?
FILIPPO
AGOSTINO
Ja.
FILIPPO
Hast du das Lied gemacht ?
AGOSTINO
Ich sagte Heber nein. Denn Worte gibt's,
Die selbst sich ihre Melodie erschaffen,
Und diese sind davon.
FILIPPO
Ich möcht' ihn kennen.
Der diese Worte fand.
AGOSTINO
Träumst du, Filippo ?
FILIPPO
Nicht mehr als sonst an lichten Sommertagen.
Als besänne er sich.
Hast du den Namen schon genannt?
133
AGOSTINO
Filippo!
Ist's möglich, daß du dein Gedicht nicht kennst?
FILIPPO
aufschauend.
Ich selbst?
JGOSTINO
Und kennst es nicht ?
FILIPPO
Beim Himmel, nein!
's ist wohl zu lange her.
JGOSTINO
Zu lang, Filippo ?
Noch blühn die gleichen Rosen hier am Strauch,
Seit du'a ersannst.
FILIPPO
Kein Jahr noch!
JGOSTINO
Noch kein Monat!
FILIPPO
sehr lelbaft, wie für sieb.
Noch nicht drei Tage!
AGOSTINO
Nein, 's ist länger her.
FILIPPO
ist aufgestanden.
Und so entfremdet meinem Heut dies Gestern,
Daß sie, 'genüber Aug' in Aug' gestellt,
Einander nicht erkennen, Brüdern gleich.
Die nachts auf dunkler Straße sich begegnen.
Nein, Agostino, nenn' es nicht mein Lied.
Was wir vergessen konnten, war nie unser;
Nur was wir halten, was wir jederzeit
«34
Rückrufen können, wenn es noch so tief
In unsrer Seele sich versteckte, noch so weit
In einem Winkel sich der Welt verbarg,
Gehört uns zu. Dies Lied ist nicht mehr mein.
AGOS^TINO
Nicht dein dies Lied? Es war für Teresina!
Und du erkennst es nicht ?
FILIPPO
So wenig kenn' ich's,
Als hätt' ich's nie gehört.
AGOSTINO
Und sprichst dies aus,
Als durftest du's vergessen!
FILIPPO
Nein, als müßt' ich —
Und nicht dies Lied allein!
AGOSi:iNO
wie in Angst.
Filippo, sag' mir.
Was ist geschehn ? Drei Tag' lang blieb dein Haus
Verschlossen mir und allen andern Freunden,
Heut endlich läßt du — ohne Lust — mich ein.
Zerstreut, verlegen reichst du mir die Hand,
Dein Auge glänzt wie von verliebten Träumen; —
Was ich, höchst seltsam, dir berichten komme,
Wie müß'ges Schwätzen weisest du von dir —
Und bittest mich um Lautenspiel und Sang.
FILIPPO
Wahrhaftig, bat ich dich ? Sag' doch, was gibt's ?
Venedig zieht heran, ja, so begannst du —
Und Mariscotti ist ein Schurke — nicht ?
AGOSTINO
Wir fürchten's. Doch nicht von Venedig sprach ich.
Der Herzog von Romasna droht mit Krieg.
'j:>
FILIPPO
ganz mecbaniscb.
Der Borgia? Das ist schlimm!
AG0S7IN0
Schlimm ? Mehr als das !
Unheimlich hört sich's an, daß seit zwei Tagen,
Als hätte sie ein Sturm zu uns gejagt.
Vom Süden und vom Westen —
Zwei Diener des Filippo sind aus der Tiefe des Gartens gekommen,
sie tragen Körbe; sie haben die Allee mit Blumen bestreut und gehen
daran, auch die Treppe zu bestreuen. Aus der anderen Allee kommen
zwei andere Diener, welche Schüsseln mit Obst und Zuckerwerk
tragen, und über die Stufen ins Haus gehen. Filippo folgt ihnen
mit den Augen.
JGOSTINO
ist befremdet, bat sieb unterbrochen und spricht jetzt weiter.
Was ist dies ?
Bereitest du ein Fest?
FILIPPO
Das arme Wort!
Nun ja, was von dem Stumpf der Kerze kommt,
Wie was die Sonne sendet, heißt uns Licht; —
So feir' ich denn ein Fest.
AGOSTINO
An solchem Tag ?
Du bist gelaunt zu scherzen! — Hör' mich an:
Mit jeder Stunde rücken Cesars Scharen
Bologna näher, und Herr Mariscotti,
Der unsrer teuern Stadt Geschicke lenkt.
Solang der Herzog fern, erscheint geneigt.
Dem Borgia sich und uns zu überliefern.
Was zur Verteidigung er anbefald,
Ist Trug, zu schlecht, um Narren naszuführen.
Die Tore, heut gesperrt und wolilgehütet.
Vor morgen abend fliegen alle auf,
Cesar zieht ein, und wir sind seine Knechte.
136
FILIPPO
beunruhigt.
Gesperrt die Tore, alle, auch für uns?
JGOSTINO
Wie das — für uns ?
FILIPPO
Ich meine, niemand kann
Die Stadt verlassen ?
AGOSTINO
Wie? Du \^'illst —
FILIPPO
Antworte —
Kein Ausweg aus der Stadt? Nein, 's ist nicht wahr.
Sie können nicht von allen Seiten kommen!
AGOSTINO
Bist du von Sinnen ? Willst du fort ?
FILIPPO
Sägt' ich's — ?
AGOSTINO
Bologna willst du ? willst die Braut verlassen ?
FILIPPO
Ich habe keine.
AGOSTINO
Wie?
FILIPPO
Hab' keine Braut!
AGOSTINO
Nein, dies ist nicht Filippo, der so sprach —
Sag', daß du einer bist, der sich mit List
In meines Freunds Gestalt verkleidet hat,
Und daß der selbst, gegebnem Worte treu,
In dieser Stunde dort ist, wo er soll.
137
FILIPPO
Filippo bin ich, der ich immer war.
AGOSi:iNO
So hat ein Zauber dich der Braut entfremdet;
Doch der dich rückruft, ist von größrer Macht.
Dringend. Eh' diese Sonne untergeht, Fihppo,
Wer weiß, vielleicht in dieser Stunde schon,
Hat Teresina niemand mehr als dich.
An ihrer Mutter Sterbelager wacht sie
Allein — zum unglücksel'gen Los bestimmt,
Am gleichen Tag, was ihr von Menschen wert,
Die Mutter — und den Bruder zu beweinen.
FILIPPO
Kam eine schlimme Nachricht von Andrea ?
AGOSTINO
Nein, keine schlimme kam — wie keine gute.
Doch 's ist gewiß: er selbst — kommt nicht zurück.
FILIPPO
Was sagst du da ? —
JGOSTINO
Andrea kommt nicht wieder!
V\^e keiner rückkehrt, der vor einem Jahr
Mit unserm Herzog auf die Reise ging.
Wie Bentivoglio selbst nicht wiederkehrt.
FILIPPO
Wer sagt's ? Sind sie nicht auf dem Heimweg alle ?
JGOSTINO
Sie waren's — jetzt sind sie auf einem andern!
FILIPPO
Ist dies gewiß ?
JGOSTINO
Die letzte Kunde kam
Aus Rom. Der Herzog, heute scheint's unglaublich.
138
Verließ die Stadt, wo ihn die Herren Borgia
Bewirtet, lebend; — seither aber kam
Kein Bote, keine Nachricht nach Bologna,
Und was der Papst in Rom versäumt, wir fürchten.
Er Ueß es auf dem Weg hierher besorgen,
Und Mariscotti wußte auch um dies.
ERCOLE MANU SSI
ist durch die Tür auf die Terrasse getreten.
In Flammen steht die Welt! Was kümmert's Euch?
Er geht die Stufen herunter.
Der eine lümmelt auf der Bank, der andre
Hält seine Laute zärtlich in den Armen,
Und über Rosen schreit' ich zu Euch hin.
So wißt Ihr nichts ?
FILIPPO
Umfriedet ist mein Garten,
Die Fenster sind verhängt, den Lärm und Unsinn,
Der durch die Straßen fegt, lass' ich nicht ein;
Es finden seine Boten doch den W^eg.
AG0S7IN0
Was gibt's?
ERCOLE
Der Herzog ist zurückgekehrt!
AG0S7IN0
Ist das gewiß ?
ERCOLE
Hier diese Augen sahn ihn.
AGOSTINO
Hörst du, Filippo ? Zu Ercole. Sag' uns mehr!
ERCOLE
Noch nachts,
Durch welches Tor, weiß niemand, — unerkannt
Betrat er seine Stadt. Schon früh am Morgen
139
Schwirrt' ein Gerücht durch die bewegten Gassen,
Dran keiner glaubte. Man erzälilte mehr:
Des Mariscotti Neffe sei entflohen,
Er selber lag' in Ketten. Doch's blieb still
Rings um das Schloß. Die Wachen zogen auf,
Wie sonst, und von den Türmen, von den Mauern
Kam immer neue Kunde: daß von Süden,
Endlos gereiht, die röm'schen Truppen nahn,
Daß in Faenza Cesars Schützen stehn,
Und auf der fernen Straße von Montese,
Als flog' es aus dem Boden mit dem Staub,
Der es umhüllt, ein Heer von Reitern wüchse,
Nun wußten wir verloren die Fünfhundert,
Die Mariscotti gestern ausgeschickt,
Nur um zu früh verdächtig nicht zu sein.
Und Unruh' lohte auf, durch jene Fabel,
Von Bentivoglios Heimkehr unterzündet.
Man fühlte sich bedroht, wenn nicht verraten.
Die Söldner an dem Tore von Isaia
Beschließen vor das Schloß zu ziehn und dort
Antwort zu fordern, was die Absicht sei.
Ribaldi führt sie hin, und ihnen nach
Stürzt flutend aufgeregtes Volk zum Tor.
Da springt es auf, und uns entgegen tritt
— Drang denn kein Schrei des Jubels bis hierher? -
Der Bentivoglio und dein Freund Andrea!
FILIPPO
steht erregt a:'.j.
Auch er?
ERCOLE
Drum wundert's mich, daß du daheim.
Und ist dir nicht bekannt, daß er zurück ist,
Weißt du auch nicht, daß seine Mutter starb,
Heut Nacht, noch eh' er kam ?
AGOSTINO
Hörst du, Filippo ?
Die Mutter Teresinas tot!
140
J
FILIPPO
kühl verltgen.
So war's
Andrea nicht vergönnt, sie zu umarmen?
AGOSTINO
Und weiter sagst du nichts, Filippo ?
FILIPPO
Wahrlich,
Daß diese güt'ge Frau verschied, ist schmerzlich.
ERCOLE
befremdet.
Wo bin ich hier ? Bald scheint mir selbst, was draußen
Sich zuträgt, nicht mehr wahr! In diesen Zweigen
Ruht laue Luft, die nichts vom glühnden Ernst
Des Tages weiß. Was ist's mit dir, Filippo ?
FILIPPO
schweigt.
JGOSTINO
Besinn dich und geh hin.
FILIPPO
Wohin ?
AGOSTINO
Es gibt
Nur einen Weg für dich. Vergingst du dich,
Vergaßest dein Gelöbnis, — diese Stunde
Weckt die Erinnrung dran aus tiefstem Schlaf.
Und zögerst du, dem reinen Blick der Braut
Die treuvergessne Stirn zu bieten, denk', —
An einem Sarg wird manche Schuld verziehn!
FILIPPO
mit plötzlicher Heftigkeit.
Wer spricht von Schuld ? Im Herbste fallen Blätter,
Im Frühjahr sprießen andre! Sagt Ihr drum.
141
Daß einer schuldig ward? Ich bin es nicht!
Es sei, daß Schuldigsein bedeutet: ew'gen
Gesetzen unterworfen sein. Ist's so,
Dann wartet Schuld von Kindheit auf in uns,
Wie unser Tod in unserm Busen harrt,
Solang wir atmen. Wenn ich schuldig bin.
So ist die Jugend ein Geschenk der Hölle,
Ist Schönheit Sünde und das Glück ein Gift,
So tückisch wie kein andres.
ERCOLE
Ist es das ?
Nun, — hab' ich's recht gefaßt, mit kleinern Worten
War's abzutun. Sag' doch in Kürze so:
Mir hat die lange Brautschaft nicht behagt,
Und meine durst'ge Jugend suchte Trost
Bei einer, die gefällig war und hübsch.
FILIPPO
nach kurzem Besitwen.
Ich sag' in Kürze: geht, ich bitt' Euch, beide!
ERCOLE
toill zuerst auffahren^ dann ernst.
Für kleinen Zank zu ernst ist dieser Tag.
Drum rat' ich dir: begrüße deinen Freund,
Eh' er dich fragen kommt, wie du's vergaßest.
FILIPPO
Die Antwort finden, denk' ich, steht mir zu.
ERCOLE
Doch ihm das letzte Wort, und allzu teuer
War' so ein Rausch bezahlt. Es sei, du denkst,
Ob so, ob anders, kommen wird es doch.
FILIPPO
Wie meinst du das ?
ERCOLE
Nun hört! Für diesen Kopf
Und den und deinen und für jeden so,
142
V
)ei heut auf Bologneser Schultern sitzt,
jeb' ich Gebärde SO viel nicht mehr. Rings ganz um-
schlossen
st unsre Stadt; und daß der Herzog heimkam,
leu'n sich nur die, die vor dem Tor zu sterben
\h beßres Los begrüßen, denn der Gnade
)es Borgia überliefert sein und leben.
jolognas Freiheit ist dahin, und wer
>ie liebt, mit ihr. Den Herzog kenn' ich wohl:
Ix säumt nicht einen Tag. Vor morgen abend
st die Entscheidung da, doch gibt's nur eine.
)ium sucht' ich Euch. Jedoch bevor ich kam,
jing ich in meine Werkstatt, schlug in Stücke
)en angefangnen Guß, dann sperrt' ich zu.
)enn was auch über uns besclilossen sei,
50 wie wir uns in guten Tagen fanden,
-,aßt uns zusammenbleiben bis zum Ende.
FILIPPO
wie aufschreiend.
-iu Ende ? Kam dies alles über Nacht ?
tein Ende, nein, für mich kein Ende!
BJTTISTJ
der Diener Filippos kommt von der Terrasse.
Gnädiger Herr, der Geheimschreiber Seiner Hoheit
ies Herzogs, der edle Herr Silvio Cosini, ist eben in das
Haus getreten.
FILIPPO
Wer, sagst du ?
JG0S7IN0
Silvio Cosini f
BJTTISTJ
Der Geheimschreiber Seiner Hoheit des Herzogs.
FILIPPO
Und fragt nach mir?
H3
BJTTISTJ
Der Herr Geheimschreiber kommt zu dem gnädigen
Herrn im Auftrage Seiner Hoheit.
FILIPPO
Tm Auftrag?
JGOSTINO
Geh Battista,
Dein Herr läßt bitten.
BJTIISTJ
ab.
FILIPPO
Was will mir der Herzog?
Er kennt mich nicht.
ERCOLE
So kennt er deinen Ruhm.
SILVIO COSINI
kommt von der Terrasse.
FILIPPO
ihm entgegen.
Ich bin Filippo Loschi, den Ihr sucht.
Seid mir willkommen, edler Herr Cosini.
Hier meine Freunde: Agostino Dossi
Und Ercole Manussi.
COSINI
Zu Ercole.
Wohlbekannt.
Der Fechter, der im Park zu Cento steht,
Ist Euer Werk?
ERCOLE
Er ist's.
COSINI
zu Agostino.
Und täusch' ich mich,
144
Wenn ich in Euch den Jüngling wiederkenne.
Der uns — wann war's nur? —
AGOSTINO
Als von Padua
Der Fürst an unsres Herzogs Tafel speiste.
COSINI
sieb erinnernd.
Am Tag, bevor Bologna wir verließen.
Glaubt mir, wir hörten manchen Lautenspieler
Seit jenem Tag — es kam Euch keiner gleich.
So nehm' ich's denn als gutes Zeichen an.
Die Meister dreier Künste hier zu finden.
AGOSTINO
Verstattet unserm Staunen eine Frage.
Wann kamt Ihr an?
ERCOLE
Es hieß, daß nur der Herzog
Und Graf Andrea heimgekehrt, die andern
Noch auf dem Weg und mit sehr wenig Hoffnung,
Die Heimat jemals wieder zu begrüßen.
COSINI
Vor gar so bösem Abschluß unsrer Fahrt
Bewahrte uns der Himmel. Mit sechs Freunden
Erreicht' ich wenig Stunden nach dem Herzog
Die Stadt. Und auch zehn Tiere, reich beladen,
Ja, selbst drei Wagen brachten wir nach Hause,
Darauf so seltne Schätze sind, daß uns
So Kön'ge als Gelehrte drum beneiden.
ERCOLE
So wett' ich, es sind griech'sche Manuskripte,
Von Euch entdeckt!
COSINI
Auch daran fehlt es nicht.
Theaterstflcke. II, lo. I4.C
Und Münzen, Edelsteine, alte Waffen,
Auch prächt'ge Stoffe gibt's, genug, um zwanzig
Der schönsten Fraun Bolognas drein zu kleiden.
Und dann aus Marmor einen Speerewerfer,
So ist die Haltung — leider fehlt ein Arm —
Vor unsern Augen aus dem Schutt gegraben
Bei Carsoli — gäb's Gott, es blieb' uns Muße,
Nach Cento in den Garten ihn zu setzen —
Zu Ercole. Zu Seiten jenes Fechters, der uns wert.
Und doch, soviel wir bringen, uns ward mehr
Geraubt, und mehr als solche Schätze. Zwei
Der Unsern, Gofalo und Marco Pitti,
Den Blick schon diesen Türmen zugewandt,
Erlagen Mörderstreichen, sieben Knechte
Mit ihnen.
ERCOLE
Wie? So fielt Ihr doch den Leuten
Des Borgia in die Hände ?
AG0S1IN0
Armer Pitti!
Ich kannt' ihn wohl! Wie fröhlich zog er aus, —
Und nun im Angesicht der Heimat sterben!
COSINI
Dem Herzog war es zugedacht, wir v/issen's!
Ihm gab der Himmel ein, vorauszueilen,
Auf anderm als dem vorbestimmten Weg,
Doch nun, soviel zu sagen wäre, endHch
Zu meines Herren Auftrag.
Da Agostino und EtcoU sieb entfernen wollen. Kein geheimer,
So wenig als der Ruhm Geheimnis ist.
Zu Filippo. Ich bin gesandt, Euch meines Herzogs Gruß,
BeAvunderung, und für den heut'gen Abend
Den Ruf an seinen Hof zu überbringen.
FILIPPO
An Eures Herzogs Hof?
146
COSINI
etwas befremdet, scherzend.
Wohl auch des Euern!
FILIPPO
Doch wagt' ich nie, zu meines Herren Füßen
Von meinen armen Liedern eins zu legen —
COSINI
Ein andrer tat's für Euch!
FILIPPO
Der Graf Andrea?
COSINI
So ist's. Gar oft, wenn uns der Reise Zufall
Im Freien rasten ließ, las uns Andrea —
Der Herzog schwärmt für seiner Stimme Wohllaut ■
Aus dem Petrarca vor und aus Virgil.
Doch Eure Verse spricht er frei. Da leuchtet
Sein Aug' in Stolz, daß solche Wundenvorte
Die hohe Tugend seiner Schwester preisen,
Und daß sie Euch verlobt, der sie besang.
Ja, glaubt mir: Eurer Lieder heiße Andacht
Entflammte manchen unter uns so sehr, —
Nicht mich, Ihr Herren, mein' ich, ich bin alt —
Daß, Euch bewundernd, er zugleich Euch grollte.
Der Sehnsucht weckt und sie mit gleichem Wort,
Die hoffnungslose, in Verzweiflung wendet.
Der Herzog aber, mehr bewegt als alle,
Sprach so zu uns: An eines Fürsten Seite
Ist solchen Dichters Platz; ich danke Gott,
Der mir vergönnt hat, dieser Fürst zu sein;
Und kehr' ich nach Bologna heim, so sei
Vor allen andern er zu mir geladen.
Getreu dies zu bestellen ist mein Amt.
Im ungewissen liegt der nächste Tag,
L^nd etwas aufzuschieben wäre kühn.
Zu seltnem Fest lädt Euch der Herzog ein,
xo*
H7
Umglüht von roten Fackeln der Gefahr,
Und unter schicksalsvollen Sternen. Drum,
Gefällt's Euch, Herr Filippo, folgt mir gleich.
FILIPPO
nach kurzem Schweigen.
Ihr seid am falschen Orte, Herr Cosinl!
Ich bin heut nicht mehr, den der Herzog sucht,
Und folgt' ich seinem Ruf, wie ein Betrüger
Stund' ich vor ihm. Drum und aus andern Gründen
Wenn's Euch behebt, aus Laune, bleib' ich fort.
Es feiert jeder so sein Fest für sich,
Mit gleichem Recht, mit anderm Sinn ein jeder.
COSINI
sich zu den andern wendend^ erstaunt.
Ihr Herrn —
ERCOLE
*s Ist eine Laune, wie er sagt,
Und weggespült vom nächsten AugenbUck.
COSINI
So wart' ich einer klaren Antwort. Stellt,
Ich bitt' Euch, Euer Nein auf kräft'ge Füße.
Zum Herzog kann mich dieses nicht geleiten.
Daß man ihm weigert, was er anbefiehlt,
Erfuhr kein Bentivoglio je, viel wen'ger,
Daß einem güt'gen Wunsch man sich versagt;
Zu guter Stunde nicht, wie gar in solcher,
Da jedes Ja und Nein zum Zeichen wird.
Und mehr bedeutet als sich selbst.
FILIPPO
Sehr wahr!
Dumpfes Glockengeläute von den Türmen.
AGOSTINO
Was soll dies Zeichen? Kündet es Gefahr?
ERCOLE
Von allen Türmen klingt's!
148
AGOSTINO
Wie Totenglocken!
COSINI
Das sind sie.
ERCOLE
Niemals hört' ich sie so mächtig!
AQOSTINO
Doch einmal: als des Herzogs Mutter starb!
COSINI
Und weiß man hier nicht, wem sie heute gelten?
AGOSTINO
verstehend.
Der Gräfin Leichnam bringt man wohl zur Gruft?
COSINI
In dieser Stunde.
AGOSTINO
Komm, Filippo!
ERCOLE
Höre,
Zum Hause der Fantuzzi wolln wir alle!
FILIPPO
Mich laßt daheim!
AGOSTINO
So ist es wahr, Filippo,
Daß alle Stimmen, die auf Erden gelten,
Sinnlos vorüberhallen deinem Ohr ?
Noch tönt es von den Türmen. Komm, Filippo,
Was dich umhüllt in diesen letzten Tagen,
War Wahn — in dieser Stunde fällt es ab!
FILIPPO
Wahn ist nur eins: das nicht verlassen können,
149
Was uns nichts ist, ob Freund, ob Frau, ob Heimat, —
Und eins ist Wahrheit: Glück, woher es kommt!
AGOSTINO
Dies deine Antwort?
FILIPPO
Nimm es so.
COSINI
Und auch
Dem Fürsten sendet Ihr nicht andre?
FILIPPO
Nein.
ERC OLE
So laßt uns gehn, Ihr Herrn. Es ist nicht Zeit,
Verrückte klug zu machen.
COSINI
Herr Filippo,
Um meines Fürsten wie um Euretwillen
Kränkt's mich, so unbegreiflichen Empfang
Der ehrenvollen Botschaft ihm zu melden,
JGOSTINO
Ich flieh' ohn' jeden Abschied deine Nähe,
Als eines, dem nichts mehr mit uns gemein.
Ercole, /Igoslüio, Cosini ab.
Wenn sie fort sind, bleibt Filippo eine Weile still, dann geht er rascb
durch die Allee nach hinten und lauscht. Er kommt wieder nach
voricärts^ nähert sich dem Hause, geht drei Stufen hinauf^ bleibt auf
der dritten Stufe stehen und ruft.
FILIPPO
Battista !
BA1IIS1A
erscheint gleich auf der Terrasse^ tvo er stehen bleibt.
Gnädiger Herr?
FILIPPO
Du ■ wirst zwei Pferde schaffen auf der Stelle.
ISO
zeigt ein erstauntes Gesiebt.
FILIPPO
Verstehst du mich? Zwei Pferde!
BAIIISJA
Heute, gnädiger Herr?
FILIPPO
Was geht's dich an, ob heut, ob morgen!
BATIISJA
So war's nicht gemeint, gnädiger Herr! Wie dürft'
ich wagen — aber ich will nur bemerken, daß es eine
vollkommene Unmöglichkeit sein wird, heute Pferde zu
bekommen.
FILIPPO
Geh zum Regondi, vierundzwanzig hat der
Im StaU!
BA7i:iSTA
Herr, gerade von dem weiß ich zuversichtlich, daß er
kein einziges mehr hat. Ghiberti hat alle in Besclilag
genommen.
FILIPPO
Wer ist Ghiberti ?
BAJTISTA
Der Reiterhauptmann Ghiberti! Am Tor von San
Stefano!
FILIPPO
So geh zu einem andern! Suche beim
Marsiglio, — besser noch — tu in der Stadt
Dich um und kauf sie Söldnern ab!
bai:i:isi:a
Herr!
FILIPPO
Nimm Geld, soviel du willst! Nur schaff mir Pferde!
Und säum' nicht länger! Gehl Hast du sie erst,
151
Sag' ich dir alles, was zu wissen not.
Noch eins: auf deinem Wege hör' um dich,
Nach Botschaft von den Türmen, welche Straße
Noch frei, wo — Er unterbricht sich.
ah, wo ein Entkommen möglich.
Und wenn — Doch gehl Ruft ihm nach.
Battista!
BJTTISTA
Gnädiger Herr?
FILIPPO
Dies ist für dich allein.
Und jetzt geh rasch und komme rasch zurück!
BJTTISTJ
geht.
FILIPPO
allein. Verläßt die Stufen, eilt, als wenn er etwas gehört hätte, wieder
durch die Allee nach hinten, dann kommt er langsam nach vorwärts
und beginnt zu sprechen.
Auf leichten Flügeln rauscht mein Leben hin;
Sie aber hängen schwere Worte dran.
In ihre Tiefen es zu ziehn. Was ist mir
Dies alles ? Wo ich bin, gilt nicht, was unten
Schicksal und Weg bestimmt. Entkommen, sagt' ich?
Dies ist kein Fliehn. Ich schließ' die Tür nicht ab.
Und wenn Andrea kommt, steh' ich ihm Rede.
Doch sein zu warten, hält mich hier so wenig.
Als dieser Stadt Gefahr. Und hätt' ich Macht,
Mit einem einz'gen Hauch sie zu befrein,
Doch Beatrice war' mir drum verloren.
Gab' ich Bologna hin; — und loht in Flammen
Die Heimat hinter mir, wär's mir nichts weiter
Als meines Glückes würd'ger Opferbrand.
Es ist ziemlich dunkel geworden, durch die Allee aus dem Hinter-
grund kommt Beatrice, nicht sehr eilig, schwebenden Gangs. Filippo
gebt ihr entgegen.
I?«
BEAfRICE
Da hast du mich! Wie dunkel ist es hier!
Die Straßen sind beinah noch hell. Und höre,
Die Unruh' draußen! Aber hier ist's still.
Ich wollt', ich könnte lange bei dir bleiben.
FILIPPO
Das wirst du!
BEA1RICE
sieb auf die Bank niederlassend.
Laß mich jetzt ein wenig ruhn.
Ich bin ganz müd'. Was hab' ich alles heut
Gesehn — gehört! Ganz wirr bin ich.
FILIPPO
fcie zu einem Kind.
Weißt du,
Daß großes Übel diese Stadt bedroht ?
BEATRICE
Bin doch kein Kind! Wie sollt' ich das nicht wissen?
Hätt' bald nicht hergefunden. Auf dem Platz
Vor San Petron gab's ein Gedränge! denk' nur,
Der Kamm aus meinem Haar ist fort! Er glitt
Herunter, — hätt' ich mich nach ihm gebückt.
Nie wieder hätt' ich aufstehn können.
FILIPPO
Sage:
Dich ängstigt nicht, was du gehört ?
BEATRICE
O sehr!
Und viele haben Angst! Doch andre freun sich,
Die reden laut und kühn, und einen hört ich.
Der stellte auf die Stufen sich und rief:
Dem Borgia Tod! Lachend. Da schrien gleich alle mit!
FILIPPO
betrachtet sie mit einem entzückten Blick,
Liebst du mich sehr?
153
BEATRICE
Du fragst? Ich lieb' dich so.
Daß alles anders ist, seit ich dich kenne.
Wie soll ich dies nur sagen? Sieh, mir ist,
Als waren lauter Puppen sonst um mich
Die Menschen alle: — und seitdem — nun ja,
Seit jenem Fest — drei Tag' erst, denk' Filippo,
Daß ich zum erstenmal dich sah — drei Ta^e,
Der Tanz vorm Tor, das Spiel, das Armbrustschießen,
Der Wettlauf von den zahmen Leoparden,
Das ist drei Tag' erst! — Nein, wie alles anders
Und bunt ward — und die Puppen Menschen ! Wie erfreut.
Sieh!
Das wollt' ich sagen.
FILIPPO
entschlossen.
Höre, Beatrice!
Noch heut verlassen du und ich die Stadt.
BEA1RICE
sieht ihn erstaunt an.
FILIPPO
Versteh mich gut! So kühn die Leute reden.
Der Tod schwebt über allen Dächern. Ich
Und du, wir wollen leben, Beatrice 1
Drum sollst du mit mir fort.
BEA7RICE
Noch heute?
FILIPPO
Weil schon das Morgen uns vernichten kann.
Bist du bereit?
BEA1RICE
Mit dir?
FILIPPO
Mit mir.
154
BEA7R1CE
Wohin?
riLippo
Nicht dies ist wichtig! Bist du nur bereit?
BEATRICE
Doch ist's gewiß, du läßt mich nicht allein?
FILIPPO
Du Kind!
BEATRICE
O glaube nicht, daß ich mich fürchte!
Wie oft, bis tief zur Dunkelheit, bin ich
Auf Wies' und Feld und Hügeln vor den Toren
Herumspaziert, und niemand war mit mir.
Doch sah ich immer unsre Türme ragen,
Und leises Summen kam zu mir von weitem,
Und immer wüßt' ich: unten ist die Stadt.
Doch in der Fremde kann man sich verirren.
FILIPPO
Für dich wird nirgends Fremde sein. Ganz andres
Bleibt zu bedenken. Niemals, Beatrice,
Wirst du die Deinen wiedersehn.
BEATRICE
Die Meinen? sinnt.
Siehst du, dies alles hab' ich längst gefühlt!
Jetzt aber weiß ich's erst.
FILIPPO
Was denn?
BEATRICE
Denk' nur:
Mir ist, als hätt' ich in der Eltern Hause
Nur ausgeruht, wie man auf Reisen tut.
Und käme von wo anders her und müßte
Wo anders hin; und wacht' ich morgens auf,
Und schaute so um mich, da war mir oft —
ns
FILIPPO
Wie war dir da?
BEATRICE
Als war' ich nicht zu Haus.
FILIPPO
zerstreut.
Nun ja. Er ist aufgestanden und die Stufen hinaufgegangen.
BEJTRICE
Was blickst du aus ?
FILIPPO
Die Stunden flieha.
Ich sehe nach dem Diener, nach den Pferden.
BEJTRICE
Sagt' ich dir schon? Mein Bruder ist Soldat!
FILIPPO
Ich kenn' ihn nicht.
BEATRICE
Vergeßlicher! Du kennst ihn!
Sahst ihn doch an dem gleichen Tag wie mich
Zum erstenmal — im gleichen Augenblick.
Er war mit mir, Rosina, meine Schwester,
Und Vittorino —
FILIPPO
leichthin.
Der in dich verliebt ist?
BEATRICE
Sieh, das vergaß er nicht!
FILIPPO
»er streut.
Dein Bruder ließ
Sich werben ?
iS6
BEATRICE
Nein, der lief gleich selber hin
Zum Tor von San Vitale, Dort stehn alle,
Die frei sich melden. Ja, das ist auch einer.
Der riefe: Tod dem Borgia! Der ist wild!
FILIPPO
Da gibt's viel Tränen wohl bei Euch zu Haus?
BEATRICE
Wer sollte weinen? Meine Mutter Hebte
Francesco nie; die Schwester freut sich eher,
Da sie nun ganz nach Wunsch wird schalten können.
FILIRPO
Und du?
BEATRICE
Er will ja fort, wie sollt' ich weinen?
FILIPPO
Und Euer Vater?
BEATRICE
Kann's ja nicht verstehn.
FILIPPO
Wie meinst du das ?
BEATRICE
Hab' ich dir's nicht erzählt?
Für ihn steht alles still seit sieben Jahren,
Und alles, was wir tun, ist Spiel von Kindern.
FILIPPO
betreten.
Wie das?
BEATRICE
Die Leute sagen: Tollheit sei's.
Ich aber weiß ganz gut, 's ist was geschehn
^S7
Vor sieben Jahren, das ergriff ihn so,
Daß ihm die Zeit erstarrt ist. Und so kommt's, —
Wir sind noch heut für ihn die kleinen Kinder
Von damals. Und so spricht er auch zu uns, —
Und nimmt uns auf die Knie', mich und Rosina, -
Francesco läuft davon — erzälüt uns Märchen,
Und wiegt uns, singt dazu, — wir müssen lachen.
FILIPPO
näher zu ihr.
Du lachst? — Ist dies nicht ohnegleichen traurig?
BEAT RICE
Was weiß er denn davon ? — So wird er alt
Und fühlt es nicht, und meine Mutter blieb
So schön und jung für ihn als je, und alles,
Was sie ihm Schlimmes zugefügt, vergaß er.
FILIPPO
sie lange betrachtend.
Wie gut, daß ich aus all dem dich entferne!
Wie gut, daß du ein Kind, so wirst du mein.
Wie du es mußt. Denn ich hab' nichts als dich.
Ich hatte mancherlei, doch nichts war ganz,
So warf ich aUes hin für dich allein.
Denn dich besitz' ich, und Besitz ist Glück,
Und nur was wir erschaffen, ist Besitz.
BEJTRICE
Wie gut gefällst du mir, wenn du so sprichst!
Sie steht auf.
Nun ist's auch über deinem Garten Nacht.
Ich frag' dich was, Filippo!
FILIPPO
foieier ausblickend, zerstreut.
Nun, ich höre.
BEJTRICE
zu ihm tretend.
^y
Sag' doch: wirst du mein Pferd beim Zügel halten?
Drauß' auf der finstern Straße?
FILIPPO
lachend.
Immerfort ?
BEATRICE
Das mußt du tun! Versprich's mir!
FILIPPO
haßt sie lächelnd; dann ungeduldig.
Kommt er nicht ?
Wir wollen ihn im Haus erwarten. Wein und Früchte
Stehn auf dem Tisch, ein Mahl vor unsrer Reise.
Komm, Beatrice! Er beginnt, die Stufen hinauf zu gehen.
BEA1RICE
noch im Garten, folgt ihm.
Hab' ich's schon erzählt?
Den Herzog sah ich.
FILIPPO
stehenbleibend.
So?
BEJTRICE
Und er sah mich —
FILIPPO
sich nach ihr umwendend.
Was soU mir das i
BEAT RICE
Er ritt durch unsre Straße,
Und blickte lang mich an.
FILIPPO
Das ist die Art
Von Männern, schöne Frauen anzuschaun.
Was geht's dich an?
159
BEA1RICE
Rosina stand daneben.
Denk' nur: kein Blick auf sie! Ich glaubte schier,
Sie würde krank vor Schmerz, denn du mußt wissen,
Sie liebt ihn sehr, den Herzog — Andre liebt sie auch,
Um wahr zu reden, doch den Herzog so,
Daß sie dies Jahr, das er auf Reisen weilte,
Vor Sehnsucht krank ward, — und nun kommt er
wieder,
Und reitet uns vorbei, und sieht nur mich.
FILIPPO
Du eitles Kind, bewegt dich das so sehr!
BEA1RICE
Nicht darum sagt' ich's, hätt's auch schon vergessen,
Nur träumt' ich dann so wunderhch —
FILIPPO
Bei Tage ?
Er kommt die Stufen langsam herab.
BEJTRICE
Es war so schwül. Ich ging in meine Stube,
Nur um dem Zorn Rosinas zu entfliehn, —
Geschlagen hätt' sie mich, sie tat's schon oft, —
Und auch ein andres KJeid — für dich — zu nehmen,
Und andre Schuh'. Da setzt' ich mich aufs Bett
Und wollte mir die Bänder schnüren, weißt du,
Und schlummert' ein und träumte sonderbar.
Sonst schwindet jeder Traum, wenn ich erwache,
Den aber seh' ich so vor mir —
FILIPPO
Was war's
Für Traum ?
BEJTRICE
Denk' nur, ich war die Herzogin!
i6o
FILIPPO
tritt herunter^ auf sie zu,
BEATRICE
Was hast Du ?
FILIPPO
Beatrice! — Nun, erzähle!
BEATRICE
Ich war die Herzogin. Auf einem Thron
In einem großen Saal bin ich gesessen,
Der Herzog neben mir, und viele Menschen —
Es waren hundert oder tausend, Männer
Und Fraun und Kinder waren da, dieselben,
Die täglich in den Gassen ich begegne.
Auch du warst da und knietest vor mir nieder,
Wie all die andern. Doch ich wußte nicht.
Daß du Fillppo warst; es war dein Antlitz eben!
Du gingst vorüber vide die andern und
Verschwandest. Sieh, auch dieses weiß ich noch.
Daß ich die Hand hier sie bebt ihre Linke auf die Lehne
stützte,
Den weichen Samt mit meinen Fingern strich,
Und so hab' ich gelächelt, siehst du — fürstlich!
Ein wenig stolz, doch gütig auch. Dann klang
Musik, so schön und voll wie viele Orgeln!
Doch wüßt' ich: keine Orgeln sind's — und suchte
Mit meinen Augen nach den Musikanten
Und fand sie nicht. Da stand der Herzog auf.
Nahm meine Hand und führt' mich durch den Saal,
Vorbei den Menschen, die sich tief verneigten.
Die große Türe tat sich auf, und plötzlich
Verstummte die Musik, und Stille war,
So stiU, wie's auch in tiefster Nacht nicht ist.
Nun schritten wir durch einen schmalen Gang,
Der ohne Decke war. Die Wände reichten
Unendlich hoch, und oben war der Himmel,
Viel weiter, als er sonst, mit roten Wolken.
Dann schritten Stufen wir hinab ins Dunkle —
ll^eatentücke« II, xii lOI
Ich sah den Herzog nicht, sah gar nichts mehr,
Mit einmal hört' ich seine Stimme nah
An meinem Ohre „Beatrice" flüstern,
Und heller wurd' es, grüne Kerzen brannten
In einer Ampel ob dem Bett, ich sah
Des Herzogs Augen leuchten über mir —
Und fühlte seine Lippen nah den meinen,
Noch spürt' ich ihren Hauch — und so erwacht' ich.
FILIPPO
Beatrice!
BEATRICE
etzoas erschrocken, unsicher, aber ohne Verständnis.
Ist dies ein wunderlicher Traum!
FILIPPO
Beatrice!
Und so kommst Du zu mir!
BEJTRICE
Sollt' ich nicht kommen!
Nein, wie Du seltsam bist! Was ist Dir nur?
FILIPPO
Kommst so beschmutzt hieher —
BEAT RICE
heiter^ als hätte er sie mißverstanden.
Ein Traum war's doch!
FILIPPO
Ich wollt', es wäre Wahrheit, Beatrice!
So könnt' ich eher ohne Schmerz und Ekel
Dich sehn; das Leben selbst tut alles ab.
Doch Träume sind Begierden ohne Mut,
Sind freche Wünsche, die das Licht des Tags
Zurückjagt in die Winkel unsrer Seele,
Daraus sie erst bei Nacht zu kriechen wagen;
Und solch ein Traum, mit ausgestreckten Armen
Sehnsüchtig läßt er, durstig dich zurück.
162
So wenig warst du mein, daß, schlössest du
Die Augen, deine Seel' auf Abenteuer
Ausfliegen konnte, und ich war dir nur
Von Tausend einer, kniete wie die andern
Vor dir und war dir nichts und bin dir nichts.
Ich, der dir so viel gab, als du nicht ahnst,
So viel, daß meiner Liebe wert zu sein.
Dich Ekel fassen müßte, wenn du denkst.
Es leben andre Männer auf der Welt!
Willst du, daß, dem gefäll'gen Eh'mann gleich,
Ich fremden Kuß von deinen Lippen trinke.
Und kommst daher als Dirne deines Traums ?
Geh, Beatrice!
BEATRICE
Ja, was tat ich denn ?
Liebst du mich jetzt nicht mehr, Filippo — ? Du! . .
FILIPPO
Dich lieben ? Graun vor dir hat mich erfaßt.
BEATRICE
Filippo, nie bis heut dacht' ich des Herzogs!
FILIPPO
Doch heute warst du sein!
BEAT RICE
Im Traum!
FILIPPO
Drum geh!
BEATRICE
Du sagst es ganz im Ernst, Filippo, wie?
So nimmst du mich nicht mit auf deine Reise ?
FILIPPO
Nun braucht es keiner Reise mehr!
163
BEAT RICE
Glaubst du,
Ich ginge nicht voll Freuden mit dir fort ?
Ich lieb' dich ja, Filippo!
FILIPPO
O, ich weiß!
Auch heute gingst du fort mit mir, so gern,
Als du mir vor drei Tagen bist gefolgt!
So geh doch!
BEATRICE
Und wann soU ich wiederkommen?
FILIPPO
Wiederkommen ?
Zu mir ? Ja, sage, hast du's nicht gefaßt ?
Nie wieder, nie!
BEATRICE
mit großen Augen.
Nie wieder, nie!
FILIPPO
Noch einmal
Nur deine Hand berühren, macht mich schaudern!
Doch dich umarmen, da ich dich erkannt, —
Beim Himmel, eher schlief ich mit Gespenstern —
Mit einer Gebärde des Scbauderns.
O geh!
BEATRICE
So ist es wahr, er schickt mich fort!
Er wendet sieb ab, sie bleibt stehen. Pause.
FILIPPO
sieb zu ihr wendend.
Sind's Tränen?
BEATRICE
Sieh, so lieb' ich dich!
164
FILIPPO
Und als
Der Fächer dir zerbrach am ersten Abend,
Im selben Augenblick, da hinter dir
Die Tür zum Garten schloß, in diese Schatten
Wie in die Dunkel eines neuen Schicksals
Du tratest, hast du damals nicht geweint ?
So große, dumme Tränen einem Fächer —
Und mir! Denn eins ist dir so schwer, so leicht
Wie's andre! Lebe wohl!
BEA1RICE
Und niemals wieder?
Im Leben nicht!
FILIPPO
BEATRICE
lächelt.
FILIPPO
Und warum lächelst du ?
BEAIRICE
Im Leben nicht — du sprachst es selber aus!
Fühl' ich, daß ich nicht sein kann ohne dich.
Und hab' zu sterben Lust, so komm' ich wieder,
Und nehm' dich mit.
FILIPPO
So spielst du mit dem Tod,
Wie mit dem Leben! Geh und lebe wohl!
BEAIRICE
Auf Wiedersehn, Filippo!
FILIPPO
Lebe wohl!
BEATRICE
gebt langsam durch die dunkle Allee nach hinten und vencbwindet.
165
FILIPPO
allein; bat ihr nachgesehen. Nach einer längeren Pause.
Als schwebte sie davon!
Und diese glaubt' ich mein! Vor Scham vergeh' ich!
Ist's auch der Menschen Los, nie ganz besitzen,
Sie spotten dieses Fluchs; denn keiner auch
Schenkt ganz sich her. Nur ich, der Tiefbetrogne,
Gab alles hin für nichts, Ruhm, Ehr' und Mut,
Und war bereit, so vor der Feinde Drohn
Wie vor dem Degen eines Freunds zu fliehn,
Als rechter Bube!
Eil' ich ihr nicht nach?
Es gab' ein Mittel, kühn und ohnegleichen,
Sie zu gewinnen! Den, der sie mir nahm
Im Traum, in Wahrheit töten! Doch der Einfall,
Statt mich zum Schloß des Herzogs hinzujagen,
Bannt hier mich fest, und der EntschHeßung Kraft
Stirbt auf dem steilen Weg zur Tat dahin.
Daß ich sie heimgeschickt mit schönen Worten,
Ist mir genug. Und quillt aus dieser Torheit
Einmal ein Lied, so ist's der höchste Preis,
Den mir das Leben liinwirft für die Schmach,
Daß ich zu schwach bin, es mit Stolz zu leben.
Er lauscht.
Das Tor wird aufgetan ! Mit Hoffnung. O wär's Andrea !
Wie schnell kam dies! Nun gibt's in dieser Stadt
Nicht einen Zweiten, so bereit wie mich,
Dies alles zu beenden.
In der Tür, welche aus dem Zimmer auf die Terrasse führt, erscheinen:
ANTONIO NIGETTI und TITO TIBALDI; der eine sehr dick
und groß, der andere zierlich und klein. Mit ihnen LUCREZIA
und ISABELLA, zwei florentinische Courtisanen. Hinter ihnen,
wie sie allmählich weiter nach vorn treten, vier Musikanten : zwei
Geiger, ein Flötist und ein Lautenspieler. Noch bevor sie auf-
treten, hört man sie spielen. Die Musikanten bleiben auf der Terrasse
stehen. Zwei Diener mit Fackeln haben sich zur Seite der Tür
aufgestellt.
i66
T/70
angeheitert.
Das ist Filippo Loschis Haus, und hier ist er selbst!
Seid uns gegrüßt, Filippo Loschi!
JNTONIO
bettunken.
Schweigt, Ihr verfluchten Musikanten. Soll man
euch die Instrumente in Stücke hauen?
Die Musik verstummt.
TITO
Filippo Loschi, nir wünschen Euch einen guten
Abend! So unbedeutende Geschöpfe -wir sind, wir
haben ein gewisses Recht dazu. Euch einen angenehmen
Abend zu wünschen, da wir ihn selber bringen.
ANTONIO
Wir bringen ihn selbst als nichtswürdige Geschöpfe,
die wir sind.
TITO
Denn wenn diese schönen Mädchen sich an Euerm
Anbhck ebenso sehr berauschen, als an Euern Liedern,
so ist Wahnsinn ihr Los und das unsere Verzweiflung.
ANTONIO
schi'cicr.d.
Das unsere Tod!
FILIPPO
sehr lefremrtct^ aber höflich.
Ich bin erfreut, so heitre junge Herrn
Und schöne Fraun in meinem Haus zu sehn.
Jedoch —
ISABELLA
Ihr seid sehr liebenswürdig!
LUCREZIA
Ihr seid schön!
167
FILIPPO
TjWZT unbekannt, nenn' ich euch doch willkommen!
THO
Ich heiße Tito Tibaldi. Dieser: Antonio Nigetti.
Aber was können Euch unsere Namen bedeuten?
ANTONIO
Niederträchtige Namen!
THO
Man wird sie mit uns begraben, und früher, als
uns lieb ist; so ist es nicht der Mühe wert, sie zu merken.
Und was wir sind? jung, reich und gewissermaßen
schön !
ANTONIO
Hübsch, höchstens hübsch!
TITO
Und morgen nichts mehr von alledem I
ANTONIO
Elende Speise für Würmer!
FILIPPO
belustigt.
Das wolle Gott verhüten!
Für sieb. Was sind das für komische Menschen?
TITO
Und diese hier sind junge Mädchen aus Florenz.
Sie sind nach Bologna gekommen, um zehn oder zwölf
lustige Tage mit uns zu verbringen. Für die Lustigkeit
haben wir bestens gesorgt, nur die Zahl der Tage steht
nicht bei uns. Jeden ihrer Wünsche haben wir ihnen
erfüllt; — aber da sie vernahmen, daß vielleicht schon
morgen unsere geliebte Stadt an allen vier Ecken in
Flammen aufgehen wird, hatten sie nur mehr einen —
i68
ISABELLA
Euch zu sehen! Denn Eure Lieder, Filippo, sind so
süß, wie der Hauch des Geliebten über schlafenden
Wimpern, und so schmeichlerisch, wie göttHches Ver-
zeihen für alle Sünden.
FILIPPO
der immer heiterer uird.
Seh' ich euch an, so woUt' ich eh'r, sie reizten
Zu neuen euch.
LUCREZIA
Fihppo, hättet Ihr nicht hier geweilt,
Wo Ihr auch lebtet, dorthin war mein Weg —
Und mußt' ich barfuß stein'ge Pfade wandeln!
Und ist es wahr, daß morgen tausend Schrecken
Einziehn in diese Mauern, lachend werf ich
Mich in den Staub — ich lebte lang genug,
Haucht Ihr nur einen Kuß in meine Locken!
Doch wärt Ihr tot gewesen, niemals wieder
Hätt' ich wie andre Frauen lächeln können.
So liebt' ich Euch, noch eh' ich Euch gesehn.
FILIPPO
für sieb.
Will dieser schwere Tag so heiter enden?
Als ghtt' ihm von den kummervollen Schultern
Dunkles Gewand, und sah' ich zum Beschluß
In lichter Seide seine Glieder spielen?
Zu den andern.
Wie dank' ich für so vieles ? Was beliebt
Den Gästen ? Hier im Garten auszuruhn,
In grünen Gängen sanft sich zu ergehn.
Im Saal an Obst und Wein sich zu erlaben ?
Soll es uns armseligen Narren wirklich vergönnt
sein, den letzten Abend unsres jämmerHchen Lebens —
169
ANTONIO
Ein Leben von Schurken und Tagedieben!
THO
Am Tische des herrHchen FiHppo, an der Seite des
Unvergleichlichen zu verbringen ?
ANTONIO
Ertöne, holde Flöte, Lautenspiel, umschwärme
mich! —
Musik.
FILIPPO
Was mein bescheidnes Haus so edlen Gästen
Gewähren kann, ist gern und rasch geschafft.
In der Türe, für sich.
Kam alles dies zu spät? Es ist zur Stelle!
So kam es früh genug. Der nächsten Stunde
Erwartung rinnt erwärmend durch das Blut,
Und mit Behagen ahn' ich ihre Fülle!
Er geht in den Saal.
ANTONIO
Nun, folgen mr ihm, holdeste Isabella!
ISABELLA
Was wollt Ihr von mir ?
ANTONIO
Isabella! Euer zärtlicher Antonio bittet um Euern
Arm!
ISABELLA
Ist denn niemand da, der mir diesen Betrunkenen
vom Halse schafft ?
TITO
Lucrezia!
LUCREZIA
Wer seid Ihr denn ?
170
THO
Wer ich bin, Lucrezia ? Derselbe, meine Schönste,
dem Ihr erst heute mittag gestattet habt, diese Perlen
um Euern weißen Hals zu schlingen.
LUCREZIA
reißt sieb die Ferien vom Hals und wirft sie ihm vor die Füße,
Da habt Ihr sie! Und nun v/eiß dieser Nacken
Von Euren Perlen nichts und Euern Armen!
Antonio und Tito sehen einander betroffen an.
FILIPPO
wiederkommend.
Bereitet ist die Tafel, tretet ein!
ISABELLA
O liebster Filippo! Wollt Ihr nicht erst diese un-
leidhchen häßlichen und heiseren Leute fortweisen
lassen f
FILIPPO
Was soll ich ? Wie ?
zu Lucrezia.
Ihr werdet mir doch wenigstens erlauben, an Eurer
Seite Platz zu nehmen, holde Lucrezia ?
LUCREZIA
Das dürft Ihr! Aber hört: berührt Ihr nur
Mein Knie — ich schwör' es! diese Nadel stech' ich
Mitten ins Herz Euch!
är.gstlicb.
Doch seid Ihr glückHcherweise nicht gewohnt,
Schwüre zu halten.
LUCREZIA
Der Liebe Schwüre nicht — doch solche halt' ich!
Fragt Euern Vetter in Florenz!
171
ANTONIO
Angebetete Isabella, ich hoffe, Ihr werdet mich nicht
in gleicher Weise bedrohen, wenn ich es wage —
ISABELLA
So grausam bin ich nicht als Lucrezia, und eben
darum rat' ich Euch : entfernt Euch lieber ! Ihr habt uns
zu Filippo Loschi gebracht. Euer Amt ist zu Endel
Von dieser Sekunde an gehört Euch kein BHck, kein
Wort mehr — Affe! Dieses war das letzte! — Kommt,
schönster Filippo!
FILIPPO
belustigt.
Ihr Herren, glaubt, daß ich untröstlich bin!
Doch ratet selbst: was ist zu tun?
ANi:ONIO
Laßt es gut sein. Tito, wir woUen gehen. Es gibt
andere Weiber und tugendhaftere, ja vielleicht sogar
lasterhaftere, was mir noch lieber wäre!
7IT0
bebt die Perlen vom Boden auf.
Für diese hier wird sich ein geschmeidigerer Nacken
finden !
FILIPPO
Ihr Herren, hört — wir wollen um sie fechten!
ISABELLA
Was hilft's ihnen, wenn sie dich verwunden? Lieber
küssen wir deine blutenden Wunden, als ihre Lippen!
ANTONIO
toütend.
So wünscht' ich, sie kämen aus Neapel, nicht aus
Florenz! He, Musikanten! Folgt uns zurück zu
Menasci und ertränkt unseren Ärger in heiteren Tönen !
