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Full text of "Die Reaction des sogenannten Fortschrittes gegen die Freiheit der Kirche und des religiösen Lebens : mit besonderer Rücksicht auf die kirchlichen Zustände Mitteldeutschlands und die neuesten Vorgänge im Grossherzogthum Hessen"

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Bu 30. 


Die Reaction 


des 


ſagenannten Torkſchrittes 


gegen 


die Freiheit der Kirche und des religiöſen Lebens. 


Mit beſonderer Rückſicht auf die kirchlichen Zuſtände Mittel- 
deutſchlands 


und 


die neueſten Vorgänge im Großherzogthum Heſſen. 


Von 


Dr. Z. B. Heinrich, 


Domcapitular und Profeſſor der Theologie zu Mainz. 


Mainz, 
Verlag von Franz Kirchheim. 
1863. 


u‘ U * I * 8 
.S. „ 


Imprimatur. 


MosunTiaE, 18. Sept. 1863. 


Ad. Fr. Lennig, 
vie, Gen. et Cap. Ececl. Cath. Decanus. 


4 
+ f 


4 
2 * 


* 


Mainz, Druck von Florian Kupferberg. 


Peer d e 


Die nächſte Veranlaſſung dieſer Schrift waren die jüngſten 
Beſchlüſſe der zweiten Kammer des Großherzogthums Heſſen. 
Sie ſollte den Katholiken, welchen ihre Religion nicht eine 
gleichgiltige Form und ein veralteter Aberglauben, ſondern hei— 
lige göttliche Wahrheit iſt, zeigen, daß das von dieſer Kammer 
beſchloſſene Religionsgeſetz mit der Ehre, mit den Intereſ— 
ſen, mit der Freiheit und den Rechten unſerer katho— 
liſchen Religion vielfach im Widerſpruche ſteht, ja theil— 
weiſe auf deren Untergrabung gerichtet iſt; daß es daher eine 
Pflicht ſei, der Annahme und Durchführung eines ſolchen Ge— 
ſetzes mit allen rechtmäßigen Mitteln entgegenzuwirken. Sie 
ſollte zweitens Denen, welchen das Recht mehr iſt als die 
ſ. g. vollendete Thatſache, darthun, daß der Geſetzesentwurf 
der zweiten Kammer gegen die Grundſätze des poſitiven und 
natürlichen Rechtes verſtößt. Drittens ſollte ſie Denen, 
welche wiſſen, was Freiheit iſt und die es ernſt mit ihr neh— 
men, den Nachweis liefern, daß dieſer Geſetzesentwurfdie Grund— 
ſätze wahrer Freiheit, verleugnet und nichts anderes iſt“), als 
eine Erneuerung und Verſchärfung der gehäßigſten Ausnahms— 
geſetze und Zwangsmaßregeln, welche ein längſt überwundener 
und im eigentlichſten Sinne des Wortes unzeitgemäßer Deſpo— 
tismus je zur äußeren Knechtung und inneren Corruption der 
katholiſchen Kirche ausgeſonnen hat. 

Es wäre aber mit dieſer Kritik des Geſetzesentwurfes nur das 
halbe Werk gethan, wenn wir nicht auch den ganzen Plan und 


| 1) Einige Punkte abgerechnet, bezüglich welcher der wahre Fort— 
ſchritt unſerer Zeit in den Prinzipien der kirchlichen Freiheit ſich Geltung 
verſchaffte. 


IV 


Geiſt erkennen würden, der demselben zu Grunde liegt und nicht 
die thatſächliche Lage uns klar machten, in der wir Katholiken 
uns befinden. Namentlich in dieſer Beziehung hat das von der 
zweiten heſſiſchen Kammer beſchloſſene Religionsgeſetz und Alles, 
was damit zuſammenhängt, eine weit über die Gränzen unſeres Lan— 
des hinausragende Bedeutung: denn was in der zweiten heſſiſchen 
Kammer mit einer jede Hülle wegwerfenden Offenheit und Naivität 
beſchloſſen und geredet wurde, iſt nur die Offenbarung von 
Tendenzen und Beſtrebungen, welcheüber ganz 
Deutſchland verbreitet ſind. Wir betrachten es daher 
als einen großen Vortheil, daß dieſelben in dem, hoffentlich nie 
praktiſch werdenden Religionsgeſetz der zweiten heſſiſchen Kammer 
von 1863, einen ſo prägnanten Ausdruck gefunden haben: denn je 
klarer ſie zu Tage treten und je mehr ſie beleuchtet werden, um ſo 
mehr verlieren ſie an Gefährlichkeit. Ich entſchloß mich daher, 
die Sache von dieſem allgemeinen Standpunkt aus zu behandeln. 
Dadurch rechtfertigt ſich auch der Titel der Schrift. 

An ſich war die Löſung der Aufgabe, die ich mir ſtellte, 
nicht ſchwer: denn es handelt ſich überall um einfache Wahrheiten 
und evidente Thatſachen; um ſo größere Schwierigkeiten aber 
ſtellen ſich mir in den Leidenſchaften und Vorurtheilen 
des Tages entgegen — und dieſe Schwierigkeiten ſind ſo groß, 
daß ſie entmuthigen könnten, wenn ich nicht wüßte, daß die Ge— 
rechtigkeit und Wahrheit einer Sache am Ende dennoch alle Lei— 
denſchaften und Vorurtheile beſiegt. 

Unſere Zeit iſt ſo ſehr eine Zeit politiſcher Parteien, 
daß viele Menſchen taub und fühllos für Alles geworden 
ſind, was nicht von ihrer politiſchen Partei ausgeht. Wie ein 
unerbittliches Fatum herrſcht der Parteiſtandpunkt über Geiſt 
und Willen; und jede freie perſönliche Selbſtbeſtimmung, 
faſt jedes eigene Denken und Fühlen iſt verſchlungen von den 


* 


Tendenzen, von den Intereſſen und Schlagwörtern der Partei. 
Das iſt meines Dafürhaltens eine geiſtige und ſittliche Unfreiheit 
der ſchlimmſten Art. Wäre dieſe, wie es ſcheint, vielfach zur 
Maxime geworden und als Maxime gehandhabte Barteiabge: 
ſchloſſenheit nicht, ſo würde ich in dieſer Sache, wo es ſich 
um die höchſten Intereſſen der über alle politiſchen Parteiſtand— 
punkte erhabenen katholiſchen Religion, der Religion unſerer Bor: 
eltern und hoffentlich auch ihrer ſpäteſten Nachkommen handelt, 
ich würde, ſage ich, mit größter Zuverſicht zu den Katho— 
liken aller politiſchen Parteien reden und könnte mit 
Grund hoffen, in allen Parteien ein Verſtändniß und Herz für 
die heilige Sache anzutreffen, welche auch da noch ein unauflös— 
liches Band der Einheit bilden ſollte, wo die Ereigniſſe und In— 
tereſſen der Zeit und die Verſchiedenheit der politiſchen und ſocia— 
len Anſchauungen noch ſo tiefe Gegenſätze hervorgerufen haben. 
Wäre dieſe Parteiabgeſchloſſenheit nicht, ſo würde ich mit eben 
ſo großem Vertrauen an den Gerechtigkeits- und Frei— 
heitsſinn Derjenigen Berufung einlegen, deren religiöſe An— 
ſchauungen mit dem katholiſchen Glauben in noch ſo großem Ge— 
genſatze ſtehen. Dann könnte ich hoffen, daß Männer von allen 
religiöſen Anſichten mit derſelben Entſchiedenheit für das Recht 
und die Freiheit der katholiſchen Kirche und ihrer katholiſchen Mit— 
bürger auftreten würden, mit der einſtens die beſten Männer des 
proteſtantiſchen England für die Emancipation der Katholiken 
eingetreten ſind; während jetzt manche Beſtimmungen des Geſetzes— 
entwurfs der zweiten Kammer uns faſt die Irländer um die reli— 
giöſe Freiheit beneiden laſſen, die ſie ſchon vor der Emancipa— 
tionsacte beſaſſen. Denn ſoviel ich weiß, iſt es auch in jener Zeit 
der Knechtſchaft den iriſchen Biſchöfen nicht verwehrt geweſen, ohne 
Einmiſchung des Staates die Geiſtlichen zu erziehen, und war es 
einem armen Ordensmann oder einer barmherzigen Schweſter 


VI 


nicht verboten, an ihren katholischen Landsleuten nach katholiſchem 
Brauche die Werke der Barmherzigkeit zu üben. 


Ein noch größeres Hinderniß stellt ſich einem jeden Vertreter 
der katholiſchen Sache in jenen Vorurtheilen entgegen, womit 
man vielfach die katholiſche Kirche, ihre Lehren, Inſtitutio— 
nen und vor Allem ihre Die ner betrachtet. Obwohl der Natur nach 
Niemand ſo ſehr berufen und verpflichtet iſt, die Intereſſen und die 
Rechte der Religion zu vertheidigen, als der Geiſtliche, ſo iſt den— 
noch in Folge jener Vorurtheile ſelbſt meine Eigenſchaft als ka— 
tholiſcher Prieſter ein Hinderniß, mir überall, wie ich es wünſchte, 
Gehör zu verſchaffen. | 


Er iſt ein Prieſter! — um nicht jenes infame Wort zu nennen, 
das im Sinne Derer, welche es gebrauchen, eine Miſchung von 
Haß und Verachtung ausdrückt — er iſt ein Prieſter, hört ihn 
nicht; er ſpricht als Cicero pro domo! — Das genügt, 
um bei vielen, ſelbſt bei ſonſt vernünftigen, humanen und 
billigen Leuten Ohr und Sinn für Alles, was ich ſage, zu ver— 
ſchließen. 


Wenn eine langjährige Beſchäftigung mit der Rechtswiſſen— 
ſchaft und der Theologie, wenn ein damit ſtets verbundenes 
praktiſches Wirken in der Seelſorge, im Lehramte, in der kirch— 
lichen Verwaltung; wenn eine genaue Bekanntſchaft mit dem 
religiöſen Leben der Gegenwart ein competentes Urtheil 
in den Dingen, um die es ſich hier handelt, zu begründen 
vermag: ſo dürfte ich wohl einiges Vertrauen beanſpru— 
chen. Auch glaube ich nicht, daß in meiner Vaterſtadt 
Mainz und im ganzen Lande irgend Jemand mich kennt, 
und im Ernſte an der Redlichkeit und Aufrichtigkeit meiner 
Geſinnungen und Ueberzeugungen zweifelt. Allein es gibt 
Vorurtheile, die ſtärker ſind, als alle Vernunft, und es gibt 


VII 


Leute, die ſich nun einmal nicht vorſtellen können, wie ein Menſch 
aus vernünftigen und edlen Motiven ein katholiſcher Prie 
ſter ſein könne, und noch dazu ein entſchiedener, in Allem mit der 
katholiſchen Kirche übereinſtimmender, oder wie man zu jagen be- 
liebt, ein ultramontaner Prieſter. Einen „aufgeklär⸗ 
ten“ Prieſter, der im Grunde, was die alten Kirchendogmen und 
die alte Kirchenverfaſſung betrifft, mit den „Gebildeten“ der Zeit 
im Stillen einverſtanden iſt und nur um „ſeiner Stellung und der 
Vorurtheile des Volkes“ willen ſich ſo weit nöthig accomodirt, 
im Uebrigen aber, ſo gut es unter den alten Formen geht, die Auf— 
klärung zu befördern und Diejenigen, welche ſeine geiſtliche Hilfe 
in Anſpruch nehmen, zu befriedigen ſucht, einen ſolchen Prie— 
ſter, wie es vor Zeiten manche gab, heute aber kaum mehr gibt, 
einen ſolchen Prieſter meint man begreifen und — achten zu kön— 
nen! Aber bezüglich dieſer ultramontanen Geiſtlichen, meint 
man, ſei über das Dilemma nicht hinauszukommen: entweder 
Dummkopf oder Heuchler! — oder wenn man gnädig 
iſt und weder das Eine noch das Andere bezüglich einer 
beſtimmten Perſon über Herz und Gewiſſen bringen kann — ein 
Schwärmer! Und doch könnte das einfachſte Nachdenken Je— 
dem klar machen, daß wir keines von dieſen Dreien ſind, ſondern 
redliche und vernünftige Vertreter einer Religion, welche ſelbſt 
Demjenigen ehrwürdig erſcheinen muß, dem zwar der Glaube, 
nicht aber der Sinn für das Große und Heilige fehlt, welche uns 
und Millionen von Gläubigen aber unendlich mehr iſt. 

Aber ſelbſt bei manchen gläubigen Chriſten, deren inner: 
ſter Herzenswunſch dahin geht, daß die nachgerade unerträglich 
werdenden Verunglimpfungen der katholiſchen Kirche aufhören 
mögten, fürchte ich, nicht das rechte volle Verſtändniß für die 
Freiheit der Kirche und für die hohen religiöſen Intereſſen zu fin⸗ 
den, um welche es ſich in dieſer Sache handelt. Unter der Herr: 


VIII 


ſchaft des Staatskirchenthums aufgewachſen, wiſſen ſie nicht, 
welch' ein koſtbares, ganz und gar unentbehrliches Gut die Freiheit 
der Kirche iſt; fie ahnen nicht, und ihre Lebensſtellung ent: 
ſchuldigt einigermaßen ihre deßfallige Unwiſſenheit, daß brutale 
Gewalt, ja blutige Verfolgung nicht ſo verderblich für die Re— 
ligion wirken, als das Staatskirchenthum, welches der Geſetzesent— 
wurf herſtellen mögte. Ä 

Wie ſchwer wird es auch ſein, gerade bezüglich jener wichtigſten 
und tiefſten Seiten des kirchlichen und religiöſen Lebens, gegen 
welche die ganze Schärfe des Geſetzes gerichtet iſt, z. B. bezüg⸗ 
lich des klöſterlichen Lebens, bezüglich der Erziehung des Clerus, 
ſelbſt bei nicht wenigen wohlmeinenden Leſern das rechte Verſtänd⸗ 
niß zu finden und ſo manche Vorurtheile zu überwinden! 

Ich habe alſo nicht blos mit den Kammerbeſchlüſſen, ſondern 
nach verſchiedenen Seiten hin mit manchfacher Unwiſſenheit und 
mit vielen Mißverſtändniſſen zu kämpfen. Deßhalb muß ich von 
Manchem reden und Manches erklären, was die Dan der 
Kammer nicht unmittelbar berührt. 

Noch muß ich einer Schwierigkeit erwähnen, die ich nicht 
gering anſchlage; ich mögte keine Perſon verletzen, auch nicht 
die Perſon Derer, die der katholiſchen Kirche ſehr unrecht und 
unſeren katholiſchen Herzen ſehr wehe gethan haben: denn 
die Perſon des Gegners verletzen, heißt in der Regel die Hoff— 
nung auf Verſtändigung vernichten und einen redlichen Kampf 
mit Gründen unmöglich machen. Allein eben ſo verkehrt, weil 
unaufrichtig, wäre es, wenn ich nicht mit aller Offenheit und 

Wahrhaftigkeit über die Dinge ſprechen würde, wie ſie ſind. 
| Ich blicke keineswegs trübe in unſere religiöſe Zukunft. 
Es iſt trotz aller traurigen Erſcheinungen der Zeit in re— 
ligiöſer Beziehung weſentlich beſſer geworden. Jene ſtagnirende 
Gleichgiltigkeit, welche in den Decennien eines falſchen Friedens 


IX 


jedes religiöſe Intereſſe und jedes höhere Leben in weiten Kreiſen 
erſtickte, iſt ein weit ſchlimmerer Znitand, als eine Zeit des 
Kampfes und der Verfolgung. Jene Zeit der Gleichgiltigkeit iſt 
vorüber. Die ganze Welt beſchäftigt ſich mit religiöſen und kirch— 
lichen Angelegenheiten, freilich vielfach in einem feindſeligen 
Sinne. Aber vertrauen wir auf die Kraft der Wahrheit, verthei— 
digen wir dieſelbe mit aller Klarheit und Offenheit. Dann werden 
Viele, die an der Wahrheit irre geworden, ſich zurecht finden und 
Andere, die ſie nie gekannt oder die ſie verkannt haben, ſich mit ihr 
befreunden. Man wird dann vielleicht einſehen, daß die katholiſche 
Religion die tiefſten Bedürfniſſe der Menſchheit und der Ge— 
genwart befriedigt, anſtatt ihnen feindlich gegenüber zu ſtehen. 
Humanität iſt ein Loſungswort der Zeit. Einer der Kam— 
merredner hat den frommen Wunſch ausgeſprochen, es möge 
„die Humanität“ die herrſchende Religion ſein. Auch wir 
ſind der Meinung, daß der Menſch ſelbſt der Mittelpunkt aller 
menſchlichen Intereſſen iſt und daß die Beſtimmung des Menſchen 
in der Humanität, in der vollkommenen Menſchlichkeit 
beſteht. Allein es handelt ſich nicht um den Namen, ſondern um 
die Sache — und das iſt eben die Frage, welches der wahre 
vollkommene Menſch ſei: ob etwa der Menſch des Ma— 
terialismus, das vorübergehende Produkt von Stoff und 
Kraft, der, man mag ſich drehen und wenden wie man will, nichts 
anders iſt als das vollkommenſte Thier, wie ſchon im Alterthum 
vom gleichen Standpunkt aus Plinius ſagt, das ſtolzeſte und 
elendeſte Thier zugleich; — oder jener fingirte Menſch 
des rationaliſtiſchen Deismus, ohne Gott ſich ſelbſt 
genug, in ſeinem ſtolzen Wahne ohne Schwäche und Sünde, und 
doch zugleich wieder ein ſo beſchränktes und armſeliges Weſen, daß 
ihm, wie Göthe irgendwo ſagt, wegen „ſeiner Gottähnlichkeit bange 
werden muß“; — oder endlich, ob der wahre und vollkommene 


X 


Menſch der chriſtliche Menſch ſei, weder Gott noch Thier, 
ſondern Gottes Geſchöpf und Ebenbild, klein in ſich, groß in Gott, 
voll Demuth und voll Hoheit, ſündhaft durch eigene Schuld, aber 
erlöſt durch Gottes Liebe, in der Zeit für die Ewigkeit lebend, kurz 
der Menſch, deſſen Erlöſer und Urbild Chriſtus iſt. Iſt man 
hierüber einmal ins Klare gekommen, dann wird man vielleicht 
auch einſehen, daß in der alten katholiſchen Kirche die chriſtliche 
Humanität in wunderſamer Weiſe ihre Verwirklichung fin— 
det und daß keine Macht auf Erden ſo viel thut und gethan hat, 
um dieſe Humanität unter den Menſchen zu verbreiten, als ſie ); 
man wird es vielleicht um ſo raſcher und vollkommener erkennen, 
je raſcher und vollkommener es ſich offenbart, daß jene Hu— 
manitätsbeſtrebungen, welche vor Allem darauf ausgehen, die 
katholiſche Kirche zu erniedrigen und den Glauben und die Sitten 
des katholiſchen Volkes zu untergraben, nicht zur Humanität, 
ſondern wahrhaftig zu ihrem Gegentheil führen. | 


Mainz, den 14. September 1863. 


Der Berfaſſer. 


1) Davon ſagt ein Proteſtant, dem an patriotiſcher und chriſtlicher 
Geſinnung wenige gleichkommen: „Angewandtes, lebendig gewordenes Chri— 
ſtenthum iſt der alte katholiſche Glaube. Seine Allgegenwart im Leben, 
ſeine Liebe zur Kunſt, ſeine tiefe Humanität, die Unverbrüchlichkeit ſeiner 
Ehen, ſeine menſchenfreundliche Mittheilſamkeit, ſeine Liebe zu Armuth, 
Gehorſam und Treue machen ihn als ächte Religion unverkennbar und 
enthalten die Grundzüge ſeiner Verfaſſung.“ Fr. v. Hardenberg (Novalis) 
Schriften. B. 1. S. 208. (Berlin. Ausg.) 


pw — 


I. Geſchichtliches. 


Das Verhältniß zwiſchen Staat und Kirche vor der Reformation. 
. Eine Epiſode über das Mittelalter. re 

Das Verhältniß zwiſchen Staat und Kirche nach bet Reformation. 
Die Aufklärungsperiode. . 

Die äußerſte Erniedrigung und Unterdrückung und die allmählige 


55 und 5 der katholiſchen Kirche in Deutſch⸗ 
land. 


.Die Reaction gegen die fischliche Freiheit a he veligtöfe Rege⸗ 


neration. 


Lage und Geſchichte der kathollſchen Kirche in der Oberrheiniſchen 


Kirchenprovinz, insbeſondere im . . 


Die Gegenwart. 
Der Character der Bewegung ER die rn 


Scite 


I 0 — 


13 
17 
20 


33 
11 


II. Das Weſen der kirchlichen Freiheit und der katholiſchen Kircht. 


1. Nothwendigkeit der Freiheit und een der Kirche im 
Allgemeinen. 50 
2. Nothwendigkeit der Freiheit ber Kirche in ber Gegenwart 105 6 
einem religiös gemiſchten Staate. 54 
3. Was zur Freiheit und Selbſtſtändigkeit ber tatholiſchen Kirche 
gehört. 55 
4. Von der unwahren und argliſtigen wnfghebmg zwiſchen aach 
licismus und Ultramontanismus. . „ 
%%% ( ĩ ĩ ĩ „ ĩ ĩ MR 
6 Pierarchie, Klerus und Vol. 63 
7. Von der Verfaſſung der Kirche. 67 


III. Das von der zweiten Kammtr der Stände des Großherzogthums 


Heſſen beſchloſſene neue Beligionsgeſetz. 
Die allgemeinen Grundſätze des Geſetzes. 


.Das neue Religionsgeſetz geht von der Nichtverbindlichkeit der 


zwiſchen Staat und Kirche geſchloſſenen Verträge aus, und macht 
nichts deſto weniger dieſe Verträge zum Nachtheile der Kirche 
geltend. 


Das projectirte neue e Religionsgeſetz 11 18 . die wohl⸗ 


erworbenen Rechte der Katholiken und der katholiſchen Kirche. 


81 


86 


9. 


10. 


13; 


12. 


13. 


14, 


15, 


XII 


Das neue Religionsgeſetz überſchreitet die Competenz der Staats⸗ 
geſetzgebung und beſtimmt über Dinge von rein religiöſer und 
kirchlicher Natur. g 
Das neue Religionsgeſetz verletzt die Rechtsgleichheit oder Bir 
Parität zwiſchen den verſchiedenen Religionen zum 5 der 
Katholiken auf's Schwerſte. F ee 
a) Die unbedingte Sectenfreiheit.  .. . 
b) Die Parität zwiſchen Katholiken und Pepleſtanten : 
Das Geſetz verletzt alle Grundſätze der 5 1 und des 
wahren Fortſchrittes. g ER 
Das Geſetz verletzt die Geſetze kei Logik. 

Die beſonderen Beſtimmungen des 0 ligionsgeſetzes. 
Der allgemeine Vorbehalt. 
Der Verkehr mit den kirchlichen Obern 10 Verbänden. 
Die Vergebung der Kirchenämter. 
Die Beſchränkungen der freien Vergebung bet Kirchenümter durch 
den Artikel 6. des neuen Religionsgeſetzes. „ 
Die Verletzung der Freiheit der katholiſchen Kirche in 5 © 
ziehung ihrer Geiftlichen durch denſelben Artikel 6. 5 
Das Mainzer Seminar und die Vorurtheile dagegen 
Das Verbot der Orden und een eee im All⸗ 
gemeinen. 5 
Das klöſterliche an gebört we ſentlic a Integrität ber tatho⸗ 
liſchen Religion; das Verbot deſſelben iſt ein tief 1 
Eingriff in das religiöſe Leben j 
Das Verbot der Orden und religiöſen Genoſſenſchaften ſteht im 
Widerſpruch mit den Grundſätzen des Rechtes, der Freiheit, der 
Vernunft und der Staatsweisheit. 
Auch die Jeſuiten können, ohne Verletzung ber katholischen Ne: 
ligion und des Rechtes, von der allgemeinen Duldung und reli⸗ 
giöſen Freiheit nicht ausgeſchloſſen werden. 


Kirchliche und Staatsjurisdiction. — Cautelen gegen khlichen 
Amtsmißbrauch. — a — * 8 ; 
Kirchenvermögen.. . 5 V 
Ehe, Familie und Schule. EN ee 
Das Unterrichtsweſen. V 


Die Schlußartikel des Religtonsgeſetes. : 
IV. Ausfihten in die Zukunft, g 
VVV wen, 


Seite 


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237 


Geſchichtliches. 


Die kirchlichen Kämpfe und Fragen der Gegenwart kann man 
ohne Kenntniß der Geſchichte nicht beurtheilen. Wir laſſen da- 
her einen Rückblick auf die Vergangenheit vorausgehen. Was 
vielleicht auf den erſten Blick ein Umweg ſcheint, wird uns um 
ſo ſicherer und raſcher zum Ziele führen. 


1. Das Verhältnitz zwiſchen Staat und Kirche nor der 
Reformation. 


Bis zur Reformation des 16. Jahrhunderts gab es im 
geſitteten Europa nur ein einiges Chriſtenthum, das katholiſche. 
Das alte griechiſche Kaiſerreich zu Konſtantinopel hatte ſich zwar 
im 9. vorübergehend und bleibend im 11. Jahrhundert von 
der Einheit der katholiſchen Kirche getrennt und das kaum 
zum Chriſtenthum bekehrte, noch ganz barbariſche Rußland in 
ſeine Lostrennung mitverwickelt, war aber nachher von der 
Türkenherrſchaft zerſtört und verſchlungen worden. Auch das 
iſt eine Thatſache, daß vorzugsweiſe die katholiſche Kirche 
das Chriſtenthum im Verlaufe der Zeiten über die noch heid— 
niſchen außereuropäiſchen Länder, ſoweit dieſelben bis jetzt dem 
Chriſtenthum zugänglich geworden ſind, ausbreitete. 

Im 16. Jahrhundert trat die große Kirchentrennung im 
Abendlande ein. Nach der Abſicht ihrer Urheber ſollte die 
Reformation die ganze Chriſtenheit umfaſſen und nach wie vor 
nur Eine Kirche bleiben, nur daß deren Lehren, Sacramente, 
Gottesdienſt und Verfaſſung nach jenen Grundſätzen neuge— 


ſtaltet werden ſollten, welche die Reformatoren für die dem 
Heinrich, Der Kampf der Kirche. 1 


2 


Worte Gottes entsprechenden und urchriſtlichen hielten. Dieſe 
Abſicht ging nicht in Erfüllung, indem die Mehrheit der chriſt— 
lichen Völker und auch in Deutſchland, das uns zunächſt in— 
tereſſirt, die größere Hälfte der Nation der alten Kirche treu 
blieb. 

Was das Verhältniß des Staates zur Kirche betrifft, ſo 
war im antiken Heidenthum, wo es nur Nationalgötter und 
Nationalreligionen gab, die Religion eine Staatsſache; im alten 
Judenthum beſtand zwar nicht, wie im Heidenthum, 
dieſe abſolute Identität von Staat und Kirche, aber es war 
der jüdiſche Staat umgekehrt, der göttlichen Aufgabe Iſraels 
und der damaligen Weltperiode entſprechend, vorherrſchend theo— 
kratiſch. Durch das Chriſtenthum aber trat die Un— 
terſcheidung von Kirche und Staat, von geiſt— 
licher und weltlicher Gewalt ein für alle Mal 
in's Daſein. Chriſtus, der nicht bloß der Stifter des 
Chriſtenthums, ſondern auch der weſentliche Gegenſtand des 
chriſtlichen Glaubens und der Mittelpunkt alles chriſtlichen Le— 
bens iſt, hat eine ſpecifiſch vom Staate verſchiedene, nicht bloß 
für Eine Nation, ſondern für alle Völker der Erde beſtimmte 
religiöſe Gemeinſchaft, die chriſtliche Kirche geſtiftet. Es war 
dieſes eines jener großen Principien, wodurch Chriſtus die 
Welt umgeſtaltet hat und wodurch er der Mittel- und Wende— 
punkt nicht bloß der religiöſen Geſchichte der Menſchheit, ſon— 
dern der ganzen Weltgeſchichte iſt. 

So lange der Staat, damals das römiſche Weltreich, heid— 
niſch war, ſtand er dem Chriſtenthum und der chriſtlichen Kirche 
nicht bloß als blutiger und wilder, ſondern auch als ſyſtemati— 
ſcher und civiliſirter Verfolger gegenüber. Es entwickelte ſich 
im römiſchen Reiche eine ganze Geſetzgebung, welche die Aus— 
rottung des Chriſtenthums und die Aufrechthaltung der e 
niſchen Staatsreligion zum Zwecke hatte. 

Auch nachdem das Chriſtenthum geſiegt, blieb die Maier 
ſcheidung von Staat und Kirche in ihrer ganzen Integrität 
beſtehen, nur trat an die Stelle der Feindſchaft ein Verhältniß 
gegenſeitiger Freundſchaft. Am vollſtändigſten war 
dies in jener großen Periode der Geſchichte der Fall, welche 
man das Mittelalter nennt. Wenn in dieſer Periode der 
Staat mit der Kirche zur Verwirklichung der chriſtlichen Prin— 
cipien auf allen Gebieten des geſellſchaftlichen Lebens Hand in 
Hand ging, ſo entſprach er dadurch nur dem Geiſt und Willen 


3 


der durch und durch gläubigen Völker. Allerdings fanden in 
dieſer Periode auch große Kämpfe zwiſchen der geiſtlichen und 
weltlichen Gewalt ſtatt; allein es hatten dieſe Streitigkeiten nichts 
gemein mit jenen principiell feindſeligen Kämpfen zwiſchen 
Staat und Kirche, wie ſie dem heidniſchen Alterthum eigen 
waren und unſerer Weltperiode zum Theil wieder eigen ſind: 
denn damals ſtanden beide Theile ganz und gar auf dem ge— 
meinſamen Boden des katholiſchen Glaubens und über das 
Princip der Selbſtſtändigkeit der Kirche und des Staates in 
je ihren Kreiſen war nie ein Zweifel. Es handelte ſich 
ſtets nur um die Anwendung dieſes Princips und die Be— 
kämpfung von wirklichen oder vermeintlichen Uebergriffen von 
der einen oder anderen Seite — Kämpfe, welche da, wo 
Menſchen ſind und wo Leben iſt, nimmer ganz ausbleiben 
werden. 


2. Eine Epiſode über das Mittelalter. 


Selbſt auf die Gefahr hin, den Vorwurf einer nicht 
zur Sache gehörigen Abſchweifung auf mich zu ziehen, muß 
ich mich zu dieſer Epiſode entſchließen. Denn ſo wie nur 
der Name „Mittelalter“ ausgeſprochen wird, entſteht in der 
Phantaſie Vieler ein Bild der tieſſten Finſterniß, in der ſich 
die Geſpenſter des Aberglaubens, der Tyrannei und Knecht— 
ſchaft umhertreiben; insbeſondere iſt ihnen das Mittelalter 
die Zeit unumſchränkter Prieſterherrſchaft — und eines der 
Hauptſchlagwörter gegen die katholiſche Kirche der Gegenwart iſt, 
ſie wolle die mittelalterlichen Zuſtände zurückführen. So 
lange nun ein Menſch dieſen Spuck im Kopfe trägt, iſt mit 
ihm über katholiſche Angelegenheiten ſchlechterdings nicht zu 
ſprechen. Es iſt auch umſonſt, ihm von Gerechtigkeit und Freiheit 
einzureden; er meint, hier handle es ſich nicht um das Recht 
und die Freiheit der katholiſchen Kirche, ſondern um das 
Recht der Nothwehr für die freie und gebildete 
Menſchheit des neunzehnten Jahrhunderts: denn wenn man 
ſich nicht wehre und mit Fäuſten dreinſchlage, ſo werde man 
ohne Zweifel eines ſchönen Morgens ſich in mittelalterliche hier— 
archiſche Geiſtesknechtſchaft geſchlagen, ja vielleicht auf dem 
Scheiterhaufen oder wenigſtens in den Kerkern der Inquiſition 
wieder finden. 

Es gibt nun Leute, die in dieſer Hinſicht incurabel ſind. 
Wie kann man auch mit dem Blinden von der Farbe re 

1 * 


4 


den? Wie kann man mit Leuten über Mittelalter und über 
irgend etwas Wirkliches ſich verſtändigen, denen alle Vorbe— 
dingungen dazu fehlen, die ſtatt Gedanken nur noch ein paar 
Phraſen haben und deren eigenes Geiſteslicht kaum in etwas 
Anderem beſteht, als daß ſie das Mittelalter für ſtockfinſter, 
und die modernſte Bildung für den Inbegriff alles Lichtes 
halten? 
Aber auch unter vernünftigen Leuten gibt es ſonderbare 
Porurtheile. — 
Die katholiſche Kirche und Hierarchie wolle das Mittelalter 
wieder heraufbeſchwören?? uch, dann müßte die katholiſche 
Kirche und Hierarchie ſehr einfältig ſein und kein Menſch hätte 
Urſache, ſich vor ihr zu fürchten. Das Mittelalter iſt eine 
Weltperiode, die bereits ſeit 300, und wenn man's recht 
nimmt, ſeit mehr als 400 Jahren vorüber iſt. Nur ein Don 
Quixote kann die Zeiten des Ritterthums zurückbringen wollen. 
Dagegen die katholiſche Kirche, eben weil ſie katholiſch, d. h. für 
alle Zeiten und alle Völker iſt, hat ſich nie damit abge: 
geben, vergangene Zeiten zurückzuführen, vielmehr hat ſie jede 
Zeit genommen, wie ſie war, und in ihr die ewigen Princi— 
pien des Chriſtenſhums und ſeine ewigen Rechte in einer der 
Zeit entſprechenden Weiſe zur Geltung zu bringen geſucht. 
Was insbeſondere die Kircheufrage in der Gegenwart 
anlangt, So ſtehen weit eher untere Gegner, wenn auch nicht 
auf einem mittelalterlichen, doch auf einem veralteten Stand— 
punkt, als die ſogenannten Ultramontanen, die ſich ganz 
und gar auf den Standpunkt der Gegenwart ſtellen und 
keine mittelalterlichen Privilegien, ſondern einfach die Freiheit 
und Parität für die katholiſche Kirche in Anſpruch nehmen. 
Was aber das Mittelalter ſelbſt betrifft, ſo müßte, ſcheint 
es mir, auch ohne beſondere Geſchichtsſtudien, die einfachſte 
Reflexion einen jeden vernünftigen Menſchen zur Ueberzeu⸗ 
gung führen, daß daſſelbe doch unmöglich ſo ſchlimm geweſen 
ſein könne, wie das vulgäre Borurtheil meint: denn in der 
That war es ja die Jugend- und eine Blüthezeit nicht bloß 
unſerer deutſchen Nation, ſondern aller europäiſchen Völker; 
es war die Frühlingsperiode der ganzen abendländiſchen chriſt— 
lichen Civiliſation, eine Zeit, die, wie kaum eine andere, fruchtbar 
war an großen Charakteren und großen Geiſtern, in deren Cul— 
minationspunkt mehr ideale Geiſtesthätigkeit in Einem Menſchen 


+} 


alter zufammengedrängt war, als in mancher anderen Periode 
in einem Jahrhundert. 

Wenn wir aber näher das Mittelalter ſtudiren, ſo müſſen 
wir uns überzeugen, — und hierin ſind alle gründlichen 
Kenner der Geſchichte einverſtanden — daß es ungefähr das 
gerade Gegentheil von dem geweſen iſt, was man aus ihm 
macht: denn es war das Mittelalter ſo wenig eine Zeit 
des Zwanges, der Tyrannei, der Unfreiheit, daß es vielmehr 
eine Zeit großer Freiheit war — freilich auch eine Zeit 
des lebendigſten Glaubens, der vielleicht nothwendig iſt, 
wenn die Welt eine große Freiheit ſoll ertragen können. Für 
die Kirche aber war das Mittelalter nicht, wie man wähnt, 
eine Zeit der Herrſchaft, ſondern eine Zeit der Freiheit und 
des Kampfes. ö 


Gewiß hat darum Montalembert recht, wenn er in ſei— 
nem prächtigen, von uns noch öfter citirten Buche „die Mönche 
des Abendlandes“ (Bd. I. Kap. 9.) ſagt: 

„Die wahre Größe, die wahre Kraft, der wahre Triumph 
der Kirche im Mittelalter beſtand nicht darin, daß ſie mächtig 
und reich, daß ſie geliebt, daß ſie von den Fürſten unterſtützt 
und beſchützt, ſondern darin, daß ſie frei war. Sie war frei 
in der allgemeinen Freiheit, ſowie man dieſelbe damals ver— 
ſtand und übte, in der Freiheit, wie jede Corporation, jeder 
Beſitzende ſie hatte; ſie hatte ein größeres Maß davon, denn 
ſie war zu gleicher Zeit die größte Corporation und die größte 
Eigenthümerin in Europa. Dieſe Freiheit, welche jederzeit die 
hauptſächlichſte Bürgſchaft ihrer Majeſtät, ihrer Fruchtbarkeit, 
ihrer Dauer, überhaupt die erſte Lebensbedingung für ſie ge— 
weſen iſt, beſaß ſie damals vollſtändiger als in irgend einer 
früheren Zeit; und nie (mit Ausnahme der wenigen Länder, 
wo ſich die moderne Freiheit von allen veralteten Feſſeln be— 
freien konnte), hat ſie dieſelbe in einer ſpäteren im gleichen 
Grade wie damals beſeſſen. Und gleichwie die Geſchicke und 
die Rechte der Kirche und der chriſtlichen Seele identiſch ſind, 
ſo war auch die Seele niemals freier, freier für alles Gute, 
freier, ſich Gott und dem Nächſten zu opfern. Daher denn auch 
jene Wunder von Aufopferung, von Nächſtenliebe, von Heilig— 
10 5 die uns ſo hoch erfreuen und deren Glanz uns noch heute 

endet.“ 


Es war uns nicht darum zu thun, eine geſchichtliche Er— 


6 


örterung über das Mittelalter zu geben, ſondern nur den 
Dunſt, der ſich bei der Ausſprechung dieſes Namens um die eine 
oder die andere Intelligenz etwa gelegt haben möchte, durch 
etwas friſche Luft zu zerſtreuen. Auch darum möchten wir 
noch die geneigten Leſer bitten, doch jene Zeit, die den 
höchſten Gegenſatz zum Mittelalter bildet, nämlich die Zeit 
des Staatsabſolutismus der letzten drei Jahrhunderte nicht 
mit dem Mittelalter zu verwechſeln; dieſe hat mit dem Mit— 
telalter weniger Aehnlichkeit, als das Schloß von Verſailles 
mit dem Kölner Dom oder der Stock eines Polizeimannes 
mit dem Scepter Carls des Großen. Allein, wie geſagt, 
man kann bezüglich des Mittelalters ganz ruhig ſein; wir 
wollen nicht das Mittelalter zurückführen, ſondern in der 
neuen Zeit wollen auch wir an der allgemeinen Freiheit 
unſeren ehrlichen gleichen Theil, und weil Recht und Frei— 
heit eins und daſſelbe ſind, ſo wollen wir Katholiken für 
uns und unſere Kirche unſer gutes Recht — damit wir von 
Rechtswegen und nicht etwa bloß von der Gunſt und Gnade 
einer conſtitutionellen oder nicht conſtitutionellen Regierung, 
einer oppoſitionellen oder einer ſervilen Kammer leben. 


3. Das Verhältniß zwiſchen Stant und Kirche nach der 
Reformation. 


Nach der Reformation trat eine große Veränderung in 
allen öffentlichen Verhältniſſen ein, die nicht bloß für die 
kirchliche, ſondern für jede Freiheit höchſt verhängnißvoll war. 

Die Reformatoren hatten es insgeſammt für eine Pflicht 
und Aufgabe der Fürſten, in den freien Städten und Re— 
publiken der republikaniſchen Obrigkeiten erklärt, die „Kirchen— 
verbeſſerung“ einzuführen. Man nannte das das Reforma— 
tionsrecht (jus reformandi) der chriſtlichen Obrigkeit. In 
der That geſchah die Einführung des Proteſtantismus überall 
durch die Staatsgewalt. Hierdurch kam auch, mit einzelnen 
Ausnahmen, in den proteſtantiſchen Ländern die Kirchengewalt 
und Staatsgewalt in dieſelbe Hand. 

In den katholiſchen Ländern blieb zwar grundſätzlich das 
Verhältniß zwiſchen dem Staat und der katholiſchen Kirche 
das alte Verhältniß gegenſeitiger Selbſtſtändigkeit und Freund— 
ſchaft; thatſächlich aber ſtrebten auch die katholiſchen Fürſten 
mehr und mehr nach einer Oberherrſchaft über die Kirche. 
Zwar konnte das nie in eine förmliche Uſurpation der Kirchenge— 


N 


walt ausarten, aber unter dem Titel der Majeſtätsrechte legten ſie 
ſich eine Reihe zum Theil tief in das innere kirchliche Leben 
eingreifender Befugniſſe bei und durch ein ausgedehntes Pa— 
tronat übten ſie und übten ihre Günſtlinge einen verderb— 
lichen Einfluß auf die Beſetzung der kirchlichen Stellen. Es 
war eben die Zeit des Abſolutismus. Wie die fürſtliche All— 
macht eines Ludwigs XIV. keinerlei weltliche corporative Frei— 
heit neben ſich duldete, ſo konnte ſie ſich auch nicht mit einer 
freien ſelbſtſtändigen Kirche vertragen. 

Nie gab es auf Erden eine Zeit, in welcher die Reli— 
gion und das chriſtliche Bewußtſein der Menſchheit tiefere 
Wunden empfing, als dieſe Zeit, in welcher die Religion 
mehr und mehr zu einer Sache der Politik und des äußeren 
Zwanges gemacht wurde, wo ſie ſelbſt den Deckmantel zu 
blutigen Kriegen abgeben mußte, die zu ganz anderen als 
religiöſen Zwecken geführt wurden. Das gilt namentlich ſchon 
vom dreißigjährigen Kriege. Aber ſelbſt noch Friedrich II., 
von Preußen ſuchte ſeinen Kriegen mit Oeſterreich theilweiſe 
den Schein von Kriegen für die Rechte und Intereſſen des 
Proteſtantismus zu geben. 


In dieſer Zeit begab ſich jener große Abfall vieler Gei— 
ſter von allem chriſtlichen Glauben, der dem 18. und 19. 
Jahrhundert vorzugsweiſe ſeine Signatur aufgedrückt hat. 


t. Die Aufklarungsperiode. 


Das Chriſtenthum iſt ſeinem ganzen Weſen nach eine 
übernatürliche und offenbarte Religion. Es gibt zwar 
nicht bloß zu, ſondern lehrt ausdrücklich, daß die menſchliche 
Vernunft auch ſchon durch das ihr eigenthümliche natürliche 
Licht eine Erkenntniß von Gott und von der Beſtimmung 
und den Pflichten des Menſchen erlangen könne; allein es 
leugnet entſchieden, daß die bloße Vernunft und die bloß 
natürliche Kraft des Menſchen genüge, um ihn zu der 
ewigen und erhabenen Beſtimmung zu führen, wozu er be— 
rufen iſt, nämlich zu jener innigen Lebensgemeinchaft mit 
Gott, die hier auf Erden in der Prüfungszeit durch die 
übernatürliche Offenbarung und Gnade begründet und in der 
Ewigkeit im ſeligen Beſitze Gottes vollendet werden joll. 

Das Chriſtenthum iſt ferner die Religion der. Erlö— 
ſung. Das Menſchengeſchlecht iſt in jener heiligen Verbindung, in 


8 


welcher es urſprünglich mit Gott ſtand, nicht geblieben, ſondern in 
Hochmuth und Selbſtſucht von ihm abgefallen. Es iſt ein ge— 
fallenes, nicht aber ein von Gott verworfenes Geſchlecht; die Er: 
löſung und Wiedervereinigung der Menſchheit mit Gott iſt viel— 
mehr das Ziel aller göttlichen Offenbarungen. In Chriſtus iſt 
dieſe von Anbeginn der Welt an vorbereitete Erlöſung vollbracht. 
In ihm ſelbſt iſt Gottheit und Menſchheit in der innigſten Weiſe 
vereinigt. Chriſtus, der Gottmeunſch iſt das Haupt, der Wie— 
derherſteller und Erlöſer der Menſchheit. In ihm iſt Gott 
der Menſchheit perſönlich erſchienen und hat den Menſchen 
nicht bloß die Fülle der göttlichen Wahrheit und Weisheit, 
ſondern auch die Vergebung der Sünden und jene übernatür— 
liche Kraft und Gnade mitgetheilt, die ſie allein in den 
Stand ſetzt, ihre ewige Beſtimmung zu erreichen. 

Dieſes find die, allerdings höchſt abſtrakt und trocken aus— 
gedrückten Grundwahrheiten des Chriſtenthums, welche die 
civiliſirte Menſchheit bis in die neueren Zeiten mit einer 
unerſchütterlichen Treue feſtgehalten hat. Denn zwiſchen der 
katholiſchen Kirche und dem gläubigen Proteſtantismus be: 
ſtehen zwar über die Art und Weiſe, wie Chriſtus ſeine 
Wahrheit und Gnade uns mittheilt und wir dieſelbe uns aneig— 
nen, d. h. über Kirche und Sacramente, Gnade und Recht— 
fertigung, große und tief greifende Gegenſätze, aber bezüglich 
der Grundwahrheit des Chriſtenthums, die Offenbarung Gottes 
in Chriſtus zur Erlöſung der geſallenen Menſchheit, beſtand, 
wenige Ausnahmen abgerechnet, bis in das vorige Jahrhun— 
dert unter Allen, welche den Chriſtennamen tragen, eine voll— 
kommene Uebereinſtimmung. Mit einer Begeiſterung und Entſchie— 
denheit, die durch keine Verfolgung und kein noch ſo blutiges 
Martyrium abgeſchreckt und ausgelöſcht wurde, hatten die 
Edelſten und Beſten der antiken heidniſchen Welt, die in 
dem Cultus der Götzen bisher nur Verderbniß und in den 
dürftigen und zweifelsvollen Lehren auch der beſſeren heidni— 
ſchen Philoſophie, keine Befriedigung gefunden, die chriſtliche 
Wahrheit ergriffen; in dieſer Wahrheit haben die neuen 
Völker der Weltgeſchichte, vor Allem unſer deutſches Volk, 
durch mebr als anderthalb tauſend Jahre für alle Bedürf— 
niſſe ihres Geiſtes und Herzens die höchſte Befriedigung, die 
Quelle alles Troſtes, die Kraft auch zu den heldenmüthigſten 
Tugenden, das Licht aller Wiſſenſchaft, das höchſte Ideal 


9 


aller Kunſt und das übernatürliche und unentbehrliche Binde: 
mittel des ſocialen Lebens gefunden. 


In den letzten Jahrhunderten aber wurde es anders. 
Es trat ein großer Abfall vieler Geiſter von dem Chriſten— 
thum als einer übernatürlichen Offenbarung ein. Man kann 
die mannigfaltigen Schattirungen dieſer Geiſtesrichtung unter 
dem gemeinſamen Namen, den ſie ſich meiſtens ſelbſt ge— 
geben hat, zuſammenfaſſen, unter dem Namen der Aufklä— 
rung. Das Gemeinſame aller dieſer Richtungen iſt die Leug— 
nung einer übernatürlichen göttlichen Offenbarung, 
und damit des innerſten Weſens und Kernes des Chriſten— 
thums: der Menſchwerdung Gottes und der Erlö— 
ſung der gefallenen Menſchheit. Alles Uebernatür— 
liche fiel unter die Kategorie des Aberglaubens. Inſofern 
dieſe Aufklärung keine andere und höhere Quelle der Wahr— 
heit als die menſchliche Vernunft anerkennt, kann man 
ie auch mit dem Namen Nationalismus belegen. 


In dem katholiſchen Frankreich nahm die von Eng: 
land herübergekommene Aufklärung unter dem mißbrauchten 
Namen der Philoſophie gleich von vornherein durch Voltaire und 
ſeine Schule den Character einer entſchiedenen Feindſchaft gegen 
das Chriſtenthum und eines graſſen Atheismus an. Im prote— 
ſtantiſchen Deutſchland dagegen trat ſie theils in einer theo— 
logiſchen, theils in einer philoſophiſchen Form auf. Der theolo— 
giſche Rationalismus behauptete, das Chriſtenthum ſei eigentlich 
nichts Anderes, als die reine Vernunftreligion; nur dieſe habe Chri— 
ſtus, „der Weiſe von Nazareth“, gelehrt; Alles, was von Wun— 
dern und übernatürlichen Geheimniſſen in der heiligen Schrift 
enthalten ſei, beruhe entweder auf Irrthum oder ſrommem 
Betruge. Das Weſentliche am Chriſtenthum ſei eine vernünſ— 
tige Moral; um dieſe im Volke zu verbreiten, könne und 
ſolle man ſich der Bibel und der heiligen Geſchichte immer— 
hin als einer ſchönen Allegorie und Beiſpielſammlung be— 
dienen. Der Gebildete könne ſolcher Krücke entbehren. 


Dieſer Rationalismus brachte es im Laufe des achtzehnten 
Jahrhunderts zu einer faſt allgemeinen Herrſchaft im prote— 
ſtantiſchen Deutſchland, und obwohl in den letzten dreißig 
Jahren ein bedeutender Umſchwung zu einer gläubigen Auf— 
faſſung des Chriſtenthums ſtattgefunden hat, jo kann ji 
dennoch Niemand darüber einer Täuſchung hingeben, daß auch 


10 


heute noch der Rationalismus bei weitem die Oberherrſchaft 
im Proteſtantismus beſitzt, ja ſich mit großem Erfolg als 
den wahren und conſequenten Proteſtantismus behauptet. 

Was den philoſophiſchen Rationalismus in Deutſchland 
betrifft, ſo hielt er nur noch in Kant, dem Vater der 
modernen Philoſophie, die Exiſtenz eines perſönlichen 
Gottes und einer perſönlichen Unſterblichkeit aufrecht. — 
Die ganze folgende deutſche Philoſophie — Fichte, Schelling, 
Hegel, auch Schoppenhauer — iſt pantheiſtiſch. 
Alle dieſe Philoſophen ſpinnen den Grundgedanken des Pan— 
theismus, wie er ſchon in der vor- und nachſokratiſchen Sophi— 
ſtik dageweſen, wie er hie und da im Mittelalter aufgetaucht, 
am Beginne der neueren Zeit aber durch Spinoza in ein 
Syſtem von ſcheinbar mathematiſcher Schärfe gebracht wor— 
den war, in verſchiedener Weiſe und nach verſchiedener Me— 
thode ab. In allen dieſen Syſtemen aber bleibt derſelbe heil— 
und troſtloſe Inhalt: daß es keinen perſönlichen Gott und 
teine perſönliche Unſterblichkeit des Menſchen, keine göttliche 
Vorſehung und keine menſchliche Willensfreiheit, ſondern nur 
ein unperſönliches, abſolutes Weſen gibt, welches kein anderes 
Daſein hat, als in der mit ihm identiſchen Welt, in deren 
vorübergehenden Erſcheinungen es ſich nach einem Geſetze in— 
nerer Nothwendigkeit entwickelt. Wie die Naturweſen, ſo ſind 
auch die einzelnen Menſchengeiſter nichts als vorübergehende 
und nothwendige Manifeſtationen des abſoluten Urweſens, wel— 
ches alle Dinge und Ereigniſſe, Leben wie Tod, Licht wie 
Schatten, Gutes wie Böſes, ewig aus ſich erzeugt und ewig 
wieder in ſich verſchlingt. 

Aber auch der Pantheismus der deutſchen Philoſophie iſt 
bereits antiquirt und der Materialismus an die Stelle getre— 
ten. Wie früher das Chriſtenthum, hat man nämlich nun auch die 
ſpekulative Philoſophie als Wahn bei Seite geworfen, um ſich ledig— 
lich an die ſinnliche Erfahrung zu halten — und da die 
Sinne nichts Anderes uns mittheilen, als das Materielle, ſo 
hat man die Materie für das einzig Wahre und Wirkliche erklärt. 
Stoffatome mit den ihnen eigenthümlichen Kräften, 
oder „Stoff und Kraft“ iſt der Grund und das Weſen 
aller Dinge. Ein geiſtiges Weſen gibt es nicht, weder einen 
Gott, noch einen vom Körper verſchiedenen Menſchengeiſt, 
und darum ſelbſtverſtändlich weder eine Unſterblichkeit noch 
eine höhere geiſtige Welt. Was man Denken und Wollen 


11 


nennt, iſt nichts Anderes als eine rein phyſiſche Wirkung der 
im Organismus verbundenen materiellen Stoffe. 

Das iſt der Fortſchritt, den die Vernunftwiſſenſchaft ſeit 
ihrer Emancipation vom Geiſte des Chriſtenthums gemacht 
hat: vom Deismus zum Pantheismus, vom Pantheismus zum 
Materialismus. Es iſt eine vollendete Thatſache. 

Eine förmliche Religion oder Kirche für ſich hat die 
Aufklärung nie gebildet. Nur in der neueſten Zeit hat ſie, 
von vereinzelten früheren Verſuchen abgeſehen, ſich in den 
ſogenannten freien Gemeinden und in dem ſogenannten Deutſch— 
katholicismus, in jenen auf proteſtantiſchem, in dieſem mehr auf 
katholiſchem Territorium zu conſtituiren geſucht. Um ſo mehr 
aber war ſie darauf bedacht, ſich des Staates zu be— 
mächtigen. In der großartigſten und gewaltigſten Weiſe ge— 
ſchah dieſes in der erſten franzöſiſchen Revolution, 
welche ſelbſt ihren höchſten Ruhm darin erblickte, daß ſie 
die Verwirklichung der Philoſophie des 18. Jahrhunderts ſei. 
Da ſah die Welt ein Schauſpiel, wie ſie nie ein ähnliches 
geſehen. In dem chriſtlichen Frankreich wurde das Chriſten— 
thum und bald ſogar der Glaube an Gott förmlich und von 
Staatswegen abgeſchafft, ein ſymboliſcher Cultus der Göttin 
der Vernunft an die Stelle geſetzt und, nach einiger Zeit, 
in nicht minder blasphemiſcher und lächerlicher Weiſe ein 
Cultus des höchſten Weſens hergeſtellt. Napoleon !. er: 
kannte, daß der Staat und die menſchliche Geſellſchaft des 
alten Chriſtenthums nicht entbehren könne; aber, obwohl das 
immer noch chriſtliche Volk darüber frohlockte, ſo gehörte ſeine 
ganze Macht und ſeine ganze Entſchloſſenheit dazu, um, gegen— 
über der antichriſtlichen Wuth der Partheien, die Wiederher— 
ſtellung der katholiſchen Religion durch Abſchluß des Concor— 
dates zu bewirken. Man leſe nur, was Thiers darüber 
in ſeiner Geſchichte des Conſulates und des Kaiſerreiches mit— 
theilt. 

Dieſer antichriſtliche Geiſt der erſten franzöſiſchen Revo— 
lution iſt bis zur Stunde der Geiſt der europäiſchen Revo— 
lution geblieben. 

Aber auch in Deutſchland hat die ſogenannte Aufklärung 
oder Philoſophie, wenn auch in anderer und minder umfaſſen— 
der Weiſe, als in der erſten franzöſiſchen Republik, ſich des 
Staates als ihres Organes bemächtigt. In Preußen be— 
ſtieg die Philoſophie Voltaires in der Perſon Friedrichs II. 


12 
den Thron; und wenn derſelbe auch die beſtehenden Con— 
feſſionen bis zu einem gewiſſen Grade ſchonte und benutzte, 
ſo ging doch ſeine weſentliche Tendenz dahin, Preußen ſo recht 
eigentlich zum Träger der Aufklärung zu machen. 

In den Befreiungskriegen trat zwar überall eine Rück— 
kehr zu chriſtlichen Anſchauungen ein; aber bald erblicken wir 
wieder die Hegeliſche Philoſophie faſt als Staatsphiloſophie 
und eine Grundlehre Hegels iſt, daß der Staat die Kirche 
der Menſchheit und der Träger der Philoſophie ſei und als 
ſolcher nicht etwa bloß die Aufgabe habe, Recht und Gerech— 
tigkeit zu handhaben, ſondern Alles in Allem zu ſein. 

Friedrichs II. katholiſcher Nachahmer, Kaiſer Joſeph II. von 
Oeſterreich, war zwar weit von der Freigeiſterei Voltaires 
entfernt; dazu hatte er ein viel zu chriſtliches Herz. Er 
wollte die katholiſche Religion, ſo weit er ſie verſtand, er— 
halten wiſſen, wie er denn auch als ein gläubiger Sohn der 
Kirche geſtorben iſt; aber ſie möglichſt „aufzuklären“ und dem 
Zeitgeiſte zu conformiren, das war die fixe Idee ſeines Le— 
bens. So wurde er, wenn nicht der Urheber, doch der haupt— 
ſächlichſte Beförderer jenes Syſtemes, das man nach ihm den 
Joſephinismus nennt. Der Joſephinismus iſt nichts 
Anderes, als eine durch den Staatsabſolutismus 
vollzogene Verpflanzung einer ſeicht rationa⸗— 
liſtiſchen Aufklärung auf den katholiſchen Bo: 
den. Gänzliche Abhängigkeit der Kirche vom Staat, daher 
möglichſte Lostrennung von der Geſammtkirche und ihrem 
Oberhaupte, ein vom Staate zu einem aufgeklärten und ſervilen 
geiſtlichen Staatsbeamtenthum erzogener Clerus unter vom Staate 
gewählten und geſchulten Biſchöfen; Regierung des geſammten 
religiöſen Lebens, bis in die kleinſten Kleinigkeiten, durch den 
Staat und durch Staatsverordnungen; möglichſte Unterdrückung 
aller kirchlichen Corporationen und Vereine, aller Mannigfaltig— 
keit und Freiheit des religiöſen Lebens; Reducirung des reli— 
giöſen Unterrichtes auf eine aufgeklärte Nützlichkeitsmoral — 
das ſind die Grundzüge des Joſephinismus. Es gibt 
keine Geiſtesrichtung und kein Syſtem, welches den katholi— 
ſchen Clerus und das katholiſche Volk jo bis in's Mark 
verdirbt, ſo allen Geiſt und alles Leben ertödtet, als dieſer 
Joſephinismus, die polizeilich gehandhabte, mit katholiſchen 
Formen umkleidete bornirteſte und oberflächlichſte Sorte der 
Aufklärung. 


13 


5. Die äußerſte Erniedrigung und Unterdrückung und dir 
allmähligt Wiedergeburt und Befreiung der katholiſchen 
Kirche in Drutſchland. 


In Folge der bisher angedeuteten Urſachen befand ſich 
das Chriſtenthum und insbeſondere die katholiſche Kirche Ende 
des vorigen Jahrhunderts in Europa in einer Lage, die, 
wenigſtens vom Standpunkte des Glaubens und der Wahrheit 
aus betrachtet, weit ſchlimmer war, als offene und blutige Ver— 
folgung. Dahin hatte es der Abſolutismus und die Aufklärung 
gebracht. Aeußerlich und ſcheinbar war die Kirche noch mit einem 
gewiſſen Glanze umgeben; auch die Maſſe des Volkes war noch 
gläubig und chriſtlich. Aber das Volk galt damals Nichts und 
die Kirche war in tieffter Knechtſchaft. An allen Höfen und 
in der geſammten vornehmen und gebildeten Welt herrſchte 
ein frivoler, aufgeklärter Unglaube und ein gränzenloſes Sit— 
tenverderben. In Frankreich war Voltaire König im Reiche 
der Geiſter. Im proteſtantiſchen Deutſchland hatte die ganze 
gebildete Welt gründlichſt mit dem gläubigen Chriſtenthum ge— 
brochen. 

Auf dieſem Boden erwuchs faſt die geſammte neuere deutſche 
Literatur. In jener Zeit, wo das Miſere der äußeren Zu— 
ſtände auf den Gipfel geſtiegen war, wo man weder von 
Religion, noch von Patriotismus etwas wußte, warf ſich der 
menſchliche Geiſt mit einer uns jetzt unerklärlichen Schwär— 
merei auf die Poeſie und ſchöne Literatur, um in dem Ge— 
nuſſe des Schönen Erſatz für Alles zu finden und die Welt 
durch Aeſthetik zu erlöſen und zu reformiren. Wie viele 
chriſtliche, ja katholiſche Anklänge und Anſchauungen auch bei 
ihnen ſich finden, die beiden Fürſten unter den deutſchen 
Claſſikern, Schiller und Göthe, ſind und bleiben die poe— 
tiſchen Träger des damaligen Geiſtes der proteſtantiſchen Welt; 
Schiller, eine edle Natur, iſt der Repräſentant eines ratio— 
naliſtiſchen Deismus und einer äſthetiſch gefärbten ſtoiſchen 
Moral; Göthe der poetiſche Träger der pantheiſtiſchen Welt— 
anſchauung und einer fein epikuräiſchen Lebensphiloſophie. Bei: 
der höchſtes Ideal lag nicht in der chriſtlichen Welt, ſondern 
im antiken Griechenland ). 


1) Die praktiſchen Franzoſen hatten nicht, wie ihre deutſchen Zeitge⸗ 


14 


Während ſo im proteſtantiſchen Deutſchland der Natura— 
lismus mit dem höchſten Glanze und Zauber der neuen Kunſt 
und Wiſſenſchaft umgeben war, ſah es in der katholiſchen Welt 
traurig aus. In den bourboniſchen Reichen Schwächlinge auf dem 
Thron, Corruption in allen höheren Klaſſen, allmächtige Mini— 
ſter mit einer wohl organiſirten Bureaukratie, die ſämmtlich 
Adepten der voltairianiſchen Aufklärung und von einem tiefen 
Halle gegen die katholiſche Kirche und ihre Freiheit erfüllt 
waren; die Biſchöfe, Prälaten und Aebte, vielfach durch den 
Einfluß dieſer Miniſter und dieſer Könige zu ihren Stellen ge— 
langt, waren theilweiſe unapoſtoliſche Welt- und Hofleute. In 
Deutſchland war, wie bereits geſagt, der drittletzte deutſche 
Kaiſer, ganz vom Wahne des Staatsabſolutismus und der Auf— 
klärerei berauſcht, mit fieberhafter Thätigkeit damit beſchäf— 
tigt, alles geſunde kirchliche und ſtaatliche Leben zu erſticken. 
und die deutſchen fürſtlichen Erzbiſchöfe, die drei Churfür— 
ſten voran, waren — um mit Einem Worte Alles erſchöpfend 
ſagen — ſchwache und eitele Nachahmer des Kaiſers Joſeph, 
vielfach blinde Werkzeuge in den Händen der ſchlimmſten Feinde 
der Kirche. Selbſt auf dem apoſtoliſchen Stuhle zu Rom ſaß 
ein Kind dieſer Zeit, Clemens XIV., der zwar nicht den Glau— 
ben verläugnete, aber ſchwach genug war, ſich die ungerechte 
Aufhebung des Jeſuitenordens abtrotzen zu laſſen, der im Gro— 
ßen und Ganzen keine andere Schuld hatte, als mit einem gro— 
ßen Eifer und einer unvergleichlichen Hingebung in allen Welt— 
theilen für die Erhaltung und Verbreitung der katholiſchen Re— 
ligion gewirkt zu haben. Es war eine troſtloſe Zeit, und 
wenn es möglich geweſen wäre, hätte damals die katholiſche 
Kirche untergehen müſſen. 


Gott rettete ſie, wie er immer zu thun pflegt, indem er ihren 
Feinden geſtattete, ihr Werk zu vollenden. Durch die großen 
Gerichte und Leiden, welche nun über die Kirche und die Welt 
ergingen, wurde jene regenerirt, dieſe wieder für höhere ey 
heiten und Bedürfniſſe empfänglich gemacht. 


Frankreich, das am meiſten gegen das Chriſtenthum und 
chriſtliche Sitte geſündigt, mußte den Taumelbecher der Revo— 


noſſen, die Griechen, ſondern die alten Römer zum Vorbild ſich erkoren. 
Und ſie machten Ernſt und ſpielten die alten Republikaner, bis der Cäſar 
nachkam und dem republikaniſchen Schauſpiel ein Ende machte. 


15 


lution bis auf die Hefe austrinfen. Im Blute unzähliger un: 
ſchuldiger Schlachtopfer büßte und verjüngte ſich die Kirche 
Frankreichs. In Deutſchland wurde die Kirche ausgeplündert, 
verlor all' ihr alte irdiſche Herrlichkeit, und blieb, wie jener 
Reiſende im Evangelium, nackt und mit Wunden bedeckt am Wege 
liegen, ohne einen barmherzigen Samaritan zu finden. Bald 
gab es in Deutſchland kaum einen Biſchof mehr, der noch die 
Prieſterweihe ſpenden konnte. 


Allein wie in der Zeit der tiefſten Erniedrigung Deutſchlands, 
dieſer Zeit des Unterganges des tauſendjährigen Reiches, der Zeit 
des Verrathes und der Fremdherrſchaft, der längſt vergeſſene und 
erſtorbene deutſche Patriotismus neu erwachte; ſo iſt auch in der— 
ſelben Zeit, wo die Kirche, was ihre äußere Geſtalt betrifft, nur 
noch ein Trümmerhaufe war, der chriſtliche Geiſt des deutſchen 
Volkes aus dem übertünchten Grabe, in welches die Aufklär— 
ungsperiode ihn verſchloſſen hatte, auferſtanden. Die Noth 
hatte beten gelehrt, und indem man voll Sehnſucht nach den 
alten Zeiten deutſcher Größe zurückblickte, konnte man ſich nicht 
verbergen, daß dieſer herrliche Leib des alten großen deutſchen 
Vaterlandes nicht vom Geiſte eines frivolen Unglaubens, ſon— 
dern vom Geiſte des Glaubens beſeelt geweſen. Kein Wunder, 
daß auch in der deutſchen Literatur, vor Allem in der nun— 
mehr aufblühenden ſogenannten romantiſchen Poeſie ſich 
der Einfluß des deutſchen und chriſtlichen Geiſtes offenbarte ). 
Eine gründlichere Beſchäftigung mit der Geſchichte brachte mehr 
und mehr die katholiſche Vorzeit zu Ehren und eine Menge 
alter Vorurtheile wurden durch proteſtantiſche Geſchichtsforſcher 
vernichtet. 


In der katholiſchen Kirche ſelbſt erwachte zuerſt in engeren und 
dann immer weiteren Kreiſen eine nachhaltige religiöſe Begeiſte— 
rung. Berühmte und ausgezeichnete Proteſtanten, wie Stol— 


1) Vergl. Eichendorff's Geſchichte der romantiſchen Poeſie, 
deßgl. deſſen Geſchichte der deutſchen Nationalliteratur. Wa— 
rum ſind die literar-hiſtoriſchen Schriften dieſes ausgezeichneten Dichters fo 
wenig bekannt, während jede Mittelmäßigkeit gefeiert wird? Wir wiſſen keinen 
anderen Grund, als weil er das Unglück hat, ein Katholik zu ſein; denn 
abgeſehen von dieſem Umſtand vereinigt ſich Alles in ſeinen Schriften, 
was nur eine Lectüre lehr- und genußreich machen kann, die genaueſte 
Sachkenntniß, Tiefe und Klarheit der Gedanken und eine hohe Schönheit 
und Eleganz der Sprache. 


16 


berg und Friedrich von Schlegel, traten zur katholiſchen 
Kirche über und weiheten ihr ihre ganze Thätigkeit. Ihnen 
reihten ſich geniale Katholiken, wie die beiden Brentano 
und Görres, an. Große Künſtler verherrlichten in ihren 
Werken chriſtliche und katboliſche Ideen. Biſchöfe und Prie— 
ſter, wie Sailer und der einem Heiligen gleich verehrte 
Michael Wittmann in Regensburg, Theologen, wie 
Möhler und Klee, und viele andere Factoren wirkten zu— 
ſammen, einen unbeſtreitbaren religiöſen Aufſchwung im ka— 
tholiſchen Deutschland hervorzurufen. So wuchs innerliches Le— 
ben und entwickelten ſich geiſtige Kräfte. Aber äußerlich lag 
das kirchliche Leben noch darnieder und war die Kirche gänzlich 
in der ſtrengen Vormundſchaft der nunmehr meiſt proteſtanti— 
ſchen Staaten. 


Da waren es vorzüglich drei Ereigniſſe, an welche ſich theils 
eine lebenskräftige Manifeſtation des katholiſchen Glaubens, 
theils die Befreiung der Kirche aus den Banden des Staatskir— 
chenthums anknüpfte. Ein alter, ſchlichter, aber durch ſeinen 
Glauben ſtarker Mann, der Erzbiſchof Clemens Auguſt von 
Cöln, wagte, ganz allein und bloß auf ſein Gewiſſen geſtützt, 
den Kampf nicht nur mit der damals allmächtigen preußiſchen 
Bureaukratie, ſondern auch mit dem geſammten indifferentiſti— 
ſchen Zeitgeiſt — und er ſiegte durch Geduld. Hieran knüpft 
ich die kirchliche Regeneration der katholiſchen Rheinlande 
und die Weckung des Sinnes und Verſtändniſſes der kirchlichen 
Freiheit faſt in der ganzen Welt. Wer kann die katholiſchen 
Männer zählen, die damals als Jünglinge den erſten begei— 
ſternden Impuls für ihre religiöſen Geſinnungen empfangen 
haben? 


Ein folgenreiches Ereigniß war die Wallfahrt nach Trier, 
wahrhaftig keine abergläubiſche Uebung, ſondern die Emanci— 
pation katholiſcher Volksandacht von dem aufgeklärten Polizei— 
zwang und ein nicht mißzuverſtehendes Bekenntniß des im katho— 
liſchen Volke lebenden kerngeſunden Glaubens an Chriſtus den 
Sohn Gottes. Und daß der alsbald zur plumpſten Chriſtus— 
leugnung fortſchreitende rongeaniſche Abfall ſich daran knüpfte, 
diente nur dazu, die Katholiken bewußter und entſchiedener zu 
machen. 


Endlich brachten die Ereigniſſe des Jahres 1848 für 
die katholiſche Kirche eine doppelte Wirkung hervor. 


1 


Sie eröffneten einen Einblick in jene Zerrüttung der ganzen 
ſittlichen und geſellſchaftlichen Ordnung, die ihren tiefſten Grund 
in der Entchriſtlichung und der religiöſen Erſchlaffung hat. 
Das mußte die Kirche und alle gläubigen Katholiken zu einem 
neuen Eifer, zur Erneuerung des religiöſen Lebens und nament— 
lich zur Pflege der chriſtlichen Liebe gegenüber den ſocialen Ge— 
fahren der Zeit auffordern. Dann aber löſten die Zeitereig— 
niſſe mehr und mehr jene Feſſeln, mit denen die Kirche bisher 
gebunden war. Wie konnte auch nach Aufhebung der Cenſur 
noch das Placet, nach Ertheilung einer umfangreichen Vereins— 
freiheit die Niederhaltung religiöſer Vereine und Genoſſenſchaf— 
ten aufrecht erhalten werden? Und je unſicherer die öffentlichen 
Zuſtände wurden, je mehr eine vollſtändige Entchriſtlichung des 
Staates und des öffentlichen Lebens drohte, um ſo weniger 
durften die Katholiken, an ihrer Spitze die Biſchöfe, zögern, 
der Kirche die ihr gebührende Freiheit und Selbſtſtändigkeit zu 
vindiciren. 

Dieſer Aufſchwung des kirchlichen Lebens und dieſes Streben 
nach Befreiung der Kirche aus den Banden der Staatsomni— 
potenz iſt jedoch nicht bloß Deutſchland eigenthümlich; dieſelbe 
Bewegung geht gleichmäßig durch die ganze Welt. 

Wir brauchen Allbekanntes nicht zu ſchildern. Die preu— 
ßiſche Verfaſſung ſprach zuerſt das Prinzip der Selbſtſtändigkeit 
der Kirche aus. Oeſterreich entſagte, zu ſeiner Rettung, dem 
Syſtem des Joſephinismus und gab der Kirche, auf dem Wege 
des Vertrages mit dem apoſtoliſchen Stuhle, die Freiheit zurück. 
In keinem deutſchen Staate von einer einigermaßen beträchtlichen 
katholiſchen Bevölkerung verſchloß man ſich gänzlich der gerechten 
Forderung nach kirchlicher Freiheit. Gerechtigkeit und Staats— 
weisheit, die Fortſchritte der Wiſſenſchaft, die Unmöglichkeit, 
den Katholiken die Rechte zu verweigern, die ihnen in allen 
großen Staaten, in Oeſterreich wie in Preußen, in Frankreich 
wie in England, zugeſtanden ſind, mußten die Regierungen be— 
ſtimmen, das unhaltbare Syſtem der Staatsbevormundung auf— 
zugeben und Verwaltungsmaximen fallen zu laſſen, welche un⸗ 
möglich und unerträglich geworden waren. 


6) Die Reaction gegen die kirchliche Freiheit und die religiöfe 
Regeneration. 


Wir haben dieſen geſchichtlichen Ueberblick für nothwendig 


gehalten, um klar zu machen, um was es ſich in dieſem Augen— 
Heinrich, Der Kampf der Kirche. 2 


18 


blicke handelt: um nichts Anderes und nichts Geringeres, als 
den Aufſchwung des religiöſen Lebens und die Freiheit und 
Selbſtſtändigkeit der Ertboliichen Kirche wieder gewaltſam zu un— 
terdrücken und auf dem Wege der Geſetzgebung der letzteren 
ein durch und durch unkatholiſches, in manchen Beziehungen 
den extremſten Joſephinismus überbietendes Syſtem aufzu— 
nöthigen. Damit iſt es aber auch klar, daß es ſich für die 
katholiſche Kirche um einen Kampf für ihre heiligſten Güter, 
ihr innerſtes Weſen, ja für ihren Glauben und ihre Exi— 
ſtenz handelt. Denn jenes Syſtem des Joſephinismus, das 
man ihr aufnöthigen will, ſteht mit dem Weſen und dem 
Geiſte der katholiſchen Kirche in abſolutem Widerſpruch und heißt 
nichts Anderes als Untergrabung der katholiſchen Kirche in ihrer 
Verfaſſung, Schwächung und Corruption der Kirche in ihrem 
Leben und, da Verfaſſung und Leben mit dem Glauben der 
Kirche in unauflöslicher Verbindung ſtehen, Zerſtörung ihres 
Glaubens. 

Der Plan zu dieſem Unternehmen, die Freiheit der Fatholi- 
ſchen Kirche und den neuen Aufſchwung des katholiſchen Lebens 
auf dem Wege der Geſetzgebung zu unterdrücken, wurde, in 
gewiſſen Kreiſen ſchon vor Jahren zur Reife gebracht und in 
Büchern und Brochüren offen entwickelt; enthalten ja Bunſen's 
„Zeichen der Zeit“ bereits den ganzen heutigen Feldzugs— 
plan. Doch wir legen kein Gewicht auf die Urheber des Pla— 
nes. So viel ſteht feſt, der Plan iſt vorhanden und die 
Staaten der oberrheiniſchen Kirchenprovinz, vor Allem Würt— 
temberg, Baden und Heſſen, ſind zunächſt der Schauplatz, 
auf dem er mit Hilfe der liberalen Kammern zur Ausführung 
gebracht werden ſoll. 

Die Fürſten und ihre Regierungen, meinte man, hätten ſich 
gegenüber den ultramontanen Anmaßungen (ſo nennt man Alles 
in der Kirche, was ſich nicht ſklaviſch dem Staatskirchenthum 
ohne Rückſicht auf Glauben und Gewiſſen unterwirft) ſchwach 
erwieſen; darum müßten die Kammern, die Repräſentanten des 
Volkes, die Sache in die Hand nehmen; ihnen gegenüber 
werde ſofort die hierarchiſche Anmaßung — ein anderer be— 
liebter Ausdruck für Ultramontanismus — völlig machtlos 
ſein und wie ein Phantom in die Lüfte zerrinnen. Die 
Katholiken pochen auf Recht, Geſetz und rechtliche Freiheit; nun 
wohlan, ſie ſollen nach ſtrengem Rechte und genau nach dem 
Geſetze behandelt werden. Es iſt nichts weiter nothwendig, als 


19 


daß vor Allem die Kammern ein Geſetz „über die rechtliche Stel- 
lung der Kirche im Staate“ machen, und was dieſes Geſetz 
vorſchreibt, iſt dann, wie als Axiom vorausgeſetzt wird, Recht. 
Nach dieſem Rechte werden dann die Gerichte die widerſpänſti— 
gen Prieſter und Biſchöfe und ihre Affiliirten behandeln; die 
Gensdarmen werden die Urtheile vollſtrecken. Faſſen wir nur 
einige beſondere Punkte in's Auge. Die Ultramontanen ſagen, es 
ſei ein himmelſchreiendes Unrecht, daß die Regierungen durch ein— 
fache Verordnungen bloß auf dem Wege der Adminiſtrativpraxis die 
Beſetzung der kirchlichen Stellen und die Erziehung des Klerus ge— 
ordnet. Nun wohlan, erheben wir alſo das, was bisher nur Regie— 
rungsverordnung war, durch die Kammern zum Geſetz; dann iſt 
jeder Biſchof, der ſeine biſchöflichen Rechte bezüglich der Erziehung 
und Anſtellung der Geiſtlichen geltend macht, ein Rebell und man 
behandelt ihn wie jeden anderen Verbrecher. Die Ultramonta— 
nen behaupten, es gebe kein Geſetz, welches das Ordensleben 
verbiete; auf Grund der allgemeinen Vereinsfreiheit und der 
perſönlichen Gewiſſensfreiheit könne man Niemanden wehren, 
mit Anderen nach einer beſtimmten Regel ein gemeinſames Leben 
zu führen; ſie behaupten, es gehöre das klöſterliche Leben mit 
zur katholiſchen Religion. Wozu über alle dieſe Punkte mit den 
Ultramontanen rechten? Die Kammern verbieten einfach alle 
Orden und religiöſen Vereine, und damit iſt Jeder, der inner— 
halb des Staatsgebietes ſich unterſteht, eine Kutte zu tragen, 
ſo gut als Diebe und Münzfälſcher, ein Verbrecher und man 
macht kurzen Prozeß mit ihm. Wenn die Ultramontanen die 
Rechtmäßigkeit der Verordnung vom 30. Januar 1830 beſtreiten, 
wohlan, wir erheben durch Kammerbeſchluß dieſe Verordnung zum 
Geſetz und alle Zweifel ſind gehoben. Die Verordnung gilt und 
wer auch nur zweifelt, daß ſie rechtmäßig und gerecht ſei, iſt 
ein Frevler gegen die Majeſtät des Geſetzes: denn was durch die 
Kammern verfaſſungsmäßig beſchloſſen iſt, iſt Recht; daran 
darf Niemand zweifeln. Das Daſein Gottes darf man läugnen, 
nicht aber an der unverbrüchlichen Gerechtigkeit deſſen zweifeln, 
was die Majorität der Kammer beſchloſſen hat. 

Dieſer einfache Weg der Geſetzgebung erledigt alſo alle 
Schwierigkeiten um ſo gewiſſer, da, wenn die zweiten Kammern 
ſprechen, man nicht von Tyrannei reden darf. Ja, wenn die 
Fürſten, oder die Cabinette, oder auch die erſten Kammern Ge— 
ſetze oder Verordnungen machen, da kann man ſagen, es ſeien 
deſpotiſche, ungerechte, freiheitswidrige, mit dem Geiſte der Zeit, 

2 * 


20 


mit dem Fortſchritt, mit den Geſinnungen des Volkes in Wi: 
derſpruch ſtehende Geſetze und Verordnungen. Allein wenn die 
Majorität einer zweiten Kammer geſprochen, ſo iſt alles Das 
unmöglich: denn die aus fortſchrittlichen Volkswahlen hervorge— 
gangene zweite Kammer iſt ja die Repräſentantin der Gerechtig— 
keit, des Zeitgeiſtes, des Fortſchrittes, der Volksgeſinnung. Wie 
Ludwig XIV. geſprochen: Der Staat bin ich! ſo kann auch die 
Kammer ſprechen: Die Freiheit, der Fortſchritt, das Volk bin ich! 
Daher habe auch von dem Augenblicke an, wo die Kammer den 
Ultramontanismus verdammt, dieſer jeden Boden im Volke 
verloren. Fürſten, Miniſtern, Hofſchranzen und Ariſtokraten 
gegenüber mögen die Biſchöfe etwas ausrichten, dem in der Kam— 
mer incarnirten Volke gegenüber ſeien ſie verloren! 

Man wird uns vielleicht vorwerfen, wir hätten die Sache 
allzu draſtiſch dargeſtellt und mit Unrecht in ſo ernſter Sache der 
Ironie uns bedient; allein wir haben weder draſtiſch, noch ironiſch 
geſprochen, ſondern Alles einfach und genau ſo dargelegt, wie es iſt. 

Die neueſten Beſchlüſſe der Majorität der zweiten heſſiſchen 
Kammer, mit den in den Debatten gelieferten Illuſtrationen ihres 
Sinnes und Geiſtes, iſt nichts Anderes, als das im Namen des 
„Fortſchrittes“ und des „Volkes“ gegen die Freiheit der katholiſchen 
Kirche und das neu erwachte religiöſe Leben ausgeſprochene 
Interdict. In der zweiten Kammer hat die Intelligenz und das 
Zeitbewußtſein des Landes ſich erhoben und geſprochen: Wir 
wollen dieſes katholiſche Leben und Treiben nicht! Daher ver— 
bieten wir es durch ein Geſetz, werden es noch ferner verbieten, 
durch weitere Geſetze es bis in ſeine letzten Schlupfwinkel verfolgen 
und bis zur letzten Lebensfaſer ausrotten: Car tel est notre 
bon plaisir! 


7) Lage und Geſchichte der katholiſchen Kirche in der Oberrheini— 
ſchen Kirchenprovinz, insbeſondere im Großherzogthum Heffen. 


Um den gegenwärtigen kirchlichen Kampf im Großherzog— 
thum Heſſen vollſtändig zu begreifen, dürfen wir nicht bei die— 
ſen allgemeinen geſchichtlichen Betrachtungen fteben bleiben, Ton: 
dern müſſen auf unſere concreten Verhältniſſe näher eingehen. 
Es wäre für unſere katholiſchen Intereſſen eines der größten Be— 
dürfniſſe, daß einmal die Geſchichte der katholiſchen Kirche in 
unſerem Lande mit der rückſichtsloſeſten Wahrheit dargeſtellt 
würde. Wahrheit und Klarheit iſt vor Allem nothwendig. Ich 


will hier wenigſtens einige Hauptpunkte andeuten. 


21 
Vor Allem ift jo viel gewiß, daß es in Deutſchland keine alte 
katholiſche Stadt und Diöceſe gibt, welche in religiöſer Beziehung 
ein ſo ſchlimmes Schickſal gehabt und in eine ſo ungünſtige 
Lage gekommen iſt, als Mainz, die einſtige Metropole Deutſch— 
lands, von der aus das Chriſtenthum über einen großen Theil 
unſeres deutſchen Vaterlandes verbreitet worden iſt und welche 
durch Jahrhunderte ein Mittelpunkt des katholiſchen Lebens war. 

Schon in den letzten Zeiten des Kurſtaates ſah es in Mainz, 
wenigſtens in den höheren Regionen nicht gut aus. Das Volk 
war zwar, Dank einer beſſeren Vorzeit, ein durchaus gläubiges, 
der katholiſchen Religion mit innigſter Liebe ergebenes und zu— 
gleich im ſeltenen Grade ſittenreines Volk. Es iſt Thatſache, 
daß im alten Erzbisthume Mainz in Stadt und Land eine unge— 
wöhnliche Moralität herrſchte. Das Familienleben war ein aus— 
gezeichnetes. Dieſe Sittenreinheit und dieſe Gläubigkeit hat ſich 
zum Theil in den Familien der Bürger und Landleute noch bis 
auf den heutigen Tag erhalten. Ein ewig denkwürdiges Zeugniß 
dieſer Gewiſſenhaftigkeit und Anhänglichkeit an die Religion 
wird die Thatſache bleiben, daß in der Zeit der franzöſiſchen 
Revolution 700 Mainzer Bürger lieber ihre Heimath verlaſſen, 
als den mit ihrem Gewiſſen unvereinbaren republikaniſchen Eid 
ſchwören wollten. 

Um ſo ſchlimmer ſtand es in den höheren Kreiſen. In 
ſchneidendem Unterſchied zu den meiſten ſeiner Vorfahren war 
der letzte Kurfürſt ein ſchwacher, eiteler, verweltlichter, in ſei— 
nen Sitten leichtſinniger Mann, der ganz in den Händen der 
Joſephiner und Illuminaten ſich befand. So wurde die ſeichteſte 
Aufklärerei von Oben nicht bloß gefördert, ſondern mit Gewalt 
dem Klerus und Volke aufgenöthigt; die wichtigſten Stellen 
in der geiſtlichen Verwaltung, an den kirchlichen Bildungsan— 
ſtalten, an der Univerſität waren mit Anhängern des neuen Zeit— 
geiſtes beſetzt. Nicht wenige dieſer Begünſtigten ſind nachher 
wüthende Jakobiner geworden. — 

Da brach die franzöſiſche Revolution herein und hatte 
wenigſtens den Vortheil, daß ſie dieſem heilloſen Treiben, 
freilich zugleich mit der ganzen beſtehenden kirchlichen Ord— 
nung ein Ende machte. 

Nun verlor Mainz den größeren und angeſeheneren Theil 
ſeiner alten Bevölkerung. Der Klerus, der Adel, die mei— 
ſten Mitglieder des Beamtenſtandes, der Univerſität und 
der höheren Lehranſtalten, deßgleichen ein großer Theil der 


2 


katholiſchen Bürger verließen, meiſt auf immer, die Stadt. 
Dafür wanderte eine neue Bevölkerung ein; namentlich brachte 
die franzöſiſche Herrſchaft ein ganzes Heer jener Menſchen— 
klaſſe mit ſich, die immer in eroberten Provinzen ihr Glück 
zu machen ſucht. Allein trotz dieſer Einwanderung hatte ſich 
die alte Bevölkerung um mehr als 10,000 vermindert. 


In den wilden Zeiten der Republik war die katholiſche 
Religion in Mainz faſt gänzlich unterdrückt. Eine kurze Zeit lang 
war faſt kein Prieſter mehr in der Stadt, der rechtmäßig die 
ſeelſorglichen Functionen ausüben konnte. Auf dem Altare der 
St. Peterskirche thronte die Göttin der Vernunft. Aller Un: 
ſinn und Greuel von Paris wurde in Mainz nachgeäfft; Viele, 
zumal aus der jüngeren Generation, verfielen einem gänzlichen 
Unglauben und nahmen jenen ſpecifiſchen Haß gegen Religion 
und Prieſter in ſich auf, der den Voltairianern und Jacobinern 
eigen iſt. 

Napoleon ſtellte in Frankreich die katholiſche Religion wie— 
der her durch das Mittel, wodurch es allein möglich war, 
nämlich durch den Abſchluß eines Concordates mit dem Ober— 
haupte der Kirche. 


Ein mit allen menſchlichen, chriſtlichen und prieſterlichen 
Tugenden geſchmückter Geiſtlicher aus Straßburg, Joſeph Lud— 
wig Colmar, der mitten unter den Schrecken der Revolution, 
unter täglichen Todesgefahren den verfolgten Katholiken mit 
der Hingebung eines Heiligen gedient hatte, wurde Biſchof von 
Mainz. Wenn er einen Fehler hatte, ſo war es der — aller— 
dings aus ſeinen Lebensſchickſalen ſehr erklärbare — einer 
allzugroßen Anhänglichkeit an Napoleon, den er als den Ret— 
ter Frankreichs aus den blutigen Schrecken der Revolution und 
den Wiederherſteller der Religion verehrte. Im Uebrigen 
konnten ſelbſt ſeine Feinde — und er hatte deren zahlreiche 
und erbitterte, — ihm ihre Bewunderung nicht verſagen: denn 
ſein ganzes Leben war eine ununterbrochene Selbſtaufopferung im 
Dienſte der Religion, der Armen und der Kranken. Deßhalb 
lebt er auch heute noch fort in dem Herzen des Volkes. Trotz 
aller Verwüſtungen der Revolutions- und Kriegsjahre hatte ſich 
in den Familien noch ein großer Fonds von Religion erhalten. 
Colmar ſammelte und erneuerte, was noch von chriſtlichen Ele— 
menten vorhanden war. Aber er war faſt von allen Mitteln 
entblößt. Die Schulen waren überall in den traurigſten Zu⸗ 


23 


ſtand gerathen und der Religion mehr oder weniger entfremdet; 
in den höheren Kreiſen herrſchte meiſt Unglaube und Frivolität. 
Dabei beſtand ein großer Prieſtermangel. Eine Anzahl inva— 
lider Geiſtlichen und penſionirter Ordensleute waren den unge— 
heuren Bedürfniſſen der Zeit nicht gewachſen. Er errichtete 
alsbald mit den dürftigſten Mitteln das jetzt noch beſtehende 
Seminar; aber ſo groß war die Noth der Zeit, daß man faſt 
alle Sorge nur auf das unmittelbarſte praktiſche Bedürfniß 
richten mußte. Um große Gemeinden nicht ohne Seelſorger zu 
laſſen, wurden die jungen Geiſtlichen, kaum nachdem ſie noth— 
dürftig vorbereitet waren und die Prieſterweihe empfangen 
hatten, mit der Verwaltung von Pfarreien betraut. 


Nichts deſto weniger hob ſich unter Colmar das religiöſe 

und kirchliche Leben von Tag zu Tag und war die Lage der 
Kirche, trotz des Deſpotismus und der Immoralitä' der napoleo— 
niſchen Zeit, auf dem linken Rheinufer doch ungleich günftiger, 
als auf dem rechten. 
Hier waren durch die Säculariſation von 1803 die welt— 
lichen Beſitzungen des alten Churfürſtenthums Mainz unter 
weltliche und zwar, wenn man von der ephemeren Erſcheinung 
des Großherzogthums Frankfurt und nachher von Bayern ab— 
ſieht, unter proteſtantiſche Fürſten gekommen. In geiſtlicher 
Beziehung jtanden ſie unter dem hundert Stunden weit ent: 
legenen Erzbisthum Regensburg, wohin der Erzbiſchof von 
Mainz verſetzt worden war; in Aſchaffenburg war ein General— 
vicariat zur Beſorgung der geiſtlichen Geſchäfte in unſeren Ge— 
genden. Dieſe geiſtliche Verwaltung war namenlos ſchwach 
und ohnmächtig. Alle wirkliche Macht lag, wie auch in Würt— 
temberg, Baden und den übrigen Staaten der nachmaligen 
oberrheiniſchen Kirchenprovinz, in den Händen der weltlichen 
Regierungen. Es war die Blüthezeit des abſoluteſten Staats— 
kirchenthums. 


Namentlich wirkten zur Begründung und Vollendung dieſes 
Zuſtandes drei Umſtände zuſammen. 1) Die proteſtantiſchen 
Fürſten, denen nun katholiſche Landestheile zufielen, hatten nie 
katholiſche Unterthanen regiert; ſie waren nach proteſtantiſcher 
Kirchenverfaſſung zugleich Inhaber der höchſten Kirchengewalt; 
in Folge davon war in den proteſtantiſchen Staaten Staats— 
und Kirchenregiment auf's Engſte verbunden — kein Wunder, 
daß proteſtantiſche Regierungen, die ſeit dreihundert Jahren 


24 


daran gewohnt waren, ihre proteſtantiſchen Unterthanen auch 
in kirchlicher Beziehung zu regieren, nun auch ihren katholiſchen 
Unterthanen und der katholiſchen Kirche gegenüber ähnliche Be: 
fugniſſe, wenn auch mit einigen Modificationen, in Anſpruch 
nahmen. 2) Dazu kam die damals, am meiſten in den eben 
erſt durch die Aufhebung des deutſchen Reiches ſouverän gewor— 
denen Rheinbundesſtaaten, herrſchende Theorie von der abſoluten 
Souveränetät der Staatsgewalt. Man hielt jede individuelle 
und corporative Selbſtſtändigkeit im Staate für unvereinbar 
mit dieſer Souveränetät; in dieſem Syſtem hatte die Selbſt— 
ſtändigkeit und Freiheit der Kirche keine Stelle. Es galt als 
oberſtes Axiom, daß, wie Alles im Staat, jo auch die Kirche 
der ſouveränen Staatsgewalt in aller und jeder Beziehung un— 
terworfen ſei; ja man neigte ſich nicht bloß in den Theorien, 
wie ſie damals faſt überall an den Univerſitäten gelehrt wur— 
den, ſondern auch in der Praxis immer mehr der Anſicht zu, 
daß die Kirche nur eine Staatsanſtalt ſei, um die religiöſen 
Bedürfniſſe des Volkes zu befriedigen. Da man nun katholiſche 
und proteſtantiſche Unterthanen hatte, ſo wollte man auch vor 
der Hand eine katholiſche und proteſtantiſche Lan⸗— 
deskirche. Ohne Zweifel im Geiſte dieſer Theorie ha— 
ben wir noch kürzlich in der zweiten Kammer zu Darmſtadt 
den Ruf gehört: Wir kennen vom Standpunkte des Staates 
aus nur Landeskirchen! — 3) Dieſem Syſteme arbeitete der 
alte Joſephinismus auf's Beſte in die Hände. Hatten 
ja auch katholiſche Fürſten, wie der Kaiſer Joſeph, danach 
geſtrebt, die katholiſche Kirche ihres Landes in eine von ihnen 
regierte Landeskirche zu verwandeln. Warum ſollten die pro— 
teſtantiſchen Fürſten nicht daſſelbe thun? Beſchwerten ſich 
die Katholiken über Eingriffe in ihre kirchlichen Rechte, ſo 
verwies man ſie auf das Beiſpiel der katholiſchen Fürſten und 
auf die Lehren der joſephiniſchen Canoniſten. Doch der Joſephi— 
nismus leiſtete dem Staatskirchenthum einen noch koſtbareren 
Dienſt. Er hatte eine Anzahl katholiſcher Geiſtlichen und 
katholiſcher weltlicher Beamten herangebildet, welche nun im 
Dienſte der neuen Regierungen die brauchbarſten Werkzeuge wa— 
ren, um unter katholiſchen Formen und kirchlichem Scheine das 
neue Staatskirchenthum einzurichten. 