172
ISA BELLA
Was fällt Euch ein? Zu den Musikanun. Ihr bleibt!
Wir vroUen in den Saal, Filippo — diese aber mögen
hier auf der Terrasse stehen bleiben und spielen, spielen,
immerzu spielen.
Musik beginnt.
LUCREZIA
So tön* es durch die offne Tür zu uns
Und hüll' in helle Klänge unsre Wonnen,
In milde Weisen unsern Schlummer ein!
BAITISTA
kommt rasch von hinten.
. Gnädiger Herr — Er hält erstaunt inne.
FILIPPO
der eben viit den Mädchen in den Saal wollte^ wendet sich um.
BATIISTA
noch atemlos.
Die Pferde, gnädiger Herr!
Musik verstummt.
FILIPPO
Was für — Er erinnert sich und lacht.
BATTISTA
Es ist mir gelungen, gnädiger Herr, um den Preis
von zweihundert Goldstücken —
FILIPPO
Du hast sie mir verschafft ?
BATTISTA
Mit der größten Mühe, gnädiger Herri
FILIPPO
Indessen fing ein andres Stück hier an!
Und er läuft wde 'n verschlafner Komödiant
173
Mit seiner alten Rolle auf die Szene.
Ist's wahr, du hast die Pferde mir verschafft ?
BATTISTJ
ganz erschrocken.
Herr, ich schwöre Euch, sie stehen vor der Garten-
türe, ich habe sie an die Gitterstäbe gebunden!
FILIPPO
mit einem plötzlichen Entschluß.
Für diese beiden Herrn stehn sie bereit!
Schlagt's mir nicht ab! Bedenkt: der gute Alte,
Die ganze Stadt sucht' er nach ihnen ab.
TITO
Herr, ist es durchaus notwendig, mit so schwer ge-
kränkten Personen noch Scherz zu treiben?
ANTONIO
Es schreit zum Eümmel!
FILIPPO
Da sei Gott vor! Als Zeichen meines Danks,
Daß ihr so gut den Weg zu mir gefunden,
Und zu so guter Zeit, als ihr nicht ahnt,
Nehmt dies Geschenk! Battista, du geleite
Bis vor die Tür die Herren, und in die Bügel,
Wofern es nötig — was mir möglich scheint —
Hilf ihnen mit der schuld' gen Hötlichkeit.
Lebt wohl und laßt's euch in Menascis Schenke
So wohl gehn, als ihr mir's daheim vergönnt!
Battista, Antonio und Tito ab,
ISABELLA
lachend.
Lebt wohl!
Beide Mädchen in den Saal.
Die Musikanten spielen.
FILIPPO
allein auf den Stufen der Terrasse; lebhaft.
Hinnehmen mit Entzücken, was sich schenkt,
Und frei zu sein? Mit Macht an sich zu reißen,
Und selbst sich zu behalten, war' es das,
Was diesen Augenblick so leicht emporträgt ?
Die MÄDCHEN, von drinnen.
Filippo !
FILIPPO
Vielleicht auch, daß das Leben vor dem Ende
Mir bunte Abenteuer sendet, wie die Bilder,
Die durch die Sinne jagen, eh' man einschläft; —
Wach sein ist's nicht mehr, und noch nicht der Schlaf !
Die MÄDCHEN erscheinen in der Tür.
FiHppo !
FILIPPO
Ich komme! Nicht mit schwerem Sinn bedacht,
Nein, ganz gelebt sei endhch diese Nacht!
Die Musikanten spielen, Filippo gebt in den Saal, von den Mädchen
an der Tür empfangen. Der Vorbang fällt.
J75
ZWEITER AKT
Straße in Bologna. Die Straße läuft gegen den Hintergrund zu, von
rechts nach links. Links ein Eckhaus, rechts desgleichen. Vor diesen
Häusern ist gleichfalls eine quer über die Bühne verlaufende Straße
gedacht, so daß die vordere Mitte der Bühne eine Straßenkreuzung
vorstellt. Vor den Häusern sind durchaus Säulengänge, und ein Teil
der Personenbewegung spielt sich unter den Bogen ah. In den Häusern
Kaufläden mit Auslagetischen davor. In dem Eckhause rechts be-
findet sich, der Straßenkreuzung näher, der Kaufladen des alten
Nardi, neben demselben, mehr gegen die Kulisse gerückt, der Laden
des Capponi, eines Händlers mit Spezereien und Wohlgerüchen. Vor
dem Laden des Nardi ein leerer Tisch, vor dem des Capponi zzcei
Tischchen mit kleinen Flaschen, Schachteln usw. Abenddämmerung.
Mäßige Bewegung in den Straßen. Von links kommen Bürger im
Gespräch, welche dann die Straße nach hinten zu einschlagen. Ihnen
begegnen, aus dem Hintergrund kommend, einige Soldaten, ungeordnet;
sie gehen über die Bühne nach rechts. Dann kommen von links junge
Mädchen, junge Leute, welche den Soldaten folgen. Frau Nardi
und Rosina sind auf kurze Zeit in der Türe ihres Ladens zu sehen
und verschwinden bald. CAPPONI steht vor seinem Laden, be-
grüßt einige vorbeigebende Leute. Von rechts kommen CLAUDIA
und CATERINA, zwei Bologneser Frauen.
CLAUDIA
Hier ist's. — Guten Abend.
CAPPONI
Guten Abend, meine Damen. Was steht zu Diensten ?
CLAUDIA
Ich möchte ein Fläschchen von Euerm Rosenwasser
kaufen.
CAPPONI
Welche Art von Rosenwasser? Wir haben etwa 25
oder 30 verschiedene. Ach Gott! Das gewöhnliche
Paduaner Rosenwasser, das neapolitanische, das zyp-
rische —
CLAUDIA
tengeduldig.
Ich weiß nicht, wie es heißt, ich hab* es im ver-
176
gangenen Winter gekauft. Allerdings stand ein ganz
anderer da, der es verkaufte, ein hübscher Knabe.
CAPPONI
Bennozzo, mein Sohn! Ach Gott!
CLAUDIA
Warum seufzt Ihr ? Ist er gestorben ?
CAPPONI
Was fällt Euch ein! Daß ich seufze, ist eine Ange-
wohnheit, eine üble Angewohnheit, wenn Ihr wollt, oder
auch eine philosophische Angewohnheit. Aber, um auf
das Rosenwasser zurückzukommen, so könnte es immer-
hin auch das persische gewesen sein.
CLAUDIA
Ja, so nannte es Euer Sohn!
CAPPONI
Gleich wird es zu Eurer Verfügung sein, werte Frau 1
Ich hab' es da hinten aufgewahrt. Stund' es hier vorn
mit den andern, so hätt' ich den ganzen Tag alle jungen
Mädchen und Frauen von Bologna vor dem Laden
stehen und die jungen Leute natürlich dazu. Ach Gott!
Und ein jeder möchte sich eine Nase voll nach Hause
bringen, ohne was dafür zu zahlen.
CLAUDIA
zu Caterina.
Nimm doch auch ein Fläschchen!
CA1ERINA
Wozu ? Ich brauche nichts dergleichen. Ich tue
nichts anderes, als jeden Morgen den Saft einer
sizihanischen Orange in mein Bad träufeln lassen, das
genügt vollkommen.
CLAUDIA
Mein Mann liebt es, wenn meine Haut nach Blüten
duftet, nicht nach Früchten.
TheatuctCcVe. II, la. lyy
CAPPONI
mit der Flasche^ hält sie den Damen entgegen,
CLAUDIA
Ja, das ist sie! Rieche doch daran, Caterina! Nun,
was sagst du?
CATERINA
Nun ja, wenn ein Mann nicht mehr ganz jung ist —
CLAUDIA
Da habt Ihr Euer Geld.
CAPPONI
Um Vergebung, schönste Frau ! Ihr gebt mir gerade
den zehnten Teil von dem, was ich zu bekommen habe!
CLAUDIA
Ich weiß doch, was ich im Winter dafür bezahlte.
CAPPONI
Ja, das waren andere Zeiten! In ein paar Tagen
wird man mir das Hundertfache für diese Flasche be-
zahlen. Alles wird teurer. Es gibt keine Möglichkeit
mehr, die Waren in die Stadt zu bringen! Alle Ver-
bindungen sind abgeschnitten! In acht Tagen haben
wir die Hungersnot, wenn wir überhaupt noch am
Leben sind, was mir höchst zweifelhaft ist — womit ich
die Damen aber nicht beleidigen will!
CLAUDIA
Dann gibt man Euch keinen Groschen melir für
Euer Rosenwasser. Nun sagt mir aber ehrlich: was ist
denn darin enthalten ? Es kann nicht nur der Saft von
Rosenblättern sein.
CAPPONI
Was sollte es anderes sein?
CLAUDIA
Ist es nicht irgend etwas, was man sonst Liebes-
178
tränken beizumischen pflegt ? Ich habe Gründe, das an-
zunehmen.
CAPPONI
Was fällt Euch ein! Ich heiße Capponi, wohl-
gemerkt: Capponil Und gebe ich mich nicht mit den
sonderbaren Alischungen ab, wie andere Leute, wie
Basini zum Beispiel!
CA7ERINA
Was gibt's bei Basini?
CAPPONI
Gott behüte mich, davon zu reden ! Ich könnte ihn
an den Galgen bringen und die Damen, die bei ihm
kaufen, nicht minder! Ach Gott!
CATERINA
Was sagt Ihr? Zu Claudia. Gestern erst habe ich
deine Schwester in seinen Laden treten sehen.
CAPPONI
Er könnte zwar sagen, es ist Zufall, daß man ihn
nachts in der Nähe des Friedhofs umherstreichen sieht;
aber ist auch das Zufall, daß er neben der Friedhofs-
mauer um Mitternacht mit den Nägeln die Erde auf-
kratzt ? Nun, ich will nicht mehr sagen, um so mehr,
als Basini nichts anderes tun kann, wenn er sich seine
Kunden erhalten will. Denn bei ihm kaufen eben nur
Frauenzimmer, die Ungeheuerlichkeiten nötig haben,
um ihre Liebhaber zu entflammen; zu Eurem ergebenen
Diener hingegen kommen die schönsten Frauen von
Bologna, die nur zu lächeln brauchen, um aus jedem
Mann zu machen, was sie wollen!
BASINI
ist langsam die Straße von rückwärts nach vorn gekommen. Es ist
ein langer, hagerer, ältlicher Mann, der die anderen mit Überlegen-
heit bebandelt.
Guten Abend!
179
CAPPONl
Das ist er. Er macht den Frauen Zeichen. Eben hab' ich
von deinen vorzüglichen Gewürzen und Seifen ge-
sprochen, mein teurer Basini.
BASINI
Hat er gesagt, daß ich ein Giftmischer bin?
CA7ERINA
So was Ähnliches!
BASINI
Tut nichts, morgen sind ja doch alle Menschen gleich
in Bologna, Giftmischer wie ich und Ehrenmänner
wie du!
CAPPONl
He, Basini, bist du so verzagt? Ich nicht! Unsere
Mauern sind stark, und unser Herzog ist ein Held!
BASINI
Was hilft das alles gegen einen Teufel wie Borgia ?
CA7ERINA
Teufel, sagt Ihr? Er soll so schön sein!
CAPPONl
Der Borgia ist noch weit — hehe!
BASINI
Nicht so weit, als Ihr glaubt. Wie war' es sonst zu
erklären, daß man hier weiß, was er gestern geschworen
hat?
CAPPONl
Nun, was hat er denn geschworen?
BASINI
Daß er ein fürchterliches Gericht über diese gottlose
Stadt halten wird.
i8o
CAPPONI
erschrickt zuerst; dann schlägt er Basini auf die Schulter.
Immer erzählt er Schnurren! Zu den Frauen. So ist
er — hab' ich's nicht gesagt ?
BJSINI
Nun, was mich anbelangt, ich habe meinen Laden
gesperrt und tu' ihn nie wieder auf.
Soldaten ziehen vorbei.
CLAUDIA
Warum tut Ihr Euern Laden nie wieder auf?
BASINI
Für wen? Glaubt Ihr, daß die Leute, die morgen
'unsere Straßen füllen werden, gute Käufer sind? —
Die werden sich nehmen, was ihnen gefällt!
CAPPONI
Aber was redest du denn ? Spricht er nicht, als
wäre morgen der jüngste Tag, als wäre morgen der
Borgia in der Stadt ? Und die Franzosen und die
Spanier dazu ?
BASINI
auf die Soldaten weisend.
Seht nur, seht!
CLAUDIA
Woher kommen die? Das sind keine Bolognesen!
BASINI
Nein, das sind sie auch nicht; das sind die Leute des
Ribaldi, sie kommen aus Mailand. Von der anderen Seite
kommen auch Soldaten. Aber schaut Euch diese an.
CAPPONI
Ist das nicht Rocca ?
BASINI
Ja. Und dort kommt Fontana, der Drechsler aus
meiner Gasse.
i8i
CAPPONI
In Waffen!
BASINI
Ja, die ziehen alle morgen hinaus ins Feld!
CAPPONI
Morgen ? Wer sagt das ?
CLAUDIA
Morgen, das ist ja nicht möglich.
BASINI
Es ist gewiß. Der Herzog zögert nicht länger, verlaßt
Euch darauf!
CAPPONI
Rocca ! Rocca ! Er tritt auf einen Soldaten zu und spricht mit
ihm.
BASINI
Nun, haben die Damen auch einen Mann oder
Vettern oder Freunde unter diesen?
CLAUDIA
Zwei Vettern sogar, aber mein Mann bleibt hübsch
zu Hause. Er sagt, es wird nicht so gel älirUch sein, als
es aussieht.
BASINI
zu Caterina.
Und Ihr, gnädige Frau?
CA7ERINA
Ich habe nur einen Mann, keinen Vetter, und werde
auch niemals Vettern haben.
CAPPONI
kommt zurück.
Nun, siehst du, daß man dir nicht glauben darf!
182
Es ist durchaus nicht bekannt, daß bereits für morgen
etwas bevorsteht ; es muß nur alles auf dem Posten sein.
Zzoei Bürger sind herzugetreten.
ERSTER BÜRGER
zum zweiten.
Nun, hört Ihr?
ZW EHER BÜRGER
Ich weiß, was ich weiß! Drei Söhne hab' ich, nur
einer ist daheim geblieben!
CAPPONI
Wo sind die anderen ?
ZW EH ER BÜRGER
Die sind zum Valori gelaufen, stehen am Tore von
Vitale, fuchteln mit dem Degen und schreien: Nieder
mit dem Papst!
CAPPONI
Sie haben sich werben lassen?
ZW EH ER BÜRGER
FreiwiUig sind sie hin. Nieder mit dem Papst!
haben sie geschrieen, wir wollen euch schützen!
CAPPONI
Eure Söhne woUen uns schützen ? Gegen die Hun-
derttausend, die gezogen kommen ? Niemand kann
uns schützen! Nein, nein, der Herzog wird Eure Söhne
nicht hinopfern für nichts und wieder nichts! So ist
unser Herzog nicht.
BASINI
Gib acht, du redest dich um deinen Kopf.
CAPPONI
in Angst.
Was sagt' ich denn ? Ist es ein Verbrechen, wenn
183
man ein friedlicher Bürger ist ? Deswegen ruf ich doch :
Nieder mit Borgia! Nieder mit Mariscotti!
EINIGE BÜRGER
die sieb unterdessen angesammelt haben.
Der Hund Mariscotti! Tod dem Mariscotti!
CAPPONI
Es lebe unser Herzog! — Nun, Basini, warum rufst
du nicht mit? Du schweigst dich um deinen Kopf!
He he!
ROSINA NARDI
ist aus ihrem Gezoolbe getreten. Es sind wieder Bürger, Mädchen
und Frauen dazugekommen, so daß eine ansehnliche Gruppe ver-
sammelt ist.
ROSINA
Nun, Basini, wißt Ihr was Neues zu erzählen ?
BASINI
Mancherlei! Wer weiß, was dir heute noch bevor-
steht, Rosina!
ROSINA
Was soll das bedeuten?
ERSTES MÄDCHEN
Was steht Rosina bevor ?
BASINI
Ihr oder dir — oder dir — oder dir — »« den ver-
schiedenen Mädchen.
EINIGE
Nun was ?
BASINI
Ein hohes Glück und eine hohe Ehre!
ROSINA
So rede doch endlich!
184
BASINt
Als ob ihr es nicht besser wüßtet als ich!
VIELE
Was? Was?
BASINI
Ihr solltet nicht wissen, daß der Herzog heute nacht
■ — ah nein, nie werdet ihr mir sagen, daß euch das nicht
bekannt ist! Geht nur! Er macht Miene, sieb zu entfernen.
DIE MÄDCHEN
dringender.
Nichts ist uns bekannt ! Was ist's mit dem Herzog ?
ROSINA
So quält einen doch nicht, Basini!
BASINI
Ihr wißt nicht, daß der Herzog die Schönste von
euch — wenn ich sage euch, mein' ich natürlich nicht
nur die, die eben da um mich herumstehen, denn es ist
ja natürlich ein Zufall, daß gerade ihr hier steht,
sondern alle schönen Mädchen von Bologna — ja,
so ist es!
DIE MÄDCHEN
Was denn ? Was denn ? Ihr habt ja noch nichts
gesagt! Was will der Herzog?
ROSINA
Daß der Herzog die Schönste —
BASINI
Die Schönste von euch heut abend in sein Schloß
bescheiden wird! — Aber ihr wißt es ja längst!
EIN MÄDCHEN
Nun, ich will eben nicht sagen: wissen.
i8s
ZWEITES MADCHEN
Ich hab' es schon gewußt!
CAPPONI
Nun, was ist's weiter? Dergleichen ist schon vor-
gekommen.
ROSINA
Basini, ist es wahr? Ist es wahr?
BASINI
Gewiß, Rosina.
CAPPONI
Oh, wie billig hab' ich mein Rosenwasser verkauft!
ERSTES MÄDCHEN
Aber sag', Basini, wie will der Herzog denn die
Schönste von uns herausfinden?
ZWEITES MÄDCHEN
Es wird wolil notwendig sein, daß man ins Schloß
geht, sich melden!
ROSINA
zu Bastnt.
Ist es wirklich wahr ? Oder habt Ihr's nur für mich
erzälilt, um mich ganz toll zu machen?
BASINI
Was fing' ich mit Eurer Tollheit an, Rosina ?
ROSINA
Wo mag er in diesem Augenblicke sein ? Basini,
guter Basini, kann ich's nicht sein in dieser Nacht, so
will ich die umbringen, die es wird!
BASINI
Kommen ja andere Nächte!
i86
ROSINA
Nein, keine andern, das weiß ich gut, Basini, so gut
als Ihr!
BASINI
Ich dachte, Eure Liebe wäre vergangen, während
der Herzog fort war? Man sah Euch doch mit so
manchem andern hübschen jungen Mann da und dort.
ROSINA
Jeder gab mir nichts als neue Sehnsucht nach ihm!
BENNOZZO
ganz junger Burscb; kommt rasch von links.
CAPPONI
Woher kommst du so atemlos, du Schlingel ? Wo
treibst du dich denn herum?
BENNOZZO
Ich komm' vom Turm!
EINIGE
Von welchem ?
BENNOZZO
Denk', wo ich war, Rosina! Auf dem Turm des
Asinelli !
ROSINA
Was geht das mich an? Soll ich dich vielleicht be-
wundern, weil du auf einen Turm geklettert bist ?
BENNOZZO
Und was ich sah!
EINIGE
Nun, was denn?
BENNOZZO
Wie eine rote Schlange glänzt es fern
Und regt und windet sich und schleicht herbei
187
Wie aus den letzten Nebeln! — Das sind Helme
Und Schild' und Lanzenspitzen, die im Schein
Der Abendsonne glühn, so sagten mir
Die Wachen auf dem Turm. Und wißt, von Rom
Und von Siena kommen sie, und unter ihnen
Ist Cesar Borgia selbst,
Bezcegung.
CAPPONI
Wer sagt, daß der Borgia unter ihnen ist ?
BENNOZZO
Sie alle sagen's!
CAPPONI
Hat ihn einer gesehen? Der Borgia selbst ist wohl
noch in Rom!
BASINI
Oder hier und dort!
CAPPONI
Was heißt das ?
BASINI
Wißt ihr denn nicht, daß der Borgia die Gabe hat,
an zwei Orten zugleich zu sein ?
CAPPONI
Was sagt Ihr?
ERSTER BÜRGER
An zwei Orten zugleich! Das ist ja eine völlige
Unmöglichkeit! Er lacht. Einige lachen mit.
ZWEITES M Jüchen
Nein, lacht nicht, es ist wahr, meine Mutter hat es
mir auch erzählt!
ERSTES M Jüchen
Und mir hat's der Pater Marco gesagt!
i88
ROSINA
zu Btnnozzo.
Nun, wenn das alles ist, was du gesehen hast —
BENNOZZO
Und um die Mauern selbst, ganz nah, nicht weiter
Als wir spazieren wandeln, wenn es dämmert,
Da liegen sie zu Tausend auf der Erde,
Und andre drauß' in Feld und auf den Hügeln,
Und immer neue kommen, und es ist,
Als wäre jedem schon der Platz bestimmt;
So reiht sich Schar an Schar und lagert still,
Kein Laut kommt zu uns her. Was mag dies sein?
Sie leben doch wie wir und sind so nah —
Was ist es, was sie alle schweigen macht
Und ihre Schritte lautlos ?
Staunen. Flüstern.
ERSTER BÜRGER
erklärend.
Das kommt daher, weil sie eben noch viel weiter
sind, als du glaubst. Die Dämmerung täuscht deine
Augen. Auch wird von sonderbaren Spiegelungen in
der Luft erzählt, und es gibt Abende, da man Dinge
sieht, die tausend Meilen weit sind. Wer weiß, ob das
ganze Heer, das Bennozzo zu sehen glaubte, nicht
irgendwo in der Ebene draußen rastet, näher von Rom
als von Bologna ?
DRITTER BÜRGER
Wie meint Ihr das ? Spiegel in der Luft ? Das war'
ja ein Wunder!
BJSINI
Wozu an Wunder denken, wenn sich die Sache auf
die einfachste Weise erklären läßt?
EINIGE
Wie denn ? Wie ?
189
BASINI
Nun, ihre Schritte sind lautlos, weil ihre Füße nicht
den Erdboden berühren. Wie hätten sie denn auch
so geschwind da sein können, wenn sie nicht fliegen
könnten i
EINIGE
Ja, ja!
ANDERE
Glaubt ihm doch nicht ! Er hält euch zum Narren !
DIE ERSTEN
Aber dem hier möchtet ihr glauben, der sagte, daß
die Luft ein Spiegel ist!
EINER
Ein Spiegel — haha! Er baut mit der Faust in die Luft.
Seht ihr, wie er Sprünge kriegt ?
Durcheinander. Die Gruppe löst sieb auf. Freiere Bewegung. Es
ist beinahe dunkel.
FITTORINO
kommt von hinten sehr rasch. Er gebt auf Rosina zu^ zieht sie nach
vorn; in großer Aufregung.
Wo ist Beatrice ?
ROSINA
Ich weiß es nicht. Was geht's mich an ?
FITTORINO
sehr rasch.
Es ist der dritte Abend, Rosina, daß Beatrice, ehe
die Sonne untergeht, verschwindet! Der dritte Tag,
daß sie kein Wort an mich gerichtet, als wenn ich sie
eben fragte. Was ist geschehn ?
ROSINA
Der dritte Abend ? Sind's nicht eben erst drei
Abende, daß wir alle zusammen auf dem Fest vor den
Toren waren?
190
VH10RIN0
Und damals verschwand sie zum erstenmal! Weißt
du's nicht mehr ? Wir kamen allein nach Hause, und
Beatrice kam spät in der Nacht.
ROSINA
Sie hatte sich verirrt — oder auch nicht ! Was geht's
mich an?
FITTORINO
Wo ist Francesco? Wann kommt er?
ROSIN J
I Vielleicht gar nicht mehr! Er steht wohl auf Wache.
Wer weiß, ob sie ihn auch nur noch auf eine Stunde
fortlassen.
CJPPONI
Nun, Vittorino, wann wird Hochzeit gemacht ?
Junge Männer, einige in voller Rüstung, andere nur mit fV äffen,
und Mädchen geben lachend vorüber.
BASINI
Heut machen viele Hochzeit, auch ohne Kardinal!
VH70RIN0
Was meint Ihr, Basini ? Mit neuer Angst zu Rosina. Wo
ist Beatrice?
BASINI
Beatrice — vielleicht ist sie ihm schon in die Arme
gelaufen!
VmORINO
Wem?
BASINI
Dem Herzog!
VmORINO
Seid Ihr verrückt, Basini ? Wer ist dem Herzog in
d^e Arme gelaufen?
191
BASINI
Ist sie nicht das schönste Mädchen in Bologna ?
FITTORINO
Was redet Ihr da ? Was bedeutet das ?
CJPPONI
Das bedeutet, daß der Herzog heute nacht das
schönste Mädchen von Bologna in sein Schloß führen
wird.
FITTORINO
zuerst betreten, lacht dann.
Was für Unsinn! Wer erzählt dergleichen? Wer
glaubt daran ?
ROSIN J
Es ist wahr ! Es ist wahr ! Siehst du nicht ? Wir
alle warten auf ihn, wir gehen ihm entgegen!
BENNOZZO
aufschreiend,
Rosina!
Alle gegen den Hintergrund zu.
CJPPONI
Wer sind diese vornehmen Leute?
BJSINI
Kennt Ihr sie nicht? Das ist ja der Graf Fantuzzi
und seine Schwester!
CJPPONI
So schwarz gekleidet ?
ERSTER BÜRGER
Die alte Gräfin ist gestorben.
ZWEITER BÜRGER
Darum war ja das mächtige Glockengeläut heut
nachmittag.
192
BASINI
Seht Euch das Fräulein da an, es ist die Braut des
Dichters Filippo Loschi.
EINIGE
Des Filippo Loschi ? Einige grüßen die eben Auftretenden
und zerstreuen sich dann gleichfalls.
ANDREA und seine Schwester TERESINA sind langsam die Straße
nach vorn gekommen. Zwei Fackelträger vor ihnen. Teresina verrät
durch keine Miene^ daß sie die Anrede des Andrea versteht.
ANDREA
Nun, liebste Schwester, sprich ein einzig Wort!
Seit ich der Väter Haus betrat und dich
Zu Häupten unsrer toten Mutter fand,
Hab' ich die teure Stimme nicht gehört!
Was ist dir, Teresina ? Keine Träne
Und nicht ein Laut? Ich habe nicht gefragt.
Eh' aus der Gruft empor zum Licht wir stiegen;
Nun führ' ich in bewegte Straßen dich,
Daß diese fürchterliche Schweigsamkeit
Im Rauschen der lebend'gen Stadt sich löse;
Du folgst mir wie ein Kind. Ich frage dich,
Und wieder frag' ich dich: Wo ist Filippo?
Wie kommt's, daß er an solchem Tage fehlt ?
Und nur ins Leere starrst du und du schweigst.
Nahm Schmerz die Sprache dir? Ist deine Stimme
In ungeweinten Tränen ganz ertränkt ?
Gibt's etwas, das, dem Bruder zu gestehn.
Dich mächtig treibt, doch das gestehn zu müssen,
Dich so erzittern macht, daß du verstummst ?
Vergib, doch rede! Mit neuer Hoffnung. Tatst du ein
Gelübde
Das dich für heut, für sieben Tag' und Nächte,
Für ewig schweigen heißt! Wär's das, du dürftest
Das Haupt doch neigen! Aber immer noch
Kein BHck, nicht die Gebärde des Verstehns!
Ist, was dir widerfuhr, so ohnegleichen,
Theaterstücke. II, ij. IQJ
Daß jede ird'sche Art, dich mitzuteilen,
Als zu gering und schwächlich dir erscheint?
Mit steigender Angst.
Ist dies ein Wahnsinn, wde er nie erhört ward?
Doch ist es das, so ruf ich ja in dich.
Wie man ins Meer nach einem Leichnam schreit.
Der fern auf allzu stillen Fluten hintreibt.
Wie schauervoll ist dies, zu dir zu reden,
Und ohne Nachricht sein, ob du's begreifst!
Doch zehnfach schauervoll, da ich aufs Neue
Allein, unsichern Losen preisgegeben,
Zurück dich lass' in der verlornen Stadt!
Nun werd' ich diese Stirn mit meinen Lippen
Zum letztenmal berührn und fürchten müssen.
Es ist nicht mehr für dich, als Hauch der Luft!
Und in Verzweiflung jenen letzten Trost —
Das Lebewohl aus deinem Mund — entbehren!
Er wartet auf Antwort.
So komm! Ich will nach Hause dich geleiten.
Und zwingt mich deine fürchterliche Stummheit,
So nütz* ich meines Hierseins letzte Stunde
Zu einem Gang, vor dem ich jetzt noch schaudre,
Da betteln meinen Lippen so verhaßt.
Als töten meinen Händen — und weiß doch:
Nur eins von diesen endet meine Qual!
Sie geben beide ab, von den Fackelträgern begleitet.
Während der vorhergehenden Szene sind der alte Nardi und Frau
Nardi vor ihrem Gewölbe erschienen, an dem Auslagetiscb beschäftigt.
NARDI
hat einen Ring an der Hand.
Wo ist der kleine Vittorino? Ich w^ll ihn loben.
Sieh nur, mein liebes Weib, wie schön dieser Kopf ge-
schnitten ist ! Keiner kann das so gut wie er! Nie wird
Francesco das zusammenbringen. Vittorino ist der
Erbe meines Ruhms. — Wo bleibt er nur? Wo
bleibt er?
FRAU NARDI
Gib her, gib her, ich will ihn zu den andern tun.
194
NARDI
Zu welchen andern? Warum sperrst du alles in
die Truhen ? Und warum sperrst du die Truhen in den
Keller? Was soll das bedeuten?
FRAU NARDI
, Es muß so sein, laß mich nur machen.
NARDI
weinerlicb.
Nein, laß mir den Ring! Wir wollen ihn noch
heute verkaufen.
FRAU NARDI
Wer denkt heute daran, Ringe zu kaufen ? Gib her !
NARDI
Herr Chiaveluzzi wird den Ring kaufen. Er gibt
hundert Dukaten dafür, ganz gewiß 1 Da wollen wir den
Kindern Kleider kaufen! Wo sind sie denn?
FRAU NARDI
Sie sind spielen gegangen.
NARDI
Warum sind sie noch nicht zurück ? Es ist dunkel —
warum sind sie noch nicht zu Hause ? Beatrice \\ird sich
wieder verirren, vnt gestern.
Der du CHIAVELUZZI und sein Neffe ORLANDINO treten auf.
CHIAVELUZZI
Ei, was Ihr sagt! Die reizende Beatrice hat sich
gestern verirrt ?
FRAU NARDI
Ihr wißt ja — vor sieben Jahren!
CHIAVELUZZI
Nun, auch erwachsene Mädchen verirren sich zu-
weilen. Wo sind die reizenden Töchter, liebe Frau ?
FRAU NARDI
Denkt Ihr heute auch an nichts anderes ?
CHIAVELUZZI
Niemals an etwas anderes — niemals! Ah, hier
kommt die entzückende Rosina!
ROSINA tritt auf.
ORLANDINO
Guten Abend, herrliche Rosina!
FRAU NARDI
Warum hast du die Haare gelöst?
NARDI
Wo läufst du denn herum, Rosina? Die Augen
wein' ich mir aus ! Wo ist Francesco ? Wo ist Beatrice ?
FRAU NARDI
Geh ihnen entgegen, dann wirst du sie finden.
NARDI
im Fortgeben.
Nun, ich will Euch zeigen — bis in den späten
Abend hinein, bis in die finstere Nacht hinein — wartet
nur, wartet nur!
CHIAVELUZZI
lachend.
Wie komisch ist der Alte!
FRAU NARDI
Lacht nicht über ihn!
CHIAVELUZZI
Was habt Ihr denn ? Warum soll ich nicht lachen ?
Ist es nicht ein köstlicher Gedanke, daß gerade wir zwei
ihn zu dem gemacht haben, was er ist?
196
i
FRAU NARDl
Schweigt davon, um Gottes willen! Heut wird es
uns heimgezahlt!
CHIAVELUZZI
Wieso heimgezahlt ? Was habt Ihr denn ? Ihr seid
ja blaß wie der Tod!
FRAU NARDI
Ich habe Angst! Hunderttausend liegen vor der
Stadt. An allen Ecken werden sie sie anzünden, dann
werden sie hereinkommen, uns töten, uns die Augen
ausstechen!
CHIAVELUZZI
Ei was denn noch alles!
FRAU NARDI
Die Scharen des Borgia sind fürchterlich! Es wird
sein wie das jüngste Gericht!
CHIAVELUZZI
Wer sagt Euch das ?
FRAU NARDI
Ich war heut morgen in der heiligen Beichte, der
ater Macario hat es mir gesagt!
CHIAVELUZZI
Hört doch nicht auf den ! Die Pfaffen schwatzen ja
alle dem Borgia zu Gefallen.
FRAU NARDI
Könntet Ihr denn nicht zum Herzog gehen und ihn
bitten ?
CHIAVELUZZI
Bitten? Um was denn?
FRAU NARDI
Ich weiß, Ihr seid angesehen am Hof. Wenn Ihr
197
es tätet und noch einige so edle Herren, wie Ihr, und
den Herzog anflehtet, er möge sich und uns und die
Stadt der Gnade des Borgia empfehlen, solang es
Zeit ist —
ORLANDINO
Schönste Rosina, fragt nur meinen Oheim! Denkt
doch, Oheim, sie will es nicht glauben, daß ich eine
Truppe von zweihundert Armbrustschützen anführe
und wahrscheinlich schon morgen früh ins Feld ziehe.
CHIAVELUZZI
Ja, wer jung ist, muß mit! Auch ich ginge mit,
wenn ich nicht diese sonderbare Schwäche im linken
Bein hätte.
FRAU NARDI
Uns werden sie auf der Straße, in den Häusern
ermorden !
ORLANDINO
Wenn wir sie hereinlassen!
FRAU NARDI
Francesco geht auch fort. Heut früh hat er unsef
Haus verlassen.
ORLANDINO
Fort gehen viele, aber wer wird wiederkommen ?
Rosina, wer weiß, ob nicht eben die letzte Nacht anhebt,
die Eurem zärtlichen Orlandino geschenkt ist!
ROSINA
Sagt, wenn der Herzog durch die Straßen zieht —
wie viele Fackelträger begleiten ihn ?
ORLANDINO
Die Sitte des Hofes fordert ein halbes Dutzend, aber
Seine Hoheit hält sich leider nicht immer nach den
Sitten des Hofes. Rosina, hört mich an! Ich bitte Euch!
Zehn Schritte weit vom Tor von Garisenda steht mein
198
kleines Haus — gewiß, Ihr kennt es! Welchem Mäd-
chen in Bologna war' es noch nicht gezeigt worden!
Wollt Ihr nicht die letzte Gelegenheit, benützen, es
von innen zu besichtigen ? Ich habe nur diesen einen
Wunsch mehr auf Erden! Denkt, es ist eine vater-
ländische Tat, einem jungen Helden die letzte Nacht
zu versüßen! Rosina, vielleicht schon morgen um diese
Stunde bleichen meine Gebeine auf dem Sand vor
Bologna!
ROSINJ
Orlandino, hättet Ihr nur das nicht gesagt! Es ist
ein abscheulicher Gedanke! Ich müßte immer an Eure
Gebeine denken! Nein, nein, laßt mich! Ich hätte
nicht das geringste Vergnügen!
ORLANDINO
Herzlose, o höchst herzlose Rosina!
FRANCESCO kommt in FT äffen.
CHIAVELUZZI
Ei, was seh' ich, der junge Herr Francesco — so
wohl gerüstet!
ORLANDINO
Guten Abend, Francesco! Wie schmuck siehst du
aus!
FRANCESCO
nicht laut.
Fort mit euch!
ORLANDINO
Wie ? Was sagst du ?
CHIAVELUZZI
Wie so ein Degen an der Seite gleich kühn macht!
ORLANDINO
Man könnte beinah glauben, daß du einen Schnurr-
bart hast. Wie sagtest du doch?
199
FRANCESCO
Habt ihr mich nicht verstanden? Fort mit euch!
FRAU NARDI
Was fällt dir denn ein, Francesco? Was für Spaße
erlaubst du dir gegen diese vornehmen Herren?
FRANCESCO
Schweigt, Mutter, ich bitt' Euch!
ORLANDINO
Sage, kleiner Francesco, sie haben dir vi^ohl einen
Rausch angetrunken?
CHIAFELUZZI
Nur vor diesem v^ilden BHck werden die Romagnesen
scharenweise davonlaufen.
ORLANDINO
Kommt, schönste Rosina, wir wollen Euern närri-
schen Bruder seiner tollen Laune überlassen und den
herrhchen Abend, den letzten, der mir auf Erden ge-
gönnt ist, zum Spazierengehen benützen.
FRANCESCO
Den letzten, sagt Ihr? Soll ich's auf der Stelle
wahr machen ?
ORLANDINO
Ei, wie ? soll dieser Ton ernsthaft gemeint sein ?
Nun, dann wollen wir anders sprechen! Er greift nach
dem Degen,
FRANCESCO
bat seinen Degen gezogen.
ROSINA
sieht Francesco mit Bewunderung an.
Prächtig steht ihm das!
200
ORLANDINO
Ah, ich will meinen Degen am Vorabend großer
Taten nicht durch einen läppischen Streit entweihen!
Mein Leben gehört nicht mehr meiner Laune, sondern
meinem Vaterlande! Kommt, Oheim, entfernen wir
uns.
CHIAVELUZZI
Jowohl, ich entferne mich. Aber im Fortgeben keines-
wegs, ohne über diesen drolligen Jungen herzlich zu
lachen. Lacht mühselig^ in kurzen^ leisen Stößen. Mit Orlandino ab,
FRANCESCO
Wo ist Beatrice?
FRAU NARDI
ängstlich, aber absichtlich stark.
Was fällt dir denn ein ? Bist du verrückt geworden ?
ROSINA
Aber hübsch siehst du aus! Das muß man sagen.
FRANCESCO
Wo ist Beatrice?
FRAU NARDI
Sie ist noch nicht zu Hause. Was willst du denn
von ihr?
FRANCESCO
Abschied von ihr zu nehmen komm' ich nur.
Und sie in gute Hut zu übergeben.
FRAU NARDI
V/as bedeutet das ?
ROSINA
Schläfst du heute nacht nicht mehr zu Hause?
FRANCESCO
Verstandet Ihr mich nicht? Von Beatrice,
201
Von niemand anderm will ich Abschied nehmen!
Von meinem Vater auch, wenn er's verstünde!
FRAU NARDI
Wo kommst du her, Francesco?
, ROSINA
Der junge Chiaveluzzi wird wohl recht gehabt haben:
der Wein redet aus ihm.
FRANCESCO
bat seine Mutter beim Arm gefaßt; nur zu ihr.
Du weißt, warum ich von Euch gehe, Mutter!
Nur ein wiUkommner Anlaß ist der Tag:
Denn selbst, wenn Gott mein Haupt beschützt: —
dies Haus
Betret' ich niemals wieder!
FRAU NARDI
So wagst du zu deiner Mutter zu sprechen?
FRANCESCO
Mutter!!
Bald hoff ich zu vergessen, daß du's warst!
Zu viele Niedrigkeit hab' ich gesehn.
Und sehe neue Schmach sich vorbereiten.
Da ich ein Kind war, könnt' ich's nicht verstehn,
Nur ahnen. Aber jetzt verging ein Jahr,
Daß ich die Augen auftat, und ich weiß,
Was meinen Vater irr und elend machte;
Und das, was du gewesen, wird aus der!
Bereit, sich zu verkaufen, herzuschenken,
Dem, der sie will! Drum segn' ich Tag und Stunde,
Da ich dies schmutz'ge Haus verlassen darf
Und Euch nicht kennen.
BEATRICE kommt.
ROSINA
Nun, da hast du deine Beatrice.
202
FRANCESCO
ikr entgegen; mit tiefer^ beinahe angstvoller Zärtlichkeit.
Meine Schwester!
BEATRICE
Francesco!
FRANCESCO
zu Frau Nardi und Rosina.
Laßt mich mit ihr allein!
FRAU NARDI
in den Laden, ROSINA in die Straße ab.
FRANCESCO
milde, in ganz anderem Ton als früher.
Woher kommst du?
BEATRICE
Von weit her. Doch wer darf mich fragen?
FRANCESCO
Ich!
Dein Bruder, Beatrice!
BEATRICE
Nein doch, niemand.
Wie siehst du aus? So schön! ach ja, wie anders
Seit gestern abend!
FRANCESCO
Beatrice, hör' mich!
Ich gehe fort, du weißt; doch hab' ich Angst
Um dich! Ich möchte dich geborgen haben,
In guter Hut, bevor ich geh'.
BEATRICE
Was willst du ?
FRANCESCO
In diesem Haus darfst du nicht langer weilen!
203
Ich habe so viel Angst um dich! Mir ist.
Als war' in dir ein Feuer aufgeloht,
Das seinen Strahl ins Ungewisse sendet,
Und ich kann nicht mehr wachen über dich!
Ich wollt', du bliebest gut, und fühle sehr,
Dies steht nicht so bei dir, wie sonst bei Menschen -
Und ich kann nicht mehr wachen über dich!
Doch weiß ich, was auch immer dir bestimmt,
Fand' ich dich anders wieder, als ich will,
Vor Ekel stürb' ich oder spie' dich an!
Ich wollt', du bliebest gut und nähmst den Besten,
Nähmst Vittorino, der dich liebt, zum Mann.
BEATRICE
Ich weiß, daß du das willst.
FRANCESCO
Laß mich für ihn
Zu deinem Herzen sprechen, Beatrice.
Und auch für mich, daß ich in Ruhe ziehn kann,
Wohin es Gott gefällt. Nimm ihn zum Mann.
BEATRICE
Wo soll ich mit ihm leben?
FRANCESCO
Nicht bei diesen
Und nicht in dieser Stadt!
BEA7RICE
Sie sagen alle.
Daß keiner mehr die Stadt verlassen kann.
FRANCESCO
Dies mag schon morgen wahr sein, heute nicht;
Noch sind die Straßen gegen Osten frei.
Wenn Hundert oder Tausend dorthin zögen,
Wär's ihr Verderben; doch vertrau' mir nur.
Euch beiden weis' ich einen sichern Weg.
204
BEA7RICE
Was soll dies ? Heute noch ?
VniORINO MONALDI kommt.
FITTORINO
Teure Beatrice, seh' ich Euch endlich wieder!
BEATRICE
Guten Abend, lieber Vittorino!
FRANCESCO
Ich sprach mit meiner Schwester, Vittorino.
FITTORINO
Hast du's getan ? Nun wird mich Beatrice für einen
rechten Knaben halten, daß ich's nicht selber gewagt
habe. Und was sagte Beatrice ? — Nein, sprich nicht,
Beatrice, nicht gleich, nicht, solang du mich mit diesen
fremden Augen ansiehst!
FRANCESCO
Mein guter Vittorino, 's ist nicht Zeit,
Die Antwort aufzuschieben, wie sie sei.
In kurze Frist ist heute viel gedrängt,
Und Stunden gelten Tage, Tage — Jahre.
BEATRICE
Francesco, ja, so ist's!
FRANCESCO
Drum, Beatrice,
Gib Vittorino schnell dein Ja, wenn du
Gewillt bist, ihm's zu geben.
FITTORINO
Aber wenn's ein Nein ist, sag' es nicht gleich, daß
es nicht wie ein Stich in mein Herz fährt. Laß mir
noch ein paar Augenblicke der Hoffmung. Zu Francesco.
205
Ich fürchte ihre Antwort, Francesco! In diesen letzten
Tagen schien sie so fern von mir zu sein. Zu Beatrice.
Immer, wenn die Sonne sank, Beatrice, warst du ver-
schwunden. Ich weiß ja, daß du nur auf den Hügeln
und Wiesen vor dem Tor umhergewandelt, — aber
bist du nicht schon weit, wenn du nur die Augen
wendest ? Drum hab' ich Furcht vor deiner Antwort.
BEATRICE
Hab' keine, Vittorino!
VIT10RIN0
mit plötzlichem Mut und Hoffnung,
Liebst du mich denn ?
BEATRICE
Nein, Vittorino. Aber ich will tun,
Was du ersehnst, und was Francesco wünscht.
Mein Bruder ist sehr klug. Und sieh, ich glaube,
Geborgen werd' ich sein an deinem Herzen
Wie sonst bei niemand. Nicht nach deinen Küssen
Verlangt's mich, Vittorino, Aber ausruhn
Möcht' ich bei dir, weil ich so müde bin.
FRANCESCO
Was ist's, das du erlebtest, Beatrice?
VITTORINO
angstvoll.
Frage sie nicht, frage sie nicht! Es ist an mir, sie
später einmal zu fragen. Weißt du denn auch, Beatrice,
daß wir noch heute als Vermählte die Stadt verlassen
sollen, wenn es möglich ist?
BEATRICE
Heut? — I
FRANCESCO
Nur heut ist's möglich, und drum muß es sein!
zo6
So hört mich: In San Stefano, der Kirche,
Erwartet euch der Priester, der euch traut.
Ist dies geschehn, geleit' ich euch zum Tore
Von San Vitale. Dort, auch mir nicht länger
Als seit der heut'gen Früh' bekannt, entspringt
Ein Gang, der unter Mauerwerk und Erde
Bis zu der alten Villa des Larangi
Und dort im Garten wieder aufwärts führt.
Nun, aus dem Garten auf den Weg nach Lugo,
Daß ihr noch Budrio vor Tag erreicht.
Und dann —
FITTORINO
Sind wir erst dort, so dürfen wir dem Himmel schon
für unsere Rettung danken. Von Budrio fahren wir im
hellen Tageslicht nach meiner Vaterstadt, ich führe
dich zu meinen Eltern, und sie werden ihre Tochter mit
Entzücken umarmen. Alles ist bereit, daß ich daheim
in wenig Tagen meine Werkstatt öffnen kann. Wahr-
lich, ich seh' ein Leben voll Arbeit und voller Freude
vor mir!
BEJTRICE
Gut habt Ihr's ausgesonnen, wenn es glückt.
FRJNCESCO
Nicht ohne Fährlichkeit ist aUes dies.
Doch gibt's noch immer vielfach beßre Hoffnung,
Als in Bologna diese Nacht zu weilen.
BEATRICE
So werd' ich Vittorinos Gattin! Denk' nur!
Wie sich dies endlich fügt! — und spielten doch
Vor einem Jahr noch draußen auf den Wiesen!
FITTORINO
Beatrice, wie lieb' ich dich!
BEATRICE
Ja, wahrlich, Zeit ist nur ein Wort, nicht mehr!
207
Schau' ich nur dich, Francesco, an! Noch gestern
Warst du ein Kind, und heut bist du ein Mann.
Und jenes Märchen —
FRANCESCO
Denkst du jetzt an Märchen?
BEATRICE
Hat's nicht der Vater uns gar oft erzählt?
Von einem, der den Kopf ins Wasser tauchte
Und träumte da von so viel Abenteuern,
Daß sie im Wachen zwanzig Jahre währten, —
Und taucht' empor, da war's ein Augenblick.
Sie jährt sieb üben Haar.
FITTORINO
Was hast du Beatrice? Warum greifst du dir an
die Schläfen?
BEATRICE
Ob mir das Haar noch feucht ist.
FRANCESCO
Was flog durch deine Sinne, Beatrice,
In dieser letzten Abendstunden Schwüle ? —
FITTORINO
Frage sie nicht, Francesco!
BEATRICE
Nein, Vittorino, niemals wollen wir
Um Träum' einander fragen. Wach sein nur
Ist Leben, und gemeinsam ist das Licht.
Bring' mich nach Lugo, lieber Vittorino!
FITTORINO
Ja, Beatrice, dahin will ich dich führen, dort wird
dir ein Heim bereitet sein, wo du von deinen Träumen
ausruhen, wo du sie vergessen wirst.
208
FRANCESCO
So sagst du ja zu allem, Beatrice ?
BEATRICE
Sagt' ich's noch nicht? Ja, Vittorino, ja!
FRANCESCO
So komm!
BEA1R1CE
ZuT Kirche?
FRANCESCO
Doch zuerst ins Haus,
Daß dich der Vater segne.
VITTORINO
Wird er es denn verstehen?
FRANCESCO
Auch eines Kinds Gebet steigt auf zu Gott.
Warum das seine nicht ?
VITTORINO
Beatrice, ich danke dir! Ich bin sehr glücklich!
Fühle nur, daß du mir alles bist. Zwar weiß ich, daß
du deiner ganzen Art nach zu anderm geboren bist,
als eines einfachen Gewerbsmanns Frau zu sein. Be-
denk' aber auch dies, daß du dich mit deinem W^orte
mir für immer geschenkt hast, daß niemand auf der
Welt dir so viel Liebe geben kann, als ich, und daß ich
unfehlbar sterben müßte, wenn du jemals deines Worts
vergäßest.
Alle drei ab ins Gewölbe.
Vier Fackelträger erscheinen in der Tiefe der Straße. Hinter ihnen,
langsam nach vorn schreitend, der Herzog, Carlo Magnani, Guidotti,
der junge Malvezzi und einige andere Edle.
HERZOG
Ich wüßte keinen Bessern für dies Amt.
Theatcrttflcke. II, j^, 2O9
MAGNANI
So sehr mich meines Fürsten Gnade ehrt,
Ich wage der Entgegnung kühnes Wort.
Ob auch vor anderm mich der Wunsch bewegt,
An einem Tag, wie der uns morgen anbricht.
Zur Seite meinem teuern Herrn zu sein.
Ich spräch's nicht aus, wüßt' ich nicht den zu nennen,
Den Fügung des Geschicks dazu ersah,
In dieser Stadt zu bleiben, wenn wir gehn.
HERZOG
Ihr meint Andrea.
MAGNANI
Keinen andern, Herr!
Ihm starb die Mutter, und die Schwester, sagt man.
Verfiel in eine Art von stillem Wahn.
Ich bitt' Euch, Herr, laßt ihn daheim für mich!
HERZOG
Das kann ich nicht. Ich will ihn bei mir haben
An einem Tag, vnt der uns morgen anbricht.
Ich lieb' Andrea mehr als Euch, Magnani. —
Seid mir darum nicht bös', Ihr seid mir wert!
Auch bleibt die junge Gräfin nicht allein.
Denn folgt Andrea meinem Rat, noch heut
Vermählt er sie dem Jüngling, den sie liebt.
Nicht trotz der Mutter Tod,
Nein, weil sie starb. Zu trauern ist nicht Muße,
In solcher Zeit; auch trocknen Tränen schnell,
Die Jugend den erfüllten Losen nachweint.
Ich selbst will diesen Bund mit Freude segnen —
Willkommne Art, nicht mit des Fürsten Huld,
Nein, wie ein Freund Filippo zu begrüßen.
Laßt uns ins Schloß zurück! Dort wartet unser
Mit manchen andern, die wir hinbeschieden,
Zu dieser wunderlich vermischten Feier,
Die so der Rückkehr wie dem Abschied gilt,
210
Filippo Loschi, und ich will ihn kennen.
Sie kommen weiter nach vorn.
Ist das dieselbe Straße nicht, Malvezzi ?
MALVEZZI
Die Straße von Azeglio, Herr! lächelnd. Dieselbe —
Und hier das Haus, vor dem die Schöne stand.
HERZOG
Wir sahn so viele jetzt auf unserm Gang,
Es war doch keine schön wie sie!
MALVEZZI
Mein Fürst,
Daß wir so viele sahn, ist Zuia.]l nicht.
Ein wunderlich Gerücht durchlief die Stadt,
Das trieb sie Eurer Hoheit in den Weg.
HERZOG
Welch ein Gerücht?
MALFEZZI
Es heißt, daß Eure Hoheit
Geneigt sei, eine Schöne zu erwählen
Für diese letzte Nacht, die letzte vor —
HERZOG
Vor morgen sagt, so sagt Ihr nicht zu viel
Und nicht zu wenig. Nun, kein übler Einfall!
Warum kam er nicht mir und schon heut Mittag
An dieser Stelle? — Doch 's ist besser so!
Was uns noch übrig ist von dieser Nacht,
Sei zu erlesnern Freuden aufgespart,
Als uns der Frauen leichte Gunst beschert.
Denn wahrlich, oft genug hab' ich versucht,
Dem sich so viele Wunder offenbarten,
Auch dies zu kennen, das Ihr Liebe nennt.
Ich weiß von Wunsch und Lust und Überdruß —
14« 2U
Das Wunder füMt' ich nie! Und daß Ihr lächelt,
Malvezzi, ist nicht klug!
MALVEZZI
Vergebt mir, Herr!
HERZOG
Was für ein Geck Ihr seid! Ich weiß, Ihr dachtet
Des Mädchens von Byzanz, das für den holden Blick,
Der Eurer Jugend galt, so schwer gebüßt.
Doch hätt' icli die geliebt, wär's Euer Leib,
Der heut im Grund des fernen Meeres modert,
Und nicht der ihre.
MALVEZZI
Einer andern dacht' ich, die
Um Euch, mein Fürst, ein Reich und einen Gatten
Und endlich eine Welt verließ.
HERZOG
Viel — meint Ihr!
Und doch beklag' ich ihren Heimgang nicht.
Wohl ihr, daß nicht mit leergetrunkner Seele
Sie rückgekehrt in ein verwirktes Dasein,
Zu Ende lebte sie ihr Glück. Ich wollte,
Es gingen alle so zu rechter Zeit, —
So stünden wir an allen Gräbern heiter.
Wie ich an jenem stand. — Ins Schloß, Ihr Herrn.
COSINI
kommt von rechts.
HERZOG
Cosini! Führt der Zufall Euch entgegen?
COSINI
Nein, Herr, ich folgte Eurem Weg mit Willen.
HERZOG
Ihr spracht Filippo?
212
COSINI
Wohl, ich hab's getan.
HERZOG
Wo ist er ? . . . Seine Antwort — ?
COSINI
Herr, kaum wag' ich —
HERZOG
So war sie „nein" ?
COSINI
Sie war es?
HERZOG
lächelnd.
Nein ? Zu den anderen. Hört ihr ?
Was hält ihn ab ? Was nennt er selbst als Grund ?
COSINI
Um erst den wunderlichsten mitzuteilen:
Er sei kein Dichter mehr.
HERZOG
Kein Dichter mehr?
COSINI
Und kam' als ein Betrüger an den Hof,
Folgt' er dem Ruf, der einem Dichter galt.
HERZOG
Als könnte wer, mit Willen, nicht mehr sein,
Was er gewesen! Blindgewordne sehen.
Denn tief in ihnen löscht kein Zeichen aus —
Und Loschi sagt, — er sei kein Dichter mehr!
Sprich weiter, denn du gabst dich nicht zufrieden
Mit solcher Antwort, hoff ich sehr.
213
COSINI
So ist's!
Doch keine beßre kam. In heft'ger Wallung
Traf ich ihn an; auch zweier Freunde Reden
Gleich meinen, wie in Zorn, verschlossen.
HERZOG
War
Andrea bei ihm ?
COSINI
Nein, mein Fürst; es scheint,
Gelöst ist das Verlöbnis des Filippo
Mit Teresina. Seine Freunde sagen,
Er lieb' ein andres Mädchen.
HERZOG
Wer ist sie?
COSINI
Sie wissen's nicht.
HERZOG
Wir hören mehr davon,
Denk* ich, wenn sich Andrea wieder zeigt.
Doch wahrlich, 's ist beinah wie eine Unbill,
Die uns ein mißgewandtes Schicksal sendet,
Daß sich Filippo unserm Ruf versagt.
Nein, mehr ist's! — als verriete mich ein Freund!
Denn wie man Freunde liebt, so liebt' ich diesen,
Der durch den Mund des Freundes zu mir sprach,
In Worten, wie in Befremden, fragend, die nun Lüge worden
sind?
Und klangen doch so ohnegleichen wahr.
Daß sie mich glauben machten, was ich selbst
Doch nie gefühlt; — daß mir aus ihnen nur,
Was nie aus fremder Glut, aus eigner Lust,
Bestandener Gefahr, für mich erlittnem Tod,
Nie aus des Lebens Fülle zu mir tönte!
Ich hätt' ihn gern gesehn, der das vermocht —
214
Mit Worten . . . die nun Lüge worden sind — !
Doch scheint's, die letzte Nacht nimmt andern Lauf,
Als ich ihr vorzuzeiclmen willens war.
Kommt, ihr Herrn!
MAGNANI
Mein Fürst, wie unser Schicksal werden mag,
Mich dünkt, der Anlaß ist noch fern, sehr fern, —
Von einer letzten Nacht zu reden.
Dringender.
Herr,
Bolognas Mauern stehen fest wie je,
Und Speis' und Trank sind da für sieben Tage.
HERZOG
Und war's für sieben Jahre, Herr Magnani!
Was geht's mich an ? Aus ungeheurer Freiheit,
Die nur des Himmels Fernen eingeengt.
Seh' ich von heut auf morgen ins Gefängnis
Der ringsumschloßnen Mauern mich gesperrt.
Ich trüg's nicht einen Tag, und trüg' es kaum,
Wenn eine Hoffnung beßrer Zeiten winkte, —
Und uns winkt keine!
MAGNANI
Herr, unmöglich scheint's,
Daß ihres neugeschwornen Bunds die Fürsten
Neapels und Siziliens vergäßen!
HERZOG
Scheint Euch unmöglich ? Sagt doch, nahmt Ihr Ein-
sicht
In die Papiere, die bei Mariscotti
Gefunden wurden ? Zeigt sie ihm, Cosini I
COSINI
Mein Fürst, so sorgsam ich sie las, sie zeigen,
Daß man versucht hat, für die Pläne Cesars
215
Neapel zu gewinnen, doch nichts kündet,
Daß der Versuch gelang.
HERZOG
Er ist's! Heut weiß ich's!
Und weiß auch, daß ich's wußte tief in mir,
Wo wir an lichten Tagen nicht hineinsehn,
Schon vor zwei Monden, da wir in Neapel
An Anjous Tafel saßen, — wie ich's wußte,
Was uns vom Borgia droht, als uns in Rom
Der Papst empfing mit heuchlerischen Armen.
Im Abschiedsmahl war uns der Tod bereitet,
Drum nahm ich Abschied, eh' das Mahl erschien.
MAGNANI
Ist dies auch wahr, noch eins bleibt zu bedenken.
Der Borgia ahnt nicht, daß es Euch geglückt,
Bologna zu erreichen, Mariscotti
War ihm der Herr der Stadt. Nun, da sein Plan
Mißriet, Bologna seinen Herzog wieder hat,
Wer weiß, ob Cesar nicht geneigt erscheint —
HERZOG
Wozu ? Davonzuziehn, wie er gekommen ?
MAGNANI
Nicht das! Jedoch Bedingungen zu stellen,
Darüber man zu reden sich entschlösse.
HERZOG
Bedingungen? — So ist nichts mehr zu reden!
MAGNANI
Und doch, Herr! Wenn er nun nicht mehr verlangt,
Als die Gewähr, daß künftig in Bologna,
Gleichwie in andern Städten auch.
Ein päpstlicher Legat verweilen dürfte ?
HERZOG
Wohl war' das möglich, und auch mehr als das!
2l6
Ins Lager ladt er mich, den raschen Frieden
Zu unterzeichnen, reist, wie schon mit andern,
Zum sichern Siegel eines neuen Bunds
Nach Rom mit mir, und läßt zur größten Sicherheit,
Wie unsern edeln Vetter von Verona,
Mich vor den Toren seiner Stadt erwürgen.
All dies ist möglich, doch gewiß ist eins:
Daß auf der Welt für mich und Cesar Borgia
Nicht Raum genug ist, und daß er der Stärkre.
Inmitten dieses knechtischen Italiens,
Das Cesar unter seine Füße tritt,
Kann mein Bologna nicht mehr frei bestehn;
Auch im besiegten wird sich's leben lassen —
Am sichersten, — je früh'r — ich mich entfernt. —
Was kommen muß, wird kommen — , doch nichts
zwingt
Den, der es nicht mehr schaun will . . . drauf zu
warten.
Wie sie vorwärts geben, öffnet sich die Türe zum Gewölbe der Nardi^
und es treten heraus: VITTORINO, BEAT RICE, hinter ihnen
FRANCESCO. Wie sie aus der Halle auf die Straße treten, kommen
ihnen eben die Fackelträger des Herzogs entgegen, und die Gruppe
ist dunkelrot beleuchtet. Der Herzog erblickt Beatrice, tritt einen
Schritt zurück.
HERZOG
Das ist sie!
MJLFEZZl
Ja, mein Fürst, es ist dieselbe.
HERZOG
auf Beatrice zutretend.
Nicht so geschwind vorüber, schönstes Mädchen!
Ich hoff, Ihr werdet Eures Herzogs Gruß
Nicht ganz verschmähn.
FRANCESCO
Des Mädchens Bruder dankt
217
An ihrerstatt in Ehrfurcht seinem Fürsten.
Zu Beatrice und Vittorino.
Kommt, laßt uns gehn.
HERZOG
Nicht also! Meines Grußes
Erwidrung hört' ich gern von dir, du Schöne!
BEAR1ICE
schaut den Herzog lang an, dann verneigt sie sieb.
HERZOG
Nicht daß du tief dich neigst, hab' ich verlangt!
So wollt' ich, du vergäßest, wer ich bin!
Zu dem Gefolge.
Dies ist zu feierlich, entfernt Euch lieber!
Ich will nicht sein, wie dieser Herr von Pisa,
Der mit dem Szepter durch die Straßen ritt!
Nicht meines hohen Rangs möcht' ich bedürfen,
Um dir zu sagen — sprich, wie heißest du?
BEATRICE
Beatrice.
HERZOG
's eine Stimme wie Gesang! Ich wollte, —
Du liebtest mich, Beatrice.
FRANCESCO
Mein Fürst! der meiner Schwester Gatte sein wird.
Steht hier, und zu der Kirche geht ihr Weg.
HERZOG
Zur Kirche — wie f Hochzeit zu feiern etwa ?
FRANCESCO
Ihr sagt's, mein Fürst!
HERZOG
Steht's also, mögt ihr gehn. Nie war's mein Sinn
218
In fremdes Recht mit leichter Hand zu greifen.
Vergib mir, Beatrice, und auch ihr —
Beatrice siebt den Herzog unverwandt an.
Was blickst du so mich an und gehst nicht fort?
FRANCESCO
Komm, Beatrice!
Beatrice bleibt stehen.
HERZOG
Nun? War's etwa nur
Ein listig Wort von Euch, um Eure Schwester
Vor mir zu schützen — wie? Beinahe scheint's!
Denn Beatrice schweigt — wie dieser Jünghng.
FRANCESCO
Der Hoheit stolze Nähe macht ihn beben.
Ich aber schwöre, daß ich Wahrheit sprach,
Denn ich verstund' es, dieses Kind zu schützen
Vor jedermann, war' es auch nicht verlobt.
HERZOG
siebt ihn an. Pause, Dann:
Wer bist du denn?
FRANCESCO
Francesco Nardi heiß' ich,
In Eurer Hoheit Dienst seit heute morgen!
HERZOG
Wer warb dich an ?
FRANCESCO
Ich nahm freiwillig Dienst.
HERZOG
Bei welcher Schar ?
FRANCESCO
Des Grafen von Fantuzzi.
219
HERZOG
zu Guidotti.
Sind nicht die andern, die sich frei gemeldet,
Valori zugeteilt ?
GUID07TI
So ist's.
FRANCESCO
Mein Fürst,
Ich bat's mir aus, dem Grafen zuzustehn.
HERZOG
Die Hochzeit eilt, wenn du Brautführer bistl
Zu Vittorino.
Und du — wer bist du ?
FITTORINO
Ich heiße Vittorino Monaldi, Eure Hoheit, und
dieses Mädchen ist meine Braut.
HERZOG
Ich weiß.
FITTORINO
Und mein ganzes Glück.
HERZOG
mit einer Beioegung des Widerwillens.
lOang's nicht, als ob er betteln wollt' um sie ?
„Sein ganzes Glück!" — Nimm's hin und geh mit
Gott!
FRANCESCO
Komm, Beatrice!
FITTORINO
flehend.
Beatrice, komm!
220
HERZOG
der icbon vorbei wollte^ wendet sieb wieder um und siebt, wie Beatric«
regungslos dasteht.
Geht, sagt' ich ! War's zu mild ? Soll ich befehlen ?
Geh, schöne Beatrice! Nun? Du bleibst?
Denkst du, ich will's ? Denkst du, wenn du vorbei,
Werd' ich dich rufen ? Nicht einmal mein Blick
Wird deinem jungen Schreiten folgen, doch
Für diese wünscht' ich, daß du endlich gingst —
Ob du mich auch entzückst, wie nie ein Weib.
NARDI und seilte FRAU sind aus dem Gewölbe gekommen. ROSINA
von der Straße.
FRANCESCO
Komm, Beatrice!
VH10RIN0
Beatrice I
HERZOG
Wie stehst du so gebannt ? Sagt' ich ein Wort,
Das dich liier festhält ? Droht' ich dir ? Den andern ?
Verwehrt Euch wer den Weg? Zu seinen Rittern.
Macht Platz, ihr alle!
Geh, Beatrice! Aber Schritt für Schritt,
Und halt nicht inn' und wende nicht dein Haupt,
Und schwinde meinem Aug', so rasch du kannst!
Denn dich fortschicken, wenn du bleiben willst,
Dahin dich geben, wenn's zu mir dich drängt.
Dich nicht umarmen, wenn's dich selbst gelüstet.
Beim Himmel! Narrheit war' dies, und ich fürchte,
An Zeit gebricht's, daß ich sie mir verzieh'.
Komm mit mir, Beatrice!
FRANCESCO
dit Hand am Degen.
Herzog!
VH10RIN0
will sieb auf die Knie werfen.
221
FRANCESCO
bäh ihn ab.
HERZOG
Dein Will' ist's, wie der meine, also kümmert's
Hier niemand mehr. Doch bin ich höchst geneigt,
Was unser Ungestüm an frühern Rechten
Verletzen mag, nach Kräften zu versöhnen.
Ich kenne mehr als eine in Bologna,
Die diesen Blonden auf Viitorino deutend mit Vergnügen
nähme,
Und die ihm besser taugt als du. Er wähle!
Es haben sieb immer mehr Leute gesammelt.
Was läßt du noch zurück? Sind dies die Eltern?
Ich geb' euch Haus und Garten, wählt's euch selbst,
Darin ihr wohnen mögt, solang ihr lebt.
Und dies ist deine Schwester? Heute noch
Will ich, mit reichen Gütern ausgestattet.
Zur Eh' sie einem dieser Edeln geben.
Francescos Kühnheit nütz' ich gleich aufs Beste,
Mir zum Gewinn wie ihm, mach' ihn zum Hauptmann
Der kleinen Schar am Tor von Saragossa.
Was aber, Beatrice, schenk' ich dir ?
Ich bracht' auch Schätze mit von meiner Fahrt,
Wie sie dem Sinn von Fraun gefallen mögen,
Sie sollen alle dir gehören: Steine
Und Kleider aus Damast und Perlenschnüre
Sind alle dein, und zu dem allen noch
Ein Schleier von so wunderbarer Schönheit,
Wie keiner, den ein Mädchen dieses Lands
Und niemals eine Herzogin getragen.
So kostbar, daß der Fürst von Pergamum
Ihn und nur ihn allein als Hochzeitsgabe
Der Fürstin schenkte, die er sich erwählt.
Ich geb' ihn dir für eine einz'ge Nacht.
Und noch ist's nicht genug. Wenn es sich fügt,
Daß du mir einen Sohn gebärst, so schenk' ich.
Wofern ein unverhofftes Glück uns leuchtet,
222
Die erste Stadt ihm, die mein Heer erobert.
Und wahrlich, mit je hellerm Blick ich mich
In deiner Schönheit Rätselmacht versenke,
Je wen'ger kühn erscheint mir dieses Wort,
Denn zu nichts anderm als zu einem Sieg
Kann ich aus deinen Armen mich erheben.
Eine größere Anzahl Bürger^ Frauen, Mädchen sind berzugekomme».
Auch CAPFONI, BASINI, BENNOZZO. — Schweigen. —
Beatrice steht regungslos.
HERZOG
Nun, Beatrice, wart' ich deiner Antwort!
BEJTRICE
schweigt.
Erwartungsvolle Stille.
FRANCESCO
Der Herzog von Bologna hat, so denk* ich,
Die Gnade, dieses Schweigen zu verstehn.
Gebt Raum, Ihr Herrn! Zu Beatrice und Vittorino. Ihr
kommt, der Priester wartet.
HERZOG
da alles ruhig bleibt.
Gebt Raum! Geschieht.
Und Ihr, verzeiht mir, Beatrice,
Daß für so viel ich nur so wenig bot.
Nehmt's nicht als niedre Schätzung, nicht als Geiz,
Ich seh's, ich bin zu arm für Euch!
BEATRICE
Mein Fürst —
Bewegung, wie Beatrice zu sprechen beginnt.
Es war zu wenig nicht, nur nicht das Rechte!
HERZOG
heftig, mit neuer Hoffnung.
So sag' mir, was du willst! Vielleicht besitz' ich's!
223
BEJTRICE
Gewiß besitzt Ihr's. Denn ich will nur dies,
Daß man mich morgen früh nicht schmähen darf
Als Dirne!
HERZOG
Die ein Fürst umfangen hat,
Und war sie eines Narren Spaß zuvor,
Ist's nicht mehr! Und du denkst, es wagte einer,
Dich so zu schmähn ?
So flüstern sie's.
BEATRICE
Und sagen sie's nicht laut,
HERZOG
Was kümmert's dich?
BEA1RICE
Und laßt Ihr
An's Kreuz sie schlagen, wär's die Wahrheit doch,
Daß Ihr mich kauftet — nur um hohen Preis!
Darum behaltet alles, Herr, es nützt mir nichts,
Doch nehmt zur Gattin mich!
Bewegung des Erstaunens ringsum.
HERZOG
Wie? — Herzogin?
Er wendet sieb zu seinen Rittern.
Was meint ihr zu dem Kind?
MAGNANI
Herr, was befehlt Ihr?
HERZOG
Was tätet Ihr?
MAGNANI
Die Kühnheit strafen, Herr!
Sie und den frechen Bruder ins Gefängnis.
224
HERZOG
zu GuJdotti,
Und Ihr?
GUIDOTTI
Mein Fürst, die Strafen lieb' ich nur,
Daran zugleich sich andre recht vergnügen!
Drum dächt' ich, zeichne man auf offnem Markt
Ihr glühnde Mal' auf Stirn und Hals und Busen!
HERZOG
zu Malvezzi.
Und Eure Meinung?
MALVEZZI
Wenn mein Fürst erlaubt —
Zuerst ins Schloß zu meines Fürsten Lust,
Dann in ein Freudenhaus zu andrer Freude,
Und dann zur Hochzeit mit dem Bräutigam!
COSINI
Mein Fürst entscheidet sich, ich bin gewiß,
Sich lachend abzuwenden und zu gehn!
HERZOG
Nun, hörst du, Beatrice, wie verwegen
Dein Sinnen allen diesen Rittern dünkt ?
Mir aber scheint, sie seh'n und hören nicht,
Sonst senkten sie die Knie' vor Beatrice
Und flehten ihres unbedachten Worts
Zur rechten Zeit Vergessen und Verzeihn!
Laß endlich deine Hand vom Griff, Francesco!
Du, Beatrice, reiche mir die Stirn!
Ich nehme dich zum Weib, wie du verlangst!
BEA1RICE
reicht ihm die Stirn; er küßt sie. — Ungeheure Bewegung.
FITTORINO
Ist dies alles wahr? Träum' ich!
Theaterstücke. II, 15. 225
FRJNCESCO
Ndn, guter Vittorino, du träumst nicht.
FITTORINO
Beatrice !
BEATRICE
tcendet sieb nach ihm und betrachtet ihn toie einen Fremden.
HERZOG
Nun komme, Beatrice!
BEATRICE
Nein, mein Fürst!
Nun will ich Euer treu zu Hause warten,
Bis Gott aus Kriegsgefahren Euch entläßt!
HERZOG
Und folgst mir nicht als Braut noch heut ins Schloß ?
BEATRICE
Das darf ich nicht. Die herzogliche Schwelle
Betret' ich nur als Herzogin.
HERZOG
So sei's!
Du sollst sie heut als Herzogin betreten!
Wachsende Bewegung.
Cosini! eilt zum Bischof von Petron,
Er halte sich bereit! In einer Stunde
Tritt Herzog Lionardo Bentivoglio
Mit Beatrice vor den Traualtar!
COSINI
ab.
HERZOG
zu anderen.
Ihr rasch zum ScUoß, daß man die Feier rüste!
Einige ab,
226
Ihr andern durch die Stadt! Bolognas Adel
Lad' ich zu dieser Hochzeit ein. Doch merkt!
Für heut ist Schönheit Adel, nicht Geburt!
Ruft es so laut, daß es die Schläfer weckt,
Klopft an geschloßne Fenster an und Hirrt,
Daß man sie öffne, und verträumte Augen
Erstaunt die edlen Boten schaun, und ruft:
Der Herzog lädt euch zu der Hochzeit ein,
Die er mit eurer schönsten Schwester feiert!
Kommt alle, ob ihr sonst in Treuen schlummert,
An eines Liebsten oder Gatten Brust,
Ob ihr in keuschen Betten einsam ruht.
Ob ihr von denen, die unstillbar Glühn
In jeder Nacht an neue Herzen drängt:
Kommt alle, nur seid schön! Ihr seid willkommen!
Wieder andere sind im Verlaufe dieser Rede abgegangen.
Zu Magnani und Malvezzi.
Ihr aber bleibt zurück! Ihr haftet mir
Für dieses Haus und Eures Fürsten Braut!
Zu den übrigen.
Und ihr folgt mir ins Schloß! In einer Stunde
Bring' ich die Hochzeitsgaben, Beatrice,
Daß du geschmückt, so wie's Bolognas Herrin
Geziemt, vor Gott und Kardinal erscheinst!
Et gebt mit Rittern und Fackelträgern ab. Die anderen bleiben tn
großer Erregung zurück. Beatrice steht regungslos^ lächelnd.
BASINI
Nun, was sagt' ich ? Bin ich von Gott erleuchtet ?
Werden die Dinge wahr, die ich erlogen?
FRAU NARDI
zu Beatrice.
Mein Kind, du glückliches Kind — wir glückseligen
Eltern! Zu Nardi. Verstehst du, was geschehen ist?
Gibt dir das den Verstand nicht wieder? O Himmel!
O Himmel!
i5* 227
NARDI
Sehr hübsch habt ihr das gemacht, ihr Kinder! Wer
war der schöne Knabe, der den Herzog spielte?
MAGNANI
zu Malvezzi.
Dies ist Zauberei! Gebt acht, es nimmt ein böses
Ende!
MALVEZZI
Ah, sie ist schön — schön! Seht sie doch an!
MAGNANI
Wir wollen auf der Hut sein!
FRAU NARDI
Komm, Beatrice, komm! Ich will dir die Haare
lösen, damit sie bis zur Erde herabwallen. Komm,
Herzogin von Bologna!
BASINI
Wozu der Jubel ? Alle Laune und alle Gnade Eures
Herzogs gilt nur, solang er lebendig ist, und morgen
abend ist der Borgia in der Stadt.
FRAU NARDI
Schweigt doch, sonst wird man Euch einsperren!
Habt Ihr nicht gehört, was der Herzog sagte ? In
ihren Armen wird er ein Held, ein Sieger werden!
Komm, mein Kind!
ROSINA
stand die ganze Zeit toie erstarrt und läßt jetzt ihren Blick auf
Beatrice ruben^ der von tiefstem Haß erfüllt ist.
NARDI
ist ins Gewölle gegangen und man bort ihn sprechen.
Wie dunkel! wie dunkel! Bringt mir doch Lichter!
Die Menge bat sieb größtenteils zerstreut.
228
FRAU NARDl
KU einem Fackelträger.
He du, leuchte doch den Eltern der Herzogin von
Bologna! Nun, geh doch voraus!
Ein Fackelträger geht ins Gewölbe,
NARDI
Wer lehnt denn hier in der Ecke ? So steh doch auf!
Wer ist es denn? Halte doch deine Fackel her! Ei,
Vittorino! So steh doch auf! Bist du so müd' ?
FRANCESCO
der die ganze Zeit wie verstört dagestanden^ wird aufmerksam und
gebt ins Gewölbe,
MAGNANI
Was sind das für Leute? Dieser Alte! Das geht
nicht mit rechten Dingen zu!
FRANCESCO
kommt aus dem Gewölbe^ hält Frau Nardi davon zurück^ Beatrice
ins Gewölbe zu führen. Er verbirgt etwas in der Hand.
Bleib außen! Bleib außen, Beatrice 1
Daß nicht dein Blut erstarre!
FRAU NARDI
Was ist denn geschehn ?
ROSINA
die rasch ins Gewölbe gegangen ist.
Vittorino! Ohnmächtig liegt er in der Ecke!
FRANCESCO
einen Dolch zeigend, den er in der Hand hielt.
Der stak ihm in der Brust —
Er hat sich gut getroffen!
MAGNANI
Was ist hier geschehn?
229
ROSINJ
aufschreiend, mit einem ungeheuren Haß auf Beatrice,
Er ist tot!
FRJNCESCO
ßeatrice, unglückliche Schwester!
BEATRICE
Das bin ich nicht, Francesco, nein, und sagt' ich's,
So war' es Lüge!
FRANCESCO
Beatrice!
Er siebt sie lange an, sie schaut ihm ruhig itu Auge.
Ich will nicht Gast bei dieser Hochzeit sein!
Sie hebt so furchtbar an, wie ich von keiner
Jemals gehört. Der arme Vittorino
Ist tot, und diese, die ich so geliebt.
Verlor ich mehr, als war' sie auch gestorben!
Denn einer Toten — Abschiedsworte rief ich
Ihr nach und küßt' ihr die verschloßnen Augen!
Für dich, o Beatrice, hab' ich nichts —
Kein Wort und keinen Kuß! So fremd.
Daß ich dich fliehen muß, bist du mir geworden!
Er eilt von dannen. Dir Verbau^ fällt.
t%o
DRITTER AKT
Im Hause des Filifpo Loscbi. Geräumiges Gemach. Rechts hinten
ein alkovenartiger Raum, zu dem drei Stufen hinaufführen; schwer«
dunkelrott Vorhänge, halb gerafft, scheiden ihn von dem Haupt-
raum. Im Hintergrund ein großes Fenster, geschlossen, Blick auf
die Türme der Stadt. Rechts vorn eine Türe, welche auf die Terrasse
führt, offen. In der Mitte des Gemachs, etwas mehr gegen links,
ein gedeckter Tisch, auf dem zwei Armleuchter stehen, jeder mit
fünf Kerzen, die berabgebrannt sind; auf dem Tisch Reste eines
Mahls; um den Tisch Stühle. Ein kleines Tischchen nahe dem Fenster.
Jsabella, Lucrezia, die Musikanten, Filippo. JSABELLA sitzt
auf einem Sessel am Tisch, schläft mit herunterhängenden Armen.
LUCREZIA liegt auf den Stufen, die zum Alkoven führen, den
Kopf auf der obersten. Der erste Geiger liegt auf der Schwelle der
Terrassentüre ausgestreckt. Der zweite Geiger schläft auf einem
Sessel nahe dieser Türe. Der Lautenspieler auf einem Stuhl, den
Kopf auf dem Tisch. Der Flötist liegt vor dem Tisch im Vorder-
grunde ausgestreckt. FILIPPO ktmmt eben die Stufen vom Alkoven
herab, langsam durch den Saal nach vorn.
FILIPPO
Sie schlafen alle, Fraun wie Musikanten.
Hier auf dem Boden stumme Instrumente,
Die leeren Gläser da, noch feucht ihr Grund,
— So viel Gefäße ausgerauchter Freuden!
War nicht, wie Satan in den Zauberring,
In diese eine Stunde alle Lust
Der Welt geschlossen? Heiße Trunkenheit,
Musik, Umschlungensein von weichen Armen —
Was blieb zurück ? Nichts als befreites Atmen,
Daß es vorbei, und Sehnsucht nach Alleinsein!
So war' auch dieses ohne Sinn versucht.
Und nichts mehr weiß ich, was mich hält, zu gehn!
Nach einigem Sinnen.
Doch eins! Ein Wort, im Anfang kaum vernommen,
Nun klingt es laut und lauter in mir fort,
Als griffe mit bewegtem Fingerspiel
Die Hoffnung selbst an meiner Seele Saiten.
Wenn's Wahrheit würde, und sie käme wieder.
Und dürft's doch nur, um hier mit mir zu sterben!
Die« wäre, und nur dies allein Besitz! Pc-tse.
231
Ist dies nur meiner Feigheit neustes Kleid?
Herab mit ihm! Nun steht sie nackt und höhnt:
Du kannst allein nicht fort, noch jetzt verlangt's
Nach Beatrice dich; und wie ein Kind
Sich eine Puppe mitnimmt in sein Bett,
So willst du sie ins Nichts hinübernehmen,
Die dich nicht faßt, sich nicht und nicht das Nichts!
Pause.
Nach einem Sinnen, wie erwachend. Ruft.
Wacht auf! Die Nacht ist weit!
ZWEITER GEIGER
erbebt sieb kerzengrade vom Sessel und knickt gleicb wieder zusammen.
DER FLÖTIST
auf dem Boden, greift nach seiner Flöte und bläst einen Lauf,
DER LAUTENSPIELER
schläft weiter.
ERSTER GEIGER
streckt steh, nimmt den Bogen, klopft auf den Fußboden, als wenn
er das Zeichen zum Beginn gäbe.
Also vorwärts! Er erhebt sich. Entschuldigen Euer
Gnaden, ich bin nur einen Augenblick eingenickt!
FILIPPO
Ein Augenblick? So schlieft Ihr stundenlang!
's ist Mitternacht vorbei!
DER ERSTE GEIGER
tippt dem Lautenspieler mit dem Bogen auf den Kopf.
Auf, auf!
JLLE MUSIKANTEN
trbeben sieb und stellen sieb auf der Terrasse aufj bleiben aber sichtbar.
ISABELLA
ist erwacht, lächelt, schaut Filippo mit großen Augen an.
Mein schöner Filippo!
232
FILIPPO
Ich hoff, Ihr ruhtet wohl und träumtet süß?
ISABELLA
Doch war nicht alles Traum, nicht wahr, Filippo!
FILIPPO
Ich weiß wahrhaftig nicht!
Die Musikanten spielen.
Genug! Ich sagte schon: Das Fest ist aus!
Ihr sollt nach Hause gehn — Ihr alle mein' ich!
Er siebt mit einem flüchtigen Blick Isahella und dann Lucrezia
an^ die, gleichfalls erwacht, auf den Stufen des Alkovens sitzt und
den Filippo betrachtet,
ISABELLA
Du schickst uns fort ? Und mitten in der Nacht ?
Bist Du so jung und bist so rasch ermüdet ?
Und wohin soll man gehn zu solcher Stunde?
DIE MUSIKANTEN
bereit, fortzugehen.
Gute Nacht, gnädiger Herr! Vielen Dank! Gute
Nacht! Gute Nacht!
FILIPPO
Euch ist gewiß bekannt, wo man heut nacht
Noch fröhliche Gesellschaft findet. Führt
Die beiden Mädchen hin!
ISABELLA
Doch bringt uns in die lustigste Gesellschaft!
Zu Jünglingen, die gestern heimgekehrt
Aus einem Krieg und morgen wieder fortziehn —
Ich liebe Jugend nicht, die sparsam ist!
Zu Männern, die man morgen früh zum Tod führt,
Bringt mich, daß keine Scham die Lust verkürze!
FILIPPO
Dergleichen findst du heut genug!
253
ISABELLA
Doch wollt' ich,
Du wärst von diesen einei-^ mein FiHppoI
LUCREZIA
ist berheigekommen.
Ich weiß, warum du alle wegschickst!
FILIPPO
Wie ?
LUCREZIA
Du willst mich ganz allein bei dir behalten!
FILIPPO
Was fällt dir ein? Geh mit den andern I
LUCREZIA
Nein!
Filippo, dies ist nicht dein Ernst!
FILIPPO
Gewiß!
So ernst, als das Gleichgült'ge immer sein kann!
LUCREZIA
Du bist kein Lügner, und dein Auge sprach:
Lucrezia, bleib!
FILIPPO
Wann hätten meine Augen das
Gesagt?
LUCREZIA
Vor einer Stunde, da sie tief
In meine tauchten.
FILIPPO
So? Ich weiß nicht mehr.
Er weniet sieb entscbieden ab.
234
LUCREZIA
scbmerzlicb.
Du schickst mich nicht fort!
FILIPPO
Ganz gewiß, Lucrezia!
LUCREZIA
Wohin ?
FILIPPO
Törichte Frage! Geh, wohin du willst!
LUCREZIA
Filippo, ich bin treuer als die andern!
FILIPPO
Seit wann?
LUCREZIA
Seit ich dich sah! Laß diese fort sein,
So wirst du sehn, wie treu!
FILIPPO
Für eine Nacht!
Für einen Augenblick!
LUCREZIA
Und doch für immer!
Sie zieht ein kleines Fläscbcben aus ihrem Busen.
ISABELLA
zu den Musikanten.
Ich nehm* euch alle mit mir nach Florenz!
Dort sollt ihr meine Hauskapelle sein!
Zu Lucrezia gewendet.
Ich will so eine haben wie die Flavia!
Lucrezia, du — bleibst du ? Wir andern gehn !
FILIPPO
Wart' nur, sie geht mit euch.
235
LUCREZIA
flehend.
Filippo, laß mich
Bei dir! Sieh, was ich tu'!
Sie leert aus dem Fläscbchen einige Tropfen in ein Weinglas,
FILIPPO
Ein Liebestrank ?
Dies faßt' ich nie, daß solcher Sieg Euch freut!
LUCREZIA
Den hätt' ich insgeheim ins Glas geleert.
Das ist ein andrer.
FILIPPO
ernster.
Und was soll's damit ?
LUCREZIA
Behältst du mich nur diese Nacht bei dir.
Beim ersten Graun der Früh' wall ich ihn trinken,
So glaubst du wohl, daß ich die Treu' dir halte.
FILIPPO
siebt sie an, greift nach dem Glas, als wollte er den Trank auf den
Boden leeren. Im selben Augenblick ertönt die
STIMME ERCOLES
im Garten,
Fihppo!
ISABELLA
Deinen Namen ruft man, hörst du ?
FILIPPO
aufmerksam werdend.
Ich höre. He! wer ist's?
Er stellt das Glas auf das Tischchen neben dem Fenster.
236
ERCOLE
näher.
Ich — Ercole!
Er erscheint in der Tür.
FILIPPO
höchst erstaunt.
Du bist's i Wo kommst du her ? Was willst du hier ?
ERCOLE
sich vor den beiden Mädchen verbeugend.
Ich finde mehr, als ich gehofft. Filippo —
Nun bin ich nah daran, dich zu verstehn!
FILIPPO
Was willst du ? frag' ich noch einmal. Wie kommst du
Zu dieser Zeit, auf diesem Weg zu mir?
ERCOLE
Nicht meine Schuld ist's, daß ich diesen wählte.
Ich klopft' an deine Tür, es war vergeblich,
Kein Diener tat mir auf.
FILIPPO
Ich hab' sie fortgeschickt!
Heut nacht soll jeder leben, wie's ihn freut.
ERCOLE
Das tun sie wahrlich in Bologna heut!
Vor deinem Fenster rief ich dann — umsonst!
Zur Tür des Gartens eilt' ich — fest verschlossen!
So bheb mir nichts, als über deine Mauer
Zu klettern, und ich tat's und bin bei dir!
FILIPPO
Ist, was du bringst, so wichtig, daß sich's lohnt.
Den Hals zu brechen ?
ERCOLE
Wichtig? — Nicht für dich!
237
Auch komm' ich nicht zu dir und bring' dir nichts;
Den schönen Damen hier gilt mein Besuch.
ISABELLA
lachend.
Was ist das für ein Mensch f Kennt Ihr uns denn ?
Und kennt Ihr uns, wer wies Euch denn hierher?
Gewiß — Tibaldi war's!
ERCOLE
Den kenn' ich gar nicht!
ISABELLA
Nigetti!
ERCOLE
Diesen Namen hört' ich nie!
Doch euch, ihr schönen Mädchen, kenn* ich gut.
ISABELLA
Ich sah Euch nie!
ERCOLE
Ich erst in dieser Stunde.
Doch weiß ich ganz gewiß, kam' Euch die Laune,
All die zu Tisch zu laden, die Ihr Hebtet,
Ihr müßtet Stühle von den Nachbarn leihn.
ISABELLA
lachend.
Ich hoff, Ihr seid nur mitternachts so frech!
ERCOLE
zu Lucrezia.
Ihr aber, da Ihr dreizehn Jahre zähltet.
Habt solche Fragen an die Nacht getan.
Daß sie allein durch eines Jünghngs Mund
Euch die ersehnte Antwort geben konnte.
Wagt nun zu sagen, daß ich Euch nicht kenne.
Weil Eure Namen mir verschwiegen sind!
238
FILIPPO
Ich kenne Leute von mehr Witz, die nicht,
Ihn anzubringen, über Mauern klettern 1
Sag' endlich, was du willst!
ERCOLE
Tat ich's noch nicht ?
Zu einer Hochzeit lad' ich diese Schönen.
ISABELLA
Nun drückt er sich auf einmal vornehm aus!
ERCOLE
Ich spaße nicht. Zu unsres Herzogs Hochzeit
Lad' ich Euch ein!
FILIPPO
Genug der Narrenspossen!
ERCOLE
Wie? Possen? Nun — doch hört!
Lärm auf der Straße,
ISABELLA
Was ist's für Lärm ?
FILIPPO
Betrunkne treiben auf der Straß' ihr Wesen,
Wie manchmal auch im Haus.
ERCOLE
am Fenster^ reißt es auf.
Nun hört Ihr's besser!
Man bort Stimmen von der Straße; dazwischen klinkt Frauenlachen.
DIE STIMMEN
einander ablösend.
Der Herzog von Bologna lädt euch ein!
Ihr schönen Frauen! Hochzeit gibt's im Schloß!
239
Weit offen stehn die Tore, Saal und Garten —
Der Herzog von Bologna feiert Hochzeit —
Stimmen, Lachen verklingen.
ISABELLA
So Ist es wahr?
ERCOLE
Mein Mund kennt keine Lüge!
FILIPPO
Was für ein Einfall ? Heute nacht — beim Himmel —
Das ist *ne Art, die letzte hinzubringen!
Und so lädt er die Gäste?
ISABELLA
Gehn wir hin!
Mich dünkt, dort werd' ich finden, was ich suche!
Isabella am Fenster, Ercole hei ihr, Lucrezia tritt zu ihnen.
FILIPPO
für sich.
Ob Beatrice auch den Ruf gehört?
Gewiß! — Ob sie ihm folgte? — Warum nicht?
Was darf unmögHch scheinen?
ISABELLA
Aber sagt,
Wer ist die Braut ?
ERCOLE
Nun kommt das ganz Verrückte!
Die Tochter eines Wappenschneiders ist sie,
Ein einfach Mädchen, sechzehn Jahr erst alt —
Doch schön! — O schön!
FILIPPO
Ihr Name — ?
ERCOLE
Beatrice Nardi !
240
FILIPPO
Was sagst du ? Sag's noch einmal !
ERCOLE
Beatrice —
Doch was bewegt dich so ?
FILIPPO
sieb fassend.
Euch doch nicht minder?
Ein einfach Mädchen — wie ? — der Name war —
Verstand ich's recht — Menardi ?
ERCOLE
Beatrice Nardi.
Der Herzog sah sie gestern auf der Straße
Und war entzückt von ihr und nahm sie sich.
FILIPPO
sieb beherrsehend.
Nahm sie sich ? Wie man eine Sklavin nimmt f
Er winkte, und sie folgt' ihm ? Sag' uns doch,
Wie all dies sich begab! 's ist wunderbar!
ERCOLE
Noch wunderbarer, als Ihr denken könnt.
Geschah dies alles. Er begegnet' ihr,
Im gleichen AugenbHck, da sie — merkt auf! — ■
Zur Trauung schritt an des Verlobten Seite.
FILIPPO
Sehr wahr! Noch wunderbarer, als ich dachte!
Sprich weiter!
ERCOLE
Nun, der Herzog hielt sie an —
Stimmen auf der Straße^ näber als früher.
STIMMEN
Von tausend Lichtern glänzen Schloß und Garten!
Theaterstücke. II, i6. 24 1
Kommt, schöne Fraun, der Herzog lädt euch ein
Zur Hochzeit mit der schönen Beatrice!
FILIPPO
Er hielt sie an — und weiter —
ERCOLE
Nun, sie sprach:
In Euer herzogliches Schlafgemach
Tret' ich als Herzogin, nicht anders ein!
ISÄBELLA
Die Unverschämte!
FILIPPO
Und dieser Vit wie hieß er nur — ich meine -
Der Bräutigam — er ließ all dies geschehn?
ERCOLE
Der arme Junge! Keiner denkt mehr sein.
FILIPPO
Gab sie gutwillig hin?
ERCOLE
Sagt* ich's noch nicht?
Aus Gram hat er sich umgebracht.
ISABELLA
Der Narr!
ERCOLE
Ein ärgrer, als Ihr meint! Der Herzog trug ihm
Als Gattin eine reiche Dame an.
FILIPPO
Und sie? Erstarrt* ihr nicht das Blut zu Eis?
ERCOLE
Sie scheint nicht von so weichlicher Gesinnung.
242
FILIPPO
Was tat sie, als er starb ? Schrie sie nicht auf ?
Schien sie sich elend nicht vor allen Frauen?
ERCOLE
Von einem Schrei ist nichts bekannt. Sie ward
Mit aller Pracht zur Hochzeit angetan,
Der Herzog kam mit herrlichen Geschenken,
Und halb Bologna folgte ihrem Weg,
Zur Kirche San Petron. In aller Form
Nahm dort der Kardinal die Trauung vor.
ISABELLA
Wart Ihr dabei?
ERCOLE
Gewß. Und ein Gedränge
War in der Kirch' und auf dem Platz und solch
Ein aufgeregtes Hin und Her, das wuchs
Ins Ungemeßne, als der Himmel selbst
Ein sonderbares Zeichen sandte.
FILIPPO
Welches ?
ERCOLE
Im selben Augenblicke, da Bentivoglio
Vor dem Altar mit Beatrice stand,
Fiel aus den Lüften unter alles Volk,
Das auf dem Markt sich drängte, schwarz geflügelt,
Ein angeschoßner Adler, schlug um sich
Mit schweren Schlägen und verendete alsbald.
ISABELLA
Ein böses Zeichen!
ERCOLE
Wohl! Das meinen alle!
243
FILIPPO
Und sahst du Beatrice selbst?
ERCOLE
Ich sah sie,
Da sie herab der Kirche Stufen schritt.
Sie war sehr bleich, doch von der besten Haltung,
's ist die geborne Fürstin, sagten manche,
Doch andre sagten —
ISABELLA
Daß sie ihn verhext!
ERCOLE
's ist auch ein Wort wie 'n andres.
Schweigen.
FILIPPO
■plötzlicb lebhaft.
Nun seht, vrie rasch der Ort sich fand, die Nacht
In größrer Lust zu enden, als sie anfing!
Dankt diesem guten Boten, laßt von ihm
Den Weg euch weisen und lebt wohl!
ERCOLE
So kommt! Willst du nicht mit uns gehn, Filippo?
FILIPPO
Dorthin — mit Euch?
Es blitzt einen Augenblick über seine Stirn^ als dächte er an alle
Möglichkeiten, die sein Erscheinen zur Folge haben könnte.
LUCREZIA
ganz nahe bei Filtppo.
Hör' mein Gelöbnis, eh' ich geh', Filippo!
Da du der Treue Schwur verschmähst.
ISABELLA
Ich wette,
Sie schwört dir was! Das ist so ihre Art.
244
LUCREZIA
Mich wird
Kein Jüngling mehr umfangen, es sei denn
An seines Lebens letztem Tag! — Leb' wohl! —
Isahella^ Lucrezia, Ercole und die Musikanten links ab.
FILIPPO
allein, in höchster Erregung.
Sie feiert Hochzeit mit dem Herzog und
Ich warte, daß sie wiederkommt! Von mir
Geht sie nach Hause, läßt von Vittorino
Zur Ehe sich bereden, geht mit ihm
Zur Kirche, trifft 'nen andern auf dem Weg,
Der Herzog ist, und läßt mit ihm sich trauen,
Indes der andre stirbt — ich aber warte!
Sie, jenen Sternen gleich, die einen Himmel
In einem Augenblick durchmessen, jagt
Durch eine ganze Welt, seit Abend wurde —
Und ich warte!
Die Tür rechts öffnet sich, Andrea steht da.
FILIPPO
ihm entgegen; spricht gleich in höchster Erregung weiter,
Andrea, kommst du endlich? Mach' es rasch!
Ich bin höchst ungeduldig, daß es ende!
ANDREA
in großem Befremden.
Find' ich dich so bereit?
FILIPPO
Was zögerst du ?
So weißt du nichts! Ich hab' ein Wort gebrochen!
ANDREA
Ich weiß —
FILIPPO
Doch weißt du nicht, warum und wie —
245
ANDREA
Du wirst mir's sagen. Darum kam ich her.
FILIPPO
So lausche gierig, wie die Rache selbst!
An deiner Mutter Bett, die sterben wollte.
Sank ich zu Teresinas Füßen hin;
Der ich dreifache Andacht weihen mußte,
Die meine Braut, die meines Freundes Schwester,
Die einer Mutter Atem angstvoll lauschte —
Mit heißen Lippen drängt' ich an ihr Ohr,
Und Worte, jedes so verrucht und wild,
Wie man sie Mädchen zuraunt in der Schenke,
Entströmten diesem Mund, Und als sie endlich
Mit einem Blicke nur mich gehn hieß und
Ich ging, war's nicht die Reue, die mich forttrieb.
Nur Zorn versagter Lust. — Und vor die Stadt,
Wo Spiel und Tänze waren, eilt' ich hin
Und warf mich weg, so ganz und so im Wahnsinn,
An eine, die so vöUig andrer Art,
Daß ich wie einer bin, der hundert Jahre
In einem Zauberreich umhergeirrt,
Wo man ihm alles, was ihm von der Erde
Anhing, so nahm, daß fürder die Gemeinschaft
Der Menschen ihm verwehrt ist und nichts übrig.
Als was du bringst, — und also nehm' ich's hin.
ANDREA
Weißt du nicht mehr? — so weiß ich mehr als du.
Der nur den eignen Jammer kennt; ich fand
In stummem Wahnsinn Teresina wieder.
FILIPPO
entsetzt zurückfahrend.
Braucht es noch dies ? Und säumst du immer noch ?
ANDREA
Warst du gefaßt, von Mörderhand zu sterben?
246
FILIPPO
Nicht so ... . ich kann's verstehn!
Er nimmt seinen Degen, der nah dem Alkoven an der Wand lehnt.
Nun sieh! Es soll
Ein ehrlich Fechten sein — ich will mich wehren —
Und nicht zum Schein — gib acht —
ANDREA
bat den Degen gezogen.
Filippo — nein!
Nicht also darf ich dich von hinnen senden.
FILIPPO
Es will kein Gott, kein Priester meine Beichte.
ANDREA
bat den Degen gehoben, läßt ihn zvieder sinken.
Was ist's, das mir den Arm mit einmal lähmt ?
Beim Himmel! einen andern find' ich hier,
Als den mein Zorn gesucht: vor diesem da
Verlischt mein Haß, wie jählings ausgeblasen
Vom Sturmwind eines ungeheuren Wehs.
Wohl sucht' ich den, der unser Haus beleidigt,
In Wahnsinn meine edle Schwester trieb
— Doch den nicht minder — dem ich Freund gewesen.
Zwar töten wollt' ich den, der vieles nahm —
Doch den beweinen, der in frühern Tagen
Mehr gab, als er uns jemals nehmen konnte —
Wie's Menschen seiner Art von Gott geschenkt.
Wohl sucht' ich einen schuldigen Filippo —
Doch wollt' ich ihn so herrlich als er war!
FILIPPO
erregt, fast gequält.
Was war ich denn? Von Augenblickes Gnaden
War über andern ich ein Mensch. Doch jetzt
Tauch' ich so tief hinab, daß ich zu Knechten ,
Zu Bauern auf dem Feld, mühsel'gen Trägern
Aufwärts wie zu Gebenedeiten schau'!
247
Jetzt neid' ich., deren Tage, aufgereiht
An eines Vorsatz' starr gewebtes Band
Gleich Edelsteinen, sich zum Dasein fügen,
Nicht schlottern, falsch' und echte durchgeschüttelt
Auf lockrer Schnur. So einer möcht' ich sein,
Der festen Schritts und lächelnd vorwärts wandelt.
Derselbe aufsteht und zur Ruh' sich legt,
Nicht heute Gott und morgen Affe ist!
Den, der heut seine Hochzeit feiert, neid' ich.
Den Bentivoglio, der an jedem Tag
Sein Leben trinkt aus tausend klaren Quellen,
Und jede weckt den Durst und jede löscht ihn.
Ihn drückt der Stunde Last niemals zu schwer
Und nie so leicht, daß er sich fliegen däuchte!
War' ich wie der, und war' ich über Menschen
Wie über feuchtes Gras dahingeschritten.
Daß mir der Fuß vom Tau des Lebens dampft',
Das ich zertrat, so war' ich ohne Unrecht; —
Ich dürft' es tun! Und trat' mir wer entgegen
Mit eines Rächers Ansehn, lacht' ich ihm
Als einem Toren ins Gesicht. Doch mir
Ziemt solche Kühnheit nicht. Und deine Milde
Gießt Scham wie glühndes Öl in meine Seele.
Als wer erscheinst du hier, wenn du nicht strafst?
ANDREA
Bist du so eilig, dein gequältes Herz
Dem Degen eines Freundes anzubieten.
So weiß ich eine beßre Sühne — komm!
FILIPPO
befremdet
Wohin?
ANDREA
In eine gute, prangende Gefahr.
FILIPPO
Mit dir — ?
248
ANDREA
Nicht weit von mir! Folgst du mir hin
Und siehst du noch der nächsten Sterne Glanz,
Dann will der Himmel selber nicht dein Ende!
FILIPPO
Soll ich zuletzt mit falscher Münze zahlen ?
Es war' nicht ehrhch, hinzuziehn mit Euch,
Mich dir und diesen Braven zu gesellen!
Ein herrhches Geschenk ist Euer Leben,
Wie mit hellgoldner Flut ein edler Becher
Zum Rand gefüllt mit tausend MögHchkeiten.
Drin wogen Abenteuer, hoher Ruhm,
Der Jugend Reichtum, alles Glück der Welt,
Und Unermeßnes trinkt der Boden auf,
Auf den's verschwendrisch fUeßt in blut'gen Bächea.
Daneben meine Neige anzubieten.
War* so beschämend als betrügerisch.
ANDREA
Jetzt eben Neige — morgen Überfluß,
Da du's für ein Unendliches dahingibst.
Und eh' du gehst, geleit' ich dich zu einer.
Der morgen sich des Klosters Türe auftut.
Um nie sich ihrem Ausgang zu eröffnen.
Vielleicht bringt deine Reu' und dein Entschluß
Verlornes Licht den kranken Sinnen wieder.
Die reine Hand erhebt sich, dich zu segnen.
Und dann, entsühnt, am Tore von Isaia
Harrst du — mit mir — des ungeheuren Tags!
Andrea!
Komm!
FILIPPO
ANDREA
FILIPPO
Was zeigst du mir, Andrea?
249
BEJTRICENS STIMME
draußen rechts.
Filippo!
FILIPPO
tveicbt von Andrea zurück^ steht wie erstarrt.
BEATRICE
von draußen.
Hörst du, Filippo? Tu die Tür mir auf!
Ich finde nicht zu dir! Der Gang ist dunkel.
JNDREA
höchst erstaunt^ siebt Filippo fragend ai.
FILIPPO
schweigt.
Kurze Stille.
BEATRICE
von draußen.
FiHppo, hörst du nicht?
FILIPPO
Ich komme!
ANDREA
Was ist die« ?
FILIPPO
Andrea, geh! Vergiß, was ich gesagt!
Gab ich ein Wort ? Erschien's dir so ? Nun denn,
Ich brach es noch einmal. In diesem Augenblick
Geschieht so Ungeheures —
Daß alles andre nichts wird. Geh! Leb' woKl!
ANDREA
Filippo!
FILIPPO
Sprich meinen Namen nicht mehr aus! Vergiß ihn!
250
Filippo!
Leb' wohl!
BEJTRICE
von draußen.
FILIPPO
ANDREA
Auf immer?
FILIPPO
Ja. Hier durch den Garten
ANDREA
Filippo !
FILIPPO
SoU ich auf die Knie' vor dir?
Dich bitten, daß du meinen Namen, mich
Und jedes Wort vergißt, das ich gesprochen ?
ANDREA
Es ist geschchn!
Er gebt über die Terrasse ab.
FILIPPO
schließt ab.
Filippo !
BEATRICE
ferner als früher.
FILIPPO
öffnet die Tür rechts.
BEATRICE
noch draußen.
Dort ist's ? Ich ging ganz irr. Nun bin ich da,
Sie ist in der Tür sichtbar: Weißes Kleid^ weißer Schleier um dasHaupi.
Du ließest lang mich rufen.
251
FILIPPO
im böcbsUn Staunen.
Beatrice!
Bist du des Herzogs von Bologna Gattin ?
BEATRICE
Ich bin's.
FILIPPO
Und bist bei mir?
BEATRICE
Du siehst es ja! —
So nimm mich doch in deine Arme! Karg
Ist uns die Zeit gemessen, mein Geliebter!
FILIPPO
zurückweichend.
Hinweg! Wie dunkle Schleier liegt um dich
Der letzten Stunden Rätsel, schwer gefaltet!
Laß sie zur Erde gleiten, gleich wie den,
Der dir das Haupt umhüllt!
Der Schleier gleitet zu Boder^
BEATRICE
Sieh, ich bin da,
Bereit, mit dir den letzten Weg zu gehn!
Tut jetzt ein Fragen not?
FILIPPO
Du bist mir fremd,
Wie solchen Wegs Genossin mir nicht sein darf.
BEATRICE
Wie anders glaubt' ich mich von dir empfangen!