So kam die katholiſche Kirche in den erſten Decennien un— 
ſeres Jahrhunderts auf dem rechten Rheinufer überall faktiſch 
in die vollkommenſte Dienſtbarkeit der Staatsgewalt. Nominell 


25 


ſtand fie zwar noch unter einer geiſtlichen Verwaltung, hier 
dem Generalvicariat in Aſchaffenburg. In der Wirklichkeit 
aber wurde ſie durch das Miniſterium und die unter ihm 
ſtehenden Kirchen- und Schulräthe regiert. Insbeſondere war 
das wichtigſte Recht der biſchöflichen Amtsgewalt, nämlich 
die Beſetzung der geiſtlichen Stellen, gänzlich an den Staat 
gefallen durch die Fiction des ſogenannten Staatspatro— 
nates. In der alten Zeit hingen nämlich viele Pfarreien 
von den Klöſtern und Stiftern ab. Theils waren ſie von die— 
ſen geiſtlichen Corporationen auf ihren Gütern gegründet, theils 
denſelben vor Jahrhunderten incorporirt worden und wurden 
nun durch Kloſtergeiſtliche oder vom Stift geſetzte Pfarrer ver— 
ſehen. Nach kirchlichem Rechte und den allgemeinen Rechts— 
principien hörte mit dem Erlöſchen jener Klöſter und Stifter 
dieſes ganze Verhältniß auf und trat bezüglich der betreffenden 
Pfarreien das ordentliche biſchöfliche Beſetzungsrecht ſeinem gan— 
zen Umfange nach ein. Darüber ſind alle angeſehenen Rechts— 
lehrer, proteſtantiſche wie katholiſche, einverſtanden. Damals 
erfanden aber Staatscanoniſten die Theorie, daß die weltlichen 
Landesherren mit den Stifts und Kloſtergütern auch das 
Beſetzungsrecht zu all dieſen Pfarrſtellen durch die Säculari— 
ſation erworben hätten. Ja man ging noch weiter und ſtellte 
die unglaubliche Behauptung auf, die alten Erzbiſchöfe und Bi— 
ſchöſe hätten nicht in ihrer Eigenſchaft als Biſchöfe, ſondern 
als Landesherren und weltliche Patrone das Ernennungsrecht 
zu den von ihnen beſetzten Pfarrſtellen ausgeübt und daher 
ſei mit ihren weltlichen Beſitzungen auch dieſes Ernennungsrecht 
zu den Pfarreien und anderen geiſtlichen Stellen auf die Für— 
ſten übergegangen. Andere Staatskanoniſten machten es noch 
einfacher und behaupteten kurzweg ein allgemeines lan- 
des herrliches Patronat, welches ein Ausfluß der 
Landeshoheit und ein unveräußerliches Majeſtätsrecht ſei — 
wohl das größte juriſtiſche Monſtrum und die größte Verhöh— 
nung alles natürlichen und poſitiven Rechtes, das noch je vor— 
gekommen )). 


Nach dieſen Theorien wurden in unſerem Lande alle 
rechtsrheiniſchen Pfarreien in Darmſtadt vergeben. Wir wollen 


1) So ungefähr bezeichnet es auch der berühmte proteſtantiſche Kir: 
chenrechtslehrer Richter in ſeinem Kirchenrechte S. 145. 


26 


auf die Perſönlichkeiten, deren Einfluß damals bei Pfarrbe— 
ſetzungen entſchied, nicht eingehen. Es möge im Grabe der 
Vergeſſenhelt ruhen. Nur das wollen wir bemerken, daß ein 
ſolcher Zuſtand faſt mit der faktiſchen Vernichtung der katholi— 
ſchen Kirche zuſammenfällt und nothwendig Verweltlichung und 
Demoraliſirung der Geiſtlichen zur Folge hat, die dadurch zu 
geiſtlichen, von der Gunſt der Regierung abhängigen Staatsbe— 
amten gemacht ſind. Faſt ein Wunder, jedenfalls ein Beweis 
von der inneren und unverwüſtlichen Lebenskraft der katholiſchen 
Kirche iſt es, daß ſie ſolche Zuſtände überdauert hat. Daß aber in 
jener Zeit von irgend welcher geiſtigen Erhebung, von einer 
freien Lebensbewegung, alſo auch von Klöſtern und geiſtlichen 
Genoſſenſchaften nicht die Rede ſein konnte, verſteht ſich von 
ſelbſt. 

Im Jahre 1803 hatten die durch die Kirchengüter nicht 
bloß entſchädigten, ſondern mit doppeltem und dreifachem Ge— 
winn bereicherten Staaten die Verpflichtung übernommen, die 
katholiſchen Bisthümer wieder zu errichten und zu dotiren. 
Aber man beeilte ſich trotz alles Bittens und Drängens der 
Katholiken nicht damit — man befand ſich bei dem eben ge— 
ſchilderten Zuſtande wohl; ja er erſchien tiefer ſpeculirenden 
Geiſtern als eine koſtbare Uebergangsperiode, um einen neuen 
kirchlichen Zuſtand in Deutſchland herbeizuführen. Man ging 
nämlich mit dem Gedanken um, eine deutſche Nationalkirche, 
unabhängig vom Papſte und dafür abhängig vom Staate, 
zu bilden und gab ſich der Hoffnung hin, dadurch eine Ver— 
ſchmelzung zwiſchen Katholiken und Proteſtanten anzubahnen. 
— Es ſei uns geitattet, über dieſe beiden Ideen: deutſche 
Nationalkirche und Wiedervereinigung der Katholiken und Pro— 
teſtanten, ein Wort einzuſchalten. Es gibt eine wahre und 
berechtigte Bedeutung des Wortes Nationalkirche. Die Bis— 
thümer, die durch dieſelbe Nationalität und Geſchichte mit- 
einander verbunden ſind, bilden allerdings in dem allgemei— 
nen, alle Völker umfaſſenden Verbande der katholiſchen Kirche, 
ihrer Katholicität unbeſchadet, eine engere Verbindung. Die 
katholiſche Kirche hat dieſe natürliche Verbindung und beſondere 
Zuſammengehörigkeit der Bisthümer derſelben Nation nicht bloß 
geduldet, ſondern gepflegt und ausgezeichnet. Ein ſolches herr— 
liches Glied am Leibe der allgemeinen Chriſtenheit war einſt 
die deutſche Kirche und der treueſte Sohn der römiſchen Kirche 
Bonifacius, und ſeine Nachfolger, ſtanden als Primaten an deren 


27 


Spitze. Es gibt aber auch einen abſolut unkatholiſchen, ja 
antichriſtlichen Sinn des Wortes Nationalkirche, und darum 
handelte es ſich damals. Wie nur Ein Gott und Ein Chri— 
ſtus, ſo iſt nach katholiſcher Lehre auch nur Eine Kirche, welche 
die Aufgabe hat, alle Nationen in ſich zu vereinigen — und 
gerade auf die Vernichtung dieſer katholiſchen Einheit und in 
Folge davon die Vernichtung der kirchlichen Freiheit iſt das falſche 
Nationalkirchenthum gerichtet; denn es will für jedes Land und 
Volk eine eigene Kirche conſtituiren, die dann ſofort zu einer 
Staatsanſtalt, wie die ruſſiſche Staatskirche, herabſinkt. Das 
iſt der Tod des Chriſtenthums und der religiöſen Freiheit. — 
Was aber die Wiedervereinigung der im Glauben getrennten 
Chriſten betrifft, wer ſollte nicht darnach ſich ſehnen, und wer 
nicht einſehen, daß die Blüthe und Rettung des Chriſtenthums, 
daß auch die vollkommene Einheit und Erneuerung unſeres 
Vaterlandes davon abhängt? Aber es iſt ein blinder und 
heilloſer Wahn, dieſe Vereinigung auf dem Wege des Indiffe— 
rentismus und der Zerſtörung des Chriſtenthums erreichen zu 
wollen oder zu meinen, der Staat und Menſchen, und gar ſo 
hohle und armſelige Menſchen, wie damals thätig waren, 
könnten dieſe Wiedervereinigung bewirken. Meuſchlicher Weiſe 
iſt die erſte und weſentlichſte Bedingung nicht bloß des Frie— 
dens zwiſchen Katholiken und Proteſtanten, ſondern auch der 
Hoffnung einer einſtigen Wiedervereinigung, die vollkommene 
Freiheit und Sicherheit des Rechtes für beide Theile und die 
Möglichkeit, wie eines redlichen Kampfes und Wettſtreites, ſo 
auch einer ungehinderten Entwickelung der gegenſeitigen Prin— 
cipien. Doch genug davon; kehren wir zu unſerer geſchichtlichen 
Skizze zurück. 

Man dachte damals ſo ſehr daran, eine deutſche National: 
kirche, zunächſt noch, weil nicht anders möglich, in einem ge— 
wiſſen Zuſammenhang mit Rom zu gründen, daß von ober— 
rheiniſchen Regierungen deßfallſige Mittheilungen und Anträge 
an andere deutſche Regierungen, geſtellt wurden — allein ohne 
Erfolg. 

Die Staaten der damaligen oberrheiniſchen Kirchenprovinz 
mußten alſo ihr Geſchäft für ſich allein beſorgen. 

Man entwarf in einer zu Frankfurt abgehaltenen Confe— 
renz einen die Rechte und die Verfaſſung der katholiſchen Kirche 
auf's Tiefſte verletzenden Entwurf über die Rechtsverhältniſſe 
der katholiſchen Kirche und verlangte von Papſt Pius VII. 


28 


die kirchliche Anerkennung dieſer „Declaration.“ Nachdem dieſes 
Anſinnen, wie nicht anders möglich war, verworfen worden ), 
zog man die Declaration zurück und erwirkte dadurch (1821) 
vom Papſt die Bulle Provida solersque , wodurch die fünf 
Bisthümer Freiburg, als Erzbisthum, Mainz, 
Rottenburg, Limburg und Fulda errichtet wurden. 
Schon war der Papſt bereit, die von den Regierungen vorge— 
ſchlagenen Männer zu Biſchoͤfen zu ernennen, als er erfuhr, daß 
man dieſen Candidaten zuvor eine Urkunde zur Unterſchrift vor— 
gelegt hatte, welche die vom Papſte verworfenen Grundſätze der 
Frankfurter Kirchenpragmatik wiederholte und von ihnen ver— 
langte, ſich zu deren Befolgung in ihrem biſchöflichen Amte zu 
verpflichten. Es verſtand ſich von ſelbſt, daß nun die Er— 
nennung unterblieb — und es dauerte wieder ſieben Jahre, 
bis endlich Leo XII. im Jahre 1827, nachdem ihm die Ver— 
ſicherung gegeben war, daß man den Biſchöfen ferner kein 
Hinderniß ſetzen werde, ihre Diöceſen als katholiſche Biſchöfe 
nach den Vorſchriften der Kirche zu regieren, die Bulle Ad 
Dominici gregis custodian: erließ, wodurch er die Art und Weiſe 
beſtimmte, wie fortan in den von ſeinem Vorgänger errichteten fünf 
Bisthümern der oberrheiniſchen Kirchenprovinz die Biſchofsſtühle 
und die Domcapitel ſollten beſetzt werden. Es wurde dem 
Landesherrn das wichtige Recht zugeſtanden, daß ihnen vor je— 
der Wahl des Biſchofs, der Domcapitularen und Domvicare 
die Liſte der Candidaten ſollte vorgelegt werden und er das 
Recht haben ſollte, davon die ihm nicht angenehmen Perſonen 
(personae minus gratae) zu ſtreichen. Ferner wurde ausdrück— 
lich Art. V. beſtimmt, daß die Geiſtlichen nach der Vorſchrift 
der allgemeinen Kirchenverſammlung zu Trient in dem biſchöf— 
lichen Seminar ſollten erzogen werden, und Art. VI., daß es 
freiſtehen ſolle, mit dem heiligen Stuble über kirchliche Angele— 
genheiten zu verkehren, und daß der Erzbiſchof und die Biſchöfe 
ihre kirchliche Amtsgewalt nach den geltenden Geſetzen und der 
beſtehenden Kirchendisciplin ausüben ſollten: lauter Beſtim— 
mungen, die ſich von ſelbſt verſtehen und ohne welche von einem 
Beſtande der katholiſchen Religion nicht die Rede ſein kann. Die 
Regierungen nahmen dieſe Bulle an; der Papſt ernannte ſämmt— 
liche von den Regierungen vorgeſchlagenen und gewünſchten 


1) Durch die ausführliche Note des Staatsſekretärs Conſalvi vom 
10. Auguſt 1819. 


29 


Männer zu Biſchöfen. — Allein der Papſt und die katholiſche 
Kirche wurden bitter getäuſcht. Denn kaum waren die Biſchöfe 
eingeſetzt, ſo erließen die Regierungen der oberrheiniſchen Kir— 
chenprovinz auf einfachem Verordnungswege in ihren Amtsblättern 
eine Bekanntmachung, die Verordnung vom 30. Januar 1830 
„das landesherrliche Schutz- und Aufſichtsrecht über die katho— 
liſche Kirche betreffend,“ welche in 39 Artikeln die ſo oft verwor— 
fenen Grundſätze der Frankfurter Kirchenpragmalik d. h. das 
ganze, bisher angedeutete Syſtem des abſoluteſten Kirchenſtaats— 
rechtes als Norm für die katholiſche Kirche vorſchreibt. Dieſe 
Verordnung läßt von einer Freiheit und Selbſtſtändigkeit der 
katholiſchen Kirche nichts mehr übrig. Denn wie kann noch von 
einer kirchlichen Selbſtſtändigkeit die Rede ſein, wenn der Biſchof, 
der nach katholiſchem Dogma der von Gott geſetzte Oberhirt 
der Diöceſe iſt, nicht die mindeſte Anordnung oder Ermahnung 
an die Geiſtlichen und Gläubigen feiner Diöceſe erlaſſen kann, 
ohne vorausgehende Genehmigung (Placet) der Staatsbehörden 
(§. 4.); wenn kein kirchliches Geſetz, wie alt und wie lange in 
Uebung es auch ſei, angewendet werden darf ohne Staatsge— 
nehmigung; ja wenn ſelbſt alle bereits, auch mit Staatsgenehmi— 
gung publicirten Kirchengeſetze nur ſo lange giltig ſind, als der 
Staat es geſtattet und ſie nicht aufhebt! Denn alles Dieſes ſteht 
$. 5. geſchrieben. Wie kann noch von kirchlicher Selbſtſtändigkeit 
die Rede ſein, wenn die Biſchöfe der Kirchenprovinz ſich nicht zu 
einer Provinzialſynode verſammeln können; wenn der Biſchof 
ſeinen Klerus nicht zu einer Diöceſanſynode um ſich vereinigen 
darf ohne Staatsgenehmigung und nur in Anweſenheit weltlicher 
Regierungscommiſſäre, und wenn überdieß deren Beſchlüſſe zur 
Giltigkeit der Regierungsgenehmigung bedürfen“)? Wo iſt noch 
von kirchlicher Selbſtſtändigkeit die Rede, wenn der Staat auf 
Staatsanſtalten die Geiſtlichen erzieht (§. 25.); wenn er ſie prüft, 
ſowohl vor ihrer Zulaſſung zur Weihe, als vor ihrer Anſtellung in 
der Seelſorge ?); wenn nur Jene zu Prieſtern geweiht werden dürfen, 
denen er durch Ertheilung des ſogenannten Tiſchtitels die Zu— 
laſſung ertheilt? °) Wie kann von einer kirchlichen Selbſtſtän— 
digkeit die Rede ſein, wenn der Staat beſtimmt, welche Eigen— 
ſchaften die Biſchöfe und Mitglieder des Domcapitels haben 
ſollen “); wie, vielfach im Widerſpruch mit den Grundſätzen der 


1) $. 9. und 18. — 2) $. 27. 29. 30. 31. — 3) 8.28. — 4) . 15. 


30 


Kirche, die Diöceſen verwaltet werden follen'); wenn die De— 
cane Regierungsangeſtellten find ?), die Verwaltung des Kirchen: 
vermögens in den Händen des Staates liegt); weun alle 
kirchlichen Urtheile der Reviſion durch den Staat unterworfen 
ſind? ) 

Dieſes iſt die Verordnung vom 30. Januar 1830 (die ſ. g. 
neununddreißig Artikel) — und wir wollen hier nur beiläufig be— 
merken, daß die zweite Kammer dieſe ganze Verordnung nebſt 
allen anderen etwa noch vorhandenen, die Kirche knechtenden Ver— 
ordnungen und Geſetzen, ſei es der franzöſiſchen, ſei es der deut— 
ſchen Zeit, durch ihren Art. 15. mit Ausnahme einiger Paragraphen 
aufrecht erhalten wiſſen will. Das iſt ein Theil des Vorbehaltes, 
welcher der Freiheit und Selbſtſtändigkeit der katholiſchen Kirche 
hinzugefügt wird. 

Kaum war dieſe Verordnung erſchienen, ſo erließ Pius VIII.“) 
mit apoſtoliſcher Kraft und Freimüthigkeit einen Proteſt, worin er 
erklärt, daß die Kirche kraft göttlicher Einſetzung frei 
und innerhalb des religiöſen und kirchlichen Gebie— 
tes der weltlichen Macht nicht unterworfen ſei, 
daß ſie aber durch jene Verordnung in die jammervollſte Knecht— 
ſchaft (miserrima servitus) verſetzt werde, indem das geſammte 
Kirchenregiment und ſelbſt die Bildung und Erziehung des Kle— 
rus in den Händen der Staatsgewalt ſich befinde. Er fordert 
die Biſchöfe unter ſchwerer Belaſtung ihres Gewiſſens auf, die 
Freiheit der Kirche zu vertheidigen und die falſchen, mit dem Glau— 
ben in Widerſpruch ſtehenden Lehren, die dieſer Knechtung der 
Kirche zu Grunde liegen, wie es ihre Amtspflicht ſei, zu be— 
kämpfen. Dabei ſpricht er aus, daß ſie hierin nicht bloß das 
gute Recht auf ihrer Seite hätten, ſondern auch das dem Ober— 
haupte der Kirche gegebene Verſprechen der Regierungen. 

Die Biſchöfe proteſtirten zwar gegen die Verordnung vom 30. 


und §. 20. Als wichtigſte Qualification zu allen geiſtlichen Stellen wird 
immer und immer wieder in der Verordnung die genaue Kenntniß ſie 
„der inländiſchen Staats- und Kirchenverfaſſung, der Geſetze und Einrich— 
tungen“ hervorgehoben. Ja gewiß, um ein Biſchof, Domcapitular oder 
Pfarrer nach dem Geiſte dieſer Kirchenpragmatik von 1830 zu ſein, iſt 
nichts ſo wichtig, als die „inländiſche“ Kirchenverfaſſung zu kennen; aber 
auch ein Anderes iſt nothwendig, nichts zu wiſſen oder nichts wiſſen zu 
wollen von der Verfaſſung und den Geſetzen der katholiſchen Kirche. — 
1) $. 21. — 2) $. 23 u. 24. — 3) §. 37—39. — 4) F. 36. 
5) Breve vom 30. Juni 1830. Pervenerat non ita pridem. 


31 


Januar 1830; aber die Staatsomnipotenz ging den wehrloſen 
und zum Theil durch eigene Schuld gebundenen Biſchöfen gegen— 
über ihren Weg. Weit entfernt, die Verordnung vom 30. Ja— 
nuar 1830 zurückzunehmen, richtete ſie danach ihr ganzes Ver— 
waltungsſyſtem ein und da, wo etwa dieſe Verordnung im Syſtem 
der Unfreiheit der Kirche noch eine Lücke gelaſſen, wurde ſie durch 
andere Verordnungen, die man mit derſelben Leichtigkeit, wie die 
einfachſten Polizeiverordnungen erließ, ergänzt. Wir wollen nur 
ein einziges, aber vollgenügendes Beiſpiel anführen. Bisher hatte 
in Rheinheſſen bezüglich der Beſetzung der Pfarreien der Zuſtand, 
wie er unter franzöſiſcher Herrſchaft geweſen, fortbeſtanden und 
hatte mithin der Biſchof, resp. während der langjährigen Sedis— 
vacanz der Bisthumsverwalter die freie Beſetzung aller Pfarr— 
ſtellen, nur bezüglich der ſogenannten Cantonalpfarreien übte die 
Regierung ein Genehmigungsrecht; auf dem rechten Rheinufer 
übte, wie bereits geſagt, die Regierung das ſogenannte landes— 
herrliche Patronat über alle Pfarreien. Da erſcheint eines Tages 
eine einfache Verordnung, welche zunächſt bloß über die bei Ver— 
gebung von Pfarreien zu beobachtenden Formalitäten handelt, 
allein nebenbei nicht etwa bloß, wie bisher auf dem rechten Rhein— 
ufer ein Patronatsrecht, ſondern — in unerhörter Umkehr aller 
Prinzipien des katholiſchen Kirchenrechtes — das Ernen— 
nungsrecht zu ſämmtlichen Pfarreien des Landes dem Lan— 
desherrn zuſchreibt und dem Biſchofe bloß ein Recht des gutächt— 
lichen Vorſchlages läßt. 

Das geſchah, als Biſchof Burg noch nicht lange ſein Amt 
angetreten hatte. Nur ungern reden wir von dieſem längſt ver— 
ſtorbenen Biſchof; allein die geſchichtliche Wahrheit kann nicht 
verſchwiegen werden, daß er die Rechte der Kirche nicht, wie es 
ſeine Pflicht geweſen, und nicht in der Weiſe, wie es einem 
Nachfolger der Apoſtel geziemt, gewahrt und vertheidigt hat. Er 
war ein Mann von vielen Gaben und großer Geſchäftsgewandt— 
heit, aber ohne feſte kirchliche Prinzipien und ohne einen großen 
und ſtarken Charakter. Jahre lang hatte er als Geſchäftsführer 
und Rathgeber der badiſchen Regierung gedient, war bei den 
Frankfurter Conferenzen und den oben charakteriſirten Verhand— 
lungen mit Rom einer der thätigſten Perſonen geweſen. Die— 
ſer Mann war nicht geeignet, zumal in ſo ſchlimmer Zeit, die 
Freiheit der Kirche zu vertheidigen. Burg war jedoch nicht ohne 
gute Abſichten für die Kirche; allein anſtatt offen und prinzipiell, 
im Vertrauen auf Gott, für ihre Rechte aufzutreten, gab er die 


32 


Prinzipien preiß, um auf dem Wege der Diplomatie zu erlangen, 
was durch Kampf und Leiden errungen werden muß. Jedoch 
brachte er es dahin, daß in mancher Beziehung die katholiſche 
Kirche in Heſſen eine erträglichere Stellung erlangte, als in Würt— 
temberg, Baden und Naſſau. So verhinderte er namentlich, 
daß in unſerem Lande ein katholiſcher Kirchenrath, wie er in 
Württemberg und Baden factiſch das ganze Kirchenregiment führte, 
eingerichtet wurde. Ein noch wichtigerer Factor, um die Stellung 
der katholiſchen Kirche erträglicher zu machen, als Burg's Klug: 
heit, war eine unſerem Regentenhauſe eigene Milde und Billigkeit, 
welcher man auch unter den beiden folgenden Biſchöfen Humann 
und Kaiſer noch manche, wenn auch nicht prinzipielle, doch 
praktiſche Verbeſſerungen zu verdanken hat. 

Noch bei Lebzeiten des Biſchofs Kaiſer jedoch trat der ent— 
ſcheidende Wendepunkt ein. Dieſer Wendepunkt mußte nothwen— 
dig eintreten, ſo wie nur die katholiſche Kirche ſich aus dem Zu— 
ſtande der vollſtändigen Ohnmacht, in welche jahrelange Ver— 
waiſung und Verwüſtung ſie geſetzt hatte, ſich einigermaßen er: 
holte. Denn unmöglich konnte die katholiſche Kirche 
widerſtandslos in jenem mit ihrem Glauben abſolut 
un vereinbaren Zuſtand bleiben; fie mußte für ihre Be— 
freiung kämpfen oder untergehen. Die Biſchöfe mußten, wie 
groß ihre perſönliche Friedensliebe war, in dieſen Kampf eintre— 
ten, wollten ſie nicht ihren heiligſten Gewiſſenspflichten untreu 
werden. Dieſe Erſtarkung der Kirche trat im Laufe der dreißiger 
und vierziger Jahre ein. In der ganzen Welt, wie oben geſagt, 
hob ſich das katholiſche Leben; der Kölner Conflict weckte über— 
all mächtig das kirchliche Bewußtſein und das Verlangen nach 
Befreiung von der Alles erdrückenden Staatsbevormundung. Die 
Reihen des Klerus hatten ſich ergänzt, der Episkopat hatte faſt 
allerwärts ſich erneut. Trotz aller weltlichen Beeinfluſſungen 
der Biſchofswahlen waren Männer von ſeltenen Tugenden 
und großer Glaubenstreue auf die deutſchen Biſchofsſtühle ge— 
langt. Da brachen die Stürme des Jahres 1848 herein. Die 
deutſchen Biſchöfe verſammelten ſich in Wuͤrzburg. Indem ſie 
jede Betheiligung an den politiſchen Kämpfen der Zeit entſchie— 
den zurückwieſen, ſtellten ſie ſich auf den Boden des Rechtes und 
des chriſtlichen Glaubens und nahmen in ihrer Denkſchrift für 
die katholiſche Kirche jene Rechte und Freiheiten in Anſpruch, 
welche ihr der Natur der Sache nach nothwendig zuſtehen müſſen, 
wenn fie überhaupt als ſolche exiftiren ſoll, die ihr in Deutſch— 


33 


land von jeher zugeſtanden und durch das gemeine deutſche Recht 
garantirt ſind. 


Biſchof Kaiſer konnte zwar wegen Unwohlſein nicht perſönlich 
der Verſammlung in Würzburg beiwohnen, aber er betheiligte 
ſich durch ſeinen Vertreter, den Domcapitular, jetzigen Domde— 
can Lennig, genehmigte alle Beſchlüſſe mit Freuden und aus 
innigſter Ueberzeugung, und hätte Gott ihm ein längeres Leben 
beſchieden, jo wäre er ſicherlich fo gut wie fein Nachfolger 
und alle übrigen Biſchöfe, für deren Durchführung und Geltend— 
machung aufgetreten. 


Das möge zur Berichtigung jener Verunglimpfungen dienen, 
womit die Gegner der katholiſchen Kirche und der kirchlichen Frei— 
heit heute das Andenken des Biſchofs Kaiſer trüben, indem 
ſie ihn als einen Mann von ihren Grundſätzen darzuſtellen 
ſuchen. Auf den Stuhl des hl. Bonifacius erhoben und ein 
Prieſter von ungeheucheltem Glauben und redlichem Willen, 
hätte er nie und nimmer in den Kämpfen der Gegenwart die 
Grundſätze der katholiſchen Kirche und die Intereſſen der Re— 
ligion verläugnet. 


8. Die Gegenwart. 


Wir kommen nun zu jener Periode, welche die Intereſſen 
und die Leidenſchaften der Gegenwart unmittelbar berührt. Wenn 
je der Mainzer Kirche ein kräftiger und energiſcher Biſchof noth— 
that, jo war es nach dem Tode des Biſchofs Kaiſer (Decemb. 
1848). Es galt nicht bloß die Freiheit der Kirche wieder zu 
gewinnen, ſondern auch die Fundamente der Religion gegen den 
graſſirenden Unglauben, der kurz zuvor im ſogenannten Deutſch— 
katholicismus eine Form gefunden hatte, zu vertheidigen; viel— 
leicht auch mitten in den Strudeln einer hereinbrechenden allgemei— 
nen Umwälzung und Auflöſung aller politiſchen und ſocialen Ver— 
hältniſſe, deren Gefahr heute keineswegs vorübergegangen iſt, die 
von allen Seiten bedrohte Kirche zu leiten. Von ſieben Wäh— 
lern gaben vier Herrn Profeſſor L. Schmid in Gießen ihre 
Stimme. 


Das Recht des Papſtes, die Biſchöfe zu beſtätigen oder ihnen 
die Beſtätigung zu verſagen, iſt zu allen Zeiten, ganz beſonders 
aber in den Zeiten der Staatsbevormundung eine überaus koſt⸗ 


bare Schutzwehr der kirchlichen Freiheit. Nur mit äußerſter 
Heinrich, Der Kampf der Kirche. 3 


34 


Schonung und Sparſamkeit bedient ſich das Oberhaupt der 
Kirche des Rechtes der Verwerfung der Wahl. Pius IX. that 
es in dieſem Falle und verſagte dem Gewählten die Beſtäti— 
gung, nachdem er vergeblich den milderen Weg verſucht hatte, 
ihn zur freiwilligen Ablehnung der Wahl zu beſtimmen. 


Nun bemächtigte ſich die Agitation der Sache. Perſonen von 
allen Religionen und Nichtreligionen hielten eine Volksverſamm— 
lung, um die, wie man ſagte, gekränkten Rechte des gewählten 
Biſchofs zu vertheidigen. So etwas war nothwendig, um der 
Maforität des Domcapitels die Augen zu öffnen. Man fand ſich 
am Rande eines Abgrundes. Auch eine verſtändige und gewiſſen— 
hafte Regierung konnte nichts ſehnlicher wünſchen, als den bi— 
ſchoöflichen Stuhl zu Mainz ſobald als möglich durch einen außer— 
halb der bisherigen Kämpfe ſtehenden Mann beſetzt zu ſehen. Man 
war allſeitig einverſtanden, unter dieſen Umſtänden müſſe man 
denſelben außerhalb des Bisthums ſuchen. Das Domcapitel einigte 
ſich einmuthig dahin, dem apoſtoliſchen Stuhl drei nicht der Diöceſe 
angehörige Geiſtliche vorzuſchlagen und ihn zu bitten, daraus ſelbſt 
den Biſchof von Mainz zu bezeichnen. Es waren der Generalvicar 
Oehler in Rottenburg, Kanontcus, jetzt Fürſtbiſchof Förſter in 
Breslau, und der Freiherr von Ketteler, Probſt an der Hed— 
wigskirche in Berlin. Die Regierung war mit den Candidaten ein: 
verſtanden. Zwei Tage, bevor die Liſte aufgeſtellt wurde, hatte noch 
Niemand an dieſe Ordnung der Sache, geſchweige an die Candida— 
ten gedacht. Ich bemerke das, um zu zeigen, daß bei dieſer Wahl 
Nichts das Ergebniß von Abſichtlichkeiten und Alles das Ergebniß 
von Fügungen war, in denen wir wenigſtens unmöglich etwas 
Anderes als eine Leitung der Vorſehung erblicken können. Der 
Papſt wählte, wie bekannt, den zuletzt genannten. 


Ich muß nun, will ich nicht meinen Zweck theilweiſe verfehlen, 
nämlich über die gegenwärtige Lage der Mainzer Kirche Licht zu ver— 
breiten, von der Perſon des dermaligen Biſchofs von Mainz 
reden: denn ſeit Jahren hat ſich ja in unſeren Gegenden der Kampf 
gegen die Kirche vorzugsweiſe gegen ſeine Perſon gerichtet; auch 
in der zweiten Kammer hat man vielfach in einer Weiſe geredet, 
als ob man nicht über das Verhältniß des Staates zur Kirche, 
ſondern gegen den Herrn von Ketteler, wie man mit Vorliebe ſich 
ausdrückt, Geſetze mache. 


Das frühere Leben des Biſchofs von Mainz verlief ſehr einfach. 
Sohn einer Familie, die ſich noch mehr als durch ihren Adel, durch 


35 


chriſtliche Tugend ausgezeichnet, hat er unter der Pflege einer from: 
men Mutter und in einem edlen Familienkreiſe ſeine Jugend zuge— 
bracht, in vielfältigem Verkehr mit den ausgezeichnetſten katholi— 
ſchen Perſönlichkeiten Weſtphalens. Er widmete ſich dem Studium 
der Jurisprudenz und der Staatswiſſenſchaften; nach deſſen Be⸗ 
endigung trat er in den Staatsdienſt. Allein die von Kindheit an 
in ſeinem Herzen lebende Liebe zur Religion und Kirche, die Be— 
geiſterung, welche im Jahre 1837 das Kölner Ereigniß in vielen 
Herzen erweckte, und ein klar erkannter Beruf führten ihn, mit ſei— 
nem jüngeren Bruder Richard, zu dem in den höheren Kreiſen der 
Geſellſchaft noch ungewöhnlichen Entſchluſſe, den weltlichen Stand 
zu verlaſſen und ſich als Prieſter ganz dem Dienſte Gottes zu wei— 
hen. Er ſtudirte in München, wo damals ſo viele vortreffliche 
katholiſche Männer vereinigt waren, Theologie und vollendete ſeine 
Vorbereitung zum Prieſterthum im Seminar zu Münſter. Nach— 
dem er mehrere Jahre als Kaplan gewirkt, verwaltete er eine 
einfache, aber große Dorfpfarrei der Diöceſe Münſter. Ohne 
ſein Zuthun wurde er zur Verwaltung der katholiſchen Pfarrei 
in Berlin berufen, welches wohl die größte und ſchwierigſte Pfar— 
rei im weiten Vaterlande ſein dürfte und womit zugleich die kirch— 
liche Sorge für die zerſtreuten katholiſchen Gemeinden des ſoge— 
nannten Delegaturbezirkes verknüpft iſt. Er erwarb ſich dort 
in allen Kreiſen, auch unter den Proteſtanten, allgemeine Hochach— 
tung und Vertrauen. Als er feine unvermuthete Wahl zum Biſchof 
von Mainz erfuhr, und man von allen Seiten, auch von Seiten 
ſeines unmittelbaren Vorgeſetzten, des ſeligen Fürſtbiſchofs Die— 
penbrock von Breslau, ihm vorſtellte, daß es unter den obwal— 
tenden Umſtänden eine Pflicht gegen die Kirche ſei fie anzunehmen, 
beharrte er dennoch, dem Beiſpiele vieler frommen Biſchöfe nach— 
ahmend, auf der Weigerung, bis der ausdrückliche, trotz aller 
Einwände, ertheilte Befehl des Papſtes ihn zur Folgſam— 
keit beſtimmte. 

Was haben nicht ſchon manche Leute von dem Ehrgeiz und den 
Planen des dermaligen Biſchofs von Mainz gefabelt. Wenn 
fie von einem katholiſchen Biſchof einen Begriff hätten, fo wür— 
den ſie einſehen, daß derſelbe wahrhaftig nichts Anderes iſt, als 
ein katholiſcher Biſchof, wie jeder andere Biſchof, und daß 
er keinen anderen Plan und Ehrgeiz beſitzt, als die Pflichten eines 
Biſchofs möglichſt zu erfüllen. 

Es iſt die Pflicht des Biſchofs die Rechte und die Selbſtſtän⸗ 
digkeit der katholiſchen Kirche, deren von Gott geſetzter Reprä⸗ 

3 * 


36 


ſentant und eu er in feiner Diöceſe iſt, zu vertheidi⸗ 
gen. 

Wenn alſo der Biſchof von Mainz die von allen Ar 
Biſchöfen, auf Grund der unantaſtbarſten und heiligſten Rechts— 
titel, vindicirte Selbſtſtändigkeit der katholiſchen Kirche für ſeine 
Diöceſe herzuſtellen ſich bemühte, ſo hat er lediglich ſeine Pflicht 
erfüllt. 

Es iſt Pflicht des Biſchofs im Innern der Kirche Religion und 
Sittlichkeit, durch Anwendung der vom Glauben und den Geſetzen 
der Kirche an die Hand gegebenen und vorgeſchriebenen Mittel, 
zu pflegen und zu immer größerer Blüthe zu bringen. 


Man wird in der ganzen Amtsverwaltung des Biſchofs von 
Mainz vergeblich nach einer Handlung ſuchen, die etwas Anderes 
wäre, als die Anwendung rein religiöſer, allgemein bekannter, 
von der katholiſchen Kirche entweder förmlich gebotener oder drin 
gend empfohlener Mittel zur Beſtärkung und Hebung chriſtlichen 
Sinnes und Lebens unter den Katholiken. | 

Die Kirche ſchreibt durch ihre Gelege vor, daß die Biſchöfe 
die Candidaten des Prieſterthums in ſorgfältig geleiteten Se— 
minarien in Wiſſenſchaft und den ihrem Stande entſprechen— 
den Tugenden erziehen ſollen. Deßhalb die Neubelebung der. 
wiſſenſchaftlichen Studien im Seminar zu Mainz. 

Die Geiſtlichen zu überwachen, zu ermahnen, wo noth 
wendig, zurechtzuweiſen, noch mehr aber ſie durch Wort und 
Beiſpiel zu immer größerer Vollkommenheit anzuleiten, iſt die 
wichtigſte Pflicht des Biſchofs. Der Biſchof von Mainz hat ſie 
nach beſtem Wiſſen und Gewiſſen zu erfüllen ſich beſtrebt, und 
alle guten Prieſter danken es ihm und mit ihnen dankt es ihm 
das gläubige Volk. 

Der Biſchof von Mainz hat, wie es feine Pflicht iſt, eifrig 
die katholiſche Glaubens- und Sittenlehre in Stadt und Land 
ſelbſt gepredigt und predigen laſſen. Er iſt auch, wo es noth— 
wendig war, den dem katholiſchen Glauben gefährlichen Irr— 
thümern der Zeit durch Wort und Schrift entgegen getreten. 
In allem Dem hat er lediglich feine ſich von ſelbſt verſtehende 
biſchöfliche Pflicht erfüllt. N 

Eine ganz beſondere Sorgfalt hat er, wie es gleichfalls ſeine 
heiligſte Amtspflicht iſt, der veligiöfen Erziehung der Jugend zu: 
gewendet und hat hiefür Geiſtliche und Lehrer, ſo weit es in 
ſeinen Kräften ſtand, zu begeiſtern geſucht. f 


37 


Er bereift fortwährend ſeine Diöceſe, viſitirt, wie es eine der 
wichtigſten Pflichten des Biſchofs iſt, alle drei Jahre ſämmtliche 
Pfarreien des Landes, indem er zugleich das Sacrament der Fir— 
mung ſpendet und ſucht dabei überall den frommen Sinn des 
Volkes zu beleben, gute chriſtliche Sitten zu befördern, Gebet 
und fleißigen Beſuch des Gottesdienſtes zu empfehlen. 

Die Kraft des Glaubens muß ſich in den Werken der Liebe 
erweiſen. Deßhalb hat der Biſchof von Mainz, nach dem Vor— 
bilde aller guten Biſchöfe, den Werken der chriſtlichen Liebe 
und Barmherzigkeit große Sorgfalt gewidmet. Dazu verwendet 
er ſelbſt faſt alle ſeine Einfünfte und gleichen Wohlthätigkeits— 
ſinn ſuchte er unter den Geiſtlichen und dem chriſtlichen Volke 
anzuregen. So hat er eine Reihe wohlthätiger Anſtalten und 
Vereine theils in's Leben gerufen, theils befoͤrdert. Wohl— 
thätige Perſonen haben ihn hierin mit ihren Gaben unterſtützt 
und der vielgeſchmähte Biſchof von Mainz hat in den Jahren 
ſeines Hierſeins, von den laufenden Almoſen abgeſehen, viele 
Tauſende zu wohlthätigen Zwecken verwendet. 


Der Biſchof von Mainz wäre kein katholiſcher Biſchof, wenn er 
nicht ein Freund und Beförderer jener höchſten Form des reli— 
giöſen Lebens wäre, die zwar für Viele ein Stein des Anſtoßes, 
für den gläubigen Katholiken aber die treueſte Nachahmung des 
Lebens Jeſu Chriſti ift, nämlich des klöſterlichen Lebens. Und 
deßhalb hat er auch dieſem Zweige des kirchlichen Lebens die ihm 
gebührende Aufmerkſamkeit geſchenkt. Doch davon müſſen wir noch 
ausführlich reden. 


Nichts liegt ſo ſehr im Weſen des Chriſtenthums und der 
menſchlichen Natur als die Vereinigung, die Aſſociation. Daſſelbe 
Lebensgeſetz, das in allen Gebieten zur Vereinigung führt, iſt in 
noch höherem Grade auf religiöſem Gebiete wirkſam, wo immer ein 
geſundes religiöſes Leben ſich findet. Deßhalb hat auch der Biſchof 
von Mainz, im Geiſte und nach den Vorſchriften der Kirche, reli— 
giöſe Vereine der Laien zu chriſtlichen Zwecken gebilligt und be— 
fördert. 4 


Wir haben hiemit die ganze Wirkſamkeit des Biſchofs von 
Mainz geſchildert; es iſt genau dieſelbe Wirkſamkeit, wie ſie alle 
pflichtgetreuen katholiſchen Biſchöfe in der ganzen Welt üben und 
zu allen Zeiten geübt haben. Ueber dieſe Gränzen feiner bifchöf- 
lichen Wirkſamkeit iſt der Biſchof von Mainz nie und nirgends hin— 
ausgegangen. 


38 


Aber hat nicht der Biſchof von Mainz in dieſem ſeinem an 
ſich berechtigten und loͤblichen Wirken in einer, die Rechte An: 
derer, oder die Geſetze des Staates, oder den Frieden mit 
anderen Confeſſionen ſtörenden Weiſe gehandelt? — Das hat 
man ſo lange in allen Tonarten, öffentlich und privatim den 
Leuten vorgeſungen, daß ſelbſt manche ſchwache katholiſche See- 
len daran theilweiſe glaubten. Wir würden uns aber derſelben 
Schwäche ſchuldig machen, wenn wir nicht, auf die objectiven 
Thatſachen geſtützt, beſtimmt und unbedingt auch dieſe Beſchul— 
digung zurückweiſen würden. 


Was vor Allem das Verhältniß zu den Proteſtanten betrifft, 
ſo iſt es nicht bloß Thatſache, daß der Hochwürdigſte Biſchof 
während ſeines ganzen Lebens nicht bloß ſehr viel und ſehr 
freundlich mit Proteſtanten verkehrt iſt, ſondern wir wiſſen auch, 
daß er bezüglich ihrer die mildeſten und liebevollſten Anſchau⸗ 
ungen hegt. Aber freilich, wenn man uns Katholiken zumuthen 
will, daß wir unſere Religion nicht mehr für die wahre und die 
Glaubenstrennung nicht für ein Unglück halten, daß wir uns 
vielmehr in Allem den proteſtautiſchen Anſchauungen anſchließen 
oder wenigſtens niemals unſere katholiſche Ueberzeugung äußern 
ſollen, — ja dann muß jeder Latholik von Ueberzeugung als 
intolerant erſcheinen. 


Was das öffentliche Wirken des Biſchofs von Mainz an- 
langt, ſo hat er nie und nirgends gegen den Proteſtantismus 
polemiſirt, hat vielmehr alle ſeine Thätigkeit lediglich auf die reli⸗ 
giöſe und ſittliche Hebung des katholiſchen Volkes verwendet. 


Oder hat ſich der Biſchof von Mainz etwa gegen andere 
Religionsparteien intolerant bewieſen, insbeſondere gegen die 
Deutſchkatholiken? Seit ſiebzehn Jahren, und heute mehr als 
je zuvor, hat der Deutſchkatholieismus faſt alle feine Kräfte auf 
die Diöceſe Mainz concentrirt. Sein Streben tft auf nichts an 
deres gerichtet, als die Mainzer Katholiken zum Abfall vom katho⸗ 
liſchen Glauben zu bringen und für den Deutſchkatholicismus zu 
gewinnen, und zwar durch alle nur möglichen Mittel. Soll etwa 
der Biſchof von Mainz das ohne Widerſtand geſchehen laſſen? 
Er würde ja dann die erſte von allen ſeinen Pflichten verſäumen. 
Aber wie iſt der Biſchof von Mainz gegen den Deutſchkatholt⸗ 
cismus aufgetreten? Ich meine mit einer großen Rückhaltung 
und Mäßigung, und in der Weiſe, die jeder vernünftige Menſch 
als die richtige erkennen wird. Er hat in einem Hirten⸗ 


m 


30 


briefe einfach den Katholiken die Principien des Deutſchkatho— 
licismus dargelegt und ihnen gezeigt, daß er nichts anderes iſt, 
als die vollſtändige Leugnung des ganzen weſentlichen Juhaltes 
des Chriſtenthums und aller göttlichen Offenbarung, daß er 
ſelbſt die pantheiſtiſche und materialiſtiſche Weltanſchauung nicht 
ausſchließt, mithin auf die Untergrabung aller Religion mit noth— 
wendiger Conſequenz hinausläuft. Soll es verboten ſein, dieſe 
Wahrheit und Thatſache aus zuſprechen? 

Oder iſt vielleicht der Biſchof von Mainz in politiſcher und 
ſocialer Beziehung unduldſam, vegierungs- oder volksfeindlich auf— 
getreten? Ja, ſo möchte man es darſtellen; das iſt die Fiktion, 
die man immer wieder vorbringt. Als Biſchof und als Ade— 
liger ſei er nothwendig in politiſcher Beziehung ein Abſolutiſt 
und Reactionär. Das iſt praktiſch und verſtändlich in dieſen 
aufgeregten Zeiten geſprochen und ganz geeignet, durch eine Mi— 
ſchung der politiſchen mit den religionsfeindlichen Leidenſchüften 
ein helles Feuer des Haſſes zu entzünden. Allein ſoll deßhalb 
vor dieſem tollen Geſchrei die Wahrheit verſtummen und die un— 
ſinnigſte Lüge ſich behaupten? Denn welches durch und durch 
unwahre und grundloſe Gerede iſt doch das! Niemals hat ſich 
der Biſchof von Mainz in irgend welche politiſche Angelegenheit 
eingemiſcht; immer und überall hat er die Sache der Religion 
und Kirche von allen politiſchen Dingen getrennt und allen Par— 
teien, wie nicht minder der Regierung gegenüber, die vollkom— 
menſte Unabhängigkeit ſich und der von ihm vertretenen Kirche 
gewahrt. 

Allerdings beſitzt der Biſchof von Mainz für alle großen 
Angelegenheiten der Menſchheit und des Vaterlandes ein offenes 
Auge und Herz; er hat auch in den politiſchen und ſocialen Fra— 
gen der Zeit ſeine ſehr klaren und beſtimmten Anſichten und 
Ueberzeugungen und hat dieſelben als Schriftſteller ausgeſpro 
chen. Dieſe ſeine Ueberzeugungen und Anſichten ſind aber eher 
Alles, als abſolutiſtiſch und reaktionär. Nur der blinde Un— 
verſtand und die bornirteſte Parteieingenommenheit kann ſie da— 
für halten. Ja wir fürchten nicht, es auszuſprechen, daß unſere 
Zeit wenige Männer zählen dürfte, die eine ſolche Liebe und ein 
ſolches Vertrauen zu einer wahren und redlichen Freiheit, einen 
ſo vorurtheilsloſen Geiſt für alle Bedürfniſſe und wirklichen 
Fortſchritte der Gegenwart beſitzen, als gerade der Biſchof von 
Mainz. 

Aber eigenmächtig und gewaltthätig iſt er doch aufgetreten, 


40 


indem er ohne Erlaubniß, wie man zu ſagen beliebt, die Gießener 
Facultät trocken legte, Klöſter einführte und überhaupt den bis— 
herigen kirchlichen Uſus änderte? Wir begreifen es, wenn ein 
alter, ſtarrer Bureaukrat hier ſchreckliche Frevel wittert, und 
wir verſtehen es, wenn Solche, denen alle nähere Sachkennt— 
niß abgeht, und das ſind leider Viele, hier die Spuren 
eines gewaltthaͤtigen Geiſtes finden. In der That und Wahr: 
heit aber hat der Biſchof von Mainz auch hier immer jo gehan— 
delt, wie er zu handeln berechtigt und verpflichtet war, wie 
im Weſentlichen auch jeder andere gewiſſenhafte und kräftige Bi— 
ſchof gehandelt hätte. — Was man aber nicht weiß oder nicht 
wiſſen will, iſt, daß der Biſchof von Mainz dem Staate gegen— 
über auf eine jo rückſichtsvoll entgegenkommende Weiſe ſich be— 
nommen hat, daß ſie ihm nach der entgegengeſetzten Seite hin eine 
Zeit lang manche Verkennung und bittere Beurtheilungen zuge— 
zogen. 

Die Kirche war in dem oben geſchilderten Zuſtande abjoluter 
Staatsbevormundung. Die Biſchöfe der oberrheiniſchen Kirchen— 
provinz hatten durch ihre Denkſchrift vom 5. März 1851 die Ne: 
gierungen in ehrerbietigſter Weiſe angefleht, dieſem unrechtmäßigen 
Zuſtande ein Ende zu machen. Durch die Regierungsentſchließung 
vom 5. März 1853 hatte man zwar einige unweſentliche Zugeſtänd 
uiſſe gemacht, in allen weſentlichen Punkten aber den Standpunkt 
des alten Staatskirchenthums feſtgehalten. Darauf hatten die 
Biſchöfe am 18. Juni 1853 ihre ausführliche Denkſchrift den 
Regierungen vorgelegt, worin ſie zeigen, daß jene Rechte, welche 
ſie für die Kirche in Anſpruch nehmen, nicht bloß aus dem Weſen 
der katholiſchen Kurche und dem Princip der Gewiſſensfreiheit 
fließen, ſondern auch derſelben durch das geltende poſitwe Recht 
und durch alle Staatsverträge garantirt ſeien, daß auch der Be— 
ſeitigung der durch einfache Verordnungen und Verwaltungs— 
maßregeln eingeführten graven Beeinträchtigungen der rechtmäſ— 
ſigen Selbſtſtändigkeit der katholiſchen Kirche durchaus kein 
geſetzliches Hinderniß im Wege ſtehe. Sie ſprachen ihr ſehn— 
liches Verlangen aus, die Differenzen im Frieden zu regeln; 
ſie erklärten, daß ſie unter allen Umſtänden gleich allen Unter— 
thanen alle bürgerlichen Pflichten treu erfüllen, daß fie aber nie 
und nimmer im Widerſpruch mit ihrem Glauben und Gewiſſen 
Vorſchriften beobachten könnten, die mit den Grundſätzen des 
Glaubens und den unantaſtbaren Geſetzen der katholiſchen Kirche 
im Widerſpruch ſtünden. „Sie können, ſchließen die Bilchöfe, 


41 


nicht denken, daß man ihrem Gewiſſen in unerhörter Weiſe Ge— 
walt anthun und ſie nöthigen wolle, das Heil ihrer unſterblichen 
Seele um deßwillen dahin zu geben, weil man in ihren Terri— 
torien das nicht als vereinbar mit den Rechten des Staates lei 
den will, weſſen die Kirche gemäß den Lehren und den Anord— 
nungen des Sohnes Gottes zu ihrem eigenthümlichen Beſtande 
ſchlechterdings bedarf; was fie in Deutſchland früher unbeſtritten 
gehabt hat, was die vertragsmäßigen Bullen Provida solers- 
que und Ad Dominici gregis custodiam unzweideutig ſtipultren; 
was ihr faſt ſelbſt in einem Staate der oberrheiniſchen Kirchen— 
provinz eingeräumt ıft ') und was eine ſolche Fülle innerer Wahr 
heit und Berechtigung in ſich trägt, daß es auf die Dauer un 
möglich beſtritten und vorenthalten werden kann.“ 


Nach dieſer Denkſchrift, die noch niemals juriſtiſch auch nur 
in einem einzigen Punkte widerlegt worden iſt — und gegen welche 
es keine Widerlegung gibt, als nur die Verleugnung jener Rechts- 
principien, auf welchen ſie beruht, mußte nothwendig entweder 
ein die Forderungen der Kirche genügend befriedigende friedliche 
Vereinbarung oder ein offener Conflict eintreten. Der Erzbiſchof 
von Freiburg, der Biſchof von Limburg waren in dieſen Conflict, 
da nichts Anderes mehr übrig blieb, eingetreten. Alles ſchien den 
Biſchof von Mainz aufzufordern, nun auch zu erklären: er müſſe 
Gott mehr gehorchen, als den Menſchen. Da trat die Regierung mit 
ihm in Verhandlungen, welche derſelbe wie mit der größten Loyalität, 
ſo auch mit einer großen Milde und Friedensliebe führte. Obwohl 
in einigen Punkten eine vollſtändige Einigung nicht zu Stande 
kam, ſo wurde es doch durch das Uebereinkommen vom 28. Auguſt 
1854 der katholiſchen Kirche im Großherzogthum möglich, ohne 
Verletzung ihrer Principien in Frieden mit dem Staate zu leben 
und allen Intereſſen deſſelben die vollſte Rechnung zu tragen. 


Hätte nicht ein heilloſes Parteitreiben das geſunde Urtheil 
getrübt und jo viele Bitterkeit eingemiſcht; wir find überzeugt, 
Alle, ſelbſt diejenigen, welche heute gegen die Convention find, 
nicht ausgeſchloſſen, würden bei einer gerechten und billigen Er— 
wägung gar nicht begreifen, wie man nur ſo einfache und ſelbſt— 
verſtändliche Dinge beſtreiten könne, wie ſie die Convention ent— 
hält. 


= 1) Der Biſchof von Fulda beſaß längft im Weſentlichen die von den 
Biſchöfen beanſpruchten Rechte, 


42 


Denn was enthält denn dieſe Convention? Sie hat 
lediglich jenen auf gar keinem Geſetze beruhenden, mit allen 
Grundſätzen des Rechtes, der Vernunft und der Religion im 
Widerſpruch ſtehenden Zuſtand beſeitigt, wornach der Landesherr 
zu den Pfarreien ernannte, und hat den auch von der zweiten 
Kammer anerkannten Grundſatz anerkannt, daß die Beſetzung der 
Kirchenämter der Kirchengewalt nach Maßgabe der kirchlichen 
Geſetze zuſtehe. Dabei aber hat der Biſchof dem Staate das 
Recht eingeräumt, aus bürgerlichen und politiſchen Gründen Ein— 
ſprache gegen eine Ernennung zu erheben. Dann iſt das Recht 
der Kirche, ihre Geiſtlichen im Seminar zu Mainz zu erziehen 
und zu prüfen, zugegeben, ein Recht, das, wie wir unten ſehen 
werden, niemals, weder durch ein Geſetz noch durch eine Verord— 
nung der Kirche entzogen war. 

Was die Orden betrifft, ſo hatte der Staat ein Genehmi— 
gungsrecht beanſprucht, der Biſchof ein ſolches nicht zugeſtehen 
können. Er war jedoch zufrieden, daß man die Ordensleute ein— 
fach nach den allgemeinen Grundſätzen der bürgerlichen Freiheit 
und den allgemeinen Polizeiverordnungen behandele, ohne ſie als 
Orden oder kirchliche Corporationen anzuerkennen. Wir werden 
dieſen Punkt unten beſprechen. 

Was das Kirchenvermögen anlangt, ſo beanſpruchte der Staat 
gemeinſame Verwaltung; der Biſchof konnte das nicht zugeben, 
geſtand aber die ausreichendſte Controle guter Verwaltung und 
Verwendung zu. Vor der Hand blieb der alte Modus der Ver- 
waltung beſtehen. 

Die der Kirche nie entzogen geweſene kirchliche Gerichtsbar— 
keit wurde für geiſtliche Sachen anerkannt; deßgleichen aber auch 
vom Staate ſeine volle Gerichtsbarkeit in allen bürgerlichen 
Dingen auch bezüglich der Geiſtlichen gewahrt. Von dem ſoge— 
nannten Recurs wegen Mißbrauchs der geiſtlichen Gewalt wer— 
den wir unten reden und dort ſehen, daß hier viel Lärm um 
Nichts gemacht wird. 

Wir halten es für überflüſſig, vom Placet und dem freien 
Verkehr mit den kirchlichen Vorgeſetzten, namentlich mit dem 
Papſte ein Wort beizufügen; in dieſer Zeit einer großen Frei— 
heit der Preſſe und einer allgemeinen Verkehrsfreiheit ſind die 
Präventivmaßregeln einer für immer abgelaufenen Periode nach 
unſerer Meinung Anachronismen, über welche nur Pedanten ſich 
ſtreiten und Kummer machen können. 

So enthält in der That die Convention nichts, als was 


43 


am Ende nach einigen neuen Erfahrungen jede Regierung, auch 
wenn ſie ein Fortſchrittsminiſterium hat, trotz aller neugemachten 
Kirchengeſetze unfehlbar der Kirche zugeſtehen wird, ohne anderes 
beanſpruchen und behaupten zu können, als was auch die Con» 
vention dem Staate zugeſteht. 


Man hätte alſo Seitens des Staates allen Grund, zufrieden zu 
ſein, daß die kirchlichen Differenzen durch die Convention im Groß— 
herzogthum Heſſen glücklich und genügend erledigt worden ſind, 
und hätte weit eher die Kirche, als der Staat Urſache, mit 
derſelben unzufrieden zu ſein. Jedenfalls iſt gewiß, daß der 
Biſchof von Mainz nicht der rückſichtsloſe, gewaltthätige Mann 
iſt, den die Phantaſie Solcher aus ihm macht, die nie mit ihm 
verkehrt haben, ſondern vielmehr ein Biſchof, der, ſo weit nur 
die Pflicht und das Gewiſſen es ihm erlaubt, ſehr verträglich 
iſt und für den am Ende auch das Zeugniß wahr bleibt, das 
der berühmte Geſchichtſchreiber Niebuhr aus feinen Erfah- 
rungen als preußiſcher Geſandter am römiſchen Hofe dem letzte— 
ren gibt, daß man nämlich, wenn man nur ehrlich und einigermaßen 
billig ſei, mit der römiſchen Curie ſehr gut ſich einigen und aus— 
kommen könne. 


Seit zehn Jahren beſteht bereits die Convention und wer— 
den die katholiſchen Kirchenangelegenheiten nach ihr behandelt; 
man könnte einen hohen Preis, ohne Furcht ihn je auszahlen zu 
müſſen, auf den Nachweis ſetzen, daß auch nur in einem einzigen 
Falle durch die Befolgung der Convention ein Recht oder Inter— 
eſſe des Staates oder eines Privaten oder anderer Confeſſionen 
im Mindeſten verletzt worden. 


Ein recht ſchlagender Beweis hiefür iſt, daß Jahre lang 
dieſe Regelung der kirchlichen Angelegenheiten ganz unangefochten 
beſtand. Alle, welche der katholiſchen Kirche mit Liebe zugethau 
ſind, freuten ſich derfelhen und waren der Großherzoglichen Re— 
gierung dafür dankbar; von denen aber, welche der Kirche 
ſerne ſtehen, empfand Niemand etwas von der Convention. Auch 
wird und kann Niemand der Natur der Sache nach dadurch 
benachtheiligt werden. Es iſt daher die in der letzten Zeit er 
folgte Bewegung, was die große Mehrheit des Volkes betrifft, 
eine künſtlich hervorgerufene. Wir wollen die Mittel und Hebel, 
welche in Bewegung geſetzt wurden, nicht ſchildern, wie viel 
Grund wir hätten, Klage zu erheben. Dagegen ſcheint es uns 
wichtig, den Character dieſer Agitation näher zu bezeichnen, 


44 


9. Der Character der Bewegung gegen die Convention. 

Es iſt ſchon oftmals auseinandergeſetzt worden, daß den re— 
ligiöfen Agitationen politiſche Motive zu Grunde liegen. Das 
iſt auch gewiß richtig. Ohne Zweifel hat, wie in Baden, auch 
im Großherzogthum Heſſen die Partei des National ver— 
eins, dort das Concordat, bier die Convention benützt, um ein 
ihr mißliebiges Miniſterium, das dieſe Verträge mit der Kirche 
abſchloß, zu ſtürzen und ſich ſelbſt an's Ruder zu bringen. Noch 
viel mehr aber hat jene Partei, welche vor Allem den Umſturz 
der beſtehenden Ordnung will, mit Freuden den religiöſen An— 
laß ergriffen, um das Volk aufzuregen, die Regierung zu com— 
promittiren, die conſervativen Kräfte zu zerſtören und zu desor— 
ganiſiren, die Bewegung in den Fluß zu bringen. 

Aehnlich hat man ja auch das Jahr 1848 vorbereitet. Ja 
man konnte geſchichtlich durchführen, daß faſt alle politiſchen und 
ſocialen Revolutionen durch religiöſe Wühlereien eingeleitet wur— 
den. So lange eine Nation im chriſtlichen Glauben ihren Halt: 
und Schwerpunkt hat, werden alle ſocialen und politiſchen Ge— 
genſätze und Uebel ſich ausgleichen und überwinden laſſen. Soll 
dagegen jener völlige Bruch mit aller rechtmäßigen Autorität und 
mit der ganzen Geſchichte eintreten, der in der Revolution ſich 
vollzieht, ſo muß zuvor das Volk feinen religiöfen Halt verloren 
haben. 

Allein nichtsdeſtoweniger halten wir eine Darſtellung, welche 
allein auf die politiſche Seite der Sache Gewicht legt, für ein— 
ſeitig. Wohl wird die Religion benutzt, um politiſche Zwecke zu 
erreichen, allein das Umgekehrte iſt auch wahr und ich glaube, 
es hat ſogar in der Regel das Uebergewicht. Um ſeine religiöſen 
Abneigungen zu befriedigen und um religiöfe oder irreligiöſe 
Zwecke zu erreichen, hat man zu allen Zeiten und ganz beſonders 
in der Gegenwart politiſche Motive und Antipathien gegen die 
katholiſche Kirche in Bewegung geſetzt. 

Oder wer kann ſich darüber einer Täuſchung hingeben, wie 
ſehr religiöſe Sympathien und Antipathien auf die politiſchen 
Parteiſtellungen einwirken? 

Es ſind nun einmal nicht die politiſchen und nicht einmal 
die ſocialen, ſondern es ſind die religiöfen Fragen die höchiten 
und wichtigſten — und es tft ein Zeugniß für die Würde und 
geiſtige Natur des Menſchen, daß die geiſtigen und überirdiſchen 
Intereſſen ſtets mächtiger ihn in Anſpruch nehmen, als die ma⸗ 
teriellen und irdiſchen. 


45 


So iſt auch der vorliegende Kampf in feinem tiefften Grunde 
nicht ein politiſcher Kampf, ſondern ein religiöſer Kampf, nicht 
ein Kampf um conſtitutionelle Rechte, nicht ein Kampf einer po: 
litiſchen Partei gegen eine andere, ſondern um es kurz zu ſagen — 
ein Kampf der ſogenannten Aufklärung gegen das katholiſche 
Cbriſtenthum. Nicht der Staat und ſeine Rechte ſollen 
gegen kirchliche Uebergriffe geſchützt, ſondern der religiöſe Auf— 
ſchwung, die religiöſe Lebensentwickelung im Innern der katholi— 
ſchen Kirche ſollen durch die Staatsgewalt unterdrückt werden, 
nicht weil der Staat dazu ein Recht oder dabei ein Intereſſe 
hat, ſondern weil der Rationalismus und die Aufklärung es ſo 
wollen und es in ihrem Intereſſe finden. 

Wir halten es für einen argen Mißgriff, dieſen Sachverhalt 
zu verbergen und Alles auf die Rechnung der Politik zu 
ſchreiben. N 

Nein, nicht politische, ſondern religiöſe Gegenſätze find, wie 
zu allen Zeiten, auch in der Gegenwart die tiefſten und entſchei— 
denſten. 

Daß die ganze Bewegung, die mit dem Petitionsſturme ge— 
gen die Convention begann, in den jüngſten Wahlen, wozu auch 
die Mainzer Stadtrathwahl gehort, ſich manifeftirte und in den 
Debatten und Beſchlüſſen der zweiten Kammer einen vorläufigen 
Abſchluß fand, weit mehr als einen politiſchen, einen religiöſen 
Character hat, kann nur ein Blinder nicht ſehen. 

Nirgends aber iſt dieſe Thatſache und Wahrheit klarer aus— 
geſprochen, als in einer „von Unterzeichnern der Main— 
zer Adreſſe gegen die Convention“ herausgegebenen 
Schrift. Dieſelbe iſt bald nach dem Beginne der Agitation gegen 
die katholiſche Kirche bei Brenner in Wies baden erſchienen, 
trägt den Titel: Sind die Biſchöfe allein die Kirche? 
Sie hat den oſtenſibelen Zweck, die Unterzeichner jener Petition 
gegen die von dem Hochwürdigſten Biſchof von Mainz’) 
erhobene Beſchuldigung, daß jene Petition einen Angriff gegen 
die katholiſche Kirche ſelbſt, gegen ihre Diener, ihren Geiſt und 
ihre Inſtitute enthalte, zu rechtfertigen. 

Der Inhalt jener Brochüre läßt ſich auf folgende Sätze 
zurückführen: 

1) Unſer Angriff iſt nicht gegen die Kirche gerichtet, wie 


1) In ſeiner Schrift: „Soll die Kirche allein rechtlos 
ſein?“ 


46 


wir fie verftehen, ſondern gegen die Kirche, wie der Biſchof von 
Mainz ſie verſteht. Wir verſtehen unter Kirche das Volk, der 
Biſchof verſteht unter Kirche die Hierarchie. Der Papſt und 
die Biſchöfe und die ihnen anhängen, find die Partei, die wir 
befehden. — Dagegen die Kirche in unſerem Sinn, nämlich das 
Volk, wollen wir von der Tyrannei des Papſtes und der Bi— 
ſchöfe frei machen. 

2) Unſer Angriff iſt nicht gerichtet gegen den Geiſt des 
Chriſtenthums oder der Kirche in unſerem Sinn; denn dies iſt 
der Geiſt der Aufklärung, des Fortſchritts, der Humanität und 
Toleranz, wie wir dieſe Worte verſtehen, ſondern gegen den Geiſt 
der Hierarchie, des Papſtes und der Biſchöfe; denn dies iſt ein 
Geiſt verfolgungsſüchtiger Unduldſamkeit, der Volksverdummung, 
der Geiſtesfnechtung. — Und dieſe Intoleranz und Verfolgungs— 
ſucht iſt nicht etwa bloß ein Fehler einzelner Menſchen in der 
Kirche, ſondern iſt der weſentliche Geiſt einer Kirche, die ſich für 
allein wahr, für unfehlbar und alleinſeligmachend hält. 

3) Unſer Angriff iſt nicht gerichtet gegen die Diener der 
Kirche, wie wir ſie haben wollen, und ſie uns etwa noch ge— 
fallen laſſen, die nämlich die kirchliche Autorität und kirch— 
liche Lehre preisgeben, unſerer Aufklärung alle möglichen Con: 
ceſſionen machen oder ihr ſelbſt fröhnen, ſondern gegen die Ul- 
tramontanen, welche jene mittelalterliche Tyrannei der Päpſte 
und Biſchöfe und jene Verdummung und Knechtung der Völ—⸗ 
ker aufrechthalten oder wiederherſtellen wollen. 

Das iſt, auf klare Sätze zurückgebracht, die Vertheidi⸗ 
gung, welche die Unterzeichner der Petition führen. Man 
wird uns zugeben, daß dieſe Vertheidigung einen viel weiter 
gehenden Angriff gegen die katholiſche Kirche und Religion 
enthält, als der Biſchof von Mainz der Petition vorgeworfen. 
Denn wenn dies wirklich die Meinung der Petenten war, dann 
iſt offenbar ihr Streben und ihre Endabſicht nicht darauf gerichtet, 
der katholiſchen Kirche gewiſſe Einſchränkungen durch die Staats⸗ 
gewalt aufzuerlegen, gewiſſe Rechte des Landesherrn über die 
katholiſche Kirche zu wahren oder Rechte der Landſtände gelten zu 
machen, ſondern die katholiſche Kirche gründlichſt in Verfaſſung, 
Lehre und Cultus zu reformiren, d. h. die Kirchengewalt den 
Händen des Papſtes und der Biſchöfe zu entziehen, die kirchliche 
Volksſouveränität einzuführen, an den Lehren der Kirche alles das 
zu entfernen, was dem ſogenannten Fortſchritte und dem Zeitgeiſt 
nicht mehr entſpricht und demgemäß auch den Cultus umzuge⸗ 


47 


ſtalten. Dieſe Abſicht und dieſes Streben wird denn auch mit 
aller Offenheit ausgeſprochen und als der Triumph des Men— 
ſcheugeiſtes in ſeinem Fortſchritt und als „die Vollendung der Re— 
formation“ bezeichnet. „Ein Auguſtiner-Mönch, Martin Luther, 
heißt es, vollbrachte ſie, er vollbrachte ſie aber nur halb.“ 
Jetzt ſoll ſie ganz vollbracht werden. Und wie? „Damals fiel 
die Hälfte des deutſchen Volkes von der Kirche, d. h. von der 
römiſchen Prieſterſchaft ab“ — jetzt alſo ſoll offenbar auch die 
andere Hälfte zum Abfall gebracht werden. Aber zu welcher 
Lehre, Confeſſion, Kirche? Etwa zu der von Luther geſtifteten? 
Nimmermehr, denn der gläubige Proteſtantismus iſt, wie die Bro— 
ſchüͤre erklärt, eine eben fo intolerante, mit dem Geiſte der Neu— 
zeit unverträgliche Partei, als der Katholicismus, als das gläu— 
bige Judenthum, kurz, als jede poſitive Religionsgeſellſchaft: „denn 
fo intolerant und verfolgungsſüchtig, jo inhuman und abergläu- 
biſch, wie die Hierarchie und ihre Anhänger, iſt jeder Menſch, 
welcher die Seligkeit des Himmels von Kirchendogmen und Glau— 
bensſätzen, nicht von dem ſittlichen Werthe des Menſchen ab— 
hängig macht). So dachten die Schriftgelehrten und Phariſäer 
unter den Juden, als ſie die Jünger Jeſu verfolgten und tödteten; 
fo denkt der Muhamedaner ... jo denkt die altgläubige oder pie— 
tiſtiſche Partei der Lutheraner, Luther ſelbſt meinte, der Unglaube ſei 
ärger als Mord, weil dieſer nur an Menſchen, der Unglaube aber 
an Gott ſelbſt begangen werde.“ (S. 18 der genannten Schrift.) 

Man ſieht alſo, die Vollendung der Reformation beſteht 
etwa nicht darin, daß nunmehr auch die Katholiken proteſtan— 
tiſch, ſondern daß Katholiken und Proteſtanten zum Evangelium 
der Neuzeit bekehrt werden. 

Und durch welche Mittel? Auch darüber ſpricht die Bro— 
ſchuͤre ſich klar aus: dadurch, daß der Kirche jeder Einfluß auf 
die Familie, auf die Schule und überhaupt auf das Leben ent: 
zogen werde, durch vollkommene Säcularifirung der Ehe, durch 
gänzliche Vernichtung jedes kirchlichen Einfluſſes auf die Schule 
und Aufhebung ihres religiöſen Characters, durch völlige Auf— 
hebung der kirchlichen Disciplin bis zu dem Grade, daß wenn 


1) Wir halten es für nützlich, wenigſtens in einer Note zu bemerken, 
daß die katholiſche Lehre die Seligleit des Himmels einzig und allein vom 
ſittlichen Werthe des Menſchen abhängig macht, aber die ewigen Wahrhei— 
ten, die in den Glaubensſätzen enthalten ſind und den Geiſt und die Kraft, 
welche die Religion uns mittheilt, als die weſentlichen Grundbedingungen 
der wahren und vollkommenen Sittlichkeit betrachtet. 


48 


eine Gemeinde ihren vom Biſchofe etwa abgeſetzten Pfarrer 
behalten und ſich den Anordnungen der kirchlichen Obrigkeit 
widerſetzen will, ſie dieſes ungehindert thun kann; endlich dadurch, 
daß das Kirchenvermögen der Verwaltung der Geiſtlichkeit ent— 
zogen und in die Hände des Volkes gelegt wird. 


Die Brochure ſpricht ſich aber auch über das Verhältniß 
der gegenwärtigen religiöſen Agitation zur politiſchen mit aller 
wünſchenswerthen Klarheit aus. Indem ſie dem Biſchofe von 
Mainz den Vorwurf macht, daß er mit ſeinen religiöſen Beſtre— 
bungen der politiſchen Reaction diene, legt ſie ihrerſeits das 
Geſtändniß ab, daß „die kirchliche und politiſche Fortſchritts— 
partei ſolidariſch und concordial mit einander verbunden ſei.“ 
„Dabei befolgt, heißt es weiter, die politiſche und kirchliche 
Fortſchrittspartei in der Praxis das vernünftige Princip von 
der Theilung der Arbeit; jeder treibt das, was er am beſten 
verſteht, die Politiker haben ihre Arbeit und die Aalen 
die ihrige, jeder an feiner Stelle.“ 


Man könnte vielleicht entgegnen, dieſe Schrift ſei eine 
Privatarbeit, wahrſcheinlich ſei ſie deutſchkatholiſchen Urſprungs; 
die Fortſchrittspartei und die zweite Kammer haben keine 
Verantwortung dafür. Allein, wenn ich bedenke, daß dieſe 
Schrift auf's Eifrigſte verbreitet und empfohlen wurde; wenn 
ich überall in öffentlichen Blättern und in Reden ähnlichen 
Gedanken wieder begegne; wenn ich den ganzen Character der 
dermaligen Befeindungen der katholiſchen Kirche in unſerem 
Lande und zumal in der Stadt Mainz in's Auge faſſe: ſo 
kann ich mir nicht verbergen, daß die Wiesbadener Brochure 
nicht bloß die Träume einiger Deutſchkatholiken, ſondern lei— 
der nur zu reale Pläne ausſpricht, die in viel weiteren Krei— 
ſen verbreitet ſind. Wenn übrigens diejenigen, welche die Be— 
ſchlüſſe der zweiten Kammer vertreten wollen, die bisher dar— 
gelegten Grundſätze der Wiesbadener Brochüre verwerfen, ſo 
brauchen fie es nur oͤffentlich aus zuſprechen — und 
ich werde ſofort öffentlich mein Unrecht eingeſtehen, daß ich 
ſo feindliche Abſichten gegen die katholiſche Kirche bei ihnen 
gefürchtet habe. Aber auch dann bleibt jene Schrift ein merk— 
würdiger Beitrag zu unſerer Zeitgeſchichte. 


Jedenfalls aber iſt es nothwendig, ehe ich zur Kritik des 
von der zweiten Kammer beſchloſſenen Religionsgeſetzes übergehe, 
einige kirchliche Principienfragen zu beſprechen. Namentlich will 


49 


ich zeigen, daß die Freiheit und Selbſtſtändigkeit der 
katholiſchen Kirche eine Exiſtenz- und Lebensfrage 
für fie iſt; ferner, daß die Unterſcheidung zwiſchen Katho— 
licismus und UÜUltramontanismus, zwiſchen Kirche und 
Hierarchie in der Wahrheit nicht begründet, ſondern ledig— 
lich von den Feinden der Kirche erfunden iſt, um die glaubens— 
treuen Katholiken zu verdächtigen und wenn es möglich wäre, 
durch Trennung zwiſchen dem Volk und ſeinen Seelenhirten, die 
katholiſche Kirche und Religion zu zerſtören. 


Heinrich, Der Kampf der Kirche. 4 


Das Weſen der kirchlichen Freiheit und der 
kaͤtholiſchen Kirche. 


I. othwendigktit der Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche 
im Allgemeinen. 


Die Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche 
von jeder irdiſchen Macht in Sachen der Reli— 
gion iſt vor Allem eine katholiſche Glaubenswahrheit, 
welche daher jeder Katholik zu glauben verpflichtet iſt. Kraft 
göttlicher Stiftung iſt die Kirche frei und als ſolche 
keiner weltlichen Gewalt unterworfen. 

Die Wahrheit dieſes Satzes iſt leicht einzuſehen. Chriſtus, 
der Stifter und das göttliche Haupt der Kirche, hat die Ver— 
kündigung ſeiner Lehre, die Spendung ſeiner Gnadenmittel und 
die Aufrechthaltung ſeines Geſetzes nicht den irdiſchen Gewalt— 
habern, nicht den Staaten und Völkern, ſondern den von ihm 
gewählten und zu ſeinen Geſandten und Stellvertretern geſetz— 
ten Apoſteln und Jüngern und deren Nachfolgern anvertraut, 
und er hat den Gläubigen befohlen, in Sachen der Religion 
dieſen, nicht aber den Inhabern der weltlichen Gewalt Folge 
zu leiſten. In allen weltlichen Dingen dagegen hat Chriſtus 
der weltlichen Obrigkeit ſelbſt Gehorſam erwieſen und ſeine 
Apoſtel und Anhänger zu gleichem Gehorſam verpflichtet. So 
wie daher der Chriſt im Gewiſſen verpflichtet iſt, den welt— 
lichen Obrigkeiten in weltlichen Dingen den rechtmäßigen Ge— 
horſam zu leiſten, eben ſo ſtrenge iſt er verpflichtet, in Sachen 
der Religion nur der Kirche zu gehorchen. 


51 


Wir ſehen hieraus, daß die Unterſcheidung von Kirche und 
Staat, von geiſtlicher und weltlicher Gewalt mit der göttlichen 
Stiftung des Chriſtenthums ſelbſt gegeben iſt. Durch dieſe Unter— 
ſcheidung zwiſchen Staat und Kirche unterſcheidet ſich die chriſt— 
liche von der altheidniſchen Weltordnung. Im Heidenthum 
war, wenn man ſich ſo ausdrücken will, Staat und Kirche eins, 
oder vielmehr der nationale Götterdienſt war ſo gut wie das 
Kriegsweſen und die Rechtspflege eine Staatsangelegenheit ). 
Das iſt der Grund, weßhalb die römiſchen Kaiſer, welche alle 
Staatsgewalten der alten römiſchen Republik in ſich vereinig— 
ten, auch die Gewalt und Würde des oberſten Prieſters, Pon— 
tifex maximus, beſaßen; das war auch der Grund, weßhalb 
die Chriſten, welche dieſes kaiſerliche Oberprieſterthum und die 
römiſche Staatsreligion nicht anerkennen konnten, als Feinde 
des Staates und des Kaiſers erſchienen und drei Jahrhun— 
derte lang hingeſchlachtet wurden. Die Millionen Martyrer, 
die für ihren Glauben ſtarben, ſind alſo wie für dieſen, 
ſo auch für die Unabhängigkeit und Freiheit der Kirche ge— 
ſtorben. 

Wohl weiß ich, daß in der neueren Zeit einige proteſtantiſche 
Theologen?) und einige moderne Philoſophen eine ganz andere 
Theorie, als die von uns ſo eben vorgetragene Lehre, aufge— 
ſtellt haben. Jene Theologen meinten, die Reformation habe 
die Unterſcheidung zwiſchen Staat und Kirche aufgehoben und 
den chriſtlichen, d. h. den proteſtantiſchen Staat geſchaf— 
fen, der zugleich die Zwecke der Kirche zu verwirklichen habe. 
Dieſe Philoſophen aber meinten, die Philoſophie ſei die wahre 
Religion und der Staat ſei berufen, der Träger der Philoſo— 
phie und daher auch die wahre Kirche zu ſein ). 

Dieſe Philoſophen mögen ihre Theorie vor der geſunden 
Vernunft und jene Theologen ihre Lehre vor der Bibel und der 
proteſtantiſchen Welt verantworten; was uns Katholiken be— 
trifft, ſo verabſcheuen wir jede derartige Lehre als un— 
chriſtlich und unvernünftig, und müßten es als den unmit— 
telbarſten Angriff auf unſeren Glauben anſehen, wenn der 


1) S. oben S. 2. 

2) Gegen einen ſolchen habe ich vor Jahren ohne Angabe meines 
Namens ein Schriftchen: „Der paritätiſche Staat“ erſcheinen laſſen, das 
auch heute noch praktiſch ſein dürfte. 

3) Vgl. oben S. 12. 


52 


Staat jemals thatſächlich zu ſolchen Doctrinen ſich bekennen 
würde. 


Die Unabhängigkeit der Kirche von jeder weltlichen Gewalt, 
komme ſie von oben oder unten, iſt aber auch zweitens die 
Bedingung unſerer perſönlichen Gewiſſens- und 
Ueberzeugungsfreiheit, unſerer ganzen ſittlichen Würde 
als Katholiken. Nur deshalb nämlich glaube ich, was die 
Kirche lehrt, und leiſte ihr in Sachen der Religion den chriſt— 
lichen Gehorſam, weil ich ſie als eine göttliche Inſtitution 
erkenne und weil ich weiß, daß ſie als ſolche eines göttlichen 
Beiſtandes genießt, der ſie vor jedem Irrthume gegen den Glau— 
ben und das Geſetz Chriſti bewahrt. Dagegen in Sachen 
der Religion dem Staate oder irgend einer weltlichen Gewalt 
zu gehorchen, iſt im Widerſpruch mit meinem Glauben und 
meinem Gewiſſen, mit meiner Ueberzeugung, meiner Chriſten- 
und Menſchenwürde. Daher iſt jeder Angriff auf die Unab— 
hängigkeit und Freiheit der katholiſchen Kirche auch ein An— 
griff auf die Gewiſſensfreiheit eines jeden ein— 
zelnen Katholiken. Und wenn es Katholiken gibt, welche 
das nicht erkennen und empfinden, ſo fehlt es denſelben 
entweder an Glauben oder an Verſtand, oder an beiden 
zugleich. 

Die Unabhängigkeit der Kirche iſt endlich drittens die uner— 
läßliche Bedingung alles geſunden religiöſen und 
kirchlichen Lebens. In der Kirche ſoll nichts herrſchen und 
gelten, als die Lehre, die Geſetze, die Einrichtungen, 
der Geiſt Chriſti. Vom Papſt bis herab zum letzten Prieſter 
ſollen alle Diener der Kirche durch keine anderen Einflüſſe, als 
durch die Grundſätze und Vorſchriften des Glaubens beſtimmt 
werden. Sie ſollen ohne Furcht und ohne Zwang Hohen wie 
Niederen dieſelbe Wahrheit verkünden und Niemanden fürchten, 
als Gott allein. In dem Maße, als das geſchieht, ſteht es gut 
um die Religion. 


Sowie dagegen weltliche Gewalt und weltliche Einflüſſe die 
Kirche beherrſchen, tritt ſofort Verderbniß ein. Die Geiſtlichkeit 
entartet, Glaube und chriſtliche Sitte im Volke zerfallen, an die 
Stelle des wahren und lebendigen Chriſtenthums tritt ein 
todtes Scheinchriſtenthum. Das beweiſt die Geſchichte 
aller Jahrhunderte. 


Was war die Urſache, weßhalb der einſtens ſo chriſtliche 


53 


Orient zuerſt in Irrlehren und Sittenverderben, dann in Schisma 
und endlich in die Botmäßigkeit der Muhamedaner gefallen und daß 
das Chriſtenthum dort zum größten Theile untergegangen iſt? Die 
wichtigſte Urſache iſt die Tyrannei, welche die byzantiniſchen 
Kaiſer unter dem Titel des Schutzes über die Kirche geübt ha— 
ben. Das große Verderben, das im zehnten Jahrhundert im 
Abendland über die Chriſtenheit gekommen war, hat ſeinen Grund 
in der Unfreiheit des apoſtoliſchen Stuhles, der damals von 
weltlichen Großen und politiſchen Parteien beherrſcht war. Wo 
immer aber die Religion neu aufblühte, geſchah es in Folge 
der Freiheit, welche ihr durch große Päpſte und Biſchöfe und 
durch die Glaubenstreue der chriſtlichen Völker wieder erſtritten 
wurde. 


Selbſt wenn die Staaten ganz katholiſch ſind und wenn 
aufrichtig katholiſche Fürſten eine Herrſchaft über die Kirche 
üben, gereicht es nur zu ihrem Verderben und zur Zerſtörung der 
Religion. Die Gottloſigkeit und das Sittenverderben, die Religions- 
verachtung und der Religionshaß, die vielfältigen Verderbniſſe in 
der Welt- und Kloſtergeiſtlichkeit, welche der erſten franzöſiſchen 
Revolution vorangingen, haben ihren Hauptgrund in der Ge— 
walt und Herrſchaft, welche die katholiſchen Könige Frankreichs 
über die Kirche ſich angemaßt hatten. Was ſoll auch aus der 
Religion werden, wenn nicht die Würdigkeit ſondern die Gunſt 
des Hofes und der weltlichen Beamten entſcheidet, wer zu den 
wichtigſten geiſtlichen Stellen, ja ſelbſt zu den Biſchofsſtühlen 
gelangt? 


Und wenn wir in unſerer Zeit vielfach eine traurige Glau— 
bens und Geſinnungsloſigkeit unter den Katholiken wahrneh— 
men, ſo iſt ſie die Frucht der Bevormundung der Kirche durch den 
Staat. Unfreiheit der Kirche iſt daher gleichbedeutend mit Un— 
tergang der Religion; und Freiheit der Kirche heißt Auferſtehung 
des Chriſtenthumes. 


Daher waren von den Apoſteln an, die da ſprachen: Man 
muß Gott mehr gehorchen, als den Menſchen ), alle 
großen und heiligen Männer der katholiſchen Kirche Eiferer für 
ihre Freiheit. Gott liebt nichts ſo ſehr als die Frei— 


1) Apſtgeſch. 4, 19. 5, 29. 


9 


54 


heit ſeiner Kirche, ſagt ein großer Heiliger. Ich nehme daher 
keinen Anſtand, es auszuſprechen, daß jeder Katholik, ſei er 
Prieſter oder ein einfacher Gläubiger, der die Freiheit der Kirche 
nicht will oder gar zu ihrer Knechtung mitwirkt, ein Feind 
ſeiner Kirche iſt. 


2. Wothwendigkeit der Freiheit der Kirche in der Gegenwart und 
in einem teligios gemiſchten Staate. 


Wenn ſelbſt in ganz katholiſchen Ländern, wo der Fürſt und 
ſeine Beamten, das Volk und ſeine Vertreter gläubig ſind und 
das ganze öffentliche Leben einen katholiſchen Charakter hat, 
jede Herrſchaft des Staates über die Kirche verderblich wirkt 
und die Religion zu Grunde richtet; was muß erſt aus der 
Kirche und der Religion werden, wenn die weltlichen Gewalt— 
haber, welche die Kirche beherrſchen, nicht katholiſche Chriſten, 
ja Gegner der katholiſchen Kirche wären? 


Wenn daher immer und überall die katholiſche Kirche, um 
beſtehen und ihre heilige Aufgabe nach Chriſti Gebot und Ein— 
ſetzung erfüllen zu können, frei und unabhängig von der welt— 
lichen Gewalt ſein muß; jo iſt dieſes doppelt und zehnfach noth— 
wendig in einem Lande, wo die Katholiken in der Minderzahl 
ſich befinden, wo die weltliche Gewalt faſt ganz in den Händen 
von Nichtkatholiken liegt und wo ſie jeden Tag in die Hände 
von Gegnern der katholiſchen Kirche kommen kann. 


Das iſt aber in unſeren deutſchen, vorherrſchend proteſtanti— 
ſchen oder gemiſchten Staaten, das iſt ganz beſonders auch im 
Großherzogthum Heſſen der Fall. Wir Katholiken bilden nur 
etwas mehr als den vierten Theil der Bevölkerung; die meiſten 
und einflußreichſten Stellen des Staates ſind mit Proteſtanten 
beſetzt; die Mehrzahl der Abgeordneten in der Kammer werden 
nothwendig immer Proteſtanten ſein; es gibt nur wenige vor— 
herrſchend katholiſche Wahlbezirke, meiſtens ſind die Wahlbezirke 
ſo beſchaffen, daß die Katholiken in der Minderzahl ſich befinden; 
ſelbſt wenn die Katholiken noch ſo gut wählen, werden ſie 
in der Kammer, wo allein die Majorität entſcheidet, ſtets über— 
ſtimmt werden können ). Aber die proteſtantiſche Majorität 


1) Nichts ſcheint mir, beiläufig bemerkt, mit aller religiöſen Freiheit, 
mit der geſunden Vernunft und Gerechtigkeit mehr in Widerſpruch zu ſte— 


55 


iſt noch die mindere Gefahr. Unter Proteſtanten und Katholiken 
gibt es — Dank dem Staatskirchenthum und der Staatserziehung 
— vorzüglich unter der ſogenannten gebildeten Klaſſe Viele, die 
keinen chriſtlichen Glauben haben, vielmehr jedes poſitive Chri— 
ſtenthum verachten und mit einer tiefen Abneigung gegen Alles, 
was Kirche und Prieſterthum heißt, erfüllt ſind. Es gibt auch — 
Dank dem Staatskirchenthum und der Staatserziehung — viele 
Katholiken, welche nicht gerade ungläubig, aber ſehr unwiſſend 
in der Religion, voller Vorurtheile gegen ihre eigene Kirche, 
voll Menſchenfurcht und Rückſichten gegenüber den Ungläubigen 
oder den Proteſtanten, und durch die Partei, der ſie angehören 
und der ſie ihre Stellung verdanken, gebunden ſind, und die daher 
faſt immer gegen die Kirche Partei ergreifen. 


Was ſoll aus der katholiſchen Kirche werden, wenn ſie 
vom Staate, von ſeinen Miniſterien und ſeinen Kammern ab— 
hängig iſt und grundſätzliche Gegner der Religion die Ge— 
walt in Händen haben? Eine offene Verfolgung wäre der 
Kirche und dem Chriſtenthum nicht ſo nachtheilig, als ein fal— 
ſcher, durch feige Nachgiebigkeit erkaufter Friede unter einer 
ſolchen Herrſchaft. 


3. Was zur Freiheit und Selbſtaändigkeit der katholiſchen Kirche 
gehört. 


Es gibt Leute, welche keine Gefahr für die Religion und die 
Freiheit der Kirche ſehen, ſo lange man noch nicht wegen des 
katholiſchen Glaubens ſeiner ſtaatsbürgerlichen Rechte beraubt 
und des Landes verwieſen wird, oder ſo lange den Pfarrern noch 
nicht verboten iſt, den ſonntäglichen Gottesdienſt zu halten, und 
den Gläubigen, ihn zu beſuchen. Allein darin beſteht bei Wei— 
tem noch nicht die Freiheit und Selbſtſtändigkeit der katholiſchen 
Kirche und der Katholiken. 


Wie ein Menſch nicht frei iſt, weil er ſeine Hand bewegen 


hen, als daß in den die Religion berührenden Angelegenheiten die Ma— 
jorität einer gemiſchten Verſammlung entſcheide. Das war auch durch 
alle früheren Geſetzgebungen anerkannt. Daher auf dem deutſchen Reichs— 
tage in den die Religion berührenden Dingen die allerdings mit Incon— 
venienzen verknüpfte, aber dennoch naturnothwendige itio in partes; auch 


die Bundesacte ſchließt in dieſen Angelegenheiten die Entſcheidung nach der 
Majorität aus. 


56 


kann, während er an einer Kette angeſchmiedet iſt; und wie ein 
Land und Volk nicht frei iſt, dem ein fremder Eroberer einige 
ſeiner Gebräuche gelaſſen hat, während er nach Willkühr ihm Ge— 
ſetze vorſchreibt, feine Verfaſſung ändert, ihm Obrigkeiten 
ſetzt; ſo iſt auch die katholiſche Kirche und ſind die Katholiken in 
ihrem religiöſen Leben nicht frei, wenn ihnen der Staat zwar 
einige freie Bewegung geſtattet, aber in anderen und vielleicht 
viel wichtigeren Dingen ſie beherrſcht, ja ſich ein unbeſchränktes 
Recht beilegt, der Kirche und den Katholiken Geſetze vorzuſchrei— 
ben, wie es ihm beliebt. 


Nur der iſt kein Gefangener, der von allen Feſſeln frei und 
ledig iſt; nur das Land und Volk beſitzt politiſche Freiheit, 
das nach ſeiner eigenen Verfaſſung, ſeinen eigenen Geſetzen, 
unter ſeinen eigenen Obrigkeiten lebt und in deſſen innere 
und äußere Landesangelegenheiten kein Fremder ſich einmiſcht. 
So ſind wir Katholiken in religiöſer Beziehung auch nur dann 
ſelbſtſtändig und frei, wenn unſere Kirche frei iſt 
an Haupt und Gliedern; wenn ſie nach ihrer ei— 
genen Verfaſſung, ihren eigenen Geſetzen, unter 
ihren eigenen kirchlichen Oberen ungehindert 
leben kann; wenn keine weltliche Gewalt, kein Fürſt und 
kein Miniſter, kein Beamter und keine Ständeverſammlung, in 
ihre religiöſen und kirchlichen Angelegenheiten irgend einen 
Eingriff zu machen befugt iſt. 

Soll alſo die Kirche frei ſein, ſo müſſen wir Katholiken frei 
und ungehemmt mit dem Papſte als dem Oberhaupt der Kirche 
und mit den Biſchöfen verkehren können, und der Papſt und die 
Biſchöfe mit den Prieſtern und dem gläubigen Volk. 


Soll die Kirche frei ſein, ſo müſſen die Biſchöfe frei und un— 
gehemmt alle Pflichten ihres Amtes in Lehre, Gottesdienſt und 
Kirchenregiment, in Erziehung, Anſtellung, Ueberwachung und 
Leitung ihrer Prieſter ausüben können und muß es deßgleichen 
dieſen letzteren frei ſtehen, nach den Geſetzen der Kirche und 
unter der Aufſicht ihrer Biſchöfe ihr prieſterliches Amt zu ver— 
walten. 


Deßgleichen müſſen alle Katholiken die volle Freiheit beſitzen, 
ihren Glauben zu bekennen und nach demſelben zu leben und 
darf Niemand das Recht haben, ihnen eine von ihrer Religion 
gebilligte oder empfohlene Uebung, Tugend oder Lebensweiſe zu 
verbieten. 


57 


Zur Freiheit der Religion und Kirche gehört ganz ins— 
beſondere, daß die katholiſchen Eltern ihre Kinder katholiſch 
erziehen können; daher haben ſie das Recht, katholiſche Schu— 
len und Erziehungsanſtalten zu beſitzen und zu behalten; 
ohne dieſe iſt alle Religionsfreiheit mehr oder weniger eine 
Täuſchung. 

Zur Freiheit und Selbſtſtändigkeit der katholiſchen Kirche 
gehört auch, daß ſie das Kirchenvermögen den Geſetzen der Kirche 
gemäß zu verwalten und zu verwenden befugt iſt. 

Das Alles ſind klare und einfache Wahrheiten. Nur da, wo 
man der katholiſchen Kirche dieſe Rechte redlich und rückhaltlos 
zugeſteht, iſt die katholiſche Religion frei und das Wort eine 
Wahrheit: die Kirche verwaltet ihre Angelegenheiten frei und 
ſelbſtſtändig. Wir werden ſehen, daß das von der zweiten Kam— 
mer beſchloſſene Kirchengeſetz nicht ein einziges dieſer weſentlichen 
Rechte und Freiheiten der katholiſchen Kirche unangetaſtet läßt; 
ja daß es jedes kirchliche Recht und jede kirchliche Freiheit grund— 
ſätzlich vernichtet. 