Was kann dir alle Pracht und Buntheit sein
Vergangner Stunden, da die letzte kommt!
Sieh, wärst du, seit ich dich zuletzt gesehn,
Mit hundert Teufeln durch die Luft geflogen,
252
Ich fragte nicht darum. Und war ich selber
An diesem Abend eine Königin,
Der sich die Welten beugen, oder war ich
Die Dirne eines Narrn, was kümmert's dich,
Da ich nun bei dir bin, mit dir zu sterben ?
FILIPPO
Du kommst von deinem Hochzeitsfest! Sie werden
Dich suchen!
BEA7RICE
Weiß ja niemand, wo ich bin!
Und niemand sah mich gehn und niemand folgt!
FILIPPO
So sprich, wie sich's begab ! Du kannst nicht mehr. —
Dem, was geschehn ist, in die tiefste Seele
Zu schaun, bin ich bestellt, daß ich's ergründe!
So sprich!
BEA1RICE
Es ist nun einmal so! Warum
Kannst du's denn nicht verstehn? Weißt du's nicht
mehr?
Du hast mich fortgeschickt um einen Traum, —
Da war ich so allein, und Vittorino
Schien Zuflucht mir und Sicherheit und Ruh'.
Und als der Herzog kam und mich gewahrte,
Da dacht' ich: Nun erfüllt sich ja mein Traum.
Und herrlich däucht' es mich, die Fürstin sein
An eines Fürsten Seite, und so ward ich
Sein Weib.
FILIPPO
Und warum bliebst du nicht ? Warum
Entflohst du? Denke, was du tatest, — bist
Als Herzogin aus deines Gatten Schloß
Am Tag der Hochzeit, bist aus Pracht und Größe —
Aus Licht und Leben fortgestürzt zu mir!
Zu mir, den du vor kurzer Weile lächelnd
Und weinend — beides war um deine Lippen! —
253
Verlassen, bist zu mir zurück, wo dich
Ein kurzes und verderblich Glück erwartet!
Warum? warum?
BEATRICE
Weil ich mich nach dir sehnte!
Mit solcher Sehnsucht, daß sie mächt'ger war
Als alles. Und je mehr die Stunde nahte,
Da ich dir ganz verloren war, so mächt'ger
Rang meine ganze Seele nur nach dir!
Mir war, nun gab' ich alle Größe hin
Und alles Glück der Erde, Licht und Leben —
Nur einmal noch in deinem Arm zu sein!
Und wie Erlösung aus der tiefsten Not
Flog der Gedanke auf: ich kann dich sehen,
Ich muß nur fort von hier und hab' dich wieder.
So eilt' ich fort.
FILIPPO
Wie das?
BEATRICE
Die Tafel war
Zu Ende; lärmend ist das Fest, im Garten
Die Lichter flackern. Schatten sehn wie Menschen
Und Menschen sehn wie Schatten aus, die Türen
Stehn alle offen, üb'rall drängen Leute,
Und dieser Schleier hüllt mich bis zur Stirn.
Nun auf die Straße, aus des Schlosses Nähe,
Rasch fort, und durch die wohlbekannten Gassen
Im Flug zu deinem Haus — und bin bei dir!
Und bin's! Siehst du, ich bin's! So ist's gekommen.
Und sieh: mir ist, es könnt' nicht anders sein.
Du fragst mich aber so und starrst mich an.
Als wär's weiß Gott wie wunderUch geschehn.
FILIPPO
sie lang betrachtend.
Nicht wunderlich, für dich nicht! — Nein! — Du bist
254
Zu staunen nicht gemacht. Niemals hat dich
Des Daseins Wunder namenlos erschreckt,
Nie bist du vor der Buntheit dieser Welt
In Andacht hingesunken, und daß du,
Die Beatrice ist, und ich, Filippo,
Sich unter den unendhch vielen fanden.
Hat nie mit tiefem Schauer dich erfüllt.
Und daß dein Vater toU, füllt nicht mit Bangen,
Daß Vittorino starb, der dich gehebt,
Nicht mit dem fürchterhchsten Graun dein Herz.
Und daß du Fürstin von Bologna bist,
Macht dich so wenig staunen, Beatrice,
Wie wenn sich eine Mück' auf deine Hand setzt.
Und wenn Gespenster aus dem Grabe kämen,
Beatrice zittert.
Ich weiß, sie schreckten dich, — wie Fledermäuse -
Doch auch nicht mehr und nicht auf andre Art.
Und du hast recht. All dies, was dir geschehn,
Ist nichts. Des Lebens Unruh' und Verwirrung
Mit allem rätselvollen Licht und Lärm,
Mit aller Angst und allen Wonnen — nichts
Zu dem, was noch bevorsteht, Beatrice,
An diesem Ort, der keine Rückkehr schenkt.
BEATRICE
Den sucht' ich.
FILIPPO
Doch begreifst du's? Schau' um dick !
All dies ist Dasein — das bist du, das ich.
Hier unten ruht die Stadt, drin atmen Menschen,
Dort stürzt ins Weite Straß' und Straße hin
Ins Land, ans Meer, — und überm Wasser wieder
Menschen und Städte; — ober uns gebreitet
Dies blauende Gewölbe und sein Glanz,
Und alles dies ist unser, denn wir sind!
Und morgen schon gehört es uns so wenig,
Als alles Lichtes Wunderfülle Blinden,
^55
Gelähmten aller Wege Lust und Fernen.
Bedenk': ein hundert] älir'ger Greis ist jünger.
An Hoffnung reicher, als wir beide sind —
Verstehst du das?
BEATRICE
nickt.
FILIPPO
auf die Kerzen deutend. .
Sind diese hier erloschen,
So sind wir's längst — verstehst du's, Beatrice ?
Dein schöner Leib, den ich umschlungen halte,
Durchrauscht von deinem heißen Blut, ist nichts
Als eine Sache, wen'ger als ein Stein;
Der bleibt, auch hingeschleudert, was er war,
Du aber, die jetzt duftet und 'erbebt,
Sehnsücht'ge Wünsche jedem, der dich sähe,
In allen Sinnen regte, bald bist du
Ein Ding, davor ihm graut, am nächsten Tag
Zum Ekel ihm, Gefahr am übernächsten,
Davor man sich bewahrt und tief dich eingräbt
Zu andern, die vermodern. Und mich selbst,
Mich würde schaudern, dich im Arm zu halten.
Der Haar und Kleid noch duftet, nicht der Atem!
Verstehst du's Beatrice?
BEATRICE
Ja.
FILIPPO
Und dies:
Nur mit den armen Worten der Gewohnheit
Nennt unser Mund das Ewig-Unbegriffne;
Und so wie jene, die im Glanz des Lebens
Aufleuchten, uns ist auch der letzte Hauch,
Bevor er kommt, nichts als ein Augenblick.
Doch was er birgt an Ungeheuern Schrecken,
Ob wir in tausendfacher Kraft und Qual
256
Das abgelebte Dasein neu durchfliegen,
Ob nicht ein neues kommt, ein niegeahntes — -
Ob uns im freigewählten Hingang nicht
So nutzlos schmerzensvolle Sehnsucht anfällt.
Ins Licht zurückzukehrn, daß alle Pein,
Die wir jetzt denken können, uns erscheint
Wie Hauch der Lüfte — niemand hat's erzählt.
BEA1RICE
sieb an ihn schmiegend.
Nimm mich in deine Arme!
FILIPPO
Doch nun — denke.
Daß Rettung möglich, wenn wir's kühn versuchen.
Schirmt uns das Schicksal, mag die Flucht gehngen
Hinaus ins Glück! Mit diesem einen Wort
Lass' ich die Welt aufs neue dir erstehn!
Die Sonne geht dir morgen auf wie heut,
Des Frühlings Blühn, der Erde üppig Weben,
Des Lebens Brausen ist um dich wie heut —
Ein Ja, wir wollen's wagen — sprich es aus!
BEAT RICE
Wenn das gemeint war — laß mich lieber gehn.
FILIPPO
Warum ?
BEATRICE
Nach solchem Tag zusammen leben,
Das könnten andre, doch nicht du und ich!
Du quältest mich zu sehr!
FILIPPO
Doch lebten wir!
BEAT RICE
Wie bald in Ekel sänken wir dahin,
Theaterstücke. 11, ijt ?.Z7
Wohin wir jetzt erhobnen Hauptes schreiten.
Wir wollen sterben, darum kam ich her.
FILIPPO
Dank, Beatrice! So ist's gut. Nun seh' ich,
Du bist bereit. Rann' unser Leben weiter,
Den Schmutz der letzten Stunden brächten wir
Nie wieder fort; und die Gewißheit nur,
Daß unser Ende nah ist, macht uns rein
Wie Kinder. Komm, laß uns des hohen Glücks
Auch ganz genießen! Er führt sie an den Tisch, schenkt ein.
Komm, wir wollen trinken!
Nun sind dies keines Mahles Reste mehr.
Denn zwischen jenem Mahl und dieser Stunde
Liegt ein Entschluß, der Ewigkeiten gilt.
Sie trinken.
Was nimmer mögHch, wenn wie Irrgestalten
Hoffnung und Angst in unsre klare Seele
Trügrische Schatten werfen, nun geschieht's!
Wir leben unser eignes Sein. Mit Willen
Dahinzugehn, ist Freiheit, und mich dünkt.
Die einz'ge, die uns Sterblichen gegönnt ist!
BEA7RICE
Wo geht die Sonne auf?
FILIPPO
Dort überm Turm.
Und warum fragst du?
BEATRICE
Denkst du's nicht, FiHppo?
War das nicht unsrer Abendküsse Sehnen,
Daß mr einmal vereint das Dämmern schaun.
Erwachend Mund an Mund und Herz an Herzen ?
FILIPPO
Das ward uns nicht bestimmt.
2q8
BEA7RICE
Warum — ? Und heut,
Filippo? Niemand ahnt, wohin ich ging.
Und niemand folgte, niemand kann uns finden.
Die ganze Nacht ist unser, und im ersten
Aufglühn des Tags, Fihppo, soll's getan sein!
FILIPPO
Das ist nicht mehr in unsrer Macht, Geliebte.
BEATRICE
Warum?
FILIPPO
sehr ruhig.
Seit du dies Glas an deine Lippen führst.
Trinkst du den Tod.
BEA1RICE
Trink' ich —
FILIPPO
In diesem Wein
Den Tod.
BEATRICE
Den Tod —
FILIPPO
So, denk' ich, wird es leicht.
BEATRICE
in unsäglichem Schreck.
Das ist der Ted?
FILIPPO
Was schaust du so mich an?
Als war' dir Angst?
BEATRICE
Aus diesem Glas hab' ich
Den Tod getrunken)
259
FILIPPO
Ja, wie ich, Geliebte.
Et nähert sieb tbr, sie weicht leicht zurück.
EEATRICE
Wie lang ist's Zeit ?
FILIPPO
Ich weiß es nicht. Sekunden,
Minuten oder Stunden — doch es kommt.
Das Graun der Frühe sehn wir nimmermehr.
Sie scbaun einander ins Auge.
FILIPPO
ihr näher.
Komm, Beatrice!
BEATRICE
Wer wird früher fort ?
FILIPPO
Weiß nicht!
beai:rice
So kann's geschehn, daß du vor mir —
Daß du mich hier allein läßt ?
FILIPPO
Möglich.
Doch nicht auf lang. Nun komme, Beatrice!
Die wen'gen Augenbhcke, die noch sind,
Laß uns mit tiefster SeHgkeit erfüllen!
Nun will ich nicht, daß nur die dünnste Seide
Mein Glühn von deinem scheide, deines Leibs
Berauschte Wärme, eh' sie ganz entfheht.
Ein letztes Mal will ich sie fühl'n, und durstig
Den letzten Atemzug von deinen Lippen
Mit meinen trinken, Beatrice!
Et zieht sie nach rücktcärts.
260
BEA^RICE
zvie er sie gleichsam erstarrt ansieht.
Laß mich!
Ich meine, hab' Geduld — sieh — meine Hände
Sind noch ganz heiß — so ist der Tod noch fern!
Ich will nicht, daß du so in Hast mich nimmst!
Auch hab' ich dieses Glas nicht ganz geleert —
Wer weiß, wie lang 's noch währt, wie lang
Ich leiden muß — das will ich nicht! Hättst du
Zu mir gesagt: Auf einmal trink es aus!
Wozu Betrug? Ich kam doch, um zu sterben!
Nun ist dies alles häßhch und verdorben!
So wollt' ich's nicht!
FILIPPO
Verstehst du's endlich ganz?
Was dich umfängt, begreifst du, und begreifst
Nun, da du stirbst, den Tod! Vorher war's nichts
Als nur ein Wort wie andre!
BEA1RICE
Schmäh' mich nicht!
Es mußte anders kommen! Aber so
Ist's wie ein Morden aus dem Hinterhalt.
Nie glaubt' ich, daß du tückisch bist und feig —
Jetzt hass' ich dich!
FILIPPO
Genug des eklen Jammers!
Geh, wie du kamst, nur rat' ich dir zur Eile!
BEA1RICE
Gibt's Rettung! Wohin soll ich? Sag' es schnell!
FILIPPO
Wohin du willst! Die ganze Welt ist offen!
Es war kein Quentchen Tod in diesem Wein,
Und wie zuvor ist alles Leben dein.
Mit einer guten Lüge kehre heim.
261
Bist du zu dumm, dir eine auszudenken,
Streu' ich dir einen Sack voll Lügen hin!
Sag', daß es dich ins Vaterhaus gelockt.
Den toten Vittorino zu betrachten!
Wie ? War' dies nicht »o glaublich, als es soll ?
Sag', daß du in die Kirche gingst zu beten
Für deinen Gatten, für die Stadt, sag', daß
Dies ein Gelübde war, getan, als dich
Der Herzog freite! Sage, was du willst.
Nur kehr' zurück, eh' sie mit Fackeln suchen!
Du willst das Leben. Geh, da draußen wartet's.
Und nimmt dich gierig auf als sein Besitz!
BEATRICE
vernichtet.
Vergib mir!
FILIPPO
Wie? Was gibt's denn zu verzeihn?
Betrogst du mich? Ich hätte dich betrogen,
Hätt' ich die Laune, die dir kam, genutzt,
Und dich mit mir gelockt, wo du nicht hin willst 1
Logst du? Du kannst es kaum so gut wie ich!
Nur ist's dein Wesen, daß mit jedem Pulsschlag
Durch deine Adern andre Wahrheit rinnt.
Laß mich bei dir!
BEATRICE
FILIPPO
Geh doch!
BEA1RICE
auf den Knien.
Laß mich bei dir!
FILIPPO
Warum ? Ich liebe dich nicht mehr. Du bist
Nichts andres mehr, als was mich sonst umgibt.
Wie Licht und Luft. Es wäre Eigensinn,
Dich mitzunehmen.
262
BEA1RICE
Jag' mich nicht davon!
Ich will von dir nicht so verachtet sein,
Daß du naich unwert hältst, mit dir zu sterben,
Und mich ins Leben heimschickst wie ein Kind,
Das solcher Reise Sinn doch nicht verstünde.
Zu deinen Füßen fleh' ich!
FILIPPO
ganz kalt.
Beatrice,
Geh rasch! Mit jedem Laut, den du verschwendest,
Wächst die Gefahr.
BEATRICE
Was willst du tun ?
FILIPPO
So geh!
Was kümmert's dich ? Für sich, tote in Verzweiflung.
Ah, brachte mir nicht einer
Auf seinen Händen alles Daseins Hoheit
Und Kraft zurück, die schon verloren war,
Und warf ich's nicht zum zweiten Male hin,
Da ich die Stimme einer Fremden hörte
Im Gange vor der Tür? Erschauernd. Nun ist's genug!
Ich bleibe!
Geh!
BEATRICE
FILIPPO
BEATRICE
Kannst du davon mich jagen?
FILIPPO
Gib acht, wie rasch!
Er nimmt das Glas, in das Lucrezia das Gift gegossen bat, und leert
es rasch.
Ja — ja — das ist der Tod.
Er xeankt,
263
BEATRICE
schreiend.
Filippo, das — ich will's ja tun!
Sie reißt ihm das Glas aus der Hand.
Mit dir —
Setzt das Glas an die Lippen.
FILIPPO
schlägt ihr das Glas verächtlich aus der Hand, stürzt zurück, fällt^
so daß er auf die Stufen des Alkovens zu liegen komint^ den Kopf im
Alkoven. Während er hinstürzt.
Betrüg dich nicht! Entflieh! Das Leben wartet!
BEAIRICE
Filippo — du — ich will's ja tun — sieh her!
Sie bückt sich nach dem Glas.
Sag' mir ein Wort! Ich will's ja tun! Stirb nicht!
Ich will mit dir — bleib da — Filippo — rede!
Starrt ihn an.
Ist das der Tod ? — Nein, nein ! — Fihppo ! Schreiend.
Rede!
Sie erschrickt vor ihrer hallenden Stimme.
Lärm auf der Straße. — Fackelbeleuchtung, die auf einige Sekunde»
einen roten Schein ins Gemach wirft.
BEAT RICE
Weh mir! Wie läßt du mich allein! — Sie kommen! —
Was ist das ? — Ah —
Am Fenster; sie versucht, sich in einen Teil des Vorhangs zu hüllen.
STIMMEN
— Zur Hochzeit unsres Fürsten
Mit Beatrice, eurer schönsten Schwester!
Geöffnet stehen Tore, Saal und Garten! Verklingend.
BEAT RICE
Sie wissen's nicht! Doch alle werden's wissen — •
Sie bückt sich wieder nach dem Glas, riecht daran.
O könnte der Geruch mich töten! Nichts —
Als war' es ausgedampft! Nun wär's vorbei!
264
Ich läge da wie er. Und nun muß ich
Allein doch wie ? — und hol' ihn doch nicht ein •
Im Garten will ich's tun, und so!
Gebärde^ als wollte sie sieb erdrosseln.
Es kann
So furchtbar nicht im weiten Räume sein,
Als hier!
Undeutliche Stimmen in der Ftrne.
Sie holen mich! Sie werden mich erwürgen!
Was hab' ich denn getan! So schlimmen Tod
Verdien' ich nicht! Stille. Vorüber! Niemand kommt
Mich suchen! Niemand weiß — ich kann zurück!
Wahrhaftig — kann zurück ! Was bleib' ich denn ?
Hältst du mich da? Als zög's an meinem Kleid!
Zurück zu Filippo.
Läßt du mich fort ? — du — du — sag' ich, Filippo —
Und bist's nicht mehr — bist wen'ger als ein Stein!
's ist ja nicht möglich! Alles Leben schenk' ich
Dahin, wachst du auf einen Augenbhck
Nur auf! Sie faßt seine Hand.
So warm! Du atmest ja — du lebst!
Auch dies war eine Prüfung nur, zu sehn.
Daß ich dich liebe ? Auf, Filippo, komm !
Wir wollen fliehn, zusammen fliehn! Das Glück
Wird uns gehorchen, und das Leben braust
Um uns, die Sonne geht uns wieder auf —
Komm doch, wir wollen fliehn und leben — leben!
Filippo —
Sie beugt sich über ihn, begreift jetzt^ daß er tot ist, erhebt sich mit
einem furchtbaren Schrei der Angst, reißt zugleich die Vorhänge
des Alkovens herunter, so daß sie Kopf und Rumpf Filippos voll-
kommen überdecken, läuft hinaus und schreit im Hinauslaujen, tote
von Sinnen:
Leben!
Vorhanz.
265
VIERTER AKT
Ein Saal im Schlosse. Nach hinten zu vollkommen offen tn den
Garten führend. Zwei Reiben von je vier Säulen schließen den ge-
deckten Raum abf so daß der Weg ins Freie gleichsam durch drei
Tore offen steht. Rechts und links je eine Türe. Rechts außerdem
ein Fenster, von dem angenommen wird, daß es in einen tieferliegenden
Hof hineinschaut. Zu beiden Seiten des Säulenganges Freitreppen^
welche in einer Windung zur Terrasse emporführen, die, dem Zu-
schauer natürlich unsichtbar, auf den Säulenpaaren ruhend gedacht
wird. — Der Saal ist hell beleuchtet; der Garten durch Fackeln er-
hellt, welche unruhig brennen, so daß über dem großen Wiesenplan
ein ungewisses Licht verbreitet ist und die Schatten der Bäume^
von denen die Wiese umgeben ist, in wechselnder Größe erscheinen.
Für Augenblicke scheint der Garten wie in Dunkel zu versinken.
Man hört entfernte Musik. Über den Rasen sieht man Paare gleiten
und wieder verschwinden. Im Hintergrund ist eine stete, aber un-
deutliche Bewegung. Im Augenblick, wie der Vorhang aufgeht, ist
der Saal leer.
Es treun auf durch die Tür links: LUCREZIA und ISABELLA.
ISABELLA
Wo ist unser Begleiter?
LUCREZIA
Verschwunden.
MALVEZZI und ZAMPIERl aus dem Garten.
ZAMPIERI
Heut wird erst offenbar, wieviel Schönheit Bologna
birgt! Seid gegrüßt, schöne Damen!
ISABELLA
Seid nicht gar zu stolz auf Eure Vaterstadt. Wir
kommen aus Florenz.
MALVEZZI
zu Lucrezia.
Aus Florenz? Ihr auch?
ISABELLA
Sagt uns doch: sind wir hier wirklich im Schloß des
Herzogs ? Und ist es wahr, daß er seine Hochzeit feiert ?
266
ZAMPIERI
Ihr zweifelt? Hier könnt Ihr ihn selbst sehen.
Er weist in den Garten.
ISABELLA
Laßt uns näher hin. Mit Zampieri in den Garten.
MALVEZZI
Warum so schweigsam ?
LUCREZIA
Was wollt Ihr?
MALVEZZI
Euch gefallen!
LUCREZIA
Wünscht es Euch lieber nicht!
MALVEZZI
Nichts andres mehr, solang Ihr mir erlaubt, in
Eurer Nähe zu bleiben.
LUCREZIA
Ihr seid jung!
MALVEZZI
Achtzehn vorüber. Alt genug, um ror Liebe zu
sterben.
LUCREZIA
Gebt acht, daß Ihr nicht die Wahrheit sprecht, ohne
es zu woUen. Beide in den Garten.
Aus dem Garten rasch: ROSINA, ORLANDINO folgt ihr.
ORLANDINO
Ist dies ein Wiedersehn!
ROSINA
bort nicht auf ihn,
267
ORLANDINO
Wer es geahnt hätte — abends, als wir einander vor
Eurem Hause sahen! Wohin blickt Ihr denn?
ROSINÄ
in den Garten schauend^ angstvoll.
Nun geht er!
ORLANDINO
Wer?
ROSINA
Nein — er bleibt und spricht! Wer ist's, mit dem
der Herzog spricht?
ORLANDINO
Silvio Cosini, sein Geheimschreiber.
ROSINA
für sieb.
O, hätten seine Worte Kraft, ihn an den Boden zu
nageln! Zu Orlandino. Saht Ihr die Herzogin,
meine Schv^^ester?
ORLANDINO
Ich hatte die hohe Ehre, ihr beim Mahl gegenüber
zu sitzen.
ROSINA
War sie schön ?
ORLANDINO
Da dürft Ihr niemand fragen, der Rosina liebt. —
ROSINA
Sagt, Orlandino —
ORLANDINO
Rosina ?
ROSINA
Wo ist das Schlafgemach der Herzogin?
268
ORLANDINO
nach links tveisend.
Es liegt auf jenem Flügel.
ROSINA
Dort ?
ORLANDINO
Ja. Die schmale Treppe gegenüber dem Spnng-
brunnen führt hinauf.
ROSINA
befremdet.
Nicht dort ? Weist nach rechts.
ORLANDINO
Nein.
ROSINA
für sieb.
So ist sie vielleicht noch im Garten? Aber wie ist
das möglich ? Allein ? — Nein ! Ab in den Garten.
ORLANDINO
ihr nach.
Wohin f Was woUt Ihr ?
Der junge BRUNl mit MARGERITA treten links auf.
MARGERITA
Die Augen brennen mich! Wo bin ich denn?
Ich will zurück!
BRUNI
Bleibt doch! Noch saut Ihr nichts.
Ich will Euch führen, zeigen all die Pracht!
MARGERITA
Ich geh' nicht weiter — nein!
BRUNI
Schaut nur um Euch!
269
MARGERHA
Ist's wahr? Hier wohnt der Herzog?
BRUNI
Saht Ihr nicht
Schon oft das hohe Tor, durch das wir schritten?
MARGERHA
Und Ihr, wer seid Ihr denn ? Seid Ihr derselbe,
Der an mein Fenster kam ?
BRUNI
Ich bin's. Und ich
Hab' Euch geladen in des Herzogs Namen.
Seht nur, da sind noch viele so wie Ihr.
Im Garten tanzen sie, auf der Terrasse
Ergehn sie plaudernd sich mit jungen Herrn,
Und alle schaun wie Ihr, mein schönes Kind,
Und wie die Fürstin selbst, so vielen Glanz
Zum erstenmal.
MARGERHA
Ist's wirklich Beatrice,
Des Nardi, des verrückten Nardi Tochter?
BRUNI
Sie ist's.
MARGERHA
Wie wunderbar! Und warum riefet
Ihr grade mich?
BRUNI
Weil Ihr mir längst bekannt.
Oft in der Dämmrung lehntet Ihr am Fenster.
Ich ging vorüber.
MARGERHA
Ja, Ihr seid es. Doch warum
Bin ich Euch hergefolgt?
270
BRUNI
Bat ich Euch nicht?
MARGE RITA
Ich ^räumte schon, drum wurd' es Euch so leicht.
Und wißt Ihr, was ich dachte, als das Lärmen
In meine Kammer von der Straße drang,
Und Euer Antlitz starrte durch mein Fenster?
BRUNI
Was dachtet Ihr?
MARGERITA
Die Feinde wären da,
Der Borgia selber — ja, mir war zuerst —
So träumt' ich noch — Ihr wärt der Borgia — , Ihr!
BRUNI
Ich schwör's, der tat' Euch Schlimmres nicht als ich.
MARGE RITA
Ich will nach Haus! Die Mutter wird sich ängsten!
Seht!
!
BRUNI
Was?
MARGERITA
BRUNI
Dies
ist der Herzog!
MARGERITA
Hab'
ich
Ja.
ihn nie gesehn.
So nah
BRUNI
Wie aber
nenn'
Nun kommt zum
ich Euch?
Tanz!
271
MARGERHA
Marg'rita heiß' ich.
BRUNI
O schönste Margerita, kommt! Beide in den Garten.
COSINI von links; ERSTER BOTE von rechts.
COSINI
Woher ?
ERSTER BOTE -
Vom Tore San Martino.
Rause.
COSINI
Es ist gut. Wart' im Schloßhof mit dex> andern.
Erster Bote ab.
ZWEITER BOTE tritt auf von rechts.
COSINI
Was bringst du?
ZWEITER BOTE
In der Sakristei der Kirche San Domenico haben
wir einen Mann ergriffen, der sich dort offenbar ver-
bergen wollte, und der unsere Sprache nicht zu ver-
stehen schien. Man untersuchte ihn und fand Brief-
schaften in sein Wamms eingenäht.
COSINI
Wo sind sie ?
ZWEITER BOTE
Mein Hauptmann hat sie in Verwahrung genommen
und den Mann in Ketten legen lassen.
COSINI
Wer ist dein Hauptm^n ?
272
ZWEITER BOTE
Herr Campeggi.
COSINI
Er möge selbst kommen und den Gefangenen sowie
die Papiere mitbringen.
Zweiter Bote ab.
GUIDOTTI
kommt aus dem Garten.
Ein prächtiges Fest, Herr Schreiber! Aber es ist
nicht vollkommen, eh' wir dem Mariscotti den Kopf ab-
gehauen haben.
COSINI
Ich denke es gibt heute bessere Unterhaltung. Seht
doch, hier sind die schönsten Frauen und Mädchen von
Bologna.
GUID077I
Bester Herr Schreiber, was kümmert das uns! Was
sind uns die schönsten Mädchen von Bologna! Ich bin
dreiundsechzig. Ich muß mir ein anderes Vergnügen
suchen.
COSINI
Nun, ich weiß mich einer Nacht in Cypern zu er-
innern — es sind noch keine drei Monat her —
GUID0T7I
Ja, mein Guter — Cypern — Cypern! Was ver-
mag der Süden nicht alles!
MAGNANI
kommt aus dem Garten.
Cosini — Guidotti — laßt uns doch einen letzten
^ersuch wagen!
COSINI
Was für einen?
MAGNANI
Unsern Herzog zu beschützen!
TheateistOcke. II, iBi 273
COSINI
Wovor ?
MJGNJNI
Mit Beatricc Nardi allein zu sein.
COSINI
Magnani, wahrhaftig, Ihr seid nicht bei Sinnen !
MJGNJNI
Seid Ihr denn blind? Könnt Ihr glauben, daß all
dies mit natürlichen Dingen zugegangen ist i Hier ist
etwas im Spiel, das ich nicht auszusprechen wage. Und
ich habe die Überzeugung, daß der Herzog einer großen
Gefahr entgegen geht. Bedenkt doch! Ein Wesen, das
er zum erstenmal sah — und auf einen Bhck von ihr
— bei Gott, es war nicht mehr als das ! — macht er sie
zur Herzogin von Bologna! Und das vor einem solchen
Tag, wie der ist, der uns morgen bevorsteht!
COSINI
Eben vor einem solchen — sonst hätt' er's nicht
getan.
GUIDOTTI
Was fürchtet Ihr denn eigentlich ? Sprecht es doch
deutlich aus! Glaubt Ihr an eine Art von Hexerei?
MJGNJNI
Laßt uns von diesem Worte absehen. Aber wer weiß,
von welchen Mächten dieses Mädchen gelenkt wird,
mit Willen oder ohne Willen. Ich bitt' euch, steht mir
bei, wenn ich den Herzog zum letzten Male anflehe!
GUIDOTTI
lachend.
Allein zu schlafen ?
COSINI
Es ist unmöglich, Magnani, seht's doch ein!
274
MAGNANl
Es ist nicht unmöglich! Wenn seine Sehnsucht nach
ihr so groß wäre, ginge er nicht, wie ich's eben sah,
einsam unter den Bäumen auf und ab. Ich schwör'
euch, es sind ihm die gleichen Gedanken aufgestiegen
wie uns!
COSINI
Nein, Magnani, das Zeichen, das der Himmel sandte,
macht ihn so ernst.
MAGNANI
Wurde denn Bonatto schon zu Rat gezogen ? Hat
CT es gedeutet?
COSINI
Ja. Und nicht anders, als wir alle im Stillen und
der Herzog selbst. Das ist's, was ihn nachdenklich
macht, denn ob er auch überzeugt war, daß der morgige
Tag nichts Gutes bringen kann, — e« macht schaudern,
zu wissen, daß es in den Sternen schon beschlossen ist.
GUIDO^^TI
Der Teufel hol' Euch, Cosini, und den zeichen-
deutenden Bonatto nicht minder! Ich lag' Euch, der-
gleichen ist nicht so viel wert! Wißt Ihr, was mir
geschah an dem Tag, bevor wir auf Reisen gingen ?
Vor meinen Fenstern wurde ein Erschlagener gefunden
— mit siebzehn Wunden! Und wißt Ihr, wer mich am
dringendsten beschwor, daheim zu bleiben ? Unser
armer Pitti! Und nun seht! — Ich bin heil nach Haus
gekommen, und Pitti liegt draußen auf der Heerstraße,
genau so tot, als er es mir prophezeit hat. Es ist aUes
Unsinn. Es kommt, wie's will.
COSINI
Mitternacht ist nah.
MAGNANI
Ist es nur gewiß, daß der Herzog unserm Rate bei-
275
wohnen wird ? Die Befehle befinden sich doch bereits
alle in den Händen der Führer?
GUIDOT^I
als hätte er nachgedacht.
Ich will Euch sagen, Magnani, was Ihr dem Herzog
für einen Vorschlag machen sollt. Morgen früh, als
würdigen Abschluß dieser Hochzeit, soll er seine junge
Gattin, ob sie nun eine Hexe ist oder nicht, zum Fenster
hinunterwerfen in den Graben, wo die Leoparden ge-
halten werden.
COSINI
Was hättet Ihr davon ? Sie sind ja gezähmt.
GUIDOTTI
O, nichts leichter, als sie wild zu machen ! ^ Man
schleudert einfach brennende Fackeln unter sie.
ARLOTTI und VALORI, zwei Haupthute, kommen.
COSINI
Guten Abend, Arlotti. Guten Abend, Valori.
Begrüßung.
JRLOTTI
Sind wir im rechten Saal?
COSINI
Gewiß.
FJLORI
Wer ist hierher beschieden außer uns beiden?
COSINI
Der Graf Fantuzzi und Ribaldi.
ARL0T1I
Warum sind wir hierher beschieden, HerrCosini?
Ist andres beschlossen worden?
276
COSINI
Wie meint Ihr das ?
ARLOTTI
Nun, ich denke — lachend hat unser Herzog Lust,
Hochzeit zu feiern, so gelüstet ihn wohl auch nach
Honigwochen.
VALORI
Sagt uns doch, Herr Cosini, ist denn auch alles wahr,
was man in der Stadt erzählt?
COSINI
Es kommt darauf an, was man Euch erzählt hat.
VALORI
Ich wage es kaum zu wiederholen. Man spricht von
dieser Feier wie von einem Maskenfest.
RIBALDI kommt.
Begrüßung,
COSINI
Nur der Graf Fantuzzi läßt noch auf sich warten.
MAGNANI
Und der Herzog selbst.
GUIDOlfl
Seht, hier wandelt er umher, als wenn es keinen
Borgia, keinen Mariscotti, als wenn es nicht einmal eine
Beatrice gäbe.
RIBALDI
Ich bitt' Euch! Zeigt mir das Mädchen!
GUID0T1I
Das Mädchen ? Was für ein Mädchen ? Die Herzo-
gin, meint Ihr?
277
RIBALDl
Nun ja, die ausersehen ist, für eine Nacht die Her-
zogin zu spielen!
COSINI
Was fällt Euch ein, Ribaldi ! Sie ist so gut Herzogin
von Bologna, als es jede andere wäre, die der Kardinal
selbst dem Herzog angetraut hätte!
RIBALDI
Der Kardinal ? Wie ? Ihr spaßt wohl ?
ARLOi:iI
Nun seht Ihr ja, daß wir's wissen!
COSINI
Was?
ARL017I
Nun, man erzählt, es wäre durchaus nicht der Kardi-
nal gewesen, sondern ein florentinischer Spaßmacher,
und das Ganze, wie ich schon sagte, ein Maskenfest.
COSINI
Ich bitt' Euch!
MAGNANI
Wie kann man glauben, daß der Herzog von Bologna
sich in solcher Weise an der Kirche versündigen würde.
RIBALDI
Ei was, Sünde! Den Kardinal hat der Papst ein-
gesetzt, der Papst will unser Verderben und Cesar ist
sein Sohn! Es wäre gar keine üble Art gewesen, das
ganze Gesindel zu verhöhnen.
guidoi:ti
Meiner Seel', Ihr habt recht! Nun tut's mir selbst
leid, daß es ein echter Kardinal und eine echte Hochzeit \
war.
278
MAGNANl
Laßt solche Worte, wenn's beliebt. Die Kirche bleibt
heilig, wenn jetzt auch ihre oberste Macht in unwürdige
Hände gelegt ist. Wir wollen nicht gehört haben, was
Ihr sagtet!
COSINI
Still, der Herzog!
Der HERZOG kommt aus dem Garten. Alle neigen sieb vor Um
HERZOG
Wo ist Andrea ?
COSINI
Er ist der Einzige, der noch fehlt.
HERZOG
zu Arlotti.
Ihr steht am Tor von Saragossa?
ARL017I
Jawohl, mein Fürst!
HERZOG
Mit wie vielen ?
ARL017I
Sechshundert Armbrustschützen.
HERZOG
Sechshundert ?
ARLOTTI
Es ist uns noch gelungen, mein Fürst, In der fünften
Nachmittagsstunde zweihundert von Imola aus in die
Stadt zu führen. Jetzt war' es nicht mehr möglich, über
diese Straße hierher zu gelangen.
HERZOG
Ihr standet in mailändischen Diensten, Ribaldi?
279
RIBALDl
Bis vor einem halben Jahre, mein Fürst. Aber dort
gibt's nichts mehr zu tun.
HERZOG
Ich kannte Euern Namen längst. Ihr habt unter
dem jungen Sforza gefochten.
RIBALDI
Dreimal! Gegen Pisa, Ravenna und gegen Rom.
HERZOG
Ich fürchte, Ihr habt einen schlechten Tausch ge-
macht.
RIBALDI
Mein Fürst, ich bin stolz, endlich einmal unter
einem Bentivoglio fechten zu dürfen, selbst wenn ich
bei dieser Gelegenheit das letzte Mal meine Kunst
zeigen sollte.
HERZOG
Wie steht's bei Euch, Valori?
VALORI
Hoheit, die Zahl der Meinen wächst mit jedem
AugenbHck. Und es wird notwendig, einen Teil von
denen, die sich freiwillig melden, an andere Führer zu
weisen. Von allen Seiten kommen sie. Ganz junge
Burschen, sogar Gewerbsleute scharen sich zusammen
und verlangen nach Waffen. Sie sind berauscht von
Haß gegen den Borgia und sehnen den Morgen herbei.
Endlich!
Wer ist's?
280
CAMPEGGI tritt axf.
COSINI
HERZOG
COSINI
Der Hauptmann Campeggi.
CJMPEGGI
Ich bin hierher befohlen, mein Fürst, um persönlich
Papiere zu überbringen, die wir abends bei einem Ver-
dächtigen gefunden haben, der sich in der Karche San
Domenico verstecken wollte. Er überreicht die Papiere.
HERZOG
Laßt sehen! — Ohne Aufschrift. — Erbriebt das Siegel.
Das sind Zeichen, die mir fremd sind — kennt Ihr sie,
Cosini ?
COSINI
Diese hier sehen beinahe aus wie assyrische — nein
— es sind völlig willkürUche — es ist zweifellos eine
Geheimschrift.
HERZOG
Was ist's mit dem Mann, dem sie abgenommen
wurden ?
CAMPEGGI
Er verweigert jede Antwort, vielmehr, er tut, als
wenn er unsere Sprache nicht verstünde — oder er ver-
steht sie in der Tat nicht.
HERZOG
Es wäre nicht das erste Mal, daß sich Cesar solcher
Leute bedient. Wo ist der Mann?
CAMPEGGI
Er wartet weitrer Befehle im Hof des Schlosses,
mein Fürst.
HERZOG
Von solch einem können wir freilich auf keine Weise
etwas erfahren.
GUIDOTTI
Laßt es mich versuchen, Herzog! Ich möchte meinen
281
Kopf verpfänden, daß ich ihn unsere Sprache reden
mache!
HERZOG
Wenn Ihr dessen so sicher seid, Guidotti, — führt
ihn zu dem Manne, Campeggi.
CAMPEGGI und GUID07TI ab.
HERZOG
Im übrigen — was können uns diese Briefe Neues
lehren? Was können sie an unseren Entschlüssen
ändern ?
MAGNANI
Mein Fürst —
HERZOG
Was wollt Ihr, Magnani?
MAGNANI
Verzeiht Eurem treuen Diener ein kühnes Wort!
HERZOG
Redet!
MAGNANI
•Hütet Euch vor der Herzogin!
HERZOG
Ihr hegt mehr Treu' als Klugheit, Herr Magnani!
DRITTER BOTE tritt ein.
COSINI
Hier kommt Botschaft vom Tor von Garisenda!
HERZOG
Nun?
DRITTER BOTE
Herr, schwere Nebel liegen im Tal; was hinter ihnen
sich vorbereitet, darüber fehlt jede Vermutung. Nur
282
rfns ist gewiß: daß die feindlichen Truppen gegenübei
der Vorstadt von Isaia noch näher herangerückt sind:
— die uns am nächsten wären durch einen Pfeilschuß
zu erreichen.
HERZOG
entläßt ihn durch ein Neigen des Kopfes.
Dritter BoU ab.
HERZOG
Wo bleibt Andrea? Sendet nach ihm ausi
Cosini gibt einen Auftrag.
Die übrigen sind etwas beiseite getreten.
So haben meine Wünsche keine Kraft mehr!
Und gab doch eine Zeit, da, kaum gedacht,
Nicht ausgesprochen, jeder ward erfüllt.
Nicht Wunder nahm's mich, war' Filippo Losch!
Mir auf dem Weg begegnet, den ich kam —
Nein, früher, in Neapel oder Rom —
Nun bin ich in Bologna, will ihn sehn
Und ruf ihn, und er sagt: Ich will nicht kommen!
COSINI
Bewegt Euch das so sehr, mein Fürst?
HERZOG
Erzählt
Mir mehr von ihm, erklärt mir seine Weigrung!
COSINI
So gut ich's konnte, tat ich's. Doch ich weiß,
Es läßt sich klarer so als kürzer sagen
Mit diesem einen Wort: Er scheint mir närrisch!
HERZOG
Kurz — das ist wahr! Doch glaub' ich, Ihr, Cosini,
Und Euresgleichen könnt nicht ganz verstehn.
So klug Ihr seid, was solche Menschen treibt,
X)en Kopf zu schütteln oder „ja" zu nicken, —
283
Wie erst so vieles andere! Mir ist manchmal,
Als ahnt' ich das Geheimnis solcher Seelen!
GUID071I
kommt.
Ein Spaß, Herzog, ein wahrer Spaß! Hört doch,
wie er unsre Sprache reden kann, hört! Er reißt dai
Fenster auf.
STIMME DES GEFANGENEN
im Hof.
Weh mir, weh mir, mein Aug'! mein Aug'!
HERZOG
Was habt Ihr getan?
GUIDOTTl
Nun, hört Ihr, daß er ein so guter Italiener ist wie
wir alle! Erlaubt Ihr, Herzog, daß ich ihn frage?
Meine Stimme soU ihm die Wahrheit aus der Kehle
kitzeln !
HERZOG
Fragt ihn!
GUIDOTTI
Wem, du Schuft, solltest du die Briefe überbringen ?
STIMME
Weh, mein Auge!
GUIDOTTI
zum Fenster hinaus.
Gib acht — du hast noch eines zu verlieren!
HERZOG
Wer sandte dich?
STIMME
tvimmernd.
Der edle Herr Alberto Cascal
284
MAGNANI
Der Sekretär des Cesar!
HERZOG
Casca, sagtest du ?
STIMME
Alberto Casca!
HERZOG
Drei Wochen sind's, da saß er mir 'genüber,
An Alexanders Tafel — wißt ihr's noch?
COSINI
An meiner Seite!
HERZOG
An wen sind diese Briefe? Deinen Auftrag!
STIMME
An den Herzog von Bologna!
HERZOG
Wie? Sag's noch einmal!
STIMME
Die Briefe sind an den Herzog von Bologna!
COSINI
Wie ist des Herzogs Name?
STIMME
Weh, mein Auge!
GUIDOTTI
Du Schuft — wie heißt der Herzog von Bologna ?
STIMME
Mariscotti!
Betcegung.
HERZOG
Ah, war es so gemeint?
«85
COSINl
Das ahnte Casca nicht,
Daß noch der rechte Herzog heim wird finden!
HERZOG
An meinen Erben schon der Brief gesandt!
Und wir — mißtrauisch, daß wir früher flohen,
Vertrauten dennoch so an jenem Tag —
Ich will's wie eine schwerste Schuld gestehn —
Doch war's kein Tag, nur eine Stunde — nein!
Es war ein Augenblick, da mich's durchfuhr
Wie eine Wahrheit: alle andern Fürsten
Verachtet Borgia, ich allein erschien ihm
Als seinesgleichen, wert sein Freund zu sein —
Jawohl, es war ein Augenblick, doch glaubt' ich's!
Und während wir an seiner Tafel saßen,
Schrieb Casca an den Herzog Mariscotti!
GUIDOTTI
Euere Hoheit, was soll weiter mit dem Mann ge-
schehn ?
HERZOG
Mit diesem? Laßt ihn frei, nur ruft den Arzt,
Daß er das wunde Aug' ihm erst verbinde!
Doch Mariscotti —
GUIDOTTI
mit leuchtenden Atigen.
Mariscotti ?
HERZOG
Man öffne seinen Kerker, lass' ihn glauben,
Er sei befreit, führ' ihn herauf in Luft
Und Licht, behandle ihn mit größter Ehrfurcht,
Als hätte sich sein Los gewendet, — dann
Geleite man ihn höflich in den Garten.
Dort aber — bind' man ihn an einen Baum,
Inmitten aller dieser Lustbarkeiten.
Das Lachen und die Seufzer wilder Lust
286
Umtön* ihn, seine Blicke tauchen ein
In üppiges Gewirr berauschter Leiber;
Was Menschen seiner Art an Wonnen kennen,
Im Flackerleuchten dieser roten Nacht
Tanz' es um ihn, daß wütende Begier
Ihm in die kettenlahmen GHeder fahre. —
Ihr aber, Guidotti, neben ihn
Stellt Euch mit bloßem Degen hin und wartet,
Bis Euch Befehl wird, in den Morgentau
Zertretnen Wiesengrüns sein Haupt zu schleudern!
Jetzt tritt er nach hinten^ ruft in den Garten.
Ihr andern, nützt die Zeit! Nehmt meinen Garten
Als duftend Lager eurer Freuden hinl
Zum Himmel weisend.
Ein Baldachin ist herrHch aufgespannt
Und spottet mit den ew'gen Sternen, die
Vor fernen Zeiten stolzre Menschenpaare
In keuscher Freiheit sich umschhngen sahn,
Der letzten Scham. Ich aber, euer Fürst,
Jeglichem Bund, der heute nacht sich schließt,
Geb' ich die Weihe. Heiligt andre Ehen
Unlöslichkeit und Dauer, geb' ich diesen.
Was euch Beweglichen, Veränderungsfrohen,
Euch Menschen besser ziemt, das schnellste Ende:
Sie alle löst das erste Graun der Früh'.
Doch was aus der Entzückung dieser Stunde
Aufsprießen mag zu seiner Zeit, das trage
So wunderbaren Ursprungs Zeichen mit.
Solang es lebt. — Adlig geboren nenn' ich
Die Sprossen dieser Nacht, da euer Fürst
Mit Beatrice Nardi Hochzeit hält.
Ab nach links.
Die andern entfernen sieb nach der andern Seite. Der Saal wird leer^
auch dunkler; einige Lichter verlöschen; die Fackeln im Garten
immer unruhiger^ düsterer; auf der Wiese undeutlich wahrnehmbare
Bewegung; Paare gleiten vorüber^ umarmen sich, sinken bin, doch
aUes wirkt wie Schattenbilder; manchmal stürzen Frauen wie fliehend
vorbei.
287
Die nächsten Szenen sehr ratcb.
ORLANDINO und ROSINA aus dem GarUn.
ORLANDINO
Rosina !
ROSIN J
Warum belügt Ihr mich? Dort ist kein Schlaf-
gemach — gewiß nicht das Schlafgemach der Herzogin,
denn es ist leer!
ORLANDINO
Ihr wagtet es, dorthin ? Was ist Euch, Rosina ?
Was wollt Ihr von Beatrice in diesem Augenblick?
ROSINA
Nun ist es zu spät.
ORLANDINO
Rosina!
ROSINA
Ist's wahr, daß Ihr mich hebt?
ORLANDINO
Rosina !
ROSINA
Und wärt bereit, alles zu tun, was ich verlange?
ORLANDINO
Versprecht Ihr mir das Gleiche?
ROSINA
Alles — wenn Ihr —
ORLANDINO
Was?
ROSINA
drängt lieb an ihn.
So — Sie unterbricht sich toieder. Ihr Seid ZU fc'^' d.iZU
— v.ie ich! Ab in den Garten.
28S
ORLANDINO
ihr nach.
MARGERJTA eilt aus dem Garten in den Saal; BRUNI folgt ihr.
MARGE RITA
Ich will nicht mehr zurück — die Luft ist glühend —
Mir war's, die Flammen schlichen mir ans Kleid!
Lebt wohll
BRUNI
Was fällt Euch ein, Marg'rita?
MARGERITA
Schaut —
Wie heiß sie sich umschlingen! Niemals hab' ich's
Im Tanze so gesehn!
BRUNI
küßt ihren Nacken.
Wie lieb' ich Euch!
MARGERITA
Mich schwindelt! — Seht, die Fackeln tanzen mit,
Als lebten sie ! — Laßt mich — ich bitt' Euch, laßt mich!
Sie läuft, er folgt ihr in den Garten.
MALVEZZl und LUCREZIA treten auf,
LUCREZIA
Nun wißt Ihr alles, 's ist ein hoher Preis.
MALVEZZl
Ich nehm's als witz'gen Einfall. Ja, ich seh',
Ihr wollt mich schrecken.
LUCREZIA
Nein, es ist ein Schwur,
So heilig, als Ihr jemals einen tatet.
Theateistücke. II, 19, 289
MALFEZZI
Und wenn Ihr mich so sehr entzückt, Lucrezia,
Daß ich's drauf wage ? Einmal Euch umschlingen —
Paare vorüber in den Garten.
LUCREZIA
Und dann vorbei für immer alle Freuden?
O, dankt mir, daß ich ehrlich bin mit Euch.
Ich sag' Euch, jede andre, die Euch sah
Und so begehrenswert Euch fand wie ich, ,
Verschwiegen hätt' sie ihren Schwur und Euch
Im Taumel eines Kusses ihre Nadel
Ins Herz gestoßen.
MALVEZZI
Doch bedenkt auch das:
Ich bin gewarnt, ich kann mich vor Euch hüten,
Geschmeidig bin ich, Euerm Arm kann ich,
Wann's mir beliebt, rasch mich entwinden.
LUCREZIA
Glaubt Ihr?
In diesem Augenblick läuft ISABELLA vorüber^ indem sie sieb
die Kleider vom Leibe reißt.
ISABELLA
tvie im Taumel.
O, warum ist der schönste Jüngling nicht schön
genug — ? warum ist der stärkste Mann nicht stark
genug — ? warum ist die tiefste Wollust noch immer
keine Lust? Ich sterbe vor Sehnsucht! Vorbei in den
Garten.
LUCREZIA
Ist die nicht schöner, als ich bin ? Ich bitt' Euch,
Nehmt sie an meinerstatt. Ihr dauert mich,
Seid jung und liebenswürdig.
MALFEZZI
Jedes Wort
Füllt mich aufs neu mit Glut! O kommt!
290
LUCREZIA
Wahrhaftig —
Mich schauert vor der rätselhaften Macht,
Die aus Florenz in diese Stadt mich sandte,
Um Euch —
MALVEZZI
Zu lieben, herrlichste Lucrezia!
Beide in den Garten.
Einige JUNGE ADLIGE in der Halle.
ERSTER
in den Garten sehend.
Wer ist die?
ZWEITER
Ich kenn' sie nicht. Ich habe sie nie gesehen.
DRITTER
Sie ist aus Florenz.
ERSTER
Wie ihre Haut flimmert im Schein der Fackeln!
ZWEITER
Ich habe nie geahnt, daß Frauen so schön sein können!
ERSTER
Wie sonderbar! Nun wagt sich keiner hin; ganz
allein steht sie da.
ZWEITER
Sie sinkt hin — sinkt hin — Alle in den Garten,
ROSINA
kommt.
War das nicht meiner Nächte heiße Sehnsucht,
Von wilden Armen so umfaßt zu sein,
Auf meinem Hals begier'ge Lippen fühlen
Und meinen ganzen, wundgeküßten Leib
Hingeben trunknen Augen so wie die!
Und jetzt, da die erwünschte Stunde kam,
Durchschauerts mich vor jeghcher Berührung,
Und mein Verlangen ward ium Haß,
BENNOZZO eiligst vom Garten kommend.
Rosina!
ROSINA
jährt zusammen.
Du bist's? Du wagtest dich herein?
BENNOZZO
Dich such' ich!
Rosina, dich! Was ist das für ein Fest?
Gott auf den Knien dank' ich, daß du hier!
Wie bebt' ich, daß du eine warst von diesen,
Die auf den Wiesen unter Bäumen liegen
Und lachen, seufzen, schrein, und deren Antlitz
Ich nicht erkennen wollte — Wohin starrst du?
HERZOG kommt von links.
ROSINJ
bat ihn erblickt; der Herzog geht auf sie zu^ Bennozzo weicht er'
schrecken zurück.
HERZOG
ruhig zu Rosina.
Du wirst mir sagen, wo sie ist!
ROSINA
tiebt ihn starr an,
HERZOG
Nun — hörst du?
Wo Beatrice ist!
ROSINA
Sie ist nicht dort,
Wo Ihr sie suchtet?
292
HERZOG
Deine Augen glänzen,
Wie wenn ein arger Streich gelang. Ich fragte,
Wo Beatrice ist — verstehst du mich?
ROSINA
wie jubelnd.
Sie ist nicht dort? Ist's wahr, sie ist nicht dort?
HERZOG
Du sollst mir sagen, wo sie ist!
ROSINA
Ich weiß nicht.
HERZOG
Lüg nicht!
ROSINA
Ich lüge nicht.
HERZOG
Noch gestern schliefst du
Mit Beatricen in der gleichen Kammer, —
Wenn's eine wissen kann, bist du's!
ROSINA
Ich schwör' Euch
Bei allen Heil'gen, Herzog: ich weiß nichts!
HERZOG
Warum dies Lächeln dann, als hätt' ein Glück
Ich dir verkündet ?
ROSINA
Weil — Ihr's tatet, Herr!
HERZOG
nachdfm er sie lange betrachtet.
Und ahnst auch nicht —'
29^
ROSINJ
Ahnt' ich's, so schwieg' ich nicht!
COSINI ist eingetreten.
HERZOG
Cosini, ruf mir augenblicks den Bruder
Der Herzogin herbei.
COSINI
Man sah ihn nicht.
Er hielt sich fern.
HERZOG
Man such' ihn, bring' ihn her!
COSINI ab; kommt bald wieder mit MAGNANI.
HERZOG
zu Rosina.
Und deine Mutter schaff du mir zu Stelle!
Den Vater auch!
ROSINJ
zu Bennozzo.
Sahst du die Eltern nicht?
BENNOZZO
Gewiß. Sie stehen beide vor dem Tor,
Man ließ sie nicht herein, die Wachen höhnten:
So'n häßlich altes Weib, das dürfe nicht
Ins Schloß! Und als sie rief: Ich bin die Mutter
Der Fürstin! lachten alle.
ROSINJ
Geh und hol' sie!
Bennozzo ab.
HERZOG
zu Cosini und Magnani, die dastehen^ ohne eine Frage zu wagen.
Die Herzogin ist fort.
294
COSINI
Ist fort? Wie das?
HERZOG
Verschwunden.
MJGNJNI-
Ist es möglich?
HERZOG
So unsäglich
Genarrt bin ich ! Von wem ? Von ihr ? Von allen ?
Erweisen soll sich's bald! Man bringe
Zum Schweigen die Musik! Das Fest ist aus!
Musik verstummt. — In den Garten:
Hört Ihr? 's ist aus! Jagt diese Dirnen fort
Aus Schloß und Garten! Diese Nackte dort
Mit Peitschenhieben! Und ein Ende macht
Mit Mariscotti.
Die alten NARDIS sind gekommen; Wachen hinter ihnen, auch
Bennozzo.
Wo ist eure Tochter?
Wo habt ihr sie versteckt ? Wieviel bezahlt euch
Der Borgia oder einer seiner Schurken
Für diesen prächt'gen Spaß ?
FRAU NARDI
Euere Hoheit, Eure erhabene Hoheit — Gnade —
Gnade! Ich bin unschuldig! Ich habe Beatrice nicht
versteckt ! Ich weiß nicht, wo sie ist, bei allen Heiligen
schwör' ich, daß ich nicht weiß, wo das unglückselige
Kind ist!
HERZOG
zum alten Nardi.
Sprich du! Nun, hörst du nicht?
DER ALTE NARDI
klatscht in die Hände und lacht.
»95
HERZOG
Spielt der den Narrn?
FRAU NARDl
Eure Hoheit, wie würde er solches wagen? Mein
Mann ist verrückt, wirklich verrückt, schon lang, seit
vielen Jahren schon. Eure Hoheit — ich bin schuld
daran, ich hab' ihn dazu gemacht. Seht, wie wahrhaftig
ich bin, ich gestehe es ein, so wahrhaftig bin ich! Ich
elendes Weib habe ihn dazu gemacht mit meinen
Sünden, und er weiß so wenig wie ich, wo Beatrice ist!
HERZOG
Kein Haar ward dir gekrümmt, vs^as du auch sagst.
Sprich frei! Mein fürstlich Wort: dir droht nicht
Strafe!
FRAU NARDI
Ich kann nichts sagen — ich weiß nichts — auch auf
der Folter könnt' ich nicht mehr sagen! War denn
jemals eine Mutter so hochbeglückt als ich, da der
Herzog meine niedre Tochter zur Gattin wählte?
HERZOG
Weib! Du gebarst sie, zogst sie auf, du hast ihr,
Eh' sie zur Hochzeit ging, das Haar gekämmt —
Sie sprach zu dir! Was sprach sie, eh' sie ging?
Wo war sie gestern früh, wo gestern abend?
Nenn' mir die Menschen alle, die sie kennt!
FRAU NARDI
Eure Hoheit, sie kennt niemand, als die Gewerbs-
leute, die in unserer Nähe wohnen, ihre Frauen und
Kinder. Lauter harmlose, brave Leute — da ist zum
Beispiel einer, der heißt Capponi, und ein anderer
aber wde kann ich alle die Namen nennen? Und sie
lebte vde alle jungen Mädchen unseres Standes. Sie
war ein braves Kind — beim Himmel, sie war ein
braves Kind! Nie ging sie allein fort!
296
ROSINA
Das ist nicht wakr! Gar oft ging sie allein.
FRAU NARDI
Nun, und wenn sie allein ging ? Wohin denn anders,
als vor die Tore, auf die Wiesen, spazieren, und wenn
wir sie suchten, brauchten wir nie weiter zu gehen,
als bis zu dem Hügel, wo das Kloster San Luca steht.
Da lag sie im Grünen vor den Mauern und manchmal
war sie da eingeschlafen. Und dann weckten wir sie —
HERZOG
Schwatz' nicht so unnütz! Du weißt mehr, Rosina!
ROSINA
O Herr, ich schwor' Euch, — wüßt' ich, wo sie finden,
Ich schleifte selbst sie her; daß Ihr die Schmach,
Die sie Euch zufügt, ahndet nach Gebühr!
HERZOG
Was ich zu tun gedenke, steht bei mir.
War' sie nur da! Ich muß sie vnederhaben!
GUIDOTTI kommt aus dem Garten.
Mein Fürst, es ist nach Euerm Wort geschehn.
HERZOG
siebt ihn an, ohne zu antworten; spricht dann tceiter.
Was trieb sie fort, und welche Macht war wirksam — ?
Hätt' ich sie doch gekannt! Hätt' ich die Stunde,
Die eine nur genutzt, so kannt' ich sie,
Und wüßte, wer sie ist, und was sie lockte;
Ob sie ein Kind noch war, ob sie vertraut
Mit Zärtlichkeit und Trug, ob sie verschlagen.
Ob ohne Falsch. Doch diese Fragen trinken
Den Sinn aus der Gewißheit eines Morgen —
Was kümmern sie in einer solchen Nacht?
Und jetzt dürst' ich nach Antwort so, als stünden
Endlose Reihen künft'ger Tage da;
297
Ins Unermeßne reckt sich meine Sehnsucht,
Und alles andre wird zu nichts. Gleichgültig
Seid ihr mir alle und was euch bedroht,
Gleichgültig meine Stadt; die Schlacht von morgen
Ein sinnlos blutiges Gezänk, da mir
So wenig Abscheu gegen Cesar blieb,
Als Liebe für Bologna und für euch!
Mein ganzes Leben ist zusamm'gepreßt
In dieses eine: — Wo ist Beatrice?
Was ist's, das so unsäglich mich verwirrt ?
Nicht ird'sche Lust, alltägliches Verlangen
Nach einem schönen Weib hat so viel Macht —
Es kündet also höhere Bestimmung,
Des Schicksals Wille sich gebietrisch an.
Schafft Beatrice mir, so bin ich euer.
Wie ich's gewesen, und ich mach' euch frei!
Bringt sie mir wieder, und Bologna wird
Von allen Städten dieses Lands die erste!
Schafft Beatrice mir, so wird der Adler,
Der mit zerschoßnem Flügel niedersank
Vor San Petron, den Borgia selbst bedeuten,
Dem hier sein Ende wird — nicht mich!
EINIGE
Die Herzogin!
BEATRICE ist im Garten erschienen. — Ungeheures Erstaunen,
HERZOG
Beatricc!
Schweigen,
BEATRICE
bleibt anfangs zwischen den Säulen stehen.
So war ich länger fort, als ich gedacht.
HERZOG
Wo kommst du her?
BEATRICE
Ich komme aus der Kirche.
298
HERZOG
Was tatest du?
EEA1RICE
als spräche sie nach.
Gebetet hab' ich dort
Für Euch, für mich, für alle.
HERZOG
Hast gebetet?
BEA1RICE
mit loacbsender Sicherheit.
Bei San Petron.
MAGNANI
zu Cosini.
Das ist unmöglich!
COSINI
Schweigt!
HERZOG
Du hast gebetet ? Jetzt ? In San Petron ?
BEATRICE
Unwiderstehlich zog es mich dahin.
ROSINA
Du lügst!
HERZOG
zu Rosina.
Laßt siel Zu Beatrice. Was war es, das dich
hinzog ?
BEATRICE
Es senkte wie Erleuchtung sich herab,
An solchem Ort in solchem Augenblick
Sei mein Gebet von tiefster Kraft erfüllt.
ROSINA
Seilt, wie sie zittert 1
299
HERZOG
zu Rosina.
Schweige ! Zu Beatrice. Du sprich weiter
Und hab' nicht Furcht.
BEAT RICE
Sie sehn mich alle an —
Doch zittr' ich nicht. Es nahn die Morgenschauer,
Die fühl' ich früher als die andern Menschen.
HERZOG
Weht's aus dem Garten dich so fröstelnd an,
So führ' ich dich in wohlverschloßnen Raum,
Dort sollst du mir erzählen, mir allein,
Was ich dich frage. Wahrlich, wie du bebst!
Komm, Beatrice, nimm den Schleier um.
Daß deine Haut die Schauer minder fühle.
BEJTRICE
greift nach ihrem Hals^ merkt, daß sie ohne Schleier ist^ zuckt zu-
sammen.
HERZOG
Wo ist er?
BEJTRICE
Nun, ich ließ ihn wohl zurück.
ROSINJ
Nein, als du fortgingst, warst du drein gehüllt!
HERZOG
Du sahst sie gehn?
ROSINJ
Ja, doch ich ahnte nicht,
Daß sie zur Kirche wollte.
BEATRICE
In der Kirche — •
Hoo
Ja, ganz gewiß, dort liegt er — vorm Altar —
Wenn er nicht auf der Straße mir herabglitt
Von meinen Schultern!
MAGNANI
Herr!
COSINl
Schweigt doch!
MAGNANI
Verzeiht
In Gnaden mir, mein Fürst, die Fürstin lügt!
Beilegung.
HERZOG
Was wagst du ?
MAGNANI
Nach Vollzug der heil'gen Handlung
Ließ ich die Türen sperren, denn mir ahnte,
Daß frische Weihn dem Gotteshaus geziemten.
Das diese hier betrat. Ich selbst als letzter
Verließ die Kirche, dann die Sakristei —
Die Herzogin kommt nicht von San Petron!
Schweigen.
HERZOG
Wo warst du? Rede? Und wo blieb der Schleier?
BEAT RICE
Ich weiß nicht, wo er ist. Nun ist er fort.
HERZOG
Schaff mir ihn her!
BEA7RICE
Ich soll —
301
HERZOG
Du sollst mit mir
Den Schleier holen, wo du ihn verlorst.
BEAIRICE
Ich kann nicht.
HERZOG
Wie? Ist, was mich dort erwartet,
So über alle Maßen schauervoll.
Daß du dich schwerern Grimms von mir versiehst,
Als wenn du weigerst, was ich dir befehle?
So höre, Beatrice, dir ist alles.
Wie ungeheuer deine Schuld sich zeigt.
Schaffst du den Schleier, ist es dir verziehn.
War's frevler Anschlag wider deinen Herrn
Im Bund mit meinen Feinden, war's ein Werk
Gottloser Zauberei, das du versucht,
War's frühe Untreu' wider deinen Gatten —
Ich bin bereit, so gänzlich zu verzeihn,
Daß du als Herzogin rückkehrst ins Schloß,
Wär's auch von einem höchst verruchten Ort.
Willst du noch mehr, so sprich!
BEAJRICE
Ich kann nicht hin!
HERZOG
Bedenke, was du sagst!
BEATRICE
Ich kann nicht hin!
HERZOG
Verstandst du mich denn nicht ? Dir droht nicht
Strafe,
Du bleibst die Fürstin und du bleibst mein Weib, —
Und bin ich nicht mehr hier, liegt's diesen ob.
Beim letzten Schwur, den ihre Treu' mir leistet,
302
Dein Haupt wie ein unschuld'ges zu beschützen.
Doch nun die Wahl: Schaffst du den Schleier nicht —
BEA1RICE
Ich kann nicht, Herr!
HERZOG
So jag' ich dich davon!
BEA7RICE
schaut ihn zuerst groß an, dann wendet sie sieb, ah wollte sie geben.
HERZOG
Was willst du tun?
BEATRICE
Ihr sagt's ja. Ich muß gehn.
HERZOG
Nicht so! nicht gleich! Im Schein der ersten Sonne,
Mit wüsten Haaren und zerrißnem Hemd —
Als meine Hure, allem Volk zum Spott
Lass' ich von Knechten übern Hof dich treiben!
BEATRICE
Tut, was Ihr müßt. — Den Schleier hol' ich nicht.
MAGNANI
Nicht Schmach ist's, was dergleichen Frauen schreckt.
HERZOG
Bedenk's ein letztes Mal. Dich zu bestrafen,
Gebricht's mir nicht an Macht. Erspar' es mir,
Sie bis an ihre Grenzen auszudenken!
FRAU NARDI
Beatrice — mein Kind! Der Fürst ist ja so gnädig!
BEAIRICE
Ich kann nicht hin!
303
HERZOG
Dein letztes Wort?
BEJTRICE
Es ist's.
HERZOG
nach einer kleinen Pause.
Somit erklär' ich Beatrice Nardi
Verlustig ihres herzoglichen Rangs
Und sende sie zurück, woher sie kam.
Euch übergeb' ich sie, Carlo Magnani,
Zu schleunigem Gericht und Urteilsspruch —
Mir kündet die Vollstreckung früh am Morgen.
Wendet sieb zu geben. Langsam links die Stufen binauf,
MAGNANI
Dank, Fürst, für den gesegneten Entschluß!
BEA7RICE
Wo geht er hin ? Was soll mit mir geschehn ?
FRAU NARDI
Mein Kind, du sollst sterben! Verstehst du denn
nicht, du sollst sterben!
BEA7RICE
angstvoll.
Sterben ? Sterben ?
MAGNANI
zu den ringsum versammelten Edlen.
Ihr Herrn, uns bleibt kaum Zeit, die Form zu wahren,
Und da mir unbeschränkte Vollmacht ward,
So wähl' ich euch, ihr edeln Herren alle,
Die Zeugen dieses unerhörten Falls,
Als Richter, mir vom Schicksal beigesellt.
Und klage diese: Beatrice Nardi
Vor so berufnem Kreis und allem Volk
Der Hexerei und des Verrates an.
Und trage an, trotz des verjährten Brauchs,
304
Der martervollre Bußen auferlegt,
Der fürstlichen Vergangenheit gedenkend,
(So kurz sie währte und so schlimmer Art
Sie auch errungen ward, so bleibt sie fürstlich:)
Auf Tod durchs Schwert und noch in dieser Stunde.
BEATRICE
schreit.
Ich will nicht sterben! Nein, ich will nicht sterben!
Tot sein ist fürchterhch! Ich will nicht sterben!
MAGNANI
Führt sie hinab!
BEA1RICE
Ich will den Schleier bringen!
Zu Knechten^ die sie ergreifen wollen.
Laßt mich!
MAGNANI
Führt sie hinab!
BEATRICE
Hört Ihr mich nicht ?
Ich will den Schleier holen! Ruft den Herzog!
MAGNANI
Es ist zu spät.
FRAU NARDI
Es ist nicht zu spät! Man wiU eine Unschuldige
umbringen! Eure Hoheit! Ich will schreien, daß die
Mauern zusammenstürzen! Der Herzog soU wieder-
kommen!
MAGNANI
Der Teufel hol' die Alte!
GUIDOni
kommt aus dem Garten^ in größter Erregung.
Ihr Herrn, wer sah von euch das junge Weib,
Das mit Malvezzi war vor einer Stunde?
Theaterstücke. II, z« i^S
ZAMPIERI
*8 war eine aus Florenz.
ANDERE
Was ist's mit der?
Ganz im Hintergrund des Gartens siebt man eine Leiche vorüber-
tragen.
HERZOG
von der Terrasse aus, dem Publikum unsichtbar, sehr laut. ^
Ist's Mariscotti, den die Leute tragen ? fl
Zur Mauer von Isaia mit dem Leichnam!
Hinausgeschleudert das verruchte Haupt,
Auf daß sie's finden, wenn die Sonne aufgeht! i
GUIDOTTI
Dafür hab' ich gesorgt. Doch dieses, Herr,
Ist des Malvezzi Leich'. Betcegung. Im Grase lag er;
Von dieser Nadel war sein Herz durchbohrt.
EINIGE
Die Florentinerin!
ANDERE
Man suche sie!
EINER
Kein Weib ist mehr im ganzen Schloß zu sehn,
ZAMPIERI
Sie kam mit der, die man hinausgepeitscht.
ZWEITER ADELIGER
Leicht kenntlich, denk' ich, wird die allen sein!
ERSTER ADELIGER
Die stürzte hin am Tor — die sagt uns nichts mehr!
BEATRICE
ist in den Gärten gestürzt, hat sich niedergeworfen, sieht zur Terrasse
0uf{ flehend.
O Herr!
306
HERZOG
GraunvoUe Nacht!
Er beginnt langsam die Stiegen herunterzukommen,
BEA1RICE
Ich habe Furcht —
Sie töten mich — und ich will leben, Herr!
Den Schleier hol' ich Euch ich will nicht sterben!
O kommt, ich bitt' Euch!
MAGNANI
Herzog, hört sie nicht!
Es bringt Gefahr — geht nicht!
HERZOG
ist auf den letzten Stufen,
BEATRICE
Nehmt meine Hand!
HERZOG
Was soll mir deine Hand?
BEA7RICE
O bitte, nehmt sie!
Ihr müßt sie halten — müßt sie immer halten!
Das eine tut mir: laßt mich nicht allein.
Wenn ich mit Euch dahin geh'! Und noch eins —
Das fleh' ich — fragt mich nicht — ich fleh' Euch an —
Fragt mich um nichts!
HERZOG
Bin ich erst dort mit dir.
Was brauch* ich noch zu fragen!
BEAJRICE
Schwört mir das,
Daß Ihr nichts fragt, und haltet meine Hand!
HERZOG
Ich halte sie.
»«•
307
BEA1RICE
So kommt!
Sie zieht ihn nach hinten; Magnani scheint folgen zu wollen.
HERZOG
Daß niemand folge!
Hört Ihr? Bei Strafe seines Lebens — keiner!
Alle bleiben wie gelähmt stehen. In diesem Augenblick kommt
FRANCESCO^ der mit größtem Erstaunen alles siebt und -nach
vorn stürzt^ als tcenn er jemanden etwas fragen wollte.
Feiglinge! Feiglinge!
ROSINA
schreit.
'orbang.
3o3
FÜNFTER AKT
Szene des dritten. Ganz dunkel. Die Kerzen berahgelrannt. Der
Schleier liegt wie leuchtend nicht ganz in der Mitte, mehr rechts^
too ihn Beatrice heruntergleiten ließ. Die Leiche des Filippo Loschi
beinahe ganz unter den Vorhängen des Alkovens; man sieht gar
nichts von ihr, zoenn der Vorhang aufgeht. Die Szene ist eine Weile
leer. Es ist anfangs still. Nach einiger Zeit Lärm auf der Straße^
Lachen, das wieder verklingt. Wieder vollkommene Stille. Dann
tritt durch die offene Tür rechts BEATRICE, der HERZOG hinter
ibr^ ihre linke Hand mit seiner rechten haltend, Sie gebt auf de»
Schleier zu, bebt ihn auf.
BEATRICE
Hier ist er! Und nun kommt!
HERZOG
bleibt regungslos stehen.
BEATRICE
Ich bitt' Euch, kommt !
Ihr seht, der Schleier ist's, den Ihr mir gabt.
Ich hielt mein Wort, nun haltet Eures auch,
Und laßt uns gehn,
HERZOG
regungslos.
BEATRICE
in immer heftigerer Angst.
Nach nichts zu fragen, schwort Ihr!
So kommt, verlassen wir den Ort — ich bitt' Euch!
HERZOG
sehr ruhig, sie immer bei der Hand haltend.
Sind's immer noch die Schauer nahen Morgens,
Daß deine Finger beben f
BEATRICE
Gehn wir fort!
309
HERZOG
Noch nicht.
BEA1RICE
Dies ist der Schleier.
HERZOG
Ja, er ist's.
BEA1RICE
Und was ich auch getan, Ihr habt's verzieh'n!
HERZOG
Das tat ich.
BEA1RICE
Also fort — ich bitt' Euch, fort!
HERZOG
Dies Haus gleich zu verlassen, schwor ich nicht.
BEATRICE
Was wollt Ihr hier?
HERZOG
Das Licht des Tags erwarten!
BEATRICE
Bis dahin währt's noch lang.
HERZOG
Die Dämmer steigen
Dort überm Turm — siehst du nicht, Beatrice ?
BEATRICE
sieb erinnernd.
Ja — überm Turm. — Nein, Sterne flimmern dort!
HERZOG
Sie löschen aus, der Himmel ahnt den Tag.
BEATRICE
Doch wenn er kommt —
310
HERZOG
Was dann?
BEATRICE
Dann öffnen sich
Die Tore und Ihr zieht hinaus ins Feld —
Indem sie ihrer Stimme einen verführerischen Ausdruck xu geben sucht.
Und diese Nacht, mein Fürst und mein Gemahl,
Versank und kommt für uns nie wieder!
HERZOG
Nie! —
BEJTRICE
So gehn wir doch! Seht, sind wir erst daheim.
Dürft Ihr mich fragen und dürft alles wissen.
Nur fort Yon hier ! — Bin ich nicht Euer Weib — ?
Und daß ich alles dies getan — nun ja —
Ihr wißt nicht, was es war, doch ist es viel —
Und war doch nur für Euch — das muß wohl sein —
Ich lieb' Euch so! Und wenn der Tag erscheint,
Geht Ihr von mir, und ob Ihr jemals heimikehrt.
Wer weiß ? Wer weiß ? — Den Schleier halt' ich fest,
Ich werd' ihn nicht zum zweitenmal ysrlieren!
In immer stärkerer Erregung^ tote dem WainsdoM nmb.
Nach Hause also ! Sehnst du dich denn nicht
Nach meinen Küssen ? Denke, wa« du tatst.
Mich zu gewinnen! Bist ein Herzog doch,
Und nahmst mich gleich zum Wsib, da ich's verlangte.
Und schenktest mir so viel und gabst ein Fest,
Und morgen früh mußt du davon und höre — hör« —
Wie mit einer letzten Anstrengung.
Ich liebe dich!
HERZOG
Sei ruhig, Beatrice,
Dir ist verziehn, du bleibst die Herzogin,
Und in die Arme schließ' ich dich all Weib.
BEA1RICE
So komm!
3"
HERZOG
Wohin ? Das prunkende Gemach,
Wo meine Väter ihre Hochzeit hielten,
Und Parmas Fürstentochter mich empfing,
Scheint mir für unsre Brautnacht nicht der Ort!
BEATRICE
Nicht edel ist mein Stamm, ich weiß — doch seht,
Ich bin sehr schön, und Ihr nahmt mich zum Weib!
HERZOG
Du bist's! begreif es nur! Doch mich verdrießt's,
Mit dir zurückzukehren in mein Schloß,
Und unsrer Feier wähl' ich andern Ort!
BEATRICE
Wo wollt Ihr hin?
HERZOG
Ich wüßte keinen bessern
Als diesen hier, wo du den Schleier Heßest.
BEATRICE
Was — sagt Ihr?
HERZOG
Keinen würd'gern, Beatrice,
Und sucht* ich ganz Bologna danach ab.
Ob dies ein Haus verruchten Zaubers ist.
Ob du hier schwelgtest in geheimen Lüsten,
— Ich frag' es nicht! — doch, wie es sei, nur hier
Soll diese wunderbare Hochzeit enden!
Hier, schöne Beatrice, wirst du mein!
Was ist dir? Immer noch die Morgenschauer?
Er berührt sie.
Daß Finger — Hände — Arme — Hals dir zittern ?
BEATRICE
schaudernd.
Laßt mich! Ich bitt' Euch, laßt mich!
312
HEKZOG
um neb schauend.
Mählich dringt
Mein Blick ins Dunkle, ungefragt enthüllen
Vorlaute Schimmer dieses Raums Geheimnis!
Siebt die Vor bange.
Hier wallt es faltenschwer zur Erde nieder — ■
Komm, Beatrice, dort ist's aufgerichtet,
Das solcher Ehren nimmer sich versah,
— Das Brautbett wartet, Fürstin von Bologna!
Er zieht sie mit sieb.
BEATRICE
Laßt mich!
HERZOG
O, regt sich Scham ein letztes Mal?
So denk', 's ist eine Gruft, so schwarz und stumm,
Darin wir unsre Seufzer keusch begraben.
Komm, Beatrice!
BEATRICE
Laßt mich!
Reißt sieb los, steht abgewandten Gesiebtes da.
HERZOG
Welche Nähe
Und welche Furcht gibt deiner Schwäche Kraft ?
BEATRICE
in wachsender Verzweiflung.
Nein, sag' ich Euch! Eh' Ihr mich anrührt, Herzog,
Eh' Ihr dorthin geht — seht, wahrhaftig mein' ich's —
Hier ist mein Herz! — Ich bitt' Euch, bringt mich um!
Ich selber bin zu feig, Ihr wißt! Auch so
Ist's furchtbar, wie sie's dort im Schlosse wollten.
Doch Ihr soUt's tun — und gleich!
HERZOG
Wo bin ich?
Nun, blödes Auge, willst du nicht einmal
313
Mit eignem Lichte schaun ? Mußt du auch heut
Vom letzten Tage noch den Strahl dir leihn?
BEATRICE
Zu mir! Zu mir!
HERZOG
den Vorhang lebend^ erblickt den Körper des FILIPPO.
Ich sehe — sehe — sehe!
Wach' auf! Schläfst du so fest ? War Eu'r Umschlingen
So wild, war Euer Rausch so tief, daß dich
Mein Ruf nicht weckt ! Wach' auf ! Beschämt dich die
nicht,
Die unermattet kam aus deinen Armen
Ins Schloß, wo eine Brautnacht ihrer harrte
Und wieder her zu dir und aufrecht steht —
Und du liegst wie 'n Betrunkner hingestreckt ?
Seh' ich um deinen Mund ein Lächeln spielen ?
Kommt Licht aus deinen Locken, daß ich sehe?
Bist du so stolz, daß deines Fürsten Braut
Am Hochzeitsabend deine Hure war,
Und träumst davon ? Wie oder glaubst, daß dies,
Was jetzt geschieht, ein Traum ? Du irrst! Du wachst!
Merkst du's und regt sich's unter deinen Lidern ?
Steh auf! Nicht länger mehr gelingt's, den Schlaf
Zu heucheln! Früh' ist um dich, und ich sehe
Dein Lächeln sich in angstvoll Grinsen wandeln
Und Graun die Augen aus den Höhlen treiben!
So rühr' dich doch! Lähmt dich der Schrecken so,
Daß du nur starren kannst mit offnem Maul?
Ich will dir helfen ! Rütult ihn. Schrei' dir was ins Ohr,
Was einen, der nicht niedrer als ein Knecht,
Wehrloser als ein Lahmer, taub wie'n Leichnam,
So rasend macht, daß, hätt' er tausend Leben,
Er alle hinwirft, seine Wut zu stillen!
Ich spei* dir ins Gesicht, du feiger Hund!
Jetzt läßt der Herzog den Körfer des Filippo los, der scbtser zurück-
fällt. Der Herzog siebt nun^ daß Filippo tot ist; er wendet sieb zu
314
Beatrice^ die xoäbrend der ganzen Anrede regungslos dagestanden ist.
Wie der Herzog zu ihr tritt^ scheint durch ihren Leih ein letztes
Zittern zu geben; von jetzt an ist sie völlig gefaßt und spricht ruhig.
HERZOG
Du hast's gewußt?
BEATRICE
Ich hab's gewußt.
HERZOG
Warum noch diese letzte Schmach, den Toten
Mich schmähn zu lassen?
BEATRICE
Ja, dies war die letzte.
MAGNANl tritt auf. Gleich hinter ihm COSINI.
MAGNANI
Mein Fürst, hab' ich mein Leben auch verwirkt,
Nun nehmt es hin, da ich Euch lebend finde:
HERZOG
Ihr auch, Cosini? Sagt mir, wo ich bin!
COSINI
Ihr wißt's nicht? In Füippo Loschis Haus!
HERZOG
In Loschis Haus? — Und dies —
Mit Cosini zum Leichnam.
COSINI
Beim heil'gen Gott!
HERZOG
Filippo Loschi?
COSINI
Ja, er ist's gewesen!
315
HERZOG
zu Beatrice.
Der Starb um dich ? Und den verrietest du ?
Und mich um ihn? Und wied'rum ihn um mich?
Was bist du für ein Wesen, Beatrice?
Und all dies Ungeheure mußte sein,
Daß ich Filippo Loschi sehen durfte —
Ein einzigmal und so? Geheimes Walten!
In welche Tiefen muß ich untersteigen,
Die Wurzeln finden, wo sie sich verschlangen?
FRANCESCO tritt ein; gleich hinter ihm die alten NARDJS und
ROSINA in Ketten; KNECHTE mit ihnen.
HERZOG
Was hat dies zu bedeuten?
MJGNJNI
Herr, vergebt,
Zu eignem Handel trieb gebieterisch
Der erste Ungehorsam, den ich wagte.
Die hier ließ ich mir folgen, ungewiß,
Wie weit auch sie in Schuld verstrickt, und ob
Bei solchem Drang der Zeit nicht jedes Zögern
Verzichten hieß auf Wahrheit und Gericht.
HERZOG
In Ketten?
FRJNCESCO
Herr, befehlt, daß man sie löse!
Unschuldig sind siel
HERZOG
Man befreie sie!
Den Nardis werden die Ketten abgenommen,
FRANCESCO
Ich dank' Euch, Herzog! Auf Beatrice weisend.
Schuldig ist nur die,
Die meine brüderliche Innigkeit
316
Seit je mit ahnungsvoller Angst umfing,
Und die nun so von Schande trieft,
Daß, bis auf ihren Namen, tausendmal
In brünstige Gebete eingeschlossen,
Jeglich Erinnern, daß sie Schwester v?ar.
Wie schmutz'gen Staub ich so mit Füßen trete!
ROSINJ
Elende!
COSINI
zum Herzog, der in Sinnen verloren dasteht.
Mein Fürst, was ist Euch? Was befehlt Ihr, daß
]VIit diesem Weib gescheh' ? Die Stunden fliehn.
MAGNANl
Laßt jetzt des Amts mich walten; denn das Wort,
O Herzog, daß Ihr dieser gabt, ist nichtig.
Wie Eure Eh', vor jedem Tribunal,
Vor Gott und Papst und allen Kardinälen.
ROSINA
Vergißt der Herzog, daß hier eine steht,
Die seine Gattin ist?
FRAU NARDI
So schweig, du Böse!
ROSINA
Und die ihm fortlief in der Hochzeitsnacht
Zu einem Liebsten!
HERZOG
Wo ist alles hin ?
Da stehn sie nun und harren meines Worts,
Und übermächtig bannt sie das Geschehne
Und lebt für sie und hat besondre Kraft.
Mir aber ist, als tränk', wie weicher Boden
Das Blut Erschlagner, dieser durst'ge Morgen
Den dunkeln Inhalt der entschwundnen Nacht, —
317
Und sie, so wie ein Leichnam, unbegreiflich.
Liegt starr am Eingang meines letzten Tags.
Was ist mir alles dies? Nur eins bewegt mich:
Daß dieser einsam starb und jene floh
Zurück ins Leben, fort von dem GeHebten,
Indes er dalag wie ein toter Hund ?
Wie kam dies alles ? Beatrice, sag's.
FRAU NARDI
So sprich doch, Beatrice! Wirf dich auf die Knie
vor Seiner Hoheit, dem Herzog! Er vvdrd gnädig sein!
Er wird dir das Leben schenken, wenn du dich auf die
Knie wirfst und ihn darum anflehst!
BEA1RICE
Wär's nur darum, so sprach' ich nicht ein Wort!
Wendet sieb jetzt zu dem loten und siebt ihn lange an,
HERZOG
Warst du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
Mit eines Dichters Seel', weü sie voll Rätsel, —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's dir just
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jeder von uns wollte
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein, mehr!
Die ganze Welt. So nannten wir dein Tun
Betrug und Frevel — und du warst ein Kind!
FRAU NARDI
Beatrice, knie nieder vor dem Herzog, bitte um
Gnade!
HERZOG
Hier hast du deine Tochter — sie ist frei,
Und du laß alles Fürchten, Beatrice —
BEATRICE
an der Leiche.
Das ist vorbei! Und war doch das allein,
318
Was mich die fürchterlichen Wege jagte
Von Lüg' in Lüge, Schmach in Schmach, und mich
Hier neben dir zu dem Toten anbettehi Heß den andern
Mich zu umarmen, — was mich dulden Heß,
Daß deinem Leichnam arger Schimpf geschah, —
Und aUes, weil's mich graute, da zu Hegen
Wie du. Jetzt aber bin ich müd', so müd'.
Glaub' ich, wie nie auf Erden jemand war —
W^arum gerade mir dies alles, sagt ?
Und warum war ich ausersehn vor allen,
So yielen Leid zu bringen, und weiß doch;
Ich woüte keinem Böses! Staun' ich nun.
Daß ich es bin, der aUes dies geschah,
Und macht mich dieses ungewohnte Staunen
So müd', daß nichts mehr in mir ist als Sehnsucht,
DaHegen, so wie du, und fertig sein!
Ich bitt' Euch, tut's! Ein Stich, und allen ward
Nach Willen — zum Herzog bitte, tut's, mein guter
Herr! —
FRAU NARDI
Mein Kind, was fällt dir denn ein! Um Gnade
sollst du bitten, und du bittest um deinen Tod!
HERZOG
Beatrice, —
Mein Dolch trägt kein Verlangen mehr nach dir!
FRANCESCO
Der meine um so hcißres, Beatrice!
Er stößt ihr den Dolch ins Herz; sie sinkt nieder.
BEATRICE
Francesco — du ?
HERZOG
Francesco! Er reißt ihm den Dolch dus der Hand.
FRAU NARDI
Meine Tochter! Francesco!
319
FRANCESCO
mit dumpfer Entschlossenbeii.
Ich mußt' es tun!
NJRDI
Was ist denn das ? Um Himmelswillen — o, du
ungeschickter Junge — sie blutet ja! Beatrice, hat er
dir wehgetan ?
FRJU NJRDI
Deine Tochter ist tot, verstehst du's ? Unsere Tochter
ist tot!
HERZOG
zu Francesco.
Wagt deine Einfalt mehr, als sie begreift?
FRANCESCO
Ging sie auch einen vielverschlungnen Weg,
Dem ich nicht folgen kann durch seine Irren —
Ich sag's: noch jetzt, da sie im Tod hier liegt,
Füllt mich mit Grimm und Ekel, sie zu denken
Ohn' alle Weihe heil'gen Sakraments,
Schamlos zu flücht'ger Lust geworben
In eines Mannes Bett. — O Schmach und Elend!
Daß der sich selber auf den Weg gemacht.
Den 's mein Amt war, beizeiten ihn zu senden!
HERZOG
Du Knabe, schweig! An diesen, der hier liegt,
Kann deine Rache nicht heran!
So wenig, als mein Zorn.
Bewegung.
Geschah' ein Wunder
Und würfen wir den Borgia in den Staub
Und brächten Freiheit unsrer Stadt und zwängen
Zehn, hundert andre — dieses ganze Land,
Uns zu gehorchen, und ein Reich erstünde,
So mächtig und geeint, wie's Rom gewesen.
Zu Cosini.
Und jenes fernste, dessen Schutt wir sahn, —
320
Und wenn's durch tausend Jahre herrlich blühte,
Einmal fiel's doch in Trümmer, wie die andern.
Ein Lied von dem, verweht's der Zufall nicht —
Ist ew'ger als der kühnste unsrer Siege,
Der wieder nur Vergänghches erringt!
Dran werden Menschen einer späten Zeit,
Der unsre Taten nichts als Worte sind,
In kühlen Stein gegraben zum Gedächtnis,
Wie wir, die Mitgebornen, sich erfreun
Mit gleichem Lächeln und mit gleichen Tränen.
Denn dieser war ein Bote, ausgesandt,
Das Grüßen einer hingeschwundnen Welt
Lebendig jeder neuen zu bestellen
Und hinzuwandeln über allen Tod.
Es ist nahezu licht geworden, während der letzten Worte kam ein
BOTE, der mit Cosini gesprochen hat.
COSINI
Mein Fürst, der Bote bringt Bericht vom Turm.
HERZOG
Von Garisenda ?
VIERTER BOTE
Wohl, erhabner Herr!
Es ist, wie wenn all die Tausende rings um die Stadt
mit einem Mal durch einen Ruf erweckt worden wären.
Die Straßen, soweit wir bhcken können, die Felder, die
Hügel stehen voll Gerüsteter, und von San Luca
flattern nicht allein die Standarten der Borgia, auch die
Fahnen von Neapel und Frankreich sahen wir wehen.
HERZOG
zu Magnani.
Nun?
FÜNFTER BOTE ist unterdes gekommen.
HERZOG
Und was will dieser?
raeatentiicVe. II, zi, 321
COSINI
Fürst, er wagt es nicht,
Die Botschaft zu bestellen. Und ich selbst —
HERZOG
Ich dachte, was es immer Böses sei,
Zu klagen bleibt uns doch nicht lang mehr Zeit.
COSINI
Die Pfeile trafen schon.
HERZOG
So sagt — wer ist's?
FÜNFTER BOTE
Herr, von denen, die auf der Mauer von Ts
stehen, sind drei zu Tode getroffen worden.
HERZOG
Die Mauer von Isaia — das ist die.
Wo Graf Andrea steht mit seiner Schar —
Er ist's ?
FÜNFTER BOTE
Wir sahn ihn stundenlang zuvor
An gleicher Stelle stehn, hochaufgerichtet —
Er war das erste Ziel und fiel sogleich.
HERZOG
Auch du vor mir? Pause. Francesco! gehe hin
Zum Tore von Isaia, dir vertrau' ich
Die frühvenvaiste Schar — du sollst sie führen!
Was heute not tut, ward dir mehr als allen.
Francesco ab.
Euch aber, denen diese Stadt vertraut ist,
Bis andre kommen, nicht mehr ich und die.
Trag' ich die Sorge auf, im ersten Glühn
Der Morgensonne, die zum Abschied grüßt,
Den Leichnam dieses sehr geliebten Dichters
322
.Im Grab der Bentivoglio zu bestatten.
Und diese hier v/ie ihn! Die Spanne Zeit,
Die sie ums Licht des Lebens noch geflattert,
Bedeutet jetzt nichts mehr — sie starb mit ihm.
Er liebte sie, er starb, weil er sie liebte,
So ist sie hochgeehrt vor allen Fraun!
COSINI
Die Sonne steigt empor.
HERZOG
Der Tag ist da.
Und in den gleichen Glanz gehn wir hinaus,
Der uns vor einem Jahr ersehnte Fernen
Mit lichtem Schein umrandet hat, als baute
Der junge Morgen selbst das stolze Tor
Zum Eingang in die Welt, die uns empfing.
So festlich, wie der eignen Fülle jauchzend.
Heut weist kein unermeßner Weg ins Weite,
Und vor den Mauern endet unsre Fahrt.
Und dennoch — mir erglüht die Sonne heut
Verheißungsvoll wie damals, denn wir gehn
Von allen Abenteuern, die im Dunkel warten,
Dem neusten und gewaltigsten entgegen!
Glocken von allen Türmen.
Das Zeichen tönt, und mächt'ge Neubegier
Wie nie zuvor beflügelt meinen Schritt.
Ich freue mich des guten Kampfs, der kommt;
Die frischen Morgenlüfte atm' ich durstig
Und preise dieses Leuchten aus den Höhn,
Als war' es mir allein so reich geschenkt.
Das Leben ist die Fülle, nicht die Zeit,
Und noch der nächste Augenblick ist weit!
Er gebtj andere folgen ihm,
Vorhang,
323
LEBENDIGE STUNDEN
Vier Einakter
/. LEBENDIGE STUNDEN
Ein Akt
ANTON HAUSDORFER, pensionierter Beamter
HEINRICH
BORROM AUS, Gärtner
WohlgepflegUr kleiner Garten in einem Vororte Wiens. Kleine»
Haus im Hintergrund, mit Veranda, von der drei Stufen in den
Garten berahführen. Vorn zwei Sessel, sowie ein bebaglicber Lebn-
stubl. Frühherbst. Der Abend ist nahe. Stille. Borromäus, der
Gärtner, mit Umgraben beschäftigt. Er ist ein alter Mann mit
ziemlich langen grauen Haaren. Anton Hausdorfer kommt langsam
von der Veranda herunter; er ist nahe an sechzig, bartlos, straffes^
graues^ kurzgescbnittenes Haar, junge Augen; dunkler Anzugs bequem,
nicht nachlässig; breiter dunkler Strohhut.
HAUSDORFER. Guten Abend, Borromäus.
BORROMÄUS. Guten Abend, gnädiger Herr.
Der gnädige Herr sind wohl heut nachmittag in der
Stadt drin gewesen, nicht wahr?
HAUSDORFER. Nein, nein.
BORROMÄUS. Ich hab' nur gedacht, weil der
gnädige Herr nachmittag wieder nicht in der Laube
den schwarzen Kaffee getrunken hat.
HAUSDORFER. Nein, nein, ich war nicht in
der Stadt. Ich bin drin auf dem Sofa gelegen. Ich
hab' nämlich ein bißchen Kopfweh gehabt. Na, was
tun Sie denn ? Wir werden ja bald den ganzen Garten
umgegraben haben.
BORROMÄUS. Freilich, gnädiger Herr. Es ist
auch notwendig. Über NaCht kann ein Frost da sein.
Ich lass' mich von diesen milden Tagen nicht betrügen,
wenn's einmal Oktober ist. Erinnern sich gnädiger
Herr noch an den Herbst im Jahre 93 ? Am Abend
ist man im Freien gesessen — ja, am 28. Oktober —
und in der Früh' um drei ist der Frost dagewesen.
Und 87 und 88 war ganz dieselbe Geschichte. Ah
nein, mich betrügen die schönen Tage nicht.
HAUSDORFER. Sie haben schon recht, Borro-
mäus. Schaut ihm zu. Nun, was setzen wir denn heuer
ein ? Er versinkt in Nachdenken, hört die Antwort kaum an.
BORROMÄUS. Ja, davon hab' ich mit dem gnä-
digen Herrn grad reden wollen. Ich war nämlich
heut nach Tisch beim Franz drüben. —
HAUSDORFER zerstreut. Bei wem?
BORROMÄUS etwas befremdet. Beim Gärtner vom
J27
Baron Weißeneck. Er ist hochmütig, ja, aber er ver-
steht was. Ja, er kennt sich besser aus als ich. Ich
muß es schon selber sagen. Er hat's auch in Büchern
studiert. Zwanzig so Band' stehn bei ihm oben aufm
Kasten. Na, und darum genier' ich mich gar nicht,
ihn um Rat zu fragen.
HAUSDORFER bat nicht zugehört. Ja, ja, das müssen
S' tun.
BORROMÄUS. Was, gnädiger Herr?
HAUSDORFER. Was er Ihnen gesagt hat. Ja;
ich bin ganz einverstanden,
BORROMÄUS immer befremdeter. Aber, gnädiger
Herr, ich hab' ja noch gar nichts . . .
HA USDORFER wie oben. Es wird schon das Rechte sein.
BORROMÄUS fast erschrocken. Erlauben, gnädiger
Herr.
HAUSDORFER wie erwachend. Was denn ?
BORROMÄUS. O, ich kann mir schon denken!
Wenn ich mir erlauben darf zu fragen — gewiß geht's
der Frau Hofrätin wieder schlechter? Da Hausdorfer
nicht antwortet, verlegener. Na ja, ich denk' halt, weil sie
schon drei Wochen nicht mehr bei uns heraußen ge-
wesen ist. *
HAUSDORFER. Lassen Sie doch. Sie ist tot.
Ich dank' Ihnen für Ihre Teilnahme. Die Frau Hof-
rätin ist tot. Er hat sich gesetzt.
BORROMÄUS ganz erschrocken, hat die Mütze abge-
nommen. Oh, oh!
Pause.
HAUSDORFER. Ja. Sie wird nim.mer zu uns
kommen, die Frau Hofrätin.
BORROMÄUS. Ja, ist es denn möglich! O Gott!
Ich hab' ja gar keine Ahnung gehabt, daß die Frau
Hofrätin so krank war. Schüttelt den Kopf. Und war
doch noch eine jüngere Frau sozusagen.
HAUSDORFER. Na, Heber Borromäus, jung . . .
Allerdings, sieben Jahre jünger als ich; aber ich bin
halt auch schon sechzig.
328
BORROM AUS. Ja, freiHch! . . .
HJUSDORFER. Maa kann auch älter werden als
die Frau Hofrätin, das ist schon wahr.
BORROMÄUS. Ja, sehn Sie, gnädiger Herr, es
mag auch daher kommen, daß ich die Frau Hofrätin
doch beinah Tag für Tag gesehn hab' in diesen fünf-
zehn oder zwanzig Jahren, — also damals —
HAUSDORFER. Ja, vor zwanzig Jahren waren
wir aUe jünger.
BORROMÄUS. Aber auch in der allerletzten Zeit
hat doch die Frau Hofrätin nicht einer alten Frau
gleichgeschaut! Und grad heuer im Sommer, wie sie
so blaß und mager worden ist, dahätt' man geschworen
... Ja, einmal wie ich spät am Abend aus der Allee
dort herausgekommen bin und die Frau Hofrätin ist
da gesessen — meiner Seel', ich hab' gemeint, es ist
eine jüngere Schwester von der Frau Hofrätin
entschuldigen der gnädige Herr.
HAUSDORFER nach einer kleinen Pause. Also, Borro-
mäus, was hat er denn eigentHch gesagt, dieser arro-
gante Franz vom Baron ?
BORROMÄUS. O nein, gnädiger Herr, o nein!
Ich will jetzt nicht mehr von so gleichgültigen Sachen
reden. Er küßt ihm die Hand. Ich weiß, was das heißt
— ich hab' auch einmal eine Frau gehabt und — be-
graben. Er erschrickt gleich wieder über seine eigene Bemerkung.
O, ich meine nur . . .
HAUSDORFER. Es ist schon gut, Borromäus. Kleine
Pause.
BORROMÄUS. Und der junge Herr ? . . .
HAUSDORFER. Was? Wie?
BORROMÄUS. Ichmeine, der junge Herr Heinrich
— es ist doch schrecklich! O Gott, o Gott! Wenn ich
daran denk', wie er die Frau Hofrätin in der letzten Zeit
immer herausbegleitet hat und abgeholt am Abend . . .
HAUSDORFER. Ja, er ist sehr zu beklagen.
BORROMÄUS. Er ist gewiß selber krank worden,
daß er nicht kommt.
329
HAUSDORFER. Nein, nein. Ich erwarte ihn
jeden Tag. Er ist nämlich fort — er ist abgereist.
Aber er muß jeden Tag zurückkommen. Er erholt
sich halt ein wenig. Na ja, er muß doch wieder arbeiten
können.
BORROMÄUS. Ja, ja, wenn man einen Beruf
hat . . .
HAUSDORFER. Und gar einen solchen! — Ein
Dichter! Steht auf. Ein Dichter! Wissen Sie, was das
heißt ?
BORROMÄUS. Aber gnädiger Herr! —
HAUSDORFER. Nichts wissen Sie, gar nichts.
Wir wissen das alle nicht, wir gewöhnlichen Menschen,
die nichts weiter können als ihre Gärten bepflanzen . . .
BORROMÄUS. O, der gnädige Herr hat —
HAUSDORFER. Na ja, Borromäus, Sie meinen,
ich hab' früherauch noch was anderes getan — ja, ja.
Aber doch nichts besseres als jetzt. In einem Bureau
bin ich gesessen drin in der Stadt, tagtäglich von acht
bis zwei, manchmal ist auch drei oder gar vier worden.
BORROMÄUS. Es muß doch eine Plag' sein, täg-
lich auf einem Fleck sitzen sechs Stunden lang. — Ich
hab' den gnädigen Herrn oft bedauert in früherer Zeit,
wenn er erst so spät am Abend aufs Land heraus-
gekommen ist. Und gar im Winter —
HAUSDORFER. Was soll man machen, Borro-
mäus ? Jetzt sitzt ein anderer auf meinem Platz, und
wenn's der erlebt wie ich, kriegt er auch einmal seine
Pension, und drin im Bureau sitzt wieder ein anderer!
— Aber wer da drin auf meinem Platz sitzt, das ist
ganz egal, das kann bald einer. Aber ein Dichter —
das ist schon eine andere Art von Mensch wie unser-
einer, Borromäus. Wenn so einer in Pension geht,
kann's passieren, daß die Stelle recht lang unbesetzt
bleibt. Ja, so einer muß auf sich schauen, das ist er
der Welt schuldig — verstehen S', Borromäus ?
BORROMÄUS. Freilich.
HAUSDORFER. Nichts verstehen S', gar nichts.
330
Haben Sie denn gar nichts bemerkt am Heinrich?
Haben Sie denn nie den Schein um seinen Kopf be-
merkt ? Na, sehn Sie!
BORROMAUS lacht zuerst^ dann wird er wieder ernst.
HAUSDORFER. Haben S' keine Angst, Borro-
mäus, — ich bin nicht verrückt. Ich red' von keinem
wirklichen Schein, nur von einem figürlichen. Sie
können ihn nicht sehen, Borromäus, — ich auch nicht;
— aber die Frau Hofrätin hat ihn gesehen.
BORROMAUS. Ah, ich weiß schon, was der gnä-
dige Herr meint. Ja, weil der Herr Heinrich, so jurg
als er ist, schon so viel in der Zeitung steht und die
Leut' von ihm reden — ja, ja, das ist . . . Geste^ ah zcollte
er den Schein um den Kopf bezeichnen.
HEINRICH schwarz gekleidet, gebt am Gartengitter vorbei.
Er grüßt und verschwindet wieder.
BORROMAUS ist dem Blick des Hausdorfer gefolgt.
HAUSDORFER. Ja, da kommt er. Sitzt schweigend.
BORROMAUS. Erlauben der gnädige Herr —
ich hab' ja noch gar keine Gelegenheit gehabt, dem
Herrn Heinrich mein Beileid auszusprechen . . .
HEINRICH tritt eben aus dem Innern des Hauses auf die
Terrasse.
HAUSDORFER. Na, gehn Sie nur, gehn Sie nur,
sprechen Sie ihm Ihr Beileid aus.
BORROMAUS geht dem Heinrich entgegen.
HEINRICH von der Veranda herunterkommend^ ergreift die
Hand des Borromäus. Ich danke Ihnen, lieber Borromäus
— ich weiß ja — ich danke Ihnen sehr.
BORROMAUS ab.
HEINRICH nach vorn.
HAUSDORFER steht jetzt erst auf, geht ihm einen Schritt
entgegen. Händedruck. Na, bist du wieder zurück ?
HEINRICH. Ja; früher als ich gedacht habe. Es
ist doch noch besser daheim.
HAUSDORFER nickt. Du bist also noch am selben
Abend abgereist ?
HEINRICH. Ja. Ich bin vom Friedhof nach Hause,
331
habe gepackt und bin fort. Ich hätte die Nacht zu
Hause nicht mehr ertragen.
HAUSDORFER. Das begreif ich. Wo bist du denn
eigentHch gewesen ?
HEINRICH. Zuerst bin ich nach Salzburg ge-
fahren. —
HAUSDORFER. So?
HEINRICH. Das ist nämhch ein Ort, wo ich mich
sonst immer wohl gefühlt habe. Eine Stadt des Trostes,
wahrhaftig.
HAUSDORFER. So? Gibt's solche Städte? Das
war' ja großartig.
HEINRICH. Ja, unter gewissen Umständen gibt
es solche Orte, und ich bin wirklich nicht aufs Gerate-
wohl nach Salzburg gereist. Ich habe nämlich einmal
etwas sehr Schweres oder wenigstens Trübseliges er-
lebt — vor sieben oder acht Jahren . . . Wissen Sie,
Herr Hausdorfer, so eine Geschichte, daß ich dachte,
es wird überhaupt nie wieder gut ... Ja, und da bin
ich fortgereist, eben nach Salzburg. Und schon am
ersten Nachmittag, während eines einsamen Spazier-
ganges in Hellbrunn, in dem reizenden Rokokogarten,
linderte sich mein Schmerz und am Morgen darauf
bin ich wie gesundet autgewacnt, habe sogar wieder
arbeiten können.
HAUSDORFER. Geh!
HEINRICH. Allerdings war ich damals kaum
zwanzig — überdies war Frühling; das muß man auch
in Betracht ziehen.
HAUSDORFER. Ja freilich, das muß man auch in
Betracht ziehen.
HEINRICH. Und diesmal nichts, keine Spur von
Erleichterung. Im Gegenteil.
HAUSDORFER. Also es gibt Fälle, wo HeUbrunn
nicht wirkt. Wie lang bist du denn in Salzburg ge-
blieben ?