4. Von der unwahren und argliſtigen Unterſcheidung zwiſchen 
Katholicismus und Ultramontanismus. 


In neuerer Zeit haben die Feinde der katholiſchen Religion das 
Wort Ultramontanismus und Ultramontan erfunden. 
Sie jagen nämlich, nicht die katholiſche Religion oder den Katho— 
licismus befeindeten fie, ſondern den Ultramontanismus und die 
Ultramontanen. Was eigentlich der Ultramontanismus und wer 
ein Ultramontaner ſei, haben ſie noch nie klar und beſtimmt ausge— 
ſprochen. Sie geben aber zu verſtehen, die Ultramontanen ſeien 
nur eine Partei, eine Art Secte in der katholiſchen Kirche, nicht 
aber die katholiſche Kirche ſelbſt. Dadurch wollen die Feinde der 
Kirche manche Vortheile erreichen. 1) Sie wollen damit ihre in— 
toleranten Feindſeligkeiten gegen die katholiſche Religion beſchöni— 
gen, indem ſie ſagen, nicht gegen dieſe, ſondern gegen den Ultra— 
montanismus ſeien ihre Angriffe gerichtet. 2) Sie ſuchen dadurch 
unwiſſende und argloſe Katholiken zu täuſchen und zu beruhigen. 
Seid ruhig, ſagen ſie ihnen, und glaubt ja nicht, daß wir gegen 
euch und euren Glauben etwas im Schilde führen, ihr und eure 
Religion ſeid uns lieb und werth; wir haben nur mit den Ultra— 
montanen zu thun und nur um ihre ſtaatsgefährlichen Anmaßun— 
gen zu unterdrücken, machen wir Geſetze. 3) Sie ſuchen endlich 


* 


58 


dadurch alle treuen Anhänger und eifrigen Vertheidiger der ka— 
tholiſchen Kirche, ihrer Freiheit und ihrer Rechte zu verdächti— 
gen, zu iſoliren und verhaßt zu machen. Vertheidigt nämlich ein 
Biſchof die Rechte der katholiſchen Kirche, ſo iſt er ein Ultramon— 
taner; iſt ein Prieſter eifrig in ſeinem Amte, jo iſt er ein Ultra— 
montaner; tritt ein Abgeordneter in der Kammer, ein Mann 
in der Gemeinde für die Rechte der katholiſchen Kirche in die 
Schranken, er iſt ein Ultramontaner ; vertheidigt ein Schriftſtel— 
ler die katholiſche Religion, er wird ein Ultramontaner genannt; 
nimmt ſich eine Zeitung der katholiſchen Sache an, es iſt ein 
ultramontanes Blatt; bildet ſich ein Verein zu irgend einem ka— 
tholiſchen Zwecke, es iſt ein ultramontaner Verein; Alles, was 
im Privat- und öffentlichen Leben zur Vertretung der katholiſchen 
Rechte und Intereſſen geſchieht, ſind ultramontane Umtriebe. 
Ja wer nicht feindſelig, ſondern billig und wohlwollend gegen 
die katholiſche Kirche geſinnt iſt, wird bereits den Ultramon— 
tanen zugezählt. Und weil man nun dem, was ſchlicht und 
einfach katholiſch iſt, den Namen ultramontan gegeben hat, 
ſo glaubt man ſich Alles dagegen erlauben zu dürfen, Schimpf, 
Verachtung, Verdächtigung, Verleumdung, Haß. Tritt dann 
etwa ein Katholik auf und ſtellt dieſe Gegner zur Rede, ſo ant— 
worten ſie höhniſch: Was willſt du? Wir haben die Katholiken 
und die katholiſche Religion nicht gemeint, ſondern die Ultramon— 
tanen. Biſt du etwa ein Ultramontaner? Antwortet dann der 
Katholik: Ja, ich bin ein Ultramontaner, ſtehe mir Rede; 
ſo entſchlüpft ihm doch ſein ſchlauer Gegner. O, ſagt er, 
dich zähle ich nicht zu den Ultramontanen. Und damit kann 
man jeder Ungelegenheit und vor Gericht jedem Verleumdungs— 
und Injurienprozeß entſchlüpfen und fortfahren, unter dem 
Namen Ultramontanismus alles Katholiſche mit Koth zu be— 
werfen. 

Den Katholiken einen Parteinamen geben, iſt ein alter Kunſt— 
griff. Schon im vierten Jahrhundert haben die Arianer, dieſe 
argliſtige Secte, welche die Gottheit Chriſti leugnete, während 
ſie den Schein beibehielt, Chriſtus göttlich zu verehren, die 
Katholiken nicht bei dieſem ihrem Namen, ſondern mit dem 
Parteinamen Athanaſianer, von dem hl. Athanaſius, dem gro— 
ßen Vertheidiger des katholiſchen Glaubens, genannt. Unter 
dem Namen Pa piſten hat man in England die Katholiken 
Jahrhunderte lang blutig und moraliſch verfolgt. Genau ſo iſt 
es auch mit dem Ausdruck Ultramontan. Zuerſt hat eine 


59 


Partei, welche die Katholiken von dem Papſte trennen und ſoge— 
genannte Nationalkirchen einführen, oder doch wenigſtens die 
Macht und das Anſehen des Papſtes möglichſt herabdrücken woll— 
ten, die Katholiken, welche an dem von Gott geſetzten Mit— 
telpunkte der Kirche feſthielten, Ultramontane genannt, weil 
der Papſt zu Rom, alſo ultra montes, jenſeits der Alpen 
wohnt. 


Im Jahre 1837, wo der große Erzbiſchof Clemens Auguſt 
von Köln wegen ſeiner ſtandhaften Vertheidigung der kirchlichen 
Freiheit in's Gefängniß geſetzt wurde, haben einige proteſtan— 
tiſche Schriftſteller dieſes Wort wieder aufgebracht, um damit 
die treu zu ihrer Kirche haltenden Katholiken des Rheinlandes 
zu bezeichnen. In unſeren Tagen aber wendet man es ganz 
allgemein an und auch gewiſſe Katholiken haben es ſich be— 
reits angeeignet und meinen, dadurch das Privileg zu erlangen, 
alle Pflichten eines katholiſchen Chriſten mit Füßen treten, die 
katholiſche Kirche offen befeinden — und doch immer noch katho— 
liſch bleiben zu können. 


Aber gibt es nicht dennoch einen Unterſchied zwiſchen ultra— 
montanen und nicht ultramontanen Geiſtlichen; zwiſchen ultra— 
montanen und nicht ultramontanen Katholiken? Nein, ſage ich, 
und der Beweis für dieſes Nein iſt ſehr leicht zu führen. Wer 
hat von dieſem Unterſchied etwas gewußt, ehe die Feinde der 
Kirche ihn erfunden hatten? Wenn ein ſolcher Unterſchied in der 
Kirche beſtünde, ſo müßten doch wir Katholiken zu allererſt etwas 
davon wiſſen. Aber unſere Vorfahren haben davon nichts ge— 
wußt und bis auf den heutigen Tag weiß weder die katholiſche 
Kirche, noch das katholiſche Volk etwas davon, wie es denn 
überhaupt, was die Religion betrifft, in der katholiſchen 
Kirche gar keine Parteien und Secten gibt und ge— 
ben kann; denn wer nicht Alles glaubt, was die Kirche glaubt 
und lehrt, wer die Verfaſſung der Kirche nicht anerkennt und den 
Vorſtehern der Kirche nicht den rechtmäßigen Gehorſam leiſtet, iſt 
eben nicht katholiſch, wenn er auch dieſen Namen trägt, nicht aber 
bilden die gläubigen und pflichttreuen Katholiken ihm gegenüber 
eine Secte oder Partei. 


Es gibt alſo keinen Unterſchied zwiſchen ultramontanen 
und nichtultramontanen Katholiken in der katholiſchen Kirche. 
Allerdings aber gibt es einen andern Unterſchied, nämlich 
zwiſchen wirklichen und gläubigen Katholiken, welche 


60 


ihre Kirche und deren Freiheit aufrichtig lieben, und zwiſchen 
bloßen Scheinkatholiken, die zwar von katholiſchen El— 
tern abſtammen, katholiſch heißen, vielleicht auch noch einige 
Ueberreſte des väterlichen Glaubens im Herzen tragen und 
einige katholiſche Gebräuche mitmachen, in der That und Wahr— 
heit aber weit entfernt ſind, von ganzem Herzen Alles, was 
die Kirche lehrt, zu glauben, die über ihre Gebote ſtolz ſich 
hinwegſetzen, welche nichts wiſſen von Liebe zur Kirche und ihrer 
Freiheit, die vielmehr die Kirche verachten, aber einen un— 
endlichen Reſpect vor dem Zeitgeiſt haben: kurz es gibt einen 
Unterſchied zwiſchen ungläubigen oder, wie ſie ſich lieber nen— 
nen, aufgeklärten und gläubigen, deßgleichen zwiſchen unwiſ— 
ſenden und unterrichteten, zwiſchen feigen unentſchiedenen und 
überzeugungstreuen entſchiedenen Katholiken — und auch ein— 
zelne Prieſter hat es zu allen Zeiten gegeben, die, obwohl 
Prieſter, zu den ſchlechten Katholiken gerechnet werden müſſen. 
Welche himmelſchreiende Anmaßung liegt aber darin, daß 
dieſe traurige Art von Katholiken in Vereinigung mit vorurtheils— 
vollen Nichtkatholiken und Nichtchriſten die guten und treuen 
Katholiken als eine Secte und Partei in der Kirche unter dem 
Namen „Ultramontane“ bezeichnen will. 

Wir ſagen „vorurtheilsvolle“ Nichtkatholiken: denn welcher 
vernünftige Mann, der nicht von Vorurtheilen eingenommen 
und mit den wirklichen Zuſtänden und Thatſachen ganz un— 
bekannt iſt, kann ſich einen Augenblick darüber täuſchen, daß 
in der katholiſchen Kirche in dem Sinne, wie unſere Gegner 
das Wort gebrauchen, eben Alles ultramontan iſt, was mit 
dem katholiſchen Glauben nicht gebrochen hat oder denſelben nicht 
verleugnet? Gibt es etwa auf der ganzen weiten Erde einen 
einzigen Biſchof, der nicht im Sinne der Gegner „ultramon— 
tan“ wäre? Man wird deßhalb vergeblich auch einen einzigen 
Biſchof auf Erden ſuchen, der nicht über die Grundſätze der 
Majorität der zweiten Kammer ſein Verwerfungsurtheil aus— 
ſpräche, der nicht in allen Grundſätzen mit dem Biſchof 
von Mainz übereinſtimmte. Oder meint man, es gäbe unter 
den Prieſtern der katholiſchen Kirche ſolche, welche in dieſem 
Sinne nicht ultramontan ſind. Vielleicht mag man hie und da 
ein zum Abfall reifes Subject antreffen, das bereit iſt, den 
Feinden der Kirche ſich zugeſellen; aber unter allen ehrenhaf— 
ten und guten Prieſtern, die das Vertrauen und die Liebe 
des Volkes beſitzen, wird man vergeblich Einen ſuchen, der 


61 


nicht ultramontan wäre und nicht in allen Grundſätzen mit den 
Biſchöfen übereinſtimmte. Daher darf es uns auch nicht be— 
fremden, daß gerade die tadelloſeſten und pflichtgetreueſten 
Geiſtlichen am meiſten mit dem Namen Ultramontane bezeichnet 
werden. 


Oder ſind vielleicht unter den katholiſchen Theologen, Ge— 
lehrten und Schriftſtellern ſolche zu finden, welche im 
Sinne der Gegner nicht ultramontan wären? Ich bin deſſen 
gewiß, daß man unter allen jetzt lebenden angeſehenen ka— 
tholiſchen Gelehrten nicht einen Einzigen antreffen wird, wel— 
cher es nicht wäre und der nicht in all den Punkten, um 
die es ſich der Kammermajorität gegenüber handelt, mit dem 
Biſchofe von Mainz übereinſtimmte und die Adreſſe und die 
Erklärungen des Klerus der Mainzer Diöceſe in jedem Satze 
unterſchriebe. Auch alle gelehrten und alle populären katholi— 
ſchen Zeitſchriften, in denen ſich doch auch die Geſinnung 
der gläubigen Katholiken ausſpricht, ſind ultramontan im 
Sinne der Gegner. 


Die Gegenwart zählt in dem katholiſchen Laienſtande 
eine große Menge glaubenstreuer Männer, Juriſten, Staats— 
männer, Volksvertreter, öffentliche Charaktere, Künſtler und 
Schriftſteller; ſie Alle ſind im Sinne der Gegner ultra— 
montan. Ultramontan war der iriſche Volksmann O' Con- 
nel; ultramontan war der genialſte und patriotiſchſte Mann, 
den das Rheinland ſeit einem Jahrhundert hervorgebracht 
hat, Joſeph Görres; ultramontan iſt der ſo freiſinnige und 
geiſtvolle Montalembert; ultramontan ſind alle jene muthi— 
gen und geiſtvollen Vertreter der katholiſchen Rechte in Preu— 
ßen; ja Alles, was unter den Katholiken — und dieſe That— 
ſache könnte wohl zum Nachdenken auffordern — mit auf— 
richtigem Glauben Geiſt und Charakter verbindet, iſt 
ultramontan; nur der Unglaube, die Unwiſſenheit und 
Charakterſchwäche iſt nicht ultramontan. Ich weiß wohl, 
daß man dieſes Wort für hart und allzu kühn halten wird 
und daß Diejenigen, welche es unangenehm berührt, dagegen 
heftige Verwahrung einlegen werden, aber es iſt nichts deſto 
weniger die einfache ſchlichte Wahrheit, und kann ich, ohne 
derſelben etwas zu vergeben, nicht das Mindeſte daran än— 
dern. Ultramontan heißt eben nichts Anderes, als ganz 
und entſchieden katholiſch. Glauben, Geiſt und Charak— 


62 


ter aber verträgt ſich mit keiner Halbheit und Unentſchie— 
denheit. Man mag ſich daher ſträuben, ſo lange man will; 
am Ende wird man ſich doch zur Anerkenntniß verſtehen 
müſſen, daß die Ultramontanen nichts anderes find, als 
ſchlicht und einfach katholiſch. 

Wohl gab es einmal eine Zeit, wo die Aufklärerei, in 
Deutſchland in der Geſtalt des ſogenannten Joſephinismus, 
in Frankreich in der Form des Janſenismus und Gallicanis— 
mus, gar manche Katholiken und auch Geiſtliche angeſteckt 
hatte, aber dieſe Zeit iſt un widerbringlich vorüber, und 
wenn einige Herren von einer Wiederkehr dieſer ſchönen Zeiten, 
denen Gott der Herr ein- für allemal ein Ende gemacht hat, 
träumen, ſo beweiſen ſie nur, daß ſie trotz alles Fortſchrittes 
um mehr als ein halbes Jahrhundert hinter ihrer Zeit zurück— 
geblieben ſind. 


Was ſoll ich endlich noch von unſerem katholiſchen Volke 
ſagen? Viele kennen vielleicht den Namen ultramontan gar 
nicht und ſähen Jeden groß an, der ſie fragte, ob ſie auch 
ultramontan ſeien? So wie aber ihnen die Sache klar ge— 
worden, würden ſie ihm in's Geſicht lachen und ſagen: Der 
Ultramontanismus ſei ja nichts Anderes als ihre uralte katho— 
liſche Religion, aber man möge ſie mit dem neuen Namen ver— 
ſchonen. 


5. Was iſt katholiſch? 


Es mag große Schwierigkeiten haben, genau zu beſtimmen, 
worin denn eigentlich z. B. die deutſchkatholiſche Glaubenslehre 
beſtehe, oder was unter „Fortſchritt“ zu verſtehen, oder was 
die Meinung der „deutſchen Philoſophie“ ſei; auch der Pro— 
teſtant mag vermöge ſeines Prinzips der freien Schriftfor— 
ſchung Schwierigkeit haben, ſein Dogma genau zu formu— 
liren. 


Bei uns Katholiken iſt das anders. Man mag unſeren Glau— 
ben theilen oder nicht, das kann Niemand, der nicht von Illu— 
ſionen lebt, in Abrede ſtellen, daß es auf Erden keine gewiſ— 
ſere, klarere, beſtimmtere und offenkundigere Sache 
gibt, als die katholiſche Religion. Was katholiſch iſt, bezeugt 
jedes katholiſche Kind aus ſeinem Katechismus, mag er ge— 
ſchrieben ſein, in welcher Sprache er will. Jeder gläubige 
Katholik, er ſei gelehrt oder ungelehrt, wenn er nur ein religiö— 


63 


fer und verſtändiger Mann iſt, jagt Jedem auf's Zuverläſſigſte und 
Genaueſte, was katholiſch iſt. Was katholiſch iſt, wird auf 
allen katholiſchen Kanzeln der Erde gepredigt; von allen Biſchö— 
fen der Welt mit ihrem Oberhaupte dem Papſte einmüthig be— 
kannt; das ſteht in allen katholiſchen Büchern von den Kirchen: 
vätern an bis auf dieſen Tag zu leſen: die ganze katholiſche 
Welt bildet ein beſtändig verſammeltes allgemeines Concil, 
das in jedem Augenblick von Dem Zeugniß ablegt, was 
als katholiſche Lehre von allen gläubigen Katholiken, 
überall und zu allen Zeiten geglaubt wurde und ge— 
glaubt wird. 


Das alſo iſt katholiſch, nicht aber Das, was etwa ein pro— 
teſtantiſcher Schriftſteller für katholiſch ausgibt; oder was je— 
nes unbeſtimmte Ding, das ſchneller als die Mode wechſelt, 
die Tagesmeinung, chriſtlich oder katholiſch nennt; oder was un— 
wiſſende oder ungläubige Katholiken, welche die armſeligen Reli— 
gionskenntniſſe ihrer Jugend längſt vergeſſen haben, als Ka— 
tholicismus anſehen; oder was eine zufällige Kammermajorität 
auszuſprechen beliebt. 


Wenn wir daher im Folgenden den Beſchlüſſen und Reden 
der zweiten Kammer einige einfache Grundwahrheiten der ka— 
tholiſchen Religion entgegen ſetzen, ſo ſprechen wir nicht 
etwa unſere Privatanſichten oder, wie man zu ſagen beliebt, 
ultramontane Theorien oder Uebertreibungen aus, ſondern 
weltbekannte katholiſche Grundſätze, an denen nie und nirgend 
ein gläubiger katholiſcher Chriſt gezweifelt hat und zweifeln 
konnte. 


6) Hierarchie, Klerus und Volk. 


Wie man den Vorwand gebraucht, nicht die Katholiken, ſon— 
dern „die Ultramontanen“ bekämpfe man; ſo ſagt man auch, 
nicht gegen die katholiſche Religion und gegen das katholiſche 
Volk, ſondern gegen die Hierarchie, gegen die klerikale 
Partei, gegen die Prieſterherrſchaft ſei der Kampf gerich— 
tet. Dabei gibt man zu verſtehen, man ſei im Gegentheil der 
beſte Freund des katholiſchen Volkes und man wolle es von der 
Tyrannei der Prieſter, die es ſelbſt verabſcheue, befreien. Da— 
her rühmte man, wenn man anders den übereinſtimmenden Be— 
richten der öffentlichen Blätter glauben kann, laut in der 
Kammer, daß man im Sinne des katholiſchen Bol: 


64 


kes handele, das zwar feine Religion liebe, 
aber die Hierarchie haſſe. 

In Nichts zeigt es ſich ſo klar, als gerade in dieſem Punkte, 
daß jene Partei, welche das neue Religionsgeſetz beſchloſſen und 
den ganzen Sturm gegen die Convention in's Werk geſetzt hat, 
im tiefſten Grunde auf nichts Anderes abzielt, als die katho— 
liſche Kirche zu vernichten und das katholiſche Volk 
zum Abfall von ſeinem Glauben zu bringen. Frei— 
lich mögen unter dieſer Partei und unter den Mitgliedern der 
Kammermajorität nicht Wenige ſein, die das nicht meinen und 
einſehen. Allein das beweiſt nur ihren Irrthum, ändert 
aber an der Sache nichts. Denn da gegenwärtig die Biſchöfe 
und Prieſter der katholiſchen Kirche nicht die mindeſte 
weltliche Gewalt beſitzen, an der Regierung und Ver— 
waltung des Staates und der Gemeinden nicht den geringſten 
Antheil nehmen und im Staate keine anderen Rechte haben, als 
welche ſie mit allen anderen Staatsbürgern theilen: ſo kann man 
unter der Hierarchie und Prieſterherrſchaft nichts Anderes ver— 
ſtehen als die geiſtliche Amtsgewalt, welche in der katho— 
liſchen Kirche den Biſchöfen und den Prieſtern 
zuſteht. Dieſe ihre geiſtliche Amtsgewalt ſteht ihnen aber 
nach der weltbekannten Glaubenslehre der katholi— 
ſchen Kirche, kraft göttlicher Einſetzung zu, und 
ſie ſind zu deren Ausübung nicht bloß durch die Vollmacht 
Chriſti berechtigt, ſondern eben ſo auch kraft Chriſti Befehl 
und Auftrag im Gewiſſen auf's Strengſte verpflichtet. Es 
kann daher Niemand den Biſchöfen und Prieſtern innerhalb 
der Gränzen ihres rechtmäßigen Amtes den ſchuldigen Gehorſam 
verſagen, ohne aufzuhören, ein katholiſcher Chriſt zu ſein. 
Noch weniger kann ein Katholik die Hierarchie und das Prieſter— 
thum verachten und haſſen, ohne daß ſein Haß und ſeine Ver— 
achtung Chriſtus, den Urheber der Hierarchie und des Prieſter— 
thums, deſſen Stellvertreter die Biſchöfe und Prieſter ſind, in 
gleicher Weiſe trifft. 

Man kann alſo nur unter der Bedingung die Biſchöfe 
und Prieſter haſſen und verachten und die Uebung ihrer Amts— 
gewalt als eine Tyrannei anſehen, von der man das katho— 
liſche Volk befreien müſſe, wenn man von der Meinung ausgeht, 
die Amtsgewalt, welche die Biſchöfe und Prieſter in der katholi— 
ſchen Kirche üben, ſtamme nicht von Chriſtus und auch die 
Biihöfe und Prieſter wüßten wohl, daß dem ſo ſei; fie 


65 


fie hätten vielmehr durch Argliſt, Betrug und Zwang ſich ihre 
Gewalt angemaßt und ſie belögen und betrögen das Volk, wenn 
ſie lehren, Chriſtus habe das Prieſterthum eingeſetzt. 


Und ſo meinen es auch obne Zweifel jene Herren, die ſo 
tapfer gegen die Hierarchie und die Prieſterherrſchaft, gegen 
Klerus und „Pfaffen“ und deren Anhänger, die klerikale Partei 
gedonnert haben und fort und fort in öffentlichen Blättern und 
Verſammlungen donnern. Wer ſieht aber nicht ein, daß das längſt 
keine Politik mehr iſt, ſondern einfach kirchliche 
Sectirerei. Das heißt ja nichts Anderes, als 
die Katholiken zum Abfall auffordern, damit 
ſie ſich entweder dem Proteſtantismus oder 
dem Deutſchkatholicismus anſchließen oder 
eine neue Religion bilden. 


Wir haben bereits früher die Brochüre: „Sind die Bi— 
ſchöfe allein die Kirche?“ angeführt und müſſen hier auf 
dieſelbe zurückkommen. Sie gibt uns nämlich den klarſten Auf: 
ſchluß darüber, wie man ſich in aufgeklärten und fortſchritt— 
lichen Kreiſen die Verfaſſung der katholiſchen Kirche vorſtellt. 


Hiernach hätte nämlich die Kirche urſprünglich eine demo— 
kratiſche Verfaſſung gehabt und es wären die urſprünglichen 
Chriſtengemeinden „freie Gemeinden“, was man aber jetzt Prieſter 
und Biſchöfe nennt, wären nichts anderes als Gemeindebeamten 
geweſen, die all ihre Gewalt vom Volk empfangen. Durch 
Anmaßung hätten ſie ſpäter dem Volk ſeine Rechte entzogen 
und ſich ſelbſt alle Gewalt kraft göttlicher Einſetzung zugeſchrie— 
ben. Deßhalb eben greife die Fortſchrittspartei, welche die 
Hierarchie bekämpfe, nicht die Kirche an, denn die Kirche ſei 
das Volk; ſie wolle vielmehr die Kirche oder das Volk 
von der angemaßten Gewalt und Tyrannei des Papſtes, der 
Biſchöfe und Prieſter oder von der Prieſterherrſchaft befreien. 
Mit dieſer Prieſterherrſchaft würde dann auch, wie bereits 
oben angeführt, die ſtarre, mit dem Fortſchritt des Zeitgeiſtes 
und der Wiſſenſchaft unvereinbare Glaubenslehre fallen und 
damit die Unduldſamkeit und Verfolgungsſucht der Kirche, 
welche ſo lange herrſche, als ſich die Kirche für die un— 
fehlbare und allein ſeligmachende halte. So würde das wahre 
Chriſtenthum, das die Fortſchrittspartei bekenne, nämlich die 
„Humanität und Toleranz“ an die Stelle der auf Geiſteszwang 


beruhenden, veralteten Glaubenslehre treten. 
Heinrich, Der Kampf der Kirche. 5 


66 


Das iſt deutlich geſprochen. Auf den letzteren Punkt wollen 
wir hier nicht näher eingehen, ſondern nur das conſtatiren, 
daß die Bekämpfer der Hierarchie vorausſetzen, dieſelbe be— 
ruhe auf einer Anmaßung und daß alſo die Tragweite 
ihrer Beſtrebungen viel weiter reicht, als etwa bloß die Rechte 
des Staates der Kirche oder die Rechte der Kammern der Regie— 
rung gegenüber feſtzuſtellen. 

Doch noch kühnere Pläne wurden ſeit Jahr und Tag von 
den Eingeweihten und Wiſſenden ausgeſprochen. Man glaubt 
den Augenblick gekommen, das auf halbem Wege ſtehen geblie— 
bene Werk der Reformation des ſechszehnten Jahrhunderts 
zu vollenden. Damals blieb mehr als die Hälfte Deutſchlands 
dem katholiſchen Glauben treu, und der Proteſtantismus in 
ſeiner dermaligen Geſtalt macht dem Katholicismus gegenüber 
keine Fortſchritte mehr, eher Rückſchritte. Das habe, meint 
man, ſeinen Grund darin, daß der Proteſtantismus ſeinen eige— 
nen Principien untreu geworden. Er geſtalte ſeine Kirchenver: 
faſſung um, proclamire die kirchliche Volksſouveränetät, 
conſtituire ſich als deutſche Volkskirche, ſchreibe die abſo— 
lute Freiheit von jedem dogmatiſchen Zwang auf 
feine Fahne — und die katholiſche Kirche mit ihrer ‚Hier: 
archie, mit ihren ſtarren Dogmen und Geſetzen, mit all ihren 
ultramontanen Anmaßungen werde zuſammenſtürzen. Das ka— 
tholiſche Volk, aufgeklärt und bereits in politiſchen Dingen 
von den Ideen der Freiheit erfüllt, werde die Lehre von der 
kirchlichen Volksſouveränetät mit gleicher Begeiſterung, wie die 
Proteſtanten, ergreifen, ſeine Hierarchie ſelber ſtürzen — 
„denn das Volk haßt ja die Hierarchie!“ Dann ſei die 
Schranke niedergeriſſen, die deutſche Volkskirche vereinige Pro— 
teſtanten und Katholiken — und ſo ſei auch für das neue 
Deutſchland die neue deutſche Kirche gegeben und mit der 
politiſchen die religiöſe Einheit. — So hat man es ſeit Jahr 
und Tag ſich in's Ohr geſagt und von den Dächern in 
Heidelberg und Berlin und an vielen anderen Orten ver— 
kündigt; es wäre daher zum Verwundern, wenn die für alles 
Erhabene und Geniale ſo empfängliche Fortſchrittspartei in 
unſerem Lande, wenn namentlich unſere hochgebildeten Ka: 
tholiken, welche Eile haben, nachzuholen, was ſie und ihre 
Voreltern in den Zeiten, als ſie noch in der altkatholi— 
ſchen Finſterniß ſaßen, verſäumten — ich ſage, es wäre 
verwunderlich, wenn dieſe Herren von dieſen Ideen gar nicht 


67 


berührt worden wären. Wir wollten wenigſtens die Perſpeo⸗ 
tive des Fortſchrittes, der ſo entſchieden mit dem neuen 
Kirchengeſetze eingeleitet wurde, andeuten. 


7. Von der Verfaſlung der Kirche. 


Nach dem Bisherigen wird man es gerechtfertigt finden, 
wenn wir eine etwas ausführlichere Erörterung über die 
Verfaſſung der Kirche, mit beſonderer Rückſicht auf die 
oben angedeuteten Lehren der „religiöſen Fortſchrittspartei“, hier 
folgen laſſen. 

In der ganzen Weltgeſchichte gibt es keine größere und 
einflußreichere Perſönlichkeit, als Chriſtus, kein größeres und 
offenkundigeres Ereigniß, als die Stiftung und Ausbreitung 
des Chriſtenthums, keine größere und öffentlichere Anſtalt, 
als die Kirche Chriſti. Man ſollte daher denken, daß über 
alles dieſes unter Chriſten und unter vernünftigen Men— 
ſchen ein Streit nicht beſtehen könne. Und in der That, 
wenn man bloß die Geſchichte, die tauſendfachen geſchicht— 
lichen Beweiſe und die geſunde Vernunft zu Rathe zöge, 
könnte über die Frage, welche Verfaſſung Chriſtus ſeiner 
Kirche gegeben habe, wahrlich kein Streit entſtehen. Es iſt 
jene unausſprechlich einfache und großartige Verfaſſung, welche 
heute noch die katholiſche Kirche beſitzt, welche int Weſentlichen 
auch die leider von ihr getrennte und durch ihre Trennung 
von Rom in die ſchmachvollſte Knechtſchaft des byzantiniſchen 
und ruſſiſchen Cäſareopapismus verfallene griechiſche Kirche be— 
wahrt, welche ſelbſt der Proteſtantismus in vielen Ländern, 
namentlich in England und Schweden, wenngleich vergeblich, 
beizubehalten ſuchte, zu welcher möglichſt zurückzukehren das 
Ringen und die Sehnſucht nicht weniger der gelehrteſten 
und erleuchtetſten proteſtantiſchen Denker war und iſt; es iſt 
dieſelbe Verfaſſung, welche nach Ausweis der Geſchichte in 
all ihren weſentlichen Beſtimmungen bis auf die Apoſtel Jeſu 
Chriſti hinaufreicht, und dieſen ſelbſt zum Urheber hat. Dieſe 
Verfaſſung iſt, im gewöhnlichen politiſchen Sinne, weder de— 
mokratiſch, noch ariſtokratiſch, noch monarchiſch (obwohl fie 
Alles, was dieſe Formen Gutes an ſich haben, in ſich ver— 
einigt), ſondern ſie iſt, um ſie mit dem kürzeſten Ausdrucke 
zu bezeichnen, apoſtoliſch. 

Es hat nämlich Chriſtus die Verkündigung und Ver⸗ 

5 * 


68 


breitung feiner Lehre, die Vornahme der von ihm zum Zwecke 
übernatürlicher Gnadenſpendung eingeſetzten heiligen Handlungen 
(der heiligen Sacramente), die Handhabung ſeiner Geſetze und 
Anordnungen nicht dem Zufall oder dem Belieben ſeiner 
etwaigen Anhänger überlaſſen; ſondern er ſelbſt hat, wie die 
Evangeliſten ſo klar, ſo gründlich und ausführlich, als nur 
möglich, erzählen, zwölf Männer als ſeine Geſandten oder 
Apoſtel ausgewählt, ihnen als Gehilfen noch 72 Jünger bei— 
geſellt und, nachdem er ſie auf's Sorgfältigſte in einem drei— 
jährigen beſtändigen Umgange zu ihrem Berufe ausgebildet, 
ihnen in der förmlichſten und feierlichſten Weiſe die Gewalt 
und den Auftrag ertheilt, an ſeiner Statt ſeine Lehre zu 
verkündigen, die Gnadenmittel zu verwalten und zu ſpenden 
und die Gemeinde der Gläubigen zu leiten und zur Beob— 
achtung ſeines Geſetzes anzuhalten. Klarer konnte Chriſtus 
ich in dieſer Beziehung nicht ausſprechen, als er es ge: 
than hat: Wie mich der Vater geſendet hat, ſo 
ſende ich euch. .. Wer daher euch höret, höret 
mich, und wer euch verachtet, verachtet mich. 
Gehet in die ganze Welt, lehret alle Völker, 
taufet ſie und haltet ſie an, Alles zu halten, 
was ich euch befohlen habe. 

Demgemäß haben die Apoſtel ſich nie und nimmer als 
Bevollmächtigte oder Geſandten der chriſtlichen Gemeinden oder 
der erſten Chriſten oder irgend eines Menſchen, ſondern als 
bevollmächtigte Diener und Stellvertreter Chriſti angeſehen. 
Der heilige Paulus verſäumt faſt in keinem ſeiner Briefe, 
dieſe ſeine göttliche Sendung und Bevollmächtigung als Grund 
und Titel ſeiner apoſtoliſchen Gewalt an die Spitze zu ſtellen: 
„Paulus, Apoſtel nicht von Menſchen, noch 
durch Menſchen, ſondern durch Jeſus Chri— 
ſtus“ beginnt er ſeinen Brief an die Galater und ähnlich 
alle anderen Briefe. „Darum,“ ſchreibt er, 1 Cor. 4, 1. von 
ſich und allen ſeinen apoſtoliſchen Mitarbeitern, „halte uns 
Jedermann für Diener Chriſti und Ausſpender der 
Geheim niſſe Gottes.“ Und 2 Cor. 5, 20.: „Wir find 
Geſandte an Chriſti Statt, indem Gott gleichſam 
durch uns ermahnt.“ In dieſer ihrer, auf göttlicher Ue— 
bertragung beruhenden Vollmacht haben die Apoſtel die Lehre 
Chriſti gelehrt und falſche Lehren verworfen, die Geſetze 
Chriſti gehandhabt, die Uebertreter zurechtgewieſen und ſie, 


69 


in der Vollmacht Chriſti, wo nothwendig, aus der Kirchen: 
gemeinſchaft ausgeſchloſſen. 

Dieſe Apoſtel nun — und eine gewiſſere Thatſache der 
Geſchichte gibt es nicht — haben in allen bedeutenderen 
Städten, wo ſie das Chriſtenthum gegründet, neben anderen 
niederen Kirchendienern Biſchöfe, und zwar ſtets nur Einen 
Biſchof in jeder Stadt, durch eine heilige Weihehandlung, 
die ſie in der Vollmacht Chriſti vollzogen, aufgeſtellt. So 
ſetzte Paulus ſeinen geliebten Jünger Timotheus zum Bi— 
ſchof von Epheſus, Titus zum Biſchof in Creta, 
und richtete an jenen zwei Schreiben, an dieſen eines, worin 
er ſie ausführlich über ihre biſchöflichen Pflichten belehrt 
und ihnen zugleich aufträgt, ihrerſeits, wo nothwendig, an— 
dere Prieſter und Biſchöfe aufzuſtellen. Die Gewalt der 
Biſchöfe betrachteten die Apoſtel gerade ſo, wie ihre eigene 
Gewalt als von Gott und Chriſtus verliehen, als gleichartig 
und eins mit der Gewalt und Vollmacht, die ſie ſelbſt be— 
ſaßen. Daher nennt Paulus den Timotheus ſeinen Mit— 
arbeiter und in ſeiner Abſchiedsrede zu Milet ſpricht er 
zu den verſammelten Biſchöfen Kleinaſiens: „Habt Acht auf 
euch und die Heerde, in welcher euch der heilige Geiſt 
geſetzt hat, die Kirche Gottes zur regieren, die 
er mit ſeinem Blute erkauft hat.“ (Apoſtelgeſch. 20, 28.) Aus 
der geheimen Offenbarung des heiligen Johannes ſehen 
wir, daß in ſeiner Zeit in allen größeren Städten Klein— 
aſiens Biſchöſe waren und daß in jeder Stadt nur Ein 
Biſchoß war, denn an die Biſchöfe von Epheſus, 
Smyrna, Sardes, Pergamus, Thyatira, Phi— 
ladelphia und Laodicea, die er Angeloi, d. h. Ge— 
ſandte oder Apoſtel nennt, ſind die ſieben Sendſchreiben, mit 
denen dieſes heilige Buch beginnt, gerichtet. 

Daß die Apoſtel dieſe Einſetzung der Biſchöfe im Auf— 
trag Chriſti vollzogen, könnte nur der bezweifeln, der den 
geheiligten Character und die Treue der Apoſtel gegen ihren 
Herrn und Meiſter in Abrede ſtellen wollte. Uebrigens kann 
auch kein Vernünftiger daran zweifeln, daß Chriſtus die 
Fortdauer des apoſtoliſchen Amtes und ſomit die ununter— 
brochene Nachfolge in dieſem Amte gewollt hat, wenn er 
ihn zu ſeinen Apoſteln ſprechen hört: Ich bin bei euch 
alle Tage bis an's Ende der Welt; was ja nicht 
von ihrer Perſon, ſondern nur von ihrem Amte und ihren 


70 


Nachfolgern verſtanden ſein kann, und wenn er ferner bedenkt, 
daß überhaupt Alles, was Chriſtus geſtiftet, nicht eine vorüber— 
gehende, ſondern eine für alle Zeiten bleibende Einrichtung iſt. 

Dieſen apoſtoliſchen Episcopat treffen wir denn 
auch von Anfang des Chriſtenthums auf der gan— 
zen bekannten Erde an, wo immer Chriſten ſich finden. Daß 
dieſe Biſchöſe nichts anderes, als Beamte der Gemeinden oder 
erwählte Sprecher und Abgeordnete derſelben auf den Syno— 
den geweſen, iſt eine abſolut halt- und bodenloſe Behauptung, 
die durch alle Documente und Alles, was wir immer aus dem 
chriſtlichen Alterthum wiſſen, Lügen geſtraft wird. Dieſes chriſt— 
liche Alterthum aber iſt keineswegs etwa in unzugängliches 
Dunkel gehüllt: denn die Gründung und Ausbreitung des Chris 
ſtenthums fällt ja nicht in dunkle, ſagenhafte Zeiten oder in 
entlegene, unbekannte Regionen, ſondern alles dieſes iſt ſo 
recht in der Mittagshöhe geſchichtlicher Zeiten und im Mittel— 
punkte der Civiliſation, nämlich im römiſchen Kaiſerreiche zur 
Zeit ſeiner höchſten und letzten Entwickelung, in der aller— 
offenſten und weltkundigſten Weiſe geſchehen. Nicht bloß die 
Chriſten, ſondern auch die Heiden wußten es, daß der Biſchof 
das Haupt, der Vorſteher, Lehrer und Hoheprieſter der chriſt— 
lichen Gemeinde ſei. Das heidniſche Weltreich hat einen drei— 
hundertjährigen blutigen Vernichtungskrieg gegen die chriſtliche 
Kirche geführt; in dieſem Kampfe waren die Biſchöfe, wie 
die Anführer der Ehwilten, ſo immer, überall und planmäßig 
die erſten Opfer der heidniſchen Verfolgung; wo aber beſſer ge— 
ſinnte heidniſche Kaiſer dem Chriſtenthum einige Duldung ge: 
jtatteten und mit demselben in Verkehr traten, haben fie, wie 
wir aus einer Reihe einzelner Beiſpiele wiſſen, mit den Bi— 
ſchöfen als den notoriſchen prieſterlichen Vorſtehern der Chri— 
ſten verhandelt. Was die Biſchöfe und die Chriſten ſelbſt 
betrifft, ſo haben weder die Biſchöfe ſich ſelbſt, noch haben 
die Chriſten ihre Biſchöfe jemals als Gemeindebevollmächtigte, 
ſondern als Nachfolger der Apoſtel und Diener und Stellver— 
treter Chriſti betrachtet. „Chriſtus wurde von Gott, die 
Apoſtel von Chriſtus geſendet und ſie haben die 
Biſchöfe aufgeſtellt.“ Das iſt die einfache Lehre des älteſten, 
von allen chriſtlichen Schriftſtellern, des Apoſtelſchülers ELe- 
mens von Rom (ep. I. ad Cor. c. 21. 40. 42. 44.) „Wen im⸗ 
mer“, ſchreibt Ignatius von Antiochen an die Chriſten in 
Epheſus, „der Hausvater ſendet zur Leitung ſeiner Familie, 


71 


den müſſen wir ſo aufnehmen, wie den, der ihn ſendet; 
daher iſt es klar, wir müſſen den Biſchof an— 
ſehen, wie den Herrn ſelber.“ (Ad. Eph. c. 6.) Und 
wiederum: „In Chriſti Geſinnung ſind die Biſchöfe auf— 
geſtellt auf dem ganzen Erdkreiſe. Daher ziemt es auch an 
des Biſchofs Geſinnung euch anzuſchließen, wie ihr auch thut.“ 
In ſeinem Schreiben an die Chriſten zu Tralles in Lydien 
ſchreibt er: „Da ihr dem Biſchofe gehorcht, wie Jeſu Chriſto, 
ſo lebet ihr ſichtlich nicht nach Menſchenſinn, ſondern nach dem 
Sinne Jeſu Chriſti, der für euch geitorben iſt.“ Dann ermahnt 
er ſie, auch die Prieſter und Diakonen als göttliche Einſetzung 
zu ehren und ſchließt: „Ohne dieſes gibt es keine Kirche. Ich 
bin überzeugt, daß auch ihr alſo denket.“ (Cap. 1— 3.) „Wo 
der Biſchof iſt,“ ſchreibt er den Smyrnäern, „dort ſoll 
auch das Volk ſein, gleichwie dort, wo Jeſus Chri— 
ſtus, auch die katholiſche Kirche iſt. Ohne den Biſchof 
nehme Niemand etwas vor, was auf die Kirche Bezug hat. 
Für giltig werde nur die Euchariſtie (Feier der heiligen Meſſe 
und des Abendmahls) angeſehen, welche unter der Hand des 
Biſchofs iſt, oder deſſen, welchem er Auftrag gegeben. Ohne 
den Biſchof iſt nicht erlaubt, zu taufen, noch das Liebes mahl 
zu feiern; ſondern was dieſer billigt, iſt angenehm.“ (Cap. d.) 
An die Magneſier richtet er die Worte: „Erzeiget Eurem 
Biſchofe alle Ehrfurcht, aber nicht ſo faſt ihm, als dem Vater 
Jeſu Chriſti, der Aller Biſchof iſt. Zur Ehre alſo deſſen, der 
es verlangt (nämlich Gottes) ziemt euch, ohne Heuchelei zu 
gehorchen, da nicht dieſen ſichtbaren Biſchof Jemand hintergeht, 
ſondern den unſichtbaren zum Geſpötte macht“ (Kd. Magn. 
cap. 3.) „Alle,“ ruft er den Philadelphenſern zu, 
„welche Gott und Chriſto angehören, halten es mit 
dem Biſchofe.“ (Cap. 3. p. 8.) Wer vom Biſchofe ſich trennt, 
trennt ſich von der Kirche, von Chriſtus, von Gott: „Laſſet 
euch nicht bethören, Brüder! Wenn Jemand Einem anhängt, 
der die Kirche ſpaltet, der wird das Reich Gottes nicht erben.“ 
(Ad. Phil. cap. 3.) Das ſind freilich keine Auszüge aus 
einem „beliebigen Converſationslexikon“ oder einer „Weltge— 
ſchichte“, worauf die oben citirte Wiesbadener Brochüre mit 
unausſprechlicher Naivität ſich beruft, aber wörtliche Ueber— 
ſetzungen aus den auf der Reiſe zum Martyrertode geſchriebenen 
Briefen des heiligen Ignatius, des Patriarchen von Antiochien 
in Syrien, des Apoſtelſchülers, der am 20. December 107 nach 


Chriſti Geburt, als ein mehr als achtzigjähriger Greis, zu Rom 
den Martyrertod durch den Zahn der wilden Thiere erlitt 
und deſſen Anſehen bei den alten Chriſten ſo groß war, daß 
ſeine Brieſe in vielen Kirchen wie die Briefe der Apoſtel vor— 
geleſen wurden. Und wie Ignatius reden alle Zeugen des 
chriſtlichen Alterthums, ohne eine einzige Ausnahme, 
mit derſelben Glaubenskraft und unverbrüchlichen Strenge. Der 
große Kirchenvater Irenäus, der gleichfalls ſein Zeugniß mit 
ſeinem Blute beſiegelt hat (202 in Lyon), ſchreibt: „Auf die 
Biſchöfe der Kirche muß man deßhalb merken, auf die, welche 
die Nachfolge haben von den Apoſteln her, wie wir (nämlich 
vorher weitläufig) nachgewieſen, und welche mit der Suc- 
ceſſion im biſchöflichen Amte das ſichere Geſchenk 
der Wahrheit nach dem Wohlgefallen des Vaters 
empfangen haben.“ (Adv. haer. 4, 26.) Der große 
Biſchof von Karthago, Cyprianus, der am 14. September 
258 den Martyrertod erlitt, ſchreibt (ep. 69.): „Daher mußt 
du wiſſen, daß der Biſchof in der Kirche ſei, und die Kirche im 
Biſchofe; und daß, wenn Einer nicht mit dem Biſchofe in 
Gemeinſchaft ſteht, er nicht in der Kirche iſt, und diejenigen 
ſich umſonſt ſchönen Täuſchungen hingeben, welche, während ſie 
von den Prieſtern Gottes den Kirchenfrieden nicht haben, ſich 
einſchleichen und heimlich mit Einigen Gemeinſchaft zu unter— 
halten glauben, da doch die Kirche, welche katholiſch und Eine 
iſt, nicht zerriſſen, noch zertheilt, ſondern allenthalben zuſam— 
mengeſchloſſen, und durch den Kitt der wechſelſeitig 
zuſammenhängenden Biſchöfe verknüpft iſt. Denn 
obwohl unſer viele Hirten ſind, ſo weiden wir dennoch nur Eine 
Heerde, und alle Schafe, welche Chriſtus durch ſein Blut und 
ſein Leiden erworben hat, müſſen wir ſammeln und pflegen.“ 
(Ep. 67.) 

Was ſollen wir nun zu der Erzählung ſagen, im höchſten 
chriſtlichen Alterthume habe die Kirche eine andere Verfaſſung ge— 
habt als heute, und heute ſtellten die Biſchöfe bezüglich ihrer 
Gewalt andere Lehren auf, als ihre Vorgänger in den erſten 
chriſtlichen Jahrhunderten bekannt und die alten Chriſten ein— 
müthig geglaubt haben? Iſt es Unwiſſenheit, iſt es abſichtliche 
Lüge, wir wiſſen es nicht. Das aber wiſſen wir, daß die Leute, 
die ſolche Behauptungen als baare Münze hinnehmen, ſchrecklich 
betrogen werden, und daß es unſere heiligſte Pflicht iſt, mit aller 
Kraft und Unermübdlichkeit dieſen Unwahrheiten entgegenzutreten. 


73 


Aber die Behauptung, daß die Biſchöfe Abgeordnete der de: 
mokratiſch organiſirten Chriſtengemeinden geweſen, iſt nicht bloß 
eine Unwahrheit, für welche gar keine und gegen welche alle 
Beweiſe ſprechen, ſondern es iſt die ganze Lehre von der Ent: 
ſtehung des biſchöflichen Amtes durch allmälige Uſurpation im 
allerhöchſten Grade unvernünftig, und das, was ſie be— 
hauptet, geradezu unmöglich: denn ſolche Uſurpation ſetzte 
nichts Geringeres voraus, als daß 1) die erſten Chriſten lauter 
ehrgeizige Betrüger ſich zu Biſchöſen gewählt; 2) daß die angeb- 
lich jo demokratiſchen Chriſten ohne jeglichen Widerſpruch — 
denn von einem ſolchen weiß die Geſchichte auch nicht ein Wört— 
chen — ſich von dieſen Biſchöfen um ihre demokratiſchen Ge— 
meinderechte bringen ließen; und zwar 3) in ganz gleicher Weiſe 
auf der ganzen Erde: lauter Dinge, die ſchon bloß menſchlich die 
Sache betrachtet, rein unmöglich ſind. Was aber macht man erſt 
aus dem Chriſtenthum, aus den Chriſten, aus Chriſtus? Wenn die 
Geſchichte des Chriſtenthums von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende 
nichts als eine Geſchichte pfäffiſcher Anmaßung und pfäffiſchen 
Betruges iſt; wenn die Chriſten aller Zeiten nichts Anderes, 
als Tölpel und Schwachköpfe waren, welche ſich von Biſchöfen, 
die ſie ſelbſt gemacht, um ihre Freiheit betrügen ließen — was iſt 
dann das Chriſtenthum, was die Chriſten? Was iſt dann Chri— 
ſtus ſelbſt — wohl nichts Anderes, als eine Miſchung von einem 
reformirenden jüdiſchen Rabbi, einem Philoſophen und einem 
Demokraten, der ſchon zu ſeiner Zeit freie Gemeinden zur 
Durchführung religiöſer und politiſcher Reformen zu gründen 
gedachte, deſſen Werk aber ſchmählich durch die, man weiß 
nicht wie, aus dieſen Gemeinden hervorgegangenen Biſchöfe 
in das gerade Gegentheil verkehrt wurde!? Und ſo meint man 
es wirklich; das und nichts Anderes iſt auch die Herzens— 
meinung der „Religiöſen,“ die ſich in der Wiesbadner Bro: 
chüre und anderwärts vernehmen ließen. 

Nun aber iſt von allem Dem das gerade Gegentheil 
Wahrheit und geſchichtliche Thatſache. Die alten Chriſtengemein— 
den waren nichts weniger als den „freien“ oder den „deutſch— 
katholiſchen Gemeinden“ ähnlich, ſondern bildeten zu ihnen den 
höchſten Gegenſatz. Chriſtus war ihnen der eingeborene Sohn 
Gottes, ihr einziger Erlöſer und Seligmacher; die Biſchöfe 
waren ihnen die Nachfolger der Apoſtel und Chriſti ſichtbare 
Stellvertreter; weit entfernt in ihnen Bedrücker oder Feinde zu 
erblicken, liebten und ehrten ſie dieſelben, wie Apoſtel und er— 


74 


blickten in der untrennbaren Verbindung mit ihnen das Palla⸗ 
dium ihres Glaubens, für den ſie täglich während dreihun 
dertjährigen Verfolgungen ihr Blut vergoſſen. Die Biſchöſe 
waren keine ehrgeizigen und argliſtigen Pfaffen, ſondern Män⸗ 
ner voll Glaube und Hingebung, voll Kraft und Geiſt, viel— 
fach von der höchſten Heiligkeit, die nicht aus Stolz oder Ehr— 
geiz oder Herrſchſucht, ſondern aus Pflichttreue ihr großes, 
ſchweres, apoſtoliſches Amt verwalteten. Und gerade wie mit dem 
biſchöflichen Amte verhält es ſich auch mit dem Papſtthum. 
Daß alle Biſchöfe der Erde und alle chriſtlichen Gemeinden des 
Erdkreiſes ſeit den älteſten Zeiten den Papſt als Nachfolger 
des heil. Petrus — zu dem Chriſtus geſprochen: Du biſt Pe— 
trus und auf dieſen Fels will ich meine Kirche 
gründen; zu dem der gute Hirte aller Gläubigen geſagt: 
Weide meine Lämmer, weide meine Schafe — anerkannt 
und als das Oberhaupt und den Mittelpunkt der Einheit für die 
ganze Kirche betrachtet haben, iſt im Lichte der Geſchichte eine 
unzweifelhafte und unbeſtreitbare Wahrheit, eine Wahrheit, 
die faſt während des ganzen erſten Jahrtauſends der chriſtlichen 
Zeitrechnung nicht einmal von einem Irrlehrer geleugnet wurde. 
Derſelbe Ignatius, den wir oben über das biſchöfliche Amt 
gehört, nennt deßhalb die römiſche Kirche die Vorſteherin 
des Liebesbundes, d. h. der geſammten chriſtlichen Kirche. 
(Ad Rom. 1.) Derſelbe Irenäus, den wir oben hörten, 
ſpricht: Mit dieſer Kirche nämlich der römiſchen, die, 
wie er kurz vorher gelagt, von den Apoſteln Petrus und Pau— 
lus gegründet, durch die ununterbrochene Reihenfolge ihrer 
Biſchöſe die apoſtoliſche Lehre in unverfälſchter Reinheit be— 
wahrt) müſſen wegen ihres erhabenen Vorranges 
alle Kirchen übereinſtimmen. (Adv. haeres. 3, 3.) Und 
derſelbe Cyprian, den wir oben über den Episkopat ver⸗ 
nahmen, ſpricht vom Papſtthum in ſeinem berühmten Buche 
von der Einheit der Kirche: „Der Vorrang iſt dem Petrus 
gegeben, damit Eine Kirche und Ein Lehrſtuhl 
ſei. . .“ und fragt: „Wer dieſe Einheit nicht feſthält, meint 
er, den Glauben feſtzuhalten? Wer der Kirche widerſteht und wi: 
derſtrebt, wer den Stuhl Petri, auf den die Kirche gegründet 
iſt, verläßt, glaubt er noch in der Kirche zu ſein?“ 

Dieſe apoſtoliſche Verfaſſung der Kirche mit ihrem 
im Papſte einigen Episkopate iſt mithin jo alt 
als das Chriſtenthum und hat in all ihren weſentlichen 


75 


Beſtimmungen nie eine Aenderung erlitten. Wenn nun Je⸗ 
manden dieſe Verfaſſung der Kirche nicht gefällt und er 
meint, die Kirche ſollte wie eine demokratiſche Republik organiſirt 
ſein und alle Kirchengewalt in den Händen des Volkes liegen, 
oder es ſollten wie in einer conſtitutionellen Monarchie die 
Laien an dem Kirchenregiment Theil nehmen; ſo iſt darauf 
einfach zu erwidern, daß wir Katholiken glauben und auch 
alle vernünftigen Gründe haben zu glauben, daß Chriſtus, 
der Herr und Stifter der Kirche, derſelben eben nicht eine 
ſolche, ſondern die von uns geſchilderte Verfaſſung gegeben 
hat. Allein wir ſehen auch mit unſerer Vernunft ein, daß dieſe 
Verfaſſung der katholiſchen Kirche von einer wahrhaft göttlichen 
Weisheit zeugt, ihrem Zwecke durchaus entſprechend iſt und 
daß alle Einwände, die man dagegen erheben mag, auf Irrthü⸗ 
mern und Mißverſtändniſſen beruhen. 

Keine Einrichtung iſt zu denken, die geeigneter wäre, um 
Chriſti Lehren und Einrichtungen unverſehrt und unverfälſcht durch 
alle Zeiten zu erhalten, als dieſer über die ganze Erde aus— 
gebreitete, in ununterbrochener Succeſſion von den Apoſteln ab— 
ſtammende, von dem Stifter des Chriſtenthums ſelbſt einge— 
ſetzte und bevollmächtigte, in dem Papſte zu einer untrenn: 
baren Einheit verbundene Episkopat. 

Aber, wendet man ein, iſt dieſe Gewalt der Biſchöfe nicht 
eine deſpotiſche? Iſt dieſe kirchliche Abhängigkeit der Katholi— 
ken von den Biſchöfen nicht unverträglich mit der geiſtigen 
Freiheit und eigenen Selbſtbeſtimmung? Iſt eine ſo ausge— 
dehnte Gewalt nicht im höchſten Grade dem Mißbrauche unter: 
worfen? Wir antworten, daß es im Gegentheile keine Verfaſſung 
auf Erden gibt, welche von Allem, was Abſolutismus iſt, ſo ent— 
ſernt, in der die wahre Freiheit jo vollkommen verwirklicht 
und in welcher die Gefahr des Mißbrauches ſo ſehr ausge— 
ſchloſſen iſt, als gerade dieſe Verfaſſung der katholiſchen Kirche. 
Despotismus iſt Willkürherrſchaft! Dieſe iſt überall vorhanden, 
wo ein menſchlicher Wille, ſei es der eines Monarchen, ſei 
es der einer ariſtokratiſchen Körperſchaft, ſei es der einer de— 
mokratiſchen Majorität höchſtes und einziges Geſetz iſt. Die 
Biſchöfe aber und der Papſt haben abſolut keine willkür— 
liche Gewalt; nichts, gar nichts hängt von ihrer 
Willkür ab, ſie ſind vielmehr unbedingt an die Lehre 
und das Geſetz Chriſti gebunden, dem ſie kein Jota zufügen, 
von dem ſie kein Jota wegnehmen können. Ihre Gewalt 


76 


geht gerade jo weit, als ihre Pflicht und Alles ohne Aus: 
nahme, was ſie von den Gläubigen im Namen Chriſti fordern, 
müſſen fie zuvor ſelbſt beobachten. Das apoſtoliſche Glaubens- 
bekenntniß, das ſie lehren, müſſen ſie ſelbſt glauben, die Gebote 
Gottes, die ſie handhaben, müſſen ſie ſelbſt beobachten, die 
Sacramente, die ſie ſpenden, müſſen ſie ſelbſt empfangen. Kein 
Papſt, kein Biſchof kann etwas Anderes lehren, vorſchreiben, 
üben, als was alle ſeine Vorgänger gelehrt, vorgeſchrieben, 
geübt haben und was mit dem Glauben der geſammten Chriſten— 
heit übereinſtimmt. 

Was aber die Freiheit der Gläubigen betrifft, ſo kennt die— 
ſelbe in der katholiſchen Kirche keine andere Schranke, als den 
auf freier und zweifelloſer Ueberzeugung beruhen— 
den Gehorſam gegen die Lehre Chriſti, gegen eben 
jene Lehre, von der Chriſtus ſagt, daß ſie den Menſchen 
frei macht, nämlich ihm die vollkommene geiſtige und ſitt— 
liche Freiheit verleiht, indem ſie ſeinen Geiſt von den Feſſeln 
der Unwahrheit und Unwiſſenheit, ſeinen Willen und ſein Herz 
von der Tyrannei der Leidenſchaften und Laſter befreit. 

Und welche Garantie haben wir Katholiken, daß die Biſchöfe 
ihre Gewalt nicht mißbrauchen, uns kein anderes Joch auflegen, 
als das Geſetz Chriſti? Wir haben, abgeſehen von dem göttlichen 
Beiſtand, jene Garantie, die es überhaupt menſchlicherweiſe 
für die Freiheit gibt, und zwar hier in einem Umfang und einer 
Unbedingtheit, wie es auf keinem anderen Gebiete möglich und 
wirklich iſt. Wenn ein Biſchof je einen katholiſchen Chriſten 
etwas Anderes lehrt, als die katholiſche Lehre, etwas Anderes 
ihm befiehlt, als was in dem Geſetz Chriſti begründet iſt, ein 
anderes Geſetz auflegt, als jedes katholiſche Kind ſchon von 
ſeiner Mutter gelernt; ſo hat er das Recht, und nicht bloß das 
Recht, ſondern ſogar die Pflicht, nicht zu gehorchen, und nicht 
bloß nicht zu gehorchen, ſondern offen zu widerſtehen — und er 
wird alle übrigen Biſchöfe zu ſeinen Bundesgenoſſen haben. 

Ja, meine Herren, ſo iſt es! Wenn je ein Biſchof etwas 
Anderes gebietet, als: du ſollſt Gott deinem Herrn dienen, du 
ſollſt den Sabbath heiligen, du ſollſt nicht ehebrechen, und wie 
ſonſt die Gebote Gottes heißen; oder wenn er je einen anderen 
Glaubensartikel Jemanden aufbürdet, als den die ganze fa: 
tholiſche Chriſtenheit glaubt; oder je etwas Anderes fordert, 
als daß ihr die Sacramente nach Chriſti Willen empſangt und 
heilig haltet: dann widerſtehet ihm in Kraft eurer chriſtlichen 


77 


Freiheit; ſeht es aber nicht als eine chriſtliche Freiheit an und 
glaubt nicht ein Recht dazu zu haben, Katholiken zu heißen und 
zugleich den katholiſchen Glauben verleugnen, die Geſetze die⸗ 
ſes Glaubens übertreten und nach eurer Willkür ſeine höchſten 
Heiligthümer verachten zu können. Wollt ihr das, ſo ſteht euch 
nur die Freiheit zu, aus der Kirche auszuſcheiden. 

Ja, es wäre wohl der Mühe werth, ehe man gegen die fa: 
tholiſche Kirche declamirt, ſich einmal die Sache näher in's Auge 
zu faſſen; man würde vielleicht erkennen, daß dieſe Kirche 
auch das als einen ihrer Vorzüge anführen könnte, daß in ihr 
jede Willkürherrſchaft ausgeſchloſſen und das Prinzip der wahren 
Freiheit im vollſten Maße verwirklicht iſt. 

Und noch mehr: auch in der Art und Weiſe, wie Papſt und 
Biſchöfe die Lehre und Geſetze Chriſti zu verwalten haben, 
iſt Alles abſolut verbannt, was nicht bloß Despotismus, ſon— 
dern was überhaupt Zwang und Gewalt heißt. Die Kirche hat 
zur Handhabung ihrer Geſetze keinen äußeren Zwang, keine 
irdiſche Gewalt; all ihre Einwirkung auf ihre Angehörigen beruht 
einzig auf der freien Ueberzeugung dieſer. Die einzigen Hebel, 
die ſie zur Durchführung ihrer Vorſchriften in Bewegung ſetzen 
kann, ſind Lehre und Ermahnung; die einzigen Straf- und 
Beſſerungsmittel, welche fie hat, ſind von den Betreffenden frei: 
willig übernommene Bußen und iſt bei den Widerſetzlichen die 
theilweiſe oder gänzliche Ausſchließung aus der Kirchengemein— 
ſchaft, von der ſie ſich ſelbſt thatſächlich losſagen. 

Und ſelbſt in Ausübung dieſer rein moraliſchen Gewalt ſind 
die Biſchöfe durch das chriſtliche Geſetz zur Milde verpflichtet. 
Es gibt keine Geſellſchaft auf Erden, wo mit der Autorität ſo 
innig und, wir möchten ſagen, naturnothwendig die äußerſte 
Milde verbunden iſt, als dieſe katholiſche Kirche, die man als 
tyranniſch und verfolgungsſüchtig darſtellen will. 

Aber nicht bloß iſt die Einrichtung der katholiſchen Kirche 
von der Art, daß daraus Despotie und Tyrannei abſolut aus: 
geſchloſſen ſind, ſondern es liegt auch in ihr der ächteſte und 
vollkommenſte Liberalismus und die höchſte Garantie, die bei 
Menſchen möglich iſt, um jeden Mißbrauch zu verbannen. Die 
katholiſche Kirche allein iſt jene Geſellſchaft, wo jeder Menſch, 
ohne Anſehen der Geburt und der Verhältniſſe, zu allen, auch 
den höchſten Aemtern berufen iſt und emporſteigen kann. Hier 
gibt es keine Erblichkeit, keinen Geburtsadel, keine geſellſchaft⸗ 
lichen Vorrechte und Convenienzen, wie ſie auch der freiſinnig⸗ 


78 


ſten Republik nie gefehlt haben; nirgendswo hat Talent, Tüch⸗ 
tigkeit, Tugend ſo ſichere Ausſicht zur Geltung zu kommen, als 
in der ſo geſchmähten katholiſchen Kirche. Nie iſt mir eine An— 
klage abgeſchmackter vorgekommen, als wenn man den katholi— 
ſchen Klerus eine Kaſte nennt. Mag Jemand, deſſen Urahnen 
bereits von der katholiſchen Kirche getrennt waren und der von 
katholiſchem Weſen keine Begriffe, ſondern nur romanhafte Vor— 
ſtellungen hat, wegen eines ſolchen Wahnes Entſchuldigung fin⸗ 
den; aber dem katholiſchen Volke ſollte man ſo etwas nicht bieten, 
welches wohl weiß, daß die katholiſchen Prieſter und Bi⸗ 
ſchöfe fort und fort durch die freieſte eigene Berufswahl aus 
dem Schoße des Volkes hervorgehen. Man hat dieß oftmals 
ſchon geſagt, kann es aber nicht genug wiederholen, daß in 
der katholiſchen Kirche ſelbſt jeder Schatten eines Kaſtenwe⸗ 
ſens unmöglich 'ift: jeder Prieſter iſt immer wieder und un⸗ 
mittelbar ein Sohn des chriſtlichen Volkes und es iſt in Wahr⸗ 
heit der Klerus nichts Anderes, als das chriſtliche Volk 
ſelbſt in jenen ſeiner Söhne und Brüder, die in 
ſich den göttlichen Beruf empfinden, ſich ganz dem 
Dienſte Gottes und dem Seelenheile der Gläubigen 
zu weihen. 

Daß aber wirklich nur die dazu Berufenen und Würdigen 
zu dieſem heiligen Stande und Amte gelangen, dafür bietet die 
Kirche Garantien dar, wie ſich anderswo auch nicht von ferne 
ähnliche finden. Platon in ſeiner Republik meint, das wäre 
die vollkommenſte Staatsverfaſſung, wo nur die Beſten und 
Weiſeſten zum Regimente gelangten und durch ſchwere Proben 
ſich darauf vorbereiten müßten. Es ſcheint mir, daß wenn ir⸗ 
gendwo dieſer ideale Gedanke realiſirt werden kann, es in der 
katholiſchen Kirche möglich iſt, wo Jeder, der Prieſter wird — 
nach dem Willen und Geiſt der Kirche — auf alles Irdiſche ver: 
zichten, ausſchließlich ſich dem Göttlichen weihen, ein beſtändi⸗ 
ges Leben des Opfers führen muß; wo mit der Würde die 
Pflichten wachſen und wo, wenn nur die Kirche von äußeren Ein⸗ 
flüſſen frei iſt, in der Regel die Würdigſten zu den Biſchofs⸗ 
ſtühlen emporſteigen. Und obwohl wir beſſer als unſere Gegner 
wiſſen, daß, aber meiſtens nicht durch Schuld der Kirche, ſon⸗ 
dern durch weltliche Einflüſſe, auch ſchwache und unwürdige 
Menſchen auf Biſchofsſtühle gelangt ſind, ſo können wir den⸗ 
noch dafür, daß das von uns Geſagte kein bloßer Gedanke eines 
„idealiſchen Katholicismus,“ ſondern That und Wahrheit iſt, 


79 


hiunweiſen auf die herrlichen Reihenfolgen der Biſchöfe in allen 
Ländern der Chriſtenheit vom höchſten Alterthum bis auf den 
heutigen Tag. Streicht die Biſchöfe aus der Geſchichte — und die 
glänzendſten Geſtirne ſind vom Himmel der Chriſtenheit geſchwun— 
den, die edelſten Charaktere, die heldenmüthigſten Vertheidiger 
der höchſten Güter der Menſchheit, die gelehrteſten Männer, 
die größten Denker, die liebreichſten Wohlthäter des Volkes, die 
vollendetſten Heiligen. Was aber unſere Zeit insbeſondere be— 
trifft, ſo iſt wahrlich der Augenblick ſchlecht gewählt, gegen die 
Biſchöfe zu Felde zu ziehen. Wir ſind von allem Enthuſias— 
mus und noch mehr von aller Lobrednerei weit entfernt. Die 
Biſchöfe ſind Menſchen und haben auch ihre Fehler; aber Gott 
ſei Dank! faſt auf allen Biſchofsſtühlen der Welt und vor 
Allem auf den deutſchen Biſchofsſtühlen — ſo ſtark iſt trotz 
aller Schwierigkeiten und aller noch da und dort vorhandenen 
kirchlichen Unfreiheit der Geiſt der Kirche und die Wirkſamkeit 
ihrer Verfaſſung — ſitzen Männer, deren Glaube ächt und un: 
geheuchelt iſt, Männer von reinſten Sitten und erprobter Tu— 
gend, von gründlicher Gelehrſamkeit und Bildung, von reinſter 
Abſicht und von großem Eifer in ihrem heiligen Amt, zum Theile 
Männer von den ungewöhnlichſten Gaben des Geiſtes und Her: 
zens und ſeltener Frömmigkeit. 

Darum hat Gott es wohl gemacht, daß er ſeiner Kirche dieſe 
Verfaſſung gegeben hat, und weit entfernt, daß wir Katholiken 
Urſache hätten, der Verfaſſung unſerer Kirche uns zu ſchämen 
oder ſie anders zu wünſchen, haben vielmehr unſere von uns 
getrennten chriſtlichen Brüder allen Grund, uns um dieſe Ver: 
faſſung zu beneiden, und wir allen Grund, uns derſelben zu 
erfreuen. Wie wir denn auch wirklich thun: denn es gab vielleicht 
ſeit Jahrhunderten keine Zeit, wo nicht bloß in dem Klerus, 
ſondern auch bei allen wahrhaft gebildeten Katholiken die 
Einſicht in das Weſen, die Nothwendigkeit und die Vorzüge der 
Verfaſſung der katholiſchen Kirche ſo allgemein verbreitet und 
ſo einmüthig war, als ſie es in der Gegenwart iſt. 


III. 


Das don der zweiten Kammer der Stände des 
Großherzogthums Heſſen beſchloſſene neue 
Religionsgeſetz. 


Mir wenden uns nun zur Kritik des von der Majorität der 
zweiten Kammer zu Darmſtadt jüngſt beſchloſſenen Religionsge⸗ 
ſetzes. Daſſelbe hat nicht bloß für unſer Land eine Wichtigkeit, 
ſondern iſt von viel allgemeinerem Intereſſe. Denn der Geiſt 
und die Tendenzen, welche in der heſſiſchen Kammer, ſowohl 
in den Beſchlüſſen als in den bei den Verhandlungen gehaltenen 
Reden ſich ausſprachen, find nicht in unſere Landesgrän— 
zen eingeſchloſſen, ſie finden ſich vielmehr überall, nur daß 
jener Geiſt und jene Tendenzen bisher noch nirgends ſo offen 
hervorgetreten ſind. Inſofern müſſen wir es als eine gnädige 
Fügung der Vorſehung betrachten, daß die der kirchlichen Frei— 
heit, weil der Kirche ſelbſt feindlichen Tendenzen der Zeit in die— 
ſem Geſetze einen ſo prägnanten Ausdruck gefunden haben. Sie 
werden auf dieſe Weiſe — wie traurig im Uebrigen die Thatſache 
iſt — um ſo ſicherer und vollſtändiger überwunden. 

Ehe wir aber die einzelnen, die Rechte und die Freiheit 
der katholiſchen Kirche und die Religions- und Gewiſſensfreiheit 
der Katholiken verletzenden Beſtimmungen des Religionsgeſetzes 
näher betrachten, müſſen wir zuerſt jene allgemeinen Grund— 
ſätze in's Auge faſſen, von denen die Kammer ausgegangen 
iſt, welche dem ganzen Geſetze zu Grunde liegen und welche, weil 
ſie die religiöſe und kirchliche Freiheit und die Gleichberechtigung 
der Katholiken im Staate prinzipiell vernichten, noch 
weit größere Beſchwerden bilden, als alle beſonderen Beſtim— 


81 


mungen des Geſetzes, welche nur einzelne Anwendungen dieſer 
Grundſätze ſind. 


Die allgemeinen Grundſätze des Geſetzes. 


1. Das neue Beligtonsgefeß geht von der Wichtverbindligkeit der 
zwiſchen Staat und Kirche geſchloſſenen Verträge aus, und macht 
nichts deſto weniger diele Verträge zum Vachtheile der Kirche 
geltend. 


Während in allen Ländern Europa's ſeit Jahrhunderten das 
Verhältniß zwiſchen Staat und Kirche durch Verträge )zwiſchen 
beiden geregelt wurde, hat man feit einigen Jahren die Theo: 
rie aufgeſtellt und zu einer politiſchen Parole erhoben: das Ver— 
hältniß zwiſchen Staat und Kirche dürfe nicht auf dem Wege des 
Vertrages, ſondern nur auf dem der Geſetzgebung regulirt 
werden. Die Frage des conſtitutionellen Staatsrechtes, ob und 
in wie weit die Stände ein Recht haben, bei der Regelung des 
Verhältniſſes zwiſchen Kirche und Staat beigezogen zu werden, 
laſſe ich hier unberührt. Jedenfalls geht es nicht an, um den 
Ständen ein Mitwirkungsrecht zu ſichern, rechtsgiltige Verträge 
zum Nachtheil der Kirche für nicht verbindlich zu erklären und der 
Kirche vertragsmäßig zuſtehende Rechte ohne Weiteres auf dem 
Wege der Geſetzgebung zu beſeitigen, noch weniger iſt es ſtatt— 
haft, daß man nichts deſto weniger die vertragsmäßig dem Staate 
Seitens der Kirche gemachten Zugeſtändniſſe aufrecht hält. 

Was würden wohl vor noch nicht langer Zeit, als jene 
moderne Theorie noch gänzlich unbekannt war, alle Juriſtenfacultä— 
ten und alle Gerichtshöfe Europa's dazu geſagt haben, wenn 
man ihnen die Frage vorgelegt hätte ob Verträge zwiſchen Staat 
und Kirche zuläſſig und giltig ſeien? Ohne Zweifel hätten ſie ge— 
fragt, ob man ihrer ſpotten wolle, indem man eine ſolche Frage 
an ſie ſtelle. Ob denn daran gezweifelt werden könne? Ob man 
denn nicht wiſſe, daß faſt in allen Ländern der Chriſtenheit, wo 
die katholiſche Kirche rechtlich anerkannt iſt, das Rechtsverhältniß 
zwiſchen Kirche und Staat durch ſolche Verträge geregelt iſt? 
Die Frage aber, ob giltige Verträge von beiden Seiten 


1) „Concordat,“ „Convention“ heißt auf deutſch Vertrag. Es iſt dieſe 
Erklärung für gewiſſe gebildete Zeitgenoſſen nicht überflüſſig, da ſie unter 
dieſen Worten, ich weiß nicht was, geheimnißvoll Schreckliches ſich vor— 
ſtellen. i 

Heinrich, Der Kampf der Kirche. 6 


82 


gehalten werden müßten, ſei weit mehr eine Beleidigung gegen 
alles ſittliche und Rechtsbewußtſein, als eine Frage, die man 
aufwerfen könne. 

Allein in unſerer Zeit hat man die Theorie aufgeſtellt, 
es vertrage ſich mit der ſouveränen Majeſtät des Staates nicht, 
mit der Kirche Verträge abzuſchließen: denn dadurch erkenne 
er die Kirche als einen ſonveränen Staat im Staate 
neben ſich an. Deßhalb könne auch insbeſondere der Landes— 
herr mit einem Biſchof keinen Vertrag über die Rechtsverhältniſſe 
zwiſchen Staat und Kirche ſchließen, da der Biſchof Unterthan 
ſei — einem Unterthanen habe der Staat Geſetze zu geben, 
nicht aber Verträge mit ihm zu ſchließen. 

Mit ſolchen Phraſen und mit den ihnen zu Grunde lie— 
genden verwirrten Begriffen und deſpotiſchen Theorien glaubt 
man die Sache erledigt. 

Welch ein heilloſes Sophisma iſt es aber, zu behaupten, 
daß der Staat auf ſeine Souveränetät verzichte oder dieſelbe 
entwürdige, wenn er mit der Kirche Verträge ſchließt und die 
geſchloſſenen Verträge hält! Schließt denn nicht der Staat 
täglich Verträge mit ſeinen Unterthanen? Steht er denn nicht 
mit dem letzten ſeiner Unterthanen vor Gericht? Dadurch, daß 
er mit ſeinen Unterthanen, ſeien es Einzelne oder Corpora— 
tionen, Verträge ſchließt, erkennt er ſie nicht als Souveräne, 
wie ſich ſelbſt und als Staaten im Staat, wohl aber als 
Rechtsſubjecte an, als auch dem Staate gegenüber 
ſelbſtſtändige Perſönlichkeiten. So lange noch 
keine mehr als orientaliſche Deſpotie oder der Staats— 
communismus eingeführt iſt, wird der Staat nimmer: 
mehr auf dem Wege der ſouveränen Geſetzgebung anordnen, 
ob und um welchen Preis die Unterthanen an den Staat ver— 
kaufen oder von dem Staate kaufen oder ihm Arbeiten liefern 
müſſen; ſondern er wird mit ihnen deßhalb Verträge ſchließen 
und wenn darüber Streitigkeiten entſtehen, ſie nicht durch ſou— 
veräne Geſetze ſchlichten, ſondern entweder auf dem Wege des 
Vergleiches erledigen oder durch unabhängige Gerichte entſcheiden 
laſſen. Aber nicht etwa bloß über die Privatrechte, ſon— 
dern auch über öffentliche und politiſche Rechte kann 
die Staatsgewalt mit ihren Unterthanen Verträge ſchließen, und 
ſo viel wir wenigſtens von der Geſchichte wiſſen, beruhen 
faſt alle politiſchen Rechte und Freiheiten in 
Europa auf ſolchen Verträgen. Und mit Recht 


83 


haben alle jene Männer, die von Freiheit etwas verſtunden 
und die Freiheit liebten, die Heilighaltung dieſer Verträge 
als das Palladium aller wahren Freiheit erachtet und gegen 
das Princip einſeitiger Octroiirung Proteſt eingelegt. Im 
deutſchen Reiche, das zwar in den letzten Jahrhunderten 
vielfach nur noch ein Trümmerhaufen, aber dennoch in ſeinen 
Trümmern noch im Vergleich mit ſo manchen modernen Zuſtän— 
den ein Hort des Rechtes und der Freiheit war, nahmen und 
gaben Kaiſer und Reichsfürſten jedem Unterthanen Recht vor 
den Reichsgerichten, auch in Fragen des öffentlichen 
Rechtes. 

Verträge kann Jeder, wer er immer ſei, Fürſt oder Un— 
terthan, Staat oder Privatmann, mit Jedem ſchließen, der 
überhaupt rechtsfähig iſt. Und wenn der Vertrag geſchloſ— 
ſen, muß jeder der beiden Theile ihn halten. Ein Vertrag, 
der nicht bindet, iſt kein Vertrag, ſondern ein Spiel oder ein 
Spott. Nur Eine Menſchenklaſſe gab es, die unfähig war, 
Verträge zu ſchließen, nämlich die Sklaven, aus dem ein— 
fachen Grunde, weil ſie von der Jurisprudenz des Heidenthums 
nicht als rechtsfähige Perſonen, ſondern als rechtloſe Sachen 
betrachtet wurden. Mit einem Sklaven kann man keine Verträge 
ſchließen, wohl aber mit jedem Freien — und nie iſt es ſelbſt 
den von ihrer faſt göttlichen Souveränetät doch Sehr eingenom— 
menen Kaiſern von Rom oder Byzanz eingefallen, es könne 
der Kaiſer und der Staat mit ſeinen Unterthanen keine Ver 
träge ſchließen oder er werde durch dieſelben nicht gebunden. 

Allerdings gibt es noch Jemand, mit dem man keine Ver— 
träge ſchließen kann und zu ſchließen braucht: mit ſich ſelbſt 
ſchließt man keine Verträge. Niemand kauft ſich ſelbſt 
ſein Eigenthum ab. Zu einem Vertrag gehören zwei, die ein— 
ander mit ſelbſtſtändigen Rechten gegenüber ſtehen. Ueber 
einen Gegenſtand, über den ich freies Dispoſitionsrecht habe, 
brauche ich allerdings keinen Vertrag erſt zu ſchließen, um über 
dieſe Sache zu verfügen. 

Wenden wir dieſe Grundſätze auf die Kirche an, fo ver— 
ſteht es ſich ſofort von ſelbſt, daß der Staat mit der Kirche 
Verträge ſchließen kann und daß er die geſchloſſenen halten muß, 
unter der ſelbſtverſtändlichen Bedingung, daß auch die Kirche 
ihre vertragsmäßigen Pflichten erfülle. Nur wenn die Kirche ent— 
weder dem Staate gegenüber eine rechtloſe Sflavin oder 
wenn Staat und Kirche identiſch, letztere daher nur 

6 * 


84 


eine Staatsanſtalt wäre, könnte von Verträgen zwifchen 
Staat und Kirche keine Rede ſein. Da aber beides nicht der 
Fall, ſondern Staat und Kirche verſchieden und die Kirche 
dem Staate gegenüber eine ſelbſtſtändige Corporation 
iſt und zu allen Zeiten war, ſo iſt jene ganze concordatsfeind— 
liche Theorie nichts als eine Miſchung von Sophismen und von 
unerträglichen, verabſcheuungswürdigen deſpotiſchen Grundſätzen. 

Das Alles wird noch klarer, wenn wir uns erinnern, was 
Gegenſtand der Verträge zwiſchen Staat und Kirche 
iſt. Gegenſtand der Verträge iſt weder das Recht des Staates 
noch das Recht der Kirche im Allgemeinen und an ſich. Die 
Selbſtſtändigkeit des Staates im politiſchen und 
der Kirche im kirchlichen Gebiete braucht nicht durch 
Vertrag erſt ausbedungen zu werden, ſie iſt vielmehr die 
Vorausſetzung des Vertrages. Gegenſtand der Verträge 
zwiſchen Staat und Kirche ſind daher auch niemals weſent— 
liche und un ver äußerliche Rechte des Staates 
oder der Kirche, ſondern gewiſſe Zugeſtändniſſe, welche 
Staat und Kirche zu ihrem gegenſeitigen Vortheile einander 
machen, gewiſſe Modalitäten, nach welchem ſie ihren ge— 
genſeitigen Verkehr und ihr gegenſeitiges Verhältniß ordnen. 
Das allein genügt, um all das leere Gerede von unveräußer— 
lichen Rechten des Staates, welche durch Verträge mit der 
Kirche verletzt würden, zu widerlegen. Hiebei können wir 
nicht unterlaſſen, zu bemerken, daß kein ſachkundiger und billig 
denkender Mann in Abrede ſtellen kann, daß die Kirche in all 
den Verträgen, welche ſie, namentlich in der neueren Zeit, mit 
dem Staate geſchloſſen, dem letzteren große Zugeſtändniſſe gegen 
verhältnimäßig geringe Gegenleiſtungen gemacht hat. Man be— 
trachte z. B. die Länder der oberrheiniſchen Kirchenpro 
vin z. Hier beſtand die Leiſtung des Staates an die Kirche 
eigentlich in nichts Anderem, als in den ſehr mäßigen Dota 
tionen, welche der Staat den neugegründeten Bisthümern ga— 
rantirte, und ſelbſt die Fixirung dieſer Dotationen durch die Ver— 
träge, welche durch die Erektionsbullen beſiegelt wurden, waren 
für den Staat ein ſehr vortheilhaftes Geſchäft, denn er er— 
ledigte ſich ſo durch eine verhältnißmäßig ſehr geringe Abfin— 
dungsſumme einer ſtrikten Nechtspflicht zur Dotation 
der weſentlichen Anſtalten der katholiſchen Kirche, welche er 
ſowohl nach allgemeinen Rechtsgrundſätzen als nach der aus— 
drücklichen Beſtimmung des Reichsdeputationshauptſchluſſes von 


85 


1803 in der förmlichſten Weiſe übernommen hatte. Dagegen 
hat die Kirche dem Staate in Dingen, in denen derſelbe an 
ſich keine Rechte hat, große Conceſſionen gemacht, z. B. das be 
reits erwähnte Recht von der Candidatenliſte zur Beſetzung der 
Biſchofsſtühle, der Canonikate und Praͤbenden an den Kathedral— 
kirchen nicht genehme Candidaten zu ſtreichen. 

„So ſoll alſo der Staat durch ſolche Verträge mit der Kirche 
ewig gebunden ſein? So ſoll alſo keine den veränderten Zeit— 
umſtänden entſprechende Modification eintreten?“ So höre ich 
einwenden! — Man braucht ſich aber nicht zu ereifern. Un— 
veränderlich ſind nur die ewigen Principien; in dem, was 
Gegenſtand der Verträge zwiſchen Staat und Kirche iſt, können 
ſtets auch Veränderungen eintreten, nur darf es, ſoll Recht 
und Billigkeit nicht verletzt werden, nicht in gewaltth ſä— 
tiger und illoyaler Weiſe geſchehen. Daher meint Ro: 
bert Mohl, deſſen Freiſinnigkeit doch Niemand beſtreiten wird, 
in ſeinem Staatsrecht, die beſte Weiſe, ſolche Veränderungen her— 
beizuführen, ſei immer wieder die des Vertrags. Wir meinen, 
der Vertrag ſei nicht bloß die beſte, ſondern auch inſofern, als 
es ſich um irgend welche Conceſſionen der Kirche an den Staat 
handelt, die einzig zuläßige und rechtmäßige Weiſe. Die Kirche 
iſt nichts weniger als unbeugſam und es iſt — bei Ehrlichkeit 
und gutem Willen, wie bereits geſagt, nicht ſchwer, mit ihr einig 
zu werden. 

Aber wir ſtehen auch keinen Augenblick an, zu erklären, 
daß wenn der Staat ſein Verhältniß zur Kirche nicht auf dem 
Wege des Vertrags, ſondern auf dem der Geſetzgebung regeln 
will, er es thun möge: aber unter Einer ſich von ſelbſt 
verſtehenden Bedingung und Vorausſetzung. 
Er kann dann auch weiter für ſich aus den mit 
der Kirche geſchloſſenen Verträgen keine Rechte 
ableiten, ſondern muß einfach den Grundſatz gegen ſei— 
tiger Selbſtſtändigkeit ausſprechen, wie es die preu- 
ßiſche Verfaſſungsurkunde gethan hat, und der Kirche 
gegenüber ſeine etwaigen Rechtspflichten erfüllen. Nie— 
mand wird und kann es auch dem Staate verwehren, durch Ge— 
ſetze zu erklären, welches ſeine, des Staates, Rechte ſeien — 
allein er muß innerhalb der Grenzen ſeiner Com— 
petenz bleiben und darf ſich nicht anmaßen, über irgend welche 
kirchliche Dinge zu verfügen oder ſich ſelbſt Rechte und Einflüſſe 
in kirchlichen Dingen beizulegen, welche die Kirche zwar dem 


86 


Staate zugeſtehen, welche aber nimmer der Staat ſich, 
ſelbſt nehmen kann. 


Auf dieſen Standpunkt aber hat ſich das neue Religionsge— 
ſetz nicht geſtellt. Weit entfernt, einfach das Princip kirchlicher 
Freiheit und Selbſtſtändigkeit auszuſprechen und auf die 
auf den Verträgen zwiſchen Kirche und Staat beruhenden Rechte 
zu verzichten, hat es die Verträge, wo ſie zu Gunſten der Kirche 
ſprechen, ignorirt, dagegen alle, durch die vertragsmäßige Bulle: 
Ad Dominici gregis eustodiam , ſelbſt durch die angefochtene 
biſchöfliche Convention von Seiten der Kirche dem 
Staate gemachten Zugeſtändniſſe ohne Weiteres geſetz ge— 
berijch dem Staate zugeſprochen und noch neue, in das 
innerſte Weſen und Leben der Kirche eingreifende Rechte 
dazu. 


Zu dieſer Praxis, welche die zweite Kammer geübt hat, gibt 
es, wie geſagt, nur Ein logiſches Fundament, nämlich daß die 
Kirche dem Staate gegenüber rechtlos oder daß ſie lediglich eine 
Staatsanſtalt, daher auch der Biſchof als ſolcher ein 
Staatsbeamter ſei. Dieſe Theorie aber involvirt nichts Ge— 
ringeres, als eine gewaltſame und principielle Vernich— 
tung der katholiſchen Kirche, mithin eine Verfolgung, 
die eben ſo viel juriſtiſche und moraliſche Berechtigung hat, als 
die Verfolgungsedicte der römiſchen Cäſaren und der das Chriſten— 
thum in Frankreich abſchaffende Beſchluß des Conventes. 


2. Das projectirte ucue Utligionsgeſetz urrletzt und leugnet dit 
wohlerworbenen Bedhte der Katholiken und der hatholiſchen 
Kirche. 


Die katholiſche Kirche — Aehnliches gilt von der im Staate 
zu Recht beſtehenden proteſtantiſchen Confeſſion, von der 
wir aber nicht handeln — datirt ihre rechtliche Exiſtenz im 
Großherzogthum Heſſen nicht erſt vom Jahre 1863, auch 
nicht von den neueren Verträgen, wodurch die ſogenannte 
oberrheiniſche Kirchenprovinz geſchaffen wurde. Sie beſteht 
vielmehr, wie in ganz Deutſchland, ſo auch in unſeren Ge— 
genden ſeit un vordenklichen Zeiten im vollen 
Genuſſe aller zur vollſtändigen und unbeſchränk⸗ 
ten öffentlichen Uebung der katholiſchen Religion 
gehörenden Rechte. 5 


87 


Wir Katholiken des Mainzer Bisthums bilden keine erſt 
vor wenigen Jahren neu entſtandene Secte, ſo daß über un— 
ſere Zulaſſung im Staate und über die Bedingung unſerer 
Zulaſſung eine Debatte ſtattfinden könnte. Ehe alle heute 
beſtehenden Staaten Europa's exiſtirten, blühte am Rhein 
die katholiſche Kirche. Die große Glaubensſpaltung des 16. 
Jahrhunderts hat an der öffentlichen Rechtsſtellung der ka— 
tholiſchen Kirche im deutſchen Reiche nichts geändert, als daß 
die lutheriſche und reformirte Religionsgemeinſchaft gleiches Recht 
mit ihr erhalten hat. Im Gegentheil dienten die in Folge 
der Reformation eingetretenen großen Kämpfe dazu die kirch— 
lichen Rechte der Katholiken, wie der Proteſtanten auf das 
Sorgfältigſte gegen jeden Eingriff, ſei es von Seiten einer 
anderen Confeſſion, ſei es von Seiten des Staates feſtzu— 
ſtellen. Darauf beruht der religiöſe Frieden Deutſch— 
lands. Man hat freilich höhniſch bemerkt, der Papſt habe 
ja gegen den Weſtphäliſchen Frieden proteſtirt, darum 
könnten ſich die Katholiken „ohne Ketzerei“ nicht auf den— 
ſelben berufen. Das iſt aber kein Rechtsgrund, ſondern ein, 
zudem längſt verbrauchter Witz. Wenn der Papſt Proteſt 
einlegte gegen die Verletzungen, welche der Weſtphäliſche 
Friede der katholiſchen Kirche zufügte, ſo hat doch dadurch 
die katholiſche Kirche und haben die katholiſchen Biſchöfe und 
die Katholiken Deutſchlands nicht das Recht verloren, jene 
Rechte, die derſelbe der katholiſchen Kirche 
ließ und garantirte, geltend zu machen. Der Weſt— 
phäliſche Friede bat auch die Rechte der deutſchen Nation 
auf's Tiefſte verletzt; ſie hätte allen Grund gehabt, gegen 
die Abtretung eines großen Stückes deutſchen Reichslandes 
an Frankreich und eines noch wichtigeren Stückes von Deutſch— 
land an Schweden und gegen vieles Andere zu proteſtiren. 
Hätte aber die deutſche Nation durch einen ſolchen Proteſt 
Schweden und Frankreich gegenüber das Recht auf das ver— 
wirkt, was jener Friede ihr noch beließ und gewährleiſtete? 

Doch, wir brauchen uns auf ſolche Deductionen auch 
aus dem Grunde gar nicht einzulaſſen: 1) weil der Weſtphä— 
liſche Friede der katholiſchen Kirche die Rechte, die ſie in Deutſch— 
land beſitzt, nicht erſt gegeben, ſondern nur belaſſen und an— 
erkannt hat; weil 2) ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden der 
durch ihn garantirte Rechtszuſtand längſt durch die allge— 
meine Anerkennung und durch eine mehr als zwei— 


88 


hundertjährige Verjährung, ganz abgeſehen von jenem Frie— 
densinſtrument, ſanctionirt iſt. 


An dieſem Rechtszuſtande iſt, was die kirchlichen Rechte 
betrifft, durch die Säculariſation des Jahres 1803 
nicht das Mindeſte geändert worden; vielmehr hat der Reichs— 
deputationshauptſchluß von 1803, welcher die weltlichen Für— 
ſtenthümer und Beſitzungen der deutſchen Biſchöfe und Abteien 
den weltlichen Fürſten zuwies, ausdrücklich den kirchlichen Rechts— 
beſtand aufrecht erhalten. Die deutſchen Biſchöfe haben ihr 
Fürſtenthum verloren, ihre biſchöflichen Rechte aber 
haben ſie ungeſchmälert behalten. 


Die Aufhebung des deutſchen Reiches im 
Jahre 1806 war in Bezug auf dieſen Rechtsbeſtand, wie auf 
alle Rechte, die ſich nicht auf die Reichsverfaſſung als ſolche be— 
ziehen, ohne allen Einfluß. 


Auch der Wiener Friede und die deutſchen Bun— 
desacte hat dieſen Rechtsbeſtand nicht geändert, ſondern 
wiederum garantirt und lediglich das gleiche Recht der Ka: 
tholiken und Proteſtanten, das vorher nur beſchränkt anerkannt 
war, nämlich nach dem faktiſchen Beſtande des ſogenannten 
Normaljahres (1624), allgemein ausgedehnt. 


Wenn die deutſchen Fürſten nach den Territorialverände— 
rungen des Jahres 1814 in ihren Beſitzergreifungspa— 
tenten und wenn die deutſchen Verfaſſungen der 
katholiſchen und proteſtantiſchen Kirche ihre Rechte gewährleiſten, 
ſo haben ſie nichts anderes gemeint und meinen können, als 
dieſen beſtehenden Rechtszuſtand. 


Die Beſchwerden der katholiſchen Kirche und ihrer geſetz— 
lichen Vertreter, der Biſchöfe, gründen ſich gerade darauf, daß 
die Regierungen in einer Periode, wo die Kirche ohne Biſchöfe, 
ſaſt ohne jede andere Repräſentation und ohne rechtlichen Schutz 
war, wie ſie denſelben im deutſchen Reiche und durch die Reichs— 
gerichte beſaß, jenen ihren Rechtsbeſtand durch einſeitige Ver— 
ordnungen vielfach verletzt haben. 


So lange Recht Recht bleibt, und ſo lange die deutſche 
Jurisprudenz nicht ihre oberſten Principien preisgibt, läßt ſich 
von allem bisher Geſagten wohl nicht ein Pünktlein leugnen. 
„Was ſind wohlerworbene Rechte, ſoll nach den Zeitungsbe— 
richten ein rechtsgelehrtes Mitglied der Kammer gefragt haben? 


89 


Habe nicht das jeweilige Zeitbewußtſein zu beſtimmen, worin 
ſie beſtehen?!“ Was wohlerworbene Rechte ſind, antworten wir, 
ſagt jedes juriſtiſche Handbuch. Worin ſie beſtehen, hat nicht 
das Zeitbewußtſein, ſondern die von Zeit, Partei und Mode 
unabhängige Gerechtigkeit nach den gegebenen Rechtstiteln zu 
beſtimmen. 

Wenn aber Jemand meinen ſollte, der geſetzgeben— 
den Gewalt gegenüber gebe es keine wohlerworbenen 
Rechte, ſo kann ich darauf nur erwidern, daß es meines 
Wiſſens eine von jeher unbeſtrittene und ausgemachte juriſtiſche 
Wahrheit iſt, daß die Geſetzgebung wohlerworbene Rechte reipec: 
tiren muß; und wenn ſie es nicht thut, dann verletzt ſie eben 
dieſe Rechte, begeht eine Ungerechtigkeit und ſanctionirt eine 
Gewaltthat. 

Daß aber „das Zeitbewußtſein“ zu beſtimmen habe, was 
und was nicht ein wohlerworbenes Recht ſei, iſt nicht bloß eine 
falſche, ſondern auch, wie Niemand ſich verbergen kann, eine über 
die Maßen gefährliche Lehre. Wenn dieſer Grundſatz einmal aner— 
kannt wäre, wer wollte dann z. B. etwas dagegen einwenden, wenn 
eines Tages eine aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorgegangene 
Kammermajorität, deren Zeitbewußtſein communiſtiſch iſt, die 
Einziehung und Aufhebung ſämmtlichen Privateigenthums ver— 
fügen würde? — Oder meint man etwa, es ſei eine größere 
Unmöglichkeit oder ein größeres Unrecht, wenn nach 
zehn Jahren eines weiteren Fortſchrittes eine Kammermajori— 
tät eine gänzliche oder theilweiſe, directe oder indirecte Einzie— 
hung des Privatvermögens verfügt, als daß heute eine Kam— 
mermajorität die tauſendjährige Freiheit und Selbſt— 
ſtändigkeit der katholiſchen Kirche in dem Sprengel 
des heiligen Bonifacius und des heiligen Willigis con— 
fiscirt? 