HEINRICH. Am nächsten Tag bin ich fort. Nach
München. Ich hoffte nämlich auf die beruhigende
312
Wirkung der alten Bilder. Ich bin in die Pinakothek,
in die alte, wo meine geliebten Dürer und Holbein
hängen. Und wahrhaftig, dort hab' ich zum ersten
Mal nach langer, nach sehr langer Zeit wieder auf-
geatmet. Pause. Sie erlauben doch, daß ich Ihnen das
alles erzähle. Ich habe ein wahres Bedürfnis, mich
Ihnen gegenüber auszusprechen.
HAUSDORFER. Tu's nur, tu's nur. Wird jreund-
lieber^ gibt ihm die Hand.
HEINRICH. Ich danke Ihnen. Sitzt. Sehen Sie,
Herr Hausdorfer, ich hab' es einigermaßen schmerz-
lich empfunden, daß wir einander im Lauf der letzten
Jahre . . . ich kann's nicht anders sagen — ein wenig
fremder geworden sind.
HAUSDORFER. Fremder — wieso denn?
HEINRICH. Ja. Ich habe sehr gut gespürt, daß
Sie mich nicht mehr so gern hatten, wie früher einmal,
wie zu der Zeit, da ich ein Bub' war und hier auf der
Wiese gespielt habe.
HAUSDORFER. Gott, mein lieber Heinrich, das
ist freilich schon recht lange her. Und schließlich
wirst du ja auch zugestehen, daß du eigentlich der-
jenige warst — na ja, ich mein' nur so ... es ist doch
natürHch, daß du deine eigenen Wege gegangen bist.
Ein junger Mensch! Es war ja nicht sehr amüsant bei
mir heraußen. Du hast deinen Kreis. Ich hab' dir
doch mein Lebtag keinen Vorwurf gemacht — oder ja ?
HEINRICH. Aber! — Ich wollte Ihnen nur sagen,
wie tief ich gerade jetzt, nach dieser mißglückten Reise
— oder Flucht, empfunden habe, daß ich mit keinem
Menschen so stark zusammenhänge als mit Ihnen.
Sie werden mich verstehen. Wie dankbar muß ich
Ihnen sein! Was sind Sie meiner armen Mutter ge-
wesen! Wie haben Sie ihre letzten Lebensjahre ver-
schönt!
HAUSDORFER webn ab. Ja, ja ... Erzähl' doch
weiter. Also in München bist du gewesen, die Bilder
hast du dir angeschaut. Und da hast du Trost gefunden.
333
HEINRICH. Solang ich eben in den kühlen
stillen Sälen war. Kaum bin ich auf die Straße hinaus-
getreten, so war alles vorbei. Und gar die Abende,
diese endlosen einsamen Abende. Ich versuchte zu
arbeiten, zu denken — unmöglich! Als wäre alles in
mir vernichtet. Pause. Ist aufgestanden. Wie lange wird
das noch dauern!
HAUSDORFER. Es muß schrecklich sein, wenn
man eine Beschäftigung so gewöhnt ist . . .
HEINRICH. Gewöhnt? Ich bin's ja längst nicht
mehr. Das ist es eben. Seit zwei, drei Jahren kann
ich nichts mehr zustande bringen. Sie wissen ja . . .
HAUSDORFER. Ich weiß — freiHch.
HEINRICH. Aber es war auch eine vollkommene
UnmögUchkeit. Ein geliebtes Wesen, eine Mutter
leiden sehen, so leiden, und wissen, daß sie dem Tod
entgegensiecht, — und daß sie es ahnt ! — Ja, das war
das Furchtbarste. Diese Ahnung, die ich in ihren
Augen schimmern sah, nachts, wenn ich an ihrem
Bette saß und ihr vorlas. Große Pause. Die Wohnung
hab' ich aufgegeben.
HAUSDORFER. So? die war' ja auch zu groß
für dich allein.
HEINRICH. Abgesehen davon; ich könnte in
diesen Räumen doch nie vdeder eine Zeile schreiben.
Ich würde doch Nacht für Nacht das Stöhnen aus
dem Zimmer nebenan zu hören glauben, das mir ins
Herz geschnitten und mir jede Fähigkeit, jede Lust
zu schaffen, ja zu leben zu Grund gerichtet hat.
O Gott! Pause. Und wissen Sie, was mir Doktor
Heusser noch am Sonntag vor ihrem Tode gesagt hat ?
HAUSDORFER. Was denn?
HEINRICH. Es könnte auch noch zwei bis drei
Jahre dauern.
HAUSDORFER beinahe auffahrend. Noch zwei bis drei
Jahre ? So ? Absichtlich ruhiger. Noch zwei bis drei Jahre
hätte es dauern können ?
HEINRICH. Ja. Und die schlimmste Zeit wäre
334
erst gekommen. Sie hätte das Zimmer nicht verlassen,
hätte nicht einmal mehr die paar Stunden in der Woche
haben dürfen — hier im Garten, wo ihr immer so
wohl gewesen ist. Blick auf den Ueren Lebnstuhl.
HAUSDORFER. Vielleicht hätt' ich mich doch
zuweilen entschlossen, hineinzufahren, glaubst du
nicht ?
HEINRICH wie beschämt. Mein verehrter Herr Haus-
dorf er, ich rede da immer von mir, und ich bin noch
jung, und es liegt doch noch irgendwas wie eine Zu-
kunft vor mir. Was haben Sie verloren!
HAUSDORFER. Viel, viel.
HEINRICH. Ich weiß, was Ihnen meine Mutter
bedeutet hat; ich hab' es immer gewußt, auch schon
damals.
HAUSDORFER. Damals?
HEINRICH. Ich war ja kein kleines Kind mehr,
als der, der mein Vater war, uns verließ.
HAUSDORFER. Ja, ja.
HEINRICH. Ich erinnere mich noch an den Tag,
da mir die Mutter sagte, der Papa sei abgereist. Und
als er nicht zurückkam, hab' ich mir eine Zeit lang ein-
gebildet, daß er gestorben sei, und in der Nacht hab'
ich manchmal bitterlich geweint. Aber kurz darauf
bin ich ihm auf der Straße begegnet, und zwar mit
jener andern, um derentwillen er meine Mutter ver-
lassen hatte. Ich habe mich in ein Haustor versteckt,
damit er mich nicht sieht, als ob ich kleiner Bub' mich
vor ihm schämen müßte. Ja, ich hab' es früh verstanden,
daß meine Mutter vollkommen frei war, so frei, als
wenn sie verwitwet wäre.
HAUSDORFER. Du hast uns also verziehen,
scheint es.
HEINRICH leicht verletzt. Entschuldigen Sie, ich
habe mich wahrscheinlich ungeschickt ausgedrückt.
Wieder wärmer. Aber soll man denn nicht über einfache
und natürliche Dinge einfach und natürlich reden
können, besonders in einem solchen Augenblick? Es
335
drängt mich, Ihnen wie einem Vater die Hand zu
drücken, denn ich weiß, wie sehr meine Mutter Sie
geliebt hat. Es wird immer dunkler. Auf der Straße jenseits des
Gitters werden Laternen angezündet,
HAUSDORFER. Geliebt — das war' schon was
besonderes. Was liebt sich nicht aUes auf der Welt,
wenn's jung ist. Freunde sind wir gewesen, Heinrich,
alte Leute und Freunde. Verstehst du das ? Oder hat
das Wort für so junge Ohren noch keinen KJang?
Aber wie sollt ihr das verstehn, ihr jungen Leute, vor
denen noch die Zukunft liegt, denen die Welt offen-
steht, — und gar ein Mensch wie du, mit solchen Aus-
sichten. Es ist ja kein Wunder.
HEINRICH. Sie irren sich, Herr Hausdorf er: ich
begreife das sehr gut. Wenn ich Ihnen . . . uns meine
arme Mutter wieder zurückrufen könnte — o Gott!
Wenn ich sie nur noch einmal, nur für einen Abend
wieder hier sitzen sähe, wie vieles gab' ich dafür hin!
HAUSDORFER. Vieles? Bitterer. Was?
HEINRICH zögernd. Es ist mir, als wenn ich meine
ganze Zukunft, als wenn ich alles, was ich noch leisten,
alles, was ich noch erreichen will, dafür hingeben
könnte.
HAUSDORFER. Sei nicht bös', Heinrich, das
glaubst du selber nicht.
HEINRICH. Wenn ich die Möglichkeit hätte, wenn
es in meiner Macht stünde . . .
HAUSDORFER. Es ist nicht wahr, Heinrich.
Auch wenn du die Macht hättest — ich kenne dich!
Euch alle kenn' ich, ich weiß, wie ihr seid.
HEINRICH. „Ihr?" Ich weiß nicht, für wen
außer mir ich einzustehen habe.
HAUSDORFER. Du mußt für niemanden ein-
stehn. Wenn ich „ihr" sage, so weiß ich schon, vvde
ich das mein'. Da hab' ich nämlich einen jungem
Kollegen im Amt gehabt, das ist eine Geschichte
von ungefähr zehn Jahren, der hat sich mit der Musik
beschäftigt in seinen Mußestunden; es ist auch einmal
336
bei einer Liedertafel vom Männergesangverein etwas
von ihm aufgeführt worden; Franz Thomas hat er
geheißen. Und dem ist sein einziges Kind gestorben,
ein Bub', sieben Jahr war er alt, bildschön und auf-
geweckt. Ichhab' ihn nämhch gekannt; er ist manch-
mal mit seiner Mutter gekommen, den Vater vom
Bureau abzuholen. Also das Ivind ist gestorben, an
der Diphtheritis, in einer Nacht, und ich komm' hin
Kondolenz\asit machen. Und er, der Vater nämlich,
sitzt beim Kllavier und spielt — ja, spielt. Dabei muß
ich bemerken: das tote Kind ist im selben Zimmer
aufgebahrt gelegen — und er spielt und hört nicht
auf, wie ich komme, sondern nickt mir zu, und wie ich
hinter ihm stehe, sagt er leise : „Hören Sie, Herr Haus-
dorfer, das ist für mein armes Buberl. Grad ist mir
die Melodie eingefallen." Und das tote Kind liegt
daneben im Sarg. — Ja. Mir ist es über den Rücken
gelaufen.
HEINRICH bat mit sichtlichem Interesse und endlich mit
einiger Befriedigung zugehört. Nun ja. Ich verstehe ganz
gut, daß viele und gerade sehr vortreffliche Menschen
solchen Dingen gegenüber eine Art Grauen empfinden
mögen. —
HAUSDORFER. Grauen — ja! Das mrd schon
das rechte Wort sein.
HEINRICH. Aber sagen Sie selbst, Herr Haus-
dorf er: sind die Leute nicht eigentlich beneidenswert,
denen es so schnell gelingt, sich hinauszuretten —
in ihren Beruf, in ihre Kunst ? die vielleicht sogar
die wunderbare Fähigkeit haben, ihren Schmerz in
ihrer Weise zu gestalten, statt ihn in nutzlosen Tränen
hinströmen zu lassen?
HAUSDORFER. Gestalten ? Weckt das die Toten
wieder auf?
HEINRICH. So wenig als die Tränen. Ich sage
auch nicht, daß die Freude an der Arbeit das Leid
über ein entschvnindenes Wesen aufwiegt. Aber ist
es nicht endhch das Einzige, was uns übrig bleibt:
Theaterstücke. I!, 32. 2 "^7
arbeiten? Werden Sie nicht Ihren Garten pflegen
wie zuvor? Und ich — ja, ich ersehne den Tag, da
ich wieder fähig sein werde, etwas OrdentHches zu
schaffen wie früher einmal. Ins Unabänderhche
müssen wir uns fügen.
HJUSDORFER. Ins Unabänderliche, das mag ja
sein.
HEINRICH. Es war unabänderHch.
HJUSDORFER. Nein, nein.
HEINRICH ein vienig befremdet. Gewiß. Mit welchen
Gedanken quälen Sie sich denn ? Haben Sie nicht
selbst erst vor sechs Wochen den Doktor gesprochen ?
Er hat Ihnen damals die Wahrheit nicht verschwiegen.
Es hat so kommen müssen.
HJUSDORFER. Nicht so früh! Noch nicht jetzt.
HEINRICH. Wie können Sie das behaupten,
Herr Hausdorfer ? Sie nehmen doch nicht an, daß
irgend etwas versäumt worden ist ?
HJUSDORFER. O nein, o nein, entschuldige.
Nichts ist versäumt worden.
HEINRICH. Nun also!
HJUSDORFER. Aber hast du mir nicht selbst
grad erzählt, daß sie noch zwei bis drei Jahre vor sich
gehabt hätte?
HEINRICH. Ach so. Das ist schon wahr. Aber
der Doktor machte auch auf die Möglichkeit eines
plötzhchen Todes aufmerksam, wie Ihnen sehr wohl
bekannt ist.
HJUSDORFER. PlötzHch? — Das war' ja schon
richtig. Zögernd, aber dann entschlossen. Aber ob's auch natür-
Hch zugegangen ist, das war' noch eine andere Frage.
HEINRICH betreten. Wie ?! Warum diese . . . Nein.
Ich verstehe nicht, was Sie auf diese Vermutung bringt,
zu der nicht der geringste . . . Der Arzt hätte es doch
merken müssen.
HJUSDORFER. Warum denn? Man trinkt das
Morphiumflascherl aus, in der Früh' wird man tot im
Bett gefunden; die Angehörigen sind ja vorbereitet.
338
HEINRICH. Sie sagen das mit einer so eigentüm-
lichen Bestimmtheit . . . Hat meine Mutter vielleicht
eine Äußerung getan ? . . .
HAUSDORFER. Laß es dir genügen — ich irr'
mich nicht.
HEINRICH. Da Sie mir so viel gesagt haben,
Herr Hausdorfer, so werden Sie es wohl begreiflich
finden . . .
HAUSDORFER. Ich weiß es — frag' mich nicht
mehr!
HEINRICH. Ach so. Der Brief auf ihrem Schreib-
tisch . . .
HAUSDORFER mckt. Ja.
Pause.
HEINRICH betroffen. So, SO . . . Aber warum bin
ich eigentlich erstaunt ? Wie oft in diesen furchtbaren
Nächten hab' ich mich gefragt — ja, ich gesteh' es
Ihnen, auf die Gefahr, daß ich Ihnen wieder grauen-
haft erscheine — was uns armselige Geschöpfe denn
zwingt, so viel Elend, so viel Martern auf uns zu nehmen,
wenn es doch in unserer Macht liegt, jeden Augenbhck
selbst ein Ende zu machen.
HAUSDORFER. Heinrich!
HEINRICH. Wenn meine Mutter getan hat, was
Sie zu wissen behaupten, so hat sie recht getan.
HAUSDORFER. Heinrich!
HEINRICH. Das ist meine ehrliche Meinung.
HAUSDORFER. Aber du weißt ja nichts, Heinrich
— Du weißt ja gar nichts! Sie hätte ja weiter gelitten
und weiter gelebt, solang ihr der Herrgott das Leben
schenkt — für mich hätt' sie weitergelebt und für sich
— für die paar Stunden hier in dem Garten, der voll
Erinnerungen an unsere Jugend und an unser Glück
ist — gestorben ist sie deinetwegen — deinetwegen,
Heinrich, daß du's weißt — für dich!
HEINRICH immer erregter. Für mich ... für mich ?
. . . Ich verstehe Sie absolut nicht! . . . Für mich —
was heißt das?
339
HAUSDORFER. Verstehst du's wirklich nicht?
Kannst du dir's denn nicht denken ? Hast du nicht
selbst eben davon gesprochen ?
HEINRICH. Wovon?
HAUSDORFER. Hast du mir nicht selbst erzählt,
was in dir vorgegangen ist ? Und du bildest dir ein,
deine Aiutter hat nichts gemerkt ?
HEINRICH. Was hat meine Mutter gemerkt?
HAUSDORFER. Daß dich ihre Krankheit in
deinem Beruf gestört hat, daß du nichts mehr hast
arbeiten können — daß du Angst bekommen hast,
es ist für immer aus mit deinem Talent — daß du —
du! der Gequälte, der Gemarterte, der Ruinierte warst
— das hat sie gesehen und darum . . .
HEINRICH. Darum ? ! — Aber es ist ja nicht mög-
Hch!
HAUSDORFER. Nicht möglich? Es war deine
Mutter, so wird's schon möglich gewesen sein.
HEINRICH. Nein, Herr Hausdorfer, Ihr Gram
bringt Sie auf Vermutungen, die durch nichts gerecht-
fertigt sind. Ich v/eiß ja sehr wohl, daß meiner Mutter
mein Seelenzustand kein Geheimnis bleiben konnte,
so sehr ich mich bemüht habe — aber daß das der
Grund gewesen sein soUte . . . nein, das ist
HAUSDORFER ihn heftig unterbrechend. Warum wdllst
du mir denn nicht glauben ? Meinst du, ich lüge dir
was vor ? Ja, warum denn ? — Da! Nimmt einen Brief aus
der Tasche. Lies! Ues! da! Der Brief ist bei klarem Be-
wußtsein geschrieben — das ist der, der auf dem
Schreibtisch gelegen ist! Am letzten Abend hat sie ihn
geschrieben. Und eine halbe Stunde nachher ... Ja,
lies — da drin steht's . . . v/eil sie dich leiden gesehen
hat — sie dich — sie dich — darum ist sie fortgegangen
vor der Zeit — darum ist sie gestorben!
HEINRICH durchfliegt den Brief. Mutter! Mutter!
Sinkt wie vernichtet nieder. Für mich! Um meinetwillen!
Da bin ich ja ihr ... O Gott! O Gott! — Mutter!
Er vergräbt den Kopf auf dem Lehr.stuhL
340
HAUSDORFER siebt ihn an und nickt.
Große Pause.
HEINRICH erbebt sieb. Ich vdll nun gehen. Ich be-
greife, daß Ihnen mein Anblick schmerzlich sein muß.
Hier ist der Brief. Er behält ihn noch in der Hand. Er ist
bei klarem Bewußtsein geschrieben und enthält die
Wahrheit. Ja, ich zweifle nicht mehr. Nach einigem
Zögern. Erlauben Sie mir nur, Sie auf diese Stelle auf-
merksam zu machen.
HAUSDORFER. Welche?
HEINRICH. Diese hier. In der meine Mutter
Sie beschwört — Mit dem Finger darauf weisend. ,,Ich be-
schwöre dich . . ." mir von dem Inhalt dieses Briefes
nichts zu verraten und mich zeitlebens in dem Glauben
zu lassen, daß sie eines natürHchen Todes gestorben
sei. Dieser Brief war ausschließUch für Sie und ganz
gewiß nicht für mich bestimmt.
HAUSDORFER. Ich bestimm' ihn für dich! Ich
bestimm' ihn für dich! Ich erlaube mir — ich erlaube
mir. Du wirst es überleben.
HEINRICH. Sie haben durch Ihre Verfügung den
ganzen Sinn dieses freiwilligen, dieses Opfertodes zer-
stört. Ihr Wille war es nicht, daß ich mich als Mörder
fühlen, als ein Verdammter auf der Welt herumgehen
sollte! Und Sie werden \'ielleicht später selbst emp-
finden, daß Sie nicht nur an mir, sondern auch an ihr
ein Unrecht begangen haben, das beinah das meine
aufwiegt.
HAUSDORFER. Ich nehm's auf mich, Heinrich.
Ich hab' es dir sagen dürfen, dir schon. Du wirst dich
nicht lang als Schuldiger fühlen — nein! Du wirst
dich aufraffen! leben! gestalten!
HEINRICH. Das ist mein Recht, vielleicht sogar
meine Pflicht. Denn mir bleibt nicht anderes übrig
als mich selbst zu töten — oder den Beweis zu ver-
suchen, daß meine Mutter — nicht vergeblich ge-
storben ist.
HAUSDORFER. Heinrich! Vor einem Monat hat
34-1
deine Mutter noch gelebt, und du kannst so reden?
Für dich hat sie sich umgebracht, und du gehst hin
und schüttelst es von dir ab ? Und in ein paar Tagen
nimmst du's vielleicht hin, als war' es ihre Schuldig-
keit gewesen ? Hab' ich nicht recht : seid ihr nicht einer
wie der andere? Hochmütig seid ihr — das ist es:
hochmütig, alle, die Großen wie die Kleinen! Was
ist denn deine ganze Schreiberei, und wenn du das
größte Genie bist, was ist sie denn gegen so eine Stunde,
so eine lebendige Stunde, in der deine Mutter hier
auf dem Lehnstuhl gesessen ist und zu uns geredet
hat, oder auch geschwiegen — aber da ist sie gewesen
— da! und sie hat gelebt, gelebt!
HEINRICH. Lebendige Stunden ? Sie leben doch
nicht länger als der letzte, der sich ihrer erinnert.
Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden
Dauer zu verleihen, über ihre Zeit hinaus. — Leben
Sie wohl, Herr Hausdorfer. Ihr Schmerz gibt Ihnen
heute noch das Recht, mich mißzuverstehen. Im
Frühjahr, wenn Ihr Garten aufs neue blüht, sprechen
wir uns wieder. Denn auch Sie leben weiter. Er gebt
über die Terrasse^ aus der ein breiter Lichtstrahl von der Lampe in
den Garten fällt.
Vorhang.
342
//. DIE FRAU MH DEM DOLCHE
Schauspiel in einem Akt
PAULINE
LEONHARD
REMIGIO
Kleiner Saal einer Bildergalerie mit Werken der italienischen
Renaissance. An der Rückwand ein Bild, das eine sehr schöne Freu
in weißer Gewandung vorstellt, etwa in der Manier des Palma Veccbio.
Die Frau hat einen Dolch in der erhobenen Rechten und siebt zu
Boden, als läge dort einer, den sie ermordet bat. In der Mitte des
kleinen Saals ein Divan. Zuerst Stille; dann geht langsam ein Diener
vorbei. Pauline tritt ein — elegante Pelzjacke, Katalog in der Hand
— von rechts, geht quer durch den Saal, betrachtet ein Bild an der
linken Wand. Einige Sekunden darauf tritt Leonhard ein — ele-
ganter junger Mann in schwarzem Überzieher — ; er bleibt hinter
Pauline stehen.
LEONHARD
Guten Morgen, gnädige Frau.
P JULI NE
wendet sich um und lächelt.
Guten Morgen. Ich bin eben erst geKommen.
Saal neun — es stimmt doch ?
LEONHARD
Inwiefern ?
PAULINE
Nun, wir haben das letztemal bei Numero acht
aufgehört.
LEONHARD
Richtig. Ich woißte nicht, daß Sie das so genau
nehmen. Ich wagte kaum zu hoffen, daß Sie heute
kommen würden.
PAULINE
Ich hab' es Ihnen doch versprochen.
LEONHARD
Sie blieben gestern abend noch lange alle zusammen ?
PAULINE
Bis gegen Morgen. Ja. Sie sind früh verschwunden
— schade. Es war ein schönes Fest.
LEONHARD
Alan hat ihn sehr gefeiert.
344
PAULINE
War Ihnen das etwa unangenehm?
LEONHARD
Die ganze Welt mag ihm zu Füßen liegen, das
kümmert mich wenig. Aber Sie, Pauline, Sie haben
ihn gestern abend mehr geHebt als je — Sie waren
stolz auf ihn.
PAULINE
Hab' ich keine Ursache dazu ? Bewundern Sie ihn
nicht selbst ? Waren Sie nicht in der tiefsten Seele
ergriffen und haben Sie nicht wie wahnsinnig applau-
diert, als der Vorhang zum letzten Male fiel r
LEONHARD
Sie haben es bemerkt ?
PAULINE
Ich hab' ja oft genug zu Ihnen hinuntergeschaut.
LEONHARD
küßt ihr die Hand.
PAULINE
ihm die Hand leicht entziehend.
Wollten Sie mir nicht heut ein Bild zeigen, das
mir so ähnlich sein soll.
LEONHARD
Ganz recht. Da ist es. Dieses hier.
PAULINE
vor der Frau mit dem Dolch.
Dieses. — ja, es hat entschieden einen Zug von mir.
LEONHARD
Ah, mehr als das — es gleicht Ihnen geradezu. Ab-
gesehen von dem Dolch.
PAULINE
Warum „abgesehen" ? Lächelnd. Man kann nicht
345
wissen . . . Im Katalog blätternd. Numero siebenhundert-
sechsundzwanzig — „Frau mit dem Dolch" — un-
bekannter Maler — starb um 1530 .. .
LEONEARD
Es sind Ihre Augen.
FAVLINE
Sind — ? Es könnten meine Augen sein. Bleiben
wir doch ein wenig in diesem Saal; ich fühle mich
hier sehr wohl.
LEONHARD
Pauline —
PAULINE
Ich glaube — nicht um Ihretwillen. Da drüben bei
den alten Deutschen und Niederländern neuhch war
mir gar nicht so behaglich, aber hier hab' ich eine Art
von Heimatsgefühl. Wahrhaftig, diese Leute muß ich
alle schon einmal gesehen haben. Sehen Sie doch,
wie bekannt mich zum Beispiel auf ein Bild an der rechten
Wand weisend: dieser Herr dort anblickt. Es würde mich
nicht wundern, wenn er mich grüßte.
LEONHARD
Wahrscheinlich hat er zu Beginn des sechzehnten
Jahrhunderts in Ihrem Hause verkehrt.
PAULINE
Warum nicht ? Meine Mutter stammt aus Florenz.
Jedenfalls hat man sich damals schöner getragen als
heut, — womit ich nichts gegen Ihren neuen schwarzen
Überzieher sagen will, der Ihnen vortrefflich steht.
LEONHARD
verbeugt sieb.
PAULINE
Aber trotzdem, es ist nicht zu leugnen —
346
LEONHARD
Was?
PAULINE
lächelnd.
Wenn Sie mir in solch einer Tracht begegnet wären,
ja dann —
LEONHARD
Ich bin untröstlich, daß ich damals nicht das Ver-
gnügen hatte.
PAULINE
Was wissen Sie denn ? — wir erinnern uns vielleicht
nicht.
LEONHARD
Ich versichere Sie, gnädige Frau, das hätt' ich nicht
vergessen.
PAULINE
nacbdenklicb werdend.
Vielleicht gehört nur ein fester Wille dazu.
Fause^ in der sie ihre Blicke von einem Bild zum andern scbtoeifen läßt.
LEONHARD
Sie wissen wohl, daß man heute überall von Ihrem
Gatten spricht.
PAULINE
wieder in der Gegenwart.
Das kann ich mir denken.
LEONHARD
mit Bedeutung.
Und von Ihnen.
PAULINE
Nun ja. Sie will weitergeben.
LEONHARD
Pauline!
PAULINE
sieb wieder zu ibm wendend^ etwat zerstreut.
Nun, was wollen Sie ?
347
LEONHARD
Wie konnten Sie's ertragen, Pauline?
PAULINE
sieht ihn sonderbar lächelnd Ufi.
LEONHARD
Jeder im Theater wußte, was für ein Schauspiel
man aufführte. Es war einfach die Geschichte —
PAULINE
% ihn rasch unterbrechend.
Von der Prinzessin Maria, denk' ich.
LEONHARD
So hieß es.
PAULINE
ja. Wer gestattet Ihnen zu vermuten, daß es ein
anderes war ?
LEONHARD
Ich gestatte mir zu wissen, was die ganze Stadt weiß.
Nur weiß ich noch etwas mehr.
PAULINE
Das wäre ?
LEONHARD
Daß es gestern abend einen Augenblick gegeben
hat, in dem Sie ihn haßten.
PAULINE
Wen ?
LEONHARD
Den, für den Sie und Ilir ganzes Schicksal nichts
anderes zu bedeuten hat, als eine Gelegenheit, seinen
Witz oder meinethalben sein Genie zu zeigen.
PAULINE
Vielleicht hat mein ganzes Leben gar keinen andern
Sinn gehabt.
348
LEONHARD
Und auch das gehörte zum Sinn Ihres Lebens^
daß seine Geheimnisse vor den Pöbel hingeworfen
werden? Nicht pathetisch. Prinzessin Maria! und jeder
wußte, es ist die, die da oben in der Loge sitzt. Meister
Gottfried! und jeder wußte, der hat das Stück ge-
schrieben. Und alle Worte und Küsse unten auf der
Bühne — und sein Verrat — und ihre Verzweiflung
— und seine Rückkehr und ihr Verzeihen — und alle
Erbärmlichkeit und alle Glut — alles wahr — und
Herr Gottfried hatte daraus ein Stück gemacht —
und Prinzessin Maria saß in der Loge und sah der
Komödie zu. Ah Pauhne, mir war gestern immer,
als müßt' ich zu Ihnen — Sie holen, Sie befreien, Sie
retten. Denn wie eine Sklavin kamen Sie mir vor,
wehrlos und erniedrigt. Mitleid hatt' ich mit Ihnen
und habe mich zugleich geschämt.
PAULINE
Sie haben sich geschämt — Sie ? warum ?
LEONHARD
Weil ich Sie liebe. Pauline.
PAULINE
sieht ihn ruhig an.
LEONHARD
Zürnen Sie mir nicht. Pauline. Ich weiß ja, daß
mein ganzes Recht, so mit Ihnen zu reden, nur darauf
beruht, daß mich nichts auf der Welt kümmert als
Sie, daß ich bereit wäre, für Sie zu sterben, und daß
ich jung bin.
PAULINE
Das ist vielleicht nicht so wenig. Aber lassen wir
das. Und gehen wir endlich weiter. Kommen Sie.
AhKehrend. Nichts mehr, nichts mehr, ich bitte Sie.
349
LEONHARD
dringender.
Warum, Pauline, sagen Sie selbst, warum sind Sie
heute gekommen ? Warum waren Sie vorgestern hier,
warum vor acht Tagen ? Warum, Pauline, hat gestern,
als ich schweigend neben Ihnen saß, Ihr Knie das
meine berührt und gebebt ? Warum werden Ihre
BUcke feucht, während ich zu Ihnen rede, und warum
verlangen Ihre Lippen nach den meinen, während wir
hier ruhig nebeneinander stehen?
PAULINE
Was sollen diese heftigen Fragen, Leonhard? Ich
leugne nichts ab; denn das find' ich widerwärtig und
feig. Aber die schlimmste von allen Lügen wäre doch,
wenn ich Ihnen sagte, ich hebe Sie. Es hat keinen
Augenblick gegeben, in dem ich es selbst glaubte; und
doch gab es einen Augenblick, in dem ich bereit war,
Ihre Geliebte zu werden. Sie haben ihn versäumt
und er v?ird nicht vnederkommen. Nie werden Sie
erraten, wann das war. Ja, es ist nun einmal so. Das
ist keine Schande für mich und keine Ehre für Sie.
Es ist millionenmal dagewesen. Nur sagen andere
Frauen in meinem Fall: Ich hege für Sie die Liebe
einer Schwester, einer Freundin — verlangen Sie
keine andere. Ich, Leonhard, sage Ihnen, daß ich so
ziemlich alles für Sie fühle, was Sie sich nur v^ünschen
könnten, nur Freundschaft nicht, bei Gott, nein.
Hält inne, tote verloren. Hab' ich Ihnen nicht das schon
einmal . . . ?
LEONHARD
aufflammend.
Nein! so haben Sie nie zu mir geredet!
PAULINE
Sonderbar — mir war doch ganz . . .
LEONHARD
Warum schweigen Sie plötzlich?
350
PAULINE
Was ist mir . . . ? wo bin ich . . . : Verloren. Ich
schweige. Allmählich erwachend. Nu ja, was ist noch
weiter zu sagen? Leben Sie wohl.
LEONHARD
befremdet.
Was bedeutet das ?
PAULINE
Wie sehen uns heut zum letztenmal, das ist alles.
LEONHARD
Zum letztenmal?
PAULINE
Ja. Morgen früh reise ich mit meinem Gatten nach
Italien.
LEONHARD
Wann kommen Sie zurück ?
PAULINE
Ich weiß es nicht. Für Sie niemals.
LEONHARD
Sie scherzen, Pauhne! Davon war doch nie die Rede.
PAULINE
Es konnte davon nicht die Rede sein. Ich weiß
es selbst erst seit heute früh.
LEONHARD
PauHne, was ist geschehen ? warum das alles ?
PAULINE
Warum? — Weil ich keine Lust habe, für — wie
heißt das doch ? für eine selige Stunde meine Ruhe,
mein Lebensglück, vielleicht mein Leben selbst hin-
zugeben.
351
LEONHARD
Und Ihr Gatte — was sagt er zu diesem plötzlichen
Entschluß, nach Italien . . . ?
PAULINE
Mein Gatte ? Ich hab' ihn selbst gebeten, mit mir
fortzufahren.
LEONHARD
Unter welchem Vorwand?
PAULINE
Unter keinem Vorwand. Ich hab' ihm die Wahr-
heit gesagt wie immer.
LEONHARD
Wie immer?
PAULINE
Ich hab' ihm am ersten Tag geschworen, ihm jede
Regung meiner Seele einzugestehen, wie er mir.
LEONHARD
Und heute früh — ?
PAULINE
Hab' ich ihm gestanden, daß ich in Gefahr bin,
LEONHARD
Und er?
PAULINE
Hab' ich's nicht gesagt ? Wir reisen fort.
LEONHARD
Pauline! Und Sie glauben, er wird Ihnen jemals
diese Regung verzeihen?
PAULINE
Warum nicht? Ich hab' ihm mehr vergeben.
LEONHARD
Er ist ein Mann, und wir alle sind eitel. Er ist ein
352
Dichter und tausendmal eitler als wir alle. Er wird Sie
Ihr Leben lang büßen lassen.
PAULINE
Das muß ich tragen.
LEONHARD
Er wird Sie so bitter peinigen, als wenn es geschehen
wäre.
PAULINE
War' es geschehen, so würde er mich umbringen.
LEONHARD
Was fällt Ihnen ein. Er macht ein neues Stück
daraus, und am Ende ist er Ihnen noch dankbar.
PAULINE
Möglich. Er wäre der Mann, beides zu vereinigen.
LEONHARD
Pauline, wann reisen Sie?
PAULINE
Ich sagte es ja: morgen.
LEONHARD
Morgen erst? So gehört das Heute noch un«.
PAULINE
Sie sind verrückt.
LEONHARD
Ich erwarte Sie heut abend. Pauline.
PAULINE
Aber Sie sind nicht bei Sinnen.
LEONHARD
Nie war ich so vernünftig als in diesem Augenblick.
ThealcrstUcSccu II, a» 3 1^ 3
PAULINE
Leonhard! — Und gar jetzt> da er so viel weiß.
LEONHARD
Ich sterbe tausendmal für Sie, Pauline. Faßt ihre Hand.
PAULINE
Nein, nein! Leben Sie wohl. Es ist lauter Unsinn.
Ich liebe Sie ja gar nicht. Adieu!
LEONHARD
Pauline!
Die Mittagsglocken beginnen zu läuten.
PAULINE
Lassen Sie mich gehen; ich muß nach Hause. Hören
Sie doch, es ist schon zwölf Uhr. Er weiß ja auch,
daß ich hier bin, um Ihnen Adieu zu sagen. Und
wenn ich es wagte, heute abend fortzugehen . . .
LEONHARD
Nun?
PAULINE
Wir beide wären verloren.
LEONHARD
Ich werde warten. Pauline, ich . . . Sie stehen vor dem
Bild der Frau mit dem Dolch.
Die Glocken tönen fort.
PAULINE
näher hinblickend.
Wer liegt hier im Schatten?
LEONHARD
Wo?
PAULINE
Sehen Sie nicht ?
LEONHARD
Ich sehe nichts.
354
PAULINE
Sie sind es.
LEON H ARD
Ich, Pauline? Was für ein sonderbarer Scherz!
PAULINE
sieht um sich.
Und alle diese . . . nein . . , Wer hat es gemalt ?
LEONHARD
Wir lasen ja eben: unbekannter Maler, starb um
1530.
PAULINE
Unbekannt . . .
LEONHARD
Pauline, was haben Sie denn?
PAULINE
Ich bin es — kennen Sie mich nicht?
LEONHARD
Ich sagt' es ja, die Ähnlichkeit ist außerordentlich.
PAULINE
Ich bin es, ich bin es selbst. Erkennen Sie mich
nicht ? Und hier im Schatten — der tote Jüngling —
Sie —
LEONHARD
Ich, Pauline? Was ist Ihnen?
PAULINE
Erinnern Sie sich nicht, Leonhard ? Sie bäh ihn bei der
Hand; beide setzen sich langsam auf den Divan, den Blick dem Bilde
zugewendet,
LEONHARD
Erinnern . . . ?
PAULINE
Lionardo, erinnerst du dich nicht?
Plötzliche Verdunkelung der Bühne. Sehr rasche Verwandlung.
Bis es wieder licht wird^ tönen die Glocken weiter^ dann verstummen
sie plötzlich.
u* 355
Das Atelier des Meisters Remigio. Morgengrauen. Links eine
kleine 7üre^ rechts eine schwer geraffte dunkelrote Portiere. Großes
Bogenfenster im Hintergrund. Im Saale einige Kopien nach antiken
Plastiken. Bilder an der Wand, der Zeit entsprechend. Auf einer
Staffelei rechts ziemlich vorn ein verhängtes Bild. — Nah der Por-
tiere auf dem Boden liegt Lionardo (Leonhard) im Dunkel^ nicht
schlafend. Vollkommene Stille. Nach einigen Sekunden tritt Paola
(Pauline) auf, in weißem Nachtgewand, ganz dem Bilde gleichend^
das man in der vorigen Szene sah. Sie geht an Lionardo vorbei, ohne
ihn zu sehen, langsam bis zur Staffelei, entfernt leicht den Schleier
von dem Bild. Es ist das gleiche, wie in der vorigen Szene, nur noch
nicht vollendet, insbesondere fehlt der ausgestreckte Arm und die
Hand, die den Dolch hält. Natürlich wird das Bild erst deutlicher
sichtbar im Verlauf der Szene, wenn es lichter wird.
PAOLA
betrachtet das Bild lang.
LIONARDO
ist ihr ziemlich nahe, auf dem Boden zu ihr, küßt den Saum ihrei
Kleides.
PAOLA
zuckt leicht.
Was fällt Euch ein? Verließt Ihr nicht das Haus?
LIONARDO
Paola, nein! ich blieb vor Eurer Tür.
PAOLA
Jetzt aber eilt.
LIONARDO
Der Duft von Euren Küssen
Ist noch in meinem Haar. Ich gönn' ihn nicht
Dem Wind der Nacht, der ihn ins Weite trägt.
PAOLA
Wie wenig klug. Der Morgen graut heran,
Ein Diener wacht vielleicht und sieht Euch gehn.
LIONARDO
So bleib' ich denn, des Tages hier zu warten,
Steht auf und meiner Arbeit glüht sein erstes Licht.
3S6
PAOLA
Wozu die Müh'? Daß Ihr's nicht lassen könnt!
Wärt Ihr des jüngeren Bassano Schüler,
Auch des Andrea Galbi oder Franco,
Dann könnt ich Euern Eifer wohl verstehn.
Doch hier, von Unerreichbarkeit geblendet,
Wie kommt's, daß Euch der Pinsel nicht entgleitet,
Daß Ihr nicht täghch das Entworfne löscht
Und hoffnungslos, ohnmächtig und zerbrochen
Auf den geweihten Boden niedersinkt.
Drauf einer wandelt, dem kein andrer gleicht?
LIONARDO
Ich weiß, daß ich ein Stümper bin, Paola,
Nicht wert, zu atmen, wo der Meister schafft.
Und mancher Morgen schlich so zag hervor
Aus dem Gewölk der Nacht, daß mich's versuchte,
Mein eignes Dasein lieber abzutun.
Heut aber ist ein andrer Tag, Paola,
Und nicht für allen Ruhm des Unverglichnen
■Qeb' ich die trunkene Erinnrung preis,
Daß seine Gattin mein war heute nacht.
Fragt doch Remigio, wenn er wählen dürfte,
Was er sich wählte.
PAOLA
ernst.
Niemand hat die Wahl,
Nicht er, noch ich, noch Ihr — es fällt uns zu.
LIONARDO
Und jedem ward nach Willen und Gebühr.
PAOLA
vor sieb bin.
Ihr denkt ? . . .
LIONARDO
Denn er erkennt in Euch
Kaum, was Ihr seid, ich aber mehr als Euch:
357
Erfüllung jeder Schönheit, die ich ahnte,
Durchflimmert Euern Leib, aus Euerm Aug'
Erglänzt mir alles Lebens Sinn zurück.
Ihm ist Euer tiefstes Wesen nichts als Anlaß
Und Stachel seiner Kunst, verrätrisch lockt
Aufs AntHtz Euch sein Kuß der Seele Glut
Zur Fördrung eines Bildes, das Euch gleicht.
Und glaubt mir, wenn dies letzte ihm gelang,
Das unvollendet seiner Rückkunft harrt,
Schwand all sein Lieben hin.
PAOLA
Das weiß ich gut;
Denn ich bin dann nichts mehr, bin ausgeschöpft.
Und mein Lebend'ges bebt in jenem Bild.
Vor dem Bild.
Ein Rätsel, bHck' ich selber mir ins Antlitz,
Nie schaut ich also, doch so könnt' ich schaun. —
Es istj als war' mir etwas aufbewahrt,
Das besser oder schlimmer ist als alles.
Was jemals ich gedacht und je getan,
Und eine lebensdurst'ge Möglichkeit
Verbirgt sich unter halbgeschloßnen Lidern.
War' er doch wieder da — war' er doch da!
Was sehnt sich so? — Dies Bild in mir?
Ich in dem Bild ? — Du warst zu lange fort, —
Zu lang, Remigio! Ach ein Jahr währt ewig!
LIONARDO
Ihr träumt, Paola! Seit er Euch verließ,
Verstrich kein Monat.
PAOLA
Sehnsucht mißt die Zeit
Nicht nach der Tage Zahl. Doch heute kommt er.
Heut endlich.
LIONARDO
Wieder irrt ihr. Wenn er gestern
358
Florenz verließ, wie seine Absicht war,
So kommt er morgen um die Mittagszeit.
PAOLA
Nein, heut!
LIONARDO
Unmöglich ist's, Paola. Nicht
Mit einigem Hohn.
Die Luft durchflatternd auf der Sehnsucht Schwingen,
Nein, vorgemeßnen Weg auf ird'schem Roß,
Dem ärmlichen Gesetz des Schlafs, der Nahrung
Wie wir gemeinern Leute Untertan,
Reist er nach Haus.
PAOLA.
Erst morgen! Ach, warum
Beinahe scbmerzlich.
Darf ich die Stunden nicht, die unnütz leeren.
In meiner Hand wie taube Nüsse knacken ?
Ihr sagt: ein Tag — er brach noch kaum herein,
Doch gab' ich willig alles Leben hin.
Das mir noch übrig, kam' er jetzt und gleich!
Paola!
Was?
LIONARDO
PAOLA
gleichgültig.
LIONARDO
heftig.
Paola, sieh mich an!
Et bat ihre Hand erfaßt, die er nun hält.
PAOLA
die Har.d in der seinen, aber ohne sich zu ihm zu wenden.
Wozu? Ich kenn' dich doch! Nun ja, du bist
Der junge Lionardo. — Ja — ich weiß.
Und bist ein Farbenreiber. Nein ? Was denn ?
Ein Page etwa an des Fürsten Hof?
359
Wie? oder Prinz von Arragonien?
Verzeih — kein Page, Prinz und Farbenreiber,
Ein Maler — ja — mit Namen Lionardo.
Und bist sehr hübsch, ich weiß. Weshalb verlangst du,
Daß ich dich ansehn soll? Geschloßnen Augs
Sag' ich dir mehr, und alles, was du willst.
Dein Haar ist braun und kraust sich an der Stirn,
Blau ist dein Aug', die Brauen dunkeln tief.
Dein Hals ist weiß, wie eines Mädchens Hals,
Und gertengleich geschmeidig deine GHeder.
Dein Arm ist stark . . . Nun, sagt' ich nicht genug ?
Muß ich dich sehn ? Gib doch die Hand mir frei !
Entzieht ihm die Hand.
LIONARDO
Paola, spielst du so mit mir? Paola!
PJOLA
• ohne Blick für ihn.
Ob in Florenz ihm neuer Auftrag ward ?
Ist's so, dann geh' ich nächstesmal mit ihm.
Denkt, Lionardo, seit ich Mädchen war,
Hab' ich Florenz nicht mehr, des Cosmo Hoheit,
Hab' meine Brüder seither nicht gesehen.
Doch ist's nicht Heimweh, das mich plagt. Die Damen
Am Hof der Medici sind sehr galant.
Und ganz besonders, hab' ich sagen hören,
Wenn solch ein Künstler aus der Fremde kommt,
So harren sie vor seinem Schlafgemach,
Bis sie die Reihe trifft.
LIONARDO
Was geht's dich an,
Mit wem Remigio schläft?
PAOLA
mit einem raschen Blick.
Wahr — Lionardo!
Zusammen wach sein, das allein bedeutet.
360
Und dennoch, wie Erfahrung lehrt, begibt sich's
Zuweilen, daß ein nächtlich Abenteuer,
So nichtig und so wesenlos es schien,
Zudringlich nachläuft in den hellen Tag
Und sich wie was Lebendiges gebärdet.
LIONARDO
Paola, heute nacht warst du —
PAOLA
Die Deine! \
Versuch' es auszusprechen, da es tagt!
Hab' ich mit süßem Wort dir schöngetan?
Hab' ich geflüstert wie die andern Fraun:
„Ich Hebe dich und dein hab' ich gewartet" ?
Vernahmst du andern Laut von diesen Lippen,
Als den beklommnen Aufschrei wilder Lust?
Es ist nicht mehr und also war es nie!
LIONARDO
Paola, nein! es war und darum ist es!
Und wird sein, und mein Recht auf dich besteht!
PAOLA
Ein Recht? auf mich ein Recht! Begreifst du nicht,
Daß es erlosch mit dieser Nacht Gestirnen,
Und daß du jedes Rechtes ledig bist
Trotz aller Jugend, Schönheit, Kraft und Mut,
Als wärst du häßhch wie ein Ungetüm,
Wie Knaben unreif oder lahm wie Greise?
LIONARDO
Paola, sag', daß diese schhmmen Worte
Nur Proben meiner Zärtlichkeit bedeuten!
Laß es genug sein!
PAOLA
Still! Der Morgen kam.
LIONARDO
Doch wieder kommt die Nacht!
361
PAOLA
Die unsre nie!
Bescheidet Euch! Zurück an Euern Platz.
LIONARDO
auf den Knien.
Dies ist der meine — oder 's ist das Grab!
PAOLA
Weh euch, wenn Ihr es wagt, mich zu berühren!
LIONARDO
Was droht mir dieser unheilvolle Blick,
Und was versprach und hielt er diese Nacht!
PAOLA
Genug, genug! Bei Gott! steht Ihr nicht auf,
Verfahr' ich so mit Euch, wie mein Remigio
Mit dieser roten Peregrina tat,
Die auch gelaufen kam und jammerte
Und sich im Staube wälzte, so wie Ihr:
„Ich lieb' Euch so" und „Ach wie lieb' ich Euch!"
Und: „Ihr habt mich geherzt" und: „Denkt Ihr noch"
Und „Heute nacht" und „Ach! — "
LIONARDO
Und Euer Mann ?
PAOLA
Hinausgejagt hat er die freche Dirne!
Große Pause.
LIONARDO
erbebt sich langsam, dann in ganz anderem Tone.
Nein, nicht wie Peregrina bin ich — nein.
Denn wäre Peregrina, wie ich bin,
Sie hätte so getan, wie ich nun werde.
Lebt wohl.
PAOLA
Du willst dich töten ? Ich bin's wert.
362
LIONARDO
Ihr seid's, Paola, darum muß icL's tun —
Vor Eurer Tür, mit Eurem Dolch, Paola.
Er nimmt den Dolch von einem kleinen Tischchen.
So wird ein jeder glauben, auch Remigio,
Daß ich's aus Gram verschmähter Liebe tat.
Ich wiU es tun, Paola, ja — für mich
Vor allem, denn es brennt die Schmach zu heiß.
Doch auch für Euch ein wenig, dünkt mich sehr.
PAOLA
Für mich?
LIONARDO
Von schlimmer Angst Euch zu befrein.
Daß ich mit einem Blicke mich verriete.
Und eure Schuld sich also offenbart.
PAOLA
Was sagst du ? Angst ? Was, denkst du, daß ich fürchte ?
LIONARDO
Was manche Frau von dem erlitten hat.
Den sie betrog. Paola — atmet frei; —
Ich treffe Eurer Sorge gut ins Herz!
Wendet sich zj^m Gehen.
PAOLA
Bleibt Lionardo! Sprecht's noch einmal aus,
Daß meine Feigheit in den Tod Euch sendet!
LIONARDO
Ihr seid nicht feig, Paola; Ihr wollt leben.
Ist solches nicht des Schuldbeladnen Mut?
PAOLA
Des Schuld'gen Mut ist, seine Schuld gestehn!
Ihr bleibt!
LIONARDO
Paola! Euerm Gatten —
363
PAOLA
Sdll!
Huf schlage im Hof. Beide lauseben.
PAOLA
Hört Ihr?
LIONARDO
Er ist's!
PAOLA
So war sein Sehnen doch
Von tiefrer Macht als irdische Gesetze.
Er ist zurück! Am Fenster. Er steigt vom Pferd, er gibt
Dem Knecht die Zügel. Komm! ich bin bereit!
LIONARDO
Was wollt ihr tun?
PAOLA
Ich sagt' es!
LIONARDO
Nein, Paola!
Ich bitt' Euch sehr, steht ab von diesem Wahn!
Wagt's nicht! Zu sehr vertraut Ihr seiner Größe.
PAOLA
Sein lächelnd Auge sucht mich. Hinahwinkend. Sei
gegrüßt !
Ich fürchte sehr, du lächelst heut nicht mehr.
LIONARDO
Doch treibt Gewissen Euch, die Schuld zu beichten.
So klagt mich an zuerst, und mich allein!
Sagt, daß ich einen Liebestrank Euch reichte,
Daß ich an Euerm Leben Euch bedroht —
Doch Euern Anteil an der Schuld verschweigt!
Mehr als die Gattin hebt er seinen Stolz,
Und was er hinwarf wie in keckem Scherz
Beim Abschiedsmahl an unsres Fürsten Tafel —
364
Ich hört' es wohl, ich saß Euch gegenüber,
Und da er sprach, fiel Euer Blick auf mich —
PAOLA
Denkt Ihr noch dran ?
LIONARDO
Ich schwör' Euch, daß er's tutl
Und daß er, wie er's lachend schwur beim Fest,
Gleich einem durst'gen Tier in Eure Kehle
Die Zähne gräbt! — Ich fleh' Euch an, Paola,
— Sein Tritt ist auf der Stiege — spracht Ihr's aus.
Gibt's keinen Widerruf, nur sichern Tod!
Verzeiht mein vorschnell Wort, ich fleh' Euch an!
Nie wieder wird Euch mein verhaßter AnbHck, —
Noch heut vor Abend flieh' ich diese Stadt —
Ich war ein Schatten an der Wand und schvv^inde.
Nicht mir gehört Ihr, doch auch diesem nicht,
Allein das Leben hat ein Recht auf Euch!
Gebt's nicht dahin. Mehr als gemeines Unglück,
Es wäre Sünde wider Licht und Frühling!
O lebt! Ihr seid zu herrlich, um zu sterben,
Und ihr verlaßt zu vieles, wenn Ihr geht!
Im Vorgemach die Türe gleitet leis — _
Ich glaub' an Euern Mut, Paola, ja!
Seid gnädig und vergebt mir! Ich gelobe.
Daß ich in einer Stunde nicht mehr bin.
— Die Schnalle hält er in der Hand — Paola!
REMIGIO
tritt ein^ heiter auf Paola zu.
PAOLA
abwehrend.
Gib acht, daß du nicht vorschnell mich umarmst.
Der hier war mein Geliebter heute nacht.
Große Pause.
REMIGIO
Geh, Lionardo.
365
LIONARDO
Tötet mich, Remigio!
Ich nehme keine Gnade von Euch an!
REMIGIO
Nicht Gnade ist's, die dir die Türe weist.
So wenig als dir Zorn den Weg versperrte;
Nichts regt sich mir, das Lionardo gilt.
Ich brauche deiner nicht, drum sollst du gehn.
LIONARDO
So bitt' ich Euch, Remigio: tötet mich!
REMIGIO
Wer haßt, mag töten, — töten mag, wer liebt!
Gleichgültigkeit greift nach der Waffe nicht.
Das Glas zersplittr' ich nicht, das ärmlich schlechte.
Daraus ein Kind verbotenen Trank genoß.
Daß dir die Gabe des Bewußtseins ward,
Macht mir aus dir nichts andres, als du bist,
Erbärmliches, zufäll'ges Instrument.
LIONARDO
Ich bat um Tod, doch jetzt verlang' ich ihn!
REMIGIO
Mir gilt dein Wunsch so wenig als dein Flehn.
LIONARDO
So zwing' ich Euch dazu!
REMIGIO
Mich zwang noch keiner!
LIONARDO
Ich stell' mich auf den Markt und schrei' es aus,
Daß ich heut nacht Paolas Gunst genoß!
REMIGIO
So wird man's eine Stunde früher wissen.
366
LIONARDO
Im Angesicht des Hofes höhn' ich Euch,
Der aus Bequemlichkeit den Großen spielt!
'nen Schurken nenn' ich Euch und lüge laut,
Daß Euer Weib ins Schlafgemach mich lockte!
REMIGIO
Begrabne schmähn ward man Euch übelnehmen.
LIONARDO
Noch einmal: — tötet mich! Es könnte sein,
Daß Ihr die rechte Zeit dazu versäumt,
Denn neue Lust zu leben regt sich mir.
Und mich bedünkt, ich hab' noch was zu tun,
Da ich Euch hasse, wie noch nie ein Mann
Auf Erden einen andern Mann gehaßt!
Wohl tat ich's im^mer, doch ich weiß es erst,
Seit Eures Hochmuts gift'ger Regenschauer
Auf das gebeugte Haupt herniederschlägt.
Ich hass' Euch so, daß ich Euch töten will,
Wo immer in der Welt Ihr mir begegnet.
Und hass' Euch tausendfach, weil aller Tod
Von meiner Hand Euch doch nicht töten kann,
Der Ihr der Welt fortlebt in Euerm Werk,
In ihrer Sehnsucht Euerm Weib, und mir
In meinem Haß, der stärker als der Tod!
Und dennoch tot' ich Euch; denn daß es nutzlos.
Jagt meinen Willen wie mit Peitschen auf!
Laßt mich nicht fort, Remigio! So ge\viß
Als hätten Tausend Euren Tod gelobt.
Seid Ihr im gleichen AugenbHck verloren,
Da diese Türe hinter mir sich schloß!
REMIGIO
geht zur Tür und öffnet sie.
Weit offen steht sie — gehe deinen Weg.
Er wendet sich wieder; Lionardo gebt zur Tür.
PAOLA
Laß ihn nicht fort! Er hält den Schwur, Remigio!
367
LIONARDO
sieb wendend.
So wahr ich lebe!
PAOLA
Ja, so wahr du lebst!
Sie eilt auf ihn zu und sticht ihm den Dolch in den Hals.
LIONARDO
sinkt sterbetid zu Boden.
In diesem Augenblick sieht Paola genau so aus, wie auf dem Bild
in der ersten Szene, den Dolch in der Hand und den Blick auf den
toten Lionardo gerichtet.
REMIGIO
Paola!
Sehr große Pause, Paola bleibt regungslos bis zum Schluß der Szene
stehen.
REMIGIO
betrachtet sie lang; allmählich verändern sich seine Züge, werden
gefaßt, beinahe heiter.
War dies der Sinn? Ist mein Gebet erhört,
Daß für mein Bildnis mir Erleuchtung werde?
Ja, so voUend' ich's! Der du dies gefügt,
O Himmel, eine Stunde lang gewähre
Der Seele Frieden, Ruhe dieser Hand.
£r geht zu der Türe, sperrt sie ab; dann gebt er zur Staffelei.
PAOLA
Steht regungslos wie früher.
Rasche Verwandlung. — Plötzlich tönen die Glocken wieder, wi*
am Schlüsse der ersten Szene. — Der kleine Saal wie im Anfang,
PAULINE
Erinnerst du dich — ?
LEONHARD
Wo sind Sie? — Pauline?
368
PAULINE
noch wie im Traum.
Kommt alles wieder, was wir einst erlebt . . . Lio-
nardo — Muß es wiederkommen ?
LEONHARD
Pauline . . . was ist Ihnen — ?
PAULINE
zvie erwachend.
Leonhard — ? Sieht um sich.
LEONHARD
Sie waren einen Augenblick lang wie verloren.
PAULINE
Einen Augenblick — ?
LEONHARD
Wo waren Sie ?
PAULINE
Wo ich war? Ihn lange betrachtend. Da Sie's nicht
wissen, können Sie's auch nicht verstehen. — Siebt auf.
Leben Sie wohl! . . . Entfernt sich von ihm.
LEONHARD
Pauline — auf immer — ?
PAULINE
Auf — immer — !?
LEONHARD
Und heut abend . . .
PAULINE
Heut abend . . . ? Heut abend — ? In ihren Zügen drückt
sich allmählich die Überzeugung aus, daß ein Schicksal über ihr ist,
dem sie nicht entrinnen kann. Sie reicht Leonhard die Hand, sieht
ihm ernst und fest ins Auge und sagt, nicht mit dem Ausdruck der
Liebe, sondern der Entschlossenheit: Ich komme. — Dann geht
sie rasch ab.
Vorhang.
TheaterotCcks. II, 14. ^69
IIL DIE LETZTEN MASKEN
Schauspiel in einem Akt
KARL RADEMACHER, Journalist
FLORIAN JACKWERTH, Schauspieler
ALEXANDER WEIHGAST
DR. HALMSCHLÖGER, 1 Sekundär ärzU im Wiener
DR. TANN, j allgemeinen Krankenbaut
JULIANE PASCHANDA, Wärterin
Ein kleinerer Raum — sogenanntes ,,Extrakammert" — im allgemeinen
Krankenbaus, in Verbindung mit einem großen Krankensaal; statt
der Türe ein beweglicher Leinenvorbang. Links ein Bett. In der
Mitte ein länglicher lisch, darauf Papiere, Fläschchen usw. Zwei
Sessel. Ein Lehnstubl neben dem Bett, Auf dem Tisch eine brennende
Kerze.
KARL RADEMACHER, über 50 Jahre, sehr her abgekommen,
ganz grau, auf dem Lehnstuhl, mit geschlossenen Augen. FLORIAN
JACKWERTH, etwa 28 Jahre, sehr leuchtende, wie fieberische
Augen^' glatt rasiert, mager, in eiriem Leinenschlafrock, den er gelegent-
lich in bedeutende Falten legt. Die Wärterin, JULIANE PA-
SCHANDAj dick, gutmütig, noch nicht alt, am Tisch mit einer
Schreibarbeit beschäftigt.
FLORIAN schlägt den Vorbang zurück, kommt eben aus dem
Saal, der von einer Hängelampe schwach beleuchtet ist, tritt zur
Wärterin. Immer fleißig, das Fräulein Pasctianda.
WÄRTERIN. Ja, sind Sie schon wieder aufgestan-
den? Was wird denn der Herr Sekundarius sagen!
Gehn S' doch schlafen.
FLORIAN. Gewiß, ich denke sogar einen langen
Schlaf zu tun. Kann ich Ihnen nicht behilflich sein,
schönes Weib ? Ich mein' nicht beim Schlafen.
WÄRTERIN kümmert sich nicht.
FLORIAN schleicht zu Rademacber bin. Schaun Sie,
Fräulein Paschanda — so schaun S' doch her!
WÄRTERIN. Was woUen Sie denn?
FLORIAN wieder zu ibr. Meiner Seel', ich hab' ge-
meint, er ist schon tot.
WÄRTERIN. Das dauert schon noch eine Weile.
FLORIAN. Glauben Sie, glauben Sie? — Also
gute Nacht, Fräulein Juliane Paschanda.
WÄRTERIN. Ich bin kein Fräulein, ich bin Frau.
FLORIAN. Ah so! Habe noch nicht die Ehre ge-
habt, den Herrn Gemahl kennen zu lernen.
WÄRTERIN. Ich wünsch' es Ihnen auch nicht.
Er ist Diener in der Leichenkammer.
FLORIAN. Danke bestens, danke bestens. Habe
keinerlei Verwendung. Sie, Frau Paschanda, vertraulieb
haben Sie das Fräulein gesehn, das mir heute nach-
mittag die Ehre ihres Besuchs erwiesen hat ?
371
WÄRTERIN. Ja; die mit dem roten Hut.
FLORIAN ärgerlich. Roter Hut — roter Hut . . .
Es war eine Kollegin von mir — jawohl! Wir waren
zusammen engagiert im vorigen Jahr — in Olmütz.
Erste Liebhaberin jenes Fräulein — jugendlicher Held
der ergebenst Unterzeichnete. Schaun Sie mich an,
bitte — ich brauche nicht mehr zu sagen. — Jawohl,
ich habe ihr eine Korrespondenzkarte geschrieben . . .
einfach eine Karte — und sie ist gleich gekommen. Es
gibt noch Treue beim Theater. Und sie hat mir ver-
sprochen, sie wird sich umschaun, mit einem Agenten
wird sie sprechen — damit ich ein Sommerengagement
krieg', wenn ich aus diesem Lokal entlassen werde. Des-
wegen kann ein Fräulein ein sehr gutes Herz haben,
wenn sie auch einen roten Hut trägt, Frau von Pa-
schanda. Immer gereizter^ später hustend. Sie kommt viel-
leicht noch einmal her — ich werd' ihr halt schreiben,
sie soll sich nächstens einen blauen Hut aufsetzen — weil
die Frau Paschanda die rote Färb' nicht vertragen kann.
WÄRTERIN. Pst! pst! die Leute wollen schlafen.
Lauscht.
FLORIAN. Was ist denn?
WÄRTERIN. Ich hab' geglaubt, der Herr Sekun-
darius —
Die Krankenhausuhr schlägt.
FLORIAN. Wie spät ist's denn?
WÄRTERIN. Neun.
FLORIAN. Wer hat denn heut die Nachtvisit' ?
WÄRTERIN. Der Doktor Halmsclilöger.
FLORIAN. Ah, der Doktor Halmschlöger. Ein
feiner Herr, nur etwas eingebildet. Sieht, daß Rademacher
mach wurde. Habe die Ehre, Herr von Rademacher.
RADEMACHER nickt.
FLORIAN kopiert den Doktor Halmschlöger. Nun, mein
lieber Rademacher, wie befinden Sie sich heute ? Tut,
als ob er den Überzieher ablegte und ihn der Wärterin reichte.
Ach, liebe Frau Paschanda, wollen Sie nicht die Güte
haben . . . Danke sehr.
372
WAMERIN wider JVilUn lacberJ. Wie Sie die Leut'
nachmachen können.
FLORIAN andrer Ton; als ginge er von einem Bett zum andern.
Nichts Neues f Nichts Neues ? Nichts Neues ? Gut
— gu; — gut . . .
WÄRTERIN. Das ist ja der Herr Primarius. Wenn
der das wüßt'!
FLORIAN. Na warten Sie nur, das ist noch gar
nichts. Er läßt sieb plötzlich auf einen Sessel fallen, sein Gesicht
scheint scbmerzverzerrt, und er verdreht die Augen.
WÄRTERIN. Ja, um Gotteswillen, das ist ja —
FLORIAN einen Augenblick die Kopie unterbrechend. N?^
wer?
WÄRTERIN. Der vom Bett siebzehn, der Engst!
— der Bachdecker, der vorgestern gestorben ist. Na,
werden Sie nicht aufhören! Sie versündigen sich ja.
FLORIAN. Ja, meine liebe Frau Paschanda, meinen
Sie, unsereiner ist umsonst im Spital herin? Da kann
man was lernen.
WÄRTERIN. Der Herr Sekundarius kommt.
Ah in den Saal. — Wie sie den Vorbang zurückschlägt, sieht man
HALMSCHLÖGER und TANN in der Tiefe der Bühne.
FLORIAN. Jawohl, Herr Rademacher, ich mache
hier nämlich meine Studien.
RADEMACHER. So?
FLORIAN. Ja, für unsereinen rentiert sich das, im
Spital zu liegen. Sie meinen, ich kann das nicht brau-
chen, weil ich Komiker bin ? Gefehlt I Das ist nämlich
eine Entdeckung, die ich gemacht habe, Herr Rade-
macher. Wichtig. Aus dem traurigen, ja selbst dem
schmerzstarrenden Antlitz jedes Individuums läßt sich
durch geniale schauspielerische Intuition die lustige Vi-
sage berechnen. Wenn ich einmal einen sterben ge-
sehn hab', weiß ich akkurat, wae er ausschaut, wenn
man ihm einen guten Witz erzählt hat. — Aber was
haben Sie denn, Herr Rademacher? Kourage! Nicht
den Humor verUeren. Schaun Sie mich an — ha! Vor
acht Tagen war ich aufgegeben — nicht nur von den
373
Herren Doktoren, das war' nicht so gefährlich gewesen,
aber von mir selber! Und jetzt bin ich kreuzfidel. Und
in acht Tagen — gehorsamster Diener! So lebe wohl,
du stiUes Haus! Womit ich mir erlaube, Euer Hoch-
wohlgeboren zu meinem ersten Auftreten ergebenst
einzuladen. Hustet.
RADEMACHER. Wird wohl kaum möglich sein.
FLORIAN. Ist es nicht sonderbar ? Wenn wir beide
gesund gebheben wären, so wären wir vielleicht Tod-
feinde.
RADEMACHER. Wieso denn?
FLORIAN. Na, ich hätt' Komödie gespielt, und
Sie hätten eine Rezension geschrieben und mich ver-
rissen, und Leut', die mich verreißen, hab' ich nie lei-
den können. Und so sind wir die besten Freunde ge-
worden. — Ja, sagen Sie, Herr Rademacher, hab' ich
auch so dreing'schaut vor acht Tagen wie Sie ?
RADEMACHER. Es ist vielleicht doch ein Unter-
schied.
FLORIAN. Lächerlich! Man muß nur einen festen
Willen haben. Wissen Sie, wie ich gesund geworden
bin?
RADEMACHER siebt ihn an.
FLORIAN. Sie brauchen mich nicht so anzuschaun
— es fehlt nicht mehr viel. Ich hab' die traurigen Ge-
danken einfach nicht aufkommen lassen!
RADEMACHER. Wie haben Sie denn das gemacht?
FLORIAN. Ich hab' einfach allen Leuten, auf die
ich einen Zorn gehabt hab', innerlich die fürchterhch-
sten Grobheiten g'sagt. Oh, das erleichtert, das erleich-
tert, sag' ich Ihnen! Ich hab' mir sogar ausstudiert,
wem ich als Geist erscheinen würde, wenn ich einmal
gestorben bin. — Also da ist vor allem ein Kolleg' von
Ihnen, in Olmütz — ein boshaftes Luder! Na, und
dann der Herr Direktor, der mir die halbe Gasch' ab-
gezogen hat fürs Extemporieren. Dabei haben die Leut'
überhaupt nur über mich gelacht und gar nicht über
die Stück'. Er hätt' froh sein können, der Herr Direktor.
374
Statt dessen — na wart*, wart' ! Ich hätt' ja ein Talent
zum Erscheinen — oh, ich hätt' auch im Himmel mein
anständiges Auskommen gehabt. — Ich hätt' nämlich
ein Engagement bei den Spiritisten angenommen.
DR. HALMSCHLÖGER und DR. TANN kommen, und
die WÄRTERIN.
TANN junger, etwas nachlässig gekleideter Mensch, Hut auf
dem Kopf, nicht brennende Virginia im Mund. Jetzt bitt'
ich dich aber, Halmschlöger, sei so gut, halt' dich da
nicht auch wieder so lang auf.
HALMSCHLÖGER sorgfältig gekleideter junger Mensch mit
Zwicker und kleinem blonden Vollbart; Überzieher umgeworfen.
Nein, ich bin gleich fertig.
TANN. Oder ich geh' voraus ins Kaffeehaus.
HALMSCHLÖGER. Ich bin gleich fertig.
FLORIAN. Habe die Ehre, Herr Doktor.
HALMSCHLÖGER. Warum Hegen Sie denn nicht
im Bett ? Zur Wärterin. Paschanda !
FLORIAN. Ich bin ja so ausgeschlafen, Herr Doktor;
es geht mir ja famos. Ich erlaube mir, den Herrn Dok-
tor zu meinem Wiederauftreten . . .
HALMSCHLÖGER einen Moment amüsiert, wendet sich
dann ab. Ja, ja. Zu Rademacher hin. Nun, mein lieber Rade-
macher, wie befinden Sie sich ?
FLORIAN macht derWärterin ein Zeichen, das sich auf seine
frühere Kopie bezieht.
RADEMACHER. Schlecht geht's mir, Herr Doktor.
HALMSCHLÖGER die Tafel zu Raupten des Bettes be-
trachtend; Wärterin hält das Licht. 39,4 — na! Gestern
haben wir doch 40 gehabt. Wärterin nickt. Es geht ja
besser. Na, gute Nacht. Will gehen.
RADEMACHER. Herr Doktor!
HALMSCHLÖGER. Wünschen Sie was?
RADEMACHER. Ich bitte, Herr Doktor, wie lang
kann's denn noch dauern ?
HALMSCHLÖGER. Ja, ein bißchen Geduld müs-
sen Sie noch haben.
375
RADEMACHER. Ich mein's nicht so, Herr Doktor.
Ich mein': Wann ist es aus mit mir?
TANN bat sieb zum Tisch gesetzt, blättert gedankenlos in den
Papieren.
HALMSCHLÖGER. Aber was reden Sie denn?
Zur Wärterin. Hat er seine Tropfen genommen?
WÄRTERIN. Um V2 8, Herr Sekundarius.
RADEMACHER. Herr Doktor, ich bitte recht
schön, behandeln Sie mich nicht wie den ersten Besten.
Oh, entschuldigen Herr Doktor —
HALMSCHLÖGER etwas ungeduldig, aber freundlich.
Leiser, leiser.
RADEMACHER. Ich bitte, nur noch ein Wort,
Herr Doktor. Entschlossen. Ich muß nämlich die Wahr-
heit wissen — ich muß — aus einer ganz bestimmten
Ursache! —
HALMSCHLÖGER. Die Wahrheit ... Ich hoffe
zuversichtlich Nun, die Zukunft ist in gewissem
Sinn uns allen versclilossen — aber ich kann sagen
RADEMACHER. Herr Doktor, — wenn ich nun
aber noch etwas sehr Wichtiges vor hätte — irgend-
was, wovon das Schicksal anderer Leute abhängig ist
— und meine Ruhe — die Ruhe meiner Sterbestunde . .
HALMSCHLÖGER. Aber, aber! — Wollen Sie sich
nicht näher erklären ? Inwier freundlich. Aber möglichst
kurz, wenn ich bitten darf. Ich habe noch zwei Zim-
mer vor mir. Denken Sie, wenn jeder so lang — Also
bitte.
RADEMACHER. Herr Doktor, ich muß noch mit
jemandem sprechen.
HALMSCHLÖGER. Nun, Sie können ja dem Be-
treffenden schreiben, wenn es Sie beruhigt. Morgen
nachmittag zwischen vier und fünf dürfen Sie emp-
fangen, wen Sie wollen. Ich habe gar nichts dagegen.
RADEMACHER. Herr Doktor — das ist zu spät
— das kann zu spät sein — ich fühl's . . . morgen früh
ist vielleicht alles vorbei. Noch heute muß ich mit —
dem Betreffenden reden.
376
HALMSCHLÖGER. Das ist nicht möglich. Was
soll das Ganze ? Wenn Ihnen so viel darauf ankommt,
hätten Sie ja schon gestern . . .
RADEMACHER dringend. Herr Doktor! Sie sind
immer sehr gut zu mir gewesen — ich weiß ja, daß ich
ein bißchen zudringhch bin — aber sehen Sie, Herr
Doktor, wenn es einmal ganz sicher ist, daß einen
morgen oder übermorgen die gewissen Herrn im weißen
ICittel hinuntertragen, da bildet man sich halt ein,
man kann keck werden und mehr verlangen als ein
anderer.
TANN. Also, Halmsclilöger, was ist denn?
HALMSCHLÖGER. Moment. — Etzcas mgeduUig.
Also bitte, in Kürze, was wünschen Sie ?
RADEMACHER. Ich muß unbedingt einen Freund
von mir sprechen. Einen gewissen Herrn Weihgast —
Alexander Weihgast.
HALMSCHLÖGER. Weihgast? Meinen Sie den
bekannten Dichter Weihgast?
RADEMACHER. Ja!
HALMSCHLÖGER. Das ist ein Freund von Ihnen ?
RADEMACHER. Gewesen, gewesen — in früherer
Zeit.
HALMSCHLÖGER. Also schreiben Sie ihm eine
Karte.
RADEMACHER. Was hilft mir das ? Er findet mich
nicht mehr. Ich muß ihn noch heut sprechen — gleich...
HALMSCHLÖGER bestimmt. Herr Rademacher, es
ist unmöglich. Und Schluß. Mild. Um Sie zu be-
ruhigen, werde ich Herrn Weihgast, den ich zufällig
persönlich kenne, noch heute ein Wort schreiben und
ihm anheimstellen, Sie morgen zu einer beliebigen
Stunde aufzusuchen.
RADEMACHER. Sie kennen den Herrn Weihgast,
Herr Doktor ? Plötzlich. So bringen Sie ihn her —
bringen Sie ihn her!
HALMSCHLÖGER. Na, hören Sie, hören Sie, Herr
Rademacher, da weiß man wirklich nicht mehr —
377
RADEMACHER in großer Aufregung. Herr Dok-
tor, ich weiß ja, es ist unverschämt von mir, — aber
Sie sind ja doch ein Mensch, Herr Doktor, und fassen
die Dinge menschlich auf. Nicht wie manche andere,
die nur nach der Schablone urteilen. Und Sie wissen,
Herr Doktor — da ist einer, der morgen sterben muß,
und der hat noch einen Wunsch, an dem ihm ungeheuer
viel liegt, und ich kann ihm den Wunsch erfüllen . . .
Ich bitte Sie, Herr Doktor, gehn Sie zu ihm hin, holen
Sie mir ihn her!
HALMSCHLÖQER schwankend, siebt auf die Uhr. Ja
— wenn ich für meinen Teil mich dazu entschließen
wollte — ich bitte Sie, Herr Rademacher, wie kann
ich es verlangen — um diese Zeit . . . wahrhaftig, es
ist eine so sonderbare Zumutung! Überlegen Sie
doch selbst.
RADEMACHER. Oh, Herr Doktor, ich kenne
meinen Freund Weihgast. Wenn Sie dem sagen: Sein
alter Freund Rademacher stirbt im allgemeinen Kran-
kenhaus und will ihn noch einmal sehen — oh, das läßt
er sich nicht entgehen. — Ich beschwöre Sie, Herr
Doktor — für Sie ist es einfach ein Weg, — nicht wahr ?
Und für mich — für mich . . .
HALMSCHLÖGER. Ja, das ist es eben ! Für mich
hat es natürlich nichts zu bedeuten. Aber für Sie —
jawohl, für Sie könnte die Aufregung von schlimmen
Folgen sein.
RADEMACHER. Herr Doktor — Herr Doktor!
Wir sind ja Männer! — Auf eine Stund' früher oder
später kommt's doch nicht an.
HALMSCHLÖGER bescbwicbtigend. Na, na, na! Nach
kurzer Überlegung. Also ich fahre hin.
RADEMACHER will danken.
HALMSCHLÖGER abwebrend. Ich kann natürlich
keine Garantie übernehmen, daß ich ihn herbringe.
Aber da Ihnen so viel dran zu liegen scheint, — Da
Rademacber wieder danken will. Schon gut, schon gut. Wendet
sich ab.
378
TANN. Na endlich!
HALMSCHLÖGER. Lieber Tann, ich werd' dich
sehr bitten, — schau' du indes auf die andern Zimmer,
es ist nichts Besonderes — zwei Injektionen — die
Wärterin wird dir schon sagen
TANN. Ja, was ist denn, was ist denn?
HALMSCHLÖGER. Eine sonderbare Geschichte.
Der arme Teufel bittet mich, ihm einen alten Freund
herzuholen, dem er offenbar etwas Wichtiges anzu-
vertrauen hat. Weißt du, wen ? Den Weihgast, diesen
Dichter.
TANN. Na, und du gehst hin ? Ja, sag', bist denn
du ein Dienstmann ? Na, hör' zu, die Leut' nützen liier
einfach deine Gutmütigkeit aus.
HALMSCHLÖGER. Lieber Freund, das ist Emp-
findungssache. Meiner Ansicht nach sind gerade solche
Dinge das Allerinteressanteste in unserm Beruf.
TANN. Auch eine Auffassung.
HALMSCHLÖGER. Also willst du so gut sein?
TANN. NatürHch. Mit dem Kaffeehaus ist heut
nichts mehr?
HALMSCHLÖGER. Ich komm' vielleicht noch hin.
HALMSCHLÖGER, TANN, WÄRTERIN ab.
FLORIAN kommt wieder beretn. Ja, was haben denn Sie
so lang mit dem Doktor zu reden gehabt ?
RADEMACHER erregt, fast heiter. Ich krieg' noch
einen Besuch — ich krieg' noch einen Besuch.
FLORIAN interessiert. Was ? Einen Besuch ? Jetzt ?
Mitten in der Nacht?
RADEMACHER. Ja, mein lieber Jackwerth —
geben Sie nur Acht, da gibt's wieder was zu lernen . . .
an meinem Besuch nämlich. Den Herrn müssen Sie
sich anschaun, wenn er hereinkommt zu mir, und nach-
her, wenn er wieder von mir fortgeht . . . Ah! Immer
erregter. Wenn ich's nur erleb' — wenn ich's nur er-
leb'! — Geben S' mir ein Glas Wasser, Jackwerth
— ich bitt' recht schön. Geschieht; er trinkt gierig. Dank
schön — dank schön. Ja, so lang wird die Ma-
379
schine schon noch halten . . . Beinabe mit Angst. Wenn
er nur kommt . . . wenn er nur kommt . . .
FLORIAN. Von wem reden Sie denn?
RADEMACHER vor sieb bin. Ihm schreiben ? . . .
Nein, davon hätt' ich nichts . . . Nein, da muß ich
ihn haben — da — mir gegenüber . . . Aug' in Aug',
Stirn an Stirn — ah! . . .
FLORIAN wie besorgt. Herr Rademacher . . .
RADEMACHER. Haben Sie keine Angst um mich
— es ist ganz überflüssig. Es wird mir ganz leicht,
meiner Seel', ich furcht' mich nicht einmal mehr vorm
Sterben ... Es wird gar nicht so arg sein, wenn der
erst dagewesen ist ... Ah, Florian Jackwerth, was
kann ich für Sie tun?
FLORIAN erstaunt. Wieso ?
RADEMACHER. Ich möchte mich Ihnen dankbar
erweisen. Sie haben mich nämlich auf diese Idee ge-
bracht — jawohl. Ich werde Sie zu meinem Erben
einsetzen. Der Sclilüssel von meinem Schreibtisch hegt
unterm Polster. — Sie glauben, das ist nichts Beson-
deres ? — Wer weiß ? Sie könnten sich täuschen . . .
Da sind vielleicht Meisterwerke aufbewahrt ! Mir wird
immer leichter — meiner Seel' . . . Am Ende werd'
ich wieder gesund!
FLORIAN. Aber sicher!
RADEMACHER. Wenn ich gesund werde — ich
schwör's, wenn ich je wieder den Fuß aus dem Spital
setz', so fang' ich von frischem an — ja. Ich fang' wie-
der an.
FLORIAN. Was denn?
RADEMACHER. Zu kämpfen — jawohl, zu
kämpfen! Ich probier's wäeder. Ich geb's noch nicht
auf — nein. Ich bin ja noch nicht so alt, — vierund-
fünfzig ... Ist das überhaupt ein Alter, wenn man ge-
sund ist ? Ich bin wer, Florian Jackwerth — ich bin
wer, das können Sie mir glauben. Ich hab' nur Malheur
gehabt. Ich bin so viel wie mancher andere, der auf
dem hohen Roß sitzt, mein lieber Herr — und ich
380
kann's mit manchem aufnehmen, der sich für was
Besseres hält wie ich, weil er mehr Glück gehabt hat.
Fiebriscb. Wenn er nur kommt . . . wenn er nur kommt
. . . Ich bitt' dich, mein Herrgott, wenn du mich auch
vierundfünfzig Jahre lang im Stich gelassen hast, gib
mir v/enigstens die letzte Viertelstunde noch Kraft,
daß es sich ausgleicht, so gut, als es geht. Laß mich's
erleben, daß er da vor mir sitzt — bleich, vernichtet
— so klein gegen mich, als er sich sein Leben lang
überlegen gefühlt hat ... Ja, mein lieber Jackwerth, der,
den ich da erwarte, das ist nämhch ein Jugendfreund
von mir. Und vor fünfundzwanzig Jahren — und auch
noch vor zwanzig — waren wir sehr gut miteinander,
denn vvir haben beide auf demselben Fleck angefangen
— nur daß wir dann einen verschiedenen Weg gegangen
sind — er immer höher hinauf und ich immer tiefer
hinunter. Und heut ist es so weit, daß er ein reicher
und berühmter Dichter ist, und ich bin ein armer
Teufel von Journalist und krepier' im Spital. — Aber
es macht nichts, es macht nichts — denn jetzt kommt
der Moment, wo ich ihn zerschmettern kann . . . und
ich werd' es tun! Wenn er nur kommt — wenn er
nur kommt! Ich weiß, Herr Jackwerth, heute nach-
mittag war Ihre Geliebte bei Ihnen — aber was ist
denn alle Glut, mit der man ein geliebtes Wesen er-
wartet gegen die Sehnsucht nach einem, den man haßt,
den man sein ganzes Leben lang gehaßt hat und dem
man vergessen hat, es zu sagen.
FLORIAN. Aber Sie regen sich ja fürchterlich auf,
Herr Rademacher! — Sie verlieren ja Ihre Stimm'.
RADEMACHER. Haben Sie keine Angst — wenn
er einmal da ist, werd' ich schon reden können.
FLORIAN. Wer weiß, wer weiß? — Hören Sie,
Herr Rademacher, ich werd' Ihnen einen Vorschlag
machen. Halten wir doch eine Probe ab. — Ja, Herr
Rademacher, ich mach' keinen Spaß. Ich kenn' mich
doch aus. Verstehen Sie mich: Es kommt ja immer
drauf an, wie man die Sachen bringt, nicht wahr?
381
Was haben Sie denn schon davon, wenn Sie ihm sagen :
„Du bist ein niederträchtiger Mensch, und ich hasse
dich" — das wirkt ja nicht. Da denkt er sich: Du
schimpfst mir lang gut, wenn du daherin liegst im
Kammerl mit 39 Grad und ich geh' gemütlich spa-
zieren und rauch' mein Zigarrl.
RADEMACHER. Ich werd' ihm noch ganz was
anderes sagen. Darüber, daß einer niederträchtig ist,
tröstet er sich bald. Aber daß er lächerlich war sein
Leben lang für die Menschen, die er vielleicht am
meisten geliebt hat — das verwindet er nicht.
FLORIAN. Also reden Sie, reden Sie. Stellen Sie
sich vor, ich bin der Jugendfreund. Ich steh' da, ich
hab' den Sack voller Geld, den Kopf voller Einbildung
— Spielend. „Hier bin ich, alter Freund. Du hast mich
zu sprechen gewünscht. Bitte." Na also.
RADEMACHER fiebriscb, sieb immer mehr in Wut hinein-
redend. Jawohl, ich hab' dich rufen lassen. Aber nicht,
um von dir Abschied zu nehmen, in Erinnerung alter
Freundschaft — nein, um dir etwas zu erzählen, eh'
es zu spät ist.
FLORIAN spielend. „Du spannst mich auf die
Folter, alter Kumpan. Was wünschest du mir mitzu-
teilen?" Also — also!
RADEMACHER. Du meinst, daß du mehr bist
als ich ? — Mein lieber Freund, zu den Großen haben
wir beide nie gehört, und in den Tiefen, wo wir zu
Haus sind, gibt's in solchen Stunden keinen Unter-
scliied. Deine ganze Größe ist eitel Trug und Schwin-
del. Dein Ruhm — ein Haufen Zeitungsblätter, der
in den Wind verweht am Tag nach deinem Tod. Deine
Freunde ? — Schmeichler, die vor dem Erfolg auf dem
Bauch Hegen, Neidlinge, die die Faust im Sack ballen,
wenn du den Rücken kehrst, Dummköpfe, denen du
für ihre Bewunderung gerade klein genug bist. —
Aber du bist ja so klug, um das zuweilen selbst zu
ahnen. Ich hätte dich nicht herbemüht um dir das
mitzuteilen. Daß ich dir jetzt noch was anderes sagen
382
will, ist möglicherweise eine Gemeinheit. — Aber es
ist nicht zu glauben, wie wenig einem dran liegt, ge-
mein zu sein, wenn kein Tag mehr kommt, an dem
man sich darüber schämen müßte. Et steht auf. Ich hab'
ja schon hundertmal Lust gehabt, dir's ins Gesicht
zu schreien in den letzten Jahren, wenn wir einander
zufällig auf der Straße begegnet sind und du die Gnade
hattest, ein freundliches Wort an mich zu richten.
Mein lieber Freund, nicht nur ich kenne dich, wie
tausend andere — auch dein geliebtes Weib kennt dich
besser als du ahnst und hat dich schon vor zwanzig
Jahren durchschaut — in der Blüte deiner Jugend und
deiner Erfolge. — Ja, durchschaut — und ich weiß
es besser als irgendeiner . . . Denn sie war meine Ge-
liebte zwei Jahre lang, und hundertmal ist sie zu mir
gelaufen, angewidert von deiner Nichtigkeit und Leere
und hat mit mir auf und davon wollen. Aber ich war
arm und sie war feig, und darum ist sie bei dir ge-
blieben und hat dich betrogen! Es war bequemer für
uns alle.
FLORIAN. „Ha, Elender! Du lügst!"
RADEMACHER. Ich ? — Wie erwachend. Ah so . .
Sie, Jackwerth, Sie haben den Schlüssel. Wenn er
mir's nicht glaubt — im Schreibtisch sind auch die
Briefe. Sie sind mein Testamentsverweser. — Über-
haupt, in meinem Schreibtisch, da sind Schätze man-
cherlei — wer weiß, vielleicht ist nichts anderes nötig,
um sie zu würdigen, als daß ich gestorben bin. — Ja,
dann werden sich die Leute schon um mich kümmern.
Insbesondere, wenn es heißt, daß ich in Not und Elend
gestorben bin — denn ich sterbe in Not und Elend,
wie ich gelebt habe. An meinem Grab wird schon
einer reden. Ja, geben Sie nur acht, — PfHchttreue
— Tüchtigkeit — Opfer seines Berufes ... Ja, das
ist wahr, Florian Jackwerth, seit ich einen Beruf habe,
bin ich sein Opfer — vom ersten AugenbUck an bin
ich ein Opfer meines Berufes gewesen. Und wissen
Sie, woran ich zugrund geh' ? Sie meinen an den la-
383
teinischen Vokabeln, die da auf der Tafel stehn — ?
Oh nein! An Gall', daß ich vor Leuten hab' Buckerln
machen müssen, die ich verachtet hab', um eine Stel-
lung zu kriegen. Am Ekel, daß ich Dinge hab' schrei-
ben müssen, an die ich nicht geglaubt hab', um nicht
zu verhungern. Am Zorn, daß ich für die infamsten
Leutausbeuter hab' Zeilen schinden müssen, die ihr
Geld erschvdndelt und ergaunert haben, und daß ich
ihnen noch dabei geholfen hab' mit meinem Talent.
Ich kann mich zwar nicht beklagen: Von der Verach-
tung und dem Haß gegen das Gesindel hab' ich immer
meinen Teil abbekommen — nur leider von was anderm
nicht.
rVjRTERIN kommt. Der Herr Sekundarius.
RADEMACHER erschrocken. Allein?
WÄRTERIN. Nein, es ist ein Herr mit ihm.
RADEMACHER dankerfüllter Blick.
FLORIAN. Jetzt nehmen Sie sich zusammen.
Schad', daß ich nicht dabei sein kann. ScbUkbt sieb dann
hinaus.
HALMSCHLÖGER und WEIH GAST kommen.
HALMSCHLÖGER. Also hier ist der Kranke.
WEIHGAST elegant gekleideter, sehr gut erhaltener Herr
von etwa 55 Jahren^ grauer Vollbart, dunkler Überzieher, Spazier-
stock. So — hier. Zu Rademacher hin, herzlich. Rademacher
— ist es möglich? Rademacher — so sehn wir uns
wieder! Mein lieber Freund!
RADEMACHER. Ich danke dir sehr, daß du ge-
kommen bist.
HALMSCHLÖGER hat gewinkt; die Wärterin brachte
einen Sessel für JVeibgast. Und nun erlauben Sie mir, Herr
Weihgast, daß ich als Arzt die Bitte an Sie richte, die
Unterredung nicht länger als eine Viertelstunde aus-
zudehnen. Ich werde so frei sein, nach der angegebenen
Zeit selbst wiederzukommen und Sie hinab zu begleiten.
WEIHGAST. Ich danke Ihnen, Herr Doktor, Sie
sind sehr liebenswürdig.
384
HALMSCHLÖGER. Oh, zu danken habe ausschließ-
lich ich. Es gehört wirklich kein geringer Opfermut
dazu . . .
WEIHGJST wehrt ab. Aber, aber . . .
HALMSCHLÖGER. Nun, Herr Rademacher, auf
Wiedersehen. Droht ihm ärztlich freundlich, er möge sich nicht
aufregen. Dann zoecbselt er einige Worte mit der Wärterin und geht
mit ihr ah.
WEIHGAST die Wärterin bat ihm den Überzieher abgenom-
men; er hat sich gesetzt; sehr herzlich, beinahe echt. Nun, sag'
mir einmal, mein lieber Rademacher, was ist das für
eine Idee, sich hierher zu legen — ins Krankenhaus — !
RADEMACHER. Oh, ich bin zufrieden, man ist hier
sehr gut aufgehoben.
WEIHGAST. Ja, ge-wiß bist du in den besten Hän-
den. Doktor Halmschlöger ist ein sehr tüchtiger junger
Arzt und, was mehr ist, ein vortrefflicher Mensch. Wie
man ja den Menschen an sich überhaupt nie von dem
Berufsmenschen trennen kann. Aber trotzdem — du
entschuldigst schon — warum hast du dich nicht an
mich gewandt ?
RADEMACHER. Wie hätt' ich . . .
WEIHGAS7. Wenn du dich auch eine Reihe von
Jahren um deinen alten Freund nicht mehr gekümmert
hast, du kannst dir wohl denken, daß ich dir unter
diesen Umständen in jeder Weise zur Verfügung . . .
RADEMACHER. Laß doch das, laß doch das.
WEIHGAST. Nun ja — bitte. Es war walirhaftig
nicht bös' gemeint. Immerhin, es ist auch jetzt nicht
zu spät. — Doktor Halmschlöger sagt mir, es ist nur
eine Frage der Zeit, der guten Pflege ... in ein paar
Wochen verläßt du das Spital, und was eine Nachkur
auf dem Lande betrifft . . .
RADEMACHER. Von all diesen Dingen ist nicht
mehr die Rede.
WEIHGAST. Auch von dieser Hypochondrie hat
mir Doktor Halmschlöger Mitteilung gemacht — ja.
Er verträgt den auf ihn gerichteten Blick Rademachers nicht gut,
Theaterstücke-.. II, 25 185
tcbaut aber nicht fort. Also, du hast mich rufen lassen,
wolltest mit mir sprechen. Nun, ich bin bereit. Warum
lächelst du? — Nein, es ist der Schimmer von dem
Licht. Die Beleuchtung ist hier nicht ganz auf der
Höhe. — Nun, ich warte. Ich werde Herrn Doktor
Halmschlöger erklären, daß du von den ersten fünf
Minuten keinen Gebrauch gemacht hast. Nun ? —
RADEMACHER hatte schon einige Male die Lippen ge-
öffnet halb, als wollte er reden. Auch jetzt; aber er schweigt
wieder. — Pause.
WEIHGAST. Wie ist's dir denn immer ergangen ?
leicht verlegen. Hm, die Frage ist etwas ungeschickt in
diesem Moment. Ich bin ein wenig befangen, ich will
es dir gestehn; denn, äußerhch betrachtet, möchte man
wohl glauben, daß ich derjenige bin, dessen Los besser
gefallen ist. Und doch — wenn man die Sache so
nimmt, wie sie ja doch eigentHch genommen werden
muß — wer hat mehr Enttäuschungen erlebt ? Immer
der, der scheinbar mehr erreicht hat. — das klingt
paradox, und doch ist es so. — Ah, wenn ich dir er-
zählen wollte . . . nichts als Kämpfe — nichts als
Sorgen — Ich w^ß nicht, ob du die Bewegung der
letzten Zeit so verfolgt hast. Nun stürzen sie über mich
her... Wer? Die Jungen. Wenn man bedenkt, daß
man vor zehn Jahren selbst noch ein Junge war. Jetzt
versuchen sie, mich zu entthronen . . . Wenn man
diese neuen Revuen liest . . . Ah, es ist, um Übelkeiten
zu bekommen! Mit Hohn, mit Herablassung behan-
deln sie mich. Es ist ja jämmerlich! Da hat man nun
redlich gearbeitet und gestrebt, hat sein Bestes ge-
geben — und nun . . . Ah, sei froh, daß du von all den
Dingen nichts weißt. Wenn ich heute wählen könnte,
— heute mein Leben von neuem beginnen . . .
RADEMACHER. Nun?
WEIHGAST. Ein Bauer auf dem Land möcht ich
sein, ein Schafhirt, ein Nordpolfahrer — ah, was du
willst! — Nur nichts von der Literatur. — Aber es ist
noch nicht aller Tage Abend.
386
R ADEMACHER sonderbar lächelnd. Willst du an den
Nordpol ?
WEIHGASf. Ah nein. Aber in der nächsten Saison,
zu Beginn, kommt ein neues Stück von mir. Da sollen
sie sehen, da sollen sie sehen! Ah, ich lass' mich nicht
unterkriegen! Wartet nur! wartet nur! — Nun, wenn
alles gut geht, so sollst du dabei sein, mein alter Freund.
Ich verspreche dir, dir Billette zu schicken. Obwohl
euer Blatt im allgemeinen verflucht wenig Notiz von
mir nimmt. Ja, meine letzten zwei Bücher wurden
bei euch direkt totgeschwiegen. Aber du hast ja mit
dem Ressort nichts zu tun. Na! — Übrigens, was für
gleichgültiges albernes Zeug ... So erzähle mir doch
endlich. Was hast du mir zu sagen? Wenn dir das
laute Sprechen Mühe macht . . . ich kann ja auch ganz
nahe rücken. — Hm . . . Pause. Was meine Frau dazu
sagen wird, wenn ich ihr erzähle, daß unser alter Rade-
macher im Allgemeinen Krankenhaus liegt . . . Dein
Stolz, mein lieber Rademacher, dein verdammter Stolz
. . . Na, wir wollen nicht davon reden . . . Übrigens
ist meine Frau augenbhckHch nicht in Wien — in
Abbazia. Immer etwas leidend.
RADEMACHER. HoffentHch nicht ernst?
WEIHGAST drückt ihm die Hand. Gott sei Dank,
nein. Mein Lieber, dann stund' es auch mit mir sclilecht.
Wahrhaftig, bei ihr find' ich mich selbst — den Glauben
an mich selbst wieder, wenn ich nah daran bin, ihn
zu verlieren — die Kraft zu schaffen, die Lust zu leben.
Und je älter man wird, um so mehr fühlt man, daß dies
doch der einzige wahre Zusammenhang ist, den es gibt.
Denn die Kinder . . . o Gott!
RADEMACHER. Was ist's mit ihnen ? Was machen
sie?
WEIHGAST. Meine Tochter ist verheiratet. Ja,
ich bin schon zweifacher Großvater. Man sieht's mir
nicht an, ich weiß. Und mein Bub' — Bub' ! ! — dient
heuer sein Freiwilligenjahr — macht Schulden — hat
neulich ein Duell gehabt mit einem jungen Baron
*^* 387
Wallerskirch — wegen eines Frauenzimmers ... Ja,
mein Lieber, immer dieselben Dummheiten. So wird
man alt, und das Leben nimmt seinen Lauf.
RADEMACHER. Ja, ja. Pause.
WEIHGAST. Nun die Zeit verrinnt. Ich warte.
Was hast du mir zu sagen ? Ich bin bereit, alles, was
du wünschest . . . Soll ich vielleicht bei der Konkordia
Schritte tun? Oder kann ich vielleicht in der Redak-
tion des „Neuen Tags" für den Fall deiner baldigen
Wiederherstellung . . . Oder — du entschuldigst, daß
ich auch von solchen Dingen spreche — kann ich dir
irgendwie mit dem schnöden Mammon . . .
RADEMACHER. Laß, laß. Ich brauche nichts —
nichts . . . Ich hab' dich nur noch einmal sehen wollen,
mein alter Freund, — das ist alles. Ja. Reicht ihm die Hand.
WEIHGAST. So ? Wahrhaftig es rührt mich. Ja.
— Nun, wenn du wieder gesund bist, so hoff ich,
v/ir werden einander wieder öfter ... na!
Peinliche Pause. — Man hört das Ticken der Uhr aus dem Nebensaal.
HALMSCHLÖGER kommt. Nun, da bin ich wieder.
Ich bin hoffentlich nicht zu pünktlich?
WEIHGAST erhebt sich, sichtlich befreit. Ja, wir sind
bereits zu Ende.
HALMSCHLÖGER. Nun, das freut mich. Und
ich hoffe, unser Patient ist beruhigt — nicht wahr?
RADEMACHER nickt. Ich danke.
WEIHGAST. Also auf Wiedersehen, lieber Freund.
Wenn der Herr Doktor gestattet, so schau' ich in ein
paar Tagen wieder einmal nach.
HALMSCHLÖGER. Gewiß. Ich werde Auftrag
geben, daß man Sie zu jeder Zeit . . .
WEIHGAST. Oh, ich wünsche nicht, daß Sie meinet-
wegen eine Ausnahme machen.
HALMSCHLÖGER. Paschanda!
WÄRTERIN reicht Weihgast den Überzieher.
WEIHGAST. Also nochmals Adieu und gute Besse-
rung und nicht kleinmütig sein. Gegen den Ausgang mit
Halmscblöger,
388
FLORIAN kommt hinter dem Vorhang hervor. Habe die
Ehre, Herr Doktor, habe die Ehre!
HALMSCHLÖGER. Na hören Sie, Sie schlafen
noch immer nicht!
JFEIHGAST. Was ist das für ein Mensch ? Er hat
mich in einer so sonderbaren Weise fixiert . . .
HALMSCHLÖGER. Ein armer Teufel von Schau-
spieler.
WEIHGAST. So, so.
HALMSCHLÖGER. Hat keine Ahnung, daß er in
spätestens acht Tagen unter der Erde liegen wird.
WEIHGAST. So, so.
Blicke Weikgasts und Florians begegnen einander.
HALMSCHLÖGER. Drum halt' ich auch jede
Strenge für überflüssig. Regeln für Sterbende — das
hat doch keinen rechten Sinn.
WEIHGAST. Sehr richtig. — Es hat mich \^drklich
gefreut, bei dieser Gelegenheit Ihre nähere Bekannt-
schaft zu machen und Sie sozusagen einmal bei der
Arbeit zu belauschen. Es war mir überhaupt in vieler
Beziehung interessant.
HALMSCHLÖGER. Nun, wenn ich fragen darf,
war es wirklich etwas so Wichtiges, was Ihnen Ihr
Freund mitzuteilen hatte ?
WEIHGAST. Keine Idee. Wir haben in längst ver-
gangener Zeit miteinander verkehrt, er wollte mich
noch einmal sehen . . . das war alles. Ich glaube übri-
gens, daß ihn mein Kommen sehr beruhigt hat. Im Geben.
WÄRTERIN. Küss' die Hand.
WEIHGAST. Ach so. Gibt ihr ein Trinkgeld.
Halmschlöger^ JVeihgast ab, hinter ihnen auch die Wärterin.
FLORIAN rasch zu Rademacher hin. Na also, was war
denn? Der Mensch muß eine kolossale Selbstbeherr-
schung haben. Ich versteh' mich doch auf Physiogno-
mien — aber ich hab' ihm nichts angemerkt. W^ie hat
er's denn aufgenommen?
RADEMACHER ohne auf ihn zu hören. Wie armselig
sind doch die Leute, die auch morgen noch leben müssen.
389
FLORIAN. Herr Rademacher — also was ist denn?
Wie steht's mit dem Schlüssel zum Schreibtisch?
RADEMACHER erwachend. Schreibtisch — ? —
Machen S', was Sie wollen. Verbrennen meinetwegen!
FLORIAN. Und die Schätze? Die Meisterwerke?
RADEMACHER. Meisterwerke! — Und wenn
schon . . . Nachwelt gibt's auch nur für die Leben-
digen. Wie seherisch. Jetzt ist et unten. Jetzt geht er
durch die Allee — durchs Tor — jetzt ist er auf der
Straße — die Laternen brennen — die Wagen rollen
— Leute kommen von oben . . . und unten . . . Er ist
langsam aufgestanden.
FLORIAN. Herr Rademacher! Er betrachtet ihn genau.
RADEMACHER. Was hab' ich mit ihm zu schaf-
fen? Was geht mich sein Glück, was gehn mich seine
Sorgen an ? Was haben wir zwei miteinander zu reden
gehabt ? He ! Was ? . . . Er faßt Florian hei der Hand.
Was hat unsereiner mit den Leuten zu schaffen, die
morgen noch auf der Welt sein werden?
FLORIAN in Angst. Was wollen Sie denn von mir ?
— Frau Paschanda!
WÄRTERIN kommt mit dem Licht.
RADEMACHER läßt die Hand Florians los. Löschen
Sie's aus, Frau Paschanda — ich brauch' keins mehr . . .
Er sinkt auf den Sessel.
FLORIAN am Vorhang; hält sich mit beiden Händen daran;
xur Wärterin. Aber jetzt — nicht wahr?
Vorhang.
390
IV. LITERATUR
Lustspid in einem Akt
MARGARETE
KLEMENS
GILBERT
Anständig, aber gar nicht reich möbliertes Zimmer, in dem Margarete
wohnt. Ein kleiner Kamin. Ein Tisch, ein kleiner Schreibtisch,
Sessel^ ein Schrank, zwei Fenster im Hintergrund, Türe rechts und
links.
ERSTE SZENE
In einem Fauteuil am Kamin lehnt KLEMENS in sehr elegantem,
dunkelgrauem Sakkoanzug. Er raucht eine Zigarette und liest Zeitung.
MARGARETE steht am Fenster, dann geht sie hin und her, endlich
hinter Klemens, spielt mit ihren Händen in seinem Haar. Sie scheint
etwas unruhig.
KLEMENS weiter lesend, faßt ihre Hand und küßt sie.
Horner ist seiner Sache sicher — vielmehr meiner
Sache; Waterloo fünf zu eins, Barometer zwanzig zu
eins, Busserl sieben zu eins, Attila sechzehn zu eins.
MARGARETE. Sechzehn zu eins!
KLEMENS. Lord Byron anderthalb zu eins —
das sind wir, mein Schatz!
MARGARETE. Ich weiß.
KLEMENS. Dabei haben wir noch sechs Wochen
bis zum Rennen,
MARGARETE. Offenbar hält er es für tote Ge-
wißheit.
KLEMENS. Nein, wie sie schon alle diese Ausdrücke
kennt! Bravo!
MARGARETE. Diese Ausdrücke habe ich früher
gekannt als dich. Ist es übrigens ausgemacht, daß du
den Lord selbst reitest?
KLEMENS. Wie kannst du denn fragen ! — Damen-
preis ! Wen sollt' ich denn reiten lassen ? Und wenn
der Horner nicht wüßt', daß ich ihn reit', stund' er
nicht anderthalb zu eins — darauf kannst du dich
verlassen.
MARGARETE. Das glaub' ich. — Du bist so schön,
wenn du zu Pferd sitzt, einfach zum Totschießen!
Nie werd' ich vergessen, wie du in München, grad am
Tag, an dem ich dich kennen gelernt . . .
KLEMENS. Erinner' mich nicht daran. Da hab'
ich Pech gehabt. Nie hätt' der Windisch das Rennen
392
gewonnen, wenn er beim Start nicht zehn Längen
profitiert hätt'. Aber diesmal — na! — Und am Tag
drauf reisen wir ab.
MARGARETE. Abend.
KLEMENS. Ja. — Warum ?
MARGARETE. Weil wir vormittag heiraten,
nehm' ich an.
KLEMENS. Ja, ja mein Schatz.
MARGARETE. Ich bin sehr glücklich. Umarmung.
Und wohin werden wir reisen ?
KLEMENS. Ich denke, wir sind doch einig ? —
Aufs Gut.
MARGARETE. Ja, später. Aber gehen wir nicht
zuerst ein bißchen an die Ri\dera ?
KLEMENS. Das wird vom Damenpreis abhängen;
wenn ich ihn gewinn' . . .
MARGARETE. Tote Ge\%dßheit.
KLEMENS. Im übrigen, im April ist die Riviera
absolut nicht mehr elegant.
MARGARETE. Ach deswegen!
KLEMENS. Aber Kind, natürHch deswegen. Du
hast noch aus früherer Zeit so gewisse Vorstellungen
von Eleganz, so . . . Du entschuldigst schon — so ein
bißl aus die Witzblätter.
MARGARETE. Kle, ich bitte dich —
KLEMENS. Na also, wir werderv schon sehen.
Liest weiter. Badegast fünfzehn zu eins —
MARGARETE. Badegast? — Der geht ja gar
nicht mit.
KLEMENS. Woher weißt du denn das ?
MARGARETE. Der Szigrati hat's mir selber
gesagt.
KLEMENS. Wieso denn ? Wo denn ?
MARGARETE. Na, heut früh in der Freudenau,
während du mit dem Milner geredet hast.
KLEMENS. Der Szigrati ist mir auch nicht die
richtige G'sellschaft für dich.
MARGARETE. Eifersüchtig ?
393
KLEMENS. Aber nein! ... Im übrigen, ich werde
dich von jetzt an ganz einfach als meine Braut vor-
stellen.
MARGARETE küßt ihn.
KLEMENS. Also, was hat er dir gesagt, der Szigrati ?
MARGARETE. Daß er den Badegast im Damen-
preis gar nicht mitschickt.