Worin das neue Religionsgeſetz die wohlerworbenen Rechte 
der katholiſchen Kirche beſonders verletzt, werden wir unten im 
Einzelnen betrachten. Hier wollten wir nur den allgemeinen 
Grundſatz erörtern. 


3. Das neut Ekligionsgeletz überſchreitet die Competenz der 
Staatsgeſetzgebung und beſtimmt über Dinge non rein 
religiöler und kirchlicher Natur. 


Daß das neue Religionsgeſetz über eine Reihe rein kirch— 
licher und religiöſer Gegenſtände Beſtimmungen 


90 


trifft, werden wir unten im Einzelnen betrachten. Es gibt 
z. B. kaum irgend Etwas, was ſo abſolut und rein geiſt— 
licher Natur wäre, als die Erziehung der Geiſtlichen, das klö— 
ſterliche Leben und die Ordensgelübde. 

In religiöſen und kirchlichen Dingen hat aber der 
Staat und ſeine Geſetzgebung abſolut keine Gewalt und es 
ſind daher auch Geſetze über Dinge, welche nicht zur Compe— 
tenz des Staates gehören, ungiltig und ohne jede verbin— 
dende Kraft; gerade ſo, wie Geſetze, welche die Kirche über 
bürgerliche und politiſche Gegenſtände erließe, reine Uebergriffe 
und abſolut ungiltig und unverbindlich wären: denn die erſte 
Bedingung zur Giltigkeit eines Actes, ſei es der Geſetzgebung, 
ſei es der Gerichtsbarkeit, iſt die Competenz deſſen, der 
den Act vornimmt. 

Ich weiß wohl, daß nicht bloß in den Kreiſen bureau— 
kratiſcher Abſolutiſten, ſondern auch in den Kreiſen Derer, 
welche ſich für entſchiedene Anhänger der Freiheit nicht bloß 
ausgeben, ſondern auch aufrichtig dafür halten, die fal— 
ſchen und ſervilen Begriffe des Staatsabſolutismus ſo tief ge— 
wurzelt ſind, daß ſie vielleicht über dieſe unſere Behauptung 
Zeter rufen, als über eine „revolutionäre Lehre.“ Nichtsdeſto— 
weniger bleiben wir dabei, daß z. B. ein von der Staatsgeſetz— 
gebung erlaſſenes Verbot der Ordensgelübde gerade jo viel 
Werth und Giltigkeit hat, als wenn heute die Kirche den Un— 
terthanen verböte, die ſchuldigen Landesſteuern zu zahlen — 
und dabei wird es, trotz aller Einwände, ſein Bewenden haben: 
denn die Wahrheit und die Natur der Dinge iſt ſtärker als 
Alles. 

Wohl kenne ich jene in den neueren Zeiten von Schrift— 
ſtellern und Profeſſoren des Staatsabſolutismus erfundenen 
Sophismen, wodurch es leicht iſt, Alles, was man will, zumal 
alles katholiſch Kirchliche zu einer der Zuſtändigkeit der Staatsge— 
ſetzbung und Staatspolizei unterworfenen, zu einer ſogenannten 
gemiſchten Sache zu ſtempeln. 

Man ſollte es nicht für möglich halten, wenn es nicht lei— 
der ſeine Wirklichkeit nur allzu fühlbar machte, was in dieſer 
Beziehung der Staatsabſolutismus geleiſtet hat. 

Nach einer dieſer ſublimen Lehren ſoll Alles der Gewalt 
des Staates unterworfen ſein, was immer ſichtbar iſt, was 
in's äußere wirkliche Leben tritt — und der Kirche nur 
das verborgene Reich der bloßen Gedanken und Gefühle 


21 


und das Innere des Gewiſſens angehören. So wie 
aber unſere religiöſen Gedanken und Gefühle, ſo wie die Ue— 
berzeugungen unſeres Gewiſſens zu Thaten werden, in's 
Leben treten, ſich äußerlich verwirklichen, ſo ſollen ſie damit 
eo ipso unter die Gewalt des Staates fallen. 

Und man meint, bei ſolcher Lehre könne noch von einer 
religiöſen Freiheit und von irgend einer Freiheit dem Staate 
gegenüber die Rede ſein! Nein, wahrhaftig, die religiöſe Frei— 
heit beſteht nicht darin, daß ich in religiöſer Beziehung in 
meinem Herzen glauben, denken, fühlen und wollen kann, 
wie ich will — die Gedanken ſind glücklicherweiſe von Natur 
zollfrei — ſondern gerade darin beſteht die religiöſe Freiheit, 
daß ich nach dem Glauben meines Herzens reden, leben und 
handeln kann, wie ich will und daß Niemand, keine Privat— 
und keine öffentliche Gewalt, mich daran hindern darf, ſo lange 
ich nicht in die Rechte und in die gleiche Freiheit 
eines Anderen eingreife und alle meine rechtlich begründe— 
ten Pflichten den Einzelnen und dem Staate gegenüber er— 
fülle. „Die Kirche iſt nicht von dieſer Welt,“ dieſes Wort 
Chriſti hat nicht den Sinn, den ihm die Sophiſten des Staats— 
abſolutismus unterſchieben — als ob ſie nicht in der Welt 
wäre und bloß in unſichtbaren Gedanken und Gefühlen, nicht 
aber in der That, in äußerer Wirklichkeit leben ſollte, ſondern 
es heißt, daß nicht weltliche Angelegenheiten, ſon— 
dern die Angelegenheiten der Religion der eigenthüm— 
liche Gegenſtand ihrer Wirkſamkeit ſind. 

Ein anderes Axiom jener ſtaatsabſolutiſtiſchen Sophiſtik 
lautet: „Woran der Staat ein Intereſſe hat, dar: 
über hat er auch zu verfügen das Recht.“ Ob er aber 
ein ſolches Intereſſe habe, das beſtimmt natürlich der Staat 
ſelbſt. Man ſagt z. B., der Staat habe ein Intereſſe, daß 
die Theologen auf Staatsuniverſitäten ſtudiren — alſo ſchreibt 
er es vor; er habe ein Intereſſe, daß keine Klöſter beſtehen, 
alſo verbietet er ſie! — und man ſieht nicht ein, daß ſolche 
Grundſätze die Kirche und alles geiſtige Leben der ab— 
ſoluten Willkühr des Staates unterwerfen, das Weſen des 
Rechtsſtaates und der Freiheit aber im Kerne zerſtören. 

Wo es ſich um Recht und Freiheit handelt, hat das 
bloße Intereſſe zu ſchweigen. Weder der Staat noch ein Pri— 
vater kann von mir etwas fordern oder mir etwas verbieten, 
bloß deßhalb, weil er daran ein Intereſſe hat, ſondern es 


92 


fragt ſich lediglich, ob ihm hiezu das Recht zuſtehe. Aber auch 
jenes angebliche „Staatsintereſſe“, das man ſchon ſeit den 
Zeiten Machiavell's als Grund benützt hat, um nicht bloß 
die religiöſe, ſondern jegliche Freiheit zu erdrücken, iſt nichts als 
Wahn und Trug. Denn der Staat hat kein höheres In— 
tereſſe, als das Recht und die auf der Baſis des 
Rechtes beruhende Freiheit. Das iſt ſeine hoͤchſte Aufgabe, 
das iſt ſein höchſtes Wohl. Kurzſichtige Eitelkeit iſt jedes an— 
dere Staatsintereſſe, das über dieſes höchſte und weſentlichſte ſich 
erhebt. Nichts iſt dem Staate verderblicher, als die Vor— 
ſehung über Alles zu ſpielen: Revolution, Bankerott, Despo— 
tismus in beſtändigem Kreislauf find die ſichere Frucht da: 
von. Was wiſſen denn die Herren in den Miniſterien, wie in 
den Kammern, was Alles dem wahren Intereſſe der menſchlichen 
Geſellſchaft und der ganzen Zukunft förderlich oder nachtheilig 
iſt? Können ſie uns zumuthen, daß wir darüber mit ihnen einerlei 
Meinung ſeien und daß die Menſchheit von irgend einer Staats— 
geſetzgebung die Wege ihrer Geſchicke und ihre Zukunft, ja — 
da wo es ſich um Religion handelt, ihre ewigen Intereſſen 
ſolle beſtimmen laſſen? Dis aber können wir Alle wiſſen und 
darin ſollten wir Alle einig ſein, daß ſtrenges Recht und 
volle Freiheit innerhalb der Schranken dieſes Rech— 
tes uns Allen frommt und die Bedingung alles 
wahren Wohles und alles geſunden geiſtigen und 
ſittlichen Lebens iſt. 


4. Das neut Beligionsgefeb verletzt die Bechtsgleichheit oder 
die Parität zwiſchen den verſchiedenen Religionen zum Uach— 
theil der Katholiken auf's Schwerſte. 


Volle und vorbehaltsloſe Freiheit und Selbſtſtändigkeit ge— 
währt das Geſetz nur den Secten; der evangeliſchen und der 
katholiſchen Kirche gewährt es nur die „Freiheit mit Vorbehalt“ 
und wir werden ſehen, wie eng dieſe Freiheit und wie weit dieſer 
Vorbehalt iſt. 

Aber auch der evangeliſchen Kirche iſt die katholiſche Kirche 
in dieſer Freiheit mit Vorbehalt nur ſcheinbar gleichgeſetzt, in der 
Wahrheit und Wirklichkeit laſtet faſt der ganze Vorbehalt auf 
der katholiſchen Kirche, während er die evangeliſche gar wenig be— 
rührt. 

Beide Punkte müſſen wir näher in's Auge faſſen — und 
wir wollen es thun, ohne den Gefühlen Worte zu geben, welche 


93 


das Unrecht und die Schmach, welche in ſolcher Behandlung für 
die katholiſche Kirche liegt, in jedem Katholiken hervorrufen muß. 


a. Die unbedingte Sectenfreiheit. 


Der Regierungsentwurf hatte jenen großen chriſtlichen Confeſ— 
ſionen, welche ſeit Jahrhunderten im vollen Beſitze ihrer kirch— 
lichen Selbſtſtän digkeit ſind, denen die unendliche Mehrzahl der 
Bewohner des Staates angehört, die mit der ganzen geſchicht— 
lichen Vergangenheit eng verwoben ſind, welche dem Staate 
gegenüber Anſpruch machen können, daß er ſie achte, welche for— 
dern können, daß ihre Verträglichkeit mit den Rechten und dem 
Wohle des Staates nicht bezweifelt werde, einen Vorzug vor 
den jeden Tag neu entſtehenden Secten eingeräumt. Der evan— 
geliſchen und der katholiſchen Kirche hat demgemäß der Regierungs- 
entwurf §. 1. das Recht öffentlicher Corporationen mit dem Rechte 
öffentlicher Gottesverehrung gewährleiſtet und bezüglich ihrer 
$. 4. das Princip der freien und ſelbſtſtändigen Ordnung und 
Verwaltung ihrer Angelegenheiten anerkannt), die Befugniſſe 
der anderen und mithin auch der neu ſich bildenden Religions- 
geſellſchaften dagegen von den beſonderen Staatsverwilligungen 
abhängig gemacht, dabei jedoch die Bildung neuer Religionsgeſell— 
ſchaften geſtattet. 

Die zweite Kammer hat dieſe Grundſätze des Regierungs— 
entwurfes, deren Berechtigung und Haltbarkeit wir hier nicht er— 
örtern wollen, ſo ziemlich umgekehrt. Sie hat allen Secten 
ohne Unterſchied, wie uns wenigſtens ſcheint, im Weſent— 
lichen alle Rechte der katholiſchen und der evangeliſchen Kirche 
und außerdem eine volle und unbeſchränkte Freiheit 
gewährt, die evangeliſche und insbeſondere die katholiſche Kirche 
aber unter derartige Vorbehalte und Ausnahmsgeſetze 
geſtellt, daß von der ſel bſtſtändigen und freien Verwaltung ihrer 
Angelegenheiten nicht gar viel übrig bleibt. 


Was nämlich die von der zweiten Kammer den Secten 
gewährten Rechte betrifft, ſo vermögen wir einen praktiſchen 
und realen Unterſchied zwiſchen ihnen und den der katholiſchen 
und evangeliſchen Kirche gewährten Rechten nicht zu entdecken. 


1) Freilich hat auch der Regierungsentwurf dieſes Princip in einigen 
Punkten in der Durchführung verletzt. Davon ſpäter. 


94 


Letzteren garantirt Artikel 1. das Recht öffentlicher 
Gottesverehrung; daſſelbe Recht garantirt Art. 2. allen 
übrigen bereits beſtehenden oder neu ſich bildenden Religionsge— 
meinſchaften. Die katholiſche und evangeliſche Kirche find Art. 1. 
als öffentliche Corporationen anerkannt; nach Art. 2. 
ſollen den übrigen Religionsgenoſſenſchaften, beſtehenden wie neu 
ſich bildenden, Corporationsrechte verliehen werden. Ob 
in dieſer Beziehung ein Unterſchied zwiſchen religiöſen Corpora— 
tionen mit dem Rechte des öffentlichen Cultus, und öffentlichen 
religiöſen Corporationen mit dem Rechte des öffentlichen Cultus 
beſteht, ob ein ſolcher Unterſchied und mit irgend welchen prak— 
tiſch wichtigen Folgen aufrecht zu erhalten iſt, ver— 
mögen wir nicht klar einzuſehen. Allerdings ſind die oberſten 
Vertreter der katholiſchen und evangeliſchen Kirche nach der Ver— 
faſſung Mitglieder der erſten Kammer und kann man vor der 
Hand noch einige Vortheile, welche die katholiſchen und prote— 
ſtantiſchen Kirchenbehörden in ihren officiellen Beziehungen zu 
den Staatsbehörden genießen, die ihnen noch zur Zeit nicht von 
der Kammer entzogen worden ſind, anführen; aber wir können 
einestheils darin weder große Vortheile erblicken, noch können 
wir anderntheils die Conſequenz des neuen Geſetzes uns ver— 
bergen, welche nothwendig zu einer vollkommenen Gleichſtellung 
der neuen Religionsgeſellſchaften mit der katholiſchen und evan— 
geliſchen Kirche führt. 

Aber wenn auch noch zur Zeit letztere einige officielle Vor— 
züge genießen, ſo beſitzen dagegen die neuen Secten dafür den 
höchſt realen, unermeßlichen Vorzug der vollkommenſten 
Freiheit. Denn alle jene Vorbehalte und Ausnahmgeſetze, 
welche auf der katholiſchen Kirche laſten, treffen der Natur der 
Sache nach die Secten in keiner Weiſe. Ja der Art. 3. hat 
mit großer Umſicht Fürſorge getroffen, daß keine territoriale 
Engherzigkeit und keine polizeiliche Beſchränkung der freieſten und 
gedeihlichſten Entwickelung neuer Secten ſich in den Weg ſtelle, 
indem nicht bloß den In ländern, ſondern auch den 
nur vorübergehend im Großherzogthum ſich 
aufhaltenden Ausländern die ungehinderte Mitthei— 
lung ihres religiöſen Glaubens gewährleiſtet iſt. Hiermit iſt 
allen nicht bloß inländiſchen, ſondern auch ausländiſchen Reli— 
gionsſtiftern und Sectenpredigern das Recht zugeſprochen, unter 
dem Schutze des Staates zu predigen und Anhänger für ihre 
Lehren zu gewinnen. 


95 


Es wird allerdings bezüglich der neu ſich bildenden Religionsge— 
ſellſchaften die Beſchränkung hinzugefügt, daß „ihre Verfaſſung und 
ihr Bekenntniß den Staatsgeſetzen und der Sittlichkeit nicht wi— 
derſprechen und nicht zum Vorwande dienen dürfe, Andere in 
ihren politiſchen und bürgerlichen oder religiöſen Rechten zu be— 
einträchtigen.“ (Art. 3.) — Allein wir können es nur als eine 
Illuſion anſehen, wenn man darin eine praktiſch wirkliche Schranke 
für die Wirkſamkeit der Secten oder irgend eines Sectenſtifters 
findet. 

Denn was die Staatsgeſetze betrifft, wie konnten ihm 
die im Wege ſtehen, wenn er ſich nur hütet, nicht gerade zur 
Uebertretung der Criminalgeſetze aufzufordern? Insbeſondere das 
neue Religionsgeſetz wird er zu übertreten nie in der Lage 
ſein oder in Verſuchung kommen: er müßte denn gar katho— 
liſch und Kapuziner werden. Was aber die andere Clauſel 
wegen der Sittlichkeit betrifft, ſo wüßten wir nicht, wie 
der Staat nach den dem neuen Religionsgeſetz zu Grunde liegen— 
den Principien den Schutz für die Sittlichkeit weiter ausdehnen 
könnte, als darauf, daß die Sectenprediger eben nicht förmlich 
zu Handlungen auffordern dürfen, welche von den Strafgeſetzen 
verboten ſind. Denn alle höheren Fragen der Sitt— 
lichkeit, insbeſondere die Frage nach dem Grunde aller 
ſittlichen Verpflichtung iſt ganz und gar von den religiöſen 
Grundanſchauungen eines Menſchen abhängig. Wir altfränkiſchen 
Gläubigen — ſeien wir nun katholiſch oder proteſtantiſch oder 
iſraelitiſch — ſind z. B. der Ueberzeugung, daß, wer immer den 
perſönlichen Gott, den höchſten Geſetzgeber und Richter, wer die 
Geiſtigkeit und Unſterblichkeit der Seele, den freien Willen, 
die darauf beruhende ſittliche Verantwortlichkeit, die ewige Be— 
ſtimmung des Menſchen und die göttliche Vergeltung leugnet, 
alle Fundamente der Sittlichkeit zerſtöre — allein der mo— 
dernſte religiöſe Fortſchritt iſt ganz anderer Anſicht; er 
meint z. B., daß die Annahme des Materialismus, wonach 
es kein höheres Weſen gibt, als die materielle Natur, und 
der Menſch kein anderes perſönliches Daſein hat, als das 
irdiſche Leben, und keinen andern letzten Zweck, als den Ge— 
nuß des irdiſchen Daſeins, ſich mit der Sittlichkeit, ja mit 
Religioſität auf's Beſte vertrage — und die neueften Secten 
der Deutſchkatholiken und Freigemeindler nehmen nicht den 
mindeſten Anſtand, dieſe Lebensanſicht, wenigſtens als eine 
freie Meinung, in ihrem Schooße zu dulden. Daß aber der 


96 


* 


Art. 3. ſolche und noch conſequentere Lehren des fortgeſchrittenen 
Menſchengeiſtes nicht unter die ſtaatsgefährlichen und immorali— 
ſchen Lehren rechnet — darüber wird wohl kein Zweifel be— 
ſtehen und die Herren, die dieſen Artikel gemacht haben, werden 
keinen Anſtand nehmen, dieſes durch ihre authentiſche Interpre— 
tation zu beſtätigen. Oder werden ſie wohl ſo ſchroff dem Zeit— 
geiſte widerſprechen, den Materialismus und Atheismus als 
ſtaatsgefährlich und immoraliſch zu bezeichnen! — Ei, dann wären 
ja der gefeierte Büchner, Vogt und Moleſchott ſtaats— 
und ſittengefährlich! — Dann wären, da der aufrichtige Pan— 
theismus ſo ziemlich auf daſſelbe Reſultat wie der Materialismus 
hinausläuft, am Ende gar Hegel und Schoppenhauer 
vom Art. 3. verpönt. Ueberhaupt iſt es, wenn nichts Poſitives 
mehr feſtſteht, mit der Moral eine eigene Sache. Was iſt 
moraliſch, was immoraliſch — das iſt die Frage? Man wird 
doch wahrlich nicht Schon deßhalb etwas für immoraliſch erklären, 
weil es die alte Moral des Chriſtenthums dafür anfieht! — 
Oder ſoll es vielleicht in der Moral keinen Fortſchritt geben? 
Und wer entſcheidet, was moraliſch und immoraliſch iſt? Wir 
wiſſen, wie geſagt, keinen andern Ausweg, als daß eben nur das 
Staatsgeſetz beſtimmt, was als moraliſch oder nicht moraliſch 
gelten ſoll. Das Staatsgeſetz aber muß hierin wie in Allem 
der Ausdruck des jeweiligen Zeitgeiſtes auf dem Höhepunkt ſeines 
Fortſchrittes ſein! 

Auch die Beſchränkung, es dürften die neuen Religionen nicht 
zum Vorwande dienen, Andere in ihren politiſchen, bürgerlichen 
und religiöſen Rechten zu beeinträchtigen, ſcheint uns gegen dieſe 
ſchrankenloſe Freiheit der neuen Secten nur einen ſehr geringen 
wirklichen Schutz zu verleihen. Wenn wir ſehen, in welcher 
Weiſe bereits gegenwärtig, wo der Staat feinen chriſtlichen Cha— 
racter noch feſthält, alle Inſtitutionen und Perſönlichkeiten der 
katholiſchen Kirche durch die dem ſogenannten religiöſen Fortſchritt 
dienende Preſſe mit Schmach und Hohn überhäuft werden, ſo 
mögen wir daraus abnehmen, welchen realen Schutz wir für un— 
ſeren religiöſen Frieden und unſere religiöſe Ehre unter der Herr— 
ſchaft eines Religionsgeſetzes zu erwarten haben, das dieſe Sec— 
ten ſo unzweideutig unter ſeinen Schutz nimmt, dagegen die ka— 
tholiſche Kirche mit einer Ungunſt und einem Mißtrauen behan— 
delt, welche zu deren Verfolgung nur ermuthigen kann. 

Hiernach ſteht es feſt: das neue Religionsgeſetz gewährt in Heſſen 
den Secten unumſchränkte Freiheit, wie ſie nur in Nordamerika beſteht. 


97 


Ob nun die Prinzipien des Rechtes und der Freiheit den 
Staat verpflichten, allen, auch jetzt noch gar nicht vorhandenen 
Secten von vornherein eine ſolche unbeſchränkte Freiheit 
zu geſtatten, oder ob er vielmehr das Recht habe, die chriſtlichen 
Bewohner des Landes gegen ein überwucherndes Sectenweſen 
irgend wie ſicher zu ſtellen, und ob die wahre Staatsweisheit zu 
jener ſchrankenloſen Freiheit oder zu einer ſolchen Beſchränkung 
rathe, wollen wir nicht unterſuchen !). 

Wohl aber müſſen wir einen Blick auf die nothwendigen Fol 
gen dieſer unbeſchränkten Freiheit der Sectenbildung werfen. 
Dieſe Folgen haben wir in Nordamerika und theilweiſe in Eng— 
land vor uns; ſie werden auch bei uns mit Naturnothwendig— 
keit eintreten. Kein Polyp des Meeres treibt ſo raſch ſeine 
Sproſſen und vervielfältigt ſo unerſchöpflich ſeine Generationen, 
als das Sectenweſen. Gelangte alſo das neue Geſetz zur Gel— 
tung, ſo würden zweifelsohne unſere Gegenden je länger um ſo 
mehr ein fruchtbarer Boden für die mannigfaltigiten Secten wer: 
den. Welche Folgen das für die evangeliſche Kirche haben 
wird, laſſen wir dahin geſtellt. Für Religion, Sittlich— 
keit und Chriſtenthum im Allgemeinen wird jedenfalls 
das ſich entwickelnde Sectenweſen von den nachtheiligſten 
Folgen ſein. Denn wie heute die Dinge ſtehen, werden die 
fortan ſich bildenden Secten immer entſchiedener einen unchriſt— 
lichen, ungläubigen, ja antichriſtlichen Charakter 
annehmen und mit einer inneren Nothwendigkeit immer weiter in 
der Negation fortſchreiten. Darauf angewieſen, ihre An— 
hänger unter dem bisher chriſtlichen Volke zu gewinnen, wer— 
den ſie einen furchtbaren Proſelytismus der Zerſtörung treiben 
und wie ein zerſetzendes Gift im Volke wirken. Ohnehin iſt das 
Volk merkwürdig conſequent. Wenn ihm einmal ſein chriſt— 
licher Glaube, dieſes bisher un anfechtbare Fundament 
all ſeiner Ueberzeugungen, Pflichten und Hoffnun— 
gen, zerſtört iſt, wird es den extremſten Lehren zugänglich 
und nichts ihm mehr heilig ſein. Wenn es nun wahr iſt, 
was ſeit Platon die größten und weiſeſten Männer wiederholt 


1) Die angeſehenſten Autoren des Staatsrechtes und der Politik ſind 
wenigſtens entſchieden gegen die abſolute Sectenfreiheit, wie gegen die ab— 
ſolute Trennung von Staat und Kirche. Vergl. Dahlmann, Politik. 
§. 292. u. 294. Bluntſchli, Allg. Staatsrecht. Bd. IX. K. 4. Ahrens, 
Organ. Staatsrechtslehre. Bei. Thl. K. 1. S. 4. Walter, Naturrecht u. 
Politik im Lichte der Gegenwart. $. 497. u. 498. Mohl, Politik. S. 202. 

Heinrich, Der Kampf der Kirche. 1 


98 


haben, daß der, welcher die Religion zerſtört, die Grundlage 
des Staates zertrümmert, ſo kann ein entchriſtlichendes Secten- 
weſen auch für den Staat und die Geſellſchaft nur verderblich 
wirken. 

Was die katholiſche Kirche betrifft, ſo kann ſie inmitten 
ſolcher Zuſtände nicht bloß beſtehen, ſondern auch wachſen und 
aufblühen, wie das auch Nordamerika beweiſt, wo gerade 
der Contraſt des troſtloſen Sectenweſens und der in Folge davon 
furchtbar überhand nehmenden Entchriſtlichung!') der katholiſchen 
Kirche viele Siege und noch herrlichere Hoffnungen verſchafft. 

Allein immerhin wird die katholiſche Kirche und werden alle 
gläubigen Katholiken zunächſt den Secten gegenüber ſchwere 
Kämpfe zu beſtehen haben. Das katholiſche Volk, das von 
Väter⸗Zeiten her gewohnt war, im ruhigen Beſitze ſeines Glau— 
bens, der die Leuchte und die Freude ſeiner irdiſchen Wander— 
ſchaft war, unbefangen und friedlich zu leben, wird ſich jetzt 
immer mehr den Zudringlichkeiten, Verführungen und Quä— 
lereien eines ſtets unruhigen Sectengeiſtes ausgeſetzt ſehen. Je 
größer der Gegenſatz zwiſchen der katholiſchen Religion und den 
neuen Lehren iſt, um ſo mehr wird Alles, was den Katholiken 
heilig und ehrwürdig iſt, ein Gegenſtand der wahnwitzigſten Miß— 
verſtändniſſe, des beißendſten Spottes und der bitterſten Be— 
feindung ſein. Proben und Anfänge davon können wir jetzt 
ſchon wahrnehmen, die auf's Frappanteſte an jene unſinnigen 
Verleumdungen erinnern, die in den erſten chriſtlichen Jahrhun— 
derten unter dem heidniſchen Pöbel gegen die Chriſten im 
Schwange gingen. 

Aber nichts deſto weniger fürchtet die katholiſche Kirche dieſe 
Kämpfe nicht; ja ſie zieht dieſen Zuſtand des Kampfes einem fal— 
ſchen Frieden vor, den ſie mit Knechtſchaft erkaufen müßte. Aber 
Eines muß fie wenigſtens fordern, nämlich die gleiche Frei— 
heit. Wenn die Secten alle ihre Mittel zur Zer— 
ſtörung des katholiſchen Glaubens entfalten dür— 
fen, ſo muß auch die Kirche die Freiheit haben, ihre 
Mittel und Kräfte frei zu entfalten zum Schutze die— 
ſes Glaubens. 

Gerade darin aber beſteht die mit Worten gar nicht aus— 
zudrückende Ungerechtigkeit und Feindſeligkeit des neuen Ge— 


1) Sie iſt bekanntlich ſo groß, daß mindeſtens ein Drittel der Bevölke⸗ 
rung Nordamerika's nicht einmal getauft iſt. 


99 


ſetzes, daß er den Secten und jeder Art des Unglaubens 
volle Freiheit geſtattet, die katholiſche Kirche aber möglichſt in 
Feſſeln ſchlägt. Darum erſcheint auch das Geſetz keineswegs 
als ein im Intereſſe der Freiheit, ſondern weit mehr als ein im 
Intereſſe „der freien Gemeinden“ erlaſſenes Geſetz. Jene Rich— 
tungen, die ſich ſelbſt als den religiöſen Fortſchritt (wenn auch 
mit großem Unrecht) bezeichnen, werden in jeder Weiſe begün— 
ſtigt, die katholiſche Kirche aber (und der gläubige Proteſtantis— 
mus iſt in ähnlicher Lage) wird nicht nur möglichſt gebunden 
ihren Gegnern gegenüber geſtellt, ſondern es hat auch das Geſetz, 
wie wir noch ſehen werden, dem Feinde die Breſche in das 
Innere der katholiſchen Kirche ſelbſt eröffnet. 


b. Die Parität zwiſchen Katholiken und Proteſtanten. 


Es ſcheint zwar, als ob das Geſetz — und das Folgende gilt 
auch theilweiſe von dem Regierungsentwurf — die evangeliſche 
und katholiſche Kirche einander vollkommen gleichſtelle; allein 
dieſe Gleichheit beſteht offenbar nur in der Form und iſt deß— 
halb zum Theil ein Schein: denn in der praktiſchen Wirk— 
lichkeit treffen fait alle vom Geſetz aufgeſtellten Vorbehalte und 
Ausnahmsbeſtimmungen vermöge ihres Gegenſtandes nicht die 
proteſtantiſche, ſondern einzig die katholiſche Kirche. 

Das Geſetz verbietet die Orden; der Proteſtantismus hat 
keine Orden, denn ſchwerlich wird man die Diakoniſſen unter 
dieſe Kategorie rechnen — und wenn der Proteſtant nur ſein con— 
feſſionelles Intereſſe und nicht die Prinzipien der Gerechtigkeit 
und Freiheit beachten will, kann er ſich über dieſes Verbot nur 
freuen. 

Das Geſetz beſchränkt die Erziehung der Geiſtlichen 
in Seminarien; der Proteſtantismus hat keine derartigen 
Seminarien, und es fällt ihm nicht ein, feine Theologen ander: 
wärts als an der Landesuniverſität zu bilden. 

Dieſe Landesuniverſität, in einer ganz proteſtantiſchen 
Stadt, in einer ſpezifiſch proteſtantiſchen Atmoſphäre, hat nach 
ihrer Geſchichte und der großen Majorität ihrer Docenten und 
ihrer Studenten einen überwiegend proteſtantiſchen 
Charakter; das Alles macht die Univerſität Gießen für die 
Erziehung proteſtantiſcher Theologen ebenſo geeignet, als unge— 
eignet für die Erziehung katholiſcher Geiſtlichen. 

Ja Alles, was das Geſetz im Sinne des Staatskirchenthums 
und des Territorialismus enthält, iſt gerade ſo erträglich für 

7 * 


100 


den Proteſtantismus, als es belaſtend und unerträglich für 
den Katholicismus iſt. Die proteſtantiſche Kirche iſt ihrer 
eigenen Verfaſſung nach Landeskirche; was kümmern 
daher ſie die Geſetze über den Verkehr mit kirchlichen Oberen, 
die nicht im Lande wohnen? Iſt die proteſtantiſche Kirche vom 
Staate abhängig, ſo iſt dieſer Staat nach Geſchichte, Oberhaupt 
und der überwiegenden Majorität ſeiner Bewohner und ſeiner 
Beamten vorherrſchend proteſtantiſch; und iſt die proteſtan— 
tiſche Kirche vom Staate abhängig, ſo iſt dieſer ſelbſt, und um 
ſo mehr, je mehr kirchliche Rechte er beſitzt, abhängig vom 
Proteſtantismus ). 

Daraus erklärt ſich auch die merkwürdige Thatſache, daß, 
einige doppelt ehrenvolle Ausnahmen abgerechnet, ſämmtliche 
Proteſtanten, darunter auch ſolche, welche den po— 
litiſchen und den religiöſen Standpunkt der Kam— 
mermajorität nicht theilen, ſo unbedenklich und tapfer 
alle die kirchliche Freiheit der Katholiken beeinträchtigenden Be— 
ſtimmungen mit votirt haben, ohne daß ſie glaubten, dadurch 
den Rechten und Intereſſen ihrer Confeſſion, für die ſie im Ge— 
gentheil entſchieden auftraten, auch nur das Mindeſte zu ver— 
geben. So faßt es denn auch das geſunde Bewußtſein des 
Volkes; das neue Geſetz erſcheint in ſeinen Augen als ein Ge— 
ſetz lediglich gegen die katholiſche Kirche. 

Hier müſſen wir noch eine ſonderbare Anſicht von Parität 
berühren, welcher wir, ſo abſurd ſie iſt, nicht ſelten begegnen. 
In der Wahrheit beſteht die Parität oder Rechtsgleichheit zwi— 
ſchen Katholiken und Proteſtanten darin: daß 1) jede Confeſ— 
ſion frei und ungehemmt nach ihren eigenen Grund— 
ſätzen leben und ſich bethätigen kann; daß 2) in allen 
bürgerlichen und politiſchen Beziehungen Katholiken 


1) Hier können wir eine factiſche Bemerkung nicht umgehen. Seitdem 
die Gerechtigkeit und das Wohlwollen unſerer Regierung die Feſſeln der 
katholiſchen Kirche ein wenig gelockert hat, hört das Geſchrei nicht auf, 
daß die Katholiken, daß der Biſchof von Mainz ungebührlichen Einfluß 
auf die Regierung ausüben; daß die Katholiken begünſtigt, die Proteſtan— 
ten benachtheiligt würden. Es ſcheint, daß die Leute, die dieſes Geſchrei 
erheben, die Anſicht haben, daß die Rechte des Proteſtantismus verletzt 
werden, wenn die Katholiken nicht als eine inferiore und minder berech— 
tigte Menſchenklaſſe im Staat behandelt ſind: denn was die Begünſtigung 
der Katholiken betrifft, ſo könnte man ein Buch mit Thatſachen füllen, 
welche das Gegentheil beweiſen. 


101 


und Proteſtanten gleichmäßig nach den Grundſätzen der justi— 
tia distributiva behandelt werden. 

Statt deſſen hat man die Gleichheit zwiſchen den Confeſſio— 
nen nicht ſelten ſo verſtanden, daß die katholiſche Kirche in 
ihrer Verfaſſung und in ihrem inneren Leben der Gleichheit 
zu lieb ſich nach der proteſtantiſchen Confeſſion richten müſſe. 
Alſo z. B. die Proteſtanten haben keine Klöſter, ſo dürfen 
auch die Katholiken keine haben u. ſ. w. Man ſieht nicht ein, 
daß Solches keine Parität, ſondern Proteſtantiſirung der 
katholiſchen Kirche iſt; und daß man mit demſelben Rechte 
folgern könnte: der Proteſtantismus hat keine Biſchöfe, alſo 
ſoll auch die katholiſche Kirche keine haben; die proteſtantiſche 
Kirche hat den Landesherrn zum Oberhaupte, alſo ſoll Gleiches 
auch bei der katholiſchen Kirche ſtattfinden. Solche Folgerungen 
ſind lächerlich, aber leider haben ſie ſich nur zu vielfach in der 
Praxis Geltung verſchafft. 


5. Das Geſetz verletzt alle Grundſätze der wahren Freiheit und des 
wahren Fortihrittes. 


Die Freiheit, welche der Staat zu verwirklichen hat, deren 
Schutz der höchſte und weſentlichſte Zweck des Staates iſt, iſt 
die Freiheit vom äußeren Zwange. Gerade deßhalb 
trägt der Staat das Schwert unwiderſtehlicher äußerer Gewalt 
in ſeiner Hand, um die Freiheit eines Jeden gegen jede äußere 
Gewalt zu ſchützen. Und nur deßhalb, weil und nur unter der 
Bedingung, daß der Staat dieſe ſeine Gewalt einzig zu dem 
Zwecke gebraucht, um die Freiheit eines Jeden zu ſchützen, kön— 
nen Alle mit höchſter Beruhigung ihn in dem Beſitze einer ſol— 
chen Macht erblicken. 

Darum iſt es ſo verderblich — und recht eigentlich die ver— 
derblichſte politiſche Irrlehre — wenn man an die Stelle dieſes 
weſentlichen und erſten Staatszweckes: Schutz der Freiheit 
oder, was daſſelbe iſt: Schutz des Rechtes für Alle 
andere Zwecke ſetzt, z. B. Förderung der Bildung, oder För— 
derung der Induſtrie, oder Förderung des allgemeinen Reich— 
thumes und der allgemeinen Wohlfahrt. Gewiß ſoll der 
Staat auch alles Dieſes fördern, aber vor Allem dadurch, 
daß er die allgemeine Freiheit ſchützt und ſichert. Dadurch 
allein kann er alles Gute fördern: denn nur auf dem 
Boden der Freiheit und der Rechtsſicherheit ge— 


102 


deiht alles Gute, findet alles Böſe feine Leber 
windung und ſeine rechtmäßige Schranke. 

Dieſe Idee des Rechtsſtaates und der durch ihn geſchützten 
Freiheit Aller iſt, unter ſo manchen ſocialen und politiſchen Irr— 
thümern, die unſer Jahrhundert ausgeboren, eine große, ja 
nach unſerer Ueberzeugung die größte und eine zur Rettung 
der höchſten Güter in der gegenwärtigen Lage der Welt durch— 
aus nothwendige Wahrheit. Sie enthält den letztverlaufenen 
Jahrhunderten gegenüber einen großen und glücklichen Fort— 
ſchritt; denn ſeit Jahrhunderten war dieſe Idee faſt unterge— 
gangen. Von dem Machiavellismus zu ſchweigen, der die na— 
tionale und dynaſtiſche Selbſtſucht in ein Syſtem gebracht und 
an die Stelle der ächten Rechts- und Staatsidee geſetzt hatte, 
hatten die Staaten in den Zeiten der religiöſen Kämpfe, die 
auf das Reformationszeitalter folgten, entweder die Einführung 
und Behauptung des Proteſtantismus oder die Erhaltung des 
alten Glaubens vielfach zu ihrem oberſten Zwecke erhoben, vor 
dem alle anderen zurücktraten. In dem achtzehnten Jahrhun— 
dert, dem Jahrhundert „der Aufklärung,“ hat man den Gegen— 
ſtand der Protection, nicht aber das Syſtem gewechſelt, indem 
man nun „Aufklärung und materielle Wohlfahrt“ 
als höchſten Staatszweck bezeichnete und, mit Unterdrückung je— 
der wirklichen Freiheit und Selbſtbeſtimmung, durch alle Mittel 
des Deſpotismus beförderte. 

Nun wohlan, unſere zweite Kammer ſteht, mehr als ſie 
ohne Zweifel ſelbſt es erkennt, auf dem Boden des aufge— 
klärten Staatsdeſpotismus. Anſtatt für alle reli: 
giöſen Ueberzeugungen, welche im Staatsgebiete Anhänger ha— 
ben, die volle und gleiche Freiheit des Rechtes zu 
gewähren und ſich entſchieden, um eigene religiöſe Sympa— 
thien oder Antipathien unbekümmert, auf den Boden wahrer 
Freiheit und des Rechtes zu ſtellen, will ſie die geſetzgebende 
Gewalt des Staates dazu gebrauchen, um nicht bloß ihren poli— 
tiſchen, ſondern auch ihren religiöſen Anſichten zwangsweiſe 
Geltung zu verſchaffen. Dem entſprechend möchte ſie die prote— 
ſtantiſche Kirchenverfaſſung im demokratiſchen Sinne umgeſtalten, 
obwohl viele und ſehr achtungswerthe Proteſtanten das“ als einen 
Ruin ihrer Religion anſehen; der katholiſchen Kirche will ſie 
nicht bloß äußerlich eine längſt überwundene Gefetzgebung, ſon— 
dern auch innerlich den ihr weſentlich fremden und feindſeligen 
Geiſt der joſephiniſchen Aufklärung aufzwingen, obwohl Biſchof, 


103 


Klerus und das gläubige Volk dagegen proteſtiren. Damit aber 
die Aufklärung und der Fortſchritt, wie ſie ihn verſteht, auf 
religiöſem Gebiete möglichſt gefördert werde, hat ſie den neuen 
Secten, die meiſtens extrem deſtructiv ſind, freieſten Spielraum 
und wohlwollendſte Begünſtigung angedeihen laſſen; kurz ſie 
ſpielt, ſeitdem keine Fürſten mehr dieſe Rolle ſpielen, nunmehr 
im Namen des Volkes den aufgeklärten Deſpoten, 
ganz im Geiſte des achtzehnten Jahrhunderts. 
Das iſt aber wahrhaftig nicht der Geiſt des Rechts— 
ſtaates, der Freiheit, des wahren Fortſchrittes, 
ſondern ein ſehr bedauerlicher Rückſchritt zur Staatsomnipo— 
tenz und dem Deſpotismus des ancien- régime in dieſes Wor— 
tes ſchlimmſter Bedeutung. 

Hier müſſen wir den Mißbrauch hervorheben, den man mit 
dem Worte „Freiheit und Fortſchritt“ treibt. Man 
verſteht unter Freiheit keineswegs die Freiheit von jedem äu— 
ßeren Zwange und von jeder gewaltſamen Beeinflußung für 
alle Individuen und für alle Richtungen, insbeſondere für 
alle religiböſen Ueberzeugungen und Corporationen im Staate; 
und unter dem Prinzip des Fortſchritts verſteht man nicht das 
Prinzip, jeder lebendigen Kraft ihre ungehemmte Entwickelung 
zu laſſen — ſondern man legt dieſen Worten eine ganz beſtimmte 
und ganz excluſive Bedeutung bei. Man bezeichnet 
nämlich ſein eigenes Syſtem ausſchließlich als das Syſtem 
der Freiheit und des Fortſchrittes, und wie man 
in politiſcher, ſocialer und nationalökonomiſcher Beziehung ganz 
beſtimmte Pläne und Syſteme hat, die man verwirklichen will, 
jo hält man auch eine gewiſſe religiöſe Weltanſchauung, 
nämlich die der ſogenannten Aufklärung, die im Weſentlichen 
mit den Grundanſchauungen des rationaliſtiſchen Prote— 
ſtantismus und des ſogenannten Deutſchkatholi— 
cismus übereinſtimmt, für das Syſtem der religiöſen Frei— 
heit und des religiöſen Fortſchrittes, das man, wenn nicht 
förmlich, zwangsweiſe und plötzlich einführen, doch durch die 
Staatsgeſetzgebung und Staatsverwaltung möglichſt glaubt be— 
günſtigen zu ſollen; während man den gläubigen Katholicis— 
mus und Proteſtantismus, die man unter die Kategorie der 
Unfreiheit und des Rückſchrittes ſtellt, möglichſt unter— 
drücken und benachtheiligen zu dürfen glaubt. Das iſt aber 
keine Freiheit und kein Rechtsſtaat, ſondern das iſt einfach das 
Syſtem der Staatsomnipotenz im Dienſte einer be⸗ 


104 


ſtimmten Partei. Dieſen thatſächlichen Sachverhalt können 
wir nicht klar genug an's Tageslicht ziehen und im Namen des 
Rechtes und der Freiheit nicht entſchieden genug dagegen Pro— 
teſt einlegen. 

Wir wollen gleiches Recht und gleiche Freiheit auch 
für uns; wir geben auch nimmer zu, daß der Ka: 
tholicismus ein Prinzip der Unfreiheit und des Wild: 
ſchrittes ſei, vielmehr erblicken wir in ihm das vollkommenſte 
Prinzip wahrer, höchſter geiſtiger und ſittlicher Freiheit und 
eines unbegränzten und wahren Fortſchrittes der Menſchheit; 
wir ſehen umgekehrt in den Beſtrebungen der ſogenannten reli— 
giöſen Fortſchrittspartei nichts als das Reſiduum einer einſeiti— 
gen und bereits überwundenen Geiſtesrichtung. Wir ſind aber 
weit entfernt, Anderen vermittelſt der Staatsgeſetzgebung und 
Staatsverwaltung dieſe unſere Ueberzeugung aufzuzwingen; wir 
erſtreben keine katholiſch kirchliche oder proteſtantiſch gläubige 
Staatsgeſetzgebung und Staatsverwaltung, aber wir bedanken 
uns auch vor allen rationaliſtiſch aufgeklärten oder deutſch— 
katholiſchen Tendenzen im Staate und in der Gemeinde; 
wir verlangen, daß auf dieſem Gebiete kein anderes Prinzip 
herrſche, als das der ganzen und gleichen Freiheit für Alle auf 
dem Boden des ehrlichen und entſchiedenen Rechtsſtaates. 


6. Das Geletz verletzt die Geſetze der Logik. 


Dieſe Beſchwerde klingt vielleicht pedantiſch; es wäre auch 
pedantiſch und ohne allen Nutzen, in dieſer Sache, in der es 
ſich um einfache und große Lebensfragen handelt, dialektiſche 
Künſte anzuwenden. Allein wir wollen mit dem Satze unſerer 
Ueberſchrift die gewiß berechtigte Forderung ausſprechen, daß 
vor Allem ein Geſetz logiſch ſei und daher, wenn es ein Prin— 
zip an die Spitze ſtellt, auch die logiſch nothwendige 
Folgerung aus demſelben ziehe. 

Dieſe logiſche Conſequenz der Geſetzgebung iſt zugleich eine 
ſittliche Forderung, die wir an ſie ſtellen müſſen. Der Ge— 
ſetzgeber ſoll offen und ehrlich reden und nicht ein abſo— 
lutiſtiſches Syſtem unter die Aegide eines freiſinnigen Prinzipes 
ſtellen. 

Das Religionsgeſetz der zweiten Kammer ſtellt das Prinzip 
der religiöſen Freiheit an die Spitze und ſpricht den vom 
Standpunkte des Rechtsſtaates und der Freiheit nothwendigen 
Grundſatz aus: Die Kirchen und Religionsgemein— 


105 


ſchaften ordnen und verwalten ihre Angelegen— 
heiten frei und ſelbſtſtändig. Das iſt wahrer Fortſchritt, 
ächte Freiheit; aber leider wird dieſer Grundſatz — mit weni— 
gen Ausnahmen, die wir vollſtändig anerkennen — in den Ein— 
zelbeſtimmungen des Geſetzes zu Ungunſten der katholiſchen 
Kirche wieder aufgehoben. Was die Regierung, ohne pomp— 
haft die Grundſätze der Freiheit zu verkünden, thatſächlich von 
dem alten Syſtem der Staatsbevormundung außer Uebung ge— 
ſetzt, wird annulirt und der gan; alte Staatsabſolutismus gegen— 
über der Kirche im Namen der Freiheit und des Fortſchrittes in 
allen weſentlichen Punkten hergeſtellt, in mehreren Punkten über— 
boten. Das iſt es, was wir als einen ſchweren Verſtoß gegen 
die dem Geſetzgeber ziemende Logik und Geradheit hier hervor: 
heben wollen. 

Freilich, indem wir dieſes ſchreiben, drängt ſich uns eine 
mildere Beurtheilung der Sache auf, die wir nicht nur gerne 
adoptiren, ſondern auch für die richtigere halten. Wenn die zweite 
Kammer das Princip der religiöſen Freiheit und der kirchlichen 
Autonomie und Selbſtverwaltung an die Spitze ſtellt, ſo hat ſie 
das offenbar nicht gethan, um damit die Knechtung der katholi— 
ſchen Kirche zu verbergen und zu beſchönigen — ſondern ſie hat 
ohne Zweifel wirklich das Princip der Freiheit und Autonomie 
der Kirche ausſprechen wollen. Ja! wenn ſie es auch nicht ge— 
wollt hätte, fie hätte es gemußt: denn jo mächtig iſt der 
ächte Fortſchritt, ſo ſtark iſt bereits der, vor einigen Jahrzehnten 
faſt noch unbekannte und polizeilich verfehmte Grundſatz der 
kirchlichen Freiheit und Selbſtſtändigkeit in's 
Leben gedrungen, daß es unmöglich geworden, daß eine Geſetzge— 
bung dieſem Grundſatze nicht ihre Huldigung darbringe. Aber 
ein anderes iſt, einen Grundſatz ausſprechen, ein anderes ihn 
durchführen; ein anderes iſt, das Princip des Despotismus ver— 
leugnen und ein anderes, der Praxis des Despotismus entſagen. 
Wer religiöſe Freiheit, kirchliche Autonomie will, der muß auch 
die katholiſche Kirche ſich gefallen laſſen, wie fie iſt; der muß 
auch den Kapuziner und den Jeſuiten ſeine Wege gehen laſſen. 

Die Freiheit hat eben ihre Unbequemlichkeiten und erheiſchet 
Selbſtverleugnung. 

Das hat die dermalige zweite Kammer nicht über ſich ver— 
mocht. Sie hat das Princip der kirchlichen Freiheit und Au— 
tonomie zwar ausgeſprochen — und das iſt löblich und auch 
an dieſem Geſetze ein Gewinn; ſie hat, auch zum Beſten 


106 


der katholiſchen Kirche, einige Folgerungen aus dieſem Prin— 
cipe gezogen — ſo z. B. das Recht der Kirche, die Kirchenamter 
frei zu vergeben (wenngleich mit einem Zuſatz, der Verdacht 
erregen kann); deßgleichen, wiewohl arg beſchrinkt, das Recht zur 
Erziehung des Klerus, zur Leitung des Religionsunterrichtes an— 
erkannt — allein damit war die Kraft ihrer Freiſinnigkeit erſchöpft 
und die Macht der Vorurtheile, der eigenen religiöſen Anſchau— 
ungen, vielleicht auch anderer Rückſichten und Verpflichtungen, 
endlich die alte ſüße Gewohnheit des herkömmlichen Polizeiſy— 
ſtems, die angewöhnte Praris, die Reminiscenzen eines vergilbten 
Collegienheftes, die Autorität einiger antiquirten Paragraphen 
aus dem buletin des lois der franzöſiſchen Revolutions- und 
Kaiſerzeit und aus alten Regierungsblättern erlangten das Ueber— 
gewicht. — Man drückte daher gegen den Grundſatz die Augen 
zu, vergaß die neue, grüne Theorie und hielt ſich an die dürre alte 
Praris und verbot ſchlechtweg alle Klöſter, damit man nicht 
mehr von dem Anblick der Kutten geärgert werde, ſchickte die 
Theologen zwangsweiſe nach Gießen u. ſ. w. Nachdem man endlich 
das auf den Grundſatz der religiöſen Freiheit gebaute Religions 
geſetz vollendet hatte, rejervi.te man ſich im letzten Paragraphen 
wie ein altes Kleinod, von dem man ſich nicht trennen kann, 
ein ganzes Arſenal längſt veralteter, im hoͤchſten Grade unzeit— 
gemäßer und dem oberſten freiheitlichen Grundſatz des Geſetzes 
widerſprechender Paragraphen aus der Blüthezeit der Staats— 
omnipotenz. Dieſe Inconſequenz, dieſer innere Widerſpruch kann 
nicht beſtehen — wir hoffen von der' Kraft der Wahrheit und 
der Logik, daß das Princip der Freiheit obſiegen und aller 
Ungunſt der Leidenſchaften ungeachtet den alten Wuſt des Staats 
abſolutismus abſtreifen werde. 


Die beſonderen Beſtimmungen des Religions 
geſetzes. 


Wir wollen nun die hauptſächlichſten Verletzungen der katho— 
liſchen Kirche, ihrer Rechte und ihrer Freiheit, welche in den 
einzelnen Geſetzesparagraphen enthalten ſind, näher betrachten. 
Wenn wir uns bei einzelnen Punkten, wie bei dem Verbote der 
Klöſter und dem Studienzwang gegen die Theologen länger auf— 
halten, fo geſchieht es nicht deßhalb, weil andere Punkte, die wir 
kürzer beſprechen, minder wichtig ſind, ſondern weil wir die Er— 
örterung dieſer Punkte für bejonders lehrreich halten und wir 
dabei beſonders ſchwierige Vorurtheile zu überwinden haben. 


107 
1. Der allgemeine Vorbehalt. 


Obwohl wir bereits oben, wo wir von den allgemeinen Prin 
cipien des Geſetzes handelten, dieſen allgemeinen Vorbehalt be— 
rührten, ſo müſſen wir dennoch hier denſelben noch genauer in's 
Auge faſſen. 

Der erſte Abſatz des Art. 4. lautet: „die Kirchen und Re— 
ligionsgemeinſchaften ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten 
frei und ſelbſtſtändig“ — das iſt der Grundſatz der kirchlichen 
und religiöjen Freiheit — „mit Vorbehalt der in dieſem 
Geſetze enthaltenen Beſtimmungen“ — das iſt die 
Wiederaufhebung der ſo eben ausgeſprochenen kirchlichen Freiheit 
und Selbſtſtändigkeit. Nicht Wieder aufhebung! wird man 
entgegnen, ſondern nur eine nähere Beſtimmung — wir aber 
beſtehen darauf, daß der Vorbehalt in Wahr geit und Wirk— 
lichkeit die Aufhebung und Vernichtung der kirch— 
lichen Freiheit und Selbſtſtaͤndigkeit enthalte. Und warum die— 
ſes? Nicht bloß aus dem Grunde, weil die folgenden Geſetzes— 
paragraphen die tiefſten Eingriffe in die Selbſtſtaͤndigkeit der Kirche 
und in deren eigenſtes und innerſtes Gebiet ſanctlontren; nicht bloß 
deßhalb, weil der letzte Artikel in Bauſch und Bogen alle frei— 
heitswidrigen Verordnungen aus der erſten Hälfte unſeres Jahr— 
hunderts implicue aufrecht erhalt; nicht bloß deßhalb, weil das Ge— 
ſetz noch eine Reihe anderer Geſetze in Ausſicht ſtellt, welche die 
Rechte und Intereſſen der Religion und Kirche ſchwer bedrohen: 
ſondern vor Allem wegen des Geiſtes und oberſten Principes 
des ganzen Geſetzes ſelbſt. Denn da die Kammer von 1863 ohne 
Rückſicht auf die der Kirche zuſtehenden Rechte mit ſouveräner 
Willkühr beſtimmt hat, wie viel und wie wenig freie Bewegung der 
Kirche zugeſtanden werden ſoll, ſo liegt auf der Hand, daß die Kirche 
nicht die geringſte Garantie dafür hat, daß die Staatsgeſetzgebung 
nicht bereits im nächſten Jahr ihr den Ueberreſt der Rechte und 
Freiheiten, die das gegenwärtige Geſetz noch gewährt, gleichfalls 
entziehen werde. Der Ausdruck: „mit Vorbehalt der in die 
ſem Geſetze enthaltenen Beſtimmungen“ iſt daher nicht ge— 
nau und kann irre führen; in Wahrheit müßte es heißen: mit 
Vorbehalt der Beſchränkungen, welche dieſes Geſetz enthält oder 
welche man ſpäter für gut finden wird, der Kirche 
aufzuerlegen. — Man ſieht, daß von irgend einer Freiheit 
und Sicherheit der Kirche gar keine Rede ſein kann, wenn der 
Staat nicht die alten Rechtsprincipien, ſondern die oben von uns 


108 


beleuchteten Grundſätze feſthält, die dem neuen Neligionsgeſetz zu 
Grunde liegen, d. h. ſo lange man der Meinung iſt, dem Staate 
gegenüber könne weder von angeborenen und unveräußerlichen, 
nach von wohlerworbenen oder durch Vertrag begründeten Rechten 
der Kirche die Rede fein, ſondern das jeweilige Maß ihrer Rechte 
hänge lediglich von der jeweiligen, in ihren Beſchlüſſen abſolut 
unabhängigen Staatsgeſetzgebung ab. Die Kirchenfreiheit mit 
dieſem Vorbehalt iſt keine Freiheit, ſondern die declarirte 
abſolute Abhängigkeit der Kirche vom Staat. 


2. Der Verkehr mit den kirchlichen Obern und Verbänden. 


Der zweite Abſatz des Art. 4. beſagt: „der Verkehr mit 
den kirchlichen Obern und Verbänden iſt ungehindert. Ber 
Ihlüffe derſelben dürfen jedoch nur durch die be 
treffenden inländiſchen Behörden verkündigt wer— 
den.“ 

Die geſperrt gedruckte Stelle iſt von der zweiten Kammer 
dem Regierungsentwurfe hinzugefügt. 

In der Wirklichkeit wird vielleicht in Jahrhunderten, viel— 
leicht niemals ein einziger Fall eintreten, worin die von der 
Kammer vorſorglich beigefügte Beſchränkung eine praktiſche Wich 
tigkeit erlangt: denn, ſo Gott will, wird nie ein Biſchof auf den 
heiligen Stuhl von Mainz gelangen, der ſich weigerte, die An— 
ordnungen der Geſammtkirche zu verkünden, 'oder der ſich ſeinen 
kirchlichen Vorgeſetzten, dem Erzbiſchofe oder dem Papſte wider: 
ſetzte. Ob wohl die zweite Kammer an einen ſolchen Fall gedacht 
hat? Da die Sache unpraktiſch iſt, wollen wir uns nicht lange 
dabei aufhalten, ſondern nur bemerken, daß, wenn je ein Biſchof 
von Mainz ſich gegen den Glauben oder gegen die Geſetze der 
katholiſchen Kirche verfehlen und der Erzbiſchof, der Papſt, oder 
ein allgemeines oder Provincial-Concil gegen ihn einſchreiten würde, 
der Art. 5. Alin. 2. faktiſch nicht im geringſten ein Hinderniß wäre, 
daß die Entſcheidungen der Kirche zur Kenntniß ſowohl der 
Prieſter als des katholiſchen Volkes der Diöceſe Mainz gelangen, 
und daß in einem ſolchen Falle Alle, die nicht ſelbſt an der 
Empörung gegen die Kirche Theil nehmen, in ihrem Gewiſſen ſich 
verbunden finden würden, nicht einem ſolchen renitenten oder gar 
abgefallenen Biſchofe, ſondern der allgemeinen Kirche zu ge— 
horchen. Der fragliche Zuſatz hat aber auch noch eine andere 
Seite, er beruht nämlich ohne Zweifel auf der Anſchauung vom 
Landeskirchenthum: der Staat ſoll nur den Biſchof des Landes 


109 


kennen. Wenn man aber die katholiſche Kirche anerkennt; 
wie ſie iſt und weſentlich ſein muß, ſo muß man auch an— 
erkennen, daß die Mainzer Diöceſe ein Glied am Leibe der 
Geſammtkirche und daß wie der Biſchof, ſo auch alle Prieſter 
und Gläubigen den über dem Biſchof ſtehenden verfaſſungsmäßi— 
gen höheren kirchlichen Obern untergeordnet und im Gewiſſen 
verbunden ſind, deren rechtmäßig erlaſſenen Verordnungen anzu— 
erkennen, ſobald ſie zu ihrer Kunde gelangen. Die Giltigkeit 
und Wirkſamkeit der Verordnungen der Geſammtkirche von der 
Publication eines einzelnen Biſchofs abhängig machen, heißt die 
Verfaſſung der Kirche zerſtören und iſt eine von den alten Fi— 
neſſen des Staatskirchenthums. 


3. Die Vergebung der Kirchenämter. 


Das erſte Alinea des Art. 5.: „die Kirchenämter werden 
durch die Kirchen (und Religionsgemeinſchaften) ſelbſt verliehen, 
unbeſchadet der auf öffentlichen oder privatrechtlichen Titeln, wie 
insbeſondere dem Patronate, beruhenden Befugniſſe“ iſt mit dem 
Regierungsentwurf übereinſtimmend. Die Kammer hat den Be— 
ſchluß beigefügt: 

„Die Großherzogliche Staatsregierung zu erſuchen, das Pa— 
tronatsweſen bezüglich der dem Staate zuſtehenden Patronate 
einer umfaſſenden Unterſuchung und Prüfung zu unterziehen und 
das Ergebniß den Ständen vorzulegen.“ 


Wenn dieſer Art. 5., ſo wie er lautet, nach den allgemeinen 
Rechtsgrundſätzen ausgelegt wird, ſo dürfte die Kirche unter der 
Vorausſetzung, daß das altherkömmliche Verhältniß zwiſchen 
Staat und Kirche intact bleibt, nichts dagegen einwenden. Allein 
es ließen ſich auch, durch eine ungünſtige Interpretation und auf 
Grund anderer Principien, die allerbeſchwerenſten Folgerungen 
aus dieſem Artikel ableiten. Wegen der großen Wichtigkeit der 
Sache ſcheinen uns daher einige Bemerkungen geboten. 


Daß jede Kirche oder Religionsgemeinſchaft nach ihrer Ver— 
faſſung und ihren Geſetzen die Kirchenämter beſetzt, iſt offenbar 
die erſte und weſentlichſte Folgerung aus dem Grundſatze 
der ſelbſtſtändigen und freien Verwaltung ihrer Angelegenheiten. 
Wir anerkennen es daher als eine redliche und conſequente An— 
wendung dieſes vom Art. 4. ausgeſprochenen oberſten Grundſatzes 
an, daß der Art. 5. ſofort dieſe Folgerung zieht. Hierin liegt 


110 


ein weſentlicher nicht zu verkennender Fortſchritt der neueſten Ge— 
ſetzgebung gegenüber den alten Regierungsverordnungen aus der 
erſten Hälfte des Jahrhunderts und ein Sieg der wahren 
Principien. 

Dieſes Recht der Kirche, ſelbſtſtändig und ohne ſtaatliche 
Einmiſchung die Kirchenämter zu beſetzen, iſt aber auch von der 
höchſten Wichtigkeit; denn die Blüthe, wie der Zerfall des 
Glaubens und der guten Sitten in einer Gemeinde hängt vor— 
zugsweiſe von der Wuͤrdigkeit und Tüchtigkeit des Seelſorgers 
ab. Beſitzt derſelbe alle jene Eigenſchaften, welche die Kirche von 
ihren Dienern verlangt, dann wird ihn das Volk lieben und 
ſeinen Lehren und Beiſpielen zu ſeinem eigenen Heile gerne fol— 
gen; fehlt es ober einem Seelſorger an dieſen Eigenſchaften, ſo wird 
nichts den Verfall des religiöſen Lebens zu hemmen im Stande 
ſein. Daher iſt es die erſte Pflicht eines Biſchofs, unter den 
verſchiedenen Geiſtlichen, die um eine erledigte Pfarrſtelle ſich be— 
werben, den Tüchtigſten und Würdigſten auszuwählen. Zu 
dieſer Wahl des Würdigſten verpflichten die Kirchengeſetze den 
Viſchof ausdrücklich unter ſchwerer Verantwortlichkeit. In keinem 
Punkte iſt die kirchliche Geſetzgebung ſtrenger und vorſichtiger, 
als gerade in dieſem. Deßhalb verordnet ſie daß ſämmtliche 
Bewerber um eine Pfarrſtelle in dem Concursexamen von 
hiezu aufgeſtellten und beeidigten Eraminatoren in der zu ihrem 
Amte erforderlichen Wiſſenſchaft ſollen geprüft werden und daß 
hierauf dieſe Examinatoren, unter ſorafältigſter Erwägung aller 
Gründe, ein motivirtes Gutachten über die Grade der Würdig— 
keit und Tüchtigkeit der Bewerber um die fragliche Stelle ab— 
geben ſollen, damit der Biſchof mit um ſo größerer Sicherheit 
den Würdigſten auswähle. 


Wenn wir das in's Auge faſſen, ſo werden wir ein— 
ſehen, daß der Religion und Kirche kaum ein ſchwererer Nachtheil 
zugefügt werden kann, als wenn die Biſchöfe behindert werden, 
nach dieſen weiſen und gerechten Vorſchriften der Kirche die 
Pfarrſtellen zu beſetzen. Es iſt aber auch klar, wie ſehr die hei— 
ligſten Intereſſen der Gemeinden bei der Freiheit der kirchlichen 
Stellenbeſetzung betheiligt ſind: denn nur wenn die Pfarrſtellen 
nach Vorſchrift der Kirchengeſetze durch den Biſchof beſetzt wer— 
den, iſt ihnen die größtmögliche Garantie gegeben, daß ſie wür— 
dige und tüchtige Seelſorger erhalten. 


Daher iſt auch jedes ſogenannte Patronat an ſich eine 


111 
Laſt für die Kirche, obwohl dieſelbe dann gemindert wird, 
wenn dabei die Vorſchriften der Kirchengeſetze beobachtet werden. 

Viele Jahrhunderte lang hat die Kirche vom Patronat nichts 
gewußt; es iſt erſt in ſpäteren Zeiten entſtanden und hat erſt 
im Mittelalter ſeine volle Ausbildung erhalten. In dieſen Zei— 
ten nämlich wurden viele Kirchen und Pfarreien von einzelnen 
Perſonen aus ihren eigenen Mitteln geſtiftet. Um nun dieſen 
Perſonen ihre Dankbarkeit und Anerkennung zu beweiſen, räumte 
ihnen die Kirche durch ihre Geſetze mancherlei kirchliche Ehren— 
rechte, beſonders aber das Recht ein, zu den von ihnen ge— 
ſtifteten Pfründen einen würdigen Geiſtlichen in Vorſchlag 
bringen zu dürfen, welchem dann der Biſchof, wenn er ihn wür— 
dig fand, die Stelle übertragen mußte. 

Dieſes Patronat iſt mithin ein rein kirchliches Recht; es 
hat lediglich in einer Bewilligung der Kirche feinen Grund und iſt 
einzig und allein nach den kirchlichen Geſetzen zu beurtheilen, 
welche geeignete Vorſichtsmaßregeln treffen, damit dieſes Recht der 
Religion keinen Nachtheil bringe. In der That lagen auch in 
jenen Zeiten, in denen das Patronat ſich bildete, vielerlei Um— 
ſtände, welche die etwaigen Nachtheile deſſelben möglichſt auf— 
wogen. Vor Allem muß man den allgemeinen gläubigen Sinn 
jener Zeiten in's Auge faſſen, an welchem auch im Großen und 
Ganzen die weltlichen Patrone Theil nahmen. Dann aber bedenke 
man, daß bei der großen Zahl geiſtlicher Anſtalten in jener Zeit 
es minderen Nachtheil brachte, wenn auch einmal eine Pfarrſtelle 
minder gut beſetzt war. 

Nichtsdeſtoweniger wurde das Patronat je länger, um ſo 
mehr, zu einer ſchädlichen Laſt für die Kirche und das kirch— 
liche Leben. Es war ein Grundzug des mittelalterlichen Feu— 
dalismus, alle öffentlichen Aemter in erbliche Privatrechte um— 
zugeſtalten. So geſchah es im Staate; daſſelbe Streben ſuchte 
aber auch in die Kirche einzudringen; ja es koſtete die Kirche die 
ſchwerſten Kämpfe, um zu verhindern, daß nicht die Kirchenämter 
bis hinauf zu den höchſten zu Lehen gemacht wurden. In dieſem 
Streben hat es ſeinen Grund, daß man das Patronat mehr und 
mehr, im vollen Widerſpruch mit ſeiner Natur und den Kirchen— 
geſetzen, als ein erbliches Privatrecht betrachtete, woraus 
dann der Religion die größten Nachtheile erwuchſen und in nicht 
wenigen Ländern noch erwachſen. 

Was unſere Diöceſe betrifft, ſo zählt dieſelbe nur wenige 
Patronate. Auf dem linken Rheinufer hat die franzöſiſche Re— 


112 


volution das Patronat gänzlich vernichtet. Auf dem rechten Rhein: 
ufer beſtanden nur wenige weltliche Patronate; die Pfarreien 
waren entweder in alter Zeit freier erzbiſchöflicher Collatur oder 
ſie hingen von ſpäter aufgehobenen Klöſtern und Sktftern ab, 
deren Rechte mit der Exiſtenz dieſer Corporationen erloſchen, wie 
wir dies oben in der geſchichtlichen Einleitung bereits erwähnten. 

Inſofern hat alſo vorliegender Geſetzesartikel keine beſon— 
deren Gefahren; denn daß man die Fiction des Staatspatronates 
wieder geltend machte, halten wir für undenkbar. Allein die Be— 
merkung können wir nicht unterdrücken, daß es wahrlich zu ver— 
wundern iſt, daß die zweite Kammer ſo fürſorglich für das Pa— 
tronat auftrat, das doch ſicherlich mit dem Geiſte unſerer Zeit 
wenig im Einklang ſteht. 


4. Die Zeſchränkungen der freien Vergebung der Kirchenämter 
durch den Artikel 6. 


Nachdem der Art. 5. das Princip der freien Vergebung der 
LKirchenämter ausgeſprochen, fügt der Art. 6. wiederum eine 
Reihe von Beſchränkungen dieſer Freiheit hinzu; nämlich fol— 
gende: f 

1) Kirchenämter ſollen nur an Solche vergeben werden können, 
welche das Recht des Inländers beſitzen oder daſſelbe vor 
dem Antritt des Amtes erlangen. Wir glauben nicht, daß dieſe 
Beſchränkung der Kirche praktiſch große Beſchwerden erregen 
wird, vorausgeſetzt, daß die Regierung in Verleihung des Indi— 
genates ohne Chikane und freiſinnig verfährt. 

Jedoch müſſen wir, was den Grundſatz ſelbſt anbelangt, 
bemerken, daß der Ausſchluß von Ausländern ſowohl den Grund— 
ſätzen der katholiſchen Kirche, den Grundſätzen der Frei— 
heit und des deutſchen Patriotismus, als dem Geiſte 
der Gegenwart widerſpricht. 

Die katholiſche Kirche iſt keine Landeskirche; es liegt in 
ihrem innerſten Weſen, daß ſie auch bei Vergebung ihrer Aem— 
ter nicht einen engherzigen Territorialismus übe. Daß in der 
Regel nur Diöceſanangehörige angeſtellt werden, ver: 
ſteht ſich von ſelbſt; daß nur deutſche Prieſter in einer deut— 
ſchen Diöceſe wirken können, iſt durch die Natur der Sache ge— 
boten; weßhalb aber der tüchtigſte Geiſtliche von der Diöceſe 
Mainz ausgeſchloſſen ſein ſoll, weil er nicht in Heſſen, ſondern 
in Naſſau oder Baden oder Preußen oder Württemberg geboren 
iſt — dafür ſcheinen uns keine vernünftigen Gründe, ſondern nur 


113 


Vorurtheile und unbegründete Befürchtungen angeführt wer: 
den können. Was würde man dazu ſagen, wenn man den 
Grundſatz ausſprechen wollte, an der Landesuniverſität dürf— 
ten nur Inländer lehren, oder nur geborene oder naturaliſirte 
Heſſen im Großherzogthum Kunſt und Wiſſenſchaft treiben? 
Würde man das nicht mit Recht als einen Ruin der Hoch— 
ſchule, als eine ſchmachvolle Bornirtheit anſehen? Es iſt nun 
einmal Talent und Tüchtigkeit nicht an die Scholle gebunden. 
In aller Welt haben Angehörige unſeres Landes ehrenvolle 
Stellungen gefunden und umgekehrt hat unſer Staat jeder Zeit 
auch tüchtige Ausländer bei ſich aufgenommen. 

Weßhalb ſoll nicht auch die katholiſche Kirche in unſerem Lande 
zu ihrem und ihrer Angehörigen Beſten, aus vernünftigen Grün— 
den, eine Ausnahme von der Regel des Indigenates machen? Iſt 
es recht, ihr einen Territorialismus Aufnötbigen, der ihrem 
Weſen fremd iſt? Uebrigens durchbricht die Natur der Sache 
immer wieder die engherzige Schranke. 

Und wie läßt ſich ein ſolcher Territorialismus erſt mit deutſch— 
patriotiſchen Prinzipien vereinigen? Soll denn der Deutſche dem 
Deutſchen fremd ſein, ſelbſt im Heiligthum der Kirche? Wie ver⸗ 
trägt es ſich mit den ſo hochgeprieſenen Prinzipien der Frei⸗ 
heit, hier das Prinzip der „Freizügigkeit“ ſo gänzlich zu ver— 
leugnen? 

Allein, wie geſagt, wir haben nichts dagegen, daß, wer ein 
Kirchenamt verwaltet, in den inländiſchen Unterthanenverband 
eintreten müſſe, obwohl die Prediger der Secten, um ihr Miſ— 
ſionswerk zu treiben, gleicher Beſchränkung nicht unterliegen. 
Allein wir müſſen vorausſetzen, daß bei Verleihung des In— 
digenats mit Wohlwollen und Freiſinnigkeit verfahren werde. 

2. Die zweite Beſchränkung lautet, daß Kirchenämter nicht 
an Solche vergeben werden dürfen, „welche nicht von der 
Staatsregierung unter Angabe des Grundes als 
ihr mißfällig erklärt werden.“ 

Der Regierungsentwurf hatte denſelben Satz, aber mit dem 
Beilage: „ihr in bürgerlicher oder politiſcher Bezie— 
hung mißfällig.“ Man ſollte denken, daß der Staat nimmer 
aus anderen als bürgerlichen und politiſchen Gründen einen Ein— 
wand erheben könne; allein die zweite Kammer war einer ande— 
ren Anſicht. Sie hat durch die Streichung dieſes ſo weſentlichen 
Beiſatzes zu erkennen gegeben, daß der Staat auch aus jedem 


anderen nicht bürgerlichen und politiſchen Grunde einen Geiſt— 
Heinrich, Der Kampf der Kirche. 8 


114 


lichen von der Anstellung ausichliegen dürfe. Damit iſt aber, wie 
uns ſcheint, das freie Beſetzungsrecht zu einer Illuſion gemacht 
und der Staatsregierung die Möglichkeit gegeben, faſt jenen 
ganzen Einfluß auf die Beſetzung der Pfründen und jenen ver— 
derblichen Druck auf den Klerus zu üben, wie er nur in den 
Zeiten der größten kirchlichen Unfreiheit beſtand. Denn nun 
kann es geſchehen, daß die Regierung einem Geiſtlichen ihr Veto 
entgegenſetzt, weil ihr ſeine „theologiſche Richtung,“ ſeine „kirch— 
liche Geſinnung“ nicht gefällt; es wird dann in ihrer Macht 
ſtehen, einen Geiſtlichen, der ſich bei ihr mißfällig gemacht, viel— 
leicht weil er die Rechte der Kirche vertheidigt, oder eine der Re— 
gierung befreundete Partei verletzt, oder aus ſonſt was für Grün— 
den auf immer, von einer Pfarrſtelle, für die er vielleicht beſon— 
ders geeignet wäre, auszuſchließen. Man wird vielleicht ein 
wenden, daß die Regierung das nimmer thun werde, und wir 
geben gerne zu, daß eine wahrhaft freiſinnige und wohlwollende 
Regierung das nicht' thun wird. Es hat aber Zeiten gegeben, 
wo Schlimmeres geſchah, und wenn wir erwägen, mit welchem 
Mißtrauen und welcher Gehäſſigkeit die katholiſche Kirche von 
der Majorität der dermaligen zweiten Kammer behandelt wurde, 
ſo müſſen wir, wenn jemals Männer dieſer Richtung ein Mini— 
ſterium bilden würden, uns auf das Härteſte gefaßt machen. 
Schon ein Veto aus „politiſchen und bürgerlichen“ Grün— 
den hat ſeine großen Gefahren für die Unabhängigkeit der 
Kirche, weil es bei ungünſtigen Verhältniſſen und in Zeiten 
politiſcher Parteikämpfe in einer ſehr weitgehenden und ſchäd— 
lichen Weiſe ausgebeutet werden kann. Der Staat bedarf 
auch ſolcher Präventivmaßregeln nicht, um ſich zu ſchützen, ſelbſt 
wenn man vorausſetzen wollte, daß Geiſtliche dem Staate poli— 
tiſch gefährlich wären. Wo die Kirche vollkommen frei iſt, weiß 
man daher auch von ſolchen Clauſeln nichts. Selbſt nach der 
Napoleoniſchen Geſetzgebung iſt die Vergebung der unermeßlichen 
Mehrzahl der Seelſorgsſtellen von jeder Genehmigung des Staates 
frei. Die preußiſche Verfaſſung weiß nichts von einer ſolchen Be— 
ſchränkung. Und in der That, wo der Staat ſich der Kirche gegen— 
über einfach auf den Boden des Rechtes oder Freiheit ſtellt, kann 
von einer ſolchen Beſchränkung offenbar nicht die Rede ſein. 
Allerdings haben neuere Concordate und hat auch die biſchöf— 
liche Convention dem Staate die Befugniß zugeſtanden, wegen 
rein bürgerlicher und politiſcher Gründe Einſprache gegen eine 
Ernennung zu erheben, und da, wo ein Verhältniß gegenſeitiger 


U 


115 


Freundſchaft zwischen Staat und Kirche beſteht, iſt es auch ent: 
ſprechend, daß die Kirche ſolche Ernennungen nicht vor— 
nehme, von welcher der Staat mit Grund einen Nachtheil für 
ſich fürchtet. 

Allein man kann, wie wir früher ſchon ſagten, Zugeſtändniſſe, 
welche in Concordaten oder Conventionen von der Kirche gemacht 
wurden, nicht mehr geltend machen, wenn man dieſe Verträge 
für nicht verbindlich erklärt und ſie Seitens des Staates nicht 
erfüllt. 

Deßhalb iſt der ganze Zuſatz unverträglich mit dem vom Ge— 
ſetze ausgeſprochenen Prinzip der kirchlichen Autonomie und der 
Regelung des Verhältniſſes zwiſchen Kirche und Staat durch 
einfache Staatsgeſetzgebung: denn eine ſolche Geſetzgebung muß 
ſich nothwendig darauf beſchränken, die Selbſtſtändigkeit des 
Staates zu wahren, während ſie der Kirche die volle Selbſt— 
ſtändigkeit zuerkennt. 

3. Eine dritte Beſtimmung des Art. 6. lautet: „Rückſichtlich 
der Beſetzung des biſchöflichen Stuhles und der ihm zugehöri— 
gen Kirchenämter bleibt es bei den Beſtimmungen, welche in 
der landesherrlichen Verkündigung vom 12. October 1829 und 
in den Artikeln 14., 15., 16. und 17. der Verordnung vom 
30. Januar 1830, ſowie in den Bullen: Provide solersque und 
Ad Dominici gregis custodiam, fo weit dieſe Geltung erhalten 
haben, enthalten ſind.“ 

Wir müßten allzu weitläufig werden, um über dieſe Beſtim⸗ 
mungen das volle Licht zu verbreiten. Wir fürchten, daß 
hier jene ganze, ſtets von der Kirche widerſprochene, nie— 
mals rechtmäßige, von allen erleuchteten und redlichen Staats— 
männern und Rechtslehrern verworfenen Praxis geſetzlich ſanctio— 
nirt werden ſoll, wodurch die Freiheit der Biſchofswahl 
(wie auch der Wahl der Domcapitularen und Präbendaten), ſowie 
die Unabhängigkeit des Biſchofs und feiner Räthe 
zu einer Illuſion gemacht wird. Die vertragsmäßige Bulle Ad 
Dominici gregis custodiam räumt dem Landesherrn das Recht 
ein, ihm nicht genehme Perſonen von der Candida— 
tenliſte zu ſtreichen. Das iſt ein großes und weſentliches 
Recht; die Kirche hat es eingeräumt und wird es heilig halten, 
ſo lange der Staat nicht ſelbſt die Verträge zerreißt. Allein in 
jenen traurigen Zeiten der Alles bevormundenden Staatsomni— 
potenz war man damit nicht zufrieden. Nach den Grundſätzen des 
bereits 1820 in Frankfurt entworfenen ſogenannten „Fundations⸗ 

1 


116 


inſtrumentes“ verlangte man, daß aus den von der Regie: 
rung genehmigten Candidaten gerade Derjenige zum Biſchofe 
gewählt werde, von dem ſich die Wähler im Voraus verge— 
wiſſert, daß er der der Regierung angenehmſte ſei. Zum 
Ueberfluß ſollte dann noch das ganze Wahlgeſchäft durch einen 
landesherrlichen Commiſſär überwacht werden. Es iſt klar, daß 
hiemit alle Wahlfreiheit vernichtet und in der That und Wahr— 
heit die Wahl in die Hand der Regierung gelegt iſt. Wir ver— 
zichten darauf, die Tendenzen der vom Art. 6. angeführten Pa— 
ragraphen der Verordnung vom 30. Januar 1830 näher zu er— 
örtern, wir haben den Geiſt dieſer Verordnung oben (S. 29.) 
genugſam charakteriſirt; aber fragen wollen wir, ob eine Kammer 
den Geiſt wahrer Freiheit beſitze und den Prinzipien des Rechts— 
ſtaates redlich huldige, welche in einem Geſetze, das den Grund— 
ſatz kirchlicher Autonomie an die Spitze ſetzt, zugleich die ſchlimm— 
ſten Ausgeburten eines abſolutiſtiſchen Bureaukratismus ſich an— 
eignet und zum Geſetze erhebt? 

4. Die vierte Beſchränkung der Freiheit der Kirche bezüglich 
der Vergebung der Kirchenämter beſteht darin, daß in der Regel 
nur ſolche Geiſtliche anſtellungsfähig ſein ſollen, „welche ihre 
durch zweijährigen Beſuch einer deutſchen Univerſität erworbene 
allgemeine wiſſenſchaftliche Vorbildung in einer Staatsprüfung 
bei der Landesuniverſität dargethan.“ 

Wir werden dieſe Beſtimmung, welche die im Art. 14. ſchein— 
bar zugeſtandene Freiheit der Erziehung des Klerus wiederum 
möglichſt vernichtet, im Zuſammenhang mit ihrem Gegenſtande 
ausführlicher beſprechen. 

5. Die fünfte Beſchränkung ſetzt endlich dem ganzen Sy— 
ſtem die Krone auf, indem verordnet wird: „Auch für die pro— 
viſpriſche Verwaltung der Kirchenämter und die Aushilfe bei den— 
ſelben gelten die Beſtimmungen dieſes Artikels.“ Wir ſagen, 
dieſes ſei die Krone in dem Syſtem der Bevormundung der 
Kirche durch den Staat, welches der Art. 6. bezüglich der Ver— 
gebung der Kirchenämter im offenen Widerſpruch mit dem Grund— 
ſatze des Art. 5. durchführt: denn dieſe Beſchränkung iſt bis jetzt 
noch nie einem Staatskanoniſten in der höchſten Blüthezeit des 
Staatsabſolutismus zu Sinne gekommen. Da müſſen wir noch 
die Frankfurter Kirchenpragmatik und die neun und dreißig Arti— 
kel loben. Alſo fortan ſoll kein Pfarrverwalter und kein Kaplan 
mehr verwendet werden dürfen ohne alle Cautelen des Art. 6., 
insbeſondere nicht ohne Genehmhaltung Seitens des Staates. 


117 


In der That die Geſetzgeber von 1863 haben hier Fortſchritte 
gemacht, nicht aber in den Prinzipien der kirchlichen Freiheit, ſon— 
dern in den Künſten eines alle Lebensadern kirchlicher Freiheit 
unterbindenden bureaukratiſchen Staatskirchenthums. 

Man könnte denken, die fünf Jeſuiten, welche an der St. 
Chriſtophskirche in Mainz Aushilfe leiſten, ſeien der Grund dieſes 
Artikels. Aber wenn wir bedenken, daß der Art. 7. alle Ordens: 
leute ohne Weiteres des Landes verweiſt, ſo muß man dieſen Gedan— 
ken aufgeben, wenn man nicht eine arge Gedankenloſigkeit beim Ge— 
ſetzgeber vorausſetzen will, und muß annehmen, daß die in Frage 
ſtehende Beſtimmung des Art. 6. eben das Syſtem der mißtraui— 
ſchen Bevormundung des Biſchofs und des kirchlichen Amtes auch 
bis auf die Verwendung des letzten Hilfsprieſters ausdehnen 
will, wie unpraktiſch und kleinlich, von allen höheren Gründen 
abgeſehen, auch Solches ſein mag. Eine beſondere Illuſtration 
empfängt dieſe Beſtimmung noch durch den Art. 3.; dort wahrt 
die Kammer ausländiſchen Sectenpredigern, mögen ſie Stu— 
dien und Examina gemacht haben oder nicht, das unbeſchränkte 
Recht, nicht etwa bloß ihren Religionsgenoſſen zu predigen, 
ſondern Alles aufzubieten, um Angehörige anderer Confeſſionen 
zu Proſelyten zu machen; hier aber verbietet das Geſetz, daß 
ein katholiſcher Geiſtlicher, der nicht allen Cautelen des Art. 6. 
genügt, unter der Aufſicht eines katholiſchen Pfarrers in der 
katholiſchen Seelſorge Aushilfe leiſte. Von welch mißtrauiſcher 
Furcht gegen die katholiſche Kirche und von welch' ſympatheti— 
ſcher Deferenz gegen die neuen Secten zeugt doch dieſe einzige 
Beſtimmung! 


5. Dir Verletzung der Freiheit der katholiſchen Kirche in der 
Erziehung ihrer Geiſtlichen durch den Art. 6. des neuen 
Religionsgeſetzes. 


Es gibt kaum ein weſentlicheres Recht der Kirche als das Recht, 
Diejenigen, welche ſich dem geiſtlichen Stande widmen, in der 
theologiſchen Wiſſenſchaft zu unterrichten und durch die geeignete 
Erziehung zu ihrem Stande heranzubilden. Wenn es daher 
irgend eine rein kirchliche und geiſtliche Angelegenheit gibt, in 
welcher das vom Art. 4. ausgeſprochene Prinzip der kirch— 
lichen Freiheit und Selbſtſtändigkeit zur Wahrheit werden muß, 
ſo iſt es die Erziehung des Klerus. Und wirklich er— 
kennt auch das neue Religionsgeſetz dieſes Recht an, indem es 


118 


Art. 14. den Grundſatz ausſpricht: „Die Kirchen und Re— 
ligionsgemeinſchaſten ſind befugt, Bildungsan— 
ſtalten für Diejenigen, welche ſich dem geiſtlichen 
Stande widmen, zu errichten.“ 

Allein der Art. 6 bereitet dieſem Rechte, wir finden keinen 
anderen Ausdruck, eine ſolche Chikane, daß auch hier, was die 
eine Hand an Freiheit gibt, die andere im Voraus nimmt. 

Wir reden nicht von der Forderung der Maturitäts— 
prüfung; denn die Kirche wird ſich in dieſer Beziehung nie— 
mals mit minderen Forderungen für die Theologen begnügen, 
als der Staat von den künftigen Juriſten und Medicinern for— 
dert; obwohl ſich vom Standpunkte des ſtrengen Rechtes und 
der kirchlichen Freiheit auch gegen dieſe Forderung einer ſtaat— 
lichen Maturitätsprüfung die begründetſten Einwände erheben 
laſſen. 

Wir werden uns in unſeren Erörterungen auf die Forderung 
eines zweijährigen Univerſitätsbeſuches und einer Staat ®: 
prüfung an der Landesuniverſität beſchränken. 

Hier fragt ſich zuerſt, was der Sinn dieſer Verfügung ſei. 
Was hat ſich die zweite Kammer unter der „allgemeinen wiſſen— 
ſchaftlichen Vorbildung“ gedacht, welche durch den zweijährigen 
Beſuch einer deutſchen Univerſität erworben und in einer Staats⸗ 
prüfung an der Landesuniverſität dargethan werden ſoll? Meint 
ſie damit, daß die Candidaten des katholiſchen Prieſterthums 
zwei Jahre an einer Univerſität Theologie ſtudiren und dann in 
einer Staatsprüfung an der Landesuniverſität ihre theologiſchen 
Kenntniſſe erproben ſollen“ Das wäre in der That eine ſonder— 
bare Sache. Zwei Jahre ſind viel zu wenig, um Theologie zu 
ſtudiren. Wie daher ſchon nach zwei Jahren ein theologiſches 
Examen beſtehen? Und dieſes Examen ſoll eine Staatsprüfung 
an der Landesuniverſität ſein. So ſoll alſo der Staat die 
Theologen in der katholiſchen Glaubens- und Sittenlehre prü— 
ſen? Durch wen? Soll zu dieſem Behufe wiederum in Gießen 
eine theologiſche Facultät neben der zu Mainz errichtet werden! 
Oder ſoll die Staatsprüfung von Anderen vorgenommen werden! 
Das Geſetz erkennt das Recht der Kirche an, für Diejenigen, 
welche ſich ihrem Dienſte widmen, Bildungsanſtalten zu errichten; 
auch hat die Kammer gegen das Seminar zu Mainz und ſeine 
theologiſche Lehranſtalt nichts beſchloſſen. Es kann daher ſelbſt 
nach dem neuen Religionsgeſetz das Mainzer Seminar mit jet 
ner theologiſchen Lebranftalt nicht angefochten werden. Wie 


119 


denkt ſich aber die Kammer das Verhältniß des theologiſchen 
Bienniums an einer deutſchen Hochſchule mit der Staatsprüfung 
in Gießen zu der im Mainzer Seminar zu ertheilenden Bil— 
dung? Sollen die Theologen die erſte Hälfte ihres Studiums 
an der Univerſität, die zweite am Seminar zu Mainz machen? 
Das wäre von pädagogiſchem Standpunkt aus eine ſehr ſchlechte 
Methode, ein Studium ohne Einheit, Zuſammenhang und 
Gründlichkeit. Nichts kann ſchädlicher ſein, als dieſes Ziehen 
von einer Schule zur andern; ſo werden oberflächliche und 
verworrene Köpfe gebildet. Es bedarf mindeſtens eines drei— 
jährigen, ſorgfältig geleiteten und einheitlichen Studiums, um 
einen ſoliden Grund zur theologiſchen Wiſſenſchaft zu legen. 
So lange wenigſtens ſollte ein Theologe an derſelben Lehran— 
ſtalt bleiben; dann mag er mit Nutzen auch andere Lehranſtal— 
ten beſuchen. Wir fragen ferner, wenn die Theologen das 
Studium der Theologie an der Hochſchule beginnen und im 
Seminar vollenden ſollen, weßhalb ſoll denn das Seminar, 
das im Stande iſt, ihrer wiſſenſchaftlichen Ausbildung die 
Vollendung zu geben, ſie nicht auch in das Studium der Theo— 
logie einführen und ihnen die Anfangsgründe dieſer Wiſſenſchaft 
beibringen? Wir finden auf alle dieſe Fragen nirgends eine die 
Vernunft befriedigende Antwort. 

Oder verſteht etwa das Geſetz unter der „allgemeinen wiſſen— 
ſchaftlichen Vorbildung“ das, was man nach dem gewöhnlichen 
Sprachgebrauche darunter verſteht, nämlich eine allgemeine Bil— 
dung in jenen Disciplinen, wie ſie etwa durch die philoſo— 
phiſche Facultät repräſentirt werden, im Unterſchiede von dem 
beſonderen Fachſtudium? Sollen alſo etwa die katholiſchen Theo: 
logen zwei Jahre lang an der Hochſchule philoſophiſche, philo— 
logiſche, hiſtoriſche, naturwiſſenſchaftliche Studien treiben? Aber 
welch' eine Laſt bürdet man da den Theologen im Vergleich 
mit den Studirenden anderer Facultäten auf! Denn dieſe, die 
Juriſten und Mediciner, auch die protejtantiichen Theologen, 
beginnen ſofort ihr Fachſtudium; die frühere, allerdings höchſt 
nutzloſe, Verpflichtung zu vier allgemeinen Zwangscollegien hat 
an unſerer Univerſität längſt aufgehört. Mit ſeltenen Aus— 
nahmen beſchäftigen ſich ſämmtliche Studenten von Anfang an 
ausſchließlich mit ihrem Fachſtudium, von irgend welchen allge— 
meinen Studien iſt kaum die Rede. Das iſt ein Factum, wenn 
auch ein beklagenswerthes und für die moderne Wiſſenſchaft und 
Bildung nichts weniger als rühmliches; aber es iſt eine That⸗ 


120 


ſache und zwar eine ſolche, die ſich nicht ändern läßt. Wie käme 
man alſo dazu, den Theologen ein zweijähriges allgemeines und 
philoſophiſches Studium vorzuſchreiben? 

Wir fragen alſo nochmals, was ſoll dieſes Biennium? Iſt 
es nicht in aller und jeder Beziehung eine haltloſe Halbheit? 
Conſequent iſt offenbar nur, entweder die Theologen ihr ganzes 
theologiſches Studium ungehindert im Seminar zu Mainz machen 
zu laſſen, oder ſie zu nöthigen, es an der Univerſität zu abſol— 
viren. Das letztere wäre freilich, wie wir alsbald zeigen wer— 
den, ein Eingriff in unveräußerliche Rechte der Kirche und eine 
Feindſeligkeit gegen die katholiſche Religion; aber es wäre doch 
conſequent und offen. — In jenem Biennium dagegen können. 
wir nur eine durch und durch unzweckmäßige, verderbliche, mit 
allen Forderungen einer ſoliden wiſſenſchaftlichen Bildung in 
Widerſpruch ſtehende Halbheit und, was noch ſchlimmer iſt, eine 
Chikane erkennen. Man verbietet das Seminar zu Mainz und 
das theologiſche Studium an demſelben nicht, aber man erſchwert 
daſſelbe offenbar durch jenes Zwangsbiennium in einer ſolchen 
Weiſe, daß es noch kaum mit Erfolg getrieben werden kann, 
und man erſchwert, verkümmert und verkrüppelt damit, ſo weit 
möglich, die Ausbildung der katholiſchen Theologen überhaupt. 
Derartige Maßregeln ſcheinen uns eines Geſetzgebers unwürdig 
zu ſein. 

Ich will nun auf den Gegenſtand näher eingehen und zeigen: 

1) daß die kaͤtholiſche Kirche und insbeſondere die Dibceſe 
Mainz ein unverletzliches Recht darauf hat, Diejenigen, welche 
ſich dem geiſtlichen Stande widmen, ſelbſt zu bilden und zu er— 
ziehen, und zwar in dem biſchöflichen Seminare zu Mainz. 

2) Daß jeder Zwang zum Beſuche einer Univerſität eine 
Feindſeligkeit gegen die katholiſche Kirche, eine unbillige Härte 
gegen die Theologen und eine Verletzung der Grundſätze wahrer 
Freiheit enthält. 

3) Daß alle Einwände gegen die Erziehung der Geiſtlichen 
im Seminare zu Mainz nicht auſ Wahrheit, ſondern auf Vor⸗ 
urtheilen und fremden Intereſſen beruhen. 

Aus einem doppelten Grunde hat die Kirche ein unverletz— 
liches Recht auf die Erziehung des Klerus, und zwar im biſchöf— 
lichen Seminar zu Mainz: aus dem Grunde des natürlichen 
und des poſitiven Rechtes. Der Unterricht in der Theologie 
iſt nichts Anderes als Religionsunterricht, und zwar die höchſte 
und wichtigſte Art des Religionsunterrichtes. Daß derſelbe in 


121 


wiſſenſchaftlicher Form ertheilt wird, ändert an der Sache nichts. 
Daher kann auch die katholiſche Theologie rechtmäßiger Weiſe 
nur im Namen und Auftrag der Kirche, nicht aber in dem 
des Staates ertheilt werden. Ebenſo weſentlich als der theologiſche 
Unterricht iſt aber auch die geiſtliche Erziehung der Theologen 
ein weſentliches und natürliches Recht der Kirche. Die Geſetze 
der katholiſchen Kirche verlangen neben der Wiſſenſchaft von 
ihren Dienern eine große Reinheit der Sitten, eine erprobte 
Tugend, und ſie gehen von dem Grundſatze aus, daß jene nicht 
dadurch am beſten bewahrt und dieſe nicht dadurch am voll— 
kommenſten erlangt wird, daß man die Jünglinge in der 
Zeit, wo ſie für alle Leidenſchaften und Verirrungen am zu: - 
gänglichſten ſind, in der Ungebundenheit des dermaligen Univer— 
ſitätslebens ſich ſelbſt überläßt, ſondern daß ſie unter den Augen 
des Biſchofs in wohlgeleiteten Seminarien in einer ihrem heiligen 
Stande entſprechenden Weiſe erzogen werden. 

Dieſes natürliche Recht der Kirche, ihre Prieſter in der Theo— 
logie zu unterrichten und zum geiſtlichen Stande zu erziehen, 
iſt ihr denn auch niemals und nirgends beſtritten worden. Was 
insbeſondere unſer Land betrifft, ſo iſt bekanntlich nach der 
Wiederherſtellung der kirchlichen Ordnung das Seminar zu 
Mainz als die Bildungsanſtalt für den Klerus der Diöceſe von 
Biſchof Colmar errichtet und von dem Staate auf Grund der 
franzöſiſchen Geſetzgebung auf's Förmlichſte anerkannt worden. 
Es blieb unverändert auch unter der Großh. Heſſiſchen Herrſchaft 
die anerkannte Bildungsanſtalt des Klerus und wurde als ſolche 
auf's Neue durch die Bullen Provida solersque und Ad Do- 
minici gregis custodiam beſtätigt, nachdem durch die Großh. 
Regierung der Beſtand des Seminars in Rom zugeſichert war. 
Es wurde auch dieſe geiſtliche Bildungsanſtalt niemals aufge: 
hoben; im Gegentheil, nachdem Biſchof Burg den biſchöflichen 
Stuhl beſtiegen und durch Perſonalveränderungen einige Pro— 
feſſuren an der theologiſchen Facultät zu Mainz erledigt wor— 
den waren, beſetzte dieſer Biſchof mit Zuſtimmung der Regie— 
rung die erledigten Profeſſuren vollſtändig. 

Allein nun wurde, unter Connivenz des Biſchofs, die 
Facultät in Mainz „trocken gelegt.“ Man errichtete, zur Un— 
zufriedenheit des Klerus und des Volkes, die theologiſche 
Facultät zu Gießen und brachte es dahin, daß mit wenigen 
Ausnahmen die Studenten der Theologie nach Gießen gingen; 
nachdem man dann die meiſten Profeſſoren am Seminare zu 


122 


Mainz auf andere Stellen befördert, ließ man ihre Lehrſtellen 
unbeſetzt. 


So geſchah es, daß die Mainzer Theologen, im Widerſpruch 
mit den unmittelbar zuvor dem Oberhaupte der Kirche geleiſteten 
Zuſicherungen, einige Decennien hindurch ihre Studien in Gie— 
ßen machten. Dagegen wurde die theologiſche Facultät zu Mainz 
niemals aufgehoben, und man wird vergeblich nach einem ein— 
zigen Buchſtaben eines Geſetzes oder einer Verordnung oder 
nach dem mindeſten Scheine eines Rechtsgrundes ſuchen, wel— 
cher dem dermaligen Biſchofe von Mainz, als er die Pro— 
feſſuren zu Mainz wieder beſetzte, entgegen geſtanden und die 
Theologen verhindert hätte, hier, anſtatt in Gießen, ihre 
Studien zu machen. Im Gegentheil wurde dadurch nur der 
rechtmäßige Zuſtand aufrecht erhalten und hergeſtellt. 


Allerdings ſagt der §. 25. der-Verordnung vom 30. Sa: 
nuar 1830: „Ein jeder der vereinigten Staaten wird, wo die— 
ſes nicht bereits ſtaͤttfindet, für die zweckmäßige Bildung der 
Candidaten des katholiſchen geiſtlichen Standes dadurch ſorgen, 
daß entweder eine katholiſch-theologiſche Facultät errichtet und 
als Facultät mit der Landesuniverſität vereinigt werde, oder 
daß die Candidaten nöthigenfalls aus dem allgemeinen katholi— 
ſchen Kirchenfond der Diöceſe unterſtützt werden, um eine auf 
dieſe Art eingerichtete Univerſität in der Provinz beſuchen zu 
können.“ 


Allein abgeſehen davon, daß dieſe Verordnung, wie wir 
früher ſahen, eine ſchreiende Verletzung aller Rechte und recht— 
mäßigen Anſprüche der katholischen Kirche involvirt; daß ſie 
durchaus nicht den Charakter eines Geſetzes hat, wie ſie ſich 
denn ſelbſt als eine einfache Regierungs- Bekanntmachung, das 
Schutz- und Aufſichtsrecht über die katholiſche Kirche betreffend, 
charakteriſirt, enthält dieſer §. 25. auch in keiner Weile eine 
bindende Vorſchrift; er ſagt lediglich, was die Regierungen 
thun wollen, nicht aber ſpricht ſie den Biſchöfen und der katholi— 
ſchen Kirche ein Recht ab. Daher konnte auch der Beſuch der 
Landesuniverſität durch die katholiſchen Theologen nur da er— 
wirkt werden, wo der Biſchof dazu freiwillig mitwirkte, wie 
dieß im Großherzogthum Heſſen mit dem Biſchofe Burg der 
Fall war. Auch die Kurheſſiſche Regierung wollte in Marburg 
eine theologiſche Facultät errichten und hatte bereits zwei Pro— 
feſſoren, darunter einen, wenn wir nicht irren, gerade damals mit 


123 


feiner Verheirathung beſchäftigten Laien als Profeſſor der Dog 
matik ernannt; allein da das Ordinariat zu Fulda ſich wider— 
ſetzte, brachte die Facultät zu Marburg es nie zum Daſein, die 
Theologen ſtudirten nach wie vor im Seminar zu Fulda. Frei 
burg war ohnehin eine altkatholiſche Univerſität und Facultat; 
auch die Facultät zu Tübingen iſt eigentlich nicht eine neue 
Stiftung, ſondern die katholiſche Faenltät von Ellwangen. Die 
Facultät zu Gießen war ein vorübergehender Verſuch, den 
$. 25. der Verordnung vom 30. Januar 1830 zur Ausführung 
zu bringen. — Er wird, daran iſt nicht zu zweifeln, nie 
mehr erneuert werden und noch weniger koͤnnte ein ſolcher Ver— 
ſuch gelingen. Jedenfalls iſt gewiß, daß die theologiſche 
Lehranſtalt zu Mainz mit ſo vollem Recht beſteht, als nur 
irgend eine Lehranſtalt im weiten Vaterlande, und daß auch die 
Verordnung vom 30. Januar 1830 derſelben in keiner Weiſe im 
Wege ſteht. Zum Ueberfluß hat aber auch das neue Religions- 
geſetz ſelbſt in ſeinem Art. 15. den §. 25., wie nicht minder 
die §8. 26. und 27. förmlich für aufgehoben erklärt, offenbar 
weil dieſelben in zu flagrautem Widerſpruch mit ſeinem Art. 14. 
ſich befinden, welcher den Kirchen das Recht garantirt, eigene 
Bildungsanſtalten für Die, welche ſich dem geiſtlichen Stande 
widmen, zu errichten. ’ 

Die katholiſchen Theologen zwingen, ihre Studien anjtatt 
gam biſchöflichen Seminare zu Mainz ganz oder theilweiſe an der 
Univerſität, insbeſondere zu Gießen zu machen, iſt aber auch 
ein Act der Feindſeligkeit gegen die katholiſche Kirche, 
der Härte und Unbilligkeit gegen die Theologen und 
eine grobe Verletzung der religiöſen Freiheit. Die ta: 
tholiſche Kirche — darüber hat ſie ſich auf dem allgemeinen Con— 
cil von Trient, ſowie durch den Mund ihrer Oberhirten und ihrer 
größten Autoritäten bis auf die Gegenwart auf's Beſtimmteſte 
ausgeſprochen — hält die Bildung der jungen Theologen in den 
kirchlichen Seminarien für die beſte und heilſamſte Form und 
Weiſe der Erziehung des Klerus; ſie erblickt darin die höchſt 
mögliche Garantie, würdige, tugendhafte und tüchtige Seel: 
ſorger zu bekommen; ſie iſt überzeugt, daß das Seelenheil der 
Prieſter und der Gläubigen weſentlich durch dieſe Erziehung ge— 
fördert werde; dagegen hält ſie das Univerſitätsleben — ſeitdem 
die Glaubenseinheit in Deutſchland verloren gegangen; ſeitdeim 
die Univerſitäten aufgehört haben, zugleich kirchliche Anſtalten zu 
ſein; ſeiidem auch allerwärts die alten Burſen und Collegien 


124 


verſchwunden, wie ſie dermalen nur noch theilweiſe in England 
und in Belgien beſtehen und einen mehr erziehenden Einfluß auch 
an der Hochſchule ermöglichten; ſeitdem endlich die wiſſenſchaft— 
lichen Richtungen und die Geſtaltung des Lebens an den Hoch— 
ſchulen vielfach im argen Gegenſatz zu den Grundſätzen des ka— 
tholiſchen Glaubens getreten — wir ſagen, ſie hält dieſes Uni— 
verſitätsleben, wie es nun einmal gegenwärtig beſchaffen iſt, 
für unvereinbar mit dem Berufe des katholiſchen Theologen, 
für gefährlich und nachtheilig für ſeine Sitten und ſeinen Glau— 
ben; das iſt ihre Ueberzeugung und ihre Ueberzeugung iſt auch 
die aller gläubigen Katholiken, denen in religiöſen Angelegen— 
heiten die Kirche die höchſte Autorität iſt. 


Steht aber Das feſt, ſo iſt es offenbar ein Act der empfind— 
lichſten Feindſeligkeit und der ſchmerzlichſten Verletzung, wenn 
man die Kirche nöthigen will, das Koſtbarſte, was ſie be— 
ſitzt, nämlich die Jünglinge, die ſich dem heiligen Dienſte 
weihen wollen, jenen Gefahren bloß zu ſtellen und ſie einer 
Erziehung zu übergeben, welche ſie für ungeeignet und vielfach 
für ſchädlich hält, und wenn man ſie hindert, ihre Geiſt— 
lichen auf die Weiſe zu erziehen, welche ſie für die beſte hält 
und wozu ſie durch die ſeierlichſten Geſetze ihre Biſchöfe ver— 
pflichtet hat. 


Die Kirche muß um jo mehr in dieſem Univerſitäts— 
zwange eine feindſelige Maßregel erblicken, wenn ſie ſich erin— 
nert, daß das Beſtreben, der katholiſchen Kirche die Erziehung 
ihrer eigenen Geiſtlichen zu entziehen und dem Staate zu über— 
geben, in die traurigſte Zeit der Unterdrückung aller kirchlichen 
Freiheit fällt; daß man damals förmlich darauf ausging, 
durch dieſe Univerſitätsbildung den künftigen katholiſchen Geiſt— 
lichen einen Geiſt und eine Richtung beizubringen, welche die 
Kirche entſchieden mißbilligt. Was in dieſer Beziehung Alles 
in der erſten Hälfte unſeres Jahrhunderts geſchehen iſt; welche 
Männer zum Theil zur Erziehung der katholiſchen Theologen 
an Hochſchulen angeſtellt worden ſind; wie von der Kirche ver— 
worfene und nun allgemein in der katholiſchen Welt als falſch 
und verderblich anerkannte Richtungen und Syſteme, man denke 
nur an den ſogenannten Hermeſianismus, von dem Staate Jahre 
lang beſchützt und befördert und welche Nachtheile und Verwir— 
rungen dadurch über die Kirche gebracht worden ſind — können 
wir hier nicht auseinander ſetzen. 


125 


Um zu zeigen, daß es der Kirche gewiſſenshalber abjolut 
unmöglich iſt, fortan ihre Theologen in Gießen ſtudiren zu 
laſſen, genügt übrigens ſchon das neue Religionsgeſetz ſelbſt, nämlich 
jenes merkwürdige Privileg, welches der Art. 10. den Profeſſo— 
ren der theologiſchen Facultät ertheilt. Dieſer Artikel anerkennt 
das natürliche und weſentliche Recht der kirchlichen Disciplinarge— 
walt bezüglich der Geiſtlichen; allein er macht hiebei eine Aus— 
nahme: „Die Beſtimmungen der Kirchendisciplin in 
Rückſicht der Kleriker finden auf die Lehrer einer 
theologiſchen Faeultät als ſolche keine Anwendung.“ 
Gegenſtand der kirchlichen Disciplin bezüglich der Geiſtlichen 
ſind deren Glaube und Sitten. Wenn ein Geiſtlicher ent— 
weder den Glauben verletzt, Irrthümer behauptet, falſche 
Lehren verbreitet, oder wenn er ſich ſittliche Vergehen zu Schul— 
den kommen läßt, wenn er den Gläubigen Aergerniß gibt, die 
Pflichten ſeines Standes verletzt, durch ſein Benehmen gerech— 
ten Anſtoß gibt: dann iſt das Recht und nicht bloß das Recht, 
ſondern die ſtrengſte Pflicht der Kirche, insbeſondere des Bi— 
ſchofs begründet, gegen denſelben in der geeigneten Weiſe dis— 
ciplinariſch einzuſchreiten und, wenn gelindere Mittel fruchtlos 
bleiben, ihm die Verrichtungen ſeines Amtes zu unterſagen, 
ihn ſelbſt ſeines Amtes zu entſetzen und im äußerſten Falle 
ihn von der Kirchengemeinſchaft auszuſchließen. Dieſes Recht 
und dieſe Pflicht der Kirche iſt evident und auch das neue Reli— 
gionsgeſetz erkennt ſie im Weſentlichen an. Alle Prieſter ohne 
Ausnahme, auch die höchſtgeſtellten, die Biſchöfe ſelbſt nicht aus— 
genommen, ſind dieſer kirchlichen Disciplinargewalt unterworfen; 
ohne ſie kann die kirchliche Ordnung, können Glaube und Sitten 
nicht beſtehen. Wenn daher das Geſetz ausdrücklich die Profeſſo— 
ren der theologiſchen Facultät von der Disciplinargewalt der 
Kirche ausnimmt, ſo iſt das eine direct auf die Zerſtörung der 
kirchlichen Ordnung gerichtete Beſtimmung; dadurch hat der 
Geſetzgeber offenbar die Abſicht kund gegeben, daß auch ſolche 
Profeſſoren, welche mit dem Glauben und den Sittenvorſchriften 
der Kirche ſich in Widerſpruch geſetzt, gegen kirchliches Einſchrei— 
ten geſichert, unter dem Schutze des Staates fortwährend ihr 
theologiſches Lehramt verwalten und die künftigen Geiſtlichen er— 
ziehen können und ſollen. Ein graſſerer Eingriff in die heiligſten 
Rechte und Intereſſen der Religion, eine offenbarere Protection 
unkirchlicher Tendenzen läßt ſich nicht denken. Wie? Muß denn 
die Kirche nicht am allermeiſten von Denen, welchen ſie die Er— 


126 


ziehung des Klerus anvertraut, Fordern, daß fie für Alle ein 
Vorbild in der Reinheit und Treue des Glaubens, im Gehorſam 
und der Liebe gegen die Kirche, in allen chriſtlichen und prieſter— 
lichen Tugenden ſeien? Hier aber trifft das Geſetz förmlich Vor— 
ſorge, die Univerſitätsprofeſſoren von dem Gehorſam gegen ihre 
Kirche zu entbinden und, falls ſie mit ihren kirchlichen Oberen in 
Oppoſition treten, ſie gegen dieſelben in Schutz zu nehmen. 

Man wird vielleicht darauf hinweiſen, daß das Geſetz nur 
die Facultätsprofeſſoren als ſolche von der kirchlichen Disci— 
plinargewalt ausnehme. Wir wiſſen nicht, was der Geſetzgeber 
ſich bei dieſem „als ſolche“ gedacht hat. War es ſeine Mei— 
nung, daß die Univerſitätsprofeſſoren in ihrer Eigenſchaſt als 
Geiſtliche zwar der kirchlichen Disciplin unterworfen ſeien, nicht 
aber als Lehrer der Theologie, ſo wird die Sache dadurch 
nicht beſſer, ſondern wenn möglich noch ſchlimmer; denn das 
heißt ja, daß ein Profeſſor, wenn er auch als Katholik und als 
katholiſcher Prieſter ſich ſchwere Disciplinarſtrafen zugezogen, 
dennoch fortwährend Lehrer und Erzieher der Theologen ſein 
könne, ſo daß alſo unter Umſtänden ein ſuspendirter, ja 
ein excommunicirter Prieſter der Bildner des Klerus bliebe 
und der Biſchof kein Mittel hätte, die Zöglinge des Prieſter— 
thums gegen ſeine verderblichen Einflüſſe zu ſichern. Aber wir 
zweifeln keinen Augenblick daran, daß den Geſetzgebern in der 
zweiten Kammer ganz andere Gedanken vorſchwebten. Sie woll- 
ten ohne Zweifel die Profeſſoren der theologiſchen Facultät gegen 
alles und jedes Einſchreiten der kirchlichen Autorität ſicher ſtellen 
und ihnen eine von der kirchlichen Autorität unabhängige Stel⸗ 
lung geben: das iſt aber einfach im Widerſpruch mit der Fatho- 
liſchen Glaubenslehre. Jeder Katholik und am allermeiſten der 
Lehrer der katholiſchen Glaubenslehre iſt der kirchlichen Autori⸗ 
tät unterworfen. Es gibt kein von dem kirchlichen Lehramt un⸗ 
abhängiges katholiſch⸗theologiſches Lehramt der Profeſſoren. Nur 
im Namen und Auftrag der Kirche, in Abhängigkeit von ihr und 
unter ihrer Leitung können ſie die katholiſche Theologie lehren; 
ein Profeſſor, der das nicht anerkennt, hat einfach und förmlich 
aufgehört, katholiſch zu ſein. Wenn alſo das Geſetz den theolo— 
giſchen Profeſſoren eine ſolche von der Autorität der Kirche un⸗ 
abhängige Stellung einräumen und ſo einen von der kirchlichen 
Autorität unabhängigen und deßhalb unkatholiſchen Lehrkörper 
zur Erziehung der katholiſchen Theologen conſtituiren will, ſo 
liegt darin ein Angriff auf das innerſte Heiligthum der Religion, 


127 


auf den Glauben ſelbſt und das dieſen Glauben nach Chriſti 
Einſetzung bewahrende kirchliche Lehramt ). 

Eine theologiſche Facultät, wie das neue Geſetz ſich eine 
denkt, ift demnach ein unkatholiſches Inſtitut, an der 
weder je ein katholiſcher Jüngling ſtudiren, noch 
ein katholiſcher Prieſter eine Lehrſtelle annehmen 
kann. 

Damit haben wir bereits ausgeſprochen, daß nur dann an 
einer Hochſchule eine theologiſche Facultät beſtehen und katholiſche 
Jünglinge an derſelben ſtudiren können, wenn die Kirche 
dieſe Facultät zugleich als kirchliche Lehranſtalt 
anerkennt, wenn ſie den Proſeſſoren die zur Ausübung ihres 
theologiſchen Lehramtes nothwendige kirchliche Sendung 
ertheilt und wenn die kirchlichen Vorgeſetzten, was Lehre und 
Disciplin betrifft, ihre rechtmäßige Autorität ungehemmt aus— 
üben können. So faſſen auch wirklich alle rechtmäßig beſtehen— 
den katholiſchen Facultäten ihre Stellung auf. 

Allein wenn auch das Al. 3. Art. 10. des neuen Religions- 
geſetzes nicht geſchrieben, wenn auch für die kirchliche Stellung 
der theologiſchen Facultät zu Gießen alle wünſchenswerthe Ga— 
rantie gegeben, ſelbſt wenn in Gießen, wie das an allen deut— 
ſchen Hochſchulen der Fall iſt, wo katholiſche Facultäten ?) be: 
ſtehen, für die Theologen ein Convict errichtet wäre, in welchem 
ſie unter geeigneter geiſtlicher Leitung gemeinſam leben; ſelbſt 
dann würde es eine unerträgliche Härte und Unbdilligkeit invol— 
viren, die Facultät in Mainz zu unterdrücken, um ſie nach 
Gießen zu verpflanzen. 

Kann man ſich in der That etwas Widernatürlicheres denken, 
als die geiſtlichen Studien, die in Mainz ſeit Jahrhunderten ge- 
blüht haben, von dieſem ihrem natürlichen Boden hinweg nach 
Gießen mitten in den Proteſtantismus zu verlegen. Es iſt uns 


1) Wir halten es für überflüßig zu erwähnen, daß jenes Privileg des 
Art. 10. unmöglich bloß die Abſicht haben kann, den theologiſchen Profeſſoren 
ihre Stellung als Staatsdiener und ihren Staatsgehalt zu ſichern. Dazu 
bedarf es keiner geſetzlichen Beſtimmung. Die Kirche kann dem Staate 
nicht wehren, ſeine Gehalte, wem er will, zu geben; aber ſie wird nim— 
mermehr einen Anderen als Lehrer der Theologie anerkennen, als einen 
Solchen, der von ihr die Sendung hat und ihr Vertrauen beſitzt. 

2) In Freiburg, Tübingen, Bonn 2c beſtehen Convicte, in Würzburg 
beſteht für die Angehörigen der Diöceſe ein förmliches Seminar und die 
Vorleſungen der Hochſchule werden im Seminar gehalten. 


128 


nichts fremder als Engherzigkeit oder Uebelwollen den Prote— 
ſtanten gegenüber, allein wir fragen jeden unbefangenen Pro— 
teſtanten ſelbſt, ob denn das vernünftig und liberal gegen die 
katholiſche Kirche gehandelt iſt. Wo gehört denn die theologiſche 
Lehranstalt mehr hin, als an den Mittelpunkt des kirchlichen 
Lebens, unter die Augen des Biſchofs, an den Ort, wo, was 
Wiſſenſchaft und Leben betrifft, eine Fülle von Hilfsmitteln ge— 
geben ſind, von denen in Gießen gar nicht die Rede ſein kann. 

Und welche Härte liegt darin gegen die katholiſchen Theologen 
und ihre Eltern ſelbſt! Während die meiſten katholiſchen Theo— 
logen früher ſich mit Schulden beladen mußten, um die Koſten des 
Univerſitätslebens und die Collegiengelder ) zu beſtreiten, können 
ſie in Mainz mit weit geringeren Koſten ihre Studien vollenden, 
frei von allen Nahrungsſorgen und in ihren äußeren Verhält— 
niſſen weit angenehmer und weit würdiger geſtellt, als dieß bei 
unbemittelten Univerſitätsſtudenten der Fall iſt. 

Doch wir wollen dieſem Punkte keine weitere Aufmerkſamkeit 
ſchenken. 

Um ſo mehr aber müſſen wir bei dem oben angedeuteten drit— 
ten Punkte verweilen, daß nämlich die Einwände gegen die Bil- 
dung der Geiſtlichen im Seminar zu Mainz auf Vorurtheilen 
und fremdartigen Intereſſen beruhen, nicht aber irgendwie 
in der Wahrheit und den wahren Intereſſen der Kirche und des 
Staates begründet ſind. Wären dieſe Vorurtheile und fremden 
Intereſſen nicht, nie wäre es Jemanden eingefallen, die theologi— 
ſchen Studien in Mainz anzufeinden. Deshalb iſt es nothwendig, 
daß wir uns über dieſen Punkt noch mit aller Offenheit und 
Klarheit ausſprechen. Wir wollen es in einem beſonderen Pa— 
ragraphen thun. 


6. Das Mainzer Seminar und die Voturtheile dagegen. 


* 


Die Einwände, welche man gegen die Erziehung der Geiſt— 
lichen in Seminarien zu erheben pflegt, laſſen ſich, wie mir ſcheint, 
auf drei zurückführen. 

Der Einwand, den wir zuerſt erledigen wollen, iſt nicht 
ſowohl ein Einwand, über den ſich discutiren läßt, als vielmehr 
eine Invective gegen die katholiſche Kirche, die nur eine 
aller Billigkeit und Mäßigung entkleidete Feindſeligkeit erhe— 
ben, der gläubige Katholik aber nur mit Indignation zurück— 


1) Denn dieſelben müſſen, auch wenn fie geſtundet wurden, ſpäter 
nachbezahlt werden. 


129 


weiſen kann. Dieſer Einwand lautet: In den Seminarien wür⸗ 
den die Geiſtlichen in einem „hierarchiſchen“, „ultramontanen“ oder 
auch in einem „lichtſcheuen“ oder „mönchiſchen“ Geiſte erzogen; 
darum müſſe der Staat dafür ſorgen, daß an den Hochſchulen 
„liberale“, „aufgeklärte“, „zeitgemäße“ Geiſtliche gebildet würden. 
Wir haben oben hinlänglich gezeigt, was im Sinne ſolcher Reden 
die Ausdrücke „hierarchiſch“, „ultramontan“ und dergleichen be— 
deuten. In der Wirklichkeit werden in den kirchlichen Lehranſtalten 
die Theologen in der Lehre und in dem Geiſte der katho— 
liſchen Kirche erzogen. Den Theologen einen anderen als 
dieſen Geiſt beibringen, heißt ſie dekatholiſiren. Hätte alſo das 
Studium der Theologie an der Univerſität dieſen Zweck, ſo wäre es 
auf eine allmählige Dekatholiſirung des Klerus gerichtet und die 
Kirche hätte doppelten Grund, ſich deſſen zu erwehren. Wir den— 
ken, das wird genügen, um Alle, die es mit den theologiſchen Univer— 
ſitätsfacultäten wohl meinen, zu beſtimmen, dieſen Einwand nicht 
einmal von ferne zu erheben. Uebrigens iſt es ja auch eine reine 
Thorheit, für die erſte Hälfte der theologiſchen Studienzeit den 
Geiſt des Seminars zu perhorresciren, während man ihn für die 
zweite und wichtigere Hälfte ſich gefallen läßt. 

Der zweite Einwand betrifft die wiſſenſchaftliche Aus— 
bildung. Man behauptet, die Univerſität gewähre den Theo— 
logen eine vollkommenere wiſſenſchaftliche Bildung, als ein Seminar 
zu geben im Stande ſei. 

Hier, wie überall, iſt es von Wichtigkeit, die Sache nicht 
abſtract und im Allgemeinen, ſondern concret zu betrachten. Ab— 
ſtract und im Allgemeinen hat noch Niemand es beſtritten, daß 
eine Univerſität eine größere Fülle von Bildungsmitteln in ſich 
vereinigt, als dies an einer Specialſchule der Fall iſt. Der 
Grund liegt darin, daß an einer Univerſität, wie die allgemeinen 
Wiſſenſchaften, ſo auch alle Fachwiſſenſchaften vereinigt ſind, 
daher Jedem Gelegenheit geboten iſt, die allſeitigſte Bildung ſich 
anzueignen. Auch auf die Lehrer und die' Betreibung der Wiſſen— 
ſchaften ſelbſt wirkt dieſe Universitas literarum und der ge— 
ſteigerte geiſtige Verkehr an einer ſolchen Hochſchule vortheilhaft ein. 

Betrachten wir aber die Sache concret, ſo ſtellen wir all 
dem Gerede von der Nothwendigkeit, die Studien der Theologen 
im Intereſſe ihrer wiſſenſchaftlichen Ausbildung wieder von Mainz 
nach Gießen zu verlegen, offen und getroſt die Behauptung ent— 
gegen, daß die Theologen gegenwärtig in Mainz 
eine mindeſtens eben ſo gute, ja ganz gewiß in mancher Beziehung eine 

Heinrich, Der Kampf der Kirche. 9 


130 


gründlichere wiſſenſchaftliche Bildung empfangen, 
als dieſes früher in Gießen der Fall war. Es 
wird mir, obwohl ich ſelbſt als Lehrer am Mainzer Seminar 
betheiligt bin, geſtattet fein, dies auszuſprechen. Weßhalb ſollte 
ich auch die wiſſenſchaftliche Ehre unſerer Lehranſtalt nicht verthei— 
digen dürfen, da doch jedes Mitglied eines wiſſenſchaftlichen Lehr— 
körpers ſich berechtigt und verpflichtet hält, für deſſen Ehre ein. 
zuſtehen. 

Jeder Unkundige und Unberufene hält ſich für befugt, über 
die wiſſenſchaftlichen Leiſtungen des Mainzer Seminars abzu— 
ſprechen; aber wir müſſen fragen, welche Gründe und welche Be— 
rechtigung man dazu hat. 


Am Mainzer Seminar ſind ſämmtliche Lehrſtellen der theo— 
logiſchen Wiſſenſchaften vollſtändiger, als in Gießen der Fall 
war, beſetzt. Oder will man etwa die Behauptung aufitellen, 
daß die Lehrer am Mainzer Seminar bloß aus dem Grunde, 
weil ſie in Mainz und nicht in Gießen lehren, minder tüchtig 
ſeien? Die Gießener Facultät hat während der Dauer ihrer 
Wirkſamkeit einige tüchtige Männer beſeſſen; ein Theil der theo— 
logiſchen Docenten aber war nicht über dem Niveau der 
Mittelmäßigkeit. Kein Menſch hat das Recht, das gegen— 
wärtige Lehrercellegium an der theologiſchen Faculät zu Mainz 
an wiſſenſchaftlicher Tüchtigkeit der Facultät zu Gießen zu irgend 
einer Zeit ihres Beſtehens nachzuſetzen. Wenn heute die Facultät 
zu Gießen neu beſetzt werden ſollte, ich denke, man wäre der 
größten, ja einer unüberſteiglichen Schwierigkeit überhoben, wenn 
die Mainzer Profeſſoren ſich entſchließen würden, in Gießen ihre 
Lehrthätigkeit auszuüben und auch die Profeſſoren der übrigen 
Facultäten in Gießen würden ihnen ſchwerlich die wiſſenſchaftliche 
Ebenbürtigkeit beſtreiten. 

Man mag das vielleicht eine ſtolze Sprache nennen; ich 
halte ſie für eben ſo verträglich mit der chriſtlichen Demuth, als 
gefordert von einer männlichen Offenheit und Freimüthigkeit. So 
viel über dieſen Punkt. 

Wenden wir nun der Art und Weiſe, wie die Studien in 
Mainz betrieben werden und wie die Theologen denſelben ob— 
liegen, unſere Aufmerkſamkeit zu. 

Was die Philoſophie betrifft, fo hören alle Zöglinge des 
Mainzer Seminars mindeſtens folgende Vorleſungen: Logik, Pſy— 
chologie, Metaphyſik und Geſchichte der Philoſophie. 


131 


So vollſtändig haben niemals die Theologen in Gießen Philo— 
ſophie gehört; allein was noch unendlich wichtiger iſt, es werden 
ihnen philoſophiſche Sy ſteme vorgetragen, die wir entſchieden 
als falſch betrachten müſſen und welche ihnen höͤchſtens eine gewiſſe 
formelle Bildung gewährten, in der Sache ſelbſt aber für ihre 
ferneren Studien keine oder ſchlimme Dienſte leiſteten. Ja ge— 
rade hier zeigt ſich der Univerſitätszwang von ſeiner unerträg— 
lichſten Seite, indem dadurch die katholiſchen Theologen, die 
künftigen Lehrer der chriſtlichen Wahrheit, oft genöthigt waren, 
eine mit der chriſtlichen Wahrheit in diametralem 
1 ſtehende, eine ganz oder halb pantheiſtiſche, 
eine falſch dualiſtiſche Philoſophie zu hören. Künftige Zeiten wer— 
den es unglaublich finden, was in dieſer Beziehung unſer Jahr— 
hundert nicht bloß der chriſtlichen Jugend überhaupt, ſondern ſogar 
den katholiſchen Theologen zugemuthet hat. 

Doch hier iſt nicht Ort und Raum, dieſen Gegenſtand ein— 
gehender zu beſprechen; ich will mich lieber begnügen, zu conſta— 
tiren, daß die philoſophiſchen Studien — allerdings durch Schuld 
der modernen Philoſophie und Philoſophen — dermalen an den 
Hochſchulen in argem Verfalle ſich befinden. Wie wir be— 
reits oben ſagten, werden die allgemeinen Studien gar ſehr 
vernachläßigt. Juriſten und Mediciner betreiben ihre Fach— 
ſtudien und haben am Ende Recht, wenn ſie ihre ganze, ſo 
kurz gemeſſene Studienzeit dazu verwenden. Deßhalb möge 
man aber auch für die Theologen auf die allgemeine phi— 
loſophiſche Bildung, welche ihnen Gießen gewähren ſoll, kein 
ſo großes Gewicht legen. Ja wir könnten mit allem Grunde 
klagen, daß ſie in ihren Univerſitätsſtudien früher nicht einmal die 
nothwendigſten philoſophiſchen Vorkenntniſſe, die zu einem gedeih— 
lichen Betriebe jeder Wiſſenſchaft, beſonders aber der Theologie 
nothwendig ſind — wir erinnern nur an eine ſolide Logik und an 
die Grundbegriffe der Metaphyſik — ſich aneigneten. Wir glau— 
ben, daß es hierin an unſerem Seminare weſentlich beſſer 
ſteht. 

Ferner iſt es eine Erfahrung, daß im Durchſchnitt an 
der Hochſchule in den Fächern wenig oder nichts geleiſtet 
wird, in denen man kein Examen zu beſtehen hat. Im Mainzer 
Seminar muß jeder Theologe am Schluſſe des zweiten Studien— 
jahres eine philoſophiſche Prüfung, die ſich über alle Hauptfächer 
der Philoſophie erſtreckt, beſtehen, was in Gießen nicht der 
Fall war. 

9 * 


132 


Was nun die Theologie betrifft, ſo werden alle theo— 
logiſchen Disciplinen, welche an den deutſchen Univerſitäten tractirt 
werden, auch in Mainz vorgetragen, und zwar die Haupt: 
fächer meiſtens ausführlicher und gründlicher, als in Gießen der 
Fall war. So umfaßt der Curſus der Dogmatik zwei volle 
Jahre, während an der Hochſchule ihm meiſtens nur ein Jahr, mit— 
unter noch weniger zugemeſſen war; Moral wird während dreier 
Jahre vorgetragen; der Einleitung in die Theo— 
logie und Apologetik wird ein Jahr gewidmet; deß— 
gleichen der Kirchengeſchichte, dem Kirchenrechte, 
nicht minder der Einleitung in die heilige Schrift. 
Die Eregeſe wird während der drei erſten Jahre betrieben und 
werden die wichtigeren Bücher des alten und neuen Teſtamentes, zum 
Theil eingehend in der Urſprache, zum Theil curſoriſch durch— 
genommen. Daß wir aber ſo beträchtlich mehr Zeit auf die 
wichtigeren Vorleſungen verwenden können, als in Gießen der 
Fall war, hat, abgeſehen davon, daß man in einem Seminar 
die Zeit in mancher Beziehung beſſer benützen kann, haupt— 
ſächlich ſeinen Grund darin, daß unſere Studienzeit nicht drei, 
ſondern vier Jahre beträgt. Früher pflegte es nach den drei 
Univerſitätsjabren mit den ſtreng wiſſenſchaftlichen Studien ſo 
ziemlich zu Ende zu ſein. Das Examen war gemacht und in 
dem oft nicht vollſtändigen letzten Jahre im Seminare war man 
vollauf mit der Erlangung der nothwendigen praktiſchen Aus— 
bildung beſchäftigt. Das iſt jetzt weſentlich anders. Die wiſſen— 
ſchaftlichen Studien werden auch im vierten Jahre gleichmäßig 
fortgeſetzt; neue Vorleſungen werden gehört; vieles Praktiſche 
aber, was der von der Hochſchule kommende Theologe mit 
Mühe ſich aneignen mußte, wird während des vierjährigen Auf— 
enthaltes in dem Seminare ohne Mühe und beſonderen Zeitauf— 
wand angeeignet. 

Das Wichtigſte bei aller wiſſenſchaftlichen Ausbildung iſt 
und bleibt ſtets das eigene Studium, ein gleich— 
mäßiger und wohlgeordneter Fleiß, verbunden 
mit einer zweckmäßigen und weiſen Leitung. Ge 
rade hier iſt die ſchwächſte Seite des dermaligen deutſchen 
Univerſitätslebens. Es wird zwar jetzt durchſchnittlich an 
den Hochſchulen mehr ſtudirt, als dies noch vor zwanzig 
Jahren der Fall war. Viele Studenten ſind zur Einſicht 
gekommen, daß man vom erſten Semeſter bis zum letzten 
die Zeit gut benutzen müſſe, um einigermaßen tüchtig in 


133 


jeinem Fache zu werden. Aber nichtsdeſtoweniger werden 
immer von vielen Studenten die erſten Jahre der Stu— 
dienzeit gar mangelhaft benutzt, um dann in der letzten 
Zeit vor dem Examen in aufreibender Haſt und übertrie— 
bener Anſtrengung das Verſäumte nachzuholen. Dieſer Ue— 
belſtand iſt in unſerem Seminar nicht vorhanden und Jeder, 
der daſſelbe beobachten will, wird ſich überzeugen, daß von 
Anfang bis zum Ende ein ernſtes, fleißiges und wohlorgani— 
ſirtes Studium ſtattfindet, wobei die Studirenden, unbe— 
ſchadet der nöthigen Freiheit, bei ihren Profeſſoren perſön— 
liche Leitung und Unterſtützung finden. 


Auch ſtehen ihnen in der anſehnlichen Bibliothek des 
Seminars und in Privatbibliotheken reichlich und mit der 
größten Bequemlichkeit alle erwünſchten literariſchen Hilfs— 
mittel zu Gebot. Es dürften daher die Theologen im Se— 
minar zu Mainz mit den Quellen, insbeſondere mit den 
Kirchenvätern, ſchon durch den häufigen Beſuch der Biblio— 
thek, vertrauter werden, als dies an der Hochſchule der Fall 
war. Auch noch andere Veranſtaltungen fördern die Stu— 
dien, die in Gießen nicht beſtanden: es werden öftere Re— 
petitorien und Examinatorien abgehalten; ſelbſtſtän— 
digeres Streben und Schaffen aber wird durch jährliche 
Preisaufgaben, welche in den verſchiedenen Fächern ge— 
geben werden, angeregt und gefördert. 


Wenn Kritiker, welche nie unſer Seminar geſehen haben, 
die Behauptung aufſtellten, daß darin mehr eine Abrichtung 
zu Aeußerlichkeiten, als eine lebendige wiſſenſchaftliche Thä— 
tigkeit jtattfinde — ſo gehört das zu jenen rein aus der 
Luft gegriffenen Phraſen, die man ohne Grund und Beweis 
hinauswirft. Ich ſtelle ihr einfach die Verſicherung entge— 
gen, daß die Profeſſoren und Vorſtände des Mainzer Se: 
minars es als ihre weſentliche Aufgabe betrachten, ein le— 
bendiges und ſelbſtſtändiges wiſſenſchaftliches Streben unter 
den Theologen zu wecken und daß ſie Grund haben zu glau— 
ben, daß ihr Bemühen nicht ohne Frucht geblieben iſt. 


Daß unſere Mainzer Lehranſtalt gute wiſſenſchaftliche Ne: 
ſultate erzielt und Diejenigen befriedigt, welche ſie kennen und 
denen ein Urtheil zuſteht, wird durch die ſeit zwölf Jahren 
zunehmende Frequenz und das Vertrauen, das ſie in weiten 
Kreiſen genießt, beſtätigt. In dieſen zwölf Jahren hat die 


134 


Zahl der Studirenden am Mainzer Seminar durchſchnittlich 
in jedem Jahre 70—80, öfters noch mehr betragen, was die 
ehemalige Frequenz der Gießener Facultät ſehr bedeutend über— 
ſteigt und ein um ſo günſtigeres Zeugniß ablegt, da faſt 
die Hälfte der in Mainz ſtudirenden Theologen Au 2: 
länder ſind ); unter letzteren waren nicht wenige, welche 
von Hochſchulen kamen, um ihre Studien in Mainz zu voll— 
enden. 


Als ferneres Argument, daß unſere Lehranſtalt hinter 
den Anforderungen der Wiſſenſchaft nicht zurückbleibt, kann 
man anführen, daß eine Anzahl von Zöglingen unſeres Se— 
minars, die nach Vollendung ihrer Studien in Mainz, zu 
ihrer ferneren Ausbildung, noch deutſche und ausländiſche hohe 
Schulen beſuchten, daſelbſt ſich vollſtändig orientirt fanden und 
mit beſtem Erfolge den Studien oblagen. 


Bereits iſt eine beträchtliche Anzahl wiſſenſchaftlich tüchtiger 
Geiſtlicher aus unſerem Seminar hervorgegangen, von denen manche 
im In: und Auslande bereits wieder als Lehrer an mittleren 
und höheren Lehranſtalten verwendet find. . 


Hier wollen wir noch auf einen Geſichtspunkt aufmerk— 
ſam machen, von dem aus jeder Angriff auf unſere wiſſen— 
ſchaftliche Lehranſtalt als eine empfindliche Feindſeligkeit gegen die 
katholiſche Kirche erſcheint. Die katholiſche Kirche hat von jeher 
die Wiſſenſchaft als eines der vorzüglichſten Mittel zur Geltend— 
machung der ihr anvertrauten Wahrheit und als ihren Ruhm be— 
trachtet, und ſie deßhalb mit der größten Sorgfalt gepflegt. Die 
meiſten hohen Schulen ſind ihre Schöpfungen. Jetzt ſind ihr faſt 
alle dieſe wiſſenſchaftlichen Anſtalten entzogen. In unſerem Lande 
iſt die Lehranſtalt des Seminars die einzige kirchliche Anſtalt, 
welche die einſtens an wiſſenſchaftlichen Pflanzſtätten ſo reiche 
Mainzer Kirche noch beſitzt? Will man auch dieſe ihr rauben? Soll 
die Kirche nicht einmal die Theologie und ihre Hilfswiſſenſchaften in 
ihrem Geiſte und auf ihrem Boden ſelbſtſtändig entwickeln und 
pflegen dürfen? Als Julian das Chriſtenthum zu verfolgen an— 
fing, ließ er die wiſſenſchaftlichen Lehranſtalten der Chriſten 


1) Von den 325 Theologen, welche ſeit 1851 in Mainz ſtudirt haben, 
ſind 177 Inländer und 148 Ausländer; darunter 68 aus Naſſau, aus der 
Schweiz 27, aus Preußen 24, aus Hannover und dem übrigen Nord— 
deutſchland 19 u. ſ. w. 


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ſchließen und verbot ihnen die ſelbſtſtändige Betreibung der Mil: 
ſenſchaften, indem er höhniſch bemerkte, es vertrage ſich das mit 
der Einfalt des Glaubens nicht. Die Kirchenväter der damaligen 
Zeit bezeichnen dieſe Maßregel für boshafter und grauſamer, als 
jede andere Verfolgung. Wir haben allen Grund, derſelben Mei— 
nung zu ſein. 

Wir kommen zum dritten und letzten Einwand gegen die 
Erziehung der Geiſtlichen im Seminar. Man behauptet, dieſe 
Bildung ſei nicht geeignet, tüchtige Charactere und praktiſche Seel— 
ſorger zu bilden, die mit dem Volke in rechter Weiſe zu verkehren 
wüßten, welche die Bedürfniſſe der Gegenwart verſtünden und den 
Anforderungen der Zeit entſprächen; ſie würden dadurch zu exclu— 
ſiv geiſtlich und Andersgläubigen gegenüber intolerant. Das Uni— 
verſitätsleben dagegen habe die dieſen Mängeln entgegengeſetzten 
Vorzüge: es entwickele männliche Selbſtſtändigkeit, bilde den Cha— 
racter, mache praktiſch, lehre mit den Menſchen umgehen, ſchleife 
die Ecken ab, namentlich trage der Beſuch einer gemiſchten, ja 
vorherrſchend proteſtantiſchen Hochſchule dazu bei, die Geiſtlichen 
vor Intoleranz und Engherzigkeit zu bewahren. Ueber dieſen 
Punkt iſt natürlich mit Solchen, welche auf einem entſchieden antika— 
tholiſchen Standpunkt ſtehen, eine jede Verſtändigung unmöglich. 
Das Seminar betrachtet es als ſeine höchſte Aufgabe, ſeine Zög— 
linge zu frommen katholiſchen Chriſten und Prieſtern 
heranzubilden. Wem katholiſche Frömmigkeit und der prieſterliche 
Character ein widernatürliches Zerrbild, ein heuchleriſcher Unſinn 
ſind, dem muß freilich ein Seminar, aber nicht bloß dieſes, ſondern 
jede Erziehung nach den Grundſätzen der Kirche ein Greuel ſein. 

Dagegen mit chriſtlich geſinnten und billig denkenden Män— 
nern, Katholiken wie Proteſtanten, glauben wir über all' dieſe 
Punkte leicht in's Klare kommen zu können. 

Vor Allem iſt es hier nothwendig, jene unwahren und lächer: 
lichen Vorſtellungen zu beſeitigen, als ob im Seminar zu Mainz 
eine falſche, kopfhängeriſche Aſceſe, oder Zwang und Aeußerlichkeit, 
oder eine äußerliche Kaſernenordnung, oder wie ſonſt dieſe 
Phraſen heißen mögen, herrſche; während darin ein ſo hei— 
teres, ungezwungenes und jugendlich friſches Zuſammenleben 
ſtattfindet, wie es nur irgendwo beſteht. Die Seminariſten 
lieben das Seminar und es iſt ihnen lebenslänglich eine ſo ange— 
nehme Erinnerung, wie es die Univerſität nicht für viele ſein 
dürfte. Es fehlt ihnen auch weder an Bewegung im Freien, noch 
an Erholung und Erheiterung. 


136 


Allerdings ift den Seminariſten der Beſuch der Wirthshäuſer, 
der Bälle und des Theaters, wozu an Hochſchulen Gelegenheit ge— 
geben iſt, unterſagt. Wir fragen aber, ob dieſe Dinge etwa zur 
Ausbildung des Geiſtes und Characters ſo weſentlich ſind; ob 
ſie ſich ziemen, für einen Jüngling, der ſich dem geiſtlichen Stande 
weihen will; ob es nur erlaubt ſei, die Candidaten des geiſt— 
lichen Standes, der ſeine Mitglieder zu einem enthaltſamen, 
zurückgezogenen und gottgeweihten Leben verpflichtet, ſolchen 
Gefahren auszuſetzen? f 

Auch die Welt will keineswegs weltlich geſinnte Geiſt— 
liche, ſie legt vielmehr an ſie einen ſehr ſtrengen Maßſtab; 
ſie fordert von ihnen fleckenloſe Tugend und ein Leben, das 
mit dem Glauben, den ſie predigen, übereinſtimmt. Ein 
vergnügungs- und weltſüchtiger Geiſtlicher iſt in den Au— 
gen ſelbſt der leichtſinnigſten Weltleute ein Gegenſtand der 
Verachtung. Nun, ſo möge man es auch billigen, wenn 
die Kirche ihre Diener bereits frühzeitig zu den Tugenden 
und Sitten anleitet, welche ſpäter alle Welt von ihnen for— 
dert und deren auch nur theilweiſen Mangel man auf's Un— 
erbittlichſte richtet. Man müßte aber blind ſein, wenn man 
nicht zugeben wollte, daß wenigſtens, was Tugend, Sitte 
und Gottes furcht anlangt, die Erziehung im Seminare zu 
Mainz, vorausgeſetzt, daß es gut geleitet iſt, der immerhin 
mit vielen ſittlichen Gefahren verbundenen Ungebundenheit des 
Univerſitätslebens vorzuziehen ſei. 

Was die Bildung des Characters und die prak— 
tiſche Tüchtigkeit betrifft, ſo geben wir nicht bloß zu, 
ſondern ſind davon durchdrungen, daß in dieſer doppelten 
Beziehung das Leben und der Umgang mit Anderen 
ein überaus wichtiges Bildungselement iſt. Allein es wäre 
eine beklagenswerthe Oberflächlichkeit zu meinen, daß ſchon 
der bloße Umſtand, daß man an einer Hochſchule ſtudirt, 
dieſes Bildungselement ſo reichlich enthalte oder daß das 
zweijährige Verweilen an der Landesuniverſität ein unerſetz— 
liches Mittel ſei, um Character und Lebenstüchtigkeit zu er— 
langen. Die Grundlage aller ächten Characterbildung und 
aller dadurch bedingten Lebenstüchtigkeit liegt überhaupt nicht 
in äußerlichen Dingen; ja, weit entfernt, daß Ungebunden— 
heit und vielfältige Zerſtreuung Charactere bildete, ſind es 
gerade die Sammlung, die Zurückgezogenheit, die Ordnung, 
die Selbſtüberwindung, der Gehorſam, welche — nicht bloß 


137 


nach den Lehren aller chriſtlichen, ſondern ſelbſt der heidni— 
ſchen Weiſen — einen feſten Character und ſolide Tugenden 
erzeugen. Das gilt in einem beſonders hohen Grade von dem 
Geiſtlichen, der den Beruf hat, in ſich und Anderen das re— 
ligiöſe und übernatürliche Leben zu pflegen. Chriſtus hat 
ſeine Jünger, die er zu ſo heldenmüthigen Characteren ausbildete, 
daß ſie die Welt durch ihre Standhaftigkeit beſiegten, und 
die er ſo praktiſch machte, daß ſie es verſtanden, Allen Alles 
zu ſein, weit mehr in Abſonderung von der Welt und in 
der Einſamkeit, als durch weltlichen Verkehr erzogen. So 
war es auch zu allen Zeiten Grundſatz und Uebung in der 
Chriſtenheit. Sehr große Charactere, ſehr praktiſche Männer 
ſind nicht etwa bloß in Seminarien, ſondern in der tiefſten 
Abgeſchiedenheit der Klöſter herangewachſen; umgekehrt ſind 
ſchon ſehr kleine Charactere und ſehr große Pedanten an 
Hochſchulen gebildet worden. 

Wir wollen an dieſer Stelle auf die inneren Gründe, 
weßhalb die Zurückgezogenheit und Selbſtverleugnung Charac— 
tere bildet und zum Leben tüchtig macht, nicht näher ein— 
gehen; wir wollen lieber den erwähnten Vorurtheilen ge— 
genüber darauf aufmerkſam machen, daß man in allen an— 
deren Berufsarten, die weit weniger, als der geiſtliche Beruf, 
ein geordnetes und wohlgeleitetes Leben erfordern, die Er— 
ziehung der Jugend in Penſionaten keineswegs verwirft; daß 
im Gegentheil viele Eltern ihre Söhne in ſolche erziehen 
laſſen; daß der Staat ſeine Officiere in Cadettenhäuſern bildet; 
daß faſt ſämmtliche Pädagogen der Neuzeit der Erziehung der 
Lehrer in Lehrerſeminarien den Vorzug geben. Weßhalb alſo 
für die geiſtliche Erziehung, wo weit wichtigere Gründe vorlie— 
gen, gegen das ſprechen, was man ſonſt billigt und gut findet? 
Wir haben aber gerade, was Characterbildung und prak— 
tiſche Tüchtigkeit anlangt, ein noch treffenderes Beiſpiel. Es 
wird Niemand behaupten wollen, daß es den Engländern 
an Beidem fehlt; — nun wohlan, England hat an ſeinen 
beiden berühmten Hochſchulen bis zur Stunde das mittel— 
alterliche Syſtem der Collegien und Burſen feſtgehalten. Alle 
engliſchen Staatsmänner und Parlamentsmitglieder ſind nicht 
in einem deutſchen Univerſitätsleben, ſondern in Collegien, 
unter einer ſtreng geordneten Disciplin, in einem gemein— 
ſamen Penſionatsleben erzogen worden. 

Doch gehen wir noch concreter auf die Sache ein. Es 


138 


fragt ſich: ob es bildender für den jungen Theologen ſei im 
Seminar zu Mainz, mit 70 oder 80 Ein Ziel mit ihm verfol— 
genden Mitſchülern, im nahen Verkehr mit ſeinen Profeſſoren, 
in einer großen katholiſchen Stadt, ohne kleinliche Sorgen, unter 
den erhebenden Eindrücken des ihn umgebenden kirchlichen Le— 
bens, ſeine Studienzeit zuzubringen; oder ob es ihn mehr in 
Character, Sitten und Bildung fördere, wenn er zu Gießen, 
nicht ſelten gedrückt, durch manches geärgert, in einer Dachſtube 
wohnt, entweder mit wenigen Freunden verkehrt, oder in 
dem, nach unſerer Meinung ſehr beſchränkten Zirkel des ge— 
wöhnlichen Studentenlebens ſich herumdreht. Wir ſind entſchieden 
der Meinung, daß, auch was bloß die natürlichen Bildungs— 
elemente betrifft, der Student zu Gießen keineswegs ſo un— 
beſtreitbare Vorzüge vor dem Seminariſten in Mainz beſitzt. 

Auch was die Abſchleifung der Ecken, die Förderung der 
Toleranz anlangt, ſcheinen uns nur Oberflächlichkeit und Vorur— 
theil gegen das Seminar zu ſprechen, nicht aber eine wahre 
und tiefere Betrachtung. Nichts iſt mehr geeignet, jene Ecken 
und Schroffheiten, die ſämmtlich aus der Eigenliebe entſpringen, 
nicht bloß abzuſchleifen, ſondern in ihren Urſachen gründlich zu 
entfernen, als ein vom Geiſte des Chriſtenthums durchdrungenes 
gemeinſames Leben; dagegen iſt gerade das Univerſitätsleben 
vielfach der Gefahr ausgeſetzt, das Ungeordnete, Einſeitige und 
Eigenwillige der menſchlichen Individualität zu nähren und zu 
ſteigern. Was aber die Toleranz betrifft, ſo hat wahre Toleranz 
in der chriſtlichen Liebe ihren Grund; wenn das Seminar alſo 
die chriſtlichen Tugenden pflegt, dann wird es auch den Geiſt 
wahrer Duldſamkeit fördern. Indifferentismus, Religionsgleich— 
giltigkeit, Unentſchiedenheit wird den Theologen auch an der 
Hochſchule fremd ſein; es müßte denn gerade die Hochſchule die 
Theologen zu Indifferentiſten d. h. zu Ungläubigen heran— 
bilden. Allein ſehr leicht geſchieht es gerade umgekehrt, daß 
ſich in dem Univerſitätsſtudenten durch den beſtändigen Gegen— 
ſatz zu dem ihn umgebenden Proteſtantismus eine polemiſche 
Schärfe entwickelt, die dem fremd bleibt, der in einer rein 
katholiſchen Umgebung und in mehr poſitiver Weiſe, als 
in beſtändigen Gegenſätzen, ſeine religiöſe und theologiſche 
Bildung empfängt. Der Geiſt der Kirche iſt kein bitterer, 
ſtreitſüchtiger Geiſt; ungerecht und nichtig ſind alle jene 
Vorwürfe, die man auch in dieſer Beziehung gegen die Semi— 
narien erheben will. 


139 

Zum Schluſſe wollen wir noch einen wichtigen Punkt be— 
rühren. Die Erziehung der Theologen in einem Seminar gewährt 
eine größere Garantie gegen den Eintritt Unberufener in den 
geiſtlichen Stand. Auch hier iſt es gerade umgekehrt, als man es 
mitunter darſtellen möchte. Im Seminar ſind nicht bloß die geiſt— 
lichen Vorgeſetzten im Stande, ſich über den Beruf eines Jüng— 
lings ein richtiges Urtheil zu bilden, ſondern auch dieſer ſelbſt 
lernt hier den Ernſt des prieſterlichen Lebens kennen; er wird in 
den Stand geſetzt, ſich mit ſeinen Pflichten vertraut zu machen und 
falls er keinen Beruf hat, vor ſpäter Reue ſich zu bewahren. Weit 
entfernt, daß dem Austritte aus dem Seminar ein Hinderniß in 
den Weg geſtellt würde, iſt es gerade eine Aufgabe deſſelben, 
Nichtberufene zur frühzeitigen Wahl eines anderen Lebensbe— 
rufes zu beſtimmen. Manche brave junge Männer, welche in un— 
ſerem Seminar es erkannt haben, daß ſie nicht zum geiſtlichen 
Stande berufen ſeien, danken dem Seminar, daß es ſie zu dieſer 
Erkenntniß geführt; ſie haben in anderen Ständen ihren Beruf 
gefunden und ſie werden Alle dem Seminar das Zeugniß ablegen, 
daß die Zeit, die ſie darin zugebracht, ſowohl für ihre ſittlich— 
religiöſe Ausbildung, als für ihre ſpätere wiſſenſchaftliche Tüchtig— 
keit nicht ohne Nutzen war. Anders geſtaltet ſich nicht ſelten die 
Sache bei Solchen, die auf Hochſchulen Theologie ſtudiren. Ge: 
wohnt, wie andere Studenten zu leben, erkennen ſie mitunter nicht, 
daß ſie keinen wahren Beruf zum prieſterlichen Leben beſitzen. Iſt 
aber einmal ihr dreijähriges Studium der Theologie vollendet, ſo 
hält es unendlich ſchwer, ſowohl für die geiſtlichen Vorgeſetzten 
einen Solchen abzuweiſen, als für dieſen ſelbſt, ſich zu einem an— 
dern Lebensberuf zu entſchließen. 

Wir haben durch alles Bisherige nicht ſowohl den Gegen— 
ſtand erſchöpfen, als vielmehr nur gewiſſe Vorurtheile zerſtreuen 
und den Anſchauungen der Kirche eine billigere Würdigung ver— 
ſchaffen wollen. 

Denn was die Entſcheidung der Frage betrifft, welche 
Weiſe der Erziehung für den katholiſchen Klerus 
die beſſere ſei, ſo ſteht dieſelbe offenbar der katho— 
liſchen Kirche ſelbſt zu; keineswegs aber iſt der Staat zu 
dieſer Entſcheidung competent. Die katholiſche Kirche 
aber gibt unzweifelhaft und entſchieden der 
Erziehung in Seminarien den Vorzug. Darüber 
hat ſich nicht bloß das letzte allgemeine Concil, ſondern haben 
ſich bis auf den heutigen Tag alle kirchlichen Autoritäten ſo 


140 


einmüthig und klar ausgeſprochen, daß kein gläubiger und den— 
kender Katholik darüber im Zweifel ſein kann. Ohne der Kirche 
und dem Gewiſſen ihrer Biſchöfe unerträglichen Zwang anzu— 
thun, kann man daher dem Klerus nicht eine andere Form ſeiner 
Ausbildung aufnöthigen, als die Geſetze der Kirche vorſchreiben 
und der Geiſt der Kirche verlangt. Mit dem Berufe des 
katholiſchen Geiſtlichen verträgt ſich nun einmal das der— 
malige Studentenleben nicht. Hat man es eine Zeit lang, 
in die Verhältniſſe ſich fügend, ertragen; hat auch die Fa— 
cultät zu Gießen Anerkennenswerthes geleiſtet; ſind durch 
die Bemühungen mancher Profeſſoren und durch den guten und 
religiöſen Sinn vieler Theologen die Gefahren des Univerſi— 
tätslebens gemindert worden; haben tüchtige und fromme 
Prieſter in Gießen ihre erſte Ausbildung empfangen — ſo gibt 
das Alles keinen Grund und keine Ausſicht, daß die Kirche 
eine Repriſtinirung jener nun ein- für allemal vergangenen 
Zuſtände ertragen müſſe oder ertragen könne. Die Zurückver— 
legung der theologiſchen Studien von Mainz nach Gießen ſcheint 
uns einfach eine Unmöglichkeit. 


6. Das Verbot der Orden und rcligiöſen Genoſſenſchaften im 
Allgemeinen. 


Hier haben wir Berge von Vorurtheilen und Antipathien 
zu überſteigen. Der alte Proteſtantismus war mit einer, 
auf dogmatiſchen Gründen beruhenden tiefen principiellen Ab— 
neigung gegen das Mönchsleben erfüllt; der neuere Pro— 
teſtantismus hat dieſe Abneigung geerbt, wenn er auch theil— 
weiſe die dogmatiſchen Gründe derſelben nicht mehr theitt. 
Die unchriſtlichen Richtungen der Neuzeit finden ſich zu dem 
Mönchthum in dem ſchneidendſten Gegenſatz. Es iſt ihnen 
etwas ſo ſchlechthin Unbegreifliches, das ſie ſich daſſelbe nicht 
anders, als entweder aus fanatiſchem Irrwahn oder aus Heu- 
chelei und ſchlauer Berechnung erklären können. Der Joſephi— 
nismus und aufgeklärte Katholicismus hat eine Antipathie 
gegen Alles, was Asceſe und religiöſe Genoſſenſchaft heißt. 
In dieſe Abneigung ſtimmt leicht der gewöhnliche Menſch 
ein, der auch an der Religion nur das Gewöhnliche und Mit— 
telmäßige begreift. Am Schluſſe des vorigen Jahrhunderts 
ſtanden viele Klöſter nicht mehr auf der Höhe ihres Berufes; 
Verweltlichung war da und dort eingetreten; übertreibende 
Scandalſucht weiß davon bis auf dieſen Tag zu erzählen. 


141 


Die Erinnerung an den reichen Güterbeſitz mancher Klöſter, 
der für die Klöſter ſelbſt und für das Volk ſeine Nach— 
theile hatte, wirkt heute noch und man kann — welch rieſenhafter 
Unſinn auch darin liegt — das Landvolk damit ſchrecken, die 
Klöſter würden, wenn man ſie nicht verbanne, alles Land— 
eigenthum an ſich ziehen! In der kirchenfeindlichen Ge— 
ſchichtſchreibung ſind die Mönche zu böſen Dämonen gemacht, 
zu „Landsknechten der Hierarchie, zu Trägern aller Finſter— 
niß und Volksverdummung.“ In Romanen, auf dem Thea— 
ter ſpielen ſie dieſelbe Rolle. Auch unſere beſſeren proteſtan— 
tiſchen Dichter haben ſich hievon nicht freigehalten. Bei Leſſing 
und Schiller finden wir den Mönch halb als Böſewicht, halb 
als komiſche Perſon; obwohl ich geſtehen muß, daß der Kapu— 
ziner in Wallenſteins Lager, trotz aller Fratzenhaftigkeit, mir ſtets 
etwas Reſpectables an ſich zu haben ſchien: denn er zeigt 
doch Muth und ſittlichen Eifer. 

Wohl hat auf der anderen Seite die neuere proteſtantiſche 
Geſchichtſchreibung gegen die großartige und welthiſtoriſche Erſchei— 
nung des Mönchthums die Augen nicht geſchloſſen; auch Phi— 
loſophen und Dichter haben demſelben mannigfache Huldigungen 
zu Theil werden laſſen; ja ſo ſehr iſt dieſe beſſere Erkenntniß 
bereits durchgedrungen, daß man, wie ſelbſt die Kammerde— 
batten beweiſen, die Klöſter der Gegenwart nicht bekämpfen 
kann, ohne dem Mönchthum der Vergangenheit einige anerken— 
nende Zugeſtändniſſe zu machen. Man gibt zu, das Mönch— 
thum habe auch ſeine Zeit und ſeine Berechtigung gehabt; man 
könne die großen Verdienſte der Mönche um die Givilifation 
in vergangenen Jahrhunderten nicht in Abrede ſtellen; allein in 
unſerer Zeit ſeien Klöſter ein Anachronismus; von dieſer 
Anſchauung aus ſoll ſich einer der Deputirten ſo weit in ſeinem 
Eifer haben hinreißen laſſen, daß er es für eine Schmach des 
neunzehnten Jahrhunderts erklärte, daß man auf den Straßen 
von Mainz einer Kutte begegnen könne. Ja ſelbſt in katholi— 
ſchen Kreiſen war faſt jedes Verſtändniß für das klöſterliche 
Leben entſchwunden; die gegenwärtige Generation iſt ja in einer 
Zeit herangewachſen, wo man die Aufhebung der Klöſter be— 
reits vergeſſen hatte und Mönch und Nonne faſt in's Reich 
der Mährchen gehörte; man hatte ſich daran gewöhnt, von 
geiſtlichen Perſonen nur den Pfarrer und den Kaplan zu 
kennen und alles Andere wenigſtens für überflüſſig zu halten. 
Einige Decennien früher glaubte man auch faſt ohne Biſchöfe 


142 


jein zu können und Viele, die in den eriten dreißig Jahren 
unſeres Jahrhunderts lebten, hatten nie einen Biſchof geſehen. 
Kein Wunder, daß, als auf einmal das klöſterliche Leben aller— 
wärts neu aufblühte, man ihm befremdet, wenn nicht geärgert 
gegenüber ſtand. Selbſt Manche, die das klöſterliche Leben wohl— 
wollend beurtheilen uud es beſchützen, haben davon gar ein— 
ſeitige, zum Theil ganz falſche Ideen. So ſind z. B. die Klöſter 
den Einen bloß Zufluchtsſtätten für Solche, die in der Welt nicht 
glücklich leben können; Andere faſſen ſie lediglich von dem Ge— 
ſichtspunkt des gemeinen Nutzens auf, als Inſtitute für Armen— 
und Krankenpflege und dergleichen; noch Andere betrachten gar 
die Sache vom poetiſchen Standpunkt '). 


1) Es ſei uns hier geſtattet, aus dem neueſten, genialen Geſchicht— 
ſchreiber des Mönchthums eine Stelle anzuführen. „Wer unter uns,“ ſagt 
Montalembert, „wußte noch vor wenigen Jahren, was denn eigentlich 
ein Mönch ſei? Ich meinestheils hatte beim Beginne der Vorſtudien zu 
dieſem Werke gar keinen Begriff davon. Ich dachte wohl ungefähr zu 
wiſſen, was ein Heiliger, was die Kirche ſei; aber ich hatte nicht die ge— 
ringſte Ahnung davon, was ein Mönch oder was das Mönchthum ſei. 
Ich gehörte eben der Zeit an, in der ich lebte. Während des ganzen Ver— 
laufes meiner häuslichen und öffentlichen Erziehung war es Niemand, auch 
keinem von denjenigen, welche im Beſonderen beauftragt waren, mich in 
der Religion und in der Geſchichte zu unterrichten, auch nur eingefallen, 
mir irgendwie einen Begriff über die religiöſen Orden zu geben. Dreißig 
Jahre waren kaum ſeit ihrer Zerſtörung in Frankreich vergangen, und 
ſchon behandelte man ſie wie jene ausgeſtorbenen Species, deren foſſile 
Knochen von Zeit zu Zeit zum Vorſchein kommen und Neugierde und Wider— 
willen erregen, aber durchaus nicht mehr unter die Dinge einer lebendigen 
Welt gerechnet werden. Ich denke mir, daß die meiſten Männer meines 
Alters mit mir im gleichen Falle ſein werden; haben wir nicht Alle beim 
Austritte aus dem Collegium genau gewußt, wie viel Liebſchaften Jupiter 
gehabt, und wußten wir dabei auch nur die Namen der Gründer jener 
religiöſen Orden anzugeben, denen Europa feine Bildung und die Kirche fo 
viele Male ihre Rettung verdankt?“ Er erklärt ſich dann über die Idee und 
das Weſen des Mönchthums folgendermaßen: „Es gehört nicht übermäßig 
viel dazu, um für den Mönch eine vollſtändigere Gerechtigkeit anzuſtreben, 
als ihm bisher von den meiſten, auch chriſtlichen, auch kirchlichen Apolo— 
geten der neueren Zeit zu Theil geworden iſt. Es hat bei der Vertheidi— 
gung der religiöſen Orden geſchienen, als bitte man hauptſächlich im Na— 
men der Dienſte, welche dieſe erlauchten Inſtitute den Wiſſenſchaften, der 
Literatur, der Landwirthſchaft u. ſ. w. geleiſtet haben, für dieſelben um 
Gnade. Das hieß aber auf Unkoſten des Weſentlichen das Zufällige und 
Ueberflüſſige hervorheben. Conſtatiren und bewundern wird man freilich 


143 


Meine Hauptaufgabe ift daher, allen dieſen hundertfältig 
verſchlungenen Vorurtheilen gegenüber kurz, ſchlicht und klar zu 


auch die Urbarmachung ſo vieler Wälder und wilden Einöden, das Ver— 
vielfältigen und Bewahren ſo vieler literariſchen und hiſtoriſchen Denkmä— 
ler und die ſtaunenswerthe klöſterliche Gelehrſamkeit, die ſich durch nichts 
Anderes erſetzen läßt; das ſind allerdings große, der Menſchheit geleiſtete 
Dienſte, die, wenn bei den Menſchen Gerechtigkeit zu finden wäre, genügt 
hätten, um die Mönche auf ewig mit ihrem Schilde zu decken. Was aber 
noch ganz anders Bewunderung und Dank verdient, das iſt der ununter— 
brochene Kampf der ſittlichen Freiheit gegen die Knechtſchaft des Fleiſches; 
das beharrliche Streben des Willens nach dem Erwerb und der Bewah— 
rung chriſtlicher Tugend; der ſiegreiche Aufſchwung der Seelen zu den höch— 
ſten Regionen, wo ſie allein ihre wahre, ihre ewige Größe findet. Mög— 
licherweiſe hätten wohl auch rein menſchliche Inſtitutionen, bloß zeitliche 
Mächte, der menſchlichen Geſellſchaft die gleichen materiellen Güter ge— 
währen können; was aber menſchliche Macht nie und nimmer im Stande 
iſt, was ſie nie auch nur verſucht hat, was ſie niemals erreichen wird, 
iſt die Disciplinirung der Seele, die Umbildung ihrer Kräfte durch die 
Keuſchheit, den Gehorſam, den Aufopferungsgeiſt, die Demuth; es iſt die 
Erhebung und Stählung des durch die Sünde verſchlechterten Menſchen zu 
einer ſolchen Kraft und Tugendhöhe, daß die Wunder der evangeliſchen 
Vollkommenheit durch lange Jahrhunderte die alltägliche Geſchichte der 
Kirche geworden waren. Das iſt es, was die Mönche gewollt, was ſie 
gethan haben. Von den zahlreichen Gründern und Geſetzgebern des klöſter— 
lichen Lebens iſt es keinem eingefallen, ſeinen Jüngern das Urbarmachen 
des Bodens, das Abſchreiben der Manuſcripte, die Pflege der Künſte und 
Wiſſenſchaften, die Geſchichtſchreibung und dergleichen als Lebenszweck hin— 
zuſtellen; alles dies war für ſie nur eine Nebenſache, es war eine häufig 
nur indirecte und gar nicht einmal beabſichtigte Folge bei einem Inſti— 
tute, das nichts als die Pflege und Ausbildung der Seele bezweckte, nur 
ihre Gleichförmigkeit mit dem Geſetze Chriſti, nur die Abbüßung der an— 
geborenen Verderbniß durch ein Leben in der Aufopferung und Abtödtung 
anſtrebte. Darin lag für alle der Zweck, der Grund, der höchſte Gegen: 
ſtand ihres Daſeins, der alleinige Ehrgeiz, das einzige Verdienſt und der 
hauptſächlichſte Sieg.“ Wir können uns nicht verſagen, aus dem prächti— 
gen Strome großer Wahrheiten und herrlicher Gedanken, aus denen das 
ganze Buch Montalemberts beſteht, noch Einiges hier mitzutheilen, wenn 
auch die Note unverhältnißmäßig groß wird. Im dritten Capitel ſagt er, 
daß der eigentliche und vorherrſchende Beruf zum Ordensſtande in dem Ver— 
langen liege, frei von den Banden der Welt, in der ſo oft das Schlechte 
und Gemeine herrſcht, Gott allein zu dienen und in höchſter Reinheit und 
Freiheit der Seele nach den ewigen Gütern zu ſtreben — und ſetzt dann 
bei: „Daher iſt es ein höchſt ſeltſamer Irrthum, bei vielen neueren Lob— 
rednern des klöſterlichen Lebens, daß ſie daſſelbe als eine Zuflucht für 


144 


zeigen, was das klöſterliche Leben an ſich und für die 
Kirche iſt. — Hätten jene Vorurtheile keine ſolche Macht, ſo 


Trübſinnige, abgemüdete, mit ihrem Lebenslooſe in der Welt unbefriedigte 
Seelen betrachten, oder für Solche, welche unfähig ſind, die ihnen zuge— 
theilte geſellſchaftliche Stellung zu behaupten, die von getäuſchten Hoff— 
nungen verzehrt, vom Schmerze gebrochen ſind. „„Wenn es Zufluchts— 
ſtätten für die Pflege der körperlichen Geſundheit gibt,““ ſagt Chateau— 
briand, „o, jo geſtattet doch der Religion, daß auch fie dergleichen habe 
zur Geſundung der Seele, die noch viel ſchmerzlicheren, viel längeren und 
viel ſchwerer zu heilenden Krankheiten unterworfen iſt.““ Der Gedanke 
mag poetiſch, mag rührend fein, aber er ift unwahr. Die Klöfter find, 
ihrer Beſtimmung gemäß, nichts weniger als die Invalidenhäuſer der 
Welt. Nicht kranke oder krankhafte Seelen, ſondern gerade die geſündeſten 
und kräftigſten, die das Menſchengeſchlecht aufzuweiſen hat, ſind es von 
jeher geweſen, die die Klöſter mit Bewohnern angefüllt haben. Weit ent— 
fernt eine Zuflucht für die Schwachen zu ſein, waren die Klöſter im Ge— 
gentheil die wahre Kampfesſchule für die Starken.“ Daran knüpft er 
folgende Reflexion, der die ganze Geſchichte zur Beſtätigung dient. „Jener 
ritterliche Muth, den die Mönche täglich gegen die Sünde ſowie gegen ihre 
eigenen Schwächen an den Tag legten, beſeelte ſie auch, wenn es galt, 
den Fürſten und Mächtigen, die ihre Autorität mißbrauchten, entgegen zu 
treten. Bei ihnen vorzugsweiſe findet ſich jene moraliſche Vollkraft, durch 
welche der Menſch ſich ſtark und in der Stimmung fühlt, der Ungerechtig— 
keit entgegen zu treten, und der Gewalt auch da Einſprache zu thun, wo 
dieſe Mißbräuche und Ungerechtigkeiten nicht zunächſt auf ihn ſelbſt fallen. 
Dieſe Energie, ohne welche alle Bürgſchaften für Ordnung, Sicherheit und 
Unabhängigkeit, die die Politik erdenken mag, nichts als Täuſchung ſind, 
lag ganz weſentlich von Anfang an im Character und im Stande der 
Mönche.“ | 

„Von allen Menschen find die Mönche diejenigen, welche im Laufe 
ihrer Geſchichte am wenigſten Furcht vor der Uebermacht und feige Nach— 
giebigkeit gegen die Gewalt gezeigt haben. Im tiefen Frieden des Kloſters 
und im Gehorſam bildeten ſich fortwährend feſte, zum Kampfe gegen die 
Ungerechtigkeit geſtählte Herzen und unbeugſame Kämpfer für Recht und 
Wahrheit. Große Charactere, beherzte, unabhängige Männer für derartige 
Kämpfe fanden ſich nirgends zahlreicher, als im Mönchsgewande. Dort 
waren in Menge Charactere, die zugleich ruhig und kraftvoll, gerade und 
hochſinnig und eben ſo auch tief demüthig und voll frommen Eifers er— 
ſcheinen, Solche, die Pascal als durch und durch heroifche Seelen 
bezeichnet.“ 

„Die Freiheit,“ ſo ſagt ein heldenmüthiger Mönch des achten Jahr— 
hunderts, „die Freiheit wird mit nichten deßhalb aufgegeben, weil die 
Demuth ſich ſelbſt freiwillig erniedrigt. Und im vollen Mit: 
telalter ſchrieb ein anderer Mönch, Petrus von Blois, die herrlichen Worte, 


145 


hätten nimmer die Principien der Freiheit, des Rechtes und 
vernünftiger Billigkeit ſo gänzlich unterliegen können, wie es 
Art. 7. geſchehen iſt. — Weil aber der Gegenſtand groß und 
überaus wichtig iſt und wir ihn unmöglich hier erſchöpfend 
behandeln können, wollen wir nur einige Hauptgeſichtspunkte 
hervorheben. 


7. Das klöſterliche Leben gehört weſentlich zur Integrität der 
katholiſchen Frligion; das Verbot deſſelben iſt ein tief verletzendter 
Eingriff in das religiöle Leben. 


Daß das klöſterliche Leben im tiefſten Weſen des katholi— 
ſchen Chriſteuthums begründet und für das religiöſe Leben 
überhaupt von unermeßlicher Wichtigkeit iſt, davon muß jeden 
Unberangenen ſchon die Geſchichte überzeugen. Denn es iſt 
nun einmal eine Thatſache, daß die katholiſche Kirche von den 
älteſten Zeiten bis auf den heutigen Tag nie und nirgends, 
vereinzelte und vorübergehende Ausnahmszuſtände abgerechnet, 
ohne das klöſterliche Leben war. Man hat, auch in der Kam— 
mer, als Argument gegen die Orden den alten Gemeinplatz vor— 
gebracht, das Mönchsweſen jet orientaliſchen Urſprungs. Soll da⸗ 
mit die Thatſache ausgeſprochen werden, daß das köſterliche Leben 
früher im Orient als im Occident blühte, jo iſt das ganz 
richtig und kommt daher, daß überhaupt das Chriſtenthum 
ſrüher im Orient, als im Oceident ſich entfaltet hat. Soll 
aber damit ein Schatten auf das Möuchsleben geworfen wer— 
den, als ob es ein dem Chriſtenthum fremdes, ich weiß nicht 
aus welchem der abendländiſchen Welt widerwärtigen Elemente 
entſprungenes Product ſei, ſo iſt das ſo falſch als nur mög— 
lich. Hier beruht Alles auf Täuſchung, Unwiſſenheit und Un— 
verſtand. Schon mit dem Worte „Orient“ verbindet ſich eine 
Täuſchung. Seit dem durch das Schisma und den Muhame— 
danismus der Orient von dem Leben der chriſtlichen Culturvölker 
getrennt iſt, verbinden wir mit dem Namen Orient eine Vor— 
ſtellung von Knechtſchaft, Erſtarrung und Barbarei. Aber 
dieſer Orient iſt von jenem Orient, in welchem das Mönchthum 


die zugleich der Inbegriff der politiſchen Geſetzgebung jener Epoche und der 
Geſchichte des Mönchthums ſind: „Zwei Dinge gibt es, für welche 
jeder Chriſt bis auf's Blut einſtehen muß: die Gerech— 
tigkeit und die Freiheit.“ 

Heinrich, Der Kampf der Kirche. 10 


146 


feine erſte Periode durchlebte, himmelweit verſchieden. In dem 
Zeitalter, als in Aegypten, Paläſtina, Syrien ſich das älteſte 
Mönchsweſen in großartigſter Weiſe entwickelte, gehörten dieſe 
Länder ſo recht eigentlich zum Centrum des antiken Cul— 
turlebens und der erſten, auf dem Boden dieſer Cultur wun— 
derbar aufgeblühten Chriſtenheit. Die älteſten und berühm— 
teſten Stätten dieſes alten Mönchthums befinden ſich in der 
Nähe jenes Alexandriens, das wie die erſte Handelsſtadt der 
damaligen Welt, auch der bedeutendſte Mittelpunkt des wiſſen— 
ſchaftlichen Lebens war. Die älteſten Väter des Mönchthums 
waren nicht bloß die Zeitgenoſſen, ſondern auch die Geiſtesver— 
wandten und Freunde jener großen Kirchenväter, welche die 
Hauptträger des Chriſtenthums und der ganzen chriſtlichen 
Cultur des Alterthums ſind. Alle großen Männer jener Zeit, 
Athanaſius, Gregorius von Nazianz und Nyſſa, Baſilius der 
Große, Chryſoſtomus, waren begeiſterte Beförderer des Mönch— 
thums; ſie hatten ſelbſt, mehr noch als an den hohen Schu— 
len zu Athen, Alexandrien oder Antiochien, in der Einſam— 
keit bei den Mönchen ihre geiſtige Größe begründet; ja Ba— 
ſilius, vielleicht der hochgebildetſte Mann dieſer ganzen Zeit— 
periode, war der hauptſächlichſte Organiſator des Mönchsweſens 
im Orient und bis auf den heutigen Tag haben die orientali— 
ſchen Mönche von ihm Namen und Regel. 

Wenn man aber nun behaupten wollte, das Mönchsweſen 
gehöre vorzugsweiſe dem Orient an, ſo hieße das der Ge— 
ſchichte in's Angeſicht ſchlagen: denn die eigentliche welt— 
hiſtoriſche Entwickelung des Mönchthums fand weſentlich in 
dem Occidente ſtatt, wiederum aus dem einfachen Grunde, 
weil in demſelben Maße, als der Orient durch Staatsabſolu— 
tismus und kirchliches Schisma zu Grunde ging, das Abend— 
land Träger des Chriſtenthums, der Cultur und der Weltge— 
ſchichte wurde. 

Alle jene großen Orden, in denen vorzugsweiſe die 
Geſchichte des klöſterlichen Lebens verläuft, find oceidentali— 
ſchen Urſprungs, und inſofern von einem Einfluß natürlicher 
Elemente auf die Geſtaltungen des chriſtlichen Lebens die 
Rede ſein kann, abendländiſchen und zu einem großen 
Theile germaniſchen Geiſtes. Abendländiſch durch und durch 
ſind die Benedictiner mit ihrer mehr als anderthalbtauſend— 
jährigen Geſchichte und ihren mannigfaltigen Abzweigungen; die 
Benedictiner, die heute wieder in derſelben Weiſe Chriſtenthum 


147 


und Cultur unter den Beduinen, in dem Innern des ameri— 
kaniſchen Feſtlandes und in den bisher aller Cultur ver— 
ſchloſſenen Wildniſſen Auſtraliens anpflanzen, wie ſie es vor 
faſt 1300 Jahren in England und vor faſt 1100 Jah— 
ren in Deutſchland gethan haben. Abendländiſch ſind die 
großen Orden des heiligen Dominicus und Franzis— 
cus, welche unbeſtreitbar mächtige Fermente nicht bloß des 
religiöſen, ſondern des geſammten geiſtigen Lebens im Mittel— 
alter waren. Daß endlich die Geſellſchaft Jeſu und alle 
Orden und Congregationen der Neuzeit nicht dem Orient, ſon— 
dern dem Abendland und zwar dem modernen Abendland ent— 
ſprangen, iſt zu bemerken überflüſſig. 

Und nun meint man mit der Phraſe: „die Klöſter ſind 
orientaliſchen Urſprungs!“ etwas Peremptoriſches gegen die Klö— 
ſter des 19. Jahrhunderts geſagt zu haben, nachdem das abend— 
ländiſche Mönchthum eine anderthalbtauſendjährige Geſchichte 
hinter ſich hat! 

Obwohl die Mönche weder das chriſtliche Volk ausmachen 
noch zu dem kirchlichen Lehrkörper gehören und mithin die ka— 
tholiſche Kirche nicht durch ſie, ſondern durch das chriſtliche 
Volk und das von Chriſtus geſetzte Prieſterthum bejteht '), ſo 
ſtehen dennoch alle großen Geiſtes- und Lebensentwickelungen 
in der Kirche mit dem klöſterlichen Leben im innigſten Zuſam— 
menhang. Allerdings hat die Kirche und der Geiſt Chriſti 
die germaniſchen und nordiſchen Völker chriſtlich gemacht und 
civiliſirt, aber der Benedictinerorden war das Werkzeug, wo— 
durch dieſes größte und ſegensreichſte Werk der ganzen chriſt— 
lichen Weltgeſchichte vollzogen wurde. Der bewunderungswürdige 
Aufſchwung des chriſtlichen Lebens und der abendländiſchen Civili— 
ſation, der im 13. Jahrhundert ſeinen Höhepunkt erreicht, knüpft 
ſich an eine nicht minder merkwürdige Regeneration des abend— 
ländiſchen Mönchthums. Dominicaner und Franziscaner waren 
jene Heroen chriſtlicher Wiſſenſchaft — Albertus Magnus, Tho— 
mas von Aquin, Bonaventura, Skotus; in der Einſamkeit der 
Klöſter iſt der Quell jener neuen chriſtlichen Architektur und 
Kunſt entſprungen, die wir in den romaniſchen und gothiſchen 
Domen, wie in den. Gemälden eines Fieſole bewundern. 
Und auch in ſpäteren Zeiten ſehen wir daſſelbe Lebens— 
geſetz wirken. Mit dem religiöſen Leben ver⸗ 


1) S. oben von der „Verfaſſung der Kirche.“ 
10 * 


148 


fallen und erneuern Sich die Orden. Jeder religiöſe 
Aufſchwung hat einen Aufſchwung des klöſterlichen Lebens zur 
Folge, umgekehrt wird jede religiöſe Regeneration durch eine 
Regeneration der Klöſter eingeleitet und vermittelt. So iſt 
es auch in der Gegenwart. Der unbeſtreitbare Aufſchwung 
des religiöſen Lebens im Innern der katholiſchen Kirche offen— 
bart ſich auch in einem neuen Aufblühen des klöſterlichen Le— 
bens. Wenn Viele dadurch befremdet wurden, jo kommt es 
nur daher, weil ſie dem katholiſchen Leben fern ſtehen und kein 
Verſtändniß davon haben. 


Hiemit erledigt ſich denn auch vollſtändig der Einwand, 
Orden ſeien etwas Veraltetes, und paßten nicht für 
unſere Zeit. Wie kann man das ſagen, da das ganze Or— 
densleben, das unſere Gegner jo ſehr beunruhigt, ein Erzeug— 
niß der Gegenwart iſt? 


Es hatte ja Revolution, Säculariſation und Krieg mit den 
alten Klöſtern tabula rasa gemacht. Aber wie in jenen Prairien 
des Weſtens es nur eines Sommerregens bedarf, um die aus: 
gebrannte Ebene, auf der jede Vegetation durch das Feuer zer— 
ſtört ſchien, mit dem üppigſten Pflanzenleben zu bedecken; ſo iſt 
in unſerer Zeit überall das klöſterliche Leben, nachdem es 
auf immer zerſtört ſchien und von den hohen Facultäten 
der Wiſſenſchaft und den Mächten des Staates in Acht 
und Aberacht erklärt und todt decretirt war, allerwärts wieder 
aufgeblüht. 


Iſt das vielleicht ein erzwungenes, künſtliches Machwerk 
„der hierarchiſchen oder klerikalen Partei?“ Hier könnte man 
fragen, wer dieſer Partei ſelbſt das Daſein gegeben, wenn nicht 
der religiöſe Geiſt unſerer Zeit? Allein wir wollen lieber 
darauf aufmerkſam machen, daß ſich überhaupt nichts Leben— 
diges künſtlich machen läßt, am wenigſten aber laſſen ſich Klö— 
ſter künſtlich machen. Ja, alle menſchlichen Bemühungen ſind 
nicht im Stande, auch nur ein einziges Klöſterlein künſt— 
lich hervorzubringen. Noch mehr, alle menſchliche Anſtrengung 
und auch die kirchliche Autorität iſt nicht im Stande, durch 
äußerliche Mittel ein bereits beſtehendes Kloſter zu erhal— 
ten und, wenn es in Verfall gerathen, zu regeneriren. Wie 
könnte man in Deutſchland und Frankreich, England und Nord: 
amerika, dieſen theils modern - revolutionären, theils vorherr— 
ſchend proteſtantiſchen Ländern künſtlich neue Klöſter hervorrufen? 


149 


- 


Nein, nichts auf Erden iſt ſo wenig ein küuſtliches Product, 
als es die Klöſter der Gegenwart ſind. Sie ſind vielmehr 
ganz und gar das Erzeugniß des in der katholiſchen Chriſten— 
heit der Gegenwart wirkſamen innerlichen Geiſtes des Chriſten— 
thums und die Befriedigung mächtiger und tiefer Bedürfniſſe 
wie einzelner Seelen, ſo der chriſtlichen Geſellſchaft. 

Alſo nicht der Geiſt unſerer Zeit, ſondern der unkatholiſche, 
der rationaliſtiſche, der materialiſtiſche Geiſt in unſerer Zeit 
iſt gegen die Klöſter; neben dieſen Geiſtesrichtungen gibt 
es aber auch einen katholiſchen, einen tief religiöſen Geiſt, 
wie zu allen Zeiten, ſo ganz beſonders in der Gegenwart. 
Jene Hunderte, jene Tauſende von Männern und von Jung— 
frauen, welche das klöſterliche Leben, meiſt mit Ueberwin— 
dung großer Hinderniſſe, ſich erwählt, ſind gerade ſo, wie 
die Gegner der Klöſter, Kinder unſerer Zeit; ſie gehören 
vielfach zu den edelſten, hochgebildetſten, geiſtvollſten Zeitgenoſſen. 
Gerade beſonders bevorzugte Geiſter und Charactere, wenn 
ſie ganz von der Religion ergriffen werden, pflegen einen 
mächtigen Zug zum klöſterlichen Leben zu empfinden. Es 
möge ein Beiſpiel aus der Gegenwart genügen. Frankreich 
hat in dieſem Jahrhundert kaum zwei genialere und edlere 
Männer hervorgebracht, als Lacordaire und Ravignan 
waren; beide zählten bereits zu den Zierden der Magi— 
ſtratur, verſprachen Sterne erſter Größe im öffentlichen Leben 
der Nation zu werden; beide huldigten den modernen Ideen; 
beide wurden auf's Tiefſte von der Wahrheit des Chriſten— 
thums und der Nothwendigkeit der Kirche ergriffen; beide 
weihten ſich in ungetheilter Begeiſterung der verkannten Wahr— 
heit — und beide traten in Orden ein: Lacordaire 
wurde der Erneuerer des Dominicanerordens in Frank— 
reich, Ravignan eine Zierde der Geſellſchaft Jeſu. 
Das ſind aber nicht vereinzelte Erſcheinungen, ſondern über— 
all ſehen wir Zeitgenoſſen, denen nur Rohheit oder ein 
fanatiſches Vorurtheil Achtung verſagen kann, in dem klö— 
ſterlichen Stande ihre Lebensaufgabe und ihr Lebensglück 
ſuchen und finden. Die Gläubigen erblicken darin einen Zug 
der göttlichen Gnade; wer in dieſem Glauben nicht mit 
uns übereinſtimmt, muß es wenigſtens als ein Streben 
und eine Richtung des menſchlichen Geiſtes anerkennen, welche 
eben ſo berechtigt iſt, als alle anderen geiſtigen Bethätigungen 
unſerer Zeit. Sie gewaltſam zu unterdrücken iſt unerträgliche 


150 


Intoleranz und ein Frevel an den unantaſtbaren Rechten der 
menſchlichen Seele. 

Aber wir Katholiken haben noch ein viel begründeteres 
Recht darauf, daß man das klöſterliche Leben im Schooße 
der Kirche nicht hindere und gewaltſam zerſtöre. Es beruht 
nämlich daſſelbe auf Wahrheiten, welche weſentliche 
Beſtandtheile der katholiſchen Glaubens- und Sit— 
tenlehre bilden. 

Das höchſte Geſetz des Chriſtenthums iſt, Gott über Alles 
und den Nächſten wie ſich ſelbſt in Gott mit heiliger Liebe zu 
lieben. — In der Erfüllung dieſes Gebotes beſteht das Weſen 
der chriſtlichen Gerechtigkeit und Vollkommenheit. Die uner— 
läßliche Bedingung aber, um zu dieſer heiligen Liebe zu ge— 
langen und in ihr immer mehr zu wachſen, iſt die Bekämpfung 
und Ueberwindung der Selbſtſucht: denn in dem Herzen 
des Menſchen, wie er wirklich (in Folge des Sündenfalles) iſt, 
herrſcht nicht die heilige Liebe, ſondern unheilige Selbſtſucht. 

Weil aber Ehre, Luſt und Geld die drei Zielpunkte 
aller Selbſtſucht, und daher ſtolzer Eigenwille, Fleiſchesluſt und 
Habſucht die drei herrſchenden Leidenſchaften des gottentfrem— 
deten Menſchen ſind, ſo ſtellte ihnen Chriſtus ſeine voll— 
kommene und freiwillige Armuth, ſein abgetödtetes und gekreu— 
zigtes Leben, ſeine Demuth und ſeinen Gehorſam bis zum Tode als 
Heilmittel entgegen und er ruft uns zu: Wer mein Jünger ſein 
will, verleugne ſich ſelbſt und folge mir nach. Da— 
mit hat jedoch Chriſtus keineswegs alle Menſchen zu jenem voll— 
kommenen Verzichte auf alles Irdiſche, die er ſelbſt übte, 
verpflichtet, ſondern nur zu dem Maße von Selbſtverleugnung, 
welches zur Erfüllung ſeines Geſetzes nothwendig iſt. Die Chri— 
ſten dürfen daher die Güter der Erde erwerben und beſitzen; 
nur ſollen ſie dieſelben nicht zu ihrem Abgott machen, ſie viel— 
mehr nach Gottes Willen und im Geiſte des Chriſtenthums 
gebrauchen. Alle Chriſten ſind verpflichtet, die ſündhaften Lüſte 
des Fleiſches zu fliehen; aber die Ehe iſt ihnen nicht bloß ge— 
ſtattet, ſondern Chriſtus hat dieſelbe hoch erhoben, für einen 
heiligen Stand erklärt und mit himmliſchen Gnaden und 
Segnungen ausgeſtattet. Alle Chriſten ſollen in Demuth und 
Gehorſam ſich den Geſetzen Gottes und um Gottes Willen 
ihren rechtmäßigen Vorgeſetzten unterwerfen; aber ſie ſind 
nicht verpflichtet, die Verleugnung ihres eigenen Willens und 
den Gehorſam noch weiter auszudehnen. 


151 


Allein, was das Gebot nicht vorſchreibt, dazu kann die 
Liebe begeiſtern, und es hat immer Menſchen gegeben, welche, 
um Chriſtus in der vollkommenſten Weiſe nachzufolgen und ihm in 
Allem ähnlich zu werden, auf alles Irdiſche verzichteten und den 
Stand freiwilliger Armuth, ewiger Jungfräulichkeit 
und eines vollkommenen Gehorſams ſich erwählten. Chri— 
ſtus ſelbſt hat Diejenigen, welche dazu den Beruf von Gott 
empfangen haben, ausdrücklich zu dieſer Lebensweiſe ermuntert 
und ſie deßhalb ſelig geprieſen. „Wenn du vollkommen ſein 
willſt, ſo verkaufe, was du haſt, gib es den Armen 
und folge mir nach),“ hat er zu jenem Jüngling geſprochen. 
„Es gibt Menſchen, die um des Himmelreiches willen in ewiger 
Jungfräulichkeit leben,“ ſagt er an einer andern Stelle ); zu 
allen Zeiten hat deßhalb die Kirche die gottgeweihte Jung— 
fräulichkeit über den Eheſtand geſtellt ). 

Das iſt katholiſche Glaubenslehre, und nun mag man 
ermeſſen, was in dem Verbote des Flöfterlichen Lebens liegt! Es 
heißt nichts Anderes, als die Uebung der chriſtlichen Selbſtver— 
leugung und Tugend und zwar in ihrer erhabenſten und vollkom— 
menſten Geſtalt verbieten. Was nach der Lehre unſeres Glau— 
bens von Chriſtus ſelig geprieſen, durch ſein Wort und Beiſpiel 
empfohlen, was von der Kirche gelobt, von den Heiligen aller 
Jahrhunderte geübt wurde, das wird von dem Staate, als ob 
es ein Verbrechen wäre, unterſagt und mit der Verbannung 
beſtraft. Welch' ein Eingriff in die unveräußerlichſten und hei— 
ligſten Rechte des Gewiſſens! 


Der Beruf zum Ordensleben kommt von Gott. Wie kann 
der Staat mir Dasjenige verbieten, was ich als einen göttlichen 
Beruf nach der Lehre meines Glaubens und dem Zeugniſſe meines 
Gewiſſens erkannt habe? 


Wenn es dem Staate einfiele, ſeinen Unterthanen die Wahl 
ihres irdiſchen Berufes durch Verbote zu beſchränken, es wäre 
unerträgliche Tyrannei; aber offenbar iſt von allen Arten tyran— 
niſcher Willkür die unerträglichſte, wenn man dem Chriſten die 


1) Matth. 19, 21. 

2) Matth. 19, 12. Vgl. 1 Cor. 7, 24 ff. 

3) Das wurde ſchon im Alterthum förmlich gegen Jovinian entſchieden 
und von dem Concil von Trient Sess, 24. C. 10, aufs Neue als überlies 
ſertes Dogma ausgeſprochen. 


152 


Uebung der chriſtlichen Vollkommenheit unterſagt, wenn man Qu: 
gend und Frömmigkeit mit dem Interdicte belegt, 

Vielleicht wendet Jemand ein: Das Geſetz verbietet nicht, 
daß Einzelne in freiwilliger Armuth und Enthaltſamkeit leben 
und für ihre Perſon die „evangeliſchen Räthe“ befolgen; das Ge— 
ſetz duldet nur nicht, daß Ne ſich dazu durch Gelübde verpflich— 
ten und in Elöfterlicher Gemeinschaft leben. Allein dieſer 
Einwand beſſert an der Sache nichts, ſondern macht ſie nur noch 
ſchlimmer: denn auch das Gelübde und das gemeinſame 
“eben ſind gerade fo, wie die Uebung der evangeliſchen Räthe, 
Uebungen chriſtlicher Tugenden, welche der katholiſche 
Glaube billigt und empfiehlt. f 

Aus Liebe Größeres leiſten, als wozu wir durch das Ge— 
ſetz verbunden ſind, iſt nach chriſtlicher Sittenlehre eine hoͤ— 
here Vollkommenheit, als ſich nur an das ſtrenge Recht halten. 
Und ſich zu dieſem Größeren Gott durch ein dauerndes Ver— 
ſprechen verpflichten, iſt vollkommener, als bloß nach Laune 
und Willkühr einzelnes Gute thun. Sein ganzes Leben rück— 
haltlos und unwiderruflich dem Dienſte Gottes und einem 
höheren Leben der Tugend weihen, iſt nach katholiſcher Glau— 
benslehre ein Act ſo hoher Vollkommenheit, daß ihn die Kirchen— 
väter an Würde und Heiligkeit mit der Hingabe des Lebens für 
Gott im Martyrium vergleichen. Wenn nun der Staat verbie— 
tet, ſich durch ein Gott geleiſtetes; Verſprechen oder ein Gelübde 
zur Beobachtung der evangeliſchen Räthe zu verpflichten, ſo greift 
er dadurch nur noch tiefer in die unverletzlichen Rechte der Reli— 
gion, der Tugend, des freien Willens und des Gewiſſens ein ). 


1) „„Welcher Wahnſinn und welche Grauſamkeit!““ rief ſchon 
vor achthundert Jahren der heil. Petrus Damiani, „„der Menſch hat 
die Befugniß, frei über ſein Vermögen zu verfügen, und ſollte die 
Freiheit nicht haben, ſich ſelbſt Gott darzubringen! Er kann alle ſeine Gü— 
ter anderen Menſchen überlaſſen und man verweigert ihm die Freiheit, 
ſeine Seele Gott darzubringen, der ſie ihm gegeben hat.““ 

„Ich befand mich vor Jahren in Granada und betrachtete eines Tages 
im Albayein das Kloſted Santa Iſabel la Real, von Iſabella der 
Katholiſchen zum Gedächtniſſe ihres Sieges gegründet und das ſeine edlen 
Bewohnerinen, die aber zum Ausſterben verurtheilt waren, indem das 
dictatoriſche Regiment Espartero's ihnen gleichwie allen anderen Klöſtern 
Spaniens die Novizenaufnahme unterſagte, noch inne hatten. Eine Frau 
aus dem Volke trat zu mir und äußerte ſich über dieſen Gewaltact ; 
dann ſprach ſie, die Hand nach dem Kloſter ausgeſtreckt und mit einem 


* 


153 


Allein gerade in den Ordensgelübden hat man die Be— 
rechtigung zum Verbote der Orden finden wollen. „Dadurch wür 
den unver äußerliche Menſchenrechte verletzt; der Menſch 
könne ſich feiner Freiheit nicht ſelbſt berauben.“ Welche Be— 
griffsverwirrung liegt doch in dieſer Behauptung! Als ob Der 
ſeiner Freiheit ſich beraubte, der von ihr den freieſten und edel— 
ſten Gebrauch macht, und als ob die Freiheit des Willens darin 
beſtünde, keine feſten und unwandelbaren Willensentſchlüſſe faſſen 
zu dürfen. Oder meint man, Freiheit und Willkühr ſeien 
identiſche Begriffe? Unwiderruflich bindende Verſprechen, frei 
übernommene Verpflichtungen unſtatthaft erklären, heißt nicht 
die Freiheit ſchützen, ſondern die ſittliche Weltordnung, zu 
deren Verwirklichung Gott uns den freien Willen geſchenkt hat, 
umſtoßen und vernichten. Dann wäre auch die ewige Treue, 
welche Ehegatten ſich ſchwören, eine Verletzung unveräußerlicher 
Freiheitsrechte und der Staat müßte das Gelöbniß ehelicher 
Treue verbieten, anſtatt es zu ſanctioniren; dann wäre jede an: 
dere geſchworene Treue, wären Amts- und Dienſteide, alle Ver— 
ſprechungen und Angelobungen unverbindlich, weil Verzichtleiſtun— 
gen auf die ſchrankenloſe Freiheit der Willkuͤhr. Und in der 
That liegen alle dieſe Conſequenzen in dem Verbote religiöſer Ge— 
löbniſſe, und dieſe Conſequenzen werden auch gezogen werden, 
wenn auch nicht auf einmal, doch nach und nach. Eine Conſe— 
quenz liegt jedoch ſo nahe, daß wir uns wundern, daß die Heſ— 
ſiſche zweite Kammer ſie nicht bereits gezogen hat. Man hat die 
Ordensgelübde verboten. Nun, es gibt ja noch eine andere lebens, 
längliche und noch ſtrengere religiöſe Verpflichtung in der katho— 
liſchen Kirche, die der Prieſter zum Cölibate und überhaupt zum 
prieſterlichen Leben. In Beziehung auf das Gelübde der Keuſch— 
heit ſteht der Prieſter dem Ordensmann durchaus gleich, und auch 
jener glühenden Blicke, die man nie mehr vergißt, mit dem Kraftaus— 
drucke einer Römerin und der Gluth einer Spanierin die zwei Worte: 
Summa tirannia! Sie hatte recht: die Tyrannei hat nichts erdacht, das ge— 
waltthätiger wäre, als ſo in der Menſchenſeele die Aufopferung, die Keuſch— 
heit und die Gottes- und Menſchenliebein höchſter Potenz zu erſticken Die 
Nachwelt, zur Ehre der Menſchheit wollen wir es glauben, wird dereinſt 
dies Urtheil beſtätigen und mit dieſen beiden Worten der empörten, zür— 
nenden Spanierin, die Art von Politik und Gerechtigkeitsſinn dieſer Co— 
mödianten der Freiheit bezeichnen, die endlich ohne Maske vor ihr er— 
iheinen.“ Montalembert, die Mönche des Abendlandes, B. 1. 
Kap. 8. 


154 


die beiden andern Gelübde finden ſich bei ihm, wenn auch 
nicht in demſelben Umfange; namentlich gelobt er bei ſeiner 
Prieſterweihe den kanoniſchen Gehorſam gegen ſeine rechtmäßi— 
gen geiſtlichen Vorgeſetzten. Iſt das nicht nach jener Theorie, 
gerade ſo wie die Ordensgeluͤbde, eine Verzichtleiſtung auf un— 
veräußerliche Menſchen- und Freiheitsrechte. Weßhalb hat die 
Kammer nicht auch den prieſterlichen Cölibat “) und überhaupt 
das Prieſterthum verboten? Weßhalb hat ſie nicht auch die ka— 
tholiſche Lehre von der Unauflöslichkeit des Ehebandes ver: 
pönt? Hat ſie vielleicht gefühlt, daß darin ein zu ſchreiender 
Eingriff in die katholiſche Religions- und die Gewiſſensfreiheit 
liege? Allein man beſinne ſich und man wird finden, daß es gerade 
ſo mit dem Verbote der Ordensgelübde ſich verhält. Es iſt 
katholiſches Dogma, daß freiwillig und unter den gehörigen Be— 
dingungen geleiſtete Gelübde giltig und verbindlich ſind 
und daß deren Ablegung Gott wohlgefällig und heil— 
ſam iſt. Der Staat kann das Bekenntniß und die Uebung 
dieſer Wahrheit ſo wenig verbieten, als das Bekennt— 
niß und die Uebung irgend eines andern Satzes 
der katholiſchen Glaubens- und Sitten: 
hehre. 

Aber, böre ich rufen, wie kann die katholiſche Kirche dem 
Staat ihre Lehrſätze und Anſchauungen über Gelübde, evangeliſche 
Räthe u. ſ. w. aufnöthigen? Der Proteſtant hält dieſe Grund— 
ſätze für falſch, der Rationaliſt ſieht in ihnen einen bedauerlichen 
Wahn! Aber die katholiſche Kirche nöthigt auch dem Staat 
dieſe ihre Grundſätze nicht auf; ſie verlangt nur, daß man 
ihr und ihren Angehörigen nicht fremde Grundſätze, die 
ſie für irrig hält und halten muß, aufnöthige. Sie verlangt 
auch vom Staate nicht, daß er die Ordensleute etwa zwinge, 
ihre Gelübde zu halten; ſie fordert lediglich kraft der Re— 
ligions- und Gewiſſensfreiheit, daß der Staat nicht verbiete, 
was er ohne Gewiſſenstyrannei ſonder Gleichen nicht ver— 
bieten kann, daß nämlich Jene, welche Gelübde ab— 
legen wollen, ſie ablegen, und Jene, welche 
ſie halten wollen, ſie halten. 


1) Vor einem Menſchenalter hatte ſich der Köpfe ein ähnlicher 
Schwindel wie heute bemächtigt. Damals hat wirklich die badiſche und 
auch die heſſiſche Kammer die Aufhebung des Cölibates beſchloſſen. Wer 
denkt jetzt noch daran? 


155 


Endlich ift auch das gemeinſame Leben nach katholiſcher 
Auffaſſung in dem Weſen und Geiſte des Chriſtenthums tief be— 
gründet. Wie alles natürlich Gute im Menſchen, hat das Chri— 
ſtenthum auch den Trieb der Geſelligkeit nicht unterdrückt, ſondern 
geheiligt und ihm eine übernatürliche Weihe und Richtung gegeben. 
Chriſtus ſelbſt hat mit ſeinen Apoſteln in den drei Jahren ſeines 
öffentlichen Lehrwandels ein gemeinſames Leben geführt und durch 
jene wunderbare Verheißung: Wo Zwei oder Drei in mei: 
nem Namen verſammelt ſind, bin ich mitten unter 
ihnen, ſeinen Segen über alles chriſtliche Vereinsweſen ausge— 
goſſen. 

Grit in der Gemeinschaft findet das höhere Leben chriſt— 
licher Vollkommenheit ſeine volle Entwickelung; hier findet der 
Einzelne Leitung, Stütze und Beiſpiel; in der Gemeinſchaft ent— 
falten ſich alle chriſtlichen Tugenden und vereinigen ſich die man— 
nigfaltigen Kräfte Vieler zur gemeinſamen Vollbringung guter 
Werke. 

Das Verbot religiöſer Genoſſenſchaften iſt daher nichts An— 
deres, als eine tyranniſche Unterdrückung der berech— 
tigſten und heiligſten Lebensäußerungen des chriſt— 
lichen Geiſtes; iſt die vandaliſche Zerſtörung einer von der ka— 
tholiſchen Religion gebilligten und geprießenen Lebensweiſe, in wel— 
cher ſo viele chriſtliche Seelen den Frieden und das höchſte Glück ihres 
Lebens, eine Schule der Tugend und, was für den Gläubigen das 
Höchſte iſt, die Erfüllung eines göttlichen Berufes und den ſicher— 
ſten und beſten Weg zu ihrer ewigen Beſtimmung finden. 

Allein das Verbot der Klöſter iſt nicht bloß der grauſamſte 
Eingriff in die heiligſten Rechte der einzelnen Seelen, es iſt auch 
der empfindlichſte Eingriff in die weſentlichſten Rechte und die hei— 
ligſten Intereſſen der chriſtlichen Geſammtheit, der 
ganzen katholiſchen Kirche. 

Das Verbot der religiöſen Genoſſenſchaften beraubt die 
Kirche vor Allem ihrer inneren Freiheit. Innerhalb der 
Grenzen, welche die ewigen Principien der göttlichen Wahrheit 
und des göttlichen Geſetzes ziehen, herrſcht in der katholiſchen 
Kirche eine ungehemmte Freiheit. Der Geiſt weht in ihr wo und 
wie er will. 

Die Kirche nöthigt Niemanden, aber ſie hindert auch Nieman— 
den in dem, was der freien religiöſen Begeiſterung und der un— 
eigennützigen Liebe überlaſſen iſt. Sie fordert nichts anderes als 


156 


das aufrichtige Bekeunkniß des Allen gemeinſamen Glaubens und 
die Beobachtung das Allen gemeinſamen Geſetzes — alles Andere 
iſt frei und jeder Zwang verpönt. Wähle Jeder, was ihm wohl— 
gefällt: den weltlichen oder den prieſterlichen Stand, die Che oder 
die Jungfräulichkeit; übe jeder Werke nach ſeiner freien Wahl, 
lebe für ſich oder verbinde a mit gleichgefinnten Genoſſen; Jeder 
wuchere mit dem Talente, das Gott ihm gegeben. Auf dieſem 
Gebiete hat die Kirche kein Gebot und kein Verbot, aber ihren 
reichlichſten Segen für Alle, welche im Geiſte Chriſti zur För— 
derung chriſtlicher Frömmigkeit und Tugend wirken. Dieſe freie 
Bewegung des religiöſen Geiſtes im Innern der Kirche iſt ein Le— 
bensprincip derſelben. Nichts iſt daher dem Weſen und Geiſte 
der katholiſchen Kirche diamentraler entgegengeſetzt, als der Geiſt 
des abſolutiſtiſch-bureaukratiſchen Staates. Gerade dieſer Geiſt 
war in dem Joſephinismus in die Kirche eingedrungen und die 
plumpſte und brutalſte Aeußerung dieſes Geiſtes iſt das Verbot 
des klöſterlichen Lebens und der religiöſen Genoſſenſchaften. Deß— 
halb hängt gerade hieran vielleicht mehr, als an allem Anderen die 
äußere und innere Freiheit des religiöſen Lebens. Denn die 
Tendenz des Verbotes der Orden iſt keine andere, als im reli— 
giöſen Leben Alles zu unterdrücken und zu verbieten, was 
über das Niveau des Gewöhnlichen hinausgeht; jede freie Verei- 
nigung zu religiöſen Zwecken, jede beſondere Hingabe der eigenen 
Perſönlichkeit an Gott und Chriſtus. | 

Nun liegt aber gerade in dem Wirken der religiöſen 
Begeiſterung und Hingebung die hauptſächlichſte Kraft der 
Kirche und der Religion. Das klöſterliche Leben und die reli— 
giöſen Genoſſenſchaften verbieten, heißt daher der katholiſchen 
Kirche ihre reichſte Zierde, ihre eigenthümlichſte Kraft 
und Friſche gewaltſam rauben und ſie in einen Zuſtand von 
Schwäche, Geiſtloſigkeit und Armſeligkeit verſetzen. 

Es iſt daher auch eine traurige Begriffsverwirrung, wenn man 
meint, weil die freien religiöſen Genoſſenſchaften nicht zum Orga— 
nismus des Kirchenamtes gehören, weil die Uebung der evangeli— 
ſchen Räthe und das klöſterliche Leben nicht geboten, ſondern ein— 
zig der freien Wahl der Einzelnen überlaſſen iſt, ſo gehöre alles 
dieſes nicht zur Integrität und zum Weſen der katholiſchen Re— 
ligion und Kirche und man könne daher dieſelben verbieten, 
ohne das Weſen der katholiſchen Religion und Kirche zu ver: 
letzen. Wahrlich, man kann es nicht, ohne die Kirche und das ka— 
tholiſche Leben zu verkrüppeln und ſeiner Geſundheit und Kraft zu 


157 


berauben. Unter dem Drucke dieſes Verbotes iſt die Kirche wie 
ein Baum, dem Raum, Licht und Luft fehlt, ſeine Aeſte zu ent 
falten, wie ein Adler, dem man zwar das Leben gelaſſen und das 
Futter bewilligt, aber die Flügel zerbrochen hat. 

Vielfach und unentbehrlich ſind die Dienſte, welche die Orden 
der Kirche und kirchlichen Geſammtheit zu allen Zeiten und unter 
allen Umſtänden leiſten, aber vielleicht noch niemals hat die 
Kirche derſelben ſo ſehr bedurft und ſind ſie daher im vollſten 
und beſten Sinne ſo zeitgemäß geweſen, als in unſerer 
Zeit, gerade aus dem Grunde, weil gegenwärtig ein Geiſt 
in der Welt herrſcht und durch mannigfaltige Umſtände befördert 
wird, welcher mit dem Geiſte, der dem klöſterlichen Leben zu 
Grunde liegt und der uach katholiſchem Glauben kein anderer iſt, 
als der Geiſt des Chriſtenthums, der Geiſt Jeſu Chriſti ſelbſt, 
im Widerſpruch ſteht. 

Der Geiſt des Chriſtenthums iſt ein Geiſt der Selbſtver 
leugnung, einer Selbſtverleugnung, die bis zur freiwilligen 
Verzichtleiſtung auf die erlaubten Güter und Genüſſe des Lebens 
ſich erhebt, iſt ein Geiſt des Opfers, der nicht nur ein⸗ 
zelne Handlungen, ſondern das ganze Leben und die ganze 
Perſönlichkeit Golt und dem Nächſten weiht. Nun wird aber 
Niemand verkennen, daß in der Gegenwart das Streben nach den 
Gütern und Genüſſen der Erde, verbunden mit einem ausge 
prägten Egoismus, in einem Grade und einer Maſſenhaftigkeit 
herrſcht, daß dadurch mehr, als durch allen Unglauben, der Geiſt 
des Chriſtenthums erſtickt wird. 

In ſolchen Zeiten iſt es beſonders nothwendig, dem Durſte 
nach Geld die freiwillige Armuth, dem Stolze des Geiſtes und 
Willens die Demuth und den Gehorſam des Evangeliums, der un— 
bändigen Genußſucht und dem fleiſchlichen Sinne das Beiſpiel der 
vollkommenſten Abtödtung und Enthaltſamkeit entgegenzuſtellen. 
Nichts iſt thörichter, als zu meinen, dieſem Strome der Entchriſt— 
lichung, welcher nicht ſowohl als eine Doctrin, als vielmehr als 
herrſchende Geſinnung und Lebensgewohnheit die Menſchen mit 
ſich fortreißt, durch Worte und durch bloße Wohlanſtändigkeit 
begegnen zu können — wenigſtens iſt die katholiſche Kirche ganz 
davon durchdrungen, daß das Gift einer bis zur Verachtung Got— 
tes fortſchreitenden Selbſt- und Weltliebe nur durch das Gegengift 
einer heldenmüthigen Selbſtverleugnung und Selbſtaufopferung 
überwunden werden kann. 

In ſolchen Zeiten, wie die unſrigen ſind, iſt es auch doppelt 


158 


nothwendig, daß die Kirche ſich fruchtbar erweiſe an Werken der 
Nächſtenliebe. Je gewaltiger in ungehemmter Concurrenz die In— 
duſtrie und der Verkehr ſich entfaltet, um ſo mehr menſchliche Exi— 
ſtenzen leiden Schiffbruch. Ein unermeßliches, leibliches und gei— 
ſtiges Elend fordert das Chriſtenthum gleichſam heraus, daß es 
an ihm beweiſe, ob es wirklich iſt, was es zu ſein behauptet, die 
Religion der Liebe und der Barmherzigkeit. Jene Barmherzig— 
keit aber, wie Chriſtus ſie durch Wort und Beiſpiel gelehrt, jene 
Liebe, die für die Brüder das Leben opfert, erheiſcht Hingabe der 
ganzen Perſon und kann in dauernder und umfaſſender 
Weiſe — wenigſtens iſt das unſere Ueberzeugung und die Erfah— 
rung widerſpricht ihr nicht — nur durch religiöſe Genoſſenſchaften 
geübt werden. 

Obwohl wir nur ungern an dieſer Stelle einen Punkt be— 
rühren, wofür unſere Zeit ſo ſehr das Verſtändniß verloren hat, 
dürfen wir endlich nicht übergehen, daß nach katholiſchem Glauben 
das Nothwendigſte und Wirkſamſte zur Ueberwindung aller Uebel 
und zur Heiligung der Menſchheit das Gebet iſt. Wehe der Kirche, 
der Chriſtenheit, wenn das Gebetsleben in ihr verſiegt iſt! — Die 
Klöſter aber ſind ſo recht eigentlich die Pflanzſtätten des Gebetes und 
des übernatürlichen Lebens. 

In unſerem Weltalter iſt die katholiſche Kirche faſt aller 
irdiſchen Hilfe und Mittel beraubt; alle äußeren Umſtände ſind 
ihr ſo ungünſtig, als nur möglich; von allen Seiten iſt ſie von zahl— 
reichen und mächtigen Gegnern umgeben; der Zeitgeiſt iſt ihr 
fremd oder feindlich; ſie iſt eine widerſtandsloſe Beute einer anti— 
chriſtlichen, ſchonungsloſen Tagespreſſe und Literatur; man ver— 
höhnt ihre göttliche Sendung und verſpottet ihre heiligſten und 
theuerſten Ideen. Sie iſt einzig auf ſich ſelbſt angewieſen, auf die 
Kraft ihres Glaubens, auf die Tugenden und das Gebet ihrer Mit— 
glieder. 

Die Kirche kann es ertragen, wenn man ſie ihrer äußeren 
Mittel und Stellung beraubt; aber das kann ſie nimmer 
dulden, daß man den Geiſt und die Kraft ihres inne— 
ren Lebens gewaltſam unterdrücke. Darauf zielen zwar 
auch nicht wenige andere Beſtimmungen des neuen Religionsgeſetzes 
ab, aber keine mehr, als das Verbot der Orden und religiöſen Ge— 
noſſenſchaften. 

Dadurch wird der Bann gelegt auf die Blüthe der chriſt— 
lichen Frömmigkeit; dadurch werden die Quellen des höheren 
übernatürlichen Lebens verſchüttet, die Stätten des Gebetes ver— 


159 


wüſtet, wird chriſtliche Selbſtverleugnung und Selbſtaufopferung 
verpönt — während eine ſchrankenloſe Freiheit alle der Kirche 
und dem Chriſtenthum feindſeligen Mächte entfeſſelt. 

Wenn chriſtliche Männer Alles, was die Welt ihnen bietet, 
verlaſſen, um nur für die Sache Chriſti zu leben, wenn ſie 
ſich zu einem Leben des Gebetes, heiliger Wiſſenſchaft und apoſto— 
liſcher Wirkſamkeit vereinigen, wenn ſie, wie Chriſtus mit ſeinen 
Apoſteln, arm und der Welt abgeſtorben leben wollen, ſo ſind ſie 
wegen dieſer Miſſethat verwieſen. 

Wenn Jungfrauen ſich Gott und dem Dienſte der Armen 
weihen, wenn ſie die Kranken in den Spitälern, die Armen in 
ihren Häuſern pflegen, wenn ſie verwaiſte und verlaſſene Kinder 
erziehen, wenn ſie derer ſich annehmen, Derer Niemand ſich an— 
nimmt, oder wenn ſie Tag und Nacht ihren Gott im Geheimniß 
ſeiner Liebe anbeten, ſo ſind ſie des Landes verwieſen. 

Was jeder katholiſche Katechismus als hohe Tugend preiſt, 
wird ſo von dem Staate zum Verbrechen geſtempelt; der klöſter— 
liche Stand, dem ein großer Theil jener Heiligen angehörte, welche die 
Gläubigen als Vorbilder der Tugend zu verehren gewohnt ſind, wird 
als der einzig verbotene und verworfene Stand aus der menſch— 
lichen Geſellſchaft ausgerottet. Habgier und Wucher dürfen frei 
ihr Haupt erheben; aber wer ſein Vermögen austheilt und um 
Chriſti willen mit den Armen arm wird, wird ſchmachbedeckt aus 
Stadt und Land vertrieben. Jede Art von Ueppigkeit, jede Sünde 
iſt frei; aber die Abtödtung und Enthaltſamkeit ſind verpönt. Zu 
allen Zwecken darf man ſich vereinigen, neue Religionen darf man 
ſtiften, die Secten ohne Zahl vermehren; aber wenn katholiſche 
Prieſter ſich verbinden, um heiliger und vollkommener zu leben, 
um in ihrem heiligen Beruf mit vereinten Kräften zu wir— 
ken, um das katholiſche Predigtamt um ſo apoſtoliſcher zu ver— 
walten, um gute Werke um ſo wirkſamer zu fördern, um die Wiſ— 
ſenſchaften zu pflegen, ſo ſind ſie dem Geſetze verfallen und ge— 
ächtet! — Und das hieße „die katholiſche Kirche iſt anerkannt?“ 
Das hieße: „Sie verwaltet ihre Angelegenheiten ſelbſtſtändig?“ 
Das hieße: „Sie genießt des Schutzes des Staates und hat 
das Recht öffentlicher Corporationen!“ Das wäre keine Reli— 
gionsbedrückung; keine Kirchenverfolgung! — Ja, ſagen wir, das 
iſt eine Bedrückung und Verfolgung der katholiſchen Religion ſo 
ſchlimm, als es nur eine gibt. Denn, von dem allein richtigen 
Standpunkt der chriſtlichen Principien aus betrachtet, iſt es beſſer, 
daß das Blut der Chriſten vergoſſen, als daß der Geiſt des 


160 


Chriſtenthums in der Kirche gewaltſam unterdrückt 
wird! 

Wohl kenne ich die Antwort, welche man dieſer unſerer ganzen 
Auseinanderſetzung entgegenſetzen wird. Wir reclamiren die Frei— 
heit des klöſterlichen Lebens als das höchſte von allen 
Freiheitsrechten des Chriſten, als das Recht 
und die Freiheit der Tugend, des Opfers, der 
Selbſtverleugnung, des übernatürlichen Lebens 
und der heiligen Liebe — und man wird uns von 
der einen Seite hohnlachend den Vorwurf der Heuchelei 
und von der andern den der Hoffart in's Angeſicht ſchleu— 
dern. 

„Asceſe, Opfer, Selbſtverleugnung mögen ſchöne Sachen 
fein — auch wir haben Reſpect davor, aber dieſe Mönche und 
Pfaffen ſind Heuchler, die ſich für den Schein der Abtödtung 
anderweitig ſchadlos zu halten willen!” — Iſt es wahr, daß man 
ähnliche Reden auch in der zweiten Kammer zu führen ſich nicht 
ſcheute? In der Preſſe werden ſie tagtäglich vernommen und ſind 
der Nerv aller Polemik gegen die Klöſter. — Aber Menſch, der du 
ſo redeſt, wer gibt dir das Recht ſo zu urtheilen? Wer biſt du, 
daß du die Abſſchten und das Innereſte dieſer Männer, die du 
Heuchler nennſt, ergründet hätteſt? — Wie kannſt du es vor 


* 


deinem Gewiſſen und deiner Ehre verantworten, das Verwer— 
fungsurtheil der Heuchelei über Menſchen auszuſprechen, die du 
nicht kennſt? Auf welche Beweiſe gründeſt du dein Urtheil? 
Oder meinſt du, Mönche und Prieſter ſeien vogelfrei? Oder es 
ſei nicht gegen das Sittengeſetz, Hohn, Verdacht und Verleum— 
dung über Mitmenſchen auszugießen, bloß weil ſie aus Reli— 
gioſität einem Stande ſich geweiht haben, den ihre Kirche, von 
der man doch ſagt, daß ſie geſetzlich anerkannt und in ihrer Ehre 
geſchützt ſei, als einen Stand der Vollkommenheit bezeichnet? — 
Mag man unſeren Glauben für Wahn halten, allein hier, wo 
es ſich um den Vorwurf der Heuchelei handelt, ſtehen wir nicht 
auf dem Boden verſchiedener Glaubenslehren, ſondern da ſteht der 
Menſch dem Menſchen auf dem Boden jener natürlichen Sittlich— 
keit gegenüber, ohne welche die menſchliche Geſellſchaft nicht be— 
ſtehen kann. Ihr habt kein Recht, die katholiſchen Ordensleute 
und Prieſter Heuchler zu nennen! Unſeren Glauben können wir 
euch nicht aufnöthigen, aber fordern können wir von euch, daß ihr 
die Aufrichtigkeit unſerer Geſinnung und unſerer ſittlichen Ehre 
nicht antaſtet. Oder kommt es euch ſo unmöglich und ſo unglaub— 


161 


lich vor, daß heute noch Jemand mit Aufrichtigkeit religiöſen 
Ueberzeugungen huldigen könne, welche doch mit ſiegreicher Ge— 
walt ſeit faſt zwei tauſend Jahren Millionen der vernünftigſten 
und edelſten Menſchen mit Begeiſterung erfüllt haben. 

Nein, die Ordensleute — mag es immer einige Elende 
unter ihnen gegeben haben — ſind keine Heuchler, ſondern ſie 
glauben, was ſie bekennen und ſtreben zu erfüllen, was ihre 
Ordensregel ihnen vorſchreibt. Kommt und prüfet ſie! Den 
Heuchler kann man leicht entdecken. Seht ihnen in's Auge, 
redet mit ihnen, prüft ihr Leben — und ihr werdet ſie viel— 
leicht, weil ihr ihren Glauben nicht habt, für Thoren halten, 
wenn gleich für Thoren, die in Allem einen geſunden Menſchen— 
verſtand und einen guten und rechtſchaffenen Character be— 
währen, aber Heuchelei werdet ihr nicht an ihnen finden! 

Auch iſt es nicht Stolz, ſondern unſer Glaube, der uns Katho— 
liken bewegt, das Ordensleben als einen Stand der Vollkom— 
menheit zu betrachen. Auch die Ordensleute ſind nicht ſtolz; ſie 
wiſſen wohl, daß, je erhabener ihr Beruf iſt, um ſo größer 
ihre Demuth ſein muß; ſie wiſſen, daß ſie zwar nach Vollkom— 
menheit ſtreben und in ihrem Stande ein überaus wirkſames 
Mittel beſitzen, um zur Vollkommenheit zu gelangen — daß 
aber der einfachſte Chriſt ſie perſönlich an Heiligkeit und Werth 
vor Gott übertreffen kann. Wenn aber Solche, die nicht der 
katholiſchen Kirche angehören, ſprechen wollten: Was macht ihr 
aus euch ſelbſt? Wir ſind auch Chriſten und haben keine 
Klöſter, keine Gelübde, keine evangeliſchen Räthe, wollt ihr 
höhere Weſen ſein, als wir ſind? — ſo müſſen wir im Namen 
der Kirche und ihrer Orden antworten: wir richten Niemand; 
wir nöthigen euch unſeren Glauben nicht auf — aber erlaubt 
auch uns, katholiſch zu denken, zu reden, zu leben. Vom Staate 
aber fordern wir, daß er uns in dieſer Freiheit ſchütze, nicht 
aber ſelbſt durch das Verbot der Orden und religiöſen Genoſ— 
ſenſchaften das religiöſe Leben in ſeinem eigenſten und inner— 
ſten Heiligthum zertrete. 


8. Das Verbot der Orden und religiöſen Genoſſenſchaften ſteht 
im Widerſpruch mit den Grundſätzen des Rechtes, der Freiheit, 
der Vernunft und der Staatsweisheit. 


Alle früher betrachteten Gründe, welche für die Frei— 
heit und Selbſtſtändigkeit der katholiſchen Kirche ſprechen, ſprechen 


auch gegen das Verbot der Orden und religiöſen Genoſſen— 
Heinrich, Der Kampf der Kirche. 11 


162 


ſchaften. Wir wollen dieſe Gründe hier nicht weitläufig wie: 
derholen, ſondern nur einige Punkte hervorheben. 

In der rechtlichen Anerkennung, ja in der 
bloßen Duldung der katholiſchen Religion und 
Kirche liegt auch nothwendig die Anerkennung und 
Duldung ihrer Orden und religiöſen Genoſſen— 
ſchaften: denn dieſelben gehören, wie wir ſo eben ausführ— 
lich gezeigt, weſentlich zur Integrität des katholiſchen Glaubens 
und des katholiſchen Lebens. So gewiß daher die katholiſche 
Kirche in unſerm Lande mit vollem Rechte beſteht, ſo gewiß 
hat ſie auch ein wohl erworbenes und unantaſtbares Recht 
auf das ihr eigenthümliche klöſterliche Leben und die ihr ange— 
hörenden religiöſen Genoſſenſchaften. 

Daß die katholiſche Kirche, wo immer ſie beſteht, auch 
ihre katholiſchen Orden zu haben berechtigt iſt, das iſt denn auch 
eine Wahrheit, welche zu allen Zeiten von allen Nationen und 
Staaten der Welt, als ſich von ſelbſt ver ſtehend, anerkannt wurde 
und anerkannt wird. 

Niemals iſt es in früheren Zeiten irgend einer Staatsge— 
walt, weder einer proteſtantiſchen noch einer katholiſchen, weder 
einer chriſtlichen noch einer nichtchriſtlichen eingefallen, die ka— 
tholiſche Kirche zwar zu dulden, aber ihre klöſterlichen Inſtitute 
zu verbieten. Wo immer im deutſchen Reiche nach den 
Grundſätzen des weſtphäliſchen Friedens die katholiſche Kirche 
anerkannt war, waren es auch die katholiſchen Orden ohne Un: 
terſchied. Bis in unſer Jahrhundert beſtanden deßhalb mitten 
im proteſtantiſchen Norddeutſchland eine Menge von Klöſtern, 
welche die religiöſen Bedürfniſſe der dort zerſtreuten Katholiken 
verſahen. Keinem Proteſtanten fiel es ein, darin eine Ver: 
letzung der Rechte und Intereſſen der proteſtantiſchen Religion 
zu erblicken. So ſehr es ſich von ſelbſt verſtand, daß die Pro— 
teſtanten keine Klöſter haben, ebenſo verſtand es ſich von ſelbſt, 
daß die Katholiken ihre Klöſter beſitzen. 

So iſt es auch in der Gegenwart. Einige kleine deutſche 
Staaten abgerechnet, beſteht das klöſterliche Leben frei und un— 
gehemmt in allen Staaten der Welt, in Preußen wie 
in Oeſterreich, in England wie in Frankreich, in Holland wie 
in Belgien. Dänemark hat erſt vor wenigen Jahren den Ka— 
tholiken Religionsfreiheit verliehen, damit aber auch ihnen als 
ſelbſtverſtändlich die Freiheit des Ordenslebens eingeräumt. 
Rußland iſt in der Unterdrückung und Verfolgung der katholi— 


163 


ſchen Kirche ſehr weit gegangen, aber niemals iſt ihm zu Sinn 
gekommen, die Klöſter zu verbieten. In Nordamerika genießt 
das klöſterliche, wie überhaupt das kirchliche Leben einer unbe— 
ſchränkten Freiheit. Die Türken, die Chineſen und andere heid— 
niſche Völker haben wohl zu Zeiten die chriſtliche Religion blu— 
tig verfolgt, niemals aber haben ſie, wenn ſie den Katholicis— 
mus duldeten, die katholiſchen Ordensleute von dieſer Duldung 
ausgeſchloſſen. 

Man hat in den Debatten der zweiten Kammer, gleichſam 
um das Verbot der Orden in Heſſen zu rechtfertigen, ſich nach 
Beiſpielen umgeſehen; man hat Sardinien und Portugal 
angeführt. Dürftige und traurige Autoritäten gegenüber allen 
Nationen der Erde! Aber man täuſcht ſich, auch dieſe Beiſpiele 
ſind nicht ſtichhaltig. Es hat nämlich in dieſen Ländern durch 
den revolutionären Deſpotismus die Unterdrückung und Ver— 
treibung einzelner Orden, Einziehung des Kloſtergutes und der— 
gleichen ſtattgefunden, niemals aber ein prinzipielles Verbot des 
klöſterlichen Lebens. Es iſt übrigens wahrlich die ſchlimmſte 
Rechtfertigung, wenn die zweite Kammer ihr Verbot der Orden 
mit den modernſten Kloſteraufhebungen in Italien rechtfertigt. 
Denn dieſe Vorgänge beweiſen nur, daß die Revolution und die 
brutale Gewalt, die keiner Rechte ſchont, auch Klöſter zerſtört 
und verfolgt, nicht aber, daß ein Staat nach den Grundſätzen 
der Gerechtigkeit und Sittlichkeit dazu befugt iſt. Man hat 
auch viel von den franzöſiſchen Geſetzen geredet. Die rechtsge— 
lehrten Herren mögen mir erlauben, ihren Behauptungen ein— 
fach die Frage entgegenzuſetzen: Wenn die franzöſiſche Ge— 
ſetzgebung die Orden und das klöſterliche Leben 
verbietet, wie kommtes, daß ganz Frankreich mit 
Klöſtern und religiöſen Genoſſenſchaften erfüllt 
it — und daß Frankreich dies nicht im Widerſpruch 
mit der franzöſiſchen Geſetzgebung findet? Wie 
kommt es, daß die franzöſiſche Geſetzgebung der 
Exiſtenz der Orden in Rheinpreußen kein Hin⸗ 
derniß bereitet? Es kommt entweder daher, daß Frankreich in 
ſeiner erſten Revolution zwar die beſtehenden Klöſter aufgehoben 
und ihre Güter eingezogen, aber nicht das klöſterliche Leben als 
ſolches verboten oder daß man die Verbote der kirchenverfolgen— 
den Revolutionszeit mit der Wiederherſtellung der katholiſchen 
Religion als erloſchen betrachtet hat. 

Man hat auch von deutſchen, von heſſiſchen Geſetzen geredet. 

\ 11* 


164 


Auch hier waltet Täuſchung und Verwechslung ob. In der 
Säculariſationsperiode hat man wohl Klöſter aufgehoben, das 
Kloſtergut eingezogen; allein ein das klöſterliche Leben 
als ſolches verbietendes Geſetz gibt es nicht. 
Wohl mögen damals Viele der Meinung geweſen ſein, mit 
der Unterdrückung der alten Klöſter ſei das klöſterliche Le— 
ben überhaupt erloſchen; wohl mag es nach dem damaligen Syſtem 
der abſoluten Bevormundung der Kirche durch den Staat als 
ſelbſtverſtändlich angeſehen worden ſein, daß der Staat keine 
Klöſter erlaube und die Polizei keine Ordensleute dulde — aber 
ein Geſetz, ein poſitives Recht, das da das klöſter— 
liche Leben verböte, gibt es nicht. Der Art. 7. des 
neuen Religionsgeſetzes iſt daher etwas in ſeiner Art Neues und 
Einziges. Selbſt das neueſte badiſche Religionsgeſetz, das auch 
nur ein Reactionsverſuch des alten Staatskirchenthums gegen 
die Prinzipien der religiöſen Freiheit war, ging nicht ſo weit; 
es hat das klöſterliche Leben nicht principiell verboten, ſondern 
nur im Geiſte des alten Polizeiſtaates, der einſtens auch die 
Zahl der Kerzen auf dem Altare beſtimmte, von der jeweiligen 
Staatsgenehmigung abhängig gemacht. 

Von dem Standpunkt des poſitiven Rechtes aus iſt alſo der 
Staat nicht bloß nicht berechtigt, das Ordensleben zu verbie— 
ten, ſondern er iſt poſitiv verpflichtet, dem katholiſchen 
Ordensleben denſelben Schutz zu gewähren, 
den er der katholiſchen Religion überhaupt ſchul— 
dig iſt. — Allein, wenn er auch dieſer Pflicht gegenüber der 
katholiſchen Kirche als ſolcher ſich entſchlagen würde, er könnte nie 
und nimmer das klöſterliche Leben und religiöſe Genoſſenſchaften 
verbieten, ohne die perſönliche und Gewiſſens— 
freiheit der Einzelnen zu verletzen. Er könnte Klöſtern 
die Corporationsrechte verweigern; er könnte ſie als 
ſolche gänzlich ignoriren; aber Menſchen verbieten, 
katholiſche Ordensregeln zu beobachten, oder aus dem Grunde, 
weil ſie dieſelben beobachten, ſie aus dem Lande verbannen, 
oder an Ehre, Vermögen oder Freiheit ſtrafen: das kann er 
nicht, wenn er nicht auf alle Grundſätze des Rechtes und der 
Freiheit verzichten will. Das iſt ſo wahr, daß ſelbſt, wenn 
das neue Religionsgeſetz je eingeführt werden ſollte, trotz des 
Art. 7. alle Ordensleute ohne Ausnahme ruhig ihr klöſterliches 
Leben fortſetzen können und Niemand ſie daran zu hindern 
vermag, wenn nicht alle perſönliche und Ge— 


165 


wiſſensfreiheit vernichtet und zu einem Spott 
werden ſoll. Darf ich nicht unverheirathet bleiben, wenn es 
mir beliebt? Darf ich nicht im Aufſtehen und Schlafen— 
gehen, in Nahrung und Kleidung, in Arbeit und Ruhe, in Beten 
und Faſten nach einer gewiſſen Tagesordnung mich richten, mag ſie 
von mir ſelbſt oder von einem Andern aufgeſtellt ſein? Darf 
ich nicht Gott verſprechen, was ich will? Darf ich nicht, ſo lange 
ich kein fremdes Privatrecht verletze, meine Steuern zahle, 
der Militärpflicht Genüge leiſte, oder welche ſonſtige allge— 
meine Staatslaſten etwa beſtehen, in allem Uebrigen es halten, 
wie es mir gut dünkt? Iſt es verboten, daß mehrere, daß 
viele Perſonen in Einem Hauſe zuſammen wohnen und nach 
gleicher Regel leben? Dürfen ſie nicht auf ihrem Grund und 
Boden Häuſer bauen, in welchem Styl ſie wollen? Darf ich 
nicht allein oder mit Anderen Kranken pflegen, Waiſenkinder 
ernähren und erziehen? Schule halten, wenn ich den allge— 
meinen Schulgeſetzen genüge? Dürfen nicht Prieſter, die nach 
ſolchen Ordensregeln leben, wenn die geiſtlichen Oberen es ge— 
ſtatten, geiſtliche Funktionen verrichten? Wen geht die Ordens— 
regel, die ſie für ihre Perſon beobachten, etwas an? Haben 
ſie nicht ihre perſönliche Freiheit? Wer will Inländern aus 
dem Grunde, weil es ihnen beliebt, eine Ordensregel zu beob— 
achten, den Aufenthalt und die Ausübung aller bürgerlichen 
Rechte in ihrem Vaterlande wehren? Wer will Ausländern, 
wer will insbeſondere Angehörigen deutſcher Bundesſtaaten, 
bloß deßhalb, weil es ihnen beliebt, eine beſtimmte Regel des 
religiöſen Lebens zu befolgen, den Aufenthalt im Lande unters 
ſagen, wenn ihre Papiere in Ordnung ſind und ſie allen An— 
forderungen entſprechen, unter denen allen Ausländern, insbe— 
ſondere allen Deutſchen der Aufenthalt im Lande geſtattet iſt? 
Und mit welcher Strafe will man das klöſterliche Leben be— 
ſtrafen? Unter welches Strafgeſetz fällt es? Unter welche 
Klaſſe von Verbrechen oder Vergehen will man es ſubſumiren? 
Oder ſoll etwa Jemand, weil er eine Ordensregel befolgt, vo— 
gelfrei ſein? Gewiß nicht. Dadurch, daß Jemand ein Ordens— 
mann iſt, hat er nicht aufgehört ein Menſch und ein Staats— 
bürger zu ſein. Wenn er daher an Geſundheit oder Leben, an 
Gut oder Freiheit, an Ehre oder an gutem Namen, oder in 
der Ausübung ſeiner bürgerlichen Rechte, wenn er in feiner Ges 
wiſſensfreiheit verletzt wird, ſo hat ihn der Staat zu ſchützen 
und die Angreifer nach den Geſetzen zu beſtrafen, 


166 


Was ſoll man aber erit dazu jagen, wenn eine Geſetzge— 
bung, welche nicht bloß die Freiheit der Vereinigung überhaupt, 
ſondern insbeſondere die der religiöſen Vereine, auch 
aller neu entſtehenden Religionsgenoſſenſchaften, vollkommen an: 
erkennt, die religiöſen Genoſſenſchaften der katholiſchen Kirche 
verbietet? Will man vielleicht ſich auf Art. 3. berufen, daß die 
Verfaſſung und das Bekenntniß religiöſer Gemeinſchaften weder 
den Staatsgeſetzen noch der Sittlichkeit widerſprechen, noch zum 
Vorwande dienen dürſe, Andere in ihren politiſchen, bürger— 
lichen und religiöſen Rechten zu beeinträchtigen, und behaupten, 
daß die katholiſchen Orden überhaupt oder irgend welche Orden 
insbeſondere der Sittlichkeit widerſprechen. Allein das wäre 
offenbar eine Schmähung der katholiſchen Religion und eine Injurie 
gegen jeden Katholiken. Denn die Orden der katholiſchen Kirche 
ſtimmen in allen Punkten ihrer Regeln mit dem katholiſchen 
Glauben und der katholiſchen Sittenlehre überein; in ihrer kirch— 
lichen Anerkennung iſt ausgeſprochen, daß ſie durch und durch 
katholiſch ſind und nichts anderes. Damit iſt auch ſchon ge— 
geben, daß keine Ordensregel einen Grund in ſich ſchließt, Andere 
in ihren bürgerlichen, politiſchen und religiöſen Rechten zu be— 
einträchtigen. Oder wo in aller Welt gibt es eine Ordensregel, 
die auch nur einen Vorwand zu ſolchen Rechtsverletzungen 
bieten könnte? Die Regeln haben lediglich das religiöſe Leben 
der Ordensleute ſelbſt, die Verrichtung guter Werke und die 
Uebung geiſtlicher Funktionen zum Gegenſtande. Und mit welchen 
Staatsgeſetzen ſtünden ſie im Widerſpruch? Nein, nicht die Or— 
densregeln und das klöſterliche Leben ſtehen mit der Sittlichkeit, den 
bürgerlichen, politiſchen und religiöſen Rechten und den Staats— 
geſetzen in Widerſpruch, wohl aber verletzt das Verbot der Or— 
den die ſittliche, die rechtliche, die religiöſe Freiheit der Katho— 
liken. 

Man wird vielleicht zugeſtehen, daß durch das Verbot 
der Orden und religiöſen Genoſſenſchaften die Freiheit be— 
ſchränkt werde, allein man wird dieſe Beſchränkung aus Grün— 
den des öffentlichen Wohles rechtfertigen, ja am Ende 
gar als ein Recht der Nothwehr von Seiten des Staates 
und der übrigen Confeſſionen darſtellen. 

Allein hier fragt ſogleich wieder der geſunde Menſchenver— 
ſtand, weßhalb das Wohl des Staates oder die Intereſſen an: 
derer Confeſſionen gerade in unſerem Lande durch katholiſche 
Orden und religiöſe Genoſſenſchaften gefährdet werden ſollen, 


167 


da man weder in England, noch in Nordamerika, noch in 
allen anderen Ländern und Staaten der Welt von einer ſolchen 
Gefährdung etwas weiß. Doch es iſt beſſer, auf die Sache ſelbſt 
einzugehen und an der völligen Nichtigkeit der hauptſächlichſten 
Einwände gegen die Zulaſſung der Klöſter im Staate zu zeigen, 
daß es für das Verbot der Orden keine vernünftigen Gründe 
gibt. 

Offenbar die abſurdeſten von allen Einwänden gegen die 
Klöſter und religiöſen Genoſſenſchaften find die angeblich na- 
tionalökonomiſchen, volkswirthſchaftlichen Gründe. 
Man weiſt hin auf die Zeiten, wo die Klöſter reich waren 
und namentlich anſehnliches Grundeigenthum beſaßen und bes 
hauptet dann mit der ernſthafteſten Miene, wenn man die Klö— 
ſter nicht verbiete, ſo würden zum Nachtheile des Staates und 
des Volkes jene Zuſtände wiederkehren. Warum macht man aus 
dieſen und ähnlichen Gründen nicht auch das Geſetz: „Biſchof 
und Domcapitel werden im Großherzogthum nicht zugelaſſen.“ 
Denn bekanntlich hatte der Biſchof und das Domcapitel von Mainz 
vor Zeiten größere Güter als die alten Klöſter, ja was noch mehr 
iſt, es hat ſogar der Biſchof die Landeshoheit über ein großes 
Land beſeſſen. Er könnte, wenn man das Bisthum nicht auf— 
hebt und ihn verbannt, wieder die Landeshoheit, die Domänen 
und was nicht Alles an ſich ziehen! — Welch' lächerlicher Un— 
ſinn oder welch' empörende Perfidie liegt doch in jenem Ein— 
wand. Man argumentirt aus Zuſtänden einer ganz anderen 
Weltperiode ) für unſere Zeit, in der eher alle anderen Ges 
fahren vorhanden ſind, als die, daß katholiſche Klöſter Reich— 
thümer anhäufen und den Grundbeſitz an ſich ziehen werden. 
Die alten Klöſter verdankten ihren Grundbeſitz zu einem großen 


1) Wir berühren hier die Frage über die Berechtigung und die Wohl— 
thätigkeit des Kirchengutes für die menſchliche Geſellſchaft nicht. Wir wol— 
len nur auf den im Großen und Ganzen auch praktiſch befolgten Grund— 
ſatz des Kirchenrechtes, daß die Einkünfte des Kirchengutes, in ſo weit ſie 
zum ſtandesgemäßen Unterhalt des Klerus nicht nothwendig ſind, zu wohl— 
thätigen Zwecken verwendet werden ſollen, und auf die geſchichtliche Wahr— 
heit aufmerkſam machen, daß ſchon in der römiſchen Zeit, noch mehr aber 
ſeit der Völkerwanderung und durch das ganze Mittelalter faſt alle An— 
ſtalten und Werke der Wiſſenſchaft, der Kunſt, der Wohlthätigkeit durch 
Kirchengut geſtiftet und geſchaffen, daß auch der Landbau und der Volks— 
wohlſtand durch die Kirche und in den Beſitzungen der Kirche weſentlich 
befördert worden find, 


168 


Theile dem Umſtande, daß fie das unbewohnte und unbebaute 
Land urbar machten. So können Klöſter vielleicht noch in 
Centralauſtralien, nicht aber bei uns zu Grundbeſitz kommen. 
Zum andern Theil war ihr Beſitz aus Schenkungen der Für— 
ſten und Großen entſprungen. Glaubt man vielleicht, dieſe Ge— 
jahr wäre in unſerer Zeit vorhanden? Aber ſelbſt wenn fie 
es wäre, ſo bedarf es ja zu ihrer Abwendung nicht des Ver— 
botes des klöſterlichen Lebens, dazu genügen ja voll— 
ſtändig unſere beſtehenden Geſetze über die ſogenannte 
todte Hand. Es kann ja keine Corporation auch nur eine 
Scholle Landes ohne Staatsgenehmigung erwerben. Und wenn 
einmal der Tag käme, wo die Klöſter zu reich geworden ), und 
man glaubte, ſich aus dieſem Grunde über die Prinzipien 
des Rechtes und der allgemeinen Freiheit hinausſetzen zu 
dürfen — nun wohlan, ſo ſäculariſire man ihre Güter 
auf's Neue, aber man begehe nicht die ganz nutzloſe und 
unſinnige Gewaltthat, das klöſterliche Leben ſelbſt zu ver: 
bieten! 

Doch wir haben der Wahrheit damit noch lange nicht den 
entſprechenden Ausdruck verliehen. — Man ſchreckt jetzt das 
Volk mit dem Reichthum der Klöſter! — Aber die Klöſter der 
Gegenwart ſind arm, ſehr arm, ſo daß ihre materielle Exi— 
ſtenz faſt wunderbar erſcheint; nur die Sparſamkeit, die Selbſt— 
verleugnung des klöſterlichen Lebens machen dieſe Exiſtenz mög— 
lich. Das Wenige, was ſie beſitzen, haben ſie Niemanden entzo— 
gen; denn es beſteht faſt nur aus dem Privateigenthum, das 
die Mitglieder der Genoſſenſchaft zugebracht haben, ein Ein— 
bringen, das meiſt ſo klein iſt, daß ſie davon in der Welt nim— 
mer ſür ihre Perſon leben könnten; es beſteht ferner aus den 
in unſerer Zeit wahrlich ſpärlichen Geſchenken frommer Wohl— 
thäter. Noch mehr, jene Orden, die ihrer Natur und Verfaſ— 
ſung nach mehr auf Grundbeſitz angewieſen waren und auch 
wirklich einſtens großen Grundbeſitz hatten und in manchen 
Ländern noch haben, beſtehen gar nicht bei uns; jene Orden, 
die vorzugsweiſe in unſerer Zeit blühen, ſind weſentlich arme 
Orden. Es ſind Frauencorporationen, die, weit entfernt durch 


1) Welche Geſetze oder Einrichtungen hat denn die moderne Welt, die 
gegen die Chimäre der Anhäufung kirchlicher Reichthümer kämpft, gegen die 
Concentrirung aller Reichthümer in der Hand weniger Privaten und Pri— 
vataſſocigtionen? 


169 


großen Grundbeſitz der Geſammtheit Gefahr zu bringen, viels 
mehr einer Anzahl Perſonen, die doch auch zum Volke gehören, 
ihren Lebensunterhalt in einer Weiſe ſichern, die für das all— 
gemeine Beſte nur nützlich iſt. Die männlichen Orden aber 
ſind durchweg ſolche Orden oder Genoſſenſchaften, welche 
grundſätzlich jeden Güterbeſitz nicht bloß den einzelnen Mitglie— 
dern, ſondern dem Orden ſelbſt unterſagen. Alſo meiſt grund— 
ſätzlich und durchweg faktiſch arm ſind alle Orden und klö— 
ſterlichen Genoſſenſchaften der modernen Welt und alle Verhält— 
niſſe ſind ſo, daß an eine Anſammlung von Gütern in ihrer 
Hand gar nicht die Rede ſein kann. Die Ordensleute ziehen 
von den Gütern der Erde nicht mehr, als ſie nothwendig haben, 
um ihr Leben zu friſten; was ein Kloſter über dieſen 
Bedarf hinaus etwa einnimmt oder geſchenkt erhält, fließt 
den Armen zu); die einzige Verwendung, die außerdem 
vorkommt, iſt für die Zierde des Gotteshauſes und für 
die Anſchaffung von Büchern. Und da redet man 
von dem das allgemeine Beſte bedrohenden Reichthum der 
Klöſter! 

Aber wir haben noch einen anderen Einwand gehört: 
„Wer nicht producire, ſei ein unnützes und ſchäd— 
liches Glied der menſchlichen Geſellſchaft. 
Die Ordensleute aber producirten nicht; ſie 
ſeien Müßiggänger?)!“ Wir könnten fragen, ſeit wann 
hat denn der Staat das Recht, alle Nichtproducenten zu ver— 
bannen? Wie kann der Staat ſelbſt den Müßiggang ver— 


1) Es gibt kein noch ſo armes Kloſter, das nicht Almoſen ſpendete. 
Täglich theilen die Kapuziner ihre Nahrung mit den Armen. 

2) Wir müſſen doch auf dieſes Wort, das man aus dem Munde 
ſolcher Leute ſo oft vernehmen kann, die von höheren Thätigkeiten keinen 
Begriff haben und Alle, die nicht materielle Arbeiten verrichten, für Müſ— 
ſiggänger halten, eine Bemerkung machen. In unſerer Zeit ſind durchweg 
die Prieſter und Ordensleute der katholiſchen Kirche derart mit aufreiben— 
den Arbeiten angeſtrengt, daß vielfach Geſundheit und Leben dadurch be— 
einträchtigt wird. Wir wollen nur ein Beiſpiel angeben. Wie wir genau 
wiſſen, kommen im Laufe des Jahres auf jeden der wenigen Kapuziner 
in Mainz an hun dertfünfzig Predigten; und doch iſt dieſe Anſtren— 
gung klein im Vergleiche mit der Arbeit, welche ihnen die Verwaltung des 
Bußſacramentes verurſacht: denn man kann annehmen, daß nur in der 
Kapuzinerkapelle in Mainz jährlich an 20,000 Menſchen die heiligen Sa— 
pramente empfangen. 


170 


bieten, ohne alle Grundſätze der perſönlichen Freiheit und des 
Rechtsſtaates zu verletzen? 

Wir könnten fragen, wie denn eine Anzahl Jungfrauen, 
welche von einem ihnen rechtmäßig zugehörenden Vermögen einge— 
zogen und zufrieden leben; oder dadurch, daß ſie Schule halten, 
oder den Dienſt von Krankenwärterinnen verrichten, ihren beſchei— 
denen Lebensunterhalt ſich verdienen, der menſchlichen Geſellſchaft 
zur Laſt fallen und ob ſie nicht eben ſo gut ein Recht haben, in der 
menſchlichen Geſellſchaft zu exiſtiren, wie Hunderte und Tauſende 
von Perſonen ihres Geſchlechts, die lediglich confumiren? Wir 
könnten fragen, ob man denn wirklich der Meinung ſei, daß der 
Nationalreichthum und das gemeine Beſte nothleide, wenn ein 
Dutzend Ordensprieſter nicht auch noch in einer Fabrik oder Werk— 
ſtätte arbeiten, oder Handelſchaft treiben, oder auf einem Bureau 
ſchreiben, oder an der Eiſenbahn oder auf der Poſt angeſtellt 
find? Oder ob es fo ſehr an Medicinern oder Juriſten oder Candi— 
daten zu allen Arten von Anſtellungen fehlt, daß man auch noch 
die paar Männer, die ſich dem Ordensſtande widmen, zu dieſen 
weltlichen Berufsarten preſſen müßte? 

Dieſe und viele andere naheliegenden Fragen genügen vollſtän— 
dig, um jenen Einwand abzuweiſen und ſeine Abſurdität klar zu 
machen. Allein wir müſſen jenen Ausſpruch und die ihm zu 
Grunde liegenden Grundſätze und Geſinnungen näher in's Auge 
faſſen. Denn wir können uns vom chriſtlichen Standpunkte aus 
kaum einen Grund denken, der entſchiedener für die Klöſter ſpräche, 
als gerade dieſer Einwand. Denn wenn der Umſtand, daß die 
Klöſter keine materiellen Güter und was dazu dient, produciren, 
den Staat berechtigt, das klöſterliche Leben zu verbieten, ſo iſt er 
aus demſelben Grunde auch befugt, die Religion, die Kirche, den 
geiſtlichen Stand, überhaupt das Chriſtenthum, ja auch alle idealen 
Berufsarten und Thätigkeiten, welche nicht direct oder indirect dem 
materiellen Gewinne und Genuſſe dienen, zu vernichten und zu 
unterdrücken. Die Klöſter produciren allerdings weder Geld noch 
Geldeswerth, ſie gehören auch nicht zum Gebiete des Luxus, der 
die Production befördern ſoll und der die materielle Arbeit mit 
ſinnlichen Genüſſen lohnt; die Klöſter dienen ausſchließlich religiö— 
ſen Zwecken, der Verehrung Gottes, der Vervollkommnung der 
eigenen und fremden Seelen, der Uebung chriſtlicher Tugenden, 
das letzte Ziel ihres Strebens aber iſt die Ewigkeit. Die ſoge— 
nannten Freigeiſter des 18. Jahrhunderts haben bekanntlich ge— 
lehrt, das Chriſtenthum ſei verderblich für den Staat und die 


171 


menschliche Geſellſchaft, weil es die Herzen der Menschen auf die 
Ewigkeit richte und ſie dem dieſſeitigen Leben entfremde; ihre 
Epigonen in der Gegenwart aber predigen, daß der Atheis— 
mus und die Leugnung der Unſterblichkeit die Menſch— 
heit vollkommen glücklich mache, weil erſt dadurch die Menſchen von 
aller Furcht und Hoffnung eines Jenſeits befreit und ganz und 
einzig darauf angewieſen würden, in der Ausbeutung und dem Ge— 
nuſſe der Erde ihr Glück zu ſuchen. 

Haben dieſe Recht, gibt es überdieß keine Freiheit mehr und 
iſt es der Beruf des Staates, die Menſchheit durch zwangsweiſe 
Aufnöthigung des Materialismus zu beglücken, nun dann hat man 
auch ein Recht, die Klöſter aus dem Grunde zu verbieten, weil ſie 
nicht produciren. So lange aber das e und die Frei⸗ 
heit noch exiſtiren dürfen, wird es auch geſtattet ſein, ſich jo voll: 
kommen, wie es die Ordensleute thun, des! Irdiſchen zu begeben 
und nach dem Himmliſchen zu trachten — und wird es auch uns 
erlaubt ſein, unſeren chriſtlichen und katholiſchen Standpunkt feſt— 
zuhalten und von dieſem Standpunkte aus die Ordensleute, welche 
den höchſten, heiligſten und ewigen Zwecken mit ganzer Hingebung 
dienen, als höchſt nützliche und ehrwürdige Mitglieder der menſch— 
lichen und chriſtlichen Geſellſchaft zu betrachten. Es gibt eben 
noch andere Intereſſen und Rechte, als die induſtriellen und na— 
tionalökonomiſchen. 

Uebrigens iſt der Materialismus auf dem Gebiete der Volks— 
wirthſchaft eben ſo falſch und verderblich, als auf dem der Moral. 
Weit entfernt, daß eine ſchrankenloſe Steigerung der Production 
durch den Hebel der Gewinnſucht und der Conſumtion, durch den 
Hebel der Genußſucht den allgemeinen Wohlſtand und die 
Volkswohlfahrt fördert, führt vielmehr dieſes Syſtem, das 
allerdings praktiſch in der Gegenwart die Oberherrſchaft hat, 
mit Naturnothwendigkeit zu den furchtbarſten Kataſtrophen. 
Wenn dieſe Kataſtrophen einmal eingetreten ſind, dann wird 
ſich vielleicht die Ueberzeugung mit unwiderſtehlicher Gewalt 
Bahn brechen, daß man die großen Prinzipien des Chriſten— 
thums, insbeſondere das Prinzip freiwilliger Selbſtbe— 
ſchränkung und opferwilliger Liebe auch auf dem Gebiete 
der Nationalökonomie nicht entbehren kann — und es wäre möglich, 
daß der Erde abgeſtorbene Ordensleute auch bezüglich der ſocialen 
Fragen der modernen Welt noch eine wichtige Aufgabe zu er— 
füllen hätten. Jedenfalls haben die Herren, die heutzutage ihre 
Arbeitshörigen und induſtriellen Leibeigenen nach Hunderten zäh— 


172 


len, kein Recht und auch kein Intereſſe, einige arme Kloſterleute 
aus dem Lande zu verjagen, welche den Armen das Evangelium 
predigen, die Kranken pflegen und ihr Brod mit den Dürſtigentheilen. 

Mönche, lautet ein anderer Vorwurf, der nach den Zei— 
tungsberichten auch in der zweiten Kammer erhoben wurde, ge— 
fährdeten andere Confeſſionen durch Proſelytenmacherei 
und Fanatismus. Hier fragt es ſich einfach, ob wir Ka— 
tholiken uns die tiefſten Eingriffe in unſere religiöſe Gewiſſens— 
freiheit müſſen gefallen laſſen, weil es den Gegnern beliebt, grund— 
loſe Beſchuldigungen zu erheben“). Wenn Anklagen genügen, um 
eine ſo berechtigte katholiſche Inſtitution, wie der Ordensſtand iſt, 
zu verbieten, ſo iſt es leicht, die katholiſche Kirche aus demſelben 
Grunde des Landes zu verweiſen; denn wie unzähligemal und be— 
harrlich erhebt das Vorurtheil genau dieſelben Anklagen gegen ſie. 

Die katholiſche Kirche und ihre Ordensleute verwerfen jeden 
Fanatismus, wenn man darunter einen blinden, die Geſetze der 
Gerechtigkeit und Liebe verletzenden Eifer verſteht; ſie verwerfen 
jede Proſelytenmacherei, wenn man darunter die Anwendung un— 
rechtlicher und unſittlicher Mittel und ein zudringliches und der 
freien Selbſtbeſtimmung zu nahe tretendes Treiben verſteht, um 
Anhänger zu gewinnen. Allein die katholiſche Kirche verwirft 
nicht bloß theoretiſch jede fanatiſche Proſelytenmacherei, ſondern 
wir können auch getroſt die ganze Welt zum Zeugniß auffordern, 
daß uns Katholiken und den katholiſchen Prieſtern und Ordens— 
leuten der Geiſt des Proſelytismus fremd iſt. Wann und wo ſind 
ſie Andersgläubigen, insbeſondere Proteſtanten durch proſelyten— 
ſüchtigen Fanatismus läſtig gefallen? Wo haben ſie zur 
Gewinnung von Anhängern unerlaubte Mittel angewendet? 
Wann und wo haben ſie das proteſtantiſche Volk gegen ſeine 


1) Ein theologiſches Mitglied der Kammer hat ſich zum Beweis des 
Fanatismus der Mönche auf die ſogenannte Räuberſynode in Epheſus be— 
rufen! — Dieſe Synode iſt Anno 449 gehalten worden. Der fragliche 
Scandal wurde gegen die Katholiken von Mönchen verübt, welche der 
Irrlehre des Eutyches angehörten und von dem gleichfalls eutychianiſchen 
Patriarchen Dioscur von Conſtantinopel dazu gehetzt waren. Es wundert 
uns, daß man nicht auch den Aufruhr, den ſeiner Zeit der heidniſche 
Goldſchmied Demetrius zu Epheſus gegen den Apoſtel Paulus erregte, 
zum Beweiſe anführte, daß die katholiſchen Prediger die öffentliche Ruhe 
ſtören. Eben ſo gut könnte man auch uns Katholiken klar machen, wir 
ſollten doch in unſerem eigenen Intereſſe die Mönche nicht vertheidigen, 
denn ein Mönch ſei ja der Urheber der Reformation geweſen, 


173 


geiſtlichen Vorgeſetzten aufgehetzt? Wo und wann hat ſich ein 
katholiſcher Prieſter oder ein katholiſcher Ordensmann anders, als 
freundlich, beſcheiden und rückſichtsvoll gegen Andersgläubige be: 
tragen? 

Allein es gibt Leute, die nennen es Fanatismus, wenn 
wir Katholiken an die Wahrheit unſerer Religion glauben; ſie 
nennen es Fanatismus, wenn ein katholiſcher Prediger die katho— 
liſche Glaubenslehre vertheidigt. Es gibt Menſchen, die Jeden, 
der nicht dem Indifferentismus huldigt, als Fanatiker bezeichnen. 
Was aber die Proſelytenmacherei insbeſondere betrifft, ſo genügt 
der Uebertritt eines Proteſtanten zur katholiſchen Kirche, um ſofort 
unter einer gewiſſen Klaſſe von Proteſtanten ein Geſchrei über den 
Proſelytismus der katholiſchen Kirche hervorzurufen. Daß die 
katholiſche Kirche und jeder gläubige Katholik von Herzen wünſcht, 
daß alle Menſchen die Wahrheit erkennen möchten, von deren Göttlich— 
keit wir überzeugt ſind, verſteht ſich von ſelbſt; aber eben dieſe Ueber— 
zeugung von der Göttlichkeit unſerer Religion verpflichtet und be— 
ſtimmt uns, alle Künſte und Mittel einer verwerflichen Proſelyten— 
macherei zu verſchmähen. Die katholiſche Kirche nimmt Nie— 
manden in ihren Schooß auf, als wer freiwillig zu ihr kommt 
und von deſſen aufrichtiger und vollſtändiger Ueberzeugung ſie ſich 
durch ſorgfältige Prüfung vergewiſſert hat; ſie verfährt dabei 
weit eher zurückhaltend und zögernd, als zudringlich. Sie bietet 
den Convertiten keine irdiſchen Vortheile. Im Gegentheil, es 
haben faſt alle Convertiten große Schwierigkeiten zu überwinden, 
ſchwere Opfer zu bringen. Die Ordensleute theilen auch hier in 
Allem den Geiſt und das Verfahren der Kirche. 

Allein man behauptet, ſie ſeien Fanatiker und Proſelyten— 
macher — und das gilt als Motiv, ſie zu verbieten! Warum 
verbietet man denn die neuen Secten nicht? Seit Jahr und Tag 
werden alle Verführungskünſte angewendet, um die Katholiken 
zum Abfall von ihrem Glauben zu bringen; abgefallene katholiſche 
Prieſter, die kein Verdienſt beſitzen, als lediglich ihren Abfall von 
der Kirche, wurden gefeiert und unterſtützt, und heute werden die 
verwerflichſten Mittel angewendet, um das katholiſche Volk 
zu verführen — und gegen alles Dieſes gewahren wir nicht 
einmal eine entſchiedene Mißbilligung, geſchweige ein Ver— 
bot. Selten wird gegenwärtig eine Verſammlung weltlicher 
Vereine gehalten, ohne daß ſie auch zu Ausfällen gegen die 
katholiſche Religion benutzt wird und ohne daß Adepten der 
modernen Secten ſie benutzen, um Proſelyten unter den Katholiken 


174 


zu gewinnen. Die Agenten deutſcher, ſchweizeriſcher, engliſcher 
Miſſions- und Traktatengeſellſchaften, die den ausgeſprochenen 
Zweck haben, unter den Katholiken Proſelyten zu gewinnen, trei— 
ben allerwärts, auch in unſerem, an ſolche Dinge niemals gewöhn— 
ten rheiniſchen Lande, ihr Geſchäft; Niemand hindert ſie daran, 
und der Art. 3. des neuen Religionsgeſetzes gibt ausdrücklich frem— 
den Reiſepredigern das Privileg, ungeſtört Proſelyten gewinnen zu 
dürfen. Die katholiſche Kirche, ihre Prieſter und Ordensleute 
thun von allem Dem nichts; ſie predigen die alte, wohlbekannte 
katholiſche Lehre in den katholiſchen Kirchen für das katholiſche 
Volk. Aber ſiehe, dieſelben Leute, welche ſo eifrig für ihre Sache 
Propaganda machen, erheben den Vorwurf des Proſelytismus 
gegen ſie, ihr Geſchrei findet in der Kammer ſeinen Widerhall 
und ein Geſetz garantirt jeder der katholiſchen Kirche feindſeligen 
Propaganda unbegränzte Freiheit und verbietet — nicht etwa die 
Proſelytenmacherei, ſondern die katholiſchen Klöſter und religiöſen 
Genoſſenſchaften, nachdem man ſie als fanatiſch und proſelyten— 
macheriſch fälſchlich gebrandmarkt. Das heißt die Unterdrückung 
unſerer Freiheit durch die Verletzung unſerer Ehre beſchönigen. 
Soll ich noch auf andere Gründe eingehen, womit man das 
Verbot der Orden rechtfertigen will? Wir bedauern, daß der Re— 
gierungsentwurf mit ſeinen Motiven ſelbſt den Gegnern der kirch— 
lichen Freiheit Grund zu dem Vorwande bot, die Regierung er— 
kenne ja ſelbſt die Staatsgefährlichkeit der Klöſter 
an, indem ſie ſich aus Gründen des öffentlichen Wohles das 
Recht vorbehalte, die Errichtung von Klöſtern zu verbieten und be— 
reits beſtehenden eine fernere Wirkſamkeit zu unterſagen. 
Allerdings unterſcheidet ſich dieſe Beſtimmung, wie kränkend 
für die Kirche und wie wenig verträglich mit den Grundſätzen 
echter Freiheit ſie auch iſt, weſentlich von dem Interdicte der 
zweiten Kammer. Der Unterſchied iſt genau derſelbe, wie 
zwiſchen einem Preßgeſetze, das die Regierung ermächtigt, 
„aus Gründen des öffentlichen Wohles“ einer Zeitung die 
Conceſſion nicht zu ertheilen oder zu entziehen — und einem 
Preßgeſetze, das einfach ausſpräche: „Zeitungen und 
andere periodiſche Blätter irgend welcher Art 
werden im Lande nicht zugelaſſen;“ womit allerdings 
jedem Mißbrauch der Preſſe gründlichſt vorgebeugt wäre. Ein 
monſtröſes Preßgeſetz! wird man jagen — allein nicht im 
Geringſten monſtröſer, als das Verbot der Orden und 
religiöſen Genoſſenſchaften, ſagen wir, wenn es auch Jene 


175 


nicht empfinden, die keinen Sinn haben für das Unrecht, das 
der katholiſchen Kirche zugefügt wird. 

Allein wir würden uns gegen die Wahrheit und gegen jene 
Freimüthigkeit verfehlen, die wir uns zur Pflicht gemacht haben, 
wenn wir uns in dieſem Punkte nicht entſchieden auch gegen 
den Regierungsentwurf ausſprechen würden. Wir haben geſagt, 
er ſei kränkend für die katholiſche Kirche und verletze die Grund: 
ſätze wahrer Freiheit. Die Orden der katholiſchen Kirche haben, 
wie die katholiſche Religion ſelbſt, nichts Staatsgefährliches in 
ſich. Wir Katholiken haben als öffentlich anerkannte Confeſſion 
ein Recht zu fordern, daß weder unſere Kirche im Ganzen noch 
eine Inſtitution derſelben als irgendwie ſtaatsgefährlich be— 
handelt und deßhalb unter ſpecielle Polizeiaufſicht und irgend 
welche Ausnahmsgeſetze geſtellt werde. Alle Orden haben 
einzig und allein den Zweck, in ihren Mitgliedern und in den 
Gläubigen die Religioſität und Tugend nach den Grundſätzen 
des katholiſchen Glaubens zu pflegen. Ein Ordensmann oder 
ein Kloſter könnte alſo nur durch Uebertretung ſeiner 
Regeln und der Geſetze der Kirche ſtaatsgefährlich wer— 
den. Das kann aber jeder Menſch, jede Corporation, jeder Be— 
amte. Wann hat man aber je ein Geſetz erlaſſen, welches 
ganze Stände unter Polizeiaufſicht geſtellt und gehäſſigen Aus— 
nahmsgeſetzen unterworfen, weil einzelne Mitglieder derſelben 
möglicher Weiſe rechtswidrige Handlungen begehen können? 
Wenn ein Ordensmann ein Verbrechen gegen den Staat be— 
gehen ſollte, ſo beſtrafe man ihn und ſeine Mitſchuldigen nach 
der ganzen Strenge der Geſetze. Das allein entſpricht den 
Grundſätzen der Gerechtigkeit und einer geordneten Freiheit. 

Man hat geſagt, der Staat müſſe ſich den Orden gegen— 
über beſondere Garantien ſchaffen, denn es ſeien allzu mächtige 
und verzweigte Corporationen und Vereinigungen. 

Allein was iſt ein Kloſter, was ein Orden im Vergleich 
mit der katholiſchen Kirche? Wenn nun der Staat die katho— 
liſche Kirche nicht als ſtaatsgefährlich fürchtet und zu fürchten 
Urſache hat, wenn er ihre Selbſtſtändigkeit anerkennt; wie kann 
er ein Kloſter, einen Orden, der in der Kirche nur wie ein 
kleiner Zweig an einem mächtigen Baume iſt, fürchten? Wenn 
man den Orden mißtrauen und ihnen die freie Bewegung ent— 
ziehen müßte, ſo gälte ja das noch vielmehr von der ganzen 
Kirche. Wenn aber die katholiſche Kirche ein Recht auf Ver— 
trauen hat, ſo kann ſie dieſes auch bezüglich ihrer Orden, die 


176 


ja ganz von ihr abhängen und bezüglich welcher fie Bürgſchaft 
leiſtet, verlangen. Es iſt aber auch die Beſorgniß vor jener 
angeblichen „Macht der Orden“ eine reine Geſpenſterfurcht, 
welche ſich für vernünftige Männer, geſchweige für den Staat, 
nicht ziemt. Daß Frauencongregationen, engliſche Fräulein, 
barmherzige Schweſtern, keine politiſchen Gefahren in ſich ber— 
gen, wäre auch nur mit Einem Worte zu beweiſen, lächerlich. Aber 
auch die männlichen Orden unſerer Zeit ſind ohne jede politiſche 
Macht und politiſche Gefahr. Es iſt, wir ſagen es offen, Un— 
verſtand oder Verſtellung, wenn man davon redet, daß der 
Staat von einigen Kapuzinern oder auch Jeſuiten — wir 
werden noch unten von ihnen reden — irgend etwas zu be— 
fürchten habe. Nichts iſt in unſeren Tagen, und es war im 
Grunde alle Zeit ſo, der weltlichen Gewalt gegenüber ſo macht— 
und wehrlos, als dieſe Ordensleute. Weder wollen noch können 
ſie ihrer ganzen Natur und der Natur der Dinge nach irgend 
welchen politiſchen Einfluß üben. Warum alſo gerade ihnen 
gegenüber ſo engherzige Vorſicht, während man ſonſt ſo weit— 
herzig liberal iſt und der Freiheit zahlloſer Vereine nicht ent— 
gegentritt, die weſentlich politiſcher Natur ſind, die gewaltige 
Kräfte und manche große Gefahren in ſich bergen? Iſt man 
vielleicht gerade deßhalb der Kirche und ihren Orden gegenüber 
ſo muthig und rückſichtslos, weil ſie ſchwach iſt? Wäre ſie ſtark, 
hätte ſie weltliche Macht, weltlichen Einfluß, man würde ſich 
vielleicht ſcheuen, ihr zu nahe zu treten. So aber iſt ſie wehr— 
los, wie ihr Meiſter und Stifter, da er das Schilfrohr als 
Scepter trug, und Jeder kann ihr einen Backenſtreich verſetzen, 
ohne etwas fürchten zu müſſen. 

Aber, wendet man vielleicht ein, das ſteht ja in 
offenem Widerſpruch mit dem, was oben von der groß— 
artigen Geſchichte der Orden und von dem mächtigen Aufblühen 
des klöſterlichen Lebens in unſeren Zeiten geſagt worden. Allein 
hier beſteht nicht der mindeſte Widerſpruch. Allerdings ruht 
in den Orden, weil überhaupt in der Religion, eine große, 
eine übernatürliche Kraft — aber ſie iſt nicht von dieſer 
Welt und bezieht ſich nicht auf dieſe Welt. Der Ein— 
fluß, den gute Ordensleute auf die Seelen ausüben, hat keinen 
anderen Gegenſtand, als das Evangelium hat, das ſie pre— 
digen. Gewiß, wenn ein der Welt abgeſtorbener Ordensmann 
Buße predigt, wenn Einer, der ſelbſt freiwillig arm geworden, 
Verachtung der irdiſchen Güter predigt, ſo wird das 


177 


Eindruck machen. Darin beſteht der Einfluß der Ordensleute auf 
die Herzen. Will man dieſen etwa als ſtaatsgefährlich anſehen? 
Dann geſtehe man offen, daß man die Macht der chriſt— 
lichen Ideen und des chriſtlichen Beiſpiels für ſtaats— 
gefährlich halte und nicht dulden könne. Aber man meint, es 
könnten die Ordensleute dieſen ihren religiöſen Einfluß zu 
ſtaatsgefährlichen politiſchen Zwecken mißbrauchen. Geben wir 
einmal zu, es könne ſolches geſchehen, ſo müſſen wir aber fra— 
gen, ob es wohl den Grundſätzen des Rechtes und der 
Freiheit entſpreche, jede lebendige Kraft und Wirkſamkeit zu 
feſſeln, weil ſie möglicher Weiſe mißbraucht werden kann. 
Dann wäre ein Lehrer in dem Maße ſtaatsgefährlich, als er die 
Herzen ſeiner Schüler gewinnt; er könnte ja ſeinen Einfluß zu 
ſtaatsgefährlichen Zwecken mißbrauchen! Dann dürfte man we— 
der Redner, noch Dichter, noch überhaupt Männer von Geiſt 
aufkommen laſſen; ſie könnten ja ihren Einfluß mißbrauchen. 
Man verabſcheut einen ſolchen, eines Tiberius würdigen 
Deſpotismus — und man wollte ihn gegen die Kirche in 
Anwendung bringen! Allein wir ſind im Stande, ängſtlichen 
Gemüthern die vollſtändigſte Beruhigung bezüglich des geiſt— 
lichen Einfluſſes nicht bloß der Ordensleute, ſondern auch 
überhaupt der katholiſchen Prieſter (und ein guter Pfarrer 
hat mehr Einfluß auf das Herz des Volkes, als je ein Ordens— 
mann gewinnen kann) zu geben. Nur ſolche Geiſtliche beſitzen die 
Liebe des Volkes und haben Einfluß bei ihm, welche ganz für 
ihren heiligen Beruf leben und wahrhaft vom Geiſte Chriſti 
erſüllt ſind; ſolche Prieſter und Ordensleute werden aber 
nie und nimmer irdiſche und politiſche Zwecke verfolgen. 
Das war allezeit wahr, gilt aber ganz beſonders in un— 
ſerer Zeit. Geiſtliche, die weltliche Parteigänger 
wären, hat Niemand zu fürchten: denn ſie wer: 
den ſich ſelbſt ſofort zu Grunde richten. So hat 
die göttliche Vorſehung es eingerichtet. Höre man daher auf, 
gute Prieſter, gute Ordensleute zu fürchten, die unter allen 
Umſtänden nicht bloß ſelbſt die treueſten und zufriedenſten 
Unterthanen ſind, ſondern auch, zwar nicht einen trügeriſchen 
Servilismus, wohl aber eine gewiſſenhafte Pflicht— 
treue im Volke pflegen und befeſtigen, vor allem aber jene 
zerſtörenden Leidenſchaften bekämpfen, welche gleichmäßig die 
legitime Gewalt, wie die rechtmäßige Freiheit bedrohen und 


unmöglich machen. So gäbe es alſo keine Gründe, welche das 
Heinrich, Der Kampf der Kirche, 12 


178 


Verbot der Orden oder wenigſtens ihre nur beſchränkte, dem Ermeſſen 
des Staates anheimgegebene Zulaſſung rechtfertigen? So iſt 
es; es gibt keine rechtmäßigen und vernünftigen Gründe dafür; 
nur religiöſe Vorurtheile und Antipathien, nur falſche Maximen 
des Staatsabſolutismus, nur falſche Vorausſetzungen und falſche 
Schlußfolgerungen können den Staat abhalten, den Orden und 
religiöſen Genoſſenſchaften der katholiſchen Kirche jene Freiheit 
zu geſtatten, welche nicht bloß allen religiöſen, ſondern über— 
haupt allen geiſtigen und menschlichen Thätigkeiten und Geſtal— 
tungen zukommt, und deren gleichmäßiger Schutz die erſte und 
weſentlichſte Aufgabe des Staates iſt. 

Aber das proteſtantiſche Volk will nun einmal die katholi— 
ſchen Orden nicht im Lande! — Das wäre ſehr ungerecht von 
dem proteſtantiſchen Volke und der Staat, der uns Katholiken 
gleichen Schutz ſchuldig iſt, müßte ſolch' ungerechtem Begehren 
ſtandhaft widerſtehen. Allein es iſt dem gar nicht alſo. Man 
verläumdet das proteſtantiſche Volk, wenn man es für ſo in— 
tolerant erklärt. Das proteſtantiſche Volk, wenn es je mit ka— 
tholiſchen Prieſtern oder Ordensleuten zufällig in Berührung 
kommt, hat noch jederzeit ſich freundlich und wohlwollend be— 
wieſen. Man verachte alſo das Geſchrei der Hetzer und man 
wird ſehen, daß es nichts iſt, als leeres Geſchrei. 

Aber viele Katholiken wollen ſelbſt keine Klöſter! — Was 
unter den Katholiken entſchieden gläubig iſt, ſchätzt und liebt 
gute Ordensleute. Die Katholiken der Diöceſe Mainz haben 
das unzweideutig bewieſen. Jene Katholiken aber, die, ſei es 
aus Vorurtheil, ſei es aus einer unkatholiſchen Geſinnung, ſei 
es aus feiger Menſchenfurcht gegen die Klöſter ſind, möchten wir 
zum Schluſſe dieſes bereits allzulangen Paragraphen an die 
Milde und Liberalität der katholiſchen Kirche erinnern. Sehet, 
ſagen wir ihnen, die Kirche muthet euch nicht zu, daß ihr je 
eine Kloſterkirche beſuchet, geſchweige denn ſelbſt in's Kloſter 
gehet oder einen Heller zu einem Kloſter beiſteuert; die Kirche 
duldet euch, ſelbſt mit all' euren wenig kirchlichen Anſichten; 
ſie erträgt ſehr Vieles und Hartes, wie die jüngſten Vor— 
gänge genügend beweiſen: allein das müßt ihr der Kirche 
und euren katholiſchen Mitchriſten nicht zumuthen, daß ſie 
euch in Allem, ſelbſt in euren Vorurtheilen gegen die Kirche 
gleich werden. Ihr müßt der Kirche und uns eure Anſichten 
nicht aufnöthigen wollen und, weil euch z. B. das Kloſter— 
leben nicht behagt, fordern, daß es vom Staate verboten 


179 


werde. Seid doch tolerant gegen uns, wie wir es auch gegen 
euch im Uebermaße ſind. 


9. Auch die ZIeſuiten konnen, ohne Verletzung der katholiſchen 
Religion und des Rechtes, von der allgemeinen Duldung und 
religiöfen Freiheit nicht ausgeſchloſſen werden. 


Obwohl ſich der Jeſuitenhaß und die Jeſuitenfurcht heut— 
zutage mehr in beſchränkte und niedere Kreiſe zurückgezogen 
hat und die wahrhaft gebildeten und vorurtheilsfreien Männer 
aller Confeſſionen davon ziemlich frei ſind, ſo iſt doch dieſer 
krankhafte Wahn noch nicht gänzlich überwunden, und eine ge— 
wiſſe Sorte von Literaten und Rednern iſt bemüht, den alten 
Haß zu hellen Flammen anzublaſen. 

Hier haben wir keinen Raum, um auch nur kurz all die 
Anklagen, die man gegen die Jeſuiten erhebt, zu beſprechen. 
Sie ſind hundertmal durch katholiſche und proteſtantiſche Schrift— 
ſteller widerlegt worden. 

Für einen Katholiken genügt eine ſehr einfache Erwä— 
gung, um mit ſeinem Urtheile über die Geſellſchaft Jeſu voll— 
ſtändig in's Klare zu kommen. 

Die Geſellſchaft Jeſu iſt eine von der katholiſchen Kirche 
beſtätigte Vereinigung katholiſcher Prieſter, die keinen andern 
Zweck hat, als die eigene Heiliguug und die Uebung des apo— 
ſtoliſchen Amtes. Das allgemeine Concil von Trient belobt und 
billigt fie’). Die Päpſte der letzten drei Jahrhunderte bis auf 
den jetzt lebenden haben ſtets der Geſellſchaft Jeſu und ihren 
Mitgliedern als würdigen Prieſtern und Ordensleuten gleiches 
Lob geſpendet. Die Biſchöfe der katholiſchen Welt, darunter 
die beſten, weiſeſten, heiligſten ), haben ihnen großes Ver— 
trauen geſchenkt. Dieſes Vertrauen und dieſe Liebe zu dem 
Orden theilte auch zu allen Zeiten — das iſt eine nicht zu be— 
ſtreitende Wahrheit — das katholiſche Volk. Eine große Menge 
der gelehrteſten, tugendhafteſten, würdigſten Männer traten zu 
allen Zeiten bis auf unſere Tage in die Geſellſchaft Jeſu ein 


I) Sess. XXV. de ref. c. 16. 

2) Wir erinnern nur an einen heiligen Carl Borromäus, Franz von 
Sales, Alphons von Liguori, an einen Boſſuet und Fenelon, einen Julius 
von Würzburg, an die größten und beſten unſerer Mainzer Erzbiſchöfe, einen 
Daniel von Brendel, Schwickard von Kronenberg, die beiden Schönborn und 
Wolfgang von Dalberg. 

12° 


180 


und waren ihr mit innigſter Liebe ergeben; fie hat der Kirche 
ſelbſt nicht wenige Martyrer und Heilige geſchenkt und hat ſich 
beſonders ſür die Ausbreitung des Chriſtenthums unter den 
Heiden unermeßliche Verdienſte erworben. Dieſes Alles be— 
gründet ein entſcheidendes Zeugniß der geſammten katholiſchen 
Kirche dafür, daß die Geſellſchaft nicht etwa, wie man nach 
den Reden ihrer Gegner glauben ſollte, eine Art falſcher Secte 
oder eine Verſchwörung von Böſewichtern, ſondern eine durch— 
aus chriſtkatholiſche und löbliche Prieſtercongregation der Kirche 
iſt und daß ſich dieſelbe ſtets durch Reinheit der Lehre und 
Tugendhaftigkeit ihrer Mitglieder ausgezeichnet hat. 

Allein Papſt Clemens XIV. hat doch den Jeſuitenorden auf: 
gehoben! Hier könnte man die Gegner fragen, ob der einzige 
Papſt Clemens XIV. eine größere Autorität habe, als alle 
übrigen Päpſte vor ihm ſeit Paul III., der 1540 die Geſell⸗ 
ſchaft zuerſt beſtätigte, und nach ihm bis Pius IX.? Allein 
auch Clemens XIV. iſt nicht ein Zeuge gegen die Jeſuiten, 
ſondern für ſie; ja mir ſcheint, daß es kaum ein kräftigeres 
Zeugniß für den Orden gebe, als gerade die Geſchichte ſeiner 
Befeindung und ſeiner Aufhebung. Nicht die Kirche, nicht 
Päpſte oder Biſchöfe, nicht gläubige Katholiken, nicht die chriſt— 
lichen Völker, auch nicht die Proteſtanten, haben die Unter— 
drückung der Geſellſchaft Jeſu herbeigeführt, ſondern lauter 
Gegner, welche nicht bloß von der Kirche und der chriſtlichen 
Moral, ſondern auch von der Geſchichte längſt gerichtet ſind: 
es war der entartete Deſpotismus der bourboniſchen Höfe, es 
war der heuchleriſche Sectengeiſt des Janſenismus, es war end— 
lich jene große Verſchwörung einer verwerflichen Freigeiſterei 
gegen das Chriſtenthum, welche bald nach dem Sturze des 
Jeſuitenordens die Ausrottung des Chriſtenthums in der erſten 
franzöſiſchen Revolution verſuchte. Schon unter dem Vorgän— 
ger Clemens XIV., unter Clemens XIII. hatte man durch die 
verwerflichſten Mittel der Verleumdung und Lüge die Verfol— 
gung des Ordens begonnen und mit allen, einem gewiſſenloſen 
Deſpotismus zu Gebote ſtehenden Mitteln deſſen Aufhebung von 
dem Oberhaupt der Kirche zu erpreſſen geſucht. Allein Cle— 
mens XIII. nahm ſich mit unerſchütterlicher Feſtigkeit des un— 
gerecht verfolgten Ordens an; der geſammte Episcopat und 
Klerus Frankreichs trat für denſelben in feierlichen Declara: 
tionen auf; mehr als 300 Biſchöfe aus allen Theilen der Welt 
erließen Schreiben, worin ſie die lügenhaften Beſchuldigungen 


181 


gegen den Orden zurückwieſen. — Nach dem Tode des ſtark— 
müthigen Clemens XIII. übten die bourboniſchen Höfe einen 
heilloſen Druck ſchon auf die Papſtwahl. Der gewählte neue 
Papſt, Ganganelli, aus dem Orden der Minoriten, war 
kein Gegner der Jefuiten, vielmehr war er als Cardinal mit 
Vorliebe ihnen zugethan; allein er war ſchwach und weltklug. 
Man drohte ihm mit Abfall und Schisma, wenn er nicht dem 
Andrängen der bourboniſchen Höfe auf Aufhebung des Ordens 
nachgebe, und ſo erließ er nach langem Zögern und, wie er aus— 
drücklich ſagt, um des lieben Friedens willen ein Breve, 
wodurch er den Orden aufhebt, nachdem er ihm für ſein Wir— 
ken in der Vergangenheit ein glänzendes Lob geſpendet; aber, 
ſagte er, er könne in der Gegenwart nicht mehr wirken und 
außerdem beſtimmten ihn andere wichtige Gründe, die er ver— 
ſchweige (er konnte damit nichts anderes meinen, als die ihm 
gemachten Drohungen). Höchſt charakteriſtiſch iſt in dem Breve die 
Aeußerung, um der Liebe und der Erhaltung des 
Friedens willen müſſe man auch das theuerſte und 
ſchmerzlichſte Opfer zu bringen bereit jein. Hier⸗ 
nach unterliegt es keinem Zweifel, daß Clemens XIV. feines: 
wegs den Orden verdammt, wohl aber geglaubt hat, ihn dem 
Andrängen ſeiner Feinde und der Feinde der katholiſchen Kirche 
zum Opfer bringen zu müſſen, wie man ein koſtbares Gut 
über Bord wirft, um dem Schiffbruch zu entgehen. — Er 
täuſchte ſich; nach wenigen Jahren ſchon gingen die Wogen 
der damals von Oben ſyſtematiſch großgezogenen antichriſtlichen 
Revolution über Europa dahin. In Frankreich ſtarb der Nach— 
folger Ludwigs XV. auf dem Schaffot, der Nachfolger Cle— 
mens XIV., der ſelbſt in tiefer Melancholie die letzten Jahre 
ſeines Lebens zugebracht, Pius VI. ſtarb in der Gefangenſchaft. 
Als der ſchreckliche Sturm, der die Kirche äußerlich verwüſtete 
und innerlich erneuerte, ausgetobt hatte, erſchienen einige 
fromme Prieſter, darunter ehrwürdige Greiſe, ehemalige Mit— 
glieder der Geſellſchaft Jeſu, vor Pius VII. mit der Bitte, 
ihnen zu erlauben, wieder nach der ihnen theuren Ordensregel 
leben und der Kirche dienen zu dürfen, und nun erließ der— 
ſelbe die Wiederherſtellungs-Bulle, worin er ſagt, daß er mit 
Freuden eine Schuld abtrage, indem er eine Geſellſchaft, 
die der Religion ſo viele Dienſte geleiſtet, wieder herſtelle; es 
wäre ja, fügt er bei, unrecht, ſo gute und tüchtige Arbeiter 
zurückzuweiſen. Ä 


182 


Man ſieht, Clemens XIV., der den Orden aufhob und 
Pins VII., der ihn wiederherſtellte, widerſprechen ſich Feines: 
wegs: jener hob ihn auf mit Schmerz, dieſer ſtellte ihn 
her mit Freude. Hiernach kann es für einen Katholiken nicht 
zweifelhaft ſein, was er von der Geſellſchaft Jeſu zu den— 
ken hat. | 

Aber auch jeder unbefangene und redliche Nichtkatholik 
muß einſehen, daß weder der Haß gegen die Jeſuiten, noch die 
Furcht vor ihnen begründet iſt, noch deren Ausſchließung von der 
allgemeinen religiöſen Duldung und von der der katholiſchen 
Kirche gebührenden rechtlichen Anerkennung ſich rechtfertigen 
läßt. | 
Man jagt, der Jeſuitenorden ſei dem Proteſtantis— 
mus feindſelig und zu deſſen Ausrottung geſtiftet. Es iſt 
eigentlich unbegreiflich, wie man proteſtantiſcher Seits einen ſol— 
chen Vorwurf erheben mag. Könnte man denn nicht mit gerade 
ſo großem Rechte ſagen, der Proteſtantismus ſei dem Katholicis— 
mus feindlich und habe deſſen Ausrottung zum Zwecke? Als der 
Jeſuitenorden geſtiftet wurde, hatten die Reformatoren halb Eu— 
ropa von der Kirche losgeriſſen; die katholiſche Kirche ſchien dem 
Untergang geweiht; auf allen Seiten wurde ſie von den Prote— 
ſtanten bedrängt. — Wir fragen, hätte ſie ſich nicht vertheidigen 
ſollen? Wer kann der Kirche ſo etwas zumuthen? Alles, was 
in der katholiſchen Kirche geſund, gläubig, tüchtig war, war auf 
dieſe Vertheidigung bedacht. Dabei kam nur Alles darauf an, 
daß dieſe Vertheidigung in der rechten Weiſe und durch die rechten 
Mittel geführt wurde. 

Alle erleuchteten Männer der Kirche erkannten damals, daß, 
um dem ſtets fortſchreitenden Abfall der Kirche einen Damm zu 
ſetzen, vor Allem eine innere geiſtige Erneuerung des 
katholiſchen Klerus und des katholiſchen Volkes 
nothwendig ſei. Von dieſem Gedanken waren auch der heilige 
Ignatius und jene durch Wiſſenſchaft und Tugend ausgezeichneten 
Männer durchdrungen, welche ſich mit ihm in Paris zu einer Ge— 
noſſenſchaft verbanden und dann vom Oberhaupt der Kirche unter 
dem Namen der Geſellſchaft Jeſu beſtätigt wurden. Sie 
wollten vor Allem ſich ſelbſt durch möglichſt vollkommene Nach— 
folge Jeſu Chriſti heiligen und dann, wo immer die Kirche ſie ver— 
wenden würde, durch Unterricht der Jugend, Pflege der Wiſſen— 
ſchaft, Ausübung des Predigtamtes, Miſſionen unter den Heiden 
zur Wiederherſtellung der tief erſchütterten Religion thätig ſein. 


183 


Die Grundſätze ihrer Genoſſenſchaft waren keine anderen, als die 
von jeher in der Kirche anerkannten und deßhalb auch von allen 
anderen Orden und kirchlichen Genoſſenſchaften befolgten. Die be— 
ſonderen Modificationen ergaben ſich aus den beſonderen Zwecken 
ihrer Vereinigung und den Bedürfniſſen der neuern Zeit. Sie 
wollten nicht einen eigentlichen Mönchsorden gründen, ſondern 
eine einfache Geſellſchaft von Prieſtern, die ſich aber durch die drei 
Gelübde zu einer vollkommenen Weltentſagung verpflichteten und 
außerdem noch verſprachen, überall hinzugehen, auch in die ent: 
fernteſten Heidenländer, wohin das Oberhaupt der Kirche ſie ſen— 
den wollte. Ueberdies machten ſie es zum Geſetze ihrer Geſell— 
ſchaft, daß ihre Mitglieder keinerlei geiſtliche Würden an: 
nehmen dürften; auch ſollte ihre Geſellſchaft, wie die armen 
Orden, kein Vermögen beſitzen. Nur die den Studien und 
der Erziehung gewidmeten Häuſer ſollten fundirt werden dürfen. 
Nächſt der Uebung der Seelſorge ſollte die Erziehung der 
Jugend Hauptzweck der Geſellſchaft ſein. Die größte Sorgfalt 
aber ſollte der geiſtlichen und wiſſenſchaftlichen Ausbildung der 
Mitglieder ſelbſt gewidmet werden; daher ihre längere Stu— 
dien⸗ und Probezeit. Dieſem ihrem Inſtitut gemäß, an deſſen 
Grundgedanken gewiß nichts tadelnswerthes zu finden, wirkten 
auch die Mitglieder der Geſellſchaft mit großer Hingebung und 
Treue. Ihre hauptſächlichſte Wirkſamkeit war den katholi— 
ſchen Ländern zugewendet; der andere große Zweig ihrer Thä— 
tigkeit waren die Miſſionen unter den Heiden; was ein 
Franz Xaver, Nobili, Britto u. ſ. w. in Indien, Japan, China ge: 
wirkt, läßt ſich nur mit dem Wirken eines Apoſtels Paulus, eines 
Bonifacius und der größten. Apoſtel vergleichen. Dem Brote: 
ſtantismus gegenüber waren ſie in keiner anderen Weiſe als in der 
vollkommen berechtigten der Lehre und der Wiſſenſchaft 
thätig; allerdings wirkten auch ſie mit zu jener geiſtigen Erhebung 
der katholiſchen Kirche, wodurch den bisher unwiderſtehlichen Fort— 
ſchritten des Proteſtantismus ein Ziel geſetzt wurde. Auch kam 
eine Zeit, wo gar manche bereits proteſtantiſche Gegenden und 
nicht wenige angeſehene Proteſtanten zum katholiſchen Glauben 
zurückkehrten. Es wäre eben ſo falſch, wenn man hiebei die Ver— 
dienſte der Jeſuiten verkennen, als wenn man ſie übertreiben 
wollte; ſie waren ſelbſt nur ein Product jenes religiöſen Auf— 
ſchwunges, der ſich in der Kirche der Reformation gegenüber all— 
mählig entwickelt hatte. Wenn man proteſtantiſcher Seits der 
katholiſchen Kirche dieſen geiſtigen Kampf verübeln will, ſo iſt das 


184 


gewiß eine große Ungerechtigkeit und Engherzigkeit. Freilich wirft 
man den Jeſuiten auch vor, daß ſie an den Höfen der Fürſten 
zu äußeren Gewaltmaßregeln gegen den Proteſtantismus gerathen. 
Allein auch dieſer Vorwurf iſt unbillig. Denn, wenn einzelne Jeſuiten 
des 16. und 17. Jahrhunderts nach den damals von allen 
Parteien, von den Proteſtanten vorzugsweiſe, am 
erkannten und befolgten Anſichten und Grundſätzen 
über das Recht und die Pflicht der Landesherren bezüglich der 
Aufrechthaltung der Landesreligion handelten, ſo kann ihnen das 
nur ein Unwiſſender und Unbilliger zum Vorwurf machen. In 
dieſer Beziehung haben die proteſtantiſchen Theologen, Juriſten 
und Staatsmänner gerade ſo gedacht, geſchrieben und gehandelt, 
wie die katholiſchen; wohl aber wird eine unparteiiſche Geſchicht— 
ſchreibung anerkennen müſſen, daß die Jeſuiten vorzugsweiſe und 
mehr, als ihre Gegner, durch geiſtige und wiſſenſchaftliche Mittel 
wirkten. Daß wir unter den Proteſtanten des 16. Jahrhun⸗ 
derts, wie der Gegenwart, ſehr ungünſtigen und gehäſſigen Ur— 
theilen gegen die Jeſuiten begegnen, iſt natürlich; aber eben 
ſo iſt es Thatſache, daß dieſe Urtheile meiſt von Eiferern aus— 
gingen, die fanatiſcher waren, als ſie ſelbſt wußten, während die 
berühmteſten und erleuchtetſten Denker unter den Proteſtanten 
über die Jeſuiten milde und zum Theil ſehr anerkennende Urtheile 
fällten. Hugo Grotius, gewiß eine große und unverdächtige 
Autorität, ſagt: „Die Geſellſchaft Jeſu hat in den hundert 
Jahren, ſeit dem ſie beſteht, mehr in allen Zweigen der 
Wiſſenſchaft und durch Reinheit des Lebens aus— 
gezeichnete Männer hervorgebracht, als irgend eine andere 
Genoſſenſchaft ).“ Ein eben fo gutes Zeugniß gibt den Jeſuiten 
der berühmte Baco von Verulam, indem er wünſcht, es möge 
der Proteſtantismus fo tüchtige Männer beſitzen?), und indem erihre 
Schulen als Muſter hinſtellt ). Leibnitz ſchätzte fie hoch und 
in einem ſeiner Briefe bemerkt er, daß die Feindſeligkeit, die man 


1) Jesuitarum societas intra centum annos et quod excurrit plures 
protulit viros in omni genere scientiarum eruditos eosdem inculpatae 
vitae, quam ulla alia. Vot. pro pace eccles. 

2) Nobilissima pars priscae disciplinae revocata est aliquatenus, 
quasi postliminio, in Jesuitarum collegüs, quorum cum intueor indu- 
striam solertiamque, tam in doctrina excolenda, quam in moribus ef- 
formandis, illud occurrit Agesilai de Pharnabazo: Talis cum sis, uti- 
nam noster esses. I. I. Ed. Amestol. 1730. p. 22. 

3) Ad paedagogicam quod attinet, breviter foret dietu: Consule 
scholas Jesuitarum. Nihil enim, quod in usum venit, his melius. 


185 


gegen ſie auch unter ihren Glaubensgenoſſen begegne, zum großen 
Theil davon herkomme, „daß ſie vor anderen ſich auszeichnen und 
blühen ).“ — Grotius, Baco, Leibnitz ſtanden nicht bloß 
auf der Höhe ihrer Zeit, ſondern auch auf dem Boden des chriſt— 
lichen Glaubens. Aber eben ſo haben auch auf dem Boden des 
Unglaubens oder des Rationalismus ſtehende Männer 
ihnen ein unbefangenes Zeugniß abgelegt. Ihr und der Religion 
prinzipieller Feind, Voltaire, lobt ihre Gelehrſamkeit, bekennt, 
daß er nur Gutes an ihnen wahrgenommen, und gedenkt mit einer 
gewiſſen Rührung und Pietät ſeiner ehemaligen Lehrer?). Fried— 
rich II. von Preußen ſchrieb zur Zeit der Aufhebung des Ordens 
am 13. September 1773 an Colombini in Rom: „Ich habe nie— 
mals beſſere Geiſtliche in aller Rückſicht gefunden. Ich bin kein 
Prophet, aber ich ſehe voraus, daß die Aufhebung der Jeſuiten 
mit der Zeit der katholiſchen Kirche ſehr theuer zu ſtehen kommen 
werde.“ Er wollte ſie in ſeinen Staaten erhalten, was aber die 
Mitglieder des Ordens nicht annahmen, indem ſie ich gehorſam 
der Anordnung des Papſtes unterwarfen. Herder ſagt in ſeiner 
Abhandlung über den dem Orden angehörenden Dichter Bal de 
(3, 16.): „Auch bei den heftigſten Anfeindungen des Jeſuitenordens 
iſt Niemand jo weit gegangen, daß er ihm gelehrte, fähige, wirk— 
ſame und rechtſchaffene Männer weſentlich abgeſprochen hätte. 
Die ganze Geſchichte des Ordens ſpräche dagegen. In allen Fel— 
dern der Literatur hat er talentreiche, verdiente Arbeiter gehabt; 
faſt jede Wiſſenſchaft iſt den Jeſuiten etwas ſchuldig.“ Montes— 
quien) ſpricht mit dem höchſten Lobe von ihrer Wirkſamkeit in 
den Millionen‘). Der engliſche Proteſtant Dallas, der ver: 
traute Freund Lord Byrons, hat, lediglich von einem Gefühle 
der Gerechtigkeit und rein menſchlichem Intereſſe getrieben, eine 
glänzende Apologie des verleumdeten Ordens in zwei Bänden ge— 
ſchrieben ). 

Noch weit wärmere Lobſprüche findet man bei ſolchen Män— 


1) Epp. Leibn. X, 3. p. 397. 

2) Lettres et pensees p. 328. 

3) Esprit des lois I. VI. ch. 6. Il est glorieux pour la societe 
d'avoir été la premiere, qui ait montré dans ces contrées (de l’Ame- 
rique) lidee de la religion jointe à celle de Thumanitè etc. 

4) Zahlreiche deßfallſige Zeugniſſe kann man in der neueſten Miſ— 
ſionsgeſchichte von Marſhall finden. 

5) Histor. of the Jes. London 1816. — Deutſch mit vielen Noten 
von Friedrich von Kerz. Düſſeldorf und München 1820. 


186 


nern, welche die Jeſuiten perſönlich kennen gelernt und eine 
religiöſe Ueberzeugung ſich bewahrt oder fie wiedergewonnen ). 

Wenn ein vorurtheilsfreier Geiſt das Alles erwägt, muß er 
das Urtheil fällen, daß man in der That den Jeſuiten begründete 
Anerkennung nicht verſagen kann, wenn man ihnen nicht ihre An— 
hänglichkeit an die katholiſche Religion und ihren Eifer für dieſelbe 
zum Verbrechen machen will. 

Aber ſoll denn an all den furchtbaren Beſchuldigungen, die 
man gegen den Orden erhebt, nichts Wahres ſein? 

Es iſt ein Beweis einer geiſtigen und ſittlichen Schwäche, da, 
wo die Verleumdung evident iſt, Verdacht beizubehalten, anſtatt 
entſchieden den Unſchuldigen zu vertheidigen und die falſchen An— 
kläger zu verwerfen. Wo gab es aber Verleumdungen, die das 
Gepräge der Lüge evidenter an ſich tragen und von denen das Ge— 
gentheil ſo ſonnenklar iſt, als die gewöhnlichen Anklagen gegen 
die Jeſuiten? Sie haben den Königsmord gelehrt und geübt, ſie 
haben den Papſt Clemens XIV. aus Rache für ihre Aufhebung 
vergiftet, ſie ſind eine Rotte von Giftmiſchern und Verſchwörern 
— und die beſten Männer der Chriſtenheit lieben und verehren ſie, 
die edelſten und reinſten Charaktere gehören dieſer Geſellſchaft 
an und nie iſt von all dieſen Beſchuldigungen eine einzige erwieſen 
worden. Sie ſind die Träger und Beförderer des Deſpotismus 
— und der Deſpotismus verfolgt ſie; und wiederum untergraben 
ſie die Autorität und haben revolutionäre Lehren — und alle 
Revolutionäre ſind ihre Feinde. Sie haben eine laxe Moral, 
lehren unſittliche Grundſätze, verfälſchen das Chriſtenthum — und 


1) Wir können uns ſo vieler Schmach gegenüber, welche eine Schmutz— 
literatur auf dieſen Orden häuft, nicht verſagen, hier wenigſtens noch 
das Zeugniß des berühmten Mathematikers Lalande (der den Pater 
Beraud zum Lehrer in dieſer Wiſſenſchaft gehabt) anzuführen: „Die 
Menſchheit,“ ſchrieb er im Zeitalter des tiefſten Unglaubens und der Re— 
volution, „hat auf immer dieſe herrliche und bewunderungswürdige Vereini— 
gung von Tauſenden von Männern verloren, die unermüdlich und ohne 
Eigennutz mit dem Unterrichte der Jugend, mit Predigen, mit Miſſionen, 
mit Verſöhnung der Gemüther, mit Hilfeleiſtung bei den Sterbenden, über— 
haupt mit allen der Menſchheit theuren und nützlichen Verrichtungen be— 
ſchäftigt waren. Eingezogenheit, Mäßigkeit, Verzichtleiſtung auf Vergnü— 
gungen machten aus dieſer Geſellſchaft eine wunderbare Vereinigung von 
Wiſſenſchaft und Tugenden. Ich habe ſie in der Nähe geſehen. Sie waren 
ein Volk von Helden für die Religion und die Menſchheit; die Religion 
gab ihnen Mittel, welche die Philoſophie nicht geben kann. Ich bewun— 
derte ſie und liebte ſie.“ | 


187 | e 


die ganze Chriſtenheit ſchöpft aus ihren Büchern und ihren Pre— 
digten Erbauung, ſie haben Heilige hervorgebracht und Heilige 
ſind bei ihnen in die Schule gegangen, ſie haben Millionen von 
Heiden zum Chriſtenthum bekehrt und Tauſende der von ihnen Be— 
kehrten ſind als Martyrer geſtorben. Sie lehren, daß der Zweck 
die Mittel heilige, daß jedes Verbrechen erlaubt ſei, um die Ab- 
ſichten des Ordens zu verwirklichen, daß der Jeſuit unbedingten 
Gehorſam leiſten müſſe, auch wenn ſein Oberer ihm eine Tod— 
ſünde befehle — und die Satzungen des Ordens und alle die tau— 
ſend Schriftſteller deſſelben und all ſeiner Lehrer und Prediger 
lehren von allem dem das gerade Gegentheil und ſtimmen voll— 
kommen mit der Lehre der katholiſchen Kirche überein; Monſtra 
von Dummheit und Bosheit ſind die Verdrehungen, wodurch man 
dieſe und andere Anſchuldigungen zu beweiſen ſuchte. Die Jeſuiten 
ſind lauter Egoiſten — und ſie bringen ihr Leben unter Mühſelig— 
keiten und Schmähungen, in Arbeit und Selbſtverleugnung, viel— 
fach in täglichen Todesgefahren in den auswärtigen Miſſionen zu. 
Die Jeſuiten hatten die Welt mit den Netzen ihrer Macht um— 
ſponnen — und als ſie aufgehoben worden, zeigten ſie ſich als eine 
wehrloſe Heerde und leiſteten ohne Widerſpruch Gehorſam. Sie haben 
unermeßliche Schätze angehäuft — und nur Almoſen konnte ſie 
gegen Hunger ſchützen; ihre Verfolger fanden, daß ſie zwar große 
Kirchen gebaut und Schulen gegründet, aber daß der Orden ſelbſt, 
ſeinen Statuten gemäß, arm geweſen. 

Aber wie ſind dieſe Vorurtheile zu erklären, von denen theil— 
weiſe ſelbſt ehrenwerthe Männer gegen den Orden erfüllt ſind? 
fragt einer der ausgezeichnetſten Mitglieder der Geſellſchaft Jeſu“) 
und er antwortet: „Ich weiß es in Wahrheit nicht; ich frage mein 
Gewiſſen, meine ſo genaue Kenntniß, die ich von dem Orden und 
ſeinen Mitgliedern habe; ich betrachte unſer Leben und das unſerer 
Väter im Orden: und ich ſage mir ſelbſt: Nein, wir verdienen 
nicht dieſen Haß und dieſe Vorurtheile. Aber ich glaube, daß je— 
nes Gebet unſeres Stifters erhört worden iſt, es möge nie ſeinen 
Schülern an Verfolgungen und Prüfungen fehlen. Ich glaube auch, 
fährt er fort, daß es in gewiſſen Kreiſen Ueberlieferungen gibt, 
die aufzugeben man als einen Verrath an ſeiner Partei betrachten 


1) Der vor wenigen Jahren im Rufe der Heiligkeit verſtorbene Pater 
Ravignan in ſeiner Geſchichte Clemens XIII. und Clemens XIV. (S. 
481). Wir können Solchen, welchen es um eine gründliche Kenntniß des 
Gegenſtandes zu thun iſt, dieſes Meiſterwerk, das allezeit zu den Zierden 
der franzöſiſchen Literatur gehören wird, nicht genug empfehlen. 


188 


würde und daß dazu auch der Haß des Namens „Jeſuit“ gehört. 
Ich glaube auch, daß viele Menſchen vorgefaßte Meinungen und her— 
gebrachte Vorurtheile ohne alle Prüfung annehmen; daß ſie es gar 
nicht für nothwendig erachten, uns beſſer kennen zu lernen, indem 
ſie uns genauer ſtudiren. Allein ich empfinde auch bis in mein 
tiefſtes Innere, daß man dem geſunden Menſchenverſtande nicht 
minder als der Gerechtigkeit ins Angeſicht ſchlägt, indem man, 
ohne alle Beweiſe, uns der größten Verruchtheit ſchuldig hält, 
oder wenigſtens uns aller Intriguen, Ränke, Machinationen und 
einer unglaublichen Argliſt fähig erachtet. O, man könnte uns, 
fügt Ravignan bei, mit weit mehr Recht und Wahrheit eines 
allzugroßen Vertrauens gegen die Menſchen, die uns umgeben, 
und einer nur zu häufigen Unklugheit und Ungeſchicklichkeit an— 
klagen; das ſage ich mit großer Aufrichtigkeit. Aber, ſchließt er, 
es ziemt ſich hier die ernſte Sprache der Vernunft und des Glau— 
bens zu führen. Wir ſind Prieſter, Ordensleute und auch Men— 
ſchen, wie alle anderen; wie Andere haben auch wir das Recht 
zu fordern, daß man wahre Gewiſſenhaftigkeit achte und unſerer 
Handlungsweiſe keine anderen als ſittliche und chriſtliche Beweg— 
gründe unterlege, ſo lange wir nicht durch unſere Handlungen das 
Gegentheil bewieſen haben. Allein von dieſem Geſetze der Gerech— 
tigkeit nimmt man allein die Jeſuiten aus; das iſt für mich wenig— 
ſtens ein Räthſel. Gott weiß es zu löſen; es iſt ſein weiſer Rath— 
ſchluß, den ich anbete, daß eine geringe Geſellſchaft von Or— 
densleuten beſtändiger Gegenſtand der Vorurtheile, des Haſſes, 
ja der Verfolgung ſein ſoll. Sein Name ſei geprieſen. Jeſus 
Chriſtus, der Welterlöſer, verdankt ſeinen Sieg ſeinem armen und 
leidensvollen Leben, ſeiner Schmach, ſeiner Verzichtleiſtung, ſeinem 
Schmerze und Leiden, ſeinem Tode, ſeinem Begräbniß. Das ge— 
nügt mir, um unſer Loos auf Erden zu begreifen und dem Herrn auf 
immer dafür zu danken. Aus der Erniedrigung, der Schmä— 
hung, der Verfolgung, der Mühſal, dem Schmerz und der Verken— 
nung, ſelbſt aus dem Tode ſollen wir Kraft und Leben ſchöpfen; 
mit dieſen Waffen hat das Evangelium die Welt und die Hölle 
beſiegt. Das genügt meinem Geiſte und meinem Herzen; ich 
ſchweige uud tröſte mich.“ So Ravignan, und wie viele Herzen 
unter dem Rocke des Jeſuiten mögen empfinden, wie er! Freilich 
iſt die Rohheit ſogleich mit der Antwort auf ſolche Reden bei der 
Hand: das ſind heuchleriſche Phraſen eines Jeſuiten! Aber der 
Armſelige, der ſo redet, kennt den Mann nicht, deſſen Feder jene 
Worte entfloſſen ſind. — Und leiden etwa die Jeſuiten nicht tag— 


189 


täglich dieſe Schmach; und ift es vielleicht eine Luft für die menſch— 
liche Eigenliebe, Schmach zu leiden? — Und warum treten dennoch 
fort und fort ſo viele Männer von hohen Gaben und edlem Sinne, 
Männer, denen die Welt mit ihren Ehren und Genüſſen offen 
ſtünde, in dieſen Orden ein? Warum iſt es ſo ſelten, daß ein 
Jeſuit aus ſeinem Orden austritt; und weßhalb hat unter den 
Wenigen, die, wie in unſeren Tagen Paſſaglia, ausgetreten ſind, 
auch noch nicht ein einziger jene Beſchuldigungen beſtätigt, welche 
man gegen den Orden erhoben hat? 

Doch die Jeſuiten ſind nun einmal Gegenſtand einer weitver— 
breiteten Abneigung. Mögen ſie noch ſo unſchuldig, mögen ge— 
wiſſe Anklagen gegen ſie noch ſo abgeſchmackt und empörend ſein, 
iſt es nicht beſſer, ſelbſt im Intereſſe der katholiſchen Kirche, ſie 
auszuſchließen? Es gibt ja Orden und Prieſter genug, muß man 
denn gerade Jeſuiten haben? Wir kennen dieſe Reden einer eng— 
herzigen und feigen Klugheit. Alſo weil die Jeſuiten ſo ſehr ver— 
leumdet und verfolgt ſind, deßhalb muß der Staat der Verleum— 
dung ſein Siegel aufdrücken und der Verfolgung ſein Schwert als 
Waffe leihen? Denn was wollen die Urheber der Jeſuiten— 
hetze anders, als das Verbot des Ordens? Dann haben 
ſie ihren Zweck erreicht. Und wie würde man ſich täuſchen, wenn 
man dadurch, daß man die Jeſuiten zum Opfer brächte, der Kirche 
Schonung und Frieden zu erkaufen meinte! Der Haß und 
die Verleumdung, welche dieſen Orden trifft, würde ſofort 
ſich einen andern Gegenſtand ſuchen: denn die Verfolgung, 
welche die Jeſuiten trifft, gilt der katholiſchen Kirche, 
und wird ſich immer gegen diejenigen, ſeien es Ordensleute 
oder Prieſter oder Laien, vorzugsweiſe wenden, welche in der 
Vertretung und Förderung der religiöſen Intereſſen im Vor— 
dergrunde ſtehen. Und iſt es nicht heute thatſächlich bereits 
dahingekommen, daß jeder entſchiedene Katholik, wie 
ein Ultramontaner, auch ein Jeſuite genannt 
wird? Das muß man nicht fürchten, ſondern verachten; mögen 
ſie ſchimpfen, das können wir ruhig ertragen. Allein, daß der 
Staat in der katholiſchen Kirche Alles unterdrücke, worüber 
es den Gegnern der Kirche zu ſchimpfen beliebt, das iſt wahrlich 
eine ſchlechte Jurisprudenz und eine noch ſchlechtere Freiheit. 
Wohl kann die Kirche auch ohne die Jeſuiten beſtehen und hängt 
das Heil des Katholicismus nicht von dieſen Ordensleuten ab; 
die Kirche iſt ein Baum von unerſchöpflicher Fruchtbarkeit; wie 
viele Aeſte man auch abreißt, ſie treibt ſtets neue Zweige — 


190 


aber ſie hat doch ein Recht darauf, daß man nicht mit roher Ge— 
walt einen lebenskräftigen Zweig gegen ihren Willen an ihrem 
Stamme zerſtöre. Sie fordert redliche und gleiche Freiheit — und 
ſie kann in dieſer Beziehung heute ganz beſonders durchſchlagende 
Gründe geltend machen. Unſer Zeitalter hat mit 
dem Zeitalter der Unterdrückung des Jeſuiten⸗ 
ordens nichts gemein, und auch die Jeſuiten der 
Gegenwart ſind in einer ganz anderen Stellung, 
als ihre Vorfahren vor hundert Jahren. In jener 
Zeit ſtand der Abſolutismus in feiner höchſten Blüthe, Religion 
und Kirche war in Folge davon zu einer Staatsangelegenheit 
erſten Ranges geworden. Heute leben wir in einem Zeitalter, 
deſſen weſentlichſte Forderung zwar nicht eine unnatürliche 
Trennung von Staat und Kirche iſt, wohl aber religiöſe 
Freiheit und ſtrenge Sonderung des ſtaat⸗ 
lichen und kirchlichen Gebietes. So wie aber 
dieſes Prinzip anerkannt iſt, geht es nicht an, der Kirche 
vorzuſchreiben, welche Orden ſie zulaſſen ſoll und welche nicht; 
dieſes um ſo mehr, da, wenn das Prinzip der religiöſen Freiheit 
und der gegenſeitigen Selbſtſtändigkeit des Staates und der Kirche 
durchgeführt iſt, von irgend welchen Gefahren oder 
Bedenken, welche für den Staat aus kirchlichen 
Inſtituten entſtehen könnten, nicht mehr die Rede 
ſein kann. Der Staat wahre ſeine Selbſtſtändigkeit, hand: 
habe gleiches Recht für Alle und kein Biſchof, keine kirchliche 
Corporation, kein Orden kann unzuläßige Einflüſſe üben. Aber 
auf religiöſem Gebiete muß die Kirche volle Freiheit for— 
dern, wie auch ſie innerhalb dieſes Gebietes Freiheit walten 
läßt. Nichts iſt ſo ſehr eine Sache freier Entwickelung, als die 
veligiöien Genoſſenſchaften. Wie Schon früher geſagt: die Kirche 
macht und befiehlt keine Klöſter, keine Orden; ſie läßt ſie entſtehen, 
und wenn ſie ſich als tüchtig erweiſen, läßt ſie ihnen ihre Aner— 
kennung zu Theil werden und eröffnet ihnen eine entſprechende 
Thätigkeit. Der Jeſuitenorden iſt ein verhältnißmäßig neuer 
und den Bedürfniſſen der neueren Zeit beſonders angemeſſener 
Orden; ſeine Mitglieder zeichnen ſich durchweg durch tüchtige Bil— 
dung und durch Tugenden aus. Unter den ausgezeichneten Prie— 
ſtern der Gegenwart, auch in Deutſchland, welche ſich zum Ordens— 
ſtande berufen fühlten, haben ſich beſonders viele gerade dieſem 
Orden zugewendet. Es iſt daher natürlich, daß die Kirche ſich 
gern der Hilfe dieſer tüchtigen Prieſter bedient. Ja ſelbſt die 


191 


Welt iſt dieſer Meinung. Als die größere kirchliche Freiheit ſeit 
1848 es deutſchen Jeſuiten möglich machte, auf deutſchen 
Kanzeln zu predigen und religiöſe Vorträge zu halten, befreun— 
dete man ſich mit ihnen; man ſah ein, daß es ungerecht und 
thöricht wäre, untadelhafte Männer zu verfolgen, weil ihr Name 
ehemals der Gegenſtand eines fanatiſchen Haſſes geweſen. Man 
ſagte ſich ſelbſt: da Alle Freiheit haben zu reden, zu ſchreiben, zu 
lehren, weßhalb ſollte man nicht auch einem Jeſuiten die Freiheit 
gönnen, die katholiſchen Grundſätze zu vertheidigen? Seitdem 
wirken unter den tauſenden geiſtiger Potenzen und Beſtrebungen 
in Deutſchland, auch eine verhältnißmäßig kleine Zahl deutſcher 
Prieſter, die das Kleid des heiligen Ignatius tragen. Unſeres 
Wiſſens haben ſie mit Tact und Beſcheidenheit ſich benommen 
und Niemanden Grund zu einer Klage gegeben. Sie ſind nichts 
anderes, als katholiſche Chriſten, katholiſche Prieſter, 
katholiſche Ordensleute, wie alle anderen; daher 
muß auch ihnen dieſelbe Freiheit zu Theil werden, die wir Alle 
beſitzen oder man handelt ungerecht und unvernünftig — und 
alle Vorurtheile und alle Tiraden einer nachgerade abgelebten 
Polemik werden nicht im Stande ſein, an der Richtigkeit dieſer Lo— 
gik etwas zu ändern. 

Wir ſind bezüglich der Orden etwas weitläufig geworden. 
Wir werden uns im Folgenden um ſo kürzer faſſen, um ſo mehr, 
da wir manchen Dingen, um welche man in der Kammer viel Lärm 
gemacht, eine äußerſt geringe praktiſche Wichtigkeit zuſchreiben, 
andere Gegenſtände aber, wie die Schulfrage reſp. die Frage der 
Unterrichts⸗ und Erziehungsfreiheit, zu groß und wichtig ſind, als 
daß wir ſie hier einigermaßen erſchöpfend behandeln können. 


10. Kirchliche und Staatsjurisdiction. — Cautelen gegen kirch— 
lichen Amtsmißbrauch. — Placet. — Kirchendisciplin. 


Der Artikel 8. des neuen Religionsgeſetzes lautet: 

„Keine Kirche oder Religionsgemeinſchaft kann aus ihrer Verfaſ— 
ſung oder ihren Verordnungen Befugniſſe ableiten, welche mit der Ho— 
heit des Staates oder mit den Staatsgeſetzen in Widerſpruch ſtehen.“ 

„In ihren bürgerlichen und ſtaatsbürgerlichen Beziehungen 
bleiben die Kirchen- und Religionsgenoſſenſchaften, deren Anſtalten 
und Diener den Staatsgeſetzen unterworfen.“ 

„Die Zuläſſigkeit der gerichtlichen Verfolgung kirchlicher Be— 
amten iſt nicht von der Zuſtimmung einer kirchlichen oder einer 
Verwaltungsbehörde abhängig.“ 


192 


„Ueber den Amtsmißbrauch der Geiſtlichen wird ein beſon⸗ 
deres Geſetz erlaſſen.“ 

Eine praktiſche Wichtigkeit gegenüber dem bisher beſtehenden 
Zuſtande hat nur Alinea 3. Nach der in Heſſen beſtehenden Ge— 
ſetzgebung können Staats- und öffentliche Diener — und zu letz 
teren gehören auch die Geiſtlichen der anerkannten Kirchen — we— 
gen Vergehen, die ſie in ihrem Amte begangen haben ſollen, nur 
mit Erlaubniß der competenten höheren Behörde verfolgt werden. 
Den politiſchen und juriſtiſchen Werth oder Unwerth dieſes in den 
modernen Staaten ſehr allgemeinen Grundſatzes laſſen wir auf 
ſich beruhen. Dagegen ſind wir der Meinung, daß wo ein freund— 
liches Verhältniß zwiſchen Staat und Kirche beſteht, allerdings 
den Geiſtlichen dieſelben Rückſichten, wie den Staatsbeamten und 
anderen öffentlichen Dienern gebühren. Allein wenn man ſo ſehr 
darauf verſeſſen iſt, den Geiſtlichen dieſen Schutz zu entziehen, ſo 
wird das wohl hie und da einem Gebildeten, der etwa einer 
Proceſſion mit dem Hute auf dem Kopfe und brennender Cigarre 
in dem Munde zugeſehen und deßhalb von einem Geiſtlichen, dem 
es an der gehörigen Selbſtbeherrſchung fehlte, etwas derb zurecht— 
gewieſen worden, die Möglichkeit eröffnen, dieſem „geiſtlichen Eife- 
rer“ ohne weitere Formalitäten einen Proceß an den Hals zu hän— 
gen — allein von ſolchen ungerechten Plackereien abgeſehen, hat 
die Kirche und die Religion von dieſer Beſtimmung gar wenig zu 
befürchten und legen wir ein ſehr geringes Gewicht darauf. 

Was das Alinea 2. betrifft, ſo hat allerdings in den chriſt— 
lichen Jahrhunderten die Kirche und haben deren Diener auch in bür— 
gerlichen Dingen der Immunität und eines befreiten Gerichtsſtan— 
des genoſſen. Allein der moderne Staat geſteht das der Kirche 
und ihren Dienern nicht zu und wir ſind zufrieden, wenn man die 
Diener und Mitglieder der katholiſchen Kirche nur wie jeden ar: 
deren Staatsbürger, aber auch nicht ſchlimmer, behandelt. 

Das erſte Alinea ſcheint uns an ſich eine unverfängliche, 
aber auch überflüſſige Phraſe, die übrigens nicht leicht als Zierde 
einem modernen Geſetze fehlen wird. Kommt einmal eine 
Zeit, wo die großen Prinzipien des Rechtes und der Freiheit von 
einem großen Geſetzgeber durchgeführt werden, ſo werden ohne 
Zweifel alle derartigen Theoreme aus den Geſetzbüchern verſchwin— 
den. In der That, was ſoll eine ſolche Phraſe in einem Geſetze? 
Wenn der Staat innerhalb der Grenzen feiner Zuſtändigkeit Ge: 
ſetze gibt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß er auch das Recht hat, 
die Beobachtung dieſer Geſetze unbedingt zu fordern. Die Ver— 


193 


faſſungen und die Gelege der Kirche können nur einen unbegrün— 
deten Vorwand, nicht aber eine begründete Urſache bieten zur Ver: 
letzung eines ſolchen Staatsgeſetzes. Das Alles verſteht ſich von 
ſelbſt. Eine ausdrückliche Beſtimmung, Niemand dürfe unter 
einem religiöſen Vorwand die Staatsgeſetze übertreten, ſcheint 
uns dagegen eben ſo überflüſſig, als etwa die Beſtimmung, Nie— 
mand dürfe dieſes unter philoſophiſchen Vorwänden thun. 

Wenn dagegen der Staat ſeine Zuſtändigkeit überſchreiten, 
wenn er ſelbſt ſeine Staatshoheit zum Vorwande nehmen 
würde, um, ſei es durch Geſetze, ſei es durch adminiſtrative 
Anordnungen, in die Sphäre der Kirche einzugreifen und den 
Dienern und Angehörigen der Kirche etwas zu gebieten, was 
mit ihrem Glauben und Gewiſſen in Widerſpruch ſteht: dann 
wird kein derartiger Artikel chriſtliche Gewiſſen abhalten, Gott 
mehr zu gehorchen, als den Menſchen. Daſſelbe haben wir auch 
jetzt ſchon bezüglich des in Ausſicht geſtellten Geſetzes über 
„Amtsmißbrauch der Geiſtlichen“ zu bemerken. Soll dieſes 
Wort einen geſunden Sinn haben, ſo kann der Staat nur 
das als einen Amtsmißbrauch eines Geiſtlichen anſehen, 
wenn derſelbe ſein Amt dazu mißbrauchen würde, um ge— 
meine Verbrechen oder Vergehen zu verüben. Das ſoll der 
Staat nach ſeinen Strafgeſetzen verfolgen und beſtrafen. 
Wenn dagegen der Staat Handlungen als Amtsmißbrauch 
ſtempeln würde, welche nichts anderes, als die Erfüllung 
religiöſer Pflichten oder Uebungen der allen zuſtehenden Ge— 
wiſſensfreiheit ſind, ſo ſtünden wir wieder vor jenem Falle, wo 
ein Conflict Gewiſſenspflicht iſt und den kein Geſetzesparagraph 
verhindern kann. 

„Alle kirchlichen Verordnungen müſſen gleichzeitig mit der 
Verkündigung der Staatsregierung mitgetheilt werden,“ lautet 
der erſte Abſatz des Art. 9. — Wo ein freundliches Verhältniß 
zwiſchen Staat und Kirche beſteht, wird letztere dieſes gerne 
thun, wie es auch die Convention zugeſteht. Eben ſo gewiß 
ſcheint es uns aber auch, daß der Staat nach ſtrengem Recht 
nicht befugt iſt, dies zu fordern und daher auch nicht propria 
auctoritate es vorzuſchreiben. 

„Reine Verordnung der Kirchen oder Religionsgemeinſchaften, 
welche in bürgerliche oder ſtaatsbürgerliche Verhältniſſe eingreift, 
kann rechtliche Geltung in Anſpruch nehmen, oder in Vollzug 
geſetzt werden, bevor ſie die Genehmigung des Staates erhalten 
hat,“ lautet das zweite Alinea. Auch bei dieſer das Placet 

Heinrich, Der Kampf der Kirche. 13 


194 


aufhebenden und ſomit einen Fortſchritt zur Freiheit involviren: 
den Beſtimmung müſſen wir immer wieder hervorheben, daß 
Alles darauf ankommt, daß der Staat ſich innerhalb der 
Grenzen ſeiner Zuſtändigkeit hält. 

Iſt das der Fall, ſo wird die Kirche in dieſer Beziehung 
nie mit dem Staate in Conflict gerathen. Sollte dagegen der 
Staat kirchliche und religiöſe Dinge als in bürgerliche und 
ſtaatsbürgerliche Verhältniſſe eingreifend bezeichnen, z. B. die 
Ausſpendung der Sacramente, die kirchliche Giltigkeit der Ehe, 
das klöſterliche Leben und die Ordensgelübde, dann ſtünden wir 
wieder jenem Abſolutismus gegenüber, welchen das chriſtliche 
Gewiſſen niemals anerkennen kann. 

Nur da, wo der Staat zur Durchführung einer religiöſen 
Anordnung auch Seiner Seits mitwirken fol, müſſen ſelbſt⸗ 
verſtändlich eben Staat und Kirche zuſammenwirken; ſo z. B. 
wenn kirchliche Feiertage auch bürgerlich geſeiert werden 
ſollen. 

In dem Schlußſatze des Artikel 9. ſtellt der Entwurf 
der zweiten Kammer eine Reihe von Geſetzen in Ausſicht: 
„Ueber Eheſchließung heißt es, religiöſe Kindererziehung, Stan— 
desbuchführung wird das Verhältniß der Kirchen und Re— 
ligionsgeſellſchaften unter ſich und zum Staate durch beſondere 
Geſetze geordnet.“ 

„Deßgleichen bezüglich der Feſttage, Feierlichkeiten und 2: 
gräbnißordnung.“ 

Wenn wir Geiſt und Tendenzen des gegenwärtigen Reli— 
gionsgeſetzes und die frühere ſtaatskirchliche Praxis erwägen, 
ſo eröffnen uns dieſe Geſetze eine für die religiöſe Freiheit 
ſehr trübe Perſpective. Denn es gab ja eine Zeit, wo der 
Staat Feiertags- und Gottesdienſtordnungen erließ und jede 
andere religiöſe Feier verbot; wo er Prieſterexercitien, Volks— 
miſſionen, Wallfahrten, als ob das lauter Verſchwörungen 
und Aufruhrverſuche wären, unterſagte und mit allem ihm zu 
Gebote ſtehenden Mitteln unterdrückte. Doch wir wollen ab— 
warten, was uns die neuen Geſetze bringen werden und 
uns hier mit der einfachen Bemerkung begnügen, daß kirchliche 
Feſttage, religiöfe Feierlichkeiten, ſeien es regelmäßige oder 
außerordentliche, rein kirchliche Angelegenheiten find, deren An: 
ordnung und Leitung lediglich der Kirche gebührt. Nur die 
zwangsweiſe bürgerliche Feier kirchlicher Feſte berührt den 
Staat. Eine ſolche kann die Kirche nicht anordnen. Allein 


195 


rein kirchliche Feierlichkeiten, religiöſe Uebungen unterliegen 
der Geſetzgebung und Jurisdiction des Staates in keiner 
Weiſe; es hat daher jede Religionsgenoſſenſchaft und jeder Einzelne 
Kraft des Grundſatzes der Gewiſſensfreiheit das Recht, nicht 
bloß vom Staate in der freien Verrichtung aller von der be— 
treffenden Religion gebilligten und geſtatteten Andachtsübungen 
nicht geſtört, ſondern auch, wenn Andere darin ſtören würden, 
geſchützt zu werden. 

Was für die Lebenden gilt, gilt auch für die Todten. 
Der Chriſt, in specie der Katholik betrachtet das chriſtliche 
Begräbniß als ein hohes Gut. Er will, daß auch nach 
ſeinem Tode ſein Leib, deſſen dereinſtige Auferſtehung er glaubt, 
von der Kirche unter Gebet und heiligen Gebräuchen in ge— 
weihter Erde beſtattet werde und in der Gemeinſchaft ſeiner 
entſchlafenen Mitchriſten ruhe. Jede ſtaatliche Anordnung, 
welche ſich in dieſer Beziehung auf etwas Anderes, als die 
Handhabung der allgemeinen Geſundheitspolizei bezieht, iſt ein 
Eingriff in die religiöſe Freiheit und eine der empfindlichſten 
Verletzungen des chriſtlichen Gefühls. Das gälte insbeſondere 
von einem, alle beſtehenden Geſetze, deutſche ſowohl als fran— 
zöſiſche, umſtoßenden Zwange zur Aufhebung der confeſſionellen 
Kirchhöfe. 

Wir wiſſen, daß gerade das Begräbniß in merkwürdiger 
Weiſe vielfach ein Demonſtrations- und Agitationsmittel irreli— 
giöſer und antichriſtlicher Richtungen in unſerer Zeit geworden 
iſt. Um ſo mehr liegt es im Intereſſe des chriſtlichen Volkes 
und der chriſtlichen Kirche, ihre chriſtlichen Begräbnißſtätten ſich 
zu bewahren. Der Staat ſoll die nöthigen polizeilichen An— 
ordnungen für das Begräbniß Derer treffen, die keiner der 
beſtehenden Religionen angehören, nicht aber dieſen oder einigen 
Religionsverächtern zu Gefallen, das chriſtliche Volk aller Con— 
feſſionen in ſeinen tiefſten und berechtigſten Gefühlen ver— 
letzen. 

Bezüglich der Ehe und Kindererziehung behalten wir 
uns einige Bemerkungen für einen folgenden Paragraphen vor. 

Es liegt in der Natur der Sache, daß jede Geſellſchaft ihre 
Geſellſchaftsordnung durch entſprechende Disciplin aufrecht zu 
halten befugt iſt. Ohne dieſe Disciplinargewalt wären die Intereſſen 
und die Ordnung der Geſellſchaft der Willkühr eines jeden Ein— 
zelnen preisgegeben. Daher ſteht ſchon nach dem natür— 
lichen Rechte jeder Kirche oder Religionsgenoſſenſchaft nach 

1 


196 


Maßgabe der ihr eigenthümlichen Verfaſſung die Disciplinar— 
gewalt über alle ihre Mitglieder und insbeſondere über ihre 
Diener und Beamten zu. Was die katholiſche Kirche insbeſon— 
dere betrifft, fo iſt es ein förmliches katholiſches Dogma, daß 
die kirchlichen Vorgeſetzten, als Nachfolger der Apoſtel, nicht bloß 
das Recht und die Pflicht haben, zu lehren und die Sacramente 
zu verwalten, ſondern auch die Uebertreter der kirchlichen Ge— 
ſetze durch kirchliche Strafen zu beſſern und zu deren Beobach— 
tung anzuhalten, im äußerſten Falle aber von der Kirchenge— 
meinſchaft auszuſchließen. 

Die Strafen, welche die Kirche anwendet, ſind rein geiſt— 
liche und beſtehen entweder in freiwillig von dem Betreffenden 
übernommenen Bußen, oder aber in der gänzlichen oder theil— 
weiſen Entziehung der Theilnahme an den geiſtlichen Gütern, 
welche der Kirche zur Spendung anvertraut ſind. 


Der Staat iſt bei allem dem nicht betheiligt; eine ſolche 
Betheiligung träte nur dann ein, wo es ſich um eine zwangs— 
weiſe Vollziehung kirchlicher Strafen durch den Staat han— 
delte. 


Der Regierungsentwurf hatte in dieſer Beziehung Art. 10. 
den Grundſatz ausgeſprochen: „Verfügungen und Erkenntniſſe 
der Kirchengewalt können gegen die Freiheit oder das Vermögen 
einer Perſon wider deren Willen nur von der Staatsgewalt 
und nur unter der Vorausſetzung vollzogen werden, daß ſie 
von der zuſtändigen Staatsbehörde für vollziehbar erklärt wor— 
den ſind.“ Das war offenbar vollſtändig genug, um auch die 
weitgreifendſten Rechte und Intereſſen des Staates zu ſichern 
und jeden äußeren Zwang der Kirche gegen ihre Diener und 
Mitglieder auszuſchließen. Allein der zweiten Kammer ſchien 
es nicht genug und ſo verordnete ſie: 


„Unterſuchungen und Strafen der LKirchengewalt dürfen 
nie mit irgend einer Art von Freiheitsentziehung, Verweiſung 
an Beſſerungsorte, körperlichen Züchtigung und niemals mit 
Ehrenkränkung verbunden ſein.“ 

Bei den Debatten wurde geſprochen, als ob in der katholiſchen 
Kirche derartige Strafen gegen Geiſtliche tagtäglich vorkämen. In 
der Wirklichkeit ſind die einzigen kirchlichen Strafen beziehungs— 
weiſe Beſſerungsmittel, welche gegen Geiſtliche in Anwendung 
kommen, zeitweiſe oder beſtändige Suspenſion von ihren geiſt— 
lichen Verrichtungen und Amtsentſetzung. — Verhängt wer: 


197 


den dieſe Strafen auf dem Wege des kanoniſchen Proceſſes 
durch das geiſtliche Gericht, das aus dem Officialen und einigen 
theils dem Domcapitel, theils dem Curatklerus entnommenen 
Officialatsräthen beſteht, und von deſſen Urtheilen die Be— 
rufung an die höheren kirchlichen Inſtanzen offen ſteht. Das 
Ammenmärchen von geiſtlichen Kerkern oder gar körperlichen 
Züchtigungen auch nur zu widerlegen, ſcheint uns überflüſſig. 
Wenn dagegen die zweite Kammer meint, daß die „Verweiſung 
an Beſſerungsorte“ unter die Kategorie von Freiheitsſtraſen 
falle und deßhalb dieſelbe verbietet, ſo iſt das nur ein Beweis, 
eine wie große Unkenntniß in kirchlichen Dingen dabei obwal— 
tete. Wenn Geiſtliche, welche gefehlt haben und zeitweiſe von 
geiſtlichen Verrichtungen ſuspendirt ſind, auf einige Zeit in 
ein Seminar oder in ein anderes geiſtliches Haus ſich zurück— 
ziehen, ſo hat dies nicht bloß den Character einer freiwillig 
übernommenen Buße, ſondern iſt auch offenbar der geeignetſte 
Weg, um einem Geiſtlichen, der ſich verfehlt hat, zu einer 
wahren Beſſerung, was der weſentliche Zweck aller kirchlichen 
Strafen iſt, zu führen. Wie aber ein Geſetz einen Geiſtlichen 
hindern kann, nach dem Willen ſeiner Obern ſich auf einige 
Zeit in ein geiſtliches Haus zurückzuziehen, iſt nicht zu begrei— 
fen. Wir können hier jedoch folgende Bemerkung nicht unter— 
drücken. Die Gegner der kaͤtholiſchen Kirche ſind auf nichts 
eifriger bedacht, als nach Vergehen und Aergerniſſen der Geiſt— 
lichen zu ſpähen, ſie zu veröffentlichen und in das ſchwärzeſte 
Licht zu ſtellen. Wenn dagegen die kirchlichen Vorgeſetzten ihrer 
Pflicht gemäß gegen fehlende Geiſtliche einſchreiten, ſo ändert 
ſich ſofort die Situation. Dieſelben, die nicht genug von den 
Scandalen der Prieſter erzählen können, werden nun zum 
Anwalt eines jeden Prieſters, gegen den die kirchlichen Vorge— 
ſetzten einſchreiten, ſtellen ihn als einen Verfolgten und die 
Oberen als Tyrannen dar. Der Geiſt, aus welchem dieſes Ver— 
fahren hervorgeht, richtet ſich ſelbſt. Das größte Leiden, das 
es für die Kirche gibt, der größte Schaden, der der Religion 
und dem chriſtlichen Volke zugefügt werden kann, ſind Vergehen 
Derer, welche Lehrer und Vorbilder aller Tugenden ſein ſollen. 
Dieſes große Uebel zu verhüten und wo es je eingetreten, ſo— 
fort durch eine ernſte und gerechte Disciplin gut zu machen, iſt 
daher eine weſentliche Pflicht der kirchlichen Obrigkeit, deren 
treue Erfüllung der Klerus und das chriſtliche Volk fordern müſſen 


198 


und welche auch im Intereſſe des Staates liegt). Umgekehrt 
iſt jeder Verſuch, die Disciplin der Kirche zu lockern und die 
Ausführung der kirchlichen Disciplinarvorſchriften unmöglich zu 
machen, unmittelbar auf den Ruin der Kirche gerichtet. 


Wenn es im neuen Geſetze heißt, daß kirchliche Strafen nicht 
mit Ehrenkränkung verbunden ſein dürfen, ſo kann ſich das ver— 
nünftiger Weiſe nur auf die bürgerliche Ehre beziehen, welche allein 
der Staat ſchützen kann und welche die Kirche durch ihre Straf— 
erkenntniſſe unberührt läßt. Eben ſo gewiß iſt aber auch, daß 
die moraliſche und kirchliche Ehre, welche durch die treue Er— 
füllung der chriſtlichen und insbeſondere der prieſterlichen 
Pflichten vor der Kirche und dem Urtheile der Gläubigen be— 
dingt iſt, durch keine Staatsgeſetzgebung, wo ſie verwirkt iſt, 
erhalten oder gegeben und, wo fie vorhanden iſt, geraubt wer: 
den kann. 


Der Satz: „Geldſtrafen und Unterſuchungen mit irgend 
welchen Zwangsmitteln gegen Laien ſind unſtatthaft“ iſt eigent— 
lich ohne praftiihes Object. In der Provinz Starkenburg 
waren bisher gegen Solche, welche den Gottesdienſt ſtörten, ſo 
wie gegen junge Leute, welche die Chriſtenlehre verſäumten, 
kleine Disciplinarſtrafen üblich, welche von der weltlichen Obrig— 
keit vollſtrekt wurden. Wenn man es durch die Intereſſen der 
Freiheit für geboten hält, daß dieſer Ueberreſt alter Zucht ver— 
ſchwinde, jo mag das hie und da für die Dorfjugend einen 
Nachtheil haben; die katholiſche Kirche, welche ihre Disciplin 
in den Zeiten der Chriſtenverfolgung und der Völkerwanderung 
zu handhaben wußte, kann dieſer Amtshilfe auch entbehren. 
Geldſtrafen und Zwangsmittel wendet ſie nie gegen Laien an. 
Auch dieſen gegenüber hat ſie kein anderes Mittel, als daß ſie 
Diejenigen, welche entweder den Glauben verleugnen oder die 
Geſetze der Kirche übertreten, wenn ſie es zum Schutze des 


1) Die ganze Kirchengeſchichte gibt Zeugniß dafür, mit welchem Eifer 
die katholiſche Kirche ſtets bemüht war, den Klerus auf der Höhe ſeines 
Standes zu erhalten und mit welcher Sorgfalt ſie allen Mißbräuchen, 
Vergehen und Nachläßigkeiten entgegengetreten iſt. Nie hat der Kle— 
rus einen ſtrengeren Sittenrichter gehabt, als die Kirche ſelbſt. Davon 
ſind alle kirchlichen Geſetze, alle Beſchlüſſe der Concilien, alle Bücher 
der kirchlichen Schriftſteller Zeugen. Allein ſelbſt dieſer Eifer der Kirche 
dient heut zu Tage gewiſſen Gegnern der Kirche als Waffe. 


199 


Glaubens, der guten Sitten und der kirchlichen Ordnung für 
nothwendig erachtet, von der Kirchengemeinſchaft ausſchließt. — 

Der folgende Abſatz des Artikels ſagt, daß Geldſtrafen unter 
dreißig Gulden nur mit Staatsgenehmigung vollzogen werden 
können. Zur Erklärung dieſer, wohl Manchen unerklärlichen Be— 
ſtimmung möge die Mittheilung dienen, daß bisher in unſerem 
Lande, wie für weltliche Beamte, auch für Geiſtliche Ordnungs⸗ 
ſtrafen beſtanden, welche nicht bloß vom Staate executoriſch 
erklärt wurden, ſondern auch in die Staatskaſſe floſſen. Die 
Kirche hat keinen Grund, auf dieſe Ordnungsſtrafen ein be— 
ſonderes Gewicht zu legen. Eigentliche kirchliche Geldſtrafen 
kommen nicht vor. 

Hierauf folgt die bereits oben genügend gewürdigte Be— 
ſtimmung, daß „die Beſtimmungen der Kirchendisciplin in Rück- 
ſicht auf Kleriker auf die Lehrer einer theologiſchen Facul— 
tät als ſolche keine Anwendung leiden.“ — Daran ſchließt 
ſich der Satz: „Verurtheilung wegen eines Vergehens oder 
Verbrechens, deſſen Beſtrafung bei einem öffentlichen Diener 
mit Dienſtentſetzung verbunden iſt, hat bei einem Geiſtlichen 
auf geſchehene Mittheilung des Urtheils an die betreffende kirch— 
liche Behörde die Enthebung des Verurtheilten von ſeinen Dienſt— 
functionen unmittelbar zur Folge.“ 

Daß die Kirche einen Geiſtlichen, der ſich eines gemeinen 
Verbrechens oder Vergehens ſchuldig gemacht, nicht in ſeinen bei: 
ligen Functionen duldet, iſt weltbekannt. Sie fordert von ihren 
Dienern als unerläßliche Bedingung ihrer Amtsverwaltung eine 
weit größere Sittenreinheit, als nur dieſe bürgerliche Legalität. 
Inſofern alſo hat dieſe Beſtimmung keine andere Gefährde für die 
Kirche als die, daß hier der Staat Vorſchriften gibt, welche zu 
geben Sache der Kirche iſt und die längſt in ihr beſtehen. 

Allein es hat dieſe Beſtimmung auch eine andere Seite und 
von dieſer Seite ſcheint ſie ſo recht die Handhabe ſein zu ſollen, 
um eine die Kirche knechtende Geſetzgebung zwangsweiſe durchzu— 
führen. Offenbar iſt es nämlich ein Grund, einen weltlichen Be— 
amten ſeines Dienſtes zu entſetzen, wenn er irgend eine Staats— 
verordnung nicht beobachtet oder in irgend einem Punkte der 
Staatsregierung den Gehorſam verſagt. Wenn nun aber eine, 
die Grenzen ihrer Competenz überſchreitende Staatsgeſetzgebung 
den Geiſtlichen etwas gebietet, was ihr Gewiſſen und ihr Glauben 
ihnen verbietet und ſie ſolchem Anſinnen den pflichtſchuldigen Wi— 
derſtand leiſten — dann hat man in dieſer Beſtimmung, wie es 


200 


ſcheint, das Mittel, jeden derartigen Widerſtand ſofort zu vereiteln. 
Man braucht ſie nur deßhalb zu prozeſſiren, wegen Ungehorſams 
gegen die Staatsgeſetze zu verurtheilen — und damit mären fie 
denn ſofort ihres geiſtlichen Amtes entſetzt. Auf ſolche Weiſe könnte 
man namentlich leicht mit einem Biſchof, der nicht in Allem den 
Anordnungen des Staates ſich fügte, nicht bloß fertig werden, 
ſondern ſich auch ſeiner ein für alle Mal entledigen — ſelbſt ohne, 
wie Rußland, ein Sibirien zu beſitzen. 

Endlich ſchließt der Artikel 10. mit dem unvermeidlichen 
Recursus tamquam ab abusu: „Gegen alle kirchlichen Straf— 
verfügungen iſt das im Art. 42. der Verfaſſungsurkunde ge— 
währte Recht der Beſchwerde bei der Regierung anwendbar.“ 
Nach allen Grundſätzen des Rechtes und der Vernunft könnte 
ein Geiſtlicher den Staat nur dann um Hilfe gegen ſeine 
kirchlichen Vorgeſetzten anrufen, wenn dieſe ihn an ſeinen bürger— 
lichen Rechten gekränkt, wenn ſie wirklich ihre Competenz über— 
ſchritten hätten. Soll die Verfaſſungsurkunde daher nach den all— 
gemeinen Rechtsregeln ausgelegt werden, ſo kann ſie nur dieſen 
Sinn haben. Sollte dagegen die zweite Kammer der Anſicht ſein, 
es könne der Geiſtliche von den von dem geiſtlichen Gerichte 
innerhalb der Grenzen ſeiner Competenz erlaſſenen Urtheilen an 
die Regierung appelliren und dieſe könne in rein kirchlichen Sachen 
erlaſſene Urtheile des zuſtändigen kirchlichen Gerichtes reformiren, 
ſo enthielte das nichts Geringeres, als die völlige Vernichtung der 
kirchlichen Selbſtſtändigkeit in Sachen der Disciplin und Juris— 
diction. Hat das geiſtliche Gericht ſeine Competenz nicht über— 
ſchritten, ſo ſteht keine andere Berufung offen, als die an das höhere 
geiſtliche Gericht. Das Beſte iſt übrigens bei dieſen und ähnlichen 
Beſtimmungen, daß ſich kein Geiſtlicher finden wird, der in einer kirch— 
lichen Sache von dem geiſtlichen Gerichte an die Regierung Beru— 
fung einlegt. Sollte aber je ein verirrter Prieſter ſich dazu ver— 
ſtehen, ſo hätte er ſich damit ſelbſt von der Gemeinſchaft der katho— 
liſchen Kirche ausgeſchloſſen. 


12. Kirchen vermögen. 


Faſt in keiner Beziehung war das Staatskirchenthum ſo weit 
in der Verkennung und Umkehr aller poſitiven und natürlichen 
Rechtsverhältniſſe gegangen, als bezüglich des Kirchenvermögens. 
Hier hatte der Staat ſich faſt alle Rechte des Eigenthümers ange: 
eignet; er hatte nach ſeinem Belieben Vorſchriften über das Kir— 
chenvermögen erlaſſen und durch dieſelben ſich die Verwaltung und 


201 

die Entſcheidung über die Verwendung des Kirchengutes beigelegt. 
Von den Geſetzen der Kirche war hiebei keine Rede; höchſtens daß 
der kirchlichen Behörde eine Einſicht und untergeordnete Mitwir— 
kung bei Verwaltung des Kirchenvermögens geſtattet war. Ein 
logiſches Fundament hat dieſes Syſtem nur in der Anſchauung, 
daß die Kirche eine Staatsanſtalt und das Kirchenvermögen 
Staatsvermögen ſei. 

Wir müſſen es beklagen, daß auch der Regierungsentwurf, 
der doch dem Grundſatze der kirchlichen Selbſtſtändigkeit ge— 
recht werden will, bezüglich des Kirchenvermögens im Weſentlichen 
dem alten Syſtem des Staatskirchenthums treu geblieben iſt, 
wenn er auch daſſelbe in etwas mildert. 

Eines der weſentlichen Rechte einer Corporation iſt die ſelbſt— 
ſtändige Verwendung und Verwaltung des ihr eigenthümlichen 
Vermögens. Nun iſt aber die katholiſche Kirche vom Ge: 
ſetze als öffentliche Corporation anerkannt. Ueberdies ſpricht 
daſſelbe den Grundſatz aus, daß ſie ſelbſtſtändig ihre Angelegen— 
heiten verwalte. Dazu gehört aber doch offenbar auch die ſelbſt— 
ſtändige Verwaltung des kirchlichen Vermögens. Die Art und 
Weiſe der Verwaltung des Kirchenvermögens einer jeden Kirche 
oder Religionsgenoſſenſchaft richtet ſich ganz und gar nach der Ver— 
faſſung derſelben. Das katholiſche Kirchenvermögen kann alſo 
z. B. nimmermehr nach den Grundſätzen des proteſtantiſchen Kir— 
chenrechtes, nach denen der jüdiſchen Synagoge oder einer freien 
Gemeinde verwaltet werden. Die Grundſätze über die Verwal— 
tung und Verwendung des Kirchenvermögens ſind wie jedes Hand: 
buch des canoniſchen Rechtes lehrt, durch die Geſetze der Kirche 
auf's Genaueſte beſtimmt; nach dieſen und keinen anderen Grund— 
ſätzen iſt das katholiſche Kirchenvermögen durch die von den Ge— 
ſetzen der Kirche beſtimmten Organe zu verwalten. Was kann 
einfacher und klarer ſein, als dieſe Grundſätze? Sie ſind über— 
dieß durch das poſitive Recht aller chriſtlichen Staaten ſanctionirt 
und der Kirche durch die Reichsgeſetze und Landesverfaſſungen 
garantirt. Allein es war, als ob man am Anfange unſeres Jahr— 
hunderts vielfach jedes Bewußtſein und jeden Sinn für dieſes 
Rechtsverhältniß verloren hätte. Mit einfachen Verordnungen 
geſtalteten die Regierungen, wie geſagt, die ganze Verwaltung 
des Kirchenvermögens nach Belieben um; auch der gegen— 
wärtige Regierungsentwurf ordnet einfach aus Machtvollkom— 
menheit des Staates an: „Das Vermögen, welches den kirchlichen 
Bedürfniſſen, ſei es des ganzen Landes, einer Provinz, gewiſſer 


202 


Bezirke oder einzelner Orte gewidmet, wird unbeſchadet anderer 
Anordnungen, unter gemeinſamer Leitung der Kirche und des 
Staates verwaltet. Bei der Verwaltung des kirchlichen Orts: 
vermögens müſſen die berechtigten Gemeinden vertreten ſein.“ 


Bei dieſer Beſtimmung liegt der tiefſte Eingriff in die Selbſt— 
ſtändigkeit und das Recht der Kirche ſchon darin, daß überhaupt der 
Staat über die Verwaltung des Kirchenvermögens Geſetze gibt, da 
dieſes doch ausſchließlich Sache jeder Kirche und Religionsgenoſſen— 
ſchaft ſelber iſt und ſich die deßfallſigen Normen ganz und gar nach 
der Verfaſſung jeder Kirche richten müſſen, da insbeſondere die Ver— 
waltung des kaͤtholiſchen Kirchenvermögens durch die Kirchengeſetze 
geregelt iſt. 


Sehen wir aber auf den Inhalt der Beſtimmung, ſo iſt 
offenbar der Staat durch nichts berechtigt, ſich die Mitverwal— 
tung am Kirchenvermögen zuzuſchreiben, da er doch nicht Miteigen— 
thümer dieſes Vermögens, die Verwaltung aber ein Ausfluß des 
Eigenthumsrechtes iſt; wie denn auch in allen großen Staaten, 
insbeſondere auch durch die preußiſche Verfaſſung das Recht der 
Kirche zur ſelbſtſtändigen Verwaltung ihres Vermögens aner— 
kannt iſt. 


Wir geben zu, daß der Staat und die Gemeinden, welche nach 
den beſtehenden Rechten gewiſſe ſubſidiariſche Verbindlichkeiten 
zur Deckung kirchlicher Bedürfniſſe haben und welchen überdieß 
daran gelegen ſein muß, daß die religiöſen Bedürfniſſe ihrer An— 
gehörigen beſtritten werden, ein begründetes Intereſſe haben, daß 
das Kirchenvermögen nicht verſchleudert und nicht zweckwidrig ver— 
wendet werde; allein das begründet keinen Anſpruch auf Mitver— 
waltung, ſondern nur auf eine jene Intereſſen befriedigende Con: 
trole, und auch dieſe Controle kann offenbar rechtlicher Weiſe nicht 
einſeitig vom Staate, ſondern nur durch gegenſeitige Uebereinkunft 
zwiſchen Staat und Kirche angeordnet werden. Daß aber die 
Kirche in dieſer Beziehung die vollgenügendſte Controle des Kir— 
chenvermögens gerne gewährt, zeigt die vom Biſchof abge— 
ſchloſſene Convention und noch mehr die neueſten badiſchen und 
württembergiſchen Concordate, in welchen ſogar der apoſtoliſche 
Stuhl dem Staat eine ſehr weitgehende Theilnahme an der Ver— 
waltung des Kirchenvermögens zugeſtanden hat. Es verſteht ſich 
aber von ſelbſt, daß der Staat, der den Vertrag mit der Kirche 
nicht hält, auch kein Recht mehr hat, dieſes Zugeſtändniß zu ſeinen 
Gunſten geltend zu machen. 


203 


Die zweite Kammer hat ſich mit den Beſtimmungen des Re⸗ 
gierungsentwurfs nicht begnügt, ſondern ſie hat dem erſten Alinea 
deſſelben folgende Zuſätze beigefügt: 

„Die kirchlichen Ortsvermögen verwalten die berechtigten 
Gemeinden durch ihre Organe unter entſprechender Aufſicht des 
Staates und der Kirche.“ 

„Eine rechtliche Verbindlichkeit zur Entrichtung von kirchlichen 
Abgaben und Gebühren kann nur durch Herkommen, Vertrag oder 
Recht begründet werden.“ 

„Ein Geſetz regelt die geſammte Verwaltung des den kirch— 
lichen Bedürfniſſen gewidmeten Vermögens.“ 

Wir ſehen, die zweite Kammer macht ſich die Grundſätze des 
alten Staatskirchenthums auch hier im weiteſten Umfang zu eigen 
und verfügt mit ſouveräner Machtvollkommenheit über das Kir— 
chenvermögen und ſeine Verwaltung. Welche Beſtimmungen wir 
in dem verheißenen Geſetze und in etwaigen ſpäteren Geſetzen zu 
erwarten haben, können wir nicht wiſſen, aber wohl ahnen, wenn 
wir nur die Beſtimmung über die Verwaltung des kirchlichen 
Ortsvermögens in's Auge fallen. Die Verwaltung des Kirchen— 
vermögens gebührt nämlich nach den weſentlichen Fundamentalbe— 
ſtimmungen der kaͤtholiſchen Kirchenverfaſſung, nicht der Gemeinde, 
ſondern den Trägern der Kirchengewalt. Die zweite Kammer legt 
aber dieſe Verwaltung, mit völligem Umſturz der kirchlichen Ver: 
faſſung und im Widerspruch mit den Geſetzen der Kirche, einfach 
in die Hände der Gemeinde — und läßt es ſogar unbeſtimmt, 
welche Gemeinde, ob die kirchliche oder Civilgemeinde, ſie darunter 
verſteht. 

Durch dieſe Beſtimmung wird nun freilich das wahre In— 
tereſſe der kirchlichen Gemeinde durchaus nicht befriedigt, wohl 
aber kann in unruhigen Zeiten, wie die unſeren ſind, und nament— 
lich im Falle religiöſer Wühlereien, dieſe Beſtimmung eines der 
gefährlichſten Mittel werden, um Unruhe in den Gemeinden zu 
ſtiften und die Kirche zu beſchädigen. Das Erſte, was der Seel— 
ſorger in ſeiner Gemeinde bedarf, um als Diener Chriſti wirken 
zu können, iſt Unabhängigkeit; er ſoll Allen ohne Furcht und ohne 
Gunſt die Wahrheit des Evangeliums predigen und Alle gleich— 
mäßig zur Befolgung der Geſetze der Religion anhalten. Deß— 
halb wollte Chriſtus, daß ſeine Apoſtel und Jünger lediglich von 
dem leben ſollten, was fromme Gläubigen ihnen freiwillig ſpen— 
deten. Dieſen Grundſatz hat die Kirche unverbrüchlich feſtge— 
halten. Die kirchlichen Güter und Dotationen ſind Schenkun⸗ 


204 


gen frommer Gläubigen. Davon ſollen die Diener der 
Kirche leben und die Bedürfniſſe des Cultus beſtreiten, den Ueber— 
ſchuß aber zu guten Werken verwenden. Nichts kann dieſer 
Stellung und der ganzen Wirkſamkeit der Seelſorger ſchädlicher 
und mehr dem Geiſte der katholiſchen Kirche widerſprechend ſein, 
als wenn die Geiſtlichen zu beſoldeten Staats- oder Ge— 
meindebeamten werden, und die Beſtreitung der kirchlichen 
Bedürfniſſe als reine Staats- oder Gemeindeſache behandelt wird. 
Allerdings ſpricht das kirchliche Recht es auch als eine Pflicht der 
Gerechtigkeit und Billigkeit aus, daß die Gläubigen, welche alle 
kirchlichen Vortheile genießen, im Nothfalle zu den kirchlichen 
Bedürfniſſen beiſteuern; allein durch dieſe in der Gerechtigkeit 
und der Liebe zur Kirche begründeten Pflicht wird an jenem 
oberſten und durchweg die Regel bildenden Grundſatze des 
katholiſchen Kirchenrechtes nichts geändert und die Kirche müßte 
lieber jeden zeitlichen Verluſt erleiden und im ſtrengſten Sinne. 
von Almoſen leben, als ihre Diener zu beſoldeten Staats- oder 
Gemeindebeamten werden laſſen, was unausbleiblich den Zerfall 
der chriſtlichen Seelſorge zur Folge hätte. 

Wir beſchränken uns auf dieſe Andeutungen. Wollten wir 
tiefer auf dieſe Materie eingehen, viele Blätter würden nicht ge— 
nügen. Wir wollen nur noch bemerken, daß das, was dieſer Ar— 
tikel nicht ſagt, eben ſo ſchlimm iſt, als was er ſagt. Muß es 
z. B. nicht Jedem, der die Geſchichte der Behandlung des Kirchen: 
vermögens von Seiten des Staatskirchenthums kennt, großes 
Bedenken erregeu, daß nur von Vermögen die Rede iſt, „welches 
für kirchliche Bedürfniſſe beſtimmt iſt“ — nirgends aber das doch 
ſo feierlich noch durch den Reichsdeputationshauptſchluß von 1803 
gewährleiſtete Eigenthum der Kirche und kirchlichen Inſtitute 
an ihrem Vermögen anerkannt iſt. Betrachtet etwa der Geſetz— 
geber Jemand anders, etwa den Staat oder die Gemeinde, als 
Eigenthümer des Vermögens? Iſt daſſelbe etwa nur ſo zu kirch— 
lichen Zwecken beſtimmt, wie gewiſſe Portionen des Staatsver— 
mögens zu Militärzwecken oder für Forſtwirthſchaft beſtimmt ſind? 
Dann begriffe ſich allerdings, daß der Staat über deſſen Verwal— 
tung nach Belieben Geſetze geben kann. 

Für die katholiſche Kirche muß dies um ſo bedenklicher werden, 
da der höchſte Gerichtshof, ſich der der Kirche ungünſtigeren Auf— 
faſſung der franzöſiſchen Geſetzgebung anſchließend, der Kirche das 
Eigenthumsrecht an den Kirchengebäuden in Rheinheſſen abgeſprochen 
hat, während doch unbeſtritten die Proteſtanten, die Juden und alle 


205 


anderen Religionsgenoſſenſchaften Eigenthümer ihrer gottesdienſt— 
lichen Gebäude ſind. Hier wäre es eine Pflicht geweſen, im Ein» 
klang mit dem in ganz Deutſchland und in den rechtsrheiniſchen 
Provinzen unſeres Landes geltenden Rechte, eine Exorbitanz der 
franzöſiſchen Revolutionsgeſetzgebung (welche, beiläufig geſagt, in 
Frankreich unter Napoleon J. das franzöſiſche Cultusminiſterium, 
namentlich Portalis und ſpäter eine ſehr anſehnliche Jurisprudenz 
der Gerichtshöfe durch eine der Kirche günſtige Interpretation der 
jedenfalls zweifelhaften Geſetzgebung zu rectificiren ſuchte) auf eine 
der Gerechtigkeit und der Parität entſprechende Weiſe zu ver— 
beſſern. 


Statt deſſen müſſen nun die jenſeitigen Provinzen und die 
übrigen Confeſſionen befürchten, daß das kirchliche Eigenthumsrecht 
durch das neue Geſetz zweifelhaft gemacht werde. 


Ein anderer Punkt von böchſter Wichtigkeit iſt, daß das neue 
Geſetz nur von einem „kirchlichen Bedürfniſſen“ gewidmeten Ver— 
mögen ſpricht. Allein die Kirchen beſitzen auch Vermögen, das zu 
wohlthätigen und zu Schulzwecken beſtimmt und welches 
eben ſo heilig und unverletzlich und eben ſo durch die Geſetze und 
die Verfaſſung garantirt iſt, wie das zu kirchlichen Zwecken be— 
ſtimmte Eigenthum. Weßhalb erwähnt das Geſetz dieſes Ver— 
mögen mit keinem Worte? Iſt nicht zu fürchten, daß daraus 
ſpäter die nachtheiligſten Conſequenzen gezogen werden könnten? 


13. Ehr, Familie und Schult. 


Die eigentliche Pflanzſtätte alles religiöſen, insbeſondere alles 
chriſtlichen Lebens iſt die Familie und die in ihr wurzelnde religiöſe, 
chriſtliche Erziehung. Das Chriſtenthum hat ſoſort bei ſeinem 
Eintritt in die Welt der Familie ſeine ganze Sorgfalt zugewendet 
und keine Sphäre des Lebens verdankt dem Chriſtenthum ſo viel, 
als die Familie und die Erziehung. Die katholiſche Glaubens— 
lehre, nach welcher die Ehe ein von Gott eingeſetztes Sacrament 
iſt, ſtellt dieſelbe an Heiligkeit und Wichtigkeit unmittelbar neben 
das Prieſterthum; in der That iſt die chriſtliche Ehe und die 
chriſtliche Familie die tiefſte Grundlage alles wirklichen und leben— 
digen Chriſtenthums. Denn jeder Menſch iſt in der Regel das, 
wozu ihn die Familie erzogen hat. Daß aus wahrhaft chriſtlichen 
Familien irreligiöſe Individuen hervorgehen, iſt gerade ſo eine 
Ausnahme von der Regel, wie der umgekehrte Fall, daß ein Kind 
einer dem Chriſtenthum entfremdeten Familie religiöſen Geiſtes 


206 


werde. Die weſentlichſte und heiligſte Gewiſſenspflicht, welche die 
Religion den Eltern auferlegt, iſt die, ihren Kindern eine wahr: 
haft religiöſe Erziehung zu geben. Eine ſolche Erziehung be— 
ſteht aber keineswegs bloß in einem theoretiſchen Religions— 
unterricht, ſondern in dem geſammten Einfluſſe des religiöſen 
Geiſtes, der das Kind in Schule und Haus umgibt. Daher 
haben chriſtliche Eltern das Recht und die Pflicht, von der 
Schule zu fordern, daß dieſelbe von dem religiöſen, alſo wo es 
ſich um katholiſche Kinder und Eltern handelt, katholiſchen 
Geiſte durchdrungen ſei, wie Haus und Familie. Der Lehrer 
hat einen noch weit weſentlicheren und höheren Beruf, als bloß 
den, den Kindern gewiſſe Kenntniſſe mitzutheilen; er ſoll der 
Stellvertreter und Gehilfe der Eltern in der chriſtlichen Er— 
ziehung ihrer Kinder ſein. Das ſind Wahrheiten, worüber 
unter religiöſen und vernünftigen Menſchen aller Confeſſionen 
kein Streit beſteht und beſtehen kann. Die Kirche, als die 
von Gott beſtellte oberſte Pflegerin des religiöſen Lebens, hat 
es demgemäß zu allen Zeiten als die erſte aller ihrer Pflichten 
betrachtet, die Heiligkeit der chriſtlichen Ehe zu ſchützen, das 
chriſtliche Familienleben durch alle ihr zu Gebote ſtehenden 
Mittel zu heiligen, insbeſondere durch gute Schulen den 
Eltern die chriſtliche Erziehung ihrer Kinder zu ermöglichen 
oder zu erleichtern. Der Staat hat, ſeitdem Europa chriſtlich 
geworden iſt, d. h. ſeitdem die gegenwärtigen Völker und 
Staaten Europa's in einem geſitteten Zuſtande beſtehen, die 
aus den bisher entwickelten Grundſätzen fließenden Rechte der 
chriſtlichen Familie und der chriſtlichen Kirche als unantaſtbare 
und unzweifelhafte anerkannt. Dem entſprechend hat er die 
chriſtliche Ehe auch als bürgerlich giltig anerkannt und 
ſich in ſeiner Geſetzgebung und Jurisdiction lediglich mit 
den bürgerlichen Folgen der Ehe befaßt. Er hat ferner 
den religiöſen Character der Schule anerkannt und es als ein 
Grundrecht aller Confeſſionen ſanctionirt, daß jede Confeſſion 
ihre Confeſſionsſchulen beſitze. Hiemit iſt von ſelbſt gege— 
ben, daß jede Confeſſion auf ihre Schulen jenen ganzen Ein— 
fluß zu beanſpruchen berechtigt iſt, welcher zur Verwirklichung 
einer religiöſen Erziehung nach den Grundſätzen der betreffen— 
den Confeſſion nothwendig iſt. Dadurch beeinträchtigt ſie das 
Recht, welches der Staat an die Schule hat, und die In— 
tereſſen einer tüchtigen Bildung zu den Zwecken des bürger— 
lichen Lebens in keiner Weiſe, vielmehr wird dadurch, daß die 


207 


Religion alle Tugenden in den Herzen der Kinder pflegt, was 
keine bloß äußere Disciplin und philoſophiſche Moral vermag, 
das geſammte Werk der Bildung in jeder Beziehung ge— 
fördert. Gegen dieſen ganzen unvordenklichen, durch alle poſi— 
tiven Rechtsbeſtimmungen gewährleiſteten Beſitzſtand der chriſt— 
lichen Confeſſionen — und die Juden genießen im Ganzen in 
dieſer Beziehung ganz dieſelben Rechte — iſt jene Bewe— 
gung gerichtet, welche obligatoriſche Civilehe, Tren— 
nung der Schule von der Kirche und Communal— 
ſchulen verlangt. Auf dieſem Felde vorzugsweiſe hat das 
chriſtliche Volk für ſein eigenſtes chriſtliches Recht und für ſein 
heiligſtes Intereſſe, ja wenn man es recht nimmt, für ſeine 
eigene Fortexiſtenz zu kämpfen — denn das chriſtliche Volk 
beſteht als chriſtliches fort hauptſächlich durch die chriſtliche 
Ehe und die chriſtliche Schule. 

Das neue Religionsgeſetz führt nun allerdings weder die 
obligatoriſche Civilehe, noch die abſolute Trennung 
von Schule und Kirche und die religionsloſe Com: 
munalſchule förmlich und ausdrücklich ein; — allein wer 
kann ſich darüber einer Täuſchung hingeben, daß der Geiſt, 
welcher bei Erlaſſung dieſes Geſetzes herrſchte, auf dieſe Ziele 
hinſteuert und daß bereits das gegenwärtige Geſetz durch ſeine 
Beſtimmungen den Weg bahnet? 

Der Art. 13. beſtimmt: „Das öffentliche Unterrichtsweſen 
wird, abgeſehen von den Beſtim mungen des Art. 14., aus ſchließ⸗ 
lich vom Staate geleitet.“ 

Der Art. 14. aber beſtimmt: „Den Religionsunterricht 
überwachen und beſorgen die Kirchen- und Religionsgemein— 
ſchaften für ihre Angebörigen, jedoch unbeſchadet der einheit— 
lichen Leitung der Unterrichts- und Erziehungsanſtalten.“ 

„Ein Geſetz ordnet das ganze Unterrichtsweſen.“ 

„Ueber Eheſchließung, religiöſe Kindererziehung, Standes— 
buchführung wird das Verhältniß der Kirchen- und Religionsge— 
meinſchaften unter ſich und zum Staate durch beſondere Ge— 
ſetze geordnet.“ 

Wir ſehen, das Geſetz ſichert den Kirchen- und Religions— 
gemeinſchaften kein anderes Recht, als bloß das der Ueber— 
wachung und Beſorg ung des Religionsunterrichtes.“ 
Es iſt ein Beweis, bis zu welchem Grade es mit der Knech— 
tung der Kirche unter der Herrſchaft des Staatskirchenthums 
gekommen war, daß wir dieſe Beſtimmung als einen Fortſchritt 


208 


anerkennen müſſen: denn die Zeit iſt nicht fern, wo der Staat 
ſelbſt den Religionsunterricht mehr oder weniger in ſeine Hand 
genommen, und in Beziehung auf den höheren Unterricht iſt auch 
heute noch lange nicht die Erkenntniß vollſtändig durchgedrungen, 
daß auch die Religionslehrer an Gymnaſien und die Profeſſoren 
der Theologie an Hochſchulen nicht im Auftrag des Staates, 
ſondern nur im Namen der Kirche Unterricht ertheilen können. 

Allein daß die Ueberwachung und die Ertheilung des Re— 
ligionsunterrichtes als Recht der Kirche anerkannt iſt, iſt den 
natürlichen und poſitiven Rechten der Kirche und der Eltern 
durchaus nicht genügend. Daß jede Confeſſion ihren Reli— 
gionsunterricht ſelbſt beſorgt, verſteht ſich von ſelbſt. Dieſes 
Recht leugnen oder beſchränken, ſtünde dem Verbote und der 
Vernichtung der Religion ſelbſt gleich. Allein die chriſtlichen 
Confeſſionen und Kirchen haben nicht bloß das Recht, daß der 
Staat ſie am Religionsunterricht nicht hindere, ſondern ſie 
haben das Recht zu fordern, daß die Schule zur religiöſen Er— 
ziehung der Kinder, im Geiſte und nach den Grundſätzen einer 
jeden Confeſſion, poſitiv mitwirke und daß der Kirche jene Stel— 
lung zur Schule eingeräumt werde, welche dazu nothwendig und 
ihr durch Recht und Herkommen gewährleiſtet iſt. Davon 
redet aber das Geſetz kein Wort: im Gegentheil, es ſpricht dem 
Staat ausſchließlich die Leitung der Schule zu. Es hängt alſo 
lediglich von dem Willen des Staates ab, jeden Einfluß der 
Religion von der Schule auszuſchließen, alle katholiſchen und 
proteſtantiſchen Schulen des Landes in confeſſionsloſe Commu— 
nalichulen zu verwandeln, in katholiſchen Gemeinden nichtka— 
tholiſche oder irreligiöſe Lehrer anzuſtellen. Noch mehr, die 
Kammer wird ein Geſetz geben und kann, ſo oft ſie will, ein 
neues geben, wodurch das geſammte Unterrichtsweſen organiſirt 
wird. Nichts ſteht im Wege, daß ſelbſt der Religionsunterricht 
von dem Schulplane ausgeſchloſſen oder daß ihm nur eine ſo 
geringe und ungünſtig gelegene Zeit eingeräumt wird, daß das 
Wirken des Religionslehrers nichts als ein vergebliches Ringen 
gegen die religiöſe Unwiſſenheit und religiöſe Verwilderung der 
Schüler ſein und bleiben wird. Es ſteht nichts im Wege, eine 
von der Kirche und ſelbſt von den höheren Staatsbehörden 
unabhängige Schulbehörde mit religionsloſen Schullehrerſemi— 
narien zu ſchaffen und fo einen den Prinzipien einer glaubens— 
loſen Aufklärung principiell huldigenden Lehrkörper neben Kirche 
und Staat hinzuſtellen. Und das iſt nicht bloß möglich, ſon— 


209 


dern das wird wirklich von der Partei des ſogenannten Fort— 
ſchrittes mehr oder minder angeſtrebt. Dann würden nicht 
mehr die chriſtlichen Confeſſionen die Schulen irgend wie be— 
einfluſſen, noch würde der confeſſionell chriſtliche Geiſt die 
Schulen durchdringen, dagegen wäre ein dem poſitiven Chriſten— 
thum ſpecifiſch feindlicher, mit den modernen Secten aber innigſt 
verwandter Rationalismus unumſchränkter Herr der Schule und 
die chriſtlichen Eltern wären vermöge des Schulzwangs genö— 
thigt, ihre Kinder dieſer modernen Kirche der Aufklärung an: 
zuvertrauen. j 

Dieſe Schule würde dann den Kindern nicht den Geiſt 
der chriſtlichen Familie und der Kiche, welcher ſie angehören, 
ſondern den Geiſt dieſes Rationalismus einpflanzen, um ihn 
dann in entſprechenden Fortbildungsſchulen und Vereinen weiter 
zu entwickeln — und die chriſtlichen Eltern und die in ihren 
Kräften und Thätigkeiten möglichſt gelähmte Kirche würden 
vergeblich mit der Uebermacht der Schule ringen. 

Wir ſehen, was wir nicht oft genug wiederholen können, 
hier haben wir es wiederum nicht etwa mit Rechten und In— 
tereſſen des Staates zu thun, und wenn die Kirche und das 
chriſtliche Volk für die Erhaltung und Rettung der chriſt— 
lichen Schulen auftritt, ſo kämpfen ſie nicht gegen den Staat, 
ſondern gegen den aus allen Religionen und Confeſſionen ſich 
rekrutirenden modernen Unglauben, der vermittelſt der Schule 
die Welt umgeſtalten und ſeine geiſtige Alleinherrſchaſt begründen 
will. Da gilt es alſo, daß die chriſtliche Kirche und die chriſt— 
liche Familie die ganze Größe der Gefahr erkenne und mit 
unerſchütterlicher Feſtigkeit für das Heiligthum der chriſtlichen 
Erziehung einſtehe — ſonſt könnte es geſchehen, daß, wäh— 
rend die Chriſten in Indien und China“ chriſtliche Schulen 
haben; während der Guſtav-Adolphsverein dafür beſorgt iſt, 
im katholiſchen Deutlſchtand, wo auch nur eine noch To Kleine 
proteſtantiſche Gemeinde beſteht, auch eine proteſtantiſche Schule 
zu gründen, und während umgekehrt die zerſtreuten Katholiken 
im proteſtantiſchen Deutſchland mit den ſchwerſten Opfern 
und mit den Almoſen ihrer katholiſchen Mitbrüder katho— 
liſche Schulen gründen und eine katholiſche Schule für ein 
größeres Bedürfniß anſehen, als ſelbſt eine katholiſche Kirche 
und Seelſorgsſtelle — wir ſagen, es könnte dahin kommen, 
daß die Katholiken im alten Mainzer Lande, wo das Schul— 


weſen unter der Pflege der Kirche ſchon frühzeitig eine hohe 
Heinrich, Der Kampf der Kirche. 14 


210 


Blüthe erlangte, wo namentlich in der Stadt Mainz reiche, 
katholiſche Schulſtiftungen beſtehen, keine katholiſchen Schulen 
mehr hätten, daß da, wo ſie die Minderheit bilden, nicht bloß 
im öffentlichen Leben, ſondern auch in der Schule der Prote— 
ſtantismus, anderwärts aber eine indifferentiſtiſche Aufklärung 
herrſchte “). 

Aber auch bezüglich der chriſtlichen Ehe gibt das Geſetz 
nicht bloß keine Gewähr, ſondern es ſtellt vielmehr eine neue 
Ehegeſetzgebung in Ausſicht — und es iſt wenigſtens wahr— 
ſcheinlich, daß die dermalige Kammer die obligatoriſche Ci— 
vilehe einführen werde, obwohl die Mehrzahl der prote— 
ſtantiſchen Deputirten aus den jenſeitigen Provinzen dieſe Wahr: 
ſcheinlichkeit als minder groß erſcheinen läßt. 

Im Großherzogthum Heſſen erſcheint die Einführung der 
Civilehe um ſo leichter, da dieſelbe bereits vermöge der fran— 
zöſiſchen Geſetzgebung auf dem linken Rheinufer beſteht und hier 
die Bevölkerung ſich daran gewöhnt hat. Um jo nothwen⸗ 
diger ſcheint es mir, wenigſtens einige Worte über dieſen Ge— 
genſtand beizufügen. 

Vor Allem nehme ich keinen Anſtand, auszuſprechen, daß 
es einen Zuſtand gibt, der ſchlimmer iſt, als die Civilehe, wie 
ſie in Frankreich beſteht. Das wäre nämlich da der Fall, wo 
der Staat ſich die Ehegeſetzgebung und Chegerichtsbarkeit an: 
eignete, daneben aber die kirchliche Trauung als eine nothwen— 


1) Daß die confeſſionell gemiſchten Communalſchulen nicht bloß in 
religiöſer und ſittlicher, ſondern auch in pädagogiſcher Beziehung ver: 
werflich find, iſt von allen angeſehenen Schulmännern aller Confeſſionen, 
mit Ausnahme weniger, die offenbar mehr durch ihre religiöſe Rich— 
tung als durch pädagogiſche Gründe geleitet werden, anerkannt. Einer 
der angeſehenſten deutſchen Schulmänner und pädagogiſchen Schriftſteller, 
Hermann Rolfuß, hat in ſeiner jüngſt bei KRupferberg in Mainz 
erſchienenen kleinen Schrift „Wider die Com munalſchulen“ durch 
evidente Gründe nachgewieſen, daß die Communalſchulen 1) für Erziehung und 
Unterricht nachtheilig wirken; 2) die Würde des Lehrerſiandes ſchmälern, 
3) das Recht der Gemeinde, der Familie und der Kinder beeinträchtigen; 
4) das wahre Intereſſe des Staates und den religiöjen Frieden keines— 
wegs befördern, ſondern gefährden und erfahrungsmäßig zur Verletzung 
der Parität führen. Wir verweiſen auch auf die bei Hamacher in Frank— 
furt a. M. erſchienene treffliche Schrift eines Lehrers über die Mainzer 
katholiſchen Schulverhältniſſe und auf die Schriften von Moufang und 
Fluck über denſelben Gegenſtand. 


211 


* 


dige und vom Staate gebotene Förmlichkeit beſtehen bliebe. 
Denn das iſt eine grobe Täuſchung des Volkes und eine mit 
beſtändigen Gewiſſens verletzungen für die katholiſchen Geiſt— 
lichen verbundene Knechtung der Kirche. Denn nicht die bloße 
Form der kirchlichen Trauung macht die Ehe zu einer chriſt— 
lichen, ſondern ihre materielle Uebereinſtimmung mit den Grund— 
ſätzen der Kirche. Einem ſolchen Zwitterzuſtande iſt Civilehe 
verbunden mit der Unabhaͤngigkeit der Kirche bezüglich der 
Ertheilung der Trauung und der kirchlichen Giltigkeit der Ehe 
ſicherlich vorzuziehen. 

Allein das ändert an der Wahrheit nichts, daß die Ci— 
vilehe die heiligſten Rechte der chriſtlichen Confeſ— 
ſionen verletzt, daß ſie höchſt verderblich für die 
chriſtliche Sitte wirkt, daß ſie das Inſtitut der Ehe 
ſelbſt herabwürdigt und daß es keine ſtichhaltigen 
Gründe gibt, welche für deren Ein führung 
ſprechen). f 


1) Statt einer weitläufigeren Erörterung wollen wir aus einem ſo 
eben erſchienenen eminenten Werke eines Koryphäen der deutſchen Rechts— 
wiſſenſchaft eine Stelle anführen. „Da ſowohl die Kirche wie der Staat 
an der förmlichen Abſchließung der Ehe ein Intereſſe haben, ſo führt die— 
ſes, wenn beide Sphären völlig geſchieden gedacht werden, zu einer dop— 
pelten Trauung, der kirchlichen und der bürgerlichen. Dadurch wird aber 
auch möglich, daß eine Verbindung kirchlich eine Ehe ſei, bürgerlich aber 
nicht, und umgekehrt; woraus aber für die Ehegatten und für den Staat 
die größten Uebel entſtehen. Deßhalb iſt eine Uebereinſtimmung inſofern 
gerade wünſchenswerth. Denkbar iſt hier, daß die Kirche die bürgerliche 
Trauung als eine hinreichende Beglaubigung auch in ihrem Forum an— 
ſieht. Allein ſich auch in materieller Beziehung der bürgerlichen Ehegeſetz— 
gebung unbedingt unterwerfen, kann ſie nicht. Umgekehrt aber kann das 
bürgerliche ſich dem kirchlichen Eherecht, nicht bloß in formeller, ſondern 
auch in materieller Hinſicht leicht unterwerfen, weil das kirchliche Eherecht 
nicht bloß das fein ausgebildete römiſche bürgerliche Eherecht in ſich auf— 
genommen, ſondern auch durch die Beimiſchung des chriſtlichen Elementes 
gereinigt und veredelt hat, ſo daß es dem juriſtiſchen und ſittlichen Be— 
dürfniß der bürgerlichen Geſellſchaft durchaus entſpricht. Dieſe Harmonie 
hat die Kirche in der That ſeit dem achten Jahrhundert erkämpft und in 
den Sitten eingeführt. In der neueſten Zeit hat man jedoch dieſe heil— 
ſame, tief in das chriſtliche Bewußtſein eingedrungene Uebereinſtimmung 
wieder zu zerreißen und unter dem Vorwande der religiöſen Freiheit die 
religiöſe Gleichgiltigkeit auch in das Heiligthum der Familie durch die Er: 
findung einer von der Kirche ganz unabhängigen Civiltrauung einzuführen 

1 


212 

Vor Allem möchte ich den erſten Geſichtspunkt hervorheben, 
daß nämlich die Katholiken ein durch tauſendjährigen Beſitzſtand 
geheiligtes Recht darauf haben, daß die Ehen, welche nach 
ihrem Glauben vor Gott giltige Ehen find, auch 
von dem Staate als ſolche anerkannt werden 
und daß kein Staatsgeſetz ihrem Gewiſſen in dieſen heiligſten 
Verhältniſſen des menſchlichen Lebens einen Zwang anthue. 

Auch kann es offenbar kein Syſtem des Eherechtes geben, 
das mehr dem Grundſatze der Freiheit und insbeſondere der 
Gewiſſensfreiheit entſpricht, als wenn in Sachen der 
Ehe Jeder nach den Grundſätzen ſeiner Confeſſion und mithin 
ſeiner eigenen Ueberzeugung beurtheilt wird. Dadurch wird auch 
offenbar die Heilighaltung der Ehe und die Ehr— 
furcht vor derſelben am meiſten geſördert, während nichts 
mehr zur allmähligen Herabwürdigung des ehelichen Verhält— 
niſſes dienen kann, als wenn es auf die wechſelnde Geſetzge— 
bung eines jeden beliebigen Staates gebaut wird. Wenn 
der Staat auch Solche, die keiner anerkannten Confeſſion ange— 
hören oder die überhaupt religionslos ſind, in feinem Schoße 
duldet, ſo genügt es für ſie, die Bedingungen einer bürgerlich 
giltigen Ehe und eine bürgerliche Trauung ſeſtzuſetzen; — da— 
gegen iſt es ein ſchmählicher Gewiſſenszwang, um ihretwillen 
die chriſtliche Ehe bürgerlich nicht anzuerkennen und die tief: 
ten Gefühle des chriſtlichen deutſchen Volkes 


geſucht. Allein aus der religiöſen Freiheit folgt nur dieſes, daß, wenn 
das bürgerliche Geſetz Diſſidenten oder bürgerliche, mit dem Kirchengeſetz 
nicht übereinſtimmende Eheſcheidungen zuläßt, es auch die Chen ſolcher 
Diſſidenten oder geſchiedenen Ehegatten möglich machen und dafür aus— 
nahmsweiſe eine Civiltrauung zulaſſen muß. Nicht aber folgt daraus, 
daß, wenn es ſolche Ehen nicht auf den chriſtlichen Standpunkt erhöhen 
kann, es ihnen zu Gefallen die Ehen der pflichttreuen Chriſten zu dem 
bloß bürgerlichen Geſichtspunkt erniedrige und ſo ſelbſt die chriſtliche Ge— 
ſinnung im Volke und in der Familie untergraben helfe.“ In einer Note 
fügt der Verfaſſer bei: „Wenn die Einführung der Civilehe in einigen 
Ländern zur Zeit noch nicht alle nachtheiligen Wirkungen hervorgebracht 
hat, ſo liegt dieſes darin, daß die religiöſe Sitte noch ſtärker iſt, als die 
Verlockung des bürgerlichen Geſetzes. Es liegt vor Allem darin, daß auch 
das gegen die Religion gleichgiltige Vaterherz doch die Ehre und Zukunft 
der Tochter dem Manne nicht ohne die Garantie der Religion über: 
geben will.“ — Naturrecht und Politik im Lichte der Gegen— 
wart, von Ferdinand Walter. Bonn bei Markus 1863. — 
S. 126. t 


— 


213 


zu verletzen: denn das ſteht unzweifelhaft feſt — das 
deutſche chriſtliche Volk will keine Civilehe, mögen 
auch die Wortführer der öffentlichen Meinung in Schrift und 
Rede jagen, was fie wollen!). 


14. Das Unterrihtswelen ). 


Der Art. 13. ſpricht den Grundſatz aus: „das öffentliche 
Unterrichtsweſen wird, abgeſehen von den Beſtimmungen des 
Art. 14., ausſchließlich vom Staate geleitet. Andere Unter— 
richts⸗ und Erziehungsanſtalten, auch die der Kirchen- und Re— 
ligionsgemeinſchaften, ſtehen unter der Oberaufſicht der Staats: 
regierung.“ 


1) Nur in einer Note wollen wir noch den Punkt über die religiöſe 
Erziehung der Kinder berühren, worüber bereits ein von der Regierung 
vorgelegter Geſetzentwurf in der Kammer berathen und emendirt wurde. 
Hiernach ſoll der Vater allein, nach deſſen Tod die Mutter, jedoch mit Zu— 
ſtimmung des Vormundes, die religiöſe Erziehung der Kinder beſtimmen. 
Alle Verträge über dieſen Punkt und jede Einwirkung auf die Eheleute 
deßfalls ſollen verboten ſein. Dieſe Beſtimmung enthält theilweiſe einen 
Fortſchritt gegenüber der früheren Geſetzgebung, allein entſpricht nach un— 
ſerer Ueberzeugung keineswegs vollkommen den Grundſätzen des natürlichen 
Rechtes und des chriſtlichen Geiſtes. Es ſcheint uns, daß der Staat, was 
die religiöſe Erziehung der Kinder betrifft, keinen Grund hat, irgend etwas 
anderes feſtzuſetzen, als lediglich, wie es im Falle der Uneinigkeit 
zwiſchen beiden Ehetheilen zu halten iſt. In dieſem Falle ſteht 
nach dem natürlichen Rechte dem Vater, als Haupt der Familie, die Ent: 
ſcheidung zu. Es genügt für den Staat vollkommen an dieſem Grund— 
ſatze. Die Beſchränkung der überlebenden Mutter entſpricht ſicherlich we— 
der dem natürlichen noch dem chriſtlichen Rechte, indem nach beiden auf die 
Mutter wie die volle elterliche Verantwortlichkeit, auch die volle Gewalt 
übergeht. Das Verbot eines Vertrages und die Verpönung jeglicher E'n: 
wirkung auf die Eheleute ſcheint gegen die Kirche gerichtet zu fein, welche 
im Fall gemiſchter Che als Bedingung der kirchlichen Trauung die Er— 
ziehung der Kinder in der katholiſchen Religion verlangt, ein Grund— 
ſatz, der auch von der Mehrheit der Proteſtanten feſtgehalten wird. Vom 
Standpunkt des Glaubens aus läßt ſich ſicherlich nichts dagegen ein— 
wenden, und vom Standpunkte des Rechtes und der Freiheit aus kann we— 
der eine bloß moraliſche Einwirkung noch ein freiwilliges Verſprechen ver— 
boten werden. Der Staat kann allerdings derartige Verträge für juriftifch 
nicht giltig oder verbindlich erklären, jedoch ſcheint uns eine ſolche Beſtim— 
mung keineswegs in der natürlichen Gerechtigkeit begründet. 

2) Wir wollen hier das oben von der Schule im Zuſammenhang mit 
der chriſtlichen Familie Geſagte einigermaßen ergänzen. 


214 


Der Art. 14. aber ſpricht aus: 

„Den Religionsunterricht überwachen und beſorgen die 
Kirchen- und Religionsgemeinſchaften für ihre Angehörigen, je: 
doch unbeſchadet der einheitlichen Leitung der Unterrichts- und 
Erziehungsanſtalten.“ 

„Die Kirchen- und Religionsgemeinſchaften ſind beſugt, 
Bildungsanſtalten für Diejenigen, welche ſich dem geiſtlichen 
Stande widmen, zu errichten.“ 

„Ein Geſetz ordnet das ganze Unterrichtsweſen.“ 

Durch dieſe Beſtimmungen werden vor Allem alle öffent— 
lichen Unterrichtsanſtalten von der Volksſchule bis zur Uni— 
verſität ausſchließlich der Leitung des Staates unterſtellt und 
jeder Einfluß der Kirche von der Schule grundſätzlich ausge— 
ſchloſſen. | 

Die Art und Weile, Geiſt und Grundſätze, wonach die 
Unterrichtsanſtalten geleitet werden ſollen, ſowie die prak— 
tiſch faſt alles bedingende Organiſation der Schulen und Schul— 
behörden, endlich die Bildung und Wahl der Lehrer will die 
Kammer aber nicht dem Ermeſſen der Regierung anheimſtellen, 
ſondern durch ein Geſetz reguliren. Wie dieſes Geſetz aus— 
fallen werde, können wir nur mit Beſorgniß ahnen. Wenn 
wir bedenken, daß das neue Geſetz den Kirchen- und Reli— 
gionsgenoſſenſchaften lediglich die Beſorgniß und Leitung des 
Religionsunterrichtes zuſpricht, ſo iſt damit bereits gegeben, daß 
jeder andere Einfluß der Religion und Kirche auf die Schule 
ausgeſchloſſen ſein ſoll. N 

Das genügt ſchon, klar zu machen, auch wenn dies nicht 
anderweitig bekannt wäre, daß die zweite Kammer nichts an— 
deres beabſichtigt, als ein durch und durch religions- und con— 
feſſionsloſes Staatsſchulweſen zu organiſiren, an welchem der 
Religionsunterricht nur als ein einzelner Lehrgegenſtand zuge— 
laſſen iſt. | 
Eine kleine Milderung dieſes ſtaatlichen Unterrichtsmong: 
pols liegt einzig in der durch den Art. 13. anerkannten Be⸗ 
fugniß, ſowohl der Einzelnen, als der Corporationen und na— 
mentlich der Kirchen- und Religionsgemeinſchaften, Privatun⸗ 
terrichts- und Erziehungsanſtalten zu gründen und in dem durch 
den Art. 14. beſonders garantirten Rechte zur Errichtung kirch— 
licher Bildungsanſtalten für Diejenigen, welche ſich dem geiſt— 
lichen Stande widmen. 
Di.ieſes kleine Stück von Unterrichts- und Erziehungsfrei⸗ 


215 


beit hat jedoch nur dann einen Werth, wenn das durch den 
Art. 13. vorbehaltene Oberaufſichtsrecht des Staates ſich nicht 
weiter erſtreckt, als überhaupt rechtmäßiger und vernünftiger 
Weiſe das Oberaufſichtsrecht des Staates reicht, nämlich io 
weit es nothwendig iſt, um den Staat gegen politiſche Ge: 
fahren zu ſichern. Würde dagegen dieſes Oberaufſichtsrecht recht 
dazu benutzt, auch bezüglich des Unterrichtes und der Erziehung 
einen beſtimmenden Einfluß zu üben, jo könnte dadurch die ge: 
ringe, hier im Allgemeinen und der Kirche insbeſondere ge: 
währte Freiheit wieder ganz oder theilweiſe illuſoriſch werden. 
Nichtsdeſtoweniger anerkennen wir, daß, Dank der unwiderſteh— 
lichen Macht der Prinzipien der religiöſen und kirchlichen Frei- 
heit und Selbſtſtändigkeit, in dieſem Punkte das gegenwärtige 
Geſetz einen Fortſchritt enthält gegenüber dem von den Regierungen 
in der erſten Hälfte unſeres Jahrhunderts geübten Staats— 
kirchenthum; denn dieſes hat der Kirche nicht einmal die ſelbſt— 
ſtändige Leitung des Religionsunterrichtes und das Recht zur 
Errichtung geiſtlicher Bildungsanſtalten zugeſtehen wollen. 

Wenn aber auch das neue Geſetz in der Befugniß Pri— 
vatſchulen und geiſtliche Bildungsanſtalten zu errichten der 
chriſtlichen Erziehung eine Möglichkeit eröffnet, ſich in be— 
ſchränkten Kreiſen geltend zu machen, jo ändert das nichts an 
dem unermeßlichen Unrecht und Schaden, welche durch das be— 
abſichtigte religions- und confeſſionsloſe Staat 
ſchulweſen den chriſtlichen Confeſſionen und den Katholiken, 
die wir allein näher in's Auge faſſen, zugefügt wird. 

Wir ſagen, es enthalte dieſes ein unermeßliches Unrecht, 
eine Verletzung des poſitiven und des natürlichen Rechtes. 

Nach dem in ganz Deutſchland geltenden gemeinen Rechte 
iſt das geſammte Schulweſen weſentlich eine religiöſe und 
kirchliche Sache. Nicht bloß deßhalb, weil faſt alle niederen 
und höheren Schulen urſprünglich kirchlicher Stif— 
tung waren, ſondern auch, weil allezeit, ſowohl die Katholiken 
als die Proteſtanten von der wohlbegründeten Ueberzeugung 
ausgingen, daß die Jugend durch die Schule nicht etwa bloß. 
einzelne religiös indifferente Kenntniſſe, ſondern ihre ganze 
religibſe und ſittliche Bildung und Geiſtesrich— 
tung empfange. Deßhalb betrachtete jede Confeſſion den Be— 
ſitz ihrer confeſſionellen niederen und höheren Schulen und Lehr— 
anſtalten als unzertrennlich von der Selbſtſtändigkeit und dem Be- 
ſtande ihrer Confeſſion. Deßhalb hat der weſtphäliſche Frieden 


216 


für all die Orte und Gegenden, wo verſchiedene Confeſſionen 
paritätiſch neben einander beſtehen, einer jeden Confeſ— 
ſion gerade ſo wie ihre eigenen Kirchen und deren 
Leitung, auch ihre eigene Schulen und deren 
Leitung garantirt'); und hat jeder Religion, welche öffent— 
liche Religionsübung beſitzt, wie das Recht ihre Geiſtlichen zu 
haben und anzuſtellen, auch das Recht, ihre eigenen Schu— 
len zu haben und die Lehrer anzuſtellen, als ein we⸗ 
ſentliches Zubehör der Religion (annexum religionis) gewähr— 
leiſtet ). 

Dieſes durch den weſtphäliſchen Frieden garantirte Recht 
der in Deutſchland beſtehenden chriſtlichen Confeſſionen iſt aus: 
drücklich auf's Neue durch den Reichsdeputationshauptſchluß von 
1803 aufrecht erhalten und beſteht, wie von allen poſitiven 
Juriſten anerkannt iſt, bis auf den heutigen Tag. 

Wohl wiſſen wir, daß inzwiſchen factiſch große Verände— 
rungen eingetreten ſind, daß überall, beſonders aber in unſerem 
Lande der Staat ſich des Schulweſens angenommen, große 
Mittel darauf verwendet und factiſch deſſen Leitung an ſich ge— 
nommen hat. Es kommt uns auch nicht zu Sinn, die alten 
Zuſtände zu reclamiren oder den Staat von der Leitung des 
Schulweſens auszuſchließen. Aber deßhalb ſind die durch ſo 
viele Staatsverträge und Geſetze und durch unvordenklichen 
Beſitz geheiligten Rechte der chriſtlichen Confeſſionen in ihrer 
Subſtanz nicht vernichtet, wenn auch die alte Form ihrer Aus: 
übung nicht mehr praktiſch iſt; vielmehr können fie, wenn noch 
irgend ein poſitives Recht heilig iſt, verlangen, daß auch in 
dem modernen Schulweſen die Rechte und Inter 
eſſen der chriſtlichen Confeſſionen ihre volle Be— 
rückſichtigung und Vertretung finden und daß ihnen 
deßhalb nicht, jtatt confeſſionell chriſtlicher Schulen und Erzie— 
hungsanſtalten, principiell religions- und confeſſionsloſe aufge— 
zwungen werden; ſie können verlangen, daß ihnen deßhalb in 
der Schule eine ſolche Vertretung und ein ſolcher Einfluß ein— 
geräumt werde, daß ſie die Möglichkeit haben, ihre Rechte 


1} instr. pac. Osnabr. Art V, S. 7. „Templorum tamen et scho— 
larum unienique parti snarum cura integra reservetur.“ 

2) „... eujusmodi annexa habentur institutio consistoriorum, 
ministeriorum tam scholastieorum, quam ecelesiasticorum aliaque simi- 
lie ra.“ 1..cPAr, 7.8. 31. 


217 


und Intereſſen auch zur Geltung zu bringen; das um ſo 
mehr, da ſie hiezu nicht bloß nach poſitivem, ſondern auch 
nach natürlichem Rechte befugt ſind. 

Denn das erſte natürliche Recht aller Confeſſionen beſteht 
darin, daß die Jugend eine den Grundſätzen der 
betreffenden Confeſſion entſprechende Erzie⸗ 
hung erhalte; eine ſolche aber können ſie nur in confeſ— 
ſionellen Schulen durch Lehrer und Erzieher empfangen, welche 
der betreffenden Religion mit Ueberzeugung ergeben ſind 
und das Vertrauen der Kirche und der Eltern genießen. 
Da nun die Geſammtheit der Bewohner des Landes, eine 
faſt ausſchließlich den Städten angehörende Minorität abge— 
rechnet, nicht aus con feſſionsloſen Aufgeklärten beſteht, welche 
eine confeſſionsloſe Erziehung ihrer Kinder wollen, und da 
ſie, abgeſehen von den von ihnen und ihren Voreltern 
gemachten Stiftungen, den unvergleichlich größten Theil der 
Staats⸗ und Gemeindeſteuern zahlen, aus welchen das öffent: 
liche Schulweſen beſtritten wird, ſo haben ſie auch das 
Recht, confeſſionelle Schulen zu fordern, haben das Recht, daß 
ihre Kirche und Confeſſion auf die Schule jenen ganzen Ein— 
fluß ausübe, welcher im Intereſſe der religiöſen Erziehung der 
Jugend nothwendig iſt. 

Nun haben freilich Diejenigen, welche die confeſſionsloſe 
Staatsſchule erſtreben, die Behauptung als Axiom aufgebracht, 
dem Intereſſe der Confeſſionen ſei durch den 
Religionsunterricht genügt, die übrigen Lehr⸗ 
gegenſtände ſeien ja nicht confeſſionell. Allein 
dieſer Einwand iſt eine Unwahrheit, wodurch ſich nur gedan— 
kenloſe Oberflächlichkeit kann täuſchen laſſen. Die confeſſions— 
loſe Staatsſchule, die man will, iſt freilich weder gläubig 
katholiſch, noch gläubig proteſtantiſch, aber ſie iſt um ſo 
entſchiedener jener dritten Geiſtesrichtung und, wenn man will, 
Religion zugethan, welche in unſerer Zeit durch den Staat zur 
geiſtigen Alleinherrſchaft kommen möchte, nämlich dem natu— 
raliſtiſchen Rationalismus. Alle Proteſtationen und 
Verſicherungen können gegen dieſe Thatſache eben jo wenig ver: 
fangen, als noch ſo ſpeciöſe Scheingründe. An der projectirten 
confeſſionsloſen Staatsſchule wird der indifferentiſtiſche Rationa— 
lismus, wie in Lehrkörper, ſo im Lehrplane und der Lehrmethode 
und vor Allem im ganzen Geiſte der Erziehung herrſchen und 
dieſe Schule wird, ſo viel an ihr iſt, die Kinder des chriſtlichen 


218 


Volkes weder zu gläubigen Katholiken, noch zu gläubigen Prote⸗ 
ſtanten, ſondern zu Rationaliſten und Indifferentiſten erziehen. 
Dieſe Schule wird nicht eine Gehilfin der Kirche und der chriſt— 
lichen Familie, ſondern eine principielle Feindin beider, eine Kirche 
des Indifferentismus und Rationalismus und das wirkſamſte 
Mittel zu einer allmähligen Entchriſtlichung des Volkes und Un— 
tergrabung der chriſtlichen Confeſſionen ſein. Dieſes iſt die Sach— 
lage. In unſerer Zeit iſt der größte und höchſte Gegenſatz nicht 
der zwiſchen den verſchiedenen chriſtlichen Confeſſionen, nicht einmal 
der zwiſchen den verſchiedenen irgend welche übernatürliche Welt— 
ordnung anerkennenden Religionen, ſondern der zwiſchen Chriſten— 
thum reſp. Religion und Unchriſtenthum reſp. Naturalismus. 
Die Vertreter des letzteren möchten nun folgende Theilung machen: 
ſie wollen vor der Hand den Confeſſionen die Kirchen und die Re— 
ligionsſtunden laſſen, für ſich aber die Schule ausſchließlich in 
Beſitz nehmen. Das iſt aber eine Löwentheilung und der bitterſte 
Hohn auf religiöſe und kirchliche Freiheit. Der Rationalismus 
tritt vor die chriſtlichen Eltern und Kirchen hin und ſpricht: Seid 
dankbar, ich will euch auch fortan erlauben, daß ihr mit euren 
Kindern in eure Kirchen geht; daß auch eure Geiſtlichen dieſelben 
in einigen Stunden in der Religion unterrichten. Dagegen die 
ganze übrige Erziehung eurer Kinder werde ich leiten, von den 
erſten Elementen an bis zur Hochſchule. Wehe den gläubigen 
Chriſten aller Conſeſſionen, wehe vor Allem den Katholiken, wenn 
der Staat ſich dazu hergibt, mit ſeiner Macht und ſeinen immenſen 
Mitteln, mit welchen zu concurriren ſelbſt der größten Opferwillig⸗ 
keit unmöglich iſt, dieſen Plan durchzuführen! 

„Aber, wird man einwenden, der Geiſt der Zeit iſt für dieſen 
Plan, und mag es wahr ſein, daß die confeſſionsloſe Schule nicht 
das confeſſionelle Chriſtenthum, ſondern den Rationalismus, wie 
man es nennt, fördert, es iſt nun einmal der Rationalismus 
der herrſchende Geiſt der Zeit. Die „gebildete Welt“ iſt nicht gläu> 
big, ſondern rationaliſtiſch und gegen confeſſionelle Unterſchiede 
indifferent und fie will, daß in dieſem Geiſte auch die Jugend er— 
zogen werde.“ 

Wir entgegnen, ja es iſt wahr, der Staatsabſolutismus der 
Aufklärungsperiode, mag er durch Fürſten oder, wie in der fran— 
zöſiſchen Revolution, durch revolutionäre Behörden geübt worden 
ſein, hat namentlich durch Hilfe der mittleren und höheren und 
in gewiſſen Perioden ſelbſt der niederen Schulen eine große Ent— 
chriſtlichung oder doch eine große religiböſe Verwirrung und Ver⸗ 


4 


219 


ſchwommenheit der Gemüther zu Stande gebracht, aber nichts⸗ 
deſtoweniger iſt jene Rede von der Veraltung des poſitiven Chri— 
ſtenthums und der geiſtigen Herrſchaft des Rationalismus eine 
hohle Prahlerei. Die unendliche Mehrheit und der geſunde Kern 
des Volkes, namentlich des katholiſchen Volkes, iſt gläubig, wie ſeine 
Väter waren und auch in den gebildeten Klaſſen ſind nicht bloß 
noch große Ueberreſte des alten Glaubens vorhanden, ſondern 
im Gegentheil hat in ihnen nicht der Unglaube, der heute reagirt, 
ſondern der Glaube Fortſchritte gemacht. Daher iſt es eine 
Anmaßung und Vergewaltigung ohne Gleichen, wenn der Ra— 
tionalismus die Schule in ſeinen Alleinbeſitz nehmen und durch 
ſie das verlorene Terrain und allmählich die Alleinherrſchaft, die 
er nicht beſitzt, ſich erobern will. Wenn aber der Staat ſich das 
zu hergäbe, ihm zu dieſem Siege zu verhelfen, ſo würde er die hei⸗ 
ligſten Pflichten der Gerechtigkeit verletzen und, während er der 
Schützer der chriſtlichen Confeſſionen und ihrer Rechte ſein ſoll, 
ſich zu einem Feinde derſelben machen. Er würde aber auch ſeine 
weſentlichſten Intereſſen verletzen, ſeine tiefſten Grundlagen un— 
tergraben, ein raſches Verderben ſich ſelbſt bereiten. Denn wenn 
das chriſtliche Volk mit ſeinen Geſinnungen und ſeiner Treue nicht 
mehr wäre, wenn nicht noch immer, trotz aller Beſchädigungen, 
die alten Fundamente chriſtlichen Glaubens und chriſtlicher Sitte 
die öffentliche Ordnung trügen — jo würde jener allgemeine Um— 
ſturz ſofort erfolgen, auf welchen ſo manche Träumer hoffen, weil 
ſie meinen, dann werde eine neue Welt ſich auferbauen, während 
doch nur ein Chaos heidniſcher Entartung übrig bliebe. 

Aber welche Anforderungen ſtellen wir denn an den Staat 
bezüglich des Unterrichtsweſens? Wir wollen keineswegs dem 
modernen Staate, zumal unſerem Staate, der religiös ſo ſehr ge— 
miſcht und in dem die Mehrzahl proteſtantiſch iſt, jene Anſchau⸗ 
ungen und Grundſätze aufdringen, welche wir vom rein katholi— 
ſchen Standpunkte aus als die richtigen erkennen und welche in 
einem rein katholiſchen Lande zur Anwendung kommen können. 
Wir ſind auch weit entfernt zu meinen, es könne die Schulfrage 
in einer allen Rückſichten entſprechenden und allen Pflichten nnd 
Intereſſen des Staates genügenden Weiſe durch eine abſtrakte 
und eben deßhalb einſeitige Theorie gelöſt werden; dagegen ſind 
wir davon auf's Innigſte durchdrungen, weil wir es klar einſehen, 
daß es einige ſehr einfache, praftifche und thatſächlich ſich auf: 
nöthigende Prinzipien gibt, durch deren unpartheiiſche und red— 
liche Verwirklichung das Unterrichtsweſen zur Zufriedenheit der 


220 


billig denkenden Männer aller Anſichten und Parteien ſich regeln 
läßt. 

Die erſte Regel heißt: für das öffentliche Schulweſen 
Gerechtigkeit, Wohlwollen, Parität gegenüber den ver— 
ſchiedenen chriſtlichen Confeſſionen. 

Die zweite Regel heißt: größtmögliche Freiheit 
des Unterrichts und der Erziehung für Alle, ſo weit 
es die Rechte Dritter und die Intereſſen der öffentlichen Ordnung 
und Sittlichkeit geſtatten. 

Die chriſtlichen Confeſſionen, insbeſondere die katholiſche 
Kirche werden dem Staate nicht zumuthen, daß er das während faſt 
eines Jahrhunderts durchgebildete ſtaatliche Unterrichts- und 
Schulweſen aufgebe und, wie ehemals der Fall war und unter 
anderen Umſtänden nach großen geſchichtlichen Umwälzungen 
auch wieder der Fall ſein könnte, das geſammte Lehr- und Er: 
ziehungsweſen, jei es der Kirche, ſei es der Freiheit der Einzelnen 
und Familien, ſei es beiden zugleich, anheimſtelle. Allein wenn 
die chriſtlichen Confeſſionen die beſtehenden Rechte, die Stellung 
und die Verdienſte des Staates bezüglich der Schule im vollſten 
Maße anerkennen, ſo haben ſie dagegen auch das Recht, im Namen 
der Kirche und der chriſtlichen Familie zu verlangen, daß der 
Staat, eben deßhalb, weil er im Beſitze der öffentlichen Schule iſt, 
auch dafür ſorge, daß die chriſtliche Jugend der verſchiedenen 
Confeſſionen in confeſſionell chriſtlichen Schulen eine 
confeſſionellchriſtliche Erziehung finde. Dieſer Grund— 
ſatz iſt auch von allen europäiſchen Staaten, vorübergehende revo: 
lutionäre Störungen abgerechnet, ſtets anerkannt worden. 

Es verſteht ſich auch von ſelbſt, daß, wo confeſſionelle Schul— 
ſtiftungen beſtehen, dieſelben heilig zu halten ſind und daß es ein— 
fach ein Raub wäre, katholiſche oder proteſtantiſche Stiftungen zu 
anderen als katholiſchen oder proteſtantiſchen Schulzwecken zu 
verwenden. 

An Lehranſtalten des Staates, welche, wie namentlich die 
Hochſchule, einen paritätiſchen Character haben, iſt die 
Parität gewiſſenhaft zu handhaben. Wir Katholiken können daher 
fordern, daß in Beſetzung der Lehrſtühle und in dem Vortrage 
jener Fächer, welche die Religion berühren, auch auf uns die billige 
Rückſicht genommen werde. 

Auch können Katholiken und Proteſtanten fordern, daß an 
der Hochſchule, welche die einem wiſſenſchaftlichen Beruf ſich zuwen— 
denden Söhne der chriſtlichen Familien des Landes beſuchen 


221 


müſſen, nicht dasjenige, was allen Chriſten heilig ift, unter dem Vor: 
wande der Wiſſenſchaft verunglimpft und daß nicht von einer fals 
ſchen Wiſſenſchaft die Fundamente der Wahrheit ſelbſt zerſtört werden. 

Soll jedoch in den dermaligen Zuſtänden den Anſprüchen der 

Religion ſowohl, als der Wiſſenſchaft möglichſt genügt werden, 
ſo darf der Staat nimmer für ſich ein ausſchließliches Unterrichts— 
monopol in Anſpruch nehmen, vielmehr muß er möglichſte Un— 
terrichtsfreiheit gewähren. Das iſt aber nur dann der 
Fall, wenn nicht bloß innerhalb der Grenzen des allgemeinen 
Rechtes Privaten und Corporationen die Möglichkeit gegeben iſt, 
Lehr: und Erziehungsanſtalten zu gründen, ſondern wenn auch 
deren Beſuch durch kein Hinderniß verkümmert wird. 
Dieſe Unterrichtsfreiheit bietet auch jenen Richtungen, welche 
mit dem poſitiven Chriſtenthum gebrochen haben, die Möglichkeit 
ſich geltend zu machen, ohne daß der chriſtliche Character des Lan— 
des beeinträchtigt und ohne daß die weſentlichſten und heiligſten 
Intereſſen der chriſtlichen Confeſſionen, denen fait die Geſammt— 
heit der Staatseinwohner angehört, um einer kleinen Minderheit 
willen tief beſchädigt werden. Der Staat hat weder den 
Beruf noch hat er das Recht, in einem chriſtlichen 
Lande durch ein religionsloſes Unterrichtsweſen 
für die freien Gemeinden und den Deutſchkatho— 
licismus Propaganda zu machen. 

Zum Schluſſe müſſen wir auch noch kurz hervorheben, daß in 
einem gemiſchten Lande die Parität zwiſchen den Confeſſionen nur 
durch die ſorgfältigſte Wahrung des confeſſionellen Characters der 
Schule aufrecht erhalten werden kann; das gilt beſonders bezüglich 
der Katholiken in unſerem Lande. Da nämlich die Katholiken 
in der Minderzahl ſich befinden und in den meiſten gemiſchten 
Gemeinden die Proteſtanten weitaus die Mehrzahl bilden, ſo 
würde naturgemäß an all dieſen Orten die Schule einen proteſtan— 
tiſchen Character annehmen und würde ſo den katholiſchen Kin: 
dern thatſächlich eine mehr oder minder proteſtantiſche Erziehung 
aufgezwungen werden. Wer, der es mit der Toleranz aufrichtig 
und mit dem religiöſen Frieden gut meint, kann einen ſolchen Zu— 
ſtand herbeiführen helfen? 


15. Die Schlußartikel des Krligionsgelttzes. 
Wir haben bereits oben!) darauf aufmerkſam gemacht, daß 
der Art. 15. der unſeligſte Artikel des ganzen Geſetzes iſt. Indem 


1) S. 30. 


222 


er nämlich einige wenige Paragraphen früherer Geſetze reſp. Ber; 
ordnungen, welche mit förmlichen Beſtimmungen des Geſetzes in 
Widerſpruch ſtehen, aufhebt)), erhält er ausdrücklich Alles auf: 
recht, was die Zeit der franzöſiſchen Republik und des Kaiſerreichs, 
die Säculariſationsperiode und die darauffolgende Zeit des exor— 
bitanteſten Staatskirchenthums an kirchen- und freiheitsfeindlichen 
Verordnungen ausgeboren, namentlich die Verordnung vom 30. 
Januar 1830, welche das a. a. O. von uns näher characteriſirte 
Syſtem abſoluteſter kirchlicher Unfreiheit durchführt und welche 
von dem Oberhaupt der Kirche als eine mit den Grund— 
wahrheiten des katholiſchen Glaubens unvereinbare Doctrin ver: 
worfen wurde. Wie, muß man fragen, war es möglich, dieſe 
Verordnung aufrecht zu erhalten, nachdem man den Grundſatz 
der kirchlichen Freiheit und Sellbſtſtändigkeit ausgeſprochen 
hatte? Wie verträgt es ſich mit der Logik und Würde eines 
Geſetzes, das die Rechtsverhältniſſe der Kirchen und Religionsge— 
noſſenſchaften nach den Grundſätzen der Freiheit erſchöpfend 
regeln will, eine Verordnung aufrecht zu erhalten, welche das 
Syſtem der Staatsbevormundung der Kirche bis in's kleinſte 
Detail ausſpinnt und welche, wie Jedermann weiß, nie und 
nirgends, am wenigſten in unſerem Lande vollkommen in die 
Praxis überging? Wie kann eine Kammer, die den Prinzi⸗ 
pien des Rechtsſtaates huldigt, dieſe Verordnung ſich aneignen, 
welche ganz von den Maximen des Polizeiſtaates ausgeht? 
Wie kann eine Kammer, die den conſtitutionellen Grundſätzen 
ergeben iſt, eine Vorliebe haben für eine Verordnung, die 
von weltlichen und geiſtlichen Diplomaten entworfen und einſeitig 
von der Regierung erlaſſen wurde? Weßhalb hat man nicht lieber, 
wenn man außer den im Geſetze enthaltenen Beſchränkungen der 
religiöſen Freiheit zu Ungunſten der Katholiken noch andere für 
nothwendig hielt, dieſe in das Geſetz aufgenommen? Weßhalb 
hat man es bei der allgemeinen Formel des Regierungsentwurfs 
nicht bewenden und dem Urtheile eines unpartheiiſchen Richters 
überlaſſen, welche früheren Beſtimmungen mit den Grundſätzen 
des gegenwärtigen Geſetzes unverträglich ſeien? Weßhalb hat man 
vielmehr durch die ſpecielle Aufhebung weniger früheren Beſtim— 
mungen alles Uebrige, genanntes und nicht genanntes, auf's Neue 
ſanctionirt? Wir können einen andern Grund nicht finden, als die 


1) Der Regierungsentwurf hatte alle mit dem neuen Geſetz unver: 
einbaren früheren Geſetze und Verordnungen für aufgehoben erklärt. 


223 


Abſicht, der Adminiſtration und der Juſtiz alle zur Knechtung 
der katholiſchen Kirche nur irgend dienlichen Waffen zu reſer⸗ 
viren und dadurch den allgemeinen Grundſatz kirchlicher Frei— 
heit und Selbſtſtändigkeit, den das Geſetz ausſpricht, der katho⸗ 
liſchen Kirche gegenüber noch illuſoriſcher zu machen, als er be— 
reits durch die im Geſetz enthaltenen Beſtimmungen iſt. 

Dieſe Annahme tritt durch einen merkwürdigen Umſtand 
noch mehr an's Licht. Während der Art. 15. von den die 
Freiheit der Kirche feindlichen Geſetzen und Verordnungen, na— 
mentlich von den 39 Artikeln der Verordnung vom 30. Fe⸗ 
bruar 1830 mit minutiöſer Vorſicht nur vier Paragraphen und 
von dieſen einen nur beſchränkt aufhebt, hat er andere Ver— 
ordnungen unbedingt und vollſtändig aufgehoben, jo die Ver: 
ordnung vom 23. Februar 1850, die Staatsaufſicht über die 
neuen Religionsgemeinſchaften u. ſ. w. betreffend. Für dieſe alſo 
gibt es keine früheren Beſchränkungen mehr; geſichert gegen jede 
Chicane aus alter Zeit, genießen ſie der unbeſchränkten Freiheit, die 
ihnen und nur ihnen das neue Geſetz gewährt. Auch die Ver— 
ordnung vom 1. März 1853, die Ausübung des oberhoheitlichen 
Schutz⸗ und Aufſichtsrechtes über die katholiſche Landeskirche be— 
treffend, wird einfach aufgehoben. Es war das die Antwort auf die 
erſte Denkſchrift der oberrheiniſchen Biſchöfe. Obwohl die Regierung 
hierin im Weſentlichen das frühere Syſtem der kirchlichen Un— 
freiheit feſtgehalten, hatte fie doch in manchen Punkten weſent⸗ 
liche Milderungen eintreten laſſen. Das neue Geſetz hat Vor— 
ſicht getroffen, daß Niemand, weil alle früheren Verordnungen 
aufrecht erhalten werden, etwa meinen könne, es ließe ſich 
aus dieſer Verordnung etwas zu Gunſten der Kirche ab— 
leiten. 

Wie ein Feldherr dem Feinde jeden Ausweg abzuſchneiden 
ſucht, ſo hat endlich die Kammer im Schlußartikel 16. für Zukunft 
und Gegenwart Vorſorge getroffen. Das neue Religionsgeſetz 
ſoll nur dann und nur unter der Bedingung in Kraft treten, 
wenn die im Art. 8, 9 und 14. vorgeſehenen Geſetze — über 
Amts mißbrauch der Geiſtlichen; über Eheſchließung und Stan: 
desbuchführung und über das Unterrichtsweſen (wohl auch 
über Feſttage, Feierlichkeiten und Begräbniſſe Art. 9.) erlaſſen 
ſind. Nichts ſoll alſo von den im gegenwärtigen Geſetze der 
Kirche noch gewährten Freiheiten in's Leben treten, bis die 
Schranken und Bollwerke jener Geſetze vollſtändig und ohne 
Lücke aufgerichtet ſind. Mögen wir alſo nicht zu früh froh⸗ 


224 


locken, daß doch wenigſtens der katholiſchen Kirche durch den 
Grundſatz der religiöſen Freiheit und Selbſtſtändigkeit die freie 
Verkündigung der katholiſchen Lehre in Predigt und Chriſten— 
lehre, die Freiheit in Ausſpendung der heiligen Sacramente ge— 
ſichert iſt; es könnte das Geſetz über den Amtsmißbrauch der 
Geiſtlichen dieſer Freiheit einen merkwürdigen Riegel vorſchie— 
ben. Möge man nicht voreilig darauf rechnen, daß doch die 
Kirche ihren Cultus frei üben und die rein kirchliche Disciplin 
handhaben könne; es könnte das Geſetz über Feſttage, Feierlich— 
keiten und Begräbniſſe dieſe Rechnung als falſch erweiſen. 
Möge man ſich nicht zu früh über das freuen, was das Ge— 
ſetz an Freiheit des Unterrichtes und der Erziehung, insbeſon— 
dere bezüglich der geiſtlichen Bildungsanſtalten gewährt, das 
Unterrichtsgeſetz könnte dieſer Freude ein Ende machen. 
Was dieſe zukünftigen Geſetze in ihrem Schooße bergen, 
wir können es nur aus der Analogie des gegenwärtigen Ge— 
ſetzes und dem Geiſte der Kammer ſchließen — und dieſer Schluß 
ergibt kein troſtreiches Reſultat. 


Damit endlich die katholiſche Kirche auch keinen Tag mehr 
ſich jener größeren Freiheit erfreue, welche ſie beſitzt in der 
ganzen Welt, und welche ihr in unſerem Lande durch 
einen gerechten und wohlwollenden Fürſten zu Theil gewor— 
den iſt, fo fügte die Kammer ihrem Geſetze die „ſchließ— 
liche Erklärung“ bei, daß die „ohne ſtändiſche Zuſtim⸗ 
mung zwiſchen der Großherzoglichen Regierung und dem Bi: 
ſchofe von Mainz unterm 23. Auguſt 1854 abgeſchloſſene vor— 
läufige Uebereinkunft rechtsungiltig ſei, da ſie Beſtimmungen 
enthalte, welche der Verſaſſung, den Geſetzen “) und Verord— 


1) Nachträglich möchten wir zu dem Wenigen, was wir oben S. 
163 über die Legalität der Orden und religiöſen Genoſſenſchafſten in un: 
ſerem Lande und insbeſondere in Rheinheſſen ſagten, eine Notiz beifügen. Als 
unter der Juliregierung in Frankreich ſich Velleitäten zur Unterdrückung der 
von der Regierung nicht anerkannten (denn daß die Regierung 
befugt iſt, religiöſe Genoſſenſchaften nicht bloß zu dulden, ſondern durch 
ihre Anerkennung unter den beſondern Schutz des Geſetzes zu ſtellen und 
ihnen Corporationsrechte zu verleihen, unterliegt nach der franzöſiſchen 
Geſetzgebung gar keinem Zweifel) religiöſen Genoſſenſchaften kundgaben, 
veranlaßte man die angeſehenſten Juriſten zu einem deßfallſigen Gutachten. 
Dieſe gaben unter dem 3. Juli 1845 ihr Urtheil dahin ab, daß kein Ge— 
ſetz in Frankreich verbietet, daß Perſonen, welche nicht anerkannten Ge— 
noſſenſchaften angehören, ein gemeinſames Leben führen und daß unter 


225 


nungen, wie dem ſeitherigen Rechtsbeſtand im Großherzogthum 
widerſprechen. Die Kammer erklärt, daß die Uebereinkunft 
keine Wirkſamkeit äußern dürfe und verwahrt ſich auf das 
Entſchiedenſte gegen jede beabſichtigte fernere Anwendung dieſer 
Uebereinkunft als einen Bruch der Verfaſſung.“ 

In der That und Wahrheit hat die Großherzogliche Re— 
gierung ganz und gar innerhalb der Schranken ihrer verfaſſungs— 
mäßigen Befugniſſe gehandelt). Merkpürdig aber iſt es, wie 
hier die Kammer gegenüber dem hundertjährigen Beſitzſtand 
und dem durch das gemeine Recht, die Reichsgeſetze und Staats— 
verträge und durch die Verfaſſung ſelbſt garantirten Rechtsbeſtand 
der chriſtlichen Confeſſionen ſich auf die heute von Niemanden 
mehr gerechtfertigte Praxis einer an mannigfaltigem Unrecht 
reichen Uebergangsperiode, als auf einen Rechtsbeſtand beruft. 


allen Umſtänden die Unterdrückung ſolcher Genoſſenſchaften durch die Ad— 
miniſtrativbehörde unſtatthaft und auch praktiſch erfolglos ſei. Das Gut— 
achten iſt im Journal de Fabriques abgedruckt. Vergleiche Zraite de 
administration temporelle de congregationes et communautés reli- 
gieus par A. Calmette, Chef du cabinet du prefet de L’Herault. Le 
Puy. 1857. Die Juriſten, welche jenes Gutachten abgaben, find: Vatis- 
menil, Berryer, Bechard, Mardaraux-Vertamy, Pardessus, Fon- 
taine, Jules Gossin. Lauras, H. de Riancey. 

1) Wir können in dieſer Beziehung einfach auf die ausgezeichnete 
Schrift von Dr. Seitz, die katholiſche Kirchenangelegenheit 
im Großherzogthum Heſſen, verweiſen. 


Heinrich, Der Kampf der Kirche. 15 


IV. 


Ausſichten in die Zukunft. 


Wird die katholiſche Kirche — und daſſelbe, was wir für 
uns in Anſpruch nehmen, geſtehen wir auch redlich und im 
vollen Maße den übrigen Confeſſionen zu — die Freiheit und 
Selbſtſtändigkeit, inſofern ſie dieſelbe beſitzt, bewahren und inſo— 
fern ſie dieſelbe noch nicht beſitzt, erringen? — Oder wird ſie 
wieder unterdrückt und in jenen Zuſtand der Unfreiheit zurück— 
verſetzt werden, worin ſie am Anfang unſeres Jahrhunderts 
ſich befand? Das von der zweiten Kammer beſchloſſene Reli— 
gionsgeſetz iſt ein Verſuch, das letztere zu bewirken. Inſofern 
dieſer Verſuch unter allen Reactionsverſuchen gegen die kirch⸗ 
liche Freiheit, wie wir ſie in den letzten Jahren, nament— 
lich in Baden erlebt haben, am weiteſten geht und ſeine Ten- 
denzen am rückſichtsloſeſten und offenherzigſten enthüllt, iſt 
gerade dieſes heſſiſche Religionsgeſetz und der Kampf der Kirche 
um ihre Freiheit im Großherzogthum Heſſen von einem die 
Grenzen unſeres Landes weit überſchreitenden Intereſſe. 

Es fragt ſich alſo, werden die Prinzipien der kirchlichen 
Freiheit und Selbſtſtändigkeit oder die der kirchlichen Unfreiheit, 
wie ſie das Religionsgeſetz intendirt, den Sieg davon tragen? 

Es ſcheint uns, daß es für Niemanden, der über die 
Eindrücke ſeiner engſten Umgebung und des Augenblickes mit 
ſeinen Gedanken ſich erhebt, zweifelhaft ſein kann, daß die Rück— 
kehr der alten bureaukratiſchen Staatsbevormundung der Kirche 
eine geſchichtliche Unmöglichkeit, dagegen das Syſtem der kirchlichen 
Selbſtſtändigkeit und Freiheit und das Aufhören all' jener will— 
kürlichen und deſpotiſchen Beſchränkungen und Ausnahmsgeſetze, 


221 


welche das neue Religionsgeſetz insbeſondere für die katholiſche 
Kirche feſtſetzt, eine Nothwendigkeit iſt. Das Syſtem dieſes 
neuen Religionsgeſetzes hat alſo, ſelbſt wenn die Partei, die 
es gegeben, noch einige vorübergehende Erfolge erringen würde, 
keine Ausſicht darauf, bleibend in's Leben überzugehen, — und 
zwar unter allen Umſtänden, mögen ſich die öffentlichen Zu— 
ſtände geſtalten, wie ſie wollen. 

Wenn die öffentlichen Rechtszuſtände Deutſchlands in ihren 
Grundbeſtimmungen aufrecht erhalten bleiben und ſich, in Frie— 
den und Gerechtigkeit, zu einer den wirklichen Verhältniſſen 
und Bedürfniſſen des deutſchen Volkes entſprechenden Ordnung 
entwickeln, ſo wird eine redliche und conſequente Durchführung 
des Grundſatzes der Selbſtſtändigkeit und Freiheit der großen 
chriſtlichen Confeſſionen, denen die unermeßliche Mehrheit un— 
ſeres Volkes angehört, nothwendig eine der erſten Grundbe— 
ſtimmungen des öffentlichen Rechtes ſein. 

Das allein entſpricht den Anforderungen des poſiti— 
ven deutſchen Rechtes, wie es durch die in dieſer Beziehung 
niemals aufgehobenen deutſchen Reichsgeſetze feſtgeſtellt iſt. 

Die katholiſche Kirche der Gegenwart verlangt nichts an: 
deres, als was ihr durch dieſes gemeine deutſche Recht garan— 
tirt iſt und was ſie von jeher in Deutſchland beſeſſen hat. 

Reclamirt die katholiſche Kirche für ihre Biſchöfe die Rechte 
des Kirchenregimentes nach der Vorſchrift der Kirchengeſetze 
und nach Maßgabe der katholiſchen Kirchenverfaſſung, ſo haben 
die deutſchen Biſchöfe von jeher dieſe Rechte beſeſſen. 

Reclamirt ſie das Recht, die Geiſtlichen zu erziehen, an— 
zuſtellen und über ſie die Disciplinargewalt auszuüben — ſie 
hat dieſes Recht unbeſtritten und unbeſtreitbar von jeher in 
Deutſchland gehabt; reclamirt ſie das Recht der religiöſen 
und ſittlichen Erziehung der katholiſchen Jugend; fordert fie als 
hiezu unerläßliches Requiſit katholiſche Schulen und den hiezu 
nothwendigen und in der Natur der Sache begründeten Ein— 
fluß auf das katholiſche Schulweſen — es hat ihr das Alles als 
ein weſentliches und unbeſtrittenes Recht von jeher zugehört. 

Fordert ſie das Recht des öffentlichen Cultus und allen 
hiezu nöthigen Schutz des Staates, ſie war allezeit im Beſitze 
dieſes Rechtes. Fordert ſie Freiheit des religiöſen Lebens und 
insbeſondere des der katholiſchen Kirche eigenthümlichen klöſter— 
lichen Lebens unter ihrer, der Kirche, Leitung — ſie hat dieſes 
Recht nicht minder zu allen Zeiten geübt. 

. 19° 


228 


Das pofitive gemeine deutſche Recht wird aber in feinen 
nie veralternden Grundbeſtimmungen Fundament der öffent— 
lichen Ordnung und ein Leitſtern für die Geſetzgebung in allen 
deutſchen Staaten auch in Zukunft bleiben müſſen, wenn eben 

nicht die Revolution, ſondern deutſches Weſen und deutſches Recht 
in Deutſchland herrſchen ſoll. 

Das allein entſpricht auch den wirklichen Zuſtän— 
den Deutſchlands und der darauf begründeten 
Forderung der Parität der beſtehenden großen 
chriſtlichen Confeſſionen. 

In der Wirlichkeit nämlich iſt Deutſchland ein chriſt— 
liches Land und iſt das deutſche Volk ein chriſtliches 
Volk. Wir leugnen nicht, haben es vielmehr eher zu ſcharf 
als zu wenig hervorgehoben, daß in unſerer Zeit auch eine 
Anzahl Geiſter mit dem Chriſtenthum gebrochen hat und daß es 
Secten gibt, welche nicht mehr auf dem Boden der, Ka— 
tholiken und Proteſtanten gemeinſamen, chriſtlichen Ueberzeu— 
gung ſtehen. Allein jene Gelehrten, welche den Pantheismus, 
Materialismus, Naturalismus vertreten; jene Literaten und 
Publiciſten, welche die Meinungen einer unchriſtlichen Wiſſen— 
ſchaft populariſiren und von einer auf anderen Prinzipien, als 
denen des Chriſtenthums zu erbauenden, neuen Weltordnung 
träumen; jene Roué's der modernen Geſellſchaft, wie fie in den 
öffentlichen Localen der Städte das große Wort führen und 
jeder Theorie huldigen, welche der Tag mit ſich bringt und 
welche ihrer Lebenspraxis entſpricht; jene verworrenen und 
eiteln Köpfe, welche der Welt eine neue Religion und ein neues 
Recht ſchenken wollen, ſind nicht das deutſche Volk. Das 
deutſche Volk iſt, ſeitdem es ſeine weltgeſchichtliche Miſſion er— 
füllt, ein chriſtliches, ein tief chriſtliches Volk. Chriſtlich iſt 
unſer deutſches Landvolk, der Kern und die Kraft unſerer 
Nation; chriſtlich iſt, trotz alles bis jetzt eingedrungenen Ver— 
derbens, unſer deutſcher Handwerkerſtand; chriſtlich ſind auch 
die Maſſen der aus dem Landvolk und dem Handwerkerſtande 
hervorgegangenen geringeren Arbeiter. Chriſtlich iſt der deutſche 
Adel, der immer noch ein ſtarker grüner Zweig an der deutſchen 
Eiche iſt. Chriſtlich ſind die deutſchen Fürſten, die mit der Ge— 
ſchichte und der berechtigten Eigenthümlichkeit und Selbſtſtän— 
digkeit der deutſchen Stämme und Landſchaften ſo innig ver— 
wachſen ſind und die Deutſchland wohl nicht entbehren kann, 
will es ſich nicht auf's Geradewohl einer Revolution in den 


229 


Schlund ſtürzen, bei der nichts Geringeres auf dem Spiele 
ſteht, als der Fortbeſtand Deutſchlands und des deutſchen 
Weſens ſelbſt. Chriſtlich ſind auch die beſten, die edelſten, die 
größten unter den Männern deutſcher Wiſſenſchaft und deut— 
ſcher Kunſt; ſelbſt wenn je zu Zeiten die Geiſter ſich ver— 
irrt, die Herzen ſind in ihrem tiefſten Grunde, wie deutſch, ſo 
auch chriſtlich geblieben. Und weit entfernt, daß in der Gegen— 
wart dieſer chriſtliche Character Deutſchlands ſich verändert hätte 
oder geſchwächt worden wäre, iſt es vielmehr eine unbe— 
ſtreitbare Thatſache, daß, wenn man auf die geiſtigen Höhen 
der Geſellſchaft und in die Tiefen des deutſchen Volkslebens 
blickt, der religiöſe, der chriſtliche Geiſt nicht in der Abnahme, 
ſondern im Wachsthum begriffen iſt. Damals, als franzöſiſche 
Corruption und franzöſiſche Freigeiſterei an den deutſchen Höfen 
herrſchte, als im Volk unter dem Druck eines corrupten und 
aufgeklärten Despotismus jede patriotiſche und religiöſe Kraft 
erloſchen ſchien; als die Fremdherrſchaft über uns waltete — 
da hatte die Entchriſtlichung des deutſchen Volkes den Höhe— 
punkt erreicht. Jenes Volk und jene Fürſten aber, welche 
die Befreiungskriege durchgekämpft, waren wieder zur alten 
Geſinnung erwacht und ſeit dieſer Zeit iſt, wie deutſche Vater— 
landsliebe, ſo auch chriſtlicher Sinn im Zunehmen begriffen — 
und Diejenigen, welche jetzt in unſerem Vaterlande die Frivoli— 
tät und den Unglauben der Epigonen Voltaire's zur Herrſchaft 
bringen möchten, ſind nicht aus dem Weſen und Geiſt des deut— 
ſchen Volkes hervorgegangen, ſondern ſind höchſtens Verderber 
des deutſchen Volkes. 

Deutſchland iſt ein chriſtliches Land. Das iſt eine That— 
ſache, welche echte Staatsweisheit, die doch am Ende bei der 
Geſetzgebung entſcheiden wird, nicht bloß anerkennen, ſon— 
dern mit Freuden anerkennen und worin ſie das koſtbarſte Gut 
des deutſchen Vaterlandes, die letzte und bleibende Grundlage 
ſeines ſittlichen Daſeins erblicken muß. 

Aber auch das iſt eine Thatſache, daß das chriſtliche 
Deutſchland die religiöſe und kirchliche Einheit, die es früher 
verband, nicht mehr beſitzt. Wir können dieſe Thatſache be— 
klagen, aber wir müſſen ſie anerkennen. Seit Jahrhunderten 
beſteht Katholicismus und Proteſtantismus in Deutſchland 
gleichberechtigt neben einander. Nicht wir haben dieſe Tren— 
nung gemacht, ſie iſt uns von den Vorfahren überliefert, nicht 
wir können ſie aufheben; das vermag nur Gott, der ſie zu— 


230 


gelaſſen. Damit aber ift wie das Geſetz der Parität, ſo auch 
der kirchlichen Selbſtſtändigkeit der verſchiedenen Con— 
ſeſſionen gegenüber dem Staate mit Nothwen⸗— 
digkeit gegeben. Denn da, wo verſchiedene Confeſſionen 
in demſelben Staate beſtehen, kann die Parität unter beiden 
nur unter der Vorausſetzung aufrecht erhalten werden, 
daß der Staat einer jeden Confeſſion das volle Maß der 
Selbſtſtändigkeit und Freiheit gewährt. Das iſt ſo evident, 
daß hierüber keine Täuſchung obwalten ſollte. Denn da 
der Fürſt, die Miniſter, die Kammern, die Beamten nicht Ge— 
dankendinge, ſondern lebendige Menſchen ſind, welche einer be— 
ſtimmten Confeſſion angehören und da, wo Religion und 
Kirche in's Spiel kommt, ſelbſt beim beſten Willen, wie viel— 
mehr, wenn menſchliche Schwäche und Leidenschaft ſich geltend 
machen — und welcher Menſch iſt davor ſicher und wo machen ſie 
ſich nicht geltend? — mehr oder minder von den Anſchauungen 
ihrer Confeſſion beſtimmt werden; ſo wird überall, wo Regie— 
rungen und Kammern über religiöſe und kirchliche Angelegen— 
heiten verfügen, die Confeſſion, die in der Minderheit ſich be— 
findet, nicht bloß ſich bedrückt finden, ſondern auch wirklich 
mannigfach bedrückt und verletzt werden). Dagegen wo das 
Prinzip der kirchlichen Selbſtſtändigkeit gegenüber den verſchie— 
denen Confeſſionen redlich und vollſtändig in Geſetzgebung und 
Verwaltung vom Staate gewährt wird, iſt die Grundbedingung 
wahrer Parität vorhanden?). Auf dem Boden kirchlicher 


1) Das gilt ganz beſonders zum Nachtheile der Katholiken, während 
die proteſtantiſche Confeſſion unter einer vorherrſchend proteſtantiſchen Re— 
gierung deßhalb die Nachtheile der Staatsbevormundung weniger empfin— 
det, weil das Staatsoberhaupt zugleich Haupt der proteſtantiſchen Kirche 
iſt und als ſolches deren Intereſſe zu wahren hat — ein Umſtand, der die 
Staatsbevormundung für die katholiſche Kirche begreiflicherweiſe doppelt 
beſchwerend macht. 


2) „Dieſe Parität begreift viererlei. Erſtens das gleiche Recht der 
freieſten öffentlichen Religionsübung, mit allen dem Cultus und ſeinen 
Dienern zukommenden Rückſichten und Vorrechten. Zweitens die gleiche 
Anerkennung jeder Kirche als einer mit Eigenthumsfähigkeit begabten Cor— 
poration. Drittens die gleiche Fähigkeit ihrer Mitglieder zu den bürger— 
lichen und ſtaatsbürgerlichen Rechten, wie die Begleitung der öffentlichen 
Aemter. Viertens der gleiche Schutz jeder Kirche von Seiten der Staats— 
gewalt, die gleiche Berückſichtigung ihrer Bedürſniſſe und Intereſſen in den 
Schulen und anderen öffentlichen Anſtalten. Die Staatsregierung als 


231 


Selbſtſtändigkeit und redlicher Parität können Katho— 
liken und Proteſtanten nicht bloß im Frieden neben einander le— 
ben, ſondern auch in allen patriotiſchen Angelegenheiten und der 
ihnen gemeinſamen chriſtlichen Geſinnung, welche die edelſte und 
am Ende allein ſtichhaltige Humanität in ſich ſchließt, ſich Eins 
wiſſen, ohne in einem ſeichten und jede Religion untergrabenden 
Indifferentismus zu verkommen und der Klarheit, Treue und 
Entſchiedenheit ihrer kirchlichen Geſinnung etwas zu vergeben. 
Dagegen daß proteſtantiſche Regierungen oder proteſtantiſche 
Kammermajoritäten in katholiſche Kirchenangelegenheiten eingrei— 
fen, das können wir nicht ertragen, wie auch das Umgekehrte 
für die Proteſtanten unerträglich iſt. Noch vielweniger können 
beide Confeſſionen, kann das chriſtliche Deutſchland es dulden, daß 
es von einer unchriſtlichen Partei im Intereſſe einer confeſſionsloſen 
Aufklärung beherrſcht und in ſeinen heiligſten Intereſſen be— 
ſchädigt werde. Dieſe Wahrheib, daß der Friede zwiſchen den 
verſchiedenen Confeſſionen und die Wahrung ihrer rechtlichen 
Parität durch das Syſtem der kirchlichen Freiheit und Selbſt— 
ſtändigkeit bedingt und daß überdieß dieſe kirchliche Freiheit und 
Selbſtſtändigkeit mit keinen Nachtheilen, wohl aber mit den 
größten Vortheilen für den Staat verbunden iſt, iſt denn auch 
bei den beiden deutſchen Großſtaaten durchgedrungen. Preußen 
hat das Prinzip der kirchlichen Freiheit und Selbſtſtändigkeit 
ohne kleinliche Vorbehalte ausgeſprochen, und nur die redliche 
Durchführung dieſes Prinzips in der ganzen Verwaltung ver— 
bürgt dem preußiſchen Staate die Zufriedenheit, wie ſeiner pro— 
teſtantiſchen Angehörigen, auch feiner großen katholiſchen Bro: 
vinzen und zahlreichen katholiſchen Unterthanen. Oeſterreich 
hat nicht bloß den Katholiken durch ſein Concordat die durch 
den joſephiniſchen Abſolutismus ſequeſtrirte kirchliche Freiheit 
und Selbſtſtändigkeit — denn dieſe bildet den weſentlichen Sn: 
halt des von dem Unverſtand und der Gehäßigkeit ſo hart an: 
gefochtenen Concordats — freiwillig zurückgegeben, ſondern hat 
auch durch das Proteſtantenpatent den Proteſtanten das vollite 


ſolche muß, ganz abgeſehen von dem perſönlichen Bekenntniß des Landes— 
fürſten, gegen die Kirche die Stellung annehmen, als ob ſie zu ihr ge— 
hörte. In der conſequenten und aufrichtigen Durchführung dieſes Geſichts— 
punktes liegt das Mittel, jeder Confeſſion gerecht zu ſein, und doch, da 
jede eine chriſtliche iſt, dem Staate ſeinen chriſtlichen Charakter zu be— 
wahren.“ Naturrecht und Politik im Lichte der Gegenwart von F. 
Walter. S. 491. 


232 


Maß der Freiheit und Gleichberechtigung, wie fie dieſelben voll: 
ſtändiger nirgends beſitzen, ertheilt. Auch die übrigen deutſchen 
Staaten und Regierungen, insbeſondere die Großherzoglich Heſ— 
ſiſche Regierung, haben, mit wenigen Ausnahmen, die Nothwen— 
digkeit erkannt, dem Beiſpiele Oeſterreichs und Preußens zu 
ſolgen. Nichts kann klarer ſein, als daß der Verſuch der zwei— 
ten Kammer des Großherzogthums Heſſen, der Bewegung 
zur chriſtlichen Freiheit und Selbſtſtändigkeit Halt 
zu gebieten, ein vergeblicher iſt, ſo lange Oeſterreich und 
Preußen, jo lange überhaupt Deutſchland, To lange alle Staaten 
Europa's im Großen und Ganzen, wie wirklich der Fall iſt, der 
katholiſchen Kirche jene Rechte zugeſtehen, welche die zweite 
heſſiſche Kammer ihr entziehen möchte. 

Daß aber etwa das Syſtem der kirchlichen Unfreiheit über 
das der kirchlichen Freiheit und Selbſtſtändigkeit auch in Oeſter— 
reich und Preußen und im übrigen Deutſchland ſiegen werde, 
iſt trotz aller hiezu vorhandenen Velleitäten nicht zu fürchten, 
vielmehr drängt Alles, Dank der götttichen Vorſehung, dazu, 
das Syſtem der kirchlichen Freiheit und Selbſtſtändigkeit, wie 
es in Oeſterreich und Preußen bereits durchgeführt iſt, zu 
einer hiſtoriſchen Nothwendigkeit für ganz Deutſchland und 
für alle deutſchen Staaten zu machen. Denn dieſes Syſtem, 
aber auch nur es allein, kann das Hinderniß, welches der mög— 
lichen Einheit und Eintracht Deutſchlands in der confeſſionellen 
Verſchiedenheit im Wege ſteht, vollkommen beſeitigen. Wenn 
alle deutſchen Fürſten und Stämme, was Gott geben wolle, 
in patriotiſcher Eintracht ſich vereinigen, ſie können es unter 
keiner anderen Bedingung als unter der der rechtlichen Freiheit 
und der rechtlichen Gleichheit der verſchiedenen chriſtlichen Confeſ— 
ſionen. Und ſelbſt wenn, was Gott verhüte, ein Zwieſpalt in 
Deutſchland für die nächſte Zukunft unſer Loos wäre, jeder der 
beiden Theile müßte in kirchlichen Dingen das Prinzip der 
Selbſtſtändigkeit und Parität der Confeſſionen feſt und heilig 
halten; wer dagegen in Deutſchland einer kurzſichtigen Partei zu 
lieb, ſei es unter liberalem, ſei es unter conſervativem Aus— 
hängſchilde, das Prinzip der kirchlichen Freiheit und Parität 
verletzte, würde dadurch unfehlbar ſich Deutſchland und einem 
großen Theile ſeiner eigenen Unterthanen in unheilvollſter Weiſe 
entfremden. Daher können wir die ſichere Hoffnung hegen, daß 
dem Syſtem der kirchlichen Freiheit und Parität die 
Zukunft gehört und daß die Reactionsverſuche dagegen keine 


233 


Hoffnung auf dauernden Erfolg haben. Hieraus ergibt ſich auch, 
was von dem Gerede Derer zu halten, welche den Ruf nach 
kirchlicher Selbſtſtändigkeit und Parität als Produkt einer, wie 
ſie meinen, kleinen kirchlichen Partei betrachten. Nein, was wir 
Katholiken verlangen, iſt nichts Anderes, als was die geſunde 
Vernunft, das poſitive Recht, die Natur der Sache, was die 
höchſten Intereſſen unſeres Vaterlandes fordern, was kein Vor— 
urtheil vereiteln und kein Machtgebot einer Kammer aufhalten 
wird. 

Wir haben geſagt, daß das Syſtem der kirchlichen Selbſt— 
ſtändigkeit und der Parität der chriſtlichen Confeſſionen eine hi— 
ſtoriſche Nothwendigkeit ſei und unfehlbar ſich verwirklichen werde, 
vorausgeſetzt, daß in Deutſchland nicht ein völliger Umſturz aller 
beſtehenden Ordnung eintrete. Ein ſolcher Umſtand ſcheint uns un— 
wahrſcheinlich, ja ſogar unmöglich, wenn nicht gerade die deutſchen 
Fürſten ſich und ihre Staaten ſyſtematiſch zu Grunde richten, und 
die deutſchen Stämme ſich blindlings in's Verderben ſtürzen woll— 
ten; aber ſelbſt wenn dieſer Fall einträte, würde nicht eine 
Repriſtinirung des alten Staatskirchenthums daraus hervor— 
gehen, ſondern gleichfalls die Freiheit der Kirche, wenn auch in 
einer andern Form. Allerdings würde in den Gewaltthaten und 
Greueln, welche dieſen Umſturz begleiteten, die katholiſche Kirche 
Vieles zu leiden haben. Die Hetzereien, die man ſich jetzt ſo ge— 
wiſſenlos gegen ſie erlaubt, würden dann vielleicht durch die Fre— 
velhaftigkeit eines entfeſſelten Pöbels blutige Früchte tragen. 
Prieſter würden vielleicht ermordet, Kirchen zerſtört, Gottloſig— 
keiten aller Art verübt, vielleicht ſelbſt da und dort die freie 
und öffentliche Religionsübung vorübergehend unmöglich gemacht 
werden. Aber die ganze Gewalt dieſer Bewegung würde ſich 
ſehr bald nicht gegen die Kirche, ſondern gegen die beſitzenden 
Klaſſen und insbeſondere gegen Diejenigen richten, in deren 
Händen vorzugsweiſe die Reichthümer concentrirt ſind; denn die 
ganze Revolution würde unfehlbar zu einer ſocialen werden. 
Würde aber eine neue Ordnung der Dinge ſich befeſtigen, ſo 
würde unter allen Umſtänden in dieſer Ordnung das Prinzip 
der religiöſen Freiheit wahrſcheinlich zunächſt in der Form einer 
völligen Trennung zwiſchen Kirche und Staat, ſeine Anerkennung 
finden). Würde aber, was meiſtens das Ende der Revolutionen 


1) Ueber dieſes Syſtem jagt Walter a. a. O. §. 498: „Die Schwie— 
rigkeit, die unbedingte Freiheit der Bekenntniſſe mit der poſitiven Natur 


234 


ift, ein um fo ſtrengeres Regiment eintreten, jo würde auch 
dieſes ſich genöthigt ſehen, die Religion und deshalb auch die 
kirchliche Freiheit und Selbſtſtändigkeit zu reſpectiren. 


des chriſtlichen Staates zu vereinigen, und die mancherlei Colliſionen, 
die aus der Berührung zwiſchen Kirche und Staat entſtehen können, haben 
den Gedanken angeregt, die Religion und Kirche als eine für den Staat 
völlig gleichgültige Angelegenheit und als eine bloße Privatſache der In— 
dividuen und Familien zu behandeln. Jedes Bekenntniß, jede religiöſe 
Geſellſchaft ſoll auf dem Boden des Staates Freiheit der Exiſtenz und zu 
dieſem Zwecke den gewöhnlichen Rechtsſchutz der Perſonen und des Eigen— 
thums haben; mehr aber nicht. Keine erhalte vom Staate Unterſtützung, 
ſondern habe für die Koſten ihres Cultus und den Unterhalt von deſſen 
Dienern ſelbſt zu ſorgen. Keine erhalte eine beſondere Anerkennung oder 
Begünſtigung, daher auch keine Corporationsrechte. Der Staat bekümmere 
ſich um den Inhalt der Bekenntniſſe nicht, ſondern nur um die Handlungen 
der Individuen, die er beſtraft, wenn ſie gegen die bürgerlichen Geſetze 
verſtoßen. Dieſer Gedanke der völligen Trennung von Staat und Kirche 
gründet ſich bei den Einen auf die Abneigung gegen die Religion über— 
haupt, bei Anderen auf die Hoffnung, daß grade dadurch die Religion 
wieder um ſo kräftiger erblühen werde. Allein dieſer ganze Standpunkt iſt 
aus zwei Gründen irrig und unhaltbar. Erſtens weil der Staat die Re— 
ligion ſchlechterdings nicht entbehren, ſie alſo auch nicht ignoriren kann. 
Selbſt wenn er wollte, würde er durch den täglichen Gebrauch des Eides 
daran erinnert werden, der in dem Munde des erklärten Atheiſten keinen 
Sinn hat. Zweitens weil auch die bürgerlichen Geſetze auf einer gewiſſen 
Summe von ſittlichen Grundwahrheiten beruhen, deren letztes Fundament 
auf den Glauben an Gott und die Unſterblichkeit zurückgeht. Jener Vor— 
ſchlag wird daher von bewährten Stimmen entſchieden verworfen ). Selbſt 
in den vereinigten Staaten von Nordamerika, worauf man ſich gerne be— 
ruft, wird die Religion nicht als für den Staat gleichgültig angeſehen, 
ſondern als ihn ergänzend vorausgeſetzt. Dennoch iſt es möglich, daß 
jenes Syſtem durch die irrige Zeitſtrömung auf einige Zeit zur praktiſchen 
Geltung gelange. Allein das religiöſe Bedürfniß bleibt immer mächtiger 
als eine falſche Theorie; durch dieſes wird die Kirche fortfahren in den 
Gemüthern zu herrſchen, und ſie wird dadurch, wenn auch von der Staats— 
gewalt ignorirt, doch immer als das geiſtige Fundament der Geſellſchaft 
und als die Erzieherin der bürgerlichen Geſinnung ſortwirken, bis daß 
nach herben Erfahrungen der offene Bund zwiſchen beiden Gewalten viel— 
leicht um ſo inniger hergeſtellt wird. 


1) Trendelenburg, Naturrecht §. 172.: „Der von der Kirche getrennte Staat iſt ver— 
ſtümmelt und ſtirbt ab. — Die Theorie von Trennung der Kirche und des Staates entſteht 
nur als Nothbehelf in den Zeiten unweiſer Conflicte, in den Zeiten von hartnäckigen An— 
maßungen, ſei es von Seiten der Kirche oder des Staates.“ — In demſelben Geiſte äußert 
ſich Dahlmann, Politik §. 293. 294. Bluntſchli, Allgemeines Staatsrecht. Buch IX. Cap. 4. 
Ahrens, Organiſche Staatslehre. Beſonderer Theil. Kap. 1. F. 4. 


235 


Wir haben bisher die geſchichtlich-politiſchen Gründe ange: 
deutet, welche unſere Hoffnung rechtfertigen, daß die Zukunft 
und zwar die nicht entfernte Zukunſt der Kirche nicht Knechtſchaft, 
ſondern Freiheit bringen wird. Wir haben aber noch einen weit 
feſterern Grund dieſer Hoffnung. Die katholiſche Kirche kann 
durch äußere Gewalt bedrängt, gequält, verfolgt werden; in 
Knechtſchaft gerathen kann ſie nicht, ſo lange ſie kämpft, 
jo lange Biſchof, Klerus und Volk!) einmüthig und ſtarkmüthig 
einer jeden Zumuthung, welche die von Gott geſetzte und ge— 
wollte Freiheit der Kirche beeinträchtigt, die unerſchütterliche 
Standhaftigkeit des chriſtlichen Gewiſſens und des chriſtlichen 
Glaubens entgegenſetzen. Dieſen Factor des Gewiſſens und 
des Glaubens ziehen gewöhnlich Diejenigen nicht in Rechnung, 
welche leicht und übermüthig zu einem Angriffe gegen die Kirche 
ſich entſchließen. Die Kirche iſt ſchwach an aller irdiſchen Macht, 
auch an allen menſchlichen Mitteln, in Einer Sache aber hat 
ſie ſich von jeher unüberwindlich erwieſen, in der Standhaftig— 
keit des Glaubens und des Gewiſſens in allen Leiden und Ver— 


1) Man ſcheint wirklich eine Zeitlang die Hoffnung gehegt zu haben, 
der katholiſche Klerus oder doch ein Theil deſſelben werde Partei gegen den 
Biſchof ergreifen. Es gehört das zu jenen Täuſchungen, wie ſie bei De— 
nen vorzukommen pflegen, welche von katholiſchem Glauben und katholi— 
ſchem Leben keinen Begriff haben. Der Klerus hat auf's Schnellſte, noch 
ehe die Debatten der zweiten Kammer begannen, dieſe Täuſchung und hof— 
fentlich auf immer vernichtet. Aus dem Grunde derſelben Unkenntniß der 
Wirklichkeit, hat man dann gemeint, das katholiſche Volk werde Partei 
gegen den Klerus ergreifen. Auch darin hatte man ſich getäuſcht. Ein— 
müthig haben alle katholiſchen Gemeinden in ihren Adreſſen ſich erklärt. Man 
hat zwar den Werth dieſer Adreſſen dadurch herabzuwürdigen gemeint, daß 
man dieſelben dem Einfluſſe des Klerus zuſchrieb. Aber wie kann der 
Klerus Einfluß auf's Volk üben, wenn das Volk gegen ihn iſt? Es iſt 
übrigens in der That gerade umgekehrt, als man behauptet. Das katho— 
liſche Volk lebt ſeit Jahr und Tag unter einem an manchen Orten geradezu 
unleidlichen Terrorismus der ſogenannten Fortſchrittspartei. Deshalb hat 
ſeine Manifeſtation einen ganz ungewöhnlichen Werth und wir können uns 
davon überzeugt halten, daß die Zahl Derer, welche die Adreſſe in ihrem 
Herzen billigen und von ganzer Seele ihrer Kirche ergeben ſind, ohne Ver— 
gleich größer iſt, als die Zahl Derer, welche bereits zu dieſem öffentlichen 
Bekenntniſſe ihres Glaubens ſich ermannten. Je länger übrigens die Be— 
feindung der Kirche dauern und je ungerechter ſie ſein wird, um ſo mehr 
und um ſo überraſchender für die Gegner wird ſich der Glaube und wird 
ſich die Liebe zur Religion in dem katholiſchen Volke offenbaren. 


236 


folgungen. Was die Biſchöfe in der oberrheiniſchen Kirchenpro— 
vinz für die Kirche in Anſpruch nahmen, ſind nicht weltliche 
Vorrechte, ſind nicht irgend welche unweſentliche Privilegien, ſon— 
dern ſind weſentliche Rechte der Kirche und des katholiſchen 
Chriſten, welche unmittelbar aus dem Glauben hervorgehen 
und welchen ebenſo viele Pflichten entſprechen. Jeder irdiſchen 
Gewalt, welche der Kirche dieſe Rechte entzieht, und welche eben 
dadurch in das innere Heiligthum der Kirche eingreift, müſſen die 
Nachfolger der Apoſtel auch das apoſtoliſche: Von possumus 
entgegen ſetzen: „wir können hierin nicht nachgeben; denn 
wir müſſen Gott mehr gehorchen, als den Menſchen. 
Wir ſind bereit, jeder menſchlichen Obrigkeit um Gottes willen 
zu gehorchen, ſelbſt wo ſie Hartes gebietet; aber die Gebote 
und Satzungen Gottes, der der letzte Grund all unſeres Ge— 
horſams iſt, können wir nicht verletzen auf den Befehl einer 
menſchlichen Gewalt.“ Weder der Biſchof von Mainz, noch irgend 
ein anderer Biſchof kann ſtaatliche Satzungen anerkennen, welche 
mit den Geſetzen Gottes und der Kirche in Widerſpruch ſtehen, kann 
die Freiheit der Kirche preißgeben, die ihm Gott zur Vertheidigung 
anvertraut hat. Und es iſt noch niemals geſchehen, 
daß die Standhaftigkeit eines die Rechte der Kirche 
vertheidigenden Biſchofs nicht endlich obgeſiegt 
hätte, ſelbſt da, wo er allein ſtand, noch viel weniger, wo 
ihm ein treuer und opferwilliger Klerus und ein 
ſeinem Glauben ergebenes Volk zur Seite ſteht. 
Wenn daher wirklich am Oberrhein ein falſcher Liberalismus 
es unternähme, im Widerſpruch mit allen realen Intereſſen des 
Staates, in einen Kampf mit der Kirche und dem katholiſchen 
Gewiſſen zu treten: der Kampf würde nicht minder glorreich 
für die Kirche endigen, als er vor etwas weniger als einem 
Vierteljahrhundert einer unumſchränkten und mit weit größeren 
Mitteln ausgerüſteten Staatsgewalt gegenüber am Niederrhein 
geendet hat. 


An 


hand. 


—— 


Geſetz, 
die rechtliche Stellung der Virche und kirchlichen 


Vereine im 


Regierungs⸗Entwurf. 


Art. 1. 


Der evangeliſchen und der katho— 
liſchen Kirche iſt das Recht öffent— 
licher Corporationen mit dem 
Rechte der öffentlichen Gottes— 
verehrung gewährleiſtet. 


Art. 2. . 

Die Befugniſſe der übrigen 
Religionsgemeinſchaften, welche 
bisher aufgenommen oder gedul— 
det waren, richten ſich nach den 
ihnen ertheilten beſonderen Ver— 
willigungen. 


Ar. 3. 

Die Bildung neuer Religions: 
gemeinſchaften ift geſtattet. 

Ihre Verfaſſung und ihr Be— 
kenntniß darf den Staatsgeſetzen 
und der Sittlichkeit nicht wider: 
ſprechen und Andere nicht in 
ihren politiſchen, bürgerlichen 
oder religiöſen Rechten beein— 
trächtigen. 

Es ſteht ihnen das Recht der 
freien gemeinſamen Gottesver— 
ehrung unter dem Schutze des 
Staates zu. 


Staate betreſſend. 


— nn nmmn 


Abänderungen des Entwurfs durch Be- 
ſchlüſſe der II. Kammer. 


Art. 1. 


Unverändert. 


Art. 2. 

Den übrigen bereits beſtehenden, ſowie 
den ſich bildenden neuen Religionsgemein— 
ſchaften ſteht das gleiche Recht der öffent— 
lichen Gottesverehrung unter dem Schutze 
des Staates zu. 

Corporationsrechte ſollen denſelben, in— 
ſofern ſie ſolche noch nicht beſitzen, auf 
den Nachweis der entſprechenden Erforder— 
niſſe verliehen werden. 


Art. 3. 
Abſatz 1 unverändert. 
Abſatz 2 in folgender Faſſung: 
Ihre Verfaſſung und ihr Bekenntniß 
darf den Staatsgeſetzen und der Sittlich— 


keit nicht widerſprechen und nicht zum 


Vorwande dienen, Andere in ihren poli— 
tiſchen, bürgerlichen oder religiöſen Rech— 
ten zu beeinträchtigen. 

Gewiſſensfreiheit und freie Religions- 
übung, ſowie ungehinderte Mittheilung 
ihres religiöſen Glaubens iſt, inſoweit 
nicht dadurch den Staatsgeſetzen oder der 
Sittlichkeit widerſprochen wird oder An— 
dere in ihren politiſchen, bürgerlichen 
oder religiöſen Rechten beeinträchtigt wer— 
den, wie den Inländern, ſo auch ſolchen 
eingeräumt, die ſich nur vorübergehend 
im Großherzogthum aufhalten. 


Art. 4. 


Die evangeliſche und die ka— 
tholiſche Kirche ordnen und ver— 
walten ihre Angelegenheiten frei 
und ſelbſtſtändig. 

Der Verkehr mit den kirchlichen 
Oberen iſt ungehindert. 


Art. 5. 


Die Kirchenämter werden durch 
die Kirchen ſelbſt verliehen, un— 
beſchadet der auf öffentlichen oder 
privatrechtlichen Titeln, wie ins— 
beſondere dem Patronate, be— 
ruhenden Befugniſſe. 


Art. 6. 


Die Kirchenämter können nur 
an ſolche vergeben werden, welche 
das Recht eines Inländers beſitzen 
oder erlangen und nicht von der 
Staatsregierung unter Angabe 
des Grundes als ihr in bürger— 
licher oder politiſcher Beziehung 
mißfällig erklärt werden. 

Die Zulaſſung zu einem Kir: 
chenamte iſt regelmäßig durch 
den Nachweis einer allgemeinen 
wiſſenſchaftlichen Vorbildung be— 
dingt. 

Der Umfang derſelben und die 
Art des Nachweiſes werden durch 
eine Verordnung beſtimmt. 


238 


Art. 4. 

„Die Kirchen und Religionsgemeinſchaf— 
ten ordnen und verwalten ihre Angelegen— 
heiten frei und ſelbſtſtändig, mit Vorbe— 
halt der in dieſem Geſetze enthaltenen 
Beſtimmungen. 

Der Verkehr mit den kirchlichen Oberen 
und mit kirchlichen Verbänden iſt unge— 
hindert. Beſchlüſſe derſelben dürfen jedoch 
nur durch die betreffenden inländiſchen 
kirchlichen Behörden verkündet werden, 


Art. 5. 

Die Kirchenämter werden durch die 
Kirchen und Religionsgemeinſchaften ſelbſt 
verliehen, unbeſchadet der auf öffentlichen 
oder privatrechtlichen Titeln, wie insbe— 
ſondere dem Patronate, beruhenden Be— 
fugniſſe. a 

Hierbei beſchließt die Kammer, die 
Großherzogliche Staatsregierung zu er— 
ſuchen, das Patronatsweſen bezüglich der 
dem Staate zuſtehenden Patronate einer 
umfaſſenden Unterſuchung und Prüfung 
zu unterziehen, und das Ergebniß den 
Ständen vorzulegen. 

Art, 6. 

Die Kirchenämter können nur an ſolche 
vergeben werden, welche das Recht eines 
Inländers beſitzen, oder daſſelbe vor dem 
Antritt des Amtes erlangen und welche 
nicht von der Staatsregierung, unter 
Angabe des Grundes, als ihr mißfällig 
erklärt werden. 

Rückſichtlich der Beſetzung des biſchöf— 
lichen Stuhles und der ihm zugehörigen 
Kirchenämter, bleibt es bei den Beſtim— 
mungen, welche in der landesherrlichen 
Verkündigung vom 12. October 1829 und 
in den Artikeln 14., 15., 16. und 17. 
der Verordnung vom 30. Januar 1830, 
ſowie in den Bullen: Provida solersque 
und: Ad dominici gregis custodiam, 
ſo weit dieſe Geltung erhalten haben, 
enthalten ſind. 

Die Zulaſſung zu einem Kirchenamte 
iſt regelmäßig durch den Nachweis einer 
allgemeinen wiſſenſchaftlichen Vorbildung 
bedingt, welche, nach beſtandener Matu— 
ritätsprüfung, durch den zweijährigen 
Beſuch einer deutſchen Univerſität erwor— 
ben und in einer Staatsprüfung bei der 
Landesuniverſität dargethan worden iſt. 

In Ausnahmsfällen bleibtes der Staats: 
regierung überlaſſen, ſich auf andere ge— 
eignet ſcheinende Weiſe über die Vor— 
bildung zu verläſſigen. 


Art, 7. 


Religiöſe Orden und andere 
ähnliche Genoſſenſchaften ſtehen 
unter der Ober-Aufſicht des 
Staates. 

Aus Gründen des öffentlichen 
Wohls kann die Einführung ſol— 
cher Orden und Genoſſenſchaften 
oder die Errichtung einzelner An: 
ſtalten derſelben unterſagt und, 
wenn ſie bereits eingeführt ſind, 
ihnen die Aeußerung einer wei— 
teren Wirkſamkeit im Staate 
verboten werden. 


Art. 8. 


In ihren bürgerlichen und 
ſtaatsbürgerlichen Beziehungen 
bleiben die Kirchen, deren An— 
ſtalten und Diener den Staats⸗ 
geſetzen unterworfen. 

Keine Kirche kann aus ihrer 
Verfaſſung oder ihren Verord— 
nungen Befugniſſe ableiten, welche 
mit der Hoheit des Staates oder 
mit den Staatsgeſetzen in Wider— 
ſpruch ſtehen. 


Art. 9. 


Keine Verordnung der Kirchen, 
welche in bürgerliche oder ſtaats— 
bürgerliche Verhältniſſe eingreift, 
kann rechtliche Geltung in An: 
ſpruch nehmen oder in Vollzug 
geſetzt werden, bevor ſie die Geneh⸗ 
migung des Staates erhalten 
hat. Alle kirchlichen Verordnun⸗ 
gen müſſen gleichzeitig mit der 
Verkündigung der Staatsregie— 
rung mitgetheilt werden. 


239 


Auch für die proviſoriſche Verwaltung 
der Kirchenämter und die Aushülfe bei 
denſelben gelten die Beſtimmungen dieſes 
Artikels. 


Ark. 7. 


Religidfe Orden und andere ähnliche 
Genoſſenſchaften werden im Großherzog— 
thum nicht zugelaſſen. 


Art. 8. 


Keine Kirche oder Religionsgemeinſchaſt 
kann aus ihrer Verfaſſung oder ihren 
Verordnungen Befugniſſe ableiten, welche 
mit der Hoheit des Staates oder mit den 
Staatsgeſetzen in Widerſpruch ſtehen. 

In ihren bürgerlichen und ſtaatsbür— 
gerlichen Beziehungen bleiben die Kirchen 
oder Religionsgenoſſenſchaften, deren An— 
ſtalten und Diener den Staatsgeſetzen 
unterworfen. 

Die Zuläſſigkeit der gerichtlichen Ver— 
folgung kirchlicher Beamten iſt nicht von 
der Zuſtimmung einer kirchlichen oder 
einer Verwaltungsbehörde abhängig. 

Ueber Amtsmißbrauch der Geiſtlichen 
wird ein beſonderes Geſetz erlaſſen. 


Art. 9. 


Alle kirchlichen Verordnungen müſſen 
gleichzeitig mit der Verkündigung der 
Staatsregierung mitgetheilt werden. 

Keine Verordnung der Kirchen oder 
Religionsgemeinſchaften, welche in bür— 
gerliche oder ſtaatsbürgerliche Verhältniſſe 
eingreife, kann rechtliche Geltung in An— 
ſpruch nehmen oder in Vollzug geſetzt 
werden, bevor ſie die Genehmigung des 
Staates erhalten hat. 

Ueber Eheſchließung, religiöſe Kinder— 
Erziehung, Standesbuchführung wird das 
Verhältniß der Kirchen- und Religions: 
gemeinſchaften unter ſich und zum Staate 
durch beſondere Geſetze geordnet. 

Desgleichen bezüglich der Feſttage, 
Feierlichkeiten und Begräbnißordnung. 


Art. 10. 


Verfügungen und Erkenntniſſe 
der Kirchengewalt können gegen 
die Freiheit oder das Vermögen 
einer Perſon wider deren Willen 
nur von der Staatsgewalt und 
nur unter der Vorausſetzung voll— 
zogen werden, daß ſie von der 
zuſtändigen Staatsbehörde für 
vollziehbar erklärt worden ſind. 


Art: 11; 


Das Vermögen, welches den 
kirchlichen Bedürfniſſen, ſei es des 
ganzen Landes, einer Provinz, 
gewiſſer Bezirke oder einzelner 
Orte gewidmet iſt, wird, un— 
beſchadet anderer Anordnungen 
der Stifter, unter gemeinſamer 
Leitung der Kirche und des 
Staates verwaltet. 

Bei der Verwaltung des kirch— 
lichen Ortsvermögens müſſen die 
berechtigten Gemeinden vertreten 
ſein. 


. 


Das den kirchlichen Bedürf— 
niſſen und Anſtalten gewidmete 
Vermögen unterliegt den Geſetzen 
des Staates, insbeſondere auch 
denjenigen über die öffentlichen 
Ausgaben und Laſten. 


240 


Art. 10. 


Unterſuchungen und Strafen der Kir— 
chengewalt dürfen nie mit irgend einer 
Art von Freiheitsentziehung, Verweiſung 
an Beſſerungsorte, körperlicher Züchtigung 
und niemals mit Ehrenkränkung verbun⸗ 
den fein. Geldſtrafen und Unterſuchun⸗ 
gen mit irgend welchen Zwangsmitteln 
gegen Laien ſind unſtatthaft. 

Geldſtrafen gegen Diener der Kirchen 
und Religionsgemeinſchaften, welche den 
Betrag von 30 fl. nicht überſteigen dür- 
fen, können wider deren Willen nur von 
der Staatsgewalt und nur unter der 
Vorausſetzung vollzogen werden, daß ſie 
von der zuſtändigen Staatsbehörde für 
vollziehbar erklärt worden ſind.— 

Die Beſtimmungen der Kirchendisciplin 
in Rückſicht der Cleriker finden auf die 
Lehrer einer theologiſchen Facultät als 
ſolche keine Anwendung. 

Verurtheilung wegen eines Vergehens 

- oder Verbrechens, deſſen Beſtrafung bei 
einem öffentlichen Diener mit Dienſtent— 
ſetzung verbunden iſt, hat bei einem 
Geiſtlichen auf geſchehene Mittheilung 
des Urtheils an die betreffende kirchliche 
Behörde die Enthebung des Verurtheilten 
von ſeinen Dienſtfunctionen unmittelbar 
zur Folge. Gegen alle kirchliche Straf— 
verfügungen iſt das in Art. 42. der Ver: 
faſſungsurkunde gewährte Recht der Be— 
ſchwerde bei der Regierung anwendbar. 


Ait 1. 


Abſatz 1. unverändert. 

Die kirchlichen Ortsvermögen verwalten 
die berechtigten Gemeinden durch ihre 
Organe unter entſprechender Aufſicht des 
Staates und der Kirche. 

Eine rechtliche Verbindlichkeit zur Ent— 
richtung von kirchlichen Abgaben oder 
Gebühren kann nur durch Herkommen, 
Vertrag oder Geſetz begründet werden. 

Ein Geſetz regelt die geſammte Ver— 
waltung des den kirchlichen Bedürfniſſen 
gewidmeten Vermögens. 


Art. 1% 


Unverändert. 


ez! 1 Art. 19 


Das öffentliche Unterrichts⸗ 
weſen wird vom Staate geleitet. 
Andere Unterrichts- und Er⸗ 
ziehungsanſtalten ſtehen unter 
der Aufſicht der Staatsregierung. 


Art. 14. 


Den Religionsunterricht über: 
wachen und beſorgen die Kirchen 
für ihre Angehörigen, jedoch un: 
beſchadet der einheitlichen Leitung 
der Unterrichts- und Erziehungs: 
anſtalten. 

Die Kirchen find befugt, Bild⸗ 
ungsanſtalten für diejenigen, 
welche ſich dem geiſtlichen Stande 
widmen, zu errichten. 


Art. 15. 


Alle Geſetze und Verordnun— 
gen, welche mit obigen Beſtim— 
mungen nicht vereinbar find, 
werden aufgehoben. 

Die Verordnungen über die 
Verwaltung des kirchlichen Ver— 
mögens bleiben in ihrer bis— 
herigen Wirkſamkeit, bis im 
Wege der Verordnung ihre Auf— 
hebung in Vollzug geſetzt wird. 


241 


Art. 13. 


Das öffentliche Unterrichtsweſen wird, 
abgeſehen von den Beſtimmungen des 
Art. 14., ausſchließlich vom Staate geleitet. 

Andere Unterrichts- und Erziehungs— 
anſtalten, auch die der Kirchen- und 
Religionsgemeinſchaften, ſtehen unter der 
Oberaufſicht der Staatsregierung. 


Art. 14. 


Den Religionsunterricht überwachen und 
beſorgen die Kirchen und Religionsge— 
meinſchaften für ihre Angehörigen, jedoch 
unbeſchadet der einheitlichen Leitung der 
Unterrichts- und Erziehungsanſtalten. 

Die Kirchen und Religionsgemeinſchaf— 
ten ſind befugt, Bildungsanſtalten für 
Diejenigen, welche ſich dem geiſtlichen 
Stande widmen, zu errichten. 

Ein Geſetz ordnet das ganze Unter— 
richtsweſen. 


Art. 15. 


Alle Geſetze und Verordnungen, welche 
mit obigen Beſtimmungen nicht vereinbar 
ſind, ſind aufgehoben, darunter namentlich: 

Der Art. 40. der Verfaſſungsurkunde, 
die Verordnung vom 30. Januar 1830, 
die Ausübung des oberhoheitlichen Schutz— 
und Aufſichtsrechtes über die katholiſche 
Landeskirche betreffend 8. ., ſoweit er 
das Placet betrifft, und die §§. 25., 26. 
und 27. über die Bildung der Prieſter. 

Die Berordaung vom 23. Februar 1850, 
die Staatsaufſicht über neue Religions- 
gemeinſchaften u. ſ. w. betreffend. 

Die Verordnung vom 1. März 1853, 
die Ausübung des oberhoheitlichen Schutz— 
und Aufſichtsrechtes über die katholiſche 
Landeskirche betreffend. 

Der Art. 20. des Conſularbeſchluſſes 
vom 20. prairial X. (9. Juni 1802.) 

Der Art. 4. des kaiſerlichen Decretes 
vom 3. messidor XII (22. Juni 1804.) 

Das kaiſerliche Decret vom 18. Februar 
1809. 


Art. 16. 


Die in Art. 8., 9. und 14. vorgeſehenen 
Geſetze ſollen erlaſſen werden, nämlich: 
über Amtsmißbrauch der Geiſtlichen, über 
Eheſchließung und Standesbuchführung 
und über das Unterrichtsweſen. 

Dabei beſchließt die Kammer, daß der 
vorſtehende Artikel 16. als Bedingung 
der Annahme des Geſetzes angeſehen wer— 
den ſolle. 


242 


Ferner beſchließt die Kammer folgende 
ſchließliche Erklärung. 


Die Kammer erklärt, daß die ohne 
ſtändiſche Zuſtimmung zwiſchen der Gr. 
Regierung und dem Biſchofe von Mainz 
unter dem 23. Auguſt 1854 abgeſchloſſene 
vorläufige Uebereinkunft rechtsungültig 
iſt, da ſie Beſtimmungen enthält, welche 
der Verfaſſung, den Geſetzen und Ver— 
ordnungen, wie dem ſeitherigen Rechts- 
beſtande im Großherzogthum widerſprechen. 
Die Kammer erklärt, daß die Ueberein⸗ 
kunſt keine Wirkſamkeit äußern dürfte, 
und verwahrt ſich auf das Entſchiedenſte 
gegen jede etwa beabſichtigte fernere An⸗ 
wendung dieſer Uebereinkunft als einen 
Bruch der Verfaſſung. 


— mern