KLEMENS. Na, dem Szigrati darfst du nicht
alles glauben, er verbreitet jetzt das Gerücht, daß der
Badegast nicht mitgeht, damit die Odds länger werden.
MARGARETE. Geh, das ist ja wie eine Spekulation.
KLEMENS. Ja, glaubst du, unter uns gibt's keine
Spekulanten ? Für manche ist das Ganze nur ein Ge-
schäft. Glaubst du, so ein Mensch wie der Szigrati
hat das geringste Interesse für den Sport ? Er könnt'
ebensogut auf die Bors' gehen. Im übrigen, für 'n
Badegast könnt' man ihm ruhig hundert gegen eins
legen.
MARGARETE. So? Ich hab' heut früh gefunden,
er sieht wunderbar aus.
KLEMENS. Den Badegast hat sie auch g'sehn!
MARGARETE. Freilich! Hat ihn nicht der
Butters heut früh hinterm Busserl herumgaloppiert ?
KLEMENS. Aber der Butters reit't ja nicht für
den Szigrati. Das ist ein Stallbursch gewesen. —
Übrigens kann der Badegast aussehen, wie er will,
egal — er ist ein Blender. Na, Margaret', bei deinem
Talent vvdrst du die wahren Größen bald von den
falschen unterscheiden lernen. Es ist ja wirklich un-
glaublich, mit welcher Geschwindigkeit du dich in
alle diese Dinge sozusagen eingearbeitet hast. Es
übertrifft meine kühnsten Erwartungen.
MARGARETE ärgerlich. Warum übertrifft's denn
deine Erwartungen ? Du weißt ganz gut, daß mir alle
diese Dinge gar nicht so neu sind. — Im Haus von
meinen Eltern haben sehr elegante Leute verkehrt —
der Graf Libowski und so verschiedene, — und auch
bei meinem Mann . . .
394
KLEMENS. Na Ja, selbstverständlich. Im Prinzip
hab' ich auch gar nichts gegen die Baumwollindustrie.
MARGARETE. Was hat das mit meinen persön-
lichen Anschauungen zu tun, daß mein Mann eine
Baumwollspinnerei gehabt hat ? Ich hab' mich immer
auf meine eigene Weise weitergebildet. Im übrigen
reden wir nicht mehr von dieser Zeit, die liegt fern,
Gott sei Dank!
KLEMENS. Aber es gibt eine andere, die näher
liegt.
MARGARETE. Gewiß. Warum?
KLEMENS. Na, ich mein' nur, in deiner Münchener
Gesellschaft kannst du doch nicht viel von sportHchen
Dingen gehört haben, soweit ich das beurteilen kann.
MARGARETE. Möchtest du nicht bald aufhören,
mir die Gesellschaft zum Vorwurf zu machen, in der
du mich kenneu gelernt hast.
KLEMENS. Vorwurf? — Davon kann gar keine
Rede sein! Es ist und bleibt mir nur unbegreiflich,
wie du zu den Leuten gekommen bist.
MARGARETE. Du redst gerade, als wenn es
eine Verbrecherbande gewesen war'!
KLEMENS. Kind, ich geb' dir mein Wort: Einige
haben absolut ausgesehn wie Straßenräuber. Es ist
mir ganz unbegreifHch, wie du's mit deinem aus-
geprägten Sinn . . . Na, ich will ja gar nichts andres
sagen als für — Reinlichkeit und gute Parfüms unter
diesen Menschen hast aushalten, mit ihnen an einem
Tisch sitzen können.
MARGARETE lächelnd. Hast du's nicht auch getan ?
KLEMENS. Neben ihnen — nicht mit ihnen.
Ja — und um deinetwillen, ausschheßlich um deinet-
willen, wie du sehr wohl weißt. Übrigens will ich gar
nicht leugnen, daß einige bei näherer Bekanntschaft
gewonnen haben; es waren ganz interessante Leut'
darunter. Du darfst auch nicht glauben, mein Schatz,
daß ich mich über alle Menschen, die schlecht an-
gezogen sind, erhaben fühle. — Daran liegt's ja auch
395
nicht. In ihrem ganzen Benehmen, in ihrem Wesen
ist irgendwas, das einen nervös macht.
MARGARETE. Das läßt sich doch nicht so schlecht-
hin behaupten.
KLEMENS. Na, sei nur nicht beleidigt, Schatz.
Ich hab's ja schon gesagt: es sind sehr interessante
Leute drunter. Aber wie sich eine Dame unter ihnen
auf die Dauer wohlfühlen kann, das werde ich nie und
nimmer begreifen.
MARGARETE. Du vergißt eben eins, mein lieber
Klemens, daß ich in gewissem Sinn auch zu ihnen
gehöre oder wenigstens gehört hab'.
KLEMENS. Na, ich bitt' dich recht schön!
MARGARETE. Es waren Künstler und Künstle-
rinnen.
KLEMENS. Na, jetzt sind wir glücklich wieder
bei dem Thema.
MARGARETE. Ja, und das ist eben meine ewige
Kränkung, daß du da nicht mitkannst.
KLEMENS. „Nicht mitkannst" — das hab' ich
sehr gern ! Ich kann schon ganz gut mit — Du weißt,
was mich an deiner Schreiberei geniert hat, und du
weißt, daß es etwas ganz Persönliches ist.
MARGARETE. Nun, es gibt Frauen, die in meiner
damaHgen Situation Schlimmeres getan hätten, als
Gedichte zu schreiben.
KLEMENS. Aber solche ! solche ! Er nimmt ein kleines
Buch vom Kaminsims. Darum handelt es sich. Ich kann
dir versichern, sooft ich's dahegen seh', sooft ich nur
dran denke, schäm' ich mich, daß es von dir ist.
MARGARETE. Dafür fehlt dir das Verständnis .'.
Na, sei nicht bös' — wenn du das hättest, wärst du
eben vollkommen und das soll wahrscheinlich nicht
sein. — Aber was geniert dich denn dran ? Du weißt
doch, daß ich nichts von alledem erlebt habe.
KLEMENS. Ich hoffe.
MARGARETE. Daß es Phantasien sind.
KLEMENS. Da muß ich halt fragen: wie kann
39^
eine Dame so phantasieren? Liest. „An deinem Halse
häng' ich trunken und sauge mich an deinen Lippen
fest . . ." Kopfschüttelnd. Wie kann eine Dame so was
niederschreiben, — wie kann eine Dame so was drucken
lassen ? Jeder Mensch, der das liest, muß sich doch
die Verfasserin vorstellen und den betreffenden Hals
und — die betreffende Trunkenheit.
MARGARETE. Wenn ich dir versichere, daß ein
solcher Hals nie existiert hat.
KLEMENS. Ich kann mir's auch nicht vorstellen.
Das ist ja mein Glück — und deins, Margarete. Aber
wie bist du zu solchen Phantasien gekommen ? Auf
deinen ersten Mann können sich doch alle diese
glühenden Liebesgedichte nicht beziehen — der hat
dich ja überhaupt nicht verstanden, wie du immer
sagst.
MARGARETE. Natürlich nicht! Deswegen hab'
ich mich ja von ihm scheiden lassen. Du kennst ja
die Geschichte. Neben einem Menschen, der für
nichts Sinn hat als für Essen und Trinken und Baum-
wolle, habe ich nicht existieren können.
KLEMENS. Ja, ja. Aber das ist jetzt drei Jahre
her, und die Gedichte hast du doch später geschrieben.
MARGARETE. Nun ja. — Bedenke doch die Lage,
in der ich mich befand —
KLEMENS. Wieso? Du hast doch keine Ent-
behrungen zu leiden gehabt ? In dieser Hinsicht hat
sich ja dein Mann, das muß man ihm lassen, sehr an-
ständig benommen. Du warst nicht darauf angewiesen,
dir Geld zu verdienen. Und wenn sie dir schon für
ein Gedicht hundert Gulden geben — mehr zahlen
sie doch gewiß nicht — du warst doch nicht gezwungen,
so ein Buch zu schreiben.
MARGARETE. Liebster Kle, ich meinte „Lage"
auch nicht in materiellem Sinn; ich meinte meinen
Seelenzustand. Hast du denn eine Ahnung . . . Als
du mich kennen lerntest, war es ja schon viel besser,
da hatt' ich mich in mancherlei gefunden, aber an-
397
fangs! — Ich war ja so ratlos, so zerfahren . . . Alles
mögliche hab' ich versucht, gemalt hab' ich — sogar
eine englische Lektion hab' ich gegeben in der Pension,
wo ich gewohnt hab'. Denk' dir nur, mit zweiund-
zwanzig Jahren dastehen als geschiedene FraUj nieman-
den haben —
KLEMENS. Warum bist du nicht ruhig in Wien
geblieben ?
MARGARETE. Weil ich mit meiner Familie aus-
einander war. Es hat mich ja niemand verstanden.
Na, diese Leute! Glaubst du, irgendwer von meiner
FamiHe hat begriffen, daß man auch noch was anderes
vom Leben will als einen Mann und schöne Kleider
und eine soziale Position ? O Gott ! Wenn ich ein
Kind gehabt hätt', war' vielleicht alles anders gekommen
— möghch, vielleicht auch nicht. Ich bin ja sehr
kompliziert. Im übrigen, darfst du dich beklagen ?
War es nicht endHch das beste, was ich überhaupt tun
konnte, nach München zu gehen ? Hätt' ich dich
sonst kennen gelernt ?
KLEMENS. Nun ja, aber du bist doch nicht mit
der Absicht hingefahren.
MARGARETE. Ich wollte frei werden — ich
meine: innerHch frei. Ich habe sehen wollen, ob ich
aus eigner Kraft weiterkommen kann. Und du vnrst
gestehen: Es hat ganz den Anschein gehabt. Ich war
auf dem besten Weg, berühmt zu werden.
KLEMENS ?
MARGARETE. Aber du warst mir eben lieber
äIs der Ruhm.
KLEMENS gutmütig. Und sicherer.
MARGARETE. Daran hab' ich noch nie gedacht.
Ich habe dich vom ersten Moment an geUebt, das war
es. Denn einen wie dich hab' ich mir immer geträumt.
Ich hab's immer gewußt, glücklich machen kann mich
nur einer vde du. Rass', — das ist kein leerer Wahn.
Was ist alles andere dagegen! Siehst du, drum glaub'
ich auch immer —
398
KLEMENS. Was denn?
MARGARETE. Ich meine zuweilen, daß auch
in mir adehges Blut fließt.
KLEMENS. Wieso denn?
MARGARETE. Nun ja, es war' doch möglich.
KLEMENS. Das versteh' ich nicht.
MARGARETE. Ich habe dir ja gesagt, daß im
Haus meiner Eltern Aristokraten verkehrt haben . . ,
KLEMENS. Na, und wenn schon —
MARGARETE. Wer weiß — ?
KLEMENS. Margret, geh — ! wie kann man so
was nur reden!
MARGARETE. Vor dir darf man halt nicht sagen,
was man sich denkt. Das fehlt dir, — sonst wärst du
eben vollkommen. Sie schmeichelt sich an ihn heran. Ich habe
dich ja so unglaubHch gern. Gleich am ersten Abend, wie
du ins Kaffeehaus gekommen bist, mit dem Wangenheim
— gleich hab' ich's gewußt: der ist es! Wahrhaftig, du
bist unter die Leute getreten wie aus einer andern Welt.
KLEMENS. Hoff ich. Und sehr dazugehörig hast
du, Gott sei Dank, auch nicht ausgesehen. Nein,
wenn ich mich an diese Gesellschaft erinner' — an die
Russin zum Beispiel, die ausgeschaut hat wie ein Student
mit ihren kurzgeschnittenen Haaren — nur daß sie
kein Kappel getragen hat.
MARGARETE. Das ist eine sehr begabte Malerin,
die Baranzewitsch.
KLEMENS. Ich weiß. Du hast sie mir ja in der
Pinakothek gezeigt; da ist sie auf der Leiter gestanden
und hat kopiert. — Und dann der Kerl mit dem pol-
nischen Namen —
MARGARETE beginnt. Zrkd . . .
KLEMENS. Bemüh' dich nicht, hast es ja jetzt
nimmer notwendig. Der hat einmal was vorgelesen
im Kaffeehaus, wie ich dabei war, ohne sich im ge-
ringsten zu genieren.
MARGARETE. Das ist ein sehr großes Talent, du
kannst es mir glauben.
399
KLEMENS. Aber natürlich! Talentiert sind sie
ja alle im Kaffeehaus. — Na, und dann dieser Bengel,
dieser unerträghche —
MARGARETE. Wer?
KLEMENS. Du weißt schon, wen ich mein'. Der
immer die taktlosen Bemerkungen über die Aristo-
kratie gemacht hat.
MARGARETE. Gilbert, sicher meinst du Gilbert.
KLEMENS. Ja. Ich will gewiß nicht alle meine
Standesgenossen verteidigen, Lumpen gibt's überall,
sogar unter den Dichtern, hab' ich mir sagen lassen —
aber es ist doch manierlos von einem Menschen, wenn
einer von uns dabei ist . . .
MARGARETE. Das war so seine Art.
KLEMENS. Ich hab* mich damals zusammen-
nehmen müssen, um nicht grob zu werden.
MARGARETE. Es war ein interessanter Mensch
bei alledem — ja. Und dann kam noch dazu, daß er
sehr eifersüchtig auf dich war.
KLEMENS. Das hab' ich auch zu bemerken ge-
glaubt. Pause.
MARGARETE. Ach Gott, es waren alle auf dich
eifersüchtig. NatürHch . . . Du warst so anders. Und
dann, es haben mir alle den Hof gemacht, grade weil
ich gegen alle ganz gleich war. Das mußt du doch
bemerkt haben — nicht ? Warum lachst du denn ?
KLEMENS. Komisch! Wenn mir das einer
prophezeit hätte, daß ich einen Stammgast aus dem
„Cafe Maximilian" heiraten werde! Am besten ge-
fallen haben mir eigenthch die zwei jungen Maler,
sie waren wirklich wie aus einem Theaterstück. Weißt
du, die sich so ähnlich gesehen und alles gemeinschaft-
Hch gehabt haben, — mir scheint, auch die Russin
auf der Leiter.
MARGARETE. Um solche Sachen habe ich mich
nie gekümmert.
KLEMENS. Die zwei müssen übrigens Juden ge-
v/esen sein, nicht ?
400
MARGARETE. Warum denn?
KLEMENS. Na, weil sie immer so Witze gemacht
haben — und dann die Aussprache . . .
MARGARETE. Antisemitische Bemerkungen kannst
du dir schenken.
KLEMENS. Aber Kind, sei doch nicht so empfind-
lich. Ich weiß ja, daß du nur Halbblut bist. Und ich
hab' wirklich nichts gegen die Juden. Ich hab' einmal
sogar einen Lehrer gehabt, der mich in Griechisch
vorbereitet hat, vor der Matura, das war ein Jud',
meiner Seel'. Und ein ausgezeichneter Mensch. Man
kommt ja mit allerlei Leuten zusammen . . . Ich be-
daure auch nicht, deine Gesellschaft in München
kennen gelernt zu haben; das gehört alles zur Lebens-
erfahrung. — Aber schau', ich muß dir doch vor-
gekommen sein vvie ein Retter aus der Not.
MARGARETE. Ja, das ist schon wahr. Kle, Kle!
Umarmung.
KLEMENS. Was lachst denn?
MARGARETE. Mir fällt was ein.
KLEMENS. Na?
MARGARETE. „An deinem Halse häng' ich
trunken . . ."
KLEMENS unmutig. Bitt' dich, mußt du einen immer
wieder aus der Illusion reißen!
MARGARETE. Sag', Kle: Du wärst ako vdrklich
nicht stolz, wenn deine Geliebte, deine Frau eine
große und berühmte Dichterin wäre ?
KLEMENS. Ich hab' dir schon gesagt : meinetwegen
halt mich für borniert in der Hinsicht, aber ich ver-
sichere dich, wenn du heut wdeder anfingst, Gedichte
zu schreiben, oder sie gar drucken ließest, in denen du
meinethalben mich anschwärmst und der Welt von
unserm Liebesglück erzähltest — Nichts wär's mit dem
Heiraten, auf und davon ging ich dir!
MARGARETE. Und das sagt ein Mensch, der ein
Dutzend stadtbekannte Verhältnisse gehabt hat!
KLEMENS. Mein Schatz, stadtbekannt hin, stadt-
Theaterstücke, II, 26. /LOX
bekannt her — ich hab's niemandem erzählt, ich hab's
nicht drucken lassen, wenn mir eine trunken am Hai?
gehängt ist, und ein jeder hat sich's um einen Gulden
fünfzig kaufen können! Darauf kommt's an! Ich weiß
ja, daß es Leute gibt, die davon leben; aber ich find'
es im höchsten Grad unfein. Ich sag' dir, mir kommt's
ärger vor, als wenn sich eine im Trikot als griechische
Statue beim Ronacher hinausstellt. So eine griechische
Statue sagt doch nicht Mau! Aber was so ein Dichter
alles ausplauscht, das geht über den Spaß!
MARGARETE unruhig. Liebster, du vergißt nur,
daß der Dichter nicht immer die Wahrheit sagt.
KLEMENS. Na, und wenn er aufschneidt, ist's
vielleicht schöner?
MARGARETE. Das nennt man dann nicht „auf-
schneiden", das heißt „stilisieren".
KLEMENS. Was ist denn das schon wieder für
ein Wort!
MARGARETE. Oder wir erzählen Dinge, die wir
gar nicht erlebt, die v^dr geträumt, die wir einfach er-
funden haben.
KLEMENS. Ich bitt' dich, liebe Margret, sag' doch
nicht immer „vdr". Du gehörst ja Gott sei Dank
nimmer dazu.
MARGARETE. Wer weiß!
KLEMENS. Was heißt das?
MARGARETEz örtlich. Kllemens,ichmuß es dir sagen !
KLEMENS. Nun, was gibt's denn?
MARGARETE. Ich gehör' dazu! Ich hab' das
Dichten nicht aufgegeben.
KLEMENS. Inwiefern?
MARGARETE. Das ist doch sehr einfach: ich
schreib' eben noch immer — oder ich habe wenigstens
was geschrieben. Ja, so etwas ist stärker, als andere
Menschen begreifen können. Ich glaub', ich wäre zu
Grund gegangen, wenn ich nicht geschrieben hätte.
KLEMENS. Also was hast du denn schon wieder
geschrieben ?
402
MARGARETE. Einen Roman. Ich hatte zuviel
auf dem Herzen. Ich wäre daran erstickt. Bis heut
hab' ich dir's verschwiegen; endlich muß es doch heraus.
Künigel ist entzückt davon.
KLEMENS. Wer ist Künigel?
MARGARETE. Mein Verleger.
KLEMENS. Es hat ihn also schon wer gelesen?
MARGARETE. Ja. Und noch viele werden ihn
lesen. Klemens, du wirst stolz sein — glaube mir!
KLEMENS. Du irrst dich, liebes Kind. Ich finde
das von dir . . . Was kommen denn eigentlich für
Sachen drin vor?
MARGARETE. Das läßt sich nicht so leichthin
sagen. Der Roman enthält sozusagen das meiste, was
über das meiste zu sagen ist.
KLEMENS. Alle Achtung!
MARGARETE. Und darum kann ich dir auch ver-
sprechen, daß ich von nun an keine Feder mehr an-
rühre. Es ist nicht mehr notwendig.
KLEMENS. Hast du mich lieb, Margarete, oder
nicht ?
MARGARETE. Wie kannst du fragen? Dich,
nur dich! Soviel ich auch beobachtet, soviel ich auch
gesehen habe — erlebt hab' ich nichts. Ich habe auf
dich gewartet.
KLEMENS. Also bring ihn herein, deinen Roman.
MARGARETE. Ja, wieso? wie meinst du das?
KLEMENS. Daß du ihn hast schreiben müssen —
gut ; aber lesen soll ihn wenigstens keiner. Bring ihn her,
wir wollen ihn ins Feuer werfen.
MARGARETE. Kle!
KLEMENS. Das verlang' ich von dir — das darf
ich verlangen!
MARGARETE. Ja, das ist nicht möglich! Das ist ~
KLEMENS. Weshalb? Wenn ich es wünsche,
wenn ich erkläre, daß ich davon alles weitere abhängig
mache . . . Du verstehst mich . . . wird es vielleicht
doch möglich sein!
403
MARGARETE. Aber Klemens, der Roman ist ja
schon gedruckt.
KLEMENS. Wie? gedruckt?
MARGARETE. Ja! In wenigen Tagen wird er
überall zu haben sein.
KLEMENS. Margarete — und alles das, ohne daß
du mir vorher ein Wort . . .
MARGARETE. Klemens, ich hab' nicht anders
können. Wenn er erst da ist, wirst du mir verzeihen!
Mehr als das: — Du wirst stolz sein!
KLEMENS. Liebes Kind, das geht übern Spaß'
MARGARETE. Klemens.
KLEMENS. Adieu, Margarete.
MARGARETE. Klemens, was heißt das ~ du
gehst ?
KLEMENS. Wie du siehst.
MARGARETE. Wann kommst du wieder?
KLEMENS. Das kann ich in diesem Augenblick
noch nicht sagen. Adieu.
MARGARETE. Klemens! mit ihn bäten.
KLEMENS. Ich bitte. Ab.
MARGARETE allein. Klemens! Was bedeutet das?
Er verläßt mich ? Was soll ich denn tun ? — Klemens !
— Alles soll zu Ende sein ? Nein, es ist ja nicht mög-
lich! Klemens! — Ich muß ihm nach! Sie sucht nach
ihrem Hut. — Klingel. Ah! er kommt zurück! Er hat
mir nur Angst machen wollen. — Oh, mein Klemens!
Zur Türe.
GILBERT tritt ein. Zu dem Stubenmädchen, das die Tür
geöffnet bat. Ich sagte Ihnen ja, daß die gnädige Frau
zu Hause ist. — Guten Tag, Margarete.
MARGARETE betreten. Sie sind es?
GILBERT. Ich bin es — ich, Amandus Gilbert.
MARGARETE. Ich bin ja so erstaunt . . .
GILBERT. Das seh' ich. Aber es hegt kein Grund
vor. Ich befinde mich hier nur auf der Durchreise;
ich fahre nach Itahen. Und eigen thch komme ich
nur zu dir, um dir in Erinnerung alter Kameradschaft
404
mein neuestes Werk zu bringen. Überreicht ihr das Buch.
Da sie es nicht gleich nimmt, legt er es auf den lisch.
MARGARETE. Sie sind sehr liebenswürdig, ich
danke Ihnen.
GILBERT. Bitte. Du hast ein gewisses Anrecht
auf dieses Buch. — Also hier wohnst du.
MARGARETE. Jawohl. Aber...
GILBERT. Übergangsstadium, ich weiß. Für ein
möbHertes Zimmer sieht es leidlich genug aus. Aller-
dings, diese Familienporträts an den Wänden würden
mich wahnsinnig machen.
MARGARETE. Meine Hauswirtin ist die Witwe
eines Generals.
GILBERT. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.
MARGARETE. Entschuldigen? Fällt mir wahr-
haftig nicht ein.
GILBERT. Es ist sonderbar, jetzt daran zu denken...
MARGARETE. Woran denken Sie?
GILBERT. Warum soll ich's nicht sagen? An das
kleine Zimmer in der Steinsdorfer Straße, mit dem
Balkon auf die Isar. Erinnerst du dich, Margarete?
MARGARETE. Wollen wir nicht lieber beim
„Sie" bleiben?
GILBERT. Wie du willst ... wie Sie wollen,
Margarete. Pause. Plötzlich. Sie haben sich jämmerlich
benommen, Margarete.
MARGARETE. Was?!
GILBERT. Oder wünschen Sie, daß ich in Um-
schreibungen rede ? Ich finde leider kein anderes Wort.
— Und es war so überflüssig, Margarete. Mit der
Ehrlichkeit war es ebensogut gegangen. Es war gar
nicht notwendig, München bei Nacht und Nebel zu
verlassen.
MARGARETE. Es war weder Nacht noch Nebel.
Ich bin um acht Uhr dreißig früh bei hellem Sonnen-
schein mit dem Expreß abgereist.
GILBERT. Immerhin, man hätte sich vorher
Lebewohl sagen können, nicht wahr ? Setzt sieb.
¥>S
MARGARETE. Der Baron kann jeden Augenblick
kommen.
GILBERT. Was tut das? Sie haben ihm gewiß
nicht gesagt, daß Sie einst in meinen Armen gelegen
sind und mich angebetet haben. Ich bin eben ein
guter Bekannter aus München. Und ein guter Be-
kannter darf Sie wohl besuchen ?
MARGARETE. Jeder andere, Sie nicht!
GILBERT. Weshalb ? Sie mißverstehen mich
noch immer. Ich komme wirklich nur als guter Be-
kannter. Alles andere ist vorbei, längst vorbei . . .
Na, Sie werden ja sehen. Deutet auf sein Buch.
MARGARETE. Was ist denn das?
GILBERT. Mein neuester Roman.
MARGARETE. Sie schreiben Romane?
GILBERT. Allerdings.
MARGARETE. Seit wann können Sie denn das ?
GILBERT. Wie meinen Sie?
MARGARETE. Ach Gott, ich erinnere mich, daß
Ihr eigenthches Gebiet die kleine Skizze, die Beobach-
tung alltäghcher Vorkommnisse . . .
GILBERT aufgeregt. Mein Gebiet? . . . Mein Gebiet
ist die Welt! Ich schreibe, was mir beliebt! Ich lasse
mich nicht umgrenzen. Ich weiß nicht, was mich ab-
halten sollte, einen Roman zu schreiben!
MARGARETE. Nun, die Ansicht der maßgebenden
Kritik war ja doch . . .
GILBERT. Wer ist maßgebend?
MARGARETE. Ich erinnere mich zum Beispiel
an ein Feuilleton von Neumann in der Allgemeinen . . .
GILBERT vmtend. Neumann ist ein Kretin! Ich
habe ihn geohrfeigt!
MARGARETE. Sie haben ihn . . .?
GILBERT. Innerlich hab' ich ihn ^eohrfeigt! Du
warst damals ebenso empört wie ich. Wir waren voll-
kommen einig, daß Neumann ein Kretin sei. „Wie
darf dieses Nichts wagen . . ." das waren deine Worte.
„Dir Grenzen abzustecken! Wie darf er es wagen, dein
406
nächstes Buch sozusagen im Mutterleib zu erwürgen r"
Du hast es gesagt! Und heute berufst du dich auf
diesen Literaturhausierer!
MARGARETE. Ich bitte, schreien Sie doch nicht.
Meine Hauswirtin . . .
GILBERT, Es ist nicht mein Amt, mich um
Generalswitwen zu kümmern, wenn meine Nerven
vibrieren.
MARGARETE. Ja, was hab' ich denn gesagt? Ich
kann Ihre Empfindlichkeit wahrhaftig nicht be-
greifen.
GILBERT. Empfindlich? Du nennst mich emp-
findlich ? Du ? Ein Weib, das die schwersten Schüttel-
fröste bekam, wenn der kleinste Schmock im letzten
Käseblatt ein böses Wort auszusprechen wagte ?
MARGARETE. Ich erinnere mich nicht, daß über
mich je ein böses Wort erschienen wäre!
GILBERT. So? — Übrigens magst du recht
haben. Gegen hübsche Weiber ist man immer galant.
MARGARETE. Galant ? Aus Galanterie hat man
meine Gedichte gelobt ? Und dein eigenes Urteil . . . ?
GILBERT. Meines? Ich brauche nichts davon
zurückzunehmen; ich erlaube mir nur zu bemerken,
daß du deine paar hübschen Gedichte in unserer Zeit
geschrieben hast.
MARGARETE. Und so rechnest du sie wohl dir
zum Verdienst an?
GILBERT. Hättest du sie geschrieben, wenn ich
nicht gewesen wäre ? Sind sie nicht an mich ?
MARGARETE. Nein!
GILBERT. Wie ? Nicht an mich ? Es ist ungeheuer-
Uch!
MARGARETE. Nein, sie sind nicht an dich!
GILBERT. Ich stehe starr! Soll ich dich an die
Situationen erinnern, in welchen deine schönsten Verse
entstanden sind?
MARGARETE. Sie waren an ein Ideal gerichtet . . .
GILBERT deutet auf sieb.
407
MARGARETE. . . . dessen zufälliger Vertreter auf
Erden du warst.
GILBERT. Ha! kostbar! Woher hast du das?
Weißt du, wie der Franzose in einem solchen Falle
sagt? „CVj^ iif la litteratuuV*
MARGARETE ihm nachäffend. Ce tCest -pas de la lit-
ter ature\ Das ist wahr, vollkommen wahr ! Oder glaubst
du im Ernst, daß ich dich mit dem schlanken Jüngling
gemeint ? Daß ich deine Locken besungen habe ? —
Du bist schon damals dick gewesen — und das waren
doch niemals Locken! Sie fährt ihm in die Haare.
GILBER T ergreift bei dieser Gelegenheit ihre Hand und küßt sie.
MARGARETE weicher. Was fällt dir ein!
GILBERT. Damals hast du sie dafür gehalten.
Oder hast sie wenigstens so genannt. Nun ja, was tut
man nicht alles für den Vers, für den Wohlklang! Hab'
ich dich nicht einmal in einem Sonett „mein kluges
Mädchen" genannt ? Dabei warst du weder . . . Aber
nein, ich will nicht ungerecht sein — klug bist du ja
gewesen, beschämend klug, widerwärtig klug! Das ist
dir gelungen! Im übrigen: wundern muß man sich
nicht; du warst ja immer ein Snob. Ach Gott! Jetzt
hast du ja deinen Willen. Du hast ihn eingefangen,
deinen adeligen Jüngling mit den wohlgepflegten
Händen und dem ungepflegten Gehirn, den vortreff-
lichen Reiter, Fechter, Schützen, Tennisspieler, Her-
zensbrecher — die Marlitt hätt' ihn nicht ekliger
erfinden können. Ja, was willst du denn mehr ? Ob
dir das auf die Dauer genügen wird, dir, die einmal
Höheres gekannt hat, das ist freilich eine andere Frage.
Ich kann dir nur sagen: für mich bist du eine Herab-
gekommene der Liebe.
MARGARETE. Das ist dir auf der Eisenbahn
eingefallen.
GILBERT. Soeben ist es mir eingefallen, in diesem
Augenblick !
MARGARETE. So schreib's dir auf, es ist ein gutes
Wort.
408
i
GILBERT. Ich hab' noch eins für dich: Früher
warst du Weib, jetzt bist du Weib c h e n. Ja, das
bist du! Was hat dich denn zu einem Menschen von
dieser Sorte hingelockt ? Nichts als der Trieb, der
ganz gemeine Trieb!
MARGARETE. Ich bitte dich, du hast Ursache — !
GILBERT. Liebes Kind, ich hatte doch jederzeit
auch eine Seele bei der Hand.
MARGARETE. Zuweilen ausschließlich —
GILBERT. Versuche jetzt nicht, unser Verhältnis
herabzuziehen — es wird dir nicht gelingen. Es
bleibt das Herrlichste, was du erlebt hast.
MARGARETE. Ach Gott, wenn ich denke, daß
ich dieses Gewäsch ein Jahr lang ertragen habe.
GILBERT. Ertragen? Du hast dich daran be-
rauscht! Sei nicht undankbar — ich bin es auch nicht.
Wie erbärmlich du dich am Ende auch benommen
hast, mir kann es die Erinnerung nicht vergällen. Ich
will noch mehr sagen: auch das hat dazu gehört.
MARGARETE. Was du nicht sagst!
GILBERT. NämHch — diese Erklärung bin ich
dir noch schuldig; höre! Gerade zu der Zeit, als du
begannst, dich von m.ir abzuwenden, als du das Heim-
weh nach dem Stall bekamst — la nostalgie de Vecurie
— gerade damals war ich soeben mit dir innerlich
fertig geworden.
MARGARETE. Nicht möglich!
GILBERT. Es ist charakteristisch, daß du davon
nicht das geringste bemerkt hast. — Fertig war ich
mit dir, ja! Ich hab' dich einfach nicht mehr gebraucht.
Was du mir geben konntest, hattest du mir gegeben —
Dein Amt war erfüllt. Du wußtest in den Tiefen
deiner Seele — du wußtest unbewußt . . .
MARGARETE. Ich bitt' dich, sprüh' nicht so!
GILBERT unbeirrt. Daß deine Zeit um war. Unser
Verhältnis hat seinen Zweck erfüllt: ich bereue es
nicht, dich geliebt zu haben.
MARGARETE. Aber ich!
409
GILB EM. Vortrefflich! In dieser kleinen Be-
merkung spricht sich für den Kenner nicht weniger
aus, als der tiefe Wesensunterschied zwischen dem
Künstler und dem Dilettanten. Für dich, Margarete,
ist unser Verhältnis heute nicht mehr als die Er-
innerung an ein paar tolle Nächte, an ein paar tief-
gründige Gespräche in den Alleen des englischen
Gartens, ich habe es zum Kunstwerk gemacht.
MARGARETE. Ich auch.
GILBERT. Wieso? \vie meinst du das?
MARGARETE. Was du triffst, bei Gott! das treff
ich auch! Auch ich habe einen Roman geschrieben,
in den unsre einstigen Beziehungen hineinspielen, auch
ich habe unsere einstige Liebe — oder was wir so
nannten — der Ewigkeit aufbewahrt.
GILBERT. Von der Ewigkeit würd' ich an deiner
Stelle doch nicht reden, bevor die zweite Auflage
erschienen ist.
MARGARETE. Nun, es hat doch was anderes zu
bedeuten, wenn ich einen Roman schreibe, als wenn du
es tust.
GILBERT. Das dürfte stimmen.
MARGARETE. Denn du bist ein freier Mann,
du brauchst dir die Stunden nicht zu stehlen, in denen
du Künstler sein darfst, und du setzt nicht deine Zu-
kunft aufs Spiel.
GILBERT. Und du?
MARGARETE. Ich hab' es getan! Vor einer halben
Stunde hat mich Klemens verlassen, weil ich ihm ge-j
stand, daß ich einen Roman geschrieben habe.
GILBERT. Verlassen? Auf immer?
MARGARETE. Ich weiß nicht. Auch das ist]
möghch. Er ist im Zorn fortgegangen. Er ist unbe-
rechenbar. Was er über mich beschließen wird, kann]
ich nicht voraussehen.
GILBERT. So! Also er verbietet dir zu schreiben!]
Er duldet nicht, daß seine GeHebte gewissermaßen]
von ihrem Gehirn Gebrauch macht! Ah, vortrefflich! l
410
Das ist die Blüte der Nation! So — ja! Und du, du
schämst dich nicht, in den Armen eines solchen Idioten
dasselbe zu empfinden, was du einst . . .
MARGARETE. Ich verbiete dir, so über ihn zu
reden! Du verstehst ihn ja nicht!
GILBERT. Ha!
MARGARETE. Du weißt ja nicht, warum er da-
gegen ist, daß ich dichte ! Nur aus Liebe ! Er fühlt es,
daß ich da in einer Welt lebe, die für ihn verschlossen
ist, er schämt sich für mich, daß ich das Innerste meiner
Seele vor Unberufenen ausbreite, er will mich für sich
allein, ganz allein haben; und darum ist er fortgestürzt
. . . nein, nicht gestürzt, denn Klemens gehört nicht
zu den Männern, welche fortstürzen . . .
GILBERT. Gut beobachtet. Aber fort ist er doch.
Über das Tempo wollen wir nicht diskutieren. Und er
ist fort, weil er nicht duldet, daß du deinem Schaffens-
drang nachgibst.
MARGARETE. Ja, wenn er auch das noch ver-
stünde! Aber das gibt's offenbar nicht. Ich könnte
ja die beste, die treueste, die edelste Frau von der
Welt sein, wenn es nur den richtigen Mann auf der
Welt gäbe!
GILBERT. Jedenfalls drückst du damit aus, daß
auch er nicht der Rechte ist.
MARGARETE. Das hab' ich nicht gesagt!
GILBERT. So begreife doch, daß er dich einfach
knechtet, zugrunde richtet, dein ureigenes Ich aus
Egoismus zu ruinieren sucht. Denke doch an die
Margarete, die du einmal warst! Denke an die Frei-
heit, in der du dich entwickeln durftest, da du mich
liebtest! Denke an die erlesenen Menschen, mit denen
du damals verkehrtest, denke an die Jünger, die sich
um mich versammelten und die auch die deinen waren.
Sehnst du dich nicht manchmal zurück ? Denkst du
nicht an dein kleines Zimmer mit dem Balkon — unten
rauschte die Isar — Er bat ihre Hände gefaßt und drängt
sich cn sie.
411
MARGARETE. O Gott!
GILBERT. Es kann wieder so werden; es braucht
ja nicht die Isar zu sein. — Ich will dir einen Vor-
schlag machen, Margarete. Sag' ihm, wenn er wieder-
kommen sollte, daß du in München noch einiges
Dringende zu besorgen hättest, und verbringe diese
Zeit mit mir. Margarete, du bist ja so schön! Wir
woUen wieder glücklich sein wie einst, Margarete!
Erinnerst du dich ? Ganz nahe. „An deinem Halse häng'
ich trunken . . ."
MARGARETE rasch von ihm weg. Fort! fort! Nein,
nein! Fort sag' ich! Ich liebe dich ja nicht mehr!
GILBERT. O! Hm ... So? Na, da bitt' ich also
um Entschuldigung. Pause. Adieu, Margarete. Adieu.
MARGARETE. Adieu.
GILBERT. Adieu. Sieb noch einmal wendend. Willst du
mir nicht wenigstens zum Abschied deinen Roman
geben, wie ich dir den meinen gegeben habe?
MARGARETE. Er ist noch nicht erschienen. Erst
in der nächsten Woche wird er zu haben sein.
GILBERT. Wenn ich fragen darf: was ist es denn
eigentlich für eine Art von Roman?
MARGARETE. Der Roman meines Lebens. Selbst-
verständlich so verhüllt, daß ich nicht zu erkennen
bin.
GILBERT. So? wie hast du denn das gemacht?
MARGARETE. Sehr einfach. Die Heldin ist vor
allem keine Dichterin, sondern eine Malerin —
GILBERT. Das ist sehr schlau.
MARGARETE. Ihr erster Mann ist kein Baum-
wollfabrikant, sondern ein großer Spekulant — auch
betrügt sie ihn nicht mit einem Tenor . . ,
GILBERT. Haha!
MARGARETE. Warum lachst du denn?
GILBERT. Du hast ihn also mit einem Tenor
betrogen ? Das hab' ich gar nicht gewußt.
MARGARETE. Wer sagt denn das?
GILBERT. Du hast es mir soeben mitgeteilt.
41a
MARGARETE. Wieso denn? — Ich sage: die
Heldin meines Buches betrügt ihren Mann mit einem
Bariton.
GILBERT. Baß wäre großartiger — Mezzosopran
pikanter.
MARGARETE. Dann geht sie nicht nach München,
sondern nach Dresden, und dort hat sie ein Verhältnis
mit einem Bildhauer.
GILBERT. Das bin also ich . . . verschleiert?
MARGARETE. Sehr verschleiert. Der Bildhauer
ist nämlich jung, schön und ein Genie. Trotzdem
verläßt sie ihn.
GILBERT. Wegen...?
MARGARETE. Rate!
GILBERT. Vermutlich wegen eines Jockeis?
MARGARETE. Schaf!
GILBERT. Wegen eines Grafen? — Wegen eines
Fürsten ?
MARGARETE. Nein, es ist ein Erzherzog!
GILBERT sieb verbeugend. Du hast vdrklich keine
Kosten gescheut.
MARGARETE. Ja, ein Erzherzog, der um ihret-
willen den Hof verläßt, sie heiratet und mit ihr nach
den Kanarischen Inseln auswandert.
GILBERT. Kanarische Inseln — sind sehr fein!
Und dann — ?
MARGARETE. Mit der Landung in . . .
GILBERT. Kanarien —
MARGARETE. — schließt der Roman.
GILBERT. So. Ich bin sehr gespannt, — besonders
auf die Verschleierung,
MARGARETE. Du selbst würdest mich nicht
erkennen, wenn —
GILBERT. Nun, wenn — ?
MARGARETE. Wenn nicht im drittletzten Kapitel
unser ganzer Briefwechsel enthalten wäre!
GILBERT. Was?!
MARGARETE. Ja — alle Briefe, die du mir und
413
die ich dir geschrieben habe, sind in den Roman auf-
genommen.
GILBERT. Ja, entschuldige — woher hattest du
denn die deinen an mich? Die hab' doch ich!
MARGARETE. Ja, ich hatte sie mir doch früher
immer aufgesetzt.
GILBERT. Aufgesetzt!?
MARGARETE. Ja.
GILBERT. Aufgesetzt — diese Briefe an mich,
die wie in zitternder Eile hingeworfen schienen.
„Noch ein Wort, Geliebter, eh' ich schlafen gehe,
mir fallen die Augen zu . . ." und dann, wenn dir die
Augen zugefallen waren, hast du ihn ins Reine ge-
schrieben ? !
MARGARETE. Nun, beklagst du dich vielleicht
darüber ?
GILBERT. Ich hätt' es ahnen können. Ich muß
ja noch froh sein, daß sie nicht einem Briefsteller für
Liebende entnommen waren. Oh, wie bricht alles zu-
sammen! Die ganze Vergangenheit ein Trümmer-
haufen! . . . Sie hat ihre Briefe aufgesetzt.
MARGARETE. So sei doch froh. Wer weiß, ob
meine Briefe an dich nicht das einzige sind, was von
dir übrigbleiben wird.
GILBERT. Und nebstbei ist das eine äußerst
fatale Geschichte.
MARGARETE. Warum denn?
GILBERT auf sein Buch deutend. Da drin sind sie
nämlich auch.
MARGARETE. Was?! Wo?
GILBERT. In meinem Roman.
MARGARETE. Was ist da drin?
GILBERT. Unsere Briefe — deine und meine.
MARGARETE. Woher hast du denn die deinen ge-
habt ? Die hab' doch ich! — Ah, siehst du, du hast sie
auch aufgesetzt!
GILBERT. O nein, ich hab' sie nur abgeschrieben,
bevor ich sie an dich absandte. Sie sollten nicht ver-
414
loren gehen. Es sind sogar einige drin, die du gar
nicht bekommen hast, die viel zu schön für dich waren,
die du gar nicht verstanden hättest.
MARGARETE. Ja, um Gottes v^^illen, wenn es so
ist . . . In Gilberts Buch blätternd. Ja, eS ist SO ! Ja, das ist
doch ganz dasselbe, als wenn vnr der Welt erzählten, daß
wir zwei . . . Um Himmels willen . . . Aufgeregt blätternd.
Ist am Ende auch der Brief aufgenommen, den du
mir am Morgen nach der ersten Nacht . . .
GILBERT. Natürlich, der war doch glänzend.
MARGARETE. Aber das ist ja entsetzlich! Es
wird ein europäischer Skandal! Und Klemens, um
Gottes willen ! Ich fange an zu wünschen, daß er nicht
mehr zurückkommt! Ich bin ja verloren! Und du
mit mir! Wo immer du sein magst, er wdrd dich zu
finden wassen, er wird dich niederschießen wie einen
tollen Hund!
GILBERT steckt sein Buch ein. Abgeschmackter Ver-
gleich.
MARGARETE. Wie konntest du nur auf diese
irrsinnige Idee kommen! Briefe einer Frau, die du
angeblich geliebt hast . . . Man sieht doch gleich, daß
du kein Gentleman bist!
GILBERT. Das find' ich aber köstlich! Hast du
nicht dasselbe getan ?
MARGARETE. Ich bin eine Frau.
GILBERT. Jetzt berufst du dich darauf!
MARGARETE. Es ist wahr, ich habe dir nichts
vorzuwerfen. Wir sind einander würdig. Ja, Klemens
hat recht. Ärger als die Weiber beim Ronacher sind
wir, die sich in Trikots hinausstellen. Unsere ge-
heimsten Seligkeiten, unsere Schmerzen, alles stellen
wir aus! Pfui! pfui! mich ekelt ja vor mir! Wir zwei
gehören zusammen. Klemens hätte recht, wenn er
mich davonjagt. Plötzlich. Komm, Amandus!
GILBERT. Was willst du denn?
MARGARETE. Ich nehme deinen Vorschlag an...
GILBERT. Was für einen Vorschlag?
4^5
MARGARETE. Ich fliehe mit dir! Sie sucht nach
Hut und Mantel.
GILBERT. Was fäUt dir ein? Was tust du denn?
MARGARETE sehr erregt, steckt sieb den Hut fest. Es
kann wieder so werden wie einst, du hast es gesagt:
es braucht nicht die Isar zu sein — nun, ich bin
bereit!
GILBERT. Das ist ja vollkommen verrückt!
Fliehen — was heißt denn das ? Sagtest du nicht selbst,
er wird mich überall zu finden wissen? Wenn du bei
mir bist, findet er dich auch. Es wäre viel klüger, wenn
jeder für sich allein . . .
MARGARETE. Elender, jetzt willst du mich im
Stich lassen ? ! Und vor wenigen Minuten bist du vor
mir auf den Knien gelegen ? Schämst du dich nicht ?
GILBERT. Weshalb ? Ich bin ein kranker, nervöser
Mensch . . . ich bin Stimmungen unterworfen . . .
MARGARETE am Fettster, schreit.
GILBERT. Was hast du denn? Was wird die
Generalswitwe von mir denken?
MARGARETE. Er ist's, er kommt!
GILBERT. Nun...
MARGARETE. Was, du wiUst gehen?
GILBERT. Ich hatte nie die Absicht, dem Herrn
Baron einen Besuch zu machen.
MARGARETE. Er trifft dich auf der Treppe.
Das wäre noch ärger. Bleibe! ich werde nicht allein
das Opfer sein!
GILBERT. So sei doch nicht verrückt. Warum
zitterst du denn so? Er kann doch noch nicht beide
Romane gelesen haben. Komm doch zu dir! Leg'
den Hut ab ! Fort mit dem Mantel ! Ist ihr behilflich.
Wenn er dich in dieser Verfassung sieht, muß er ja
ahnen . . .
MARGARETE. Das ist mir egal — lieber gleich,
als später. Ich ertrag' es nicht, das Entsetzliche ab-
zuwarten, ich sag' ihm sofort alles.
GILBERT. Alles?!
416
MARGARETE. Ja, solang du noch da bist. Wenn
ich ihm jetzt ehrlich alles eingestehe, wird er mir
vielleicht verzeihen!
GILBERT. Und ich — und ich?! Ich habe doch
wohl noch was Gescheiteres auf der Welt zu tun, als
mich von einem eifersüchtigen Baron niederschießen
zu lassen wie einen tollen Hund! Klingel.
MARGARETE. Er ist's! er ist's!
GILBERT. Du wirst nichts reden!
MARGARETE. Ich werde reden!
GILBERT. So?! Nun, gib acht! So werde ich
meine Haut wenigstens teuer verkaufen.
MARGARETE. Was willst du tun?
GILBERT. Ich werde ihm Wahrheiten ins Ge-
sicht schleudern, wie sie noch nie ein Baron gehört hat.
KLEMENS tritt ein; etwas befremdet^ sehr kühl und höflich.
Oh, Herr Gilbert, wenn ich nicht irre r
GILBERT. Jawohl, Herr Baron. Auf einer Reise
nach dem Süden begriffen, konnte ich mir nicht ver-
sagen, der gnädigen Frau meine Aufwartung zu machen.
KLEMENS. Ach so. Pause. Ich scheine eine Unter-
haltung unterbrochen zu haben, was mir sehr leid
täte. Ich bitte, sich nicht stören zu lassen.
GILBERT. Wovon sprachen wir doch eben,
gnädige Frau ?
KLEMENS. Vielleicht kann ich Ihrer Erinnerung
zu Hilfe kommen ? In München haben Sie wenigstens
immer von Ihren Büchern gesprochen . . .
GILBERT. Ah, sehr gut. Ich habe tatsächlich von
meinem neuen Roman . . .
KLEMENS. Bitte, fahren Sie fort. Man kann jetzt
auch mit mir über Literatur reden. Nicht wahr,
Margarete ? — Ist es ein naturalistischer Roman ?
ein sjTTibolischer ? erlebt ? stilisiert ?
GILBERT. Ach Gott, in ge\\assem Sinn schreiben
wir ja alle nur Selbsterlebtes.
KLEMENS. Ah, das ist aber interessant.
GILBERT. Selbst wenn einer einen Nero schreibt,
TIUiatcrstQcke. II, 27, ^IJ
'so ist es dazu unumgänglich notwendig, daß er Rom
innerlich angezündet hat . . .
KLEMENS. NatürHch.
GILBERT. Woher soll man schließlich Inspi-
rationen nehmen als aus sich selbst ? Woher Modelle
als aus dem Leben ringsum ?
MARGARETE immer unruhiger.
KLEMENS. Es ist nur schade, daß die Modelle
selbst so selten darum gefragt werden. Ich muß schon
sagen, wenn ich eine Frau wäre, ich tat' mich bedanken,
daß man den Leuten erzählt . . . Scharf. In anständiger
Gesellschaft nennt man das, eine Frau kompromit-
tieren !
GILBERT. Ich weiß nicht, ob ich mich zur an-
ständigen Gesellschaft rechnen darf, aber ich nenne
das, eine Frau adeln.
KLEMENS. Oh!
GILBERT. Das Wesentliche ist nur, ob's einer trifft!
Denn was Hegt in höherm Sinn daran, daß man von
einer Frau weiß, ob sie in diesem oder jenem Bett
glücklich gewesen ist.
KLEMENS. Herr Gilbert, ich mache Sie darauf
aufmerksam, daß Sie vor einer Dame reden!
GILBERT. Ich rede vor einer Kameradin, Herr
Baron, die meine Ansicht über diese Dinge teilen
dürfte.
KLEMENS. Oh!
MARGARETE plötzlich. Klemens! Zu seinen Füßen.
Klemens !
KLEMENS betreten. Aber . . . aber Margarete! . . .
MARGARETE. Verzeihung, Klemens!
KLEMENS. Aber Margarete. Zu Gilbert. Es ist
mir in hohem Grade peinlich, Herr Gilbert ... So
steh doch auf, Margarete! Steh auf — es ist ja schon
alles gut!
MARGARETE blickt zu ihm auf.
KLEMENS. Ja. — Steh auf.
MARGARETE steht auf.
418
KLEMENS. Es ist alles gut, es ist schon in Ordnung,
Na ja, wenn ich dir sag'. Du brauchst nur noch ein
Wort an Künigel hin zu telephonieren. Ich hab' schon
alles mit ihm ausgemacht. Wir lassen ihn einstampfen.
Ist's dir recht ?
GILBERT. Wen lassen die Herrschaften einstamp-
fen, wenn ich fragen darf ? Am Ende den Roman der
gnädigen Frau ?
KLEMENS. Ach, Sie wissen schon ? Jedenlalls
scheint es, Herr Gilbert, daß es mit der Kamerad-
schaft nicht so weit her ist.
GILBERT. Ja. Es bleibt mir wirklich nichts
anderes übrig, als um Entschuldigung zu bitten. Ich
bin wahrhaft beschämt.
KLEMENS. Ich bedaure sehr, daß Sie einer Szene
beiwohnen mußten, Herr Gilbert, die ich beinah schon
eine häusliche nennen möchte.
GILBERT. Oh! — Ich will auch nicht weiter lästig
fallen. Gnädige Frau — Herr Baron — Darf ich mir
nun erlauben, als äußeres Zeichen, daß jedes Miß-
verständnis zviäschen uns geschwunden, als schwachen
Beweis meiner Sympatliie, Ihnen, Herr Baron, meinen
Roman zu überreichen ?
KLEMENS. Sie sind sehr liebenswürdig, Herr
Gilbert. Ich muß zwar sagen — deutsche Romane
sind nicht mein Faible. Na, das ist halt der letzte, den
ich lesen werde — oder der vorletzte —
MARGARETE, GILBERT. Der vorletzte?
KLEMENS. Ja.
MARGARETE. Und welcher soll denn der letzte
sein . . . ?
KLEMENS. Deiner, mein Kind. Zieht ein Exemplar
aus der Tasche. Ein Exemplar hab' ich mir nämhch von
Künigel ausgebeten, um es dir mitzubringen — oder
vielmehr — uns beiden.
MARGARETE, GILBERT tauseben ratlose Blicke.
MARGARETE. Wie gut du bist! . . . Den Roman in
der Hand. Ja . . . er ist's , . .
•y • 419
KLEMENS. Wir wollen ilin zusammen lesen.
MARGARETE. Nein — Klemens . . . nein, ich
nehme soviel Güte nicht an — da — Sie wirft das Buch
in den Kamin. Ich will von all dem nichts mehr wissen.
GILBERT hoch erfreut. Aber gnädige Frau!
KLEMENS zum Kamin. Margarete, was tust du
denn — ?
MARGARETE vor dem Kamin^ Klemens in ihren Armen
umfangend. Glaubst du jetzt, daß ich Dich liebe —
GILBERT sehr vergnügt. Es scheint, ich bin hier voll-
kommen überflüssig . . . Gnädige Frau, Herr Baron —
für sieb. Daß mir der Schluß entgehen mußte! Ab.
Vorbang.
4.20
BmumQ SZCT. FEB2 4 1972
PT
2638
N5
1914
Abt. 2
Bd. 2
cop.2
Schnitz 1er, Arthur
Gesammelte V/erke
PLEASE DO NOT REMOVE
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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY